Franziskus: von Assisi 3806238170, 9783806238174


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German Pages [369] Year 2018

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Der Weg zu Franz
1. Kapitel: Bruch
1. Sohn aus gutem Haus
Franz
Assisi
Johannes
2. Wilde Jugend oder frühe Heiligkeit?
3. Unruhe
Bekehrung
Diskrepanzerfahrungen
Gefangenschaft
Ritterschaft
Bei den Leprosen
Fragwürdiger Reichtum
4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater
Adoleszenzkrise
San Damiano
Am Rande der Gesellschaft
Prozess vor dem Bischof
2. Kapitel: Aufbruch
1. „Franz, stelle mein Haus wieder her!“
Kirchenrenovierungen
Spendensammlung
2. Umkehr tut not
Nahrungssuche
Endlich Klarheit: die Aussendungsrede
Buße und Leben unter dem Kreuz
3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft
Erste Anhänger
Legenden des Anfangs
Formierung der Gemeinschaft
Apostolische Wanderschaft
Ein Zentrum: Rivotorto
Arbeit
4. Suche nach Anerkennung
Romreise
Vor Papst Innozenz
Alte oder neue Form?
5. Geliebte im Geiste: Klara
Frauen unter den Anhängern
Eine geistliche Liebe
Flucht
Schutz
3. Kapitel: Sendung
1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft
Die Büßer von Assisi
„Friede sei mit euch“
Charismatisches Auftreten
Teufel und Gericht
Predigt: Performativität und Spontaneität
Wertschätzung der Bildung
Predigt durch die Tat
Sympathisanten
Wunder
2. Jubel mit der Schöpfung
Natur als Gegenwelt zur Zivilisation
Die Welt als Spiegel Gottes
Vogelpredigt
Sonnengesang
3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime
Eine Orientreise oder mehrere?
Vor dem Sultan
4. Kapitel: Ordnung
1. Eine merkwürdige Allianz: machtvoller Papst und armseliger Bettler
Innozenz III. und die Macht
Vita apostolica und Ketzerei
Franz und die Priester
2. Das Konzil und sein Prophet
Das Vierte Lateranum
Eucharistie auf dem Konzil und bei Franz
Repräsentationsfrömmigkeit
Ablass
3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens
Die Regula non bullata: eine Regelsammlung
Hugolin: Beschützer und Verbesserer
Regula bullata
5. Kapitel: Rückzug
1. Die Gefahren der Welt
Geld
Gegenbild: die Armut
Leib
Fasten
Sexualität
2. Kontemplation
Gebet
Maria
Christus
Die Weihnachtskrippe
Visionär und Mystiker
3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung
Überforderung
Kapitelversammlungen
Rückzug von der Ordensleitung
4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug
Eremitendasein
Elias von Cortona und die Stigmata
Suche nach Belegen
Die Seraphenvision
Deutungsversuche
5. Das Ende
Erneute Krankheit
Letzte Worte: das Testament
Der inszenierte Tod
In der Ferne ein Mensch
Nachwort
Anmerkungen
Zeittafel
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Quellen
Literatur
Personenregister
Back Cover
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Franziskus: von Assisi
 3806238170, 9783806238174

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Volker Leppin

Franziskus von Assisi

Abbildungsnachweis: akg-images: S. 11, 12, 30 f., 45, 65 (oben u. unten), 97, 99, 126, 177, 203, 261, 264, 299; wiki / Gunnar Bach Pedersen: S. 302; Peter Palm: S. 25.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg THEISS ist ein Imprint der wbg. © 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden Satz: Melanie Jungels, Layout l Satz l Bild, Gensingen Umschlagabbildung: Der Hl. Franziskus predigt den Vögeln. Fresko in der Oberkirche San Francesco in Assisi von Giotto di Bondone. Foto: © akg-images. Umschlaggestaltung: Harald Braun, Helmstedt Frontispiz: Die Basilika San Francesco in Assisi am 20. September 2016, dem Tag des Besuches von Papst Franziskus. Foto: akg-images. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3817-4 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3824-2 eBook (epub): 978-3-8062-3825-9

Inhalt

10 Der Weg zu Franz

27 1. Kapitel: Bruch 27 27 28 33

35

1. Sohn aus gutem Haus Franz Assisi Johannes

2. Wilde Jugend oder frühe Heiligkeit?

39 3. Unruhe 39 40 42 45 52 55

62 62 63 74 79

Bekehrung Diskrepanzerfahrungen Gefangenschaft Ritterschaft Bei den Leprosen Fragwürdiger Reichtum

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater Adoleszenzkrise San Damiano Am Rande der Gesellschaft Prozess vor dem Bischof

5

Inhalt

86 2. Kapitel: Aufbruch 86 86 90

92 92 95 100

102 102 106 108 112 117 119

122 122 124 128

132 132 134 137 141

1. „Franz, stelle mein Haus wieder her!“ Kirchenrenovierungen Spendensammlung

2. Umkehr tut not Nahrungssuche Endlich Klarheit: die Aussendungsrede Buße und Leben unter dem Kreuz

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft Erste Anhänger Legenden des Anfangs Formierung der Gemeinschaft Apostolische Wanderschaft Ein Zentrum: Rivotorto Arbeit

4. Suche nach Anerkennung Romreise Vor Papst Innozenz Alte oder neue Form?

5. Geliebte im Geiste: Klara Frauen unter den Anhängern Eine geistliche Liebe Flucht Schutz

143

3. Kapitel: Sendung

143

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

143 146 151

6

Die Büßer von Assisi „Friede sei mit euch“ Charismatisches Auftreten

Inhalt

152 157 159 162 164 167

172 172 174 176 180

187 187 191

Teufel und Gericht Predigt: Performativität und Spontaneität Wertschätzung der Bildung Predigt durch die Tat Sympathisanten Wunder

2. Jubel mit der Schöpfung Natur als Gegenwelt zur Zivilisation Die Welt als Spiegel Gottes Vogelpredigt Sonnengesang

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime Eine Orientreise oder mehrere? Vor dem Sultan

199

4. Kapitel: Ordnung

199

1. Eine merkwürdige Allianz: machtvoller Papst und armseliger Bettler

199 207 212

Innozenz III. und die Macht Vita apostolica und Ketzerei Franz und die Priester

218

2. Das Konzil und sein Prophet

218 222 227 230

232 232 236 239

Das Vierte Lateranum Eucharistie auf dem Konzil und bei Franz Repräsentationsfrömmigkeit Ablass

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens Die Regula non bullata: eine Regelsammlung Hugolin: Beschützer und Verbesserer Regula bullata

7

Inhalt

242

5. Kapitel: Rückzug

242

1. Die Gefahren der Welt

242 247 251 253 254

Geld Gegenbild: die Armut Leib Fasten Sexualität

257 257 258 259 260 263

269 269 271 274

280 280 281 283 285 287

291 291 293 295

2. Kontemplation Gebet Maria Christus Die Weihnachtskrippe Visionär und Mystiker

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung Überforderung Kapitelversammlungen Rückzug von der Ordensleitung

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug Eremitendasein Elias von Cortona und die Stigmata Suche nach Belegen Die Seraphenvision Deutungsversuche

5. Das Ende Erneute Krankheit Letzte Worte: das Testament Der inszenierte Tod

298 In der Ferne ein Mensch 8

Inhalt

304 Nachwort 304 356 357 358

Anmerkungen Zeittafel Abkürzungen Quellen und Literatur

358 360 367

Quellen Literatur Personenregister

9

Der Weg zu Franz

N

ah scheint er. Durchdringend liegen seine Augen auf denen, die ihn betrachten. Man meint noch, den Gesichtszügen und dem Körper die harte As­ kese ansehen zu können, mit der er sich quälte. So zeigen ihn zahlreiche Abbildungen seit dem Mittelalter, am be­ kanntesten darunter die berühmten Fresken Giottos († 1337) in der Gra­ beskirche in Assisi. Nicht zufällig begann die Renaissance mit den Dar­ stellungen des Poverello, so hat es um 1900 Henry Thode (1857–1920) in genialer Zuspitzung beschrieben. Ein neuer Blick auf den Menschen, gerade dort, wo ein Mensch sich tief vor Gott demütigte. In dem einen Franz scheint sich alles Menschliche zu konzentrieren – und so schaut er uns noch Jahrhunderte nach der Entstehung jener frühen Bilder an, sehr direkt, mitten hinein in unsere Gegenwart. Ein Vertrauter. Bruder Franz. So wie ihm die Sonne eine Schwester war  – oder eben, in seiner Sprache, ein Bruder: „lo frate Sole“.1 Die Nähe ist verführerisch, und sie täuscht. Natürlich sind die alten Bilder keine Porträts im eigentlichen Sinne. Sie stellen das Ideal des freiwillig Armen dar, der der Welt als kleines Mönchlein gegenüber­ stand und durch Gott selbst ausgezeichnet wurde. Als Giotto die Fres­ ken in der Kirche über seinem Grab schuf, war Franz schon seit sieb­ zig Jahren verstorben, kaum jemand dürfte noch in Assisi gelebt haben, der ihn gekannt hatte, von genauer Erinnerung an sein Antlitz ganz zu schweigen. Giotto folgte mit der Ausgestaltung dem, was die Biogra­ phen der Zeit über Franz zu berichten wussten, und dabei nicht unbe­ 10

Der Weg zu Franz

Die Oberkirche von San Francesco nach der Restaurierung.

11

Der Weg zu Franz

Blick in das Querhaus nach Norden mit Chorgestühl.

12

Der Weg zu Franz

dingt den genauesten Äußerungen zu Franz’ Äußerem. Sie finden sich in der Chronik eines englischen Benediktiners, Roger von Wendover, verfasst wenige Jahre nach Franz’ Tod. Zum Jahre 1227, als Franz’ Hei­ ligsprechung vorbereitet wurde, die dann am 16. Juli 1228 erfolgte, flicht er einen Exkurs zu dem umbrischen Armen und seiner Bruderschaft ein. Darin zeichnet er ein weit weniger romantisches Bild des Heiligen: Nicht der schmale Asket steht hier anlässlich seiner Begegnung mit Papst Innozenz III. im Vordergrund, sondern der wilde Outlaw: „Der Papst betrachtete daher an dem erwähnten Bruder sorg­ fältig das ungestalte Aussehen, das verächtliche Antlitz, den wallenden Bart, die verwilderten Haare, die herabhängen­ den schwarzen Augenbrauen“.2 Da wird Franz schon etwas fremder als in den Bildern Giottos, in wel­ chen sich der Meister maßgeblich an der Lebensbeschreibung orien­ tierte, die der Generalminister des Franziskanerordens, Bonaventura († 1274), in Lang- und Kurzfassung (Legenda maior und minor) verfasst hatte. Jahrhundertelang prägten dessen Schilderungen das Bild des Hei­ ligen aus Assisi, bis die moderne Forschung, angestoßen vor allem durch den evangelischen Historiker Paul Sabatier (1858–1928), dieses Bild und noch manch andere lieb gewordene Tradition in sich zusam­ menstürzen ließ. So entstand die brisante „franziskanische Frage“3: eine hochkomplexe wissenschaftliche Debatte um die Zuverlässigkeit der frühen Quellen, an der keine Franz-Biographie vorbeigehen kann. Sie ergibt sich aus der Einsicht, dass die frühen Viten immer schon ein bestimmtes Interesse verfolgten. Dass Bonaventura auf anderen auf­ baute, war und ist offensichtlich, ebenso auch der Umstand, dass er in einer heiklen Phase der Ordensgeschichte versuchte, das Bild des Gründers so zu zeichnen, dass er die auseinanderstrebenden Zweige der Franziskaner zusammenhalten konnte: Seine Lebensbeschrei­ bung diente sehr offensichtlich nicht in erster Linie einer historischen Erzählung über das Leben des Franz von Assisi, sondern den aktuellen ordenspolitischen Anliegen des bedeutenden Verfassers. Doch nicht allein Bonaventuras Lebensbeschreibung ist mit Vor­ sicht zu gebrauchen. Die franziskanische Frage setzt gewissermaßen 13

Der Weg zu Franz

schon mit dem Tod des Heiligen ein, der den Beginn seiner Verehrung darstellte – wenn man Helmut Feld, dem Autor der für die heutige For­ schung wichtigsten deutschsprachigen Einführung in die Anfänge der franziskanischen Bewegung, folgen will, war dies der Beginn seiner Vereinnahmung: Es gab, so Feld, nicht nur körperliche Totengräber, sondern auch geistliche. Feld nennt hier Papst Gregor IX. (1227–1241), der Franz heiligsprach, ebenso wie die franziskanische Führungsge­ neration der ersten Stunde. 4 Man muss sich dieses scharfe Urteil nicht zu eigen machen, um zu sehen, dass tatsächlich von Beginn an das Gedächtnis an Franz nicht einfach der möglichst genauen Erinnerung diente, sondern den jeweiligen Interessen der Zeitgenossen. Ebenjener von Feld namhaft gemachte Papst Gregor IX. war es, der schon kurz nach dem Tod des Franz dessen älteste Lebensbeschreibung bei Thomas von Celano († 1260) in Auftrag gab. Er initiierte damit ein Werk, das auch seinem eigenen Ruhm diente, war doch Gregor selbst in der Biographie eine nicht ganz unwichtige Nebenfigur: Noch als Kar­ dinal Hugolin von Ostia war er Protektor des neuen Ordens gewesen und hatte Franz von Assisi nachhaltig gefördert. Ein Teil des Glanzes, den die Lebensbeschreibung des Franz ausstrahlte, fiel auch auf den Auftraggeber. Der Autor selbst, Thomas von Celano, war auch nicht gerade jemand, von dem Distanz und Nüchternheit zu erwarten gewe­ sen wäre – eine Erwartung, die ohnehin an dem vorbeiginge, was man im Mittelalter mit einer Vita verband. Celano gehörte schon zu dessen Lebzeiten zu den Anhängern von Franz von Assisi und wirkte seit 1223 als Kustos der franziskanischen Gemeinschaften im Rheingebiet.5 Sein Werk diente dazu, die Verehrung des rasch, schon zwei Jahre nach sei­ nem Tod am 3.  Oktober 1226, heiliggesprochenen Ordensgründers zu begründen und zu propagieren, und hatte durchaus im Blick, die Nachfolge im Orden attraktiv zu machen. All dies lässt somit schon die älteste Vita des Franz mindestens ebenso zu einem Dokument der In­ teressen ihres Autors werden wie zu einem Zeugnis für das Leben, das darin geschildert werden soll, und darin drückt sich die Spannung aus, die für die franziskanische Frage so charakteristisch ist. Es ist offen­ kundig, dass die frühen Quellen über das Leben des Franz von Assisi von anderen Absichten geprägt sind als denen, die heutige Historike­ rinnen und Historiker verfolgen. Sie wollen nicht eine Biographie im modernen Sinne schreiben, sondern eine Heiligenlegende – nicht mo­ 14

Der Weg zu Franz

derne Wissenschaft ist das Ziel, sondern mittelalterliche Hagiographie. Das macht ihre Nutzung für Geschichtsrekonstruktionen schwierig, aber, auch darin ist sich die Forschung einig, nicht unmöglich. Wäh­ rend man für die geistlichen Anliegen des Franz durch vereinzelte von ihm selbst verfasste Gebete und Schriften eine einigermaßen6 sichere Grundlage hat, kann eine Biographie sich heute nur auf den schwankenden Grund der frühen Viten beziehen, muss abwägen und gewichten. Wie eng Lebensbeschreibung und Verehrung bei Celano miteinander verbunden waren, zeigt sich daran, dass er schon bald nach Abfassung der Vita ein Werk verfasst hat, das die „Legende“ im Namen trägt: die Legenda ad usum chori7. „Legenda“ stellt dabei nicht wie im heutigen Sprachgebrauch eine Aussage über die (zweifelhafte) Zuverlässigkeit dar, sondern besagt ganz wörtlich, dass der Text zum Lesen bestimmt war: Die Kurzvita war in neun Lesungen eingeteilt. So sollte sie dem neuerlichen, diesmal von Benedikt von Arezzo, dem Leiter der Ordensprovinz in Rumänien und Griechenland, ausgegan­ genen Auftrag entsprechen, dass jeder Bruder die Möglichkeit habe, die Kurzfassung von Franz’ Leben in seinem Brevier, der üblichen kurz gefassten Sammlung liturgischer Texte, mit sich zu führen.8 So konnten die Brüder sich auch auf Reisen das Leben des Ordensgrün­ ders vergegenwärtigen, das Thomas von Celano für diesen Zweck auf Grundlage der zuvor verfassten Vita dicht zusammengefasst hat. Selbstverständlich wurden solche Texte nicht allein für den individu­ ellen Gebrauch genutzt, sondern auch für die gemeinsame Liturgie. Einen Eindruck hiervon kann man aus der Chronik des Thomas von Eccleston († nach 1258) über die Anfänge der Franziskaner in England gewinnen. Für das Jahr 1235 berichtet er: „Bruder Augustinus (…) berichtete öffentlich im Konvent von London, er sei am Fest des heiligen Franziskus in Assisi gewesen. Und dort war Papst Gregor, und als dieser nach vorne zum Predigen ging, sangen die Brüder: ,Diesen hatte der Heilige zum Vater erwählt‘ etc., und der Papst lächelte.“9 Der Papst hatte einigen Grund zu lächeln, denn der, von dessen Er­ wählung zu Franz’ geistlichem Vater hier die Rede war, war wiederum 15

Der Weg zu Franz

eben er selbst – jener einstige Kardinal Hugolin. Der Vers stammte aus dem Officium Sancti Francisci10, das in den frühen dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts der ehemalige französische Hofkapellmeister Julian von Speyer († um 1250) gedichtet hatte. Nun diente er statt dem König den Minderbrüdern, und zwar nicht nur als Musiker: Etwa zur selben Zeit wie das Officium verfasste er auch eine Lebensbeschreibung des Ordensgründers. Als Grundlage hierfür diente ihm weitgehend jene Vita aus der Feder Celanos. Dieser blieb allerdings auch selbst weiter literarisch tätig. Erst seit wenigen  Jahren weiß man aufgrund einer Entdeckung von Jacques Dalarun, dass Celano eine Kurzfassung seiner Vita verfasste11 – wich­ tiger allerdings bleibt die zweite große Vita, die Celano Anfang der vierziger Jahre schrieb. Auf dem Generalkapitel der Franziskaner am 4. Oktober 1244 hatte der Ordensgeneral Crescentius von Jesi (Gene­ ral 1244–1247) dazu aufgerufen, „Zeichen und Wundertaten des über­ aus seligen Vaters Franziskus“ zu sammeln12 – und Celano erhielt nun vom Ordensgeneral den neuen Auftrag, „dass wir die Geschicke oder auch Aussprüche unseres ruhmreichen Vaters Franziskus (…) den ge­ genwärtig Lebenden zum Trost und den Künftigen zum Gedächtnis niederschreiben“.13 Wiederum stellt sich für die heutige Geschichts­ schreibung die Frage nach dem Umgang mit dem so entstandenen Text: Der Aufruf des Crescentius, Erinnerungen zu sammeln, mag auf den ersten Blick die Hoffnung wecken, dass sich in der zweiten Vita neue Erkenntnisse finden, und das ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber man befindet sich nun doch fast zwanzig Jahre nach dem Tod des Heiligen, die Erzähltraditionen dürften verändert und gewachsen, die Erinnerung verdunkelt oder vermutlich gerade im Gegenteil: aufgehellt sein. Man weiß ja nun, dass man sich nicht einfach an einen jungen Mitbürger erinnert, sondern an einen ver­ ehrten und verehrungswürdigen Heiligen. Zudem verfolgte der Auf­ ruf des Crescentius ganz offenkundig das Ziel, die Gärungen, in die der Orden durch den Streit um das Erbe des Franz und auch durch apokalyptische Naherwartung geraten war,14 zu beschwichtigen  – der Erinnerungsauftrag diente nicht der Klärung der Vergangenheit, sondern der Orientierung in der Gegenwart. So liest sich diese zweite Vita über weite Strecken geradezu wie ein Kommentar zur gültigen Regel der Franziskaner: Der Franziskus der zweiten Vita lebt vor, wie 16

Der Weg zu Franz

diese zu erfüllen ist. Der Trost der Zeitgenossen sollte sehr konkrete Auswirkungen im inneren Ordensfrieden haben. So gilt wiederum: Man muss diese Vita vielleicht nicht mit spitzen Fingern anfassen, aber doch mit historischer Vorsicht nutzen. Der „Schleier der Erinne­ rung“ ­( Johannes Fried)15 dürfte sich auch hier über manches gelegt, die konkrete ordenspolitische Absicht manches gefärbt haben. Diese Vorsicht gilt leider auch für ein weiteres Werk, das mit dem Aufruf des Crescentius verbunden ist. Genau genommen handelt es sich hier um zwei Schriftstücke, die gemeinsam  überliefert sind: Zu­ nächst geht es um einen Brief dreier früher Gefährten des Ordens­ gründers namens Leo, Rufin und Angelus.16 Darin künden sie an, sie wollten, dem Aufruf des Crescentius folgend, Wundertaten und Anzei­ chen des heiligen Lebenswandels von Franz zusammentragen, nicht im Sinne einer ausführlichen Legende, sondern wie „ein paar Blumen von einer lieblichen Wiese“.17 Überliefert ist dieser Brief in den Hand­ schriften gemeinsam mit einem zweiten Text, der nun doch eine um­ fassende Lebensbeschreibung bietet. Wenn beides zusammengehört, und die Überlieferungslage jedenfalls spricht deutlich dafür, dann hätte man hier in mancher Hinsicht den authentischsten Bericht über den Poverello vorliegen, geschrieben von Menschen, die ihm seit den Anfängen nahestanden. Doch ist auch dies so einfach nicht  – Leon­ hard Lehmann, selbst als Kapuziner Angehöriger der franziskanischen Tradition und herausragender Kenner der Quellenprobleme, hat die Schwierigkeiten der Dreigefährtenlegende treffend zusammengefasst. Man diskutiere hinsichtlich der Dreigefährtenlegende, „ob sie vollständig ist oder ‚verstümmelt‘ (…), ob sie zu dem von den drei Gefährten Leo, Rufin und Angelus unter­zeichneten Brief, geschrieben am 11. August 1246 in Greccio, gehört oder nicht; ob die genannten drei wirklich die Verfasser sind oder nicht; ob das Werk zum 11. August 1246 abgeschlossen war oder später ergänzt wurde; ob es erst in den 60er Jahren des 13. Jahr­ hunderts oder gar erst Anfang des 14. Jahrhunderts geschrieben wurde“.18 Derzeit hat sich eine Tendenz eingependelt, nach welcher die deutsch­ sprachige Forschung etwas zuversichtlicher hinsichtlich der Authen­ 17

Der Weg zu Franz

tizität des Textes ist als die sonstige internationale19 – was angesichts der komplexen Diskussionslage allerdings nur begrenzt weiterhilft. Letztlich kommt man ohnehin nicht umhin, die Dreigefährtenle­ gende, selbst wenn man sie, wofür in der Tat einiges spricht, auf Leo und die beiden anderen Freunde des Franz zurückführt, mit derselben Vorsicht zu nutzen wie alle anderen Quellen. Dass sie manch eigene In­ formation gegenüber Celano enthält, dürfte unstrittig sein, aber auch für sie gilt: Sie ist mit zwanzig Jahren Abstand nach dem Tod des Fran­ ziskus entstanden. Selbst Freunde können da unter Gedächtnislücken leiden oder manches allzu sehr ausschmücken – und gerade Freunde mögen in ihren biographischen Beschreibungen dazu neigen, das Vorteilhafte ihres einstigen Gefährten stärker herauszustreichen, als es ein nüchterner Betrachter täte. Kurzum: Die franziskanische Frage bleibt offen, und jeder Biograph muss sich aufs Neue mit ihr auseinan­ dersetzen. Das gilt auch für eine weitere hochspannende Quelle, die möglicherweise noch zu Lebzeiten Gregors IX. entstanden ist,20 also vor 1241: die Aufzeichnungen des sogenannten „Anonymus Perusi­ nus“, den man heute wohl identifizieren kann. Johannes von Perugia scheint hier Erzählungen über Franz gesammelt zu haben – der lange verschollene und wenig beachtete Text gehört damit in die Reihe der ganz frühen Zeugnisse, die noch recht nah an die Phase persönlicher Erinnerung an Franz selbst führen. Vielleicht diente er, so vermutet es Leonhard Lehmann, sogar der Dreigefährtenlegende als Vorbild be­ ziehungsweise als eine hilfreiche Sammlung.21 Wenn dem so ist, wirft dies allerdings auch ein Licht auf das, was als Erinnerung gelten kann: Wenn die drei Gefährten selbst (angenommen sie waren die Autoren der nach ihnen benannten Legende) eine Vorlage benutzt haben, so haben sie eben nicht einfach vollständig ihrer Erinnerung getraut. So führt auch der Bericht des Johannes von Perugia aus dem Quellendi­ ckicht keineswegs heraus, sondern eher tiefer hinein.22 In dieser hochkomplexen Quellenlage, die durch die hagiogra­ phischen Bemühungen der ersten Generationen nach dem Tod von Franziskus entstanden ist, scheint es einen sicheren Anker zu geben, nämlich die erhaltenen Schriften von Franz selbst. Schon 1981 machte Anton Rotzetter die Beobachtung einer damals „neuen Orientierung der Forschung“, die „dem authentischen Werk“ von Franz „einen selb­ ständigen und vorrangigen Wert“ gegenüber den hagiographischen 18

Der Weg zu Franz

Texten gibt.23 Diese Gewichtung ist seitdem zu Recht erhalten geblie­ ben. Besonders fruchtbar sind Franz’ eigene Schriften natürlich für eine Rekonstruktion seiner inneren Biographie, seiner Spiritualität. Dieser Erkenntnis gemäß gewinnt in den folgenden Seiten die in­ nere Biographie besonderes Gewicht: Die geistige und geistliche Welt des Franziskus bildet ihr Rückgrat, auf sie wird immer wieder zurück­ zukommen sein. Aber man kann die innere Biographie ohne die äußere nicht erzählen. Auch für diese ist es hilfreich, die eigenen Zeugnisse von Franz heranzuziehen, freilich gilt hier gleichfalls eine gewisse Vor­ sicht. Denn wir besitzen kaum Briefe, wie sie in anderen Fällen als rela­ tiv zuverlässige Zeugnisse gelebten Lebens zugänglich sind, sondern das wichtigste Zeugnis von eigener Hand über Franz’ Biographie ist seinerseits bewusst geformt: Kurz vor seinem Tod im Jahre 1226 hat er sein sogenanntes Testament verfasst,24 einen Text, der eine – allerdings sehr knappe – Rückschau auf sein Leben und eine Deutung der Gegen­ wart seines Ordens mit Mahnungen an die Brüder verbindet. Die au­ tobiographischen Anteile darin sind pointiert und folgen einer klaren Gewichtung. Franz nennt einige wenige Episoden und verkürzt diese summarisch. Allein schon diese klare Auswahl macht deutlich, dass auf modifizierte Weise auch für autobiographische Zeugnisse gilt, was allgemein über die Erinnerung von Menschen gesagt wurde: Auch die Erinnerung an mich selbst verschiebt sich, auch sie folgt dem jeweils gegenwärtigen Wunsch, sich in der Erinnerung so gespiegelt zu sehen, wie man sich in der Gegenwart gerne verstanden wissen will. Konkret heißt dies: Franz schrieb das Testament nicht zur Sammlung von Er­ innerungen, sondern um sein eigenes Leben als Vorbild für die gegen­ wärtige Gemeinschaft seiner Brüder darzustellen. Eine solche Absicht kann Erinnerungen verfärben.25 So ist das Testament ohne Zweifel das wichtigste Zeugnis für Franz’ Biographie, aufgrund seiner Knappheit und seiner eben doch vorhandenen Tendenz aber auch eingefärbt – die entscheidende Lösung für die Probleme einer Biographie des Franz von Assisi bietet es, leider, nicht. So gilt bei einem genauen Blick auf die Quellen: Wer sich heute da­ ranmacht, das Leben des Franz von Assisi zu erzählen, steht, ob er will oder nicht, in einer doppelten Tradition. Ihn prägt zum einen die hagiographische Tradition, auf die jeder angewiesen bleibt, der das Leben von Franz erzählen will, und zum anderen die Tradition einer 19

Der Weg zu Franz

intensiven Forschung, für die ein kritischer Umgang mit ebendiesen Quellen selbstverständlich geworden ist – und die viel dafür getan hat, unsere Augen für deren Probleme zu öffnen. Kritik heißt nicht, dass man die Angaben der Hagiographen in Bausch und Bogen verwirft – sie sind, wie sich gezeigt hat, zeitlich nah am Geschehen und oft mit einem Erinnerungsgewebe verflochten, das sehr nahe an den Gegen­ stand der Erzählung, an Franziskus selbst, heranführt. Aber man muss sie achtsam benutzen und gegeneinander abwägen. Der Weg von der Hagiographie zum historischen Geschehen ist, wie Felice Accrocca, einer der herausragenden Quellenkenner, hervorgehoben hat, schwie­ rig, aber nicht unmöglich.26 Konsequent weitergedacht wird man sich die Frage stellen müssen, ob man die eine Geschichte des Mannes aus Assisi überhaupt erzählen kann, ob am Ende einer Franz-Biographie überhaupt ein Fazit stehen kann, das es erlaubt, das Leben dieses Mannes in einem Satz, gar in ei­ nem Wort zusammenzufassen. Und es sei gleich vorab gesagt: Genau das ist auch nicht das Ziel dieses Buches. Es ist eine Biographie – und doch könnte man ebenso gut sagen, es ist ein Buch über die Schwie­ rigkeiten, eine Biographie zu schreiben, ganz speziell: eine Biographie des Franz von Assisi. Eine radikale Position müsste wohl lauten: Das einzige, was etwas Gewissheit gibt, sind die paar Erinnerungsfetzen im Testament, und selbst die sind, wie oben ausgeführt, nicht einfa­ che Widerspiegelungen von Realität. Alles andere stammt aus zweiter Hand und folgt den jeweils unterschiedlichen Interessen der Autoren, „ihren“ Franz zu bilden. Wollte man dieser radikalen Position folgen, wäre das Vergnügen, eine Franz-Biographie zu schreiben oder zu le­ sen, rasch beendet. Lässt man es aber hiermit nicht bewenden, son­ dern lässt sich auf das Wagnis ein, doch auch anderes wenigstens für einen Reflex von Franz’ Leben zu halten, so bedeutet dies, dass man immer wieder um die Einschätzung der Quellen ringen und zwischen unterschiedlichen Überlieferungen abwägen muss. Dass die Biographien hagiographischen Zwecken folgen, heißt ja nicht, dass sie gar kein historisch auswertbares Material enthielten.27 Vieles an ihnen ist literarische Gestaltung, aber nicht nur Erfindung: Ihr Interesse ließ sich auch durch die Weise umsetzen, wie sie vorhandenes Material neu und in ihrem Sinne arrangierten. Und der Grad an Hinzu­ gedichtetem dürfte in denjenigen Texten höher sein, die noch dicht am 20

Der Weg zu Franz

Geschehen sind – allein schon, weil man die mittelalterlichen Menschen nicht unterschätzen darf. Denn auch im 13. Jahrhundert gab es Zweifel an wunderhaften Berichten, und die Franz-Biographen wussten darum, auch wenn man solche Zweifel auf den Teufel zurückführen mochte.28 Der Phantasie waren Grenzen gesetzt – und der Erzählung stand nicht nur durch Erfindungen, sondern auch durch Berichte und Erinnerungen Material zur Verfügung, das dann in eine neue Ordnung gebracht wurde. Das heißt: Wo eine Erzählung offenkundig dem Gesamtduktus einer Biographie dient, ist höhere Skepsis angebracht als dort, wo sie bei- oder gar gegenläufig zu diesem Duktus erscheint. Die geringste Verfremdung wird man nach den vorgetragenen Überlegungen neben dem Testament von Franz selbst in der ersten Vita Celanos und der Dreigefährtenlegende finden.29 Sie werden da­ her im Folgenden zusammen mit den wenigen sonstigen Zeugnissen, die Franz selbst hinterlassen hat – Gebete, Briefe, Regeln –, die wich­ tigsten Quellen sein. Für jede Etappe im Leben des Franz ist dennoch neu danach zu fragen, wie zuverlässig wir über sie Bescheid wissen. Und das ernüchternde Ergebnis bleibt: Sehr genau wissen wir nicht Bescheid. Die folgenden Seiten werden viele Episoden aus dem Leben von Franziskus nur mit einem dicken Fragezeichen versehen können, ja es wird – sei es im Blick auf den Auftrag, den Franz vom Kreuz in San Damiano erhalten haben soll, sei es hinsichtlich des Ablaufs der ersten Begegnung mit Papst Innozenz III. – immer wieder deutlich werden, dass manche wichtige Erzählung, zumal wenn sie Geschehnisse durch übernatürliche Eingriffe in die irdische Wirklichkeit legitimieren soll, eher auf die Konstruktion ihrer Erzähler zurückgeht als auf Erinne­ rung. Das bedeutet nicht, dass daran gezweifelt würde, dass für mittel­ alterliche Menschen die Welt vom Walten Gottes durchwirkt war und er sich in Visionen, Träumen und Offenbarungen den Menschen öffnen konnte – solche Geschichten würden ja nicht funktionieren, wenn sie nicht geglaubt würden. Vielmehr legt die komplexe Quellenlage immer wieder den Verdacht nahe, dass etwas, was als Wahrheit empfunden wurde, durch zugefügte Episoden noch deutlicher als Ausdruck gött­ licher Leitung beschrieben wurde, als dies in den frühesten Schich­ ten der Fall war: Ebendas ist das typische Vorgehen hagiographischer Erzählungen. Diese literarischen Beobachtungen sorgen dann dafür, dass gelegentlich aus dem Fragezeichen hinter der einen oder ande­ 21

Der Weg zu Franz

ren Geschichte die Konsequenz folgt, auf diese zu verzichten. Es sind allerdings, das sei hier auch betont, tatsächlich rein literarische Ein­ sichten. Es geht nicht darum, vor der Folie moderner Wirklichkeitsvor­ stellungen mittelalterlichen Glauben an Wunder zurechtzurücken – im Gegenteil: Zu einem vollen Verständnis von Franz’ Biographie gehört auch, dass er, unabhängig davon, wie wir die Vorgänge heute deuten mögen, als Wundertäter wahrgenommen und verehrt wurde, und dass das, was hier erzählt wurde, nicht einfach Erfindungen sind. Da aber, wo die Geschichte der Texte den Eindruck erweckt, dass eine Erzäh­ lung nach und nach gestaltet wurde, gibt es gute Gründe, diese Episo­ den als Erfindungen aus der historischen Rekonstruktion herauszu­ nehmen. Fromme Erfindungen, gewiss, aber eben Erfindungen. Solche Interpretationen sind das übliche Geschäft der historischen Arbeit, die die Konsequenzen aus der langen, intensiven Forschungs­ geschichte zu Franz zieht, und viele Forscherinnen und Forscher ha­ ben hier und da ähnliche Skepsis an den Tag gelegt. Sie dienen, das dürfte beim Lesen der folgenden Seiten deutlich werden, nicht dazu, die Bedeutung von Franz zu schmälern, sondern dazu, seine menschli­ che Größe herauszuarbeiten. Dabei gilt die Schwierigkeit, eine konsis­ tente Biographie zu schreiben, nicht nur für Franz, sondern generell für jedes gelebte Leben. In Auseinandersetzung mit der Moderne hat der evangelische Theologe Henning Luther den Gedanken entfaltet, dass das Leben letztlich ein Fragment sei30: Wir leben und erleben unsere Biographie immer wieder momenthaft, geprägt durch Früheres, und doch nicht einfach anhand eines roten Fadens, der am Ende von sich aus den Sinn unseres Lebens aufzeigen würde. Der Sinn unseres Le­ bens geht nicht einfach aus dem Leben hervor, sondern wird ihm zu­ geschrieben – wir versuchen erzählend und deutend den Sinn unseres Lebens für uns und für andere zu bestimmen, und andere bestimmen ebenfalls in gewisser Weise über den Sinn unseres Lebens, indem sie die Fragmente zu einem Ganzen zusammenführen. So verstanden, haben auch jene frühen Biographen vor allem eines versucht: das in Fragmenten gegebene und überlieferte Leben des Franz sinnvoll zu deuten. Dass sie dies in dem Horizont seiner Heilig­ keit taten, war für sie selbstverständlich und macht ihre Nachrichten nicht ohne Weiteres historisch unbrauchbar. Wäre dem so, könnte man das Unterfangen einer Franz-Biographie aufgeben, ehe man mit ihr be­ 22

Der Weg zu Franz

gonnen hat. Aber die frühen Hagiographen betrachteten die Überlie­ ferungen, die ihnen zur Verfügung standen, unter einer bestimmten Perspektive31 – es ist die Perspektive von Licht und Finsternis, von Hell und Dunkel: Der Heilige, der zum Glanz der himmlischen Herrlich­ keit aufgestiegen ist, wird so geschildert, dass ebendiese Herrlichkeit schon hier auf Erden wenigstens als Abglanz sichtbar ist. Umso fins­ terer erscheint in dieser Perspektive dann das Gegenbild – oft schlicht „die Welt“ mit ihren Verführungen, oder gerade bei Franz oft auch biographisch sehr konkret der Vater, von dem er sich in vermutlich für beide Seiten mühsamen Auseinandersetzungen löste. Nicht allein die Niederschrift der Viten und Legenden ist von diesem Hell-Dunkel-Ge­ gensatz geprägt, sondern schon die Sammlung des Materials, ja seine Entstehung: Die Mirakelbücher über Franz von Assisi, von denen eines schon von Thomas von Celano stammt, legen hiervon Zeugnis ab. Die Phantasie der Zeitgenossen fügte immer noch eine und noch eine Ge­ schichte hinzu, oft liebevoll erzählt und nicht mit der Absicht, Unwah­ res zu erfinden, sondern das, was man als tiefere Wahrheit im Leben des Heiligen empfand, immer besser erzählend auszudrücken. Dass man diesen Schilderungen nicht einfach folgt, ist für die mo­ derne Forschung selbstverständlich, und gerade die Forschung des Franziskanerordens selbst hat hier Maßstäbe gesetzt. Dass man sie umgekehrt nicht in Bausch und Bogen verwirft, gilt aber ebenso: Mo­ derne Deutung kann sich über die frühen Schilderungen nicht einfach hinwegsetzen, sondern hat die Aufgabe, durch sie hindurch nach jenen Fragmenten zu suchen,32 die vielleicht in der Lage wären, eine andere Geschichte zu erzählen als die, die zu der über Jahrhunderte hinweg prägenden geworden ist. Doch sie fügen sich keineswegs von selbst zu einer anderen Geschichte zusammen und der moderne Deuter wäre nicht gut beraten, aus solchen gegenläufigen Fragmenten gleich ein ganzes Gegenbild zu machen. In ihrer Zusammenfügung folgt die Deutung dem, was aus heutiger Sicht wahrscheinlich erscheint, genauer: wovon man sich vorstellen kann, dass es im 13. Jahrhundert passiert sein könnte. Auch die moderne Biographie schafft so gesehen eine Konstruktion von Sinn aus den Fragmenten und muss damit le­ ben, dass diese hinterfragbar bleibt. Aus der Zwickmühle kommt man allerdings heraus: In dem Wissen, selbst nicht herausfinden zu können, wie es sich tatsächlich mit dem 23

Der Weg zu Franz

Leben des Franz verhalten hat, wird im Folgenden ein solches Leben erzählt, wie es nach heutiger kritischer Sicht der Quellen verantwort­ bar scheint. Das heißt auch, dass viele feste Stücke der kulturellen Er­ innerung an Franz in Zweifel gezogen werden müssen. Diese Biogra­ phie folgt damit der methodischen Einsicht in jene Spannungen der Quellen: Sie zeigen an, dass Franz zumindest zuweilen ganz anders war, als die Heiligenlegende es brauchen und haben konnte. Als Hei­ liger war er ein Narr in Christus  – aus der Sicht seiner Zeitgenossen vielleicht manchmal einfach nur ein verwirrter Kopf. Wo ihn die frühen Biographen gerne als gütigen Leiter seiner Brüdergemeinschaft sehen, könnte auch mancher Konflikt verborgen liegen. Und vielleicht legten die Biographen gerade deswegen so großen Wert auf den geistlichen Charakter seiner Beziehung zu Chiara di Offreduccio, weil das Verhal­ ten der beiden für die Normen des Umgangs zwischen jungen Frauen und Männern anstößig war. Gerade das letztgenannte Beispiel zeigt die Grenzen dieser Suche nach Lebensfragmenten jenseits der Heiligenlegende auf: Die Hin­ weise in den frühen Biographien reichen nicht immer aus, um mit großer Sicherheit eine Alternativbiographie zu den frühen Viten zu behaupten – die komplizierte Überlieferungslage führt nicht zu neuen Eindeutigkeiten, sondern zu einem Geflecht von Andeutungen und Ambivalenzen. Genau das ist das Ziel dieses Buches: die vielen mög­ lichen Facetten im Leben des Franz von Assisi aufzuweisen, anzudeu­ ten, welche Möglichkeiten die Fragmente eines Lebens und vor allem der Berichte darüber eröffnen. Die Vorstellung, der Historiker oder die Historikerin könnte erzählen, „wie es wirklich gewesen ist“, hat die Ge­ schichtswissenschaft schon lange aufgegeben, die beeindruckende Ge­ schichte der Erforschung der „franziskanischen Frage“ hat dies für den Fall des Mannes aus Assisi nachdrücklich unterstrichen. Hinter dem einen Gesicht aber, das man immer wieder zu zeichnen versucht hat, kann historische Forschung den vielen Gesichtern nachspüren, die ihn auch abbilden könnten. Und vielleicht wird sie damit der Fragmentari­ tät des Lebens stärker gerecht als jeder Versuch, ihn auf nur eines der vielen Gesichter festzulegen. Ganz ergebnislos bleibt die Suche nach dem Menschen hinter den vielen Gesichtern indes nicht: So vielfältig die Möglichkeiten sind, Franz zu zeichnen, so gewiss mag doch man­ che Zeichnung ihn besser treffen als die andere. Ein Gedanke, der sich 24

Der Weg zu Franz

Der Kirchenstaat in der Zeit Innozenz’ III.

Comersee

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Adda Gardasee

Mailand Pavia

Padua

Verona

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Venedig

Mantua

Po

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Parma

Ferrara

Reggio Emilia

Modena Bologna

Genua

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ROMAGNA LIGURISCHES MEER

Lucca

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Pisa

Rimini Pesaro Fano Senigallia Urbino Ancona

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Siena Populonia

Gubbio Perugia

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MARK ANCONA

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Karte Italiens um 1200.

25

Der Weg zu Franz

dabei als leitend für die folgenden Darstellungen herausgestellt hat, ist, dass das oft in der Forschung beschriebene lange Suchen von Franz nach seinem Weg bedeutet, dass ihm zuerst die Absage, der Bruch mit dem Elternhaus klar wurde. Am Anfang steht nicht die klare Orientie­ rung an Christus, sondern die klare Absage an den Vater. Erst nach und nach empfand er in Christus das Gegenbild zu dem abgelehnten El­ ternhaus, aus dem Bruch wurde ein Aufbruch und schließlich die Sen­ dung in die Welt, ja sogar bis an die Enden der Welt, zum Sultan. Darin spiegelt sich wider, dass aus dem Kaufmannssohn aus Assisi eine Figur der Weltgeschichte geworden war – und es eröffnet, im vierten Kapi­ tel, den Blick auf das Gegenüber zum Stellvertreter Christi, dem Papst. Aber seine Botschaft war, immer klarer und deutlicher, eine, die ihn aus der Welt hinausführte – das sollte seine letzten Lebensjahre füllen. So wird aus den vielen Fragmenten dann doch eine Erzählung, die mit allen Erzählungen über das Leben des Franz ein Wagnis bleibt, und die ihren sichersten Grund dort hat, wo die erhaltenen Originaltexte von seiner Hand etwas von Franz selbst und seiner tiefen, stets nach Gott schauenden und suchenden Frömmigkeit erkennen lassen. Blickt man auf den darin erkennbaren intensiven Christusglauben und seine Liebe zur Bibel, hätte ihm vielleicht gerade das Bekenntnis zur Fragmenta­ rität des Lebens auf dieser Erde gefallen, entspricht es doch dem, was der Apostel Paulus sagte: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12).

26

1. Kapitel: Bruch

1. Sohn aus gutem Haus Franz

Franz hieß er. Francesco.1 Nichts scheint einfacher für den Beginn einer Biographie als der Name. Doch fangen hier schon die Probleme an. Denn Franz war, so berichtet es, den drei Gefährten folgend, Bonaventura in seiner Legenda minor, zunächst von seiner Mutter Johannes genannt worden, dann erst gab ihm der Vater Pietro Bernardone den Namen Franzis­ kus.2 Dies war zwar kein ganz vorbildloser,3 aber doch eher unge­ wöhnlicher Name. Der Vater wollte damit wohl, so deutet es die Drei­ gefährtenlegende an, auf Frankreich anspielen. 4 Dort nämlich hatte er sich gerade für eine Geschäftsreise aufgehalten, als um 1181/825 sein erster Sohn geboren wurde.6 Die Verbindung mit Frankreich wurde vielfach ausgemalt – tatsächlich scheint die französische Spra­ che eine gewisse Rolle im Hause Bernardone gespielt zu haben: In der Dreigefährtenlegende heißt es einmal, Franz habe gerne Französisch gesprochen, „auch wenn er es nicht recht zu sprechen wusste“.7 Als selbst sein eigener Bruder Angelo ihn einmal verspottete, soll Franz darauf auf Französisch reagiert haben,8 und ein andermal, so berich­ tet Celano, habe er, als er durch den Wald lief, in französischer Spra­ che Loblieder Gottes gesungen.9 Jacques Le Goff vertritt sogar die These, dass diese Vorliebe für das Französische der Grund dafür ge­ wesen sei, dass Giovanni Bernardone von den Mitbürgern Francesco genannt wurde10 – dann wäre an der Geschichte von der Namensge­ bung durch den Vater nichts dran. 27

1. Kapitel: Bruch

Assisi

Freilich ist der Bezug des Vaters auf Frankreich und das Französische nicht von der Hand zu weisen. Offenbar waren dessen Handelsbezie­ hungen dorthin intensiv – sie waren die Folge dessen, dass Pietro zu denen gehörte, die vom raschen sozialen Aufstieg der Stadt Assisi und Norditaliens insgesamt im frühen 13.  Jahrhundert besonders profitierten. Der Handel und das Geldgeschäft nahmen in dieser Zeit einen rasanten Aufschwung, der nicht nur die italienischen Städte wachsen ließ, sondern auch zu Umschichtungen in der Gesellschaft führte. Traditionelle Rechte des Adels zählten weniger,11 bestim­ mende Kräfte waren nun Kaufleute wie Pietro Bernardone. Der spiri­ tuelle Weg, der Franz von Assisi in die leibliche und geistliche Armut führte, gewinnt sein besonderes Profil vor dem Hintergrund dieser sozialen Spannungen, in deren Verlauf Reichtum in Assisi Anerken­ nung als Grundlage von Recht und Macht erhielt.12 In Franz’ Kind­ heit waren die Verhältnisse noch klar und auch äußerlich sichtbar: Über der Stadt thronte die Rocca Maggiore, eine mächtige Burg, in welcher gelegentlich der Herzog von Spoleto residierte, zu dessen Herrschaftsgebiet Assisi gehörte. Noch unter Friedrich I. Barbarossa (1152–1190) hatte dieses Amt Konrad von Urslingen eingenommen (1176/77–1198/1202),13 dessen Herrschaft allerdings ins Schlingern geriet, als mit dem Tod König Heinrichs VI. (1191–1197) Unklarheit in der Thronfolge aufkam und der eben neu ins Amt gekommene Papst Innozenz  III. (1198–1216) seinerseits machtvoll seine Interessen in Umbrien vertrat. Die Machtkonkurrenz nutzten die Bürger von As­ sisi 1197/98,14 um gegen die herrschende Nobilität aufzubegehren. Sie vertrieben Konrad aus seiner Burg, plünderten die Besitzungen der Adeligen und vertrieben diese – unter anderem auch die Ritterfami­ lie Offreduccio di Bernardino mit ihrer Tochter Klara, der späteren Gefährtin von Franz  – aus der Stadt. Damit reagierten sie nicht zu­ letzt darauf, dass in Umbrien Rechtsvorstellungen aus dem nordal­ pinen Raum importiert wurden, durch welche tradierte Freiheiten beschnitten wurden.15 Es dauerte eine Weile, bis sich die Verhältnisse beruhigten: In zwei Etappen, 1203 und 1210, wurden Friedensver­ träge geschlossen,16 der erste ein „Diktat der Sieger“, nämlich der Adeligen, „über die Besiegten“, der zweite ein fairer Ausgleich, der die Rechte der Bürgerlichen steigerte17  – die Bekehrung des Franz also, 28

1. Sohn aus gutem Haus

zumal wenn man sie nicht auf einen Moment im Jahre 1206 festlegt (s. u. 39–61), fand genau in dieser Zeit massiver Auseinandersetzun­ gen statt. Deren Ergebnis lautete in dem Friedensvertrag von 1210, dass die beiden sozialen Gruppen sich gemeinsam auf ein Verhalten zum Wohle der Stadt verpflichteten. Ihr Verhältnis zueinander sollte von nun an nicht mehr allein durch den Geburtsstand geregelt sein, der die Adeligen privilegiert hatte, sondern Geld spielte eine Rolle. Händler sollten sich ihre Freiheit vom Adel erkaufen können, und ge­ nerell sollte das Bürgerrecht in Assisi nun vom jeweiligen Eigentum abhängen. Ausgerechnet das erste Aufkommen der Bezeichnung der unterschiedlichen sozialen Gruppen in Assisi als maiores und minores18 brachte so zugleich eine Neudefinition dieser Bezeichnungen mit sich: Zur Oberschicht, den maiores, sollte fortan gehören, wer über entsprechendes Einkommen verfügte. Geld regierte vielleicht nicht die Welt, aber in Assisi bedeutete es sozialen Aufstieg und Er­ folg.19 Wie stark sich Bernardone selbst in diesen Auseinanderset­ zungen engagierte, ist nicht bekannt, doch gehörte er zweifellos zu denen, die hiervon profitierten. Franz’ Vater war Repräsentant eben­ jener Aufsteigerschicht der Kaufleute, die ihr Leben dem Verdienen von Geld verschrieben – so sehr, dass es offenbar mindestens denk­ bar erscheint, dass er so lange in Frankreich verweilt haben könnte, dass er Geburt und Taufe seines ersten Sohnes verpasste. Helmut Feld nimmt an, dass eine solche Reise auch einmal ein Jahr  dauern konnte20 – legt man dies zugrunde und geht davon aus, dass der Vater nicht allzu lang nach der Geburt seines Sohnes zurückgekommen ist, bedarf es keiner allzu blühenden Phantasie, sich auszumalen, dass in der Stadt Gerüchte über eine uneheliche Herkunft des Jungen auf­ gekommen sein könnten. Solche Gerüchte scheinen sich jedenfalls noch in Reflexen der Lebensbeschreibungen von Franz widerzu­ spiegeln: So berichtet Celano, die Menschen im Umfeld der Familie hätten gemeint, Franz stamme nicht aus der Sippe jener Eltern, die vermeintlich seine waren.21 In der Dreigefährtenlegende sind es sogar die Eltern selbst, die angesichts seines Lebenswandels den Eindruck gewannen, „dass er nicht ihr Sohn sei, sondern der eines bedeuten­ den Fürsten“.22 In dem Sinnzusammenhang, den die Legenden er­ stellen, haben diese Aussagen eine klare Funktion, nämlich Franz’ heiligen Charakter von früh an herauszustreichen, der über seine 29

1. Kapitel: Bruch

Blick auf Assisi mit der gewaltigen Anlage der Basilika.

30

1. Sohn aus gutem Haus

31

1. Kapitel: Bruch

menschliche Herkunft hinausreichte. Allerdings zeigt sich in ihnen auch, dass dieser theologische Gedanke durchaus sozial durchge­ spielt wurde. Die Dreigefährtenlegende schwankt in der Zuordnung eigenartig. Während im Plural die Elternschaft beider Eltern infrage gestellt wird, ist die angenommene tatsächliche Herkunft nur im Sin­ gular benannt: ein magnus princeps, ein bedeutender Fürst. Folgt man dem juristischen Prinzip, dass die Mutter immer sicher ist, so reimt sich als Fragment hinter diesem Sinnzusammenhang möglicher­ weise die Unterstellung zusammen, Franz’ Mutter sei  – angesichts der beschriebenen Konflikte in Assisi muss man wohl sagen: aus­ gerechnet! – von einem Adeligen geschwängert worden. Dann hätte die Namensgebung „Franziskus“ einen entweder hochironischen oder sehr demonstrativen Sinn: Entweder hätte der Vater damit ausgedrückt, dass der Sohn auf wundersame Weise aus Frankreich in den Schoß der Mutter geraten wäre, oder er hätte gerade darauf hinweisen wollen, dass allen Gerüchten zum Trotz er selbst der Va­ ter war. Dass die Biographen eine uneheliche Geburt, deren Makel in mittelalterlichen Vorstellungen nicht allein die Eltern belastet hätte, sondern auch das Kind, kaum auch nur hätten andeuten wollen, ist klar. Mithin könnte es sich bei den Erwähnungen um eine Verschlei­ erung im Sinne der Heiligkeit des Franz handeln – womit dieser spe­ kulative Gedankengang allerdings auch an seine Grenzen stößt. Zum einen ist festzuhalten: Gerade weil die Hinweise auf eine nichtehe­ liche Herkunft nicht als Bericht, sondern als Wahrnehmung der Be­ teiligten auftreten, käme man mit ihnen allenfalls zu der Annahme, dass es Gerüchte dieser Art in Assisi gegeben haben könnte. Und mit Gerüchten verhält es sich nun einmal so, dass sie die Wahrheit nicht ohne Weiteres wiedergeben, sondern sich zu ihr als Deutungen verhalten, noch dazu Deutungen, deren Anlass in der Abwesenheit des Vaters unmittelbar deutlich wird. Man könnte so also vielleicht rekonstruieren, was böse Zungen behaupteten – die Annahme, dass Franz tatsächlich unehelich geboren wäre, lässt sich solcherart nicht begründen. Das gilt umso mehr, als an dieser Stelle an die anfäng­ lichen methodischen Überlegungen erinnert sei: Beide zitierte Äu­ ßerungen sind allenfalls fragmentarische Versatzstücke, die Anlass zum Nachdenken über alternative Erzählmuster geben. Zur Begrün­ dung eines anderen Sinnzusammenhangs, gar zur Schaffung eines 32

1. Sohn aus gutem Haus

Skandals um die Geburt von Franz von Assisi reichen sie nicht. Er war, das bleibt die glaubwürdigste Auskunft, der Sohn von Pietro Bernardone und seiner vermutlich Pica genannten Frau.23

Johannes

Schon der Name Franziskus also löst allerhand Assoziationen und Erklärungsmöglichkeiten aus  – noch schwieriger aber wird es, wenn man auf den Namen Johannes zu sprechen kommt. Stimmt die Be­ schreibung der frühen Viten, so wäre dies der Taufname von Franz gewesen  – der Name, unter dem er dann über Jahrhunderte hinweg bekannt wurde, wäre wohl nicht formal an dessen Stelle getreten, son­ dern hätte als eine Art Beiname zu gelten, hinter dem der Giovanni fast verschwand. Freilich hält Celano fest, dass Franz selbst jedenfalls seine besondere Beziehung zu Johannes dem Täufer nicht vergessen habe: Unter allen Heiligenfesten habe er besonders das Fest des Johannes be­ gangen.24 Dass sich in den erhaltenen liturgischen Schriften von Franz ein solcher spezieller Bezug auf den Täufer nicht findet, muss dies nicht grundlegend infrage stellen. Dennoch gibt es Gründe, daran zu zweifeln, dass Franziskus wirk­ lich auf den Namen Johannes getauft wurde.25 Die Geschichte gehört zu jenen Informationen, die erst nach dem Aufruf des Crescentius auftauchten. So berichtet die Dreigefährtenlegende hiervon.26 Sollte diese doch erst aus späterer Zeit stammen, wäre definitiv Celanos zweite Vita der erste Beleg für den Taufnamen Johannes.27 In der ersten Vita wusste er hiervon noch nichts. Das muss nichts heißen: Es wäre durchaus denkbar, dass der Name Giovanni tatsächlich gänzlich von Francesco überlagert worden war und dass allein die guten Freunde der ersten Stunde, die möglichen Autoren der Dreigefährtenlegende, noch die Erinnerung bewahrt und so an Celano weitervermittelt hät­ ten. Das kann sein, muss aber nicht. Denn eines ist irritierend: Mit der Aufnahme bei Celano gewinnt der Name Giovanni einen eminenten theologischen Sinn. Während der Name Franziskus sich auf die Verbreitung des Rufes des Heiligen beziehe, weise der Name Johannes auf den ihm aufgetragenen Dienst hin.28 Wie genau Celano die Bedeutung des Namens Franziskus dabei versteht, ist nicht ganz klar: Möglicherweise will er andeuten, dass der 33

1. Kapitel: Bruch

Ruf des Franziskus sogar bis nach Frankreich erschollen sei. In der ersten Vita hatte er den Namen Franziskus noch im Sinne eines frei­ mütigen („francus“) und vornehmen Herzens gedeutet.29 Sehr viel klarer ist hingegen die inhaltliche Deutung des Namens Johannes auf die Sendung des Franz: Johannes der Täufer hatte die Ankunft Christi auf Erden angekündigt  – seitdem warteten die Christen auf die Wiederkehr Christi am Jüngsten Tag. Nun sollte offenbar Franz von Assisi die Rolle zufallen, ebendieses Kommen anzukündigen. Und er tat das genau mit dem Ruf zur Buße (s. u. 100), den auch der Täufer in den Mittelpunkt gestellt hatte. Franz erhielt so seinen Ort in der Heilsgeschichte  – und dies in einer Vita, die auch den Zweck erfüllen sollte, divergierende Sichten auf das Erbe des Ordensgrün­ ders zusammenzuhalten oder wieder zusammenzuführen. Celanos zweite Vita diente so nicht allein der Erzählung vom Leben des Fran­ ziskus, ­sondern auch seiner Deutung im Rahmen von Gottes Plan mit den Menschen. So wie Johannes nach Mt 11,11 der größte unter den von Frauen Geborenen gewesen war, sollte Franz nun, so Ce­ lano, unter allen Ordensgründern der vollkommenste sein.30 Mög­ licherweise ­reagierte Celano damit schon darauf, dass genau in der Zeit, in der Crescentius nach Informationen über Franz suchte, im Orden die Schriften Joachims von Fiore († 1202) bekannt wurden,31 die wenig später in dem Sinne gedeutet wurden, dass mit Franz von Assisi das Dritte Zeitalter der Heilsgeschichte beginne: das Zeital­ ter des Geistes, das von den Mönchen und Orden geprägt sein sollte. Selbst wenn sich dieser Bezug nicht sichern lässt, böte Celano mit seiner Johannes-Franziskus-Analogie die moderate Fassung einer apokalyptischen Deutung des Franz von Assisi. Er konnte indes nicht verhindern, dass bald radikale Konzepte aufkommen würden, in de­ nen mit der heilsgeschichtlichen Deutung die Erwartung einer bald einbrechenden zukünftigen Herrschaft Christi auf Erden verbunden wurde. In jedem Falle ist es offenkundig, dass zu dem Versuch, Franz eine heilsgeschichtliche Vorläuferfunktion für Christus zuzuschrei­ ben, der Name Johannes besonders gut passt. Das allein wäre kein Grund daran zu zweifeln, dass die Erzählung vom Taufnamen Johannes echte Erinnerung widerspiegelt. Doch es gibt ein weiteres Detail, das auffällig – und das heißt in solchen Fällen: Misstrauen erweckend  – gut passt: Die Geschichte von zwei Namen 34

2. Wilde Jugend oder frühe Heiligkeit?

zur Benennung des Kindes findet sich nicht nur bei Franz, sondern eben auch bei Johannes dem Täufer. Das Neue Testament berichtet da­ von, dass dessen Verwandte selbstverständlich davon ausgingen, dass der kleine Junge nach seinem Vater Zacharias genannt werden sollte. Dieser selbst konnte sich dazu nicht äußern – er war mit Stummheit bestraft worden, weil er angesichts seines hohen Alters der Ankün­ digung, einen Sohn zu bekommen, nicht geglaubt hatte. Seine Frau aber widersprach den Plänen, den Jungen Zacharias zu nennen, und beharrte darauf, er solle Johannes heißen. Daraufhin wurde Zacharias dazu gebracht, den gewünschten Namen auf ein Täfelchen zu schrei­ ben – und auch er notierte den Namen Johannes (Lk 1,57–64). Während also die Eltern von Franz uneins in der Namensgebung waren, herrschte bei Johannes dem Täufer Einigkeit. Doch die seltsame Doppelung der Namen findet sich hier wie dort, ebenso die Thematisierung beider Elternteile als Namengeber – eine Parallele, auf die Celano selbst so­ gar ausdrücklich verweist.32 Überdeutlich ist diese Folie hinter Cela­ nos Bericht erkennbar – und es drängt sich der Verdacht auf, dass der Name Johannes eine theologisch gesteuerte Erfindung ist. Franz hieß wohl tatsächlich von Anfang an nicht anders als genau so: Franz oder Francesco.

2. Wilde Jugend oder frühe Heiligkeit? Mag die Frage der Namensgebung noch als ein weniger wichtiges Detail erscheinen, das zudem so ausgeht, dass eigentlich genau der Name gesichert bleibt, den man ohnehin als den in der Wirkung ent­ scheidenden kennt, so liegt es mit den Schilderungen von Franz’ Jugend etwas anders. Hier ist nämlich gleichfalls der biographische Neuansatz der vierziger Jahre des 13. Jahrhunderts wirkungsvoll ge­ wesen  – so wirkungsvoll, dass Celano sich in der Schilderung der Jugend sogar selbst widerspricht. Liest man seine beiden Viten al­ lein im Blick auf die Jugend von Franz, so könnte man den Eindruck gewinnen, es mit zwei ganz unterschiedlichen Personen zu tun zu haben: In der ersten Vita schrieb Celano über einen jungen Mann, der bis in sein 25. Lebensjahr seine Zeit auf unglückselige Weise ver­ schwendete.33 Nach genauer Kenntnis klingen diese Schilderungen 35

1. Kapitel: Bruch

zwar nicht: Celano schreibt eher allgemein davon, dass Kinder dazu neigen, den schlechten Lebenswandel ihrer Eltern nachzuahmen, und dies so auch für Franziskus gegolten habe.34 Doch ist das Urteil eindeutig, und die individuelle Zuspitzung liegt für Celano darin, dass Franziskus, geradezu als Gegenbild zu seiner späteren Füh­ rungsrolle in geistlichen Dingen, schon als Jugendlicher in diesen schlechten Verhaltensweisen alle Gleichaltrigen überragte35 und zum Anführer einer Bande in Assisi wurde36. Und so wie er später Geld den Armen geben wollte, war er schon in seiner Jugend dafür be­ kannt, Geld mit vollen Händen zu verteilen, freilich offenbar ziel- und wahllos.37 Worin die Sünden genau bestanden, deren er sich schuldig machte,38 benennt Celano nicht, doch ist für den Leser deutlich, dass hier jemand nur seinen Lüsten und Begierden folgte. Franz’ Heilig­ keit wurde so gerade als Gegenbild zu seiner früheren Sündigkeit ver­ stehbar. So sehr dieses Erzählmuster also dazu dienen mochte, die spä­ tere besondere Heiligkeit herauszustreichen, so sehr brachte es doch auch eine Gefahr mit sich: Wer Celanos Vita las, war geradezu ein­ geladen, sich die Vergehen auszudenken, und man muss nicht viel spekulieren, um anzunehmen, dass, auch wenn Celano deren Er­ wähnung vermied, sexuelle Ausschweifungen zu dem gehörten, was man mit einem solchen Lebenswandel assoziierte. Daher sah Celano schon in seiner jüngst neu entdeckten Kurzfassung der Vita aus den dreißiger Jahren die Notwendigkeit, zu betonen, dass Franz sich trotz aller Sündhaftigkeit „von jenen übergroßen Sünden“ enthalten habe, durch welche die Menschen ihre eigene Herkunft schändeten.39 Das Erzählmuster sollte nicht die Vorstellung hervorrufen, dass Franz sich etwa durch Sünden in nachhaltiger Weise befleckt und seine lebens­ lange sexuelle Unberührtheit verloren hätte. In dieser Einschrän­ kung kann man das Scharnier sehen, das zu einer Änderung des Er­ zählmusters führte, welches man dann sehr deutlich in der zweiten Vita findet: Nun zeichnet sich der junge Franziskus gar durch magnanimitas aus, Seelengröße, und durch Ehrenhaftigkeit der Sitten, 40 und es waren gerade seine herausragenden Sitten, die den oben er­ wähnten Eindruck hervorriefen, er sei gar nicht Sohn seiner Eltern. 41 Die Korrektur des Franziskusbildes war allerdings nicht durchgrei­ fend. Insbesondere in der Dreigefährtenlegende spürt man noch das 36

2. Wilde Jugend oder frühe Heiligkeit?

Schwanken: Zwar habe, so der Bericht, Franziskus auf Leute, die Un­ anständiges sagten, gar nicht mehr geantwortet, aber dennoch sei er seiner Natur nach jederzeit spaßbereit und mutwillig gewesen („io­ cosus et lascivus“), 42 und auch seine Verschwendungssucht begegnet hier noch. 43 Selbst Celano hat in seiner zweiten Vita das neue Bild von Franziskus nicht konsequent durchgehalten, ja konnte das gar nicht – denn wenn Franziskus nicht auch von Makeln belastet gewesen wäre, hätte sein Biograph letztlich auf die Vorstellung einer Bekehrung verzichten oder diese zumindest deutlich relativieren müssen. Das aber hätte die gesamte Architektur der Biographie durcheinander­ gebracht. So kommt es bei ihm dann doch zu einer grundlegenden Wandlung, in welcher Franziskus aus einer Person zu einer anderen wird („alter ex altero“)44 – und sogar die Erinnerung daran, dass Franz einstmals Anführer einer Jugendbande gewesen war, bleibt in dieser zweiten Vita wach. 45 Diese offenkundigen Änderungen, der Versuch, Geschichte umzuschreiben, vor allem aber der mangelnde Erfolg dieser kosmetischen Bemühungen spräche bei der Suche nach der einen wahren Franz-Biographie zunächst einmal dafür, biographisch der älteren Version zu folgen und Franz als einen auf Geld und Aben­ teuer ausgerichteten Jugendlichen zu zeichnen. Das ist nicht ganz falsch, man muss sich allerdings auch bewusst halten, dass man da­ mit letztlich wiederum einem hagiographischen Schema folgt: eben der Bekehrung von der Sünde zur Heiligkeit. Mindestens zwei ideale Vorbilder hierfür kennt die Geschichte des Christentums: Paulus, der sich vom Verfolger der Christen zum Anhänger Christi gewandelt hat, und Augustin, der in seinen Confessiones ausführlich schildert, wie er vor seiner Bekehrung zwar auf der Suche nach Gott war, aber doch einen durch und durch weltlichen Lebenswandel führte. Für ­Augustin gilt dabei etwas, was gleich noch bei Franziskus zu beob­ achten sein wird: Die Vorstellung von der einen großen Bekehrung löst sich ­historisch in eine Vielzahl von Bekehrungen auf. Das macht das Muster des Wandels von Böse zu Gut, vom Sünder zum Heiligen noch einmal fraglich. So bleibt auch hier: Eine eindeutige Schilde­ rung der Jugend des Franz ist nicht möglich, zumal die greifbaren Elemente in den Erzählungen doch zu wenige sind. Dass keine der beiden Erzählungen recht hat, kann aber auch hei­ ßen: Beide haben recht. Löst man sich von der Zeichnung der Wirk­ 37

1. Kapitel: Bruch

lichkeit in Schwarz und Weiß, die für beide Varianten prägend ist, so wird das Bild vielfältiger und differenzierter: Unter einer Decke von religiösen Deutungen zeigt sich zunächst vor allem der einfache Um­ stand, dass Franz eben als Sohn seiner Eltern aufwuchs und den Nor­ men folgte, die deren Leben ausmachten. Genau das ist ja der Hinter­ grund der Negativschilderung in der ersten Celano-Vita. Wenn Franz inmitten der Verschwendungssucht als „cautus negotiator“, als vor­ sichtiger Geschäftsmann, erscheint, 46 so dürfte darin nachklingen, dass er, nachdem er an der Kirche San Giorgio lesen gelernt hatte, 47 im väterlichen Geschäft angelernt wurde48 und hier durchaus erfolg­ reich war – dass er sich später selbst als idiota, als gänzlich ungebildet, bezeichnete, 49 war eine Stilisierung seiner eigenen früh angelegten Armut. Seine Bildung war gewiss nicht herausragend, aber über ele­ mentare Kenntnisse in Grammatik und Mathematik dürfte er verfügt haben. Gelegentlich verfasste er auch Texte in lateinischer Sprache, die allerdings nicht nur bezeugen, dass er diese Sprache einmal er­ lernt hat, sondern auch, dass er sie nicht sehr gut beherrschte.50 Inso­ fern ist die Selbstbezeichnung als idiota nicht einfach falsch, sondern vielleicht eine Übertreibung eines geringen Bildungsstandes. Andere Aspekte, die man in den Jugenderzählungen erfährt, spre­ chen gleichfalls für eine solche Orientierung an den Verhaltensweisen der Eltern. Wenn es heißt, dass er kostbareren Stoff für seine Kleider verwandte, als ihm zustand,51 so muss man das nicht im Sinne einer wilden Verschwendungssucht verstehen, sondern kann es auch als Anzeichen dafür lesen, dass er sich ebenso wie seine Eltern an dem Aufstieg des Bürgertums freute und die sich auch in Kleidung aus­ drückenden Standesgrenzen ignorierte. Möglicherweise wird man in dem Hinweis auf eine Bande, die er um sich scharte, nicht mehr zu sehen haben als Erinnerungen daran, dass er einen großen Freun­ deskreis hatte. Ob sich darin ein besonderes Charisma ausdrückte, das später unter ganz anderen Voraussetzungen förderte, dass er die franziskanische Bruderschaft gründen und um sich scharen konnte, wird man schwer sagen können  – die Biographen wollen, dass wir ihnen dies abnehmen. Der spätere Verlauf der Geschichte des Fran­ ziskus spricht eher dafür, dass sich sein Charisma erst herausbildete, als sich seine Botschaft geformt hatte (s. u. 151 f.). Ob es stimmt, wis­ sen wir darum nicht. Zugleich mag aber in den Gegenbildern, die 38

3. Unruhe

die Biographen auf seine Heiligkeit hin deuten, mitschwingen, dass Franz in seiner Jugend Diskrepanzerfahrungen machte, die das auf Geld und Gewinn ausgerichtete Normsystem, in dem er aufwuchs, erschütterten. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich dies vorzu­ stellen: Dass ein junger Mann gegen seinen Vater aufbegehrt, gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen bis heute. Für Assisi kann man sogar noch mehr anführen, brachten es die oben beschriebenen Konflikte zwischen Bürgern und Adeligen doch mit sich, dass Selbst­ verständlichkeiten sehr fundamental infrage gestellt wurden. Die Erfolgsgeschichte von Geld und Reichtum, die sich in den Verträgen seiner Vaterstadt niederschlug, musste der Jugendliche, der dort auf­ wuchs, keineswegs zwingend nur positiv sehen. Mit ihr wurde auch eine vorhandene Ordnung erschüttert. Solche Diskrepanzerfahrun­ gen dürften viele der Zeitgenossen in Assisi gemacht haben.52 Bei Franz legten sie die Grundlage für das, was dann als Bekehrung be­ schrieben wurde und durch Jahrhunderte hindurch prägend für eine ganz eigene geistliche Welt wurde. Und es ist letztlich diese Diskre­ panz, die sich in den beiden unterschiedlichen Erzählungen seiner Jugend niedergeschlagen hat. Was bei ihm ineinander lag, versuchen sie, mit jeweils gegenteiliger Ausrichtung, zu vereindeutigen.

3. Unruhe Bekehrung

Nicht nur die frühen Biographen wünschten sich, einen Moment fest­ zumachen, an welchem die Bekehrung von Franz stattfand. Ihm selbst ging es nicht anders. In seinem Testament scheint er den Auslöser hier­ für sehr präzise anzugeben: „Der Herr verlieh mir, Bruder Franziskus, so mit dem Tun der Buße zu beginnen: Als ich in Sünden war, schien es mir allzu bitter, Leprose zu sehen. Und der Herr selbst führte mich mitten unter sie und ich übte Barmherzigkeit an ihnen. Und als ich mich von ihnen zurückzog, wandelte sich das, was mir bitter schien, in Süße der Seele und des Leibes; und später verharrte ich ein wenig und verließ die Welt“.53 39

1. Kapitel: Bruch

Nach dieser Erinnerung war es die erschütternde Erfahrung mit den Leprosen im Abseits der Gesellschaft, mit der seine Kehrtwendung begann. In der neueren Forschung hat man diesen Hinweis gerne auf­ genommen, um den Moment der einen und einzigen entscheidenden Bekehrung des Franz zu benennen.54 Die Bemerkung scheint frei zu machen von den hagiographisch überformten Erzählungen Celanos und anderer und doch die Möglichkeit zu eröffnen, eine klar nach dem Muster großer Bekehrungsgeschichten strukturierte Lebensge­ schichte zu erzählen. Doch wird man hier noch einmal Vorsicht walten lassen müssen: Auch der Interpret seiner selbst bleibt ein Interpret, und es ist durch­ aus typisch für autobiographische Erzählungen von Konvertiten, einen Moment des Bruchs festzumachen.55 In diesem Falle legt sogar Franz selbst nahe, dass es unangemessen wäre, seine Bekehrung allein an der Begegnung mit Leprosen festzumachen. Den eigentlichen Rückzug aus der Welt habe er ja, so wie er es beschreibt, erst später nach einer Zeit des Verharrens angetreten.56 So bedeutsam der Rückblick also ist, mit ihm ist noch nicht alles gesagt. Man wird ihn im Hinterkopf behal­ ten müssen, wenn man schaut, welche Fragmente eines Bekehrungs­ weges sich in den biographischen Erzählungen sonst noch finden, und sie neu zu arrangieren sucht. Die Begegnung mit den Leprosen war ein erschütternder, wichtiger Schritt, aber er war vorbereitet durch die be­ schriebenen Diskrepanzerfahrungen zwischen vorgegebenen Normen und irgendwie anders Fassbarem. Sie spiegelt sich in den verschiede­ nen Erzählungen von Bekehrungen oder von Etappen der einen gro­ ßen Bekehrung in den Viten: Celano und andere versuchten, die viel­ fältigen Erfahrungen in einen geschlossenen Erzählzusammenhang zu bringen, der aus Erfahrungen, die vermutlich nebeneinander standen, eine Abfolge von Ereignissen machen sollte. Daher also geht es hier eher um Unruhe als um Bekehrung – zumal nach allem, was man sagen kann, Franz in dieser Zeit noch weit von jener Klarheit entfernt war, die man einem Bekehrten unterstellen müsste.

Diskrepanzerfahrungen

So wird man die unterschiedlichen Aspekte von Lebensänderun­ gen und Neuorientierungen als fragmentarische Überlieferungen aus einem komplexen Geschehen zu verstehen haben. Die grundle­ 40

3. Unruhe

gende Diskrepanzerfahrung des jungen Kaufmannssohnes ließ sich im Nachhinein an verschiedenen einzelnen Episoden festmachen, die wohl in der Summe die große Frage aufwarfen, ob sein Leben im finanziell begründeten Wohlstand das richtige war  – ohne dass Franz auf diese Frage schon gleich eine klare Antwort gehabt hätte. Als die Biographen die einzelnen Episoden sammelten, mussten sie zum Beispiel feststellen, dass Franz zwar offenbar grundlegende Er­ fahrungen gemacht hatte, sein Leben sich aber noch nicht geändert hatte. Auch dies versuchten sie erzählerisch einzufangen, indem etwa Celano erklärte, Franz sei schon sehr früh gewandelt gewesen, freilich nur seinem inneren Sinn nach, noch nicht leiblich.57 Manche Erzählungen projizieren das Wissen um die spätere Entwicklung von Franz in rätselhafte Worte, etwa indem sie von Gesprächen über eine mögliche Heirat berichten: „Die Leute meinten, er wolle eine Frau heiraten, und fragten ihn danach: ‚Willst du eine Frau heiraten, Franz?‘ Der antwortete und sagte ihnen: ‚Ich werde eine edlere und schönere Braut heiraten, als ihr jemals gesehen habt, deren Gestalt die der anderen übertrifft und deren Weisheit die übrigen überragt‘“.58 Celano fügte gleich die Deutung an: Bei der Braut, die Franz hier ankün­ digte, habe es sich um das Leben im Orden gehandelt.59 Selbst wenn hin­ ter der Erzählung eine echte Erinnerung stecken sollte, entstand diese Deutung erst sekundär, um einem Satz, der vielleicht nicht mehr war als die haltlose Prahlerei eines jungen Mannes, einen biographischen Sinn zu geben. Kaum anders steht es wohl mit der Erzählung, Franz habe ei­ nem Freund gegenüber von einem kostbaren Schatz gesprochen, den er gefunden habe60 – damit war natürlich nach Mt 13,44 der verborgene Schatz, das Himmelreich, gemeint,61 während der Freund, dem Franz dies erzählt haben soll, an einen realen Schatz glaubte. Auch dies soll nur unterstreichen, dass Franz, obwohl er nach außen noch in der Welt lebte, bereits „heilig durch sein heiliges Vorhaben“ war.62 Solche Erzählungen von Doppeldeutigkeiten sind nicht mehr als der Versuch, die vielen Fa­ cetten von Franz’ Leben in ein klares Schema von Schwarz und Weiß einzuzeichnen und umso mehr die dann auch äußerlich erfolgte Bekeh­ 41

1. Kapitel: Bruch

rung herauszustreichen. Biographisch haltbar sind sie nicht. Gerade das feste Vorhaben, das immer wieder erscheint, hat es so früh wohl kaum gegeben. Es ist nicht Voraussetzung der äußeren Bekehrung, sondern ihr Teil, genau genommen: erst ihre Folge.

Gefangenschaft

Gleichwohl dringen aus manchen Erzählungen tatsächlich Lebenser­ fahrungen, die Franz in seinem selbstverständlichen Leben als wohl­ habender Bürger von Assisi erschütterten, und zwar schon sehr früh, nach allem, was wir erkennen können, vor der Begegnung mit den Le­ prosen. Erschütternd und verunsichernd war die Erfahrung von Krieg, vor allem aber Gefangenschaft, die Franz mit etwa zwanzig  Jahren machte: Assisi lag über Jahre hinweg im Krieg mit Perugia. Die beiden Städte liegen nur rund 25  Kilometer voneinander entfernt und strit­ ten um die Vorherrschaft in Umbrien. Im November 1202 kam es bei Collestrada, einem zwischen beiden Städten gelegenen Ort, zu einer großen Schlacht, an welcher auch der junge Franz beteiligt war. In der Folge wurde er in Haft genommen und erst ein Jahr später – vermutlich aufgrund des (bald wieder revidierten) Friedensschlusses zwischen beiden Städten im November  1203  – wieder daraus entlassen. Zwölf Monate befand er sich in den Händen der Perugianer. Die Berichte von dieser Gefangenschaft finden sich erst in der zwei­ ten Celano-Vita und der Dreigefährtenlegende – sie dürften tatsächlich zu jenem Material über das Leben des Franz gehören, das man nun neu entdeckte und wertete. In der allerersten Phase hatte diese sehr frühe Erinnerung noch keine Rolle gespielt, vermutlich, weil sie allzu sehr ins Weltliche fiel. Nun, in der zweiten Vita, schildert Celano – ebenso wie die Dreigefährtenlegende  – ausführlich die Gefangenschaft. Das Bemerkenswerte ist, dass Franz sich schon hier durch besonderes Verhalten ausgezeichnet haben soll: Übereinstimmend berichten Ce­ lano und die drei Gefährten von einer schwer zu erklärenden, für seine Mitgefangenen offenbar auch irritierenden Fröhlichkeit. Bei Celano ist diese schon gleich religiös aufgeladen: Franz habe sich im Herrn gefreut und so die Fesseln verlachen und verachten können.63 Recht konkret ist der Bericht, dass Franz sich einem Mitgefangenen zuge­ wandt habe, der durch seinen Hochmut für die anderen unerträglich gewesen sei.64 Hierin zeigt sich für die Biographen ein Hinweis auf die 42

3. Unruhe

spätere Zuwendung des Franz zu den Ausgegrenzten, allerdings sollte man nicht überlesen, dass die Dreigefährtenlegende nicht nur den Charakter dieses Ritters kritisiert, sondern ihm auch zuschreibt, er habe einem der Gefangenen gegenüber Unrecht begangen65 – worum es sich hier handelte, bleibt offen, aber es entsteht doch der Eindruck, dass Franz sich einer gewissen Solidarität der Gefangenen untereinan­ der entzogen und damit womöglich selbst in eine Außenseiterposition gebracht hat. All dies taucht in den Quellen gut vierzig Jahre nach dem Geschehen auf – mit historischen Berichten hat dies wenig zu tun.66 Die Quellen lassen wohl erkennen, dass Franz unter den Gefangenen eine Sonderrolle zukam, was aber schlicht damit zu tun haben kann, dass er wohl als einziger Bürgerlicher im (erträglicheren) Gefangenenlager der Adeligen untergebracht war.67 Der Grund hierfür mag weniger sein hö­ fisches Benehmen gewesen sein, wie die drei Gefährten es erklären,68 als seine angeschlagene Gesundheit. Das Ergebnis freilich war ganz von selbst eine Rolle jenseits der Gemeinschaft der Gefangenen, und so mag auch der erwähnte ausgegrenzte Ritter ihm die willkommene Gelegenheit gegeben haben, unter allen Fremden wenigstens einen Freund zu finden. Ob ihm die bürgerlichen Lebensgewohnheiten ins­ gesamt das Ertragen der Gefangenschaft leichter gemacht haben, als dies bei Adeligen der Fall gewesen ist, kann allenfalls spekuliert wer­ den: Insgesamt ist der Hinweis auf die Fröhlichkeit in der Gefangen­ schaft zu pauschal, um sie historisch greifen zu können. Denkbar ist, dass einzelne Szenen, in denen Franz den Qualen gut standhielt, sich zu einem allgemeinen Urteil verdichtet haben. Umso interessanter ist, was auf die Gefangenschaft folgte. In der ers­ ten Vita hatte Celano noch an der Stelle, an welcher später dann von der Gefangenschaft die Rede war, von einer schwerwiegenden und lang­ wierigen Krankheit erzählt69 – das lässt die Vermutung zu, dass sich der Beginn seiner Krankheit mit der belastenden Gefangenschaft verbin­ det.70 Möglicherweise begann damit auch die Kränklichkeit, unter wel­ cher Franz bis zu seinem Tode litt.71 In jedem Falle erscheint die Krank­ heit in einem noch viel stärkeren Maße als die Kriegsgefangenschaft als eine Grenzerfahrung, aufgrund deren Franz jedenfalls zu Teilen seine Welt- und Selbstsicht korrigierte. Aus Sicht Celanos handelt es sich in der ersten Lebensbeschreibung, dem Schema der schlimmen Jugend verpflichtet, um ein Einwirken Gottes, durch welches Franz gebessert 43

1. Kapitel: Bruch

werden sollte.72 Die Folgen sind also, vom Ergebnis der Heiligkeit her betrachtet, positiv gewertet  – und das ist quellenkritisch interessant. Die Krankheit führte nämlich zunächst dazu, die eigene weltliche Ge­ genwart pessimistischer zu sehen. Diese neue Negativwahrnehmung aber richtete sich nicht, wie man angesichts des Gesamtduktus der Erzählung vermuten sollte, auf die gesellschaftlichen Umstände oder die schlechten Gefährten, sondern zunächst auf die Natur: Franz ver­ lor, so heißt es, die Freude an den Äckern und Weinbergen73 rund um Assisi – gerade dies lässt die Überlieferung als einigermaßen vertrau­ enswürdig erscheinen, da gerade die Hochschätzung der Natur später zu den besonderen Merkmalen der Frömmigkeit des Franz von Assisi zählen sollte. Dass deren Verachtung Teil der Bekehrung gewesen sein soll, ist als Projektion aus den späteren Verhaltensweisen daher nicht erklärbar. So ist hier ein widerständiges Moment erkennbar, das eine Grundlage in echter Erinnerung haben dürfte. Erst in einem zweiten Schritt folgte dann in Celanos Bericht eine al­ lerdings wiederum sehr bemerkenswerte Neubewertung: „Von diesem Tag an begann er sich selbst als wertlos zu betrachten und nur noch Verachtung für das übrig zu haben, wofür er vorher Bewunderung und Liebe hatte“.74 Nicht nur die äußere Natur also wird verachtet, sondern auch das eigene Selbst, und, das dürfte entscheidend sein: die Neigun­ gen dieses Selbst. Im Blick auf die spätere Entwicklung der Spiritualität von Franz wird man hier schon Elemente einer Bußgesinnung sehen können, vor allem aber lässt sich in dieser Andeutung die Diskrepan­ zerfahrung zu dem von den Eltern geprägten Lebensweg als Kauf­ mann vermuten – eine Diskrepanz, die umso deutlicher wird, da Ce­ lano betont, dass sich der Lebenswandel als solcher noch keineswegs grundlegend änderte, sondern Franz sich wieder auf Weltliches stürz­ te.75 Dass all dies so gut zueinander passt, lässt wiederum skeptisch werden – möglicherweise liegt das Geheimnis des Geschehens gerade darin, dass das vertrauenswürdig bezeugte Verzweifeln an der Natur sekundär dann im Sinne der Bußgesinnung gedeutet wurde. Daran dürfte so viel richtig sein, dass Franz vermutlich in der Krankheit noch diffus und ohne konkreten Bezug auf Lebensführung eine Erschütte­ rung des Lebensrahmens erfuhr, in welchem er sich so selbstverständ­ lich eingerichtet hatte. Vermutlich hat Julian von Speyer die Bedeutung

44

3. Unruhe

Giotto di Bondone: „Die Mantelspende des hl. Franziskus“.

der Episode treffend zusammengefasst: Franz „begann nun Dinge zu denken, die dem Gewohnten unähnlich waren“.76

Ritterschaft

Spiegelt sich in diesen Beschreibungen eine sehr persönliche Krisener­ fahrung, so dringt durch andere Episoden auch durch, dass Franz tat­ sächlich durch die oben beschriebenen sozialen Konflikte in Assisi min­ destens verwirrt war. Verschiedentlich spürte er, dass das alte Gefüge 45

1. Kapitel: Bruch

nicht mehr stimmte – so heißt es etwa, er habe am Wegesrand einen armen Ritter getroffen und ihm seine Kleider geschenkt.77 Noch dem heutigen Leser wird, selbst wenn er wenig im Christentum sozialisiert ist, unmittelbar die Parallele vor Augen treten, die Celano denn auch aussprach. Was sich hier vollzog, ähnelte dem Urbild der Heiligkeit in der westlichen Christenheit: Martin von Tours,78 der für einen Armen seinen Mantel geteilt und in ihm dann Christus selbst erkannt hatte. Ironischerweise hatte er als Ritter so einen Bettler unterstützt, wäh­ rend nun der Bettler selbst ein Ritter war  – eben darin zeigt sich das soziale Spannungsgefüge, in dem Franz sich bewegte: Der Vorrang des Reichtums gegenüber dem Adel wird in dieser Geschichte bildhaft, die allein schon deswegen nicht gänzlich erfunden sein dürfte, weil auf Martin zwar angespielt wird, die Episode aber nicht ganz nach diesem Vorbild gestaltet ist. Wenig später soll dann ein Ereignis geschehen sein, in dem die so­ zialen Spannungen noch deutlicher erkennbar werden: Franz wollte, so heißt es schon in der ersten Vita Celanos, mit einem Adeligen aus Assisi nach Apulien ziehen, um dort Geld und Ehre zu verdienen.79 Zu­ nächst ging es wohl schlicht darum, sich neuerlich im Kriegsdienst zu bewähren. Anfang des 13. Jahrhunderts versuchte Walter von Brienne mit dem Rückenwind des Papstes das Erbe seiner Frau in Apulien zu schützen.80 Offenbar gedachte Franz sich bei ihm zu verdingen, mög­ licherweise auch um die Scharte des kurzen erfolglosen militärischen Intermezzos gegen Perugia auszuwetzen. Johannes von Perugia aber benennt noch eine andere Komponente, indem er diese Episode geradezu als einen Versuch von Franz be­ schreibt, einen sozialen Statuswechsel zu vollziehen: „Als er über diese Sache nachdachte, beschloss er, Ritter zu werden, damit ein solcher Vorrang ihm als Ritter zu­teilwerde. Daher richtete er sich, nachdem er sich, soweit er vermochte, mit kostbaren Gewändern ausgestattet hatte, darauf ein, zum Grafen Gentile in Apulien aufzubrechen, damit er durch diesen Grafen zum Ritter werden könnte.“81 Diese Notiz über die „zeitweiligen sozialen Aufstiegsphantasien“ (Dietmar Berg)82 von Franz ist nicht nur deswegen einigermaßen ver­ 46

3. Unruhe

trauenswürdig, weil Johannes zu den vergleichsweise frühen eigen­ ständigen Zeugen gehört, sondern vor allem, weil er noch den Namen des Grafen kannte, zu dem Franz ziehen wollte – bei Celano ist dieser namenlos, in der Dreigefährtenlegende schwankt die Überlieferung.83 Hier scheint eine etwas genauere Erinnerung durchzuschlagen, die auch den Standesehrgeiz von Franz mit betreffen könnte, einen Ehr­ geiz, der sich in einer immer wieder berichteten Traumvision84 nieder­ schlug, die er kurz vor seinem Aufbruch hatte: Sein ganzes Haus war in diesem Traum voll von ritterlichen Waffen, das bürgerliche Kauf­ mannsanwesen also wandelte sich in eine ritterliche Waffenkammer. Dass über die Realität einer Vision mancherlei diskutiert werden kann, ist offenkundig  – die Waffenvision entfaltete ihren Sinn gerade dort, wo der Bruch von Franz mit seiner früheren Existenz herausge­ strichen und gleichwohl Gottes Leitung von Anfang an betont wer­ den sollte: In seiner großen Legende erschien bei Bonaventura nicht nur statt einer Wandlung des Hauses der Bernardone von vorneherein ein Palast,85 sondern er ließ auch Gott selbst Franz wenig später mit­ teilen, dass die Vision „eine geistliche Wirkung anzeigt, die nicht nach menschlicher, sondern nach gött­licher Ordnung in dir erfüllt werden soll“.86 Diesen geistlichen Sinn, den die Biographen seit Celano87 im Auge gehabt hatten, legten sie offenbar über eine Erzählung, die so fest im Gedächtnis war, dass man sie weder auslassen noch umschreiben konnte, obwohl sie zunächst in ihrem Duktus die geistliche Deutung jedenfalls nicht vorbereitet. Wiederum spricht dies dafür, dass eine Be­ geisterung für Rittertum und Waffen früh in Franziskus wach geworden war, dass er also nicht, wie es die Bürger von Assisi im Laufe der Jahre erstreiten sollten, danach strebte, die bürgerliche Herkunft neben und zum Teil über der ständischen anzuerkennen, sondern selbst nach ei­ nem anderen, höheren Stand strebte.88 Auf seine Herkunft bezogen be­ sagt dies auch, dass Franz schon hier auf eine durchaus nicht religiöse Weise von den Normen seiner Eltern abwich. Dass er versuchte, sozial aufzustreben, heißt, dass der junge Kaufmann die soziale Position sei­ ner Eltern verachtete oder doch geringschätzte: Er blickte auf sie mit den Augen derjenigen hinab, gegen die die Bürgerlichen von Assisi an­ kämpften. Dass der soziale Konflikt so beschrieben einen ausgeprägt existen­ ziellen Konflikt im Hause Bernardone mit sich brachte, liegt nahe: Hier 47

1. Kapitel: Bruch

ging es um mehr als um das Austesten der Möglichkeiten im Krieg, hier ging es um die Lösung von den Bindungen des als zu gering empfun­ denen Elternhauses.  Genau diese existenzielle Dimension der sozia­ len Diskrepanzerfahrung scheint nun auch einen Bekehrungsvorgang wenigstens mit veranlasst zu haben: Nach dem Erzählduktus der Bio­ graphien hat Franz gerade, indem er sich in diese soziale Gemengelage zwischen bürgerlicher Herkunft und adeligen Ambitionen bewegte, Umkehrerfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes erlebt. Er hatte erst ein oder zwei Tagesreisen hinter sich gebracht, so berichtet es die Dreigefährtenlegende, als er in Spoleto, noch im Halbschlaf („semi­ dormiens“), eine neue Gotteserfahrung machte, die nun präzise nicht als Traum-Vision zu bezeichnen ist, sondern als Traum-Audition, eine reine Hörerfahrung. Eine Stimme fragte ihn zunächst nach seinem Vorhaben, und nachdem Franz dies geschildert hatte, fragte sie: „Wer kann dir Besseres tun? Der Herr oder der Knecht?“89 Schon in der Fra­ gestellung lässt sich absehen, dass die Stimme, die Franz als die des Herren, also Gottes selbst, identifiziert,90 den Reisenden auf einen Fehler in seiner Wertehierarchie hinweisen will: Das Bestreben, selbst Ruhm und Ehre, ja einen Vorrang („principatus“) zu erlangen, war of­ fenkundig die Suche nach irdischem Herrendasein – nun erinnert die Stimme daran, dass alle irdische Herrschaft letztlich einem anderen und höheren Herrn unterworfen ist. Und so ruft Gott Franz zur Um­ kehr: „Kehr zurück in dein Land, und dort wird dir gesagt werden, was du tun wirst“.91 Die Konstruktion dieser Erzählung ist nicht allein durch diese Anweisung deutlich. Sie kombiniert die Mahnung an den Erzva­ ter Jakob, aus Mesopotamien in sein Heimatland zurückzukehren (Gen 32,10), mit der Anweisung an Paulus, nach seiner Christusvision nach Damaskus zu gehen, um zu erfahren, was er tun solle (Apg 9,6). Auch die Aufnahme des Frage- und Gegenfragespiels lässt erkennen, dass die Erzähler dieser Vision in der Erfahrung des Franz eine Situation sehen, die der Wandlung des Paulus, dem Urtypus plötzlicher Bekeh­ rungen zum Christentum, entspricht.92 Diese Vorstellung dürfte in der Erzählung schon festgestanden haben, ehe sie in die Viten integriert wurde, denn eine solche herausgehobene Bedeutung steht eigentlich quer dazu, dass die Viten andere Momente noch viel expliziter als Be­ kehrung sehen wollen. Die Erzählung hält die Erinnerung daran fest, dass der Bekehrungsprozess des Franz sich lang streckte und in meh­ 48

3. Unruhe

reren Etappen vollzog. Sie ist aber zugleich schon in ihrer Entstehung eine offenkundige legendarische Einkleidung, denn ihr Sinn ergibt sich vor allem aus dem Schlusssatz Gottes: „Denn es ist nötig, dass du die Vision, die du gesehen hast, anders verstehst“.93 Sie setzt also bereits jene geistliche Deutung der Waffensaalvision voraus, die sich erst aus der Rückschau auf das ganze Leben des Franz als sinnvoll erweist. Die Audition von Spoleto macht in dieser Kombination mit der Waffenvi­ sion eine fundamentale Wende im Leben des Franz zu einem von Gott geleiteten Geschehen – und überspielt damit möglicherweise andere Gründe, die Franz von seinem Weg abgeschreckt haben. Auffällig ist es jedenfalls, dass Celano in seiner ersten Vita von diesem Geschehen in Spoleto noch nichts wusste, sondern das Zurückschre­ cken des Franz von seinem Vorhaben unmittelbar mit dem Traum von dem zum Waffensaal gewandelten Elternhaus verband: Eigenartiger­ weise, so berichtet Celano, freute Franz sich beim Aufwachen nicht – wie es später die Dreigefährtenlegende behaupten würde94 – über den Traum und das darin vermeintlich angezeigte Ritterglück, sondern er musste sich mit Gewalt zwingen, sein Vorhaben zu vollenden.95 Um diesen Vorgang zu benennen, nutzt Celano eine Formulierung, die nicht ganz eindeutig ist: Die nächstliegende Deutung wäre, dass Franz sich selbst zum Aufbruch gezwungen hätte, man kann den Satz aber auch in dem Sinne verstehen, dass er gar nicht erst aufgebrochen wäre, so wie es dann auch im Folgenden heißt, er habe ganz der Reise nach Apulien entsagt96 – möglicherwiese also wäre er nicht einmal bis Spo­ leto gekommen. Jedenfalls fehlt diese Audition in der ersten Vita, und auch in der zweiten Vita, die von der Audition berichtet, wird sie weder in Spoleto lokalisiert, noch muss Franz, als sie ihm widerfuhr, schon zwingend aufgebrochen gewesen sein.97 Tatsächlich schildert es Julian von Speyer genau so: Franz habe seine Reisevorbereitungen unter im­ mer größeren Mühen fortgeführt, binnen Kurzem aber schon die Reise gänzlich aufgegeben.98 Der Entschluss, zu bleiben, wäre dann noch vor dem Aufbruch gefallen, nach der ersten Vita Celanos wie auch nach Julian von Speyer ohne einen klar erkennbaren Eingriff von außen. Ei­ nen solchen kennt zwar die Dreigefährtenlegende, sie weiß auch um den Ort Spoleto, aber sie bietet noch eine weitere Information, die nicht ohne Weiteres verständlich ist: Franz sei bei der Ankunft in Spo­ leto krank gewesen.99 Ein weiteres Detail nennt Johannes von Perugia, 49

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der mit den drei Gefährten die Lokalisierung in Spoleto teilt: Noch ehe Franz hier die beschriebene Audition erfahren habe, sei er bei der Ankunft in Spoleto in Sorge über seinen Weg gewesen („sollicitus sui itineris“).100 Es gab also nach beiden Quellen Irritationen schon vor der Audition. Fasst man all dies zusammen, so wird man wohl festhalten können, dass Franz genug Gründe hatte, seine Reise abzubrechen, auch ohne dass er hierzu durch eine Audition aufgefordert wurde. Eine Erkrankung auf dem Weg mag jedenfalls einen plausiblen Anlass bie­ ten – interessanter sind die diffusen, unerklärten Rückzugsbewegun­ gen bei Celano und Johannes von Perugia. Es scheint, als habe Franz die Umkehr oder den Verzicht auf die Reise nach seiner ersten Begeis­ terung eben gerade nicht plausibel erklären können. Dann aber liegt es nahe, die Erklärung aus dem biographischen Zusammenhang zu gewinnen, in den die Episode fällt: Zu diesem Zeitpunkt haben die Er­ fahrungen der Gefangenschaft wohl kaum zwei Jahre zurückgelegen. Dass Krieg und Kriegsgefangenschaft als Traumen gesehen werden können, die posttraumatische Belastungen nach sich ziehen, ist den Menschen des 21. Jahrhunderts sehr bewusst.101 Eine solche Diagnose wird man nicht achthundert Jahre zurückprojizieren können. Aber es ist doch nicht ganz abwegig anzunehmen, dass Franz zwischen der erwähnten Hoffnung, wiedergutmachen zu können, was gegen Pe­ rugia nicht gelungen war, und der Angst vor einem erneuten Unglück schwankte.102 Nun allerdings dürfte die Blamage noch größer gewesen sein, zumal gegenüber dem eigenen Vater. Wenn es stimmt, dass Franz sich neue Kleider gekauft hat, wird das Groteske der Gesamtsituation und der sich mehr und mehr aufbauende Konflikt mit dem Vater über­ deutlich: Franz dürfte als Kaufmann in einer familiären Wirtschafts­ gemeinschaft mit den Eltern gelebt haben, die er durch seinen nicht unerheblichen Textilverbrauch belastete, auch wenn er das Tuch nicht teuer anderwärtig einkaufen musste, weil er selbst damit handelte.103 Genau diese Kleider aber sollten dazu dienen, gegenüber dem mitfi­ nanzierenden Vater hervorzustechen und sich durch die Reise nach Apulien standesmäßig über ihn zu erheben. Angesichts dessen ist es wahrscheinlich eine erhebliche Verdichtung und doch eine irgendwie auch biographisch sinnvolle Erklärung, wenn Johannes von Perugia diese Episode unmittelbar hinübergleiten lässt in den zentralen Vater­ konflikt um das Geld, der zur Lossagung des Franz von seinem Eltern­ 50

3. Unruhe

haus führte (s. u. 79–85). Das Geld, um das sich Franz mit seinem Vater streiten sollte, war nach dessen Bericht nämlich genau das Geld, das Franz als Erlös für das Pferd und die Kleider erzielt hatte, mit denen er sich für den Apulienzug geschmückt hatte.104 Das ist verkürzend – und doch ungeheuer treffend. Und Johannes steht nicht damit allein, in der abgebrochenen oder niemals angetretenen Apulienreise die erste und ganz entscheidende Wende im Leben des jungen Bürgersohns aus As­ sisi zu sehen. Am weitesten geht Julian von Speyer, nach dessen Erzählung mit diesem Geschehnis Franz aus einem weltlichen Kaufmann zu einem Kaufmann des Evangeliums („evangelicus negotiator“) geworden sei105  – ähnlich treffend wie Johannes macht er so deutlich, dass es Franz in seiner Befassung mit dem Evangelium genauso um eine ne­ gative Antwort auf die Existenzweise seiner Eltern ging wie mit dem gescheiterten Vorhaben, ein Kriegsmann und Ritter zu werden. Den­ noch dürfte die Verbindung mit einer klaren Evangeliumsorientie­ rung zu früh sein, die Gesamtheit der Berichte spricht gerade in ihrer spannungsvollen Verschiedenheit dafür, dass Franz sich in einer Krise befand, in welcher er nach unterschiedlichen Sinnangeboten suchte, unter denen nun auch das Modell einer gegenüber der üblichen Reli­ gionsausübung radikal gesteigerten Frömmigkeit begegnet. Celano jedenfalls lässt mit dieser Phase eine Haltung exaltierter Frömmigkeit beginnen, die für ihn Ausdruck einer schon vollzogenen Sinneswand­ lung ist, welche sich bloß noch nicht im äußeren Leben niederge­ schlagen hatte: Franz zog sich hiernach vom Umgang mit anderen und vom Geschäft zurück, um im inneren Menschen eine Begegnung mit Christus zu erfahren.106 Offenbar entwickelte sich in dieser Zeit auch eine Freundschaft mit einem anderen jungen Mann, über die man al­ lerdings nicht viel weiß, außer dass Franz ihm seine Geheimnisse an­ vertraute. Selbst bei diesem Freund scheint er indes nur auf begrenztes Verständnis gestoßen zu sein, denn es ist ebender, der Franz’ Rede von einem Schatz für die Ankündigung weltlichen Besitzes hielt.107 Von der ekstatischen Gebetspraxis, die Franz in derselben Zeit entwickelte, war dieser Freund gleichfalls ausgeschlossen: Franz soll, berichten übereinstimmend Celano und die Dreigefährtenlegende, allein in eine Grotte gegangen sein und erfuhr dabei, so die Schilderungen, eine Art Gebetskampf, von dem er erschöpft zurückkehrte.108 Wie bei allen bio­ 51

1. Kapitel: Bruch

graphischen Schilderungen in den Viten gilt auch hier der Vorbehalt, dass es schwierig ist, aus dem Erzählten auf eine biographische Reali­ tät zurückzuschließen – ganz offenkundig ist dies für die Chronologie der Ereignisse: Während Celano die Gebetsekstase unmittelbar mit der Kriegserfahrung verbindet, begegnet sie bei den drei Gefährten erst nach weiteren Erfahrungen.

Bei den Leprosen

Diese Ereignisse jedenfalls bilden den Kontext für das, was für Franz später als das alles entscheidende Ereignis galt: die Begegnung mit den Leprosen.109 Sie hat die Krise in Franz’ Selbstverständnis, für die die Kriegsgefangenschaft ein erster Auslöser gewesen sein mag, zu der aber noch vieles andere beitrug, offenbar massiv verschärft und zugleich, zumindest im negativen Sinne der Abgrenzung von der Ge­ sellschaft, geklärt. Das dürfte den Hintergrund dafür bilden, dass er seine Begegnung mit den Kranken so sehr betonte. Bei ihnen machte er Erfahrungen, die in eine radikale Distanz zu seiner bisherigen Exis­ tenz und damit zur ökonomisierten Welt seiner Herkunft insgesamt wiesen. Eine solche Erfahrung ließ sich kaum irgendwo intensiver machen als eben bei den Leprosen. Das im Deutschen früher übliche Wort „Aussätzige“ für diese Leprakranken lässt noch anklingen, dass es sich hier um eine Krankheit handelt, die ganz selbstverständlich mit sozialen Folgen einherging110: Wer von der oft mit starken Entstel­ lungen verbundenen Krankheit befallen war, wurde aus den Städten verbannt und im günstigen Falle in eines der speziellen Hospitäler verbracht, die allerdings mehr der Verwahrung als der medizinischen Pflege dienten. Das Bewusstsein um die Gefahr der Ansteckung war hoch. So vermied der Rest der Gesellschaft nach Möglichkeit jeden Kontakt mit den Leprosen. Entsprechend weit waren die Hospitäler von den Städten entfernt – das Leprosenhospital für Assisi etwa, San Lazzaro dell’Arce, lag mehr als einen Kilometer außerhalb des Stadtge­ bietes.111 Wie der übliche Umgang mit den Kranken war, schildern die drei Gefährten im Lebenslauf von Franz: Man pflegte sich angesichts des Geruchs der schwärenden Wunden die Nase zuzuhalten und al­ lenfalls durch eine dritte Person Almosen zu übermitteln112  – so war auf finanziellem Wege dem Auftrag der Nächstenliebe Genüge getan, ohne dass man mit ebendem Nächsten in direkte Berührung gekom­ 52

3. Unruhe

men wäre. Dieses Verhalten ist in seiner Nüchternheit durchaus rati­ onal und entspricht, unter den medizinischen Voraussetzungen des 13. Jahrhunderts, modernen Vorstellungen von Seuchenschutz, welche ja auch in erster Linie darauf achten, eine Verbreitung durch Anste­ ckung zu vermeiden. Macht man sich dies bewusst, so ist unmittelbar deutlich, dass das Verhalten, das Franz mit einem Mal an den Tag legte, mehr als irritierend war: Er stieg vom Pferd, übergab dem Leprosen ohne Vermittlung selbst ein Almosen, küsste seine Hand – und emp­ fing dann sogar das osculum pacis, den Friedenskuss.113 Dabei handelt es sich um ein Zeichen aus der eucharistischen Liturgie, bei welchem, so beschrieb es Augustin in der späten Antike, die Lippen der Christen, die sich so grüßten, einander zwar wohl nicht ganz berührten, aber doch nahe kamen.114 Die Handlung war spontan, aber nicht vorbildlos: Mit dem Kuss eines Leprosen folgte Franz offenkundig dem Vorbild Martins von Tours.115 Außerordentlich blieb die Geste – wenn denn der Bericht über sie stimmt – dennoch. Das medizinisch mehr als riskante Verhalten von Franz, bei dem er, darin sind sich die Biographen einig, eigene Ekelgefühle überwinden musste, mochte vonseiten der Lepro­ sen als ein Hineinholen in die Gesellschaft empfunden werden – end­ lich kam einer, der sich ihnen ohne Not zuwandte. Für Franz bedeutete es umgekehrt einen Schritt aus der Gesellschaft hinaus, setzte er sich doch dem Ansteckungsrisiko und damit der Gefahr aus, bald selbst bei den Ausgestoßenen zu landen. Mochte der Verzicht auf militärische Abenteuer sogar als eine Rückkehr zu den seinem Stande zukommen­ den Normen erscheinen, da er damit ja auch den Wunsch aufgab, vom Bürger zum Ritter zu werden, so ging er mit der Hinwendung zu den Leprosen einen Schritt in die andere Richtung. Diese Logik mag auch dahinterstehen, dass die Biographien die Begegnung mit den Lepro­ sen in der Regel nach der Aufgabe der ritterlichen Ambitionen und der darauf ausgerichteten Apulienreise erzählen. Ob dies den tatsächli­ chen Entwicklungen entspricht, wird man heute kaum mehr beurtei­ len können – statt beides in einen Erzählzusammenhang einander fol­ gender Ereignisse zu bringen, wird man die Episoden gemeinsam als Ausdruck ebenjener Spannung zu den Werten des Elternhauses sehen dürfen. Das Streben nach dem Rittertum zeigte diese Unzufriedenheit innerhalb des gesellschaftlichen Systems der Zeit. Mit der Zuwendung zu den Leprosen drückte Franz vielleicht früher, vielleicht später, viel­ 53

1. Kapitel: Bruch

leicht in derselben Zeit eine Ablehnung selbst noch jener Werte aus, die der städtischen wie der adeligen Gesellschaft gemeinsam als verbind­ lich galten. Franz machte sich selbst zu einem Außenseiter. „Seit dem Aussätzigenkuß sind die Aussätzigen die eigentlichen Lebenspartner des hl. Franz“, so drückt es der Franziskaner Anton Rotzetter treffend aus.116 Man wird sich diese Wandlungsprozesse durchaus drastisch vorstellen müssen: Als Sohn eines reichen Kaufmanns hätte er alle Chancen gehabt, in der Mitte der Gesellschaft, sogar an ihrer Spitze anzukommen. Doch er erprobte andere Muster als die vorgeprägten Rollen, wandte sich dem Gegenteil zu, dem untersten Ende der sozi­ alen Skala – was sich wiederum durchaus mit den üblichen Entwick­ lungsschritten in der Adoleszenz erklären lässt, bei Franz aber, so weit wird man die Leprosengeschichte interpretieren dürfen, an den Rand selbstzerstörerischer Maßnahmen führte. Die für die Interpretation schwierigste Frage ist wohl, ob man diese selbstdestruktiven Züge, die Franz nicht nur in einmaliger Spontaneität, sondern bei wiederholten Besuchen im Leprosenspital fortsetzte,117 mit dem gelegentlich auch heute selbstzerstörerischen Verhalten jugendlicher Drogensüchtiger vergleichen darf, also als bloßen Ausdruck des Neins zu den vorgege­ benen Normen verstehen darf, oder schon als Ausdruck der Gestal­ tung einer neuen, anderen Normen verpflichteten Existenz. Das hieße dann im Falle des Umgangs mit den Leprosen, dass Franz schon den Versuch gemacht hätte, sich an den traditionellen Werken der Barm­ herzigkeit zu orientieren, die durch Jesu Rede vom großen Gericht in Mt 25 geprägt sind, wo der Weltenrichter zu denen, die heil durch das Gericht kommen, sagt: „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,35 f.). Nun fällt allerdings auf, dass von dieser Motivation in der Franziskus­ tradition – anders als etwa bei seiner Zeitgenossin Elisabeth von Thü­ ringen118 – wenig die Rede ist, ja dass ein ihr entsprechender Gedanke 54

3. Unruhe

gar nicht die literarische Gestaltung der Leprosenepisode geprägt hat, und dies, obwohl bei Celano durchaus der Versuch zu sehen ist, diese Erzählung ins Wunderhafte zu ziehen. Nach seinem Bericht verschwand nämlich der erste Leprose, dem Franz sich zuwandte, plötzlich auf unerklärliche Weise119 – ein klassisches Indiz dafür, dass er nicht ein realer Mensch, sondern eine Erscheinung Gottes gewesen war. So kann man eine Überformung der Erzählung nach bestimmten hagiographischen Mustern feststellen, nicht aber eine Angleichung an das Verhalten Jesu. Und ebenso fällt auf, dass, wie oben angedeutet, die Entsprechung zu Jesus im Umgang mit Leprosen nicht vollstän­ dig greift. Beides spricht zum einen dafür, dass es sich hier nicht um Geschichten handelt, die zu einem bestimmten theologischen Zweck erfunden und geformt wurden, sondern um echte Erinnerungsstücke. Zum anderen aber lässt es annehmen, dass bei der Zuwendung zu den Leprosen mehr die negative Wendung gegen die zunehmend verach­ teten Normen der Eltern eine Rolle spielte als die Orientierung am christlichen Ideal der Fürsorge für die Schwächsten der Gesellschaft.

Fragwürdiger Reichtum

In diesen Zusammenhängen ist die Problematik von Geld und Reich­ tum, wie sie sich in der späteren Armutsexistenz niederschlagen sollte, nur ein Aspekt unter vielen und der Rolle der Leprosen gegenüber deutlich nachrangig  – nicht umsonst hat Franz in seinem Testament allein die Begegnung mit Leprosen am Anfang seiner neuen religiösen Existenz in den Mittelpunkt gestellt. Die Nachfolger verschieben hier die Akzente. Johannes von Perugia etwa gibt der Armutsfrage einen prominenten Platz: Er stellt genau diese Frage an den Anfang, wenn er noch vor der Apulienepisode davon berichtet, Franz habe in seinem Tuchgeschäft einen armen Bettler abgewiesen  – und sei danach ins Grübeln darüber gekommen, ob er diesen Bettler ebenso abgewiesen hätte, wenn er Geld für einen edlen Baron oder Grafen erbeten hätte.120 Diese Erzählung ist so durchgeformt und so sehr auf die Armutsfrage konzentriert, dass es schwer fällt, sie als historischen Bericht zu ver­ stehen. Doch spiegelt sich auch in ihr in besonderer Weise jene Grund­ thematik der frühen  Jahre von Franz: die Erfahrung einer Erschütte­ rung über die vorgegebenen Werte, die mal, wie in dem Hinweis auf die Adeligen, Gestalt in Sozialformen gewinnen konnte, mal in religiösen 55

1. Kapitel: Bruch

Interpretationen  – bis dahin, dass Johannes in den jungen Franz die Überlegung projizierte, dass ihm in dem Armen Jesus Christus selbst begegnet sei.121 Wenn und soweit Franz sich schon in dieser Zeit den Armen zu­ wandte, dürfte auch dies nicht einer konkreten Orientierung am Handeln und Gebot Christi gefolgt sein, sondern war Ausdruck einer Aussteigerexistenz, mit welcher der Kaufmannssohn zunehmend ko­ kettierte, wenngleich sie nur gelegentlich öffentlich wahrnehmbar war. Celanos oben erwähnte Einschätzung, Franz habe sich nur in seinem Sinn, noch nicht leiblich122 verändert, reflektiert wohl auch, dass Franz lange Zeit keine allzu sichtbaren Folgerungen aus seiner Diskrepanz­ erfahrung zog – was mit daran gelegen haben dürfte, dass er in dieser Gärungsphase seines Lebens noch keine klare Konturierung für eine Alternative zu dem vorgegebenen Lebensstil seiner Eltern gefunden hatte. So wurden seine Irritationen vor allem dadurch spürbar, dass er sich von den anderen Jugendlichen des Ortes distanzierte. Auch wenn er nicht einer ihrer Anführer gewesen sein muss (s. o.  36), kann man durchaus annehmen, dass er sich lange Zeit ganz selbstverständlich als einer von ihnen empfunden und bewegt hat. Nun scheint er manchmal auf Distanz zu ihnen gegangen zu sein: Die Dreigefährtenlegende be­ richtet, er sei einmal mit Kameraden unterwegs gewesen, da sei er von Gottes Geist in einem solchen Ausmaß ergriffen worden, dass er sich nicht mehr bewegen konnte und plötzlich stehen blieb. Die Gefährten waren dann schon ein ganzes Stück vorausgelaufen, kehrten um und redeten auf ihn ein, was mit ihm sei – und spätestens hier beginnt die Stilisierung der Geschichte,123 denn als die Freunde ihn fragten, ob er etwa so von dem Gedanken ergriffen gewesen sei, eine Frau zu heira­ ten, dass er stehen geblieben sei, antwortete er, er wolle eine viel schö­ nere Braut finden, als sie sich vorstellen konnten.124 Dem Leser, der dies Anfang der vierziger  Jahre des 13.  Jahrhunderts las, sollte gleich klar sein, dass diese Braut die Herrin Armut war, mit der sich Franz nach der Erzählung vom „geheiligten Bund des seligen Franz mit der Herrin Armut“125 verbinden würde. Und ebenso offenkundig ist es, dass die damaligen Freunde diese Ankündigung falsch verstehen mussten und über ihn lachten, weil sie ihm wohl kaum eine schöne Braut zu­ trauten. Versucht man unter diese prophetisch deutende Schicht zu tauchen, so bleibt wohl, dass Franz nicht bei allen Unternehmungen 56

3. Unruhe

der Freunde dabei gewesen ist, vielleicht auch, dass er, bis an den Rand von Absencen, gedankenverloren war: Sein Sozialverhalten wurde zu­ nehmend schwierig für die Zeitgenossen, und tatsächlich scheint er immer mehr Verhaltensweisen an den Tag gelegt zu haben, die seine eigene Diskrepanzerfahrung nach außen kehrten und so zur Irritation für andere wurden. Im Zuge dessen dürfte ihm dann tatsächlich immer mehr zu Be­ wusstsein gekommen sein, dass sein eigener Reichtum nicht selbstver­ ständlich war. Ohne dass in der frühesten Schicht eine klare christlichethische Motivation erkennbar ist, hat er ganz ähnlich wie im Falle der Leprosen auch Armen versucht Anteil an seinem Reichtum zu geben, noch ohne die Grenzen seiner Existenz zu sprengen. So zumindest berichten es die Viten seit den vierziger Jahren: Nach Celanos zweiter Vita habe Franziskus sich schon früh als „Liebhaber der Armen“ („pau­ perum amator“) erwiesen und seine eigenen Kleider abgelegt und den Armen angezogen126 – sehr konkret und damit vermutlich einigerma­ ßen realistisch beschreibt dies die Dreigefährtenlegende: „Wenn er auch schon lange ein Wohltäter der Armen war, nahm er sich von da an in seinem Herzen fester vor, künftig keinem Armen mehr, der um Gottes willen um ein Al­ mosen bat, dies zu verweigern, sondern freigiebiger und reichlicher als üblich Almosen zu geben. Wann immer also ein Armer von ihm außerhalb des Hauses Almosen erbat, versorgte er ihn mit Geldstücken, wenn er vermochte. Fehlte es ihm an Geldstücken, so gab er eine Kopfbedeckung oder einen Gürtel, damit er den Armen nicht leer davonschickte. Wenn er aber davon nichts hatte, ging er zu einem verborgenen Ort, zog sein Hemd aus und schickte heimlich den Armen dorthin, damit er es sich um Gottes willen hole“.127 Aus der Rückschau liest sich dies als eine Vorwegnahme des späteren Entschlusses von Franz für die Armut, und gewiss konnte er hieran anknüpfen. Als Fragment einer Lebenserzählung gelesen, die noch nicht selbstverständlich auf die spätere Heiligkeit zusteuerte, zeigt sich hierin in einer ersten Stufe kaum mehr als eine Intensivierung der in seinem Elternhaus üblichen Erfüllung der allgemeinen Almo­ 57

1. Kapitel: Bruch

senpflicht. Schon im Zusammenhang der Fürsorge für Leprose war ja durchgedrungen, dass man im Hause Bernardone durchaus eine ge­ wisse, freilich recht distanzierte Kultur der Almosengabe pflegte, und die drei Gefährten sagen zunächst nicht mehr, als dass Franz eben hieran anknüpfte, freilich mehr gab als üblich. Charakteristisch – und gerade in dieser Charakteristik wohl als historisches Zeugnis ernst zu nehmen – ist dann der Hinweis, dass Franz „außerhalb des Hauses“ begann, noch mehr zu geben. Offenkundig nutzte er den Freiraum jenseits des elterlichen Bereichs, die dort akzeptierten Normen der Armenfürsorge weiter auszudehnen, als es bei ihnen gängig war. Und dies tat er mal planmäßig durch Mitnahme von Geldstücken, mal aber offenbar auch sehr spontan, indem er Kleidungsstücke fortgab, deren Verlust entweder durch Schusseligkeit erklärbar war – Kopfbe­ deckung und Gürtel – oder nicht unmittelbar auffiel wie das Hemd, das gewöhnlich unter einem Obergewand getragen wurde. Und selbst wo er sich zu der spontanen Gabe des Hemdes hinreißen ließ, tat er dies nicht in einem Aufsehen erregenden öffentlichen Akt, son­ dern durch eine komplizierte Übergabe an einem geheimen Ort. Das Ganze macht den Eindruck, dass Franz Verhaltensweisen auspro­ bierte, die er aus Angst vor den Eltern, konkreter wohl vor dem Vater, nicht bekannt werden lassen wollte. Auch dies drückt Unzufrieden­ heit mit dem gegenwärtigen Status aus, zugleich aber den Wunsch, ebendiesen nicht zu verlieren. Er wollte sich innerhalb des elterlichen Rahmens bewegen, ihn nur stückweise ausdehnen. Was Celano als einfaches Schema des Gegensatzes von Sinn und Körper beschreibt, ist offenkundig eine Symptomatik massiver Unklarheit und Werte­ verwirrung auf der einen Seite, Angst vor einem Offenlegen seiner Gefühle vor dem Vater auf der anderen Seite. Hierfür ist bezeichnend eine Erzählung, die die drei Gefährten zur Franziskuserinnerung beisteuerten128: Ausdrücklich beziehen sie sich auf Situationen, in denen der Vater abwesend war. Dann deckte Franz, selbst wenn auch seine Geschwister fort waren, den Tisch für die ganze Familie  – und erklärte dies damit, dass die überzähligen Brote für die Armen gedacht seien. Die Mutter akzeptierte dies, „weil sie ihn mehr als die anderen Söhne liebte“.129 Leider ist diese Erzäh­ lung nur mit großer Vorsicht auszuwerten: Allzu typisch ist die Kons­ tellation des ältesten Sohnes, der den Vater fürchtet und von der Mut­ 58

3. Unruhe

ter geliebt und behütet wird  – biblisch reicht sie bis zur Geschichte von Jakob und Esau zurück und wurde mit unterschiedlichen Per­ sonen immer wieder neu erzählt. Dass auch noch bei anderer Gele­ genheit die Liebe der Mutter betont wird, ändert daran nichts, dass hier erzählerisch ein gewisses Stereotyp wirksam ist. Vor allem aber lässt sich fragen, ob der starke Akzent, der hier auf die pauperes ge­ legt wird, nicht eher zu der späteren Rückschau passt als zu diesem relativ frühen Moment in Franz’ Biographie, in dem noch so viele Richtungen miteinander in Ausgleich zu bringen waren. Und doch gilt auch hier, dass sich hinter der unzweifelhaft zugespitzten Erzäh­ lung ein tatsächlicher Erinnerungskern verbergen könnte, nämlich der, dass der Konflikt im Hause Bernardone, ohne dass man Franz gleich als bevorzugten Sohn der Mutter sehen muss, zwischen Vater und Sohn ausgetragen wurde. Bei allen grundlegenden Änderungen von Familie und Hausgemeinschaft in den vergangenen Jahrhunder­ ten130 kommt die in den Biographien geschilderte Konstellation doch heutigen Wahrnehmungen der Probleme der Adoleszenz erstaunlich nahe. Zu den eigenartigen Formen einer Sinnsuche, mit der Franziskus beim Vater nicht anecken wollte, gehört ferner eine historisch freilich nicht ganz gesicherte Erzählung, nach welcher er experimenthaft Ar­ mut lebte. Den Anlass hierzu gab ihm nach den Viten eine Reise nach Rom. Angelegt war diese Reise als Wallfahrt.131 Franz lebte noch in ei­ ner Zeit vor der ganz großen Rombegeisterung, wie sie dann durch die Ausrufung des Jubeljahres im Jahr  1300  Europa erfassen sollte: Die Verheißung, durch einen Besuch der sieben Stationskirchen vielfäl­ tigen Ablass zu erhalten, lockte später die Massen in die Stadt. Doch auch Anfang des 13. Jahrhunderts war Rom als Grablege der beiden Apostel Petrus und Paulus schon ein außerordentlich beliebtes Ziel für fromme Pilger. Andere Bewohner von Assisi, wie etwa Ortulana Offreduccio, die Mutter von Franz’ späterer geistlicher Schwester Klara, reisten ebenfalls dorthin132  – schließlich liegt die Ewige Stadt keine zweihundert Kilometer von Assisi entfernt. Dass Franz dorthin zog, ist also nicht gänzlich unplausibel. Biographisch sieht es fast wie eine Antwort auf die fehlgeschlagene militärische Unternehmung in Apulien aus. Wieder machte er sich auf den Weg, nun aber nicht um zu kämpfen, sondern um die Gräber der Apostel zu besuchen, über 59

1. Kapitel: Bruch

denen sich gewaltige Kirchen aus der Zeit Kaiser Konstantins erhoben: St. Paul vor den Mauern und der Petersdom im Vatikan, der Vorgänger­ bau des heutigen Renaissancedoms. Sie zu besuchen, bedeutete eine Nähe Gottes in den Aposteln zu erfahren, führten die Gebeine, die man in diesen Gräbern verehrte,133 doch in die Anfänge des Christentums zurück. Da beide Apostel als Märtyrer gestorben waren, war in ihnen die Nachfolge Christi zu einer Vollkommenheit gelangt, die in ihnen einen Abglanz Christi selbst präsent machte. Im Rahmen einer für das Mittelalter über weite Strecken prägenden Frömmigkeitshaltung, der sogenannten Repräsentationsfrömmigkeit, waren auch ihre Gebeine noch materialisierte Repräsentationen ebendieser Gegenwart Christi: In den Gebeinen der Apostel verehrte man diese selbst und letztlich Je­ sus Christus. Das machte den eigentlichen spirituellen Sinn eines sol­ chen Rombesuchs aus – wenn er denn stattgefunden hat. In diesem Falle hätte Franz hier das Experiment der Armut ge­ wagt und wäre ein „Bettler auf Probe“ geworden (H. Feld).134 Auch diese Episode beginnt eher mit einer Irritation als mit einem klaren Entschluss: Er sah, wie geringfügig die Opfergaben waren, die die Menschen in der Kirche hinterlegten, und zeigte seinerseits Groß­ zügigkeit, ja Verschwendungssucht, indem er eine große Anzahl von Münzen vor den Altar warf. Als er dann die Kathedrale verließ, traf er davor eine Menge von Bettlern an  – und wieder kam es zu einer spontanen Geste: Er zog seine Gewänder aus und tauschte sie mit den Kleidern eines Bettlers.135 In dieser Szene mag sich manches ver­ mischt haben, denn wenn Franz tatsächlich nach Rom zur Pilgerfahrt aufgebrochen war, hat er wohl kaum seine sonst üblichen kostbaren Kleider angehabt, sondern eher ein Büßergewand. Das soll er übri­ gens nach einer kleinen Notiz auch sonst unter seinen reichen Klei­ dern getragen haben136 – auch dies eher ein Ausdruck dessen, dass er suchte, seine Diskrepanz mit dem elterlichen Leben zu verbergen, als dass ein schon vollzogener innerer Wandel in Spannung zum äußeren gestanden hätte. Für die Romreise aber hätte er das Büßergewand gar nicht verbergen müssen. Möglicherweise war allerdings selbst das, was er als Pilger trug, verglichen mit den Lumpen der Bettler noch kostbar, möglicherweise haben die drei Gefährten Erinnerungen an Geschehnisse in Assisi in diese Romepisode hineingewoben  – was wiederum die Frage aufwirft, ob die Erzählung als ganze glaubwür­ 60

3. Unruhe

dig ist. Franz hätte hiernach, nachdem er die Kleider eines Bettlers angenommen hatte, auch tatsächlich auf den Stufen des Petersdoms eine Zeitlang als Bettler gelebt.137 Dies blieb indes eine klar begrenzte Erfahrung, denn ehe er heimkehrte, hat er, so der Bericht der drei Ge­ fährten, den Tausch rückgängig gemacht, dem Bettler seine Lumpen zurückgegeben und wieder seine eigenen Gewänder angezogen.138 Realistisch ist dies wohl nur unter der Voraussetzung, dass er un­ geachtet aller Spontaneität seines Entschlusses Tausch und Rück­ tausch von vorneherein mit dem Bettler abgesprochen hatte. Wenn dem so war, unterstreicht das den Testcharakter dieser Phase umso mehr. Hierzu passt, dass die drei Gefährten es sogar zum Antrieb sei­ ner Romreise erklärten, dass er an einem anderen Ort als in der Hei­ mat einen Kleidertausch und den damit verbundenen Rollenwechsel vollziehen wollte139 – dem entspricht die Bemerkung Celanos in der zweiten Vita, dass Franz gerne schon früher mit Bettlern gelebt hätte, hätte er sich nicht vor seinen Bekannten geschämt.140 Ist an dieser Erzählung auch nur etwas dran, und der Gesamtkontext spricht da­ für, so unterstreicht sie, dass Franz in dieser Lebensphase Erschütte­ rung und Irritation über seinen bisherigen Lebenswandel verspürte und Erfahrung mit anderen, ganz gegensätzlichen Lebensmodellen sammeln wollte. Aus der Rückschau wäre dies schon eine Art Vorlauf zu der späteren Armutsexistenz gewesen. Verstanden als Rudiment realer Erinnerung wäre es Ausdruck des Versuchs, die Welt der Ar­ mut, die der seinen so fundamental widersprach, kennenzulernen, vielleicht auch nur mit ihr zu kokettieren. Vor allem aber wäre es Ausdruck dessen, dass er den Bruch mit dem Elternhaus vermeiden wollte, geradezu angepasst lebte, seine Neigungen zur Armutsexis­ tenz nur in der Ferne auslebte, während er zu Hause wieder weitge­ hend in die alten Muster des Sohnes im reichen Kaufmannshaushalt zurückfiel. Die Spannung, die sich hier ausdrückt, war außerordent­ lich: Franz pendelte zwischen Gegensätzen, übertrieb hier, beim Küssen der Leprosen etwa, steigerte elterliches Verhalten dort, beim überreichen Almosengeben, oder kippte in die andere Existenzform, als er nach Rom ging. In der Summe macht dies den Eindruck eines nachhaltig in seinen Grundwerten erschütterten jungen Mannes  – und der Verdacht, dass der Auslöser für all dies die Erfahrung von Krieg und Kriegsgefangenschaft war, legt sich jedenfalls nahe. 61

1. Kapitel: Bruch

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater Adoleszenzkrise

Die bisher geschilderten Erfahrungen dürfte Franz mit etwa Anfang zwanzig gesammelt haben: Der junge Mann wusste in dem Zwiespalt seiner Gefühle zwischen Leben in der elterlich geprägten Existenz ei­ nerseits und deren Verachtung andererseits keine klare Orientierung zu finden. Das Gefühl, das ihn bestimmte, war dabei ein negatives: Et­ was stimmte bei den Eltern nicht. Was den jungen Franz bewegte, er­ fahren die allermeisten Menschen, wenn sie aufwachsen. Sie gehen auf Distanz zu den Werten, die ihre Eltern ihnen vermittelt haben, begeh­ ren auf, oft noch ohne klare Orientierung, wohin es eigentlich gehen soll. Franz erging es nicht anders. Zunehmend aber deutete er das, was eine bloße Adoleszenzkrise hätte sein und bleiben können, in religiö­ sen Kategorien. So gewann sie eine grundlegende Bedeutung, die über seine eigene Biographie weit hinausweist. Durch alle Berichte, überlagert und gefiltert, wie sie auch sind, dringt dabei durch, dass sich diese Spannung zunächst immer wieder spontan entlud und dass es genau diese Spontaneität war, die sein Ver­ halten von dem sozial kompatiblen Verhalten eines reichen Spenders in Assisi unterschied. Es war ja durchaus nicht so, dass die mittelal­ terliche Gesellschaft den Leprosen und den Armen keinen Ort gege­ ben hätte. Das Hospital für die Leprosen war ebenso wie ihr Unterhalt durch Betteln nicht nur eine Form des Ausschlusses aus der Gesell­ schaft, sondern in gewisser Weise auch eine Integration, denn beides gab den Gesunden und Reichen die Möglichkeit, die Ausgegrenzten durch Almosen zu unterstützen und so im christlichen Sinne gute Werke zu tun. Ebendies scheint Franz, wenigstens in seinen spontanen Akten, als bigott empfunden zu haben, und genau in dieser Wahrneh­ mung liegt ein Stück seiner Modernität, denn dieser Eindruck der Bi­ gotterie drängt sich auch heute auf: Das Almosensystem funktionierte gesellschaftlich integrierend gerade dadurch, dass es voraussetzte, dass Arme und Kranke zunächst einmal in die allgemeine gesellschaft­ liche Kommunikation eingeschlossen waren. Als Objekte der Wohlta­ ten anderer waren sie integriert, nicht als Subjekte des Miteinanders aller. Diese Hürde suchte Franz zu überspringen. Beziehungsweise an dieser Hürde manifestierte sich seine Abscheu gegenüber der eigenen 62

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

sozialen Herkunft: Hatte er sich zunächst sozial nach oben orientiert, um, zum Ritter geworden, das Bürgerliche hinter sich zu lassen, so ori­ entierte er sich nun sozial nach unten, um in der Begegnung mit den Ausgegrenzten die bürgerlichen Normen zu hinterfragen, noch ehe er sie ganz aufgegeben hatte.

San Damiano

Dass der Aussteiger einen religiösen Weg gehen würde, war zunächst noch keineswegs absehbar – die Spuren, die darauf hinweisen, haben vermutlich in den meisten Fällen erst die Biographen gelegt, auch wenn sich dies im Einzelnen nicht beweisen lässt. So wird niemand wi­ derlegen können, dass er, der später immer wieder den Friedensgruß gebrauchen würde, schon von einem Leprosen den Kuss des Friedens erhalten hat. Durch nichts ist es auszuschließen, dass die spätere Bet­ telei schon früh in Rom vorgeformt wurde – wie angedeutet, ist unter gänzlich anderer Perspektive vermutlich sogar gerade an dieser Epi­ sode etwas dran. Aber die Spuren, die man aus der Rückschau entde­ cken kann, und die Versatzstücke realen Lebens liegen unauflöslich ineinander. Das gilt auch für den am deutlichsten erkennbaren Zug zu religiösem Verhalten in dieser Zeit: die Verbindung des Franz mit dem Kirchlein San Damiano, wenige Gehminuten südlich von Assisi. Noch heute ist es merkwürdig abgeschieden, weil der Hauptstrom des Tou­ rismus sich auf die große Grabeskirche mit den Fresken Giottos rich­ tet.141 So vermittelt es noch einen Geist der Schlichtheit, von dem man in Assisi selbst kaum mehr etwas ahnen kann. Es sollte später noch eine bedeutende Rolle im Leben des Franz spielen  – zunächst aber fällt Franz’ Begegnung mit diesem Kirchlein ganz in das Muster spon­ taner, überbordender Frömmigkeit: Celano berichtet in seiner ersten Vita, wie Franz sich auf den üblichen Handelsweg machte. Zu diesem üblichen Vorgehen gehörte auch, dass er sich vor dem Aufbruch be­ kreuzigte.142 Selbst noch in den Heiligenviten dringt solcherart durch, dass sein Leben als Geschäftsmann keineswegs einfach unfromm war, sondern eben anders fromm als sein späterer radikaler Weg. Auch der Kaufmann lebte ein Leben im Zeichen des Kreuzes. Das Kreuz änderte freilich dieses Leben nicht im Kern, sondern bildete seinen Rahmen und Schutz – in diesem Schutz verkaufte Franz in Foligno, gut vierzehn Kilometer von Assisi entfernt, kostbaren Scharlachstoff und gleich 63

1. Kapitel: Bruch

auch noch, weil sich offenbar eine günstige Gelegenheit dazu ergab, sein Pferd.143 Es war also ein beträchtlicher Geldbetrag, den er bei sich hatte, als er den Ort wieder verließ. Nach Celano überlegte er „religiosa mente“, „mit frommem Sinn“,144 was er mit dem Geld anfangen sollte. Celano meint sogar, Franz habe zu diesem Zeitpunkt ein bestimmtes Vorhaben („propositum“) verfolgt145 – ein Begriff, der von früh an im­ mer wieder begegnet (s. o. 41), der aber vermutlich immer wieder dem Bemühen der Biographen geschuldet ist, die Fragmente des Lebens des Franz früher in eine zielgerichtete Ordnung zu bringen, als es dem tatsächlichen Verlauf entspricht. Planmäßig erscheint sein Verhalten auch jetzt noch nicht. Das durchgängige Verhaltensmuster in dieser Zeit ist von spontanen, wenig strukturierten Akten geprägt. Der spätere Eindruck der Planmäßigkeit kann für dieses Geschehen jedoch daran anknüpfen, dass Franz sich nun explizit nicht nur seinen Nächsten zuwendet, sondern der Kirche, wenigstens einem Kirchen­ gebäude. Die im Prinzip deutungsoffene – und wahrscheinlich tatsäch­ lich nicht eindeutig auf die Motivation christlicher Nächstenliebe zu­ rückzuführende – Fürsorge für Kranke und Arme scheint so eine klare Richtung zu gewinnen und noch dazu auf den späteren Lebensweg hinzuweisen, da die Kirche, der sich Franz zuwendet, eben San Dami­ ano ist. Hier hat er die Bedürftigkeit des kleinen Gebäudes und seines Personals verspürt und dem dortigen armen Priester, der möglicher­ weise den Namen Pietro trug,146 sein Geld geradezu aufgedrängt.147 Dass er es ihm komplett überlassen wollte, wie Celano schreibt, dürfte näher am Geschehen liegen als das, was Johannes von Perugia berich­ tet, dessen Schilderung sonst im Großen und Ganzen nah an der von Celano ist: Ihm zufolge hätte Franz dem Priester das Geld nicht als Geschenk überlassen, sondern zur Aufbewahrung gegeben148  – das würde die Handlung noch planmäßiger machen. Sinnvoll wäre das al­ lerdings kaum gewesen, da Franz als Kaufmann immer neu an Geld­ quellen kam und die entsprechende Summe kaum irgendwo deponie­ ren musste. Dergleichen wäre nur nötig, wenn man – wie Johannes von Perugia – schon wusste, dass er bald reichlich Geld für den Kirchenbau in San Damiano verwenden würde. Damit wird die ursprüngliche Zu­ wendung ihrer Spontaneität beraubt, die bei Celano noch durchdringt und überdeutlich in das auch sonst zu erkennende Verhaltensmuster des jungen Franziskus passt: Wie den Leprosen, so küsste Franz auch 64

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

Der Kreuzgang des Konvents San Damiano und ein Blick in das Dormitorium.

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1. Kapitel: Bruch

dem Priester die Hände – bei aller äußeren Entsprechung des Verhal­ tens zeigt sich schon darin für den späteren Erzähler eine Wendung der Ausrichtung, denn den Händen eines Priesters haftete der Anspruch besonderer Reinheit an.149 Sie waren die Hände, mit denen das Opfer der Kirche vollzogen, mit denen in der Eucharistie Christus selbst be­ rührt wurde – so wie Franz in den Leprosen als den geringsten Brüdern Christi Christus selbst berührte, berührte er nun die Hände des Pries­ ters, der in einer sonst niemandem vergönnten Weise unmittelbar mit Christus zu tun hatte, ja im wahrsten Sinne des Wortes mit ihm han­ tierte. Das Anliegen, das Franz dem Priester nun vorbrachte, war, so Ce­ lano, ein doppeltes: Er wollte ihm sein ganzes Geld überlassen, und er wollte in San Damiano Wohnung finden. Wenn an dieser Erzählung etwas dran ist, so hätten wir hier einen zentralen Punkt im Leben des Franz von Assisi. Hier wäre aus jener Doppelexistenz, in welcher die Diskrepanz zur vorgegebenen Wirklichkeit immer nur momenthaft und meist im Verborgenen Gestalt gewonnen hatte, der Entschluss zu einer Lebenswende geworden, freilich auch dies wieder eigenartig un­ klar, denn San Damiano war kein Kloster, Franz kein Priester – seine Existenz wäre in keiner Hinsicht definiert gewesen. Und die Lebens­ wende wurde offenbar auch nicht erwartet, denn der Priester wehrte sich gegenüber dem doppelten Vorhaben, wie Celano schreibt, nicht zuletzt deswegen, weil der, den er da vor sich hatte, ja der reiche Bür­ gersohn war, von dessen großzügigem Lebensstil er wusste. Eine plötzliche Lebenswende war für ihn offenbar nicht plausibel. So wei­ gerte der Priester sich standhaft, das Geld anzunehmen  – mit einer interessanten Begründung: aus Angst vor der Familie Bernardone.150 Immerhin war er schließlich bereit, Franz bei sich aufzunehmen – und dieser schleuderte das Geld, so beschreibt es Celano, verächtlich in eine Fensternische und verachtete es, so Celano, wie Staub.151 Erstmals hätte Franziskus hier, wenn man der Erzählung trauen dürfte, seine Verachtung der sozialen Herkunft klar religiös konno­ tiert, erstmals wäre er bereit gewesen, sich auch in der Lebensführung von seinem Elternhaus zu lösen. Ganz so unkompliziert liegt die Sache allerdings nicht – allein schon deswegen, weil sich die Erzählung mit San Damiano, dem zentralen Ort im Franziskusgedächtnis, verbindet. Dessen Hervorhebung liegt erzählerisch nahe. Für die Franziskaner, 66

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

die hiervon berichteten, stellte San Damiano einen Ort besonderer Heiligkeit dar: Dies würde der Ort sein, an dem Klara und ihre Schwes­ tern dauerhaft Heimat gewinnen würden.152 Der Ort, an dem wenigs­ tens Teile des berühmten Sonnengesangs entstehen würden. Dass genau hier die Lebenswende ihren Ausgangspunkt nahm, kann die folgende Bedeutung des Ortes erklären, aber es kann eben auch umge­ kehrt sein: Die spätere Bedeutung kann dazu geführt haben, eine frühe Erfahrung an diesem Ort mit besonderer Bedeutung aufzuladen. Dem entsprechend ist auch das Erzählgerüst, wie es sich bei Celano und mit Varianten bei Johannes von Perugia und Julian von Speyer findet, be­ reits voll von späterem Bewusstsein von dem heiligen Armen: „Er verkaufte alles, was er hatte, und übereignete das eingenom­ mene Geld einem armen Priester. Weil dieser aber aus Angst vor den Eltern zurückschreckte, es anzunehmen, warf er es ohne Zögern vor ihn, verachtete es wie Staub“.153 So fasste Celano seine Franz-Vita in der Chorlegende für den liturgi­ schen Gebrauch der Brüder zusammen. Daran ist bemerkenswert, was fehlt und was darinsteht: Es fehlt zunächst einmal der Hinweis darauf, dass Franz das Geld in eine Nische warf – hier liest es sich, als hätte er es auf den Boden geworfen. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass Celano hiermit schlicht den Anforderungen rhythmischen Dichtens in der Chorlegende folgte, weist es doch darauf hin, dass diese Nische, die bis heute als äußerlich sichtbarer Haftpunkt von Franz’ Biographie in San Damiano gezeigt wird, noch nicht diejenige Bedeutung als Teil der Heiligenverehrung gewonnen hatte, die es nötig gemacht hätte, sie eigens zu erwähnen. Weitere Lücken fallen auf: Es fehlt der gleich noch auszuführende Auftrag durch Christus selbst, es fehlt jeder Gedanke an eine weitere Verwendung des Geldes. Durch die Aufnahme des Be­ fehls „verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen“ aus Mt 19,21 ist schon eine weitere theologische Perspektive angedeutet, denn der Er­ lös des Geldes sollte hiernach den Armen zugutekommen – eine bibli­ sche Episode, die später noch von Bedeutung für Franz werden sollte (s. u. 107 f.). Hier handelt es sich offenkundig um eine Rückprojektion durch Celano, der der Szene in San Damiano schon eine Spur abgewin­ nen wollte, die auf die spätere Armutsexistenz hinwies.154 67

1. Kapitel: Bruch

Diese Fassung stützte die späteren Brüder in ihrer Lebensweise als Bettelmönche, reichte aber offenbar nicht für die Verehrung von Franz als Heiligen. Tatsächlich kann man an kaum einer Stelle der Franzis­ kuserzählungen eine so intensive Formung durch die Biographen fest­ stellen wie an dieser. Was in der ersten Vita des Celano noch als ein spontaner Akt des Franz selbst erscheint, gewinnt ab den Werken der frühen vierziger Jahre immer mehr eine ganz andere Gestalt. Es wird zum Teil einer Sendung durch Jesus Christus und zugleich zur Grün­ dungslegende für eines der wichtigsten Erinnerungsstücke franziska­ nischer Heiligentradition: das Kruzifix von San Damiano, das heute in der Kirche Santa Chiara in Assisi gezeigt wird,155 ein beeindruckendes, unter dem Einfluss syrischer Kunst gestaltetes Kreuz der umbrischen Malerei aus dem 12. Jahrhundert.156 Die erste klare Fassung der Erzählung von San Damiano als Ort einer Christusoffenbarung findet sich in der Dreigefährtenlegende.157 Hiernach betrat Franz das Kirchlein nicht auf dem Heimweg vom Handel in Foligno, sondern nach einem der vielen Gespräche mit irri­ tierten Freunden von Assisi aus. Als er in der Gegend der Kirche spa­ zieren ging, ermunterte ihn, in einem ersten göttlichen Eingriff, der Geist Gottes, diese zum Gebet zu betreten – so weit bewegt sich das Geschehen, wie oben schon anhand des Kreuzschlagens beschrie­ ben, ganz innerhalb der konformen bürgerlichen Frömmigkeit, für die selbstverständlich auch das christliche Gebet Teil des Alltags war. Das, was dann geschah, erscheint demnach in der Dreigefährtenle­ gende als wundersame Übersteigerung eines alltäglichen Gesche­ hens: Franz betete dort vor ebenjenem hierdurch berühmt geworde­ nen Kruzifix158 – da fing der Gekreuzigte an zu sprechen: „Franziskus, siehst du nicht, dass mein Haus zerfällt? Mache dich also auf und stelle es für mich wieder her“.159 Franz willigte sofort ein – wenn auch, wie die drei Gefährten notieren, mit unvollständiger Erkenntnis: Er bezog den Reparaturaufruf ausschließlich auf das alte, zerfallende Kirchlein San Damiano und noch nicht auf die Kirche Jesu Christi insgesamt. Mit dieser Verwechslung deutet sich ein Grundmuster an, das im weiteren Verlauf noch einmal in der Begegnung mit In­ nozenz III. aufscheinen sollte, bei der es gleichfalls zu einer Doppel­ deutigkeit kam, einem Schwanken zwischen Reparatur der gesamten Kirche Christi oder der Lateranbasilika (s. u. 126 f.). 68

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

Schon dies lässt erahnen, dass hier mehr hagiographische Gestal­ tung am Werk ist als historische Erinnerung160 – zumal Franz selbst in seinem Testament diese Begegnung auffälligerweise nicht erwähnt,161 sondern vielmehr den prononcierten Begriff des Offenbarens mit ei­ nem späteren Ereignis, dem Kundtun des Lebenswegs für sich und seine Brüder, verbindet.162 Dabei muss man nicht annehmen, dass die drei Gefährten diese Geschichte erfunden hätten. Eineinhalb Jahr­ zehnte seit dem Tod des Franziskus reichten, um die Erinnerung in einer Weise zu formen, die der Sinnanforderung der Biographen ge­ nügte, denen zufolge das Leben des Heiligen von früh an von Christus geleitet sein sollte. Diese Leitung durch Christus gewann dann noch intensivere Züge. Dass es hier ein Kruzifix war, das mit Franz redete, ist für die entstehenden Erzählmuster nicht ohne Belang, zeigte es doch in einer in der Zeit durchaus typischen Weise die Wunden Jesu Christi und lud zur Identifikation mit ihm ein. In der compassio, dem Mitleiden, von welchem Celano in der zweiten Vita auch ausdrücklich spricht,163 erfahren nicht nur Heilige, sondern alle Christinnen und Christen, die sich in den Heiland versenken, eine Identifikation mit diesem selbst. Das Hinabsteigen des Sohnes Gottes zu den Menschen ermöglicht den Menschen den Aufstieg zu Gott selbst durch die Wunden und Schmer­ zen des Heilands. Bei Franz aber steigerte sich die allen Gläubigen zu­ gängliche Christusidentifikation vor dem Kruzifix von San Damiano nach Celanos Bericht in einer Weise, die schon auf das spätere wunder­ hafte Geschehnis der Stigmatisation (s. u.  281–283) vorauswies: „Wer will zweifeln, dass Franziskus schon, als er in seine Heimatstadt zu­ rückging, als Gekreuzigter erschien?“, fragt Celano nun im Anschluss an die Erzählung.164 So gesehen wäre von diesem Moment an das Le­ ben des Franz christusgleich gewesen, er selbst schon als alter Christus, als zweiter Christus, erschienen. Die Rückschau vom Ende her bestimmt bereits dieses frühe Gesche­ hen. Ganz in diesem Sinne erzählt Celano dann auch in seinem Mirakel­ buch, dem Bericht über die Wunder, die Franz widerfahren sind, mehr aber noch die Wunder, die er selbst ausgeübt hat, von dem sprechenden Kruzifix im Zusammenhang der Stigmatisation, um genau diese zu il­ lustrieren.165 So gewinnt die Erzählung ihren Ort in der Franz-Biographie vor allem aus dem Bemühen, den Sinn seines Lebens von Anfang an durch den Bezug auf Christus zu erhellen  – und knüpft allenfalls viel­ 69

1. Kapitel: Bruch

leicht daran an, dass Franz sich in seinem Gebet in San Damiano außer von der Ärmlichkeit des Kirchleins auch von dem Leiden Christi berührt fühlte. Im unmittelbaren Zusammenhang hingegen führt die Erzählung in eigenartige Spannungen: Statt eines hohen Geldbetrags hinterlegt Franz bei dem Priester in San Damiano nun nur Geld für eine Lampe und Öl.166 Man mag dies einerseits als realistisch einschätzen, weil es in ähn­ licher Weise wie Kreuzschlagen und einfaches Gebet den üblichen Riten christlicher Frömmigkeit im Mittelalter entspricht  – aber andererseits resultiert daraus die erzählerische Schwierigkeit, dass ein solcher kon­ former und keineswegs exorbitanter Betrag nicht begründen würde, was auch nach der zweiten Vita des Celano darauf folgt: die Verfolgung durch den Vater. Gerade der Versuch, die Lebenswende zu Christus hin beson­ ders stark herauszustreichen, macht die Lebenswende gegen den Vater, den Bruch mit der Herkunft weniger plausibel. Auch die Logik, nach der er schon vor dem Bruch mit dem Vater sich der Renovierung von Kirchen zugewandt habe, diese jedoch in größerem Ausmaß eigentlich erst da­ nach einsetzt, scheint nicht sehr schlüssig. Klassische Fragen danach, wie es eigentlich gewesen ist, kämen hier rasch an ihr Ende. Man könnte die Episode von dem Kruzifix von San Damiano, das Franz aufforderte, das Kirchlein zu reparieren, als Konstrukt der Biographen beschreiben, mit welchem das, was bei Franz unklare Regungen waren, in den Bogen klarer Anweisungen durch seinen Herrn, Jesus Christus selbst, einsortiert werden sollte. Man kann hinter den hagiographischen Bemühungen sogar noch mehr wittern: In einer Zeit, in der stets der Abfall zu einer der zahlrei­ chen Häresien zu befürchten war, machten der Auftrag Christi und seine Erfüllung durch Franz deutlich, dass dieser von Anfang an in Einklang mit der Kirche wirkte, nicht gegen sie – genau dies zu zeigen, war eines der wichtigsten Anliegen Celanos und anderer. So spricht viel dafür, dass die Erzählung vom Kruzifix so, wie sie überliefert ist, eine Erfindung darstellt. Die Gratwanderung, auf die man sich begibt, wenn man ein ent­ sprechendes äußeres Ereignis für unwahrscheinlich hält, ist freilich heikel, denn allzu schnell verbindet sich eine solche Destruktion mit dem Gestus der modernen Menschen, denen solche Wunder ohne­ hin suspekt erscheinen. Eben deswegen lohnt es sich, dabei zu ver­ weilen, was dieses Wunder eigentlich für die Zeitgenossen besagte 70

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

und wie es sich mit der Biographie des Franz verbindet. Belegt man heute, dass eine Episode erfunden wurde, bleibt doch zugleich beste­ hen, dass die entsprechende Erzählung für die Zeitgenossen selbst­ verständlich plausibel war. Schließlich hätte die Erfindung ja keinen Sinn, wenn die ersten Leser sie gleich als unglaubwürdig beiseitege­ legt hätten. Das gilt nicht nur für diese Erzählung, sondern auch für Krankenheilungen und andere Wundertaten: Für die frühen Anhän­ ger des Franz waren all diese Geschehnisse wirklich, und sie konn­ ten wirklich sein, weil sie in das vormoderne Wirklichkeitsverständ­ nis hineinpassten. Sie einfach weg- oder umzudefinieren hilft dem Verständnis einer historischen Persönlichkeit gerade nicht, sondern presst diese in das Raster des eigenen Wirklichkeitsverständnisses. In einem direkten Sinne also wird man die Erzählung vom Kruzifix von San Damiano nicht einfach als Teil einer chronologisch greifbaren Erzählung äußerer Abläufe im Leben des Franziskus ansehen kön­ nen – und doch ist sie gerade für die Chronologie von großer Bedeu­ tung. Der Ruf Christi und die folgenden Ereignisse des Bruchs mit dem Vater gelten biographisch als Beginn der Lebenswende des Franz  – und da Thomas von Celano seinen Tod recht genau datiert, nämlich auf den 3. Oktober 1226,167 und zugleich erklärt, dies sei zwanzig Jahre, nachdem er begonnen hatte, Christus anzuhangen und das Leben der Apostel zu führen, erfolgt,168 müssen die Geschehnisse, um die es hier geht, wohl 1206 stattgefunden haben.169 Mehr an Zahlen gewinnt man aus ihnen allerdings nicht – aber Jahreszahlen allein machen eine Biographie nicht aus, und vor allem ist eine Biographie mehr als eine Aneinanderreihung äußerer Geschehnisse. So fraglich der Dialog mit dem Kruzifix in historischer Perspektive ist – die Erzählung vom Kreuz von San Damiano ist nicht einfach eine Erfindung. Sie hilft vielmehr in ihrem spirituellen Kern dazu, mehr von Franz zu verstehen. Es ist nicht nur nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern vielmehr geradezu wahr­ scheinlich, dass Franz im Angesicht des Kreuzes von San Damiano Erfahrungen der Gegenwart Christi machte: vielleicht nicht in dem Moment, an dem die drei Gefährten und andere Erzähler dies haben wollen, aber bei anderer Gelegenheit. Franz bewegte sich in einer Welt von Repräsentationen Gottes und der Heiligkeit, in welcher nicht al­ lein die sakramentalen Vollzüge der Kirche Christus vergegenwärtigen konnten, sondern es vielfältige Berührungen mit Gott selbst gab. Ein 71

1. Kapitel: Bruch

Bild war nicht einfach das Gemälde eines Künstlers, sondern es war, so hat es Hans Belting umfassend geschildert, Teil der kultischen Voll­ züge der Glaubenden,170 Medium zwischen Gott und den Menschen, Vergegenwärtigungsort, Subjekt frommer Vollzüge. In einer Gesell­ schaft, in der Heiligenbilder selbst Akteure des Kultes waren, konnte ein Kruzifix auch sprechen und dabei gar die Lippen bewegen.171 Das hatte weder mit überspannter Phantasie zu tun noch mit frommem Betrug, es war Teil einer vom Göttlichen angefüllten Welt  – und zu Franz’ religiösem Lernprozess mag gehören, dass er genau dies in zu­ nehmender Intensität erfuhr und wahrnahm. Das Bildnis eröffnete als Abbild des Dargestellten den Zugang zu diesem selbst. So hat denn die Erzählung vom redenden Kruzifix durchaus ihren Ort in der Lebens­ welt des Franz von Assisi – auch wenn die nächste Ernüchterung folgt: Relativ späte Handschriften überliefern ein Gebet, das Franz vor dem Kruzifix von San Damiano gesprochen haben soll, als er den Auftrag Christi erhielt.172 Es ist in lateinischer wie italienischer Sprache über­ liefert und lautet: „Höchster, herrlicher Gott, erleuchte die Finsternisse meines Herzens und gib mir rechten Glauben, gewisse Hoffnung und vollkommene Liebe, Sinn und Erkenntnis, Herr, dass ich deinen heiligen und wahren Willen tue“.173 Leider ist die Zuordnung dieses Gebetes hinsichtlich Ort und Zeit viel zu unsicher, um es als Zeugnis für Franz’ Verhältnis zum Kreuz von San Damiano auszuwerten  – gelegentlich wird sogar daran gezwei­ felt, ob man es auf Franz selbst zurückführen kann.174 Auch dieses Gebet führt uns also nicht näher an Franz’ Verhältnis zu dem Kruzifix heran. Gleichwohl ist es nicht auszuschließen, dass Franziskus die Begegnung mit dem Abbild Christi auch als Begegnung mit diesem selbst erfahren und daraus Hinweise auf seine Lebensführung und die Notwendigkeit der Umkehr entnommen hat. Diese Plausibilität reicht indes nicht, um die nächsten Schritte des Franz in der Weise, wie es die frühen Biographen wollen, auf die klärende Anweisung Christi zurückzuführen. Sein Lebensweg erfuhr erst nach und nach und auf überraschend andere Weise Klärung. Historisch wird man rund um die Geschehnisse in San Damiano wohl auf nicht mehr sto­ 72

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

ßen als darauf, dass einer der Wege, die Franz als Alternative zu den vorgegebenen Lebensmustern ausprobierte, ihn auch in die Kirche von San Damiano führte und dass er hier eine hohe Spende hinter­ legen wollte, dieses Vorhaben aber wohl am Misstrauen des Priesters scheiterte – weswegen er das Geld schlicht fortwarf. Aus den Berich­ ten dringt durch, dass es sich hierbei möglicherweise um den gesam­ ten Tagesverdienst aus einem beträchtlichen Geschäft handelte, ja dass Franz vielleicht sogar noch sein Pferd dafür drangegeben hat. Es bedarf keiner zu großen Phantasie, sich auszumalen, dass Franz recht bald gedämmert haben dürfte, dass seine spontane Geste, ge­ rade weil sie über das übliche Maß religiösen Engagements hinaus­ ging, ihm bei seinem Vater keinen Beifall einbringen würde. Mögli­ cherweise war das Geschehen in San Damiano deswegen tatsächlich ein Wendepunkt, weil mit ihm das bisherige Versteckspiel von Franz an sein unweigerliches Ende gekommen war: Anders als bei einer Kopfbedeckung, einem Gürtel oder einem Hemd ließ sich der Ver­ lust dieses Betrages kaum mehr verheimlichen. So mag die beschrie­ bene Furcht des Priesters auch ein Spiegel von Franz’ eigener Angst vor dem Vater gewesen sein  – oder ihn vielleicht überhaupt erst an die Realität erinnert haben, die darin bestand, dass er eben im Begriff war, einen ansehnlichen Teil des Geschäftsgewinns, der seinem Vater zustand, zu verschenken, und das hieß in den Augen des Vaters wohl mehr als offenkundig: zu vergeuden. Stellt man diesen Hintergrund in Rechnung, so wird man auch Franziskus’ Gesuch, beim Priester wohnen zu dürfen, nicht als bewusst geplante Lebenswende hin zu einem asketischen Leben im Horizont der Kirche verstehen dürfen – manches spricht dafür, dass Franz schlicht ein Versteck suchte, weil er Schlimmes vonseiten des Vaters erahnte. Davon ist jedenfalls ab dem Moment die Rede, an dem Franz zu Ohren kam, dass sein Vater ihn verfolgte. Er hat sich nun offenbar in einer Höhle verborgen,175 die nach Celanos Bericht auf dem Gelände von San Damiano lag.176 Dazu passen freilich andere Berichte nicht, nach denen das Versteck so ab­ gelegen war, dass nur eine Person davon wusste, und zwar nicht, wie man bei einem Versteck in San Damiano vermuten müsste, der Pries­ ter von San Damiano, sondern ein Angehöriger des Vaterhauses,177 wohl ein Bediensteter, dem Franz besonders ans Herz gewachsen war. 73

1. Kapitel: Bruch

Am Rande der Gesellschaft

Vielleicht also war diese Höhle gleich nach der Begegnung mit dem Priester seine Behausung, mit großer Sicherheit wurde nun der Kon­ flikt mit dem Vater bestimmend – und wohl zum letzten Auslöser für Franz, den eher spontan, ja fast versehentlich vollzogenen Bruch mit dem Vater öffentlich zu zelebrieren. Man kann die Auseinanderset­ zung mit dem Vater tatsächlich als eine erste Klärung verstehen, die die bisherige Diskrepanzerfahrung zum bürgerlichen Lebensstil, mit der Franz wohl seit dem Herbst 1203, also gut drei Jahre, gerungen hatte, durch eine klare Entscheidung gegen die Bürgerlichkeit auflöste. So steht am Anfang des Lebensweges des Heiligen aus Umbrien ein mas­ siv zugespitzter Generationenkonflikt, ein Ausbruch aus den Schran­ ken des bisherigen Lebens – und noch kein Aufbruch zu einem neuen Leben. Dass das nicht ganz unproblematisch ist, haben die Biographen wohl geahnt, und die Vorschaltung der Erzählung vom sprechenden Kruzifix stellt den intensivsten Ausdruck einer Korrektur dieses Le­ bensmusters dar, das eher nach einem Konflikt mit verspätet pubertä­ ren Zügen aussieht als nach einer Entscheidung für Christus oder gar einem Hören auf dessen Ruf. In den Schilderungen der Biographen kommt naheliegenderweise der Vater nicht gut weg: Er erscheint als brutaler Verfolger seines Soh­ nes. Betrachtet man das Szenario, so wird man vielleicht etwas mehr Verständnis für ihn aufbringen können. Der Betrag, den sein Sohn achtlos in eine Fensternische geworfen hatte, war wie erwähnt wohl nicht gering, der Sohn musste in den Augen des Vaters als ein Tunicht­ gut erscheinen, dem der Vater nach seinen eigenen Maßstäben alles Gute hatte angedeihen lassen, der sich aber nicht in der Lage zeigte, den damit verbundenen Forderungen gerecht zu werden. Vielleicht war es sogar der Vater selbst, der durch einen Geldbetrag den Sohn 1203 aus der Gefangenschaft von Perugia gelöst hatte. Selbst wenn dem nicht so sein sollte, wird man in Pietro Bernardone zunächst ein­ mal einen klassischen Vertreter des Kaufmannsstandes sehen dürfen, der offenbar begonnen hatte, seinen ältesten Sohn für das erfolgreich laufende Geschäft anzulernen. Die hinter den geschilderten Szenen stehenden Alltagsvollzüge lassen einen jungen Mann erkennen, der im Geschäft hinter dem Tresen stand und der auch kleine Handelsreisen tätigte, wenngleich wohl noch nicht die weiten Touren, die der Vater 74

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

unternahm, der aber das Geld nicht zusammenhielt. Ob dem Vater die eigenartigen Geldverluste schon aufgefallen waren, die aus Franz’ überreicher Bereitschaft, Almosen zu spenden, resultierten, lassen die Berichte nicht erkennen. Nun war jedenfalls offenkundig der Punkt er­ reicht, an dem sich nichts mehr verbergen ließ – worauf Franz mit der alles andere als vernünftigen Maßnahme reagiert hatte, sich selbst zu verbergen. Wiederum drängt sich die Assoziation an pubertierende oder noch jüngere Kinder auf, die, konfrontiert mit den Folgen ih­ res Tuns, ein Fluchtverhalten wählen, das die Dinge im Allgemeinen schlimmer und nicht besser macht. So auch im Falle der Familie Bernardone.178 Natürlich suchte der Vater nach seinem Sohn, der, so musste es ihm erscheinen, von einer Handelsreise nicht heimgekehrt war. Dass die Vermutung, er sei unter die Räuber gefallen, nahelag, wird nicht erzählt, ist jedoch, vollzieht man die Vorgänge mit ebenjener Empathie für den Vater nach, die den frühen Biographen ganz bewusst fehlt und fehlen muss, mehr als offenkundig. So ist auch sein Erstaunen und Entsetzen, als er hörte, dass Franz sich in San Damiano aufhielt,179 nicht, wie der Erzählduk­ tus bei Celano und anderen suggerieren soll, auf eine Ablehnung der damit angedeuteten Wendung zu einem asketischen christlichen Le­ ben zurückzuführen, wie sie sich später etwa in der Ablehnung der Konversion zur Ordensfrau bei Klaras Familie zeigen sollte.180 Wenn die vorgetragenen Überlegungen stimmen, war Franz ja nicht einmal in der Kirche untergeschlüpft, und wenn doch, so dürfte kaum dieser Umstand allein den Vater verärgert haben, sondern der unerklärliche Verlust des Geldes. Das zeigt sich schon allein daran, dass Geld und Besitz den weiteren Konflikt zwischen Vater und Sohn bestimmten. In der hagiographischen Zuspitzung bei Johannes von Perugia be­ deutete dies, der Vater habe seinen Sohn bloß dem Fleische nach geliebt („carnaliter“)181  – was eine moralisch wertende Zuspitzung ebenjener in der Tat äußerlich-fleischlichen Konfliktlage darstellt. Die drei ­Gefährten halten die Erinnerung an die tiefe väterliche Liebe jedenfalls ohne einen solchen Zusatz fest182 – und es gibt auch für die heutige Rückschau keinen Grund, die Aufrichtigkeit und im besten Sinne Normalität der Liebe Pietro Bernardones für seinen Sohn in Zweifel zu ziehen: eine Liebe, die durch den Sohn einigen Prüfungen ausgesetzt war und, wie auch die Gefährten erkennen lassen, die­ 75

1. Kapitel: Bruch

sen Prüfungen nicht standhielt, sondern später in offenen Hass um­ schlug.183 Der Vater ist jedenfalls nun offenbar aufgebrochen, Franz aus San Damiano zu holen, aber die Biographen sind sich einig, dass dieser so gut versteckt war, dass sein Vater ihn nicht fand. Es fehlt also die dramatische Zuspitzung, dass Franz in seinem Versteck aufgestöbert wurde. Vielmehr ist Franz wohl irgendwann  – anscheinend nach ei­ nem Monat184  – selbst aus dem Versteck herausgekommen. Sein Zu­ stand nach diesen vier Wochen muss einigermaßen dramatisch, an der Grenze zum Ekelerregenden gewesen sein – Celano deutet dies an, wenn er erklärt, Franz habe es in der Zeit seines Verstecks „kaum ge­ wagt, um menschlicher Notdurft willen hinauszugehen“.185 Gewisser­ maßen rund um die Uhr befand Franz sich demnach in einem engen Raum, ohne Kontakt mit anderen Menschen, ohne Luft zu schnappen, ohne sich zu reinigen. Einer der reichen Söhne der Stadt verwandelte sich so mehr und mehr in eine verdreckte und zerlumpte Gestalt: Was in Rom noch ein Testlauf gewesen war, wurde nun zu einer Realität. Franz wurde, noch ehe er die Armutsexistenz religiös deutete, zum Bettler, freilich zu einem Bettler, der rein rechtlich noch als Sohn und künftiger Erbe seines Vaters über Reichtümer verfügte und eben erst einen großen Geldbetrag von sich geworfen hatte. Wie tief dieser Wandel reichte, zeigt die Reaktion der Bürger von As­ sisi: Als er sein freiwilliges Gefängnis verlassen hatte, wurde er rundum verspottet. Die Heiligenviten tauchen auch dies in ein Licht der Lei­ tung durch Christus und der Abwehr durch die sündige Welt. Im Gebet fühlte er sich, so berichten es Celano und andere, plötzlich von Freude ergriffen und verließ sein Versteck.186 Das Wirken Christi erscheint hier weniger handfest und weniger explizit als bei der Erzählung vom spre­ chenden Kruzifix, und es ist nicht schwer, sich die Erfahrung vorzustel­ len, zu der Franz nach Wochen der Ungewissheit durchdrang. Er verlor offenbar, so beschreibt es Celano auch, die Furcht vor denen, die ihn verfolgten. Und diese Zuversicht überkam ihn in ebenjener Spontanei­ tät, die ihn schon zuvor geprägt hatte. Er verließ also das Versteck: Der verlorene Sohn wurde wieder sichtbar, aber auf welche Weise! Tatsäch­ lich glich seine Veränderung jenem Wandel, den in Lk 15 das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt, der sich sein Erbe hatte auszahlen las­ sen, es verprasst hatte und nun armselig heimkehrte. Die Franz-Viten 76

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

ziehen diese Parallele nicht, doch drängt sie sich auf, freilich mit der interessanten Pointe, dass Franz nicht wie jener verlorene Sohn demü­ tig zu seinem Vater heimkehrte, sondern endgültig mit ihm brach. Das war bei seinen ersten tastenden Schritten unter freiem Himmel für die Bürger von Assisi noch nicht sichtbar. Sie sahen nur den Wandel, der sich an Franz vollzogen hatte: Fortgeritten war er als reicher Handels­ mann in kostbaren Gewändern, aus dem Versteck kam eine verdreckte Gestalt, noch dazu, so berichtet es Celano, gänzlich abgemagert,187 was nach der Zeit in der erbärmlichen Behausung nicht weiter verwundern kann. Vier Wochen waren vergangen und hatten seine äußere Gestalt grundlegend geändert, zumal in einer Gesellschaft, die gewohnt war, sozialen Status auch in Kleidung auszudrücken. Ohne erkennbare Not hatte er aufgegeben, was seinen Stand und seinen Stolz ausmachte. So sahen ihn die Mitbewohner der Stadt, noch dazu mit der Geschichte im Ohr, dass er viel Geld verschleudert hatte, von dessen Verbleib man nichts wusste, das aber offenkundig nicht Räubern in die Hände gefal­ len war. Franz hatte nun erreicht, was er die ganze Zeit versucht hatte: Er hatte jeglichen bürgerlichen Habitus abgestreift. Der Wechsel war freilich nicht nach oben, in das Rittertum erfolgt, wie er es einmal an­ gestrebt hatte, sondern nach unten, ja hinaus aus der Gesellschaft. Er war nun einer von denen, denen er sich ohnehin schon die ganze Zeit zugewandt hatte, ein Outcast jenseits aller Normen der städtischen Gesellschaft. Und deren Angehörige bestätigten ihm noch einmal, wie unge­ wöhnlich seine Zuwendung zu den Menschen am Rande und jenseits der Ränder der Gesellschaft gewesen war. Denn der verlorene Sohn wurde nicht aufgenommen, sondern seine selbst gewählte Ausgren­ zung wurde bestätigt: „Wie man ihn so sah, begannen alle, die ihn kannten und seine Anfänge mit dem Ausgang verglichen, ihn mit Vorwürfen anzuklagen. Sie nannten ihn wahnsinnig und verrückt und war­ fen den Dreck aus den Gassen und Steine nach ihm“.188 Die Qualifikation als „wahnsinnig“, die schon einmal im Zusammen­ hang seiner Gefangenschaft in Perugia begegnete,189 lässt etwas von der Gratwanderung erahnen, die Franz vollzog. Wer freiwillig an allen Nor­ 77

1. Kapitel: Bruch

men seiner Herkunft rüttelte, drohte seinen Halt zu verlieren,190 und dies umso mehr, als eine klare, positive Sendung zu diesem Zeitpunkt jedenfalls für seine Mitbürger noch nicht zu erkennen war – wenn die bisherigen Überlegungen stimmen, auch nicht für ihn selbst. Der Aus­ steiger und Outcast hatte in der Gesellschaft keinen Platz, hatte die Normalität so weit verlassen, dass man darin nur mehr Wahnsinn ent­ decken konnte. Dieses Urteil bot zwar nicht wirklich eine Erklärung, aber wenigstens etwas wie einen Ort, eine Einordnungsmöglichkeit: Als definiertes Gegenbild zur Normalität konnte der existenzielle Pro­ test gegen die Normen, den Franz nun endgültig vollzog, zumindest eingeordnet werden. Wenn es denn eines Beleges dafür bedürfte, dass die Fragmente eines Lebens sehr unterschiedlich zusammengesetzt werden können, so bieten die Biographen ihn hier selbst: Nimmt man das geschilderte Verhalten von Franz zusammen, so kann es sich um Versatzstücke einer Heiligenbiographie handeln, als welche es geschil­ dert wird, doch ebenso gut könnte man die pathologische Geschichte eines entwurzelten jungen Mannes erzählen, der, zu exaltiertem Ver­ halten neigend, verzweifelt, aber vergeblich versuchte, seine Herkunft abzuschütteln. Gärungsphasen wie der, die er durchmachte, ist es ei­ gen, dass sie ergebnisoffen sind. Niemand wusste, wie dieser Lebens­ weg ausgehen würde, der in der schreckenerregenden Existenz auf der Rückkehr nach Assisi seinen vorläufigen Höhepunkt erlebte, welcher zugleich ein schmählicher Tiefpunkt war. Natürlich erregte dieser eigenartige Einzug in Assisi Aufsehen. Und natürlich hörte der Vater davon und ergriff seinen Sohn.191 Wieder ist es für die Biographen offenkundig, dass sein Vorhaben nur schlimm sein kann: Wie ein Wolf auf ein Schaf, so hat er sich auf seinen Sohn gestürzt, hören wir – und dieses Bild ist so verdichtet, dass die drei Ge­ fährten es gerne von Celano übernehmen.192 Er steckte den Sohn, der eben erst aus seinem dunklen Versteck gekommen war, wiederum an einen dunklen Ort und versuchte ihn durch Schläge und Fesseln ge­ fügig zu machen.193 An moderner Pädagogik, gar modernem Umgang mit einem Kranken, für den Franz ja von vielen gehalten wurde, darf man dieses Verhalten nicht messen, von dem der Vater wohl meinte, es sei angemessen für den Sohn. Man kann sogar so weit gehen zu sa­ gen, dass die Schläge, die er seinem Sohn angedeihen ließ, noch ein Ausdruck dessen sind, dass er ihn nicht ganz aufgegeben hatte: Franz 78

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

war in seinen Augen nicht einfach an den Wahnsinn verloren, sondern es bestand, so dürfte der Vater gemeint haben, noch die Möglichkeit, ihn zurück in die bürgerliche Existenz zu holen, ihm durch Schläge das an Erziehung zu geben, was zuvor versäumt worden war. Dass Schläge kein Mittel der Erziehung sind, ist auch den Menschen der Moderne noch gar nicht so lange bewusst  – einem Kaufmann im Florenz des 13.  Jahrhunderts wird man unterstellen dürfen, dass er noch meinte, Schläge seien für den, dem sie galten, etwas Förderliches.  Statt vor dem Wüten des unverständigen Vaters zu erschrecken  – so sehr dies ein Teil der Wahrheit ist –, kann man auch versuchen, einen Vater dabei zu beobachten, wie er in Verzweiflung alles daransetzte, seinen Sohn für eine bürgerliche Existenz zu retten. Das gilt umso mehr, als die seit Celano feste Annahme, Franz habe mit dem Aufbegehren gegen den Vater schon zu diesem Zeitpunkt ein festes Vorhaben verfolgt, ja dies habe sich durch das Vorgehen des Vaters noch weiter verfestigt,194 nach allen bisherigen Überlegungen als der Versuch zu sehen ist, den Weg in die Heiligkeit möglichst früh und möglichst klar festzumachen. Fällt dies fort, so ging es dem Vater eben nicht darum, wie die Biographen suggerieren, Franz vom Weg in ein asketisches Ordensleben abzuhal­ ten, sondern ihn auf dem vorgegebenen Weg in Richtung Wohlstand und Ansehen zu halten, zu dem selbst Franz wohl noch keine klare Alternative wusste. Auf die Rebellion des Sohnes antwortete der Vater mit Unterdrückung: ein Spiel von Macht und Gegenmacht zwischen Vater und Sohn  – und in dem allen doch wohl auch, selbst wenn die Biographen dies immer wieder zu verstecken versuchen: ein Kampf um Liebe und ihren Verlust. Freilich auch: ein Kampf um Geld.

Prozess vor dem Bischof

Und das Geld hilft tatsächlich, die Situation zu erhellen – weil sich an ihm besonders deutlich zeigen lässt, wie sich Celano mit seinem Be­ mühen, Franz schon früh ein religiöses Vorhaben zu unterstellen, in Widersprüche verwickelt. Bekanntlich hatte Franz das Geld verächt­ lich in eine Fensternische geschleudert. Nun aber berichtet Celano, schon in der ersten Vita, mit einem Mal, Franz habe vorgehabt, es für Arme und den Kirchenbau zu verwenden195 – die spontane Handlung des Franz gewinnt so von ihren Wirkungen her Sinn und Absicht. Ein 79

1. Kapitel: Bruch

Versuch, Franz aus heutiger Sicht erzählend zu verstehen, wird dem nicht einfach folgen können, sondern wohl dabei bleiben müssen, in Franz’ Verhalten in dieser Lebensphase gerade die Absichts- und Ziel­ losigkeit zu registrieren. Allerdings dürfte die Erwähnung einer Ziel­ bestimmung des Geldes auch auf den Umstand hinweisen, dass Franz wieder an die fortgeworfenen Münzen gekommen ist – sonst hätte er ja gar nicht über ihre Verwendung nachdenken können. Die Möglichkeit hierzu hat ihm, so scheint es, die Mutter ver­ schafft196: Sie hat während einer Abwesenheit des Vaters noch einmal mit Franz gesprochen  – wenn die Berichte stimmen, wohl im ver­ geblichen Versuch einer Vermittlung in dem Generationenkonflikt, der zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn mit auf beiden Seiten unerbittlicher Härte ausgetragen wurde. Angesichts der Aussichts­ losigkeit dieses Unterfangens ließ sie dann den Sohn frei. Ob dies nur daran lag, dass, wie es heißt, ihre „mütterlichen Eingeweide um seinetwillen bewegt wurden“,197 oder nicht die Freilassung genau das Ziel hatte, dass Franz das Geld für den Vater wiederbeschaffte, um es ihm zurückzuerstatten und ihn so zu versöhnen, wird man dahinge­ stellt sein lassen. Jedenfalls würde dies recht gut dazu passen, dass Franz sofort nach San Damiano eilte, aber eben auch binnen Kurzem wieder zurückkam, laut Celano, weil der Vater zurückgekehrt war und durch Assisi tobte. Dass Pietro Bernardone dabei gedroht haben soll, dafür zu sorgen, dass der Sohn aus dem Herrschaftsgebiet von Assisi vertrieben werde,198 bildet wohl den Hintergrund für den sich nun anschließenden Prozess, den die drei Gefährten199 präziser be­ schreiben als Celano. Der Vater verklagte seinen Sohn zunächst – passend zu dem Wunsch einer Vertreibung – vor den Konsuln der Stadt, also den Stadtregenten, die seit dem Jahre 1198 aufgrund jährlicher Wahl durch die Volksver­ sammlung die Exekutive und Judikative der Stadt bestimmten.200 Die Einrichtung dieses Amtes war Teil jener Verlagerung hin zu bürgerli­ chen Normen, die die Stadt unabhängig von adeliger Vorherrschaft machen sollten. Franz war aber nicht bereit, der Vorladung durch die Konsuln zu folgen, weil er, so erklärte er, „durch Gottes Gnade schon frei gemacht worden“ sei.201 Das könnte, auch wenn es kein wörtliches Zitat sein dürfte, recht gut sein Lebensgefühl in dieser Lebensphase wiedergeben: Er hatte nun den Mut gefunden, den Konflikt mit seinem 80

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

Vater auszutragen und, wie sich bald zeigen würde, ganz auf alle bür­ gerlichen Bindungen zu verzichten. In diesem Sinne war er tatsächlich frei geworden, frei von allem, das ihm bisher Beschwer gemacht und ihn durch jene Diskrepanzerfahrungen hindurch fast zerrissen hatte. Das Nein zur elterlichen Existenz jedenfalls war jetzt klar, und schon das stellt eine Befreiung dar. Die Konsuln mussten diese zutiefst spiri­ tuell-theologische Aussage in eine rechtliche Form gießen und inter­ pretierten sie so, als sei Franz durch seinen Aufenthalt in San Damiano in den geistlichen Stand übergetreten.202 Sie vereindeutigten damit eine eigentlich noch unklare Situation juristisch und hatten auf diese Weise vielleicht zumindest Anteil daran, dass für Franz das Nein nicht allein stehen bleiben musste, sondern mit einer neuen positiven For­ mung einhergehen konnte: Die Kirche bot ja in ihren Orden durchaus Platz für Menschen, die in der bürgerlichen Welt nicht leben konnten oder wollten. Dieser Vereindeutigungsprozess gewann dann sehr konkrete Ge­ stalt in Guido I., dem Bischof von Assisi.203 Die Logik des Geschehens ist dabei rechtlich wie auch sozial klar: Rechtlich hatten die Konsuln, indem sie sich wegen seiner Zugehörigkeit zum geistlichen Stand für unzuständig für Franz erklärten, den Weg zur geistlichen Gerichtsbar­ keit geöffnet. Dieser stand Guido vor. Indem Franz sich bereitwillig auf diesen geänderten rechtlichen Rahmen einließ, den offenkundig auch sein Vater akzeptierte und wohl akzeptieren musste, wurde zur obers­ ten Instanz statt der bürgerlichen Konsuln ein adeliger Vertreter der alten Herrschaftseliten bestimmt,204 bei dem jedenfalls nicht mit Sym­ pathien für Pietro Bernardone und dessen bürgerlich-kaufmännischen Habitus zu rechnen ist. Den Konflikt zwischen Vater und Sohn löste er gleichwohl, wenn dem Bericht der Gefährten zu trauen ist, auf eine geradezu salomonische Weise: Dem Vater gab er insoweit Recht, als er Franz aufforderte, ihm das Geld zurückzugeben, das er so verächt­ lich behandelt hatte. Dem Sohn aber gab er darin Recht, dass er ihm in genau dieser Verachtung zustimmte und die Rückgabe damit begrün­ dete, dass es vielleicht auf unrechte Weise erworben sei und daher gar nicht zu einem gottgemäßen Zweck verwendet werden dürfe und sol­ le.205 Rechtlich also blieb er aufseiten des Besitzes, religiös-moralisch dagegen schlug er sich auf die Seite des jungen Rebellen – und vermit­ telte ihm den Eindruck, dass er mit seinem Protest gegen den Reich­ 81

1. Kapitel: Bruch

tum nicht alleinstand, sondern seinen Platz in der Gemeinschaft der Kirche hatte. Dieser Eindruck ist aus heutiger Rückschau irritierend: Natürlich war die Kirche der Zeit keineswegs arm, schon lange gab es Proteste gegen ihren Reichtum (s. u. 208–210). Und Guido selbst hatte an den Macht- und Ränkespielen der Kirche seiner Zeit Anteil.206 Längst gab es einen Zwiespalt zwischen der ideellen Orientierung an Armut und dem faktischen Wohlstand der Kirche, und selbst die Orden, die eine Nische für tatsächlich armes Leben in der Kirche bieten sollten, hatten vielfach die Annehmlichkeiten von Geld und Besitz für sich entdeckt. Nun aber trat in den Augen von Franz Guido  nicht nur als erfolgrei­ cher Vermittler auf, sondern als Beschützer seines Kampfes gegen den Reichtum, ein Beschützer, der ihm das Gefühl gab, die empfun­ dene Freiheit auch leben und den Konflikt mit dem Vater, der ihm den Berichten nach im wahrsten Sinn des Wortes Fesseln angelegt hatte, hinter sich lassen zu können. Diese Erfahrung der Fürsorge und des Schutzes durch den mächtigen Bischof einer reichen Kirche wurde für seine mentale Welt fundamental. Letztlich erklärt das so begründete Vertrauen in die Amtsträger der Kirche auch das Rätsel seiner Biogra­ phie, dass der arme kleine Franz ausgerechnet mit dem machthung­ rigen Weltenherrscher Innozenz  III. eine Verbindung eingehen sollte (s. u. 199–207). Eben nicht ausgerechnet: Für ihn war dies die konse­ quente Fortsetzung der früh gemachten Erfahrung, dass die Kirche in ihren Amtsvertretern auf seiner Seite stand. Man kann es im Nachhin­ ein mindestens als zwiespältig ansehen, dass Franz den Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft mit scharfen Worten anzuklagen wusste, Reichtum und Macht der Kirche aber hinnahm. Genau solche Span­ nungen machen indes das Leben eines Menschen aus. Wer die Frag­ mente dieses Lebens nicht wie die ersten Biographen zu einer glat­ ten Heiligenvita zusammensetzen will, sollte auch nicht umgekehrt ebenso glatt aus Franz einen Rebellen gegen kirchliche Strukturen ma­ chen. Das war er nicht. Und er wollte es nicht sein. Frei wollte er sein. Frei von den Zwängen des Reichtums aus elterli­ chem Haus. So folgte auf die Vermittlung durch den Bischof, die viel­ leicht gar nicht einmal die Gestalt eines echten Prozesses angenom­ men hatte, eine, vielleicht die Schlüsselszene seines Lebens: Er gab dem Vater nicht allein das Geld zurück, sondern legte alle seine Kleider 82

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

ab. Da war er wieder, der spontane Franz der vergangenen Jahre, und in dieses Muster passt die Erzählung Celanos über das Folgende nur zu gut. Franz entkleidete sich wohl tatsächlich öffentlich, sei es noch vor der Gerichtsversammlung oder auch nur vor Vater und Bischof.207 Er zog sich wohl nicht, wie es die Gefährten beschreiben, in eine Kammer des Bischofspalastes zurück, um dort ordentlich Kleider und Geld ab­ zulegen und dann nicht ganz nackt, sondern immerhin mit einem Bü­ ßergewand bekleidet herauszukommen.208 Die Scham, die die Gefähr­ ten hier in ihrer Beschreibung an den Tag legen, hatte Franz, der erst vor wenigen Wochen verdreckt und zerlumpt durch die Stadt gelaufen war, längst hinter sich. Er konnte nackt vor die Welt und ihre Vertreter treten. So war er von allem gelöst – und übergab sich selbst dem Vater im Himmel: „Bislang habe ich Pietro Bernardone meinen Vater genannt, aber weil ich mir vorgenommen habe, Gott zu dienen, gebe ich ihm das Geld zurück, dessentwegen er so aufgeregt war, und alle Kleider, die ich aus seinem Eigentum habe, und will von nun an sagen: ‚Vater unser, der du bist im Himmel‘ und nicht: Vater Pietro Bernardone“.209 Nur eines lässt an dieser Aussage spätere Überformung erkennen: der Hinweis auf das Vorhaben, Gott zu dienen, den die biographischen Erzählungen nicht müde werden in diese Lebensphase hineinzuproji­ zieren, obwohl ein solches Vorhaben wohl auch jetzt noch keineswegs klar konturiert war. Gerade der Hinweis auf das Vaterunser führt in einen anderen Kontext: Jesu Worte in der Bergpredigt, dass Vögel und Pflanzen sich nicht um ihren Unterhalt sorgen und der himmlische Vater sich doch um sie kümmert (Mt 6,25–34). Genau in diesem Sinne hatte der Bischof zuvor Franz ermuntert, das väterliche Geld sorglos zurückzugeben, da ihm Gott selbst alles Notwendige geben werde210: Noch war nur die Absage an den Vater eindeutig. Nicht einmal die ge­ läufige, bei Celano angelegte211 Deutung, dass Franz mit diesem Akt begonnen habe, als Nackter dem Nackten zu folgen,212 will hierzu so recht passen, setzt sie doch schon eine Klärung im Sinne der Nach­ folge Jesu voraus. Auf ganz andere Weise dürfte die Szene das Gefühl in Franz vertieft haben, in der Kirche und ihrem Bischof den Schutzraum 83

1. Kapitel: Bruch

für sein weiteres Leben gefunden zu haben: Der Bischof barg ihn in sei­ nem Mantel213 und machte so symbolisch deutlich, dass das, was in der bürgerlichen Welt schambesetzt war, in der Kirche seinen Platz hatte. Das Ganze ist ein typisches Beispiel der „symbolischen Kommuni­ kation“ im Mittelalter, die Gerd Althoff eindringlich analysiert hat.214 Man musste, um sich zu verständigen, auch um Rechtsverhältnisse auszudrücken, nicht unbedingt nur sprechen und deuten, sondern bestimmte Akte konnten Wirklichkeit inszenieren und schaffen. Gele­ gentlich spricht man auch, um dies zu unterstreichen, von der „Perfor­ manz“ als Mittel der Verständigung im Mittelalter215: Etwas wird nicht erläutert, sondern gezeigt. Viele der bislang beschriebenen Schritte und der noch folgenden im Leben des Franz sind solche performativen Akte. Traditioneller würde man wohl von „Zeichenhandlungen“ spre­ chen, wie sie schon die alttestamentlichen Propheten ausgeübt haben. Ihrem Vorbild folgte Franz darin, seine Auffassungen bewusst oder unbewusst regelrecht zu inszenieren – es sei nur daran erinnert, wie er Assisi als reicher Kaufmannssohn verließ und ärmlich und ungepflegt Wochen später zurückkehrte. Da musste man über seinen Statuswech­ sel nicht mehr lange nachdenken, man sah ihn. Den Höhepunkt dieser performativen Akte bildete dann die Entkleidung vor dem Bischof und der demonstrativ von diesem gewährte Schutz. Franz hatte so Gewissheit gewonnen, und doch war noch nicht alles geklärt. Gegen alle Versuche, schon in der Begegnung mit dem Kruzifix oder der Szene vor dem Bischof eine Klärung zu finden, spricht, dass Franz anscheinend noch nach dem Bruch mit dem Vater seine Ausstei­ gerexistenz fortsetzte und ganz offenkundig weiter auf der Suche nach passenden Lebensformen war. So jedenfalls berichtet es noch Celano in der ersten Vita und auch Bonaventura in der Legenda maior216, wäh­ rend bei den drei Gefährten und in der zweiten Vita schon unmittelbar nach der Trennung vom Vater das Bemühen um die Wiedererrichtung von Kirchen folgt.217 Dagegen aber steht mit all seinem Gewicht der früheste Bericht Celanos218: Hier erleben wir einen Franz, der nach der öffentlichen Entkleidung219 tatsächlich keine neuen Gewänder erhal­ ten hat, sondern „nur mit schmalen Gurten umschlungen“220 durch die Gegend streunte. Unter hagiographischen Gesichtspunkten ist dabei jene Geschichte besonders beachtlich, wie er unter die Räuber fiel und sich ihnen als „Herold des großen Königs“ vorstellte221  – dies ist eine 84

4. Vor die Füße geschmissen: der Bruch mit dem Vater

der Verwechslungsgeschichten, von denen die frühen Biographien so voll sind und die immer wieder darauf hinauslaufen, dass eine religi­ öse Vorankündigung zu kurz, nämlich weltlich, verstanden wird: Na­ türlich erkannten die Räuber nicht, dass Franz mit dem großen König Gott selbst meinte, sondern hielten ihn für einen Abgesandten eines irdischen Königs – auch wenn es kaum glaubwürdig scheint, dass sie in einer so ärmlichen Gestalt tatsächlich einen Königsboten gefunden hätten. Hält man es erst einmal für wahrscheinlich, dass Franz sich in die­ ser Zeit noch auf einer weitgehend ungeklärten Suche befand, ist al­ lerdings viel interessanter, dass er im Zuge seines Umherstreifens am Rande der Gesellschaft in ein Kloster bei Gubbio kam, vermutlich das Benediktinerkloster San Verecondo.222 Die Erfahrung hier war, so Ce­ lanos Bericht, erschütternd: Franz stand in einem einfachen Hemd da und bekam weder ein besseres Gewand noch auch nur Nahrung, sodass ihn die Not bald wieder von dort vertrieb.223 Neben der Frustra­ tion über die Mönche eines etablierten Ordens ist das Entscheidende an dieser Episode, dass aus ihr sehr deutlich spricht, dass Franz selbst im Kloster gar nicht nach einer religiösen Heimat im definierten aske­ tischen Leben der Mönche suchte. Sonst hätte er schwerlich bettelnd in der Küche gestanden, sondern Eingangspforte und Novizenmeister gesucht – und die Erzählung hätte vielleicht von der Schwierigkeit ge­ handelt, aus freien Stücken einem Kloster beizutreten, aber nicht von der gescheiterten Bettelei. So irrte Franz weiter – und landete wiede­ rum bei einer Gruppe, die ihm vertraut war: Er lebte mit Leprosen, die er nun nicht mehr mit finanziellen Almosen versorgen konnte, wohl aber mit seiner liebenden Zuwendung, mit welcher er sie reinigte und ihre Wunden linderte.224 Noch also „blieb er in der Welt“,225 wie es Ce­ lano formuliert, noch war er mehr Aussteiger als Nachfolger Christi. Und doch, so viel war klar: Den Bruch mit seiner Herkunft hatte er voll­ zogen. Eindeutig und unwiederbringlich.

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2. Kapitel: Aufbruch

1. „Franz, stelle mein Haus wieder her!“1 Kirchenrenovierungen

Die Berichte über die Anrede durch das Kruzifix von San Damiano glei­ chen sich zwar nicht wörtlich. In der Forderung des Kruzifixes aber, wie sie in der Überschrift nach der zweiten Celano-Vita wiedergegeben ist, kommen sie überein: Franz sollte das Haus Christi wiedererrichten. Das hat er in der Tat, wenn auch wohl nicht durch einen so klaren Be­ fehl geleitet, bald getan. Franz, in aller Unruhe, suchte ein Ziel, suchte eine Aufgabe. So rastlos, wie er zu Leprosen und Armen rannte: Das eigene Leben wegzuwerfen, so weit wollte er es doch nicht kommen lassen. Allmählich begann sich in ihm eine Berufung zu formen, deren Befolgung sehr konkret begann, indem er sich daranmachte, die verfal­ lenen Kirchen rund um Assisi wiederzuerrichten. Führt man dies auf den Ruf des Kreuzes von San Damiano zurück, so handelt es sich um einen ersten Versuch, dem Befehl Christi ge­ recht zu werden, einen Versuch, dessen Grundlage allerdings ein Missverständnis war: Der Gekreuzigte hatte ja, da sind sich die Bio­ graphen einig, nicht die Gebäude gemeint. Er hatte die ganze Institu­ tion der Kirche gemeint, die Gemeinschaft der Glaubenden und die Amtsträger. Das ergibt Sinn, vor allem lässt sich so erklären, warum Franz nicht sogleich das neue Leben seiner Gemeinschaft begrün­ dete, als der Ruf Christi an ihn ergangen war. Noch, so würde die Er­ klärung lauten, war er in Irrtümern gefangen, die Klarheit bestand aufseiten Christi – aufseiten von Franz musste sie erst noch gewon­ nen werden. 86

1. „Franz, stelle mein Haus wieder her!“

Nimmt man jedoch, den bisherigen Überlegungen folgend, an, dass ein so klarer Ruf gar nicht ergangen war, muss man andere Wege fin­ den, um zu verstehen, was Franz in dieser Zeit bewegte. Zunächst wirkt manches an seinem Handeln nur wie eine leichte Veränderung des Bis­ herigen: So wie Franz zuvor sich spontan Menschen zugewandt hatte, die von der Gesellschaft nicht mehr getragen waren, bewegte ihn nun möglicherweise die ebenso spontane Zuwendung zu dem Priester, den er in San Damiano getroffen hatte. Auch wenn man der Erzählung der frühen Biographen nicht folgt, dass er ihm schon konkret Pläne hätte eröffnen können, lässt sich doch annehmen, dass er zu ihm Vertrauen fasste. Immerhin war es dieser Priester gewesen, mit dem sich der Be­ ginn seiner Lebenswende verband, und vielleicht war es auch dieser Priester gewesen, der ihn vor dem Vater versteckt hatte. Die Sorge um das Gebäude von San Damiano könnte also durchaus, ganz dem bishe­ rigen Muster folgend, zunächst über die intensive Wahrnehmung einer Person entstanden sein: Franz könnte über das erbärmliche Kirchlein, in dem der Priester Dienst tat, erschrocken sein, weil es ihm für diesen einen Priester und damit überhaupt für den priesterlichen Dienst un­ angemessen schien. Wenn der oben ausgeführte Gedanke zutreffen sollte, dass seine Ehrfurcht vor den Priestern von der Bewahrung durch Bischof Guido herrührte,2 oder wenn diese Ehrfurcht vielleicht schon tiefere Wurzeln hatte, wie sie sich im Küssen der Hände des Priesters bei der ersten Begegnung zeigten, ist es durchaus plausibel, dass er nun ein Haus errichten oder wiedererrichten wollte, das dem priesterlichen Dienst einen angemessenen Rahmen verschaffte  – und das zugleich das Haus des Herrn war, dem er mit zunehmender Klarheit dienen wollte. Genau besehen, ist aber das Bemerkenswerte an der Kirchenbau­ tätigkeit ein anderes: Wieder einmal ist die Dreigefährtenlegende aus­ führlicher als Celano, und wohl im Detail auch zutreffender. Hiernach hat Franz für seine Baumaßnahmen in Assisi Steine und vermutlich auch Geld gesammelt. Wochen oder Monate, nachdem er die Stadt als Nackter verlassen hatte, wäre er demnach zurückgekehrt – und im ersten Augenblick blieb sein Verhalten eines, das in das Muster des Wahnsinns passte, welches man sich für ihn seit dem Verlassen seines Verstecks bereitgelegt hatte. Auf den Plätzen und in den Gassen der Stadt begann er nämlich den Herrn zu loben,3 und zwar, wie die drei 87

2. Kapitel: Aufbruch

Gefährten hinzufügen: „wie trunkenen Geistes“.4 Die damit gegebene Doppeldeutigkeit – Wirkung des Heiligen Geistes einerseits, Trunken­ heit andererseits – hatte einen biblischen Hintergrund: Die Apostelge­ schichte erzählt davon, wie die Jünger an Pfingsten mit einem Mal durch das Wirken des Heiligen Geistes in Zungen redeten, das heißt in fremden Sprachen, die sie nie erlernt hatten – doch waren nicht alle, die dies erleb­ ten, hiervon ergriffen, sondern manche „spotteten: ‚Sie sind vom süßen Wein betrunken‘“ (Apg 2,13). In der Beschreibung von Franz’ Auftreten also spiegelte sich das Geschick der Apostel, so wie in späterer Zeit seine Bewegung apostolisches Leben suchen und führen würde. Schon jetzt verkündete Franz wie ein Apostel – oder vielleicht sogar wie mehr als ein Apostel. Er schloss, so berichten es die drei Gefährten, an seinen Lobgesang die Bitte an, Steine für den Kirchenbau zu spenden: „Wer mir einen Stein gibt, wird einfachen Lohn haben. Wer aber zwei gibt, wird zweifachen Lohn haben. Wer aber drei gibt, wird ebenso viel Lohn haben“.5 Der Aufruf konnte nach unglaublicher Anmaßung klingen: Franz band, wie einst Jesus, das jenseitige Heil an das Verhalten ihm gegen­ über hier auf Erden, ja er verhieß wie der Heiland selbst mehrfachen Lohn im Himmel für Verhalten im Diesseits (vgl. Lk 18,30). Man konnte diese Verheißung aber durchaus auch in das übliche und sozialkon­ forme religiöse Verhalten einordnen, das Franz einst selbst als Kauf­ mannssohn geübt hatte: im Vertrauen auf die himmlische Belohnung hier auf Erden Gutes zu tun. Das konnte eine Spende an Leprose oder Arme sein. Ebenso gut konnte es eine Spende für den Kirchenbau sein, wie es sich schon länger im Ablasswesen abgezeichnet hatte.6 Franz machte also bei allem Nonkonformismus seines Auftretens ein An­ gebot, das mit den üblichen religiösen Praktiken nicht brach. Vor die­ sem Hintergrund lässt sich seine Zuwendung zum Kirchenbau auch als der Versuch beschreiben, seine Aussteigerfrömmigkeit wieder mit der bürgerlichen Alltagsfrömmigkeit in Einklang zu bringen, in der er aufgewachsen war, vor allem aber wohl, nach den Erfahrungen mit Bi­ schof Guido, mit der kirchlich akzeptierten Frömmigkeit: Ohne ganz auf das Aussteigerdasein zu verzichten, bewegte er sich doch zurück, suchte für seinen Gegenentwurf zur Gesellschaft wieder Haftpunkte 88

1. „Franz, stelle mein Haus wieder her!“

in ebendieser selbst. Das gilt offenbar auch für die Unterkunft: Franz lebte nicht allein unbehaust bei einer der Kirchen, um deren Renovie­ rung er sich kümmerte, sondern genoss zumindest zeitweilig die Gast­ freundschaft reicher, noch dazu adeliger Bewohner Assisis.7 Sein Le­ ben gewann gewiss kein Gleichmaß, aber doch gelegentliche Haft- und Ruhepunkte. Wenn diese Analyse stimmt, nach der Franz wieder stärker an tra­ ditionelle Formen anknüpfte, ohne sich ganz an sie zu verlieren, kann man die Bedeutung der Kirchenrenovierungen, die er nun vornahm, gar nicht hoch genug veranschlagen: Sie waren Franz’ Weg zur be­ grenzten Wiedereingliederung in die Kirche und Gesellschaft seiner Zeit. Mit ihnen begann der Weg, der ihn von anderen Predigern seiner Zeit unterschied, die in den Augen der Kirche zu Ketzern wurden und auf ihre Aussteigerexistenz festgelegt blieben. Der Grat zwischen Ket­ zerei und Heiligkeit war ebenso schmal wie der zwischen Heiligkeit und Wahnsinn. Franz hat beide Gratwanderungen vollzogen, und es gibt viele Momente, in denen er zur anderen Seite hätte hinabstürzen können, in den Augen seiner Zeitgenossen vielleicht schon hinab­ gestürzt war. Dass er in das Gedächtnis als Heiliger eintreten würde, war nicht ausgemacht, die Christenheit hätte ihn auch als Ketzer er­ innern oder als Verrückten vergessen können. Aber es war nicht nur äußere Zuschreibung, die ihn den Weg zur kirchenkonformen Heilig­ keit gehen ließ, sondern es war seine eigene Gestaltung von Frömmig­ keit, und eine wichtige Weichenstellung vollzog sich hier, wohl noch im Jahre 1206,8 auf seinen eigenen Antrieb: Ausdruck dessen, dass er nun seinen Ort in der religiösen Welt des Mittelalters zu definieren suchte, war auch der Umstand, dass er sich durch seine Kleidung als Eremit kennzeichnete9 – das verpflichtete ihn auf keine Gemeinschaft, machte aber aus dem Herumstreunen und der Außenseiterexistenz der vergangenen  Jahre einen religiösen Status.  Als Eremit durfte, ja musste man außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft leben und er­ füllte gerade darin einen Sinn, das Ausüben radikaler Askese in Stell­ vertretung für die Gesellschaft. Die Distanz zur Gesellschaft war so als komplementäres Element zum allgemeinen Leben wieder in sie hin­ eingeholt. Während der Ketzer wie der Wahnsinnige die Grenzen der Gesellschaft überschritten hatte, blieb der Eremit ihr, wenn auch als ihr Gegenbild,10 verbunden. 89

2. Kapitel: Aufbruch

Spendensammlung

Die Spannung zu den Aufstiegsvorstellungen der Kaufleute, zu de­ nen er noch wenige Monate zuvor gehört hatte, blieb so erhalten, und doch hatte Franz sich auf höchst dialektische, ja paradoxe Weise wie­ der der Normenwelt seiner Herkunft angenähert. Dieser Dialektik entsprach es, dass er nun nicht mehr, wie offenbar nach der Rückkehr aus seinem Versteck, auf einhellige Ablehnung stieß, sondern – wie damals die Apostel an Pfingsten – auf eine gespaltene Reaktion: Viele Bürger lachten ihn weiter aus, andere aber waren von seinem Auftritt bewegt und erkannten in der scheinbaren Trunkenheit den Rausch der göttlichen Liebe.11 Wenigstens zu Teilen muss wohl sein Spenden­ aufruf erfolgreich gewesen sein, denn bald schon konnte er darange­ hen, Steine nach San Damiano zu schleppen und die nötigen Repara­ turen vorzunehmen.12 Was er von den Mitleidigen unter den Bürgern erhielt, dürften nicht diese Steine selbst gewesen sein, sondern Geld, mit dem er dann Baumaterial erwarb. Die Berichte wissen von einem Priester namens Silvester, bei dem Franz wohl zu einem günstigen Preis Steine für die Wiedererrichtung von San Damiano kaufte.13 In jedem Falle hatte Franz bald genug beisammen, um San Damiano in­ stand zu setzen – und war offenbar von dieser Tätigkeit so erfüllt, dass er noch zwei weitere heilige Stätten renovierte: Zunächst wandte er sich einer Kirche zu, deren Name allein Bonaventura überliefert: San Pietro14 , womit wohl das heute nicht mehr erhaltene Heiligtum San Pietro della Spina15 bei Assisi gemeint ist. Dass dieses Gebäude offen­ bar schon bald wieder verfiel und nicht zum Gedächtnis des Heiligen erhalten blieb, macht deutlich, dass für das Franziskusgedächtnis nicht die Renovierungstätigkeit allein wichtig war, sondern nur die Kirchen im Gedächtnis gehalten wurden, die auch in den Gebrauch der Franziskaner oder eben, im Falle von San Damiano, der Klarissen übergingen. Das Bemühen um den Kirchenbau als solches ist dem­ nach anfänglich noch keineswegs als bedeutsam  eingeschätzt wor­ den – auch Franz erwähnt es nicht in seinem Testament. Dies genügt nicht, um daran zu zweifeln, dass Franz tatsächlich einige Jahre – von 1206 bis zum Jahresanfang 1208 oder 120916 – hauptsächlich mit Kir­ chenrenovierungen beschäftigt war. Die frühe Erwähnung schon in der ersten Vita Celanos lässt vielmehr annehmen, dass dem tatsäch­ lich so war. Aber die geringe Berücksichtigung unterstreicht, dass auf 90

1. „Franz, stelle mein Haus wieder her!“

der Wiedererrichtung der Kirchen nicht das Gewicht lag, das spätere Biographien dem Tun durch die Verbindung mit der Anweisung des Kruzifixes gaben. Dieses Gewicht bekamen die Ereignisse wohl erst symbolisch, als man in Franz denjenigen sah, der berufen war, die ge­ samte katholische Kirche wiederzuerrichten: Eben die Doppeldeu­ tigkeit der Aufforderung des Kruzifixes macht die Kirchenrenovie­ rungen selbst zu bedeutungsvollen Zeichenhandlungen. Ohne dies sind sie mit den späteren franziskanischen Idealen, in denen gerade auch die Ärmlichkeit der jeweils genutzten Gebäude wichtig war, nur locker zu verbinden. Neben San Damiano und San Pietro gehörte zu den frühen Baupro­ jekten eine weitere Kirche, die im Gedächtnis bleiben sollte: die kleine Portiuncula-Kapelle, ein Marienheiligtum nahe Assisi.17 Als der Ort, an dem lange Zeit die Bruderschaft ihr Zentrum hatte und an dem zwei Jahrzehnte nach dem Bruch mit seinem Vater Franz verstarb, sollte sie große Bedeutung erlangen – heute zählt sie zu den ergreifendsten Or­ ten des christlichen Gedächtnisses. Angesichts der Pilgerscharen, die in das kleine Gebäude strömten, wurde sie im 16. und 17. Jahrhundert durch eine gewaltige Marienkirche überwölbt. Nun ist die kleine Por­ tiuncula-Kapelle ein Kirchlein in der Kirche geworden, ein Gedächt­ nisort, der in besonderer Weise die Spannung zwischen den beschei­ denen Anfängen des Poverello und seiner späteren weltumgreifenden Verehrung spüren lässt. Dass Franz die Portiuncula als dauerhaften Bleibeort wählte, ist allein schon deswegen bemerkenswert, weil man nach dem Vorherigen eher hätte erwarten können, ja müssen, dass er seine Heimstätte in San Damiano gesucht hätte, wo er schon einmal Schutz erfahren hatte. Das Verhältnis zu diesem Ort blieb auch offen­ kundig gut, wie der Umstand zeigt, dass wenig später Klara mit ihren Gefährtinnen dort einziehen sollte (s. u. 137). Für ein dauerhaftes Blei­ ben in Portiuncula mag die verkehrsgünstige Lage im Tal gesprochen haben  – San Damiano liegt halb den Berg hinauf nach Assisi  –, aber wichtig dürfte auch die spirituelle Anziehungskraft und die Hoffnung auf den Schutz durch Maria gewesen sein.18 Das Zuhause, das er im Konflikt mit dem Vater aufgegeben hatte, fand er nun bei der Mutter Jesu. Die Klärung hatte begonnen.

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2. Kapitel: Aufbruch

2. Umkehr tut not Nahrungssuche

Während dieser Zeit hat Franz wohl von der Unterstützung des Pries­ ters von San Damiano gelebt.19 Er mag auch weiter Nahrung gesammelt haben, wie er es in der Zeit der Einsamkeit und des Herumziehens ge­ lernt hatte. Der Kirchenbau hatte ihn wieder näher an die Zivilisation herangebracht, und der Aufruf zu Spenden für die Baumaßnahmen mag die Bahn dafür geebnet haben, dass er nun auch für sich selbst um Unterstützung bat. Er begann zu betteln. Später sollte das Betteln so charakteristisch für die Franziskaner werden, dass man sie mit den Do­ minikanern und den Augustinereremiten unter dem Begriff der „Bet­ telorden“, der „Mendikanten“, zusammenfasste. Es ist wohl nicht zu­ letzt diese spätere Bedeutung des Bettelns, die dazu geführt hat, dass die Hagiographen es in ihrer Schilderung von Franz’ Leben in dieser Phase besonders betont haben: „Wie ein Armer von Tür zu Tür geht und in der Hand ein Schüs­ selchen trägt und, von der Not gedrungen, in ihm verschiedene Nahrungsmittel vereinigt, so sollst du freiwillig leben.“20 so beschreiben es die Gefährten. Es ist gut möglich, ja wahrschein­ lich, dass Franz als eine weitere, drastische Form sozialen Außensei­ tertums auch als Bettler lebte. Doch von Anfang an trägt diese Schil­ derung die Spuren der späteren Lebensweise der Brüder als Bettler und idealisiert diese in Gestalt einer Erinnerung an den frühen Franz. Man muss den Bericht über die Mixtur unterschiedlicher Speisen in der Schale daher biographisch nicht wörtlich nehmen. Und man sollte vor allem bedenken, dass ein solches Betteln für Franz genau genommen nicht mehr freiwillig gewesen wäre: Gewiss, ohne äu­ ßere Not hatte er allen Besitz aufgegeben und dem Vater vor die Füße geworfen und damit wohl die Selbstenterbung vollzogen. Nun aber fand er sich eben in der Not vor – und lernte an denen, die aus äußeren Gründen in Armut gefallen waren, wie man sich zu verhalten hatte. Der Hinweis auf die Freiwilligkeit enthält daher vor allem den Appell an diejenigen, die sich seiner Lebensweise anschließen und ihrem reichen Leben entsagen wollten. Die Ausmalungen dieser Bettelei 92

2. Umkehr tut not

durch die Gefährten und andere hingegen spiegeln eher wider, dass zum Zeitpunkt der Berichte die Bettelei tatsächlich zum Ideal der Bruderschaft geworden war, die so ihr Vertrauen in Gott selbst de­ monstrierte. Trotz aller Überblendungen bleibt wohl der historische Rest, dass Franz, nachdem er einmal impulsiv alles aufgegeben hatte, einen mühsamen Lernprozess durchmachen musste, zu dem auch gehörte, dass es jenseits der erlernten Lebensweise als Kaufmann für ihn we­ nige Möglichkeiten gab, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dass Franz seiner reichen Herkunft eine Absage erteilt hatte, führte ihn konsequenterweise in die Armut. Armut war somit zu Beginn selbst­ verständliche Realität einer Existenz, deren Ziel vor allem die Verkün­ digung der Buße und des Reiches Gottes war. Das Betteln diente in diesem Rahmen nicht nur, nicht einmal vor allem der Beschaffung der Lebensgrundlage. Dazu dürfte Franz weiter auch auf andere Quellen zurückgegriffen haben, nicht zuletzt den Priester von San Damiano. Es diente vielmehr dazu, Franz selbst überdeutlich mit seiner Her­ kunft zu konfrontieren: Als Bettler stand er nicht nur wie ein Sammler in der freien Natur außerhalb der Gesellschaft, sondern er kehrte in die städtische Gesellschaft zurück und war gerade in ihr ausgegrenzt und verachtet. Das ist der Sinn der Betonung, dass er zum Betteln ostiatim, also von Tür zu Tür ging. Dass er dies tatsächlich tat, berichten nicht nur die Gefährten, sondern dieselbe Formulierung verwendet Franz selbst rückblickend in seinem Testament.21 Das spricht dafür, dass sich darin ein Stück Realität verdichtet. Franz hat wohl wirklich die einzel­ nen Häuser als Bettler aufgesucht – und das in Assisi. Das hieß auch, all denen, die ihn als reichen Kaufmannssohn kannten, seine eigene Bettlerexistenz drastisch vor Augen zu führen. Die Konfrontation, die daraus entstand, zeigt sich in einem Bericht der Gefährten, wie Franz einmal beim Betteln zurückschreckte: Offenbar empfand er bei dieser Gelegenheit Scheu, sich einer Gruppe von Spielenden als Bettler zu offenbaren, wohl weil er von fröhlich Spielenden am ehesten Spott zu erwarten hatte. Diese Erinnerung dürfte sehr authentisch sein – gerade weil sie durch eine sofortige Umkehr des Franz korrigiert wird. Dieser sei gleich darauf zurückgekehrt und habe sich vor den Spielenden da­ für sündig bekannt, dass er sich zunächst nicht getraut habe, sie um Al­ mosen zu bitten. Dass es bei dieser Episode um Gaben für San Dami­ 93

2. Kapitel: Aufbruch

ano ging, ändert an dem grundsätzlichen Problem seines Auftretens als Bettler nichts22 – sie ist ein Stück Erinnerung daran, dass für Franz das Betteln noch nicht wie später in seinem Orden ein Ideal war. Der Weg, den er hier ging, war in vielerlei Hinsicht noch demütigender als das vorherige Umherstreunen, eben weil er die Verachtung der ehema­ ligen Freunde, Verwandten und Mitbewohner unmittelbar zu spüren bekam. Assisi hatte durch Bevölkerungswachstum eine beachtliche Größe von um die 10 000 Einwohnern erlangt,23 doch blieb die Stadt überschaubar, man kannte einander. Und erst recht kannte jeder die­ sen missratenen, ausgerissenen Sohn aus dem Hause Bernardone. Das galt umso mehr, als mit der Heimkehr von Franz als Bettler der Konflikt mit dem Vater neu aufkam. Man kann auch, empathischer mit dem Vater, sagen: Die alten Wunden wurden neu aufgerissen. Wie schwierig das Ganze für den Vater gewesen sein muss, sehen sogar die drei Gefährten: Gerade weil er ihn sehr liebte („multum dilexerat ipsum“),24 schämte der Vater sich nun. Das ist ein seltener Hinweis auf die emotionale Bindung zwischen beiden, sicher auch darauf, dass der Vater sich durch das Verhalten des Sohnes mit betroffen sah, wurde doch seine eigene Ehre durch ihn in Zweifel gezogen. Und die Liebe kehrt sich in Aggressivität um, sodass das Band zwischen Vater und Sohn endgültig zerrissen wurde: Der Vater überschüttete den Sohn mit Flüchen,25 woraufhin dieser symbolisch einen anderen Armen  – nach Johannes von Perugia hieß er Alberto26  – ansprach, er solle ihn segnen und sein Vater sein.27 Wenn es vorher noch Zweifel gegeben ha­ ben sollte: Nun machte Franz seinen sozialen Statuswechsel deutlich. Er war nicht mehr der Sohn eines Kaufmanns, der, wenn er nur wollte, in das reiche Leben zurückkehren könnte, sondern er gehörte ganz und gar der Unterschicht, den Armen der Stadt an. Für sein Erbe stand ohnehin schon ein anderer bereit. Sein Bruder Angelo schlug sich auf die Seite des Vaters, verachtete und verspottete Franz. Als dieser in der Kälte bettelte, habe Angelo einen Mitbürger aufgefordert, Franz zu bitten, ihm einen Tropfen Schweiß zu verkaufen.28 Ebenso wie Franz’ gelassen-fromme Reaktion hierauf mag dies keinen wörtlichen Be­ richt über Geschehenes darstellen  – doch es fasst in einer Anekdote zusammen, wie groß die Distanz zur gesamten Familie, letztlich wohl auch zur Mutter, die hier aus der Überlieferung verschwindet, gewor­ den war. 94

2. Umkehr tut not

Endlich Klarheit: die Aussendungsrede

In all diesen Konflikten formte sich immer mehr die Lebensweise des Franz, und mit zunehmender Klärung entstand aus der bloß das Alte negierenden Aussteigerexistenz eine klare Ausrichtung auf die Nach­ folge Christi. Aus dem Bruch wurde ein Aufbruch. Diesen Aufbruch führte Franz, wie er in seinem Testament schreibt, unmittelbar auf Gott selbst zurück: „Und nachdem mir der Herr Brüder gegeben hatte, zeigte mir niemand, was ich zu tun hätte, sondern der Allerhöchste selbst offenbarte mir, dass ich nach der Form des heiligen Evan­ geliums leben solle“.29 Wer nun erwartet, dass dieser Ruf Gottes überraschend in den Alltag einbrach, sieht sich getäuscht. Es ist kein Traum und keine Vision, auch kein redendes Kruzifix, mit dem diese Formung des Lebens sich ver­ bindet, sondern die neue Lebenswandlung wuchs aus der Mitte der üblichen liturgischen Praxis und der gottesdienstlichen Verkündigung des Evangeliums heraus: Franz besuchte offenbar, nachdem er dort Quartier genommen hatte, regelmäßig die Messe in der Portiuncula.30 Dies tat er auch, als er sich am 24. Februar 1208 oder 1209, dem Matthi­ astag, oder in einer Votivmesse kurz nach Ostern31 durch einen Evange­ lientext besonders angesprochen fühlte – genauer kann man dies, bei allen beachtlichen Versuchen der Forschung bislang, nicht datieren und muss es auch nicht. Denn das Entscheidende ist nicht das Datum, sondern der sowohl bei Celano als auch bei den drei Gefährten bemer­ kenswert genau beschriebene Vorgang: Der Text, der ihn so ergriff, war die Rede von der Aussendung der Jünger in Mt 10,9 f.: „Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel. Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab; denn wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Unterhalt“.32 Franz war von diesem Bibelwort angerührt und bat den Priester um weitere Auslegung.33 Man bedarf nicht allzu großer Mühe, um sich vor­ zustellen, was hier stattfand: Zu guten Teilen hörte Franz in den Wor­ 95

2. Kapitel: Aufbruch

ten des Evangeliums zusammen mit dem Auftrag, Buße und das Reich Gottes zu verkündigen, eine Beschreibung seiner bisherigen Lebens­ weise, in der er ja auf Geld verzichtet und seine Kleidung auf ärmlichs­ tes Maß zurückgestutzt hatte. Was er bislang faktisch gelebt, vielleicht auch intuitiv erahnt hatte, gewann nun die Gestalt eines Auftrages durch Jesus Christus selbst.34 Franz, der bislang hauptsächlich Spott, allenfalls Mitleid für sein Verhalten geerntet hatte, erfuhr mit einem Mal die größtmögliche Bestätigung, und diese wurde offenbar durch den Priester noch verstärkt. In der Konfrontation mit dem biblischen Text also gewann er Klarheit darüber, dass der Weg, den er bislang noch voller Unsicherheit gesucht hatte, darin bestand, „Leben und Spuren der Apostel zu folgen“,35 die apostolische Botschaft weiterzugeben und zugleich und in Verbindung damit apostolisch zu leben. Das bedeutete auch, dass er die bisherigen Ansätze, sein Leben nicht nur als Negation der elterlichen Lebensweise zu führen, son­ dern ihm christliche Gestalt zu geben, überdenken musste: Der Kir­ chenbau, dem er sich bislang gewidmet hatte, war offenbar nicht un­ mittelbar das, was Christus seinen Aposteln aufgetragen hatte. Wenn man Celano glauben darf, so hat der Priester der Portiuncula bei seiner Erklärung der Aussendungsrede aus dem Matthäusevangelium auch herangezogen, was die parallelen Texte im Lukas- und Markusevange­ lium als Sinn dieser Aussendung angeben: das Reich Gottes und Buße zu verkünden.36 Das war etwas anderes, als verfallende Kirchen zu re­ novieren. Vor allem war es etwas anderes, als sich, wie es Franz bislang getan hatte, scheu von den Menschen zurückzuziehen. Die Absage an die soziale Existenz des Kaufmanns musste und durfte nicht zur Ab­ sage an jede menschliche Existenz führen, wie es bei Franz bislang den Anschein hatte. Predigt formte sich als Auftrag an die Menschen. Schlagartig wird klar, was hier passierte: Aus der bloßen Abkehr vom Bisherigen wurde Umkehr zum apostolischen Weg. Der streunende, suchende Franz gewann ein Ziel. Charakteristisch für ihn drückte sich dies sogleich in neuer Kleidung aus: Das Eremitengewand passte nicht mehr zu der neuen Existenz, und es passte nicht zu dem Evangelien­ wort, das Franz gehört hatte. Darum streifte Franz nun, so berichtet es Celano, seine Schuhe ab, legte den Stab beiseite, verzichtete auf ein zweites Obergewand (tunica). Das, das er behielt, war rau und unbe­ handelt. Nur in wenigem ging er über die biblische Anweisung hinaus: 96

2. Umkehr tut not

Als Wollgewand des Heiligen Franz von Assisi verehrte Reliquie im Kapitelsaal des Sacro Convento von San Francesco.

97

2. Kapitel: Aufbruch

Er nahm anstelle des Gürtels einen Strick und er formte das Kleid, so heißt es, als Bild des Kreuzes.37 Diese Kleidung entsprach nicht exakt den Vorschriften, die sich die Franziskaner später in ihren verschie­ denen Regeln gaben: In der am Ende durch die päpstliche Bulle gültig gemachten Regel, der Regula bullata, hieß es zwar, dass die Brüder nur ein Obergewand haben sollten, doch wenn sie wollten, durften sie auch ein zweites haben, ebenso wurden ihnen bei Notwendigkeit Schuhe zugestanden.38 Zudem scheint die Gestalt des Gewandes eine etwas andere gewesen zu sein, denn ausdrücklich sollte es mit einer Kapuze versehen sein – so wie man sie vielfach auch auf Abbil­ dungen des heiligen Franziskus sieht. Hiervon wich die beschriebene Kreuzesform ab, die wohl genau genommen dem griechischen Buch­ staben Tau entsprach – so wie sie, original oder nicht, der Habit des Franziskus aufweist, der noch heute in der Grabeskirche von Assisi aufbewahrt wird. Dass diese Tau-Gestalt für Franziskus einen besonderen Sinn besaß,39 zeigt eines der wenigen Schriftstücke, die als Autograph, also als eigenhändige Aufzeichnung des Franz, erhalten sind: Ver­ mutlich in seinen letzten Lebensjahren, als er sich in die Alverner­ berge zurückgezogen hat (s. u. 280), 40 schrieb er für seinen Gefährten Leo einen Lobpreis Gottes auf. Die Rückseite enthält einen doppel­ ten Segensspruch. Nach dem sogenannten Aaronitischen Segen aus Num  6,24–26 setzte Franz noch einen namentlichen Segen für Leo hinzu, in dessen Mitte er das Zeichen Tau malte. 41 Die Bedeutung die­ ses Zeichens geht aus der Ankündigung des Propheten Ezechiel her­ vor, dass alle die, die mit dem Tau auf der Stirn gezeichnet sind, der Vernichtung entgehen sollen (Ez  9,6), und die Offenbarung des Jo­ hannes hat dies aufgenommen (Apk 7,2–4). Es handelte sich also um ein Zeichen der endzeitlichen Versiegelung, durch das die Heiligen Christi gesammelt wurden – in der christlichen Tradition überlagerte es sich immer wieder mit dem Kreuz, sodass zwischen der Beschrei­ bung des Gewandes bei Celano als Kreuz und der anzunehmenden tatsächlichen Gestalt als Tau kein Widerspruch besteht. Beides lag für mittelalterliche Menschen ineinander, die in dem Bewusstsein lebten, dass das Neue Testament den geheimnisvollen Sinn des Alten offenbart hatte. Und beides gewährte Schutz – ausdrücklich sollte die Kreuzesform nach Celano dämonische Phantasien abwehren. 42 Aber 98

2. Umkehr tut not

Giotto di Bondone, „Der hl. Franziskus erscheint den Brüdern in Arles“. Deutlich zu erkennen ist der Habit mit Kapuze.

das Kreuz war auch Ausdruck der asketischen Lebensweise: Leben unter dem Kreuz hieß, Abstand von allem Wohlleben zu nehmen, 43 hieß noch einmal und endgültig die Absage an das Leben des reichen Kaufmannssohnes. Doch war dies eine Absage, die durch das Kreuz ihren positiven Sinn ausdrückte. 99

2. Kapitel: Aufbruch

Gerade der Unterschied zu den späteren Normen des Ordens lässt vermuten, dass das neue Gewand, das Franz sich anlegte, in etwa so aussah, wie es Celano und auch die drei Gefährten beschrieben. 44 Hier hatte er also ebenfalls ein gewisses Ziel erreicht: Franz hatte als reicher Kaufmannssohn begonnen, der die Ausdehnung der Stan­ desgrenzen durch kostbare Gewänder austestete. Er hatte in Rom ein Bettlergewand angezogen, war vor dem Bischof als Nackter aufgetre­ ten, hatte sich in erbärmlichster Kleidung davongemacht und dann das Eremitengewand angelegt. Jede der Suchstationen war auch in der Kleidung sichtbar geworden. Nun war es die Kleidung des aposto­ lischen Sendungsamtes und des Kreuzes, die so erbärmlich war, dass Jakob von Vitry († 1240) es in der berühmten Formel zusammenfas­ sen konnte: „nudi nudum sequentes“, „nackt dem Nackten folgend“. 45 Die neue Ausrichtung des Lebens wurde wiederum in der Kleidung sichtbar. Im Denken Celanos hieß dies, dass Inneres und Äußeres, Sinn und Körper, nun in eins gekommen waren. Für den Lebensweg des Franz, wie er hier nachvollzogen wird, bedeutet es: Die Diskre­ panzerfahrungen warfen Franz nicht mehr durcheinander, sondern er konnte den Widerspruch zum Gegebenen formulieren, ohne allen Halt zu verlieren. Halt hatte er in Christus. 46

Buße und Leben unter dem Kreuz

Und dessen Ruf folgte er: So wie Jesus Christus damit aufgetreten war, die Menschen zur Buße zu rufen (Mt  4,17), begann nun auch Franz „mit großem Geisteseifer und Sinnesfreude allen Buße zu predigen“. 47 So hatte es ihm der Priester unter Zuhilfenahme der bi­ blischen Parallelstellen zur Aussendungsrede erklärt. Das war der apostolische Ruf – und er bot, wie die gesamte Aussendungsrede, die Möglichkeit zu einer nahezu perfekten Transformation der bisheri­ gen Aussteigerexistenz. Die Anklage gegen die vorhandene Gesell­ schaft wurde zu einem Ruf, dem eigenen Beispiel zu folgen und das ganze Leben unter das Kreuz zu stellen. So sehr Franz in der letzten Zeit wieder begonnen hatte, an traditionelle Frömmigkeitsformen anzuknüpfen, so sehr machte er doch nun mit diesem Ruf deutlich, dass die Radikalität Jesu es nicht gestattete, sich in eine bequeme bür­ gerliche Existenz hineinzufinden: Buße, nicht zunächst im Sinne des Sakraments der Buße, sondern im Sinne der Umkehr des Lebens, 48 100

2. Umkehr tut not

tat not. Das hieß: Die Christenheit, die er in Assisi erlebt und kennen­ gelernt hatte, lief in die falsche Richtung, musste neu ausgerichtet werden auf ein Leben, in dem sich ausdrückte, dass der Mensch im Angesicht des Leidens Christi nichts vorzuweisen hatte. Allzu lange, so hat Franz seinen Brüdern eingeschärft, seien die Gebote des Herrn vergessen gewesen. 49 Die Armut, wie sie Franz lebte, war hinfort nicht mehr nur eine spiegelbildliche Antwort auf Reichtum, sondern sie war der äußere Ausdruck der inneren Hinwendung zu Jesus Christus, besser ge­ sagt, der Erfahrung, dass Christus sich ihm zugewandt hatte. Und sie führte nicht an den Rand der Gesellschaft, nicht in die Abgründe so­ zialer Ausgrenzung und Vergessenheit, sondern indem der Ruf aus­ drücklich allen galt, rief sie im Kern zur Änderung der Gesellschaft auf, nicht durch Umbau von Strukturen, sondern durch Sinnesände­ rung. Die eigenartige Formulierung „gaudium mentis“, Sinnesfreude, die Celano hierfür findet, ist natürlich eine Zutat, eine Interpretation des Biographen, aber sie verleiht auch dem Umstand Ausdruck, dass dieser Künder Christi aus einer tiefen Überzeugung heraus sprach. Wenn die bisherigen Beobachtungen stimmen, ist es genau dies, was sich mit den Wochen nach jenem Tag im  Jahre  1208 oder 1209 ver­ bindet, an welchem Franz das Evangelium von den Aposteln gehört hatte: eine tiefe Klarheit nach aller Unsicherheit. Sie spiegelt sich auch in den anderen Beschreibungen: Wie einst Jesus Christus selbst (Lk 4,1), so soll nun Franz nach der Erzählung der drei Gefährten in der Vollmacht des Heiligen Geistes gesprochen haben, 50 und die Wir­ kung war nicht mehr Spott, nicht mehr Mitleid, sondern „die, die das hörten, gerieten heftig ins Staunen“, 51 und, so formulierte es Celano in bezeichnender Weise: „Ein gänzlich anderer schien er zu sein, als er gewesen war“.52 Das sagt Celano noch, nachdem er schon viele Entwicklungs­ schritte bei Franz nachvollzogen, die Änderung vom Kaufmanns­ sohn zum Bettler beschrieben hat. Ein ganz anderer war Franz nicht, weil er zum Gegenteil des Vorherigen geworden wäre, wie man es in klaren Bekehrungserzählungen gerne hätte  – ein ganz anderer war er, weil er nach aller Unsicherheit mit Klarheit auftrat. Und das hatte Folgen. 101

2. Kapitel: Aufbruch

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft Erste Anhänger

Der ganz andere Franz, er war ein begeistert Begeisternder, ein Cha­ rismatiker im wahrsten Sinne des Wortes. Die Kraft seiner Predigt wird nicht nur in den Viten berichtet, sie zeigt sich auch in den faktischen Folgen: Von nun an sammelte er Brüder um sich. Er wurde zum Vor­ bild und Anführer – die Gaben, die ihm die Biographen schon früh in negativer Hinsicht zuschreiben, wie Menschen anführen zu können, sie sind vermutlich erst jetzt entstanden, da er endlich wusste, wofür er stand und stehen wollte. Auch diese Entwicklung, die Sammlung der Bruderschaft ab dem Jahre 1208 oder 1209, macht deutlich, welch tiefen Einschnitt das Hören des Evangeliums von der Aussendung der Jünger für Franz bedeutete. Das, woran über Jahrhunderte hinweg ganz entscheidend die Wirkung von Franz ablesbar ist, die Gründung der Franziskaner, ist Ausdruck der vollzogenen tiefgreifenden Lebens­ wende. Sie war so grundsätzlich, dass sie die Anfänge eines neuen Or­ dens mit sich brachte und doch auf die Grenzen des Ordens nicht be­ schränkt blieb. Sie strahlte auf die ganze Christenheit aus, gab ihr die Frage mit, wie es bei ihr mit Geld und Reichtum steht. Allerdings folgte Franz keineswegs sofort die gesamte Christenheit, sondern nur eine Schar von Brüdern, eben der Kern der späteren fran­ ziskanischen Bewegung. Über die ersten Brüder wissen wir recht viel – allerdings wäre die Franziskusüberlieferung nicht, was sie ist, wenn die vielen Informationen ganz klar und überschaubar wären. Nur auf den ersten Blick scheint es so: „Der erste Bruder, den mir der Herr gegeben hat, ist Bruder Bernhard gewesen“,53 so heißt es auf einem Schriftstück, das Franz selbst einem Bruder diktiert haben soll. Diese Überlieferung wird im Allgemeinen als glaubwürdig genommen, sodass wir es hier mit einer Aussage von Franz selbst über die Anfänge seiner Gemein­ schaft zu tun hätten, und doch besteht keine letzte Sicherheit, ob sie die Verhältnisse richtig wiedergibt. Über diesen Bernhard weiß man aus den Franziskusviten und aus anderen Quellen einiges: Es handelte sich offenbar um Bernhard von Quintavalle († 1241/46), einen gebildeten Juristen54  – und das Pikante daran, dass er nun Franz folgte, war der Umstand, dass er selbst, an­ 102

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

ders als Franz, aus einer der adeligen Familien Assisis stammte: Mit einem Mal waren die sozialen Gräben, die in Assisi bestanden, über­ brückt. Die Anfänge der Begegnung setzten noch das soziale Gefälle voraus, wie es in Assisi bis zu jenem Friedensschluss im Jahre 1210 üb­ lich war: So wie Franz die bei seinen Eltern übliche Fürsorge für Lep­ rose gesteigert und aus Sicht seiner Eltern übertrieben hatte, als er Be­ dürftige nicht nur mit Geld versorgte, sondern in den Arm nahm und liebkoste, hatte auch Bernhard offenbar seinerseits die standesübliche paternalistische Fürsorge für Arme überzogen, indem er Franz nicht allein mit Essen versorgt, sondern ihn sogar zeitweilig bei sich aufge­ nommen hatte.55 Für die Wahrnehmung des Franziskus in dieser Zeit bemerkenswert ist, dass das, was Bernhard bei diesen Gelegenheiten an Franz besonders beeindruckte, nach den Berichten dessen ekstati­ sche Gebetspraxis war: Die ganze Nacht habe dieser Gott und die Jung­ frau Maria gepriesen.56 Es war also, wenn die Bemerkungen Celanos stimmen,57 nicht so sehr das Eremiten- und Vagantenleben von Franz, das Eindruck auf jenen Bernhard machte, sondern diese das Übliche weit übersteigende Frömmigkeitsübung, die man von ihm bereits aus jener Zeit der Orientierungssuche zu Beginn, noch vor dem Bruch mit dem Vater, kennt, als Franz zum Gebet in einer Höhle verschwand. Sein Aussteigerverhalten als solches hat Bernhard zwar offenbar zu ei­ nem Sympathisanten gemacht, der ihm Quartier geben konnte, nicht aber zu einem Gefährten oder Nachfolger. Dies haben erst die Beob­ achtung des Gebets und wohl jener Bußruf geschafft, der gleicherma­ ßen an Vertrautes anknüpfte und zu Neuem hinführte. So überbrückte er auch endgültig die sozialen Gegensätze: Bernhard hätte als Adeliger ja keinen Anlass gehabt, sich von bürgerlichen Verhältnissen abzuwen­ den. Aber Christus in aller Radikalität nachzufolgen – das war eine Mo­ tivation, die ihn aus seinen heimischen Umständen lockte und dazu brachte, dem Heiligen zu folgen, um das Himmelreich zu erlangen, wie es Celano beschreibt.58 So wie die Berichte klingen, hatte Franz ihn nicht ausdrücklich in die Nachfolge gerufen, sondern Bernhard ging mit einem Gefährten zu Franz und schloss sich ihm mit den Worten an: „Wir wollen von nun an mit dir sein und tun, was du tust“.59 Sein Begleiter war ebenfalls ein Adeliger, Petrus Cathanii, der zudem eine ungeahnte Gelehrsamkeit in den Orden einbrachte. Nach einer No­ tiz des Jordan von Giano († nach 1262) beherrschte er beide Rechte,60 103

2. Kapitel: Aufbruch

also das Kirchenrecht wie das römische Recht. Jordan bezeugt auch eine kleine Episode, die deutlich macht, wie quer die Gemeinschaft zu den üblichen Werten der Gesellschaft stand. Franz, so erzählte er, re­ dete Petrus Cathanii wegen seiner Bildung und seiner Herkunft stets als „Herr“ („dominus“) an.61 Mitten in der Gemeinschaft von Gleichen, unter denen, wenn einer, dann Franziskus einen Vorrang beanspru­ chen konnte, begegnet solcherart eine Erinnerung an das soziale Ge­ fälle, das die Brüder doch hinter sich lassen wollten. Der Zuspitzung auf Bernhard als ersten Anhänger, so sehr sie offen­ kundig Franz’ eigener Erinnerung folgt, steht immer wieder die Notiz entgegen, dass mehrere Männer sich ihm anschlossen,62 unter denen Bernhard einer war – das mag noch mit einem Vorrang Bernhards ver­ einbar sein. Für größere Irritation sorgt der Hinweis in Celanos erster Lebensbeschreibung, noch ehe Bernhard sich Franz anschloss, sei die­ sem ein frommer Mann von einfachem Geist gefolgt.63 Folgt man wie­ derum dem Prinzip, dass diejenigen Fragmente besonders interessant sind, die dem glatten hagiographischen Erzählduktus entgegenstehen, so lädt eine solche Bemerkung zu allerhand Spekulationen ein, doch entsteht hieraus kaum ein plausibles Gesamtbild: Wenn die Person schon früh verstorben sein sollte,64 muss man sich fragen, warum Ce­ lano genau dies an dieser Stelle nicht erwähnt. Dass sie sich mit Fran­ ziskus überworfen hätte und daher aus dessen Gedächtnis verschwun­ den wäre, ist gänzlich unplausibel: Dann hätte Celano sie schwerlich so positiv charakterisiert. Auch für die Annahme, sie sei später von den frühen Franziskanern aus dem Gedächtnis verbannt worden, gibt es keinen echten Anhaltspunkt. Ehe man also zu viel in diese Person hi­ neingeheimnisst, wird man sich wohl damit zufriedenzugeben haben, dass schlicht die Zählung der Anhängerschaft, wer nun erster, zweiter oder noch späterer gewesen sei, einen nachträglichen Versuch dar­ stellt, das allmähliche Anwachsen der jungen franziskanischen Bewe­ gung zu ordnen. Und dass Franz selbst schon mit solchen Ordnungs­ versuchen begonnen hat. Wenn Franz Bernhard als den „primus frater“, ersten Bruder, be­ zeichnet, so mag dies also eine Zuspitzung sein, die nicht den chrono­ logisch allerfrühesten Platz bezeichnen muss, sondern ein recht frü­ hes Hinzustoßen zu Franz mit der besonderen Bedeutung verbindet, die Bernhard bald bekam. Denn zu den spannendsten Entdeckungen, 104

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

zu denen die Versuche führen, unter den hagiographischen Berichten Fragmente zu finden, die Anhaltspunkte für eine andere Erzählung bieten als die von früh an geprägte, gehört der Umstand, dass Bern­ hard möglicherweise in einem weit höheren Maße an der Formung der franziskanischen Bewegung beteiligt war, als dies die Fixierung auf den einen Gründer, den heiligen Franziskus, vermuten ließe. Die ab den frühen vierziger Jahren gesammelten Berichte sind sich einig, dass Bernhard den Entschluss, seine gesamte Habe zu verkaufen, erst nach einem Gespräch mit Franz fasste. Die oben aus Johannes von Perugia zitierte Ansprache an Franz geht weiter: „Sag uns also, was wir mit unserer Habe tun sollen“.65 Da sind die Autoritätsverhältnisse ganz of­ fenkundig geklärt: Franz ist es, der die Leitungs- und Deutungshoheit besitzt. Dass auch auf dieser Ebene der Berichte sich die Ereignisse noch anders zusammenreimen lassen, wird gleich noch deutlich wer­ den – zunächst einmal fällt die Schilderung in Celanos erster Vita auf.66 Hiernach hätte Bernhard noch unter dem unmittelbaren Eindruck von Franz’ Gebet sein gesamtes Eigentum verkauft und sei damit dem Rat gefolgt, den Jesus in Mt  19,21 dem reichen Jüngling gab, der ihn fragte, was er Gutes tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach“67  – dieser Vers, der zu einer Art Losung franziskanischer Existenz werden sollte und den man wie ein Motto über den Auszug der reichen jungen Leute aus ihren Elternhäusern in Assisi schreiben könnte, wäre demnach seine ureigenste Motivation gewesen, und zwar, so wie es bei Celano klingt, ehe Franz ihn hierüber belehrt hatte. Celano setzte sogar noch hinzu: Seine, Bernhards, „Bekehrung zu Gott stellt ein Modell für alle dar, die sich bekehren sollten, durch den Verkauf der Besitztümer und die Weitergabe an die Armen“.68 Dieser Satz ist so erstaunlich wie frappierend schlicht und wahr: Erstaunlich, weil er nicht Franz, sondern eben Bernhard zum Vorbild der weiteren Bekehrungen erklärt – und schlicht und wahr, weil ja in der Tat Franz keineswegs in dieser Weise mit seinem Eigentum umgegangen war. Er hatte es nicht verkauft und den Armen gegeben, sondern er hatte es dem Vater vor die Füße geschmissen und damit eine Verwendung für die Armen unmöglich gemacht. Vermutlich waren die Verhältnisse für Bernhard in dieser Hinsicht allerdings auch günstiger: Aus dem Be­ 105

2. Kapitel: Aufbruch

richt über die Aufnahme von Franz dringt hervor, dass Bernhard offen­ bar schon ganz eigenständig über seinen Hausstand verfügen konnte, während Franz sich noch in einem demütigenden Abhängigkeitsver­ hältnis von seinem Vater befand, in welchem man zwar durchaus von seinem Eigentum sprechen konnte, er letztlich aber für dessen Ge­ brauch vom väterlichen Wohlwollen abhängig war.

Legenden des Anfangs

Es dringt aber aus dieser Zuordnung der Geschichte vom reichen Jüng­ ling zu Bernhard noch mehr durch: Mit ihm scheint ein Zug in die junge Bewegung gekommen zu sein, der die Spontaneität von Franz in eine klarere, stärker auf Folgen bedachte Struktur umformte. Macht man sich dies klar, so lassen sich auch die späteren Erzählungen von seinem Verhältnis zu Franz, in denen Letzterem eine höhere Autorität zuge­ messen wird, anders verstehen: Nach den drei Gefährten69 hätte Bern­ hard nicht unmittelbar schon alle seine Güter verkauft und verteilt, aber er lud Franz in sein Haus – soweit deckt es sich mit Celano – und stellte ihm eine Frage, die eigentlich genau das Verhalten nach dem Muster des reichen Jünglings schon als Antwort enthielt: „Wenn ei­ ner von seinem Herren vieles oder weniges hätte, was er für viele Jahre im Besitz gehabt hätte, aber nicht mehr weiter behalten wollte, was könnte er damit tun, was besser wäre?“70 Schon die Voraussetzung, dass es sich um vom Herrn, also von Gott selbst, erhaltenes Gut han­ delte, zeigt, dass Bernhard bei dieser Frage bereits in Distanz zu sei­ nem Eigentum getreten war, und die Frage, was er Besseres damit tun könne, implizierte eigentlich schon, dass er es loswerden und für einen guten Zweck umfunktionieren wollte. Auch wenn man dem Bericht der Gefährten folgen will, dass die Klärung noch nicht vollends erfolgt war: Die Strukturierung des Besitzverzichts deutete sich hier schon in Bernhards Frage an – der Erzählduktus allerdings spielt die Autorität zur Lösung Franz zu. Angesichts dieser literarischen Gestaltung ist es umso auffälli­ ger, dass die drei Gefährten offenbar so viel Bewusstsein davon ha­ ben, dass an dieser Stelle der jungen franziskanischen Bewegung Franz selbst keineswegs allein die Autorität zur Klärung besaß, dass sie diese auf eine Art von Orakel verschoben. Demnach gingen die Freunde – Franz und Bernhard sowie Petrus Cathanii – am nächsten 106

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

Morgen gemeinsam  in die Kirche San Nicolò im Herzen von Assisi, und dort hat entweder Franz selbst71 oder ein Priester72 das Evange­ lium geöffnet und ebenjenen Vers Mt 19,21 mit der Anweisung, alles zu verkaufen und den Armen zu geben, gefunden. Zum zweiten Mal hätte also ein Bibelvers unerwartet und von außen Klarheit in das Le­ ben von Franz gebracht, und der unterstützte dies noch, indem er die Bibel noch zweimal öffnete und beide Male auf vergleichbare Stellen stieß. Aufgrund dieser Erfahrung habe Franz ausgerufen: „Brüder, dies ist unser Leben und unsere Regel und die [Regel] für alle, die sich unserer Gemeinschaft verbinden wollen. Geht also hin und erfüllt es, wie ihr gehört habt“.73 Allein schon dieser Ausspruch, den ähnlich auch Johannes von Perugia berichtet,74 macht deutlich, dass es sich bei diesem Bericht mehr um die Gründungserzählung der franziska­ nischen Gemeinschaft handelt als um historische Erinnerungen an das Geschehen rund um Franz.75 Diese Skepsis wird noch dadurch vertieft, dass Celano zwar nicht an dieser Stelle, aber an einer anderen Stelle der ersten Vita gleichfalls von einem Bibelorakel erzählt: In sei­ nen letzten Lebensjahren, kurz bevor er die Vision eines gekreuzigten Seraphs erfuhr (s. u. 285–287), die auf die Christusidentifikation hin­ weist, habe Franz dreimal die Bibel geöffnet und sei jedes Mal auf eine Bibelstelle gestoßen, die von der Passion Christi zeugte.76 Nun muss man nicht ausschließen, dass ein solches Bibelorakel überhaupt oder auch zweimal im Leben des Franz eine klärende Rolle spielte, die Parallele des dreimaligen Öffnens spricht aber doch dafür, dass hier dieselbe Erzählung bloß in Varianten vorliegt – und dann ist wohl die frühere Erzählung bei Celano die ursprünglichere,77 auch wenn oder gerade weil sie in einem Kontext steht, in dem Celano sich besonders bemüht, die Entsprechung zwischen dem Leben des Franz und dem Leiden Christi herauszustreichen. Wenn also schon diese frühe Erzählung den Eindruck einer litera­ rischen Konstruktion macht, gilt das erst recht für die bei den drei Ge­ fährten und Johannes von Perugia berichtete Stellung des Bibelorakels als klärender Beginn der Gemeinschaft. Diese hat man wohl nach dem älteren Vorbild im Sinne göttlicher Leitung einige Zeit nach dem Tod von Franz gestaltet  – näher an den Geschehnissen scheint die erste Fassung zu sein, die Celano bot, beziehungsweise ein Gemisch aus beidem. Vermutlich hat Bernhard tatsächlich allein aufgrund seiner 107

2. Kapitel: Aufbruch

Faszination für Franz und nicht auf dessen Anweisung hin begonnen, sein Hab und Gut zu verkaufen und an die Armen zu verschenken. Das legte schon die Gesamtkonstellation nahe, in der Franz durch seine ei­ gene Existenz die Armen in den spirituellen Mittelpunkt des Gesche­ hens in Assisi rückte. Die Klärung durch den Bibelvers aus Mt 19 wird dann erst mit der Zeit gekommen sein – wohl nicht durch ein inszenier­ tes Orakel, wie es die Gefährten beschrieben, sondern durch ein tiefe­ res Eindringen in den Text der Evangelien, vielleicht auch, wie bei der Aussendungsrede, durch priesterliche Beratung und Erklärung. Wie so oft bei Franz bleibt dem Biographen die letzte Klarheit ver­ schlossen. Die zusammengetragenen Beobachtungen reichen nicht dazu, mit großer Sicherheit die Geschichte der frühen franziskani­ schen Bewegung anders zu erzählen, als sie uns überliefert ist. Aber sie helfen, Fragen zu stellen und gelegentlich die Akzente anders zu set­ zen: Die tradierte Sicht, nach der alles auf Franz konzentriert ist, behält ohne Zweifel ihr Recht, denn er hatte ja mit der besonderen Existenz begonnen, und er dürfte auch mit dem Bußruf angefangen haben. Auch nach dem frühen Celano-Bericht besteht gar kein Zweifel daran, dass die Lebenswende Bernhards sich unter dem Eindruck der faszi­ nierenden Persönlichkeit des Franz von Assisi vollzog. Aber den Weg hin zu einer Strukturierung der Gemeinschaft dürfte Bernhard in hö­ herem Maße beeinflusst haben, als dies die Hagiographen ausdrück­ lich wissen lassen wollten. Auf bemerkenswerte Weise passt dies zu dem, was sich bislang zu Franz sagen ließ: Mit seinem eher spontanen Naturell lässt sich eine solche Strukturierung kaum verbinden. So war es ein Glücksfall für ihn und seine Bewegung, dass er in Bernhard einen kongenialen Partner fand, der ihm bei der Formung seiner Ideale half.

Formierung der Gemeinschaft

Bernhard, der strukturierte Kopf neben dem spontanen Franziskus, war es wohl auch, der in der ersten Zeit das Geld der kleinen Gemein­ schaft verwaltete.78 Die franziskanische Idee war, durchaus passend zu ihrer weiteren Geschichte, eine Gemeinschaftsidee – Franz inszenierte sich nicht als alles überragende, bestimmende Autorität, sondern er riss die anderen durch sein Charisma mit, das so überwältigend war, dass sie darin nichts anderes sehen konnten als das Wirken des Heili­ gen Geistes selbst. Aber er hörte auf sie, wo sie einen klaren Blick für 108

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

das hatten, was durch Bibel und gesellschaftliche Situation geboten war. Er entzündete den Funken, sie halfen, dass daraus kein wilder Brand wurde, sondern eine helle, klare Flamme. Den frühen Biographen war es außerordentlich wichtig, das weitere Anwachsen der Gemeinschaft in einer nachvollziehbaren, geordneten Weise zu erzählen. Namentlich werden die aufgelistet, die sich Franzis­ kus anschlossen, und sie werden bei Gelegenheit auch charakterisiert. Namen und Reihenfolge variieren dabei.79 Wir haben über die Früh­ phase der franziskanischen Bewegung eben keine Akten, sondern nur diese Schrift gewordenen Erinnerungen, und so war Celano vielleicht klug beraten, dass er in seiner zweiten Vita auf eine Aufreihung der Na­ men verzichtete und lediglich summierte: „Viele bekehrten sich in kurzer Zeit von den im Übermaß ver­ zehrenden Sorgen der Welt und kehrten unter Leitung von Franziskus zurück zum unendlichen Gut in das (himmlische) Vaterland“.80 Celano, so wird man annehmen dürfen, hatte selbst den Versuch auf­ gegeben, Ordnung in die Gemengelage zu bringen. Wenn der Zuwachs daher im Folgenden, um überhaupt die frühe Entwicklung erkennbar zu machen, im Großen und Ganzen81 nach dem Erzählduktus der drei Gefährten geboten wird, geschieht dies in dem Wissen, dass die Dinge sich nicht genau so und nicht genau in dieser Reihenfolge zugetragen haben; gelegentlich wird deshalb auch auf die alternativen Traditio­ nen hingewiesen. Für ein historisches Verständnis zählt dabei weni­ ger die genaue Abfolge als die Typik, die sich in den unterschiedlichen Geschichten von Brüdern niedergeschlagen hat, die sich der Gemein­ schaft mit ihrem je eigenen Hintergrund zugewandt haben. Das gilt auch für die Erzählung von Bruder Ägidius, der sich nach Auskunft der Gefährten der Gemeinschaft erst angeschlossen habe, als diese schon sesshaft geworden sei.82 Diese Zuordnung trägt sehr stark die Spuren des Bemühens, einen regulären Aus- und Aufbau der Gemeinschaft Schritt für Schritt nachzuzeichnen. Nach Ägidius werden dann wei­ tere neue Anhänger aus Assisi genannt: Sabatinus, Morikus Parvus und Johannes von Capella sind es bei den drei Gefährten83 – Celano hat an dieser Stelle Philippus Longus.84 Diese Differenz ist nun allerdings 109

2. Kapitel: Aufbruch

bemerkenswert, weil die Gefährten sich in ihrem Begleitschreiben zur Legende auf ebendiesen als Gewährsmann berufen85: Sollte er seine eigene Rolle vergessen oder bewusst heruntergespielt haben? Oder sollte Celano mit seiner Erwähnung völlig falsch liegen? Hernach wer­ den die Verhältnisse dann auch aus Sicht der drei Gefährten unklarer: Die Aufnahme in die Gemeinschaft erfolgte nicht mehr allein durch Franz, sondern durch die Brüder,86 die zum Teil getrennt voneinander unterwegs waren. Nach der Zählung der drei Gefährten kamen so vier weitere Brüder hinzu.87 Bei aller Unsicherheit im Einzelnen kann man wohl sagen: In den ersten zwei oder drei Jahren nach Franz’ Absage an seinen Vater88 hat sich ein fester Kern der Gemeinschaft gebildet, der sich immer mehr ausdehnte. Die allerersten Gefährten waren durch nichts an ihren Auftrag gebunden als durch das tiefe Empfinden, dass Christus sie gesandt hatte. In traditioneller Terminologie waren diese Brüder zu­ nächst Laien und nicht Kleriker.89 Sie waren, trotz ihres gemeinsamen Lebens bei der Portiuncula, auch nicht Mönche oder Ordensleute, auch wenn die Konsuln der Stadt Franziskus seinerzeit diesem Rechts­ kreis zugeordnet hatten. Es handelte sich um eine engagierte Laien­ gemeinschaft  – zur Predigt nicht durch kirchenamtliche Weihe oder Ordensstrukturen befugt, sondern durch den unmittelbaren Auftrag Jesu Christi. Die bei Celano früh berichtete Praxis der Predigt suchten spätere dann, weil dies Laien nicht zustand,90 zu korrigieren: Noch für die Zeit zwei Jahre nach diesen Ereignissen erklärten die drei Gefähr­ ten: „Der Mann Gottes aber predigte dem Volk noch nicht voll“91 und schreiben die Erlaubnis zur Predigt erst Papst Innozenz  III. zu.92 Das klingt nach einer kirchenrechtlich korrigierenden Retuschierung der tatsächlichen Verhältnisse  – ohne dass man deswegen gleich anneh­ men müsste, dass Franz sich in bewussten Widerspruch zur kirchli­ chen Autorität gestellt hätte. Er konnte darauf vertrauen, dass Bischof Guido die Hand über ihn hielt,93 und in der Tat war später die Erlaubnis zur Predigt durch den Papst für die Wirksamkeit der Bruderschaft ent­ scheidend. Vielleicht erst nach dieser Romreise, die den Durchbruch für die Predigt brachte (s. u. 130 f.), wurde die Laiengruppe durch einen Pries­ ter ergänzt94: Silvester, der seinerzeit Franz Steine für den Kirchen­ bau verkauft hatte, war  – dies dringt aus dem Bericht der Gefährten 110

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

durch – mit der Umwidmung des Geldes, wie sie Bernhard veranlasst hatte, nicht einverstanden, wodurch er indirekt bestätigt, dass hier tat­ sächlich eine grundlegende innere Neuausrichtung der Gemeinschaft erfolgt war. Für die Renovierung der Kirchen hatte er Franz die Steine gerne verbilligt verkauft – und nun sollte das Geld, das so eingespart worden war, den Armen zugutekommen. Also verlangte er die Diffe­ renz von Franz zurück. Dieser gab sie ihm mit einer Großzügigkeit, die zugleich Verächtlichkeit ausdrückte. Er holte eine Handvoll Geld aus dem Gewand Bernhards, gab es dem Priester und legte gleich noch eine Handvoll drauf: ohne zu zählen, ohne abzuschätzen – und offen­ bar so viel, dass selbst der Priester, dem die drei Gefährten Habgier (avaritia),95 eines der sieben Hauptlaster, zuschreiben, zufrieden von dannen zog. Die Zufriedenheit hielt aber nicht. Gerade dieser Vorgang führte den Priester zu einer Wandlung. Er erkannte seine eigene Sün­ digkeit und die reine Gottesliebe des Franz und folgte fortan dessen Spuren. Die Gefährten deuten hier vor allem den Gegensatz von Alter und Jugend: Silvester fehlte trotz fortgeschrittenerer Jahre die Weisheit und Gelassenheit, die der jugendliche Franz besaß. Man könnte da­ rin wohl auch den Gegensatz zwischen dem Kleriker und dem Laien beobachten: Kurze Zeit nachdem Franz noch des Priesters bedurft hatte, um den Sinn der biblischen Aussendungsrede recht zu verste­ hen, lernte nun ein Priester von ihm rechtes Verhalten. Und indem der Priester in seine Nachfolge eintrat, wurde der Laie zu dessen Anführer: Die Verhältnisse kehrten sich zwar nicht um, wurden aber doch hefti­ ger durcheinandergewirbelt, als Franz in seiner starken Betonung des priesterlichen Amtes sich wünschen konnte und wollte. Silvester der Priester bildete in der Zählung der drei Gefährten mög­ licherweise den elften Bruder96 – jedenfalls rechnen sie nach der Auf­ nahme von vier zusätzlichen Brüdern durch die ersten, namentlich genannten sechs Brüder mit insgesamt zwölf Brüdern.97 Das schließt ausdrücklich Franz ein und ist eine in mancher Hinsicht bemerkens­ werte Zählweise. Dass sie mit den historischen Verhältnissen nur be­ grenzt zu tun hat, zeigen allein schon die Spannungen in den frühen Berichten, insbesondere jener unbekannte erste Mann in Celanos erster Vita, aber auch die Unsicherheit, wann genau Silvester hinzuge­ kommen ist. Vor allem bedarf es vermutlich keiner großen Erklärung, dass die Zwölfzahl kein Zufall bei Menschen ist, die sich einer aposto­ 111

2. Kapitel: Aufbruch

lischen Lebensweise verschrieben haben98: Der Zahl der Stämme Isra­ els folgend, hatte Jesus nach den Berichten der Evangelien symbolisch das neue Israel gesammelt und dafür die zwölf Jünger auserkoren. Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, dass die drei Ge­ fährten (im Einklang mit Celano99) betonten, dass Franziskus selbst der Zwölfte in seinem Kreis war – gerade weil sie hinzufügen, er sei als die­ ser Zwölfte auch ihr „dux et pater“, ihr Anführer und Vater, gewesen,100 verdient diese Angabe Vertrauen.101 Das bedeutet nicht, dass zu dem Zeitpunkt, an dem diese Zählung erfolgte, die Gemeinschaft tatsäch­ lich nur aus zwölf Personen bestand. Die Gefährten nennen vielmehr die Zahl, weil sich Franz und seine Brüder aufmachen, um nach Rom zu reisen und dort eine Anerkennung ihrer Gemeinschaft zu erlangen. Es ist nicht nötig, streng genommen auch gar nicht wahrscheinlich, dass die gesamte entstandene Gemeinschaft nach Rom gereist ist. Selbst wenn der Weg von Assisi aus nicht allzu weit war, spricht doch viel dafür, dass die Gruppe mittlerweile eine ansehnliche Größe er­ reicht hatte, die von den Gefährten mit zunehmender Unklarheit ihres Berichtes auf die Zwölfzahl eingefroren wurde, um den Eindruck zu erwecken, dass nicht eine Abordnung, sondern die gesamte Bruder­ schaft vor den Papst getreten sei.

Apostolische Wanderschaft

Doch ganz gleich, ob man den drei Gefährten hierin folgen will oder nicht: Die Symbolik der Zwölfzahl wäre dann nicht Ergebnis einer Aussonderung einer Gruppe zur Reise nach Rom, sondern würde den Moment symbolisch festhalten, zu dem die Brüder sich entschlossen, um eine Genehmigung in Rom zu ersuchen. Das erhöht die Bedeutung der Zugehörigkeit von Franz selbst zum Zwölferkreis: Er beanspruchte nicht, als einer den zwölfen gegenüberzustehen, wie es für Jesus ge­ genüber den Jüngern selbstverständlich galt, sondern er war selbst Teil der Apostelgruppe. Wenn er vom Lebensende her als christusgleich gesehen werden kann (s. u. 281–283), so gilt dies für den Anfang noch keineswegs. Stattdessen reiht er sich klar in die Apostel ein – und man muss fragen, ob nicht die Benennung als Anführer und Vater der vor­ sichtige Versuch der Gefährten ist, an dieser Stelle, wiederum aufgrund der späteren Entwicklung, ein Mehr an Hierarchie einzuzeichnen, als es den Verhältnissen entsprach. 112

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

Selbst bei ihnen dringt durch, dass die frühe Bruderschaft  – im Grunde drückt es schon diese Selbstbezeichnung, fraternitas, aus  – durch und durch egalitär strukturiert war. Wenn jemand herausragte, so nicht durch einen besonderen Befehlsvorrang, sondern wie im Falle von Franz durch spirituelle Gaben, oder durch eine bestimmte Funktion wie Bernhard, der wie oben erwähnt den Geldbeutel führte – diese Aufgabe war heikel genug angesichts dessen, dass es unter den Jüngern Jesu Judas war, der den Geldbeutel trug (Joh  12,6). Bemer­ kenswerterweise war es ebenfalls Bernhard, den nach dem Bericht des Johannes von Perugia die Brüder zu ihrem Anführer wählten.102 Dies war gewiss nur eine zeitweilige Übertragung von Befugnissen, denn schon in Rom würde dann Franz wieder derjenige sein, der das Wort führte.103 So unterstreicht diese Wahl eher den nichthierarchi­ schen Charakter der Bruderschaft, auf den mindestens zwei weitere Indizien im Bericht der drei Gefährten hinweisen. Das eine wurde oben schon genannt: Der Eintritt in die Gemeinschaft war nicht an Franz allein gebunden, sondern jeder Bruder konnte neue Mitglieder aufnehmen. Die drei Gefährten erklären dies etwas umständlich da­ mit, Franz habe den Brüdern die auctoritas hierzu gegeben.104 Da sonst aber keine solchen autoritativen Handlungen erkennbar sind, ist eher davon auszugehen, dass gerade die Lockerheit der Organisation – die die Gefährten, zu diesem Zeitpunkt schon, viel zu früh, als ordo, Or­ den, bezeichnen105  – eine Gleichberechtigung mit sich brachte, die sich auch im Prozedere der Aufnahme abzeichnete, ohne dass Franz dies eigens hätte bewilligen müssen. Die Annahme einer prinzipiel­ len Gleichberechtigung innerhalb des Brüderkreises zeigt sich zwei­ tens in ihren ersten Predigtaktivitäten  – und wiederum dringt dies gegen ihre Intention durch den Bericht der Gefährten selbst durch: Noch in einem sehr frühen Stadium – nach der Zählung der Gefähr­ ten, als die Gemeinschaft erst aus Franz selbst, Bernhard, Petrus und Ägidius bestand – teilten sie sich auf, um die Buße zu verkündigen. Hierzu drängte sie möglicherweise nicht nur positive Motivation, sondern auch der Umstand, dass die guten Söhne aus Assisi in der Heimatstadt zunehmend auf Ablehnung stießen. Die drei Gefährten beschreiben dies für Sabatinus, Morikus und Johannes von Capella, also eigentlich einen etwas späteren Zeitpunkt, mit einer interessan­ ten Pointe: Die Anfeindung durch die Gesellschaft von Assisi habe 113

2. Kapitel: Aufbruch

dazu geführt, dass ihr Betteln letztlich erfolglos blieb.106 Wiederum den später entfalteten Idealen der Franziskaner folgend, konzentriert sich hier etwas im Betteln, was wohl einen weiteren Horizont hat. Die Präsenz der kleinen, aber wachsenden Gemeinschaft bei Assisi hatte etwas Provokatives. Was die Einwohner der Stadt den Brüdern entge­ genhielten, kann man bei aller Sympathie für die begeisterten jungen Männer leicht nachvollziehen: Wenn sie ihr Eigentum nicht weggege­ ben hätten, müssten sie jetzt nicht in einer verachteten Existenz am Rande der Gesellschaft leben. Das Verhalten der ehemals begüterten Brüder erschien hier als widersinnig. Eine der Konsequenzen hieraus konnte sein, Arbeit aufzunehmen, wie es die Brüder tatsächlich bald getan haben (s. u.  119–121). Andererseits war es auch eine Möglich­ keit, woanders zur Predigt auszuziehen, wo man auf mehr Akzeptanz hoffen konnte, und dies womöglich bereits im allerersten Anfangs­ stadium der Gemeinschaft. Der Weg der ersten vier jedenfalls führte nach dem Bericht der Gefährten für eine kurze Weile von Assisi fort: Franz selbst und Ägidius machten sich, so erzählen es die drei Ge­ fährten, nach Nordosten, in die Mark Ancona auf, die beiden anderen Brüder in eine andere Richtung.107 In dieser Beschreibung lässt sich zwar ein Gefälle zwischen Franz und Ägidius wahrnehmen, das man mit dem selbstverständlichen Erfahrungsunterschied erklären kann, einen hierarchischen Vorrang von Franz gegenüber Bernhard und Pe­ trus kann man hingegen gar nicht nachvollziehen. So ist diese erste Missionswanderung zunächst und vor allem Ausdruck einer Gleich­ berechtigung innerhalb der Bruderschaft. Das gilt umso mehr, als Celano die Aussendung nicht nur später notiert108 – bei ihm sind zu diesem Zeitpunkt schon acht Gefährten beisammen109 –, sondern auch anders gruppiert.110 Nach Celano wä­ ren Bernhard und Ägidius zusammen aufgebrochen  – und zwar in Richtung Santiago de Compostela, dem berühmten Pilgerziel an der Nordwestküste der Iberischen Halbinsel, während Franziskus mit ei­ nem nicht weiter genannten Bruder in eine andere Richtung gegan­ gen wäre. Allerdings erweist sich Celanos Erzählung dadurch, dass er die beiden fehlenden Pärchen in „die beiden übrigen Teile“ („bini partes reliquas“) ziehen lässt, von vorneherein als konstruiert: Offen­ kundig geht es ihm darum, schon in dieser frühen Aktivität der Brü­ der eine Mission in alle vier Weltgegenden111 zu sehen – der Weg nach 114

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

Santiago wäre dann nicht allein eine Erinnerung an den schon im Mittelalter beliebten Pilgerweg, sondern würde zugleich bedeuten, dass diese beiden Brüder an den äußersten Rand der damals bekann­ ten Welt gegangen wären. Da umgekehrt andere Hinweise wie der un­ bekannte erste Bruder dafür sprechen, dass die Erinnerung Celanos nicht in jeder Hinsicht schlechter ist als die der Gefährten, heißt diese Beobachtung einer Konstruktion bei Celano wiederum nicht, dass im Gegenzug die Erzählung der Gefährten stimmen muss. Vielmehr unterstreicht sie, wie unklar die Anfangsgeschichte der Bruderschaft ist – die Erzähler folgen bestimmten Vorstellungen von Vollständig­ keit, Zahlensymbolik und ähnlichem, nicht einfach historischen Er­ innerungen. Möglicherweise lässt daher Johannes von Perugia noch den Kern dieser Erzählung von der Wanderung in die Weltgegenden erkennen, wenn er berichtet, dass Franz und Ägidius ausgezogen, Bernhard und Petrus hingegen vor Ort geblieben seien.112 Das bedeutet umso mehr, dass Auffälligkeiten in der Zahlensym­ bolik, wie der aus der späteren Verehrung nur schwer erklärbare Ein­ schluss des Franz unter die Zwölfzahl, sehr ernst zu nehmen sind: Franz war nach dieser Erinnerung am Anfang einer unter anderen, ge­ wiss der Vater aller in dem Sinne, dass er am Beginn dieser Bewegung stand, aber nicht zweifelsfrei auch der Anführer. Diese Art der Sonder­ rolle drückt Julian von Speyer – wiederum in hagiographischer Spra­ che – aus, wenn er schreibt: „Selbst der siebte von schon sechs Brüdern freute sich in froher Gemeinschaft der Vater, der sich unter den Geringen in allen Dingen nicht als Höherer, sondern als Geringster verhielt“.113 Solche Erinnerungen und Deutungen lassen erkennen: Die Gemein­ schaft, die sich wohl 1209114 aufmachte, um die Anerkennung der Regel in Rom zu erlangen (s.  hierzu unten den Abschnitt „Suche nach An­ erkennung“), war eine Gruppe, die voller Begeisterung dem Ruf Jesu folgte, ihn allein als ihren Herrn anerkannte und auf seinen Stellvertre­ ter, den Papst, hörte, zu ihrer eigenen Organisation aber keines strikten Leitungsamtes bedurfte.

115

2. Kapitel: Aufbruch

Diejenigen Viten, die vom Ausziehen der Brüder in alle Richtungen erzählen, mussten dies im wahrsten Sinne des Wortes wieder einfan­ gen: Auf Gottes Geheiß seien sie, so erzählt es Celano, wieder zurück­ gekehrt und hätten sich versammelt.115 Diese mühsame Konstruktion kann man vermeiden, wenn man wie Johannes von Perugia davon aus­ geht, dass die Reisen eher planlos und wohl auch insgesamt im nähe­ ren Umfeld und eben nicht bis zur Atlantikküste durchgeführt wurden. Das Lebensmodell, mit dem man es dann zu tun hätte, würde bedeu­ ten, dass die frühen Brüder vermutlich in der Nähe von Assisi einen gemeinsamen Treffpunkt hatten und von hier aus immer wieder pre­ digend in die Gegend gingen. Diese ersten Predigtreisen geben zunächst der Heimatlosigkeit Ausdruck, die die Brüder mit den Aposteln teilten: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“, so heißt es in Mt 8,20 über die Nachfolge Jesu. Diese biblische Folie scheint durch, wenn die Viten die Heimatlosigkeit der Gruppe um Franz beschreiben, doch die Erzählungen sind zu dicht und zu konkret, um sie zu bloßen Konstruk­ tionen zu erklären, in denen die Apostolizität des Lebens nach der Fo­ lie der biblischen Anweisungen bildlich ausgemalt werden sollte. Eher war es wohl so, dass die Brüder tatsächlich sich bemühten, im Voll­ sinne apostolisch zu leben, mit allen Konsequenzen: Lediglich in den Säulenhallen von Kirchen oder Häusern legten sie sich nieder,116 sodass es glaubwürdig scheint, dass sie für Herumstreuner (ribaldi) gehalten wurden.117 Gelegentlich scheinen sie auf Gastfreundschaft gestoßen zu sein,118 meist aber auf Ablehnung. Johannes von Perugia schildert ein­ mal, wie mit ihnen umgegangen wurde – ein Spiegelbild nicht nur des Schicksals dieser bewussten Armutsbewegung, sondern wohl auch vieler anderer Menschen, die im 13. Jahrhundert am Rande der Gesell­ schaft leben mussten und denen nicht etwa Brücken gebaut wurden, um sie wieder zu integrieren, sondern die nur noch weiter in ihr Elend gedrängt wurden: „So sehr wurden damals die Brüder bei den Menschen insge­samt gering geachtet, dass viele, klein und groß, mit ihnen handelten und sprachen wie Herren mit ihren Sklaven. Und wenngleich sie nur ganz geringe und überaus ärmliche Kleidung besaßen, nahmen 116

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

ihnen viele diese noch allzu gerne. Und wenn sie dann nackt blieben, weil sie nur ein Obergewand hatten, beachteten sie immer noch die evangelische Lebensweise und forderten es nicht von denen, die es ihnen nahmen, zurück“.119 Die Verallgemeinerung mag auf das Konto von Johannes gehen – dass Arme in der mittelalterlichen Gesellschaft schlecht behandelt wurden und dies auch die frühe franziskanische Bewegung betraf, dürfte außer Zweifel stehen. Ganz praktisch nachvollziehbar ist, dass solche Wanderungen nicht von der gesamten Gemeinschaft durchgeführt wurden, sondern in kleinen Gruppen, wie es sich noch in jener Erzählung von der paarwei­ sen Wanderung in die Weltgegenden niederschlägt – gleichzeitig aber empfanden die Brüder sich als eine Gemeinschaft und unterstrichen dies auch rituell: Die drei Gefährten berichten davon, dass sie sich be­ mühten, untereinander jedes selbst unwillentlich verletzende Wort zu vermeiden. War es doch zu einem solchen gekommen, musste der, der es geäußert hatte, sich auf den Boden werfen, und der Beleidigte durfte nicht nur, sondern musste seinen Fuß auf den Mund des Beleidigers setzen.120 So wurde interne Strafe und Demütigung ausgeübt, um den Zusammenhalt zu stärken. Der bedurfte indes auch einer gemeinsa­ men Unterkunft.

Ein Zentrum: Rivotorto

Auch diese war allerdings nicht sofort fest: Die Gefährten berichten schon im Zusammenhang der ersten Sammlung von Brüdern davon, diese hätten sich ein Häuschen bei der Portiuncula errichtet.121 Das ist nicht ganz unplausibel, hatte sich doch Franz längere Zeit dort aufge­ halten – andererseits erscheint nach der Romreise Rivotorto als Quar­ tier. Das Problem ist freilich überschaubarer, als es zunächst klingen mag: Rivotorto,122 benannt nach dem dortigen kleinen Bach, dem Rivus Tortus, liegt unterhalb von San Damiano und nicht sehr weit von der Portiuncula entfernt. Man läuft eine knappe Stunde zwischen beiden Orten. So mögen die Brüder die Nähe der vertrauten Portiuncula ge­ sucht haben, lagerten sich jedoch zunächst etwas näher an der Han­ delsstraße. Der Nähe zur Straße verdanken wir einen Hinweis auf eine denkwürdige Begegnung: 1209 zog hier der Welfe Otto IV. (1209–1218) 117

2. Kapitel: Aufbruch

auf dem Weg zur Kaiserkrönung hindurch – Franz aber und seine Ge­ meinschaft verweigerten ihm, so berichtet es Celano, jegliche Auf­ merksamkeit und Huldigung.123 Rivotorto war ein in jeder Hinsicht pro­ visorischer Ort: Die Brüder bezogen hier eine Hütte, die ihnen Schutz vor Sonne und Regen gewährte.124 Sie verzichteten also auf die Errich­ tung eigener Häuser und nutzten, was vorhanden war. Die Gefährten berichten von der großen Enge, die in der Hütte herrschte; nur müh­ sam konnte für jeden ein Schlafplatz gekennzeichnet werden.125 Die Kümmerlichkeit der Unterkunft ist auch Ausdruck dessen, dass in dieser Zeit neben der Predigt, die bei den Wanderungen praktiziert wurde, das asketisch-geistliche Leben im Vordergrund stand: Eine reguläre, klosterartige Zusammenkunft wird man kaum vorausset­ zen dürfen, zumal Bonaventura an dieser Stelle wohl im Recht sein dürfte, wenn er erklärt, dass sie noch über keinerlei Stundenbücher verfügten, sondern auswendig beten mussten.126 So verbrachten sie ihren Tag in freiem Gebet und offenbar vielfach auch mit bewusstem meditativem Schweigen127 sowie mit der Fürsorge für Leprose.128 Et­ was von dem Leben hier hallt wider in einer Bestimmung, die Fran­ ziskus später in den Entwürfen, die als Regula non bullata gesammelt wurden, formulieren konnte: „Sie sollen sich freuen, wenn sie Um­ gang mit geringen und verachteten Personen haben, mit Schwachen und Kranken und Leprosen und wenn sie am Weg betteln“.129 Die beiden letzten Punkte hingen zusammen: Offenbar haben sich die Brüder das bisherige Verhalten der Leprosen zu eigen gemacht und Almosen erbettelt. Die hierfür günstige Lage an der Straße war mit ei­ nem gewichtigen Nachteil erkauft: Sie befanden sich nicht in der Nähe einer Kirche. Wenn also Silvester, der die Möglichkeit gehabt hätte, mit einem der im Mittelalter von vielen Priestern auf Reisen gebrauchten Klappaltäre die Messe zu zelebrieren, erst später zu der Gemeinschaft hinzukam, was durchaus möglich ist, wären sie für den Empfang der Sakramente auf jeden Fall weiter auf die Kirchen im Umfeld, eben San Damiano oder, im Tal bequemer zu erreichen, die Portiuncula, ange­ wiesen gewesen. Das mag dazu beigetragen haben, dass sie nach und nach, mit dem Anwachsen der Gemeinschaft, dann tatsächlich dort­ hin zogen. Die Biographien kleiden die Notwendigkeit zum Umzug in eine eigene Legende: Ein Bauer habe mit seinem Esel in ihrer Hütte unterkommen wollen – offenbar weil er fürchtete, dass die Brüder sich 118

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

dort ausbreiten und den Bauern Land wegnehmen könnten.130 Dieser Konflikt hat Franz wohl zu der Erkenntnis geführt, dass nicht der aske­ tische Rückzug an einen entlegenen Ort der eigenen Aufgabe entspre­ che, sondern sie ihre Aufgabe in der Kirche hätten. Daher habe sich die Gemeinschaft zur Portiuncula aufgemacht.131 Dass dieser Umzug nicht nur der Not folgte, sondern eher logistische Gründe hatte, zeigt sich daran, dass sie den Schuppen ganz den Leprosen überließen.132 Sie schufen so, wenngleich recht provisorisch, ein eigenes Spital. Aus Franz’ spontaner Zuwendung zu den Leprosen am Beginn seines We­ ges wurde eine strukturelle Fürsorge: Die Gegenwelt zur etablierten Welt von Assisi wurde auf Dauer gestellt. Die Gegenwelt wurde zur ei­ gentlichen Welt der Brüder, und diese gestalteten sie.

Arbeit

Dazu gehörte schon in dieser Anfangsphase, dass sie die Leprosen auch äußerlich unterstützten, indem sie Arbeit aufnahmen. Das konnte in gewisser Weise, so merkwürdig das klingen mag, im Vergleich zur Möglichkeit des Bettelns ein noch einmal radikalisierter Ausstieg aus dem religiösen Zusammenhang von Assisi sein, also eine weitere Kon­ sequenz der Suche nach der Gegenwelt. Wer einem Bettler Almosen gab, tat damit ein gutes Werk, das ihm selbst zugerechnet wurde. Er konnte auf diese Weise, allein durch eine Geld- oder Naturaliengabe, sein Gewissen im Angesicht Gottes beruhigen. Genau so hatte, in sei­ ner Jugend noch für Franz selbst, das Almosengeben für die Leprosen ja funktioniert. Nun aber leisteten die Brüder für die Unterstützung der Leprosen Arbeit.133 Damit kündeten sie eine auf dem Almosengeben beruhende religiös-diakonische Solidargemeinschaft auf und mach­ ten deutlich, dass der Ruf zur Buße radikaler zu verstehen war, als es in der christlichen Gesellschaft Europas üblich war. Auch diese Vermutung steht allerdings auf schwankendem Grund. Die Franziskanerforschung der vergangenen Jahrzehnte hat herausge­ arbeitet, dass Betteln zwar wohl von Anfang an zu ihrer Lebensweise hinzugehörte,134 aber wie schon beim frühen Franz nicht im Sinne ei­ nes Ideals, sondern einer manchmal unvermeidlichen Alternative. Grundsätzlich nämlich galt eine anders gelagerte Maxime aus der Aussendungsrede: „Wer arbeitet, ist seines Lohnes wert“ (Mt  10,10). Berichte aus dem Zusammenhang der Heiligsprechung Klaras bestä­ 119

2. Kapitel: Aufbruch

tigen, dass die Brüder um Franz in ihrer Frühphase auch Arbeiten nachgingen.135 Nur wo die Arbeit nicht reichte, sollte nach späteren Regeln die Bettelei der Ernährung dienen.136 Diese Öffnung im Regel­ werk der frühen Bruderschaft führte allerdings offenbar schon bald dazu, dass die Bettelei größeren Raum einnahm. Das Zugeständnis, in dem Falle, in dem die Arbeit nicht reichte, zu betteln, wurde auf ei­ ner späteren Entwicklungsstufe der sogenannten Regula non bullata zu einem ganzen Kapitel mit Bestimmungen über das Almosenbet­ teln ausgeweitet, das unter anderem die Erlaubnis enthielt, im Falle der Not Fastenvorschriften zu missachten.137 Nach und nach wurde das Betteln dann bestimmend für die Franziskaner. Damit ging die Lebensweise und wohl auch die Regel von Franz über das biblisch unmittelbar Geforderte hinaus. So lässt sich annehmen, dass hier die ersten Adaptionen der Lebensweise der Jünger an die eigene Situa­ tion der Brüder aus Assisi erfolgten. Durch diese Entwicklungsschichten hindurch, um nicht zu sagen: durch dieses Hin und Her hindurch, muss man lesen, was Franz knapp in seinem Lebensrückblick konstatierte: „Und ich habe mit meinen Händen gearbeitet“.138 Wären die Dinge einfacher, wäre damit alles geklärt, und man könnte alle Berichte über Betteln in der Frühzeit als Erfindungen Späterer abtun. So einfach sind sie aber eben nicht – al­ lein schon deswegen, weil dieser Satz aus dem Testament ein kaum verändertes Zitat aus der Abschiedsrede des Paulus in Milet enthält (Apg 20,34): Der Apostel aus Assisi nahm hier in seinen eigenen Ab­ schiedsworten Anleihen bei dem aus Tarsus. Das allein würde für die Annahme noch nicht reichen, dass Franz gleichwohl in seiner Jugend auch selbst gebettelt hätte. Aber die Betonung der Arbeit reagierte schon auf die skizzierte Entwicklung, dass sich im Orden ein Verzicht auf die Arbeit breitmachte, aus dem Betteln um der Not willen eine Hoffnung auf großzügige Spender geworden war, die zu Bequem­ lichkeit werden konnte.139 So ist auch die Erinnerung von Franz selbst zugespitzt und betont die Arbeit vielleicht wieder mehr, als es den ur­ sprünglichen Verhältnissen entspricht. Das zeigt sich ebenso in der Fortsetzung: „und ich will arbeiten“. Sie findet wenige Zeilen weiter eine interessante Parallele: „Und wenn kein Lohn für die Arbeit gegeben wird, wollen wir zum Tisch des Herrn zu­ rückkehren, indem wir von Tür zu Tür um Almosen bitten“.140 Wir, so 120

3. Die Freunde des Franz: Anfänge der Bruderschaft

heißt es hier explizit. Und selbst wenn man das „Zurückkehren“, recur­ rere, nicht allzu biographisch-wörtlich deuten kann: Franz war Bettelei offenbar nicht fremd. Es war eine Möglichkeit neben der Arbeit und, das ist wichtig, in ihrer Bedeutung nach der Arbeit. Eine Notlösung, aber eben doch eine Lösung. Den Ausgangspunkt für Arbeit wie Betteln bildete nun die Portiun­ cula. Dort haben die Brüder wohl das kleine Häuschen gebaut141 oder übernommen, wie man es heute noch sehen kann. Später erhielten sie auch die Kirche selbst,142 sodass baulich alles beisammen war, was man für einen klösterlichen Lebensstil brauchte, freilich in einer äuße­ ren Gestalt, die sich weit von den mächtigen Klöstern der Benedikti­ ner jener Zeit unterschied. Das kleine Ensemble im Tal unterhalb As­ sisis mag um 1210143 zum Zentrum der Gemeinschaft geworden sein. Der Franziskanerforscher Michael F. Cusato, selbst Franziskaner, hat hervorgehoben, dass die Brüder auch hier mit ihrer Wohnstätte ganz bewusst außerhalb der Stadt blieben, obwohl sie sie für ihr Betteln täglich aufsuchen mussten: Ein Rest an Askese und Rückzug aus der Gesellschaft sollte so erhalten bleiben.144 Der Umstand, dass es sich bei den Gebäuden, die sie bewohnten, um zwar ärmliche, aber doch einigermaßen feste Häuser handelte, machte den Biographen etwas Beschwer: In seiner zweiten Vita berichtet Celano, Franz habe, als bei der Portiuncula ein Haus errichtet worden war, versucht, es eigenhän­ dig wieder einzureißen, und habe erst durch den Hinweis, es gehöre gar nicht der Bruderschaft, sondern der städtischen Gemeinde, hier­ von abgelassen.145 Immer mehr formte sich also die Gruppe um Franz von Assisi als eine im Großen und Ganzen egalitäre Gemeinschaft mit der religiösen Vision, Formen asketischen Lebens mit dem Bußruf an die Gesellschaft zu verbinden. Am Beginn dieses Prozesses stand jene Erkenntnis von Franz, dass er mit seinen Idealen zwar gegen die bür­ gerliche Gesellschaft stand, aber nicht gegen die Kirche. So ist es ganz konsequent, dass er sich um Anerkennung durch den Papst bemühte. Hierzu machte er sich, wie schon erwähnt, im Jahre 1209 mit elf Ge­ fährten auf den Weg nach Rom. Das allein schon war ein deutliches Signal: Für die Genehmigung als Bußbruderschaft hätte es eines Ver­ lassens der eigenen Diözese nicht bedurft. Franz zeigte, wie Leonhard Lehmann schreibt, bereits hierdurch, dass er sich „der ganzen Kirche verpflichtet“ sah.146 121

2. Kapitel: Aufbruch

4. Suche nach Anerkennung Romreise

Dass die Reise nach Rom im Jahre 1209 – nach der Datierung von Hel­ mut Feld wohl zwischen Ostern und Pfingsten147 – stattfand, weiß man aufgrund jener erwähnten Notiz vom Durchzug Ottos  IV. durch Ri­ votorto. Da Franz zu diesem Zeitpunkt offenbar schon wieder zurück war und die Kaiserkrönung in diesem Jahr stattfand, gibt sie einen eini­ germaßen sicheren Anhaltspunkt. Kurz vorher also hatte die Gruppe von zwölf ärmlichen Brüdern sich zur Reise in den reichen Papstpalast im Lateran aufgemacht, wo sich damals noch, vor der Verlagerung in den Vatikan,148 das Zentrum der päpstlichen Macht befand. Über das Missverhältnis zwischen dem damals regierenden Papst Innozenz III. und dem Poverello wird noch einiges zu sagen sein (s. u. 199–207). Zu Recht gilt Innozenz  III. als einer der grandiosesten, aber eben auch machtbewusstesten Päpste des Mittelalters.  Sein Leben war gewiss fern von den Idealen des Franziskus. Der jedoch sah dies nicht oder sah nicht darauf: Für ihn war seit dem Schutz, den er durch Bischof Guido erfahren hatte, klar, dass er der Kirche auch in ihren machtvollsten Re­ präsentanten Vertrauen schenken konnte.149 Dieser Hintergrund wird dadurch unterstrichen, dass sich zu der Zeit, als Franz nach Rom reiste, Guido ebenfalls dort befand.150 Franz zählte offenbar auf dessen Unter­ stützung für seine Anliegen, eine Anerkennung der Gemeinschaft als Orden zu erlangen. Nicht anders wird man interpretieren dürfen, dass er dem Papst et­ was vorlegte, was als regula, als Ordensregel, bezeichnet wird.151 Diese „Ur-Regel“152 existiert nicht mehr – und es dürfte ein vergebliches Un­ terfangen sein, sie aus dem späteren, nicht päpstlich bullierten Ent­ wurf einer Regel (Regula non bullata) destillieren zu wollen. Das gilt nicht nur, weil es keine Anhaltspunkte gibt, was in dieser Regula non bullata möglicherweise aus älteren Fassungen übernommen worden sein könnte, sondern mehr noch, weil jene Ur-Regel mit den späteren offenbar kaum etwas zu tun hatte. Der Sinn einer Regel ist, wie es auch die späteren Regeln zeigen werden (s.  ausführlicher unten 232–249), zum einen die Lebensweise genauer zu bestimmen, zum anderen eine Art von Entscheidungsstrukturen zu schaffen. Auf dem Weg von der sogenannten nichtbullierten zur bullierten Regel ist letzteres Element 122

4. Suche nach Anerkennung

sogar noch stärker geworden. Man könnte auch sagen: Eine Ordensre­ gel hat zwar eine theologische Basis, sie besitzt ihre Funktion aber vor allem als ein rechtlicher Text, der eine bestimmte Ordensgestalt in un­ terschiedlicher Hinsicht normiert. Allem Anschein nach ist dies bei Franz’ allererstem Entwurf nicht der Fall gewesen. Franz selbst erinnerte sich in seinem Testament, dass er die Regel „mit wenigen Worten und schlicht“153 aufgeschrieben habe, genau genommen spricht er nicht einmal von einer Regel, sondern von der „forma sancti Evangelii“, der Lebensweise nach dem heiligen Evangelium, die ihm der Herr selbst offenbart habe.154 Das ist eine of­ fenkundig zugleich weichere und weitere Formulierung als Regel, die bei Celano noch durchdringt, wenn er davon spricht, Franz habe eine „forma et regula“155 nach Rom gebracht. Er erklärte zudem: „Er nutzte vor allem die Reden des heiligen Evangeliums“156 mit wenigen unum­ gänglichen Zusätzen157. Nun enthalten zwar die späteren Regelent­ würfe selbstverständlich ebenfalls eine große Anzahl von biblischen Zitaten, aber Celanos Bemerkung legt doch nahe, dass es sich bei der Ur-Regel tatsächlich um kaum mehr als eine Collage aus Worten der Evangelien handelte, die für Franz und seine Gefährten leitend gewor­ den waren – ebendas, was ihm, wie er selbst sagte, der Herr selbst of­ fenbart hatte.158 Die Gattung der Regel war, so wird man annehmen dürfen, kom­ plett verfehlt und vielleicht von Franz’ Seite nie wirklich angestrebt.159 Wahrscheinlich ist es auch eine Fehlannahme, zu meinen, sein Inter­ esse sei es gewesen, einen Orden zu gründen160: In diesen Kategorien dachte er nicht. Es dürfte kein Zufall sein, dass die drei Gefährten in diesem Zusammenhang gar keine Regel erwähnen.161 Das ist nicht sehr verwunderlich – Franz war ein Kaufmannssohn mit der für Handel und Wirtschaft notwendigen elementaren Bildung, aber nicht mehr. Ob er literarische Vorbilder, die berühmte Regula Benedicti etwa, gekannt hat, muss man offenlassen, noch die späteren Regeln legen dies jeden­ falls nicht zwingend nahe. Er hat also eine regula eben so geschrieben, wie es ihm einleuchtete. Und was ihm in dieser Zeit so einleuchtete, kann man in etwa erahnen: Die Aussendungsrede Jesu in Mt  10, von der seine Hinwendung zu einer neuen Lebensweise ausgegangen war, dürfte eine große Bedeutung für ihn gehabt haben. Sie verbot Taschen und Schuhe, verbot ein zweites Hemd oder einen Wanderstab – all das 123

2. Kapitel: Aufbruch

hat Franz schon früh umgesetzt. Nicht ganz so klar ist der Umgang mit Geld. „Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel“, schreibt Jesus vor (Mt 10,9) – genau das stand aber in einem gewissen Widerspruch zu der anderen wichtigen Bibelstelle, nach der alle Habe verkauft und den Armen gegeben werden soll, was ja zumindest zwi­ schenzeitlich den Besitz von Geld voraussetzte. Hierfür war offenbar, wie oben beschrieben, wenigstens eine Zeitlang Bernhard zuständig. Ob mit dem Geld schon nach diesem ersten Regelentwurf Schluss sein sollte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, jedenfalls dürfte die Skep­ sis gegenüber dem Geld bereits jetzt eine große Rolle gespielt haben: Sie wurzelte mindestens ebenso in der Abscheu über die eigene frü­ here Existenz wie in den Anweisungen der Aussendungsrede. Neben Vorschriften zur besitzlosen Lebensweise dürfte auch die Mahnung aus Mk 6,12, die Buße, die Umkehr zu verkündigen, zu diesem kleinen, ersten Bestand der forma gehört haben, die Franz genehmigen lassen wollte. Dem Umfang nach wohl nicht viel und vermutlich nicht gerade juristisch ausgefeilt war das, was Franz da nach Rom mitbrachte – ent­ sprechend verhalten war die Reaktion in Rom. Wenn Franz später be­ hauptete, der Papst habe ihm diese Lebensweise bestätigt, meint er da­ mit nicht eine formale Regelanerkennung, wohl aber eine Akzeptanz seiner Gemeinschaft.162

Vor Papst Innozenz

Sehr viel ausführlicher als jene erste forma fiel die Erzählung von der Begegnung zwischen Innozenz und Franz aus, die sich in das Gedächt­ nis eingebrannt hat: die Erzählung vom Traum des Papstes, die genau genommen eine kombinierte Erzählung aus Gleichnis und Traum ist. Bonaventura hat sie in seine Legenda maior aufgenommen163 und ihr so, vertieft durch die Fresken Giottos, Eingang in die weiteren Erzählun­ gen von Franz geschaffen. Die Szenerie, in die man durch sie versetzt wird, erinnert ein wenig an Auftritte der Propheten im Alten Testament vor mächtigen Herrschern. So wie Daniel Nebukadnezar durch Traum­ deutung überzeugt hat (Dan 2) und der Prophet Nathan David durch ein Gleichnis angeklagt hat (2 Sam 12), stellte auch Franz dem Papst ein Bild vor Augen, das ihm nach der zweiten Vita Celanos sogar unmittelbar durch Christus offenbart worden war.164 Er erzählte von einem reichen König, der mit einer schönen armen Frau Kinder zeugte und diese, weil 124

4. Suche nach Anerkennung

sie seine Abbilder waren, an seinem Tisch großzog. Den Hintergrund dieser auf den ersten Blick etwas seltsamen Bemerkung erfährt man aus der ausführlicheren Erzählung in der zweiten Vita Celanos: Die Frau war offenbar selbst nicht an den Hof geholt worden, sondern blieb mit ihren unehelichen Kindern in der Wüste;165 erst als die Kinder erwachsen waren, schickte sie diese an den Hof ihres Vaters und sie wurden dort – ohne ihre Mutter – aufgenommen.166 Es handelt sich hier um das eigen­ artige, gelegentlich auch im Neuen Testament begegnende Phänomen, dass als Gleichnis für eine gute Sache eine problematische Person oder Konstellation gewählt wurde, denn offenkundig handelte es sich bei der Verbindung zwischen dem König und der schönen Frau um eine illegi­ time Beziehung.167 Bei Celano muss der König sogar erst durch eigene Nachforschungen die Erinnerung an diese amouröse Beziehung aktivie­ ren.168 Bonaventura hat das alles durch seine abkürzende Erzählung ver­ schleiert und verunklart. Vor biblischem Hintergrund freilich schwingt mit, dass schon der Prophet Hosea das Verhältnis Gottes zu Israel durch seine eigene Ehe mit einer Prostituierten versinnbildlicht hat (Hos 1; 3). So massiv ist die Anstößigkeit, von welcher Franz spricht, nicht, aber die große Distanz zwischen dem ewigen König und der Frau ist deutlich er­ kennbar, und sie wird noch frappierender dadurch, dass die frühen Be­ richte, geschlechtlich kontraintuitiv,169 mit dieser Frau Franziskus selbst gleichsetzen.170 Der gute König ist selbstverständlich Christus  – wobei man angesichts dessen, dass diese Erzählung im literarischen Duktus Celanos und Bonaventuras genau jenem Papst vorgetragen wurde, der sein Amt ganz prononciert nicht nur als Nachfolge Petri, sondern als Stellvertretung Christi verstand,171 auch einen Bezug auf den Papst mit­ schwingen hört.172 In der Bildwelt wird dann dessen Reichtum quasi als Abglanz Christi legitimiert: Die Erzählung gewinnt so die zusätzliche Bedeutung, Armut nicht als Gegenbild zum Reichtum der Kirche zu verstehen, sondern innerhalb der Kirche Reichtum und Armut komple­ mentär aufeinander zu beziehen. Mit diesem Gleichnis war aber nach Bonaventura noch nicht alles geklärt. Es folgt vielmehr, nach dem Bericht Bonaventuras, eine der berühmtesten, symbolisch hoch aufgeladenen Szenen aus dem Leben von Franziskus,173 deren Akteur weniger dieser selbst ist als der Papst – oder letztlich Gott, der sich auch anderer bedienen konnte, um das Leben des Poverello aus Assisi zu leiten und zu lenken. Dem Papst sei 125

2. Kapitel: Aufbruch

nämlich in der Begegnung mit Franz die Erfüllung einer eigenen Vision deutlich geworden, die er im Traum empfangen habe: Da habe er ge­ sehen, wie die mächtige spätantike Lateranbasilika beinahe zur Ruine zerfallen gewesen war. Wenn diese Kirche bei dem Palast, in dem der Papst gerade mit Franz redete, wankte, dann  – so ist bei der Erzäh­

Franziskus stützt die vom Einsturz bedrohte Lateranbasilika: Giotto di Bondone, „Der Traum des Papstes Innozenz III.“

126

4. Suche nach Anerkennung

lung jedem gleich deutlich – wankte auch die Macht des Papstes. Die Rettung aber habe in jenem Traum ein „ärmliches Männlein“ („homo pauperculus“) gebracht, das die riesenhafte Kirche mit seinem eigenen Rücken stützte und so vor dem Einsturz bewahrte. Im Angesicht von Franz nun erkannte der Papst: „Wahrlich, dieser ist jener Mann, der durch das Werk und die Lehre Christi die Kirche erhalten wird“.174 In ei­ nem Zuge also löste Innozenz, so dieser Bericht, die wenig verrätselte Traumerscheinung auf und identifizierte den Armen aus Assisi mit dem Armen aus seinem Traum. Man muss nicht generell skeptisch gegenüber solchen Traumvisi­ onen sein, um zu merken, wie hier literarische Gestaltung am Werke ist.175 Das beginnt schon rein äußerlich mit der späten Überlieferung: Celano wusste, als er seine erste Vita schrieb, von dem Gleichnis wie der Vision ebenso wenig wie Julian von Speyer, und noch in Celanos Kurzfassung, der Vita brevior, fehlt beides ebenfalls. Johannes von Pe­ rugia kennt dann das Gleichnis, aber noch nicht die Traumvision vom einstürzenden Lateran – erst ab den drei Gefährten und der zweiten Ce­ lano-Vita erscheint alles gemeinsam in jenem Erzählzusammenhang, den Bonaventura der Nachwelt überliefert hat. Das mag man für nicht entscheidend halten, denn schließlich gibt es auch anderes im Leben des Franz, das erst in diesem vergleichsweise späten Stadium auftritt. Doch sollte man meinen, dass eine so wichtige Erzählung wie die vom Traum des Papstes tatsächlich in den dreißiger Jahren noch unbekannt war und erst wenige Jahre später, als Crescentius zur Sammlung von Erinnerungen aufrief, dem Vergessen entrissen wurde?176 Kaum etwas hätte so sehr dazu dienen können, die Anerkennung der Franziskaner zu stärken wie ebendiese Erzählung, die dennoch beim frühen Celano fehlt. Vieles spricht dafür, dass sich in der Schaffung dieser Erzählung eine theologische Überzeugung bestätigt hat, die sich noch an einer anderen prominenten Stelle in den Biographien niedergeschlagen hat: Wie oben ausgeführt (s. o. 68), hatte der Befehl des Kruzifixes von San Damiano genau gelautet, Franz solle das Haus Christi wiederherstel­ len. Dieser Befehl und seine Aufnahme durch Franz lebt von genau der Doppeldeutigkeit, die nun auch den Traum von Innozenz ausmacht. So wie Christus Kirche im Sinne der irdischen Institution meinte, Franz den Befehl aber zunächst auf die realen Gebäude rund um As­ sisi bezog, zeigte auch der Traum des Papstes ein reales Gebäude, mit 127

2. Kapitel: Aufbruch

dem eigentlich auf symbolischer Ebene die ganze Kirche auf Erden gemeint war. Offenbar entstammen beide Erzählungen demselben Grundgedanken, und offenbar sind beide der Franziskustradition erst einige Jahre nach seinem Tod zugewachsen. Ihre Wahrheit liegt auf einer anderen Ebene als der historischen: In ihnen drückt sich aus, dass viele Zeitgenossen in Franz die letzte, ja die einzige Ret­ tung für die Kirche ihrer Zeit gesehen haben. So hat er in geistlichem Sinne die Kirche wiedererrichtet. Dass er historisch reale Gebäude renoviert hat, mag den Anlass gegeben haben, dieser Wahrheit durch die Erzählung von doppeldeutigen Anspielungen auf das, was Kirche sein kann, Ausdruck zu geben und darin die Leitung durch Gott wie­ derzuerkennen.

Alte oder neue Form?

Diese Geschichte bleibt so auf einer bestimmten Ebene wahr und be­ eindruckend, auch wenn sich die Dinge im irdischen Leben vermutlich mühsamer und diplomatischer zugetragen haben.177 Zunächst wurde Franz – und man ist geneigt hinzuzusetzen: Wie hätte es anders sein sol­ len? – gar nicht zu Innozenz selbst vorgelassen. Die ersten Gespräche erfolgten mit Guido von Assisi,178 der aber vermutlich fürchtete, dass die Franziskussache zu Interferenzen mit seinen eigenen Anliegen, de­ rentwegen er nach Rom gekommen war, führen könnte – vermutlich ging es dabei um die im Jahr zuvor an ihn und die Bischöfe von Perugia und Foligno ergangene Aufforderung, ein Kloster seiner Diözese zur Unterwerfung unter ein anderes Kloster zu bringen.179 Die diplomati­ schen Auseinandersetzungen hierum boten keine gute Gelegenheit, sich vermittelnd für Franz und seine Freunde einzusetzen. Das mag auch der Hintergrund dafür gewesen, dass ausgerechnet er, der doch Franz von Anfang an mit so viel Wohlwollen begegnet war, dessen An­ kunft zunächst schwernahm.180 Celano erklärte dies mit Guidos Sorge, die Brüder könnten sein Bistum verlassen,181 wahrscheinlicher ist, dass sie seine diplomatischen Pläne durchkreuzten. Jedenfalls wollte er sich offenbar nicht für ihr Streben nach Anerkennung einsetzen, zumindest nicht in der unklaren Form, die sie boten. Was Franz da brachte und plante, unterschied sich offenkundig von den klassischen Formen des Mönchtums, und doch schien das Anliegen nirgends besser aufgeho­ ben als ebendort. Seit alters waren mit dem Mönchtum die sogenann­ 128

4. Suche nach Anerkennung

ten evangelischen Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam  verbun­ den – als evangelische Räte galten sie, weil man sie auf das Evangelium Jesu Christi zurückführte, aber von den für alle Christinnen und Chris­ ten verbindlichen Geboten unterscheiden wollte. Sie hatten einen an­ deren Status als etwa die Anweisung „Du sollst nicht töten“ oder „Du sollst nicht ehebrechen“. Dennoch gingen sie als Wertvorstellungen aus der Botschaft Jesu hervor. Die Berücksichtigung der evangelischen Räte also gab, so musste es scheinen, eigentlich schon den Rahmen für ein Leben in Armut vor, zumal auch die Keuschheit, das heißt die sexuelle Enthaltsamkeit, zur franziskanischen Lebensform gehörte. Lediglich die Frage des Gehorsams war vielleicht innerhalb dieser ega­ litären Gemeinschaft noch nicht ausgeformt, dafür umso mehr erfüllt durch den Gehorsam gegenüber dem Papst, den nach dem Bericht des Johannes von Perugia Franz und seine Brüder gelobten.182 Es gab folglich gute Gründe, zu meinen, dass die Anliegen des Franz und seiner Gefährten längst ihren Ort in der Kirche gefunden hatten und es keiner neuen Anerkennung oder Genehmigung bedurfte – sie hätten sich nur an einer der längst vorhandenen Mönchsregeln ori­ entieren müssen. Ganz in diesem Sinne scheint Guido die Gruppe an jemanden weitervermittelt zu haben,183 der in seinen Augen für ein sol­ ches Vorhaben geradezu ideal sein musste: Johannes von St. Paul, den Kardinalbischof von Sabina,184 der seinen Beinamen daher trug, dass er als Benediktiner zu dem Kloster San Paolo fuori le mura gehörte.185 Als Kardinal und Angehöriger der traditionsreichen römischen ColonnaFamilie186 dürfte er beim Papst über einen weit größeren Einfluss ver­ fügt haben als der umbrische Bischof Guido, und als Benediktiner war er mit den asketischen Anliegen vertraut, die Franz bewegten. Entspre­ chend machte er offenbar den Versuch, Franz auf eine der traditionel­ len Formen des Asketentums festzulegen: Er führte, so heißt es bei Ce­ lano, mit Franz Gespräche über vita monastica und eremitica.187 Diese vorgeprägten Muster aber befriedigten Franz nicht – in ihnen konnte er einen Teil seines Anliegens aufgehoben sehen, doch insbesondere der Sendungsauftrag als Apostel hatte darin keinen klar erkennbaren Ort. Wenn es nicht biographische Stilisierungen sind, hatte er mit bei­ dem ja schon Erfahrungen gemacht: hatte vergebens um Hilfe in einem Benediktinerkloster nachgesucht und zeitweilig das Eremitengewand getragen, ebendies aber nun abgelegt. 129

2. Kapitel: Aufbruch

Dennoch erhielt Franz Unterstützung von Kardinal Johannes, der sich sogar bereit erklärte, als procurator der jungen Gemeinschaft an der Kurie zu fungieren, also als derjenige, der ihre Anliegen vor dem Papst vertrat.188 In der Tat scheint er es vermittelt zu haben, dass Franz dem Papst gegenübertreten durfte. Sich hier für Franz zu verwenden, dürfte Johannes nicht ganz leichtgefallen sein, denn die Gespräche mit ihm sind nicht zuletzt Ausdruck dessen, wie schwer sich die Kirche tat und wohl tun musste mit diesem neuen Anspruch der franziskani­ schen Gemeinschaft, der an die allerältesten apostolischen Wurzeln anknüpfte. So spitzte auch Bonaventura in seiner Schilderung der Ge­ schehnisse die Ereignisse im Angesicht des Papstes auf die Frage der Neuheit zu: Johannes von St. Paul habe, als der Papst zögerte, erklärt: „Wenn einer sagt, dass in der Beachtung der evangelischen Vollkommenheit und dem Gelübde hierzu irgendetwas Neues, Unvernünftiges oder Unerfüllbares liege, lästert er gewiss gegen Christus, den Urheber des Evangeliums“.189 Dieser Bericht bringt die Problemlage und die Antwort auf den Punkt: Etwas wirklich Neues wollte man nicht, man wollte die Kirche stabi­ lisieren, die sich rundum von den Waldensern und den Katharern als ketzerischen Bewegungen bedroht sah. Zugleich stellte sich die Frage, woran man „Neuheit“ eigentlich maß: an den Verhältnissen, wie sie sich eben eingespielt hatten  – oder an den altehrwürdigen Anfängen des Christentums. Die Johannes-Rede bei Bonaventura plädierte da­ für, Letztere zum Maßstab zu machen und so anzuerkennen, dass in der franziskanischen Bewegung das ureigenste Erbe des Christentums lebendig wurde. Und doch konnte man sich den gewachsenen kirchenrechtlichen Realitäten nicht verschließen: Durch die Berichte dringt durch, dass neben der Frage der Neuheit auch das oben schon angesprochene ju­ ristische Problem zu klären war, wie denn nun mit der Predigt umzu­ gehen sei, zu der Franz und seine Schar sich berufen fühlten. Genau diese Frage nämlich stand dann im Mittelpunkt des Gespräches mit Papst Innozenz. Zwar „ermahnte und mahnte er sie in vielerlei Hin­ sicht“, wie es bei Celano heißt,190 aber sein überlieferter Abschlussse­ gen enthielt die so wichtige Predigterlaubnis: „Geht mit dem Herrn, 130

4. Suche nach Anerkennung

Brüder, und wie der Herr euch einzugeben geruhen wird, predigt al­ len die Buße!“191 Was Franz in seinem Testament als Bestätigung erinnert, gewinnt hierdurch Gestalt. Der Papst versah, wie Werner Maleczek herausgear­ beitet hat, nicht einen irgendwie gearteten Regeltext mit Rechtskraft,192 sondern er bewilligte den Geist des franziskanischen Lebens und nahm die Gemeinschaft zugleich aus der bischöflichen Hierarchie he­ raus.  Die Brüder waren mit ihrer Predigt nicht an die bischöfliche Be­ auftragung gebunden, sondern lediglich an die Eingebung durch Gott – wenn sie sich dennoch, wie es Jakob von Vitry berichtet, vor ihrer Predigt mit den entsprechenden Kirchenführern verständigen sollten, so galt dies lediglich um der „Ehrerbietung“ („reverentia“) willen.193 Das war, wenn es überhaupt den Verhältnissen entspricht, eine recht schwache Bestimmung, die mit der sehr offenen Fassung bei Celano durchaus zu­ sammengehen kann. Das Wort inspirare, das dieser im lateinischen Text verwendet, hat nicht umsonst mit dem Spiritus Sanctus, dem Heiligen Geist, zu tun. Der Papst erkannte an, dass die Brüder vom Geist geleitet waren, ohne dass sie in die kirchliche Hierarchie eingebunden waren – außer an der obersten Stelle. Die Bindung an den Papst war durch die Romreise ja offenkundig, und sie blieb erhalten, denn der Papst autori­ sierte die Brüder nicht nur zur Predigt, sondern stellte sie zugleich unter seine Aufsicht. Dem Segen folgte die Ankündigung, dass der Papst noch größere Zugeständnisse machen werde, wenn sich die Zahl der Brüder vermehre, und das hieß auch: Er wollte sie im Auge behalten. Aus der Sicht des Papstes erfolgte eine Art von Testlauf, ob die franziskanische Bewegung sich bewähren würde194 – verbunden mit dem Hinweis, dass jede weitere Beauftragung allein durch ihn zu erfolgen hatte. So hatte Franz nun im Jahre 1209, wenige Jahre nachdem er teils die bürgerliche Gesellschaft verlassen hatte, teils von ihr ausgestoßen worden war, die denkbar höchste Anerkennung in der Kirche erlangt. In der Tat kann man hier mit Michael F.  Cusato von einer „Wasserscheide in der Ge­ schichte der franziskanischen Bewegung“ sprechen.195 Sein Seelenleben ist uns in vielleicht noch höherem Maße verschlossen als bei anderen historischen Personen, die wir stets nur durch textliche und bildliche Zeugnisse wahrnehmen können. Die Erzählungen, die von Franz han­ deln, haben das denkbar geringste Interesse an psychischen Vorgängen. Man kann lediglich versuchen sich vorzustellen, was in einem Menschen 131

2. Kapitel: Aufbruch

vorgegangen sein muss, der innerhalb weniger Jahre tiefste Verachtung von seinen ehemaligen Freunden und Verwandten, dann bestenfalls Ambivalenz erfahren hatte – und nun vor dem mächtigsten Menschen der Welt stand und von diesem eine Bestätigung erfuhr, die nicht nur eine rechtliche war, sondern die ganze Person stabilisiert und gestützt haben dürfte. Der einstmals bewusst Ortlose hatte seinen Ort gefunden. Doch begann damit eine neue Suche, und eine, die Franz zeitlebens Schwierigkeiten bereiten sollte: die Suche nach Strukturen. Eine Ge­ meinschaft funktioniert ohne Regeln meist nicht, je größer sie wird, desto weniger. Und offenbar genügte nach kurzer Zeit jene Ur-Regel nicht mehr, die Franz dem Papst vorgelegt hatte. Jedenfalls berichtet Celano schon recht bald von Vorarbeiten für den Text, der Jahre später als Regula non bullata gelten würde, als diejenige Regel, die dem Papst vorgelegt, aber nicht von diesem bulliert wurde (s. u.  232–236).196 In diesem Zusammenhang soll Franziskus, so Celano, der Gemeinschaft auch ihren Namen gegeben haben: Ordo fratrum minorum, Orden der Minderbrüder.197 Die Bezeichnung war nicht ohne, wenn man bedenkt, dass es in Assisi ja durchaus schon minores gab: ebenjene ursprüngli­ che bürgerliche Unterschicht, die seit dem Friedensvertrag  – oder auch der „Freiheitscharta“198 – die Geschicke der Stadt lenkte.199 Ihnen wurde dieser Begriff gewissermaßen entwunden und neu, theolo­ gisch, gefüllt: Nicht durch soziale Nachrangigkeit war man ein minor, ein Geringerer, sondern durch Demut und Buße. Ebenso wichtig war die Bezeichnung der Gemeinschaft als „Orden“. Sie würde wohl an­ deuten, dass die Gemeinschaft, noch ehe sie offiziell vom Papst als Orden anerkannt war, an Struktur gewann und sich verfestigte. Freilich war dies, wie allein schon der Umstand zeigt, dass es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern sollte, bis 1223 die Regel des Ordens offiziell geneh­ migt wurde, ein langer Weg.

5. Geliebte im Geiste: Klara Frauen unter den Anhängern

Die Sammlung der ersten Anhänger, die Genehmigung durch den Papst, all dies war eine Männersache. Eine äußere Begründung dafür ist schnell herbeigeholt: Franz wollte ja dem Ruf an die Apostel folgen, 132

5. Geliebte im Geiste: Klara

und auch die Apostel der frühen Christenheit waren nur Männer, so könnte es rasch, wenngleich nicht ganz korrekt, heißen. Schon Paulus weiß von Apostelinnen, wie sein Gruß an Junia zeigt, die nach Röm 16,7 „unter den Aposteln“ herausragt. Das war allerdings im 13. Jahrhundert schon lange und nachhaltig vergessen: Das apostolische Amt der Bi­ schöfe war wie das der Priester ein rein männliches geworden. Frauen hatten zunächst Aufgaben als Witwen in den Gemeinden gehabt, dann als Nonnen in Klöstern. Gerade deswegen ist es aber offenkundig, dass der Lebensweg, den Franz vorlebte, nicht zwingend nur ein männliches Muster darstellen musste. Zwar mag der Gedanke, nackt dem Nackten zu folgen, in der mittelalterlichen Kultur für Frauen ein höheres Maß an Anstößigkeit bedeutet haben als für Männer, doch grundsätzlich galt für sie eben­ falls, dass sie die Normen des Anstands längst in demonstrativer Weise hinter sich gelassen hatten. Und das dahinterstehende Diskrepanzge­ fühl teilten auch weibliche Bewohnerinnen von Assisi. Bekannt ist dies, weil die 1193 geborene Tochter Klara bald in engeren Kontakt mit Fran­ ziskus kam, vor allem für die adelige Familie Offreduccio. Auch über Klara hat – wahrscheinlich200 – Celano eine Vita verfasst, und aus die­ ser erfahren wir, dass Klaras Mutter Ortulana immer wieder weite Pil­ gerreisen unternahm. Aus der kleinen Bemerkung, dass sie dies getan habe, „obwohl sie dem ehelichen Joch unterworfen war“,201 lässt sich erahnen, dass diese Reisetätigkeit nicht unbedingt im Sinne ihres Ehe­ mannes war  – anders gewendet: dass möglicherweise die religiösen Reisen die beste Möglichkeit waren, sich den sexuellen Forderungen ihres Mannes zu entziehen.202 Weiter scheint allerdings ihre Distanz zum vorgegebenen Lebensstil nicht gegangen zu sein, vielmehr erfährt man im selben Zusammenhang, dass sie sich ganz den familiären Ver­ pflichtungen gewidmet habe.203 Die zwischen den Eltern latente Spannung hat dann bei der Tochter wohl zu einem Verhalten geführt, das ganz dem bei Franz zu beobach­ tenden glich204: Sie versuchte unter Beibehaltung einer formalen An­ passung an den Lebensstil der Familie einer radikaleren Anforderung gerecht zu werden. Im Zusammenhang ihres Heiligsprechungsprozes­ ses berichtete Klaras Freundin Bona de Guelfuccio, dass Klara schon als Mädchen ihr eigenes Essen an Arme gegeben habe205 – das lässt sich ganz ähnlich wie bei den Anfängen eines Franz oder Bernhard als eine 133

2. Kapitel: Aufbruch

übertriebene Ausübung der allgemeinen religiösen Pflichten verstehen, denen selbstverständlich auch ihre Eltern nachgingen. Den Armen zu geben, gehörte zu den Gewohnheiten, an welche Klara sich auch in der äußeren Form noch hielt, wenn es bei Celano heißt, dass sie das Essen den Armen nicht selbst brachte, sondern, ganz standesgemäß, durch Dienstboten.206 Dass diese Aspekte der diakonischen Fürsorge für die Armen im Nachhinein besonders betont werden, mag nicht zuletzt an der Verbindung mit Franz liegen. Von Anfang an hatte wohl eine noch größere Bedeutung die Askese. Celano beschreibt Klaras selbstquäle­ risches Verhalten: „Unter prächtigen und weichen Kleidern nämlich trug sie ein verborgenes Bußgewand“,207 ganz so, wie es gelegentlich auch von Franz berichtet wird. Stärker als bei diesem spielte Sexualität beziehungsweise deren Ablehnung eine Rolle für Klara, wohl auch in Fortsetzung und Übersteigerung der Strategien ihrer Mutter zum Ehe­ entzug. Mehrere Zeugen berichteten in ihrem Heiligsprechungspro­ zess, dass sie sich wie viele andere religiös bewegte Frauen der Zeit208 elterlichen Versuchen, sie zu verheiraten, verweigerte209 – das bedeu­ tete den denkbar stärksten Protest gegen die standesüblichen Verhal­ tensweisen. Und es geschah offenbar, ohne dass vonseiten der Eltern eine Einwilligung zu derjenigen Lebensweise, die eine Ehelosigkeit gestattet hätte, dem Nonnenstand, gegeben worden wäre. Die auffäl­ ligen Parallelen zu den Irritationserfahrungen, die Franz in seiner Ju­ gend machte, lassen, nimmt man noch die Andeutungen zu Bernhard, Petrus und anderen hinzu, erkennen, dass es sich hier um eine Gene­ rationenerfahrung handelte, die wohl durch die vielen Veränderungen in der Gesellschaft von Assisi mitbedingt war. Klara hatte als kleines Kind selbst erleben müssen, wie die Familie wegen der Konflikte zwi­ schen Bürgerlichen und Adeligen die Stadt verlassen hatte, sie beob­ achtete aus der Sicht einer Adeligen das Aufkommen des Geldes und damit den Niedergang des eigenen Stands, und sie spürte gewiss die Entleerung der Frömmigkeit in ihren Kreisen. Solche Erfahrungen von Differenz und Spannung teilte sie mit Franz – offenbar ehe sie diesen kannte.

Eine geistliche Liebe

Von ihm hörte sie wohl erst, als sie sechzehn Jahre alt war: Nachdem die Brüder aus Rom nach Assisi zurückgekehrt waren und schon bei 134

5. Geliebte im Geiste: Klara

der Portiuncula Quartier genommen hatten, ließ Klara dorthin Geld bringen.210 Offenbar sah sie nun in der Gemeinschaft der Brüder eine mögliche, kaum schon die einzige Antwort auf ihre bisherigen Diskre­ panzerfahrungen. Dies ist genau die Zeit, in welcher nach den Biographien von Franz dessen Botschaft nicht mehr nur junge Männer erfasste, sondern auch Frauen.211 Klara als unverheiratete junge Adelige konnte nicht so ein­ fach wie andere Frauen zu Franz und den Brüdern laufen, aber über ihren Cousin Rufin, der sich den Brüdern kurz nach der Rückkehr aus Rom anschloss,212 kam sie in Kontakt mit Franz – und dann entspann sich eine Beziehung, von der auch Celano, der sie erzählt, nur zu genau weiß, dass sie einer Liebesgeschichte gleicht, und die entsprechend eine Fülle von Assoziationen ermöglicht.213 Dass Franz wie ein paranymphus, ein Brautwerber, bei Klara aufgetreten sei,214 der sie für die himmlische Hochzeit mit ihrem Bräutigam Christus vorbereitete, mag noch angehen, da er ja demnach selbst nicht als Geliebter infrage kam. Assoziationsreicher ist die Schilderung der Treffen, die wirken wie Rendezvous: Beide besuchen einander gegenseitig, und zwar heim­ lich.215 Letzteres sollte, so Celano, dazu dienen, den „rumor publicus“, öffentliche Gerüchte, zu vermeiden  – schon dies zeigt, dass er sich dessen bewusst war, was man sich üblicherweise dabei dachte, wenn ein junger Mann und eine junge Frau sich heimlich trafen. Diese Heim­ lichkeit bestätigen auch andere, die die genaueren Umstände erkennen lassen. Wenn Klara außer Haus ging, um Franz zu besuchen, wurde sie von einer Freundin begleitet, was diese selbst, ebenjene schon er­ wähnte Bona de Guelfuccio, im Prozess bestätigte216 – während Franz wohl allein zu ihr kam. Celano jedenfalls erwähnt keine Begleitung, und ob Philippus Longus, den Bona in diesem Zusammenhang nennt, tatsächlich als Begleitung zu verstehen ist217 oder er nicht ein weiterer Gefährte war, der gelegentlich Klara besuchte, ist nicht zu entschei­ den.218 So oder so sind all diese arrangierten Treffen literarisch nur mit den heimlichen Begegnungen Liebender zu vergleichen  – ein Hauch von Erotik liegt bei den Treffen zwischen dem nicht ganz dreißigjähri­ gen Franz und der sechzehnjährigen Klara in der Luft. Voreilige Schlüsse verbieten sich aber für die heutigen Interpreten ebenso wie für die damaligen Nachbarn  – nicht etwa deswegen, weil die Macht der Sexualität dem Mittelalter fremd gewesen wäre: Als der 135

2. Kapitel: Aufbruch

fast vierzigjährige Pariser Magister Petrus Abaelard († 1142) dem sech­ zehnjährigen Mädchen Heloise († ca. 1164) Privatunterricht in den artes geben sollte, entspann sich eine der dramatischsten und anrührends­ ten Liebesgeschichten des Mittelalters, ein Zusammenspiel aus intel­ lektueller Faszination, geistlichem Miteinander und körperlicher An­ ziehungskraft. Doch diese Geschichte muss sich bei Franz und Klara nicht wiederholt haben. Dies zu unterstellen, hieße die Doppelbödig­ keit von Celanos Erzählung zu vereinfachen. Gerade dass er die Ge­ schehnisse gut drei Jahrzehnte nach Franz’ Tod in eine so assoziations­ reiche Sprache hüllte, lässt es wenig wahrscheinlich erscheinen, dass er tatsächlich den Verdacht gehegt hätte, die Treffen hätten anderem gedient als dem spirituellen Austausch. Es ist kaum anzunehmen, dass er ohne Not Fährten in eine Richtung gelegt hätte, deren Verfolgung er doch mit größten Anstrengungen hätte vermeiden müssen. Gerade in­ dem er sie nutzt, macht Celano deutlich, dass eine landläufige Affäre zwischen zwei jungen Leuten seinem Vorstellungshorizont fernlag.219 Das heißt nicht, dass man eine erotische Gefühlsebene zwischen Franz und Klara ausschließen müsste,220 im Gegenteil: Die Deutlich­ keit, mit welcher Franz später das Gespräch mit Frauen untersagte,221 erstaunt doch angesichts dieser mehr als verdächtigen nächtlichen Be­ suche bei Klara. Es drängt sich förmlich auf, darin die Folge der eigenen Erfahrungen zu sehen, die Franz mit Klara gelehrt haben mögen, dass geistliche Gemeinschaft und körperliche Anziehung näher beieinan­ derliegen, als es seinem spirituellen Selbstverständnis entsprochen haben mag. Gefühle müssen nicht ausgelebt worden sein. Und was im­ mer die Gefühlslage der beiden in den ersten Begegnungen bestimmt oder mitbestimmt haben mag: Die Begeisterung des jungen Mädchens für den deutlich älteren Mann mündete in eine geistliche Beziehung, die lebenslang währen sollte. Was wir über die sozialen Kontexte wis­ sen, unterstreicht dabei Celanos Darstellung, dass nicht allein eine erotische Liebesbeziehung Heimlichkeit verlangt, sondern auch eine religiöse Entscheidung: Franz war ein Bürgerlicher, Klara eine Adelige. Franz war ein Aussteiger, sie wohnte bei den um die Tochter besorg­ ten Eltern. Beides reicht, um zu erklären, warum beide geheim halten mussten, was zwischen ihnen war. Wie immer man sich dem auch an­ nähern mag: Einen Rest des Geheimnisses muss man den beiden las­ sen und kann es auch. 136

5. Geliebte im Geiste: Klara

Flucht

Manches erfährt man allerdings, glaubt man einmal, dass sie religiö­ ser Art waren, über den Inhalt der Gespräche. Klaras Freundin Bona fasste ihn knapp zusammen: „sich zu Jesus Christus zu bekehren“ („se convertisse ad Iesu Christo“)222 lautete hiernach Franz’ Mah­ nung, die deutlich machte, dass eine Zugehörigkeit zum Christen­ tum als solche, die Teilnahme an den gängigen rituellen Vollzügen und diakonischen Tätigkeiten, in seinen Augen noch nicht eine wirk­ liche Bekehrung zu Christus ausmachte. Ganz genau so lässt sich auch die knappe Lebensanweisung, die Forma vivendi, deuten, die Franz vielleicht schon 1211 schrieb, als Klara und ihre Schwestern in San Damiano einzogen223: „Weil ihr euch durch göttliche Eingebung zu Töchtern und Mäg­ den des allerhöchsten Königs, des himmlischen Vaters, gemacht habt und euch dem Heiligen Geist verlobt habt, indem ihr euch entschieden habt, nach der Voll­kommenheit des Evangeliums zu leben, will ich und verspreche ich für mich und meine Brüder, dass ich wie für sie so auch für euch immer liebende Sorge und besondere Aufmerksamkeit haben werde.“224 Bekehrung zu Jesus, Vollkommenheit des Evangeliums: All dies ist kaum anders zu verstehen, als dass Franz sich für Klara eine ähnliche Lebensweise vorstellte wie die eben erst für ihn und seine Brüder be­ willigte, und auch Klara erinnert sich in ihrem Testament, dass sie dem Beispiel (exemplum) des Franz folgen wollte.225 Wenn die oben vorgetra­ genen Überlegungen stimmen, gab es für Franz ja noch keine ausge­ feilte Regel. Es gab nur die Worte Jesu, denen Folge zu leisten war – und die offenbar nicht minder auch für Klara verbindlich sein sollten. Ge­ naueres erfährt man leider nicht, doch ist die Möglichkeit zumindest nicht ausgeschlossen, dass Franz weniger von Vorannahmen über un­ terschiedliche Handlungsmöglichkeiten der Geschlechter gebunden war als andere und sich in der Tat für Klara eine Lebensform vorstellte, die der seinen und der seiner Gefährten glich. Die adelige Tochter wäre dann, wie schon so mancher adelige Sohn, Bernhard etwa, zur Bettle­ rin geworden, und sie hätte womöglich Anteil an dem Predigtauftrag gehabt. Männer wie Frauen hätten in dieser neuen Art von Gemein­ 137

2. Kapitel: Aufbruch

schaft das apostolische Leben geführt – und noch 1216 sah Jakob von Vitry beide Zweige selbstverständlich als eine Einheit: Verwundert und bewundernd beschrieb er diese neue Gemeinschaft in einem Brief, den er aus Genua schrieb, und sprach hier von den „Fratres Minores et Sorores Minores“ als einer Gruppe.226 Der Weg Klaras und ihrer Schwestern aber wurde ein anderer – und auch Franz selbst kam zunehmend zu der Auffassung, dass seine fraternitas nicht für Frauen geöffnet werden solle. In der traditionell als nicht­ bullierte Regel bezeichneten Sammlung hielt er fest, dass „ganz und gar keine Frau“ („nulla penitus mulier“) in den Orden aufgenommen wer­ den dürfe, sondern Frauen den Weg der Buße woanders gehen sollten.227 Das taten Klara und ihre Schwestern dann auch: Die Regel, die Papst Innozenz  IV. am 9.  August 1253, zwei Tage vor Klaras Tod, bestätigen würde,228 ordnete deren Leben viel stärker in klassische Formen des As­ ketentums und des Klosterlebens ein. Zwar blieb die Gemeinschaft mit dem Armutsgeist verbunden, die Bettelei sollte aber nicht wie bei den Brüdern eine Existenzform auf den Straßen darstellen. Erlaubt wurde vielmehr, nach Almosen zu „schicken“ (mittere)229 – die Distanz wurde vergrößert und die empfundene Entwürdigung der Frauen durch den franziskanischen Lebensstil damit gemindert. Man traute ihnen nun wohl weniger zu, als Franz selbst gehofft hatte. Dies wusste Celano na­ türlich schon, als er die Begegnungen zwischen Klara und Franz in den kurzen Jahren ab 1209 schilderte, ehe sie sich tatsächlich für ein Leben in schwesterlicher Gemeinschaft entschied. So lauten die Mahnungen, die Franz bei ihm gibt, etwas anders als bei Bona: Hiernach war das Ziel die Verachtung der Welt und die Jungfräulichkeit, wie sie für Bräute Christi üblich und erforderlich war.230 Christus also war in dieser Schilderung Celanos weniger das Vorbild, dessen Lebensweise nachzuahmen war, wie es Franz nach Bonas Bericht und auch nach der ersten Forma vivendi gefordert hatte. Er war nun der himmlische Bräutigam, mit dem sich die Schwestern in Kontemplation vereinigen sollten. Waren die Anfänge der jugendlichen Klara von einer ungeheuren Dynamik bestimmt, die nach den Standes- selbst noch die Geschlechtsgrenzen einzureißen schien, waren an ihrem Lebensende die Rollen wieder klar verteilt. Die Frauen waren erneut auf weitgehende Zurückgezogenheit und Passivität festgelegt. Das Vorhaben, Klara zu einem geistlichen Leben zu führen, bedurfte offenbar auch einer ge­ 138

5. Geliebte im Geiste: Klara

wissen Eile: Klara hatte ja schon Ehen ausgeschlagen und war in dem Alter, in dem man sie verloben und sogar verheiraten konnte.231 Zugleich konnte sie sich nicht ohne Einwilligung der Eltern in ein Kloster bege­ ben232 – so kam es zu einer regelrechten Entführung der (himmlischen) Braut aus dem Elternhaus.  Das Geschehen hatte allerdings wenig von einem Abenteuerroman, sondern wurde in einen liturgischen Rahmen gestellt.233 Geplant war der Übergang in die geistliche Welt für die Nacht vom 27. auf den 28. März 1211.234 Der 27. März war der Palmsonntag, an welchem des Einzugs Jesu in Jerusalem gedacht wurde: Jesus ritt demü­ tig auf einem Esel in die Stadt, und die Bevölkerung legte seinen Weg mit Palmzweigen aus (Joh 12,12–19 parr.). Dies wurde liturgisch nachgespielt und dadurch alljährlich neu präsent gemacht. Die Gemeinde von Assisi wurde dabei zu der Jerusalemer Menge, die den Herrn selbst begrüßte. Die hierfür erforderlichen geweihten Palmzweige erhielt man im Dom San Rufino, in unmittelbarer Nachbarschaft des Palazzos der Familie Offreduccio.235 Hier soll nun Klara sich von dem Gedränge der Gläubigen nach den Zweigen zurückgehalten haben – bis der Bischof selbst die Stu­ fen zu ihr hinabstieg, um ihr einen Palmzweig zu überreichen. Man kann dieses Geschehen wieder vor dem Hintergrund der Unterschiede in der Bevölkerung von Assisi verstehen: Da war die Adelige, die sich nicht un­ ter die Menge drängen wollte und die gerade wegen ihres Standes vom Bischof besonders behandelt wurde. Im Zuge der Klaraverehrung wurde hieraus ein besonderes Zeichen. Wie schon Franz war nun auch sie auf ihrem Weg in besonderer Weise von Bischof Guido gewürdigt worden. So wurde das Geschehen wenigstens im Nachhinein236 zu einem Vorzei­ chen. Wie bei Franz schien der Bruch mit dem Elternhaus damit unter bischöflichem Segen zu stehen. In der Nacht schlich Klara sich aus dem elterlichen Palazzo  – nach dem Bericht, den Christiana di Bernardo hiervon im Prozess gab,237 kann man annehmen, dass die Eltern schon einiges dafür getan hatten, dass genau das nicht geschehen sollte. Vielleicht hatten sie mitbekommen, dass Klara immer wieder einmal fortgegangen war, und ganz gleich, ob sie nun ahnten, dass es hier um geistliche Gespräche ging, oder ob sie die näherliegende Vermutung hegten, dass Klara einen Geliebten hatte, den sie nachts aufsuchte, konnte ihnen dieses Verhalten ihrer achtzehnjähri­ gen Tochter nicht recht sein. Die gewöhnlich genutzte Tür scheinen sie so unter Bewachung gesetzt zu haben, dass Klara fürchtete, hier werde 139

2. Kapitel: Aufbruch

ihr Weg verhindert werden. Es blieb ein anderer Ausgang, der nach Christianas Bericht mit schweren Stämmen und einer steinernen Säule verrammelt war,238 Klara aber habe diese Barrikade „con lo adiutorio de Iesu Christo“, „mit der Hilfe Jesu Christi“, beseitigt. Vermutlich hat ihr auch die junge Frau geholfen, die sie laut Celano begleitete.239 So oder so muss dies ein Kraftakt gewesen sein, mit dem niemand gerechnet hatte – wer eine Tür verrammelt, tut dies im Allgemeinen in der Überzeugung, sie dadurch sicher verschlossen zu haben. Klara entkam also,240 und irgendwie gelang es ihr auch, trotz der nachts verschlossenen Stadttore Assisi zu verlassen.241 Auf direktem Wege eilte sie zur Portiuncula,242 wo sie von den Brüdern am Altar emp­ fangen wurde. Wieder kam es zum Ausdruck eines Statuswechsels durch Kleidung, wie es bei Franz schon verschiedentlich begegnete: Klara ließ ihren Schmuck zurück, wie es bei Celano heißt – eine Bemerkung, die zum Nachdenken einlädt: Offenbar hatte der Fluchtplan Klara nicht daran gehindert, Schmuck anzulegen. Ihn nun abzunehmen entsprach dem Verzicht von Franz auf die reichen Kaufmannskleider. Klara sagte sich von den sichtbaren Signalen des Reichtums und auch der Schön­ heit los, indem sie das Letzte an Kostbarem hergab, was ihr geblieben war. Ihr gesamtes Erbe hatte sie bereits zuvor verkauft und den Armen gegeben.243 Schon vor der Flucht war sie arm geworden, nun trat sie den letzten Besitz ab. Aber der Statuswechsel ging noch weiter: „Vom seli­ gen Franziskus selbst erhielt sie dort die heilige Tonsur“, heißt es in der Bulle, mit der Alexander  IV. (1254–1261) 1255  Klara heiligsprach.244 Das Schneiden der Tonsur bedeutete, die Haare, in der Regel bis auf einen kleinen verbleibenden Haarkranz, vom Haupt zu scheren. Es war nicht so sehr Signal für den Verzicht auf erotische Kennzeichen, sondern vor allem Symbol für den Übergang in den geistlichen Stand. Im Grundsatz war die Tonsur das äußere Zeichen eines vollzogenen, rechtlich relevan­ ten Übertritts in die geistliche Sphäre. Was das bedeutete, ließ sich oben schon am Verhalten der Konsuln von Assisi gegenüber Franz ablesen: Wer dem geistlichen Stand angehörte, unterlag nicht mehr dem bürger­ lichen Recht, das nicht nur den städtischen Behörden Recht über eine Person geben konnte, sondern auch den Familien. Dass Klara die Tonsur erhielt, enthob sie dieser rechtlichen Sphäre, machte sie ihrer Familie ge­ genüber frei und unabhängig.

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5. Geliebte im Geiste: Klara

Schutz

Zu diesem rechtlichen Akt war nicht jeder befugt, gewiss nicht eine Ge­ meinschaft, die eben erst vom Papst geduldet, aber noch keineswegs mit einer verfassten Regel ausgestattet war.245 Wieder entstand hier durch einen performativen Akt etwas Neues, und zwar, wenn Celano recht hat, nicht einmal durch Franz allein, sondern „durch die Hand der Brüder“ („manu fratrum“).246 Ein kollektiver Akt der jungen Ge­ meinschaft also überführte Klara äußerlich-sichtbar, doch ohne wirk­ liche Rechtsgrundlage in den geistlichen Stand. Indem Alexander IV. diesen Tonsurschnitt auf Franz selbst zurückführte, der zu diesem Zeitpunkt schon seit fast drei Jahrzehnten als Heiliger verehrt wurde, überspielte er den rechtlich heiklen, geradezu überfallartigen Zusam­ menhang  – auch wenn selbst der Tonsurschnitt durch einen später Heiliggesprochenen im Rechtssystem noch keine unausweichliche Relevanz besitzen musste, ja konnte: Wer hätte denn 1211 schon ge­ wusst, dass Franz einmal als Heiliger verehrt werden würde? Der Um­ stand, dass Guido, auch wenn er die Vorgänge nicht bewusst durch die Bezeichnung mit dem Palmzweig bewilligt haben dürfte, der Gemein­ schaft seinen Schutz gewährte, war gleichfalls nur von begrenzter Be­ deutung. In rechtlicher Hinsicht wäre es aus Sicht der Eltern zunächst gar nicht ganz falsch, das Geschehen als Entführung zu bezeichnen. Um diese prekäre Lage wusste Franz natürlich auch. Klara hat ihm zwar, wie sie sich in ihrem Testament erinnert, Gehorsam versprochen,247 was wohl als eine Art von Eintritt in seine Gemeinschaft zu verstehen ist. Aber sie blieb nicht, wie es dem Aufruf, Jesus zu folgen, entsprochen hätte, bei den Brüdern an der Portiuncula. Franz selbst brachte sie vor­ sichtshalber weiter zum Benediktinerinnenkloster San Paolo delle Ab­ badesse.248 Rasch verging die naive Begeisterung, Klara ungeachtet ihres Geschlechts auf den Weg der Bettler und Prediger schicken zu können. An ihre Stelle trat die Anlehnung an die klassischen kontemplativen Orden. Auch wenn dies noch nicht der endgültige Schritt war, sondern Klara San Paolo bald wieder verlassen konnte, waren damit Vorzeichen für ihren Weg gesetzt, die sich, wie oben angedeutet, später in ihrer ei­ genen, mühsam  erkämpften Regel niederschlagen würden. Fürs Erste erreichte Franz mit dieser Maßnahme, was er anstrebte: Die in einem symbolischen Akt vollzogene Tonsur gewann durch das Kloster einen le­ gitimen Kontext, und letztlich konnte Klara sich hier vor dem Zugriff der 141

2. Kapitel: Aufbruch

Verwandten bewahren, die sie bestürmten, heimzukehren: Als Beweis, dass sie ihnen nicht mehr unterworfen war, zeigte sie ihr geschorenes Haupt.249 Die Familie erreichte mit ihrem Drängen das Gegenteil: Statt dass Klara zu ihr heimkehrte, eilte nach nur sechzehn Tagen die jüngere Schwester Agnes zu Klara250 – und spiegelbildlich zeigte sich nun, welche Bedeutung die Tonsur besaß: Als nämlich Agnes diese noch nicht emp­ fangen hatte, versuchten ihre Verwandten sie – letztlich allerdings auf­ grund des Widerstandes der Schwestern vergeblich – gewaltsam wieder aus dem Kloster zu holen.251 Diese Geschehnisse spielten sich schon in Sant’Angelo di Panzo ab, einem weiteren Benediktinerinnenkloster, in das Klara, offenbar schon nach wenigen Tagen, übergesiedelt war.252 Auch hier hielt es sie nicht lange, sondern sie zog auf Anraten von Franz weiter nach San Dami­ ano.253 Blickt man wieder auf die rechtlichen Zusammenhänge, so hatte sie sich damit in den Schutzraum des Bischofs von Assisi begeben, der für San Damiano zuständig war. Die Gemeinschaft der Benediktine­ rinnen war offenbar, das dürften spätestens die Versuche, Agnes wie­ der nach Hause zu holen, gezeigt haben, nicht sicher genug. Bischof Guido aber dehnte nun erkennbar und sichtbar sein Wohl­ wollen von Franz auch auf dessen Gefährtinnen aus.  San Damiano, selbst nach der Renovierung durch Franz nicht mehr als ein schlich­ tes Gebäudeensemble auf halber Höhe zwischen Assisi und der Por­ tiuncula, sollte auf Dauer Ort ihrer Gemeinschaft werden. So sehr war dieser Ort mit dem Anliegen Klaras verbunden, dass noch in der Heiligsprechungsurkunde Klaras vom „Orden des Heiligen Damian“ die Rede war.254 Bis dieser allerdings gegründet wurde – heute ist er als zweiter Orden der Franziskaner oder als Klarissenorden bekannt –, war es ein langer Weg. Zunächst einmal bedeutete die noch 1211 erfolgte255 Umsiedlung nach San Damiano, dass ein weiteres Mal in Franz’ Leben die Kirche, vertreten durch ihren Bischof, sich als Behüterin des Ar­ mutsanliegens erwiesen hatte. Unter diesem Schutz konnte nun das gemeinsame Ideal auch in einer Frauengemeinschaft wirksam werden, die freilich trotz enger Verbindungen mit der Gemeinschaft an der Por­ tiuncula in vielem ihre eigenen Wege ging.

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3. Kapitel: Sendung

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft Die Büßer von Assisi

Buße zu tun und zur Buße zu rufen, das machte die Identität der frü­ hen Bewegung aus. Johannes von Perugia berichtet gar, dass die Brü­ der, wenn sie gefragt wurden, woher sie kamen oder welchem Orden sie angehörten, auf ihre Herkunft aus Assisi verwiesen, vor allem aber sich als die „Büßer“ vorstellten.1 Sie waren Büßer und sie verkündigten die Buße. Die späteren Ordensbezeichnungen haben die Dominika­ ner als „Predigerorden“ festgelegt. Zu Beginn könnte man aber auch die Gemeinschaft um Franz als Predigergemeinschaft bezeichnen. Sie folgten dem Auftrag der Aussendungsrede, die Franz einst gehört hatte, und der war in erster Linie die Verkündigung des Wortes Got­ tes. Der Bußruf war Teil jener Botschaft Jesu, die nun zur Botschaft des Franz geworden war. Er passte auch deswegen so gut zu den Anliegen des jungen Mannes aus Assisi – als er vor Innozenz stand, war er noch keine dreißig Jahre alt –, weil in ihm noch jene negativen Impulse der Abwehr und Entsagung nachschwangen, die Franz angetrieben hat­ ten: Buße, gerade wenn sie mehr bedeuten sollte als die Teilnahme am Sakrament, bedeutete in aller Radikalität eine Absage an den bisheri­ gen sündigen Lebenswandel.2 Und dieser sündige Lebenswandel war der Alltag der Bevölkerung von Assisi, der Familien derer, die jetzt zur Buße riefen. Das Hängen am Geld, die Darstellung von Reichtum, wie sie letztlich auch die Adeligen mit ihren Gewändern vollführten, wa­ ren Ausdruck einer falschen Gesinnung. Wenn die Berichte stimmen, dass Franz Klara zur Bekehrung zu Christus aufforderte, wird darin 143

3. Kapitel: Sendung

deutlich, dass er diesen Christus ungeachtet ihrer Taufe in ihrem bis­ herigen Leben nicht wirken sah. Alles Leben der städtischen Gesell­ schaft, die doch ihrem Selbstverständnis nach eine christliche war, hat er so im Kern als unchristlich verdammt. Das Drängen nach Gewinn, das Erfolgsrezept der Bernardones und anderer Sippen in der Stadt, war letztlich Ausdruck einer Orientierung an den falschen Werten. In­ nerweltliche ökonomische Kriterien hatten hier das Ausschauhalten nach dem anderen verdrängt, was die Apostel der Aussendungsrede gemäß verkündigen sollten: nach dem Reich Gottes. Es scheint, dass Franz und seine Anhänger wie ein Einbruch dieses Reiches Gottes in die mittelitalienische Gegenwart des 13.  Jahrhunderts wahrgenom­ men wurden. Die Gefährten notieren einmal, den ersten Hörern seiner Predigten sei Franz vorgekommen wie ein „homo alterius saeculi“, ein Mensch eines anderen Zeitalters.3 Kajetan Eßer hat herausgearbeitet, dass sich darin die Hoffnung spiegelt, in Franz sei schon angebrochen, was er verkündete: das Reich Gottes. 4 Franz war der eigenen Zeit ent­ hoben, und dies in doppelter Hinsicht: Er wies, ein Mensch zwischen den Zeiten, zurück auf Jesus Christus und er wies voraus auf dessen Wiederkommen. Für die späteren Erben konnte dies zweierlei bedeu­ ten: Man konnte, so haben es viele radikale Franziskaner verstanden, in Franz den Anbruch der Endzeit oder, noch genauer, der tausendjähri­ gen Herrschaft Christi hier auf Erden sehen. Man konnte ihn aber auch als zeitlose Repräsentation Christi auf Erden verstehen und so das Andenken an den Herrn in einer Welt bewahren, die offenkundig auch Jahrhunderte nach dessen Auferstehung ihr Ende noch nicht erreicht hatte – der Franz als Mensch eines anderen Zeitalters stellt die Grund­ lage für seine dauerhafte Verehrung dar. Freilich gehört diese Bemerkung über den Menschen eines anderen Zeitalters schon in die Deutung durch die Gefährten, und man darf fragen, ob sie tatsächlich die Wahrnehmung der ersten Hörer wieder­ gaben  – oder das, was sie später selbst in Franz sahen. Sicher ist für die Anfänge allerdings, dass Franz das Reich Gottes verkündete. Das war nicht nur eine Drohung, wie man es angesichts des Bußrufes mei­ nen könnte, der schon in Mt  4,14 damit begründet wurde, dass das Himmelreich nahe sei. Es war auch eine Verheißung. In Gottes Reich würde, so wussten es die mittelalterlichen Glaubenden, ein universaler Frieden herrschen, wie ihn der Prophet Jesaja verhieß: „Der Wolf findet 144

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie“ (Jes  11,6). Buße und Friedensbotschaft gehörten unmittelbar zusammen, wie auch Franz selbst nach einem Bericht Celanos von Sündenerkenntnis und Buße zur befreienden Erfahrung der Nähe Gottes geführt worden war: „Eines Tages (…) suchte er einen Gebetsort auf, wie er es immer wieder tat, wo, als er lange blieb und (…) immer wieder jenes Wort: ‚Gott, sei mir Sünder gnädig‘ wiederholte, eine unaus­ sprechliche Freude und übergroße Süße all­mählich das Innere seines Herzens zu überfluten begann. Und er begann von sich selbst abzulassen, und nachdem er die Gefühlsanwand­ lungen unterdrückt hatte und die Finsternis gewichen war, die sich aus Sündenfurcht in seinem Herzen gedrängt hatten, strömte in ihn Gewissheit über die Vergebung aller Sünden, und Vertrauen breitete sich aus, dass er Gnade erlangen werde.“5 Buße, so wird deutlich, forderten Franz und die Seinen nicht allein von den anderen, Buße war zunächst einmal eine Forderung an sie selbst. Bei allen Versuchen, Jesu Lebensweg nachzuvollziehen, machten sie sich mit ihm nicht gleich, sondern sahen sich selbst zutiefst als Sünder an, die im Angesicht Gottes immer nur ihre eigene Begrenztheit erfah­ ren konnten. So deutlich damit die Frömmigkeit wird, die sich in dieser kleinen Episode ausdrückt – historisch ist sie nicht ganz einfach einzuordnen. Ausdrücklich geht es ja um etwas, was Franz in Zurückgezogenheit er­ lebt hat, also ohne Zeugen. Wenn die Schilderung einen Anhalt im Le­ ben von Franz hatte, müsste sie auf seine eigene Erzählung von diesem Ereignis zurückgehen. Das allerdings bestätigt Celano nicht ausdrück­ lich, sodass, wie so oft im Falle von Franziskus, Skepsis angebracht ist, ob sich alles so zugetragen hat, wie sein Biograph es berichtet. Aber ebenso gilt hier wie auch an anderen Stellen, dass die Alter­ native zu der Annahme, es handele sich um einen historisch exakten Bericht, nicht einfach darin besteht, von einer Erfindung Celanos auszugehen. In mancher Einzelerzählung kann sich eine Verdichtung allgemeiner Erfahrungen niederschlagen, und so wird mit einem Mal ebendie Episode, der man Historizität im strengen Sinne abspricht, viel 145

3. Kapitel: Sendung

aussagekräftiger, berichtet sie doch dann nicht von einem einmaligen Ereignis, sondern von wiederholbarem Geschehen, ja vermutlich von einer in der kleinen Gemeinschaft um Franz weit verbreiteten Haltung. Der Rückschluss auf Franz ist dann insofern zulässig, als er diese Art von Frömmigkeit geprägt haben dürfte. Entsprechend ist auch nicht zu viel Gewicht darauf zu legen, dass Celano diese Geschichte in der al­ lerersten Anfangsphase der franziskanischen Bewegung verortet und sie zum Ausgangspunkt der Schilderung visionärer Erfahrungen des Franz nimmt, die der Gemeinschaft Mut für ihren weiteren Weg gaben. Der Bußgedanke ist ja nicht auf die frühe Phase der Gemeinschaft be­ grenzt: Noch in seinem Testament fasste Franz seinen ganzen Lebens­ weg als Tun der Buße zusammen,6 und als er, wohl 1224 oder später, ein Schreiben an alle Brüder des Ordens richtete, um ihnen einzuschärfen, wie sie sich zu verhalten hatten, gehörte zu den Anweisungen auch der – freilich sehr formalisierte – Text eines Schuldbekenntnisses.7 Die tiefgehende Erfahrung der eigenen Sündigkeit hatte also nicht plötz­ lich ein Ende, sondern sie prägte das Leben und die Frömmigkeit der Gemeinschaft und ihres Gründers immer weiter. Umso wichtiger ist es, sich anhand des Berichtes von Celano klarzumachen, dass die im­ mer neue Buße nicht im Negativen stecken blieb, sondern hinführte zu der Erfahrung der Vergebung. So wie das Bußsakrament in der Kir­ che seinen Mittelpunkt in der Erfahrung der Absolution, der Losspre­ chung von den Sünden, hatte,8 gehörte auch zur Buße als Lebensform ebendiese Erfahrung, dass Gott den Büßer an- und aufnimmt. Dieser existenziellen Erfahrung entspricht die Friedensbotschaft, die mit dem Bußruf verbunden war.

„Friede sei mit euch“

Der Friedensgruß war ein markantes Kennzeichen der franziskani­ schen Bewegung. In seinem Testament erklärte Franz: „Den Gruß hat mir der Herr offenbart, dass wir sagen: ‚Der Herr gebe dir Frieden‘“.9 Die Offenbarung war möglicherweise, wie in anderen Fällen auch, durch die Bibel vermittelt, gehörte doch nach dem Lukasevangelium zu den Anweisungen an die Jünger: „Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus“ (Lk 10,5). So wird es noch in den späteren Regeln ausdrücklich zitiert.10 Allerdings war auch diese Of­ fenbarung durch den Schrifttext natürlich nicht kontextlos – und man 146

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

wird die Abweichung der Formulierung genau zu beachten haben: Der Gruß, der die Minderbrüder kennzeichnete, galt unmittelbar den Menschen, während die Formulierung aus Lk 10, die Franz in der soge­ nannten Regula non bullata zitierte, auf die Häuser gerichtet ist – gewiss sind damit letztlich die darin Lebenden gemeint,11 und doch fällt die Abweichung in der Formulierung auf. Man wird daher andere Hinter­ gründe mit einbeziehen müssen, um zu verstehen, welchen Sinn der Gruß für Franz und seine Bewegung hatte. Tatsächlich steht der For­ mulierung, die Franz in seinem Testament nutzt, wohl der liturgische Gruß am nächsten, den zunächst nur Bischöfe, dann auch Priester in der Liturgie gebrauchten: „Pax vobiscum“, „Friede sei mit euch“.12 Er diente dazu, die geistliche Gemeinschaft der Gottesdienst feiernden Gemeinde auszudrücken, und machte deutlich, dass der Gottesdienst aus Mühen und Streitigkeiten der alltäglichen, profanen Welt enthob und in eine eigene, sakrale Welt der Gemeinschaft mit Gott und unter­ einander führte. Dass die Verwendung des Friedensgrußes bei Franz in der Tat diesen gottesdienstlichen Hintergrund hatte, dringt bei Celano noch durch, der für die ganz frühe Phase der Gemeinschaft von der en­ gen Verbindung aus Friedensgruß und Predigt berichtet: „Bei jeder Predigt, die er hielt, bat er, noch ehe er den Versammelten das Wort Gottes vortrug, um Frieden. ‚Der Herr gebe euch Frieden!‘“13 Franz nahm also offenbar den liturgischen Gruß auf – und dass dieser eigentlich den Bischöfen zustand, passt durchaus dazu, dass Franz sich ja mit der Predigt eine genuin bischöfliche Aufgabe zu eigen gemacht hatte. Vor allem aber bedeutete die Übernahme des Friedensgrußes, dass Franz seine eigene Predigttätigkeit, wo immer sie genau stattge­ funden haben mag, in einen Raum von Heiligkeit stellte: So wie der Friedensgruß in der Liturgie der Scheidung des Sakralen vom Profanen diente, tat er dies nun auch in der eigentlich unbefugten Predigt des Ar­ men aus Assisi. An derselben Stelle wird bei Celano auch schon die Ausweitung die­ ses Grußes über unmittelbar liturgische Vollzüge hinaus erkennbar, denn, so berichtet der Biograph weiter, Franz grüßte alle, ob Männer oder Frauen, wenn er ihnen auf seinem Weg begegnete, mit dem Frie­ 147

3. Kapitel: Sendung

densgruß.14 Der Gruß war also nicht, wie in der Aussendungsrede, auf den Eintritt in den häuslichen Bereich, er war auch nicht auf liturgische Zusammenhänge begrenzt, und doch schwang beides mit: Den Frie­ den zu verkündigen war eine universale Tätigkeit – und wie so oft bei Franz eine solche, die keine Rücksicht darauf nahm, ob sie anderen einleuchtete oder nicht. Den Friedensgruß allen Entgegenkommen­ den entgegenzurufen, hieß jedenfalls, ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag zu legen. Der Friedensgruß führt aber in noch tiefer liegende Schichten der Wandlung von Franz, gerade weil er auf Momente verweist, in denen die Kontinuität zu den Anfängen erkennbar ist. Celano geht, jedenfalls in der zweiten Vita, ganz weit zurück, wenn er schon Franz’ Verhalten in der Gefangenschaft, als er sich einem von den Mitgefangenen Aus­ gegrenzten zuwandte, auf Sehnsucht nach Frieden zurückführt.15 Das ist eine durchaus naheliegende Deutung, die man noch weiter aus­ bauen könnte, indem man über den Zusammenhang zwischen der sei­ nerzeitigen Kriegserfahrung und der späteren Betonung des Friedens nachdächte. Doch das bleibt Spekulation, auch die Erwähnung des Friedens bei Celano wird nicht einmal Franz in den Mund gelegt, son­ dern ist lediglich Deutung durch Celano. So früh also wird man die Be­ tonung des Friedens nicht verankern können – obschon die Notiz inso­ fern bemerkenswert ist, als sie in Erinnerung ruft, in welch kriegs- und kampfbereite Verhältnisse hinein die Friedensbotschaft der franziska­ nischen Bewegung erscholl: Franz hat nicht nur den Krieg mit Perugia erlebt, sondern auch die Auseinandersetzungen in der eigenen Stadt. Frieden war in der Tat alles andere als Wirklichkeit. Man konnte ihn nur als Verheißung haben und weitergeben. Doch wird man die Explizitmachung dieses Friedensgrußes erst et­ was später ansetzen dürfen: Oben wurde schon erwähnt, dass Franz bereits in jener Zeit, in welcher er noch überhaupt keine Klarheit über seinen Lebensweg besaß, mit einem Aussätzigen den Friedenskuss austauschte (s. o. 53), den die drei Gefährten auch ausdrücklich so be­ zeichnen: als osculum pacis.16 Dieser gehört eigentlich in den liturgi­ schen Zusammenhang der Eucharistie, und damit kommt man auf eine ganz eigene Deutungsebene, die für das Weltverständnis von Franz möglicherweise entscheidend ist. Die Zuwendung zu den Ausgegrenz­ ten ist nicht etwa als eine sozial-karitative Tätigkeit von anderen religi­ 148

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

ösen Vollzügen unterschieden, sondern sie ist letztlich ein sakramen­ taler Vorgang: Im Aussätzigen erfährt Franziskus ebenjene Gegenwart Christi wie in der Eucharistie. Das erinnert nun wieder an die oben erwähnte Stelle aus Mt 25, nach der man das, was man den Geringsten unter seinen Brüdern getan hat, Christus selbst getan hat. Aber es geht in spiritueller Hinsicht tiefer, denn wenn der andere Mensch in eine sa­ kramentale Wirklichkeit eingetaucht wird, dann entsteht ein Bewusst­ sein von einer Durchdringung der diesseitigen Welt durch das Sakrale. Die Dimension, die sich hier andeutet, ist zentral, um auch die weiteren Aspekte zu verstehen, die Franz’ Tätigkeit ausmachen: seine Wunder ebenso wie seine Hinwendung zur Schöpfung. Damit sind indes immer noch nicht alle Hintergründe des Friedens­ grußes ausgeleuchtet. Den vielleicht überraschendsten berichten die drei Gefährten: „Und wundersam ist es gewiss und nicht ohne Wunder zuzulas­ sen, dass er in der Verkündigung dieses Grußes noch vor seiner Bekehrung einen Vorläufer hatte, der häufig durch Assisi ging und auf diese Weise grüßte: ‚Frieden und Gutes! Frieden und Gutes!‘“17 Diese Nachricht können die Gefährten selbst nur mühsam durch ei­ nen Vergleich mit Johannes dem Täufer als Vorläufer Jesu einfangen.18 Tatsächlich gilt ja, dass Johannes nicht allein Jesus ankündigte, son­ dern zugleich dessen Bußruf schon vorwegnahm (Mk 1,4). Dass nun mit einem Mal ein Vorläufer von Franziskus erscheint, rückt dessen Berufung auf göttliche Offenbarung, die er gerade auch für den Frie­ densgruß in Anspruch nahm, in einen ganz anderen Zusammenhang: Sein Wirken, so spontan es in vielerlei Hinsicht erscheint, war jeden­ falls nicht ohne Vorbild, und dies nicht nur in dem Sinne, dass man auch sonst von allerlei Bewegungen weiß, die der franziskanischen mit ähnlichen Anliegen vorausgingen (s. u. 208–210), sondern in dem ganz konkreten Sinne, dass Franz als jugendlicher Kaufmannssohn einen Menschen in seiner Stadt erleben durfte oder musste, auf den er viel­ leicht nicht weniger verächtlich geschaut hat als seine Standesgenos­ sen später auf ihn. Assisi, und mit der Stadt auch ihr Bürger Francesco, hatte durchaus, ehe dieser zum Aussteiger wurde, Erfahrung mit sol­ chen Aussteigern. Er war gewiss besonders, ein Einzelfall war er nicht. 149

3. Kapitel: Sendung

Das unterstreicht einerseits noch einmal den Gedanken, dass die Bewegung um Franz von Assisi einer Art von Generationenstimmung Ausdruck gab. Die Absage an Reichtum und bürgerliche wie adelige Gewohnheiten lag in der Luft. Andererseits betont es auf bemer­ kenswerte Weise dann doch die Eigenheit von Franz. Denn offenbar hat jener Mann, der heute ohne die kleine Bemerkung der Gefährten vergessen wäre, nicht weitere Kreise bewegen und keine größere An­ hängerschaft hinter sich scharen können. Er blieb, so scheint es, eine merkwürdige Einzelgestalt – und doch vielleicht von nachhaltiger Wir­ kung, denn im Friedensgruß der Minderbrüder lebte er fort. Der Frie­ densgruß also lässt eine Fülle von Ebenen anklingen, sowohl in Franz’ Leben selbst als auch in seinem Umfeld. Er scheint biographisch tief in seine Jugend zu weisen, offenkundig in eine Zeit vor der Klärung sei­ ner eigenen Aufgabe. Umgekehrt heißt dies: Dass diese Aufgabe auch die Verkündigung des Friedens enthielt, bestätigte ebenso wie die Auf­ forderung zum Bußruf ein Empfinden, das Franz schon länger gehabt hatte. Die Entwicklung, die Franz nahm, war offenkundig von einer Vielzahl von Brüchen geprägt, doch ließ er mit den Schritten, die er machte, das Vorherige nicht einfach hinter sich, sondern nahm es auf und führte es weiter. Bezeichnend bleibt, dass der Friedensgruß in das Zentrum seiner neuen Tätigkeit gehörte: zur Predigt. Freilich ist zu bedenken, dass nicht einmal diese Zentralstellung der Predigt ganz sicher ist. Jan Hoe­ berichts hat zu Recht hervorgehoben, dass Franz im eigenen Rückblick auf die frühe Bruderschaft in seinem Testament die Predigt nicht er­ wähnt.19 Aus diesem Schweigen allein wird man indes nicht erschlie­ ßen können, dass die Predigt, die tief in den hagiographischen, aber auch in anderen Quellen zu Franz, darunter eigenen Schriften wie etwa den Regeln, verankert ist, keine Rolle spielte. Die in der Einlei­ tung genannten Bedenken gegenüber Erinnerung in Quellen gelten für autobiographische Zeugnisse ebenfalls. Auch diese sind selektiv, und das Testament des Franz war nicht als umfassender Rückblick ange­ legt, sondern als Mahnung an seine Brüder kurz vor seinem Tod. Die Verkündigung dürfte angesichts der Fülle anderer Belege trotz dieses Schweigens an einer freilich markanten Stelle ein zentrales Element der neuen, jungen Bewegung gewesen sein  – auch wenn wir nicht ganz genau sagen können, wie sie stattgefunden hat. 150

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

Charismatisches Auftreten

Charismatisch dürften diese Auftritte in jedem Fall gewesen sein  – Celano spricht davon, Franziskus habe „unter vielen Tausend Men­ schen gepredigt“.20 Das dürfte eine Übertreibung, vorsichtiger ge­ sagt: eine sehr grobe Schätzung sein, durch welche deutlich gemacht werden sollte, wie begeisternd der Prediger Franziskus war. Diese enorme Ausstrahlung lag wohl mehr am persönlichen Auftreten als an den Inhalten. So sind die Viten im Blick auf die Inhalte der Pre­ digten eher spröde. Wir können sie nur indirekt aus anderen Äuße­ rungen des Franz erschließen, die möglicherweise erkennen lassen, was ihn in seinen Predigten beschäftigt hat  – möglicherweise muss man hier deswegen sagen, weil diese Texte eben ein anderes Publi­ kum haben als die Predigten, von denen jedenfalls viele einen mis­ sionarischen Charakter hatten. Dagegen gehen die Texte, die uns vorliegen, in der Regel schon an Angehörige oder Sympathisanten der Bruderschaft, die man nicht mehr davon überzeugen muss, dass dies der bessere, christlichere Weg ist. Möglicherweise muss es aber auch deswegen heißen, weil das, was wir an originalen Texten von Franz haben, natürlich nur einen Bruchteil dessen darstellt, was er tatsächlich geäußert hat. Vieles ist verloren gegangen, manches Thema, das ihm wichtig war, ist vielleicht in diese Texte gar nicht eingegangen. Unter diesen methodischen Vorbehalten sind ein besonders inter­ essantes Zeugnis die sogenannten „Ermahnungen“, die Admonitiones, eine offenbar eher zufällige Sammlung von Aussprüchen des Franzis­ kus teils dogmatischen, teils ethischen Inhalts. Chronologisch sind sie nicht klar zuzuordnen, doch führen sie, soweit solche Aufzeichnungen das tun können, recht nahe heran an die Weise, wie Franz sich anderen gegenüber äußerte, sei es im Einzelgespräch oder eben in der Anspra­ che an viele. Natürlich gilt auch hier, neben der Datierungsschwierig­ keit, die allgemeine Mahnung zur Vorsicht im Umgang mit Quellen. No­ tizen über Aussprüche des Franz sind keine Stenogramme, sie können recht lange nach dem Ausspruch selbst vorgenommen worden sein, und sie geben wieder, was der Schreiber behalten wollte. Das fängt mit der Selektion an: Was von Franz’ Äußerungen andere nicht für bewah­ renswert hielten, wurde vergessen. Es betrifft aber ebenso die Art und Weise der Formulierung. Zusammen mit Franz hören wir immer auch die Tradenten, die nicht nur in den Biographien, sondern eben auch in 151

3. Kapitel: Sendung

der Zuspitzung von Zitaten das Gedächtnis an Franz so formten, wie es ihnen richtig und angemessen schien. Dennoch lassen sie durch diesen Filter hindurch etwas von der Ver­ kündigung des Franz erkennen. Die Bußmahnung hallt hier im Nach­ denken über die Sünde des Menschen wider. Ausgangspunkt jeder christlichen Auffassung von der Sünde ist die Geschichte vom Sün­ denfall, vom ersten Vergehen der Ureltern Adam und Eva  – jene be­ rühmte, sprichwörtlich gewordene Szene, als sie dem Verbot entgegen eine Frucht vom verbotenen Baum der Erkenntnis aßen. Franz teilt die Grundauffassung, nach welcher aus der seinerzeitigen Sünde die Strafe für den Menschen geradezu selbstverständlich folgte,21 aber die Ge­ schichte war für ihn nicht einfach eine historisch abgeschlossene. Jeder nämlich, so führte er aus, esse von dem Baum der Erkenntnis, der sich seinen eigenen Willen aneignet – diese merkwürdige Formulierung wird aus dem Folgenden verständlich. Wer so handele, sei nämlich jemand, der sich mit dem Guten erhöht, das allein Gott in ihm wirkt.22 Diese Sätze drücken einen theologischen Ansatz radikalster Demut aus. Kein Gutes kommt aus dem Menschen heraus, sondern allein aus Gott, was umgekehrt heißt: Der Mensch hat im Blick auf sich immer wieder die Sünde in den Vordergrund zu rücken, sein eigenes Unvermögen, Gu­ tes zu tun. Jeder Mensch wird je neu Adam oder Eva – und steht so für Franz im Kampf mit dem Teufel und seinen Einflüsterungen.23 Freilich ist aus dem Zusammenhang dieser Ermahnung nicht ganz deutlich, wie weit sie auch für Menschen galt, die nicht dem entstehenden Orden angehörten. Im Zusammenhang der Admonitiones mündet die Auffor­ derung, den eigenen Willen aufzugeben, nämlich in die Mahnung zum Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten im Orden24 – übrigens mit der interessanten Einschränkung, dass man Befehle, die „contra animam“, gegen die Seele, gehen, nicht befolgen müsse25: Die Bindung an das ei­ gene Gewissen ist nicht einfach eine Erfindung der Neuzeit, sondern sie entstammt der monastischen Kultur des Mittelalters.

Teufel und Gericht

So gewiss diese Anweisung zum Gehorsam  gegenüber dem Oberen allein für den ordensinternen Gebrauch gedacht ist, so sehr wird man doch davon auszugehen haben, dass die Mahnung, den Willen auf­ zugeben, auch in den Predigten ihren Ort hatte, die Franz frei an die 152

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Bevölkerung richtete. Wie dies konkret aussehen konnte, zeigt sich in einem Schriftstück, das als „Brief an die Gläubigen“ bezeichnet wird, unter Umständen aber tatsächlich den Niederschlag von Franz’ Buß­ predigt darstellt.26 In der etwas älteren – und damit näher an der Predigt stehenden – Kurzfassung heißt es: „Alle aber, Männer wie Frauen, die nicht in Buße stehen (…) und Laster und Sünden ausüben und in ihrem Leben der üblen Begierde und den üblen Sehnsüchten folgen und nicht beachten, was sie dem Herrn versprochen haben, und leiblich der Welt mit fleischlichen Sehnsüchten und weltli­ chen Plänen und Sorgen um dieses Leben dienen, die sind vom Teufel festgehalten, dessen Kinder sie sind und dessen Werke sie tun.“27 Dieser Franz ist anders als der liebevolle zarte Poverello, der uns aus den Porträts entgegenblickt28 – aber er ist ein und derselbe. Franz war, das dringt aus diesen Zeilen heraus, ein strenger, harter Bußprediger. Seine Anklage galt nicht nur den Reichen, sondern sie galt allen, die in der Welt verfangen waren – und er schied scharf: der Herr Jesus Chris­ tus hier, der Teufel dort. Rhetorisch passt dies genau zu jener Predigtsi­ tuation, die man sich aufgrund der Berichte für die Frühzeit vorstellen muss.  So werden Entscheidungen provoziert, klare Alternativen ge­ schaffen – nicht durch freundliche Einladung, sondern durch Drohung für die Sünder. Wer ohne wahre Buße stirbt, so setzte Franz fort – und meinte in diesem Falle offenkundig die sakramentale Buße  –, dem „reißt der Teufel seine Seele aus dem Leib mit so starker Bedrängnis und Qual, dass niemand das wissen kann, wenn er es nicht erfährt“.29 Dass Franz die Drohung anfügte, dass diese Menschen mit dem Tod all ihr Vermögen undankbaren Verwandten hinterließen, dass der Kör­ per von Würmern gefressen und die Seele in der Hölle landen und auf Ewigkeit geplagt werden würde30 – das alles macht eine Predigt perfekt, wie man sie heute kaum mehr hören kann oder will, voll von Schrecken und Angst. Natürlich verbindet sie sich auch mit konkreten Anliegen der Bruderschaft: Dass man im Tod alle seine Habe verliert, münzte Franz in der ausgearbeiteten Fassung dieses Briefes, die viel stärker schriftlichen Charakter erkennen lässt, zu einer direkten Mahnung, die 153

3. Kapitel: Sendung

franziskanischen Ideale zu befolgen und Almosen zu geben.31 Das war gewissermaßen die erste Stufe, sich von dem künftigen Schrecken zu befreien; die zweite bestand darin, sich der Gemeinschaft selbst anzu­ schließen und so den Fängen des Teufels zu entgehen. Dass diese schreckenerregende und oft erschreckende Art von Pre­ digt für Franz repräsentativ ist, zeigt sich auch an einer Art Musterpre­ digt, die er noch in der gewöhnlich auf 1221 datierten (s. u. 233 f. zu den damit verbundenen Problemen) nichtbullierten Regelfassung allen Brüdern – nicht allein den ausdrücklich in einem anderen Zusammen­ hang genannten Predigern – zur Verkündigung unter jedweden Men­ schen empfahl: „Fürchtet und ehrt, lobt und preist, bringt Dank und Gebet dem Herrn dar, dem allmächtigen Gott in Dreiheit und Einheit, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, dem Schöp­ fer aller Dinge. Tut Buße, bringt würdige Früchte der Buße, weil wir bald sterben werden. Gebt und euch wird gegeben werden. Vergebt und euch wird vergeben werden. Und wenn ihr den Menschen nicht ihre Sünden vergebt, wird der Herr euch eure Sünden nicht vergeben; beichtet alle eure Sünden. Selig sind die, die in Buße sterben, denn sie werden im Himmelreich sein. Wehe denen, die nicht in Buße sterben, denn sie werden Kinder des Teufels sein, dessen Werke sie tun, und sie werden in das ewige Feuer gehen. Hütet euch und meidet alles Übel und harrt aus im Guten bis ans Ende!“32 Auch in dieser Predigt heißt Buße nicht so sehr Befolgung einer Le­ bensform, sondern, ganz kirchenkonform, zumindest auch, seine Sünden zu bekennen, wie man es im Bußsakrament vor dem Priester zu tun hatte. Da ist ein wenig von der Wildheit und Ungezügeltheit des Anfangs verloren gegangen, an den Franz in seinem Testament erin­ nern sollte33 – aber eine ganz andere Wildheit findet sich in den weite­ ren heftigen Gerichtsdrohungen: Die Furcht vor dem Tod, sie ist das erste Movens der Buße, sie ist gewissermaßen der Punkt, an dem die Brüder ihre Zuhörer packen sollen. Was hier in der sogenannten nicht­ bullierten Regel anempfohlen wird, hat wenig Aufbauendes. Es ist eine Mischung aus Drohung und Mahnung, eine Gerichtsbotschaft, in wel­ 154

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cher der Teufel wieder seinen festen Platz hat. In scharfem Dualismus stellt Franz den Büßerinnen und Büßern die Kinder des Teufels gegen­ über, die entsprechend nicht in das Himmelreich gelangen werden, sondern, so wird man es diesen Zeilen entnehmen dürfen, in die Hölle. Franz’ Verkündigung war nicht oder wenigstens nicht nur so zart, nicht so optimistisch, nicht so kompatibel mit heutigen Sehnsüchten, wie es erscheinen mag, wenn man allein auf den berühmten Sonnen­ gesang (s. u. 180–186) schaut. Dieser Franz kennt die Drohung vor dem „ewigen Feuer“, und in der sogenannten nichtbullierten Regel wirkt der Umgang damit geradezu zynisch, formuliert als Dank für die Ver­ nichtung der Feinde Gottes: „und Dank sagen wir dir, weil dein Sohn selbst kommen wird in der Herrlichkeit seiner Majestät, die Verdammten, die nicht Buße getan haben und dich nicht kennen, in das ewige Feuer zu schicken“.34 Dieser Franz ist gewöhnungsbedürftig, aber wir müssen uns an ihn gewöhnen. Zu diesem Weltbild, in dem die Furcht vor dem Teufel dro­ hend präsent ist, gehört auch, dass man mit Franz die Hoffnung auf Teufelsaustreibungen verband. So berichtet Celano in einer stark le­ gendarisch überlagerten Erzählung,35 dass Franz über dem Gebiet von Arezzo Teufel im Tanz sah, die die Bürger gegeneinander aufhetzten – so erklärte er den gerade tobenden Bürgerkrieg in der Stadt. Dorthin schickte er, so Celano weiter, einen Bruder, der die Teufel „iussu pa­ tris nostri Francisci“, „auf Geheiß unseres Vaters Franziskus“, aus der Stadt vertrieb und so den Frieden wiederherstellte. Man muss die Epi­ sode nicht für historisch halten,36 um darin einen Niederschlag dessen zu sehen, dass die Welt, in der Franz sich bewegte, nicht nur von Gott voll war, sondern ebenso von Dämonen. Wie eng dieser Zusammen­ hang auch in der realen politischen Welt für ihn war, zeigt eine Episode, die der aus Arezzo ähnelt, aber vor allem deswegen glaubwürdiger ist, weil sie von unabhängigen, nicht unmittelbar hagiographisch orien­ tierten Quellen bestätigt wird: Thomas, Bischof von Split, verfasste in den vierziger bis sechziger  Jahren des 13.  Jahrhunderts eine Ge­ schichte der Päpste aus seiner Heimatstadt und dem nahen Saloniki. Da hinein flocht er Erinnerungen an seine Studienzeit in Bologna. 155

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Dort habe – und dieses Faktum wird als solches durch den Erzbischof von Pisa, Friedrich Visconti, bestätigt37 – Franz am 15. August 1222 auf dem Marktplatz gepredigt.38 Sein Thema waren „Engel, Menschen, Dämonen“39 – eine Ansammlung, die nach dem bislang Gehörten nicht erstaunt. Ebendieses Thema aber verband Franz unmittelbar mit der Mahnung, die lang anhaltenden Auseinandersetzungen in der Stadt zu beenden und Frieden zu schließen, und nach dem Bericht des Thomas von Split habe er damit auch Erfolg gehabt, die zerstrittenen Adeligen hätten sich versöhnt. In markanter Weise zeigt diese Erinnerung, wie die für heutige Oh­ ren oft schwer erträglichen Härten in Franz’ Predigt mit der hochwill­ kommenen Friedensbotschaft zusammengehören. Dass die Mahnung zum Friedensgruß in der Anweisung an die Brüder fehlt, bedeutet da­ her nicht, dass sie von minderem Wert war. Vielmehr war sie ein orga­ nischer Teil der Bußbotschaft: Friede war ein Akt oder eine Folge der Buße. So heißt es in den Admonitiones, der Bergpredigt folgend: „Selig die, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden [Mt 5,9]. Die stiften wahrhaft Frieden, die in allem, was sie in dieser Welt erleiden, um der Liebe unseres Herrn Jesu Christi willen Friede an Leib und Seele bewahren.“40 Den großen Horizont des Kampfes des Teufels um die Seelen der Menschen und der Sehnsucht nach Buße und Frieden brach Franz hi­ nunter in Ratschlägen für das Verhalten im Alltag. Wenn Franz etwa davor warnte, sich in Gottesdiensten und Gebeten zu ergehen und dabei doch eigensüchtig zu bleiben, 41 so dürfte er dabei nicht nur die Brüder in seiner Gemeinschaft gemeint haben, denen er im selben Atemzug die Gefahr vor Augen stellte, die Zuwendung zum Nächsten durch übergroße asketische Übungen zu vergessen. Sondern er dürfte damit auch  – ebenso wie mit der Warnung vor dem Grundlaster des Neides42 – die Christinnen und Christen in den Städten und Dörfern im Blick gehabt haben, die noch ganz in ihrer bürgerlichen oder adeligen Existenz lebten. Hier zeichnet sich das Bild einer Mahnung zu einer vom Eigensinn gelösten Ethik in den unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft ab. Selbstkritik bis hin zur Selbstverachtung, 43 Buße und Demut, Lösung vom Eigenwillen und Friedfertigkeit: Das etwa dürfte 156

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nach innen in die Bruderschaft und nach außen in die städtische Be­ völkerung die Botschaft des Franziskus gewesen sein – in der Tat, wie von Celano beschrieben, eine einfache Botschaft, tief verwurzelt in der Ethik Jesu.

Predigt: Performativität und Spontaneität

Die Ausstrahlung all dessen lag nicht allein in den Inhalten, sondern auch in der performativen Gestaltung. Schon in seiner Frühzeit hatte Franz sich durch Zeichenhandlungen ausgedrückt, 44 seine Kleidung, sogar seinen Körper zum Träger der Botschaft gemacht. Möglicher­ weise ist es zutreffend, wenn Celano berichtet, 45 dass dies auch zu Zeichenhandlungen führen konnte wie der, dass Franz zum Bischof von Osimo ein Lamm brachte und darüber predigte. Er hatte es zu­ vor in einer Ziegenherde gefunden und verglich es mit Jesus Christus selbst, der ja biblisch und liturgisch als Lamm Gottes gilt. Wie dieser sich demütig zwischen Pharisäern und Hohepriestern bewegt habe, so sei auch dieses Schaf friedlich in der feindlichen Herde geblieben. Die Natur wurde ihm zu einem Gleichnis, und er scheute sich nicht, dies ganz konkret vorzuführen. Solche Demonstrationen am lebenden Objekt brauchte er aber wohl nicht, um die enorme Wirkung zu entfal­ ten, von welcher gleichfalls Celano als Folge der oben (101) erwähnten Wandlung von Franz berichtet, als dieser aufgrund seiner Bekehrung Gewissheit gewonnen hatte: „Darauf begann er mit großem Geisteseifer und ­Sinnesfreude allen Buße zu predigen. Mit schlichtem Wort, aber erhabenem Herzen erbaute er die, die es hörten. Sein Wort war wie ein bren­ nendes Feuer, drang in das Innere des Herzens und erfüllte die Sinne aller mit Bewunderung“. 46 Diese Schilderung ist verallgemeinernd und typisiert – und doch dringt durch sie durch, was wohl tatsächlich Franz’ Predigttätigkeit ausge­ zeichnet haben dürfte: Nicht die Gelehrsamkeit machte die Stärke sei­ ner Predigt aus und nicht die rhetorische Durchformung, sondern sein persönliches Auftreten, das die Menschen nicht allein kognitiv erreichte, sondern auch und viel mehr noch affektiv. Legt man daneben die Pre­ digten, die Bonaventura Jahrzehnte später über ihn halten sollte, 47 so 157

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sieht man, wie mittelalterliche Predigten auch aussehen können. Bona­ ventura merkt man den scholastischen Gelehrten an, der seinen Stoff wohl proportioniert und gliedert, der begrifflich unterscheidet und sein Thema nach einzelnen Punkten abhandelt. All das, so lässt Celano er­ kennen, hat man von Franz nicht geboten bekommen, dafür aber jenes „brennende Feuer“, das Menschen erstaunen ließ. In dieselbe Richtung weist die Schilderung, die die drei Gefährten geben: „Darauf begann Franz Städte und Flecken zu durchziehen und überall umfassender und vollkommener zu predigen, nicht mit Überredungskünsten menschlicher Weisheit, sondern in der Lehre und Kraft des Heiligen Geistes, und verkündete voller Glau­ ben das Reich Gottes. Er war nämlich ein wahrhaftiger Prediger, gestärkt aus apostolischer Autorität. Er gebrauchte keine Überre­ dung durch gewandte und kluge Worte, weil er das, was er anderen durch das Wort nahelegte, zunächst sich selbst durch die Tat nahebrachte, sodass er ganz zuverlässig die Wahrheit sprach“.48 Auch die drei Gefährten berichten nicht bloß, sondern sehen Franzis­ kus schon vor der Folie einer theologischen Deutung: Der Verzicht auf Überredungskünste menschlicher Weisheit ist Teil eines Zitates aus dem Ersten Korintherbrief (1 Kor 2,4). Franz, das macht dies deutlich, bewegt sich mit seiner Predigt auf den Bahnen des Apostels Paulus, und es dringt durch den Bericht der Gefährten ebenso wie durch die frühe Schilderung bei Celano auch eine Skepsis gegen alles mensch­ liche Wissen durch. So lautet noch die Warnung in dem Text, von dem man im Allgemeinen als nichtbullierte Regel spricht: „Allesamt also, Brüder, lasst uns uns vor allem Stolz und eitlem Ruhm hüten, und lasst uns uns in Acht nehmen vor der Weis­ heit dieser Welt und der Klugheit des Fleisches. Der Geist des Fleisches nämlich will und strebt viel danach, Worte zu haben, aber wenig zum Tun, und er fragt nicht nach Frömmigkeit und innerer Heiligkeit im Geist.“49 Vor diesem Hintergrund überrascht die Zusammenfassung, die Ce­ lano viel später, in der zweiten Vita, vom Amt der Predigt gibt, genauer: 158

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von der Aufgabe der Diener des Wortes Gottes (ministri verbi Dei), die er hier offenbar als eine eigene, von anderen Brüdern unterschiedene Gruppe sieht, die von allen anderen Aufgaben (officia) befreit sein soll.50 Zwar gilt auch für sie das Ziel, dass sie sich nicht in kalter, herz­ loser Rede verlieren, aber Celanos Franz gibt ihnen regelrechte Anwei­ sungen, wie dies zu erreichen ist, nämlich indem der Predigt intensive individuelle Gebete vorangehen. Das mag auf die Erfahrung von Franz zurückgehen, dass die Predigtbeziehung zu Menschen ihm nur durch eine intensive Gebetsbeziehung zu Gott möglich war – als Regel for­ muliert, nimmt es dem Vorgang all jene (vielleicht durchaus bewusst zugelassene) Spontaneität, durch die Franz selbst sich auszeichnete. Diese Spontaneität der Predigt zeigt sich in einer anderen Schil­ derung Celanos, noch in der ersten Vita: Hiernach pflegte Franz sich auf die Predigten nur in den seltensten Fällen vorzubereiten.51 Seine Botschaft bedurfte dessen nicht, war ihm in Kopf und Herz offenbar präsent – Kehrseite dieser Spontaneität war allerdings, dass ihm auch einmal gar nichts einfiel, selbst wenn er ausnahmsweise die Predigt vorbereitet hatte. Dann entließ er, so Celano, die Zuhörenden, „die al­ lein schon dadurch in höchstem Maße eine Predigt erfuhren“, schlicht mit dem Segen.52

Wertschätzung der Bildung

Von dieser Direktheit, auch Unbekümmertheit, lassen die erwähn­ ten späteren Anweisungen nicht mehr viel erkennen. Vor allem aber wird der Predigtauftrag nun unmittelbar mit Aussagen über Franz’ Wertschätzung gegenüber den „sacrae  (…) theologiae doctores“ ver­ bunden.53 Für einen, der sich selbst als idiota bezeichnet (s. o. 38), eine überraschende Ansicht – tatsächlich allerdings eine, die er in etwa so geäußert hat. Noch in seinem Testament schrieb er: „Und alle Theo­ logen und diejenigen, welche die heiligsten Worte Gottes darreichen, müssen wir als solche ehren und verehren, die uns den Heiligen Geist und das Leben darreichen“, und Celano hat das an der entsprechen­ den Stelle in etwa zitiert und als etwas bezeichnet, das Franz ganz allgemein, generaliter, lehre.54 Obwohl er also treu bei den Aussagen von Franz selbst bleibt, sind die Traditionen, die etwa zeitgleich inei­ nanderlaufen, denkbar spannungsvoll: hier, bei den drei Gefährten und dem frühen Celano, der einfache Franz, dem an großen Worten 159

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nicht viel liegt, dort, beim zweiten Celano, der Verehrer der Gelehrten. Beides hat einen Anhalt bei Franz selbst. Bis zu einem gewissen Grad kann man die Unterschiede auf eine allmähliche Entwicklung zurück­ führen, die Franz selbst durchmachte: Wie schon oben erwähnt, war er keineswegs so ungebildet, wie es die Selbstbezeichnung als idiota glauben machen will. Höhere Bildung besaß er indes nicht und hat sie auch nie angestrebt  – als angehender Kaufmann bedurfte er der ele­ mentaren Kenntnisse von Schrift und Mathematik, mehr nicht. Doch schon bald kamen Gebildete hinzu – wie etwa der gelehrte Jurist Petrus Cathanii. Vor allem aber stieß 1220 mit dem Lissaboner Priester Don Fernando ein gut ausgebildeter Theologe zum Orden, der rasch durch seine Predigten auf sich aufmerksam  machte55  – wegen seines Todes nahe Padua, wo er auch begraben liegt, ist er unter dem Namen Anto­ nius von Padua in die Geschichte eingegangen. Franz verfolgte den Pre­ digterfolg des neuen Bruders mit Interesse,56 offenbar auch Bewunde­ rung – diese zeigt sich in der Anrede, die er für Antonius wählte: „mein Bischof“.57 Freilich kann dieser Titel auch freundschaftlich-ironisch gemeint gewesen sein und drückte wohl aus, dass Franz in dem gebil­ deten Antonius denjenigen sah, der ihn in Fragen der rechten Lehre zurechtwies und zurechtweisen durfte. Darin zeigte sich aber zugleich, dass er nach und nach bereit war, die akademische Bildung als etwas zu akzeptieren, das für die Predigt hilfreich sein könnte. Verquält schrieb er um 1223/24, also wenige Jahre, ehe er sein Testament verfasste, in ei­ nem Brief an Antonius: „Dem Bruder Antonius, meinem Bischof, entbietet Bruder Franziskus Heil. Es gefällt mir, dass du die Brüder in der heiligen Theologie unterrichtest, solange du unter deren Stu­ dium den Geist des Gebets und der Frömmigkeit nicht auslöschst, wie es in der Regel steht“.58 Dieser Brief sollte für die Franziskaner von großer Bedeutung wer­ den, als sie sich der Beteiligung an der akademischen Lehre öffneten. Die Universitäten waren parallel zur franziskanischen Bewegung im 13. Jahrhundert entstanden: 1215, mehr als zehn Jahre vor Franz’ Tod, erließ der Pariser Kanzler Statuten für die dort in Gründung befindliche Universität,59 in etwa zeitgleich entwickelten sich der (vorwiegend ju­ 160

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ristische) Lehrbetrieb in Bologna und das umfassende Universitätsge­ schehen in Oxford. Franziskaner hielten sich anfänglich hiervon fern, doch mit dem Übertritt des Pariser Magisters Alexander von Hales in den Orden waren sie mit einem Mal an der bedeutendsten Universität Europas vertreten, und es sollten viele große franziskanische Gelehrte folgen, unter denen Bonaventura, Duns Scotus († 1308) und Wilhelm von Ockham († 1347) herausragten. Für sie wurde es wichtig, sich daran zu erinnern, dass Franz einst die theologische Lehre von Antonius ge­ fördert und gelobt hatte, und im Zusammenhang dieser allmählichen Öffnung für den akademischen Betrieb ist wohl auch die Bemerkung in Celanos zweiter Vita zu verstehen. Dabei war der Brief an Antonius ja keine ganz glatte Werbung für die Sache der wissenschaftlichen Theologie: Wenn es vergiftetes Lob gibt, so gehören diese Sätze gewiss dazu. „Es gefällt mir“, „Pla­ cet mihi“, das war nicht Ausdruck von Freude, sondern es war eine Erlaubnisformel, mit der jemand einem anderen eine Bitte gewähren konnte. Franz gab den Weg für akademische Lehre frei, aber nicht, ohne seinen Widerwillen zu verhehlen: Die Warnung davor, durch Gelehrsamkeit Frömmigkeit und Gebet zu verhindern und so in Wi­ derspruch zur bullierten Regel60 zu geraten, war mehr als banal. Mit ihr zeigte Franz auf, was in seinen Augen die Gefahr der werdenden scholastischen Wissenschaft mit ihren Definitionen und Distink­ tionen war. Angesichts dieses Briefes wird man die Unterschiede in Franz’ verschiedenen Äußerungen zur Bildung nicht einfach in dem Sinne auflösen dürfen, dass er sich von Skepsis zu Wohlwollen ent­ wickelte. Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist, dass im Wohlwollen die Skepsis blieb. Selbst noch die Akzeptanz im Testa­ ment dürfte grundiert gewesen sein von der Sorge, dass Wissenschaft von der eigentlichen einfachen Frömmigkeit ablenkte, die der frühe Franz gelebt und vertreten hatte. Franz musste im Zuge der Verbrei­ tung und Vervielfältigung der Gemeinschaft einsehen, dass in ihr auch die theologische Bildung ihren Ort hatte  – eine Herzensange­ legenheit wurde sie ihm nie. So drückt der Unterschied in der Schil­ derung der Predigtweise zwischen der zweiten Celano-Vita auf der einen Seite und der Dreigefährtenlegende wie auch der ersten Ce­ lano-Vita auf der anderen Spannungen aus, die sich auf Franz selbst zurückführen lassen. Seine Erben suchten sich aus der Vielfalt seines 161

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gelebten Lebens jeweils das als „generaliter“ gültig aus, was in ihre ei­ genen Absichten passte, und vereindeutigten so eine gelebte Vielfalt. Wichtig an dem Bericht der drei Gefährten ist zum Verständnis von Franz allerdings nicht nur ihr Hinweis auf die Einfachheit der Sprache. Sie sagen noch mehr und wohl auch Authentischeres. Der wichtigste Hinweis in ihrer Zusammenfassung dürfte in der Bestätigung der Pre­ digt durch das eigene Handeln liegen – Franz war im Gang seiner Ent­ wicklung ein Meister der performativen Akte, und das blieb er. Das Le­ ben selbst war Botschaft, die das Wort nicht etwa verdrängte, sondern ihm Gestalt gab. Grundlage seines Lebensweges waren ja immer klarer biblische Anweisungen,61 die auch zuvor nicht unbekannt gewesen wa­ ren. Was man aber bislang in feiner Distanz von der eigenen Gegenwart gehalten hatte, gewann bei ihm eine Verbindlichkeit für den Lebens­ stil. Die gewaltige Irritation der Worte Jesu von der Besitzlosigkeit in einer Gesellschaft, die sich ganz der Ökonomisierung hingegeben hat, machte der arme Sohn eines Reichen deutlich, und so gehörten Le­ benswandel und Inhalt der Botschaft eng zusammen. Schon sein Äu­ ßeres war Teil der Botschaft von der Einfachheit und Demut.

Predigt durch die Tat

Einen Eindruck davon gibt der oben erwähnte Thomas von Split in sei­ nem Bericht über Franz’ Predigt in Bologna 1222. „Schmutzig war seine Gestalt, eine verächtliche Person, das Gesicht ungeziert“,62 so berich­ tet Thomas als Augenzeuge und durchaus passend zu dem, was man sonst lesen kann. Seit Franz sich vor seinem Vater in einer Höhle ver­ steckt hatte, muss man ihn sich wohl so vorstellen: schmuddelig, mit ungeordnetem Bart und ärmlicher Kleidung. Thomas von Split gibt aber noch einen weiteren wichtigen Hinweis darauf, dass spätere Dar­ stellungen aus dem Orden möglicherweise Franz’ Predigtverhalten kirchenrechtlich geschönt haben: Bonaventura berichtet, Franz habe üblicherweise am Sonntagmorgen im Dom von Assisi gepredigt und sei schon am Samstag zuvor in die Stadt gekommen, um sich vorzu­ bereiten.63 Da das schwerlich ohne Zustimmung des Bischofs möglich gewesen wäre, hätte damit alles seine Ordnung gehabt. Wahrschein­ lich ist dieser reguläre Predigtdienst eines Laien – so der korrekte Ge­ genbegriff zum Kleriker – gleichwohl nicht. Möglicherweise hat Bona­ ventura damit den in anderen Zusammenhängen bezeugten Vorgang, 162

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dass Franziskanern in den Städten Pfarrkirchen für die Predigt zur Verfügung gestellt wurden,64 auf Franz übertragen. Gewiss ist auch der Poverello selbst gelegentlich in Kirchen zugelassen worden – üblicher aber dürfte die Predigt im Freien gewesen sein, die Thomas von Split bezeugt. Wegen des Unterschieds zu gottesdienstlichen Ansprachen vergleicht er die Brüder eher mit öffentlichen Rednern (concionantes) als mit Predigern (praedicantes).65 Franz verhielt sich wohl so, wie er es später in der sogenannten nichtbullierten Regel seinen Brüdern an­ empfahl: Nachdem er in Kapitel 17 eigens detaillierte Regelungen für die praedicatores, die Prediger, aufgestellt hat,66 erteilt er in Kapitel 21 allen Brüdern, also nicht nur den praedicatores, einen Verkündigungs­ auftrag („annuntiare“) und erklärt ausdrücklich, diese Predigt solle er­ folgen, „wann auch immer es ihnen gefällt (…) bei welchen Menschen auch immer“.67 Das klingt nicht nach einer Beschränkung auf den Kir­ chenraum und liturgisch regulierten Gottesdienst, eröffnet vielmehr durch die Begriffsunterscheidung zwischen Predigt und Verkündi­ gung einen kirchenrechtlich akzeptablen Horizont zur Weitergabe des Evangeliums auch auf den Straßen und, wie eben in Bologna, Plätzen der Städte. Franz’ schäbiges Aussehen war nur ein Teil der Gesamtgestaltung, ein Ausdruck der Taten, zu denen sich die Franziskaner durch die Ge­ bote Jesu verpflichtet sahen. „Denn dazu sind wir berufen, dass wir die Verwundeten versorgen, die, welche gebrochene Knochen haben, verbinden und die, welche in die Irre gehen, zurückrufen“, soll Franz nach dem Bericht der Gefährten zu seinen Brüdern gesagt haben.68 Und noch in der sogenannten nichtbullierten Regel schrieb Franz vor: „Alle Brüder aber sollen durch Taten predigen“.69 Das war zu diesem Zeitpunkt – in einer späten Phase von Franz’ Wirksamkeit, möglicher­ weise 1221  – schon Ausdruck jener Aufgabenteilung, wie sie sich bei Celano abzeichnete. Im selben Zusammenhang wurde eingeschärft, dass niemand sich das Amt der Predigt, das officium praedicationis, an­ eignen dürfe.70 Dieses sollte nur auf speziellen Auftrag ausgeübt wer­ den. Auch wenn die Bedeutung des Handelns nicht vergessen war: Wortverkündigung und Tatverkündigung waren zweierlei geworden. Bei Franz gehörte beides noch zusammen. Als Prediger lebte er, was er in Worten ausdrückte, und die Worte wurden ihm zur Richtschnur des Lebens. Das ermöglichte es dann tatsächlich, die verbale Predigt 163

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schlicht zu halten – und die Provokation zu verstärken, die darin lag, dass Franz selbst diese schlichten Worte durch den Friedensgruß in ei­ nen liturgischen Zusammenhang stellte.

Sympathisanten

Dass die Apostel herumgezogen waren, um zu predigen, wurde wohl zum Teil auch Vorbild für die Bewegung um Franz, wie die oben ge­ schilderte Aussendung der ersten Anhänger zeigt: Man zog über Land und verkündete die apostolische Botschaft von Buße und Reich Got­ tes.  Aber es gibt auch andere Szenarien, die weniger an die Apostel als an Johannes den Täufer erinnern. So wie nach den Evangelien die Menschen aus Jerusalem und ganz Judäa zu Johannes an den Jordan kamen, um seine Bußpredigt zu hören, erwähnen die drei Gefährten, dass die Menschen zu Franziskus „eilten“.71 Diese Menschen kamen nicht weniger, um ihn zu sehen, als um ihn zu hören.72 Beides gehörte bei diesem heiligen Gesamtkunstwerk zusammen. Übrigens ähnelt Franz auch darin Johannes dem Täufer, der durch seine Kleidung  – ein Gewand aus Kamelhaaren  – die Buße ausdrückte, die er verkün­ dete. Nach dem Bericht der Gefährten muss der Zustrom schon früh eingesetzt haben, denn Franz befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Rivotorto  – in Zahlen gesprochen, handelt es sich also wohl um das Spätjahr 1209, kurz nach der Rückkehr aus Rom. Menschen aller Schichten liefen nun, so berichten es die Gefährten, den Berg hinab: „Gebildete und Gelehrte  (…), Adelige und Nichtadelige, Kleriker und Laien“.73 Wäre dies eine Kategorie, in der Franz gedacht hätte, hätte der Triumph kaum größer sein können: Lang war es nicht her, dass er und seine Brüder zum Spott der Reichen und Vornehmen von Assisi geworden waren – nun suchten ebendiese oder doch einige von ihnen ihn auf, um ihm und darin letztlich Christus selbst zu lauschen. Hier setzte sich fort, was schon mit den ersten Brüdern begonnen hatte, die ja auch zu ihm geeilt waren. Die, die jetzt kamen, blieben freilich nicht, wie es bei Bernhard, Petrus und den anderen der Fall gewesen war. Sie kehrten zu ihren Häusern und Familien zurück – so traten neben die unmittelbaren Anhänger des Franz nun Kreise von Sympathisan­ ten, auf die die Minderbrüder dann vertrauen konnten, wenn sie sich auf den Weg machten. Aus der Glanzzeit der Bruderschaft berichtet Celano, dass geradezu ganze Städte zu solchen Ansammlungen von 164

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Sympathisanten geworden seien: „Wenn er irgendeine Stadt betrat“, so erklärt er einmal, habe sich der gesamte Klerus gefreut, die Glocken hätten geläutet und die Kinder seien ihm mit Zweigen in der Hand ent­ gegengelaufen.74 Das ist, keine Frage, pauschal und wohl übertrieben, doch dürften sich hierin Erfahrungen einer Begeisterung im Volk ver­ dichten, die durch die Erzählung von den Brüdern aus Assisi ausge­ löst und durch die unmittelbare Begegnung intensiviert worden war. Sympathisanten hatte es schon früher gegeben. Aus der allerersten Wanderzeit erzählen die drei Gefährten eine Episode, die auch in die spätere Zeit noch passt.75 Zwei der Jünger kamen demnach nach Flo­ renz und übernachteten dort in der Vorhalle eines Hauses, in welcher sich ein Backofen befand. Hier spielte sich eine geradezu typische, um nicht zu sagen typisierte Geschichte ab: Während die Frau des Hauses ihnen die Übernachtung am Ofen gestattete, wollte ihr Mann sie los­ werden und überließ ihnen nicht einmal eine Decke. Was immer im Einzelnen an dieser Geschichte dran sein mag, lässt sie doch erahnen, dass die Brüder, darin der frühen Jesus-Bewegung ganz ähnlich,76 trotz aller eigenen Unstetigkeit auf Menschen angewiesen waren und ange­ wiesen sein konnten, die ihr Hab und Gut nicht mit derselben Radikali­ tät verlassen wollten, die damit gegebene soziale Sicherheit ihnen aber zur Verfügung stellten  – und dies in höherem Maße und aus anderer Motivation als diejenigen, die den bettelnden Brüdern Almosen gaben. Milde Gaben für Bettler gehörten – wie schon für Franz in der Zeit als Kaufmannssohn – zum christlichen Lebenswandel hinzu, ganz gleich, wem man sie gab. Almosen zu geben war eine Christenpflicht, die im Jenseits angerechnet werden würde, wenn der Richter nach den guten Taten fragte. Die Dialektik der Franziskaner bestand darin, dass sie ebendiese Haltung übersteigerten, indem sie sich, wenn ihrer Hände Arbeit nicht mehr reichte, den Bettlern gleichmachten – und doch von ihr profitierten, weil sie nun, selbst zu Bettlern geworden, auch Emp­ fänger von Almosen werden konnten. Von dieser allgemeinen christ­ lichen Mildtätigkeit hoben sich die Sympathisanten ab, die zu Franz’ Predigten eilten oder Brüder aufnahmen. Beides taten sie wohl, weil sie die Auffassungen des Franz und seiner Gefährten mit Wohlwollen verfolgten, ohne sie sich ganz zu eigen machen zu können. Der Um­ stand, dass auch Bernhard einst so jemand gewesen war, als er Franz bei sich aufnahm, zeigt indes, dass es beim Sympathisieren nicht blei­ 165

3. Kapitel: Sendung

ben musste: Diese Menschen waren zugleich das Reservoir, aus dem sich die Brüderbewegung speisen konnte. Der Übergang vom Sympa­ thisantenstatus zum Mitglied der Gemeinschaft konnte dabei rasch und geradezu massenhaft erfolgen. Celano berichtet, nach einer Pre­ digt in Ascoli habe Franz dreißig Männer, darunter Kleriker, mit dem Gewand der Minderbrüder eingekleidet.77 Die Zahl mag übertrieben sein – dass es im Grundsatz so geschehen ist, braucht man darum nicht infrage zu stellen. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob dieser massenhafte Eintritt tatsächlich, wie es in Celanos Schilderung den Eindruck macht, spontan unter dem Eindruck der Predigt des Franz erfolgte oder ob nicht doch eine gewisse Vorbereitung bestand. Ascoli ist ebenjene Stadt, aus der von den Kindern berichtet wird, die Franz entgegenzogen. Man hat ihn hier also erwartet – die Szene der Einklei­ dung für die Bruderschaft könnte mithin durchaus geplant gewesen sein und ihrerseits die missionarische Botschaft enthalten haben, dass mit Franz und durch Franz Wunderbares geschah. So gehörte zu der Haltung der Sympathisanten nicht allein, dass sie ungeachtet aller Franz-Begeisterung in ihren Häusern wohnen blie­ ben, sondern auch, dass sie diese Häuser unter den besonderen Schutz von Franz stellen wollten. Die Menschen, so heißt es bei Celano, ließen sich von ihm ihr Brot segnen und bewahrten es dann auf, um durch den Verzehr von Krankheiten geheilt zu werden.78 Ein eigenartiger Wechsel ist hier erfolgt: Franz ruft nicht mehr aus den bürgerlichen Verhältnis­ sen heraus, sondern er bestätigt sie geradezu durch seinen Segen. Da­ mit deutet sich schon an, was sich später als dritter Orden der Franzis­ kaner formieren sollte: ein Verband von Bürgerlichen, die sich an Franz orientierten, ohne alle Bande an Herkunft und Familie kappen zu wol­ len. Celano mag bei seinen Erzählungen diese Möglichkeiten schon im Sinn gehabt haben. Dass er die Episode erfunden hätte, um sie zu legitimieren, muss daraus nicht folgen. Eher scheint hier ein Phäno­ men wirksam geworden zu sein, das sich in vielen Gruppenbildungen beobachten lässt: Der zunehmende Erfolg einer radikalen Botschaft stumpft diese letztlich ab, weil die Zahl derer, die die erforderte Ra­ dikalität leben können, begrenzt ist. Zugleich bedeutet es, dass Franz mindestens bis zu einem gewissen Grad mit einer solchen Abschwä­ chung leben konnte. So sehr es den Anschein hat, dass er später, in seinem Testament, die Laxheit, die nun auch die Bruderschaft selbst 166

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

ergriffen hatte, mit Kummer und Ärger sah (s. u. 293–295), so sehr hat er doch offenbar wenigstens zeitweise ein abgeschwächtes, relati­ vierendes Sympathisantentum gefördert – wie in Fragen der Bildung lässt sich hier der Kompromiss nachvollziehen, den er mit der Welt machte und wohl auch machen musste. Nur so konnte seine Bewe­ gung das Potenzial entfalten, über die eine kleine Gemeinschaft hin­ aus wirksam zu werden und wenigstens in Ansätzen eine Reform der Kirche insgesamt anzustoßen.

Wunder

Der Kompromiss bedeutete zugleich Erfolg, einen Erfolg, der die Nachwirkung von Franz nachhaltig bestimmen sollte: Der Segen für das Brot, den man bei ihm suchte, gehörte zu den Anfängen seiner Verehrung als Heiliger – und diese Heiligkeit strahlte auf alles aus, was mit ihm zu tun hatte: „So machten sie sich auch häufig von gewaltigem Glauben angetrieben über seine Kutte her, sodass er geradezu nackt da stand“.79 Wieder das Gewand, das im Mittelpunkt steht, und wieder die Nacktheit, die er einst vor dem Bischof gezeigt hatte: Das Thema bleibt offenbar von Bedeutung für Franz, aber nicht nur deswegen wird dies erzählt, sondern im Hintergrund steht offenbar auch die Erzählung von der Frau, die von ihrer permanenten Menstruationsblutung dadurch geheilt wurde, dass sie das Gewand Jesu berührte (Mk  5,25–34 parr.). Solche Berührungsreliquien waren in der mittelalterlichen Frömmig­ keit weit verbreitet,80 nicht zuletzt, weil sich in ihnen mehr ausdrückte als eine Sehnsucht nach möglichst viel, möglichst materieller Heilig­ keit. Sie waren Niederschlag dessen, dass das Sein hier auf Erden im­ mer Abglanz einer höheren Sphäre war. Auf hoher philosophischer Ebene drückte dies seit der Antike die neuplatonische Philosophie aus, die zu Teilen auch das scholastische Denken des Mittelalters geprägt hat. Nach ihr hatte sich das rein geistliche Göttliche in mehreren Ab­ stufungen in die Materie ergossen und sich damit zugleich von sich entfremdet und doch etwas von sich in dieser fremden Welt bewahrt. Ganz so verhielt es sich mit der Heiligkeit Christi – sie fand ihren Nie­ derschlag in den Heiligen auf dieser Welt. Ein solches Verständnis hatte Anteil daran, dass Christus für die religiöse Welt des Mittelalters weder einfach historisch vergangen noch durch seine Auferstehung ganz von der Erde gelöst war. In mannigfaltigen Repräsentationen blieb der Got­ 167

3. Kapitel: Sendung

tessohn auf dieser Erde: im Sakrament auf dem Altar, in den Bildern in der Kirche und eben auch in jenen Menschen, an denen man be­ sondere Heiligkeit wahrnahm. Von diesen konnte die Heiligkeit dann nach ihrem Tod auf ihre Gebeine ausstrahlen, die damit zu Reliquien wurden, und schon zu ihren Lebzeiten auch auf die Gegenstände, mit denen sie umgingen. Im Falle von Franz ging das sogar über die eige­ nen Gewänder hinaus: Celano berichtet, dass Zügel, die Franz beim Reiten berührt hatte, heilsame Wirkung hatten und einer Frau in den Wehen zu einer glücklichen und gesunden Geburt verhalfen.81 Auch der Strick, mit dem Franz sein Gewand zusammengehalten hatte, soll Wunder gewirkt haben: Ein Mann aus Città della Pieve bei Orvieto soll einen solchen in Wasser getunkt oder Fäden daraus unter die Flüssig­ keit gemischt und so viele Menschen geheilt haben.82 Beim Hören solcher Erzählungen schleichen sich rasch Assozia­ tionen wie Magie und Ähnliches ein – und damit Wertungen, die den Texten und auch dem Erleben des Mittelalters nicht gerecht werden. Die Trennung zwischen rechtem Glauben und Magie ist künstlich und in hohem Maße dogmatisch aufgeladen. In den Phänomenen selbst gibt es hierfür keinen klaren Anhaltspunkt. Versteht man das Chris­ tentum nicht einfach als ein von dogmatischen Normen geregeltes System, sondern als eine gelebte Religion, so gehören auch die Fäden eines Franziskusstricks, die in Wasser aufgelöst werden, hinzu. Sie sind Teil jenes Weges, auf dem Franz noch zu Lebzeiten zur Heiligkeit aufstieg – und sie sind gerade in der Selbstverständlichkeit, in welcher sie berichtet werden, glaubwürdig. Dass in den Augen der Menschen des 13. Jahrhunderts Wirklichkeit anders funktionierte, als Menschen im 21. Jahrhundert sich dies vorstellen können oder wollen, bedeutet nicht, dass hier reine Phantasie am Werk ist. Man mag sich fragen, ob tatsächlich alle Menschen, die mit solchen wunderhaften Gegenstän­ den in Berührung kamen, Heilung erfuhren oder nicht mancher in sei­ ner Hoffnung getrogen wurde. Man mag auch in Zweifel ziehen, ob in den Fällen, in denen die Zügel oder der Trank ihre Wirkung taten, die Ursache dafür eine übernatürliche war oder eine bestimmte psychi­ sche Disposition – all dies ändert daran nichts, dass für die Menschen im Umfeld von Franz und ihr Wirklichkeitsverständnis eben hier Wun­ der geschahen. Dass Franz nach seinem Tod sehr rasch heiliggespro­ chen wurde, lag nicht nur an der offenkundigen und schon früh, von 168

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

Jakob von Vitry, mit einem gewissen Erstaunen bezeugten83 Protektion durch den Papst. Es lag auch daran, dass viele Menschen im Rahmen ihres Wirklichkeitsverständnisses die Erfahrung von Wundern ge­ macht hatten. Diese Einsicht, dass Wunderberichte wenigstens als Erfahrungs­ wirklichkeiten plausibel sind, muss nun nicht bedeuten, dass man jede einzelne Wundererzählung als glaubhaft annehmen muss.  Natürlich gab es literarische Ausschmückung und Fabulierkunst. Sie hat eigene Mirakelbücher hervorgebracht, eines von Celano84 und eines, als An­ hang zur Legenda maior, von Bonaventura85. Diese Erzählungen sollten, wie André Vauchez schreibt, Franz immer mehr als „champion de la perfection chrétienne“86 darstellen und bildeten so immer weiter ge­ hende Übersteigerungen. Und sie lassen erkennen, dass sie zumindest auch gegen Zweifel an Franz’ Wundertaten anzuschreiben suchten. Beide beginnen mit der Ausmalung des größten Wunders, das Franz geschehen sein soll: der Stigmatisierung, der Zeichnung seines Kör­ pers mit den Stigmata, den Wundmalen Christi (s. u. 281–283).87 Dass man hieran zweifeln konnte, war ihnen durchaus bewusst. Celano be­ endete sein Kapitel über die Stigmata mit der Frage: „Wer also staunt über so etwas nicht, wer möchte sich einbilden, dass das, was über die Wundmale gepredigt wird, anders gewesen sei als ganz und gar göttlich?“88 Wer so fragt, mag auf der einen Seite seine eigentlichen Adressaten, die ja von der Heiligkeit des Franziskus überzeugt waren, noch einmal rhe­ torisch absichern – er hatte aber auch im Blick, dass es Zweifel an den Geschehnissen geben konnte. Selbst für die Menschen des Mittelalters brachte ein allgemeiner Wunderglaube nicht unbedingt mit sich, dass man jedes einzelne Wunder für wahr hielt. War es bei den Stigmata vielleicht ihre unerhörte Gestalt, die zu Nachfragen nach ihrer Historizität führen konnte, so machen im Blick auf die literarischen Absichten der Verfasser ganz andere Züge in den Berichten skeptisch: Manchmal werden die Wunder so didaktisch ein­ gesetzt, dass es schwerfällt, in ihnen harmlose Erzählungen von Ge­ schehnissen oder eben Erfahrungswirklichkeiten wiederzuentdecken. Beispielhaft kann dies an dem Kapitel  in Celanos Mirakelbuch deut­ 169

3. Kapitel: Sendung

lich gemacht werden, in welchem er Totenauferweckungen schildert. Da die Heiligkeit ihre Wirkung zu Lebzeiten des Franz entfaltete, aber nach seinem Tod noch stärker wurde, enthält es gleichermaßen Wun­ der vor und nach dem Tod. Das erste scheint ein solches zu sein, das Franz als Heiliger vom Jenseits her ausübte.89 Eine Adelige in Monte Marano bei Benevent, die als Verehrerin des Franziskus bekannt war, erwachte hiernach aus dem Tod – und verwies zur Erklärung auf Franz: Wegen einer schweren, nicht gebeichteten Sünde sollte sie im Jenseits in einen harten Kerker kommen, wie es heißt – vermutlich das Fege­ feuer. Franz aber verwandte sich für sie, und sie durfte in das Leben zurückkehren, um einem Priester nun die schwere Sünde zu beichten. Nachdem sie dies getan und die Absolution empfangen hatte, verstarb sie – man muss fast hinzusetzen: erneut. Celano selbst betont, dass damit „gezeigt werden soll, dass das wun­ derbare göttliche Geschenk der Beichte von allen aus ganzem Innern ergriffen werden soll“,90 und fügt gleich noch eine weitere Geschichte an, die ebendies unterstreichen soll91: Auf Besuch bei einem Ritter in Celano, der Heimatstadt von Thomas, kündigte Franz seinem Gast­ geber seinen baldigen Tod an und mahnte ihn, die Beichte abzulegen. Kirchenrechtlich ganz korrekt tat er dies nach Celanos Bericht dann nicht gegenüber dem ungeweihten Franz, sondern gegenüber einem Priester in dessen Begleitung,92 ehe er tatsächlich, der Prophezeiung gemäß, noch am selben Abend starb. Das Detail der korrekten Beichte vor einem Priester unterstreicht den Eindruck, den der erzählerische Gesamtzusammenhang macht: Hier wurde ein Lehrstück über kir­ chenkonformes Beichtverhalten ausgebreitet, einschließlich der War­ nung vor dem Ergehen im Jenseits.  Diese didaktische Ausrichtung lässt jedenfalls eine erhebliche Überformung vielleicht ursprünglicher Ansätze von Erfahrungswirklichkeiten vermuten. Anders gesagt: Hier bewegen wir uns mitten im Bereich der literarischen Produktion von Wundergeschichten. Erzählerisch konnten diese nur funktionieren, weil ein Glaube an die Wirklichkeit von Wundern da war  – und weil man insbesondere Franz mit solchen Wundern verband. Wie auch in anderen Fällen93 dürften den Anfang der Erzählungen von Wundern wohl Beziehungswunder gemacht haben, in welchen Menschen aus der Nähe zu Franz Stärkung und Heilung erfahren ha­ ben. Die Berichte von Berührungen mit seinen Gewändern stellen 170

1. Friede und Gericht: die doppelbödige Botschaft

innerhalb dessen schon eine erhebliche Steigerung gegenüber sol­ chen Erzählungen dar, die möglicherweise bis heute einen gewissen Widerhall in persönlichen Erfahrungen unter eng aufeinander bezo­ genen Menschen haben: Bereits in seiner ersten Vita erzählt Celano von einem Bruder Namens Rizzerius,94 der bangte, ob Franz ihn genug liebe. Als Rizzerius einmal zu der Behausung der Brüder zurückkam, brauchte er sich gar nicht bei Franz zu melden. Dieser wusste schon, dass er gekommen war, rief ihn zu sich und redete ihm zu: „Keine An­ fechtung soll dich verstören, mein Sohn, kein Nachsinnen soll dich er­ bittern, da du mir ja überaus lieb bist und wissen sollst, dass du unter denen, die mir lieb sind, meiner Liebe und Vertrautheit würdig bist.“95 Diese Erzählung ist – kein Wunder. Sie entspricht dem, was unter ver­ trauten Menschen geschehen kann: Da spürt einer, was den anderen bewegt, und er findet die richtigen Worte zum Trost. Gerade solche Geschichten stehen am Anfang der Wundererzäh­ lungen, und schon Celano berichtet sie im Zusammenhang mit einer wunderhaften Vision: Franz sei, noch zu seinen Lebzeiten, auf dem Provinzialkapitel der Provence in Arles 1224, dem Bruder Manold er­ schienen und habe so die Versammelten mit dem Heiligen Geist erfüllt und durch seine praesentia, seine Gegenwart, getröstet.96 In diesem Kontext wird auch das Wissen um die Empfindungen der Brüder zu ei­ nem Wirken des Heiligen Geistes.97 Von dieser tiefen und als wunder­ haft empfundenen Nähe reichen die Erzählungen weiter zu Heilungen, unter denen möglicherweise den Kern wiederum die Geschehnisse im Brüderkreis ausmachen. So berichtet Celano davon, dass Franz einen Bruder geheilt habe, der offenbar unter einer Art von epileptischen An­ fällen litt,98 einer Erkrankung, die vielfach auf Dämonen zurückgeführt wurde99 und die daher umso eindeutiger durch das Kreuzeszeichen ge­ heilt werden konnte.100 So kann es gewesen sein – und doch wird man in die Überlegungen einzubeziehen haben, dass die Austreibung der Dä­ monen nach Apg 19,12 zu den Zeichen der Apostel gehörte. Die Grenze zwischen dem tatsächlichen Leben nach dem Muster der Apostel und literarischer Konstruktion apostolischen Lebens ist hier fließend, erst recht, wenn Franz offenkundig die Wunder Jesu nachvollzieht, etwa ei­ nen Jungen auf Bitten seines Vaters von seiner Lähmung heilt101 oder einem Gichtbrüchigen die Bewegungsfähigkeit zurückgibt102. Im Ein­ zelfall wird man nicht entscheiden können, was wann und wie gesche­ 171

3. Kapitel: Sendung

hen ist – und letztlich ist das für ein Verständnis des Franziskus auch nicht nötig. Daran, dass er als Wundertäter erfahren wurde, muss man nicht ernsthaft zweifeln, und das heißt gewiss: Er selbst hat sich zuneh­ mend ebenfalls als einen solchen wahrgenommen und gesehen. Sein aufkommendes Selbstbewusstsein dürfte mit der erfolgreichen Pre­ digt nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten immer weiter angestiegen sein. Den Übergang zwischen Wundertaten und Worten bildeten dann wohl die Wortwunder: Franz scheint auch als ein vollmächtiger Pro­ phet wahrgenommen worden zu sein, der Zukünftiges zutreffend an­ kündigen konnte.103 Zwei Stellen in der sogenannten Legenda Perusina betonen unter Hinweis auf Augenzeugenschaft,104 dass vieles, was Franz vorhergesagt habe, eingetroffen sei.105 Die berühmteste und im Kern sehr glaubwürdige Erzählung von solchen Prophezeiungen ist die, wonach er den Kreuzfahrern in Damiette die vernichtende Nieder­ lage voraussagte, die sie dann wenig später tatsächlich erlitten. Franz wurde, so zeigen solche Geschichten, als ein Mensch wahrgenommen, der von übernatürlichen Kräften geleitet war  – und diese Kräfte hat­ ten für die Wahrnehmung seiner Zeitgenossen eine klar benennbare Quelle: Der Geist Gottes lag auf ihm und gab ihm Macht der Taten und Vollmacht der Worte.

2. Jubel mit der Schöpfung Natur als Gegenwelt zur Zivilisation

Nicht nur auf die Menschen zielte Franz’ Botschaft. Zu den immer wieder erzählten Denk- und Merkwürdigkeiten seines Lebens zählt auch, dass er sich an die ganze Schöpfung richtete. Den Ausgangs­ punkt für diese Erzählungen dürfte wohl gebildet haben, dass er in den ersten  Jahren seiner spirituellen Neuorientierung die Natur als einen Raum erfuhr, in dem er auf ganz andere Weise als in der verabscheuten bürgerlichen Zivilisation Gottes Nähe erlebte. Unmittelbar nach der Trennung vom Vater soll er, so berichtet es Celano, durch einen Wald gelaufen und auf Französisch Loblieder für Gott gesungen haben.106 Die französische Sprache mag hier auch dafür stehen, dass das, was er sang, für andere unverständlich war. Vor allem aber erinnert diese Epi­ 172

2. Jubel mit der Schöpfung

sode daran, wie wichtig es für Franz war, dass Kommunikation nicht nur mit Menschen zu tun hatte. Auf die Gebete, in denen er sich zu Gott wandte, wird noch einzugehen sein – hier geht es um die eigenartige Mischung, welche Gebet und Natur eingehen konnten. Die Aufmerk­ samkeit für die Schöpfung ist dabei ein Zug seiner Frömmigkeit, der eng mit seiner Bußvorstellung zu tun hat: In Kapitel 5 der Admonitiones107 nimmt er den Gedanken der Größe des Menschen auf, der nach Ps 8 nur wenig geringer als Gott und nach der Schöpfungsgeschichte in Gen 1 nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Franz folgt sogar der begrifflichen Doppelung, die der lateinische Text aufweist, wenn er vom Menschen als imago, Bild, und similitudo, Ähnlichkeit Gottes, spricht. Dieses Lob des Menschen aber führt er weiter zur Anklage: Der Mensch sei es gewesen, der Christus ans Kreuz gebracht habe, nicht die anderen Geschöpfe, die Gott ihren schuldigen Dienst tun, ja nicht einmal die Dämonen. Für den Menschen bedeutet dies, dass er seine Schuld erkennen und ebenjenes Kreuz auf sich nehmen muss, an das er Christus gebracht hat. In den anderen Geschöpfen – nach der mittelalterlichen Einteilung sind es die nicht mit Vernunft begabten Geschöpfe im Unterschied zum Menschen als Vernunftwesen – sieht er vor allem die Unschuld und wohl auch die durch sie und in ihnen er­ haltene Ordnung. Das erklärt – neben der Tatsache, dass er sich wohl auf der Flucht befand –, warum Franz nach der Absage an das Eltern­ haus den Wald aufsuchte: Was er verließ, war die in Unordnung gera­ tene Welt, in der statt Gott das Geld regierte. Vernunft und Wille des Menschen hatten ihn selbstverschuldet in die Irre geführt. So suchte Franz die Wesen auf, bei denen er die göttliche Ordnung wiederfinden konnte. Sie wurden ihm, so schreibt es Celano, zu einem Abbild und Ausdruck von Weisheit, Macht und Güte (sapientia, potentia, bonitas) des Schöpfers108, zu einem Spiegel seiner Güte (speculum bonitatis)109. Und sein Verhalten diesen Geschöpfen gegenüber wurde nun ähnlich normsprengend wie einst gegenüber den menschlichen Außenseitern der Gesellschaft. So wie Franz sich damals Aussätzigen in überschäu­ mender Spontaneität zugewandt hatte, kümmerte er sich jetzt um die Kreaturen, die sonst oft mit Verachtung bedacht wurden. Würmer, so beschreibt es Celano, hob er vom Wege auf, damit sie nicht zertreten würden, Bienen versorgte er im Winter, damit sie nicht erfrören, mit Honig und ausgezeichnetem Wein, und er konnte einen ganzen Tag 173

3. Kapitel: Sendung

Gott dafür preisen, dass diese Insekten ihren Dienst in der Schöpfung versahen.110 Ihnen Honig hinzustellen, erscheint fast wie eine Wieder­ gutmachung des ausbeuterischen Verhaltens der Menschen, die ihnen ebendiesen ja üblicherweise fortnehmen.111 Man ist angesichts solcher Erzählungen fast geneigt, in Franz einen ersten Vertreter ökologischer Vorstellungen zu sehen112 – und muss aufpassen, nicht zu übertreiben, vor allem Franz nicht aus seinem ursprünglichen Zusammenhang zu reißen: Das positiv gestimmte Verhältnis zur Schöpfung galt keines­ wegs durchweg. Sehr nüchtern hat der Franziskaner Sigismund Ver­ hey festgestellt, dass auch für Franz gilt: „Tiere bleiben Tiere“,113 und sie bleiben durchaus Nutztiere, deren sich der Mensch bedienen kann. Als während Franz’ Abwesenheit die Brüder in Italien beschlossen, künftig auch an Tagen, an denen nicht gefastet werden musste, nur sol­ ches Fleisch zu verzehren, das Anhänger von sich aus brachten, stellte Franz – den ein Bote, der dies berichtete, sinnigerweise gerade bei ei­ ner Fleischmahlzeit antraf – sich gegen diese Vorschrift.114 Ziel ist hier nicht vegetarische Ernährung, sondern es ging um die Frage, ob man der Regel etwas gegen den Sinn des Ordensstifters hinzufügen dürfe. En passant aber wird deutlich, dass Jordan, der von dieser Episode erzählt, jedenfalls davon ausgeht, dass Fleischgenuss als solcher für Franz keinerlei Problem darstellte. Eine Spannung zur Achtsamkeit gegenüber Würmern und Bienen gibt es dabei nur aus moderner Sicht: Franz ging es um die Wahrung der Ordnung – zu der gehörte, dass die Bienen ihren Honig hatten und dass die Menschen Fleisch aßen.

Die Welt als Spiegel Gottes

Und doch erscheint Franz immer wieder als einer, der Werte vertrat, deren Bedeutung den Menschen erst seit wenigen Jahrzehnten wie­ der voll bewusst geworden ist. So wie sich die ökologische Bewegung unserer Gegenwart gegen die Folgen von Industrialisierung und Kon­ sum wendet, hat auch Franz deutlich gemacht, dass die Menschen in der Natur eher ein Störfaktor sind, statt ihre Vernunft dazu zu nutzen, sie zu fördern. Ungeachtet solcher sich aufdrängender Analogien blei­ ben zwischen dem Menschen des 13. Jahrhunderts und der Gegenwart tiefgreifende Unterschiede. Neben der deutlichen Veränderung der wirtschaftlichen Gesamtlage und des damit verbundenen Ausmaßes der Eingriffe in die Natur ist dies vor allem der Rahmen, in welchen 174

2. Jubel mit der Schöpfung

Franz seine Kritik am Menschen stellt. Die Natur, von der er spricht, ist ebenso wie der Mensch, an den er sich richtet, nicht für sich verstehbar, sondern über ihnen steht Gott, der die Schöpfung geordnet und ihr ei­ nen Sinn beigegeben hat. Was der Mensch tut, ist nicht einfach ein Ver­ gehen an natürlichen Zusammenhängen, sondern in erster Linie eine Sünde gegen seinen Schöpfer. Die Welt als Spiegel Gottes war damit in ähnlicher Weise sakramental gedacht, wie es oben für die Gegenstände beschrieben wurde, die Franz berührt hat – jedenfalls wenn man der gelehrten Deutung folgt, die Celano diesem Verhalten gab: Die Schöp­ fung war voll von Spuren, die Gott in sie eingeprägt hat.115 Das war ein Gedanke, den der Kirchenvater Augustin der mittelalterlichen Theolo­ gie vermittelt hatte. Er hatte in seinem Buch De trinitate den Gedanken entwickelt, dass vestigia trinitatis, Spuren der Trinität, in dieser Welt von Gott selbst zeugten. Franz, der doch so gerne betonte, wie ungebil­ det er war, dürfte von diesen philosophisch-theologischen Feinheiten ebenso wenig gewusst haben wie die Menschen, die von seinem Ge­ wand Stücke abschnitten, um etwas von seiner und Christi Heiligkeit nach Hause zu tragen. Aber man wird der Wirklichkeit der mittelalter­ lichen Gesellschaft ebenso wenig gerecht, wenn man meint, nur ganz besondere Eliten hätten von solchen Auffassungen gewusst, wie frü­ here Forscher ihr gerecht wurden, die meinten, vergangene Epochen tatsächlich allein aus den gelehrten Traktaten entwickeln zu können. Die Wirklichkeit ist bis heute komplexer: Nicht jeder, der heute von einem „Über-Ich“ spricht, hat Sigmund Freud im Original gelesen, und von Systemtheorie redet mancher, dem das Werk von Niklas Luh­ mann zu komplex zur Lektüre erscheint. Es gibt, von großen Theorien und Konzepten herkommend, einen Spurensatz in gesellschaftlicher Selbstverständigung, selbst da, wo das Bewusstsein über die Einzelhei­ ten gering ist. So wird man auch bei Franz annehmen dürfen, dass eine Vorstellung davon, dass in den Geschöpfen der Schöpfer selbst gegen­ wärtig ist, nicht nur von seinen Biographen erfunden, sondern von ihm selbst empfunden wurde. Dazu brauchte er Augustin ebenso wenig gelesen zu haben wie die neuplatonischen Philosophen der Antike. Es reichte, dass er an Vorstellungen seiner Zeit Anteil hatte.116 Wie eng die Verbindung zwischen seiner Frömmigkeit und philoso­ phischen Vorstellungen gewesen sein mag, zeigt eine Bemerkung Ce­ lanos: „Sorgsam ging er mit Lampen, Leuchten und Kerzen um, weil 175

3. Kapitel: Sendung

er nicht durch seine Hand den Glanz durcheinanderbringen wollte, der ein Abglanz des ewigen Lichtes ist“.117 Gott und das Licht: Das ist ein unerschöpfliches Thema der neuplatonischen Philosophie, und es ist zugleich ein Teil der Wahrnehmung in liturgischen Vollzügen, in wel­ chen das Kerzenlicht eine entscheidende Rolle spielt. Franz wusste Letzteres und mag Ersteres erahnt haben – dass er ebenjene Vorsicht den Lichtquellen gegenüber hat walten lassen, erscheint jedenfalls durchaus glaubhaft. Diese Informationen verdanken wir schon der zweiten Ausgabe von Celanos Vita, und sie werden noch durch weitere Ausmalungen der Zurückhaltung von Franz gegenüber der Schöpfung unterstrichen  – nun auch im Blick auf die unbelebte Natur. Er habe nämlich, so schreibt Celano, seine Brüder beim Baumfällen angewie­ sen, den Baum nicht vollständig zu entfernen, damit er neu sprossen könne.

Vogelpredigt

Diese reiche Vorstellungswelt muss man einbeziehen, wenn man die berühmte Schilderung Celanos liest, dass Franz den Vögeln gepre­ digt habe. Diese Erzählung findet sich schon in Celanos erster Vita und obwohl man darin ein gewisses hagiographisches Muster erken­ nen kann,118 verdient sie schon allein wegen dieses frühen Zeugnis­ ses einiges Vertrauen.119 Nun hat Paul Bösch mit einigem Recht dar­ auf hingewiesen, dass Hinweise auf die Vogelpredigt wie überhaupt auf Tierwunder bei den drei Gefährten gänzlich fehlen,120 allerdings hat dies insofern wenig Gewicht, als die drei Gefährten sich nach der Schilderung der ersten Reise zu Innozenz III. weitgehend auf die Ge­ schicke des Ordens konzentrieren. Lässt man die Möglichkeit zu, dass die Erzählung von der Vogelpredigt einen historischen Kern hat,121 so wird man auf das durchaus Alltägliche zu achten haben, das sich in ihr widerspiegelt122 und das im Verlauf ganz zu dem passt, was man auch sonst über Franz gehört hat.123 Er befand sich, so die Erzählung von der Vogelpredigt, mit mehre­ ren Brüdern auf dem Weg durchs Spoletotal. In der Nähe von Bevagna, knapp zwanzig Kilometer südlich von Assisi, sah er eine ganze Anzahl unterschiedlicher Vögel und lief mit der ihm eigenen Spontaneität auf sie zu. Wohl noch nicht in der Erwartung von Besonderem grüßte er sie „auf die übliche Weise“,124 also offenbar mit dem Friedensgruß, den 176

2. Jubel mit der Schöpfung

Giotto di Bondone, Franziskus predigt den Vögeln.

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3. Kapitel: Sendung

die Brüder allerorten, nur eben normalerweise gegenüber Menschen, anwandten. All das kann noch ein Spiel gewesen sein, oder auch eine Übertreibung, eine spontane exaltierte Aktion. Was daraufhin ge­ schah, macht die Sache bemerkenswert, wenngleich nicht gänzlich außernatürlich: Trotz der Anrede durch Franz, ja obwohl er auf sie zulief, blieben die Vögel, so berichtet es Celano, ruhig sitzen. Und nun erfolgte die eigentliche Vogelpredigt, aus der Celano, wie er sagt, einen Ausschnitt wiedergibt. Die Herleitung der Episode aus der Übersteigerung einer alltags­ nahen Begegnung mit Tieren macht es wahrscheinlich, dass hinter der Erzählung ein tatsächliches, freilich eben jenseits hagiographi­ scher Bemühungen wenig bemerkenswertes Geschehen steckt, eine Begegnung mit Vögeln, die von einer merkwürdigen Ruhe geprägt war.125 Sie lässt es aber nicht zu, den von Celano überlieferten Text als ein Originalzitat von Franz zu werten. Dennoch entspricht der Grundton dem, was eben zu Franz’ Verhältnis zu den Geschöpfen ausgeführt wurde: „Meine Brüder Vögel, ihr müsst euren Schöpfer sehr ­loben und ihn stets lieben, der euch Gefieder zum Anziehen gegeben hat und Federn zum Fliegen und was immer euch notgetan hat. Mit besonderem Adel hat Gott euch unter seinen Geschöpfen ausgestattet und euch in der Reinheit der Luft ein Haus bereitet, da er euch, obwohl ihr weder sät noch erntet, dennoch um nichts weniger, ohne dass ihr euch sorgen müsst, schützt und leitet.“126 Die Geschöpfe, die der Ordnung Gottes folgen, sie begegnen in dieser Predigt wieder, grundiert von dem Preis der Vögel aus der Bergpredigt, um die sich Gott kümmert, ohne dass sie säen oder ernten müssen. Mag diese Predigt auch erfunden sein, so ist sie doch nahe an dem, was man über Franz’ Verhältnis zur Schöpfung weiß. Sie spiegelt seine in­ tensive Beziehung zur Schöpfung wider, die letztlich eine Beziehung zu Gott ist. Sie erinnert zugleich daran, dass Franz Predigt nicht allein als Information und Mitteilung, auch nicht allein als Kommunikation unter vernunftbegabten Geschöpfen verstand. Selbst wenn der Verlauf der Geschichte suggeriert, dass die Vögel ihn verstanden hätten, weil er ihnen nach der Segnung durch das Kreuz die Erlaubnis gibt, fortzu­ 178

2. Jubel mit der Schöpfung

fliegen, ist das Entscheidende und historisch Nachvollziehbare doch wohl, dass Franz sie auf diese Weise mit hineinnahm in das Lob Got­ tes.127 Oder eigentlich muss man es wohl andersherum sagen: Franz wird so hineingenommen in das Lob Gottes durch die Vögel, in die un­ berührte, geordnete Natur. Die Predigt zu den Vögeln stellt nicht eine Aufwertung der Vögel dar, sondern eine Zurückführung des Predigers zu dem eigentlichen Ort christlichen Glaubens, Lobens und Prei­ sens. Nach Celano war diese eine Predigt nur der Anfang davon, dass Franz in der Folgezeit immer wieder Vögeln, aber auch anderen Tieren und sogar der unbelebten Natur predigte.128 Möglicherweise hat er die Suche nach der Nähe zu den Tieren tatsächlich in dieser Weise immer neu aufgenommen129 – das eigentlich Charakteristische findet sich in der vermutlich sekundär in den Mund gelegten Predigt. Möglicherweise gehört Celanos Hinweis auch schon in den Rah­ men, dass das wohl authentische unverkrampfte Verhältnis des Franz zu den Geschöpfen in der Folgezeit sehr gerne ausgeschmückt wurde. Das betraf nur zum Teil die Erzählung von der Vogelpredigt selbst, zu welcher die Fioretti, die Blümlein des Franz, eine außerordentlich ein­ flussreiche Sammlung von Episoden aus dem 14. Jahrhundert, das inte­ ressanteste Detail hinzugefügt haben: Die Vögel hätten sich, nachdem Franz sie mit dem Kreuzeszeichen gesegnet habe, erhoben und seien in alle vier Himmelsrichtungen davongeflogen, sodass am Himmel das Kreuz abgebildet wurde.130 So wurde der Lobpreis der Schöpfung sicht­ bar mit dem Kreuz verbunden, das auf sich zu nehmen ja Ziel des fran­ ziskanischen Weges war. Solche theologisch motivierten Änderungen konnten noch massiver ausfallen, und dies schon recht früh, etwa um 1230 bei dem oben bereits erwähnten Roger von Wendover, der in be­ merkenswerter Weise bereits die Vogelpredigt aufnimmt.131 Bei ihm sind das Gegenbild zu den treu hörenden Vögeln nicht die harthörigen Christen, sondern die Juden und die Römer. Und Franz läuft bei ihm nicht spontan auf die Vögel zu, sondern befiehlt sie vollmächtig zu sich, damit sie ihm einen halben Tag lang zuhören – frappierend genug ist hier in einem anderen Orden und einer ganz anderen Gegend Europas die Steigerung der Vollmacht des Franz zu beobachten. Natürlich regte die wundersame Geschichte von der Predigt vor den Vögeln die erzäh­ lende Phantasie weiter an. So reihte Celano in seinem Mirakelbuch an diese Episode eine nach der anderen, die allesamt Zeugnis davon 179

3. Kapitel: Sendung

gaben, wie Franz über die Tiere herrschte und diese ihn innig liebten. Beispielsweise soll ein Fasan immer wieder, wenn man ihn aussetzte, zu Franz zurückgekehrt sein,132 und genauso soll ein Hase auf seinen Schoß gesprungen sein, statt in die Freiheit der Natur zu laufen.133 Den theologischen Sinn solcher Erzählungen macht besonders deutlich die Geschichte von einer Schafherde, die Franz auf seine gewohnte Art grüßte und die dies mit lautem Blöken beantwortete134 – Franz sprach nicht nur zu den Tieren, sondern wurde von ihnen gehört, und er wurde ihnen das, was Jesus Christus als der gute Hirte nach Joh 10,14 für die Glaubenden ist. Seine Wirkung auf die Tiere reichte, wie es für Heilige dazugehört, über seinen Tod hinaus: Ein Student, der sich durch eine Schwalbe gestört fühlte, befahl ihr „im Namen des heiligen Franzis­ kus“, also offenbar nach dessen Tod, sich von ihm fangen zu lassen, und tatsächlich flog sie friedlich in seine Hand.135 All dies zeigt die muntere Fabulierlust der Erzähler mindestens ebenso wie ihre tiefe Verehrung für Franz von Assisi – dass die Geschichten nicht historisch sind, liegt auf der Hand. Und doch verweisen sie auf jenen oben angesprochenen Kern einer offenbar ungewöhnlichen Naturverbundenheit von Franz, die sich auch in seiner berühmtesten Dichtung niederschlägt, dem Sonnengesang. Dass dieser tatsächlich einmal gesungen wurde, wis­ sen wir aus der ältesten Handschrift von 1279, die einen Notenbalken aufweist136 – aber wie die Melodie klang und ob sie von Franz stammte, aus seinem Umfeld, oder doch erst von Späteren, ist unklar.

Sonnengesang

In seiner zweiten Vita verbindet Celano die Entstehung dieses Liedes mit einer schweren Erkrankung kurz vor Franz’ Tod137 – dies schmücken recht späte Überlieferungen aus: Die im Laufe des 13. Jahrhunderts ent­ standene Sammlung von Perugia (Legenda Perusina) erzählt davon, wie Franz aufgrund einer Erkrankung 1224 länger in San Damiano war und sich dort von den Schwestern pflegen ließ. Dies ist im Grundsatz auch sonst bezeugt, gibt in der Sammlung aber den Hintergrund ab für meh­ rere geistliche Dichtungen von Franz, unter anderem jenen Gesang, den er selbst „Canticum fratris Solis“, Gesang von Bruder Sonne, genannt haben soll.138 Angesichts des späten Aufkommens dieser Erzählung und des leicht nachvollziehbaren Bemühens, die Heiligkeit von San Dami­ ano weiter herauszustreichen, wird man diese Erzählung schwerlich be­ 180

2. Jubel mit der Schöpfung

lasten können, und die kurze Bemerkung bei Celano gibt keine sichere Stütze für eine Datierung. So reichen die Hinweise nicht, um die Entstehungszeit des Sonnenge­ sanges exakt festzulegen. Es bleibt bei der wenig aussagekräftigen Fest­ stellung, dass Franz ihn irgendwann im Laufe seines Lebens gedichtet hat, vermutlich in seinen letzten Lebensjahren,139 wobei hinzuzufügen ist, dass er ihn möglicherweise nicht einmal in einem Zuge geschaffen hat. Selbst die erwähnten späten Zeugnisse behaupten das nicht, son­ dern die Legenda Perusina beispielsweise berichtet, Franz habe den schon fertigen Gesang durch eine Strophe ergänzt, in welcher die gelobt wer­ den, die verzeihen (s. u. Strophe 8), um im Streit zwischen dem Bischof und dem Bürgermeister von Assisi zu vermitteln.140 Und die Strophe, die von „Schwester Tod“ handelt (Strophe 9), habe er gar erst eingefügt, als er das Sterben nahen fühlte.141 Der Vorstellung einer allmählichen Ent­ stehung und Ergänzung entspricht der Befund des Textes selbst: Die unterschiedlichen Perspektiven darin, mal die Natur, mal der Mensch, könnten ebenso wie die nicht ganz einheitlichen Zeilenanfänge auf ein gewisses Wachstum hinweisen, was die Datierung noch schwieriger, ja letztlich unmöglich macht  – zumal man andersherum argumentieren kann, dass ebendiese Uneinheitlichkeit dazu geführt haben mag, dass schon die frühen Erben des Franz meinten, der Gesang sei in Etappen entstanden.142 Die fehlende exakte Datierung und die literarischen Probleme än­ dern freilich daran nichts, dass man es mit einem Text zu tun hat, der es ermöglicht, sehr nah an die Glaubenswelt von Franz heranzukommen. Unmittelbar und intensiv drückt er in ihm jenen Schöpfungsglauben aus, der in den vielen Erzählungen von Vögeln, Hasen und Schafen Ge­ stalt gewonnen hat. Hier zeigt sich erneut, dass die Einsicht, wonach diese Erzählungen zu guten Teilen erfunden und – im Falle der Vogelpre­ digt – vermutlich reichlich übertrieben sind, nicht einfach in das Schema „richtig“ und „falsch“ aufzulösen ist. Die Geschichten von den Tieren sind eine Weise, wie Menschen des Mittelalters einen besonderen Zug im Leben von Franz ausdrücken wollten. Das taten sie nicht begrifflich oder im historisch präzisen Bericht, sondern narrativ – und vielleicht ist das sogar gar nicht so fern von heutigen Verhaltensweisen: Gelegentlich mag es auch im 21. Jahrhundert vorkommen, dass man, um einen Men­ schen zu charakterisieren, Episoden erzählt, die sich vielleicht nicht ganz 181

3. Kapitel: Sendung

so begeben haben, die übertrieben und ausgeschmückt sind. Auch das plastische Erzählen, das Hinausgehen über den reinen Bericht gehört zur Kommunikation und macht gelegentlich deren Würze aus. Was wir von historischen Rekonstruktionen und Zeitungsnachrichten erwarten dürfen, die exakte, faktenorientierte Darstellung, ist nicht die einzige Form von Mitteilung. Vielleicht kann man die Berichte über Franz inso­ fern mit heutigen Filmen über reale Personen vergleichen, die auch nicht immer eins zu eins die Begebenheiten wiedergeben, sondern, in der Re­ gel viel reflektierter als die Autoren des Mittelalters, ein Leben pointieren und zuspitzen. Heutige Geschichtswissenschaft kann dieses Anliegen durchaus würdigen – bleibt aber in der Verantwortung, abzuwägen, was heutigen Begriffen von Authentizität entspricht und was nicht. Und hier sind wir durch den Sonnengesang in der glücklichen Lage, Franz selbst mit seinen ursprünglich in mittelitalienischer Sprache geschriebenen143 Versen zu Worte kommen lassen zu können: „1) Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig dich zu nennen. 2) Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, zumal dem Herrn Bruder Sonne, welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest. Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz: von dir, Höchster, ein Sinnbild. 3) Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne; am Himmel hast du sie gebildet, klar und kostbar und schön. 4) Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst. 182

2. Jubel mit der Schöpfung

5) Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch. 6) Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer, durch das du die Nacht erleuchtest; und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark. 7) Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter. 8) Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Drangsal. Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt. 9) Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod; ihm kann kein Mensch lebend entrinnen. Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben. Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun. 10) Lobt und preist meinen Herrn und dankt ihm und dient ihm mit großer Demut.“144 Der Sonnengesang ist eigentlich, das sollte man nicht vergessen, ein Gottesgesang145: „Gelobt seist du, mein Herr“, so lautet die immer wiederkehrende Zeile, und das Lob erfolgt immer wieder „per“ – das kann, wie hier, Leonhard Lehmann folgend, als „durch“ übersetzt werden, aber auch als „für“ oder „wegen“.146 Jede dieser Übersetzun­ gen unterstreicht, dass die Geschöpfe nicht Gegenstand des Lobes 183

3. Kapitel: Sendung

sind, sondern mit Franz selbst in dessen Lob einstimmen sollen oder ihm Begründung für den Preis Gottes sind.147 Dies fällt umso mehr auf, als der Gesang der drei Männer im Feuerofen aus der Danielgeschichte (Dan  3,52–90),148 neben Ps  148 eines der alttestamentlichen Vorbil­ der für die Dichtung, durchaus die Anrede an die Geschöpfe kennt, freilich um sie aufzufordern, Gott zu loben: „Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn“ (Dan 3,57).149 Dem folgt Franziskus also nicht ohne Weiteres.  Und doch hat die Sonne eine für christliches Verständnis eigentümlich starke Stellung, angesprochen als der Bruder, weil sole, die Sonne, im Italienischen wie im Lateinischen männlich ist – diese Geschwisterlichkeit der Geschöpfe hat Franz wohl keinen Vorbildern entnommen, sondern selbst gestaltet.150 Dabei konnte das Verhältnis zu den Geschöpfen sogar noch über die Geschwisterlichkeit hinaus­ gehen, die nach einer Hebung der Geschöpfe auf die Ebene der Men­ schen klingt: In seinem „Gruß an die Tugenden“, den Franz vielleicht in seinen letzten Lebensjahren dichtete, gehört zum Gehorsam des Bru­ ders auch, nicht nur allen Menschen untertan zu sein, sondern sogar allen reißenden und wilden Tieren, „sodass sie mit ihm machen kön­ nen, was auch immer sie wollen“.151 So bleiben sie Tiere, gefährlich und bedrohlich, und doch macht sich der Mensch nicht zu ihrem Feind. Der Mensch ist nach Franz vielmehr eingebunden in ein vielfälti­ ges Beziehungsnetz mit den anderen Geschöpfen. Das ist der plau­ sible Hintergrund dafür, dass Franz durch sie dem Schöpfer seinen Dank abstatten kann: Wie die Schöpfungserzählung in Gen 1 gedenkt er zunächst der Gestirne, dann aber der gesamten Welt in ihren vier Elementen Luft, Wasser, Feuer und Erde – auffällig ist, dass die Tiere, denen doch in den Erzählungen so viel Platz eingeräumt wird, hier nicht eigens vorkommen. Dass sie in die Geschwisterlichkeit hinein­ gehören, steht außer Frage,152 und doch scheinen die Biographen ein höheres Interesse an ihnen gehabt zu haben als Franz selbst. Ebenso auffällig ist die Hervorhebung der Erde, die nicht nur Schwester, son­ dern auch Mutter ist  – eine auffällige Stellung in einem Gesang, der als Sonnengesang gilt. Assoziationen an prähistorische Mutterkulte wären hier allerdings fehl am Platz.153 Vielmehr ist diese Anrede schon Ausdruck der Anthropozentrik des Liedes, der Konzentration auf den Menschen – bei aller Verbundenheit mit Natur und Umwelt löst Franz sich von dieser nicht. 184

2. Jubel mit der Schöpfung

Sie steigert sich vielmehr noch: Der Gesang zielt auf den Men­ schen  – und dies angesichts der Hervorhebung der Erde nicht erst in den Strophen, die Ergänzungen sein könnten.154 Er erscheint aber nicht als Krone der Schöpfung, eher als der, der besonders in die Ver­ antwortung genommen ist, Frieden weiterzugeben. Damit tritt zu dem biblischen Hintergrund in der Schöpfungserzählung, Psalm 148 und dem Gesang der drei Männer im Feuerofen155 eine neutestament­ liche Wurzel des Gesangs: Es sind die Seligpreisungen, mit denen Jesus die Bergpredigt beginnen lässt, die hier den Text bestimmen, allen voran jenes „Selig, die Frieden stiften“, das man auch sonst in Franz’ Predigt erkennen kann (s. o. 146–159). Wenn Franz diese Stro­ phe tatsächlich erst sekundär hinzugefügt haben sollte, hat er damit außerdem eine gelegentlich benannte Besonderheit der Dichtung korrigiert: dass sie ohne explizite Erwähnung Christi auskommt.156 Nun wäre nicht nur ein solches Lied überfrachtet, wenn man von ihm die Entfaltung der gesamten Theologie von Franz erwarten wollte. Vor allem ist dies ein Indiz dafür, dass Christus ganz selbstverständ­ lich im Zentrum jeden christlichen Glaubens steht, und so auch bei Franz. Mehrmals am Tag gedachte er im Stundengebet Christi, das ist der durchlaufende Hintergrund seiner Frömmigkeit. Aber die chris­ tologische Unbestimmtheit des Sonnengesangs zeigt ebenfalls: Man würde zu viel erwarten, wenn man hier oder an anderen Stellen in Franz’ Werk eine Christusfrömmigkeit im Sinne einer Identifikation mit Christus, einer Christusförmigkeit, suchte. Worum es Franz im Blick auf Christus ging, war, und das zeigt auch die Aufnahme der Se­ ligpreisungen an dieser Stelle, eine apostolische Christusnachfolge. Den Aufruf hierzu stellte er an den Anfang der Sammlung der soge­ nannten Regula non bullata.157 Die Offenheit der Formulierungen an dieser Stelle weist zugleich darauf hin, dass bei der Entstehung der Friedensstrophe nicht un­ bedingt an einen konkreten Streit in Assisi zu denken ist, den Franz schlichten wollte, sondern eher an einen Ausdruck der allgemeinen Haltung, die er der Welt entgegenbrachte und in der leidendes Er­ dulden und Friedensstiftung bestimmend waren. Bemerkenswert ist dann der Ausklang: Selbst noch der Tod wird zur Schwester – dankend aufgenommen, und zugleich verbunden mit der Gerichtswarnung. Wie schon im Zusammenhang der Predigt wird man daran erinnern 185

3. Kapitel: Sendung

müssen, dass auch ein so anrührender Text wie der Sonnengesang ohne die Härte der Buß- und Gerichtsbotschaft nicht auskommt: Die Warnung vor dem Sterben in tödlicher Sünde, in Todsünde, ist offenkundig ein Hinweis auf die Notwendigkeit der Buße, in welcher die Todsünde gebeichtet werden soll, und der zweite Tod, dem zu entgehen das Ziel ist, bedeutet nach Apk 20,14 die ewige Verdamm­ nis. Franz war auch hier noch der Gerichtsprediger, als der er durch die Lande zog. Die Demut, die seinen Lebenswandel auszeichnete, ist tief verwurzelt in der Furcht vor dem Jüngsten Gericht, der Frieden ist ohne tiefe Buße nicht zu haben. Und all dies bleibt eingebettet in einen tiefen Gottesglauben, der das Lob Gottes an den Anfang und an den Schluss des Gesanges stellt – ihm gegenüber ist der Mensch unwürdig und auf die Demut verwiesen. Letztlich wird genau darin bereits das Jenseits sichtbar: Nicht umsonst findet Thomas von Ce­ lano in der geschwisterlichen Anrede an die Geschöpfe einen Vor­ glanz der „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“, von welcher Paulus in Röm  8,21 spricht.158 Schon der Apostel Paulus nimmt hier die Schöpfung mit hinein in die menschliche Erlösungssehnsucht: Wie die Menschen, so seufzen alle Kreaturen auf ein besseres Dasein hin, in welchem die Vergänglichkeit aufgehoben und das ewige Le­ ben geschenkt ist. Ob Franz sein Handeln so verstanden hat, ist nicht sicher – der Sonnengesang und auch die anderen angeführten Aus­ sagen unterscheiden ja eher die gut verbliebene Schöpfung von dem sündigen Menschen, nehmen sie aus dessen Erlösungsbedürftigkeit heraus. Dass der Mensch aber in seinen Augen auf das letzte Urteil Gottes hinlebt, das ist durch den Verweis auf den zweiten Tod ebenso deutlich wie durch den Bußruf, mit dem seine Mission begann. Ne­ ben der Begeisterung für das Dasein ist es die Furcht vor Urteil und Vernichtung, die ihn antreibt. Darum wird man mit vorschnellen Ver­ einnahmungen des Franz für die Gegenwart vorsichtig sein müssen: Vieles an seinem Reden und Verhalten erinnert an Albert Schweit­ zers „Ehrfurcht vor dem Leben“ – dies ist indes immer nur Teil einer Gesamtbotschaft, die den Menschen unter permanente Anklage der Verfehlung im Angesicht Gottes stellt.

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3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime Eine Orientreise oder mehrere?

Nicht nur die scharfe Gerichtspredigt des Franz stellt sich quer gegen manche heutige Vereinnahmung – auch die Radikalität, mit der er da­ nach strebte, Muslime für das Christentum zu gewinnen, mutet dem heutigen, am Dialog orientierten Verständnis der Begegnung zwi­ schen den Religionen eher fremd und störend, vielleicht sogar verstö­ rend an.159 Wiederum wird man den scheinbar nahen Franz auf Distanz halten müssen, sich seine Fremdheit klarmachen müssen. Dreimal, so teilt es zumindest Celano mit, ist Franz aufgebrochen, um Muslime zu bekehren. Dahinter stand wohl nicht allein das Bedürfnis, die Ungläu­ bigen, als die er die Muslime ansah, zum Christentum zu bekehren, sondern auch die Sehnsucht nach dem Martyrium, so jedenfalls be­ richten es Celano und andere.160 Freilich gilt hier wie so oft in Sachen Franziskus: Diese Hinweise auf die Martyriumssehnsucht sind schon Teil der Deutungen der Biographen, sodass man durchaus Gründe ha­ ben könnte, sie mit Michael F. Cusato aus hagiographischer Absicht zu erklären. Celano und andere hätten hierdurch versucht, Franz’ Chris­ tusnachfolge zu einer vollkommenen zu machen, die ihn bis zum Tod ans Kreuz führte.161 Tatsächlich fehlt entsprechende Evidenz aus den Schriften von Franz selbst, die es ermöglichte, ihm eine solche Suche nach dem Martyrium zuzusprechen. Dennoch muss der Gedanke nicht völlig abwegig sein. Man kann in diesem Falle durchaus einen Anlass benennen, warum Franz das Mar­ tyrium gesucht hat, vor allem, wenn man die Orientreise in den Mit­ telpunkt stellt, die ihn bis vor den Sultan führte. Ein bemerkenswertes Licht auf die Ereignisse wirft nämlich Jordan von Giano in seiner Chro­ nik – als jemand, der sich noch zu Lebzeiten des Franz dessen Orden angeschlossen und zeitweise in Italien gelebt hat, ist er auf alle Fälle ein Zeuge, der nicht geringer zu gewichten ist als etwa die drei Gefähr­ ten.162 Über die Ereignisse im Orient wusste er recht gut Bescheid; so weiß er davon zu berichten, dass Franz Elias von Cortona zum Pro­ vinzial in Syrien ernannte,163 hier also mit einem planmäßigen Aufbau des Ordens begann. Er schildert eine eigenartige Episode: In Spanien hätten fünf Brüder das Martyrium erlitten164 – aus einer ihnen gewid­ 187

3. Kapitel: Sendung

meten Legende kennt man auch ihre Namen: Berald, Petrus, Adiutus, Accursius und Otho.165 Franz aber habe, als ihre Verehrung unter Fran­ ziskanern um sich griff, versucht, ebendiese Legende zu unterdrücken, und darauf verwiesen, dass niemand sich des Leidens anderer rühmen solle, sondern nur des eigenen Leidens.166 Erst danach dann habe er sich auf den Weg zu den Muslimen gemacht, und zwar, so schreibt es Jordan, aufgrund der Einsicht in einen Zwiespalt zwischen der Sen­ dung einzelner Brüder in die gefährliche Mission und seiner eigenen Ungefährdetheit, wenn er daheimbliebe.167 Rückt man diese Darstellung Jordans in den Vordergrund, hat dies allerdings einschneidende Konsequenzen für die lange Zeit übliche Darstellung von Franz’ Orientunternehmungen. Celano berichtet von drei Aufbrüchen in die muslimische Welt. Liegt Jordan richtig, so hätte man es nur mit einem zu tun. Gewiss lassen sich die Angaben harmonisieren, denn die beiden ersten Reisen, von denen Celano be­ richtet, führten, wie sich gleich zeigen wird, nicht zum Ziel  – Jordan hätte dann erst die letzte gezählt, die Franziskus tatsächlich bis zum Sultan al-Malik al-Kamil führte. Wie so oft aber steht man bei der Le­ bensbeschreibung des Franz vor dem Umstand, dass die Berichte ein­ ander widersprechen, und man sollte zumindest in Erwägung ziehen, dass Celano in seiner ersten Vita auch mit der Behauptung, unter den ersten Brüdern seien einige (ebenfalls vergeblich) nach Santiago de Compostela aufgebrochen, eine Perspektive des Weges in die muslimi­ sche Welt eröffnete, also von früh an – und damit wohl: zu früh – diese in den Blick nahm. Es ist durchaus möglich, dass er die beiden ersten Reisen beziehungsweise Reiseversuche in dem Wissen um die sicher bezeugte Reise bis nach Ägypten aus vorgegebenem Material konst­ ruierte, dass er also Reisen, die eher ins Ungewisse gingen, im Nach­ hinein ein Ziel andichtete. Tatsächlich ist seine Erzählung von einem ersten vergeblichen Aufbruch von Anfang an von wunderhaften Zügen überlagert: Franz, so berichtet es Celano, sei im Schiff Richtung Syrien aufgebrochen, sei aber nur bis an die Ostküste der Adria gelangt168  – von dort sei kein Schiff mehr weiter nach Osten gefahren, sodass er beschloss heimzukehren. Die Schiffsleute, die er darum bat, ihn und einen Bruder, der ihn begleitete, nach Ancona mitzunehmen, hätten sich jedoch geweigert, da sie nicht genug zu essen dabeihatten. Den­ noch habe Franz sich heimlich an Bord begeben – und schließlich, als 188

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime

die Besatzung im Kampf mit Unwettern ihre Vorräte verbraucht hatte, alle mit dem bisschen Essen, das er für sich selbst mitgenommen hatte, ernähren können. In dieser Geschichte vermengen sich ganz offen­ kundig die Erinnerungen an Jesu Schifffahrten und die Sturmstillung (Mt  8,23–27 parr.) mit der Erzählung von der wunderbaren Brotver­ mehrung (Mt  14,13–21 parr.), und Julian von Speyer, der als Einziger neben Celano von dieser vergeblichen Syrienreise berichtet, zieht die Verbindung sogar ausdrücklich: Der Herr selbst habe in dem Gesche­ hen mit den Seeleuten „durch ihn das Gedächtnis seiner Wundertaten errichtet“.169 Die Jesusnachfolge überformt hier ganz offenkundig die historische Erinnerung an Franz selbst. So ist auch die bemerkenswert exakte Datierung, in welcher Celano und Julian sich einig sind, kein Beleg dafür, dass all dies so geschehen sein muss: Die Reise und ihr Abbruch seien im sechsten Jahr der Bekehrung des Franz geschehen,170 also 1212. Celano, der ab 1221 für den Orden in Deutschland tätig war,171 dürfte bewusst gewesen sein, dass genau in diesem Jahr der berühmte und in vieler Hinsicht erschütternde Kinderkreuzzug von Nordfrank­ reich und Deutschland ausging.172 Es ist also durchaus möglich, dass er hier Nachrichten über eine Seereise von Franz in derselben Zeit mit je­ nen Ereignissen nördlich der Alpen verbunden hat. Man wird aufgrund solcher Beobachtungen nicht ausschließen können, dass Franz tat­ sächlich schon in diesem Jahr den Entschluss gefasst hatte, in den Na­ hen Osten aufzubrechen – er wäre nicht der Einzige gewesen, dessen Versuch durch die schwierigen Verkehrsbedingungen des Mittelalters gescheitert wäre. Allzu sicher sollte man sich dessen freilich nicht sein, zumal Celano die Episode zwar, bezeichnend genug, in sein Mirakel­ buch aufgenommen hat,173 nicht aber in die zweite Fassung der Vita.174 Noch schwieriger wird es mit der zweiten Reise in die muslimische Welt, die von Celano und, ihm offenkundig folgend, von Bonaventura175 berichtet wird: Gemeinsam  mit Bernhard176 habe er sich auf den Weg nach Marokko zum Emir-el-Mumein, dem Haupt der Gläubigen, auf­ gemacht  – im Lateinischen wird dieser arabische Titel zu Miramamolinus umgestaltet.177 Diesen Titel trug zur fraglichen Zeit  – wenn man die Erzählung für historisch hält, müsste es sich um ein Ereignis in den Jahren  1213/14 handeln  – Mohammed-ben-Nasser.178 Er war 1212 in Spanien in der Schlacht von Navas de Tolosa von Alfons VIII. von Kas­ tilien geschlagen worden179 und hatte sich nach Marokko zurückziehen 189

3. Kapitel: Sendung

müssen – eine der größten Erfolge der Reconquista in Spanien, die das Land von den muslimischen Besatzern befreien sollte. Wie man es ein­ zuordnen hätte, dass Franz möglicherweise im Windschatten dieser Ereignisse nach Marokko reisen wollte, ist schwer vorzustellen. Celano gibt als Zweck die Predigt des Evangeliums vor Mohammed-ben-Nasser und seinen Leuten und, bei diesem Plan naheliegend, den Märtyrertod an180 – auch diese Reise aber scheiterte nach seiner Schilderung noch in den Anfängen. Durch Gottes Eingreifen selbst, so berichtet Celano, sei Franziskus in Spanien krank geworden und wieder umgekehrt. Auch dies kann so geschehen sein, und die relativ genauen Informationen über den Rückzug Mohammed-ben-Nassers nach Marokko mögen da­ für sprechen, dass hier reale Erinnerungen vorliegen. Allerdings macht der Grund für die Umkehr skeptisch. Das Muster, dass Franz eine Reise wegen Krankheit aufgibt, begegnete ja schon viel früher: In Spoleto soll Krankheit seinen Weg zum militärischen Abenteuer beendet haben  – bereits bei dieser Erzählung gab es Gründe, an ihrer Realität zu zweifeln. Nun also tritt dasselbe Motiv noch einmal auf, und wieder ist es Gott, der auf diese Weise in das Geschick des Franz eingreift – und letztlich, so deutet es Celano an, zugunsten der weiteren Gemeinschaft sein Leben erhält.181 Auch hier gilt: Das kann so gewesen sein, keine Frage. Es kann aber auch anders gewesen sein. Es kann so gewesen sein, dass Celano die Bedenken teilte, die wir von Jordan kennen, und dass möglicherweise das Schicksal der fünf Brüder, die das Martyrium erlitten, tatsächlich die Frage aufwarf, wa­ rum Franz selbst dem entgangen war und sich so lange nicht einmal der Gefahr ausgesetzt hatte, obwohl seit 1218 mehrere Brüder sich aus unterschiedlichen Motiven auf die Reise in den Osten gemacht hatten.182 Hier mag Celano Versatzstücke, die ihm aus dem Leben des Franz und darüber hinaus bekannt waren, zusammengefügt haben, um Franz dreimal aufbrechen und zweimal aus Gründen, die nicht er zu verantworten hatte, ja die sogar von höherer Macht waren, umkeh­ ren zu lassen.183 Celano hätte so die Lücke, von der Jordan noch wusste, erzählerisch aufgefüllt, um Franz gegen alle Vorwürfe zu verteidigen. Dazu passt es, dass er in der zweiten Vita auf die beiden ersten Reisen verzichten konnte: Die Vorwürfe gegen Franz dürften verstummt sein. Es ging nun darum, seine Heiligkeit durch Wundertaten zu unterstrei­ chen, nicht durch Martyriumsbereitschaft zu begründen. 190

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime

Vor dem Sultan

Was bleibt und auch durch Berichte anderer Quellen bestätigt wird,184 ist die Reise zum Sultan al-Malik al-Kamil im Jahre 1219. Sie ist in der Tat, wie André Vauchez betont hat, die am besten bezeugte Szene aus dem Leben von Franz.185 Dabei wird selten intensiver in seiner Prob­ lematik bedacht, was Kathleen Warren auf den Punkt gebracht hat: Franz hatte im Orient nicht nur eine Begegnung, sondern zwei: mit dem Sultan, aber auch mit den Kreuzfahrern.186 Franz der Friedensstif­ ter wurde, ob er wollte oder nicht, zum Teil der Kreuzzugsbewegung.187 Diese Spannung kann man schlecht fortdefinieren.188 Man hat es hier wohl wie in seinem unten noch zu behandelnden Verhältnis zum Papst mit dem Phänomen einer schier unglaublichen Naivität des Franz von Assisi zu tun: So kritisch er die Zustände der werdenden frühkapita­ listischen Gesellschaft von Assisi wahrnehmen konnte, so blind war er offenbar für die machtpolitischen Beanspruchungen des Christen­ tums in der Kirche seiner Zeit. Tatsächlich wäre es schon in den Anfängen der Kreuzzugsbewe­ gung falsch, diese auf den Aspekt der Macht zu reduzieren. Gewiss hatte die Ausrufung des Ersten Kreuzzuges 1095 auch damit zu tun, dass der damalige Papst Urban  II. (1088–1099) eine Gelegenheit suchte, sich gegenüber dem Kaiser zu behaupten, mit dem er infolge des Investiturstreits noch im Konflikt lag.189 Aber die Begeisterung, die sein Aufruf auslöste, lässt sich hieraus und aus sozialen Faktoren allein nicht erklären: Die Vorstellung, dass der Weg zu den heiligsten Stät­ ten der Christenheit frei werden müsse, motivierte eine „bewaffnete Wallfahrt“.190 So lagen höchst disparate Motive ineinander – gerade die Zeit von Franz aber hatte, übrigens gegen den Willen des Papstes,191 die massivste Verzweckung der Kreuzzugsidee gebracht: Die Ritter des Vierten Kreuzzuges 1201–1204 wandten sich recht bald von ihrem ur­ sprünglichen Ziel Jerusalem ab und eroberten stattdessen unter einem politischen Vorwand die christliche Stadt Konstantinopel in „einer grauenhaften, drei Tage dauernden Orgie aus Gewalt, Schändung und Raub“.192 Franz werden diese Vorgänge nicht bewusst gewesen sein und doch macht es Mühe, sich vorzustellen, wie sich der Mann, der seinen Brüdern allerorten den Friedensgruß aufgetragen hatte, in ein Rit­ terheer verirrte. Man wird indes zurückhaltend damit sein müssen, 191

3. Kapitel: Sendung

den Widerspruch, den man heute zwischen beidem empfinden mag, auf das 13.  Jahrhundert zurückzuprojizieren. So wie ein Jahrhundert zuvor der große Mystiker Bernhard von Clairvaux neben seinen zar­ ten Predigten über die Liebe zwischen Christus und den Glaubenden nichts dabei fand, die neue Ritterschaft, die nova militia, der Ritteror­ den zu preisen und den Zweiten Kreuzzug einzupeitschen, haben auch die Erben von Franz Erzählungen überliefert, in denen er als massiver Befürworter des Kreuzzuges erscheint. Vom Sultan selbst gefragt, wie er denn die Ethik der Bergpredigt und ihres Friedensbefehls mit dem Einfallen christlicher Heere in muslimische Länder vereinbaren wolle, habe er sich auf Mt 5,29 berufen: „Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!“ und dies auf die Muslime bezogen, die drohten, die Christen vom Glauben fort- und so dem Bösen zuzuführen.193 Dieser Dialog ist so wenig historisch wie die anderen Berichte von einem Dialog mit dem Sultan oder einer Predigt vor ihm – historisch ist es nur als Zeugnis der zweiten oder dritten Ge­ neration der Franziskaner,194 die sich ein Ineinander von franziskani­ scher Botschaft und Kampf gegen die Muslime vorstellen konnte. Der Friede, den sie zu verkündigen hatten, war nicht von dieser Welt, und das hieß wohl auch: Er konnte mit Krieg in dieser Welt durchaus zu­ sammengehen. Das wird auch dadurch nicht eingeschränkt, dass Ce­ lano in seiner zweiten Vita Franz unterstellt, er habe den Christen eine Niederlage gegen die muslimischen Herrscher vorausgesagt, um krie­ gerische Auseinandersetzungen zu verhindern195: Nimmt man diese deutende Bemerkung Celanos fort, so erkennt man nichts von einer generellen Skepsis gegenüber dem Kreuzzug. Es bleibt nur ebendies: dass Franz eine Niederlage für eine bestimmte Schlacht196 voraussagte, die dann tatsächlich eintraf. Am 29. August 1219 stürmten die Kreuzrit­ ter bei Damiette an der ägyptischen Mittelmeerküste wild gegen das is­ lamische Heer und fielen auf dessen geschickte Taktik herein: Die Ara­ ber zogen sich scheinbar zurück, kehrten dann aber um und schlugen die Angreifer in die Flucht.197 Nach den überlieferten Zahlen wurden fünftausend Christen erschlagen, tausend gefangen genommen.198 Franz war im Lager der Kreuzfahrer ein Unheilsprophet, noch dazu ein erfolgreicher. Ein Friedensstifter war er nicht.199 Diese Schlacht war Teil des sogenannten Fünften Kreuzzuges.  Er gab den Rahmen für die denkwürdige Begegnung des Franziskus mit 192

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime

den Kreuzzugsrittern und dem Sultan. Er sollte den Erfolg im Heili­ gen Land auf dem Umweg über Ägypten bringen und stand nun viel energischer unter dem Einfluss des Papstes, vermittelt unter anderem durch den spanischen Kardinal Pelagius, der 1218 in das Lager vor Da­ miette gekommen war und danach drängte, Befehlshaber des gesam­ ten Kreuzzuges zu werden. Die Belagerung zog sich hin – und eben in diese Zeit des „Stillstands“200 hinein war 1219 Franz von Assisi gekom­ men: der Bettelmönch unter den Rittern. Der Prophet, der ständig Su­ chende, der von seiner Mission Getriebene.201 Dass er tatsächlich nach der Schlacht vom 29.  August zum Sultan gegangen ist, wird durch einen unmittelbaren Augenzeugen bestätigt: Jakob von Vitry befand sich seinerzeit in dem Kreuzfahrerheer und be­ richtete in einem Brief davon, dass Franz zu den Rittern gestoßen sei und niemand ihn davon habe abhalten können, in das gegnerische La­ ger zu gehen, um dort den Arabern das Wort Gottes zu predigen. Auch hier also dringt der bleibende Wille durch, die Muslime zum Glauben an Jesus Christus zu bekehren – aber ebenso die Bereitschaft zum Mär­ tyrertod: Was einem im fremden Lager geschehen konnte, hatte Franz selbst beobachten können, als die Kreuzfahrer acht Muslimen unter dem Vorwurf der Spionage Nasen, Arme, Lippen und Ohren abschnit­ ten.202 Beides drückt, sei es in der Rolle als Opfer, sei es in der Rolle als aktiver Missionar, das Bewusstsein von einem massiven Widerspruch zwischen den großen Religionen des Christentums und des Islams aus.  Dass Franz mit seinen Missionsbestrebungen wenig Erfolg ge­ habt hat, liegt nahe – doch ironischerweise blieb ihm das Martyrium ebenfalls vorenthalten. Der Sultan selbst habe ihn, so Vitry, nach An­ hören seiner Verkündigung aufgefordert, für ihn zu beten, damit ihm die rechte Erkenntnis geschenkt werde, welches die rechte Religion sei.203 Etwas ausführlicher schilderte Vitry die Geschehnisse in seiner Historia occidentalis, einer groß angelegten Geschichtsdarstellung, die diesbezüglich ein überraschendes, gleichwohl plausibles Moment enthält. Hiernach nämlich hätte Franz offenbar nicht von Anfang an vorgehabt, in das gegnerische Lager zu gehen, sondern, wie Vitry es beschreibt, wurde er hierzu durch eine Art visionärer Erfahrung204 be­ wegt, also offenkundig in einem spontanen Akt, wie es ja auch zuvor schon kennzeichnend für ihn war. Diese Schilderung der Ereignisse er­ gänzt ein Bericht in der Chronik des französischen Knappen Ernoul205: 193

3. Kapitel: Sendung

Nach dessen Erzählung hätten Franz und sein Gefährte – nach Bona­ venturas Bericht wäre dies Bruder Illuminatus gewesen206 – zunächst den Kardinal Pelagius um Erlaubnis zu diesem Schritt gebeten.207 Das bringt Ordnung in ein Geschehen, das gewiss wie so oft im Leben des Franz nicht sonderlich geordnet abgelaufen ist.208 Nachdem er sich zum Lager in Fariskar,209 südlich von Damiette, aufgemacht hatte, wurde Franz, so ergänzt Vitry, von den arabischen Soldaten ergriffen, sei aber aufgrund seines Ausrufes „Christianus sum“, „Ich bin Christ“, verschont worden210 – spätestens hier beginnt man sich zu fragen, in welcher Sprache die Verständigung eigentlich stattgefunden haben soll. Plausibler mag der Bericht Jordans von Gi­ ano sein, nach welchem Franz laut „Sultan, Sultan“ gerufen habe. Mehr an für Araber verständlichen Worten dürfte er kaum zur Verfügung gehabt haben,211 und der Ruf nach dem Sultan reichte, um vor diesen gebracht zu werden212 – wenn dort ein Gespräch stattgefunden haben sollte, muss man zu den alten Erzählungen einen Dolmetscher, einen tarjumān oder Dragoman, ergänzen.213 Plausibel ist die Erzählung Jordans nicht nur, weil der Ausruf des Sultantitels für eine basale Verständigung gesorgt haben kann und zu­ gleich für ein Missverständnis: Die Soldaten des Sultans haben Franz vielleicht für einen Spion,214 im besten Fall für einen Emissär der Chris­ ten gehalten – so wie es später auch dem Sultan selbst erschienen sein mag. Angesichts der Niederlage, die die Muslime kurz zuvor den Chris­ ten beigebracht hatten, mochten sie damit rechnen, dass hier ein Bote kam, der die Aufgabe der Christen ankündigen sollte.215 Die folgende Szene wird dann reichlich ausgeschmückt: Franz soll nach dem Bericht Vitrys nicht nur vor den Arabern insgesamt, sondern speziell vor dem Sultan eine Predigt gehalten haben.216 Ernoul berich­ tet sogar, dass der Sultan zunächst seine Gelehrten um sich versam­ melt und sich mit ihnen beraten habe, freilich mit dem Ergebnis, dass diese ganz und gar nicht bereit waren, Franz anzuhören.217 An dieser Stelle ist offenbar bei Ernoul, aber auch schon bei Vitry, ebenso wie bei der zuvor erwähnten Gebetsbitte des Sultans, Phantasie am Werke. Es ist zwar gut möglich, dass Franz tatsächlich in dem auch sonst bei ihm zu beobachtenden Überschwang versuchte, das Evangelium zu ver­ künden. Dass diese Predigt, wie die Berichte immer wieder vermerken, vergebens war, wundert indes nicht – zu viele Voraussetzungen hätte 194

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime

Franz überspringen müssen, um seine Botschaft erfolgreich zu ver­ künden. Das Szenario war auch kaum für eine solche Verkündigung angetan. Es mag sein, dass Franz, wie es Vitry schildert, nach seiner Gefan­ gennahme vor den Sultan geschleift wurde.218 Zweck war dann kaum, dass dieser das Evangelium hörte, sondern dass er über Franz und des­ sen weiteres Schicksal entschied. Ernouls Bemerkung, die Gelehrten hätten den Sultan aufgefordert, Franz hinzurichten, weist in dieselbe Richtung.219 Wenn Franz also überhaupt vor dem Sultan erschie­ nen sein sollte, dann am ehesten als Angeklagter, dem, so berichtet es gleichfalls Celano, Folter und Tod angedroht wurden220 – und dies wohl weniger seines Glaubens wegen als wegen seines Eindringens in das arabische Lager. Die Frage war, ob Franz Emissär oder Überläufer sei. Das waren die beiden Varianten, in denen man sich einen solchen Wechsel vom einen in das andere Lager vorstellen konnte. Indem Franz beides nicht war, aber offenbar ebenso wenig ein gewalttätiger Angrei­ fer, wurde es schwierig, ihn zu fassen. Dass der Sultan Franz etwas ratlos gegenüberstand, wird man also glauben dürfen. Dass dieser mit ihm auch noch debattiert hätte, ist wenig plausibel und gehört wohl in den Bereich der Stilisierung, durch die die Bedeutung von Franz erhöht werden sollte. Diesen Faden nahm Bonaventura später auf, bei dem Franz den Sultan gar in ein Gespräch verwickelte. Franz soll dabei dem Sultan eine Feuerprobe angeboten haben: Er war hiernach bereit, gemeinsam mit den Religionsvertretern des Islams in ein brennendes Feuer zu gehen – der Sultan solle dann sehen, dass er hiervon nicht verletzt würde, und solle versprechen, sich zum Christentum zu bekehren, wenn dies so sein werde.221 So wir­ kungsvoll diese Erzählung gewesen ist, gehört sie doch in den Bereich weiterer Legenden – der bibelkundigen Leserin oder dem Leser drängt sich sofort die Assoziation an den Propheten Elia auf, der auf dem Kar­ mel mit den Propheten Baals darum stritt, wem es gelingen würde, seinen Gott dazu zu bewegen, sein Opfer mit Feuer zu entzünden, und der gewann (1 Kön 18,20–40). Auch an die drei Männer im Feuerofen mag man denken, deren Lied ja für Franz später eine größere Bedeu­ tung haben sollte (s. o. 184).222 Die eigentliche Pointe lag dann für Bo­ naventura darin, dass der Sultan die Feuerprobe aus Angst verweigerte, sein Volk könne sich erheben, wenn es tatsächlich hierzu und zum 195

3. Kapitel: Sendung

Übertritt zum Christentum käme.223 Franz, so erscheint es hier, wäre kurz vor dem Durchbruch einer universalen Bekehrung der Muslime zum Christentum gewesen. Die Wirklichkeit war wohl um einiges banaler: Dass Franz den Mus­ limen eine Zeit lang das Evangelium gepredigt habe, wird man wohl so zu verstehen haben, dass er mehrere Tage gefangen war, ehe er dem Sultan vorgeführt wurde  – und dass er dann recht rasch entlas­ sen wurde, dürfte weniger an seiner Predigt gelegen haben als an dem Umstand, dass er außerordentlich harmlos gewirkt haben dürfte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass jemand Franz für wahnsinnig gehalten hat. Sein ganzes Verhalten, das Eindringen in das arabische Lager, seine durchaus anzunehmenden Versuche der Predigt in itali­ enischer oder lateinischer Sprache, all dies dürfte den Eindruck eines gänzlich verwirrten Geistes gemacht haben. Und selbst wenn man so weit nicht gehen will, so dürfte der zerlumpte Bettler dem Sultan nicht eben als Bedrohung erschienen sein, ja nicht einmal als eine sinnvolle Geisel. Dass es tatsächlich für die Franziskaner und ihr bescheidendes Auftreten ein gewisses Wohlwollen gab, bezeugt übrigens auch Jakob von Vitry: Die Araber hätten den Minderbrüdern stets gern zugehört, so schreibt er in seiner Historia occidentalis, solange sie nur das Evan­ gelium gepredigt und die Rede nicht gegen Mohammed gerichtet hät­ ten224 – erst wenn sie dies taten, waren sie, so Vitry, an Leib und Leben bedroht. Ebendies mag man auch für Franz zurückschließen, der zu­ dem in eine Situation hineinkam, in welcher der Sultan durch einen zu­ rückgesandten fränkischen Gefangenen den Kreuzfahrern einen Waf­ fenstillstand angeboten hatte,225 den er wohl nicht gefährden wollte.226 Sein Auftritt vor dem Sultan dürfte in dessen Augen eher kläglich und bemitleidenswert als beeindruckend und ängstigend gewesen sein – er empfand ihn nicht einmal als anstößig genug, um Franz zum Märtyrer zu machen.227 Was von der Geschichte bleibt, ist, bemerkenswert genug, ein spon­ taner Akt, in welchem Franz in das feindliche Lager überlief, vermut­ lich auch ein Versuch, dort in unverständlicher Sprache zu predigen, vielleicht eine Verhandlung über sein Schicksal vor dem Sultan, der zu entscheiden hatte, ob er überleben sollte oder nicht – und schließ­ lich die Freilassung angesichts offenkundiger Harmlosigkeit. Man könnte diese Episode auch als Groteske schildern, den Auftritt eines 196

3. Sehnsucht nach dem Märtyrertod und Bekehrung der Muslime

Menschen, den keine Regel oder Rücksicht band  – und würde damit Franz doch wenig gerecht: Unzweifelhaft zeigt seine Handlung einen an Selbstverachtung grenzenden Mut, für den Gott, von dem er sich berufen fühlte, bis in die äußerste Gefahr zu gehen. Vermutlich ist ge­ rade dies Ausdruck jener Martyriumssehnsucht, und der Versuch der Predigt zielte gar nicht in einem strategischen Sinne auf Bekehrung, sondern, das macht Vitry durch Franz’ Selbstidentifikation als Christ schön deutlich, auf das Bekenntnis zu dem Herrn Jesus Christus, dem er überall zu folgen bereit war. In seinen eigenen Augen, nach seinem subjektiven Empfinden hat er dies vor den Arabern, vielleicht sogar vor deren Sultan getan, und er vertraute darauf, dass dies auch in den Augen Gottes galt. Die ausschmückenden Erzählungen, die schon un­ mittelbar danach einsetzten, wollten genau diesem Bewusstsein Aus­ druck geben – für die heutige historische Rekonstruktion der Gescheh­ nisse geben sie wenig her. So bleibt an dieser berühmten Begegnung vieles rätselhaft228  – sie scheint ein weiterer Ausdruck jener ergreifenden und zugleich nach­ haltig irritierenden Spontaneität von Franz von Assisi zu sein. Sie mag ihn aber auch darüber belehrt haben, dass solche Spontaneität nicht unbedingt nachahmenswert war, denn seinen Brüdern gegenüber äußerte er sich bald vorsichtiger. In die vorläufige Regelsammlung der Brüder, die sogenannte nichtbullierte Regel, nahm er wohl we­ nig später recht konkrete Anweisungen für diejenigen auf, die zu den Muslimen gingen.229 Ihnen sollten die Gefahren bewusst sein – Franz erinnerte an das Wort Jesu aus der Aussendungsrede: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“ (Mt 10,16).230 Der Gang zu den Muslimen war die direkteste Erfüllung dieses Textes, der Franz seit der Klärung seines Weges zur Richtschnur geworden war. Gerade weil er mit Gefahren verbunden war. Zum Umgang mit diesen beschrieb Franz zwei Wege als möglich: Die Verkündigung des Wortes Gottes war nur die eine Möglichkeit. Sie sollte mit dem klaren Ziel der Mission er­ folgen und dazu führen, Ungläubige zu taufen231 – das Risiko des Mar­ tyriums war dabei mit einkalkuliert. Wer so unter die Sarazenen gehe, solle wissen, dass der Menschensohn sich zu dem bekennen werde, der sich zu ihm bekannt habe,232 hieß es in Aufnahme von Mt 10,32. Eben­ dies entsprach Franz’ eigenem Vorgehen der Verbindung aus Marty­ riumsbereitschaft und Evangeliumsverkündigung und unterstreicht, 197

3. Kapitel: Sendung

dass man fehlginge, in Franziskus einen Vorkämpfer für einen fried­ vollen Ausgleich zwischen den Religionen zu sehen. Freilich war dies nicht die einzige Möglichkeit. Die andere war – letztlich mit derselben Missionsabsicht – äußerlich friedvoller, das hieß allerdings wohl in ers­ ter Linie: gefahrloser. Es sollte auch die Stillen geben, die zwar das Be­ kenntnis zu Christus nicht verleugneten, sich aber vor allem durch ihre demütige Lebensweise auszeichneten233 – dieses Verhalten, eine Mis­ sion durch „reine Präsenz“, wie es Anton Rotzetter ausgedrückt hat,234 dürfte zu der oben zitierten Feststellung Jakobs von Vitry geführt ha­ ben, dass die Minderbrüder im Orient wohlgelitten waren.235 So war es letztlich auch im Orient die eigentümliche Verbindung aus Botschaft und Leben, welche die Franziskaner erfolgreich machte. Wie Franz dann zurück nach Assisi gelangt ist, wissen wir nicht genau. Es liegt nahe, dass er den Kreuzfahrerhafen in Akko nutzte – ob er gegen die ausdrücklichen Verbote des Papstes eventuell Jeru­ salem und andere heilige Stätten besuchte, die nicht weit von dort lagen, wie es recht späte Quellen berichten, lässt sich allenfalls ver­ muten.236 Dass Franz einmal die Heiligkeit des Grabes Jesu in Jeru­ salem erwähnt,237 genügt als Anhaltspunkt hierfür nicht. Wie so oft in Franz’ Leben verlieren sich die Spuren – obwohl doch gerade die Begegnung mit dem Sultan seine Biographie in das grelle Licht der Weltgeschichte rückte.

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4. Kapitel: Ordnung

1. Eine merkwürdige Allianz: machtvoller Papst und armseliger Bettler Innozenz III. und die Macht

So viel Buße, so viel Absage an die Welt. Aber keine Absage an die Kir­ che. Das gehört auch zum Leben des Franz. Sieht man die Ereignisse im Orient so wie eben beschrieben, stehen sie nicht im Gegensatz zur päpstlichen Machtpolitik, sondern sie sind deren Teil: Franz ging seinen eigenen Weg und doch war es ein Weg mit dem Papst und für den Papst. Beide waren sich einig in der Notwendigkeit, die Muslime dem Christen­ tum zuzuführen, und das hieß auch: Die Länder, in denen sich die hei­ ligsten Stätten der Christenheit befanden – allen voran Jerusalem und Bethlehem, die Orte des Sterbens und der Geburt Jesu –, sollten wieder in christlicher Hand sein, und zwar ganz und gar. Es war Kardinal Pela­ gius gewesen, der sich – gegen den Rat des christlichen Königs von Je­ rusalem, Johannes von Brienne – geweigert hatte, das Angebot al-Malik al-Kamils zur Übergabe Jerusalems anzunehmen.1 Wie später im Falle Friedrichs II. reichten solche Angebote, die auf den religiösen Wert der Stadt abzielten, offenbar nicht aus – der vollständige militärische Sieg sollte her. An solchen militärischen Überlegungen hatte Franz keinen Anteil, sie dürften ihm fremd gewesen sein. Aber er stand nicht gegen sie, sondern mit all seiner Spontaneität war er Teil des Vorgehens gegen die Muslime. Dies fasst aus Sicht der Islamwissenschaft sehr nüchtern Ahmed Mohamed Abdelkawy Sheir zusammen: „Seine Angebote an alKamil kann man so als eine andere Form sehen, das Ziel der Kreuzzüge umzusetzen, Jerusalem für das Christentum zurückzugewinnen“.2 199

4. Kapitel: Ordnung

Nimmt man dies ernst, so muss sich an dieser Stelle der Blick zum Verständnis von Franz weiten. Bislang stand im Mittelpunkt der sehr individuelle Weg von Franz, den er mit Freunden teilte, der aber im We­ sentlichen Reflex seiner persönlichen Erfahrungen war. Nun wird es um die länger anhaltenden Entwicklungen in der Kirche, um die Macht­ politik der Päpste und ihre lehrhaften Bestimmungen gehen müssen, darum, wie seine Gemeinschaft Teil der kirchlichen Ordnung wurde und dadurch selbst immer mehr geordnet wurde. Die Begegnung mit dem Sultan, so unbedeutend sie aus dessen Sicht gewesen sein dürfte, macht deutlich, dass Franz sich anschickte, die Weltbühne zu betreten. Berührt hatte er sie schon einmal, als er 1209 vor dem Papst stand, doch jene Begegnung zeigte ihn, so sehr die Biographen sie mit Bedeutung aufgeladen haben, eher in einer undankbaren Nebenrolle. Mehr und mehr aber wurde aus der Beobachtung durch Innozenz eine Förderung. Das war nützlich für den Orden, stellt im Rückblick allerdings auch ei­ nes der grundlegenden Probleme für das Franziskusverständnis dar. Gerne sähe man Franz auf der anderen Seite der Macht: Er, der sich den Schwächsten der Gesellschaft, den Ausgegrenzten zugewandt hat, scheint mit einer Institution wie dem mittelalterlichen Papsttum, das längst über seine spirituellen Aufgaben hinaus politische Bedeutung und mehr Einfluss als genug erlangt hatte, wenig gemein zu haben. Doch besteht an seiner engen Verbindung mit den Päpsten seiner Zeit kein Zweifel. Dies bezeugen nicht allein die Quellen aus der franziska­ nischen Tradition. In dem schon oben erwähnten Brief Jakobs von Vitry aus Genua hält dieser eine bemerkenswerte Erinnerung fest: Er schil­ dert sein enges Einvernehmen mit Honorius  III. (1216–1227), dessen Wahl im Jahre 1216 er selbst miterlebt hat, spricht indes auch von seiner Erschütterung über die Zustände an der Kurie, wo nur weltliche Interes­ sen herrschend seien – eben hierin nun seien ihm die minderen Brüder ein Trost gewesen. Er beschreibt ihr armes und bescheidenes Leben – für den vorliegenden Zusammenhang aber ist der entscheidende Satz: „Vom Herrn Papst und den Kardinälen werden sie mit großer Ehrfurcht bedacht“.3 Schon dieser Zeitzeuge also, selbst ein Vertreter kirchlicher Hierarchie, bemerkt die Spannung, welche man zwischen dem päpstli­ chen Hof und der Bruderschaft empfinden kann, und benennt zugleich, dass hieraus eine Art von Komplementarität entstand: Die Kirche konnte ohne Franz nicht sein und er nicht ohne sie. 200

1. Eine merkwürdige Allianz: machtvoller Papst und armseliger Bettler

Eine solche Spannung ist schon im Blick auf Honorius zu spüren, un­ ter dessen Pontifikat sich die Geschehnisse von Damiette ereigneten. Das Empfinden verschärft sich beim Blick auf dessen Vorgänger Inno­ zenz III., dem Franz nach den Biographien ja schon früh persönlich be­ gegnet ist – und der als einer der mächtigsten und auch machtgierigs­ ten Päpste der Geschichte gilt. Lothar von Segni war erst 37 Jahre alt, als er 1198 zum Papst gewählt wurde und als dritter unter den Päpsten den Namen Innozenz annahm. 4 Man darf ihn sich nicht als Theologen vorstellen, sondern als hochgebildeten Juristen, der an der wichtigsten Ausbildungsstätte hierfür, in Bologna, römisches, vor allem aber ka­ nonisches Recht, also Kirchenrecht, studiert hatte. Das war für einen Papst weder unüblich noch ungeschickt: Viele seiner Aufgaben waren eher mit Mitteln des Rechts als der Theologie zu bewältigen, auch wenn Innozenz  auf dem Vierten Laterankonzil  – so benannt nach seinem Versammlungsort: Lateranpalast und -basilika – tief in die Theologie­ geschichte eingreifen sollte. Ein Studium prägt aber zugleich die Pers­ pektive auf die Welt, und so hatte der ehrgeizige junge Mann, der sich da mit einem Mal in der Nachfolge Petri vorfand, ein Interesse an rechtli­ chen und politischen Fragen. Hierzu gehörte auch, dass ihm der Bezug auf Petrus allein nicht reichte. Der Anspruch des römischen Bischofs, dessen besonderer Nachfolger zu sein, gehörte keineswegs selbstver­ ständlich zu seinem Amt: In langen Kämpfen hatte er sich herausge­ stellt, gegen den Gedanken, wie ihn etwa Cyprian von Karthago († 258) vertreten hatte, dass die Leitung der Kirche von Jesus den Aposteln als Gruppe übergeben worden war, und auch gegen die im Zuge der alten Kirche etablierte kollegiale Leitung der Kirche durch fünf Patriarchen. Seit dem Konzil von Nizäa wurden Rom, Alexandrien in Ägypten und Antiochien in Syrien als die Bischofsstühle mit besonderem Vorrang bestimmt, bis 451 kamen noch Konstantinopel und Jerusalem hinzu. Schon ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Rom als einziger Ort im Westen gegenüber den vier nahe beieinanderliegenden Patriarchaten im Osten eine strategisch günstigere Position besaß. Sie wurde immer mehr durch den Gedanken eines Vorranges der Ewigen Stadt aufgela­ den. Insbesondere als das weströmische Kaisertum im 5. Jahrhundert erlosch und mit dem Aufkommen des Islams seit dem 7. Jahrhundert Alexandrien, Antiochien und Jerusalem unter muslimische Herr­ schaft kamen, wuchsen Ansehen und Anspruch Roms immer weiter. 201

4. Kapitel: Ordnung

Auch im Gegenüber zu Konstantinopel suchte Rom den eigenen Vor­ rang zu begründen  – in einem symbolischen Datum kulminierte dies im Jahre 1054, als Abgesandte der römischen Reformpäpste in der Ha­ gia Sophia in Konstantinopel eine Bannbulle gegen den Patriarchen von Konstantinopel auf den Altar legten. Im kollektiven Gedächtnis haftet dies als der Moment, der das Schisma, die Trennung zwischen Westund Ostkirche, perfekt machte. Das ist gewiss übertrieben – und geht an der Wahrnehmung der Christinnen und Christen, insbesondere in den Regionen, in denen Zugehörigkeit zu Rom und zu Konstantinopel einander überlappten, vorbei. Als Ausdruck der weit fortgeschrittenen Vorstellungen von einem Primat in Rom aber bleibt es ein symbolisch hochwichtiges Ereignis. Es verband sich damit, dass dieselben Reformpäpste, nach ihrer führen­ den Gestalt Gregor  VII. (1073–1085) auch als Vertreter des „gregoria­ nischen Papsttums“ bezeichnet, in ihre Titulatur die Bezeichnung als vicarius Christi aufnahmen, Stellvertreter Christi – nicht nur Stellvertre­ ter Petri also. Schon damals verband sich damit ein Anspruch auf einen Vorrang in der ganzen Welt, geistlich wie weltlich. Nicht umsonst haftet an jenen Reformpäpsten auch die Erinnerung an den Investiturstreit mit den deutschen Kaisern, in welchem es vordergründig um die Form der Einsetzung von Bischöfen ging, damit zugleich jedoch um ein Aus­ tarieren des Machtgeflechts, bis hin zu der von Gregor VII. aufgestellten Behauptung, der Papst dürfe Kaiser absetzen.5 All dies stand im Hin­ tergrund, als nun Innozenz III. auf die Bezeichnung als vicarius Christi zurückgriff, und das nicht nur gelegentlich, sondern als integrativen Teil der ständigen Papsttitulatur. Als Jurist hatte er ein scharfes Ge­ spür dafür, welche Folgen das haben konnte und haben musste – auch für die angesprochenen Aspekte der antiken Kirchenverfassung: Als das Vierte Laterankonzil im Jahre 1215 die Reihenfolge der fünf Patriar­ chate benannte – nach Rom Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem –, wurde die altkirchliche Regelung nur formal erneuert. Tatsächlich wurde sie durch einen umfassenden Vorrangsanspruch Roms gebrochen. Über allen Patriarchaten nämlich stand die römische Kirche als die, „die aufgrund der Ordnung des Herrn über alle anderen den Prinzipat an ordentlicher Macht besitzt, als Mutter und Lehre­ rin aller an Christus Glaubenden“.6 Das war ein im eigentlichen Sinne päpstlicher Anspruch auch über die Kirchen im Osten. Rom als Mut­ 202

1. Eine merkwürdige Allianz: machtvoller Papst und armseliger Bettler

Lothar von Segni, Papst Innozenz III., mit der Schenkungsurkunde des Klosters San Benedetto in Subiaco. Fresko des 13. Jhs. im Kloster San Benedetto.

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4. Kapitel: Ordnung

ter und Lehrerin der Glaubenden, das hieß: Hier wurde über Glauben und Lehre entschieden, die anderen hatten zu folgen. Das Weltbild des hochgebildeten Papstes war an dieser Stelle denkbar schlicht und hier­ archisch klar – eine zentrale Leitung sollte der Kirche Einmütigkeit und Eindeutigkeit bringen. Das war nicht nur eine theologische und kirchenjuristische Ange­ legenheit: Zwar war der oben beschriebene Verlauf des Vierten Kreuz­ zuges gewiss nicht in Innozenz’ Sinne. Ihm lag tatsächlich an der Pil­ gerschaft, am Weg zu den heiligen Stätten in Palästina. Die Wendung gegen Konstantinopel im  Jahre  1204 folgte mehr den Interessen der Kaufleute, insbesondere der Venezianer, die hofften, durch die Erobe­ rung der Stadt am Bosporus ihre wirtschaftliche Vormacht im Mittel­ meerraum festigen zu können.7 Als aber Konstantinopel erobert und geplündert war, nutzte der Papst die Situation zu seinen Gunsten: Dem lateinischen Kaiserreich, das nun anstelle der alten, ununterbrochen an die Antike anknüpfenden byzantinischen Herrschaft die Macht in Konstantinopel übernahm und bis 1261 bestehen sollte, wurde ein latei­ nischer Patriarch an die Seite gestellt.8 Mehr als ein Jahrzehnt vor dem genannten Beschluss des Vierten Laterankonzils war so die Unterord­ nung des wichtigsten östlichen Patriarchates unter Rom schon Wirk­ lichkeit geworden. Das war nur Teil eines Tanzes auf dem politischen Parkett, den Inno­ zenz mit diplomatischem Geschick und sicherem Machtinstinkt höchst erfolgreich zelebrierte. Die Umstände spielten ihm dabei in die Hände9: Kurz vor seiner Wahl war Kaiser Heinrich  VI. gestorben. Vergleichs­ weise klar war dessen Nachfolge, soweit es seine Königsherrschaft über Sizilien betraf, an die er rechtlich durch die Heirat mit Konstanze, der Tochter des normannischen Herrschers Roger  II. (1130–1154), gelangt war. Machtpolitisch hatte er sie erst drei  Jahre vor seinem Tod durch militärischen Einsatz gegen Konkurrenten antreten können. Nach sei­ nem Tod führte zunächst Konstanze die Regentschaft für ihren eben zweijährigen Sohn Friedrich, den späteren Kaiser Friedrich II. (1212/15– 1250), fort. Als dieser schon 1198 zum König von Sizilien gekrönt wurde und seine Mutter noch im selben Jahr starb, wurde durch Konstanzes Testament Innozenz zum Vormund eingesetzt. Der Papst war so, wenn auch nur kommissarisch, Herrscher über Sizilien, ein Land, das er for­ mal ohnehin seit 1059 als Lehen vergab. Da dieses Reich sich nicht auf 204

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die Mittelmeerinsel beschränkte, die heute mit diesem Namen verbun­ den wird, bedeutete dies zusammen mit dem Patrimonium Petri, dem Kirchenstaat, der ihm ohnehin unterstand, eine umfassende Herrschaft über Süditalien. Der Blick aber reichte weiter: Zwar war es Heinrich VI. nicht gelun­ gen, das deutsch-römische Reich, dessen Königskrone seit dem frühen Mittelalter durch Wahl vergeben wurde, in eine Erbmonarchie umzu­ wandeln. Dass sein Sohn als Nachfolger in Betracht gezogen werden würde, lag dennoch auf der Hand – auch wenn ein entsprechender Plan angesichts von dessen Minderjährigkeit vorerst nicht verfolgt werden konnte. So war es zunächst Heinrichs Bruder Philipp von Schwaben (1198–1208), der für das staufische Geschlecht die Krone anstrebte  – und es wiederholte sich ein Konflikt, der schon im 12.  Jahrhundert tiefe Gräben in Deutschland aufgerissen hatte: Auch der Welfe Otto IV. (1198/1208–1218), der Sohn Heinrichs des Löwen, wollte die Krone er­ langen. Tatsächlich wurde er gewählt und gekrönt – Philipp holte aller­ dings beide Akte für sich nach, sodass man es nunmehr mit zwei Köni­ gen zu tun hatte, die beide durchaus Gründe hatten, sich als legitime Herrscher zu empfinden. Genau hier war nun der Punkt, an welchem der Papst zum Zuge kam: Die mittelalterliche Reichsverfassung ging zwar davon aus, dass der gewählte und gekrönte deutsche König jeweils vom Papst auch zum Kaiser gekrönt werden würde, unterschied aber beide Vorgänge deutlich. Das nun eingetretene Gegeneinander gab In­ nozenz die eigentlich nicht vorgesehene Möglichkeit, sich die Entschei­ dung darüber vorzubehalten, wen er zu krönen gedenke. Der geschulte Jurist wusste aus der momentan günstigen Lage rechtswirksame Akte zu machen: In der Bulle „Venerabilem“ gestand er im März  1202 den deutschen Fürsten das Recht auf die Wahl des Königs zu, behielt sich je­ doch das Recht auf Prüfung des Gewählten vor der Kaiserkrönung vor.10 Eine solche Position ermöglichte dem Papst vor allem eines: diejeni­ gen gegeneinander auszuspielen, die Ansprüche auf den Königs- und damit auch den Kaiserthron erhoben. So schaukelte Innozenz parallel zu den Auseinandersetzungen, die nun zwischen Otto IV. und – bis zu dessen Ermordung 120811 – Philipp von Schwaben ausgetragen wurden, den Preis für die Kaiserkrone immer höher. Wenn die Rede von einem lachenden Dritten gilt, so wohl bei diesem Papst. Das galt zunächst auch, als er nach Philipps Tod Otto IV. zum Kaiser krönte12 – von dessen 205

4. Kapitel: Ordnung

Durchreise durch Rivotorto zu dieser Gelegenheit war oben schon die Rede. Bald aber fand sich Innozenz, als Otto IV. eine Machtpolitik gegen die kirchliche Herrschaft in Italien betrieb, die der Papst als groben Un­ dank wertete, auf der Seite Friedrichs II. wieder.13 Dieser setzte sich in mehreren Etappen – mit zweimaliger Königskrönung, 1212 und 121514 – gegen den Welfenherrscher durch. Die Freude der Päpste an ihm währte kurz, doch das steht auf einem anderen Blatt. Zunächst wird man seinen Erfolg auch als Erfolg des Papstes sehen dürfen. Es blieb nicht dessen einziger. 1204 krönte Innozenz in Rom Peter II. von Aragón und machte so seine Ansprüche auf die Iberische Halbinsel geltend. Den größten Erfolg verbuchte er in England, das noch bis vor Kurzem über weitrei­ chende Besitzungen auf dem Festland verfügt hatte. John Lackland, Johann Ohneland (1199–1216), wurde durch militärische Misserfolge auf seine englischen Besitzungen zurückgeworfen und regierte auch hier ohne Fortune: Als er dem neu gewählten, auf Selbstständigkeit der Kirche gegenüber dem Königshaus dringenden Erzbischof von Canter­ bury, Stephan Langton (1207–1228), die königliche Bestätigung zur Bi­ schofsernennung verweigerte, setzte Innozenz III. ganz England unter das Interdikt. Dabei handelte es sich um eine schwere Kollektivstrafe, die die Durchführung von Gottesdiensten und sakramentalen Hand­ lungen im betroffenen Territorium untersagte. An den Schwierigkeiten, die daraus im Land entstanden, kann man die Bedeutung der Heilsfrage in der mittelalterlichen Gesellschaft ermessen: John konnte auf Dauer gegen diese Maßnahme nicht anregieren und musste sich 1213 dem Papst unterwerfen. Er übergab, nun war er wirklich ein Johann Ohne­ land, sein Land dem Nachfolger Petri und empfing es von diesem wie­ der als Lehen.15 Dass der Papst ihn künftig beschützte, half ihm in den fortdauernden Konflikten allerdings nicht weiter: Die Barone setzten 1215 den Erlass der „Magna Charta libertatum“ durch, welche eine Be­ grenzung königlicher Willkür zugestand. Den Papst musste dies nicht kümmern, hatte er doch in umfassender Weise seine Oberhoheit über wichtige Länder in Europa durchgesetzt. So also sah der oberste Hirte der Kirche aus, dem die franziskanischen Hagiographen einen Traum nachsagten, in dem der kleine Franz die Kirche stützte: ausgerechnet diese Kirche voller Macht und Reichtum. Und das Verhältnis zwischen beiden soll so eng gewesen sein, dass der Chronist Thomas von Eccleston – freilich als Einziger – sogar berichtet, 206

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bei seinem Tod am 16. Juli 1216 in Perugia sei Franz bei ihm gewesen.16 Der Widerspruch springt, wie der Bericht Jakobs von Vitry zeigt, nicht nur modernen Beobachtern ins Auge. Auch Zeitgenossen erlebten ein wundersames Beieinander, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Ge­ danke der Apostelnachfolge bei Franz ja keineswegs neu war. Er hatte zahlreiche Vorläufer gehabt – und diese werden größtenteils unter der Rubrik „Ketzer“ geführt, also als solche, die von der Kirche ihrer Zeit ausgegrenzt wurden.17 Sie waren in einen Konflikt mit ihrer Kirche ge­ raten, der, allein schon das macht die Bezeichnung als „Ketzer“ proble­ matisch, keineswegs immer auf einer falschen Lehre beruhte.

Vita apostolica und Ketzerei

Der Impuls zu diesen „ketzerischen“ Bewegungen kam ähnlich wie im Falle von Franz aus einer Diskrepanzerfahrung, aber um Franz recht zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass es sich um eine andere Art von Diskrepanzerfahrung handelte. War ihm der Zwiespalt zwischen seiner Lebensweise als Kaufmann und der apostolischen Botschaft des Neuen Testaments bewusst geworden, so reagierte die Laienbewegung seit dem 12. Jahrhundert auf die Diskrepanz zwischen dem Auftrag der Bischöfe, Nachfolger der Apostel zu sein, und ihrer Lebensführung, die so fern von dem war, was man über die frühen Anhänger Jesu wusste. Der Protest von Franz bezog sich auf die Gesellschaft der Laien, der je­ ner Vorläufer auf die Kirche selbst und ihre Hierarchie. Offensichtlich war auch hier jener Text leitend, der ab 1208/09 für Franz bestimmend werden sollte: die Aussendungsrede Jesu an die Jün­ ger. Nur ein Hemd, keine Schuhe, kein Wanderstab, kein Geld: Das hatte wenig bis nichts mit den Bischöfen zu tun, deren Paläste die Städte be­ herrschten und die vielfach aus dem Adel stammten, dessen Sitten sie um des kirchlichen Amtes willen nicht aufzugeben bereit waren. Diese Differenz scheint so offenkundig, dass man sich wundern mag, warum Franz von der Aussendungsrede zwar zu einem neuen Leben, nicht aber zur Kritik an den Bischöfen seiner Zeit inspiriert wurde. Dabei ist es so erstaunlich auch wieder nicht: Der Text stand ja in der Bibel, er war sogar Teil liturgischer Lesungen – und es gab genügend Menschen, die ihn lasen, ohne ihn als subversive Kritik an den Bischöfen wahrnehmen zu müssen. Auch Lesegewohnheiten sind kulturell bedingt. So wie wir Heutigen uns vieles, was die mittelalterlichen Texte enthalten  – bib­ 207

4. Kapitel: Ordnung

lische Anspielungen, liturgische Voraussetzungen und Ähnliches  –, mühsam  aneignen müssen, war nicht alles, was uns jetzt evident er­ scheint, für mittelalterliche Menschen ebenso selbstverständlich. Und wer sagt überhaupt, dass die Vorschriften für die Apostel eins zu eins auch für ihre Nachfolger gelten müssen? Päpste und Bischöfe sagten das nicht, Franz offenbar auch nicht. Und doch forderten es Kritiker der Kirche ihrer Zeit, die man heute wegen dieser Orientierung am apostolischen Ideal als vita-apostolica-Bewegung zusammenfasst, als Bewegung des apostolischen Le­ bens. Man könnte ihre Anfänge früh ansetzen: Eben in der Zeit, in der das Reformpapsttum seine steilen Ansprüche entwickelte, also im 11. Jahrhundert, gab es in Mailand eine Bewegung aus Laien und auch niederen Klerikern, die die reichen adeligen Bischöfe einer scharfen Kritik unterzogen. Solche Kritik machte selbst vor dem Papst nicht halt: Johannes von Salisbury, dem späteren Bischof von Chartres, verdanken wir die Nachricht, dass Mitte des 12. Jahrhunderts Arnold, ein Kleriker aus Brescia († ca. 1155), den Papst als einen Mann kritisiert habe, der „nicht sei, was er angibt, ein apostolischer Mann und Seelenhirt, sondern ein Blutmann, der seine Autorität für Brände und Morde gibt, ein Kirchenquäler und Unterdrücker der Unschuld, der nichts anderes in der Welt tut, als das Fleisch zu weiden und seinen Geldbeutel zu füllen, fremde aber auszusaugen“.18 Noch im Bericht aus zweiter Hand dringt die scharfe Rhetorik durch, deren Arnold sich offenbar bediente – ein massiver ethischer Rigoris­ mus war hier leitend, nicht etwa, wie ihm bald von anderer Seite vorge­ worfen wurde, eine Abweichung in der Lehre. Arnold stand am Rande der Kirche seiner Zeit, aber er stieß auf reichlich Resonanz. Und sein Anliegen war verbreitet. Die wichtigste Bewegung, die durch den Gedanken der vita apostolica geformt wurde, war die um den Lyoner Kaufmann, der – vielleicht – Pe­ trus Waldes hieß.19 Der Vorname ist nicht gesichert, könnte auch eine nachträgliche Fiktion sein, die das Gegenüber zum Petrusnachfolger in Rom auf die Spitze trieb. Allein schon wegen seines sozialen Hinter­ grundes drängen sich Vergleiche mit Franz auf, zumal Waldes den Ge­ danken der vita apostolica wohl anfänglich ebenso wenig gegen die Bi­ 208

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schöfe seiner Zeit gewandt hat: Er empfand die Mahnung zur Armut als Appell an sich selbst und an sein Umfeld. Ein Konflikt mit den Bischöfen entstand erst, weil er aus der Aussendungsrede in Mt 10 auch den Auf­ trag zur Predigt hörte. Die Entsprechungen zu dem nicht einmal zwei Generationen jüngeren Franz gehen sogar noch weiter, denn Waldes wurde ebenfalls anfänglich von seinem lokalen Bischof, Guichard von Pontigny (1165–1181), geduldet.20 Diese Einbindung in die Kirche sei­ ner Zeit aber endete beim Papst – womit dann auch die Unterschiede zu Franz beginnen: Alexander III. (1159–1181) war auf dem Dritten La­ terankonzil 1179 bereit, der Gruppe um Waldes die Lebensweise in Ar­ mut zu gestatten, verbot jedoch Predigt ohne kirchliche Autorisierung. Hieraus resultierten Konflikte, denen hier im Einzelnen nicht nachge­ gangen werden muss – 1184 wurden Waldes und seine Anhänger durch Papst Lucius III. (1181–1185) exkommuniziert. Zu der Zeit, in der Franz auftrat, hatten seine Anhänger entweder den Weg zurück in die Kirche genommen oder sich radikalisiert. So wurden sie in den Augen der mit­ telalterlichen Kirche eine häretische Bewegung, die nach der Reforma­ tion dann Gemeinschaft mit den reformatorischen Kirchen fand. Schon die Waldenser hatten unter Unterdrückung und Verfolgung zu leiden – extreme Ausmaße nahm diese aber im Umgang mit den Ka­ tharern an,21 jener Bewegung, von der sich der deutsche Begriff „Ketzer“ ableitet. Ironisch genug: Eigentlich bedeutet der Namen katharoi so viel wie „Reine“. Auch sie begannen als eine Bewegung im Sinne der vita apostolica, entwickelten freilich rascher und umfassender als die Wal­ denser ein Weltbild, das auch dogmatisch in Widerspruch zur mittel­ alterlichen Kirche geriet. Kennzeichnend wurde für sie zunehmend ein dualistisches Denken, das wohl die Gegenüberstellungen des Christen­ tums zur Welt bei Paulus in einem Maße übersteigerte, dass sich daraus eine Sicht der Dinge entwickelte, in welcher ebendie Welt, die Franzis­ kus so eingehend pries, radikal abgewertet wurde. Gott galt ihnen als das gute Prinzip – als solches war er mit dem Geistig-Geistlichen ver­ bunden. Ihm entgegen stand ein Prinzip der Materialität, das zwar wohl nicht dieselbe Macht besaß wie Gott, ihm aber doch auf bedrängende Weise entgegenstrebte. Ihre in mancher Hinsicht an die längst von der Kirche verurteilte antike gnostische Religion der Manichäer erinnern­ den Mythen erzählten von dem Kampf des Guten gegen das Böse und von dem Engelssturz, der den Menschen in seine fatale Situation ge­ 209

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bracht hatte. Diese Lehre hatte eine beeindruckende Ethik zur Folge,22 die in ihren rigorosen Zügen durchaus an Franz erinnert, der darum gelegentlich auch in Beziehung zu den Katharern gesetzt wird.23 Doch ist sie in ihrer Motivation ganz anders gelagert. Die Katharer folgen dem Gedanken, dass der Mensch durch Seele und Geist dem guten Prinzip zugehört, durch den Körper jedoch dem bösen Prinzip. Daher müsse er danach streben, sich den materiellen Einflüssen zu entziehen und sich Gott selbst zuzuwenden. Das bedeute vor allem massive Askese: Der enge Kreis der Katharer, die perfecti (Vollkommene), hatte nicht nur selbst sexuell enthaltsam zu leben, sondern auf alle Ernährung zu ver­ zichten, die durch leibliche Zeugung entstanden war, also auf jegliches tierische Essen. Da diese Lebensweise nicht allen zuzumuten war, gab es auch einen weiteren Kreis der Anhänger, die credentes (Glaubende). Radikales Leben und abweichende Lehre ließen die Katharer zu einer viel grundsätzlicheren Herausforderung für die Kirche werden als die Waldenser, und die Reaktionen waren entsprechend: In einer Art „VorKreuzzug“ (Michel Roquebert) gingen schon 1177–1181 weltliche und geistliche Amtsträger gemeinsam  gegen die Katharer vor,24 und das 13. Jahrhundert sah eine enge Verquickung zwischen politischen Inter­ essen und der Auseinandersetzung mit den Katharern in Okzitanien im heutigen südlichen Frankreich. Innozenz rief 1208 tatsächlich zu einem Kreuzzug gegen die Albigenser auf25 – so der Name, der den Katharern aufgrund einer Ansammlung rund um Albi beigegeben wurde. Bald verkomplizierte sich das scheinbar klare Gegenüber von rechtgläubi­ ger Kirche und Ketzern durch die Beteiligung der lokalen Adeligen, die die unterschiedlichen Parteien für ihre jeweiligen eigenen Interessen zu nutzen suchten. Ketzer und Aufrührer: Das bildete – abgesehen von der kleinen nord­ italienischen Gruppe der Humiliaten, die 1201 Anerkennung durch den Papst gewonnen hatte26 – den Hintergrund, vor dem man eine Armuts­ bewegung wie die des Franziskus Anfang des 13.  Jahrhunderts wahr­ nehmen konnte und musste. Zeitgenossen haben Franz daher auch schnell als Waffe gegen die Häretiker benutzt und betont, wie eng seine Bindung an die Kirche war. Schon in seiner ersten Vita berichtet Celano, dass die Ketzer sich versteckt hätten, wenn Franz als Prediger aufgetre­ ten sei: Vor allem habe er die rechte Lehre der römischen Kirche einge­ schärft und die Priester verehrt.27 Noch programmatischer klingt dieses 210

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Bemühen, Franz als den rechtgläubigen Gegner der Ketzer zu stilisie­ ren, in der Schilderung Julians von Speyer durch, wenn er zusammen­ fasst: „Dazu nämlich hat der katholische und ganz und gar apostolische Mann selbst in seiner Predigt vor allem gemahnt, dass der Glaube der Römischen Kirche unversehrt bewahrt werde, und dass insgesamt der priesterliche Stand wegen der Würde des Herrensakraments, das durch das Amt der Priester zustande gebracht wird, in Ehrfurcht gehalten werde“.28 Man hört das Interesse, diese Mahnung mitzunehmen in die Gegen­ wart: Nicht obwohl, sondern weil er apostolisch ist, mahnt Franz zum Gehorsam gegenüber der Kirche29 – welch ein Gegensatz zu den Häre­ tikern der Waldenser und Katharer! Stefan von Bourbon, als Domini­ kaner in vorderster Linie des Kampfes gegen die Häretiker, hat diesen Gegensatz dann geradezu anekdotisch gefasst30: Franz sei einmal in der Lombardei einem Häretiker begegnet, den Stefan nicht einmal genau zuordnen kann. Ein Angehöriger der Pataria sei es gewesen oder viel­ leicht auch ein Manichäer, womit dann wohl ein Katharer gemeint ge­ wesen sein dürfte. Der habe Franz auf den Priester der Pfarrei, in der sie sich befanden, angesprochen und versucht, Franz gegen ihn aufzuwie­ geln: Der Pfarrer lebe mit einer Konkubine zusammen und habe daher unreine Hände.31 Franz aber habe sich diesem antiklerikalen Ansinnen verweigert und sei im Gegenteil öffentlich zu dem Priester gegangen, sei vor ihm in die Knie gesunken und habe versichert, dass, selbst wenn die Vorwürfe stimmten, die Hände des Priesters in der Lage seien, das Sak­ rament korrekt und wirksam zu vollziehen. Was Stefan hier anekdotisch schilderte, war eine Art Lehrstunde zur Lehre vom character indelebilis, dem „unverlierbaren Prägemal“ des Klerikers.  Durch die Weihe und nichts anderes waren demnach die von ihm gespendeten Sakramente gültig, gleich wie er sich sonst verhielt – diese Lehre war vor allem vom Kirchenvater Augustin in einer Phase des Umgangs mit schismatischen Kirchen grundgelegt worden, um dem Umstand gerecht zu werden, dass jede andere Auffassung schwere Heilsunsicherheit mit sich ge­ bracht hätte. Wenn Fehlverhalten eines Klerikers die Wirksamkeit der Sakramente aufhöbe, könnte sich ein Glaubender, der ja nicht über alle 211

4. Kapitel: Ordnung

Einzelheiten im Leben des Klerikers Bescheid wissen kann, nie sicher sein, dass er durch die Sakramente tatsächlich wirksam  das Heil er­ hielte. Konnte er aber auf die Wirkung der Weihe vertrauen, war eben­ diese Gewissheit gestiftet. Diese lehrhaften Züge nähren – zumal Stefan, ohne ein Problem er­ kennen zu lassen, die gleiche Geschichte gleich noch einmal erzählt, nur an einen anderen Ort versetzt32 – den Verdacht, dass es sich hier um eine Erfindung handelt. Gleichwohl wäre es nicht nur übertrieben, sondern geradezu verzerrend, aus solchen späteren Funktionalisierungen im an­ tihäretischen Kampf zu folgern, dass diese keinen Anhalt im Leben des Franz gehabt hätten. Wir sind in der glücklichen Lage, gerade zu seinem Verhältnis zum Priesteramt recht deutliche Aussagen in seinen eigenen Schriften, nicht nur den sekundären Berichten, zu haben.

Franz und die Priester

Dass Franz dem Reichtum und der Machtgier in der Kirche seiner Zeit mit einer erstaunlichen, vielleicht sogar erschreckenden Naivität gegen­ überstand, ist dabei offenkundig. Aber diese Naivität ist eben Ausdruck dessen, dass, wie oben schon vermerkt, seine Diskrepanzerfahrung eine andere war als die der meisten anderen Repräsentanten der vitaapostolica-Bewegung: Die Aussendungsrede stand nicht am Anfang seiner Diskrepanzerfahrungen, sondern an deren Ende. Sie stieß nicht Irritationen an, sondern klärte einen Weg, der schon begonnen hatte. Seine Diskrepanzerfahrung begann nicht in der Domkirche von Assisi angesichts des reichen Bischofs, sondern im eigenen Elternhaus. Es war das Alltagschristentum der Kaufleute, das ihn störte, nicht die verfehlte Apostolizität der Bischöfe, die bei Arnold von Brescia und anderen An­ stoß erregte. Im Gegenteil, und dies ist gar nicht hoch genug zu veran­ schlagen: In einer Art Urszene, jener Verhandlung um das dem Vater entwendete Geld, wurde ihm der Bischof von Assisi zum mächtigen und auch liebevollen Beschützer.33 Diese Etappe auf seinem Weg unter­ schied sich so grundlegend von all dem, was Waldenser, Katharer und andere auf den Weg gebracht hatte, dass es kaum erstaunlich ist, dass die Folgerungen, die er zog, gleichfalls andere waren: Die Verbindung mit der Kirche folgte weder Naivität noch Kalkül – sie war die nachvoll­ ziehbare Konsequenz aus dem Vertrauensverhältnis, das er in Assisi zu seinem Bischof gewonnen hatte. 212

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Und obwohl er dann, als er zu predigen begann, Wege ging, die in ähnlicher Weise wie bei den Waldensern das Kirchenrecht strapa­ zierten, überspannte er den Bogen nicht, sondern drückte zeit seines Lebens eine tiefe Ehrfurcht vor den Klerikern und seinen Willen zum Gehorsam aus. Das zeigt sich schon in der Betonung Jakobs von Vitry, dass die Predigt der Franziskaner stets aus Ehrfurcht mit den Kirchen­ führern abgesprochen gewesen sei, hat aber auch viele andere Haft­ punkte im Leben und Denken des Franz. Noch in seinem Testament erklärte er: „Später gab und gibt mir der Herr so großes Vertrauen auf die Priester, die aufgrund ihres Standes nach der Weise der heiligen Römischen Kirche leben, dass ich, wenn [andere] mich verfolgen, zu ihnen zurücklaufen will“.34 Der Hinweis auf das Zurücklaufen zu den Priestern angesichts von Ver­ folgung drückt mit frappierender Deutlichkeit jenes Verständnis von der Amtshierarchie als Schutzraum in dieser Welt aus, das sich biogra­ phisch mit den Geschehnissen um Guido von Assisi verbinden lässt. Nicht wie bei Arnold gegen, sondern mit und unter den Priestern fand Franz den Weg, den er im Sinne des apostolischen Rufes gehen wollte. Und der Weg war streng geformt: Das Leben „gemäß der Form der hei­ ligen Römischen Kirche“ bedeutete, dass Franz in diesen Normen, den canones der römischen Kirche, eine Sicherung einer Lebensweise sah, die zur Apostolizität jedenfalls nicht in Widerspruch stand. Man kann sich das gar nicht genug vor Augen führen: Apostolizität war eben nicht wie bei den Katharern oder den sich radikalisierenden Waldensern ein Gegenkonzept zur gegebenen Kirche, sondern stand komplementär zu ihr. Das ist umso bemerkenswerter, als Franz an anderen Stellen ja durchaus in Spannung zu den gegebenen Normen wirkte und lebte – allein schon der Umstand, dass er als Laie predigte, stellte einen Norm­ bruch dar, freilich einen, den nicht nur – wie im Falle des Waldes – sein lokaler Bischof billigte, sondern in jener denkwürdigen Begegnung der Papst selbst. Der Unterschied zwischen Waldes und Franz ist auch der Unterschied zwischen den Päpsten Alexander und Innozenz: Wo jener nur die Lebensweise der Waldenser genehmigte, nicht aber die Predigt, hat dieser das Kirchenrecht gelinde gesagt ausgedehnt und eine Predigt 213

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erlaubt, die vielleicht gerade deswegen akzeptabel war, weil sie in Form und auch Inhalt von der gängigen Predigt abwich, mehr ein Mahnruf war als eine Auslegung der Bibel. Die Form bedeutete zugleich eine Änderung des Inhalts: Dieter Berg hat auf den wichtigen Umstand hingewiesen, dass Franz’ Predigt nicht im eigentlichen Sinne dogma­ tische Fragen betraf und daher weniger konfliktträchtig war, als es eine solche Verkündigung gewesen wäre.35 Dies machte es möglich, dass die Predigt durch eigentlich hierzu nicht befugte Laien nicht zu einem kirchenrechtlichen Problem wurde wie bei den Waldensern. Ethische, auf die Lebensführung bezogene Verkündigung oder lehrhafte – im Er­ gebnis war dies die Weggabelung, an der sich entschied, dass Franz mit der Kirche verbunden bleiben konnte und nicht zum Ketzer wurde. Die Spannung zu einem offiziellen Amtsverständnis lag allerdings noch an einer ganz anderen Stelle, und zwar ausgerechnet bei der beson­ deren Betonung des Gehorsams gegenüber Priestern, „die gemäß der Form der heiligen Römischen Kirche leben“. Das konnte lediglich die Beachtung liturgischer Vorschriften meinen, wie sie Franz in seinem „Brief“ an die Kleriker einschärfte, bei dem es sich wahrscheinlich um eine in mehreren Fassungen überlieferte Ansprache aus der Zeit nach 1215 handelt. In der zweiten Fassung wies er für den Umgang mit der Eucharistie ausdrücklich auf die „Satzungen der heiligen Mutter Kir­ che“ hin,36 und die Ausführungen machen deutlich, was er darunter verstand: Zum einen sollten die Priester sich innerlich recht auf die Eucharistie vorbereiten, zum anderen sollten sie dafür Sorge tragen, dass das Abendmahl nur an angemessenen Orten gefeiert und mit den verbleibenden Resten der eucharistischen Elemente sorgsam um­ gegangen werde.37 Diese Einschärfung von Verhaltensregeln wirft al­ lerdings die Frage auf, wie Franz sich eigentlich zu solchen Priestern stellen wollte, die genau so nicht lebten. Er wusste durchaus, dass der Klerikerstand nicht für ethisches Wohlverhalten garantierte; diese Dis­ krepanz war, bis hin zu manifestem Antiklerikalismus, schon lange in der vita-apostolica-Bewegung angesprochen worden. In seinem oben (s.  146) erwähnten Brief an den Orden formulierte er entsprechende Forderungen an die Priester seines Ordens: Sie sollten „als Reine rein“ („puri pure“) das Opfer vollziehen, indem sie sich in ihrem Denken und Empfinden nicht auf Menschen, sondern auf Gott ausrichteten.38

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Dass Franz eine ethische Messlatte an die Priester anlegte, wie es bereits die vita-apostolica-Bewegung getan hatte, ist offenkundig. Das steht nur auf den ersten Blick in Spannung zu der Lehre vom character indelebilis.39 Die Gefahr, hier von der Kirchenlehre abzuweichen, scheint ihm selbst, möglicherweise vermittelt durch theologisch kundige Be­ rater, auch bewusst geworden zu sein. In den Admonitiones findet sich fast wortgleich eine Seligpreisung derer, die jenen Klerikern Vertrauen entgegenbringen, die nach der Form der römischen Kirche leben, und eine Verfluchung derer, die dies nicht tun, 40 jedoch mit dem theologisch korrekten Zusatz: „Selbst wenn sie Sünder sein mögen, darf doch kei­ ner über sie ein Urteil fällen, weil der Herr allein sich vorbehält, sie zu richten“. 41 Das ist nicht so drastisch wie in der Erzählung des Stefan von Bourbon, aber doch deutlich. Dieses klaren Ausweises der Lehre vom character indelebilis bedarf es indes gar nicht, um den Unterschied in Franz’ Auffassung von den Priestern zu den aus der Kirche hinausgefallenen und -gedrängten Tei­ len der vita-apostolica-Bewegung deutlich zu machen. Bei ihm wurde auch in der Formulierung des Testaments, die frei von einer solchen dogmatischen Absicherung war, die Norm der Weihe nicht durch ethi­ sche Anweisungen ersetzt, sondern ergänzt. Im Grundsatz bleibt die Autorität des geweihten Priesters unhinterfragt. Vor allem aber ist die ethische Norm eine kirchenrechtlich geregelte: Nicht die Erfüllung der Aussendungsrede macht die priesterlichen Handlungen wirksam, son­ dern die Befolgung der römischen Ordnung. Das nimmt dem Gedanken trotz seiner Spannung zu kirchenrechtlichen und theologischen Vorga­ ben den rebellischen Charakter, den er in der vita-apostolica-Bewegung hatte. Franz präzisierte den Gehorsam  gegenüber den Priestern sogar noch in einem sehr wichtigen Sinne: In seinem Testament hob er her­ vor, dass er in Gemeinden nicht gegen den Willen der dort zuständigen Pfarrer predigen wolle.42 Obwohl der Orden zu diesem Zeitpunkt schon längst über eigene Priester verfügte, wollte er ihn nicht aus der kirchli­ chen Struktur herausnehmen, sondern in ihr belassen. Franz war kir­ chenkonform – das klingt für eine Zeit, die Rebellen jedenfalls dann mit Sympathie betrachtet, wenn sie der Vergangenheit angehören, vielleicht langweilig. Für das 13. Jahrhundert war es der Schlüssel zum Erfolg: Nur so konnte er dem Gedanken des apostolischen Lebens einen Platz in der Kirche eröffnen. Er war kein Anpasser, und er wurde nicht von den Päps­ 215

4. Kapitel: Ordnung

ten seiner Zeit funktionalisiert. Er war ein frommer Sohn seiner Kirche, dem es gar nicht in den Sinn gekommen wäre, gegen diese zu revoltieren. Dass andere, die ihm folgten oder ihm aus anderen Zusammenhän­ gen zuliefen, anders dachten, spürte er. So suchte er auch deutlich zu machen, dass die Unterordnung unter die Priester nicht nur eine äußer­ liche Forderung darstellte, sondern sich aus dem Geist der Armut un­ mittelbar ergab. Ein eindrückliches Zeugnis hierfür ist der „Gruß an die Tugenden“, der oben schon einmal im Zusammenhang von Franz’ Hal­ tung zur Schöpfung begegnete. Er ähnelt in manchem dem Sonnenge­ sang, übrigens auch darin, dass er nicht explizit auf Christus verweist. 43 Wiederum bestätigt sich, dass man nicht von jeder einzelnen Äußerung von Franz eine umfassende Dogmatik erwarten soll – was er mit beein­ druckender Kunst dichtete, sind Gelegenheitsgedichte und -lieder, die jeweils einen Gedanken ausführen. In diesem Falle ist es der Preis der Tugenden Weisheit, Einfalt, Armut, Demut, Liebe und Gehorsam. 44 Diese Tugendreihe steht quer zu anderen Tugendschemata, die man im Mittelalter kennt: der Sammlung der drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung etwa, die seit ihrer Entfaltung durch den Apo­ stel Paulus (1 Kor  13) christliche Weltwahrnehmung prägen, oder den paganen Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Be­ sonnenheit. 45 Im Idealfall verband man diese Tugenden – und hatte so gleich noch die bedeutende Siebenerzahl vor Augen. Franz folgte nicht einfach solchen Schemata, er nahm auch in seine Reihe nicht vollstän­ dig die evangelischen Räte auf, die das asketische Leben prägten: Armut und Gehorsam nannte er zwar, nicht aber die Keuschheit, die offenbar in seinen Augen den Rang einer besonders herausgehobenen Tugend nicht verdiente. Zudem gruppierte er die Tugenden auf eine eigentüm­ liche Weise in drei Paaren: Einfalt und Weisheit waren in seinem Lied Schwestern, Demut und Armut sowie Gehorsam und Liebe. Letztlich waren sie in dieser Einteilung eine Einheit, sowohl was ihre Herkunft aus Gott betraf46 als auch in ihrer Ausübung: Wer sich gegen eine von ih­ nen verging, verlor alle. 47 Die Tugenden also waren als unterschiedliche Aspekte des einen aus Gott fließenden Tugendstroms miteinander ver­ woben. Sie zu preisen heißt, diese unterschiedlichen Aspekte hervorzu­ heben und auf ihre letzte Einheit zuzuführen – eine Einheit, die im Ster­ ben für die Sünden liegt. So jedenfalls scheint der merkwürdige Satz zu erklären zu sein: „Es gibt überhaupt keinen Menschen auf der gesamten 216

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Welt, der eine von euch besitzen könnte, es sei denn, er stürbe zuvor“. 48 Hier schwingt der neutestamentliche Gedanke eines Sterbens für die Sünde (Röm 6,11) und damit eines Sterbens für die Welt mit: Was Franz preist, ist die Existenz unter Brüdern, die der Welt die Absage erteilt und ein neues Leben der Buße begonnen haben – die Tugenden sind somit eine Art positiver Entfaltung des Büßerlebens.  Daher wird manches noch weiter unten zu behandeln sein, wenn es um die Ausgestaltung des Lebens in der Bruderschaft geht (s. u. 232–241). Hier richtet sich das Interesse zunächst einmal auf die Ausgestaltung des Gehorsams, der ja, wie oben schon angesprochen, den Tieren gilt, aber auch und vor allem „allen Menschen, die in der Welt sind“. 49 Die Unterwerfung unter die Kleriker benennt Franz damit nicht ausdrücklich, doch der Vorbehalt gegen jede Form des Ungehorsams ist mehr als offenkundig, und dies aus spirituellen Gründen: Der Gehorsam nämlich, so heißt es, erhält den abgetöteten Leib,50 erhält den Büßer also genau in jenem Zustand, der überhaupt erst die Wirkung der Tugenden ermöglicht. Nicht nur weil er besonders ausführlich behandelt wird, erscheint der Gehorsam mithin als zentrale Tugend franziskanischer Existenz, und es erstaunt nicht, dass Franz ihn neben dem Testament auch in den Regeln einschärfte, welche er seinem Orden gab. Diese erhielten erst in seinen letzten Le­ bensjahren Gestalt und setzten schon eine umfassendere Ordensstruk­ tur voraus – vor allem aber hatte der Orden zu diesem Zeitpunkt bereits Priester unter seinen Mitgliedern. Demzufolge konnte Franz in der sogenannten nichtbullierten Regel die Vorschrift entwerfen, dass die Brüder die entscheidenden Sakramente – Buße und Eucharistie – durch einen Priester „nostrae religionis“, „unseres Ordens“, empfangen soll­ ten. Nur im Ausnahmefall sollten sie auf andere Priester ausweichen,51 wobei Franz nicht einmal ausdrücklich festhielt, dass dies dann jeweils der zuständige Ortspriester sein müsse. Auch wenn diese Regelungen in die endgültige bullierte Regel nicht eingingen, zeigen sie doch etwas von dem Gewicht, das Franz dem Priesteramt beimaß. Dass es Brüder gab, die auf Priester gut hätten verzichten können, lässt sich nach dem Grundsatz, dass durch Regelungen nur das eingeschärft wird, was nicht selbstverständlich ist, wenigstens erahnen. Franz war so gesehen in der eigenen Bruderschaft einer der Moderaten. Er stand sehr klar aufseiten der Kirche und ihrer offiziellen Sakramente – die Häretiker waren ihm aus inneren Gründen zutiefst fremd. 217

4. Kapitel: Ordnung

2. Das Konzil und sein Prophet Das Vierte Lateranum

Die genauen Bestimmungen für die Kleriker in der zitierten Ansprache oder dem „Brief“ an die Kleriker entspringen nicht nur der individuellen Spiritualität von Franz von Assisi: Mit dem Hinweis, dass die Überreste des eucharistischen Mahles achtsam behandelt werden sollten, folgte Franz nahezu wörtlich einer Anordnung des Vierten Laterankonzils. Diese Kirchenversammlung war ein Großereignis im Pontifikat von Innozenz III. Sie tagte mit wohl über achthundert Teilnehmern52 vom 11. bis 30. November 1215. Das Konzil war erkennbar von dem Bemühen bestimmt, Ordnung in die Kirche zu bringen: Ausdrücklich hatte Inno­ zenz in der Einladungsbulle am 19. April 1213 neben Planungen für den Kreuzzug auch die „Reform der ganzen Kirche“ als Aufgabe genannt.53 Tatsächlich kam es zu Absprachen hinsichtlich des Kreuzzuges  – am Rande übrigens auch über Fragen der deutschen Königskrone. Als Konzil hatte das Vierte Lateranum aber selbstverständlich auch be­ deutende dogmatische Entscheidungen zu treffen – und wie oft in der Konziliengeschichte waren solche Entscheidungen zunächst negativer Art: Man erklärt, was man ablehnt beziehungsweise aus der Kirche aus­ schließt. Eine der Verurteilungen führt dabei in eine höchst komplexe Materie hinein: Joachim, Abt des Zisterzienserklosters Fiore in Kalab­ rien († 1202), hatte sich an einer Formulierung in der Sentenzensamm­ lung des Petrus Lombardus († 1160) gestört. In diesem Werk hatte der spätere Bischof von Paris Aussagen der Kirchenväter zu Themen der Theologie zusammengestellt und so, mit wenigen eigenen Kommenta­ ren, ein überaus nützliches Lehrwerk für die theologische Ausbildung geschaffen. Im Zusammenhang der seit der Antike für das Christentum bestimmenden Trinitätslehre, nach welcher Gott ein göttliches Wesen in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, hatte der Lombarde vom Göttlichen als einer Entität (res) gesprochen54 – dagegen hatte Joa­ chim gleich eine ganze Schrift „Über die Einheit der Trinität“ (De unitate Trinitatis) geschrieben. Da diese verloren gegangen ist, kann man nur vermuten, was ihn so erregte: Offenbar witterte er in der Rede von ei­ ner Entität ein Verständnis, wonach das göttliche Wesen wie eine vierte Größe neben die anderen drei gestellt würde, statt deren wesentliche Einheit im Sinne einer Verwobenheit untereinander darzustellen. Diese 218

2. Das Konzil und sein Prophet

Auffassung des kalabrischen Abtes wurde nun ihrerseits auf dem Vier­ ten Lateranum verurteilt.55 Das verhalf zunächst einmal dem Lehrbuch des Lombarden zu einem gewaltigen Erfolg: Es wurde, nicht zuletzt dadurch, dass es mit der bedeutenden Universität von Paris verbunden war, auf Jahrhunderte hinaus zu dem Standardwerk schlechthin, nach dem angehende Theologen ihr Fach zu sichten und zu sortieren lernten. Doch anders als bei manch anderen Verurteilten war auch die Wirkung Joachims von Fiore nicht unmittelbar dahin. Seine Lehre von der Tri­ nität verband sich mit einer umfassenden Deutung der Menschheits­ geschichte, die sich hiernach, den drei Personen Gottes gemäß, in drei Etappen vollzog, welche sich auch in bestimmten Sozialformen auf der Erde widerspiegelten: Die Zeit des Vaters war die der Verheirateten, ihr folgt im Zeitalter des Sohnes die Vorherrschaft der unverheirateten Kle­ riker und schließlich im Zeitalter des Geistes die Epoche der kontem­ plativen, überhaupt nicht mehr dem Irdischen zugewandten Mönche. Genau hieran sollten später ausgerechnet Franziskaner anknüpfen, die in Franz selbst die herausragende Gestalt dieser Zeit sahen und, der bi­ blischen Verheißung aus Apk 20 folgend, nun die tausendjährige Got­ tesherrschaft auf Erden erwarteten. Von diesen Entwicklungen, die den Orden der Franziskaner in bittere Zerreißproben hineintreiben sollten, waren Franz selbst und seine Gefährten 1215 noch weit entfernt. Auch wenn Franziskus, wofür nicht viel spricht, auf dem Konzil anwesend gewesen sein sollte, lagen ihm diese Fragen fern – und doch weisen sie auf den Horizont, in welchem er sich bewegte. Die Verurteilung Joach­ ims führt hinein in die hochkomplexe Gemengelage in Theologie und Kirche des 13. Jahrhunderts. Fern scheint man von dem Armen aus As­ sisi, der Einfalt und Weisheit miteinander verband und mit spekulativen Ideen über die Trinitätslehre wohl ebenso wenig anfangen konnte wie mit weitreichenden geschichtstheologischen Konstruktionen. Näher an seiner Welt bewegt man sich mit der Verurteilung der Ka­ tharer und der Waldenser. Gegen die Ersteren wurden Grundelemente des katholischen Glaubens wiederholt und eingeschärft, wobei von besonderer Bedeutung war, gegenüber allen Tendenzen zum Dualis­ mus Gott als den einen Schöpfer der einen Welt zu bestimmen.56 Den Waldensern gegenüber wurde betont, dass jeder, der ohne offizielle Be­ auftragung durch den Papst „öffentlich oder privat“ („publice vel priva­ tim“) predige, exkommuniziert werde.57 Diese Regelung ist insofern für 219

4. Kapitel: Ordnung

Franz bemerkenswert, als sie gewissermaßen indirekt bestätigt, dass dessen Predigt und die seiner Brüder in der Tat als durch Bischof oder Papst genehmigt galt – bei aller Unsicherheit dürfte also dieses Element der Begegnung zwischen Franz und Innozenz im Jahre 1209 zutreffend sein. Eine andere Regelung betraf ihn noch in höherem Maße direkt: Im 13. Kanon verbot das Vierte Laterankonzil die Gründung neuer Orden, genau genommen: die Erstellung neuer Ordensverfassungen.58 Bei der Begegnung mit Innozenz  beziehungsweise dem Kardinal Johannes von St.  Paul hatte Franz sich ja dem Ansinnen verweigert, seine Ge­ meinschaft unter das Dach eines vorhandenen Ordens zu stellen – ob er allerdings 1215 für seine Bruderschaft schon an die Etablierung einer festen Ordensstruktur gedacht hat, wird man letztlich nicht entschei­ den können. Der Umstand, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach schon dabei war, seine seinerzeit dem Papst vorgelegte einfache Form zu einer komplexeren Regel umzuarbeiten, spräche dafür. Umgekehrt hatte die Erlaubnis jener Form nicht unmittelbar die Gründung eines Ordens be­ deutet. Es kann also durchaus sein, dass Franz gar keinen Anlass sah, sich durch diese Vorschrift an weiteren Planungen gehindert zu sehen – so wie umgekehrt nicht gesagt werden kann, dass sie unmittelbar gegen ihn und seine Gemeinschaft gerichtet gewesen sei. Sie lässt vielmehr etwas davon erkennen, dass er sich in einer religiös hochaktiven Zeit bewegte, in welcher offenbar die Gründung neuer Gemeinschaften ein so verbreitetes Phänomen war, dass man meinte, sie eindämmen zu müssen. Innozenz, der trotz weitreichender Möglichkeiten zur Debatte59 das Konzil klar beherrschte, wollte, das zeigt schon die Vorschrift zu den Orden, nicht nur Klärung an den Rändern herbeiführen, sondern um­ fassend das Leben der Gläubigen regeln. Bezeichnend ist hierfür die neuerliche Einschärfung, dass heimliche Ehen – das heißt solche, die ohne den rechtlichen Regelungsrahmen durch die Eltern geschlossen und vollzogen wurden  – verboten waren.60 Unwirksam  waren sie da­ durch nicht, aber es sollte eben doch einen geregelten Weg zur ordent­ lichen Eheschließung geben, und die Kirche beteiligte sich an dieser Regulierung, obwohl die Ehe noch keineswegs als Sakrament definiert war. Die kirchliche Beteiligung sollte nun nach den Bestimmungen des Vierten Lateranums wie schon seit dem frühen Mittelalter darin liegen, das Aufgebot vorzunehmen, also anzukündigen, wer ehewillig war, und 220

2. Das Konzil und sein Prophet

die Möglichkeit zu geben, innerhalb einer gemessenen Frist Wider­ spruch einzulegen. Ähnlich weit wie diese Regelungen griffen die zur Beichte in das Leben der Gläubigen ein61: Einmal im Jahr wenigstens sollte jeder und jede erwachsene Gläubige sie ablegen, und zwar vor dem eigenen, also dem in der zuständigen Pfarrgemeinde tätigen Priester. Ausnahmen sollten nur dann zulässig sein, wenn der Ortspriester sie gestattete. Das sicherte in hohem Maße die Gemeindeorganisation der Kirche  – was man freilich nicht vorschnell als Ausdruck kirchlicher Kontrollwut ver­ stehen sollte. Die positive Kehrseite dieser Vorschrift war nämlich eine erste genaue Bestimmung dessen, was bis heute noch in geänderter Form für Pfarrer und Pfarrerinnen unterschiedlicher Konfessionen als Beicht- beziehungsweise Seelsorgegeheimnis gilt. Der Priester solle, so das Vierte Lateranum, auf keinerlei Weise zu erkennen geben, was er über die Beichtkinder wusste – täte er dies doch, würde er seines Amtes enthoben und für den Rest seines Lebens in ein Kloster verbannt.62 Die Beichte war, das sollte so deutlich werden, eine Sache zwischen dem oder der Glaubenden und Gott selbst, vertreten durch den Priester. Die Sozialkontrolle also, die mit den Beichtvorschriften etabliert war, war keine öffentliche, sondern sie trug vor allem zu einer Verinnerlichung christlicher Normen bei: Wer einmal im Jahr  seine Sünden bekannte, dürfte wenigstens eine gewisse Zeit auch darüber nachgedacht haben, wie sich sein Leben zu den Forderungen an einen Christen oder eine Christin verhielt. Einmal davon abgesehen, dass wir kaum wissen, wie weit diese Normen in der Realität eingehalten wurden, passte die Stoß­ richtung dieser Vorschrift wohl durchaus mit den ersten Anliegen von Franz zusammen: Ihm ging es ja zunächst ebenfalls darum, das alltäg­ liche christliche Leben, wie er es im Elternhaus erlebt hatte, aufzubes­ sern. Und doch findet sich gerade hier auch ein sehr grundlegender Unter­ schied: Die Beichte hatte im dogmatischen System ihren Ort als Teil des Bußsakraments, nach der Reue des Herzens und vor der Wiedergutma­ chung. Was Franz aber unter Buße verstand, war offenkundig etwas anderes: Das „Bußetun“, an welches er in seinem Testament erinnerte, bezog sich nicht auf den sakramentalen Vorgang, sondern auf eine Le­ bensform, die die Brüder, welche Franz um sich sammelte, in allen Be­ reichen ihres Daseins in Anspruch nahm. Franz hat dies offenbar nicht 221

4. Kapitel: Ordnung

als Widerspruch empfunden oder dort, wo er eine Spannung sah, diese aufzulösen versucht. Unter den Mahnungen der sogenannten nichtbul­ lierten Regel, sich den Priestern unterzuordnen, erwähnte Franz aus­ drücklich auch die Buße und schärfte zusätzlich ein, dass die Beichte unter den Brüdern nicht in der Lage sei, die priesterlich-sakramentale Buße zu ersetzen.63 Das berührte noch einmal einen anderen Aspekt als den Weg unter dem Kreuz, aber es unterstreicht doch: Es geht um den klassischen gegenseitigen Trost, den sich Brüder oder Schwestern in ei­ ner monastischen Gemeinschaft spenden – letztlich tatsächlich sogar die Wurzel der Beichte. Wenn Franz betont, dass sie die Buße vor dem Priester nicht ersetzen kann, macht dies zweierlei deutlich: Zum einen gab es offenbar Brüder, die genau eine solche Ersetzung erhofften oder anstrebten, vielleicht sogar praktizierten. Regelwerke sind immer dort spannend, wo sie etwas untersagen, weil dies im Allgemeinen ein Indiz dafür ist, dass genau das irgendwo tatsächlich geschehen ist. Zum an­ deren unterstreicht es, dass Franz sich wenigstens in den letzten Jahren seines Lebens voll und ganz in das sakramental-priesterliche System der Kirche seiner Zeit hineingefunden hatte und gar nicht daran dachte, sein eigenes umfassendes Bußverständnis zum kritischen Hebel hier­ gegen zu machen.

Eucharistie auf dem Konzil und bei Franz

Mag man hierin noch ein Zugeständnis, eine Art von stillem innerem Kompromiss mit den Realitäten der Kirche sehen, so geht das, was wir über Franz’ Abendmahlsverständnis erfahren, weit darüber hin­ aus. Auch dies war ein Punkt, zu dem das Vierte Lateranum klare und auf Jahrhunderte wirksame Vorschriften erließ. Eine recht minimale Bestimmung ist es wohl, dass das Konzil vorschrieb, dass jeder und jede Gläubige einmal im Jahr, zu Ostern, das Herrenmahl besuchen solle.64 Wichtiger war die Formulierung in dem gegen die Katharer gerichte­ ten Bekenntnis, dass Leib und Blut Christi „im Sakrament des Altars unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten sind, das Brot in den Leib und der Wein in das Blut gewandelt (transsubstantiatis) aus göttlicher Macht“.65 Eineinhalb Jahrhunderte nachdem der Mönch Berengar von Tours († 1088) mit messerscharfen Argumenten erklärt hatte, dass es unmöglich sei, die veränderlichen Eigenschaften der Ge­ stalt von Brot und Wein (Akzidenzien) zu erhalten und gewissermaßen 222

2. Das Konzil und sein Prophet

darunter hinweg die Substanz in Christi Leib und Blut zu verwandeln, wurde die aristotelische Sprachlichkeit, die er hierzu gebraucht hatte, in den Lehrtext eines großen Konzils aufgenommen. Berengar war schon damals verurteilt worden und hatte bekennen müssen, dass „Brot und Wein, die auf dem Altar liegen, nach der Weihe nicht nur Sakrament sind, sondern der wahre Leib und das Blut un­ seres Herrn Jesu Christi sind und in sinnfällig dinglicher Weise, nicht nur sakramental, sondern in Wirklichkeit von den Händen der Priester berührt und gebrochen und von den Zähnen der Gläubigen zermalmt werden“.66 Eine solche Verurteilung  – die dann noch einmal wiederholt werden musste, weil Berengar sich an die vorgeschriebene Denk- und Rede­ weise nicht hatte halten wollen – schafft das denkerische Problem al­ lerdings nicht beiseite. Auch das Laterankonzil tat dies nicht, sondern überspielte die Schwierigkeit nur durch Verwendung des Wortes transsubstantiare, einer Ableitung von substantia, Substanz. Damit war weder Berengars Frage geklärt, ob eine solche Wandlung überhaupt stattfin­ den könnte, noch wusste man, wie sie sich genauer vollziehen sollte. Die umfassende Transsubstantiationslehre, die an diese Bestimmung anknüpfte, sie aber denkerisch auf ausgefeilte Weise weiterentwickelte, formierte sich erst im Laufe der nächsten zwei Generationen, bis sie von dem dominikanischen Gelehrten Thomas von Aquin († 1274) in grandioser Weise zusammengeführt wurde. Auf dem Vierten Latera­ num sollte wohl zunächst nicht viel mehr gesagt werden, als dass Jesus Christus tatsächlich voll und ganz leiblich in den eucharistischen Ele­ menten präsent sei. Dass eine solche Vorstellung dem Priesteramt eine besondere Würde zumaß, klang oben schon an: Der Priester war es, unter dessen Händen sich in jeder Messe das Wunder der Wandlung vollzog. Auch wenn alle Kraft hierzu von Gott kam, war der Priester doch in besonderer Weise gewürdigt, mit Christus selbst umzugehen. Durch ihn erfuhren auch die Laien Anteil an der besonderen Präsenz Christi hier auf Erden, konnten ihren Herrn leiblich berühren und in sich aufnehmen. In dem Brief an den gesamten Orden, entstanden in den letzten Lebensjahren, malte Franz genau diese Bedeutung des priesterlichen Standes aus: 223

4. Kapitel: Ordnung

„Hört, meine Brüder: Wenn die selige Jungfrau so geehrt wird, wie es würdig ist, weil sie ihn selbst im heiligsten Mutterleib trug; wenn der selige Täufer erbebte und nicht wagte, das heilige Haupt Gottes zu berühren; wenn das Grab, in welchem er für eine gewisse Zeit lag, verehrt wird, wie sehr muss der heilig, gerecht und würdig sein, der nicht den, der noch auf den Tod zuwandelt, sondern den, der in Ewigkeit siegen und verherrlicht werden wird (…), mit Herz und Mund aufnimmt und anderen zum Auf­ nehmen darreicht!“67 Diese Zeilen machen auch deutlich: Es ging Franz nicht allein um die Priester, es ging ihm im Kern um den Leib Christi. Das hatte erhebliche Konsequenzen für den Umgang mit den Elementen Brot und Wein  – und damit sind wir wieder bei den Hinweisen für die Kleriker, die eu­ charistischen Elemente nicht unachtsam zu behandeln. Wenn man in der Eucharistie mit Jesus Christus selbst umging, so der Gedanke, dann war das Brot, das danach übrig blieb, nicht einfach wieder Brot.68 Es ent­ stand die Notwendigkeit der angemessenen Aufbewahrung, die sich in den folgenden Jahrhunderten in immer größer werdenden Sakraments­ häusern äußern sollte. Die Vorschriften des Vierten Lateranums waren noch bescheiden und dennoch eindeutig: Kanon  20 schrieb vor, dass die eucharistischen Elemente in jeder Kirche an einem sicheren Ort verschlossen sein sollten.69 Franz’ Mahnung, dass Elemente, wenn man sie an einem unangemessenen Ort fand, „von diesem Ort entfernt und an einen kostbaren Ort gelegt und sicher verwahrt werden“ sollten,70 nahm dies in erstaunlicher Detailtreue auf. Dies ist vielleicht nur eine Kleinigkeit am Rande, aber es macht deutlich: Franz war wenigstens an manchen Punkten zu einem Propheten der Konzilsbeschlüsse gewor­ den. Wie so oft bei ihm darf man sich mit einfachen Lösungen freilich nicht zufriedengeben: Weder hat Franz die Beschlüsse in vollem Um­ fang in seine Botschaft aufgenommen  – die Feinheiten der Trinitäts­ lehre blieben ihm fremd –, noch dürfte er seine Abendmahlsfrömmig­ keit allein wegen des Konzils entwickelt haben. Dagegen spricht allein schon, dass er sich terminologisch anders, traditioneller ausdrückte als das Konzil.71 Zumindest die Mahnung zu sicherer Verwahrung der Sak­ ramente aber dürfte in dieser zugespitzten Form eine Folge der Konzils­ 224

2. Das Konzil und sein Prophet

beschlüsse sein. Und auch die tiefe Verehrung gegenüber dem Abend­ mahl erhielt durch das Konzil Klärung, Unterstützung und wohl auch Stoßrichtung, nicht zuletzt in ihrer Schärfe gegenüber Andersdenken­ den: In den Admonitiones sprach Franz in aller Härte aus, dass alle, die nicht glaubten, dass in dem Sakrament, „das durch die Worte des Herrn auf dem Altar durch die Hand des Priesters in Form von Brot und Wein geheiligt wird (…), wahrhaft der allerheiligste Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus ist“, verdammt seien.72 Dies war zwar nicht ganz wörtlich, aber dem Sinne nach eine deutliche Aufnahme des Konzilsbe­ schlusses – einschließlich der damit verbundenen Wendung gegen die Katharer. Die Betonung der realen Gegenwart im Sakrament hatte für Franz eine eminente, in den Konzilsbeschlüssen so nicht greifbare spi­ rituelle Bedeutung, wie die Vergleiche mit Maria, die mit Jesus Christus schwanger ging, und dem Heiligen Grab in Jerusalem im Brief an den gesamten Orden deutlich machen. Sinnvoll sind diese nur, wenn man tatsächlich im Altarsakrament genau diesen irdischen Leib Christi prä­ sent sieht, und dies noch in Überhöhung, da er ja nun nicht mehr auf den Tod zuwandelte, sondern schon dem Auferstandenen zugehörte. Diese Identität hatte seinerzeit auch Berengar bekennen müssen: Der Leib, der einst auf Erden war, ist identisch mit dem, der nun in jeder Messe neu auf Erden kommt. Das muss für Franz und wohl für viele Menschen ein wuchtiger Gedanke gewesen sein. So schärfte er in demselben Brief die eucharistische Frömmigkeit ein: „Ich bitte daher alle euch Brüder mit dem Kuss der Füße und mit der Liebe, zu der ich fähig bin, dass ihr alle Ehrfurcht und alle Ehre, wie weit ihr vermögt, dem allerheiligsten Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus erzeigt, in dem alle, die im Himmel und die auf Erden sind, in Frieden gebracht und mit dem allmächtigen Gott versöhnt sind“.73 Diesem starken Bekenntnis zu einer vollen Präsenz des Heilands der Welt in den eucharistischen Elementen entsprachen die weiteren Aus­ führungen in dem Schreiben, nicht nur jene schon oben angeführten Mahnungen zur Reinheit der Priester. Auch wer die Eucharistie emp­ fing, sollte dies in angemessenem innerlichen Bewusstsein tun: Die Gläubigen sollten das heilige Abendmahl von anderen Speisen unter­ 225

4. Kapitel: Ordnung

scheiden und es weder als Unwürdige essen, noch soll einer, „wenn er würdig sein sollte, es nutzlos und unwürdig essen“.74 Die Formulierun­ gen, die Franz hier wählt, sind in ihrer Zuordnung nicht immer ganz klar, gewinnen solche Klarheit aber vor dem Hintergrund der Beschlüsse aus dem Lateran: Der Unwürdige war offenbar der, der sich nicht, wie es das Konzil voraussetzte, vor dem Herrenmahl dem Bußsakrament unterzogen hatte. Unwürdiges Essen hingegen war auch bei sonst Wür­ digen ein unachtsames Essen, das die Gegenwart Christi missachtete. Die Warnung vor beidem konnte, wie schon in der oben beschriebe­ nen Gerichtspredigt von Franz, massiv drohende Züge annehmen: Wer das Abendmahl einnehme, ohne den Geist Gottes zu haben, ziehe sich nach 1 Kor 11,29 das Gericht zu. Das galt nicht allein den Ungläubigen, sondern auch denen, die behaupteten, Christen zu sein, ohne in die Ge­ meinschaft des Geistes integriert zu sein – vermutlich wieder ein ver­ steckter Hinweis auf Ketzer. Die positive Seite solcher Warnungen war: Im Altarsakrament selbst kulminierte die Christusfrömmigkeit, wie Franz sie verstand. Nachfolge Christi im Lebenswandel und Empfang der Gegenwart Christi im Sakrament waren deren Eckpunkte. Beides gehörte für ihn zusammen, das Leben unter dem Kreuz und die Gabe Christi im Stall von Bethlehem und immer neu auf dem Altar. In diesem Sinne deutete Franz in einem tiefsinnigen Lobpreis die Präsenz Christi auf dem Altar als äußerste Folge der Erniedrigung Gottes zu den Men­ schen: „Der ganze Mensch erzittere, die ganze Welt bebe, und der Himmel hüpfe vor Freude, wenn auf dem Altar in des Priesters Hand Christus ist, der Sohn des lebendigen Gottes! O wunderbare Tiefe und erstaunliche Würdigung! O erhabene Demut, o demütige Erhabenheit, dass der Herr des Alls, Gott und Gottes Sohn so sich demütigt, dass er sich um unseres Heils willen unter der geringfügigen Form des Brotes verbirgt! Seht, Brüder, die Demut Gottes und gießt vor ihm eure Herzen aus; demütigt auch euch, auf dass ihr von ihm erhöht werdet. Behaltet nichts an euch für euch zurück, damit er euch ganz empfange, der sich euch ganz darreicht.“75 226

2. Das Konzil und sein Prophet

Die Eucharistie war, so sind diese Zeilen zu verstehen, der Ort, an dem die Inkarnation Christi ihr Ziel fand – allein hier, so sagte Franz es in sei­ nem Testament, sei für seine Zeit Christus leiblich sichtbar.76 Diese Be­ tonung der Sichtbarkeit Jesu mag angesichts der schlichten Hostie im eucharistischen Geschehen merkwürdig klingen, doch erklärte Franz dies: Auch als Jesus auf Erden war, habe man in seiner menschlichen Gestalt ja die Gottheit nicht erkennen, sondern nur glauben können. Ganz ebenso solle man nun in dem Brot seine leibliche Gegenwart glauben.77 Versteht man die Eucharistie so auf der Linie der Herablas­ sung Christi in die Niedrigkeit, braucht man auch nicht lange darüber nachzudenken, wie Franz’ Eucharistiefrömmigkeit mit seiner Orien­ tierung an der apostolischen Lebensweise zusammenging: Diese war, wie die Ermahnung in den letzten Zeilen überdeutlich erkennen lässt, selbst Ausdruck der Demut in der Nachfolge Christi. Die sakramentale Vergegenwärtigung Christi auf dem Altar und die Nachfolge Christi im Wanderleben der armen Apostel waren zwei Seiten der einen Medaille, die das Leben des Franz ausmachte: ein Leben unter dem Kreuz und vom inkarnierten Christus her. Entsprechend hatte die Eucharistie auch eine zentrale Funktion für die Erbauung der Gemeinschaft. Franz schärfte ein, dass auch dort, wo in einem Konvent mehrere Priester lebten, nur eine Messe gefeiert werden sollte.78 Nicht der sakramen­ tale Akt des einzelnen Priesters vor Gott war entscheidend, sondern die gemeinsame Begegnung mit Jesus Christus in der eucharistischen Feier. Diese aber sollte, so geht es aus den Admonitiones hervor, täglich geschehen.79

Repräsentationsfrömmigkeit

Die Präsenz Christi war in besonderer Weise an die Eucharistie gebun­ den, aber sie reichte weit darüber hinaus.  Gelegentlich lassen Franz’ eigene Schriften erahnen, wie sich die Heiligkeit des Abendmahls auf Dinge übertrug, die damit in Zusammenhang standen: Überall fanden sich Repräsentationen Christi.80 So verfasste Franz um 1220 einen Brief an die leitenden Brüder, die custodes, in dem er in ähnlicher Weise wie in der Ansprache an die Kleriker zum rechten Umgang mit den eucha­ ristischen Elementen ermahnte, hierunter aber auch „seine niederge­ schriebenen heiligen Namen und Worte, die den Leib heiligen“ fass­ te.81 Letztere sind offenbar die Worte der Einsetzung des Abendmahls, 227

4. Kapitel: Ordnung

durch welche sich die Wandlung vollzog: „Dies ist mein Leib“ und „Dies ist mein Blut“ mit den entsprechenden Kontexten in Mt 26,26–28 und seinen Parallelen. Man fand sie in den Kirchen seit der Spätantike viel­ fach als Gedächtnisstütze für den Zelebranten auf eigenen Täfelchen aufgeschrieben.82 Sie gehörten also gewissermaßen zum Gebrauchs­ inventar eines Altars, und es mag vorgekommen sein, dass mit ihnen entsprechend unachtsam umgegangen wurde. Stehen diese Täfelchen also noch in engem Zusammenhang mit dem eucharistischen Ge­ schehen, so ist die Nennung der Gottesnamen schon hiervon gelöst: Offenbar handelte es sich hier um Aufschriebe mit dem Gottesnamen oder anderen verehrungswürdigen Bezeichnungen. Sie entstammten vielleicht dem Kontext von Gelübden oder auch apotropäischen Ver­ suchen, sich durch heilige Namen Unglück fernzuhalten,83 hatten dann aber ihren Sinn verloren. Deren Missbrauch war offenbar ein gewichti­ ges Thema für Franz, denn noch in seinem Testament gelobte er, solche Aufschriebe der heiligen Namen, wo immer er sie an unangemessenen Orten finde, zu sammeln und an angemesseneren Orten zu hinterle­ gen.84 Die Weise der Gegenwart Christi, wie sie sich hierin ausdrückte, war eine andere als in der Eucharistie und gibt dieser doch zugleich ei­ nen Kontext: Christus, Gott selbst konnte auf unterschiedliche Weisen in der Welt gegenwärtig werden, war hierzu an sakramentales Gesche­ hen nicht gebunden. Letztlich ist auch jene Präsenzwirkung im Kreuz von San Damiano, von der die Viten berichten, Ausdruck einer solchen Vorstellung. Und selbst wenn die Suggestion der Viten, der Ruf dieses Kruzifixes habe am Anfang von Franz’ Weg gestanden, eine literari­ sche Konstruktion im Interesse der Klärung von Franz’ Berufung sein dürfte: Dass das Kruzifix für Franz eine besondere Bedeutung hatte und dass er in diesem Kruzifix eine Aufforderung an sich verspürte, muss nicht bezweifelt werden, dürfte vielmehr den historischen Kern ebendieser Erzählung ausmachen. Mit diesen verschiedenen Begebenheiten wird immer deutlicher, dass Franz an der ausgeprägtesten Form von Repräsentationsfröm­ migkeit seiner Zeit Anteil hatte: dem Glauben, dass in Reliquien von Heiligen die Gegenwart Gottes greifbar sei. Wie verbreitet diese Vereh­ rung – und wie missbräuchlich der Umgang mit ihr zur Zeit des Franzis­ kus – war, macht wiederum eine einschlägige Bestimmung des Vierten Lateranums deutlich: 228

2. Das Konzil und sein Prophet

„Weil dadurch, dass manche Leute die Reliquien der Heiligen zum Verkauf anbieten und sie an vielen Orten zeigen, der christ­ lichen Religion häufiger Schaden zugefügt wird, legen wir, damit in Zukunft nicht mehr solcher Schaden bewirkt wird, mit vorlie­ gendem Dekret fest, dass alte Reliquien von nun an keinesfalls außerhalb eines Reliquienbehälters gezeigt und auch nicht zum Verkauf angeboten werden dürfen. Neu gefundene aber soll nie­ mand sich anmaßen zu verehren, ehe sie nicht durch die Autorität des römischen Bischofs anerkannt sind. Die Prälaten aber sollen im Übrigen nicht erlauben, dass die, die um der Verehrung willen zu ihren Kirchen kommen, durch haltlose Erfindungen oder ge­ fälschte Urkunden getäuscht werden, wie es an vielen Orten aus Gelegenheit zur Geldmacherei üblicherweise geschehen ist.“85 Interessant genug: Es sind nicht erst die Modernen, die ahnen, dass manches hinter der Erzählung von Reliquien mehr oder minder from­ mer Betrug sein mag. Nicht nur das Phänomen gab es im 13. Jahrhun­ dert, sondern auch das Bewusstsein davon. Doch was hier hinter aller Aufgeregtheit über Geldmacherei und Erfindungsfreude durchscheint, ist ebenjene verbreitete Frömmigkeit, die aus unterschiedlichsten Gründen hoffte, glaubte und wohl vielfach auch schlicht glauben wollte, dass man irgendwo ein Stück von einem Heiligen vor sich oder bei sich habe. Eine solche Reliquie war ein Abglanz der Gegenwart Gottes hier auf Erden, sie war, so materiell sie aussah, mehr als Materie – ganz ähn­ lich wie die Eucharistie und doch auf ganz andere Weise: nicht durch die Wandlungsworte, die ein Priester sprach, sondern durch die verbürgte Verbindung zu einer heiligen Person, die auf Erden so gelebt hatte, dass in ihr Christus präsent gewesen war. Zu den Dingen an Franz, die der heutigen Frömmigkeit ferngerückt sind, dürfte auch gehört haben, dass er ganz selbstverständlich an die­ ser Reliquienverehrung Anteil hatte. Dass sie in den frühesten Erzäh­ lungen keine große Rolle spielte, dürfte eher damit zu tun haben, dass diese ja dazu dienten, die Heiligkeit der Überreste von Franz selbst herauszustreichen. Das geschah eher, indem man seine eigenen Wun­ dertaten beschrieb als seine Verehrung von Reliquien. Ob die Erzäh­ lung, die Celano dann in seiner zweiten Vita bot und die Bonaventura bereitwillig aufnahm, dass Franz sich besonders um die Reliquien in 229

4. Kapitel: Ordnung

einer gänzlich aufgegebenen Kirche gekümmert habe,86 so stimmt oder nicht, sei dahingestellt: Nach Celanos Bericht habe er die Reliquien aus dieser Kirche geborgen und Brüdern anvertraut, die sich jedoch nicht darum kümmerten. Gott selbst aber habe die Reliquien wieder in strah­ lenden Glanz versetzt. Das klingt nach einer Geschichte, die vor allem die Verehrung ebendieser Reliquien herausstreichen soll, und es klingt in seiner Wunderhaftigkeit nach dem Ergebnis munterer Fabulierlust, sei es von Celano selbst oder von denen, die ihm diese Geschichte an­ vertrauten. An der dahinterstehenden Ehrfurcht gegenüber Reliquien zu zweifeln, besteht kein Anlass.

Ablass

Etwas schwieriger verhält es sich mit einem anderen berühmt-berüch­ tigten Bereich mittelalterlicher Frömmigkeit: dem Ablasswesen. Dass es heute keinen guten Ruf mehr hat, hat bekanntlich viel mit Martin Lu­ ther zu tun, der sich vehement und sehr grundsätzlich gegen den Ablass wandte.87 Freilich war er nicht der Erste, der den Ablass kritisierte, und die Auswüchse der Ablasspraxis waren auch Papst Innozenz  III. und dem Vierten Laterankonzil schon bewusst, lang ehe der schwunghafte Handel mit Ablässen die kommerziellen Aspekte in den Vordergrund treten ließ. So wurde hier auch eine zeitliche Begrenzung des Ablasses angeordnet.88 Allerdings hielt das Innozenz und die Konzilsväter nicht davon ab, einen vollen Ablass aller Sünden für die Teilnahme am Kreuz­ zug zu gewähren.89 Der Grundsatz wurde mithin nicht angetastet. Theologisch hing der Ablass eng mit dem Bußsakrament zusam­ men. Seit dem frühen Mittelalter war es möglich, die zur Wiedergutma­ chung der Schuld auferlegten Strafen dadurch zu reduzieren, dass man sich Taten anderer anrechnen ließ. Wer zum Beten einer bestimmten Anzahl von Vaterunsern verpflichtet war, konnte einen Mönch beauf­ tragen, dies für ihn zu vollziehen. Vor Gott galt das, als hätte er es selbst getan. Dies war eine erste, elementare Reduktion der Strafen – nichts anderes als eben Reduktion bedeutet Ablass.  Besonders attraktiv wurde dieser allerdings, wenn es um Strafen ging, die im Diesseits nicht mehr abzuleisten waren. Hierfür war ein jenseitiger Ort, das Purgato­ rium oder Fegefeuer, vorgesehen  – dessen Gestalt und Begründung war im frühen 13.  Jahrhundert noch nicht weit ausgebildet,90 aber die Sehnsucht nach Ablässen war offenbar, wie die Bestimmung des Late­ 230

2. Das Konzil und sein Prophet

rankonzils zeigt, schon hoch. Vielfach waren die Ablässe mit einem be­ stimmten Ort verbunden, zu dem man zu pilgern hatte, um die Ablass­ gnade zu erwerben. Einer der bedeutendsten Orte hierfür wurde noch im Laufe des 13. Jahrhunderts die Portiuncula,91 und die Gnade dieser Kirche war dann, wie die anderer Kirchen auch, übertragbar  – womit sich wieder der Kreis zur Reformation schließt, denn eine der Kirchen, auf die der Portiuncula-Ablass übertragen wurde, war just jene Witten­ berger Schlosskirche,92 mit der die spätere Erzählung vom Anschlag der Thesen gegen den Ablass am 31. Oktober 1517 verbunden ist.93 Es liegt nahe, anzunehmen, dass dieser Ablass erst dadurch ent­ stand, dass die Heiligkeit von Franz selbst auf den Ort, an dem er viele  Jahre seines Lebens verbracht hat, ausstrahlte. Dann handelt es sich um eine Würdigung der Portiuncula nach dem Tod von Franziskus im Jahre 1226. Eine ganze Reihe von Erzählungen aus dem 13. Jahrhun­ dert sieht dies allerdings anders und stellt Franz selbst als Anreger des Portiuncula-Ablasses vor. Wie schon unter Crescentius von Jesi gehen diese Zeugnisse auf einen Aufruf des Generalministers zurück, Erin­ nerungen an Franziskus zu sammeln. Der Aufruf stammte diesmal von Hieronymus Massi von Ascoli und erging im Jahr 1276.94 Unter den ein­ gegangenen Zeugnissen befindet sich nach einem Kodex aus der Zeit um 1300 auch der Bericht des Pietro Zalfani, der bei der Weihe der Por­ tiuncula-Kirche zugegen gewesen sein soll. Franz habe hiernach sei­ nerzeit einen Zettel geschwenkt, auf dem für den Besuch der Kirche ein sofortiger Ablass zugesagt worden sei.95 Im selben Dokument berichtet Benedikt von Arezzo, der sich als einer der ganz frühen Anhänger von Franz vorstellt,96 er habe von einem Bruder einen Bericht gehört, wie Franz anlässlich eines Besuches von Papst Honorius in Perugia von die­ sem einen Ablass für die Portiuncula erbat und gewährt bekam.97 Dass die Erzählungen die Erinnerung an den Aufenthalt des Paps­ tes in Perugia im Jahre 1216 bewahren, ist zwar bemerkenswert – sonst aber wird man ihnen nicht allzu viel Gewicht beimessen dürfen. Dass die Gewährung des Portiuncula-Ablasses an Franz erst ein halbes Jahr­ hundert nach dessen Tod ins Bewusstsein getreten sein soll, ist wenig glaubwürdig, und die Berichte sind doch sehr distanziert, im Falle Be­ nedikts deutlich aus zweiter Hand. Lässt man hier wie sonst auch eine quellenkritische Vorsicht zum Zuge kommen, so wird man wohl sagen müssen, dass der Portiuncula-Ablass erst nach dem Tod von Franz ge­ 231

4. Kapitel: Ordnung

währt und eingerichtet wurde – was nicht bedeuten soll, dass Franz dem Ablass als solchem gegenüber irgendeine Skepsis hätte spüren lassen. Auch hier dürfte er völlig selbstverständlich mit und in der Frömmigkeit seiner Zeit gelebt haben.

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens Die Regula non bullata: eine Regelsammlung

Die Orientierung an der Kirche und ihren Normen, die sich in diesen Verhaltensweisen zeigt, ist in das Leben des Franz nicht ganz einfach einzuordnen: Einerseits steht sie wie beschrieben am Anfang seiner Er­ neuerungsbewegung, hat ihren tiefen Grund in der erleichternden, hilf­ reichen Begegnung mit Bischof Guido, andererseits scheint sie immer mehr gewachsen zu sein. Wenn die Beobachtung stimmt, dass Franz tatsächlich bewusst bestimmte Vorschriften des Vierten Lateranums propagierte, darf man darin wohl eine Aktivierung der Kirchlichkeit se­ hen, die seit den Anfängen latent vorhanden war: Aus dem treuen Glied der Kirche wurde so einer, der sich ganz bewusst in ihren Dienst stellte. Es ging nicht mehr um eine bestimmte Existenzform, deren Duldung er sich von der Kirche erhoffte, sondern Franz setzte sich auch jenseits der engeren Rahmenbedingungen dieser apostolischen Lebensweise für die Anliegen der Kirche ein. Ohne ein Amt in ihr zu haben, wurde er zu einer wichtigen Figur in ihrem Gefüge, die zugleich die Authentizität apostolischer Ursprünglichkeit wie die Treue zu Papst und Konzil ver­ körperte – ein leuchtendes Gegenbild zu jenen Häretikern, die meinten, genau dies nicht vereinen zu können. Zu der zunehmenden Verkirchlichung der Existenzweise gehörte auch, dass die Gemeinschaft um Franz klare organisatorische Gestalt erhielt. Bei dem ersten Treffen mit Innozenz  III. hatte Franz ja offen­ kundig noch erstritten, seine Gemeinschaft außerhalb alter Ordens­ strukturen halten zu können. Gereicht hatte hierfür eine vermutlich außerordentlich knappe und im Blick auf Verfassungsfragen wenig aus­ sagekräftige forma. Zunehmend aber arbeitete Franz diese weiter aus zu jenen Texten, die schon verschiedentlich herangezogen wurden: der sogenannten nichtbullierten Regel und der bullierten Regel. Das gän­ 232

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens

gige Unterscheidungsmerkmal drückt sich im Namen aus: Der ersten wurde keine Bewilligung durch eine päpstliche Bulle zuteil, die zweite hingegen erlangte durch eine solche offizielle Gültigkeit. Damit enden die Gewissheiten allerdings auch schon. Die Unsicherheiten betref­ fen dabei weniger die Regula bullata. Dass diese noch zu Lebzeiten von Franziskus, am 29.  November  1223, durch die Bulle „Solet annuere“98 von Papst Honorius III. bestätigt wurde, dürfte außer Zweifel stehen. Ebendiese Gewissheit fehlt bei dem Text, der als Regula non bullata geführt wird. Die traditionell erzählte Entstehungsgeschichte steht auf recht unsicheren Füßen: Demzufolge kam die Arbeit an dieser Regel nach „einer über zehn  Jahre währenden schwierigen Redaktionsge­ schichte (…) auf dem Pfingstkapitel 1221 zum Abschluss“.99 Diese Schil­ derung kombiniert zwei unterschiedliche Angaben aus den Quellen. Die drei Gefährten nämlich berichten, Franz habe im Laufe der Zeit mehrere Regeln verfasst100  – das klingt nach jeweils fertigen Texten und hat insbesondere die franziskanische Forschung auf der Suche nach den eigenen Wurzeln dazu motiviert, abgeschlossene Textstücke zu benennen, die man als solche Regeln identifizieren kann. Eine sol­ che fand man dann in einer Sammlung, die in einer ganzen Anzahl von Handschriften, zum Teil auch in Übersetzungen erhalten ist.101 Dass diese untereinander variieren, ist dabei kein zwingender Grund zu der Annahme, dass es sich nicht um einen einmal beschlossenen Text han­ deln könne: Solche Varianzen sind in mittelalterlichen Texten durchaus gang und gäbe. Gleichwohl fehlt ein Hinweis auf einen förmlichen Be­ schluss – und der direkteste Hinweis auf eine Datierung macht einiger­ maßen Beschwer, wird im Prolog doch ausdrücklich Papst Innozenz III. genannt, und zwar als Lebender.102 Da dieser 1216 gestorben ist, käme man so in eine relativ frühe Entstehungszeit. Ganz zutreffen kann diese aber nicht, da wiederum eine Bestimmung in dem Regeltext selbst aus­ drücklich auf eine päpstliche Bulle verweist, die erst am 22. September 1220 erlassen wurde103 – will man beides miteinander verbinden, so ist die nächstliegende Erklärung, dass es sich bei dem Text um eine all­ mählich gewachsene Schrift handelt und mit der Erwähnung von Inno­ zenz im Text eine ältere Notiz stehen geblieben ist, die auf die Anfänge der Regelbildung, vielleicht sogar im  Jahre  1209, verweist. In der Tat läuft die überwiegende Deutung104 der Entstehung darauf hinaus, dass der Text der sogenannten Regula non bullata in dieser Weise nach und 233

4. Kapitel: Ordnung

nach redaktionell erweitert, ergänzt und korrigiert wurde. David Flood hat diesen Entstehungsprozess sorgfältig rekonstruiert und dabei auch gezeigt, dass nicht Franz allein als Autor der sogenannten nichtbullier­ ten Regel anzunehmen ist, sondern eine ganze Anzahl von Brüdern hie­ ran mitgewirkt hat.105 Jordan von Giano berichtet beispielsweise, dass der Bruder Caesar von Speyer die Entwürfe mit Bibelzitaten „ausge­ schmückt“ habe.106 Während dieser damit der ausdrücklichen Bitte von Franziskus selbst folgte, gibt es auch Hinweise auf ­Widerstände gegen dessen Pläne. Einen Eindruck hiervon gibt die Legenda Perusina: Hier­ nach habe Franz die Absicht gehabt, seine eigene Sorgfalt im Umgang mit den Täfelchen der Einsetzungsworte in der Regel festzuhalten. Da­ rin hätte dann bestimmt werden sollen, „dass, wo immer die Brüder aufgeschriebene Worte und Namen des Herren, durch die das allerheiligste Sakrament vollzogen wird, nicht gut aufbewahrt und unehrenhaft an irgendeinem Ort hingeworfen fänden, sie diese sammelten und aufbewahrten“.107 Die Minister aber, also wohl die Kapitelversammlung, hätten sich dage­ gen verwandt.108 Unabhängig von der Frage, ob die Schilderung für die­ ses einzelne Bestimmung so zutreffen mag: Die Erzählung gibt einen Eindruck davon, wie man sich im frühen 14. Jahrhundert den Entste­ hungsprozess der Regel vorstellen konnte, und tatsächlich unterstüt­ zen die Wandlungen, die der Text durchlief, diese Vorstellung. Mit dieser Einsicht in die allmähliche Entstehung ist aber die Frage nicht gelöst, ob es hierfür eine Abschlussredaktion auf jenem Pfingstka­ pitel gegeben hat – und ihm folgend eine Ablehnung der Anerkennung der Regel durch den Papst. Das wäre auch insofern ein interessanter Vorgang, als er überdeutlich machen würde, dass die Stellung von Franz an der Kurie alles andere als unstrittig und er selbst vom Papst in höchs­ tem Maße abhängig war. Für eine solche Beschlussfassung im Orden gibt es jedoch kein eindeutiges Zeugnis.109 Ihre Annahme knüpft neben dem erwähnten Hinweis, dass die letzte Ergänzung des Textes frühes­ tens 1220 erfolgt sein kann, an ausgiebige Schilderungen eines großen Ordenskapitels, eines Treffens aller Mitglieder in Assisi, im Jahre 1221 an. Allerdings nennt kein Bericht davon einen Beschluss über die Regel, auch nicht Jordan von Giano, der – neben den stark legendarischen Fio234

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens

retti110 – die ausführlichste Schilderung gibt. Diese hatte ohnehin einen anderen, persönlicheren Grund. Es war dieses Kapitel, auf dem, nach seinem Bericht mehr gedrängt als aus freien Stücken, sein Entschluss fiel, nach Deutschland zu gehen.111 So lässt sich also an den Berichten nicht festmachen, dass das Kapitel  von 1221 eine Regel beschlossen hätte. Ebenso wenig lässt sich aus den Schilderungen ableiten, dass eine solche Regel mit dem traditionell als Regula non bullata identifizier­ ten Text identisch wäre. Wenn man erst einmal anerkennt, dass dieser Text allmählich durch viele Hände hindurchgegangen und gewachsen ist, und zudem sieht, dass es nicht nur abweichende Handschriften gibt, sondern auch eine zu Teilen deutlich eigenständige Textfassung,112 werden die Fragezeichen umso größer, zumal Kajetan Eßer festgehal­ ten hat, dass die Texte mit diesen Regelfragmenten „vor dem Einsetzen der handschriftlichen Überlieferung des heutigen Textes der Regula non bullata liegen“.113 Diese komplexe Überlieferungslage fordert wohl einen anderen Zugang als den, der nach festen, beschlossenen Regelwerken sucht: Eher scheint nach den Untersuchungen Floods die sogenannte Regula non bullata nur eine – freilich recht späte – unter verschiedenen Textfassungen zu sein, die ohne besondere Entscheidung über ihre Gültigkeit nebeneinander bestanden,114 bis schließlich die endgültige Regelfassung entstand, die auch bulliert wurde. Dass die sogenannte Regula non bullata unter den Entwürfen eine besondere Prominenz gewann, lag dann nicht an einem solennen Beschluss der Brüder, son­ dern an ihrer Wirkung: Es waren insbesondere die Spiritualen, die sie tradierten,115 also jene radikalen Ströme im Franziskanerorden, die nach dem Tod des Franz meinten, gegen zunehmende Laxheit kämpfen zu müssen. Sie fanden in diesem Text, ebenso wie im Testament des Or­ densstifters, eine willkommene Alternative zu der offiziellen Ordensre­ gel. Mit einer solchen Erklärung löst man nicht nur das textkritische Problem, sondern man muss auch nicht weiter davon ausgehen, dass Franz mit einem Beschluss seiner Gemeinschaft beim Papst grandios gescheitert wäre. Die verschiedenen Regeln, von denen die Gefährten sprechen, wären dann immer neue Anläufe, das Recht der werdenden Gemeinschaft in schriftliche Form zu bringen. Andere Zeugnisse sor­ tieren dementsprechend auch anders.  Schon Johannes von Perugia kennt nur zwei Regeln: die 1209 vorgelegte, viel zu knappe und die 1223 235

4. Kapitel: Ordnung

vom Papst bullierte, als die „andere Regel“.116 Alles zwischen diesen bei­ den Eckdaten sind Entwürfe unterschiedlichster Art. Die Fassungen wichen voneinander ab, konkurrierten vielleicht auch untereinander. Der als Regula non bullata tradierte Text ist mithin Teil einer lebendigen Auseinandersetzung um das Verständnis des Ordens in den Jahren zwi­ schen 1209 und 1223 – mehr nicht, aber eben darin sehr viel. Denn mög­ licherweise lässt ein solcher, aus dem Geschehen heraus gewachsener Text mehr von franziskanischer Spiritualität durchblicken als verfes­ tigte Regeltexte.

Hugolin: Beschützer und Verbesserer

Das gilt insbesondere im Vergleich mit der dann tatsächlich 1223 bul­ lierten Regel. Sie trägt zweifellos auch die Handschrift von Franz: Noch in seinem Testament bekennt er sich dazu, ihr Autor zu sein.117 In demselben Testament aber nennt er auch die Person, die nach ih­ rem eigenen Bekenntnis118 maßgeblich daran beteiligt war, dass aus der Sammlung geistlicher Überlegungen eine Regel werden konnte, die einem Orden Struktur gab: Hugolin von Ostia, der spätere Papst Gregor IX. (1227–1241). „Herr, Beschützer und Verbesserer der ganzen Bruderschaft“ nennt Franz ihn („dominus, protector et corrector totius fraternitatis“)119 und umschreibt damit ein Amt, von dem er sich nach der Regula bullata vorstellte, dass es auch unabhängig von den Personen dauerhaft die Unterordnung seines Ordens unter den Heiligen Stuhl si­ chern sollte.120 Man kann auch sagen, Hugolin war das Scharnier zwischen der päpstlichen Oberhoheit und dem werdenden Orden, und zwar, wie die Titulatur bei Franz ausdrückt, in beide Richtungen: Er hielt die Hand über Franz und die Seinen, und er sicherte zugleich ab, dass ihr Weg mit der Kirche konform blieb. Nach dem Bericht Celanos wie auch des Johannes von Perugia war es Franz selbst, der – wohl im Jahre 1220121 – Honorius III. darum ersucht hatte, Hugolin als „Vater und Herrn“ einzu­ setzen122. Möglicherweise kannten beide sich zu dem Zeitpunkt schon länger: Celano erwähnt eine Begegnung zwischen ihnen in Florenz, die nach den sorgfältigen Rekonstruktionen von Ernst Brem wohl bereits im Jahre 1217 stattgefunden haben muss.123 Dies scheint allerdings eine eher beiläufige, vielleicht auch nicht die erste124 Begegnung gewesen zu sein. Wie genau es zu dem Kontakt zwischen beiden gekommen war, 236

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens

bleibt unklar, ebenso, wer letztlich die Initiative zur Zusammenarbeit ergriff. Nach dem Bericht der drei Gefährten kann man mit einer ge­ genseitigen Bewegung aufeinander zu rechnen: Nach dem Tod des Jo­ hannes von St. Paul im Jahre 1214 oder 1215, der sich offenbar nach 1209 weiterhin für den Orden verantwortlich gefühlt hatte, habe Hugolin seine Aufmerksamkeit auf die Bruderschaft um Franz gerichtet – dieser habe von dem guten Ruf Hugolins gehört und sei mit einigen Brüdern zu ihm gereist, um ihn um Hilfe zu bitten. Diese habe der Kardinal dann gewährt.125 Es folgte eine Verfestigung ihrer Beziehung. Dabei dürfte das Schutzbedürfnis angesichts schwieriger Verhältnisse in manchen Bistümern, „bei denen die Brüder Qualen erlitten hatten“,126 im Vorder­ grund gestanden haben. So berichtet es Johannes von Perugia, und er hebt besonders Ungarn, Deutschland und andere Gegenden jenseits der Alpen als Provinzen hervor, in denen die Brüder bedrängt wurden.127 Hinzu kamen interne Schwierigkeiten des Franz, der seine Gemein­ schaft nicht mehr klar genug führen und orientieren konnte.128 Vermut­ lich war einer der Gründe auch, dass Franz’ Reise in den Orient, die ja im Jahr vor Hugolins Ernennung stattgefunden hatte, zu Chaos geführt hatte129: Die oben erwähnte Veränderung der Fastenvorschriften er­ folgte gerade in dieser Zeit und wurde von den beiden Stellvertretern, die Franz zurückgelassen hatte, Matthäus von Narni und Gregor  von Neapel, in seiner Abwesenheit erlassen.130 Franz konnte sich gegen sie und ihre Anhänger offenbar nicht mehr alleine durchsetzen und erhielt nun Hilfe von Hugolin. Die Konstellation kam allen Beteiligten zugute. Hugolin hatte einen strategisch schärferen Blick als der Papst auf den Nutzen, der der Kir­ che aus Franz’ Wirksamkeit entstehen konnte, und er war auch nicht ein Fremdkörper für dessen Entwicklung. Sehr nüchtern fasst Raoul Manselli zusammen: „Alle franziskanischen Quellen stimmen im Üb­ rigen – wenn auch mit verschiedenen Nuancen – darin überein, Hugo­ lin Gewicht und Bedeutung beizumessen. Sie schreiben ihm aber auch keine Einmischung bedeutenden Ausmaßes zu“.131 Die Integration dieser Bruderschaft, die so viele Anliegen aus der vita-apostolica-Bewe­ gung aufnahm, in die Kirche trägt im Wesentlichen seine Handschrift – und sie war mit der Aufnahme in die Kirche auch eine Zähmung. Un­ geachtet der Vorbehalte des Vierten Lateranums entstand so ein neuer Orden, der innerhalb der Kirche die Armutsforderung authentisch ver­ 237

4. Kapitel: Ordnung

wirklichen konnte, aber nicht gegen sie wandte. Gelingen konnte dies, weil Hugolin einen klaren Blick für kirchenpolitische Belange mit einer tiefen spirituellen Nähe zu Franz verbunden zu haben scheint. Freilich muss man hier besonders vorsichtig sein: Die Celano-Vita, die die Erin­ nerung hieran auch für die anderen Quellen vorprägte, war schließlich im Auftrag des mittlerweile zum Papst gewählten Gregor IX. geschrie­ ben. Sie gibt also wieder, was diesem angenehm gewesen sein dürfte, ja Celano berief sich für die Berichte über ihn sogar auf Gregor selbst.132 So ist es wohl vor allem dessen Selbstbild, das wir durch Celano zu hören bekommen.133 Danach hätte Hugolin den Heiligen schon zu Lebzeiten wie einen Apostel Christi verehrt, sich vor ihm verbeugt und ihm die Hände geküsst.134 Das wäre in der stark über symbolische Kommuni­ kation funktionierenden mittelalterlichen Gesellschaft eine extreme Herablassung eines Kardinals gewesen. In Wirklichkeit sahen dessen Demutsgesten wohl anders aus, waren aber immer noch für einen hoch angesehenen Geistlichen beachtlich genug: Die Gefährten berichten, Hugolin habe, seit er zum Protektor bestimmt worden war, alljährlich die Kapitelversammlungen der Brüder besucht – diese seien ihm dann entgegengelaufen, wenn er kam, und er sei, als man aufeinanderge­ troffen sei, vom Pferd gestiegen und mit den Brüdern bis zur Portiun­ cula-Kirche gelaufen.135 Die symbolische Überordnung wurde so zur geistlichen Einordnung  – mehr wird man nicht vermuten dürfen. Die weiterreichenden Schilderungen Celanos klingen eher nach der Rück­ projektion eines Papstes, der eben Franz heiliggesprochen hat, auf frü­ here Lebzeiten, um gewissermaßen rückwirkend Anteil am Glanz der Heiligkeit zu erhalten. Das gilt wohl ebenso für die umgekehrt ihm von Franz entgegenschlagende Verehrung, nach welcher Franz ihn wie eine Mutter und einen Vater geliebt hätte.136 Welch schöne Vorstellung: End­ lich hätte Franz hier, mehr als ein Jahrzehnt nachdem er das leibliche Elternhaus verlassen und womöglich nie wieder betreten hatte, wieder einen geistlichen Vater gewonnen. Tatsächlich dürfte das Verhältnis for­ maler gewesen sein, geprägt durch die Unterordnung des Franz unter den Kardinal, die ja ganz und gar seinen eigenen Weisungen entsprach, sich den Priestern stets unterzuordnen. So erwähnen Celano wie Jo­ hannes von Perugia die hochachtungsvolle, am Ende aber doch recht förmliche Anrede, die Franz in seinen Briefen an Hugolin, von denen leider keiner erhalten ist, gewählt haben soll. Sie enthielt zwar die Vater­ 238

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens

anrede, aber nicht im Sinne einer emotionalen oder auch nur seelsorgli­ chen Bindung, sondern in deutlicher hierarchischer Zuordnung: „Dem ehrwürdigen Vater in Christus, dem Bischof der ganzen Welt“.137 Und auch die Titel, die Franz selbst in seinem Testament wählte, Beschüt­ zer und Verbesserer, drücken von der intimen Väterlichkeit, die Celano nahelegt, wenig aus. Beide dürften gleichermaßen bedeutsam gewesen sein: Des Schutzes bedurfte die junge Gemeinschaft ebenso wie der Verbesserung. Über den notwendigen Schutz berichtet recht genau Johannes von Perugia: Hugolin habe gleich nach seiner Bestimmung zum Ordenspro­ tektor an mehrere Prälaten einen Brief gerichtet und sie dazu aufgefor­ dert, den Brüdern „zum Predigen und Wohnen in ihren Provinzen Rat und Hilfe“ zu geben.138 Vor den geschilderten Hintergründen bedarf es nicht viel Phantasie, sich die Konflikte auszudenken, die hinter dieser Intervention Hugolins standen. Offenkundig waren die Brüder in das Raster antiwaldensischer Maßnahmen geraten beziehungsweise von den Bischöfen nach ebenden Maßregeln behandelt worden, die man seinerzeit gegen diese angewandt hatte. Das Problem war die nichtau­ torisierte Predigt, deren Bestätigung so direkt von einem Kardinal im Auftrag des Papstes erfolgte.

Regula bullata

Die Verbesserung und Zurechtweisung hingegen äußerte sich sehr konkret in der obersten Aufsicht Hugolins über rechte Ordnung und rechten Glauben in der Gemeinschaft: Wenn im Orden ein Priester auffiel, weil er die Messe nicht richtig vollzog oder nicht rechtgläubig war („non essent catholici“), sollten alle anderen Brüder verpflichtet sein, ihn der Hierarchie entlang dem Kardinalprotektor auszuliefern.139 So bestimmte es Franz noch in seinem Testament und machte damit die vordringlichste Aufgabe Hugolins deutlich: die Ketzeraufsicht. So greift beides ineinander: Abwehr ungerechter Ketzervorwürfe von außen und Reinigung von Ketzerei nach innen. Mit dem Vorgehen ge­ gen Häresien verband sich die Sorge darum, dass die Verfassung des Ordens adäquate Gestalt gewann. Im Wesentlichen sollte es dann die Handschrift Hugolins sein, die die Regula bullata formte. In einem Ein­ zelfall können wir recht genau das Zusammenspiel aus Respekt für die Anliegen von Franz und deutlicher Korrektur beobachten: Vermutlich 239

4. Kapitel: Ordnung

irgendwann zwischen 1217 und 1223140 schrieb Franz einen Brief an ei­ nen Minister des Ordens, also einen Vertreter der Leitungsebene, der ihm Sorgen im Blick auf den Umgang mit in Sünde gefallenen Brüdern vorgetragen hatte. Dies nahm Franz so auf, dass er einen recht umfäng­ lichen Passus zur Aufnahme in die Regel vorschlug, genau genommen ankündigte: „Wir werden einen solchen Abschnitt verfassen“.141 Aus den sieben Versen, die dieser Abschnitt in der heutigen Zählung umfasst, ist aber dann 1223 nicht einmal ein ganzer unmittelbar in die Regula bullata aufgenommen worden142 – und dies, obwohl Franz dem unbekannten Minister noch den taktischen Hinweis gegeben hat, er möge das Schrei­ ben mit auf das Kapitel nehmen, um ihm so zu seiner Durchsetzung zu verhelfen.143 Auf diese Weise, allein mit der Autorität des Ordensgrün­ ders, funktionierte es nicht. In rechtlicher Hinsicht dürfte Hugolins Gewicht weit größer gewesen sein. Die Versatzstücke, die Franz ihm in der Sammlung der Regula non bullata lieferte, waren nicht mehr ganz so weit von einer Regel entfernt, wie es die Ur-Regel von 1209 gewesen sein dürfte, aber aus Sicht eines erfahrenen Kardinals müssen sie wie ein Sammelsurium erschienen sein: Vorschriften wechselten sich mit Mus­ terpredigt und Gebet ab. All das hatte eher die Gestalt geistlicher Wei­ sungen als einer justiziablen Regel. Die Regula bullata dagegen zeigte ein anderes Gesicht. Das begann mit dem Eintritt, der, ganz im Sinne Hugolins, klar geregelt wurde. War der Eintrittswillige nach der soge­ nannten nichtbullierten Regel vom Minister lediglich über den Grund­ ton des Lebens der Gemeinschaft zu informieren,144 sah die bullierte Regel eine Prüfung über den katholischen Glauben und die Sakramente der Kirche vor145 – dies war ebenso geregelt wie die Absicherung, dass man mit dem Ordenseintritt nicht einfach eine Ehefrau zurückließ.146 In ihren erkennbar knapp und zielorientiert abgefassten Regelungen war die Ordnung darauf ausgerichtet, eine klare Leitung zu bestimmen: An der Spitze stand ein Generalminister.147 Unter ihm war der Orden nach geographischen Räumen in Provinzen geteilt, denen jeweils ein Provinzialminister vorstand. Darunter wiederum wurde die Leitung „kleinerer Bezirke“ an Kustoden übertragen148 – wie dies aussah, lässt sich an einem bekannten Bespiel ablesen: Thomas von Celano selbst war als Kustos für den Bereich um Mainz, Worms, Köln und Speyer zuständig.149 Wie bei den Bistümern auch mögen die Bezirke in Italien kleiner gewesen sein als nördlich der Alpen, aber dies gibt einen unge­ 240

3. Noch ein Vater? Hugolin von Ostia und die Verfassung des Ordens

fähren Eindruck vom Umfang der Aufgabe der Kustoden. Merkwürdi­ gerweise wird die unterste Ebene in den Regeln gar nicht erwähnt: Für die einzelnen Häuser waren die Guardiane zuständig.150 Wichtig für die gesamte Ordensstruktur war: Man verstand sich nicht als Hierarchie im strengen Sinne, sondern als Dienstgemeinschaft, wie sich schon daran zeigt, dass Leitungsfunktionen jeweils mit dem Be­ griff minister, Diener, bezeichnet wurden. Doch wurde die Strenge der Ordnung und damit wohl auch die Schlagkraft des Ganzen hochgehal­ ten. Während in Vorformen noch Wert darauf gelegt worden war, aus­ drücklich zu bestimmen, dass ein Bruder nicht dazu verpflichtet war, Vorschriften seiner Oberen zu folgen, die gegen sein Gewissen („con­ tra animam suam“) gingen,151 war die Widerstandsmöglichkeit in der bullierten Regel auf die Leitungsebene in ihrer Gesamtheit verlagert: Provinzialminister und Kustoden sollten gemeinsam  die Möglich­ keit haben, einen Generalminister abzusetzen.152 Die Formalisierung des Aufbaus und auch der Sprache dieses Textes kann man auf unter­ schiedliche Weisen wahrnehmen: Sie drückt zunächst Normalisierung aus.  Die Bruderschaft war nun, im  Jahre  1223, tatsächlich zu einem Orden geworden. Von der Spontaneität des Franziskus aber, die am Anfang gestanden hatte, ist hier nicht mehr viel zu spüren. Spontanei­ tät haftet am Augenblick, bestenfalls an einer Person. So hat Hugolins Durchstrukturierung des Ordens gewiss dazu beigetragen, dass die Gemeinschaft, die Franz gebildet hatte, auch ohne ihn würde weiterbe­ stehen können – und indem er später als Papst die Heiligsprechung von Franz betrieb, hat er ihr noch weiteren Auftrieb gegeben. Franz’ Erbe konnte so Dauer gewinnen – er selbst aber rückte immer ferner.

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5. Kapitel: Rückzug

1. Die Gefahren der Welt Geld

Franz’ Biographie ist nicht nur wegen der Quellenproblematik schwierig zu erzählen: In ihr tun sich auch manche Lücken auf, zumindest wenn man nach äußeren Ereignissen sucht. Nach der Abwendung vom Eltern­ haus, der Bekehrung und der Sammlung der ersten Anhänger wissen wir von den Geschehnissen im Einzelnen nur wenig. Die Begegnungen mit Papst Innozenz und mit Sultan al-Malik al-Kamil ragen heraus und lassen sich recht genau datieren – sonst bieten die Viten manchen Stoff, aber die Zuordnung der Geschehnisse zu Daten bleibt schwierig und spekulativ. Die Vogelpredigt, wenn sie denn einen historischen Anlass hat, ist nicht zu datieren, der Sonnengesang nur näherungsweise. Ein Leben, zumal das eines religiösen Menschen, besteht indes nicht nur aus äußeren Ereignissen. Ebenso wichtig, ja vielleicht wich­ tiger sind die inneren Vorstellungen. Freilich begegnet hier sofort ein neuerliches Warnschild moderner Geschichtsschreibung: Über das Innere eines Menschen wissen wir aus den Quellen nichts. Das ist übri­ gens nicht nur eine historische Einsicht, sondern eine zutiefst theolo­ gische: Das Innerste des Menschen ist letztlich nur Gott offenbar. Und doch gibt sich Inneres in Äußerungen kund. Man kann also wenigstens dem nachgehen, wie Franz’ Religiosität von seinen Biographen ver­ standen wurde, und dort, wo wir Äußerungen von ihm selbst haben, wie er selbst sie verstanden wissen wollte. Auch die Suche nach der Spiritualität von Franz steht mithin unter Vorbehalten, aber sie ist, ebenso wie die anderen Aspekte seiner Bio­ 242

1. Die Gefahren der Welt

graphie, nicht gänzlich hoffnungslos.  Bis zu einer Grenze, die es zu bewahren und zu beachten gilt, immerhin, kommt man seiner Fröm­ migkeit näher. Manches wurde schon in den Predigten sichtbar, in de­ nen er sich an andere wandte, sie überzeugen, bekehren, zur Umkehr bewegen wollte. Das Bild, das darin erschien, war zutiefst zwiespältig: Friede und Gericht gehören bei ihm zusammen, Teufel und Gott sind für sein Weltbild beide bestimmend. Neben dem Franz, der im Son­ nengesang Töne anschlägt, die heutigen Vorstellungen vom ökologi­ schen Miteinander der Geschöpfe entgegenkommen, steht der Bußru­ fer; seine Botschaft vom Frieden ist ohne das Gericht, auch und gerade über die Andersgläubigen, nicht zu hören. In diesen theologischen Äußerungen spiegelt sich psychologisch eine Ambivalenz, die in den ersten Jahren des Franziskus grundgelegt war: Am Anfang dieses geistlichen Lebens stand die Diskrepanzerfah­ rung, stand die negative Wahrnehmung der eigenen Herkunft und des Elternhauses. Das große Nein war der Beginn, die Auseinandersetzung mit dem Vater, die Kritik an dessen als schal empfundener Christlich­ keit. Erst jenes Evangelium der Aussendungsrede, das Franz hörte, als er sich schon zur Portiuncula zurückgezogen hatte, gab Gewissheit und Klärung. Diese bedeutet aber nicht, dass die Härten aus Franz’ geistigem Haushalt verschwunden wären. Dass Franz die Schöpfung loben konnte, heißt nicht, dass für ihn die ganze Welt gut war. Viel zu sehr wirkte in ihm die biblische Tradition fort, für die Welt stets mehr ist als die Beschreibung eines bestimmten Ortes oder eines bestimm­ ten Gefüges: Der Jesus Christus, der von sich sagen konnte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh  18,36), hat der christlichen Tra­ dition eine theologische Abwertung der „Welt“ als Gegenüber Gottes eingeschrieben. Franz war nicht der Erste, der Schwierigkeiten damit hatte, diese Vorstellung mit dem Gedanken von der guten Schöpfung Gottes zusammenzubringen. Eines freilich ist sehr offenkundig: Störfaktor in dieser Welt ist der Mensch – der Bußruf zielte ja gerade darauf ab, dessen Sünde offenzu­ legen und ihn zur Besserung zu bewegen. Angesichts von Franz’ Ent­ wicklung ist es nicht erstaunlich, dass er dies in besonderer Weise an den wirtschaftlichen Interessen und Orientierungen festmachte. Da­ bei darf man von ihm keine Analyse der Handelsformen in der italieni­ schen Städtelandschaft seiner Zeit erwarten, die ganz auf den jeweili­ 243

5. Kapitel: Rückzug

gen persönlichen Gewinn des Kaufmanns ausgerichtet waren und so manches mit sich brachten, was man später im kapitalistischen Wirt­ schaften als Grundproblem wahrnehmen kann. Für Franz hat sich die Abweisung der Wirtschaftsformen seiner Zeit zusehends in einer Ab­ lehnung von Geld an sich materialisiert.1 Während für die Anfänge der Bruderschaft noch belegt ist, dass Bernhard den Geldbeutel mit sich führte (s. o.  108) und auch Franz sich von diesem Geld etwas nahm, um jenen Silvester ruhigzustellen, der sich durch die Umwidmung des Geldes vom Kirchenbau zur Armenfürsorge brüskiert gefühlt hatte, verschwindet es später und wird mit scharfen Invektiven belegt. Die Existenz des Geldes in der Frühphase erklärt sich aus Bernhards Be­ kehrungsgeschichte, der ja, dem reichen Jüngling aus Mt  19 folgend, seine Habe verkauft und so in einem ersten Schritt in Geld umgesetzt hatte. Der auf diesen gemünzte Vers „Gehe hin und verkaufe alles, was du hast“ (Mt  19,21) findet sich auch noch in jenen Entwürfen, die als Regula non bullata zusammengestellt worden sind.2 Doch verbindet er sich hier mit Bestimmungen, deren Schärfe sich kaum mit der prag­ matischen Überlegung, dass Eigentum zu Geld gemacht wird, verträgt und die eine tiefgreifende Berührungsangst gegenüber dem Geld im wahrsten Sinn des Wortes zeigen: „Keiner der Brüder soll, wo immer er sei und wohin auch immer er gehe, Geld oder Münzen auf irgendeine Weise tragen oder in Empfang nehmen oder dafür sorgen, dass es in Empfang genommen wird, auch nicht bei Gelegenheit (des Verkaufs) von Kleidern oder Büchern oder als Lohn für irgendeine Arbeit, vielmehr bei keiner Gelegenheit, außer wegen einer offenkundigen Notdurft kranker Brüder; weil wir an Geld und Münzen keinen größeren Nutzen haben und schätzen dürfen als an Steinen.“3 So sehr es danach klingen mag: Das Geld, über das Franz hier spricht, besitzt in seinen Augen aus sich selbst heraus keine negative Kraft  – sonst könnte Franz die Ausnahme nicht zulassen, es für kranke Brü­ der zu verwenden. Die Zuordnung zur Sphäre einer widergöttlichen Macht, die sich in der Bergpredigt äußert: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt  6,24;  Lk  16,13), hat Franz so wohl ebenfalls noch nicht empfunden – der biblische Vers findet sich in Franz’ eige­ 244

1. Die Gefahren der Welt

nen Schriften nicht, und auch die ersten Biographen zogen ihn noch nicht heran. Das tat erst Bonaventura in seinen Predigten über Franzis­ kus. 4 Die weitreichende Tabuisierung des Geldes für die Brüder liegt nicht an einer Macht, die dieses aus sich heraus hätte, sondern an sei­ ner Verführungskraft für den Menschen: malitia und avaritia, Bosheit und Habsucht, sind Begriffe, die Franz gestützt auf das biblische Wort Lk 12,15 in der sogenannten Regula non bullata mit dem Geld verbindet,5 und er warnt, sich durch das Geld an die Sorgen dieses Lebens zu ver­ lieren. Dabei ist seine Verwendung des biblischen Textes besonders aufschlussreich: Er zitiert erkennbar den Vers „Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euer Herz nicht beschweren“ (Lk 21,34), erwähnt aber Rausch und Trunkenheit nicht, sondern fügt stattdessen eine Warnung vor der „Sorge dieser Welt“ ein.6 Deutlicher könnte kaum werden, wo die Gefahr für die Menschen in Franz’ Augen lauert: Nicht die Vergnügungssucht ist es, zu der die Brüder abgleiten können, sondern sie könnten sich durch die Sorge um Geld regieren lassen. So fasst Franz scharf, was in seinen Au­ gen das Problem der Wirtschaftsformen der norditalienischen Kauf­ leute im 13. Jahrhundert war. Sorge der Welt, das hatte ihn als jungen Kaufmannssohn beschäftigt, das dürfte auch noch das gewesen sein, was seine nunmehr totgeschwiegene Familie weiter beschäftigte – das galt es zu meiden. Diese Verlockung war letztlich Teufelswerk, das da­ rin bestand, den Ratschlag, Steine nicht für weniger wertvoll als Geld zu halten, zu missachten und daher nach Geld zu streben (appetere).7 Franz konnte nicht ahnen, dass Jahrhunderte später ein junges Mäd­ chen auf der Bühne sagen würde: „Nach Golde drängt,  | Am Golde hängt  | Doch Alles“,8 während es Geschmeide bewundert, das ihm der Teufel in seine Kammer gestellt hat. Aber in dieser Szene aus Goe­ thes Faust hört man, um Jahrhunderte an Erfahrungen reicher, einen Nachhall jenes Bewusstseins, dass das Geld Teufelswerkzeug ist – weil es dem Bemühen der Menschen in die Hände spielt, den eigenen Vor­ teil zu suchen statt das Gemeinsame. So gefährlich erscheint es Franz, dass Brüder, die doch damit hantieren, aus der Gemeinschaft ausge­ grenzt oder zur Buße geführt werden sollen.9 Ein solcher Bruder ist der, der den Geldbeutel hat. So erscheint nun mit einem Mal in dem Regeltext die Anspielung auf Judas, die offenbar bei Bernhard nieman­ den gestört hatte.10 Hier hatte sich die Gemeinschaft auf erstaunliche 245

5. Kapitel: Rückzug

Weise radikalisiert und prinzipialisiert – und behielt dies auch bei, als die Regula bullata akzeptiert wurde, in welcher der Abschnitt zum Geld zwar deutlich knapper ausfiel als in den Entwürfen, der Sache nach aber weiterhin klar ein Verbot der Annahme von Geld und Münzen au­ ßer für die Notlage Kranker vorsah.11 Dieser Verschärfung der Ansichten entspricht es, dass sich in den Entwürfen der sogenannten Regula non bullata wie in der endgültigen bullierten Fassung außerdem abzeichnet, dass zum Kennzeichen der kleinen Gruppe, die in der Anfangsphase überwiegend Arbeit nachge­ gangen war, nun mehr und mehr die Bettelei wurde. Möglicherweise griff man auf jene Erfahrungen zurück, die Franz selbst in seiner Zeit als Aussteiger gesammelt hatte, und auch in der Folgezeit hatte neben der Arbeit stets Betteln als Einnahmequelle gedient. So zeigen die Re­ gelentwürfe und die bullierte Regel eine Anerkennung beider Formen: Schon das obige Zitat aus der sogenannten Regula non bullata hat ja die Möglichkeit erwogen, dass das Geldverbot durch Annahme von Lohn für Arbeit unterlaufen werden könne. Und auch die bullierte Regel kannte eine eigene Bestimmung über den modus laborandi, die Weise zu arbeiten: Man solle zuverlässig und mit Andacht arbeiten. Neben dem Erwerb des Lebensunterhalts  – in Naturalien  – sollte die Arbeit eine Funktion der Selbstzucht haben und das Laster des Müßiggangs vermeiden helfen.12 Der Umgang mit der Arbeit war bei diesen Be­ stimmungen hochkomplex. Dabei sind für die möglichen Konflikte innerhalb der Gemeinschaft die in der Regula non bullata zusammen­ gestellten Stücke aussagekräftiger als die endgültige Regelform, der man den juristischen Charakter unter anderem darin anmerkt, dass sie möglichst allgemeingültig formuliert war. In der Regula non bullata wurden noch ausdrücklich bestimmte Berufe ausgeschlossen, insbe­ sondere die camerarii und cellarii,13 also Kämmerer und Kellermeister, das heißt solche Berufe, die mit Geschäften und Handel einerseits, mit Alkoholgebrauch und -missbrauch andererseits zu tun hatten.14 Hand­ werkliche Arbeit dürfte für mehr Brüder infrage gekommen sein als der gehobene Schreibdienst mit seinen entsprechenden Bildungsvoraus­ setzungen  – ausdrücklich wünschte Franz sich in seinem Testament daher, um das Überhandnehmen von Bettelei zu vermeiden, dass alle Brüder ein Handwerk erlernten.15 Freilich galt es hier gleichfalls, Vor­ sichtsmaßnahmen zu beachten. Franz und seine Berater erklärten in 246

1. Die Gefahren der Welt

der Regula non bullata, ein Handwerk könne dann ausgeübt werden, wenn es nicht gegen das Seelenheil verstoße und ehrenhaft durchge­ führt werde.16 Wer rechtliche Texte zu lesen versteht, merkt unmittel­ bar, dass dies zugleich die Anzeige eines Problems und Anstoß für wei­ tere war: So formuliert, mochte ein Maurer abwägen, ob die Errichtung eines Palazzos für einen Adeligen noch in Ordnung war – Arbeiten für ein Gebäude, in dem ein Kaufmann ein Geschäft unterbringen wollte, waren es hingegen nicht. Die Detailfreude der Regelungen zeigt, dass in den wenigen Jahren – gut eineinhalb Jahrzehnten – seit Beginn der Bruderschaft schon eine Menge Konfliktherde identifiziert worden waren, eine klare Richtschnur aber fehlte. Selbst der Umstand, dass die Werkzeuge eines Handwerkers legitimerweise in seinem Besitz sein durften17 und also dem Armutsgebot nicht widersprachen, musste eigens geregelt werden. Die Regeln sind so auch ein Zeugnis dessen, dass das Nebeneinander von Bettelei und bestimmten Arbeitsformen, wie es sich in der Frühzeit der Bruderschaft herauskristallisiert hatte, zu Lebzeiten von Franz nicht zu einer klaren organischen Lebensform geführt hatte.

Gegenbild: die Armut

Das eine wie das andere war Ausdruck der großen Bedeutung, die zu­ nehmend die Armut in der Bruderschaft gewann. Schon in dem Beina­ men „Poverello“, der „kleine Arme“, verdichtet sich die Bedeutung der Armut für Franz – und Celano berichtet in seiner zweiten Vita, dass die Brüder einmal darüber debattiert hätten, durch welche Tugend man am meisten zum Freund Christi werde. Hierauf habe Franz gesagt: „Ihr sollt wissen, Söhne, dass die Armut der besondere Heilsweg ist, dessen Frucht vielfältig ist, aber den wenigsten besonders bekannt“.18 Freilich ist dies wohl schon Niederschlag der weiteren Wirkungsgeschichte des Franz, denn eine solche Vorrangstellung der Armut vor allem ande­ ren findet sich bei ihm selbst nicht. Angesichts der engen Verbindung des Franz mit der Armut ist man im ersten Moment sogar überrascht, welch geringe Bedeutung diese Frage in Franz’ eigenen Schriften be­ sitzt. Dabei steht es außer Frage, dass die Gemeinschaft von Beginn an durch Armut, durch radikale Armut geprägt war – diese war freilich nicht in sich Ziel der franziskanischen Botschaft, sondern Folge der apostolischen Lebensweise. Die Aussendungsrede, die am Anfang 247

5. Kapitel: Rückzug

von Franz’ Auftreten gestanden hatte, enthielt klare Anweisungen zur Armut, die Bekehrung Bernhards rückte die Armen als Adressaten der Zuwendung in den Mittelpunkt, ihnen galt die solidarische Haltung der Bruderschaft. Aber man musste über Armut noch nicht viel dis­ kutieren – das erwähnte Beispiel des Geldbeutels illustriert dies viel­ leicht am besten: So lange armes Leben selbstverständlich war, störte er nicht. Erst als die Möglichkeit von Missbrauch erkennbar wurde, mussten die Verdikte über das Geld formuliert werden und die Frage der Armut und ihrer Regeln in den Mittelpunkt rücken. Für Franz war die Armut lange kein Thema, eben weil sie selbstverständlich war. Nir­ gends äußerte er sich so breit über das, was in Armut erlaubt war und was sie behinderte, wie in seinen Regeln – klassischerweise sind solche rechtlichen Texte auch der Ort dafür. Wo Franz Geistliches zum Thema beiträgt, ist das Entscheidende an der Armut nicht der Verzicht auf dieses oder jenes, sondern die innere Haltung. Zu der berühmten Seligpreisung aus der Bergpredigt – „Selig sind, die da geistlich arm sind“ (Mt 5,3)19 – gibt es im Lukasevangelium die Parallele: „Selig, ihr Armen“ (Lk  6,20). Doch nicht diese, auf das ­soziale Phänomen der Armut ausgerichtete Bibelstelle zitierte Franz, als er in seinen Admonitiones auf die Armut zu sprechen kam, sondern jene aus der Bergpredigt. Armut war für ihn zunächst einmal eine geis­ tig-geistliche Haltung, ein spirituelles Phänomen im wahrsten Sinne des Wortes. Jene geistliche Armut ist im lateinischen Text eine paupertas spiritu, eine Armut im Geist, und beim Geist geht es für das christli­ che Bewusstsein um den Heiligen Geist, durch welchen Gott selbst bei den Glaubenden präsent ist. Vor dem Hintergrund der späteren Strei­ tigkeiten um die rechte Armut im Franziskanerorden ist man geneigt zu sagen: Wer Armut von äußeren Erscheinungen her definiert, zäumt das Pferd von hinten auf – die äußere Armut ist Folge der geistlichen. Auch wenn dies biographisch wieder nicht ganz stimmt. Denn am An­ fang stand für Franz ja der spontane Sprung in die Armut im Konflikt mit seinem Vater. Wie so oft in seinem Leben kam die theologisch-bib­ lische Deutung hinterher. Gleichwohl hilft sie zu verstehen, wie sich in Franz’ mentaler Welt die Dinge zuordnen. Jene geistliche Armut, von welcher er in den Admonitiones spricht, gewinnt ihr Profil nicht aus der sozialen Welt des 13. Jahrhunderts, son­ dern aus der Frömmigkeit des Menschen, der sich, seinem Herrn Jesus 248

1. Die Gefahren der Welt

Christus folgend, aufs Äußerste erniedrigt. Das Leben ganz von Chris­ tus her bedeutet die Aufgabe jeden Eigenlobs und -stolzes, und so ist, gemäß der Maxime des Paulus, für den frommen Bruder der einzige Grund, sich zu rühmen, die eigene Schwachheit (vgl. 2 Kor 12,5) – und die Bereitschaft, in diesem Leben das Kreuz Christi zu tragen.20 Die Armut im Geiste ist eine der Ausdrucksformen dieses Kreuzes, denn „wer arm im Geiste ist, hasst sich selbst und liebt die, die ihn auf die Wange schlagen“.21 So heißt es in den Admonitiones, und Franz betont, dass eine solche Haltung fundamental tiefer geht als das Bemühen um äußere Frömmigkeitsübungen wie Gebete oder auch Messbe­ such.22 Gefordert ist der ganze Mensch, und zwar als der, der Abstand von seinem zutiefst sündigen Ego nimmt. Solche Äußerungen sollen nicht davon ablenken, Gutes zu tun  – im Gegenteil: Aus der inner­ lichen Erniedrigung in der Christusnachfolge resultiert die weitere Nachfolge23 in „Wort und Beispiel.“24 Dieses Beispiel äußert sich in ei­ ner permanenten Kontrolle der eigenen, selbstsüchtigen Affekte, in einer Verachtung alles Irdischen,25 die gewiss äußere Armut zur Folge hat, vor allem aber ein neues Verhältnis zu den anderen: Neid soll man meiden26 und dafür der Weisung Christi gemäß den Feind lieben, was Franz auf eine interessante Weise auslegt. Feindesliebe bedeutet, sich nicht dem Leid über zugefügtes Unrecht hinzugeben, sondern Mitleid für die Sünde dessen zu empfinden, der einem dieses Unrecht zuge­ fügt hat.27 Da schwingt die Haltung Jesu nach, der noch am Kreuz um Vergebung für die gebeten hatte, die ihm dieses Leid zugefügt hatten, „denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). All diese Handlungen sollen sich die Menschen jedoch nicht selbst anrechnen: Franz warnt vor Selbstruhm28 und schärft ein, dass alles Gute, was ein Christ oder eine Christin tun kann, nur etwas ist, was Gott „durch ihn tut“.29 Diese Spannung zwischen dem Auftrag, in der Welt zu wirken, und dem Be­ wusstsein, dass alles Wirken sich letztlich Gott verdankt, hat Franz in dem Brief an alle Brüder des Ordens besonders deutlich ausgedrückt. Am Beginn steht die Mahnung: „Daher hat er euch in die gesamte Welt geschickt, dass ihr durch Wort und Werk Zeugnis für seine Botschaft ablegt und alle wissen lasst, dass keiner allmächtig ist außer ihm“,30 am Ende aber ein Gebet mit dem Bekenntnis, dass „wir zu dir, Allerhöchs­ ter, allein durch deine Gnade gelangen  (…) können“.31 Diese Art von Gnadentheologie ist sehr charakteristisch für mittelalterliche Fröm­ 249

5. Kapitel: Rückzug

migkeit und daher später oft falsch verstanden worden: Mancher hörte nur die Mahnung zur Aktivität des Menschen und meinte, darin äußere sich der Anspruch auf Selbsterlösung, „Werkgerechtigkeit“, wie ein po­ lemisches Schimpfwort aus späterer Zeit sagte. Franz zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist: Tiefe Einsicht in die Sündigkeit und die dadurch gesetzten Grenzen des Menschen ist die eine Seite, das Vertrauen auf Gottes Gnade die andere. Vermittelt wird all dies durch das Kreuz, das die Gnade Gottes zeigt und zur Nachfolge motiviert. In diesem Horizont erst gewinnt das franziskanische Leben der Armut seinen Sinn  – entsprechend ist die Armut, wie oben erwähnt (s. o. 216), im „Gruß an die Tugenden“ in eine ganze Reihe von Tugen­ den eingereiht und unter ihnen nicht einmal die erste. Auch hier ist sie vor allem geistlich zu verstehen: Sie ist es, die „die Begierde und die Habgier und die Sorgen dieser Welt über den Haufen wirft“.32 Wenn­ gleich hier im Lateinischen ein anderes Wort steht: Der Hinweis auf die „Sorgen der Welt“ begegnete schon oben einmal. Da ging es um die Gefahren und Folgen des Geldes. Zu sehen, dass Armut für Franz pri­ mär etwas Geistliches ist, heißt nicht, sie von konkreten wirtschaftli­ chen und sozialen Bezügen zu lösen, sondern nur, ihr den rechten Platz in Franz’ Welt zu geben – nicht zuletzt, um vorschnelle Deutungen des religiösen Ekstatikers aus Assisi als Sozialreformer zu verhindern. Ge­ rade weil sein Protest bei den Äußerlichkeiten der Reichen seiner Zeit ansetzte, konnte Änderung für ihn nur von innen heraus kommen. Dieses Bewusstsein schwingt in dem Preis der Armut noch mit, den Franz dann in die endgültige Regelfassung einfügte, nun allerdings verbunden mit sehr deutlichen Verheißungen des jenseitigen Lohns: „Dies ist jene Erhabenheit der höchsten Armut, die euch, meine so sehr geliebten Brüder, als Erben und Könige des Himmel­ reiches eingesetzt hat. An Dingen hat sie euch arm gemacht, an Tugenden hat sie euch erhöht. Dies sei euer Anteil, der hinführt in das Land der Lebenden“.33 Die dankbare liebende Nachfolge Christi allein reichte als Motiva­ tion für ein Leben in Armut offenbar nicht mehr aus, es musste schon der himmlische Lohn hinzukommen, der den Hörern der Botschaft des Franz ja von Anfang an als Gegenbild zum angedrohten ewigen 250

1. Die Gefahren der Welt

Feuer vor Augen gestanden hatte. So hatte sich der Sache nach nichts geändert, wohl aber im Ton. Das lag auch daran, dass Franz immer schmerzlicher bewusst werden musste, dass die Armut jene Selbst­ verständlichkeit nicht mehr besaß, die sie für ihn in den ersten Jahren seines Büßerlebens gehabt hatte. In seinem Testament musste er dann die Armut noch einmal einschärfen, die aus dem Bewusstsein zu ver­ schwinden drohte: „Hüten mögen sich die Brüder, dass sie Kirchen, ärmliche Behausungen und alles, was für sie gebaut wird, auf keinen Fall annehmen, wenn sie nicht sind, wie es der heiligen Armut geziemt, die wir in der Regel versprochen haben“.34 Armut war zu einem Problem geworden. Und nahm gerade deswegen in den Debatten der Franziskaner immer mehr Raum ein.

Leib

Darüber könnte man übersehen und hat oft übersehen, dass die Ab­ lehnung der Welt, die sich in der Besitzlosigkeit ausdrückte, bei Franz noch andere Dimensionen umfasste. Wieder kommen wir damit zu einem Franz, der den modernen Menschen weniger zu bieten hat als, zumindest auf den ersten Anschein, der Kritiker von Geld und Reich­ tum. Daneben, nein: im Zusammenhang damit steht bei ihm etwas, was man heute gerne unter die finsteren Abschnitte der Geschichte des Christentums rechnet: „Und in Hass wollen wir unseren Leib mit seinen Fehlern und Sünden halten, weil er uns durch Leben nach dem Fleisch die Liebe Jesu Christi und das ewige Leben nehmen und sich selbst mit allen gemeinsam in der Hölle verderben will“.35 Angesichts solcher kräftiger Aussagen kann man nicht umhin, muss man nicht umhin, festzustellen, dass Franz tief in dem Strom christ­ licher Tradition stand, der, anknüpfend an Äußerungen des Apostels Paulus in Röm  7, den Leib des Menschen zum hauptsächlichen Trä­ ger der Sünde und des Widerchristlichen machte.36 Dass der Leib mit seinen Begierden eher der Welt im theologischen Sinne zugeordnet 251

5. Kapitel: Rückzug

war und der Geist Gott, war für ihn wie für die allermeisten Menschen seiner Zeit nichts anderes als eine Selbstverständlichkeit. Die einzige Möglichkeit war es nicht – zu etwa der Zeit, zu der Franz die endgültige Klärung seiner Berufung durch die Aussendungsrede erfuhr, schrieb ein Zeitgenosse nördlich der Alpen von der wahrhaft bezaubernden Macht der Liebe: Tristan und Isolde werden im Roman Gottfrieds von Straßburg († 1215) durch einen Trank unwiderstehlich voneinander angezogen, sprengen alle gesellschaftlichen Bande und finden sich schließlich in einer Liebesgrotte wieder, die an eine Kirche erinnert, aber nicht den leidenden Christus, sondern die liebenden Menschen feiert. Das Ungleichzeitige existierte wie so oft auch hier gleichzeitig – und es ist nicht nur Ironie, wenn der liebesversessene deutsche Dichter hier dem leibfeindlichen Italiener gegenübergestellt wird: Mit Stereotypen über Nationen kommt man der Wirklichkeit so wenig bei wie mit sol­ chen über Zeiten. Ein schulterklopfend entschuldigendes „Er war eben ein Mensch seiner Zeit“ hilft nicht, Franz zu verstehen. Natürlich war er ein Kind seiner Zeit. Aber natürlich hat er sich die Vorstellung, dass der Leib die Seele immer wieder von Gott fortzieht, zutiefst zu eigen gemacht. Auch hier wissen wir nicht, ob jede Geschichte, die hierüber erzählt wird, sich so ereignet hat. Anschaulich für das, was man mit Franz verband, sind sie gleichwohl. So berichtet Celano in der zweiten Vita, der Teufel habe eine „Anstiftung des Fleisches“ („carnis invecti­ vum“) gesandt, und eine „überaus schwere Versuchung zur Schwelge­ rei“ („gravissima tentatio luxuriae“). Um dem zu entgehen, habe Franz seinen Körper mit Geißeln geschlagen. Als das nicht reichte, habe er sich nackt in tiefen Schnee, der gerade den Garten bedeckte, geworfen. Dann habe er Schneebälle geformt und sie zu Symbolen dafür genom­ men, dass Familie und Hausstand so vergänglich seien wie Schnee, der rasch dahinschmilzt.37 Vermutlich ist das erfunden – nicht nur der Umstand, dass Celano am Ende dieser Erzählung berichtet, ein Bru­ der habe all das heimlich beobachten können, weil der Mond so hell schien, macht skeptisch, denn ein Teil des Geschehens spielt noch im Hausinnern. Die Hinzufügung, dass Franz den Bruder zum Schweigen bis an seinen Tod verpflichtet habe, klingt auch eher nach einem Ver­ such, zu erklären, warum man von dieser Geschichte so lange nichts

252

1. Die Gefahren der Welt

wusste, obwohl sie sich doch so hervorragend zu einem Exempel aske­ tischen Lebens geeignet hätte. Genau das bleibt sie gleichwohl: ein Exempel dafür, was Anhänger des Franz aus seinen Mahnungen zur Askese machen konnten, wie sie sich auch etwa in den Admonitiones mit einer eigenartigen Ergänzung der Seligpreisungen aus Jesu Bergpredigt finden: „Jeder hat den Feind, nämlich den Leib, durch den er sündigt, in seiner Gewalt. Daher ist selig jener Knecht, der einen solchen Feind, der in seine Gewalt gegeben ist, immer gefangen hält und sich weise vor ihm schützt“.38 Dass solche Selbstkontrolle auch durch Selbstzüchtigung erfolgte, wie Celano sie beschreibt, vielleicht nicht mit kaltem Schnee, den es in Assisi ja nicht allzu häufig gibt, wohl aber mit Geißeln und anderen Formen der Selbstquälerei, wird man annehmen müssen. So kränklich der Körper von Franz zeit seines Lebens gewesen ist (s. u.  43)  – dass er ihn besonders geschont hätte, ist nicht zu vermuten. Wozu auch? Wenn er nichts war als Feind und in den Händen des Teufels Feindes­ land. Die Lebensbereiche, in welchen klassisch die Süchte und Sehn­ süchte des Leibes besonders wahrgenommen wurden, waren Nahrung und Sexualität, also diejenigen Bereiche, die auch durch Fastengebote reguliert waren. Während Franz nun zum Fasten eine vergleichsweise entspannte Haltung eingenommen zu haben scheint, hat er die Begeg­ nung mit Frauen in ähnlicher Weise – und wohl aus einem vergleich­ baren Motiv der Angst vor Versuchungen – zu tabuisieren versucht wie den Umgang mit Geld.

Fasten

Die Biographen möchten Franz gerne auch als Vorbild für strenges Fasten sehen: Celano wie die drei Gefährten berichten davon, dass er sich unter das Essen Asche gemischt habe,39 wohl um den Geschmack zu verderben40 oder auch um die Mahlzeit zu strecken und so ihren Nährwert zu mindern. 41 Und sie schmücken dies noch durch einzelne Erzählungen aus.  So habe er, wenn er auf seinen Wanderungen von Adeligen eingeladen worden sei, zunächst um des Evangeliums wil­ len ein wenig gegessen – tatsächlich schreibt die Aussendungsrede im 253

5. Kapitel: Rückzug

Lukasevangelium vor, etwas zu essen, wenn man in ein Haus geladen wird (Lk  10,8). Dann aber habe er das Übrige auf seinem Schoß ver­ steckt und nur noch, um keinen Anstoß zu erregen, so getan, als äße er. 42 Dass Franz demnach, so halten es auch die Gefährten fest, seine Enthaltsamkeit verbergen wollte, 43 kann freilich schon Teil der litera­ rischen Konstruktion sein, denn dahinter steckt wohl gerade die Ein­ sicht, dass man letztlich über keine herausragenden Erzählungen über diese Enthaltsamkeit verfügte. Das mag an solchem Versteckspiel ge­ legen haben, das man zeitgleich auch, historisch durchaus plausibel, von Elisabeth von Thüringen kennt. 44 Es mag aber auch daran gelegen haben, dass Franz das Fasten gar nicht so wichtig nahm, wie es seinen Erben lieb gewesen wäre. Die Bestimmungen aus der sogenannten Regula non bullata jedenfalls schrieben nicht mehr vor als eine Ausdeh­ nung der traditionellen Fastenzeiten in Advent und Passionszeit sowie am Freitag, der in der mit dem Sonntag beginnenden christlichen Wo­ che der sechste Tag ist: „und gleicherweise sollen alle Brüder vom Fest Allerheiligen (1. November) bis Weihnachten fasten und von Epiphanias (6. Januar), als unser Herr Jesus Christus zu fasten begann, bis Ostern. Zu anderen Zeiten aber werden sie durch diese Regel nicht angehalten zu fasten außer am sechsten Tag“. 45 Die bullierte Regel milderte dies sogar noch einmal ab und machte das Fasten vom Epiphaniastag an freiwillig, verpflichtend war hiernach nur noch die allgemeine Fastenzeit an Werktagen vierzig Tage vor Ostern. 46

Sexualität

Ein Heiliger des Fastens war Franziskus offenbar nicht – die Furcht vor dem eigenen Leib äußerte sich in einem anderen Bereich: der Sexuali­ tät. Dass fornicatio schwer bestraft wird und zum Ausschluss aus dem Orden führt, 47 wird man als streng, aber schwerlich aus dem Rahmen fallend sehen können: Gemeint ist mit diesem in der Regel im Deut­ schen als „Unzucht“ wiedergegebenen Wort jede ausgelebte illegitime, das heißt nicht durch Ehe legitimierte Sexualität. Innerhalb von Franz’ Denkrahmen wird dabei vor allem an Geschlechtsverkehr mit Frauen – sei es solchen außerhalb des Ordens oder aus dem Schwesternzweig 254

1. Die Gefahren der Welt

um Klara48  – gedacht gewesen sein. Denn Franz’ Wahrnehmung von Frauen war von einer tiefsitzenden Angst vor sexuellem Begehren be­ stimmt. Frauen sind für ihn ein beständiger Anreiz zum Sündigen. Dabei ist die Ambivalenz in der Wahrnehmung von Franz hoch: Einerseits kann er sich in frappierender Weise von einer Festlegung durch Geschlechter lösen: In Einsiedeleien teilte er die „Brüder“ (fratres) ganz entspannt in „Mütter“ (matres) und „Söhne“ (filli) auf. Das äußere, biologische Geschlecht bestimmte innerhalb dieser kleinen Gemeinschaften nicht das soziale, und dies konnte noch einmal über­ lagert werden, denn biblisch sollte das Leben der Mütter dem der Mar­ tha aus Lk 10,38–42 entsprechen, das der Söhne dem ihrer Schwester Maria, 49 also gleichfalls einer Frau. Franz scheint in dem Bemühen, durch den Gebrauch weiblicher Bilder Leitungsformen zu beschrei­ ben, die nicht auf Beherrschung hinauslaufen,50 manchen heutigen Theorien über das Geschlecht als soziale Konstruktion vorauszugrei­ fen. Wo es aber um Sexualität, auch nur die Möglichkeit von Sexua­ lität geht, begegnet ein Franz, der von heutigen Vorstellungen über Geschlechterverhältnisse weit entfernt ist. Zwar kann man durchaus nachvollziehen, dass er im Umgang mit Klara gelernt und geübt hat, eine Frau nicht primär unter der Perspektive des Geschlechts und des sexuellen Begehrens wahrzunehmen, sondern vor allem als Gefährtin auf dem Weg der Nachfolge. Daraus resultierte jedoch keine generelle Achtung für Frauen. Nach dem Bericht Celanos habe Franz einmal ver­ ächtlich gesagt: „Welche Angelegenheiten muss ein Minderbruder schon mit einer Frau besprechen, außer wenn sie mit frommer Bitte die heilige Buße oder einen Rat zur Lebensbesserung verlangt?“51 Der Kontext in Celanos zweiter Vita und die sehr technische Verwen­ dung der Bezeichnung „Minderbruder“ lassen vermuten, dass Franz das so wörtlich nicht gesagt hat. Dennoch ist der Satz nicht fern von seinen tatsächlich nachweisbaren Vorstellungen. Die Anerkennung von Frauen wie Klara in ihrer Eigenständigkeit schien ihm nur durch eine massive Tabuisierung und Unterdrückung der sexuellen Triebe möglich. Man muss vorsichtig damit sein, einen Regeltext bloß als Aus­ druck biographischer Erfahrung zu interpretieren, doch selbst Celano, 255

5. Kapitel: Rückzug

gewiss nicht verdächtig für Unterstellungen, meinte, Franz’ Zurückhal­ tung gegenüber Frauen sei so extrem gewesen, dass man es nicht nur für Vorsicht und Vorbild hätte halten können, sondern auch für Furcht und Schrecken.52 Was den damaligen Lesern besonders Eindruck ma­ chen sollte, nährt aus der heutigen Rückschau den Eindruck, dass Franz auch aus persönlicher Betroffenheit heraus im Blick auf die Mei­ dung von Frauen zu Übertreibungen geneigt hat. Dieser biographische Hintergrund wird erst recht deutlich, wenn man bedenkt, dass zu den Bestimmungen für den Umgang mit Frauen dazugehört, dass niemand von den Brüdern eine Frau in den Gehorsam, also den Orden, aufneh­ men dürfe.53 Das ist wohl ohne das Wissen, dass er Klara zunächst auf den Weg der Buße verpflichtet, sie dann jedoch auf ihren eigenen Weg entlassen hat, kaum verstehbar. Dann aber fällt es umso mehr auf, dass diese Regelung in demselben Abschnitt steht, der auch ganz generell vorschreibt, sich vor einem „schlechten Blick“ gegenüber Frauen und überhaupt vor dem Umgang mit ihnen zu hüten.54 Die Grundlage für diese Bestimmung bildet wie so oft bei Franz die Bergpredigt mit der Mahnung: „jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in sei­ nem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“ (Mt 5,28).55 Was in der Botschaft Jesu die Orientierung an der innerlichen Gesinnung statt an äußerlichen Vorgängen einschärfen sollte, wurde bei Franz zu einem neuen restriktiven Regelwerk, noch einmal deutlicher und klarer in der bullierten Regel: Alle verdächtigen Zusammenkünfte und Beratungen mit Frauen sollte man hiernach meiden und nicht einmal die Klöster der Schwestern betreten, wenn man nicht eine eigene Erlaubnis hierzu hatte.56 In solchen Regelungen verdichten sich allerdings nicht nur Franz’ eigene Erfahrungen  – gerade die Ungeklärtheit der Bruderschaft in der Frühphase ihrer Entstehung, insbesondere die Unbehaustheit der Brüder auf ihren Wanderungen, mag auch immer wieder Probleme mit sich gebracht haben. Am deutlichsten scheint dies bei Johannes von Perugia durch. Nach seinem Bericht hatten nicht nur manche Men­ schen, bei denen die Brüder um Unterkunft nachsuchten, Angst vor Diebstahl,57 sondern er erzählt auch davon, dass junge Frauen schon flohen, wenn sie die Brüder nur von ferne kommen sahen.58 Johannes gibt als Begründung zwar deren Furcht an, in die Torheit der Brüder zu verfallen  – man wird aber gerade bei der Konzentration auf junge 256

2. Kontemplation

Frauen in diesem Zusammenhang noch andere Gründe für Furcht und Vorsicht erahnen können. Aus der Außensicht waren die Brüder bei al­ ler päpstlichen Anerkennung eine unklare und ungeordnete Gemein­ schaft, die an wesentlichen Punkten von den Normen der Gesellschaft abwich. Dass auch die sexuellen Normen für sie die Bindewirkung verloren hatten, mochte da naheliegend erscheinen. Und die schar­ fen Bestimmungen über die fornicatio lassen vermuten, dass solche Sorgen nicht unbegründet waren. Franz selbst hat diese Entwicklun­ gen offenbar mit Sorge, ja mit Entsetzen verfolgt und auf seine eigene Weise verarbeitet. Sexualität gehörte für ihn nicht in jene Bereiche der guten Schöpfung, die er so innig preisen konnte, sie wurde ihm zu einer Gefährdung, die der Teufel selbst sich zunutze machen konnte59 und deren Wirkungen es daher mit aller Macht zu meiden galt.60

2. Kontemplation Gebet

Auch das hatte Franz gelernt: Aus der Welt zu fliehen, war vergeblich, wenn man keine Richtung hatte, wohin die Flucht gehen sollte. Für sein äußeres Leben war die Sendung in die Welt, zu den Menschen und allen Geschöpfen, bestimmend geworden. Die Kraft hierzu aber wurzelte in einer intensiven Beziehung zu Gott, Christus, den En­ geln61 und den Heiligen. Für das Gebet gilt allerdings noch mehr, was oben allgemein gesagt wurde: In das Innere eines Beters können wir nicht hineinschauen  – wir haben nur seine Gebete. Celano verweist darauf, dass Franz, gefragt, wie man beten solle, Christus folgend auf das Vaterunser verwiesen habe, aber auch auf Christus selbst und die Erlösung am Kreuz.62 Das Gespräch mag stattgefunden haben oder nicht – die Antwort entspricht offenbar den Auffassungen von Franz, denn in seinem Brief an die Gläubigen ermahnte er ebenfalls dazu, be­ ständig das Vaterunser zu sprechen.63 So hat Franz neben allgemeinen Mahnungen zum Stundengebet64 das Vaterunser besonders beachtet und ausgelegt. In einer Mischung aus Auslegungen, die er vorgefunden hatte, und eigenen Wendungen erweiterte er die einzelnen Bitten des Vaterunsers, um sie so jeweils im Lebenskontext seiner Gemeinschaft zu präzisieren.65 Liest man diese meditative Deutung vor dem Hinter­ 257

5. Kapitel: Rückzug

grund der erwähnten Mahnung, allezeit das Vaterunser zu sprechen, so wird deutlich, wie sehr Franz bemüht war, sein Leben in jeder Mi­ nute auf Gott hin und von Gott her zu leben. Selbst noch die Bitte um das tägliche Brot hat für ihn einen ausschließlich geistlichen Sinn: Es ist Jesus Christus, den er täglich empfangen will,66 sei es in der konkreten Gestalt der von ihm ja immer wieder betonten Eucharistie, sei es auch im frommen Angedenken oder in der Lebenspraxis der Nachfolge. Zu Christus aber gehörte untrennbar Maria, seine Mutter, hinzu.

Maria

Die Zusammengehörigkeit beider zeigt sich besonders in dem Offizium vom Leiden des Herrn,67 das Franz zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt68 für die Kleriker des Ordens69 vorwiegend aus Psalmversen zusammengestellt hat. Trotz seiner Benennung handelte es keineswegs ausschließlich von Christus, sondern kreiste intensiv auch um Maria. Mit dem Offizium war für jedes Stundengebet der Kleriker70 als Anti­ phon, also als Wechselgesang, der das Gebet eröffnete, aber auch immer wieder in ihm aufschien, eine Marienanrufung vorgesehen: „Heilige Jungfrau Maria, dir ist keine gleich unter den Frauen, die auf dieser Welt geboren sind, Tochter und Magd des höchsten und erhabensten Königs, des himmlischen Vaters, Mutter unseres allerheiligsten Herrn Jesu Christi, Braut des Heiligen Geistes, bitte für uns mit dem heiligen Erzengel Michael und allen Kräften der Himmel und allen Heiligen bei deinem allerheiligsten geliebten Sohn, dem Herrn und Meister. – Ehre sei dem Vater. Wie es war (im Anfang …).“71 Auch aus anderem Zusammenhang ist ein Mariengebet von Franz überliefert, eine erweiterte Fassung des Grußes Ave Maria – die Got­ tesgebärerin, die sancta Dei genetrix Maria, wird darin aufs Engste mit der Trinität verbunden.72 Sie sei, so heißt es, gemeinsam mit Sohn und Heiligem Geist vom Vater geweiht, und so wird sie die Wohnstätte Got­ tes auf Erden, sein Palast, seine Magd und Mutter – mit ihr verbindet sich dann auch die Erleuchtung der Herzen der Glaubenden durch den Heiligen Geist. Man wird nicht ganz klären können, welchen dogmati­ schen Status Maria bei Franz hatte. Dass er sich ihr in besonderer Weise 258

2. Kontemplation

zuwandte, ist jedenfalls auch aus diesem nicht genauer datierbaren Gebet offenkundig. Diese Verehrung Mariens zog sich durch Franz’ ganzes Leben: Noch kurz vor seinem Tod verhieß er in einem auf Italienisch verfassten Mahnlied Klara und ihren Schwestern für die jenseitige Zukunft nach dem Tode: „wo jede Königin sein wird im Himmel gekrönt mit der Jungfrau Maria“.73 Ohne diese intensive Marienfrömmigkeit ist Franz nicht vorzustellen, sie war Pendant und Teil seiner Christusverehrung.

Christus

Das Offizium zeigt, dass für Franziskus selbstverständlich das Leiden Christi ein beständiges Thema der Frömmigkeit war. Ihm galt seine Verehrung, ihm wollte er nachfolgen.74 Hiervon zeugt ein früh gelern­ tes und, wie Franz in seinem Testament schreibt, von Gott selbst ein­ gegebenes Gebet: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und mit allen deinen Kirchen, die in der ganzen Welt sind, sagen auch wir dir Lob, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast“.75 Dieses Lob des erlösenden Kreuzes drückte Franz nicht nur in diesem kurzen Gebet aus.  Auch in seinen Admonitiones, einer Sammlung zu unterschiedlichen Zeiten geäußerter Ermahnungen, tauchte als ein für die Spiritualität wichtiger Punkt auf, auf den „guten Hirten“ zu achten, „der, um seine Schafe zu erlösen, das Leid am Kreuz auf sich genom­ men hat“.76 Allein in dessen Kreuz könne ein Bruder sich rühmen, nicht in eigener Leistung77 – ein interessanter Satz, der auch daran erinnert, dass in der Christusverehrung das Bewusstsein der Distanz zum Hei­ land selbst stets bewusst war. Dies verweist darauf, dass man vor dem Hintergrund späterer Überlagerungen Vorsicht walten lassen und die Bedeutung des Kreuzes für Franz nicht überbetonen sollte. Sehr nüch­ tern hat dies der franziskanische Gelehrte Oktavian Schmucki benannt: „Nicht einmal in seinem Officium Passionis steht der Leidensgedanke Jesu ausschließlich und beherrschend im Vordergrund“.78 Das Leiden Christi war Teil eines Gesamthorizontes von Christusfrömmigkeit. Zu dieser gehörte, gerade in Verbindung mit Maria, ebenso der theologi­ sche Gedanke der Inkarnation, der Fleischwerdung. 259

5. Kapitel: Rückzug

Der Anfang des Briefes an die Gläubigen verband die unterschied­ lichen biblischen Traditionen miteinander. Aus dem Johannesevan­ gelium übernimmt Franz hier die Rede von Christus als Wort Gottes, bettet dies aber in die Geburtsgeschichte ein, wie man sie aus dem Lu­ kasevangelium kennt: „Dieses Wort des Vaters (…) hat der allerhöchste Vater vom Himmel verkündigt durch seinen heiligen Engel Gabriel in den Leib der heiligen und herrlichen Jungfrau Maria, aus deren Leib er das wahre Fleisch der Menschheit und unserer Gebrechlichkeit annahm“.79

Die Weihnachtskrippe

Die Bedeutung der Inkarnation Christi für Franz hat sich nach einer Er­ zählung, die Celano schon in der ersten Vita wiedergibt, auch in einer besonderen Gestaltung des Weihnachtsfestes niedergeschlagen. Gerne wird, diesem Bericht folgend, erzählt, Franz habe die Weihnachtskrippe erfunden, die bis heute unter vielen Weihnachtsbäumen steht. Etwas vorsichtiger gesagt: Im Jahr 1223 hätte demnach die erste belegte Feier mit einer nachgestellten Weihnachtsszenerie stattgefunden80. Franz habe, so Celano, in Greccio, einem Ort in der Nähe von Rieti, rund hun­ dert Kilometer nördlich von Rom, einem Bewohner angekündigt, er wolle die ärmliche Geburt Jesu Christi „den leiblichen Augen sichtbar machen“.81 Daraufhin habe Johannes, der Angesprochene, tatsächlich eine Krippe und Heu zusammengetragen, sogar Ochs und Esel kamen hinzu, obwohl sie bekanntlich in der biblischen Weihnachtsgeschichte selbst nicht vorkommen. Am Weihnachtstage zelebrierte dann ein na­ mentlich nicht genannter Priester vor einer großen Menge über dieser Krippe die Messe. All dies macht deutlich: Die Linie führt nicht direkt zur Krippe unter dem Weihnachtsbaum, der ja ohnehin erst viel später erfunden wurde. Hier wurde nicht ein kleines Kripplein aufgestellt, son­ dern die Weihnachtsgeschichte wurde in eine anschauliche, fassbare Form gebracht. Das passt zu jenem Predigtstil des Franz, der nicht allein an den Worten hing, sondern auch an Gesten, Handlungen, an der Per­ formanz. Die Krippe wäre Ausdruck ebendieser Performanz. Die Spon­ taneität war dabei geringer als bei manchen anderen Aktivitäten von Franz. Das Detail von Ochs und Esel macht zudem deutlich, dass Franz 260

2. Kontemplation

nicht etwa unmittelbar den Evangeliumstext umgesetzt hat. Offenkun­ dig hatte er irgendeine Darstellung der Weihnachtsgeschichte vor Au­ gen, ein Gemälde wohl, das er nun in ein dreidimensionales lebendiges Bild umgestaltete und zugleich liturgisch integrierte.

Giotto di Bondone, „Die Weihnachtsfeier von Greccio“.

261

5. Kapitel: Rückzug

Manches an Celanos Erzählung macht skeptisch, in erster Linie, dass sie in einen Bericht über den Nutzen der Beigaben dieser Feier als Reliquien ausläuft: Das verwendete Heu hat man nicht etwa ein­ fach Tieren zum Fressen gegeben, sondern ihnen und auch Menschen, insbesondere gebärenden Frauen, als Heilmittel verabreicht.82 Vor al­ lem aber weist Celano darauf hin, dass in Greccio selbst über dem Ort der Krippe eine Kirche errichtet wurde.83 Da dies genau im Jahre 1228 erfolgte,84 klingen diese Hinweise nach der hochaktuellen Empfehlung eines frisch gestifteten Verehrungsortes, zumal sich nach Celanos Be­ richt in Greccio auch ein dem eben heiliggesprochenen Franz gewid­ meter Altar befand.85 Solche Legenden zur Begründung eines Heilig­ tums machen Historikerinnen und Historiker skeptisch, allzu oft sind sie geschönt oder gar erfunden. Und doch muss man auf die schöne Geschichte von der Krippe von Greccio nicht verzichten. Celano konnte sie nämlich nicht erzählen, ohne einen doppelten Rechtsbruch erkennbar zu machen, und den dürfte er schwerlich erfunden haben. Er bestand zum einen darin, dass Franz in der Weihnachtsfeier das Evangelium las – das war Auf­ gabe eines Diakons, und nach allem, was wir wissen, war Franz kein Diakon. Dieses Problem kaschierte Celano rasch, indem er einfach behauptete, Franz sei einer gewesen.86 Es ist schwer vorstellbar, dass er zu dieser Erfindung hätte greifen müssen oder wollen, nur um eine andere Erfindung zu korrigieren – da wäre es doch einfacher gewesen, von Anfang an auf die Rolle des Franz als Diakon zu verzichten. Noch schwerer wiegt, gerade weil Celano es nicht ausdrücklich benennt, dass zum anderen die Feier der Messe über der Krippe offenbar nicht an einem geweihten Altar stattfand. Man muss sich hier schon den Gebrauch eines Reisealtars durch den ungenannten Priester vor­ stellen, um den Gedanken eines massiven Bruchs mit gültigem Kir­ chenrecht zu vermeiden. Auch das bedeutet, hält man die Erzählung für erfunden, erstaunlich viel Aufwand, den man durch eine anders gestaltete Erfindung leicht hätte vermeiden können. All dies spricht dafür, dass die Erzählung von der Krippe von Greccio als Geschichte von einer performativen Weihnachtspredigt ihren historischen Kern hat. Spirituell ist sie vor allem Ausdruck der Bedeutung, die die Ge­ burt Jesu für Franz besaß.

262

2. Kontemplation

Visionär und Mystiker

So haptisch Heilsgeschichte hier werden konnte, Franz’ Verhältnis zu Gott konnte auch weniger konkret sein. Dies zeigt sich an einem Gebet, das Franz nicht nur selbst verfasst, sondern auch niedergeschrieben hat. Bis heute wird es in einem Reliquiar in Assisi87 ehrfürchtig aufbe­ wahrt. Gezeichnet von Spuren des Gebrauchs und des Alters, führt es so nah an Franz selbst heran wie kaum ein anderer Gegenstand. Über die Entstehung berichtet Bruder Leo, dem das Zettelchen gehörte: „Der selige Franziskus hat zwei Jahre vor seinem Tod zu Ehren der seligen Jungfrau und Gottesmutter und des seligen Erz­engels Michael ein vierzigtägiges Fasten in der Niederlassung in La Verna abgehalten vom Tag der Aufnahme der heiligen Jungfrau Maria (15. August) bis zum Fest des heiligen Michael im September (29. September). Und über ihn kam die Hand Gottes. Nach der Vision und der Ansprache durch einen Sera­ phen und der Einprägung der Wundmale Christi in seinen Körper äußerte er diese Lobsprüche, die auf der anderen Seite des Zettels geschrieben sind, und er schrieb mit seiner eigenen Hand und dankte Gott für die Wohltat, die ihm geschehen war.“88 Die Situation, die Leo hier beschreibt, Vision und Stigmatisierung, wird uns noch beschäftigen (s. u.  281–287).89 Einstweilen ist der Hin­ weis auf die Lobsprüche bemerkenswert, die durch fleißige editori­ sche Arbeit aus dem schwer lesbaren Text heute einigermaßen rekon­ struiert sind. Sie enthalten manches aus der dogmatischen Tradition des Christentums, wie etwa das Bekenntnis zur Trinität90 oder zu Got­ tes Allmacht91. Vor allem aber geht es darum, Gott im Spiegel unter­ schiedlicher Eigenschaften zu erfassen. Immer wieder heißt es fast wie in einer liturgischen Litanei92: „Du bist …“ – das Gute oder die Schön­ heit, das ewige Leben oder die Geduld. Vieles wird hier auf Gott ange­ wandt, und im Zusammenhang dieser Darstellung seines Lebens wird es nicht erstaunen, wenn der Eindruck einer gewissen Spontaneität aufkommt, in welcher Franz assoziativen Gedankenketten nachging,93 um Gott zu preisen. Kurz nachdem Gott als die „Freude“ (gaudium) charakterisiert wurde, ist er auch die „Fröhlichkeit“ (laetitia).94 Es stört Franz auch nicht, Gott zweimal als „unsere Hoffnung“ (spes nostra) 263

5. Kapitel: Rückzug

Giotto di Bondone: „Die Stigmatisation des hl. Franziskus auf dem Berg La Verna“.

anzusprechen,95 einmal in der Reihung positiver Gefühle, einmal in der Dreierabfolge der theologischen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung nach 1 Kor 13. Unterschiedliche Ordnungsmuster werden verbunden, aber meist geht es gar nicht um die strenge Ordnung des Begriffs. Dieser Text war nicht dazu geschrieben, nach achthundert  Jahren noch Bedeutung zu haben. Er ist, ganz so wie Leo es erwähnt, aus der Situation heraus entstanden, und mehr als auf die Gebetsreihung hat Franz Wert auf den Segen gelegt, den er für Leo aufschrieb. Gerade in diesem Vorgehen, das im wahrsten Sinne des Wortes alle Formen des Gotteslobes gleich gültig erscheinen lässt, kann man aber mehr von 264

2. Kontemplation

Franz’ Frömmigkeit erahnen, als man aus einem ausgefeilten Traktat zu lesen vermöchte: Wer Gott so immer neu und immer anders um­ schreibt und doch weiß und sogar betont, dass dieser Gott nur einer ist,96 der macht im Nutzen vieler Begriffe deutlich, dass diese letztlich unnütze Helfer sind, um die tiefste Gotteserfahrung auszudrücken. So formuliert, ist man bei einer der Grundüberzeugungen der Mystik. Tatsächlich wird man wohl sagen können, dass Franz zumindest in bestimmten Zügen seiner Frömmigkeit mystische Grundformen aufnahm97 – vielleicht erklärt gerade dies, warum er für seine Zeitge­ nossen oft so irritierend war. Die mystische Grundhaltung kann einen Menschen in eine Distanz zu den Angelegenheiten der Welt setzen, die gewissermaßen die positive Antwort auf das Bekenntnis der eige­ nen Sünden darstellt. Wie die Sünde darin besteht, zu sehr an der Welt zu hängen, so führt Mystik in eine Haltung, die die Welt nicht mehr braucht. An jenen Anfängen des Bruchs mit dem Herkommen gemes­ sen ist die Mystik vielleicht der konsequenteste Ausdruck, den Franz’ Religiosität gewinnen konnte. Eindrucksvoll findet man dies in Admonitio  27 zusammengefasst. Jan Hoeberichts hat zwar aufgrund einer sorgfältigen lexikalischen Analyse infrage gestellt, ob dieser Text von Franz selbst stammt oder nicht vielmehr aus der monastischen Tradi­ tion aufgenommen wurde.98 Doch selbst wenn diese nicht unumstrit­ tene These99 berechtigt sein sollte, weist der Umstand, dass Erm  27 in die Admonitiones eingegangen ist und die Handschriften den Text einhellig als deren Teil bezeugen,100 darauf hin, dass Franz ihn sich, auch wenn er ihn selbst nicht verfasst haben sollte, spirituell zu eigen gemacht hat: „Wo Liebe ist und Weisheit, da ist weder Furcht noch Unwissenheit. Wo Geduld ist und Demut, da ist weder Zorn noch Verwirrung. Wo Armut mit Freude ist, da ist weder Begierde noch Habsucht. Wo Ruhe ist und Betrachtung, da ist weder Sorge noch Unrast. Wo Furcht des Herrn ist, um sein Haus zu bewachen, da findet der Feind 265

5. Kapitel: Rückzug

keine Stelle zum Eindringen. Wo Barmherzigkeit ist und Unterschei­ dungsgabe, da ist weder Überschwang noch unmäßige Härte.“101 Hatte das Lob Gottes alle Eigenschaften Gottes aufgezählt und ein­ ander zugeordnet, so beschreibt dieses Textstück die korrespondie­ renden Eigenschaften des Menschen, der ganz von Gott geleitet ist.102 Die Eigenschaften der ersten Zeilen sind ganz auf Gott bezogen: Die Liebe gilt ihm ebenso wie die Demut, die Armut ist in erster Linie jene spirituelle Armut, von der oben schon die Rede war und die ihrerseits Ausdruck der Demut vor Gott ist. Die Ruhe ist jene Ruhe, nach der der Kirchenvater Augustin strebte, als er sagte: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“103 – und alles mündet in die Furcht des Herrn, die schon in der Weisheit der Bibel gelobt wird (Spr 9,10): „Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn“. Ob beabsichtigt oder nicht, korrespondiert diese Furcht des Herrn sprachlich, auch im Lateinischen, mit jener Furcht, die in der ersten Zeile abgewiesen wird: Nicht Furcht vor Be­ drängnissen oder vor Irdischem soll leitend sein, sondern allein die Furcht vor Gott, die im eigentlichen Sinne dem entspricht, was man heute, sprachlich verwandt, als Ehrfurcht benennen würde.104 Das Bild des Menschen, das der von Franz mindestens aufgenom­ mene Text hier zeichnet, ist das von einem, der ganz und gar zur inne­ ren Ruhe gelangt ist, weil er sie außerhalb seiner selbst, in Gott gefun­ den hat – und der sich dann in misericordia, in Barmherzigkeit, seinen Nächsten zuwenden kann. Bemerkenswert ist dabei, dass die Zeilen am Ende vor Übertreibung in die eine oder andere Richtung warnen – betrachtet man Franz’ frühere Jahre, so mag man in der Aufnahme die­ ses Textes auch eine Selbstkorrektur, eine sachte Kritik an dem eigenen Überschwang jener Zeit hören, als seine Handlungen wenig kontrol­ liert, freilich gewiss gerade deswegen so beeindruckend waren. Den Menschen, den der Admonitio-Text in beeindruckender Aus­ geglichenheit vor Augen stellt und den Franz vielleicht selbst auch anstrebt, könnte man leicht mit dem ausgeglichenen Philosophen der Antike verwechseln, wie er besonders in der Stoa idealisiert wurde. Aber man darf nicht vergessen: Grund all dessen ist Gott. Von ihm gilt für Franz wie für die meisten Mystiker, dass er aus menschlichen 266

2. Kontemplation

Kräften nicht erkannt werden kann. Alles Wissen des Menschen würde ihm nicht helfen, Gott zu erkennen,105 denn: „Gott bewohnt das unzu­ gängliche Licht, und der Geist ist Gott, und niemand hat Gott jemals gesehen“,106 so heißt es in Admonitio 1.  Das ist eine Kombination aus Bibelzitaten (1 Tim  6,16;  Joh  4,24;  Joh  1,18), aber es sind auch genau jene Vorstellungen, die in der mystischen Tradition eine zentrale Be­ deutung gewonnen haben. Dass Gott im Licht ist und doch und gerade deswegen nicht sichtbar und erkennbar, da Licht nicht nur Klarheit gibt, sondern auch blenden kann, gehört seit dem wichtigsten Vater christlicher Mystik, Pseudo-Dionysius Areopagita (um 500), zu den Grundüberzeugungen christlicher Mystik. Sie wird von Franz offen­ bar geteilt  – freilich ist Gott deswegen nicht gänzlich verborgen: In Christus hat Gott sich sichtbar gemacht.107 Wiederum gewinnt die In­ karnation zentrale Bedeutung. Nicht zufällig gehört zu den biblischen Zitaten, die Franz aufnimmt, der Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1–18), der in gewaltig aufgeladenen Bildern von dem Wort Gottes spricht, das bei Gott war und in die Welt kam, also von der Menschwer­ dung Jesu Christi. Einen garstigen Graben zwischen jenem Geschehen in Bethlehem und der eigenen Gegenwart aber gibt es für Franz nicht: Denn die Sichtbarkeit wiederholt sich immer neu in der Eucharistie.108 Auch dieser Gedanke ist uns schon begegnet. Seine Bedeutung und die Betonung, dass in der Eucharistie der irdische Christus unter der Ge­ stalt der Hostie neu sichtbar wird (s. o. 227), gewinnt Sinn vor dem Hin­ tergrund der mystischen Spiritualität der Verborgenheit, die für Franz prägend war – im leiblichen Essen der Eucharistie vollzieht sich letzt­ lich eine geistliche Einheit. „Daher ist der Geist des Herren, der in sei­ nen Glaubenden wohnt, der, der den allerheiligsten Leib und das Blut des Herrn empfängt“.109 Bei aller Betonung der leiblichen Gegenwart Christi in den eucharistischen Elementen, die Franz mit dem Vierten Laterankonzil teilte, ist das Ziel doch ein geistliches Geschehen, frei­ lich nicht ein solches, das dem leiblichen Geschehen, dem wahrhaften und wirklichen Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi un­ ter den Gestalten von Blut und Wein, entgegenstünde, sondern das es zugleich ermöglicht und vertieft. Versucht man diese Art von Mystik genauer zu charakterisieren, so müsste man wohl von einer kirchlichsakramentalen Mystik sprechen: Die Unerkennbarkeit Gottes, die Un­ möglichkeit, ihn mit Begriffen zu erfassen, mündet nicht, wie es bei 267

5. Kapitel: Rückzug

anderen Mystikern durchaus der Fall sein konnte, in Kirchenferne oder gar -kritik. Sie gipfelt in dem wichtigsten, allein durch Priester zu voll­ ziehenden gottesdienstlichen Akt, der Eucharistie. Von hier aus gewinnt die mystische Erfahrung ihre Verwirklichung in der Gemeinschaft der Christenheit, die zur Eucharistie gerufen ist110: In dem sogenannten Brief an die Gläubigen schloss Franziskus an die Mahnung zu rechter Demut die Verheißung an, dass auf denjenigen, die dieser Mahnung folgten, der Geist Gottes ruhen werde und er in ih­ nen Wohnung nehmen werde.111 Diese Gegenwart Gottes begründete dann eine neue Familie: „und sie werden Söhne des himmlischen Vaters sein, dessen Werke sie tun, und Bräutigame, Brüder und Mütter unseres Herrn Jesu Christi. Und wir sind Bräutigame, wenn die gläubige Seele im Heiligen Geist mit Jesus Christus verbunden wird. Brüder nämlich sind wir, wenn wir den Willen seines Vaters tun, der im Himmel ist; Mütter, wenn wir ihn im Herzen und in unserem Leib tragen durch die Liebe und ein reines und ernsthaftes Gewissen“.112 Dass Gott durch die Seele der Glaubenden geboren werde, dass die glaubende Seele in eine bräutliche Liebesbeziehung mit Christus ein­ gehe, all das sind Motive, die aus der mystischen Frömmigkeit bekannt sind und deren Sinn es ist, die größtmögliche Nähe zwischen Glauben­ den und Christus auszudrücken. Es sind Bilder, die das Geheimnis der Einheit umschreiben und genau deswegen ans Paradoxale grenzen: Zugleich Brüder – nach dem Kontext, in dem auch Frauen angespro­ chen sind, genau genommen: Geschwister  –, Bräutigam und Mutter zu sein, das bedeutet, dass – ganz ähnlich dem oben zu Müttern und Söhnen in der Einsiedelei Beobachteten (s. o. 255) – eine einlinige Fest­ legung nicht erfolgen soll. Wovon Franz hier schwärmt, ist die allerin­ nigste Verschmelzung der Glaubenden untereinander und mit Chris­ tus.  Das Schreiben richtet sich ausdrücklich an alle Christinnen und Christen,113 die Verheißungen, die Franz ausspricht, mögen aber eine besondere Erfahrungskonkretion in der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern haben, die den Weg der Buße gegangen sind. Allerdings war das Verhältnis zu dieser Gemeinschaft nicht immer so positiv, wie es solche mystischen Vorstellungen nahelegen mögen. 268

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung Überforderung

Versucht man das Verhältnis des Franz zu dem Orden, der bis heute zwar nicht in seiner offiziellen Bezeichnung, aber doch in der verbrei­ teten Benennung nach ihm heißt, den Franziskanern, auf den Punkt zu bringen, so wird man wohl sagen müssen: Der Orden ist seinem Grün­ der bald über den Kopf gewachsen. Schon oben (128–132) war ja deut­ lich geworden, dass Franz eigentlich gar keinen Orden im Sinn hatte. Das Gespräch mit Johannes von St.  Paul war nicht zuletzt von dem Bemühen geleitet, eben nicht in klassische Strukturen integriert zu werden. Die Gemeinschaft sollte anders sein, locker – und, wie es oft bei solchen Reforminitiativen der Fall ist: Bestimmend sollte der Inhalt sein, die Ausrichtung an Jesus Christus, nicht die Form. So dürfte nach den oben geäußerten Vermutungen auch die Ur-Regel ausgesehen ha­ ben. Man wird wohl davon ausgehen können, dass Franz von früh an eine Leitungsfunktion hatte, noch ehe es dafür jenen Titel gab, der dann in den Regeln klar definiert wurde: generalis minister.114 Der minister ist dem Worte nach ein Diener, und entsprechend bestimmte die bullierte Regel, dass er als Knecht zu dienen habe.115 So dürfte auch Franz seine Aufgabe verstanden haben. Aber damit ist noch nicht viel gesagt: Ad­ ministration im heutigen Sinne entsprach wohl weder seinen Gaben noch seinen Interessen.116 Jordan von Giano nennt in seiner Chronik zwei Aufgaben, die ein Ordensleiter zu erfüllen hatte: Aufnahme neuer Mitglieder und Trost (consolare) der Brüder.117 Letzteres fällt in den wei­ ten, schwer definierbaren Bereich der Seelsorge, und hier dürfte das besondere Augenmerk von Franz gelegen haben. Grundsätzlich waren seine Kompetenzen nicht so schwach, wie es die Rede vom minister und servus suggeriert. Zu den Admonitiones des Franz gehörte die Mahnung, dass nur der wirklich im Sinne des Ordens die Welt verlasse, der nicht nur seinen Besitz aufgibt, sondern auch „sich selbst ganz zum Gehorsam in den Händen seines Vorgesetzten begibt“.118 Zwar bestand die oben (241) erwähnte Grenze für diesen Ge­ horsam in der Seele beziehungsweise dem Gewissen des Untergebe­ nen.119 Das betraf aber nur Grenzfälle. Üblicherweise galt die Mahnung, 269

5. Kapitel: Rückzug

den eigenen Willen dem des Vorgesetzten unterzuordnen und auch dann, wenn einem selbst etwas besser erschien, jenem zu folgen.120 Der Orden wies mithin eine klare Befehlsstruktur auf. Dass Franz dies nicht nur nicht ausnutzte, sondern wohl generell ungern gebrauchte, zeigt ein denkwürdiges Schriftstück. Wie im Falle jenes Segens für Bruder Leo wird von dem Stück traditionell angenommen, dass es von Franz’ Hand selbst stamme. So unsicher solche Annahmen sind,121 der Text jedenfalls, den es enthält, geht auch dann auf Franz zurück, wenn er selbst nicht der Schreiber sein sollte. Wie der Segen ist dieser Brief an Leo gerichtet, und man kann lange rätseln, ob er ein Ausdruck von besonderem Wohlwollen ist oder von besonderen Spannungen: „Bruder Leo, dein Bruder Francisco122 wünscht dir Heil und Frieden. So sage ich zu dir, mein Sohn, wie eine Mutter: weil ich alle Worte, die wir auf dem Weg geredet haben, kurz in diese Worte und Ratschlag fasse, auch wenn es später nötig ist, wegen eines Ratschlags zu mir zu kommen, weil ich dir so rate: Auf welche Weise es dir besser erscheint, Gott dem Herrn zu gefallen und seiner Spur und Armut zu folgen, tut dies mit dem Segen Gottes des Herrn und in meinem Gehorsam. Und wenn deiner Seele ein weiterer Trost nottut und du zu mir kom­ men willst, Leo, so komm!“123 Der Textbestand ist nicht ganz sicher, und selbst die wissenschaftlichen Rekonstruktionen, die vorgenommen wurden, haben keinen eindeutig korrekten Text hervorgebracht – das liegt nicht zuletzt an den Schwie­ rigkeiten des Franz mit dem Lateinischen. So wird man den Brief auch nur mit Vorsicht interpretieren dürfen. Man kann ihn als eine Art Weg­ stoßen verstehen, in welchem Franz Leo rät, nicht mehr zu oft zu ihm zu kommen. Oder man kann genau darin eine Begründung der Freiheit innerhalb der Gemeinschaft sehen: Leo soll selbst einschätzen, wie Ar­ mut gelebt wird – und kann so in eigenem Urteilsvermögen sehen und verstehen, was dem Gehorsam gegenüber Franz entspricht. Dieser be­ schränkt seine Rolle damit geradezu ausdrücklich auf den seelischen Trost für den Bruder – es dürfte kein Zufall sein, dass unter den vielen möglichen Bildern der Verwandtschaft hier nicht das des bestimmen­ den Vaters gewählt wird, sondern, entsprechend jenen Anweisungen 270

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung

für die Eremitorien, das der Mutter, die Ratschläge erteilt, aber keine Anordnungen. Wir wissen nicht genau, wann Franz diese Zeilen an Leo geschrieben hat. Wann immer es gewesen sein mag – sie drücken ein Verständnis von Leitung aus, das der unhierarchischen Struktur der Anfänge der Bewegung entspricht. Und es ist vielleicht charakte­ ristisch, dass wir dieses Verständnis der Leitungsaufgabe einem Brief eines Einzelnen an einen Einzelnen entnehmen können. Franz war stark in der Begegnung mit Einzelnen. Seine Spontane­ ität im Händedruck oder Kuss, die gezielten Worte wie hier, bei aller Verständnisschwierigkeit, an Leo entfalteten ihre Wirkung. Die Ent­ wicklung der Gemeinschaft zu einer großen Bewegung nachzuvoll­ ziehen, fiel ihm hingegen schwer. Letztlich erging es seiner Gruppe damit nicht viel anders als anderen Gemeinschaften, die auf charis­ matische Ursprünge zurückgehen: Der Begeisterung des Anfangs fehlt auf Dauer die Bindekraft. Franz musste sehr rasch erleben, dass die Gemeinschaft, die er ins Leben gerufen hatte, zu groß wurde, um auf äußere Strukturen zu verzichten. Die verschiedenen Regelentwürfe waren oben schon Thema (s. o. 232–236) – 1223 mündeten sie in die Regula bullata. Das war freilich nur die äußere Seite eines Vorgangs, der tief in die Weise des Zusammenlebens einschnitt. Anfangs konnte man noch bei Rivotorto gemeinsam  in einem Stall unterkommen, binnen Kurzem aber gab es Anhänger in anderen Teilen Italiens und darüber hinaus. Diese Verbreitung war ein Erfolg, und wie so mancher Erfolg bereitete sie Schwierigkeiten. Eine Verständigung über Hunderte Ki­ lometer war nicht ohne Weiteres möglich. So kam es zu einer regel­ rechten „Wachstumskrise“124 (Raoul Manselli). Es war eine Krise des Ordens wie auch seines Gründers. Was den Nachgeborenen als größte Leistung erscheinen mag, die Entstehung eines Ordens, der auf Jahr­ hunderte Bestand haben sollte, wuchs Franz selbst über den Kopf.

Kapitelversammlungen

Vermutlich war von Anfang an der Dreh- und Angelpunkt für jegliche Kommunikation die Portiuncula. Irgendwann hat Franz hieraus eine feste Organisationsform gemacht: Er bestimmte, so berichten es die Gefährten, dass zweimal im Jahr ein Kapitel stattfinden sollte, einmal am Michaelstag, dem 29.  September, und einmal an Pfingsten, also im Frühjahr. Die Treffen fanden jeweils an der Portiuncula statt.125 Die 271

5. Kapitel: Rückzug

hierbei genannte Aufgabe, zu besprechen, „wie sie die Regel besser be­ achten könnten“,126 setzt allerdings offenkundig schon einen relativ rei­ fen Stand voraus, ebenso wie die gleichfalls vorgesehene Sendung der Brüder in Provinzen.127 Wie die Anfänge dieser Versammlungen aus­ sahen, lässt sich schwer sagen – wer ein Interesse an einer tiefen Ver­ wurzelung des Ordens in der Biographie des Franz hat, wird das erste Kapitel recht früh, möglicherweise schon 1213 ansetzen,128 aber dafür gibt es keinen klaren Anhalt. Definitiv kann man sagen, dass ein sol­ ches Kapitel im Jahre 1216 der Regelfall war: In seinem Brief aus Genua erwähnt Jakob von Vitry, dass die Brüder einmal im Jahr zusammenkä­ men, um Verfügungen des Papstes zu verkünden.129 Dass er nur einen Termin kennt, macht deutlich, dass diese Institution sich noch in den Anfängen befand.130 Der Hinweis auf den Papst könnte zudem dafür sprechen, dass es hier um die Verlautbarung der Beschlüsse des Vier­ ten Laterankonzils ging. Dann hätte möglicherweise dieses selbst die Initialzündung für die Abhaltung der Versammlungen gegeben  – die von den Gefährten erwähnten Regeldiskussionen hätten sich zunächst auf die Umsetzung des Lateranums bezogen. Jakob von Vitry setzt noch voraus, dass die Brüder, die sich zu dem Kapitel  versammelten, aus Italien kamen und sich nach dem Ka­ pitel  wieder dort verstreuten131  – wenig später aber ist offenbar eine Ausweitung erfolgt. Jordan von Giano berichtet in seiner Chronik, dass im  Jahre  1219 ein Kapitel  stattgefunden habe, das Brüder nach Frankreich, Deutschland, Ungarn, Spanien und in andere Provinzen Italiens geschickt habe. Damit scheint eine internationale Organi­ sation der jungen Gemeinschaft und ein entsprechendes Wachstum vorausgesetzt,132 mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten lan­ ger Reisen zu den jährlichen Kapiteln. Vermutlich ist diese Organisa­ tion schon früher entstanden, als Jordan sagt, denn eigenartigerweise erklärt er zugleich, das Jahr, in dem das Kapitel  stattfand, sei das zehnte Jahr der conversio des Franz gewesen.133 Da er den Beginn des Bußweges von Franz in das Jahr 1207 datiert und dementsprechend auch das Jahr 1209 als drittes Jahr der conversio bezeichnet,134 passen die Angaben nicht ganz zusammen: Das zehnte Jahr der Sinnesände­ rung müsste hiernach eigentlich 1216, allenfalls 1217 gewesen sein. Das könnte dann unter Umständen mit einer allerdings ihrerseits nicht ganz klaren Angabe der drei Gefährten zusammenpassen: 272

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung

Sie berichten, dass eine Sendung von ministri in Provinzen elf  Jahre „ab inceptione religionis“, vom Beginn der religio, begonnen habe.135 Übersetzt man religio hier, wie es dem überwiegenden Wortgebrauch entspricht, als Orden oder Gemeinschaft, müsste man an den Beginn der Bruderschaft denken, also frühestens 1209, als sie durch Inno­ zenz genehmigt wurde. Dann hätte das Ereignis erst 1220 stattgefun­ den. Daher wird gerne vermutet, dass mit jenem Beginn der religio, von dem die Gefährten rechnen, nicht die Ordensgründung,136 son­ dern die Bekehrung des Franziskus gemeint sei. Von hier aus käme man wiederum auf das Jahr 1217, was mit den sonstigen Angaben Jor­ dans vereinbar wäre. Fasst man diese Beobachtungen zusammen, so lässt sich mit einer gewissen Vorsicht annehmen, dass Kapitelversammlungen spätestens ab 1216 zur Normalität des Ordens gehörten, vielleicht schon früher begannen, nun aber sozusagen verfassungsmäßigen Rang erlangten, und dass sich 1217 eine über Italien hinausgreifende Organisation der Gemeinschaft etablierte. Jordan berichtet – offenkundig anekdotisch zugespitzt  – von den interkulturellen Schwierigkeiten, die sich in ei­ ner Zeit ergeben konnten, in der Fremdsprachen noch nicht überall bekannt und Lateinkenntnisse den Eliten vorbehalten waren137: Eine Gruppe von etwa sechzig Männern sei unter Leitung eines gewissen Johannes von Penna nach Deutschland aufgebrochen und habe die Frage, ob sie Unterkunft und Verpflegung bräuchten, mit „Ja“ (so steht es im lateinischen Text) beantwortet. Die Folge war, dass sie tatsäch­ lich Aufnahme fanden – daher glaubten sie nun, dass es in Deutschland immer gut sei, Fragen mit Ja zu beantworten, und taten dies unglück­ licherweise auch, als sie gefragt wurden, ob sie Häretiker seien. Das zog kaum überraschend Verfolgung nach sich – und diese führte laut Jordan dazu, dass die Franziskaner in dieser Frühphase in Deutsch­ land keinen Fuß fassen konnten. Das mag stilisiert sein und lässt doch erahnen, wie kompliziert die Missionsbestrebungen wurden, als man über Italien hinausging. Auch im Erleben der Einheimischen waren die Kontakte nicht ganz einfach: Es war etwas anderes, in Norditalien bar­ fuß zu laufen als in Deutschland.138 Die Askese war noch einmal deutli­ cher, vielleicht aber auch irritierender wahrnehmbar. Obschon die Reisen nun weiter und – man denke nur an die Über­ querung der Alpen!  – beschwerlicher geworden waren, wurden die 273

5. Kapitel: Rückzug

Kapiteltreffen beibehalten, freilich wurde den Ministern aus ultrama­ rinen und ultramontanen Regionen, also jenseits des Meeres und der Alpen, erlaubt, nur alle drei Jahre am Kapitel teilzunehmen.139 Das be­ kannteste Kapitel ist jenes oben erwähnte aus dem Jahre 1221, das nach den Berichten allein schon durch seine schiere Größe beeindruckt ha­ ben muss. Mehrere Tausend Brüder – Jordan von Giano nennt in seiner Chronik eine Schätzung auf 3000  Brüder,140 Thomas von Eccleston, dem Bonaventura folgt, sogar 5000141 – sollen am Pfingstfest 1221 – das wäre der 30.  Mai gewesen142 – an der Portiuncula zusammengekom­ men sein. Auch wenn die Zahlen übertrieben sein dürften, drücken sie doch aus, dass auf jener Versammlung nicht eine begrenzte Zahl von Delegierten erschien, sondern eine gewaltige Menge von Mitgliedern der rasch wachsenden Gemeinschaft. Unter den vielen Teilnehmern waren auch der Kardinal Rainer von Viterbo und andere Bischöfe.143 So viele waren dort, dass die Brüder Schwierigkeiten hatten, auf dem knappen Areal um die Portiuncula Unterkunft zu finden, daher hätten sie sich Hütten mit Mattendächern (umbracula) gemacht.144 Hiervon rührt die Bezeichnung des Treffens als Mattenkapitel. Man wird das gesamte Ereignis wohl als eine Zelebration der Größe und Universa­ lität der neuen Gemeinschaft, auch als ein Fest zur Begrüßung des aus dem Orient heimgekehrten Gründers würdigen dürfen. Deutlich wurde nun sichtbar: Die kleine Gemeinschaft, die sich wenigstens in ihren Erzähltraditionen auf eine Zeit zurückbesann, in der sie aus zwölf Personen bestand, die gemeinsam  nach Rom reisen konnten, war zu einer Massenbewegung geworden. Dass das Schwierigkeiten mit sich brachte, blieb auch anderen als Franz selbst nicht verborgen. Möglicherweise war es gerade dieses Kapitel, das beschloss, dass nicht mehr alle Brüder zu den Kapitelversammlungen kommen sollten, son­ dern allein die Minister.145

Rückzug von der Ordensleitung

In jedem Falle erstaunt es wenig, dass wir genau in dieser Zeit des nochmaligen rasanten Wachstums von einem Rückzug des Franz erfahren. Schon während seiner Ägyptenreise hatte er erprobt, wie der Orden ohne seine direkte Leitung zurechtkäme: Notgedrungen bedeutete der Aufenthalt bei Damiette ja eine längere Abwesenheit von der Portiuncula und überhaupt von Italien – in dieser Zeit setzte 274

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung

Franz, gleichfalls nach Jordans Bericht, wie oben erwähnt, zwei Vi­ kare (vicarii), also Stellvertreter, ein.146 Zwischen ihnen bestand eine Aufgabenteilung: Matthäus von Narni sollte an der Portiuncula blei­ ben und hier für Neuaufnahmen zuständig sein, Gregor von Neapel hingegen sollte in Italien als Seelsorger tätig sein. Besonders Letzte­ rer geriet später sehr in Verruf,147 und auch Jordan berichtet hiervon hauptsächlich, um von jenem Kapitel zu erzählen, auf dem die bei­ den Stellvertreter Fastenvorschriften erließen, die Franz alsbald wie­ der korrigieren musste.148 Diese Schwierigkeiten mögen dazu beige­ tragen haben, dass die Episode in der frühen Geschichtsschreibung nicht die Bedeutung zugesprochen bekam, die ihr zukäme: Erstmals hat Franz hier, ziemlich genau zehn  Jahre nach der Genehmigung der Ur-Regel durch Innozenz III., die Leitung des Ordens in andere Hände gegeben. Das bedeutet zunächst: Die Aufgaben waren so an­ gewachsen, dass eine Abwesenheit des Ordensgründers, der nun wohl zugleich als Generalminister des Ordens anzusehen war, nicht ohne Vertretung möglich war. Monate der Vakanz, so scheint es, wa­ ren undenkbar. Es heißt aber umgekehrt auch: Franz gehört nicht zu jenen bis heute begegnenden Leitungsfiguren, die sich selbst für ganz und gar unersetzlich halten. Die Reise bis zum Sultan war ihm wichtiger als die Führung des Ordens.  Auch das ist eine Nachricht, die in sich schon zeigt, welche Distanz er mittlerweile zu den Alltags­ geschäften gewonnen hatte. Man mag aus manchen Regelungen er­ ahnen, was dazu geführt hat: Die Regelentwürfe, die in der Regula non bullata vereint sind, spiegeln wider, dass die Brüder keineswegs so einig waren, wie man annehmen sollte, wenn man den Bericht über die Urgemeinde im Kopf hat, nach dem die ersten Christinnen und Christen in Jerusalem „ein Herz und eine Seele“ waren (Apg  4,32). Stattdessen gehörte Streit zum Alltag: Ausdrücklich musste vorge­ schrieben werden, dass die Brüder, wenn sie einander trafen, sich „ohne Murren“ ehrten149 – dies ist einer der wenigen Punkte, an de­ nen die endgültige Fassung nicht nur präziser, sondern auch ausführ­ licher und expliziter wird: „Ich rate aber, mahne und ermahne meine Brüder im Herrn Jesus Christus, dass sie, wenn sie durch die Welt wandern, nicht streiten und sich nicht mit Worten ausein­andersetzen“.150 275

5. Kapitel: Rückzug

Wie sich Franz solchen Verzicht auf Streit konkret vorstellte, geht aus seinem schon oben erwähnten Brief an einen Minister hervor, der of­ fenkundig von seinen Aufgaben bedrückt war. Darin mahnte Franz diesen eindringlich, „dass es auf der ganzen Welt keinen Bruder ge­ ben möge, der gesündigt hat, wie sehr er sündigen konnte, der jemals, nachdem er deine Augen gesehen hat, ohne deine Barmherzigkeit fort­ gehe, wenn er Barmherzigkeit sucht“.151 Der Minister solle sogar not­ falls, wenn sein Gegenüber gar nicht danach suche, auf die Möglichkeit des Erbarmens hinweisen.152 Die Ordnung der Gemeinschaft sollte auf diese Weise ganz und gar von Verzicht und Rücksichtnahme bestimmt sein, nicht von hartem Dringen auf die Durchsetzung von Recht. Aber allein schon, dass eine solche Anweisung nötig war, zeigte, dass die Gemeinschaft an Zusammenhalt verloren hatte. Selbstver­ ständliches musste hier geregelt werden, und die Regeln selbst sind ganz offenkundig Produkt eines mühsamen Austarierens von Interes­ sen und des Kompromisses mit einer Lebensrealität, die nur noch zu Teilen jener entsprach, die Franz angestrebt hatte. Ohnehin hatte er nicht auf die Bildung einer größeren Gemeinschaft gezielt. Gesucht hatte er eine Gegenwelt und die Nähe Gottes. In der Menge der über­ handnehmenden Bruderschaft fand er beides nicht mehr. So hat er auch nach seiner Rückkehr aus Ägypten trotz des wenig er­ folgreichen Experiments mit jenen Vikaren schnell die Weichen dafür gestellt, die Ordensleitung auf Dauer in andere Hände zu legen. Sein Nachfolger in der Ordensleitung sollte einer der Brüder der ersten Stunde werden: Petrus Cathanii. Die Übergabe erfolgte wohl auf dem unmittelbar auf die Reise folgenden Kapitel  1220  – und diese  Jahres­ zahl weist darauf hin, dass der Stabwechsel in der Ordensleitung noch einen weiteren Aspekt hatte: Zeitgleich wurde Hugolin zum protector bestimmt.153 Cathanii erhielt also Unterstützung, vielleicht aber auch Aufsicht. Nach dem Bericht in der zweiten Vita Celanos vollzog Franz die Übergabe vor der ordensinternen Öffentlichkeit des Kapitels mit den Worten: „Von nun an bin ich tot für euch. Aber siehe: Bruder Pet­ rus Cathanii, dem wollen wir gehorsam sein, ich und ihr alle“, und er versprach dem neuen Generalminister Gehorsam und Ehrerbietung.154 Wieder kommt hier die schon fast übliche Skepsis gegenüber den Quellen auf – die Szene könnte genau so formuliert sei, um späteren Generationen deutlich zu machen, dass selbst der gemeinsam  ver­ 276

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung

ehrte Franz sich nicht scheute, sich in kompletten Gehorsam  zu be­ geben. Wie sich gleich noch zeigen wird, konnte man aufgrund seines eigenen Testaments auf andere Gedanken kommen und mag daher auch Celanos Darstellung für geschönt halten. Doch selbst wenn alles so geschehen sein sollte: Dass mit einer solchen Übergabe ein Problem verbunden war, liegt auf der Hand. Bis heute gibt es Konstellationen, in welchen Vorgänger dem Nachfolger allein schon durch ihre schiere Präsenz das Leben schwermachen können. Franz war der Gründer des Ordens, er war, zumindest in den Erzählungen, zum unbestritte­ nen Vorbild der anderen geworden, er hatte, nicht zu vergessen, den privilegierten Zugang zum Papst und auch zu Hugolin von Ostia, der ja für den Orden zuständig blieb.155 Nach ihm war nicht viel Platz, zu­ mal wenn man zugleich neben ihm bleiben musste. Diese Schwierig­ keiten drücken sich nicht zuletzt in den Titeln aus, mit denen man den neuen Mann an der Ordensspitze bezeichnete: Für die Legenda Perusina, die dasselbe Ereignis berichtet, war es klar, dass Franz sich damit einem Generalminister unterworfen hatte, Petrus Cathanii also als solcher anzusehen war.156 An anderen Stellen begegnet der Titel eines vicarius,157 das wäre dann ein bloßer Stellvertreter, Franz hätte formal die Oberhoheit behalten. Die erste Bezeichnung ist wohl richtig – so oder so aber hatte Petrus Cathanii das ihm nun zugetragene Amt nicht lange inne. Schon am 11. März 1221 ist er gestorben.158 Nicht einmal ein Jahr war er Generalminister gewesen. Die Leitung fiel damit faktisch an Franz zurück. Nun kam es, wenn der Bericht Jordans von Giano stimmt, offenbar zunächst zu einer höchst symbolischen Einrichtung einer Stellvertretung: Auf jenem berühmten Mattenkapitel am 30. Mai, dem Pfingstfest des Jahres 1221, war Franz durch Krankheiten so geschwächt, dass er selbst vor den Brüdern das Wort nicht ergreifen konnte. So ließ er Elias von Cortona sprechen, der zuvor als Provinzialminister in Syrien Leitungserfahrung gesammelt hatte.159 Überdeutlich musste dieser nun signalisieren, dass er keine Leitung aus eigener Vollmacht beanspruchte: Franz saß zu seinen Füßen und zupfte ihn an seinem Mönchsgewand. Dann beugte Elias sich zu ihm hinunter, hörte sich an, was Franz zu sagen hatte, und verkündete daraufhin: „Brüder, so spricht der Bruder“.160 Er selbst war damit nicht mehr als ein Sprachrohr, gewiss kein neuer Generalminis­ ter. Auch 1223, als – am 29. November – durch Papst Honorius III. die 277

5. Kapitel: Rückzug

Regula bullata verkündet wurde, hatte diese Funktion offenbar noch Franz inne: Ausdrücklich gelobt er im Prolog dem Papst Gehorsam, und die Brüder werden angehalten, ihm gehorsam zu sein.161 Später hingegen, irgendwann zwischen 1224 und 1226,162 hat er selbst Elias ausdrücklich als generalis minister bezeichnet. Dass er dies allerdings in seinem Brief an den gesamten Orden tat,163 drückt ebenjene an­ gesprochene Spannung aus. Der frater Franciscus, „ein geringer und hinfälliger Mensch, euer ganz geringer kleiner Knecht,“164 „ein un­ nützer Mensch und ein unwürdiges Geschöpf Gottes des Herrn“165 – reine Demut spricht aus dieser Selbstvorstellung in jenem Brief, und doch ist diese Demut mehr Form als Inhalt, mehr betonte fromme Haltung als Gestus des Umgangs. Denn was folgt, ist eine Reihe von Imperativen. Imperative zwar, die auf Jesus Christus als den eigent­ lichen Befehlsgeber hinweisen, die aber mit nichts Geringerem be­ ginnen als der Einleitung jener Rede, die der Apostel Petrus am Tag des Pfingstereignisses gehalten haben soll (Apg  2,14): „Hört mich, ihr Söhne des Herren und meine Brüder, und nehmt mit den Ohren meine Worte wahr“.166 Die Geschichte des Christentums ist reich an Versuchen, Demut zur Form der Machtausübung zu machen. Der Brief an den Orden lässt deutlich werden, dass Franz selbst hiervon nicht frei war. So sehr er immer wieder nur „bitten“, allenfalls „er­ mahnen“ will,167 ja rhetorisch die Füße der Angeredeten küsst,168 so sehr dringt doch durch alle Zeilen hindurch, dass Franz hier den Kurs der Gemeinschaft bestimmen will. Die Autorität, deren er sich bedient, ist die Christi selbst und die der Apostel, vor allem aber ist es eine Autorität, die in unmittelbarer Konkurrenz zu jenem Gene­ ralminister steht, den, wenn die Regula bullata schon gegriffen hat,169 nicht Franz verbindlich für sein Amt ausgewählt hat, sondern die Ka­ pitelversammlung. Wer den Brief zu lesen versteht, dem drängt sich dies unmittelbar auf: „Und daher bitte ich durch alles, soweit ich vermag, den Bruder Elias, den Generalminister, meinen Herrn, dass er dafür sorge, dass die Regel von allen unverletzt befolgt werde“.170 Es mag noch angehen, dergleichen tatsächlich einem Ordensoberen zu raten, dem man zu Gehorsam  verpflichtet ist  – auch wenn einem 278

3. Die Brocken hingeschmissen: das Ende der Ordensleitung

selbst etwas besser erscheint, wie es in den Admonitiones hieß. Dies öffentlich zu tun, in einem Brief, der sich ausdrücklich an alle Brüder der Gemeinschaft richtet,171 stellt eine Unterhöhlung der Autorität dar. Charismatischer Führungsanspruch und formalisierte Leitungsstruk­ turen ließen sich offenbar so leicht nicht zusammenbringen172  – und Elias ist um diese Störfeuer, die von einem eigentlich Unantastbaren kamen, kaum zu beneiden. Ebendieses Störfeuer ist aber auch Ausdruck einer nachvollzieh­ baren Frustration des Ordensgründers.173 Der Elan des jungen Kauf­ mannssohns hatte einst viele mit sich gerissen – nun blieb die Gemein­ schaft hinter den Entwicklungen zurück. Darin hatte Franz wohl recht: Nicht er hatte seine Ideale verloren, sondern die Brüder hatten sie ver­ drängt. Aus heutiger Sicht kann man mit einer gewissen Gelassenheit sagen, dass eine solche Verdrängung zu den üblichen und unvermeid­ lichen Begleiterscheinungen der Verfestigung einer Organisation ge­ hört.174 Für Franz war es indes ein dramatischer Vorgang. Etwas von der Enttäuschung, die dies in ihm hervorgerufen haben muss, dringt in einer Erzählung durch, die in den Fioretti breit ausge­ malt wurde,175 ihre Basis jedoch in einem Text hat, den Leo aufgrund des Diktates von Franz selbst aufgeschrieben haben soll: das Diktat von der wahren Freude.176 Franz spielte hierin verschiedene Möglichkeiten durch, was die wahre Freude sein könne, verneinte sie aber alle: nicht dass alle Pariser Magister zum Orden kämen, nicht dass die Prälaten der Kirche und Herrscher der Welt kämen, nicht einmal die Bekehrung aller Muslime sei wahre Freude. Wahre Freude sei es vielmehr, wenn er Geduld auch dann noch bewahre, wenn er beim eigenen Orden abge­ wiesen werde – so weit handelt es sich um eine Erzählung über Demut als die beste Tugend. Bemerkenswert ist nun, wie die Geduld auf die Probe gestellt wird: Franz kommt, so seine imaginäre Erzählung, zum Haus der Brüder bei Assisi, aber der Pförtner weist ihn ab, beschimpft ihn als ungebildeten Bruder und schickt ihn zu einem Hospital in der Stadt. All das ist ebenso Fiktion wie der Eintritt des Königs von Eng­ land in den Orden. Doch es ist eine Fiktion, deren Grundlage ganz of­ fenkundig eine tiefe Entfremdung von den Brüdern darstellt. Franz war einsam geworden in seinen letzten Jahren. Auch in der Gemeinschaft hatte sein Suchen kein Ende, seine Unruhe keine Beruhigung gefun­ den. 279

5. Kapitel: Rückzug

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug Eremitendasein

Der Einsamkeit, die Franz empfand, entsprach der Lebensweg, den er wählte. Schon jener Minister, dem er einst einen Brief geschrieben hatte, hatte offenbar erwogen, sich aus den Gemeinschaften zurück­ zuziehen und Eremit zu werden.177 Seinerzeit hielt Franz ihn noch davon ab, nun lebte er selbst immer stärker wie ein Eremit. Das war zugleich eine Art Rückkehr zu den Anfängen, als er ja das Eremiten­ gewand getragen hatte. Dass es in diesen schwierigen Zeiten eine Sehnsucht nach dem seligen Beginn gab, sieht auch Julian von Speyer so: „Er wollte wieder zu der anfänglichen Einfachheit zurückkehren, er wollte von Neuem in verächtlicher Existenz den Leprosen dienen und sich vom Umgang mit den Menschen zu den entferntesten Orten zurückziehen“.178 Wenigstens Letzteres hat er offenbar wiederholt ge­ tan – freilich nicht ganz allein: Zwar betont Celano in der zweiten Vita, dass Franz darauf verzichtet habe, einen Bruder auf Dauer an die Seite gestellt zu bekommen. Allerdings verzichtete er damit nicht gänzlich auf Gesellschaft, vielmehr erwartete er, dass Brüder ihn von Nieder­ lassung zu Niederlassung begleiteten.179 Das widersprach dem Status eines eremitorium, einer Einsiedelei, auch keineswegs. Unter den Brü­ dern gab es offenbar so viele, die nach einem Leben als Einsiedler streb­ ten, dass Franz ihnen eine eigene Regel gab, und diese sah vor, dass die Einsiedler zu dritt oder viert lebten.180 Zwei von ihnen, die oben schon angesprochenen Mütter (s. o.  255), sollten für die Außenkontakte zu­ ständig sein und insofern Martha entsprechen, die Söhne sollten sich ganz der Kontemplation hingeben. Ihr Leben war daher durch Gebet zu Gott und Schweigen gegenüber den Menschen geprägt: Lediglich nach der Terz, dem Gebet zur dritten Stunde, durften sie eine Zeitlang mit den Müttern sprechen.181 Zumindest zeitweise scheint Franz ähn­ lich gelebt zu haben, ohne sich allerdings ganz in den Eremitenstatus zu begeben. Jenes Fasten im  Jahre  1224, das nach dem Bericht Leos vom 15. August bis zum 29. September andauerte, war wohl nichts An­ deres als eine Art Eremitendasein auf Zeit. Verbracht hat er diese Tage, wie Leo schreibt, in La Verna, einer Felserhebung im Apenningebirge, gut hundert Kilometer nordwestlich von Assisi, die ihm wohl nicht nur 280

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug

dieses eine Mal als Zuflucht diente. Tatsächlich nennt Celano den Auf­ enthaltsort ein eremitorium.182 Leo selbst berichtet, dass Franz hier eine Vision, eine Ansprache durch einen Seraphen und eine Stigmatisie­ rung, also die Einprägung der Wundmale Christi in seinen Körper, er­ fahren habe (s. o. 263). Freilich behauptet er nicht, Augenzeuge dieser Geschehnisse geworden zu sein. Das würde die Sache auch zu einfach machen  – was wir aus der Charta Leonis erfahren, ist, immerhin, so viel, dass für ihn, der nahe bei Franz war, das Geschehen einer solchen Stigmatisierung plausibel war.

Elias von Cortona und die Stigmata

Der Erste, der tatsächlich davon berichtet, ist nicht er, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach Elias von Cortona, ebenjener Generalminis­ ter, dessen Koexistenz mit Franz nicht nur glückliche Züge aufgewie­ sen haben dürfte. In einem Rundbrief, von dem allerdings nur das in die Francia gegangene Exemplar erhalten ist, und dies auch nur in einer sehr späten Überlieferung,183 teilte Elias den Brüdern mit, dass Franz am dritten Oktober 1226 verstorben war.184 Berühmtheit erlangte der Brief durch die Schilderung des Körpers des Verstorbenen: „Ich verkünde euch eine große Freude und eine wundersame Neuheit! Von der Welt wurde ein solches Zeichen noch nicht gehört, außer am Sohn Gottes, welcher ist Christus der Herr. Nicht lange vor seinem Tod erschien der Bruder und Vater gekreuzigt und trug fünf Wunden, die wahrhaft die Wundmale Christi sind, an seinem Körper. Denn seine Hände und Füße hatten so etwas wie Stiche von Nägeln, von beiden Seiten durchbohrt, die noch die Narben aufwiesen und die Schwärze der Nägel zeigten. Seine Seite aber wirkte wie von einer Lanze durchbohrt und oft dampfte Blut heraus. Als sein Geist noch im Körper lebte, war in ihm keine Ansehn­ lichkeit, sondern unansehnlich war sein Antlitz und kein Glied blieb in ihm ohne übergroßes Leiden. Weil seine Sehnen zu­ sammengezogen waren, waren seine Glieder so steif, wie sie bei einem toten Menschen zu sein pflegen. Aber nach seinem Tod war der Anblick wunderschön. Er schimmerte in wunderbarem 281

5. Kapitel: Rückzug

Glanz und erfreute die, die es sahen. Und die Glieder, die vorher steif waren, sind überaus weich geworden. Sie wandten sich seiner Lage nach hierhin und dorthin wie bei einem zarten Knaben.“185 Der Religionshistoriker Richard Trexler hat gezeigt, dass dieser Text lange Zeit  – man muss fast sagen: seit seiner Entstehung  – missver­ standen wurde: Die Verbindung von Todesnachricht und wunderhaf­ ter Beschreibung der Stigmata hat dazu geführt, dass man aus dem Text die Nachricht hörte, Elias habe die Wundmale Christi am toten Leib des Franziskus gesehen. Tatsächlich ist die Nachricht eine etwas andere, und dies sieht man, wenn man genau die Erzählform betrach­ tet186: Während die Beschreibung der Stigmata in der Vergangenheits­ form erfolgt, schildert Elias den Leichnam selbst in der Gegenwarts­ form, und dies ohne die Stigmata zu erwähnen. Ja, die Pointe ist sogar eine andere: Während Franz zu Lebzeiten einen hässlichen, vom Lei­ den, passio, gequälten und geschundenen Körper gehabt habe und alle Muskeln kontrahiert gewesen seien, habe sich der Körper nach dem Tode entspannt, sei schön und glänzend geworden.187 Folgt man Trexlers bestechender philologischer Argumentation, so bedeutet das Verschwinden der passio-Förmigkeit auch das Verschwinden der Stig­ mata. Diese wären damit ein vergängliches Phänomen am Körper von Franz „nicht lange vor seinem Tod“. Damit wären die Stigmata deutlich anders einzuordnen, als dies seit Celano – und auch vermittelt durch die drei Gefährten188 – angenom­ men wird. Sie beschreiben und betonen, dass die Stigmata am Leich­ nam des Franz zu sehen waren. Celano selbst war wohl, als Franz starb, nicht dabei und dürfte den Leichnam von Franz gar nicht gesehen haben. Sein Bericht basiert auf den Erzählungen anderer – oder stellt, wahrscheinlicher, bloß eine zuspitzende Ausschmückung der Mittei­ lung von Elias dar, die er zugleich zurechtrücken will: Viele Menschen seien, so sein Bericht, zu dem Leichnam gekommen, um das Wunder zu bestaunen, und ausdrücklich hätten sie nicht bloß Stiche von Nä­ geln in den Gliedmaßen gesehen  – Celano benutzt hier, verneinend, denselben Ausdruck punctura, den Elias gebraucht hatte, um das Phä­ nomen zu beschreiben. Sondern es sei mehr gewesen: Man habe eben die Nägel selbst gesehen, und zwar „aus seinem Fleisch gebildet, wobei die Schwärze der Nägel beibehalten blieb“.189 All das habe, so steigert 282

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug

Celano die Drastik noch weiter, ganz so ausgesehen, wie man es nach den Kreuzigungsdarstellungen zu erwarten hatte: An den Händen sah man die Nagelköpfe in den Innenflächen, an den Füßen jedoch auf der Oberseite – in beiden Fällen konnte man, so Celano, die Spitzen auf der anderen Seite herauskommen sehen.190 Man musste Elias allerdings schon zeitgenössisch nicht so verste­ hen, wie es Celano auf Generationen hinaus prägend tat: Der englische Benediktiner Roger von Wendover berichtet um 1230, dass die Wund­ male vierzehn Tage vor dem Tode des Franz sichtbar geworden seien und viele Menschen nach Assisi geströmt seien, um sie zu sehen. Franz selbst habe sie ihnen sogar noch als Zeichen Christi gedeutet – nach seinem Tod dann seien sie verschwunden.191 Roger von Wendover ist zwar fern von dem Geschehen, aber umso mehr gilt, dass seine Erzäh­ lung eine im 13. Jahrhundert mögliche Interpretation des Elias-Briefes war.192 Die sprachlich sich geradezu aufdrängende Deutung, dass die Stigmata eine Erscheinung im Leben, nicht im Tod des Franziskus waren, war also auch in unmittelbarer zeitlicher Nähe – Roger schreibt etwa zwei Jahre nach Celano – denkbar, ja für manche naheliegend.

Suche nach Belegen

Leitend wurde aber Celanos Bericht, der stark literarische Züge trägt – und unter anderem ein Problem lösen muss, das er selbst geschaffen hat, indem er aus dem „nicht lange vor seinem Tod“ nicht wie Ro­ ger zwei Wochen, sondern zwei Jahre gemacht hat.193 Ihm verdanken wir den in der Kunst immer wieder zu findenden und auch von Leo auf­ genommenen Gedanken, dass die Stigmatisierung in La Verna erfolgt sei, „zwei Jahre bevor er seine Seele dem Himmel zurückgab“.194 Da die Wundmale nach seiner Erzählung noch am Leichnam sichtbar waren, bedeutete dies, dass Celano erklären musste, wie die Stigmata so lange verborgen bleiben konnten.195 In der Vita prima nennt er neben dem „glücklichen Elias“196 als Zeu­ gen schon zu Lebzeiten nur Rufin. Der habe einmal – wohl um Dreck zu entfernen  – die Brust von Franz gekratzt, dabei sei seine Hand an die Seitenwunde geraten. Daraufhin habe Franz vor Schmerzen aufge­ schrien.197 Ein kurzer Blick hierauf zeigt, dass diese Geschichte, wenn sie nicht erfunden ist, doch auf dünnem Grund gebaut ist: Im Kern der Erinnerung belegt sie, dass Rufin eine Wunde berührt hat, die er nach 283

5. Kapitel: Rückzug

Kenntnis des Rundbriefs von Elias als Seitenwunde Christi auf dem Körper des Franz interpretiert hat. Wahrnehmung und Deutung tre­ ten hier deutlich auseinander. Für Celano bleibt die Geschichte aber ein starker Beleg. So wiederholt er sie in der zweiten Vita, freilich ohne Rufins Namen zu nennen, und ergänzt sie durch einige andere Erzäh­ lungen von Brüdern, die durch Zufall oder List die Wunden schon zu Lebzeiten gesehen hätten.198 Sehr vertrauenswürdig ist die Vermeh­ rung von Zeugen nicht,199 vielmehr ist zu spüren, dass es Celano genau darum ging: eine größere Anzahl von Zeugen aufzubieten. Das zeigt sich an einer der wenigen inhaltlichen Änderungen der Vita brevior gegenüber der ersten Vita: Hatte es in dieser noch geheißen, dass nur wenige, pauci, die Wunden zu Lebzeiten gesehen hätten,200 waren es nun viele, multi.201 Den Hintergrund für diese Veränderung kann man sich leicht denken, und in der Vita secunda spricht Celano es dann auch aus: Die Stigmata waren sichtbar, „da ja die freiliegenden Stellen der Glieder auch dieses selbst nicht bedeckt duldeten“.202 Etwas einfacher ausgedrückt: Hände und Füße konnte ein Franziskaner nur schwer be­ decken. Celano setzte noch hinzu, Franz habe über die Füße Strümpfe gestreift und seine Hände meist durch ein gestisches Spiel verbor­ gen.203 An all dem fällt auf, dass die technischen Erklärungen für die mangelnde Sichtbarkeit ebenso wie die weiteren namenlosen Zeugen erst nach und nach hinzutraten. In der ersten Vita hatte der Hinweis, dass Franz die Wundmale habe verbergen wollen, ausgereicht.204 Ganz offenkundig ging es hier darum, mögliche Zweifler zu überzeu­ gen, die es im Mittelalter durchaus schon gab. Wundersame Erscheinun­ gen zu hinterfragen ist nicht erst eine Sache des modernen kritischen Verstandes: Ausgerechnet in seinem Mirakelbuch, das, nach der Dar­ stellung der Ordensgründung, gleich mit einer ausführlichen Schilde­ rung der Stigmatisierung beginnt, berichtet Celano von einem Kleriker Roger aus Potenza in Apulien. Der habe vor einem Bild des schon heilig­ gesprochenen Franziskus gebetet, als plötzlich Fragen in ihm aufstiegen: „Sollte es wahr sein, dass dieser Heilige durch ein solches Wunder verherrlicht wäre, oder war es eine fromme Täuschung der Seinen? Vorgespiegelt, eine Erfindung war es und wohl eine von den Brüdern vorgetäuschte Irreführung. Menschlichen Sinn überstiege das und fern wäre es von jedem Urteil der Vernunft!“205 284

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug

Solche Überlegungen zeigen, dass man mittelalterliches Denken falsch verstünde, wenn man es mit Leichtgläubigkeit verwechselte. Man kannte den Zweifel. Man kannte die bohrenden Fragen der Ver­ nunft. Freilich bewegten sie sich in einem anderen Wirklichkeitsver­ ständnis und damit in anderen Rahmenbedingungen – so erfolgte der Nachweis, dass Roger irrte, durch Gott selbst, der ihm auf wunderhafte Weise eine Wunde in der Hand zufügte, die allein die Fürbitte des Fran­ ziskus heilen konnte.206 Aber ein solcher Nachweis war nötig, und er­ zählerisch erfolgte er bei Celano durch die Drastik in der Schilderung der Male einerseits, die Vermehrung der Zeugen andererseits.  Die Umständlichkeit, mit welcher Celano die Zeugen anführen und wohl doch, von Elias abgesehen, erfinden muss, macht unsicher im Blick auf seine Angabe, die Stigmatisierung sei zwei Jahre vor Franz’ Tod erfolgt. Auch der Umstand, dass diese scheinbar durch Leo in der oben zitier­ ten Notiz über den Aufenthalt in La Verna gedeckt wird,207 hilft nicht weiter, denn Leo ist nicht, wie man meinen und hoffen könnte, Zeuge aus erster Hand, sondern mit seiner Notiz schon abhängig von einer li­ terarischen Konstruktion Celanos.208

Die Seraphenvision

Die Verbindung aus der Vision eines Seraphen und der Stigmatisie­ rung nämlich, die bei Leo begegnet, stammt von niemandem anderen als Celano. Für große Teile der heutigen Forschung sind beide Ereig­ nisse unterschiedliche Vorgänge.209 Celano aber hat sie, ebenso wie die Gefährten,210 in eine geschlossene Episode hineinkomponiert.211 Letz­ teren verdanken wir die genaue Datierung rund um das Fest der Kreuz­ erhöhung, also den 14. September 1224.212 In dieser Zeit soll Franz eine visio Dei gehabt haben, eine Schau Gottes.213 Grammatisch ist nicht ganz klar, ob es sich bei diesem schon in Ez 1,1 belegten Begriff um einen Ge­ nitivus obiectivus handelt, Franz also nach Celano Gott selbst gesehen haben soll, oder um einen Genitivus subiectivus. Das wäre dann eine von Gott verursachte Schau. Möglicherweise ist beides gemeint, denn was Franz sah, war eine Mischung aus einem Mann, der am Kreuz hing und nach den Gefährten ausdrücklich die Züge Jesu trug,214 und einem Seraphen, einer jener Engelsgestalten mit sechs Flügeln, wie sie der Prophet Jesaja um den Thron Gottes selbst sah (Jes  1,2). Die genaue Beschreibung, wie sie die Flügel halten, folgt nicht ganz Jesaja, sondern 285

5. Kapitel: Rückzug

nimmt auch Elemente aus der Thronwagenvision Ezechiels auf, in wel­ cher die entsprechenden Wesen freilich nur vier Flügel haben (Ez 1,6). Was Franz sah, schildert Celano so: „Zwei Flügel waren über das Haupt erhoben, zwei waren zum Fliegen ausgebreitet, zwei schließlich be­ deckten den ganzen Körper“.215 Man muss die Tatsächlichkeit dieses Geschehens nicht bestreiten,216 wenn man solche biblischen Hinter­ gründe anführt. Im Gegenteil: Visionäre Erfahrungen verarbeiten viel­ fach vorhandenes Wissen, formen es allerdings neu. In diesem Falle spricht für die Historizität schlicht der Umstand, dass die Visionsschilderung recht rasch in den Dienst einer anderen Erzählung, eben von der Stigmatisierung, genommen wurde. Sie da­ für zu erfinden, wäre ein weiter Umweg – eher hat man die Erzählung, die man kannte und wohl sogar genau datieren konnte, durch die Stig­ matisierung in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt. Wir können mithin davon ausgehen, dass jene Seraphenvision im September 1224 tatsächlich stattgefunden hat, ihren Sinn allerdings zunächst aus sich heraus und nicht durch die Kreuzesmale am Körper von Franz erhielt. Dieser Sinn ergibt sich unmittelbar aus den biblischen Anspielungen: Die Thronvision Jesajas öffnet ebenso wie Ezechiels Vision vom Him­ melswagen den Blick auf Gott selbst. Wo Gott aber in ihren Bildern auf einem Thron sitzt, rückt bei Franz das Kreuz ein, und wo Ezechiel von der „Gestalt der Herrlichkeit des Herrn“ spricht, die er sieht (Ez 1,28), Jesaja direkter von dem Herrn selbst (Jes 6,1), ist es bei Franz der Ge­ kreuzigte, den er wahrnimmt. Die Vision ist also in strengem Sinne eine Selbstoffenbarung Gottes durch und in Jesus Christus. In jedem Falle hat die Seraphenerscheinung Franz tief bewegt. Seine Dichtungen ge­ ben davon Ausdruck. Noch in La Verna entstand nach Leos Zeugnis jenes oben erwähnte Lob Gottes (s. o. 263). Und wenn die Datierung bei Celano und in der Legenda Perusina stimmen sollte, dann dichtete Franz wenig später den Sonnengesang. Somit wäre die Zeit nach der Vision die literarisch intensivste Phase seines Lebens gewesen, er ein geradezu rastlos von dem Wunsch Getriebener, Gott und seine Schöp­ fung zu preisen. Jedoch war die Erfahrung mit dem Seraphen nicht nur eine positive. Thomas von Eccleston hält in seiner Geschichte von der Ankunft der Brüder in England noch zusätzliche Hinweise fest, die laut seinem Be­ richt auf Leo und Rufin zurückgehen. Hiernach sei es bei einer Vision 286

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug

nicht geblieben, sondern Christus habe auch gesprochen. Diese Worte enthielten einerseits, so Eccleston, die Verheißung, dass die Minder­ brüder bis zum Ende der Welt bestehen bleiben würden. Andererseits aber manches, was Franz niemandem mitgeteilt habe.217 Der Seraph sei „hart mit ihm umgegangen“, so heißt es bei Eccleston.218 Das Ge­ schehen war also zunächst keine Ehrung für Franz, sondern in ihm verbanden sich, wie manchmal in Heiligkeitserfahrungen, Schrecken und Faszination. Von der in der Stigmatisierung ausgedrückten Chris­ tusgleichheit ist er damit weit entfernt, und gerade Eccleston belegt, dass die Serpahenvision auch ohne die Stigmatisierung erzählt werden konnte.

Deutungsversuche

So hilft die Seraphenvision nicht weiter, um das Phänomen der Stig­ matisierung zu verstehen. Das heißt auch, dass man dem Versuch von Oktavian Schmucki, die Stigmatisierung als psychosomatische Folge der Vision zu erklären,219 schwer folgen kann. Er bewahrt für die fran­ ziskanische Geschichtsschau den übernatürlichen Ursprung des Ge­ schehens in der Vision und greift doch natürliche Vorgänge auf, wie sie im Horizont heutiger Einsichten in den Zusammenhang von körperli­ chen und psychischen Vorgängen plausibel sind. Fehlt allerdings der Zusammenhang mit dem großen, beeindruckenden Erlebnis, wird es schwieriger, eine solche Erklärung überhaupt aufzugreifen, zumal ja, wie oben erwähnt, Schmucki selbst zugestanden hat, dass die Leidens­ identifikation nicht das zentrale Thema in Franz’ Frömmigkeit war. Sein Ziel war die Christusnachfolge (s. o. 15) in Gehorsam – Konformi­ tät mit Christus wäre mehr und anderes. Nimmt man den Gedanken ernst, dass wir mehr über die innere Biographie von Franz wissen als über die äußere, wird man an dieser Stelle zumindest sagen müssen: Was wir über das Frömmigkeitsleben von Franz wissen, das sich von viel intensiveren passionsmystischen Strömungen etwa der Zisterzi­ enserfrömmigkeit merklich unterscheidet,220 legt jedenfalls eine psy­ chisch hervorgerufene körperliche Identifikation mit Christus nicht unbedingt nahe. Ebendiese Bedenken gelten gleichermaßen gegenüber der in der jüngeren Forschung favorisierten Ansicht, die Wundmale am Körper des Franz als Folgen einer Selbststigmatisierung zu deuten, die Franz 287

5. Kapitel: Rückzug

in einer Art von Ekstase vorgenommen hätte.221 Es gab in großer zeit­ licher Nähe zu Franz durchaus Beispiele von Selbstkreuzigungen: 1222, also vier Jahre vor Elias’ Mitteilung über die Stigmata des Franz, hat man in Oxford einen Mann vorgeführt und bestraft, der sich selbst die fünf Kreuzigungswunden beigefügt haben soll, Ähnliches geschah in Frankreich in Huy, und ausgerechnet Jakob von Vitry, der die Fran­ ziskaner so aufmerksam  beobachtete, berichtete hiervon.222 Diese Beispiele sind in der Tat frappierend und legen die von Christoph Da­ xelmüller vorgetragene These nahe, Franz habe an seinem eigenen Körper nicht in Betrugsabsicht, sondern in mystischer Verzückung ein „Passionsdrama“ vollzogen.223 Solche Überlegungen ziehen ihre Stärke aus der Einbindung in Frömmigkeitsphänomene der Zeit.224 Franz wird so kontextualisiert. Aber gerade dieser Kontext macht, schaut man noch etwas genauer hin, wiederum skeptisch: Angesichts dessen, dass seine Passionsfrömmigkeit zurückhaltender ist als bei manchen Zeitgenossen, ist eine solche Handlung – auch wenn seine Spontanei­ tät es schwermacht, solche Vorgänge auszuschließen – weniger wahr­ scheinlich als bei anderen. So oder so bliebe die Frage der Datierung des Geschehens.  Feld und Daxelmüller folgen darin weitgehend Celano und teilen in der Folge dessen Probleme, zu erklären, dass die selbst beigefügten Male zwei Jahre lang nicht gesehen wurden – zudem müssen sie noch dar­ legen, warum sie überhaupt so lange sichtbar gewesen wären. Daxel­ müllers Erklärung mit einer Art Unfall – die Wundmale seien deswegen nicht mehr verschwunden, weil die Nägel umgeknickt waren und sich nicht mehr herausziehen ließen225 – erinnert ein wenig an die mühsa­ men Erklärungsversuche Celanos selbst. Doch auch wenn man sich an die Angabe von Elias –„nicht lange vor seinem Tod“ – hält, wird es schwierig, sich eine Situation vorzustellen, in welcher sich der über Monate hinweg sterbenskranke Franz die Qual der Wundmale selbst zugefügt hätte.226 Schwierig ist das nicht nur wegen der nötigen Kraft und der in der Krankheit noch unerträglicheren Schmerzen, sondern auch wegen der Fürsorge, die ihm nun zuteilwurde und die ja bedeu­ tete, dass er wohl kaum einen Moment unbeobachtet war. Nicht zuletzt bleibt, gerade wenn man auf die Verbreitung von Selbststigmatisierun­ gen hinweist, die Frage, warum ein solcher Vorgang so sehr verheim­ licht werden musste, dass selbst Elias ihn nicht ausdrücklich benannte, 288

4. Stigmatisiert: zwischen Wunder und frommem Betrug

sondern von einer Erscheinung sprach: Gewiss, es gab häretische Fälle wie jenen in Oxford, aber im Falle der Marie von Oignies († 1213), auf die Helmut Feld hingewiesen hat,227 hat ihr geistlicher Begleiter Jakob von Vitry die Selbstverletzung als Teil einer bewundernswerten Biographie geschildert. Wenngleich in ihrem Falle nicht sicher ist, ob die Selbstver­ letzungen die Gestalt der Wundmale Christi hatten, zeigt sie doch zu­ sammen mit wenig später zu datierenden Beispielen, dass Paul Bösch in seinem Urteil wohl richtigliegt: „Stigmata, die einen Menschen mit dem Sohn Gottes ähnlich machen sollen, (…) werden von der Kirche als Blasphemie beurteilt und mit schwersten Strafen geahndet. Sie werden dagegen toleriert und sogar als Zeichen der Heiligkeit aufgefasst, wenn sie  (…) Ausdruck des Mitleidens mit dem gekreuzigten Jesus sind.“228 Wenigstens, so wird man sagen können, wären selbst beigefügte Stig­ mata nicht per se von der Kirche verurteilt worden – und mussten ent­ sprechend nicht verschwiegen und verborgen werden. So muss man zum Verständnis des Geschehens auf den Elias-Brief zurückkommen und noch einmal jene intensivierte Lektüre dieses Briefes von Trexler ernst nehmen229: Angesichts von Elias’ Worten ist zu bedenken, ob nicht eine solche Annahme der Selbststigmatisierung die Wundmale noch zu stark als physisches Phänomen am Körper des Franz wahrnimmt. Die These der Selbststigmatisierung könnte jeden­ falls schlecht erklären, wieso Elias solchen Wert auf die Veränderung des Körpers im Tode legt. Man müsste dann annehmen, die Stigmata seien noch im Leben verheilt, und die Entspannung des Körpers, die Elias frei­ lich gerade im Zusammenhang mit einem Ende der Zeichen der passio beschreibt, sei ein zweiter Vorgang der Körperveränderung gewesen. Plausibler lässt sich Elias’ Bericht erklären, wenn man die Stigmata als ein ganz ephemeres, vorübergehendes Phänomen versteht,230 als etwas, das, mit Elias’ Worten, erschien, aber auch bald wieder verging. Damit ist für Elias keineswegs eine geringe Bedeutung dieses Ge­ schehens verbunden: Für ihn war klar, dass die Stigmata selbst nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs waren.231 Das geht aus dem Begriff Wunder, miraculum, den er gebraucht,232 wie auch aus der Rede von der großen Freude, die er zu verkünden hat, hervor. Dieses Zitat gehört zu jenen biblischen Anspielungen, die noch im beginnen­ den 21. Jahrhundert verstanden werden. Was Elias da aufgreift, ist der Jubelruf der Engel zu den Hirten aus der Weihnachtsgeschichte – das 289

5. Kapitel: Rückzug

lässt nicht an menschliche Selbststigmatisation denken, sondern an einen Eingriff Gottes in die Geschichte. Dem entspricht auch die wie­ derholte Rede vom „Erscheinen“ als Gekreuzigter. Das lateinische Wort apparuit, das Elias hier gebraucht, verwendet das Neue Testa­ ment für die wunderhafte Erscheinung des auferstandenen Christus (Lk 24,34). Es geht um ein Gegenwärtigwerden Christi in dieser Welt. Über die Weise, wie dies geschieht, ist damit nichts gesagt. Anders als Celano später gibt Elias keine gründliche physische Beschreibung, im Gegenteil: Er spricht davon, dass Erscheinungen „wie Stiche“ („quasi puncturas“) zu sehen gewesen seien.233 Der Anspruch ist zunächst nicht eine physische Transformation, sondern ein Sichtbarwerden der Wundmale am lebenden Körper des Franz kurz vor seinem Tod, für das Elias einziger Zeuge ist und das er wohl als gottgewirkte Vision und eben deswegen als Wunder verstand. Man mag sich dies heute ver­ ständlicher machen, indem man annimmt, dass Franz’ Körper Spuren von Hautveränderungen trug, die den Kreuzesmalen ähnlich sahen, aber in einer Welt, zu der Visionen als Äußerungen Gottes hinzuge­ hörten, braucht es das nicht.234 Elias’ Zeugnis über die Stigmatisierung lässt sich mit den in der modernen Forschung verwendeten Erklä­ rungsmodellen  – übernatürliche Entstehung, Täuschung, psychoso­ matische Ursachen oder Selbststigmatisierung235  – nicht vollständig erfassen. Elias sah die Wundmale als visionäre Realität. Die hierfür leitenden Voraussetzungen waren bei Elias vorwiegend biblisch bestimmt, und damit kommen wir auf eine andere Art und Weise als die bisher erwogenen, die Stigmatisierung von Franz in ih­ rem geistig-geistlichen Kontext zu erfassen. Zwar gab es für eine Stig­ matisation bis dahin kein Vorbild in der Heiligengeschichte,236 aber die jüngere Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Bibelauslegung auch und gerade für die mittelalterliche Theologie und Frömmigkeit weist auf weiterreichende Entwicklungen hin. Gerade die Apostelgleichheit von Franz, die den Zeitgenossen ja sehr bewusst war, mag die Spur zur Christusgleichheit gelegt haben, hatte doch der Apostel Paulus selbst – in metaphorischem Sinne – gesagt: „Denn ich trage die Leidenszeichen Jesu (Vulgata: stigmata Iesu) an meinem Leib“ (Gal 6,17).237 Genau die­ sen Vers zitiert Elias in der Beschreibung der stigmata von Franz.238 Und Carolyn Muessig hat gezeigt, welch reiche Auslegungsgeschichte es zu diesem Vers seit der Spätantike gab, in welcher die Wundmale vielfach 290

5. Das Ende

nicht direkt als Ausdruck von Christusförmigkeit, sondern als Zeichen des Apostels verstanden wurden.239 Vor diesem Horizont konnte Elias die Wundmale, sei es in physischem Sinne, sei es, wie sich angesichts des Begriffs apparuit nahelegt, in visionärer Transformation, „nicht lange“ vor seinem Tod, und das heißt vermutlich: ganz kurz davor,240 am Leib des umbrischen Apostels entdecken – und auch wieder ver­ schwinden sehen. In ihnen verbanden sich die Nachfolge des Apostels und die Entsprechung zu Christus. Das wurde in einem sehr drastischen Sinne zum Ausgangspunkt für die Erzählung von den Wundmalen als physisch am Leichnam bleiben­ den Wundmalen. Und es wurde theologisch Ausgangspunkt der durch­ gängigen Christusentsprechung im Leben des Franz, die dann, so die nachholende Erklärung, ihren Beginn schon am Kreuz von San Dami­ ano genommen hätte. Der Weihnachtsruf, den Elias in seinem Rund­ brief verwendete, machte aus dem Apostelnachfolger, der wie Paulus die stigmata Christi trug, den alter Christus, den zweiten Christus.  Er wurde, so sagen es die Gefährten, „in jenen, der durch übergroße Liebe gekreuzigt werden wollte, durch mitleidende Süße gewandelt“241: Aus der Nachfolge Christi war die Verwandlung in ihn geworden.

5. Das Ende Erneute Krankheit

Elias berichtete nicht nur von den Stigmata. Er erinnerte auch an die Zerschundenheit und Gequältheit von Franz’ Körper. Tatsächlich durchzogen Krankheiten wohl sein Leben. Schon die Übergabe der Ordensgeschäfte hatte nicht nur spirituelle Gründe. Manche Quellen nennen hier auch seine Krankheiten242: Mit etwa vierzig  Jahren war sein Körper entkräftet. Zu viel hatte er ihm zugemutet oder war ihm zugemutet worden. Schon die frühe Kriegsgefangenschaft dürfte ihren Teil dazu beigetragen haben,243 die beschwerliche Orientreise mag das Leiden noch verstärkt haben. Überhaupt war die entbehrungsreiche franziskanische Lebensweise eine Herausforderung für den Körper.244 In den letzten  Jahren wurde Krankheit zum bestimmenden Thema. Unter den unspezifisch von Celano genannten, immer wiederkehren­ den Krankheiten245 war neben einer Leberschädigung246 besonders be­ 291

5. Kapitel: Rückzug

drängend eine lang anhaltende Augenerkrankung, wohl eine chroni­ sche Bindehautentzündung, die er sich in Ägypten zugezogen hatte;247 möglicherweise wurde er hier zudem von Malaria befallen.248 Man wird nicht ausschließen können, dass das lange Fasten in La Verna, vielleicht auch die Erschütterung durch die Seraphenvision ei­ nen Auslöser für einen weiteren Krankheitsschub darstellte: Die Legenda Perusina erzählt, dass Franz zwei Jahre vor seinem Tode, also 1224, über fünfzig Tage in San Damiano bei Klara und den Schwestern auf dem Krankenlager weilte  – es ist ebenjene Zeit, in welcher der Sonnenge­ sang entstanden sein soll. Genau in dieser Phase ermahnte ihn Elias von Cortona, sein Augenleiden durch einen Arzt behandeln zu lassen,249 was Franz bislang – nach Julian von Speyer nicht zuletzt aus Todessehnsucht – verweigert hatte.250 Diese Mahnung des Elias erwähnt Thomas von Ce­ lano ebenfalls, und zwar ausdrücklich zu einem Zeitpunkt, da Franz in seinem biographischen Schema schon die Stigmata trug.251 Nimmt man beide Angaben zusammen, wäre diese Krankheitsphase auf den Herbst 1224 zu datieren, unmittelbar nach dem La-Verna-Aufenthalt. Die Zeit in San Damiano war dann wohl neben dem Auskurieren der verschie­ denen Krankheiten auch der Rekonvaleszenz von der Augenoperation gewidmet, der Franz sich schließlich unterzogen hatte und deren Folgen quälend gewesen sein dürften. Celano berichtet davon, dass mit einem glühenden Eisen Ausbrennungen von der Wange bis zur Augenbraue252 vorgenommen wurden.253 Bis zu seinem Tod trug Franz ein Band um den Kopf, um die Narben zu verbergen.254 Einen neuerlichen Krankheitsschub brachte das Frühjahr 1226. Ce­ lano berichtet dies recht genau: Franz befand sich gerade zur Behand­ lung seines Augenleidens in Siena. Da kam es zu einer schweren Ma­ genverletzung oder -schwächung,255 in deren Folge er viel Blut erbrach. Nach diesem Blutsturz kam er wieder zu Kräften und konnte bis nach Le Celle bei Cortona reisen, aber Bauch und Füße schwollen  – viel­ leicht durch Wassereinlagerungen – an, der Magen versagte erneut sei­ nen Dienst.256 Franz wusste nun wohl, dass es auf den Tod zuging. So dürfte dies die Zeit gewesen sein,257 in der er den Text diktierte,258 den er selbst als „mein Testament“ bezeichnete.259 Bei einem armen Bruder konnte es sich bei diesem Schriftstück nicht um eine Verfügung über die Besitztümer handeln. Es ging darum, noch einmal den Sinn der ei­ genen Sendung deutlich zu machen.260 292

5. Das Ende

Letzte Worte: das Testament

Mit der letzten verbliebenen Kraft steigerte Franz darin die Spannung, die er mit der pragmatischen Ordensführung durch Elias empfand, zu einer Konkurrenz zweier Personen, zweier Leitungsmodelle und zweier Autoritätsbegründungen. Das gibt auch den bislang verschie­ dentlich herangezogenen autobiographischen Erinnerungen einen ganz eigenen Kontext: Franz stellte im Angesicht des Todes das eigene Leben als Vorbild für die Brüder dar. Noch einmal brandete auf, was schon in der Frühzeit das Besondere seiner Verkündigung gewesen war: Worte allein reichten nicht aus, sie mussten von einem Leben un­ terstützt, vielleicht überhaupt erst in Kraft gesetzt werden. So ist die Erinnerung an ein Leben der Buße, an die Fürsorge für die Leprosen mehr Exempel als Geschichtserzählung. Aufgrund der enormen Wirkung, die dieses Schriftstück später noch im Blick auf die Armutsfrage entfalten sollte, kann man leicht überse­ hen, dass eines der wichtigsten Anliegen von Franz die rechte Ordnung war. So schärfte er den Gehorsam gegenüber den Priestern261 und in­ nerhalb des Ordens262 ein und erinnerte an die Einhaltung der Gebets­ zeiten263. Man erahnt, wo er die Schwierigkeiten sah: Der Orden hatte offenkundig eine eigene Dynamik entwickelt, die zu disziplinarischen Problemen innerhalb der Gemeinschaft ebenso geführt hatte wie zu Spannungen mit den Ortspriestern. Hier rief Franz zur Ordnung  – man kann durchaus sagen, dass das Testament an dieser Stelle einen höchst konservativen Zug besitzt: Selbst noch mit dem Testament, das in der Wirkungsgeschichte als besonders radikal galt, kann man Franz schlecht zu einem Kirchenkritiker stilisieren. Gehorsam  gegenüber der Kirche und in der Kirche war ein Anliegen, das ihn bis zu seinem Tode umtrieb. Der Anspruch auf Radikalität erwuchs allerdings aus den Aussa­ gen, die er im Testament zur Lebensweise der Gemeinschaft machte – etwa die schon oben angeführte Mahnung, nur „ganz ärmliche geringe Wohnstätten“ zu haben und überhaupt nur das anzunehmen, was „der heiligen Armut entspricht“.264 Die heilige Armut als Maßstab  – das sollte später im sogenannten praktischen Armutsstreit noch einige Fragen aufwerfen. So grundsätzlich ist Franz hier nicht zu verstehen. Seine Sätze führen eher mitten hinein in eine der vielen Spannungen, welche die religiöse Welt des Mittelalters auszuhalten hatte: Das Le­ 293

5. Kapitel: Rückzug

ben der armen Brüder war auch für Reiche attraktiv, sodass man daran teilhaben wollte, und das nicht, indem man sich selbst für einen armen Lebensweg entschied, sondern durch Spenden. Wer der Gemeinschaft eine Behausung schenkte, konnte hoffen, dafür im Jenseits belohnt zu werden  – dass ein besonders großes und reiches Geschenk in Span­ nung genau zu jener Armut treten konnte, die die Faszinationskraft ausmachte, hatten viele Spender wohl nicht im Sinn, und manchem der Minderbrüder mag es gleichfalls nicht bewusst geworden sein. Hieran erinnert Franz in aller Schärfe, mehr wohl nicht. Der Verweis auf das Gelübde in der Regel macht dabei auch deutlich, dass Franz nicht eine Konkurrenz zur Regel anstrebte. Vielmehr, so er­ klärte er, diene sein Testament dazu, „dass wir die Regel, die wir dem Herrn versprochen haben, besser auf katholische Weise erfüllen“.265 Keine neue, keine andere Regel also sollte das Testament sein, wohl aber so etwas wie eine verbindliche Regelerklärung.266 Für wie bedeut­ sam Franz diese hielt, zeigt seine Anweisung, dass selbst der General­ minister nicht nur „an diesen Worten“  – das können im Zusammen­ hang sowohl die der Regel als auch die des Testaments sein  – nichts hinzufügen oder mindern solle, sondern auch das Testament stets zu­ sammen mit der Regel mit sich führen und auf den Kapitelversamm­ lungen verlesen solle.267 Dass Franz an anderer Stelle des Testaments versicherte, dass er den Generalminister als seinen Herrn verehre, ihm ganz gehorsam sein und ohne seinen Willen keinen Schritt tun wolle,268 ändert nichts: Was er hier tat, stellte ihn nicht im Gehorsam unter den Generalminister, sondern als verbindlichen Regelausleger über ihn. Zu diesem Zweck kann dann der „ganz kleine Bruder Franziskus“269 plötzlich wieder anfangen, Vorschriften zu machen: „Und allen meinen Brüdern, Klerikern wie Laien, schreibe ich um des Gehorsams willen bestimmt vor, dass sie keine Ergänzungen in die Regel und auch nicht in diese Worte einfügen!“270 Schwer vorstellbar, wie ein Generalminis­ ter neben einem so aktiven Gründer noch Raum zu Gestaltung haben sollte. Das Testament, das Franz schrieb, hatte höchste Autorität, weil es von ihm stammte  – und doch, lässt man sich einmal auf rechtliches Denken ein, keine Legitimation. Insofern war es durchaus berechtigt, dass Gregor IX. recht bald nach Franz’ Tod klarstellte, dass allein die Regel Verbindlichkeit besitzen konnte, nicht aber das Testament271: In 294

5. Das Ende

der Bulle „Quo elongati“ erklärte er am 28. September 1230, dass die Brüder an das Testament des Franz in keiner Weise gebunden seien, da dieser nicht mit Rechtskraft über seine Brüder und spätere Generatio­ nen habe bestimmen können.272 Das stimmt. Und doch hinterlässt es einen schalen Geschmack – nicht nur weil der lange Streit um die Ar­ mut im Orden dadurch eher befeuert als befriedet wurde. Ein formal korrekter Rechtsakt zog so den Schlussstrich unter jene charismati­ sche Begeisterung, die Franz ausgelöst und empfunden hatte.

Der inszenierte Tod

Zugleich profitierte der Papst von Franz’ Heiligkeit. Seine Anerken­ nung als Heiliger hatte Franz durchaus selbst in den letzten Wochen durch eine umfassende Inszenierung seines Sterbens mit vorberei­ tet.273 Noch einmal wurde die Performanz des Geschehens zur eigent­ lichen Mitteilung: Hier starb ein Friedensstifter, der auf Erden Jesus so nahe gekommen war wie kein anderer. Zu dieser performativen Ge­ staltung gehörte, dass er in seine Heimatstadt zurückkehrte, wo ihn die Bevölkerung mit Jubel und Lobpreis empfing. „Die Volksmenge hoffte nämlich, dass der Heilige Gottes in Kürze sterben werde, und dies war der Gegenstand einer so großen Begeisterung“.274 Diese Bemerkung Celanos mag zynisch wirken. Sie spiegelt aber nicht nur wider, dass die Bevölkerung von Assisi erahnt haben dürfte, dass der Tod eines Hei­ ligen in ihren Mauern von Vorteil sein würde. Bis heute profitiert die kleine Ortschaft in Umbrien vom Franz-Tourismus. Die Freude hatte tiefere, religiöse Gründe und griff mit der schon angesprochenen To­ dessehnsucht von Franz selbst zusammen: Der Tod stellte nur den letzten Schritt zu Gott dar, Franziskus stand nicht vor dem Ende, son­ dern vor der Erfüllung des diesseitigen und dem Beginn des jenseitigen Lebens.275 Diesen Weg galt es nun zu gestalten. In Assisi angekommen, wurde er zunächst – wohl um ihn nicht der Härte und Kälte der Behausung an der Portiuncula auszusetzen – im Palast des Bischofs untergebracht,276 wo er auch ausreichende medizinische Versorgung hatte.277 Trotz ärzt­ lichen Beistands aber ermattete Franz immer mehr.278 Als er das Ende kommen spürte, ließ Franz sich den Berg hinunter zur Portiuncula tra­ gen. „Er wollte nämlich dort Gott seine Seele zurückgeben, wo er, wie berichtet, zuerst vollkommen den Weg der Wahrheit erkannt hat“.279 295

5. Kapitel: Rückzug

Dort versammelte er die Brüder um sich. Nach der zweiten Vita Cela­ nos hielt Franz noch eine kurze Ansprache, in welcher er das Evange­ lium einschärfte.280 Dann sprach er den Segen über Elias von Cortona und die anderen Brüder281 – und Celano versäumte nicht, auf die bibli­ schen Vorbilder, den greisen Jakob, der seine Söhne segnete, und Mose mit dem Segen über Israel, zu verweisen.282 Die Bruderschaft hatte einst den Apostelkreis nachgebildet, der in seiner Zwölfzahl selbst ein Symbol des Neuen Israel war – dieses wiederum war in der Schar um Mose ebenso vorgebildet wie in den Söhnen Jakobs. Dieser Segen war zugleich Inszenierung der heilsgeschichtlichen Rolle der Bruderschaft wie auch Abschied des Franziskus von dieser Welt. Gemeinsam  san­ gen Franz und die Brüder das Lob Gottes, und Franz erließ allen Brü­ dern, anwesenden wie abwesenden, ihre Schuld und segnete sie.283 Der Friede, der für seine Botschaft bestimmend war, sollte hier herrschen. So wie er einst dem unbekannten Minister vorgeschrieben hatte, je­ dem Bruder gegenüber, gleich welche Sünden er auf sich geladen hatte, Barmherzigkeit zu zeigen, übte auch Franz noch einmal Nachsicht und Barmherzigkeit. Nach Celanos Vita secunda ließ Franz sich Brot bringen, „segnete es und brach es“,284 so wie es, wörtlich nach Mt 26,26, Jesus beim letzten Abendmahl getan hatte. Der Akt erinnert zumindest an eine eucharis­ tische Feier, und es ist nicht auszuschließen, dass eine solche tatsäch­ lich stattgefunden hat.285 Erzählt werden konnte dies nicht, da Franz sich damit noch auf den Tod liegend priesterliche Kompetenzen ange­ maßt hätte. Dann wurden, wohl ab Kapitel 13,286 die Schlusskapitel des Johannesevangeliums gelesen, in denen Jesus von seinen Jüngern Ab­ schied nahm. Hatte Franz siebzehn Jahre zuvor sich auf dem Weg nach Rom noch in den Zwölferkreis eingereiht und so darauf verzichtet, als Einzelner einer Gruppe von Jüngern gegenüberzustehen, machte der biblische Text nun deutlich, dass die, die zurückblieben, allein gelas­ sen waren wie einst die Jünger von Christus selbst. Nie in seinem Leben hat Franz sich derart in die Nähe von Christusgleichheit begeben wie durch diese Bibellesung – und trotzdem blieb die Botschaft vieldeutig. Das Evangelium, das gelesen wurde, sollte ja zunächst und vor allem ihm selbst Trost spenden. Und doch wurde damit der Erwartungshori­ zont geschaffen, vor dem an seinem Körper die Wundmale Christi ent­ deckt werden konnten. 296

5. Das Ende

Franz ließ sich nackt287 auf ein Büßergewand legen und als Zeichen, dass er selbst bald zu Staub und Asche werden würde, mit Asche be­ streuen.288 So starb er, auf dem Boden der Niederlassung seiner Bru­ derschaft an der Portiuncula liegend, am Abend des 3.  Oktober 1226 kurz nach Einbruch der Dunkelheit.

297

In der Ferne ein Mensch

F

ranz lebte in dem Bewusstsein, dass der Tod nicht das letzte Wort hatte. Er hoffte auf ein neues, ein anderes Leben. Auch seine Erben ließen es mit dem Tod nicht bewenden. Celano schloss an dessen Schilderung noch Beschreibungen der Grablegung von Franz an. Franz hätte sich wohl gewünscht, dass diese in der Por­ tiuncula stattfände.1 Doch diesen Wunsch ließ man ihm nicht. An­ geblich aus Sorge, dass der Konflikt mit Perugia dazu führen könnte, dass der Leichnam entwendet werde, holte man ihn in die Mauern der Stadt und bestattete ihn in der Kirche San Giorgio, „in welcher er an­ fänglich Lesen und Schreiben gelernt und später als Erstes zu predigen begonnen hatte“.2 Die große Kirche, die sich heute, seinem Andenken geweiht, über seinem Grab befindet, war ja noch nicht errichtet. Erst 1230 wurden seine Gebeine heimlich dorthin transferiert und blieben verborgen, bis im Jahre 1818 Grabungen zur Wiederentdeckung seines Sarkophags führten.3 Bei der Überführung in die Kirche, die sich heute prachtvoll über seinem Grab erhebt, war Franz schon heiliggesprochen  – auch das gehört für Celano zur Vita noch dazu. Gregor  IX. konnte am 16.  Juli 1228, nicht lange nach dem Beginn seines Pontifikates, vollenden, was er als Kardinal Hugolin begonnen hatte. Franz, den er beschützt hatte, wurde nun als Heiliger zu seinem Beschützer. Und doch wehrte er sich auch dagegen, dass die Macht, die von dem Heiligen ausging, zu groß würde: Die Bulle „Quo elongati“ sollte Grenzen setzen und konnte es doch nicht. Noch ein Jahrhundert sollte der Streit um die Armut unter den Franziskanern dauern. Schon darin zeigt sich, dass es schwer ist, Franz festzulegen. 298

In der Ferne ein Mensch

Die Krypta in der Unterkirche von San Francesco mit dem Grab des Namenspatrons.

Ein Heiliger soll er sein. Und gerade deswegen für manche: ein Ketzer. Oder, in moderner Fassung, ein Rebell. 4 So viele Bilder, die Franz greifbar machen. Aber er lässt sich so leicht nicht greifen. 299

In der Ferne ein Mensch

Botmäßiger Anhänger des Papstes, Prophet des Konzils, harter Ge­ richtsprediger: Auch das ist Franz. Man kann den zarten Dichter des Sonnengesangs nicht von dem lösen, der diejenigen verdammte, die falsch vom Abendmahl dachten. Die Fragmente, die uns erhalten sind, sie fügen sich nicht ohne Spannungen zu einem Ganzen. Manches scheint wiedererkennbar: Der Konflikt mit dem Vater, die Anlehnung an die Kirche, das sind wohl Grunddaten seines Le­ bens. Der Bruch stand am Anfang, nicht die klare, positive Entschei­ dung. Franz’ Weg lässt sich zu guten Teilen aus einem Generationen­ konflikt verstehen, der in seinem Falle zu einem Gesellschaftskonflikt wurde, weil sich in seinem Vater der Reichtum und die Geldorientie­ rung seiner Zeit verdichteten. Der Protest, der sich hier entwickelte, wurde aber nicht zu einem Konflikt mit der Kirche. Franz stand am Rande, ja außerhalb der städtischen Gesellschaft seiner Zeit, in der Kirche drang er bis ins Zentrum vor. Das Bündnis mit den Päpsten war kein Missverständnis, sondern tiefste Konsequenz seiner Lebensge­ schichte. Und diese Spannung macht seine historische Stellung aus: Mit besonderer Schärfe hielt er der Bindung der Gesellschaft seiner Zeit den Spiegel vor  – und übersah, dass sich darin auch die Kirche hätte spiegeln können. So war er mit seiner Zeit verwoben, in Ableh­ nung wie in Integration. Und reichte über sie hinaus: Als Bußprediger bot er gerade keine Wirtschaftsanalyse, sondern er zielte auf den Men­ schen, der sich immer wieder an Ökonomisierung zu verlieren droht, im 21. nicht weniger als im 13. Jahrhundert. Dass jegliche Analyse fehlte, gehört auch zu einer anderen Grund­ linie seines Lebens: zu jener Spontaneität, die ihn vor allem zu Beginn prägte, aber nie ganz verließ.5 In seinem Bemühen, mehr die Taten als die Worte sprechen zu lassen, zeigt sie sich bis ans Lebensende. Franz war kein konzeptioneller Mensch, er brauchte offenbar immer wieder auch Berater, die ihm halfen, seine spontanen Eruptionen in produk­ tive Bahnen zu lenken, aus dem Bruch einen Aufbruch zu machen. Je­ ner Priester in San Damiano, dem er das Geld hinwarf, war vielleicht der Erste, der es versuchte. Bischof Guido folgte, der Priester an der Porti­ uncula, der ihm die Aussendungsrede erklärte, Bernhard, Hugolin, die Generalminister … Die Reihe derer, auf die er angewiesen war, um Klar­ heit zu gewinnen, ist lang. Man mag all jenen Beratern vorwerfen, dass sie Franz in ihrem Interesse beeinflusst, ihn geformt, vielleicht sogar 300

In der Ferne ein Mensch

verformt haben, und damit kann man sich auch auf die Frustrationen der letzten Lebensjahre berufen. Aber ihr Beitrag zum Leben des Franz war, dass es Form gewann und Dauer. Franz hatte eine Bewegung her­ vorgerufen, die für ihn selbst im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr beherrschbar war: Als die Bruderschaft größer und größer wurde, ver­ lor er die Fähigkeit und wohl auch die Lust, sie weiter zu leiten. Er zog die Einsamkeit vor, verzichtete auf die Leitung – und konnte doch nicht ganz die Finger davon lassen. Das ist vielleicht der problematischste und schwierigste Zug in seinem Leben, der jenen Helfern die Aufgabe schwermachte. Die Eigengesetzlichkeit von Hagiographien hat diese Neigung zur Konkurrenz gegenüber den Generalministern ebenso vielfach überspielt wie die Angewiesenheit auf andere, die deutlichen Grenzen seines Wirkens – hinter ihren Überblendungen aber erscheint ein Franz, der in vielem wohl mehr Empfangender war als Gebender. Er selbst wollte vor allem von einem empfangen. Dieses Leben wusste sich im Schlimmen wie im Guten durch Gott geleitet. Die Buße ist Ausdruck der Herausforderung durch Gott, der Friedensgruß, der Anspruch, apostolisch zu leben, die Lebensform, die daraus resul­ tierte. Ein Leben, das von sich weg auf Christus hinwies und zugleich versuchte, Christus in dieser Welt präsent werden zu lassen und da­ bei, nicht zu vergessen, dem stets als präsent empfundenen Teufel zu widerstehen. Die Präsenz Christi gipfelte in der Weihnachtsfeier von Greccio, und, wohl mehr in den Augen anderer als in den eigenen, in der Stigmatisation. Hier ist der tiefste Sinn dieses Lebens zu erken­ nen: Wer immer etwas über Franz’ Äußeres sagte, beschrieb ihn als unscheinbar, ja abstoßend  – gerade darin aber wollte er Träger der Botschaft von Gott sein. Das ist ein Ausdruck ebenjener Inkarnation, die ihm so wichtig war: Gott, der in diese Welt kommt, nimmt auch die Geringsten in seinen Dienst. So hat Franz sich verstanden und be­ zeichnet – und selbst hier hören die Spannungen nicht auf, denn damit verband sich der Anspruch höchster Autorität, bis in seine letzten nie­ dergeschriebenen Worte hinein. So sehen sie aus, die Fragmente, die man finden kann. Nicht im­ mer ergeben sie ein völlig geschlossenes Bild. Auch das gehört wohl zu der spontanen Persönlichkeitsstruktur von Franz. Doch glatte Per­ sönlichkeiten sind meist nicht die interessanten. Durch die einzelnen Versatzstücke hindurch spürt man das Charisma, das andere mitriss, 301

In der Ferne ein Mensch

Die Portiuncula-Kapelle, der Sterbeort des Franziskus, heute überbaut mit der imposanten Basilika Santa Maria degli Angeli nahe Assisi.

selbst aber nicht zur Ruhe fand. Fragmente bleiben. Fragmente eines Lebens. Es bleibt die ferne Ahnung von einem Suchenden, der sein Ziel in dieser Welt nicht finden konnte. Und der sich von uns nicht greifen lassen will. 302

Nachwort

H

inter dem Altar im Hohen Chor der Elisabethkirche in Marburg strahlen mittelalterliche Glasfenster. Elisabeth von Thüringen ist dort zu sehen, nach der die Kirche auch heute noch, längst evangelisch genutzt, heißt. Aber auch der Mann, den sie nie persönlich kennen­ lernte und von dem sie sich doch vielfältig hat inspirieren lassen: Franz von Assisi. Hier ist er mir zum ersten Mal begegnet. Als Pfarrerssohn hatte ich den Heiligen vor Augen, ohne mich zu fragen, ob er nun ka­ tholisch sei oder evangelisch. Seitdem bin ich immer wieder zu ihm zu­ rückgekehrt, habe versucht, mir ein Bild von ihm zu machen. Und das Buch, zu dem diese Versuche nun geführt haben, zeigt doch auch, dass diese Bemühungen nie ganz abgeschlossen werden können. Diese schwere Greifbarkeit ist Teil der Faszination, die über Jahrhun­ derte immer wieder von dem Poverello aus Assisi ausgeht: Anregend ist er, irritierend, manchmal auch verstörend. Die Namenswahl eines Paps­ tes hat dazu beigetragen, dass auch unsere Zeit wieder nach ihm fragt – und sich hoffentlich auch von ihm hinterfragen lässt. An diesem Fragen nimmt dieses Buch teil. Mit ihm habe ich mich auf die Suche nach Fran­ ziskus gemacht – und habe einen Suchenden gefunden. Die Idee zu diesem Buch entstand im Gespräch mit Daniel Zimmer­ mann, der stets Geduld und Ermutigung miteinander verbunden hat. Beim Schreiben haben mir viele Gespräche geholfen, besonders mit meinem Vorgänger in Tübingen, Ulrich Köpf, und meinem hiesigen katholischen Kollegen Andreas Holzem. Für einzelne Fragen waren sehr hilfreich die freundlichen Hinweise von Albrecht Fuess (Mar­ burg), Reinhold Grimm (Jena), Karl-Heinz Leven (Erlangen), Andreas Odenthal (Tübingen/Bonn). Den Text gründlich gelesen und verbes­ sert haben Bianca Babucke, Anja Bork (beide Tübingen) und Jenni Ber­ ger (Sondelfingen); die lateinischen Zitate überprüft und korrigiert hat Tobias Jammerthal (Tübingen); Anja Bork hat außerdem das Register vorbereitet, das dann vom Verlag erstellt wurde. Für den Verlag hat Daphne Schadewaldt das Buch mit großer Sorgfalt lektoriert. Ihnen allen danke ich für Hilfe, Unterstützung und Ermutigung. Volker Leppin Tübingen, Ostern 2018 303

Anmerkungen Der Weg zu Franz Sonn 3 (Fontes Franciscani 39). Wend (Ed. Hewlett 2,329): „Papa itaque in fratre memorato habitum deformem, vultum despicabilem, barbam prolixam, capillos incultos, supercilia pendentia et nigra diligenter considerans“. 3 Hilfreiche Zusammenfassungen bieten Leonhard Lehmann, Die franziskanische Frage, in: Franziskus-Quellen 165–179; Franz Xaver Bischof, Der Stand der „Franziska­ nischen Frage“, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 1–16. 4 Feld, Franziskus 319. 5 Grau, Thomas von Celano 99–102. 6 Streng genommen stellen sich auch hier einige Probleme: Kajetan Eßer hat darauf hingewiesen, dass die sogenannten Opuscula von Franz in einem Latein von sehr unter­ schiedlicher Qualität überliefert sind. Dies weist darauf hin, dass Franz, von einzelnen Fällen abgesehen, in denen er selbst geschrieben hat (zu den wenigen erhaltenen Auto­ graphen s. Bartoli Langeli, Autografi), im Laufe seines Lebens verschiedene Sekretäre in Dienst genommen hat, die dann auch den Text eingefärbt haben dürften (Franz, Opuscula 57). 7 Fontes Franciscani 425. 8 4 Cel 1 (Fontes Franciscani 427). 9 Eccl XV (Ed. Little 89 f.): „Frater Augustinus (…) retulit publice in conventu Londoniae, se fuisse apud Assisium in festo sancti Francisci, et fuit ibi papa Gregorius, et cum procederet ad praedicandum, cantabant fratres: ‚Hunc sanctum praeelegerat in pat­ rem,‘ etc. et subrisit papa.“ Die Ausgabe der Franziskus-Quellen bietet hervorragende Übersetzungen in deutscher Sprache. Diese habe ich für meine eigenen Übersetzun­ gen berücksichtigt. 10 JulOff 1. III (Fontes Franciscani 1105). 11 Cel VB. 12 Gef 1,2 (Fontes Franciscani 1373): „signa et prodigia beatissimi patris Francisci“; vgl. 2 Cel 1,1 f. (Fontes Franciscani 443). 13 2 Cel 1,1 f. (Fontes Franciscani 443): „ut gesta vel etiam dicta gloriosi patris nostri Fran­ cisci nos (…) ad consolationem praesentium et posterorum memoriam scriberemus.“ 14 Vgl. hierzu Benz, Ecclesia spiritvalis 175–181. 15 Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2012. 16 Gef 1,1 (Fontes Franciscani 1373). 17 Gef 1,6–9: „de amoeno prato quosdam flores“. 18 Leonhard Lehmann, Einleitung zur Dreigefährtenlegende, in: Franziskus-Quellen 602–609, hier 602. 19 Franz Xaver Bischof, Der Stand der „Franziskanischen Frage“, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 1–16, hier 9. 20 S. Franziskus-Quellen 573; skeptischer zum Quellenwert ist Feld, Franziskus 38 f. 21 Franziskus-Quellen 573. 22 Wenigstens erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch die sog. Legenda Perusina (Per), die insgesamt aus dem späten 13. Jahrhundert stammen dürfte, aber einzelne Hinweise auf Augenzeugenschaft enthält, die möglicherweise bis auf den unmittelbaren Gefährtenkreis zurückgehen (Manselli, Nos). 1

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Anmerkungen Rotzetter, Mystik 734. Eine vorrangige Bedeutung heißt dann auch, dass man die Ha­ giographien daraufhin zu befragen hat, ob und inwieweit ihre Gedanken und Konzepte den Werken von Franz entsprechen (s. hierzu Schmucki, Erfahrung 394). 24 Test (Fontes Franciscani 225–232). Dessen Bedeutung für eine Rekonstruktion der Biographie von Franziskus hebt besonders hervor Ulrich Köpf, Hugolino von Ostia (Gregor IX.) und Franziskus, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 163–182, hier 177. 25 Um dies zu verdeutlichen, sei darauf verwiesen, dass Franz in Test 39 (Fontes Franciscani 231) erklärt, Gott habe ihm eingegeben, „die Regel einfach und rein zu verlautbaren und aufzuschreiben“ („sicut dedit mihi Dominus simpliciter et pure dicere et scribere regulam“). Historisch besteht aber große Einigkeit darüber, dass die Franziskanerregel einem allmählichen Redaktionsprozess entstammt, an dem neben Franz nicht allein die Brüder beteiligt waren, sondern auch der Kardinal Hugolin von Ostia. Hier spitzt Franz offenkundig seine eigene Bedeutung bei der Regelentstehung zu, um deren Geltung stärker mit seiner Person zu verknüpfen. 26 Accrocca, Francesco e i suoi frati 102: „Dall agiografia alla storia: un passaggio difficile, non impossibile“; vgl. ähnlich Lehmann, Mystik 73, der meint, der Weg zur Biographie des Franz sei „dornenvoll, aber doch so ausgeschildert, dass man ihn gehen kann“. 27 In diesen methodischen Überlegungen fühle ich mich in besonderer Weise Ulrich Köpf, Hugolino von Ostia (Gregor IX.) und Franziskus, in: Bauer / Feld / Köpf, Franzis­ kus 163–182, hier 177, verbunden: Für Franziskus „besitzen wir eine Fülle biographisch relevanten Materials. Ein großer Teil davon hat allerdings hagiographischen Charakter und kann deshalb nur mit der gebotenen Vorsicht gebraucht werden.“ 28 So berichtet 3 Cel 6,4 f. von einem Mann, der, „weil der alte Feind sein Spiel mit ihm trieb“ („illudente sibi hoste antiquo“ [Fontes Franciscani 650]), an der Stigmatisierung des Franziskus zweifelte. 29 Diese Annahme wird etwa geteilt von Feld, Franziskus.  30 Henning Luther, Leben als Fragment. Der Mythos von der Ganzheit, in: WzM 43 (1991), 262–273. 31 Die Metapher einer Perspektive scheint mir für den vorliegenden Zusammenhang passender als die eines „Schleiers der Erinnerung“. 32 Zur Angewiesenheit der Biographen auf Fragmente vgl. Maranesi, Facere misericor­ diam 293. 23

1. Kapitel: Bruch

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Dies sind die deutsche und die italienische Namensform. Sie werden im Folgenden im losen Wechsel mit der lateinischen Form Franciscus/Franziskus verwendet. BonLm I,1,3 (Fontes Franciscani 965). Bihl, De nomine 502–513. Gef 2,1 (Fontes Franciscani 1375). Zur Datierung der Geburt s. die Hinweise, dass Franz sich bei seiner Bekehrung im 25. Lebensjahr befand (1 Cel 2,1 [Fontes Franciscani 278]) und dass sein Tod im Oktober 1226 zwanzig Jahre nach seiner Bekehrung erfolgte (1 Cel 109,1 [Fontes Franciscani 386]). Gef 2,1 (Fontes Franciscani 1375). Gef 10,6 (Fontes Franciscani 1382): „licet ea recte loqui nesciret“. Gef 23 (Fontes Franciscani 1396): „gallice“.

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Anmerkungen 1 Cel 16,1 (Fontes Franciscani 291). Feld, Franziskus 101 f., vermutet eine südfranzö­ sische und zugleich katharische Herkunft der Mutter von Franz (aufgenommen bei Daniela Müller, Franziskus und der Katharismus. Gemeinsamkeiten und Differenzen im Natur- und Erlösungsverständnis, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 141–161, hier 146). Wichtigster Beleg ist ihm hierfür der Name Pica, von dem Nikolaus von Assisi berichtet (Nikolaus von Assisi, Liber exemplorum Nr. 116 [Ed. Oliger 263]). Freilich ist dieser Name selten belegt (vgl. noch den Hinweis auf einen weiteren Beleg in einer Auf­ listung von Namen aus Franz’ Familie in einem Dokument der Biblioteca Communale von Assisi bei Feld, a. a. O. Anm. 10) und seine Zuordnung zu einem katharischen und südfranzösischen Hintergrund eher spekulativ, sodass eine Erklärung der Französi­ schkenntnisse von Franz hieraus ebenso wenig zwingend erscheint wie eine Kenntnis der Ideen der Katharer. 10 Le Goff, Franz 49. 11 Zu den vorherigen feudalen Strukturen Flood, Francis 10 f. 12 Vgl. zu diesen Ereignissen die knappe, aber sehr instruktive Darstellung von Michael F. Cusato, Francis and the Franciscan movement (1181/2–1226), in: Robson, Cambridge Companion 17–33, hier 18 f. 13 Riley, Francis’ Assisi 400. 14 S. Franz (Hug / Rotzetter) 199. 15 Franz (Hug / Rotzetter) 201. 16 Zum Vertrag von 1203 s. Riley, Francis’ Assisi 408. 17 Franz (Hug / Rotzetter) 200. 18 Vorher waren die Bezeichnungen boni homines und homines populi gängig (s. Franz [Hug / Rotzetter] 200); vgl. zu den Bezeichnungen auch Flood, Francis 65 f. 19 Vgl. Franz (Hug / Rotzetter) 207. 20 Feld, Franziskus 100. 21 2 Cel 3,5 (Fontes Franciscani 446): „non illorum parentum, qui dicebantur eius, prosa­ pia genitus“. 22 Gef 2,4 (Fontes Fransicani 1375): „ut non eorum filius sed quiusdam magni principis videretur“. 23 Zum Namen s. o. 306 Anm. 9. 24 2 Cel 3,7 (Fontes Franciscani 446). 25 Solche Zweifel äußert bereits Thompson, Francis 6. 26 Gef 2,1 (Fontes Franciscani 1375). 27 2 Cel 3,1 (Fontes Franciscani 445). 28 2 Cel 3,6 (Fontes Franciscani 446). 29 1 Cel 120,7 (Fontes Franciscani 400): „qui super omnes cor francum et nobile gessit“. 30 2 Cel 3,8 (Fontes Franciscani 446). 31 Zu dem Abt aus der Gemeinschaft von Fiore, der diese Schriften in das Minoriten­ kloster in Pisa brachte, s. Salimbene, Cronica zum Jahre 1248 (Salimbene, Cronica 356,14–25). Salimbenes eigene Vertrautheit mit dem Joachitismus hatte offenbar mit dem hier gleichfalls erwähnten Hugo von Digne zu tun, dem er schon in seiner Jugend in Siena begegnet war (ebd. 353,8–10); Frances Andrews, The Influence of Joachim in the 13th Century, in: Matthias Riedl (Hg.), A Companion to Joachim of Fiore (Brill’s Companions to the Christian Tradition 75), Leiden/Boston 2017, 190–266, hier 221, da­ tiert beide Geschehnisse auf 1240. Die Streitigkeiten im Orden „zwischen den ‚Laxen‘ um Elias von Cortona und den ‚Eiferern‘ um Bruder Leo und Bruder Ägidius“ (Elm, Vitasfratrum 149) waren ohnehin schon älter. 32 2 Cel 3,2 (Fontes Franciscani 445). 33 1 Cel 2,1 (Fontes Franciscani 278). 9

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1 Cel 1 (Fontes Franciscani 277 f.). 1 Cel 2,2 (Fontes Franciscani 278). 1 Cel 2,5 (Fontes Franciscani 278). 1 Cel 2,4 (Fontes Franciscani 278). 1 Cel 3,1 (Fontes Franciscani 279). Cel VB 2 (Ed. Dalarun 35,27): „ab illis enormibus peccatis“. 2 Cel 3,3 (Fontes Franciscani 445). 2 Cel 3,5 (Fontes Franciscani 446) – in sozialhistorischer Perspektive ist es bemerkens­ wert, dass Celano hier von urbani mores spricht, während die Dreigefährtenlegende ihm ein höfisches Verhalten („curialis“) zuschreibt (Gef 3,1 [Fontes Franciscani 1375]); Letzteres betont in seiner Deutung sehr stark Manselli, San Francesco 116–124. Gef 3,1 (Fontes Franciscani 1375). Gef 2,7 (Fontes Franciscani 1375); diese Spannungen sind in meinen Augen ein Argu­ ment für die relativ frühe Datierung der Dreigefährtenlegende noch vor 2 Cel. 2 Cel 7,1 (Fontes Franciscani 449). 2 Cel 7,2 (Fontes Franciscani 449). 1 Cel 2,4 (Fontes Franciscani 278). 1 Cel 23,4 (Fontes Franciscani 298); BonLM XV,4 f. (ebd. 908); insofern ist Franz’ Selbst­ bezeichnung als „idiota“, Ungelernter, in Test 19 (ebd. 229) zu relativieren; vgl. Schmucki, Beiträge 200. Schmucki spricht insgesamt von einer „recht dürftigen Schulbildung“ (203), aufgrund deren Franz lateinische Texte lesen, aber nur mit Mühe selbst verfassen konnte. Feld, Franziskus 105. Ord 39 (Fontes Franciscani 103): „ignorans sum et idiota“; vgl. Test 19 (ebd. 229). Inter­ essanterweise geht Wend (Ed. Hewlett 2,328) davon aus, dass Franz intensive Bildung in den litterae und der Theologie erfahren habe. Die jüngere Forschung sieht, der Arbeit von Bartoli Langeli, Autografi, folgend, aller­ dings Anhaltspunkte dafür, dass Franz’ Latein nicht ganz so schwach war, wie man früher annahm (s. Hoeberichts, Authenticity 502). Gef 2,7 (Fontes Franciscani 1375). Vgl. Flood, Francis 100: „Let us say the Franciscan movement arose through broad discontent“. Test 1–3 (Fontes Franciscani 227): „Dominus ita dedit mihi fratri Francisco incipere faciendi poenitentiam: quia cum essem in peccatis nimis mihi videbatur amarum videre leprosos. Et ipse Dominus conduxit me inter illos et feci misericordiam cum illis. Et recedente me ab ipsis, id quod videbatur mihi amarum, conversum fuit mihi in dulcedinem animi et corporis; et postea parum steti et exivi de saeculo“. Diese Stelle rückt Messa, Vita eremitica 41–45, mit gut nachvollziehbaren Gründen in das Zentrum seiner Rekonstruktion der Bekehrung des Franz. Große Bedeutung hat der Umgang mit Leprosen auch in der Darstellung von Flood, Francis 28–32; Freeman/Sevenhoven, Nachlaß 34 f. So deutet Manselli, Franziskus 42 f. diese Erfahrung als „genau den entscheidenden Augenblick“. Relativierend demgegenüber Maranesi, Facere misericordiam 293 f., freilich mit bemerkenswerter Stoßrichtung: Maranesi geht es vor allem darum, dass trotz der Äußerung im Testament die Bedeutung des Kruzifixes in San Damiano für die Bekehrung von Franz aufrechterhalten wird. Bernd Ulmer, Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattungen. Erzählerische Mittel und Strategien bei der Rekonstruktion eines Bekehrungserlebnisses, in: ZfS 17 (1988), 19–33. Vgl. Freeman/Sevenhoven, Nachlaß 37, die betonen, dass Franz „[e]rst im Nachhinein“ die Bedeutung der Begegnung mit den Leprosen aufgegangen sei. 1 Cel 6,1 (Fontes Franciscani 281): „immutatus quoque, sed mente non corpore“.

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Anmerkungen 1 Cel 7,5 f. (Fontes Franciscani 283): „Putabant homines quod uxorem ducere vellet, ipsumque interrogantes dicebant: ‚Uxoremne ducere vis, Francisce?‘ Qui respondens eis aiebat: ‚Nobiliorem et pulchriorem sponsam quam unquam videritis ducam, quae caeteris forma praemineat et sapientia cunctas excellat‘.“ 59 1 Cel 7,7 (Fontes Franciscani 283). 60 1 Cel 6,4 f. (Fontes Franciscani 282). 61 1 Cel 7,7 (Fontes Franciscani 283). 62 1 Cel 6,7 (Fontes Franciscani 282): „sanctus iam sancto proposito“. 63 2 Cel 4,3 (Fontes Franciscani 446); vgl. Gef 4,2 (ebd. 1377). 64 2 Cel 4,7 (Fontes Franciscani 446). 65 Gef 4,5 (Fontes Franciscani 1377). 66 Vgl. in diesem Sinne auch Vauchez, François 49. 67 Gef 4,1 (Fontes Franciscani 1376 f.). 68 Gef 4,1 (Fontes Franciscani 1378). 69 1 Cel 3,2 (Fontes Franciscani 279). 70 Feld, Franziskus 108 f. 71 Nach Per 106,10 soll Franz diese Kränklichkeit auf die Zeit seiner Bekehrung zurück­ geführt haben: „licet a principio mee conversionis ad Christum infirmitius fuerim“ (Fontes Franciscani 1648 f.). 72 1 Cel 3,2 (Fontes Franciscani 279). 73 1 Cel 3,4 (Fontes Franciscani 279). 74 1 Cel 4,1 (Fontes Franciscani 280): „Ab ea itaque die coepit seipsum vilescere sibi, et in contemptu quodam habere, quae prius in admiratione habuerat et amore“. 75 1 Cel 4,4 (Fontes Franciscani 280). 76 Jul 2,1 (Fontes Franciscani 1027): „coegit iam solitis dissimilia cogitare“. 77 2 Cel 5,3 (Fontes Franciscani 447); Gef 6,2 (ebd. 1378). 78 2 Cel 5,4 (Fontes Franciscani 447). 79 1 Cel 4,5 f. (Fontes Franciscani 280). 80 Hoose, Peace 452; Moore, Pope Innocent III (2003) 67 f. 81 AP 5,5 f. (Fontes Franciscani 1313): „Qua de re eo cogitante, deliberavit fieri miles, ut principatus huiusmodi sibi militi offeretur. Unde disposuit ad comitem Gentilem, praeparatis sibi pannis pretiosis, ut potuit, quatenus ab eodem comite miles fierit, in Apuliam proficisci“. 82 Berg, Franziskus 35. Besonders betont hat diesen sozialen Hintergrund in seiner Deu­ tung Vauchez, François 31–48. 83 Gef 5,2 (Fontes Fransicani 1377) hat auch den Namen Gentile, aber Franziskus-Quellen 614 Anm. 7 weist darauf hin, dass in anderen Überlieferungen der großgeschriebene Name zum kleingeschriebenen Attribut gentilis geworden ist. 84 1 Cel 5,1 (Fontes Franciscani 280): „per visionem nocturnam“. Die Formulierung weist zurück auf Hi 33,15: „per somnium in visione nocturna“. Es handelt sich wohl nach heutiger Terminologie um einen Traum, der aber, weil er den Zugang zu Gott eröffnete, in seinem Offenbarungsgehalt von einer Vision nicht unterschieden wird; Thompson, Francis 10, deutet diese Träume letztlich auch als Ausdruck der physischen und psychi­ schen Krise, in die Franz nach seiner Gefangenschaftserfahrung geraten war. 85 BonLM 3,1 (Fontes Franciscani 783): „palatium“. 86 BonLM 3,7 (Fontes Franciscani 784): „quia visio, quam vidisti, spiritualem praefigurat effectum, non humana sed divina in te dispositione complendum“. 87 1 Cel 5,7–9 (Fontes Franciscani 281). 88 Zugleich weist Hoose, Peace 453, zu Recht darauf hin, dass die mit der Reaktion auf diese Vision verbundene Kritik an Waffen keineswegs eine grundsätzliche war (so 58

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versteht sie Steven J. McMichael, Francis and the encounter with the sultan [1219], in: Robson, Cambridge Companion 127–142, hier 129), sondern sich allein auf den indi­ viduellen Weg des Franz bezog. Hieraus generelle Folgerungen für seine Haltung zum Krieg zu ziehen, ist nicht möglich. Gef 6,5 (Fontes Franciscani 1378): „Quis potest tibi melius facere? Dominus aut ser­ vus?“. Gef 6,7 (Fontes Franciscani 1379). Gef 6,8 (Fontes Franciscani 1379): „Revertere (…) in terram tuam et tibi dicetur quid sit facturus“. Ausgeführt findet sich diese Paulus-Analogie in 2 Cel 6,9 f. (Fontes Franciscani 448). Gef 6,8 (Fontes Franciscani 1379): „Nam visionem, quam vidisti aliter intelligere te opor­ tet“. Gef 5,7 (Fontes Franciscani 1378). 1 Cel 5,8 (Fontes Franciscani 281): „Vim namque quamdam sibimet facere oportebat, ut cogitata perficeret et iter concupitum effectui manciparet“. 1 Cel 6,1 (Fontes Franciscani 281). 2 Cel 6,9 (Fontes Franciscani 448) erscheint zwar die Wendung „Revertitur absque mora“, „Er kehrte ohne Zögern um“, doch kann reverti hier auch im Sinne der spirituel­ len Umkehr verstanden werden. Jul 3,4 (Fontes Franciscani 1028). Gef 6,3 (Fontes Franciscani 1378). AP 6,2 (Fontes Franciscani 1313). Vgl. die Rede von „traumatischen Kriegserfahrungen“ bei Berg, Kreuzzugsbewegung 60. Vgl. in ähnlichem Sinne Berg, Franziskus 40. AP 4,1 (Fontes Franciscani 1312). AP 7,2 (Fontes Franciscani 1314). Jul 3,7 (Fontes Franciscani 1028). 1 Cel 6,2 (Fontes Franciscani 281 f.). 1 Cel 6,4 f. (Fontes Franciscani 282); vgl. Gef 12,1 (ebd. 1384). 1 Cel 6,6–12 (Fontes Franciscani 282 f.); vgl. Gef 12,3 (ebd. 1384). Zu Recht hebt Maranesi, Facere misericordiam 293, hervor, dass Franz in seinem Testa­ ment „ai suoi frati l’essenziale della sua vita“ erzählen wollte. S. Cusato, Early Franciscan Movement 12. Franziskus-Quellen 618 Anm. 9. Gef 11,10 (Fontes Franciscani 1384). Gef 11,4 f. (Fontes Franciscani 1383). Augustin, Sermo 227 (PL 38,1101). Sulpicius, Vita Martini 18,3 (Ed. Huber-Rebenich 48); vgl. Wolf, Francis 10. Rotzetter, Entscheidung 34. Gef 11,4 f. (Fontes Franciscani 1383). S. Erika Dinkler-von Schubert, Der Elisabethschrein zu Marburg, Marburg/Witzen­ hausen 1974 (Marburger Reihe 4), 25 f. 2 Cel 9,12 (Fontes Franciscani 451). AP 4,1–4 (Fontes Franciscani 1312). AP 4,5 (Fontes Franciscani 1312); dies ist nun tatsächlich, freilich nicht als wörtliches Zi­ tat, ein Gedankengang, der sich mit Mt 25, der Rede vom großen Gericht, verbinden lässt. 1 Cel 6,1 (Fontes Franciscani 281). Entsprechend findet sich dieser Dialog nicht in der Parallele in 2 Cel 9,9 f. (Fontes Fran­ ciscani 451); in 1 Cel 7,4–8 (Fontes Franciscani 283) ist er biographisch an anderer Stelle untergebracht.

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Gef 7,5–8 (Fontes Franciscani 1380). SC (Fontes Franciscani 1705–1744). 2 Cel 8,1 f. (Fontes Franciscani 450). Gef 8,4–7 (Fontes Franciscani 1380 f.): „Licet vero dudum fuisset pauperum bene­ factor, ex tunc tamen firmius in corde suo proposuit nulli pauperi eleemosynam pro Deo petenti se ulterius denegare, sed liberius et affluentius solito eleemosynas facere. Semper igitur quicumque pauper ab ipso extra domum eleemosynam postulabat, de denariis providebat illi si poterat. Carens vero denariis, infulam vel corrigiam dabat ei, ne pauperem dimitteret vacuum. Si vero de his non habebat, ibat ad aliquem locum occultum et se camisiam exuens, illuc pauperem secreto mittebat ut eam sibi tolleret propter Deum“. Gef 9,1–3 (Fontes Franciscani 1381). Gef 9,3 (Fontes Franciscani 1381): „quia eum prae ceteris filiis diligebat“. S. hierzu Michael Mitterauer, Sozialgeschichte der Jugend, Frankfurt/M. 1986, 97 f. Gef 10,2 (Fontes Franciscani 1382): „causa peregrinationis“. LKl 1,5 (Fontes Franciscani 2416). Die komplexe Frage, ob es sich bei den verehrten Gräbern um die tatsächlichen letzten Ruhestätten der Apostel handelte, beschäftigt die moderne Forschung ganz erheblich (s. etwa Hans Georg Thümmel, Die Memoiren für Petrus und Paulus in Rom. Die ar­ chäologischen Denkmäler und die literarische Tradition, Berlin/Boston 1999). Für ein Verständnis der mittelalterlichen Frömmigkeit ist sie ohne Belang. Für die Pilger, die Rom besuchten, handelte es sich selbstverständlich und unhinterfragt um die echten Gräber. Feld, Franziskus 127. Gef 10,2–5 (Fontes Franciscani 1382). 2 Cel 12,7 (Fontes Franciscani 454). Gef 10,6 (Fontes Franciscani 1382). Gef 10,7 (Fontes Franciscani 1382). Dieser Teil der Episode fehlt allerdings in 2 Cel. Gef 10,1 (Fontes Franciscani 1381 f.). 2 Cel 8,4 (Fontes Franciscani 450). Überlegungen zur damaligen Gestalt von San Damiano bei Freeman, Franziskus 96 f. 1 Cel 8,3 (Fontes Franciscani 284). 1 Cel 8,3 f. (Fontes Franciscani 284); AP 7,1 f. (ebd. 1314) berichtet sogar, das in San Damiano hinterlegte Geld sei dasjenige gewesen, das Franz aus dem Verkauf der Ausrüstung für seine Apulienreise erhalten hatte. Diese Annahme, der Thompson, Francis 11, folgt, scheint aber eine zu direkte, sinnhafte Konstruktion; plausibler ist der Zusammenhang mit einer normalen Handelsreise. 1 Cel 8,4 (Fontes Franciscani 284). 1 Cel 9,2 (Fontes Franciscani 285); nach Jul 6,3 (ebd. 1030) bestand der Plan zunächst noch unmittelbar in der Fürsorge für Arme und Bedürftige. AP 7,3 (Fontes Franciscani 1314). 1 Cel 9,1–8 (Fontes Franciscani 284 f.). AP 7,3 f. (Fontes Franciscani 1314). S. Arnold Angenendt, Mit reinen Händen. Das Motiv der kultischen Reinheit in der abendländischen Askese, in: ders., Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze, hg. v. Thomas Flammer, Münster 22005, 245–268. 1 Cel 9,7 (Fontes Franciscani 285): „timore parentum“. Dies berichtet auch AP 7,5–7 (Fontes Franciscani 1314 f.), lässt Franz aber unmittelbar darauf den Beschluss fassen, von diesem Geld die Kirche zu renovieren.

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Anmerkungen Entsprechend nutzt Celano die Erzählung von der etwas später einsetzenden Wie­ dererrichtung von San Damiano in1 Cel 18–20 (Fontes Franciscani 293–295) zu einem längeren Exkurs über die Klarissen. 153 4 Cel 2,4 (Fontes Franciscani 428): „vendidit cuncta quae habuit, lucratam pecuniam cuidam presbytero pauperi obtulit, quam, timore parentum illo recipere formidante, coram ipso incunctanter proiciens, tamquam pulverem vilipendit“. 154 Auch JulOff 11/II (Fontes Franciscani 1110) schuf eine solche Verbindung mit der Zuwendung zu den Armen, was aber wie oben beschrieben ganz und gar dem Duktus seiner Vita entspricht. 155 Dieser Ortswechsel lässt sich leicht mit dem Umzug der Klarissen von San Damiano nach Santa Chiara im Jahre 1260 (Kuster/Kreidler-Kos, Chronologie 22 f.) erklären, bei dem sie das bedeutende Kruzifix mitnahmen. Sein Umzug dürfte aber auch damit zu tun haben, dass die Pilgerströme sich leichter lenken ließen, wenn alle heiligen Gegen­ stände nahe beieinander im Ortskern von Assisi einerseits und in der Portiuncula-Ka­ pelle andererseits waren und man nicht noch den Umweg über San Damiano nehmen musste. 156 Hopmann, Kreuz 10. 157 Gef 13,6–13 (Fontes Franciscani 1386). Schmucki, Beiträge 46, erklärt das Fehlen in 1 Cel damit, dass Celano selbst an die Frühzeit des Ordens kaum persönliche Erinnerungen hatte und ihm vor dem Aufruf des Crescentius noch nicht alle Berichte vorgelegen hätten. 158 „Der Crucifix von S. Damiano ist der erste sprechende Crucifixus der christlichen Re­ ligionsgeschichte“ (Feld, Franziskus 118). Schmucki, Beiträge 47, verweist darauf, dass zumindest das Geschehen, dass sich ein Kruzifix einem Menschen zuwandte, nicht vorbildlos war. Er verweist auf Bernhard von Clairvaux, Rupert von Deutz und andere (s. bei Feld, a. a. O. 118–120). 159 Gef 13,7 (Fontes Franciscani 1386): „Francisce, nonne vides quod domus mea destrui­ tur? Vade igitur et repara illam mihi“. 160 Als historisch nehmen, bei Abstrichen im Einzelnen, die Erzählung z. B. Feld, Franzis­ kus 115 f.; Berg, Franziskus 44. 161 Vgl. Feld, Franziskus 121. 162 Test 14 (Fontes Franciscani 228): „Et postquam Dominus dedit mihi de fratribus, nemo ostendebat mihi, quid deberem facere, sed ipse Altissimus revelavit mihi, quod debe­ rem vivere secundum formam sancti Evangelii“ (s. u. 315 Anm. 29). 163 2 Cel 10,8 (Fontes Franciscani 453). 164 2 Cel 11,3 (Fontes Franciscani 453). 165 3 Cel 2,1–11 (Fontes Franciscani 645 f.). 166 2 Cel 11,10 (Fontes Franciscani 453). 167 1 Cel 88,3 (Fontes Franciscani 364): „quarto nonas Octobris“. Diese Datierung auf den 4. Oktober wird nach heutiger Rechnung auf den 3. Oktober korrigiert, da Franz in den Abendstunden starb und diese in mittelalterlicher Zählung schon dem folgenden Tag zugerechnet wurden. 168 1 Cel 88,3 (Fontes Franciscani 364). 169 Jord 1 (Ed. Schlageter 34) datiert allerdings auf 1207. 170 S. Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990. 171 2 Cel 10,3 (Fontes Franciscani 452). 172 Lehmann, Tiefe 41, datiert es entsprechend „in die Bekehrungszeit des jungen Kauf­ mannssohnes zurück: 1205/06“; s. die Diskussion in Franz, Opuscula 359–362. 152

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Anmerkungen GebKr (Fontes Franciscani 167): „Summe, gloriose Deus, illumina tenebras cordis mei et da mihi fidem rectam, spem certam et caritatem perfectam, sensum et cognitionem, Domine, ut faciam tuum sanctum et verax mandatum“. 174 S. Franz, Opuscula 360 f. 175 BonLM II,2,1 f. (Fontes Franciscani 788). 176 1 Cel 10,4 (Fontes Franciscani 286). 177 Gef 16,10 (Fontes Franciscani 1390). 178 Wo nicht anders angegeben, folge ich hier dem Bericht in 1 Cel 10–15 (Fontes Francis­ cani 285–290). 179 1 Cel 10,2 (Fontes Franciscani 286). 180 LKl 9 f. (Fontes Franciscani 2420 f.). 181 AP 8,1 (Fontes Franciscani 1315). 182 Gef 23,2 (Fontes Franciscani 1395): „Quia enim multum dilexerat ipsum“. 183 S. Gef 23,2 f. (Fontes Franciscani 1395 f.). 184 1 Cel 10,4 (Fontes Franciscani 286); Gef 16,9 (ebd. 1390). 185 1 Cel 10,4 (Fontes Franciscani 286): „ut ad causam humanae necessitatis egredi vix auderet“. 186 1 Cel 10,7 (Fontes Franciscani 286). 187 1 Cel 11,3 (Fontes Franciscani 287). 188 1 Cel 11,2 (Fontes Franciscani 287): „Quo viso, cuncti qui noverant eum, comparantes ultima primis, coeperunt illi miserabiliter exprobare et insanum ac dementem accla­ mantes, lutum platearum et lapides in ipsum proiciunt“. 189 2 Cel 4,4 (Fontes Franciscani 446): „insanum reputant ac dementem“. 190 Vgl. Berg, Franziskus 46. 191 1 Cel 12,1–2 (Fontes Franciscani 287). 192 1 Cel 12,3 (Fontes Franciscani 287 f.); Gef 17,8 (ebd. 1391). 193 1 Cel 12,4 (Fontes Franciscani 288). 194 1 Cel 12,5 (Fontes Franciscani 288). 195 1 Cel 14,2 (Fontes Franciscani 289). 196 Zu dieser Episode: 1 Cel 13,1–8 (Fontes Franciscani 288 f.). 197 1 Cel 13 (Fontes Franciscani 289): „commota sunt materna viscera super eum“; be­ zeichnend ist der biblische Hintergrund, der in dieser Formulierung aufscheint: Genau diese Formulierung begegnet in 1 Kön 3,26 und beschreibt die Gefühle der Frau, die im Zusammenhang des Salomonischen Urteils im Recht ist, also jener Frau, die bereit war, auf ihren lebendigen Sohn zu verzichten, damit er nicht geteilt wurde. Celano deu­ tet also mit der Formulierung einen tiefgreifenden Konflikt der Mutter an und auch den Umstand, dass sie der Meinung gewesen sei, den Sohn nun zu verlieren. Angesichts der oben vorgetragenen Deutung wird man allerdings betonen müssen, dass dies die Interpretation Celanos darstellt, nicht eine Aufzeichnung der tatsächlichen Gefühle der Mutter. 198 1 Cel 13,6 (Fontes Franciscani 289). 199 Im Folgenden orientiere ich mich an Gef 19 f. (Fontes Franciscani 1392 f.). 200 Das Amt der Konsuln gab es von 1198 bis 1212, seit dem Jahre 1204 daneben, ab 1212, vermutlich infolge der Dominanz der Bürgerlichen, ausschließlich einen podestá, vergleichbar dem Bürgermeister (Franz [Hug / Rotzetter] 205). 201 Gef 19,3 (Fontes Franciscani 1392): „per Dei gratiam iam factum liberum“. 202 Dem folgt auch die Interpretation in Franziskus-Quellen 623 Anm. 12. Unter dieser Voraussetzung wäre aber Franz’ Herumstreifen nach dem Prozess, vor allem seine Notlage im Kloster San Verecondo (1 Cel 16; S. 85), schwer verständlich. 173

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Anmerkungen Die Zuordnung von Guido I. und Guido II. zur Vita des Franz von Assisi ist nicht ganz ­einfach (zu dem eigenartigen Desinteresse der frühen Geschichtsschreiber an Guido s. Accrocca, Francesco e i suoi frati 99–101). Ich folge hier der Datierung von Ni­ colangelo D’Acunto, Il vescovo di Assisi Guido I presso la Curia Romana, in: Cacciotti/ Melli, Francesco a Roma 41–60, hier 41–43, der begründet, dass der Übergang von Guido I. auf Guido II. erst ca. 1212 erfolgte, also an den entscheidenden Begegnungs­ punkten – dem Prozess mit dem Vater, der Flucht Klaras und der Reise nach Rom – der Bischof von Assisi jeweils Guido I. war; vgl. auch Canonici, Guido II. 189 f. zu Guido I. 204 Zu Guidos Stand s. Kuster, Franz und Klara 48; zur Konkurrenz zwischen popolo und Bischof s. Berg, Franziskus 34; sie resultierte wohl aus starken Vorstellungen Guidos von einer libertas ecclesiae (Manselli, San Francesco 134). 205 Gef 19,11 f. (Fontes Franciscani 1392). Wohl zu Recht schätzt Thompson, Francis 14, den Vorgang so ein, dass Guido „now preferred to serve as mediator between son and father, rather than acting as a judge“. 206 S. zu den Auseinandersetzungen um das Kloster Sant’Apollinare Canonici, Guido II. 194–196. 207 So ist wohl 1 Cel 15,1 (Fontes Franciscani 290) zu verstehen. 208 Gef 20,2 u. 20,4 (Fontes Franciscani 1393). 209 Gef 20,3 (Fontes Franciscani 1392): „Usque modo Petrum Bernardonis vocavi patrem meum, sed, quia Deo servire proposui, reddo illi pecuniam pro qua erat turbatus et omnia vestimenta quae de suis rebus habui, volens amodo dicere: Pater noster qui es in caelis, non pater Petre Bernardonis“. 210 Gef 19,11 (Fontes Franciscani 1392). 211 1 Cel 15,6 (Fontes Franciscani 290). 212 S. hierzu Bernards, Nudus nudum sequi. 213 1 Cel 15,3 (Fontes Franciscani 290). 214 Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Friede und Fehde, Darmstadt 1990. 215 S. etwa Jürgen Matschukat (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln u. a. 2003; zur Anwendung auf ein Verständnis des Franz von Assisi s. Feld, Beseelte Natur 39. 216 BonLM II,5–6 (Fontes Franciscani 790–792). 217 Auch Feld, Franziskus 135–137, folgt hier, wenn auch mit etwas anderer Deutung, eher dem Bericht in der ersten Vita Celanos.  218 Dem entspricht auch noch Cel VB 7 f. (Ed. Dalarun 38 f.). 219 Zur Bedeutung von Kleidung in vormodernen Gesellschaften s. Ulinka Rublack, Dres­ sing Up. Cultural Identity in Renaissance Europe, Oxford 2010. 220 1 Cel 16,1 (Fontes Franciscani 291): „semicintiis involutus“. 221 1 Cel 16,2 (Fontes Franciscani 291): „Praeco sum magni Regis“. 222 Freeman, Franziskus 219 f. 223 1 Cel 16,5 f. (Fontes Franciscani 291). 224 1 Cel 17,1 (Fontes Franciscani 292). 225 1 Cel 17,6 (Fontes Franciscani 292). 203

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Anmerkungen

2. Kapitel: Aufbruch 2 Cel 10,4 (Fontes Franciscani 452). Hierfür spricht jedenfalls, dass Gef 21,2 (Fontes Franciscani 1394) berichtet, Franz habe den Priester mit ebenderselben Rede ermutigt, mit der ihn selbst der Bischof ermutigt hatte. Hiernach gibt es jedenfalls eine Brücke zwischen dem Verhalten des Bischofs und Franz’ Hinwendung zu dem Priester von San Damiano. 3 Gef 21,3 (Fontes Franciscani 1394). 4 Gef 21,3 (Fontes Franciscani 1394): „tamquam ebrius spiritu“. 5 Gef 21,5–7 (Fontes Franciscani 1394): „Qui mihi dederit unum lapidem, unam habebit mercedem. Qui autem duo dederit, duas habebit mercedes. Qui vero tres totidem mercedes habebit“. 6 Christiane Laudage, Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelal­ ter, Freiburg u. a. 2016, 59–64. 7 1 Cel 24,2 f. (Fontes Franciscani 298 f.) über Bernhard, den späteren Bruder der ersten Stunde: „hic enim frequenter susceperat beatum patrem hospitio“. 8 Fonzo, Cronologia 113. 9 Gef 21,2 (Fontes Franciscani 1394); 1 Cel 21,1 u. 21,4 (ebd. 295 f.) verbindet die Annahme des Einsiedlergewandes erst mit der Arbeit an der Portiuncula. Man wird dies also generell mit der Phase der Kirchenrenovierung in Zusammenhang bringen dürfen, ohne ein ganz klares Datum angeben zu können. Zum Hintergrund in der Eremitenbe­ wegung s. Messa, Vita eremitica 15–23. 10 Vgl. die Rede vom „Gegenbild“ für die gesamte junge Bruderschaft bei Kuster, Hoff­ nung 153. 11 Gef 21,9 (Fontes Franciscani 1394); vgl. Berg, Franziskus 55, der hier von einem „,Ansehensgewinn‘ von Franziskus“ spricht. 12 Gef 21,11 (Fontes Franciscani 1394). 13 AP 12,1 f. (Fontes Franciscani 1317 f.); Gef 30 f. (ebd. 1403 f.). 14 BonLM II,7,3 (Fontes Franciscani 792). 15 S. Franziskus-Quellen 701 Anm. 20. 16 1 Cel 21,4 (Fontes Franciscani 296) datiert den Abschluss der Reparaturarbeiten auf das dritte Jahr der Bekehrung; hierzu passt die Angabe in Gef 27,1 (Fontes Francis­ cani 1400), dass sich die ersten Gefährten Franz zwei Jahre nach der Bekehrung anschlossen. Daher sind diese beiden Daten möglich. Ich selbst neige, da sich die Klärung der Sendung wohl zu Anfang eines Kalenderjahres abspielte (s. u. 315 Anm. 31), zum Jahr 1209. 17 1 Cel 21,2 (Fontes Franciscani 296). 18 1 Cel 21,3 (Fontes Franciscani 296). 19 Gef 22,1 (Fontes Franciscani 1394). 20 Gef 22,5 (Fontes Franciscani 1395): „Sed, sicut pauper vadens ostiatim portat in manu paropsidem, et necessitate coastus diversa in ea cibaria coadunat, ita voluntarie opor­ tet te vivere“. 21 Test 20 u. 22 (Fontes Franciscani 229). 22 Zum Folgenden: Gef 24,1–4 (Fontes Franciscani 1396 f.). 23 Riley, Francis’ Assisi 420 f. 24 Gef 23,2 (Fontes Franciscani 1395). 25 Gef 23,3 (Fontes Franciscani 1396). 26 AP 9,3 (Fontes Franciscani 1316). 27 Gef 23,3 f. (Fontes Franciscani 1396). 28 Gef 23,7 f. (Fontes Franciscani 1396). 1

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Anmerkungen Test 14 (Fontes Franciscani 228): „Et postquam Dominus dedit mihi de fratribus, nemo ostendebat mihi, quid deberem facere, sed ipse Altissimus revelavit mihi, quod debe­ rem vivere secundum formam sancti Evangelii“. 30 So die Lokalisierung bei Celano; Gef 25,1–3 (Fontes Franciscani 1398) geht offenbar von San Damiano aus, was nach dem Weg des Franziskus von Kirche zu Kirche weniger plau­ sibel ist. 31 Zu der komplizierten Datierung und den beiden Möglichkeiten s. Fonzo, Cronolo­ gia 72–76. Fonzo neigt zu einer Messe im April 1208. Ich selbst neige mit Feld, Franzis­ kus 141, zum Matthiastag. Letztlich aber ist Schmucki, Beiträge 310, beizupflichten, dass die exakte Datierung allein schon deswegen schwierig ist, weil die Perikopenord­ nung, die seinerzeit in Assisi galt, nicht rekonstruierbar ist. 32 Vgl. die Zusammenfassungen in 1 Cel 22,2 (Fontes Franciscani 296); Gef 25,2 (ebd. 1398). 33 1 Cel 22,1 (Fontes Franciscani 296); Gef 25,3 (ebd. 1398). 34 Vgl. Lehmann, Mission 240: „Die Sendungsrede Jesu hat Franziskus Klarheit gebracht und ihn in seiner Sendung bestärkt“. 35 1 Cel 88,3 (Fontes Franciscani 364): „Apostolorum vitam et vestigia sequens“. 36 1 Cel 22,2 (Fontes Franciscani 296 f.); vgl. Mk 6,12; Lk 9,2. 37 1 Cel 22,4–8 (Fontes Franciscani 297). 38 Rbull 2,15 f. (Fontes Franciscani 173); vgl. Rnbull 2,13 (ebd. 187; Paolazzi, Regula 126); wegen der leichteren Zugänglichkeit wird die sog. Regula non bullata hier nach der Ausgabe in den Fontes zitiert, aber durchgehend mit der neuen Edition von Paolazzi verglichen (Paolazzi, Regula); vgl. zu der Neuedition von Paolazzi: William J. Short, Revising the Earlier Rule: Carlo Paolazzi and the Work of Kajetan Eßer, in: Mitchell, Rule 33–43. 39 Vgl. hierzu Cusato, Early Franciscan Movement 69–80. 40 S. zur Entstehung und Datierung Franz, Opuscula 134–136; vgl. Lapsanski, Autographs 19. 41 Einen Eindruck hiervon vermittelt Franziskus-Quellen 39. 42 1 Cel 22,6 (Fontes Franciscani 297). 43 1 Cel 22,7 (Fontes Franciscani 297). 44 Gef 25,4 f. (Fontes Franciscani 1398); vgl. auch Jul 15,5 (ebd. 1038). 45 3 Vitry 2 (Analekten 70,10); Bernards, Nudus nudum sequi, hat gezeigt, dass diese Formel weder ausschließlich noch originär franziskanisch ist, wenngleich sie heute überwiegend im Zusammenhang mit Franziskus gebraucht wird. 46 Zur Bedeutung der Kleidung im Leben von Franz s. Wolf, Francis 16. 47 1 Cel 23,1 (Fontes Franciscani 297): „Exinde cum magno fervore spiritus et gaudio mentis coepit omnibus poenitentiam praedicare“. 48 Vgl. Cusato, Early Franciscan Movement 52 f. 49 AP 18,4 (Fontes Franciscani 1323 f.). 50 Gef 25,7 (Fontes Franciscani 1399). 51 Gef 25,7 (Fontes Franciscani 1399): „ut in stuporem vehementer converterent audientes“. 52 1 Cel 23,2 (Fontes Franciscani 298): „Totus alter videbatur, quam fuerat“. 53 SegBern 1,2 (Fontes Franciscani 239): „Primus frater, quem dedit mihi Dominus, fuit frater Bernardus“. 54 S. Berg, Franziskus 55. 55 1 Cel 24,3 (Fontes Franciscani 298 f.). 56 1 Cel 24,4 (Fontes Franciscani 299). 57 Für ihre Richtigkeit spricht genau der Umstand, dass sie gegenläufig zu der Intention der Heiligenlegende sind, die besondere Lebensweise von Franz als Armer hervorzu­ heben. 29

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Anmerkungen 1 Cel 24,3 (Fontes Franciscani 298 f.). AP 10,2 (Fontes Franciscani 1316): „Volumus esse tecum de cetero, et facere quae tu facis“; zu der Fortsetzung, in welcher die beiden Franz fragten, was sie tun sollten, S. 105. 60 Jord 11 (Ed. Schlageter 37). Es ist zwar nicht ausdrücklich von „utriusque legis“ die Rede, aber der Plural „legum“ lässt davon ausgehen, dass beide gemeint sind. 61 Jord 12 (Ed. Schlageter 38). 62 Gef 27,1 (Fontes Franciscani 1400). 63 1 Cel 24,1 (Fontes Franciscani 298); vgl. Feld, Franziskus 143; schon in Cel VB 10 (Ed. Dalarun 40,9 f.) ist allerdings dann Bernhard der primus.  64 So erklärt Grau, Erste Brüder 136, den merkwürdigen Befund, erwägt zugleich auch, dass Celano in 2 Cel eine falsche Nachricht in 1 Cel habe korrigieren wollen, sodass es den unbekannten ersten Bruder nie gegeben hätte (ebd. 137). 65 AP 10,3 (Fontes Franciscani 1316): „Dic ergo nobis quid de rebus nostris facere debea­ mus“. 66 S. 1 Cel 24,2–8 (Fontes Franciscani 298 f.). 67 Zit. 1 Cel 24,5 (Fontes Franciscani 299). 68 1 Cel 24,7 (Fontes Franciscani 299): „Eius namque ad Deum conversio forma exstitit convertendis in venditione possessionum et elargitione pauperum“. 69 Zum Folgenden Gef 28 f. (Fontes Franciscani 1400 f.). 70 Gef 28,2 (Fontes Franciscani 1401): „Si quis a domino suo haberet multa vel pauca quae tenuisset per multos annos et nollet ea amplius retinere, quid de ipsis agere posset quod melius esset?“ Bei AP 10,1–5 bleibt es hingegen bei der gänzlich offenen Frage nach dem Willen Gottes. Dann wäre von Bernhards Seite weniger vorgegeben als bei den drei Gefährten. Die obige Argumentation setzt voraus, dass Johannes von Perugia damit die Verhältnisse etwas stärker zugunsten der Autorität von Franz verschoben hätte, während die Gefährten mit ihrer Gestaltung der Frage noch eine Erinnerung an den starken Anteil Bernhards bewahrt hätten. 71 So Gef 29,1 (Fontes Franciscani 1401). 72 AP 11,1 (Fontes Franciscani 1317). 73 Gef 29,8 (Fontes Franciscani 1402): „Fratres, haec est vita et regula nostra et omnium qui voluerint nostrae societati coniungi. Ite igitur, et sicut audistis implete“. 74 AP 11,5 (Fontes Franciscani 1317). In 2 Cel 15,1–10 (Fontes Franciscani 456 f.), wo Celano diesem Handlungsablauf, freilich deutlich abkürzend, folgt, fehlt allerdings dieser Bezug auf die Regel. 75 Schmucki, Beiträge 312, ist überzeugt, dass der Codex, den Franz und seine Ge­ fährten benutzten, identifizierbar und noch erhalten ist. Feld, Franziskus 146–149, verweist im Blick auf das Verfahren zu Recht auf die lange, in der Spätantike wur­ zelnde Tradition solcher Buchorakel (vgl. auch Hase, Franz 32, der mit historischer Skepsis von einem Vorgehen „nach alter Sitte der Bibelorakel“ spricht) und erklärt mit kirchlichen Verboten mantischer Praktiken, dass Celano diese von Feld selbst für glaubhaft gehaltene Episode nicht erzählt habe. Freilich bleibt dann das Problem, dass in der zweiten biographischen Welle der frühen vierziger Jahre genau dieses Orakel sehr prominent erschien. Dieser Befund spricht eher für eine sekundäre Konstruktion; auch der Hinweis von Franz in Test 14 darauf, dass Christus selbst ihm die Form des Evangeliums offenbart habe, ist nicht zwingend auf eine solche Orakelsituation zu beziehen (s. den Zusammenhang bei Berg, Franziskus 56 f.). Die grundlegende Schwierigkeit der Erzählung benennt Schmucki, Beiträge 313: „Warum der Ordensgründer in den drei Perikopen nur einzelne Verse als eine an ihn direkt ergangene Antwort deutete, kann aus den biographischen Berichten nicht ermittelt 58

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Anmerkungen



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werden.“ Ebendieser Filter aber spricht für einen starken rekonstruktiven Anteil an der Erzählung. 1 Cel 93,1–4 (Fontes Franciscani 368 f.). Bösch, Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen 127, sieht die literarischen Verhält­ nisse umgekehrt, benennt aber selbst die Schwierigkeit, „eine Abhängigkeit von einer Erzählung, die in einer späteren Quelle tradiert ist“, zu behaupten. S. die Episode in Gef 30,3 (Fontes Franciscani 1403), die voraussetzt, dass Franz selbst kein Geld bei sich führte, sondern allein Bernhard, aus dessen Tasche es geholt werden musste – allerdings kann dies auch eine literarische Einkleidung aufgrund dessen sein, dass die fortgeschrittene franziskanische Bewegung Geld verabscheute und den Umgang mit ihm verbot (Rbull IV,1–4; V,4 [Fontes Franciscani 175 f.]); möglicherweise wollten die drei Gefährten daher die Distanz zwischen Franz und dem Geld so groß wie möglich zeichnen. S. dazu Grau, Erste Brüder 132. 2 Cel 15,11 (Fontes Franciscani 457): „Convertuntur a mordacissimis curis mundi tempore brevi quamplures, et ad infinitum bonum, duce Francisco, revertuntur in patriam“. Zur Ausnahme im Falle des Priesters Silvester s. u. 318 Anm. 94. Gef 32,1 f. (Fontes Franciscani 1404 f.). Gef 35,1 (Fontes Franciscani 1407); AP 17,1 (ebd. 1322). 1 Cel 25,3 (Fontes Franciscani 299). Gef 1,4 (Fontes Franciscani 1374). Dieses Problem würde sich nicht lösen, aber anders gestalten, wenn das Begleitschreiben, wie gelegentlich in der Forschung angenommen, nicht ursprünglich mit der Legende zusammenhängen sollte. Gef 41,4 (Fontes Franciscani 1414). Gef Kap. 11 Überschrift (Fontes Franciscani 1414). Gef 27,1 (Fontes Franciscani 1400) gibt präzise an: „post duos annos“. Ausgerechnet Innozenz III., dem die Bruderschaft ihre Approbation verdankte, hat eine Bestimmung erlassen, nach welcher die Vornahme einer Tonsur Mönche in den Klerikerstand erhob (X 1,14,11 [Corpus Iuris Canonici. Hg. v. Emil Friedberg. Teil 2, Leipzig 1881, 129]; vgl. hierzu Landini, Causes 31). Unter diese fällt Franz mit seiner Bewegung ­allerdings deswegen nicht, weil als derjenige, der die Tonsur vornimmt, der Abt erscheint, also eine nicht der franziskanischen Verfassung entsprechende Verfas­ sungsstruktur vorausgesetzt ist. Ein besonderes Problem ist die mögliche Frage einer Di­ akonsweihe von Franz: 1 Cel 86,1 (Fontes Franciscani 361) erklärt Celano den Gebrauch von Diakonsgewändern durch Franz: „quia levita erat“, was bedeuten würde, dass Franz den niedrigen Weihegrad eines Diakons innegehabt hätte. Feld, Franziskus 238, diskutiert die Frage, ob dies zutrifft, ausführlich, auch unter Einbeziehung verschiedener Stellen, an welchen erwähnt wird, dass Franz in der Liturgie das Evangelium gelesen, also Dia­ konsaufgaben übernommen hätte, und kommt zu dem gut begründeten Ergebnis: „Das alles legt doch den Verdacht nahe, daß Franziskus nicht die Diakonen-Weihe empfangen hatte und nur gelegentlich den Diakon ‚machte‘ oder ‚spielte‘.“ (Holter, Dienst 302–352, versucht, freilich mit einseitiger Quellenlektüre, den Diakonat von Franz aufrechtzu­ erhalten.) Man wird hinzufügen können, dass diese Einnahme der Rolle eines Diakons auch kirchlich akzeptiert wurde, jedenfalls wenn der Bericht der drei Gefährten stimmt, dass Franz das Evangelium auch in einem Gottesdienst gelesen hat, den der Kardinal Hugolin von Ostia geleitet hat (Gef 61,12 [Fontes Franciscani 1434]). Dann hätte der für den Orden zuständige Protektor und spätere Papst dieses klerusgemäße Verhalten eines Laien nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert – ein Hinweis darauf, dass die Realität des frühen 13. Jahrhunderts durch kirchenrechtliche Normen nicht ganz einzufangen ist.

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Interessant ist Franz’ Selbstidentifikation im Testament: Einmal schließt er sich unter die Kleriker ein (Test 18: „Officium dicebamus clerici“, „Das Offizium sprachen wir Kleriker“ [Fontes Franciscani 229]), ein andermal unterscheidet er sich genau im selben Zusam­ menhang des Offiziumgebetes von den Klerikern: „Et quamvis sim simplex et infirmus, tamen semper volo habere clericum, qui mihi faciat officium, sicut in regula continetur“, „Und obwohl ich ungebildet und krank bin, will ich doch immer einen Kleriker haben, der für mich das Offizium betet, wie es sich in der Regel findet“ (Test 29 [ebd. 230]). Noch heikler erscheint Franz’ Selbsteinschluss unter die Kleriker in Kler 8, wo er sogar davon spricht, dass der Herr „in manibus nostris se praebet“ (ebd. 59) – diese Stelle wäre selbst mit der Annahme, Franz sei Diakon gewesen, nur mühsam erklärbar: Trotz der Integra­ tion der Diakone in den liturgischen Dienst ist der Bezug der Hände auf den Leib Christi üblicherweise eng mit dem Priester verbunden. Die komplexen Verhältnisse schildert klar Werner Maleczek, Franziskus, Innocenz III., Honorius III. und die Anfänge des Minoritenordens. Ein neuer Versuch zu einem alten Problem, in: Il papato duecentesco 23–80, hier 34 f.: Ein ausdrückliches Verbot der Laienpredigt gab es zwar im Decretum Gratiani nicht, durch die Auseinandersetzung mit den Waldensern kam es hierzu allerdings in einer Dekretale von Papst Lucius III. (1181–1185), die auch unter Innozenz III. rezipiert, aber immer wieder gezielt durch­ brochen wurde; zu der zunehmenden Engführung dieser Bestimmungen s. Dominic Monti, „Deservedly Approved by the Roman Church“: The Context for Papal Recogni­ tion of Francis’s Forma Vitae, in: Mitchell, Rule 3–31, hier 15. Gef 33,6 (Fontes Franciscani 1406): „Licet vir Dei nondum plene populo praedicaret“. Gef 51,10 (Fontes Franciscani 1424). S. Gef 35,5–10 (Fontes Franciscani 1407 f.). S. hierzu Gef 30 f. (Fontes Franciscani 1403 f.). Hier besteht Anlass, erzählerisch von der Reihenfolge in Gef abzuweichen, da sie an dieser Stelle erkennbar durcheinandergeraten ist, wie sich aus zwei Bemerkungen erschließen lässt: Zum einen heißt es, dass Silvester in die Nachfolge von Franz eintrat, als dieser schon einen „Orden“ (ordo) gebildet hatte (Gef 31,5 [Fontes Franciscani 1404]), also offenbar zum Zeitpunkt einer ersten Regel (vgl. die frühe Verwendung von ordo in Gef 37,8 [ebd. 1410]: „nondum enim ordo eorum dicebatur religio“, die darauf verweist, dass für die drei Gefährten von einem ordo zu spre­ chen ist, ehe eine tatsächliche Verfassung besteht). Zum anderen schloss sich Ägidius, von dem erst nach Silvester berichtet wird, zu einem Zeitpunkt an, zu dem Franz erst mit zwei Brüdern verbunden war (Gef 32,1 [ebd.]), doch wohl Bernhard und Petrus, also zu einem Zeitpunkt, da die Gemeinschaft noch nicht um Silvester ergänzt war. Insgesamt stellt die Person Silvesters ein erhebliches Problem dar; s. auch die im Zusammenhang einer Briefsammlung von Angelus Clarenus überlieferte Namensliste der Begleiter von Franz auf der Romreise, allerdings aus der Zeit nach 1334, die Silvester nicht nennt (Grau, Erste Brüder 134). In der Vita Aegidii wiederum wird Silvester sogar noch vor Ägidius ge­ nannt (s. Grau, Erste Brüder 138 Anm. 48, der dies allerdings für eine fehlerhafte Angabe hält). Grau ist in seiner gründlichen Untersuchung über die ersten Brüder überhaupt skeptisch gegen die Annahme einer frühen Zugehörigkeit Silvesters zur Gruppe um Franz, muss hierzu allerdings scharf die Berichte von einer Bekehrung Silvesters von einem Eintritt unterscheiden (a. a. O. 138 Anm. 48). Das hält Manselli, San Francesco 162 Anm. 22, wohl zu Recht für „sottile“, da die Gemeinschaft zu diesem frühen Zeit­ punkt noch keine verfestigten Strukturen und damit auch keine klaren Eintrittsregeln besaß. So hat man bei Silvester noch mehr Schwierigkeiten als bei den anderen Brüdern, einen Zeitpunkt des Anschlusses an die Gruppe zu benennen, kann aber davon ausge­ hen, dass er früh zum Kreis um Franz gehörte. Das würde auch bedeuten, dass nicht erst 1224 die ersten Brüder geweiht waren (s. Thompson, Francis 111).

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Gef 30,3 (Fontes Franciscani 1403). Anders Grau, Erste Brüder 133 f. Gef 46,1 f. (Fontes Franciscani 1419). Das gilt ebenso für die Siebenzahl, das septenarium, das Celano als Zwischenstand notiert (1 Cel 25,3 [Fontes Franciscani 299]); vgl. auch BonLM III,7,1 (ebd. 798). S. 1 Cel 31,1 (Fontes Franciscani 304), wonach zu den vorherigen acht (unter Einschluss des Franz) vier Brüder hinzugekommen sind – mit dieser Gruppe reiste Franz dann nach Rom (1 Cel 32,3 [ebd. 305]); ebenso auch Jul 20,7 (ebd. 1041). Gef 46,2 (Fontes Franciscani 1419). Der Erste, der Franz nicht als einen der zwölf rechnet, sondern als Anführer von zwölf Brüdern sieht, ist Johannes von Perugia, s. AP 31,3 (Fontes Franciscani 1335); zuverlässi­ ger scheint die Auskunft, dass er selbst zu den zwölfen gehörte (vgl. Grau, Erste Brüder 136). AP 31,4–6 (Fontes Franciscani 1335 f.); Thompson, Francis 25, erklärt dies durchaus plausibel damit, dass Bernhard einen weiten Bildungsvorsprung vor Franziskus hatte. Vgl. Thompson, Francis 25. Gef 41,4 (Fontes Franciscani 1414). Gef 37,8 (Fontes Franciscani 1410). Gef 35,3 (Fontes Franciscani 1407). Gef 33,1 (Fontes Franciscani 1405). Tatsächlich gibt es in der Dreigefährtenlegende, anders als in 1 Cel, zwei Aufbrüche der Brüder (Gef 33,1 [Fontes Franciscani 1405]; 37,1 [ebd. 1409]). Gerade der gelegent­ lich gezogene Vergleich mit den Missionsreisen des Paulus (s. etwa Feld, Franziskus 163) er­innert daran, dass es sich hier um eine ähnliche Konstruktion wie in der Apostel­ geschichte mit vergleichbaren Hintergründen handeln dürfte: Die drei Gefährten ha­ ben hier wohl das disparate, fragmentarisch erhaltene Material in eine Missionsreisen­ ordnung gebracht und Einzelnotizen über Wanderungen der Anhänger als planmäßige Missionsveranstaltungen gruppiert. 1 Cel 29,1 (Fontes Franciscani 302) – wie leicht mit Zahlen jongliert und konstruiert wurde, zeigt schon der Umstand, dass dieser achte Mann nicht namentlich genannt wird: Celano brauchte ihn wohl, um rechnerisch eine paarweise Aussendung darstel­ len zu können. 1 Cel 30,1 (Fontes Franciscani 303). Vgl. Jul 19,2 (Fontes Franciscani 1040): „ad mittendum in diversas mundi partes binos binosque confoederans“. Das reale Vorbild hierfür dürfte die – gleichfalls symboli­ sche – Entscheidung des Provinzialkapitels von 1219 gewesen sein, „die Welt (…) unter vier Brüderpaaren“ aufzuteilen (Elm, Vitasfratrum 157). AP 15,1 (Fontes Franciscani 1320). Jul 17,4 (Fontes Franciscani 1039): „Iam sex fratrum septimus ipse pater iucunda societate gaudebat, qui inter minores in omnibus non ut maior sed ut minimus se gerebat“. Fonzo, Cronologia 113. 1 Cel 30,2 f. (Fontes Franciscani 303 f.). Gef 38,2 (Fontes Franciscani 1410). Gef 38,6 (Fontes Franciscani 1411). Gef 38,6 (Fontes Franciscani 1411) erscheint die Frau des Hauses als diejenige, die ihnen Aufenthalt gewährt, während der Mann hiergegen wettert. AP 23,1–3 (Fontes Franciscani 1328): „(…) in tantum tamen apud homines tunc fratres viles communiter reputabantur, ut multi parvi et magni facerent eis et dicerent sicut domini servis suis. Et licet haberent vilissima indumenta et paupercula, plures tamen

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eis libenter auferebant. Cumque sic nudi remanerent, quia unam tantum habebant tunicam, semper tamen formam evangelicam observabant, non eam auferentibus repetentes“. Gef 43,1–3 (Fontes Franciscani 1416). Gef 38,4 (Fontes Franciscani 1410). Eine Zusammenstellung der einschlägigen Quellen findet sich in: Canil, Francesco e Rivotorto 1–29. 1 Cel 43,2 f. (Fontes Franciscani 317); vgl. Fonzo, Cronologia 113. Einer der Brüder allerdings wurde hinausgelassen, um dem Kaiser die begrenzte Zeit seiner Herrschaft anzukündigen (1 Cel a. a. O.). 1 Cel 42,2 (Fontes Franciscani 316). Gef 55,2 u. 55,4 (Fontes Franciscani 1426). BonLM IV,3,2 (Fontes Franciscani 804); vgl Schmucki, Beiträge 315. Gef 55,4 (Fontes Franciscani 1426). Dies geht daraus hervor, dass sie den Schuppen später Leprosen überließen; s. Gef 55,8 (Fontes Franciscani 1427). Rnbull 9,2 (Fontes Franciscani 194; mit leichter Abweichung Paolazzi, Regula 132): „Et debent gaudere, quando conversantur inter viles et despectas personas, inter pauperes et debiles et infirmos et leprosos et iuxta viam mendicantes“; vgl. hierzu Rotzetter, Entscheidung 34. Feld, Franziskus 182. 1 Cel 44 (Fontes Franciscani 318 f.); Gef 55,7 f. (ebd. 1427). Gef 55,8 (Fontes Franciscani 1427); vgl. Kuster, Hoffnung 154. 1 Cel 39,10 (Fontes Franciscani 314); vgl. Felice Accrocca, La vita della prima fraternità. L’approvazione della prima regola, in: Canil, Francesco e Rivotorto 31–47, hier 34 f.; Lanfranco Serrini, Attualità di Rivotorto nella riscoperta della fraternità Francescana, ebd. 69–89, hier 76 f.; Cusato, Early Franciscan Movement 11. S. Flood, Francis 50: „The brothers beggeed from the very beginning“. ProKl XVII,7 (Fontes Franciscani 2504): „lavorovano“ (die Prozessakten sind nur in ei­ ner „Übersetzung in die umbrisch-italienische Umgangssprache des 15. Jahrhunderts“ erhalten, nicht im lateinischen Original [s. Kreidler-Kos, Klara 99]); vgl. auch 1 Cel 39,10 (ebd. 314): „Diebus vero manibus propriis qui noverant laborabant“; vgl. Test 20 (ebd. 229); Rnbull 7,3–6 (ebd. 191; mit leichter Abweichung, auch im Psalmzitat, Pao­ lazzi, Regula 130), interessanterweise unter Verweis auf Ps 128,2; 2 Thess 3,10; 1 Kor 7,20 u. 7,24, nicht aber Mt 10,10; Rbull 5 (ebd. 175 f.); vgl. zur Bedeutung der Arbeit in der Frühphase Cusato, Early Franciscan Movement 35 f.; Flood, Francis 16 f.; Manselli, San Francesco 174 f. Test 22 (Fontes Franciscani 229); Rnbull 9,3 (ebd. 194; Paolazzi, Regula 132); Rbull 6,3 (Fontes Franciscani 176). Rnbull 9,13–15 (ebd. 194 f.; mit leichter Abweichung Paolazzi, Regula 133); zu dieser Auswei­tung des Textes aufgrund aktueller Bedürfnisse s. Michael Cusato, Alms-Asking and Alms-Giving as Social Commentary and Social Remedy, in: Mitchell, Rule 59–79, hier 62 f. Test 20 (Fontes Franciscani 229): „Et ego manibus meis laborabam“. Freeman/Sevenhoven, Nachlaß 97. Test 20 u. 22 (Fontes Franciscani 229): „et volo laborare (…) Et quando non daretur no­ bis pretium laboris, recurramus ad mensam Domini, petendo eleemosynam ostiatim“. Gegen die Nachricht in Gef 32,1 f. (Fontes Franciscani 1404 f.), dass die Brüder sich schon in der ersten Phase dort eine domuncula, ein Häuschen, errichtet hätten, spricht

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die in 2 Cel 57,1 (ebd. 496) festgehaltene Erinnerung, dass ein Haus dort anlässlich einer Kapitelversammlung, vermutlich im Jahre 1222 oder 1223, errichtet wurde. Gef 55,8 (Fontes Franciscani 1427). Fonzo, Cronologia 113. Cusato, Early Franciscan Movement 14. 2 Cel 57 (Fontes Franciscani 496). Lehmann, Mission 242. Feld, Franziskus 167. S. hierzu Anna Modigliani, Die Päpste und Rom: Urbane Strategien und Nutzung des öffentlichen Raums, in: Michael Matheus u. a. (Hg.), Die Päpste der Renaissance. Politik, Kunst und Musik, Regensburg 2017, 243–261, hier 244. Vgl. Eßer, Sancta Mater Ecclesia Romana 221–223; aber auch Hase, Franz 36, der mit seiner zeitgebundenen Formulierung von der „naturwüchsige[n] Form seiner Fröm­ migkeit, die kein Heil kannte, außer im Glauben der römischen Kirche“, durchaus zutreffend die starke Kirchenbezogenheit des Franz von Beginn an benennt. 1 Cel 32,4 (Fontes Franciscani 305). Accrocca, Francesco e Innocenzo III 17 f., pro­ blematisiert, ob es überhaupt denkbar sei, dass Franz nach Rom aufgebrochen sei, ohne seinen Ortsbischof zu informieren. Folgt man diesen Überlegungen, wäre die Begegnung nicht zufällig gewesen, allerdings gibt es hierfür keine sicheren Hinweise, und die Möglichkeit spontaner Handlungen ist im Falle von Franziskus ja durchaus gegeben. 1 Cel 32,1 (Fontes Franciscani 305). Berg, Franziskus 65. Test 15 (Fontes Franciscani 228): „paucis verbis et simpliciter“. Test 14 (Fontes Franciscani 228). 1 Cel 32,1 (Fontes Franciscani 305). 1 Cel 32,1 (Fontes Franciscani 305): „sancti Evangelii praecipue sermonibus utens“. 1 Cel 32,2 (Fontes Franciscani 305). Wie knapp solche Lebensanweisungen bei Franz in dieser Zeit ausfallen konnten, zeigt seine Forma vivendi von 1211 für Klara und ihre Schwestern (FormKl [Fontes Franciscani 119]). Möglicherweise gibt Rnbull c. 1 (Fontes Franciscani 185 f.; Paolazzi, Regula 125) noch einen gewissen Eindruck vom Kern der ursprünglichen forma (vgl. Michael F. Cusato, Francis and the Franciscan movement (1181/2–1226), in: Robson, Cambridge Compa­ nion 17–33, hier 21, der außerdem die Kapitel 7 und 14 hinzurechnet): Auf eine allge­ meine Einleitung, die die Einordnung in die üblichen evangelischen Räte bietet („Regel und Leben dieser Brüder ist diese, nämlich zu leben in Gehorsam, in Keuschheit und ohne Eigentum, und der Lehre unseres Herrn Jesus Christus und seinen Spuren zu fol­ gen“ [„Regula et vita istorum fratrum haec est, scilicet vivere in obedientia, in castitate et sine proprio, et Domini nostri Jesu Christi doctrinam et vestigia sequi“]), folgen hier lediglich Zitate von Mt 19,21; Mt 16,24; Lk 14,26; Mt 19,29 parr., also den für die franzis­ kanische Bewegung klassischen Bibelstellen. Diese Art der biblischen Einleitung fällt in der Rbull fort, ein weiteres Indiz dafür, dass sie dem Genre der Ordensregel nicht entspricht. Die genannten Passagen dürften kaum die gesamte Ur-Regel darstellen, geben aber einen Eindruck von deren Gestalt. Eine exakte und vor allem vollständige Rekonstruktion ist wohl nicht möglich (vgl. Schmucki, Beiträge 316, sowie den Über­ blick über Rekonstruktionsversuche ebd. 219–223; vgl. auch Carlo Paolazzi, La forma vitae presentata da Francesco a papa Innocenzo III, in: Cacciotti/Melli, Francesco a Roma 123–139, der sich gleichfalls auf die Kapitel 1 und 14 konzentriert [114]). Vgl. Manselli, San Francesco 176 f.

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Anmerkungen S. Werner Maleczek, Franziskus, Innocenz III., Honorius III. und die Anfänge des Minoritenordens. Ein neuer Versuch zu einem alten Problem, in: Il papato duecentesco 23–80, hier 31. 161 S. Feld, Franziskus 167. 162 Test 15 (Fontes Franciscani 228). Honorius III. ging allerdings durchaus von der Approba­ tion einer ersten Regel durch Innozenz aus (s. Carlo Paolazzi, La forma vitae presentata da Francesco a papa Innocenzo III, in: Cacciotti/Melli, Francesco a Roma 123–139, hier 136). 163 BonLM III,10 (Fontes Franciscani 801 f.). Hieran orientiert sich, wenn nicht anders vermerkt, die folgende Erzählung. 164 2 Cel 16,4 (Fontes Franciscani 458). 165 2 Cel 16,4 (Fontes Franciscani 458): „manebat“. 166 2 Cel 16,5–13 (Fontes Franciscani 458 f.). 167 Das in diesem Zusammenhang bei Celano wie Bonaventura verwendete Verb contrahere kann zwar auf einen Ehekontrakt bezogen werden, muss es aber nicht. Der Kontext spricht eher für eine rechtlich nicht bestätigte Gemeinschaftsform. 168 2 Cel 16,10 f. (Fontes Franciscani 458). 169 Dalarun, Francis and Clare 16; zu den mariologischen Implikationen dieser Bildlichkeit s. Gagnan, Symbole 157–163. 170 2 Cel 17,1 (Fontes Franciscani 459): „mulier haec erat Franciscus“ – „Diese Frau war Franziskus“. Diese Formulierung erinnert noch mehr an die Erzählung von David und Nathan, in welcher Letzterer dem König, nachdem dieser Uria hatte töten lassen, um an dessen Frau Bathseba kommen zu können, von einem reichen Mann erzählte, der einem armen sein einziges Schaf wegnahm. Seine Konsequenz war: „Tu es ille vir“ – „Du bist jener Mann“ (2 Sam 12,7); vgl. auch Gef 51,2 (Fontes Franciscani 1423). 171 S. das betonte „Christi Vicarius“ in BonLM III,5 (Fontes Franciscani 802). 172 Insofern sehe ich keinen Anlass, mit Feld, Franziskus 173 f., hier eine Diskrepanz zur päpstlich geleiteten Kirche zu sehen – im Gegenteil. 173 Von hier an folge ich wieder BonLM III,10 (Fontes Franciscani 801–803). 174 BonLM III,10,8 (Fontes Franciscani 802): „Vere (…) hic ille est, qui opere et doctrina Christi sustentabit Ecclesiam“. 175 Michael Goodich, Vision, Dream and Canonization Policy under Pope Innocent III, in: Moore, Innocent III and his World, 151–163, hier 153, unterscheidet eine ganze Anzahl von eher konstruierten Traumvisionen Innnozenz’ III., zu denen er auch die auf Franz bezogene rechnet, von glaubwürdigen Erzählungen, die deutlich machen, dass Inno­ zenz III. sich tatsächlich immer wieder auf übernatürliche Vorgänge als Motivation seines Handelns bezog; vgl. auch die skeptische Einschätzung bei Berg, Franziskus 68. 176 Ähnlich skeptisch äußert sich Manselli, San Francesco 189. 177 Mir scheint es schwer vorstellbar, die unterschiedlichen Erzählungen in eine einfache Abfolge zu bringen, wie dies Feld, Franziskus 172 ff., tut. Offenkundig hat man es mit zwei Schichten zu tun: einer historisch-diplomatischen Erzählung einerseits und einer hagiographisierenden, von Visionen und Wundern bewegten andererseits.  178 1 Cel 32,4–7 (Fontes Franciscani 305 f.); AP 32,1 f. (ebd. 1336). 179 S. Nicolangelo D’Acunto, Il vescovo di Assisi Guido I presso la Curia Romana, in: Cac­ ciotti/Melli, Francesco a Roma 41–60, hier 48 f. 180 1 Cel 32,5 (Fontes Franciscani 305 f.). 181 Skeptisch gegenüber dieser Erklärung ist auch Werner Maleczek, Franziskus, Inno­ cenz III., Honorius III. und die Anfänge des Minoritenordens. Ein neuer Versuch zu einem alten Problem, in: Il papato duecentesco 23–80, hier 44. Möglicherweise spielte allerdings eine Rolle, dass Franz’ Verlangen nach einer Approbation durch den Papst 160

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auch die Folge einer zunehmenden Zentralisierung der Kirche unter dem Papst war, die die bischöflichen Rechte mehr und mehr beschnitt (s. hierzu Dominic Monti, „Deservedly Approved by the Roman Church“: The Context for Papal Recognition of Francis’s Forma Vitae, in: Mitchell, Rule 3–31, hier 6). AP 36,3 f. (Fontes Franciscani 1339). Dafür, dass der Kontakt über Guido entstand, spricht die Notiz in AP 32,3 (Fontes Franciscani 1336): „Episcopus autem notus erat quidam Cardinali, qui dominus Ioannes de Sancto Paulo dicebatur.“ – „Der Bischof kannte einen Kardinal, der Herr Johannes von St. Paul genannt wurde“ (ähnlich Gef 47,5 [ebd. 1420]); vgl. Berg, Fran­ ziskus 66. 1 Cel 32,8 (Fontes Franciscani 306). Feld, Franziskus 168. Feld, Franziskus 158. 1 Cel 33,1 (Fontes Franciscani 306). Gef 48,2 (Fontes Franciscani 1420); AP 33,4 (ebd. 1337). Die Analogie hierzu war der Umgang mit exemten, also unmittelbar dem Papst untergebenen Abteien, deren Anliegen an der Kurie gleichfalls durch einen Prokurator vertreten wurden. Dies war noch nicht das Amt des Kardinalprotektors, wie es später Hugolin von Ostia innehatte. Scharf fasst Werner Maleczek, Franziskus, Innocenz III., Honorius III. und die Anfänge des Minoritenordens. Ein neuer Versuch zu einem alten Problem, in: Il papato due­ centesco 23–80, hier 41, die Funktion dieses Amtes zusammen: „Ohne Prokurator, der sich in den Schlichen des kurialen Apparates auskannte und Petitionen aufzusetzen verstand, war damals fast nichts mehr zu erreichen (…).“ BonLM 8,6 (Fontes Franciscani 801): „Nam, si quis intra evangelicae perfectionis ob­ servantiam et votum ipsius dicat contineri aliquid novum aut irrationabile vel impos­ sibile ad servandum, contra Christum, Evangelii auctorem, blasphemare convincitur“. Dass die Szene bei Bonaventura insgesamt erfunden ist, hebt Feld, Franziskus 169, zu Recht hervor; zuversichtlicher ist hier Hase, Franz 38 f., dem so weit zuzustimmen ist, dass er die Furcht vor Neuerungen in den Kontext des Verbotes neuer Ordensgründun­ gen auf dem Vierten Lateranum wenig später stellt (ebd. 42). 1 Cel 33,6 (Fontes Franciscani 307): „de plurimis exhortans et monens eos“. 1 Cel 33,7 (Fontes Franciscani 307): „Ite cum Domino, fratres, et prout Dominus vobis inspirare dignabitur, omnibus poenitentiam praedicate“. Eine interessante Variante des Gesprächs bietet Wend (Ed. Hewlett 329): Hiernach habe Innozenz Franz, weil er von dessen Auftreten so abgeschreckt war, aufgefordert, zu den Schweinen zu gehen, zu denen er besser passe als zu den Menschen. Franz tat dies tatsächlich und bewirkte so den Sinneswandel des Papstes, der ihn nach seiner Rückkehr – nicht ohne ihm zuerst eine eingehende Reinigung befohlen zu haben – akzeptierte. Hieran ist nicht nur bemerkenswert, dass Roger sehr deutlich die Distanz zwischen dem Papst und dem Poverello ausdrückt, sondern auch die Assoziation an den verlorenen Sohn, der am Ende bei den Schweinen hauste (Lk 15,11–32). Die Erzählung besagt, vor ihrem bibli­ schen Hintergrund gelesen, Ähnliches wie die Erzählung von dem König und seiner schönen armen Frau: Franz ist der Ausgestoßene und gerade darum wider Erwarten Erwählte; vgl. hierzu Hase, Franz 37; Feld, Franziskus 172. Werner Maleczek, Franziskus, Innocenz III., Honorius III. und die Anfänge des Minori­ tenordens. Ein neuer Versuch zu einem alten Problem, in: Il papato duecentesco 23–80, hier 49–54. 3 Vitry (Analekten 70,17). In diesem Sinne spricht Berg, Franziskus 68, treffend von einer „Existenz ‚auf Bewäh­ rung‘“.

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Anmerkungen Michael F. Cusato, Francis and the Franciscan movement (1181/2–1226), in: Robson, Cam­ bridge Companion 17–33, hier 21: „watershed in the history of the Franciscan movement“. 196 1 Cel 38,3 (Fontes Franciscani 312): Celano erwähnt hier die Stelle „sed sint mino­ res“ (Rnbull 7,2 [ebd. 191]; Paolazzi, Regula 130). Sie steht im Zusammenhang der An­weisungen für die Lebensführung, die Celano dann auch in 1 Cel 39 (ebd. 313 f.) referiert. Diese scheinen also, wenn Celano hier eine zuverlässige Tradition berichtet, schon recht früh verfestigt gewesen zu sein. 197 1 Cel 38,3 (Fontes Franciscani 312); zur Schwierigkeit, dieses Geschehen zu datieren, s. Eßer, Anfänge 32 Anm. 3. 198 Franz (Hug / Rotzetter) 197. 199 Auf diese sprachliche Entsprechung macht Franz (Hug / Rotzetter) 207 aufmerksam, allerdings auch mit Hinweis auf die viel tiefer liegende theologische Bedeutung der Bezeichnung bei den Minoriten. 200 S. Feld, Franziskus 401. 201 LKl 1,4 (Fontes Franciscani 2416): „quamvis maritali iugo subdita“. Eine Zusammen­ fassung wichtiger Beiträge zur Klaraforschung findet sich in Schmies, Klara. 202 Vgl. Feld, Franziskus 407. 203 LKl 1,4 (Fontes Franciscani 2416). 204 Kreidler-Kos, Klara 140, verweist zu Recht darauf, dass die einzige Aussage Klaras selbst über ihre Jugend, wonach sie „in der armseligen Eitelkeit der Welt“ gelebt habe (TestKl 8 [Fontes Franciscani 2312]: „in saeculi misera vanitate“), biographisch nicht stark zu gewichten ist, da es sich hier um ein Bekehrungsstereotyp handelt. 205 ProKl XVII,1 (Fontes Franciscani 2503); aufgenommen in LKl 3,4 (ebd. 2417). Zu der besonderen Quellenqualität dieser Berichte aus dem Kanonisationsprozess s. Feld, Franziskus 401. 206 LKl 3,4 (Fontes Franciscani 2417): „per internuncios“. 207 LKl 4,4 (Fontes Franciscani 2417): „sub vestibus namque pretiosis ac mollibus, cilicio­ lum gerebat absconditum“. 208 Kreidler-Kos, Klara 141 f. 209 ProKl XVIII,2 (Fontes Franciscani 2505); ProKl XIX,2 (ebd. 2506); besonders der Bericht von Pietro de Damiano macht deutlich, dass es hier um eine standesgemäße, vielleicht sogar über der eigenen Stellung angelegte Heirat ging: Vorgesehen war die Heirat „ad homini grandi et potenti“. 210 ProKl XVII,7 (Fontes Franciscani 2504). Bartoli, Klara 62, macht auf den interessanten Aspekt aufmerksam, dass die Initiative zum Kennenlernen von Klara ausging. 211 1 Cel 36,4 (Fontes Franciscani 311). 212 Kuster/Kreidler-Kos, Chronologie 31 f. 213 Vgl. zu den vielen unterschiedlichen Deutungen dieser Beziehung Niklaus Kuster, Was Franziskus und Klara von Assisi verbindet. Neuere Interpretationen zwischen unzertrennlicher Freundschaft und brüderlichem Desinteresse, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 195–212. 214 LKl 6,1 (Fontes Franciscani 2418). 215 LKl 5,4 (Fontes Franciscani 2418). 216 LKl 5,4 (Fontes Franciscani 2418); ProKl XVII,3 (ebd. 2503). 217 Z. B. Thompson, Francis 46. 218 S. ProKl XVII,3 (Fontes Franciscani 2503); für die Bestätigung dieser philologischen Problematik danke ich Reinhold Grimm, Jena. 219 S. Bartoli, Klara 65. 220 Vgl. Feld, Franziskus 420 f. Auch die dort referierte Erzählung Filippas von einer Vision Klaras, in welcher diese aus der Brustwarze des Franziskus eine besondere Flüssigkeit 195

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gesogen habe (ProKl III,29 [Fontes Franciscani 2473]), wird man nur vorsichtig mithilfe psychoanalytischer Muster zu deuten haben (so Bartoli, Klara 193–196; hierzu sehr kritisch schon Feld, Franziskus 421 f.): Zumindest zu Teilen handelt es sich hier um Übertragung von Marienfrömmigkeit – mit der häufigen Darstellung der Maria als Maria lactans, als stillende Maria – auf Franz, analog zur häufigen Übertragung von Chris­ tuseigenschaften auf ihn. Das Spiel von Celano nimmt Holl, Letzter Christ 145–150, auf, wenn er einerseits den provozierenden Satz formuliert: „Franz und Klara waren ein Liebespaar“ (145), andererseits aber betont, dass es sich hier um eine Liebesgeschichte der „unterdrückten Lust“ handelt (ebd.), in der auch beim heimlichen Treffen nicht über Liebe gesprochen wurde, sondern über Christus (150). Rnbull 12,2 (Fontes Franciscani 197). Das Verbot, sich gemeinsam auf den Weg zu ma­ chen oder aus derselben Schüssel zu essen, entstammt allerdings wohl erst späteren Redaktionen (s. den Text bei Paolazzi, Regula 135). ProKl XVII,3 (Fontes Franciscani 2503). Zu dieser Datierung s. Kuster/Kreidler-Kos, Chronologie 3. FormKl (Fontes Franciscani 119): „Quia divina inspiratione fecistis vos filias et ancillas altissimi summi Regis Patris caelestis, et Spiritui Sancto vos desponsastis eligendo vivere secundum perfectionem sancti Evangelii: volo et promitto per me et Fratres meos semper habere de vobis tamquam de ipsis curam diligentem et sollicitudinem specialem“. TestKl 24 (Fontes Franciscani 2313). 1 Vitry (Ed. Huygens 75,109 f.); vgl. zu dieser Gemeinsamkeit Berg, Franziskus 80. Rnbull 12,4 (Fontes Franciscani 197; Paolazzi, Regula 135); vgl. Bartoli, Klara 65. Kuster/Kreidler-Kos, Chronologie 21. RegKl VIII,2 (Fontes Franciscani 2301). RegKl VIII,2 (Fontes Franciscani 2301). S. Thompson, Francis 46. Kreidler-Kos, Klara 142. Zum Folgenden s. LKl 7 (Fontes Franciscani 2419); zu der „Liturgischen Flucht“ s. Bar­ toli, Klara 69. Zur Datierung: Kuster/Kreidler-Kos, Chronologie 14. Feld, Franziskus 402. Jean-François Godet-Calogeras, Francis and Clare and the Emergence of the Second Order, in: Robson, Cambridge Companion 115–126, hier 117, geht davon aus, dass es sich um ein von Franz und Bischof Guido vorab geplantes Zeichen handelte. ProKl XIII,1 (Fontes Franciscani 2496 f.). ProKl XIII,1 (Fontes Franciscani 2497): „ce erano contraposti con legni grievi, et una colonna de pietra“. LKl 7,7 (Fontes Franciscani 2419). Zum Folgenden, wo nicht anders angegeben LKl 8 (Fontes Franciscani 2419 f.). Wie dies möglich war, ist unklar (s. Kuster, Franz und Klara 58, mit der Vermutung, dass die Flucht durch den bischöflichen Palast erfolgte). Vgl. auch ProKl XII,4 (Fontes Franciscani 2495). ProKl XII,3 (Fontes Franciscani 2495); vgl. Kuster, Franz und Klara 59. BullKl 21 (Fontes Franciscani 2332): „et ab ipso b. Francisco, sacra ibi recepta ton­ sura“. Vgl. Feld, Franziskus 295: Franz „hat (…) dabei de facto einen normalerweise dem Bischof vorbehaltenen Ritus vollzogen“. LKl 8,2 (Fontes Franciscani 2419). TestKl 25 (Fontes Franciscani 2313).

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Anmerkungen ProKl XII,4 (Fontes Franciscani 2495); LKl 8,5 (ebd. 2420). LKl 9,3 (Fontes Franciscani 2420); LKl 8,5 (ebd. 2420). 250 LKl 24,10 (Fontes Franciscani 2430). Später folgten auch noch die Schwester Beatrice und die Mutter Ortulana (s. Feld, Franziskus 403). 251 LKl 25 f. (Fontes Franciscani 2430 f.). 252 LKl 10,1 (Fontes Franciscani 2420); s. zu diesem Kloster Bartoli, Klara 79. 253 LKl 10,1 (Fontes Franciscani 2420). 254 BullKl 24 (Fontes Franciscani 2332 f.): „ordo S. Damiani“. 255 Kuster/Kreidler-Kos, Chronologie 14. 248

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3. Kapitel: Sendung

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AP 19,10 f. (Fontes Franciscani 1325 f.): „Paenitentiales sumus, et in civitate Assisii nati fuimus.“ S. hierzu umfassend Dukker, Umkehr. Gef 54,3 (Fontes Franciscani 1426). S. Eßer, Homo alterius saeculi. 1 Cel 26,2–6 (Fontes Franciscani 300 f.): „Quadam vero die (…) locum orationis petiit, sicut et saepissime faciebat, ubi cum diu perseveraret (…) frequenter replicans verbum illud: ‚Deus propitius esto mihi peccatori‘, quaedam laetitia indicibilis et suavitas maxima sensim coepit cordis eius intima superfundere. Coepit quoque a semetipso deficere, compres­ sisque affectibus ac tenebris effugatis, quae timore peccati fuerant in corde suo concretae, infusa est sibi certitudo remissionis omnium delictorum et fiducia exhibita est in gratiam respirandi.“ Test 1,1 (Fontes Franciscani 227). Ord 38 f. (Fontes Franciscani 102 f.). Zu dieser Betonung der Absolution in der mittelalterlichen Theologie s., etwa zwei Generationen nach Franz von Assisi, Thomas von Aquin: Dieser behandelt in seiner Summa theologiae III q. 84 a. 3 die Frage nach der Form, also dem wesengebenden Teil der Buße, und teilt definitorisch auf, dass alle Vorbedingungen aufseiten des Büßen­ den Materie seien, die forma aber in dem Wort des Priesters „Ego te absolvo“ bestehe (Sanctae Thomae Aquinatis Opera Omnia [Editio Leonina]. Bd. 12, Rom 1906, 289). Test 23 (Fontes Franciscani 229): „Salutationem mihi Dominus revelavit, ut diceremus: ‚Dominus det tibi pacem‘.“ Die franziskanische Grußformel „pax et bonum“ kommt im Werk des Franziskus in dieser Kombination nicht vor (s. Kuster, Pax et bonum 63). Rnbull 14,2 (Fontes Franciscani 198; Paolazzi, Regula 136); Rbull 3,14 (Fontes Franciscani 175). Hoeberichts, Begegnung 212, betont wohl zu Recht, dass damit nicht zunächst Wohn­ häuser gemeint sind, sondern Spitäler und Armenhäuser. Josef Andreas Jungmann, Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römi­ schen Messe. Erster Bd., Freiburg 51962 (= Bonn 2003), 467. 1 Cel 23,6 (Fontes Franciscani 298): „In omni praedicatione sua, priusquam conve­ nientibus proponeret verbum Dei, pacem imprecabatur dicens: ,Dominus det vobis pacem‘.“ 1 Cel 23,7 (Fontes Franciscani 298). 2 Cel 4,8 (Fontes Franciscani 447). Gef 11,5 (Fontes Franciscani 1383). Gef 26,3 (Fontes Franciscani 1399): „Et mirum certe, nec sine miraculo admitten­ dum, quod ad hanc salutationem annunciandam, ante suam conversionem habuerat

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quemdam praecursorem, qui frequenter iverat per Assisium salutando in hunc modum: ,Pax et bonum! Pax et bonum‘.“ Dass Franziskus „in keiner Kontinuität zum Wirken jenes anderen“ gestanden habe (Kuster, Pax et bonum 73), lässt sich so eindeutig aus der Quelle nicht erschließen. Die Vermutung, dass dieser Unbekannte ein Katharer gewesen sei, hält Kuster ebd. 76–78, wohl zu Recht für zu weitgehend. Gef 26,4 (Fontes Franciscani 1399). Hoeberichts, Begegnung 212 Anm. 19. 1 Cel 72,4 (Fontes Franciscani 348): „inter multa millia hominum“. Erm 2,5 (Fontes Franciscani 27). Erm 2,3 (Fontes Franciscani 26 f.). S. Erm 2,4 (Fontes Franciscani 27): „per suggestionem diaboli“. Erm 3,3 (Fontes Franciscani 27). Erm 3,7 (Fontes Franciscani 27). So die plausible Erklärung in Franziskus-Quellen 123; Kajetan Eßer möchte den Text zugespitzt auf die Anfänge des dritten Ordens gedeutet wissen (Franz, Opuscula 177 f.). 1 Gl 2,1–6 (Fontes Franciscani 74 f.): „Omnes autem illi et illae, qui non sunt in poeni­ tentia (…), et operantur vitia et peccata et qui ambulant post malam concupiscentiam et mala desideria carnis suae, et non observant, quae promiserunt Domino, et serviunt corporaliter mundo carnalibus desideriis et sollicitudinibus saeculi et curis huius vitae: detenti a diabolo, cuius sunt filii et eius opera faciunt“. Zur Entstehung dieses Bildes v. a. durch die Fioretti s. Steggink, Sonnengesang 11. 1 Gl 2,15 (Fontes Franciscani 75): „diabolus rapit animam suam de corpore eius cum tanta angustia et tribulatione, quod nemo potest scire, nisi qui recipit“. 1 Gl 2,16–18 (Fontes Franciscani 75 f.). Ganz ähnlich motivierte Mahnungen finden sich auch in Lenk (Fontes Franciscani 107), bis dahin, dass Franz hier den Herrschern in der ganzen Welt mit Blick auf das Gericht anempfiehlt, Abend für Abend ihr Volk zur Verehrung Gottes aufzurufen (Lenk 7 f. [ebd. 108]). Dieser Brief ist allerdings schlecht überliefert und vermutlich nicht echt. 2 Gl 30 f. (Fontes Franciscani 81). Rnbull 21,2–9 (Fontes Franciscani 204; mit leichten Abweichungen Paolazzi, Regula 141): „Timete et honorate, laudate et benedicite, gratias agite et adorate Dominum Deum omnipotentem in trinitate et unitate, Patrem et Filium et Spiritum Sanctum, creatorem omnium. Agite poenitentiam, facite dignos fructus poenitentiae, quia cito moriemur. Date et dabitur vobis. Dimittite et dimittetur vobis. Et si non dimiseritis hominibus peccata eorum, Dominus non dimittet vobis peccata vestra; confitemini omnia peccata vestra. Beati qui moriuntur in poenitentia, quia erunt in regno caelorum. Vae illis qui non moriuntur in poenitentia, quia erunt filii diaboli, cuius opera faciunt et ibunt in ignem aeternum. Cavete et abstinete ab omni malo et perseverate usque in finem in bono“; vgl. auch 2 Gl 22 (Fontes Franciscani 81): „Debemus siquidem confiteri sacerdoti omnia peccata nostra“. Test 1 (Fontes Franciscani 227): „faciendi poenitentiam“. Rnbull 23,4 (Fontes Franciscani 209; mit leichten Abweichungen Paolazzi, Regula 145): „Et gratias agimus tibi, quia ipse Filius tuus venturus est in gloria maiestatis suae mittere maledictos, qui poenitentiam non egerunt et te non cognoverunt, in ignem aeternum“. 2 Cel 108 (Fontes Franciscani 541 f.). Dies tut jedenfalls für das am Ende überlieferte Franziskuswort Feld, Franziskus 201.  Tatsächlich scheint es mir möglich, dass sich aus diesem Wort, das von Teufels- und Dämonenbesessenheit spricht, die Episode entwickelt hat. Visc (Ed. Bihl 652).

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Anmerkungen Split (MGH 29,580,17–29). Split (MGH 29,580,20): „Angeli, homines, daemones“. 40 Erm 15,1 f. (Fontes Franciscani 32): „Beati pauperes quoniam filii Dei vocabuntur. Illi sunt vere pacifici, qui de omnibus, quae in hoc saeculo patiuntur, propter amorem Domini nostri Jesu Christi in animo et corpore pacem servant“. 41 Erm 14,1 f. (Fontes Franciscani 31 f.). 42 Erm 8,1–3 (Fontes Franciscani 29 f.). 43 Erm 14,4 (Fontes Franciscani 32): „quia qui vere pauper est spiritu, se ipsum odit et eos diligit qui eum percutiunt in maxilla“, „Denn der ist wahrhaft arm im Geiste, der sich selbst hasst und die liebt, die ihn auf die Wange schlagen“. 44 S. hierzu insgesamt Feld, Zeichenhandlungen. 45 1 Cel 77,4–78,5 (Fontes Franciscani 352 f.); vgl. hierzu Feld, Beseelte Natur 33–44; Ver­ hey, Unschuld 100. 46 1 Cel 23,1 f. (Fontes Franciscani 297 f.): „Exinde cum magno fervore spiritus et gaudio mentis coepit omnibus poenitentiam praedicare, verbo simplici sed corde magnifico aedificans audientes. Erat verbum eius velut ignis ardens penetrans intima cordis, et omnium mentes admiratione replebat“. 47 BonPr (Bonaventure, Sermons 604–620, 742–812). 48 Gef 54,1 f. (Fontes Franciscani 1425 f.): „Exinde beatus Franciscus circuiens civitates et castra coepit ubique amplius et perfectius praedicare, non in persuasibilibus humanae sapientiae verbis sed in doctrina et virtute Spiritus Sancti, annuntians fiducialiter regnum Dei. Erat enim veridicus praedicator ex auctoritate apostolica roboratus, nullis utens adulationibus verborumque respuens blandimenta quia quod verbo aliis suadebat hoc primo sibi suaserat opere ut veritatem fidentissime loqueretur“; zum Verständnis von „civitates et castra“ s. Feld, Franziskus 181. 49 Rnbull 17,9–11 (Fontes Franciscani 201): „Omnes ergo fratres caveamus ab omni superbia et vana gloria; et custodiamus nos a sapientia huius mundi et a prudentia carnis[,] spiritus enim carnis vult et studet multum ad verba habenda, sed parum ad operationem, et quaerit non religionem et sanctitatem in interiori spiritu“; die Übersetzung folgt der vermutlich ursprünglichen Schlusswendung „sanctitatem interiorem spiritus“ (Paolazzi, Regula 139). 50 2 Cel 163,1 (Fontes Franciscani 588). 51 1 Cel 72,6 f. (Fontes Franciscani 348). 52 1 Cel 72,9 (Fontes Franciscani 348): „ex hoc solo maxime praedicatos“. 53 2 Cel 163,6 (Fontes Franciscani 588). 54 Test 13 (Fontes Franciscani 228): „Et omnes theologos et, qui ministrant sanctissima verba divina, debemus honorare et venerari, sicut qui ministrant nobis spiritum et vitam“; vgl. 2 Cel 163,7 (ebd. 588). 55 Zu ihm Raffard de Brienne, Saint Antoine, sowie den Sammelband Sant’Antonio vivo. 56 Insbesondere ist hier an die Predigt unter den Katharern zu denken (s. Raffard de Brienne, Saint Antoine 49–59). 57 Ant 1 (Fontes Franciscani 57): „Fratri Antonio episcopo meo“. Meines Erachtens besteht kein Anlass, dies mit den Bestimmungen des Vierten Lateranums über die Bischöfe zu harmonisieren (s. Franziskus-Quellen 108). Eher dürfte es sich um eine metaphorische Redeweise handeln, die deutlich machte, dass Franz gelegentlich von Antonius Hinweise auf die korrekte Lehre erhielt und bereit war, diese achtungsvoll zu befolgen. 58 Ant 1 f. (Fontes Franciscani 57): „Fratri Antonio episcopo meo frater Franciscus salutem. Placet mihi quod sacram theologiam legas fratribus, dummodo inter huius studium orationis et devotionis spiritum non exstinguas, sicut in regula continetur“. 38

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Anmerkungen Chartularium Universitatis Parisiensis, hg. v. Heinrich Suso Denifle u. Émile Chatelain. Bd. 1, Paris 1889 (= Brüssel 1964), 78–80 (No. I,20, Statuten der Universität aus dem August 1215). 60 Rbull 5,2 f. (Fontes Franciscani 175). 61 Vgl. Wend (Ed. Hewlett 2,329), der ausdrücklich betont, dass die Menschen Franz glaubten, weil er sich von fleischlichen Begierden fernhielt. 62 Split (MGH 29,580,24 f.): „Sordidus erat habitus, persona contemtibilis et facies inde­ cora“. Diese Schilderung des Aussehens wird durch Elias von Cortona bestätigt: „Dum adhuc vivebat spiritus eius in corpore, non erat in eo adspectus, sed despectus vultus eius“, „Als sein Geist noch im Leib lebte, war sein Gesicht nicht ansehnlich, sondern unansehnlich“ (E 20 [Fontes Franciscani 254]). 63 BonLM IV,4,1 (Fontes Franciscani 805). 64 Wend (Ed. Hewlett 329). 65 Split (MGH 29,580,22 f.). 66 Nach dem Zeugnis von Wend (Ed. Hewlett 329) ist tatsächlich davon auszugehen, dass die Franziskaner Zulassung zur Predigt in Pfarrkirchen hatten. 67 Rnbull 21,1 (Fontes Franciscani 203 f.; Paolazzi, Regula 141): „quandocumque placuerit eis (…) inter quoscumque homines“. 68 Gef 58,6 (Fontes Franciscani 1430): „Nam ad hoc vocati sumus ut vulneratos curemus, alligemus confractos et erroneos revocemus“. 69 Rnbull 17,3 (Fontes Franciscani 200; Paolazzi, Regula 138): „omnes tamen fratres operi­ bus praedicent“. 70 Rnbull 17,4 (Fontes Franciscani 200; Paolazzi, Regula 138). 71 Gef 54,3 (Fontes Franciscani 1426): „festinabant“. 72 Gef 54,3 (Fontes Franciscani 1426): „ipsum videre et audire velut hominem alterius saeculi festinabant“. 73 Gef 54,3 f. (Fontes Franciscani 1426): „litterati et docti (…), nobiles et ignobiles, clerici et laici“. 74 1 Cel 62,5 (Fontes Franciscani 337): „Ingrediente ipso aliquam civitatem“. 75 Man wird sogar noch zugespitzter sagen dürfen: Der Umstand, dass dieses Fragment von den drei Gefährten in die allererste Aussendung der Brüder datiert wird, zwingt keineswegs zu der Annahme, dass es zeitlich auch dorthin gehört: Wie oben dargelegt (s. 319 Anm. 108. ), folgten die Gefährten einer Konstruktion von Missionsreisen, in welche sie unterschiedliches Material jeweils passend integrierten. 76 Vgl. Gerd Theißen, Soziologie der Jesusbewegung. Ein Beitrag zur Entstehungsge­ schichte des Urchristentums, München 61991; auf diese soziologische Parallelität weist auch Rotzetter, Entscheidung 30, hin. 77 1 Cel 62,3 (Fontes Franciscani 337). 78 1 Cel 63,1 (Fontes Franciscani 338). 79 1 Cel 63,2 (Fontes Franciscani 338): „Sic et multitoties fide maxima freti eius tunicam incidebant, ut quasi nudus aliquando remaneret“. 80 S. hierzu Bernhard Kötting, Reliquienverehrung, ihre Entstehung und ihre Formen, in: TThZ 67 (1958), 321–334, hier 327–334. 81 1 Cel 63,4–13 (Fontes Franciscani 338 f.). 82 1 Cel 64,1–3 (Fontes Franciscani 339 f.). 83 1 Vitry (Ed. Huygens 75,110 f.). 84 3 Cel (Fontes Franciscani 643–754). 85 BonLMMir (Fontes Franciscani 912–919). 86 Vauchez, François 127. 87 3 Cel 2–13 (Fontes Franciscani 645–656); BonLMMir I,1–6 (ebd. 912–929). 59

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Anmerkungen 3 Cel 13,8 (Fontes Franciscani 656): „Quis igitur ad ista non stupeat, quis quod de stig­ matibus praedicatur aliud quam totum fuisse divinum confingat?“ 89 3 Cel 40 (Fontes Franciscani 674 f.). 90 3 Cel 41,1 (Fontes Franciscani 675): „Ut confessionis admirabile Dei donum, totis ab omnibus amplexandum visceribus ostendatur“. 91 3 Cel 41 (Fontes Franciscani 675 f.). 92 3 Cel 41,11 (Fontes Franciscani 676). 93 S. Gerd Theißen / Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 32001, 256–283. 94 1 Cel 49 f. (Fontes Franciscani 323–325). 95 1 Cel 50,2 (Fontes Franciscani 324): „Nulla te conturbet tentatio, fili, nulla cogitatio exacerbet, quoniam carissimus mihi es, et inter praecipue mihi caros mea dilectione ac familiaritate dignum te noveris.“ 96 1 Cel 48,5–10 (Fontes Franciscani 323). 97 1 Cel 48,2 (Fontes Franciscani 322): „Spiritu Sancto relevante“. 98 1 Cel 68 (Fontes Franciscani 343). 99 1 Cel 68,1 (Fontes Franciscani 343). 100 1 Cel 68,5 (Fontes Franciscani 343). 101 1 Cel 65 (Fontes Franciscani 340 f.); vgl. die Geschichte vom Hauptmann von Kafar­ naum, der nach Mt 8,5 für seinen gelähmten Diener, nach Joh 4,46 f. für seinen sterbenskranken Sohn bittet. Beides scheint im Hintergrund der Franziskuserzählung miteinander verwoben. 102 1 Cel 66 (Fontes Franciscani 341 f.); vgl. Mk 2,1–12. Gerade wegen der offenkundigen Analogie zu Jesus ist es erstaunlich, dass Vauchez, François 127, ausgerechnet diese beiden Episoden als historisch einzuordnen scheint. 103 Hierauf macht insbesondere Vauchez, François 128, aufmerksam. 104 S. zur Bedeutung dieser Passagen im Stile von „Nos qui fuimus cum illo/eo“ für die Quellenkritik Manselli, Nos. Ihnen wird in der Regel hohe Authentizität zugesprochen. 105 Per 67,14 f.; 84,21 f. (Fontes Franciscani 1569; 1602). Beide Stellen sind parallel auch im sog. Speculum perfectionis enthalten (s. hierzu Manselli, Nos 164–175). 106 1 Cel 16,1 (Fontes Franciscani 291). Entsprechend sieht Sorrell, St. Francis 42–44, in Franz’ Eremitenleben eine der Wurzeln für sein Verhältnis zur Natur. 107 Erm 5 (Fontes Franciscani 28). 108 1 Cel 80,3 (Fontes Franciscani 355). 109 2 Cel 165,2 (Fontes Franciscani 589). 110 1 Cel 80,4 (Fontes Franciscani 356); 2 Cel 165,14 (ebd. 590). 111 Dabei war den Menschen in der Regel nicht bewusst, dass die Bienen Produzenten des Honigs waren, vielmehr nahm man verbreitet an, es handle sich um einen vom Himmel gekommenen Tau (s. [o. A.], Art. Honig, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 5, Lachen 1999, 117 f.). 112 Mit durchaus skeptischem Unterton redet Verhey, Unschuld 97, davon, dass man Franz zum „Patron der Ökologie“ gemacht habe. 113 Verhey, Unschuld 98. 114 Jord 12 (Ed. Schlageter 37 f.); vgl. Verhey, Unschuld 99. 115 2 Cel 165,6 (Fontes Franciscani 590). 116 Angesichts dieses Hintergrundes ist es durchaus möglich, mit Armstrong, Nature Mystic; Sorrell, St. Francis 89–92, von einer Naturmystik bei Franz zu sprechen – s. zu den mystischen Elementen seines Glaubens 263–268. 117 2 Cel 165,8 (Fontes Franciscani 590): „Parcit lucernis, lampadibus et candelis, nolens sua manu deturbare fulgorem, qui nutus est lucis aeternae“. 88

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Anmerkungen Feld, Franziskus 215–218, verweist auf Vorbilder im antiken Mönchtum, die mit Tieren gesprochen haben. Deutlicher in der Ablehnung der Historizität ist sowohl wegen der hagiographischen Muster als auch wegen der Unwahrscheinlichkeit des beschriebe­ nen Verhaltens der Vögel Armstrong, Nature Mystic 44–46. 119 Vgl. auch die Argumente bei Schmucki, Beiträge 405. Die Aufwertung der FiorettiTradition gegenüber Celano bei Sorrell, St. Francis 60 f., hat lediglich ein allerdings in der Tat bemerkenswertes Argument für sich: Der Umstand, dass Celanos Vita in lateinischer Sprache geschrieben ist, sorgt für eine gewisse – angesichts des Verhältnisses zwischen Mittelitalienischem und Lateinischem freilich nicht sehr starke – Verfremdung. 120 Bösch, Vogelpredigt 167 f. 121 Es ist zwar nicht zwingend, aber bemerkenswert, dass die Vogelpredigt die einzige Episode ist, von der Celano ausdrücklich erklärt, dass Franz und die ihn begleitenden Brüder hiervon berichtet hätten (1 Cel 58,8); vgl. Verhey, Unschuld 102. 122 Auch Bösch, Vogelpredigt 169–172, sieht den Kern der Erzählung von der Vogelpredigt letzten Endes in einem anderen Geschehen, versucht dies aber durch eine literarkri­ tische Operation deutlich zu machen, indem er darlegt, dass die Vogelpredigtepisode letztlich eine Verarbeitung der Erzählung von den Vögeln sei, die nach Per 118,9–14 (Fontes Franciscani 1083 f.) Franziskus beim Gebet in La Verna besucht und ihm Gutes verheißen hätten. Die oben vorgeschlagene Deutung im Sinne einer Hagiographi­ sierung einer ursprünglich sehr alltäglichen Erzählung erscheint mir demgegenüber einfacher. 123 1 Cel 58 (Fontes Franciscani 332–334). 124 1 Cel 58,4 (Fontes Franciscani 333): „more solito“. 125 Schmucki, Vogelpredigt 27, bemüht sich, Celano biographisch dicht an die Gescheh­ nisse zu rücken, ja fast in den Rang der Augenzeugenschaft zu heben. 126 1 Cel 58,6 f. (Fontes Franciscani 333): „Fratres mei, volucres, multum debetis laudare creatorem vestrum et ipsum diligere semper, qui dedit vobis plumas ad induendum, pennas ad volandum, e quidquid necesse fuit vobis. Nobiles vos fecit Deus inter creaturas suas et in puritate aeries vobis contulit mansionem, quoniam cum neque seminetis, neque metatis, ipse nihilominus sine omni vestra sollicitudine vos protegit et gubernat“. 127 Insofern wird man nicht unbedingt unterstellen müssen, dass Franz „Tiere, Pflanzen, Sonne, Mond, Erde, Feuer, Wasser, Wind für beseelte und intelligente Wesen gehalten“ habe (Feld, Beseelte Natur 10) – das macht aus den poetischen und metaphorischen Möglichkeiten, die Franz nutzte, eine lehrhafte Verallgemeinerung. 128 1 Cel 58,13 (Fontes Franciscani 334). 129 Interessant ist der Hinweis von Schmucki, Vogelpredigt 13 f., auf eine spätere Legende, nach welcher bei einem neuerlichen Versuch der Vogelpredigt die Vögel aufgestoben seien und Franz sich daraufhin Vorwürfe gemacht habe, sich angemaßt zu haben, die Tiere könnten auf ihn hören wie auf ihren Schöpfer. 130 Fior 16 (Ed. Pratesi 78 f.). 131 Wend (Ed. Hewlett 330 f.). 132 3 Cel 26 (Fontes Franciscani 665 f.). 133 3 Cel 29 (Fontes Franciscani 667). 134 3 Cel 31 (Fontes Franciscani 667 f.). 135 3 Cel 22 (Fontes Franciscani 663 f.). 136 Lang, Sonnengesang 2. 137 2 Cel 213,11 (Fontes Franciscani 628). 138 Per 83,30 (Fontes Franciscani 1598); vgl. ebenso SP 119 f. (ebd. 2044–2046). Der letzt­ genannte Text, das Speculum perfectionis, galt Paul Sabatier noch als entscheidendes 118

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Anmerkungen

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frühes Zeugnis über Franz’ Leben, stammt aber gemäß der Notiz in einer Handschrift erst aus dem Jahre 1318, fällt somit unter die eher problematischen Zeugnisse. So das vorsichtige Ergebnis von Kajetan Eßer, in: Franz, Opuscula 133. Per 84,1–7 (Fontes Franciscani 1599 f.). Per 7,11–14 (Fontes Franciscani 1477). Diesen Angaben entsprechend nimmt Platz­ eck, ­Sonnenlied 25, folgende, heute weitgehend akzeptierte Datierungsschritte vor: Strophe 1–7 und 10 wurden 1224/25 in San Damiano gedichtet, Strophe 8 kam 1225 hinzu, Strophe 9 1226. Vgl. Lehmann, Tiefe 296 f. Platzeck, Sonnenlied 9. Für die Übersetzung des altitalienischen Textes folge ich hier ganz und gar Leonhard Lehmann in Franziskus-Quellen 40 f.; das altitalienische Original findet sich in Fontes Franciscani 39 f.: „Altissimu omnipotente bon signore, | tue so le laude la gloria e l’honore et onne benedictione. | Ad te solo, altissimo, se konfano, | et nullu homo ene dignu te mentovare. | Laudato si, mi signore, cun tucte le tue creature, | spetialmente messor lo frate sole, | lo qual’è iorno, et allumni noi per loi. | Et ellu è bellu e radiante cun grande splendore, | de te, altissimo, porta significatione. | Laudato si, mi signore, per sora luna e le stelle, in celu l’ài formate clarite et pretiose et belle. | Laudato si, mi signore, per frate vento, | et per aere et nubilo et sereno et onne tempo, | per lo quale a le tue creature dai sustentamento. | Laudato si, mi signore, per so aqua,| la quale è multo utile et humile et pretiosa et casta. | Laudato si, mi signore, per frate focu,| per lo quale enn’allumini la nocte,| ed ello è bello et iocundo et robustoso et forte. | Laudato si, mi si­ gnore, per sora nostra matre terra,| la quale ne sustenta et governa, | et produce diversi fructi con coloriti flori et herba. | Laudato si, mi signore, per quelli ke perdonano per lo tuo amore, | et sostengo infirmitate et tribulatione. | Beati quelli ke ‘l sosterrano in pace, | ka da te, altissimo, sirano incoronati. | Laudato si, mi signore, per sora nostra morte corporale, | da la quale nullu homo vivente pò skappare. | Guai a quelli, ke morrano ne le peccata mortali: | beati quelli ke trovarà ne le tue sanctissime voluntati, | ka la morte secunda nol farrà male. | Laudate et benedicete mi signore,| et rengratiate et serviateli cun grande humilitate.“ Das ist einer der Gründe, warum eine biographisch enge Deutung des Sonnengesangs nur vorsichtig erfolgen sollte: Den Anklang von „clarite“ in der dritten Strophe an den Namen Klara/Clara kann man schwer bestreiten; ob er bewusst gewählt war oder auch nur einen beabsichtigten Assoziationsraum eröffnen sollte, wie es Steggink, Sonnen­ gesang 29, nahelegt, wird man bezweifeln dürfen, selbst wenn es gute Gründe gibt, den Sonnengesang in San Damiano und damit in Klaras Nähe zu verorten (ebd. 32). Platzeck, Sonnenlied 30, 38–40. Entsprechend betont Lehmann, Tiefe 302, zu Recht, dass es verfehlt wäre, den Son­ nengesang pantheistisch zu verstehen. In der evangelischen Tradition wird dieser Abschnitt, weil er nicht zum aramäischen Original des Danielbuches zählt, sondern sich nur in den antiken Übersetzungen findet, als apokryph geführt. Vgl. Lang, Sonnengesang 3. Lehmann, Tiefe 301. GrTug 18 (Fontes Franciscani 224): „ut possint facere de eo, quicquid voluerint“. Thompson, Francis 124, erwägt allerdings, dass Franz die Tiere als potenziell von Dämonen besessen und genutzt ansah und darum nicht erwähnte. Das arbeitet zu Recht Lang, Sonnengesang 12, heraus.  Platzeck, Sonnenlied 41, betont, dass die von ihm angenommene allmähliche Entste­ hung „die geistige Einheit“ des Sonnengesangs nicht infrage stelle.

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Anmerkungen Zu den Entsprechungen s. die Übersicht bei Sorrell, St. Francis 103 f.; zur Verwendung dieser biblischen Lieder im Stundengebet und Offizium s. Ritter, Gepriesen 105. 156 Vgl. Platzeck, Sonnenlied 69, der aber zugleich im Anschluss an Éloi Leclerc hervorhebt, dass Christus als Grundmotiv im Denken des Franziskus auch für den Sonnengesang vorauszusetzen ist; ebenso Lehmann, Tiefe 299 f. Kinsella, Gladness 64, erklärt sogar emphatisch: „The Canticum takes nature back to the very ground of the Godhead in the Trinity. Nature is the visible, material, and incarnational expression of the trinity itself.“ Den Sonnengesang aber durch Zuteilung von Strophe 2–3 zum Vater, 3–7 zum Sohn und 8–9 zum Heiligen Geist trinitarisch zu deuten (Lang, Sonnengesang 5–16), stellt wohl doch eine Übersystematisierung dar, die insbesondere in den christologischen Partien wenig zwingend ist. 157 Rnbull 1,1 (Fontes Franciscani 185; Paolazzi, Regula 125); vgl. Köpf, Stigmata 59. 158 1 Cel 81,5 (Fontes Franciscani 357); vgl. hierzu Feld, Beseelte Natur 11 f. 159 Zum inneren Zusammenhang zwischen Buß- und Missionspredigt bei Franziskus s. Elm, Vitasfratrum 159 f. Zu Recht sehr kritisch äußert sich Bohl, Islam 302 f., gegen­ über Versuchen, Franziskus für ein – in meinen Augen heute in der Tat gebotenes – di­ alogisches Verständnis der Begegnung der Religionen zu vereinnahmen (s. in diesem Sinne etwa Hoeberichts, Feuerwandler 243–252; Rotzetter, Brücke; Sham, Malik-el Ka­ mil 104); vgl. Hoose, Peace 464, der von einer „confrontational method of converting the Muslims“ spricht. 160 1 Cel 55,2 (Fontes Franciscani 329): „sacri martyrii desiderio“; vgl. Jul 34,1 (ebd. 1055); Jord 10 (Ed. Schlageter 36 f.); s. zusammenfassend Lehmann, Mission 244–247. Vat, Anfänge 40, gibt seiner Verwunderung Ausdruck, dass „Franziskus seine Ordensgrün­ dung so einfach im Stich lassen konnte, um einem sicheren Martertode entgegenzu­ eilen“. Angesichts dessen, dass Franz tatsächlich wenig später seine Ämter von sich warf, scheint das Motiv der Fürsorge für die Brüder aber kaum eine große Bedeutung gehabt zu haben. Generell ist auch im Blick auf die Martyriumssehnsucht allerdings zu bedenken, dass das Martyrium seit der Antike zu den hagiographischen Pattern gehört und insofern kräftig zur literarischen Gestaltung beigetragen hat (Tolan, Francis and the Sultan 64 f.). 161 Cusato, Early Franciscan Movement 106 f. 162 Vgl. Vat, Anfänge 43, der über Jordan betont, er sei einer gewesen, „der doch alles aus nächster Nähe miterlebt hat“. 163 Jord 9 (Ed. Schlageter 36); vgl. Roncaglia, Middle East 31; Vat, Anfänge 41. 164 Jord 7 (Ed. Schlageter 36): „martirio coronati“. 165 S. Vat, Anfänge 46–49; Jeusset, Musulmans 37–40. 166 Jord 8 (Ed. Schlageter 36). Zu Recht weist Lehmann, Mission 249, darauf hin, dass dies Erm 6,3 entspricht, wonach man nicht versuchen solle, durch das Rezitieren der Werke der Heiligen selbst Ruhm und Ehre zu erlangen (Fontes Franciscani 29). 167 Jord 10 (Ed. Schlageter 36). 168 1 Cel 55 (Fontes Franciscani 328–330). 169 Jul 34,3 (Fontes Franciscani 1056): „Dominus per eum mirabilium suorum memoriam fecit“. 170 1 Cel 55,2 (Fontes Franciscani 329). 171 Grau, Celano. 172 S. Asbridge, Kreuzzüge 571 f. 173 3 Cel 33 (Fontes Franciscani 668 f.). 174 Cel VB 52 (Ed. Dalarun 53) enthält die Erzählung allerdings noch. 175 1 Cel 56 (Fontes Franciscani 330 f.); Jul 35 (ebd. 1056 f.); BonLM IX,6 (ebd. 858 f.). 176 3 Cel 34,3 (Fontes Franciscani 670). 155

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Anmerkungen 1 Cel 56,4 (Fontes Franciscani 330). Franziskus-Quellen 233 Anm. 91. 179 Joseph F. O’Callaghan, Reconquest and Crusade in Medieval Spain, Philadelphia 2004, 70–76; ders., Innocent III and the Kingdom of Castile and Leon, in: Moore, Innocent III and his World 317–335, hier 332–335. 180 1 Cel 56,4 (Fontes Franciscani 330). 181 1 Cel 56,6 (Fontes Franciscani 331). 182 Vat, Anfänge 41–43: Möglicherweise schon 1217 oder 1218, vielleicht aber auch erst 1219, zog Elias von Cortona nach Syrien (vgl. Jord 9 [Ed. Schlageter 36]); 1219, nach Vats Datierung vielleicht auch schon 1218, reiste Ägidius nach Tunesien und Vitalis nach Marokko. 183 Umgekehrt erwägen heutige Forscher, aus diesen Versatzstücken sogar zwei Reisen nach Marokko zu rekonstruieren (s. Johnson, Sultan 149). 184 Dies gilt vornehmlich für die im Textverlauf noch begegnenden christlichen Quellen. Roncaglia, Middle East 26 Anm. 46, weist, freilich selbst mit dem Hinweis, dass dieser Befund nicht überstrapaziert werden darf, darauf hin, dass einzelne arabische Schil­ derungen die Begegnung al-Kamils mit einem Mönch erwähnen, den man mit Franz identifizieren könnte; vgl. hierzu auch Lehmann, Mission 256 f. 185 Vauchez, François 145. 186 Warren, Daring 31. 187 Vgl. Vauchez, François 153, der von einer „logique parallèle“ zwischen Franz’ Predigt und den Kreuzzügen spricht. 188 Darauf hat in der jüngeren Forschung insbesondere Hoose, Peace, hingewiesen. Kus­ ter, Franz und Klara 96, und Lehmann, Mission, fassen auf der Linie einiger anderer Deuter Franz’ Bemühungen unter den Oberbegriff der „Friedensmission“ zusammen. Das scheint mir die Spannung zwischen der unübersehbaren Friedenssehnsucht von Franz und seiner Beteiligung am Kreuzzug zu sehr zu vereindeutigen. 189 Asbridge, Kreuzzüge 45–47. 190 S. Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 102005, 25. 191 Das arbeitet Asbridge, Kreuzzüge 367 u. 369 f., heraus; vgl. zur Distanz von Inno­ zenz ­gegenüber diesem Verlauf des Kreuzzugs auch Moore, Pope Innocent III (2003), 107; Roscher, Innocenz 104–110. 192 Asbridge, Kreuzzüge 569. 193 Illum (Biblioteca Bio-Bibliografica 37). 194 Jeusset, Musulmans 44. 195 2 Cel 30,7 (Fontes Franciscani 470); dies nimmt Warren, Daring 35 f., positiv-fortschrei­ bend auf – mit dem dann doch auf eher unsicherem Grund stehenden Ergebnis einer „radical departure from the popular belief of the day“ (ebd. 37). 196 Dies betont zu Recht Hoose, Peace 458, um deutlich zu machen, dass Franz den Kreuz­ zügen nicht entgegenstand, sondern mit ihnen konform ging. 197 Runciman, Kreuzzüge 3, 163 f. 198 Johnson, Sultan 151. 199 S. auch die scharf kritische Auseinandersetzung mit solchen Positionen bei Hoebe­ richts, Begegnung 206 f. 200 Asbridge, Kreuzzüge 596. 201 Folgt man der Annahme, dass Franz nicht allein Mission und Martyrium im Sinn ge­ habt hätte, sondern auch eine Friedensmission, so hätte er damit erhebliche Differen­ zen zur päpstlichen Politik auf sich genommen (s. Kuster, Franz und Klara 96). 202 Johnson, Sultan 151. 203 2 Vitry (Ed. Huygens 133,264–269). 177

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Anmerkungen 3 Vitry (Analekten 71,21 f.): „Franciscum (…) ad tantum ebreitatis excessum et fervorem spiritus raptum fuisse“. 205 Vat, Anfänge 53, betont zwar, dass diesem Bericht Jakob von Vitry und Celano vorzuzie­ hen sind, macht aber die historischen und philologischen Gründe hierfür nicht klar. 206 BonLM IX,8,1 (Fontes Franciscani 860). 207 Ern 37 (Ed. Mas Latrie 431 f.). 208 Zu Recht fasst Müller, Bettelmönche 71, zusammen, dass die Berichte über das Geschehen am Hofe des Sultans „diffus“ bleiben. Auch dass Pelagius Franz mit einer „Parlamentärsflagge“ ausgestattet habe (Runciman, Kreuzzüge 3, 164), bleibt bloße Vermutung. 209 Runciman, Kreuzzüge 3, 164; zur Geographie des Nildeltas s. die zweite Karte im An­ hang a. a. O. 210 3 Vitry (Analekten 71,25). 211 Auf dieses sprachliche Problem weist auch Thompson, Francis 68, hin. In der Regel spielt es in der Behandlung der Begegnung zwischen Franziskus und dem Sultan keine große Rolle. 212 Jord 10 (Ed. Schlageter 37). Albrecht Fuess, Marburg, verdanke ich den Hinweis, dass Emissäre in der Regel, Spione nur ausnahmsweise vor den Sultan gebracht wurden. Diese Gewichtung würde es wahrscheinlicher machen, dass Franz für einen Gesandten gehalten wurde. 213 Das tut Thompson, Francis 68. Albrecht Fuess, Marburg, danke ich für den Hinweis auf den arabischen Begriff und den Umstand, dass solche Übersetzer in der Kanzlei des Sultans verfügbar waren. 214 Jeusset, Musulmans 35. 215 Vgl. Basetti Sani, L’Islam 155. 216 3 Vitry (Analekten 71,27 f.). 217 Ern 37 (Ed. Mas Latrie 433). 218 3 Vitry (Analekten 71,26). 219 Ern 37 (Ed. Mas Latrie 434). 220 1 Cel 57,7 (Fontes Franciscani 332). 221 BonLM IX,8,6–14 (Fontes Franciscani 860 f.). Folgt man dieser Zuordnung, wird man jedenfalls erklären müssen, warum Gef keinen Bericht von den Ereignissen beim Sultan enthält: Nach dem – in seiner Zuordnung zu Gef allerdings problematisierten (s. o.) – Begleitbrief hätte Illuminatus zu jenen gehört, die den Gefährten zusätzliche Informationen ermöglicht hätten (Gef 1,4 [Fontes Franciscani 1374]). 222 Beide biblischen Hinweise bei Lehmann, Mission 247. 223 Genau diese Pointe schwächt auch den Einwand ab, es sei kaum vorstellbar, dass „ausgerechnet Bonaventura“ für Franz ein kirchenrechtlich verbotenes Gottesurteil erfunden habe (so argumentiert Bohl, Islam 305). 224 3 Vitry (Analekten 71,34 f.). 225 Runciman, Kreuzzüge 3, 165. Al-Malik al-Kamil hat offenkundig eine Friedenspolitik verfolgt und dreimal einen Waffenstillstand angeboten (s. Abdelkawy Sheir, Legend 331–333). 226 Hoose, Peace 467. 227 So resümiert Berg, Franziskus 98, mit großer Nüchternheit, „das gesamte Unterneh­ men“ der Orientreise sei „als schwerer Fehlschlag“ anzusehen. 228 Zur Wirkungsgeschichte s. Tolan, Francis and the Sultan; ders., Friar. 229 Vat, Anfänge 9 f., weist darauf hin, dass die Franziskaner der erste Orden waren, der eine eigene Missionsbestimmung in die Regel aufgenommen hat, die allerdings in der Regula bullata deutlich gekürzt und verändert wurde (ebd. 25–29; vgl. hierzu auch 204

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Anmerkungen



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Müller, Missionsverständnis 180 f.). Dass gleichwohl die franziskanischen Missions­ bestrebungen in ihrer Zeit keineswegs isoliert waren, betont Elm, Vitasfratrum 169. Rnbull 16,1 (Fontes Franciscani 198; Paolazzi, Regula 136). Rnbull 16,7 (Fontes Franciscani 199; Paolazzi, Regula 137). Dass diese explizite Verkündigung „sekundär“ gegenüber der reinen, stillen Präsenz sei (s. Rotzetter, Brücke 243), gilt allenfalls in der Reihenfolge: Tatsächlich wird diese Methode – im Unterschied zu meiner Darstellung oben – an zweiter Stelle genannt. Damit ist aber keine Werte­abstufung nahegelegt: Franz spricht schlicht davon, dass die Begegnung mit den Muslimen „duobus modis“ geschehen könne (Rnbull 16,5 [a. a. O. 199]). Rnbull 16,8 f. (Fontes Franciscani 199; Paolazzi, Regula 137). Rnbull 16,6 (Fontes Franciscani 199; Paolazzi, Regula 137). Rotzetter, Brücke 243. 3 Vitry (Analekten 71,32–34). Dies tut Feld, Franziskus 302. Ord 21 (Fontes Franciscani 101).

4. Kapitel: Ordnung Abdelkawy Sheir, Legend 231. Abdelkawy Sheir, Legend 238: „His overtures to al-Kamil could thus be seen as another form of the crusading mission to regain Jerusalem for Christianity“. 3 1 Vitry (Ed. Huygens 75,110 f.): „A domno papa et cardinalibus in magna reverentia haben­ tur“. 4 Zu ihm: Moore, Innocent III and his World; ders., Pope Innocent III (2003). Die lange, disparate Forschungsgeschichte zu Innozenz III. ist dokumentiert in Powell, Inno­ cent III. 5 Quellen zum Investiturstreit. Erster Teil: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII., übers. v. Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1978, 150: „Quod illi liceat imperatores depo­ nere“. 6 DS 817: „quae disponente Domino super omnes alias ordinariae potestatis obtinet principatum, utpote mater universorum Christifidelium et magistra“. 7 Asbridge, Kreuzzüge 567 f. 8 Roscher, Innocenz 121–131. 9 Zu diesen Ereignissen s. die zusammenfassende Darstellung von Egon Boshof, Inno­ zenz III. und der deutsche Thronstreit, in: Frenz, Innozenz III. 51–67. 10 MGH. Const. 2,505–507. 11 Stürner, Friedrich II. Teil 1, 122. 12 Stürner, Friedrich II. Teil 1, 123. 13 Stürner, Friedrich II. Teil 1, 126–132. 14 Stürner, Friedrich II. Teil 1, 154–156, 172. 15 S. hierzu Cheney, Innocent III 294–356. Zuvor hatte Innozenz schon 1210 Portugal und 1204 Aragón zu Vasallenstaaten gemacht (s. Antonio García y García, Innocent III and the kingdom of Castile, in: Moore, Innocent III and his World, 337–350, hier 342). 16 Eccl XV (Ed. Little 95). Sollte dem allerdings so gewesen sein, wäre es erstaunlich, dass 1 Vitry (Ed. Huygens 73,61–63) zwar davon berichtet, kurz nach dessen Tod bei Innozenz’ Leichnam in Perugia eingetroffen zu sein, ohne Franz zu erwähnen, über den er sonst im 1

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Anmerkungen



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selben Brief ausführlich spricht. Zudem wäre es nicht ganz einfach zu erklären, wie es zu der ebd. von Jakob von Vitry geschilderten Plünderung des Leichnams, dem seine Ge­ wänder entwendet wurden, gekommen ist, wenn mit Franz noch ein Zeuge gegenwärtig war. Immer noch grundlegend: Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, Darmstadt 41977; ders., Ketzergeschichte des Mittelalters, Göttingen 1967; vgl. die neueren gut lesbaren Zusammenfassungen von Christoph Auffarth, Die Ketzer. Katharer, Waldenser und andere religiöse Bewegungen, München 2005; Malcolm Lambert, Häresie im Mittelal­ ter. Von den Katharern bis zu den Hussiten, Darmstadt 2001. Johannes von Salisbury, Hist. Pontificalis c. 31: „Ipsum papam non esse quod profitetur, apostolicum virum et animarum pastorem, sed virum sanguinum qui incendiis et homicidiis praestat auctoritatem, tortorem ecclesiarum, innocentiae concussorem, qui nihil aliud facit in mundo quam carnem pascere et suos replere loculos et exhaurire alienos“ (Ioannis Saresberiensis Historia Pontificalis / John of Salisbury, Memoirs of the Papal Court, übers. v. Marjorie Chibnall, London/Edinburgh 1956, 64). Zu den Waldensern s. Gabriel Audisio, Die Waldenser. Die Geschichte einer religiösen Bewegung, Augsburg 2001; Peter Biller, The Waldenses, 1170–1530. Between a religious order and a church, Aldershot 2001; Giorgio Tourn, Geschichte der Waldenser, Neuen­ dettelsau/Klagenfurt/Wien [2006]. Segl, Franziskus und Valdes 75 u. 82. Zu diesen s. Lambert, Katharer. Zur Anziehungskraft durch den ethischen Rigorismus s. Lambert, Katharer 78. S. Spadaro, L’albero del Bene, der sogar in der Frage gipfelt, ob Franz gar ein katharischer Bischof gewesen sei (263); gegenüber solchen spekulativen Annäherungen ist hervorzu­ heben, dass sich insbesondere die dualistischen Züge der katharischen Lehre bei Franz nirgends finden, im Gegenteil: Sein oben dargelegtes Schöpfungsverständnis geht gerade von einer intensiven Beziehung zwischen Gott und der materiellen Welt aus; ambiva­ lent deutet das Verhältnis zu den Katharern Feld, Franziskus 548. Eine differenzierte Abwägung bietet Daniela Müller, Franziskus und der Katharismus. Gemeinsamkeiten und Differenzen im Natur- und Erlösungsverständnis, in: Bauer / Feld / Köpf, Franzis­ kus 141–161. Roquebert, Katharer 55–60. Roquebert, Katharer 114; Jörg Oberste, Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter, Darmstadt 2003. S. zu ihnen Bolton, Innocent III No. XIV f. Ihre Bedeutung für die franziskanische Be­ wegung lag vor allem darin, dass sie ein Vorbild für den dritten Orden abgaben, der es Menschen ermöglichte, franziskanische Frömmigkeit zu leben, ohne ihre bürgerlichen Verhältnisse gänzlich verlassen zu müssen. 1 Cel 62,6–9 (Fontes Franciscani 338). Jul 29 (Fontes Franciscani 1049): „Hoc enim ipse vir catholicus et totus apostolicus in praedicatione sua principaliter monuit, ut Romanae Ecclesiae fides inviolabiliter serva­ retur, et ob Dominici sacramenti quod ministerio sacerdotum conficitur, dignitatem, in summa sacerdotalis ordo reverentia teneretur“. S. zu dieser ganz selbstverständlichen Kirchlichkeit von Franz Vauchez, François 413 f.; Lehmann, Mystik 94–99. Bourb 1 f. (Testimonia 93 f.). Zum Konzept der „reinen Hände“ s. o. 310 Anm. 149.

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Anmerkungen Bourb 1 f. (Testimonia 94). In dieser Zuwendung zum Bischof sieht auch Hammer, Valdes 154, den entscheiden­ den Unterschied zwischen Petrus Waldes und Franz von Assisi symbolisiert. 34 Test 6 (Fontes Franciscani 227) „Postea Dominus dedit mihi et dat tantam fidem in sacerdotibus, qui vivunt secundum formam sanctae Ecclesiae Romanae propter ordi­ nem ipsorum, quod si facerent mihi persecutionem, volo recurrere ad ipsos“. 35 Berg, Franziskus 54. 36 2 Kler 13 (Fontes Franciscani 61): „secundum (…) constitutiones sanctae Matris Ecclesiae“. 37 Kler 4 f. (Fontes Franciscani 59). Zum engen Zusammenhang zwischen Franz’ Eu­ charistiefrömmigkeit und seiner Wertschätzung der Priester s. Landini, Causes 49 f.; Holter, Dienst 121–204. 38 Ord 14–16 (Fontes Franciscani 100). 39 Diese Deutung hängt freilich auch mit einer Übersetzungsfrage zusammen: Die Franziskus-Quellen 59 übersetzen die Wendung „propter ordinem ipsorum“ in Test 6 mit „aufgrund ihrer Weihe“. Das würde die Auffassung näher an die offizielle Lehre vom character indelebilis rücken, ist aber nicht die einzig zwingende Übersetzung von ordo, weswegen ich mich für „Stand“ entschieden habe. 40 Erm 26,1 f. (Fontes Franciscani 35). 41 Erm 26,2 (Fontes Franciscani 35): „licet enim sint peccatores, tamen nullus debet eos iudicare, quia ipse solus Dominus reservat sibi ipsos ad iudicandum“; ähnlich Test 9 (ebd. 228): „Et nolo in ipsis considerare peccatum“, „Und ich will in ihnen die Sünde nicht ansehen“. Auf Debatten um diese Frage weist auch die Betonung in Rnbull 20,2: „a quibuscumque sacerdotibus catholicis acceperint poenitentiam et absolutionem, absoluti erunt procul dubio ab illis peccatis“ (Fontes Franciscani 203; Paolazzi, Regula 140): „Gleich von welchen katholischen Priestern sie Buße und Absolution empfangen sollten, so werden sie ohne Zweifel freigesprochen sein von den Sünden“. 42 Vgl. Segl, Franziskus und Valdes 94, der den Begriff „Rebellion“ für Franziskus aus­ drücklich ablehnt. 43 Das Problem ist dabei, wie im Falle des Sonnengesangs, kompliziert: Aufgrund von Weish 9,9–12, wo die Weisheit als Schöpfungsmittlerin geschildert wird, wird diese tra­ ditionell mit Christus gleichgesetzt. Insofern klingt dieser in der Nennung der sapientia an, eine christologische oder gar soteriologische, auf das Heil zielende Durchführung aber fehlt. 44 GrTug 1–4 (Fontes Franciscani 223): sapientia, simplicitas, paupertas, humilitas, caritas und oboedientia. Lehmann, Tiefe 225, verweist darauf, dass simplicitas hier für Keuschheit ­stehen könnte. Dann enthielte diese Aufzählung als Grundlage die drei evangelischen Räte. 45 Prudentia, iustitia, fortitudo und temperantia. 46 GrTug 4 (Fontes Franciscani 223). 47 GrTug 7 (Fontes Franciscani 223). 48 GrTug 5 (Fontes Franciscani 223): „Nullus homo est penitus in toto mundo, qui unam ex vobis possit habere, nisi prius moriatur“; die von mir aufgenommene Erklärung des Sterbens findet sich in Franziskus-Quellen 34 Anm. 2. 49 GrTug 16 (Fontes Franciscani 224): „omnibus hominibus, qui sunt in mundo“. 50 GrTug 15 (Fontes Franciscani 223). 51 Rnbull 20,1 f. (Fontes Franciscani 203; Paolazzi, Regula 140). 52 Die offizielle Liste nennt 402 Würdenträger. Nach Foreville, Latran 252, ist aber der Be­ richt eines Chronisten glaubwürdig, der insgesamt 812 Teilnehmer nennt, da mit einer ganzen Anzahl weniger bedeutender Prälaten zu rechnen ist, die nicht in die offizielle Liste aufgenommen wurden. 32 33

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Anmerkungen Bulle „Vineam Domini Sabaoth“ (PL 216,823–827): „reformationem universalis eccle­ siae“ (a. a. O. 824A); vgl. Foreville, Latran 245 f. 54 Petrus Lombardus, Sentenzen l. 1 d. 5 c. 6 (Sententiae in IV libris distinctae. Bd. 1, Grot­ taferrata [Rom] 1971 [SpicBon 4/1]); einen Versuch, das Problem zwischen Joachim und Petrus Lombardus vor allem anhand der Unterscheidung von ökonomischer und immanenter Trinitätslehre zu beschreiben, s. bei Peter Schäfer, Innozenz III. und das 4. Laterankonzil 1215, in: Frenz, Innozenz III., 103–116, hier 112. 55 DS 803–808. 56 DS 800. 57 DS 809. 58 Conciliorum Oecumenicorum Generalium Decreta 175,417–420: „Ne nimia religio­ num diversitas gravem in ecclesia Dei confusionem inducat, firmiter prohibemus ne quis de cetero novam religionem inveniat“. Boni, Reinterpretazione, bietet einen interessanten Hinweis: Die bloße Nennung von religio in dieser Konstitution kann auch so verstanden werden, dass zwar neue Lebensformen verboten wurden, nicht aber generell neue Ordensstrukturen, sofern diese sich an gegebenen Lebensformen orientierten. Das würde erklären, warum die Zulassung der Franziskaner, deren Lebensform ja bereits approbiert war, als Orden wenig später problemlos erfolgen konnte. 59 Zu den Abläufen s. Foreville, Latran 270 f. 60 DS 817. 61 DS 812. 62 DS 814. 63 Rnbull 20,3 f. (Fontes Franciscani 203; Paolazzi, Regula 140). 64 DS 812. 65 DS 802: „in sacramento altaris sub speciebus panis et vini veraciter continentur, trans­ substantiatis pane in corpus, et vino in sanguinem potestate divina“. 66 DS 690: „panem et vinum, quae in altari ponuntur, post consecrationem non solum sacramentum, sed etiam verum corpus et sanguinem Domini nostri Iesu Christi esse, et sensualiter, non solum sacramento, sed in veritate, manibus sacerdotum tractari et frangi et fidelium dentibus atteri“. 67 Ord 21 f. (Fontes Franciscani 101): „Audite, fratres mei: Si beata Virgo sic honoratur, ut dignum est, quia ipsum portavit in sanctissimo utero; si Baptista beatus contremuit et non audet tangere sanctum Dei verticem; si sepulcrum, in quo per aliquod tempus ia­ cuit veneratur, quantum debet esse sanctus, iustus et dignus, qui non iam moriturum, sed in aeternum victurum et glorificatum (…) corde et ore sumit et aliis ad sumendum praebet!“ 68 In der lutherischen Lehre wurde allerdings später ausdrücklich erklärt, dass die Gegen­ wart Christi an das Geschehen im Abendmahl gebunden ist, nicht darüber hinaus an die danach verbleibenden Elemente. 69 Conciliorum Oecumenicorum Generalium Decreta 178,504–509. 70 Kler 11 (Fontes Franciscani 59): „[corpus Domini] removeatur de loco illo et in loco pretioso ponatur et consignetur“. Bei Celano wurde hieraus die Erzählung, Franz habe seinen Brüdern Pyxiden, Hostiengefäße, mitgegeben, damit sie für eine angemessene Aufbewahrung des Leibes Christi sorgten (2 Cel 201,5 [Fontes Franciscani 618]). 71 S. Hoeberichts, Authenticity 505: Franz benutzte nicht den Begriff eucaristia, sondern sanctissimum corpus (et sanguis) Domini Jesu Christi. 72 Erm 1,9 (Fontes Franciscani 25 f.): „[sacramentum,] quod sanctificatur per verba Domini super altare per manum sacerdotis in forma panis et vini (…), quod sit veraciter sanctissimum corpus et sanguis Domini nostri Jesu Christi“. 53

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Anmerkungen Ord 12 f. (Fontes Franciscani 100): „Deprecor itaque omnes vos fratres cum osculo pe­ dum et ea caritate, qua possum, ut omnem reverentiam et omnem honorem, quantum­ cumque poteritis, exhibeatis sanctissimo corpori et sanguine Domini nostri Jesu Christi, in quo quae in caelis et quae in terris sunt, pacificata sunt et reconciliata omnipotenti Deo“. 74 Ord 19 (Fontes Franciscani 100 f.): „Despicit enim homo, polluit et conculcat Agnum Dei, quando (…) indignus manducat vel etiam, si esset dignus, vane et indigne mandu­ cat“. 75 Ord 26–29 (Fontes Franciscani 101): „Totus homo paveat, totus mundus contremiscat, et caelum exsultet, quando super altare in manu sacerdotis est Christus, Filius Dei vivi! O admiranda altitudo et stupenda dignatio! O humilitas sublimis! O sublimis humili­ tas, quod Dominus universitatis, Deus et Dei Filius, sic se humiliat, ut pro nostra salute sub modica panis formula se abscondat! Videte, fratres, humilitatem Dei et effundite coram illo corda vestra; humiliamini et vos, ut exaltemini ab eo. Nihil ergo de vobis retineatis vobis, ut totos vos recipiat, qui se vobis exhibet totum.“ 76 Test 9 (Fontes Franciscani 228); vgl. Feld, Franziskus 240. 77 Erm 1,19 f. (Fontes Franciscani 26). 78 Ord 30 (Fontes Franciscani 101); diese Ermahnung von Franziskus ist sogar in eine lutherische Bekenntnisschrift eingegangen: In der Apologie zur Confessio Augustana zitiert Melanchthon sie in Art. 24 (s. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Luthe­ rischen Kirche. Vollständige Neuedition, hg. v. Irene Dingel, Göttingen 2014, 618,7–9); vgl. Dausend, Eine Messe 208 f., der betont, dass Franz kein genereller Gegner der Pri­ vatmesse, also der durch einen Priester allein vollzogenen Messe, gewesen sei. Jeden­ falls wird man sagen können, dass es unsinnig ist, die konfessionellen Kontroversen in das 13. Jahrhundert zu projizieren: Dass Franz die gemeinsame Feier der Eucharistie bevorzugte, geht aus der genannten Stelle hervor – zu weiteren dogmatischen Fragen aber äußert er sich nicht. 79 Erm 1,18 (Fontes Franciscani 26). 80 Zur Vorstellung von Repräsentationsfrömmigkeit s. Volker Leppin, Repräsentations­ frömmigkeit. Vergegenwärtigung des Heiligen in der Frömmigkeit des späten Mittelalters und ihre Transformation in der Wittenberger Reformation, in: ders., Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmit­ telalter und Reformation, Tübingen 2015 (Spätmittelaler, Humanismus, Reformation 86), 109–125. 81 1 Kust 2 (Fontes Franciscani 65): „sancta nomina et verba eius scripta, quae sanctificant cor­ pus“. 82 Josef Andreas Jungmann, Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römi­ schen Messe. Erster Bd., Freiburg 51962 (= Bonn 2003), 77 f. 83 Feld, Franziskus 243, sieht darin generell „Bücher, Blätter oder Teile und Fetzen von sol­ chen“. 84 Test 12 (Fontes Franciscani 228). 85 DS 818: „Cum ex eo, quod quidam Sanctorum reliquias exponunt venales et eas passim ostendunt, christianae religioni detractum sit saepius, ne in posterum detrahatur, praesenti decreto statuimus, ut antiquae reliquiae modo extra capsam nullatenus ostendantur nec exponantur venales. Inventas autem de novo nemo publice venerari praesumat, nisi prius auctoritate Romani pontificis fuerint approbatae. Praelati vero de cetero non permittant illos, qui ad eorum ecclesias causa venerationis accedunt, vanis figmentis aut falsis decipi documentis, sicut et in plerisque locis occasione quaestus fieri consuevit.“ 86 2 Cel 202 (Fontes Franciscani 619); BonLM VII (ebd. 828 f.). 73

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S. hierzu Volker Leppin, Martin Luther, Darmstadt 32017, 119–125. DS 819; zu diesen Bestimmungen s. Bartolini, Novitas 212. Conciliorum Oecumenicorum Generalium Decreta 204,1417–1432. S. hierzu Christiane Laudage, Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelalter, Freiburg u. a. 2016, 32. 91 Holzapfel, Entstehung 38, meint, dass der Portiuncula-Ablass „Mitte des 13. Jahrhun­ derts sicher vorhanden“ war. 92 Helmar Junghans, Martin Luther und Wittenberg, München/Berlin 1996, 16. 93 Zur Diskussion über die Tatsächlichkeit dieses Geschehens s. – mit einem skeptischen Beitrag von meiner Seite – Joachim Ott / Martin Treu (Hg.), Faszination Thesenan­ schlag. Faktum oder Fiktion, Leipzig 2008 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9). 94 Testimonia 42. Feld, Franziskus 246–255, wendet sich gegen die heute überwiegende und auch im vorliegenden Buch geteilte Lösung des Portiuncula-Ablasses von einem Ursprung bei Franziskus selbst, betont allerdings, dass das indulgentia-Verständnis bei Franz ein gänzlich anderes gewesen sei als in der späteren Dogmatik, weswegen er auch statt von Ablass von der „Vergebung von Portiuncula“ spricht. 95 Testimonia 43 f. 96 Holzapfel, Entstehung 39, gibt an, dass Benedikt von Arezzo schon 1217 Provinzial der Mark Ancona gewesen sei. Damit reicht er in der Tat in die ganz frühe Zeit zurück – allerdings ist es dann umso erstaunlicher, dass er sich in diesem Zeugnis auf einen anderen Bruder beruft, also keine Erinnerung aus eigener Hand bietet. 97 Testimonia 42 f.; vgl. zu dem Gesamten auch das Zeugnis des Ritters Jakob Coppoli (Testimonia 44 f.). Ein Überblick über die Quellen bei Bartolini, Novitas 195–202, mit dem Ergebnis, dass der Ablass um 1250 etabliert war, für die Zeit davor in den Quellen aber eine „lacuna“ besteht (202 f.). 98 Bullarium Franciscanum 1,15–19. 99 Franziskus-Quellen 69. 100 Gef 35,11 (Fontes Franciscani 1408). Die Hinweise in Per und SP auf Überarbeitung von Regeln sind historisch kaum auszuwerten, da sie schon die Kämpfe zwischen Spiritualen und Konventualen reflektieren (s. Berg, Franziskus 111; Giulia Barone, Elias von Cortona und Franziskus, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 183–194, hier 191 f.). 101 Zur Überlieferung s. Franz, Opuscula 374. Allerdings ist die handschriftliche Tradition von geringer Qualität, wie Eßer, Textkritische Untersuchungen 11 f., deutlich macht: „Die einschlägigen Handschriften reichen also weder in besonders frühe Zeit hinauf, noch sind sie, was uns heute, angesichts der Wichtigkeit dieses Opusculums verwun­ derlich erscheint, besonders zahlreich.“ 102 Rnbull Prol 3 (Fontes Franciscani 185; Paolazzi, Regula 125). 103 Rnbull 2,10 (Fontes Franciscani 187; Paolazzi, Regula 126); s. Kybal, Ordensregeln 25 Anm. 1; Flood, Regula non bullata 107. 104 Eine interessante Minderheitenposition nimmt hier Quaglia, L’originalità 20–34, ein: Hiernach lasse sich die Regula non bullata konsequent als ein organischer Text erklären, der auf spezifische Herausforderungen der Jahre 1219/20 reagiert. Der Prolog mit dem Verweis auf Innozenz III. sei eine nach 1228 entstandene Interpolation (ebd. 3); vgl. ders., Regola 37–39. 105 Flood, Regula non bullata 108–137. Der Hinweis von Jakob von Vitry, dass die Brüder auf ihrem Kapitel „institutiones sanctas et a domno papa confirmatas“ (1 Vitry [Ed. Huy­ gens 76,127 f.]) verkündet hätten, ist nicht zwingend auf Regelüberarbeitungen zu beziehen (so Accrocca, Francesco e Innocenzo III 11; Godet-Calogeras, Forma vitae 87

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Anmerkungen 35 f.), sondern kann auch, zumal er aus dem Oktober 1216 stammt, eine Verkündigung der Beschlüsse des Laterankonzils im Blick haben (so Franziskus-Quellen 1535 Anm. 7). 106 Jord 15 (Ed. Schlageter 39): „adornaret“. 107 Per 108,15 (Fontes Franciscani 1657 f.): „ut verba et nomina Domini inscripta, per que conficitur Sanctissimum Sacramentum, fratres ubicumque invenirent non bene repo­ sita vel inhoneste in aliquo loco iacerent dispersa, recolligerent et reponerent“. 108 Per 108,17 (Fontes Franciscani 1658). 109 Kybal, Ordensregeln 265; Thompson, Francis 91. 110 Fior 18 (Ed. Pratesi/Sabatelli 83–87). 111 Jord 18 (Ed. Schlageter 40–42). 112 Rnbullalt (Fontes Franciscani 121–137). 113 Franz, Opuscula 300. 114 Flood, Regula non bullata 140: „(…), dann stellen wir, was die Regula non bullata betrifft, fest, daß wir es viel eher mit einer Stufe in der Entwicklung eines Textes zu tun haben als mit einem neu abgefaßten Text oder mit einem scharf profilierten Abschluß einer Entwicklung“; vgl. ebd. 154 f.: Man sollte „die Regula non bullata für eine späte Stufe der Entwicklung, die uns glücklicherweise erhalten ist, und nicht für einen ganz festen Punkt zwischen 1210 und 1223“ halten. 115 Kybal, Ordensregeln 17. 116 AP 44,7 (Fontes Franciscani 1347): „aliam Regulam“. 117 Test 39 (Fontes Franciscani 231). 118 Dies erklärt Hugolin selbst als Papst Gregor IX. in der Bulle „Quo elongati“ vom 28. September 1230: „Et in condendo praedictam Regulam, obtinendo confirmatio­ nem ipsius per Sedem Apostolicam sibi astiterimus“ (Bullarium Franciscanum 68b). 119 Test 33 (Fontes Franciscani 231). Dass das allgemeine Problem einer Franz-Biographie auch für die Darstellung Hugolins gilt, hat eindrücklich mit einem Durchgang durch die Quellen Kruse, Changing Role, gezeigt: Letztlich geben die Quellen zu Franziskus’ Leben für eine Rekonstruktion seines Verhältnisses zu Hugolin wenig Greifbares her. 120 Rbull 12,3 f. (Fontes Franciscani 180 f.). 121 Hierfür spricht die Datierung der Probleme in den Provinzen in AP 44,1 (Fontes Fran­ ciscani 1347): „Expletis autem annis XI ab inceptione Religionis“. 122 1 Cel 100,2 (Fontes Franciscani 377): „patrem et dominum“; vgl. AP 45,1 (ebd. 1348). Man wird sich allerdings fragen dürfen, wie weit die Initiative tatsächlich von Franz ausging: Die Beschäftigung mit Orden gehörte offenkundig zu den Arbeitsbereichen Hugolins an der Kurie (s. Brem, Gregor IX. 70), was dafür spricht, dass die Zuordnung der Bruderschaft zu ihm der Arbeitsteilung in Rom entsprach. Hinzu kommt, dass sich von seinem Kardinalat bis zu seiner Zeit als Papst eine besondere Aufmerksamkeit für beziehungsweise gegen die Ketzer zeigt (s. Feld, Franziskus 325). 123 1 Cel 74,9–11 (Fontes Franciscani 349 f.); s. Brem, Gregor IX. 111–118; aufgenommen bei Maria Pia Alberzoni, Dalla domus del cardinale d’Ostia alla curia di Gregorio IX, in: Gregorio IX e gli ordini mendicanti 73–121, hier 91. 124 Feld, Franziskus 546 Anm. 95, nimmt Begegnungen bereits 1215 oder evtl. schon 1209 an. 125 Gef 61,3–6 (Fontes Franciscani 1433 f.). Nur am Rande sei erwähnt, dass Hugolin nach Celano auch die Bühne für eine geradezu ideale Begegnung bereitete: die zwischen Franziskus und dem anderen großen Bettelordensgründer seiner Zeit, Dominikus (2 Cel 148 [Fontes Franciscani 574]). Das dürfte ebenso wie die ausschmückende Erzählung in Fior 18 (Ed. Pratesi 86), die Dominikus gar als Teilnehmer des Matten­ kapitels sieht (so allerdings auch Olivi, Super Lucam c. 1 [Olivi, Quaestiones quatuor

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{Ed. Pacetti 37*} Anm. 1]), dem Wunsch nach einer solchen Begegnung entstammen. Historisch lässt sich eine solche nicht greifen. AP 45,3 (Fontes Franciscani 1348): „apud quos fratres tribulationes passi fuerant“. AP 44,4 f. (Fontes Franciscani 1347). Angesichts der schon zuvor ganz deutlichen en­ gen Kirchenbindung des Franziskus kann ich der Deutung der Unterstellung unter den kirchlichen Protektor im Jahre 1220 als Wendepunkt, durch den „ein anderes Verhältnis der Bewegung zu der Römischen Kurie eingeleitet wurde, als es vorher bestanden hatte“ (Feld, Franziskus 319), nur so weit folgen, dass das Schutz- und Aufsichts­ verhältnis nun formalisiert wurde. Hiermit eine Geschichte der „Totengräber“ und „Bestatter“ der Ideale des Franziskus beginnen zu lassen (ebd.), setzt eine Distanz des Franziskus zur kirchlichen Hierarchie voraus, die auch vorher nicht bestanden hat. Ulrich Köpf, Hugolino von Ostia (Gregor IX.) und Franziskus, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 163–182, hier 169. So ist es wohl auch zu erklären, dass Hugolin es Franz verwehrte, nach Frankreich zu gehen (Per 108,38 f. [Fontes Franciscani 1660 f.]); vgl hierzu Manselli, Franziskus 201. Jord 11 f. (Ed. Schlageter 37). Auf diesen Zusammenhang macht Berg, Franziskus 100–102, aufmerksam. Manselli, Franziskus 205. Allerdings fügt Manselli hier eine Ausnahme hinzu: Hugolins Weigerung, Franz nach Frankreich ziehen zu lassen (s. o. Anm. 129). 1 Cel 101,2 (Fontes Franciscani 378). Ulrich Köpf, Hugolino von Ostia (Gregor IX.) und Franziskus, in: Bauer / Feld / Köpf, Franziskus 163–182, hier 170. 1 Cel 101,3 (Fontes Franciscani 378). Gef 61,10 (Fontes Franciscani 1434). 1 Cel 74,1 (Fontes Franciscani 349 f.). AP 45,9 (Fontes Franciscani 1349): „Venerabili in Christo Patri Episcopo totius mundi“. AP 45,3 (Fontes Franciscani 1348): „ad praedicandum et habitandum (…) consilium et auxilium“. Test 31–33 (Fontes Franciscani 230 f.). Zur Datierung Franz, Opuscula 235. Eßer geht bis 1221, aber unter der Voraussetzung eines formalen Beschlusses über die Regula non bullata. Nimmt man einen solchen nicht an, kommt man bis in die Zeit unmittelbar vor der Regula bullata. Min 13 (Fontes Franciscani 96): „faciemus istud tale capitulum“. Vgl. Rbull 7,2 (Fontes Franciscani 177) mit Min 14 (ebd. 96). Min 21 (Fontes Franciscani 96). Rnbull 2,3 (Fontes Franciscani 186; Paolazzi, Regula 126). Rbull 2,3 (Fontes Franciscani 172). Rbull 2,5 (Fontes Franciscani 172). S. die Nennung aller Ämter in Rbull 8 (Fontes Franciscani 177 f.). Kybal, Ordensregeln 117. Kybal, Ordensregeln 117. Kybal, Ordensregeln 118. Rnbull 5,2 (Fontes Franciscani 189; Paolazzi, Regula 128). Rbull 8,5 (Fontes Franciscani 178).

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Anmerkungen

5. Kapitel: Rückzug Diesen Zusammenhang arbeitet Flood, Francis 25, heraus. Rnbull 1,2 (Fontes Franciscani 185 f.; Paolazzi, Regula 125). 3 Rnbull 8,3 (Fontes Franciscani 193; Paolazzi, Regula 131): „Unde nullus fratrum, ubicumque sit et quocumque vadit, aliquo modo tollat nec recipiat nec recipi faciat pecuniam aut denarios neque occasione vestimentorum nec librorum nec pro pretio alicuius laboris, immo nulla occasione, nisi propter manifestam necessitatem infirmo­ rum fratrum; quia non debemus maiorem utilitatem habere et reputare in pecunia et denariis quam in lapidibus“. 4 BonPr 59, 3 (Bonaventure, Sermons 791,58); vgl. BonPr 56,5 (ebd. 745,72 f.), wo Bonaven­ tura den Mammon nicht mit Geld, sondern mit dem Teufel gleichsetzt. 5 Rnbull 8,1 (Fontes Franciscani 192; Paolazzi, Regula 131). 6 Rnbull 8,1 (Fontes Franciscani 192; Paolazzi, Regula 131): „sollicitudine/-ibus huius saeculi“. 7 Rnbull 8,4 (Fontes Franciscani 193; Paolazzi, Regula 131). 8 Goethe, Faust 2802–2804 (Johann Wolfgang von Goethe, Faust, hg. v. Albrecht Schöne, Frankfurt a. M. 1999, 119). 9 Rnbull 8,7 (Fontes Franciscani 193; Paolazzi, Regula 131). 10 Wenigstens erwogen werden muss vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, dass die Verbindung Bernhards mit dem Geldbeutel schon einem Verständnis entspringt, das der werdenden franziskanischen Bewegung narrativ doch wieder die Möglichkeit des Umgangs mit Geld schmackhaft machen wollte. Allerdings ist die Rolle des Geldes, auch im Zusammenhang der Kirchenrenovierungen, zu tief in die frühe Schicht der FranzÜberlieferung eingeschrieben, als dass eine solche bewusste Korrektur wahrscheinlich wäre. 11 Rbull 4 (Fontes Franciscani 175). 12 Rbull 5 (Fontes Franciscani 175 f.). 13 Rnbull 7,1. In Fontes Franciscani 191 steht cancellarii; dies ist nach Paolazzi, Regula 130, zu korrigieren. 14 Zu Recht hebt Feld, Franziskus 310 f., hervor, dass diese Änderung nicht rein stilisti­ scher, sondern durchaus substanzieller Art war. 15 Test 21 (Fontes Franciscani 229). 16 Rbull 7,3 (Fontes Franciscani 191). 17 Rbull 7,9 (Fontes Franciscani 192). 18 2 Cel 200,8 (Fontes Franciscani 618): „Paupertatem noveritis, filii, specialem viam salutis, cuius est fructus multiplex et paucis notissimus“. 19 Die heutige Einheitsübersetzung hat hier: „Selig, die arm sind vor Gott“. Die oben wie­ dergegebene Übersetzung nach der revidierten Lutherbibel ist aber nicht nur näher am griechischen Text („Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι“), sondern auch am lateinischen Vulgatatext („beati pauperes spiritu“), der für das Bibelverständnis von Franz voraus­ zusetzen ist. 20 Erm 5,8 (Fontes Franciscani 28). 21 Erm 14,4 (Fontes Franciscani 32): „qui vere pauper est in spiritu, se ipsum odit et eos diligit, qui eum percutiunt in maxilla“. 22 Erm 14,2 (Fontes Franciscani 31 f.). 23 Erm 6 (Fontes Franciscani 29). 24 Erm 7,4 (Fontes Franciscani 29): „verbo et exemplo“. 25 Erm 16,2 (Fontes Franciscani 32). 26 Erm 8 (Fontes Franciscani 29 f.). 1

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Erm 9 (Fontes Franciscani 30). Erm 19 (Fontes Franciscani 33). Erm 17,1 (Fontes Franciscani 32): „quod Dominus dicit et operatur per ipsum“. Ord 9 (Fontes Franciscani 99 f.): „ideo misit vos in universo mundo, ut verbo et opere detis testimonium voci eius et faciatis scire omnes, quoniam non est omnipotens prae­ ter eum“. Ord 51 f. (Fontes Franciscani 104): „possimus (…) ad te, Altissime, sola tua gratia perve­ nire“. GrTug 11 (Fontes Franciscani 223): „confundit cupiditatem et avaritiam et curas huius saeculi“. Rbull 6,5 f. (Fontes Franciscani 176): „Haec est illa celsitudo altissimae paupertatis, quae vos, carissimos fratres meos, heredes et reges regni caelorum instituit, pauperes rebus fecit, virtutibus sublimavit. Haec sit portio vestra, quae perducit in terram viven­ tium“. Test 24 (Fontes Franciscani 229): „Caveant sibi fratres, ut ecclesias, habitacula pau­ percula et omnia, quae pro ipsis construuntur, penitus non recipiant, nisi essent, sicut decet sanctam paupertatem, quam in regula promisimus“. Rnbull 22,5 (Fontes Franciscani 205; mit Abweichungen Paolazzi, Regula 142): „Et odio habeamus corpus nostrum cum vitiis et peccatis suis; quia carnaliter vivendo vult no­ bis auferre amorem Jesu Christi et vitam aeternam et se ipsum cum omnibus perdere in infernum“. Im Text der Fontes Franciscani steht nach „vult“: „diabolus a“. Dann wäre der Teufel derjenige, der Liebe und ewiges Leben fortnehmen will. Diese sachlich passende Ergänzung ist nach Paolazzi als sekundär anzusehen. Wesentliches hierzu bei Peter Brown, Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit im frühen Christentum, München 1994. 2 Cel 116 f. (Fontes Franciscani 549–551). Erm 10,2 f. (Fontes Franciscani 30): „unusquisque in sua potestate habet inimicum, vi­ delicet corpus, per quod peccat. Unde beatus ille servus, qui talem inimicum traditum in sua potestate semper captum tenuerit et sapienter se ab ipso custodierit“. 1 Cel 51,6 (Fontes Franciscani 326); Gef 15,2 (ebd. 1388). Dafür spricht der parallele Vorgang des Streckens von Essen mit Wasser, um ihm Ge­ schmack zu nehmen, in 1 Cel 51,6 (Fontes Franciscani 326). 1 Cel 51,6 (Fontes Franciscani 325 f.); Gef 15,2 (ebd. 1388). 1 Cel 51,7 (Fontes Franciscani 326). Gef 15,2 (Fontes Franciscani 1388): „in abstinentiae suae velamen“. Der sog. Libellus de dictis quatuor ancillarum s. Elisabeth confectus, hg. v. Albert Huyskens, Kempten/München 1911, 18,471–477. Rnbull 3,11 f. (Fontes Franciscani 188; Paolazzi, Regula 127 f.): „Et similiter omnes fratres ieiunent a festo Omnium Sanctorum usque ad Natale et ab Epiphania, quando Domi­ nus noster Jesus Christus incepit ieiunare usque ad Pascha. Aliis autem temporibus non teneantur secundum hanc vitam nisi sexta feria ieiunare“. Rbull 3,5–9 (Fontes Franciscani 174). Rnbull 13 (Fontes Franciscani 197; Paolazzi, Regula 135). Dalarun, François 37–39, ordnet die Aussagen zur Distanz gegenüber Frauen vor allem in den Horizont des Umgangs mit dem weiblichen Zweig des Ordens ein. REins 2 (Fontes Franciscani 216). So die plausible Deutung bei Dalarun, François 61. 2 Cel 114,10 (Fontes Franciscani 548): „Quae sunt fratri Minori cum muliere tractanda negotia, nisi cum sanctam paenitentiam vel melioris vitae consilium religiosa petitione deposcit?“. Zu den misogynen Vorstellungen in solchen Äußerungen s. Cedillo, And­

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rogyny 76, die die unterschiedlichen Perspektiven auf Frauen metaphorisch mit Eva einerseits, Maria andererseits verbindet. 2 Cel 112,5 (Fontes Franciscani 546). Rnbull 12,4 (Fontes Franciscani 197; Paolazzi, Regula 135). Rnbull 12,1 (Fontes Franciscani 196 f.; Paolazzi, Regula 135): „a malo visu“. Rnbull 12,5 (Fontes Franciscani 197; Paolazzi, Regula 135). Rbull 11,1–3 (Fontes Franciscani 180). AP 20,2 (Fontes Franciscani 1326). AP 16,5 (Fontes Franciscani 1321). Rnbull 13,1 (Fontes Franciscani 197; Paolazzi, Regula 135). Vgl. Feld, Franziskus 183, der davon spricht, Franziskus habe durch jenen Sprung in den Schnee (s. 253) „seine offenbar starke Sexualität“ zu kontrollieren versucht. Die Engelsverehrung, besonders des Erzengels Michael, hebt 2 Cel 197 (Fontes Fran­ ciscani 615 f.) hervor. 1 Cel 45,1 f. (Fontes Franciscani 319). 2 Gl 21 (Fontes Franciscani 81). Das Genre des Schuldbekenntnisses macht es schwierig, Franz’ Aussage, er habe das ­Officium nicht genügend gebetet (Ord 39 [Fontes Franciscani 102]), biographisch auszuwerten (so Feld, Franziskus 292). Jedenfalls besagt es nicht, dass Franz „keinen großen Wert“ auf die Beachtung der Stundengebete gelegt habe – allenfalls, dass er diese wegen seines Gesundheitszustandes nicht regulär ausüben konnte. Vat (Fontes Franciscani 115 f.). Vat 6 (Fontes Franciscani 116). Off (Fontes Franciscani 145–163); zu Recht spricht Lehmann, Tiefe 121, von einer „erstaunliche[n] Kenntnis des Psalters“. Grundlegend hierzu: Oktavian Schmucki, Das Leiden Christi im Leben des hl. Franziskus von Assisi, in: ders., Beiträge 3–99; zum Offizium ebd. 30–41 mit dem Fazit: „Zum innigen Mitleid mit dem Schmerzensmann gesellt sich immer wieder die grenzenlose Freude über den Erlösungssieg“ (41). Lehmann, Tiefe 121. S. den klaren Hinweis in Test 18: „Officium dicebamus clerici secundum alios clericos“, „Das Offizium sprachen wir Kleriker nach der Art der anderen Kleriker“; ebenso Rbull 3 (ebd. 174): „Clerici faciant divinum officium secundum ordinem sanctae Romanae ecclesiae“, „Die Kleriker sollen das Offizium nach der Ordnung der heiligen Römi­ schen Kirche durchführen“. Der Hinweis auf die liturgische Orientierung an Rom könnte allerdings auch bedeuten, dass Franz’ eigenes Offizium für diesen Gebrauch nicht gedacht war. Die Laienbrüder sollten zu den Stundengebetszeiten das Vaterunser und das Totenge­ bet sprechen; s. Test 18 (Fontes Franciscani 229); Rbull 3,4 f. (ebd. 174). Off I. Antiph. 1–3 (Fontes Franciscani 146) „Sancta Maria virgo, non est tibi similis nata in mundo in mulieribus, filia et ancilla altissimi summi Regis Patris caelestis, mater sanctissimi Domini nostri Jesu Christi, sponsa Spiritus Sancti, ora pro nobis cum S. Michaele archangelo et omnibus virtutibus caelorum et omnibus sanctis apud tuum sanctissimum dilectum Filium, Dominum et magistrum. – Gloria Patri. Sicut erat.“ GrMar (Fontes Franciscani 219). MahnKl 6 (Fontes Franciscani 245) „ka cascúna serà-regina / / en celo coronata cum la Vérgene María“. S. Rnbull 1,1 (Fontes Franciscani 185; Paolazzi, Regula 125). Test 5 (Fontes Franciscani 227): „Adoramus te, Domine Jesu Christe, et ad omnes ecclesias tuas, quae sunt in toto mundo, et benedicimus tibi, quia per sanctam crucem tuam redemisti mundum“.

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Anmerkungen Erm VI,1 (Fontes Franciscani 29): „Attendamus, omnes fratres, bonum pastorem, qui pro ovibus suis salvandis crucis sustinuit passionem“. 77 Erm V,8 (Fontes Franciscani 28). 78 Schmucki, Beiträge 484; ähnlich Bösch, Orthodoxie 122 f. Wenn Ko, Mistica 405–448, die Mystik von Franz in die christificatio gipfeln lässt, schreibt er eher die frühe Deutungsge­ schichte von Franz nach als dessen eigene Spiritualität. 79 2 Gl 4 (Fontes Franciscani 79): „Istud Verbum Patris (…) nuntiavit altissimus Pater de caelo per sanctum Gabrielem angelum suum in uterum sanctae et gloriosae virginis Mariae, ex cuius utero veram recepit carnem humanitatis et fragilitatis nostrae“. 80 1 Cel 84–86 (Fontes Franciscani 359–362). 81 1 Cel 84,8 (Fontes Franciscani 360): „corporeis oculis pervidere“. Die hagiographischen Berichte bis zu Bonaventura hat Accrocca, Francesco e i suoi frati 61–80, analysiert. 82 1 Cel 87,1–3 (Fontes Franciscani 362). 83 1 Cel 87,4 (Fontes Franciscani 362 f.). 84 Franziskus-Quellen 251 Anm. 131. 85 1 Cel 87,4 (Fontes Franciscani 362 f.). 86 1 Cel 86,1 (Fontes Franciscani 361). Der hier für den Diakon verwendete Begriff ist levita. 87 S. Franz, Opuscula 134. 88 Franz, Opuscula 136: „Beatus Franciscus duobus annis ante mortem suam fecit quadra­ gesimam in loco Alvernae ad honorem beatae Virginis matris Dei et beati Michaelis ar­ changeli a festo assumptionis sanctae Mariae virginis usque ad festum sancti Michaelis sep­ tembris; et facta est super eum manus Domini; post visionem et allocutionem Seraphim et impressionem stigmatum Christi in corpore suo fecit has laudes ex alio latere chartulae scriptas et manu sua scripsit gratias agens Deo de beneficio sibi collato.“ 89 Während man an der Stigmatisation Zweifel hegen kann, dürfte jedenfalls der zeitliche Zusammenhang zur Seraphenvision zuverlässig sein, sodass man den Lobpreis tatsächlich als Ausdruck dieser Erfahrung deuten darf (s. Lehmann, Tiefe 255). 90 LobGott 3 (Fontes Franciscani 45). 91 LobGott 2 (Fontes Franciscani 45). 92 Lehmann, Tiefe 250. 93 Lehmann, Tiefe 253: „Er reiht hier Anrufungen und Ausrufe des Staunens unverbunden aneinander“. 94 LobGott 4 (Fontes Franciscani 45). 95 LobGott 4 u. 6 (Fontes Franciscani 45). 96 LobGott 1 (Fontes Franciscani 45). 97 McGinn, Mystic 151, gesteht zwar zu, dass Franz bestimmte mystische Grundüberzeugun­ gen teile, betont aber, insbesondere in Auseinandersetzung mit Oktavian Schmucki, dass Franz nicht im strengen Sinne als Mystiker bezeichnet werden könne; anders Knobloch, Verwurzelt. 98 Hoeberichts, Authenticity 522. Jansen, Admonition 27, verbindet diese Verse speziell mit der Spiritualität der Kamaldulenser. Die Brücke, die er über späte Zeugnisse aus Augus­ tinus Florentinus (14. Jahrhundert) und die Kamaldulenserannalen Mittarellis aus dem 18. Jahrhundert zu einem Aufenthalt von Franz im Jahre 1220 bei den Kamaldulensern baut (112), ist allerdings schwach. Die sprachlichen Berührungen, auf die er verweist, zeigen, dass Franz an der Tradition monastischer Literatur im Mittelalter partizipierte, ohne dass man eine spezifische Begegnung mit den Kamaldulensern annehmen muss. 99 S. die ausführliche Auseinandersetzung von Paolazzi, Autenticità, 487–504, der viele der in den Schriften von Franz ungewöhnlichen Begriffe aus der Tradition, auch aus den bibli­ schen Grundlagen erklären kann. 100 Darauf verweist mit großer Transparenz auch Hoeberichts, Authenticity 522 f. 76

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Anmerkungen Erm 27 (Fontes Franciscani 36): „Ubi caritas est et sapientia, ibi nec timor nec ignoran­ tia. Ubi est patientia et humilitas, ibi nec ira nec perturbatio. Ubi est paupertas cum ­laetitia, ibi nec cupido nec avaritia. Ubi est quies et meditatio, ibi neque sollicitudo neque vagatio. Ubi est timor Domini ad atrium suum custodiendum, ibi inimicus non potest habere locum ad ingrediendum. Ubi est misericordia et discretio, ibi nec super­ fluitas nec induratio.“ 102 Den Bezug zwischen Erm 27 und LobGott hebt auch Zweerman, Timor Domini 205, heraus.  103 Augustin, Confessiones I,1 (CSEL 33,1,8 f.): „inquietum est cor nostrum donec re­ quiescat in te“. 104 Dass Erm 27 dies besonders betont, geht daraus hervor, dass dieser Begriff von der sonstigen Zitation aus Lk 11,21 abweicht (s. Zweerman, Timor Domini 209 f.). 105 Erm 5,5 f. (Fontes Franciscani 28). 106 Erm 1,5 (Fontes Franciscani 25): „Pater lucem habitat inaccessibilem, et spiritus est Deus, et Deum nemo vidit unquam“. 107 Erm 5,8 (Fontes Franciscani 28). 108 Erm 1,9 (Fontes Franciscani 25 f.). 109 Erm 1,12 (Fontes Franciscani 26): „Unde spiritus Domini, qui habitat in fidelibus suis, ille est qui recipit sanctissimum corpus et sanguinem Domini“. 110 S. den ausdrücklichen Bezug auf die Eucharistie in 1 Gl 3 (Fontes Franciscani 73). 111 2 Gl 48 (Fontes Franciscani 83); 1 Gl 6 (ebd. 73). 112 2 Gl 49–53 (Fontes Franciscani 83): „Et erunt filii Patris caelestis, cuius opera faciunt. Et sunt sponsi, fratres et matres Domini nostri Jesu Christi. Sponsi sumus, quando Spiritu Sancto coniungitur fidelis animae Jesu Christo. Fratres enim sumus, quando facimus voluntatem patris eius, qui est in caelo; matres, quando portamus eum in corde et corpore nostro per amorem et puram et sinceram conscientiam“; fast vollständig wörtlich übernommen aus der kürzeren Fassung 1 Gl 7–11 (ebd. 73 f.); zur Bedeutung für ein Verständnis von Franz’ Mystik s. Schmucki, Beiträge 390. Cedillo, Androgyny 75, versteht die Verwendung weiblicher Bilder für Männer als einen Versuch, gleichgeschlechtliche erotische Bilder zu vermeiden. 113 2 Gl 1 (Fontes Franciscani 79); vgl. McGinn, Mystic 150. 114 Rbull 8,2 (Fontes Franciscani 177). 115 Rbull 8,2 (Fontes Franciscani 177 f.). 116 Vgl. Landini, Causes 36: „Francis himself was by no means an organizer“. 117 Jord 11 (Ed. Schlageter 37). 118 Erm 3,3 (Fontes Franciscani 27): „se ipsum totum praebet ad oboedientiam in manibus sui praelati“. 119 Erm 3,7 (Fontes Franciscani 27). 120 Erm 3,5 (Fontes Franciscani 27). 121 In dieser Vorsicht wird man wohl formulieren müssen: Kajetan Eßer betont, dass die Kriterien für die Authentizität des in Spoleto aufbewahrten Schriftstücks „wahrlich geringfügiger Art“ sind (Franz, Opuscula 217). 122 Franz benutzt hier in der ihm eigenen Mischung aus Lateinischem und Mittelitalieni­ schem eine italienische Namensform. 123 Fontes Franciscani 89–92 bietet unterschiedliche Textfassungen. Ich folge der von Kajetan Eßer: „Frater Leo, frater Francisco tuo salutem et pacem. Ita dico tibi, fili mei, sicut mater: quia omnia verba, quae diximus in via, breviter in hoc verba dispono et consilio, et si dopo oportet propter consilium venire ad me, quia ita consilio tibi: In quocumque modo melius videtur tibi placere Domino Deo et sequi vestigiam et paupertatem suam, faciatis cum beneditione Domini Dei et mea oboedientia. Et, si tibi 101

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est necessarium animam tuam propter aliam consolationem tuam, et vis, Leo, venire ad me, veni“. Manselli, Franziskus 197. Gef 57,1 (Fontes Franciscani 1428). Gef 57,2 (Fontes Franciscani 1428 f.): „qualiter melius possent regulam observare“. Gef 57,2 (Fontes Franciscani 1428 f.). So Fonzo, Cronologia 113. 1 Vitry (Ed. Huygens 76,127 f.). Nach dem zeitlichen Zusammenhang dürfte Vitry das Pfingstkapitel 1216 vor Augen gehabt haben (s. Flood, Francis 117). In Rnbull 18,1 f. (Fontes Franciscani 202; Paolazzi, Regula 139 f.) sind beide Termine, Pfingsten und Michaelstag, bezeugt. 1 Vitry (Ed. Huygens 76,128 f.). Flood, Francis 120. Jord 3 (Ed. Schlageter 34). Jord 1 f. (Ed. Schlageter 34). Gef 62,1 (Fontes Franciscani 1435). Zur sonstigen Verwendung von religio für den Orden s. etwa Rbull 8,2 (Fontes Franciscani 177 f.). Jord 5 (Ed. Schlageter 35). S. die Schilderung des Auftretens der Franziskaner in Thüringen bei Rudolf Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte, Bd. 1, Jena 1937 (= Waltrop 2000), 178. Rnbull 18,2 (Fontes Franciscani 202; Paolazzi, Regula 139 f.). Jord 16 (Ed. Schlageter 39). Eccl VI (Ed. Little 32); BonLM IV,10,2 (Fontes Franciscani 811). Jord 16 (Ed. Schlageter 39) spricht im Horizont römischer Kalenderrechnung fälschlich von den zehnten Kalenden des Juni, also dem neuntletzten Tag des Monats Mai, also der 23. Mai. Jord 16 (Ed. Schlageter 39). Jord 16 (Ed. Schlageter 39). Umbracula sind grundsätzlich schattengebende Bedeckun­ gen, ohne dass dies weiter spezifiziert wäre. Franz, Opuscula 234 f. Diese Deutung von Eßer beruht allerdings auf der Annahme, dass die gesamte Regula non bullata, mithin auch Rnbull 18 (Fontes Franciscani 202; Paolazzi, Regula 139 f.), worin sich die entsprechende Bestimmung findet, auf dem Mattenkapitel beschlossen wurde. Wenn dies nicht so sicher ist (s. 234), kann man auch diese Einzelbestimmung nicht exakt datieren. Jord 11 (Ed. Schlageter 37). Dieser denkwürdige Vorgang spricht gegen die Annahme, Franz habe Petrus Cathanii schon 1217 als Vikar eingesetzt (so Feld, Franziskus 131 f., im Anschluss an Brooke, Government 81–83). Ein solches umfassendes Generalat ließe kaum Platz für zwei weitere Vikare. Sérent, Bulla inedita. Jord 11 (Ed. Schlageter 37). Rnbull 7,15 (Fontes Franciscani 192; Paolazzi, Regula 131): „sine murmuratione“. Es handelt sich hier um ein Zitat aus 1 Petr 4,9. Rbull 3,11 (Fontes Franciscani 174): „Consulo vero, moneo et exhortor fratres meos in Domino Jesu Christo, ut quando vadunt per mundum, non litigent neque contendant verbis“. Min 9 (Fontes Franciscani 95): „quod non sit aliquis frater in mundo, qui peccaverit, quantumcumque potuit peccare, quod, postquam viderit oculos tuos, numquam recedat sine misericordia tua, si quaerit misericordiam“. Min 10 (Fontes Franciscani 95).

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Anmerkungen S. zum Zusammenhang Berg, Franziskus 102 f. 2 Cel 143,2 f. (Fontes Franciscani 570): „Amodo sum mortuus vobis. Sed ecce frater Petrus Cathanii, cui ego et vos omnes obediamus“. 155 Vgl. Berg, Franziskus 104 f. 156 Per 11,2 (Fontes Franciscani 1484); vgl. die Rede von Petrus Cathanii als Generalminis­ ter Per 80,4 (ebd. 1590). 157 2 Cel 67,1; 91,2; 182,4 (Fontes Franciscani 505; 526; 603). 158 Feld, Franziskus 152. 159 Jord 9 (Ed. Schlageter 37); zu Elias’ Biographie s. Berg, Elias; Pompei, Elia; Rybka, Elias von Cortona. 160 Jord 17 (Ed. Schlageter 40): „Fratres, ita dicit frater“. 161 Rbull 1,3 f. (Fontes Franciscani 172); vgl. Feld, Franziskus 359 f. 162 S. Feld, Franziskus 360. 163 Ord 2 (Fontes Franciscani 99). 164 Ord 3 (Fontes Franciscani 99): „homo vilis et caducus, vester parvulus servulus“. 165 Ord 47 (Fontes Franciscani 103): „homo inutilis et indigna creatura Domini Dei“. 166 Ord 5 (Fontes Franciscani 99): „Audite, domini filii et fratres mei, et auribus percipite verba mea“. 167 Ord 12 (Fontes Franciscani 100): „Deprecor“; 14: „Rogo“; 30 (ebd. 101): „Moneo (…) et exhortor“ etc. 168 Ord 12 (Fontes Franciscani 100). 169 Rbull 8,2 (Fontes Franciscani 177 f.). Eine abgewogene Deutung der Spannungen zwi­ schen Franziskus und Elias bietet Brooke, Government 83–100. 170 Ord 40 (Fontes Franciscani 103): „Ideoque per omnia oro sicut possum fratrem H. generalem dominum meum ministrum, ut faciat regulam ab omnibus observari“. 171 Ord 2 (Fontes Franciscani 99). 172 Vgl. Pompei, Elia 638. 173 Berg, Elias 106, spricht von einem „fundamentalen Dissens“ mit der kurialen Leitung über den Aufbau und die Ausrichtung des Ordens.  174 Eßer, Testament 120. 175 Fior 8 (Ed. Pratesi 51–54). 176 WFreud (Fontes Franciscani 241 f.). 177 Min 8 (Fontes Franciscani 95). 178 Jul 67,4 (Fontes Franciscani 1085): „Volebat rursus ad simplicitatis redire primordia; volebat leprosis contemptibiliter de novo servire, et ab hominum conversatione ad loca remotissima se transferre“. 179 2 Cel 144,1 (Fontes Franciscani 571): „De loco ad locum“ – gemeint sein kann auch ganz schlicht: „von Ort zu Ort“. 180 REins 1 (Fontes Franciscani 215); so hat jedenfalls bei Gelegenheit Franz auch gegenüber Leo die Mutterrolle einnehmen können (s. Leo 1); vgl. Dalarun, Francis and Clare 16. 181 REins 4 (Fontes Franciscani 215); gelegentlich war auch das Sprechen mit dem Kustos, wenn er vorbeikam, erlaubt (REins 9 [ebd. 216]). 182 1 Cel 94,1 (Fontes Franciscani 369 f.). 183 Aufgrund dieser Überlieferungslage wird die Echtheit des Briefes gelegentlich infrage gestellt. Hellmann, Seraph 27, verweist vor allem auf das ernstzunehmende Problem, dass es schwer verständlich ist, warum in der Kanonisationsbulle von 1228 die Stig­ matisation nicht erwähnt wird, wenn Elias schon 1226 von ihr berichtet hat. Gleich­ wohl sprechen für eine Authentizität m. E. zwei gewichtige Gründe: 1. Schon Jord 50 (Ed. Schlageter 54) berichtet von Trostbriefen (litterae consolatoriae) des Elias unmittel­ bar nach dem Tod von Franz von Assisi. Der Umstand, dass der von Jord referierte In­ 153

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halt nicht exakt mit E übereinstimmt – Jord berichtet von der Weitergabe eines Segens des Franziskus an die Brüder, was so in E nicht enthalten ist (E 14 [Fontes Franciscani 254] erzählt von der Segnung der Brüder und einer allgemeinen Vergebung, nicht aber ausdrücklich von der Weitergabe) –, spricht nun allerdings nicht gegen, sondern für die Authentizität von E: Es ist viel wahrscheinlicher, dass Jord sich in seiner Zusam­ menfassung geirrt hat, als dass ein Fälscher, der Jord bewusst zur Vorlage genommen hat, diese Vorlage nicht zutreffend umgesetzt hätte. 2. Celano richtet sich mit seiner Beschreibung der Wundmale ausdrücklich gegen eine Beschreibung, die besagt, dass diese wie puncturae ausgesehen hätten (1 Cel 95,1 [Fontes Franciscani 370 f.]). Genau so aber beschreibt E die Wundmale. Wenn ich also mit größerer Wahrscheinlichkeit die Echtheit von E annehme als die Unechtheit, so ist doch auch dies ein weiterer Beleg für die Schwierigkeit, bei der Rekonstruktion von Franz’ Leben, bis in den Tod hinein, auf sicheren Grund zu kommen. E 25 (Fontes Franciscani 255). Zum Datum vgl. Kap. 1 Anm. 167. E 15–19 (Fontes Franciscani 254): „annuntio vobis gaudium magnum et miraculi novita­ tem. A saeculo non est auditum tale signum, praeterquam in Filio Dei, qui est Christus Dominus. Non diu ante mortem frater et pater noster apparuit crucifixus, quinque plagas, quae vere sunt stigmata Christi, portans in corpore suo. Nam manus eius et pedes quasi puncturas clavorum habuerunt, ex utraque parte confixas, reservantes cicatrices et clavorum negredinem ostendentes. Latus vero eius lanceatum apparuit et saepe sanguinem evaporavit. Dum adhuc vivebat spiritus eius in corpore, non erat in eo adspectus, sed despectus vultus eius et nullum membrum in eo remansit absque nimia passione. Ex contractione nervorum membra eius rigida erant, sicut solent esse homi­ nis mortui, sed post mortem eius, pulcherrimus adspectus est, miro candore rutilans, laetificans videntes. Et membra quae prius rigida erant, facta sunt mollia nimis, sese vertentia huc atque illuc secundum positionem suam tamquam pueri delicati.“ Trexler, Body 485–487. E 20–22 (Fontes Franciscani 254). Gef 70,1–4 (Fontes Franciscani 1442). 1 Cel 113,1 (Fontes Franciscani 391): „ex eius carne compositos, ferri retenta negredine“; vgl. 4 Cel 5,4 (ebd. 649): „ex eius carne virtute divina mirifice fabricatos“. Dass durch diese Beschreibung eine natürliche Ursache ausgeschlossen werden sollte, zeigt Bösch, Franz 37. 1 Cel 95,1 (Fontes Franciscani 370 f.); ähnlich dann auch Gef 70,2 (ebd. 1442). Diese Beschreibung voraussetzend, argumentiert Thompson, Francis 117 f., dass eine solche Erscheinung schwerlich psychosomatisch entstanden sein könne. Wend (Ed. Hewlett 332 f.). S. Trexler, Body 484. Dass diese Angabe mit Elias’ Zeitangabe schwerlich kompatibel sein kann, begründet ausführlich Bösch, Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen 134 Anm. 40. 1 Cel 94,1 (Fontes Franciscani 369 f.): „duobus annis antequam animam redderet caelo“. S. hierzu Bösch, Franz 67–69. 1 Cel 95,6 (Fontes Franciscani 371); diese Zeugenschaft schmückt Celano in Cel VB 74 (Ed. Dalarun 60,15–18) weiter aus, offenkundig um sie zu unterstreichen. 1 Cel 95,6 (Fontes Franciscani 371). Hase, Franz 163, arbeitet zu Recht heraus, dass es auffällig ist, dass Gef diese Augenzeugenschaft nicht hervorhebt, obwohl doch Rufin, unter Voraussetzung ihrer Authentizität, einer ihrer Autoren wäre. 2 Cel 135–138 (Fontes Franciscani 564–567).

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Anmerkungen Kiely, Considerations, zeigt, wie eine solche Betonung der Existenz von Zeugen sich in der Kunstgeschichte niederschlug, die immer deutlicher Leo als Augenzeugen der Stigmatisierung ins Bild rückte. 200 1 Cel 95,5 (Fontes Franciscani 371). 201 Cel VB 74 (Ed. Dalarun 60,14). 202 2 Cel 135,4 (Fontes Franciscani 565): „Quin etiam et publica loca membrorum idipsum non patiebantur obtectum“. 203 2 Cel 136,3 u. 136,6 (Fontes Franciscani 565). 204 1 Cel 95,11 (Fontes Franciscani 372). 205 4 Cel 6,5–7 (Fontes Franciscani 650): „Esset hoc verum, ut tali claruisset iste sanctus miraculo, an suorum pia fuit illusio? Simulata (…) fuit inventio, et fortassis a fratribus inventa deceptio. Sensum hoc humanum excederet, et ab omni rationis iudicio procul esset“; vgl. zu den skeptischen Stimmen im Mittelalter Berg, Franziskus 131; Bösch, Orthodoxie 125–128. 206 4 Cel 6,10–7,8 (Fontes Franciscani 650 f.). 207 Franz, Opuscula 136; s. o. 347 Anm. 88. 208 Ausführlich begründet bei Bösch, Notiz. 209 Hierfür spricht, dass einzelne frühe Darstellungen die Seraphenvision ohne Stigmatisie­ rung erwähnen (s. Per 118,13 [Fontes Franciscani 1684]; Eccl XIII Zusatz [Ed. Little 75]); vgl. Feld, Franziskus 258; Hellmann, Seraph 32 f.; McGinn, Mystic 160. Bösch, Redaktions­ geschichtliche Beobachtungen 131, geht sogar so weit, dass Per 118 über die Stigmatisierung nicht nur schweige, sondern sie durch ihre Darstellungsweise „geradezu ausschließen“ dürfte. 210 Gef 69 (Fontes Franciscani 1441 f.). 211 Bösch, Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen 133; ders., Franz 50 f., 63–65. Hase, Franz 166, verweist zu Recht darauf, dass das genaue Geschehen, seine Historizität vorausgesetzt, ohnehin kaum bekannt gewesen sein konnte, da der einzige Zeuge ja Franz selbst war, der aber Wert darauf gelegt haben soll, die Wundmale zu verbergen. 212 Gef 69,3 (Fontes Franciscani 1441). 213 1 Cel 94,2 (Fontes Franciscani 370). 214 Gef 69,3 (Fontes Franciscani 1441). 215 1 Cel 94,2 (Fontes Franciscani 370): „Duae alae supra caput elevabantur, duae ad volandum extendebantur, duae denique totum velabant corpus“; ähnlich Gef 69,4 (ebd. 1441). Zu den biblischen Hintergründen s. Schmucki, Stigmata 184 f. 216 Dies tut Hellmann, Seraph 40, für den die Erzählung vom Seraphen letztlich eine Kon­ struktion Celanos ist. 217 Zu den hieraus später resultierenden Spekulationen s. Feld, Franziskus 272. Freilich wird man auch seine hochgelehrte und interessante Deutung auf eine Allerlösung hin (ebd. 274–277) als spekulativ einzustufen haben. Methodisch ist es schwierig, dass er das Bild des Seraphen von deutlich späteren Quellen her zu deuten sucht, um so von „niemals ausgesprochenen Erlösungs-, Endzeit- und Weltvorstellungen“ auszugehen, die „vom Standpunkt kirchlicher Orthodoxie her gesehen glatte Häresien“ gewesen seien (276). Angesichts der Dichte biblischer Bezüge bleiben diese selbst eine sicherere Leitschnur für das Verständnis der Vision. 218 Eccl XIII Zusatz (Ed. Little 75): „eum dure tractavit“. 219 Schmucki, Beiträge 490; ders., Stigmata 207–209, 214 f. 220 Schmucki, Beiträge 484. 221 S. z. B. Feld, Franziskus 265–267. 222 Daxelmüller, Süße Nägel 90–94. Feld, Franziskus 265–267, hat auf das Beispiel der Marie von Oignies verwiesen (1177–1213), deren Wundmale allerdings nicht die exakte 199

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Kreuzigungsform nachzeichneten; vgl. zu dem Fall von Oxford bereits McGinn, Mystic 158, freilich unter Betonung der Differenz zu Franz. Daxelmüller, Süße Nägel 117; von einer solchen Selbststigmatisierung geht auch Köpf, Stigmata 60, aus und betont zu Recht, dass dies dann schwerlich zwei Jahre vor dem Tod des Franziskus erfolgt sein dürfte. Von einem „Theater of the Body“ spricht Yoram, Body 96, allerdings in einem Kontext, in welchem sie das Geschehen hochgradig psychoanalytisch auflädt. S. hierzu auch Trexler, Body 467–485, der insbesondere die Verbindung von Buß- und Passionsfrömmigkeit herausarbeitet. Daxelmüller, Süße Nägel 117. Dass Franz auch selbstquälerische Askese betrieb, benennt 2 Cel 129,6, wonach Franz sich „vulnera sine causa“ zugefügt habe (Fontes Franciscani 561). Allerdings benennt Franz im selben Zusammenhang die Ursache dieser Wunden in Selbstgeißelung und Mangel (penuria) an Essen, also Fasten. Das sind sehr viel klassischere Formen als eine Selbstbeifügung der Wundmale Christi; vgl. zu dieser Stelle auch Bösch, Franz 24. Feld, Franziskus 265–267. Bösch, Franz 29. Mit dieser Konsequenz aus seinen Beobachtungen weiche ich allerdings von Trexler, Body, ab, dessen Überlegungen in die Annahme einer Erfindung durch Elias (489), also eher eine klassische Täuschungstheorie, münden. Bösch, Franz 197, nimmt ein physisches Phänomen wie „Krankheitsflecken oder Verletzungen“ als Grundlage für Elias’ Bericht an. Mir scheint eine visionäre Gestalt plausibler. Trexler, Body 486, meint, Elias selbst habe einen menschlichen Ursprung nahele­ gen wollen, hierzu gibt es aber – außer dem Fehlen eines expliziten Hinweises auf göttlichen Ursprung – keinen Anhalt im Text. Eher spricht die fehlende ausdrückliche Benennung eines Subjektes für einen Hinweis auf Gott. Trexler, Body 488, bezieht den Begriff miraculum auf das Gesamtgeschehen, das heißt auch die Wiederherstellung des unverletzten Körpers von Franz: Elias habe als Wunder vor allem hervorheben wollen, dass Franz nach dem Tod einen verklärten Auferste­ hungskörper wie Christus hatte. Dies überzieht möglicherweise die interessanten Beobachtungen, und dies aus drei Gründen: 1. Die Beschreibung der Stigmata erfolgt in direktem Anschluss an die Rede vom miraculum und das Zitat der Engel aus der Weihnachtsbotschaft, ist also direkt darauf bezogen, und der von Trexler selbst so mar­ kant herausgearbeitete Wechsel zwischen Vergangenheits- und Gegenwartstempus markiert einen Einschnitt zwischen beiden Teilen, der es jedenfalls nicht wahrschein­ lich macht, dass auch die Beschreibung des postmortalen Körpers noch unter das miraculum fällt. 2. Die Stigmata werden mit dem religiös konnotierten Begriff apparere beschrieben, der Zustand des Leichnams hingegen mit bloßen Zustandsbeschreibun­ gen durch das ganz neutrale Verb esse. 3., und wohl entscheidend: Elias selbst vergleicht den postmortalen Körper, anders als die Stigmata, gerade nicht explizit mit Christus, sondern mit einem – beliebigen – puer delicatus.  Vgl. hierzu Hase, Franz 165. S. ähnlich den angeblich auf Leo zurückgehenden Bericht bei Salimbene, Cronica zum Jahr 1247 (Salimbene, Cronica 296 [282,3–5]), der Leib habe beim Waschen wie der Leichnam eines Gekreuzigten ausgesehen. Dieser Bericht setzt allerdings anders als Celano voraus, dass die Wundmale noch am Leichnam zu sehen waren; vgl. Bösch, Orthodoxie 124. Ders. findet, ebd. 128, eine solche Betonung der Wahrnehmung auch in der nach seinen redaktionsgeschichtlichen Analysen (aus­ führlicher begründet Bösch, Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen 141) ältesten Fassung der Celano-Vita, und zwar in 1 Cel 112,9: „dum quasi recenter e cruce depo­

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situs videretur, manus et pedes clavis crucifixos habens et dextrum latus quasi lancea vulneratum“, „indem er schien, als sei er eben erst vom Kreuz abgenommen worden, da er mit Nägeln gekreuzigte Hände und Füße hatte und eine rechte Seite, die wie von einer Lanze verwundet aussah“ (Fontes Franciscani 390). Die zugespitzte Frage von Dooren, Fact or Fiction, führt für ein Verständnis dieser Phänomene nicht weiter. Diesen eignet unweigerlich eine gewisse Ambiguität. Grund­ sätzlich geht auch Frugoni, L’invenzione 82 f., davon aus, dass Elias bestimmte andere Kennzeichen transmutiert bzw. transformiert habe. Darüber hinausgehend scheint es mir wichtig, dies nicht als bewusste Irreführung zu verstehen, wie es bei ihr erscheint, sondern als einen im Prinzip neutralen Wahrnehmungsvorgang. S. Berg, Franziskus 131 f.; Feld, Franziskus 264. Berg, Franziskus 131; Feld, Franziskus 265. Schmucki, Beiträge 484, begründet diese Vorbildlosigkeit in der Antike mit der geänderten Form von Christusfrömmigkeit, weist aber darauf hin, dass dies ein Fehlen der Stigmatisierung in der zisterziensischen Frömmigkeit nicht zu erklären vermag. Vgl. McGinn, Mystic 158. E 17 (Fontes Franciscani 254). Muessig, Signs of Salvation 68. Bösch, Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen 150. Gef 69,2 (Fontes Franciscani 1441): „in illum qui caritate nimia crucifigi voluit, trans­ formaretur in dulcedine compassiva“. Per 39,6 (Fontes Franciscani 1512): „propter infirmitates quas tu nosti, dulcissime Domine, (…) ipsam [familiam] recommendo ministris“; vgl. Jord 17 (Ed. Schlageter 40): „quia beatus Franciscus tunc debiliserat“. Schmucki, Beiträge 360 f. Diesen Zusammenhang benennt ausdrücklich 1 Cel 97,3 (Fontes Franciscani 373). 1 Cel 97,2 (Fontes Franciscani 373): „infirmitates“. 1 Cel 105,1 (Fontes Franciscani 382). Schmucki, Beiträge 364. Schmucki, Beiträge 365. SP 83,5–8 (Fontes Franciscani 1595 f.). Jul 65,2 (Fontes Franciscani 1082). 1 Cel 98,6 f. (Fontes Franciscani 374 f.). S. Schmucki, Beiträge 368. 1 Cel 101,9 (Fontes Franciscani 379). In Per 86,13–25 (ebd. 1605–1607) wird in einer durch die Wendung „nos vero qui cum ipso eramus“ beglaubigten Passage die Ope­ ration ausführlich beschrieben und zugleich betont, wie erstaunt der Arzt darüber war, dass Franz sich währenddessen nicht gerührt hatte (Z. 21). Das setzt voraus, dass die Behandlung üblicherweise mit hohen Schmerzen verbunden war und wirksame Anästhesie nicht eingesetzt wurde; vgl. Schmucki, Beiträge 366 f. Karl-Heinz Leven (Erlangen) danke ich für den Hinweis, dass Operationen oft wegen des Schmerzes besonders rasch durchgeführt wurden und die Patienten dabei vielfach festgehalten oder -gebunden wurden. 2 Cel 215,7 (Fontes Franciscani 630). 1 Cel 105,1 (Fontes Franciscani 382): „fracto stomacho“. 1 Cel 105,4 (Fontes Franciscani 382). Die Bulle „Quo elongati“ spricht davon, er habe es „circa ultimum vitae suae“ for­ muliert (Bullarium Franciscanum 1,68a); vgl. Eßer, Testament 111; Feld, Franziskus 14; Thompson, Francis 133–136. Zum Diktat s. Eßer, Testament 118.

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Anmerkungen Test 34 (Fontes Franciscani 231): „meum testamentum“. Die Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlautes verdankt die moderne Forschung Eßer, Testament. 260 Eßer, Testament 104–107. 261 Test 6 (Fontes Franciscani 227). 262 Test 27–30 (Fontes Franciscani 230). 263 Test 18 (Fontes Franciscani 229). 264 Test 24 (Fontes Franciscani 229). 265 Test 34 (Fontes Franciscani 231): „ut regulam, quam Domino promisimus, melius catholice observemus“. 266 Vgl. Feld, Franziskus 307. 267 Test 35–37 (Fontes Franciscani 231): „in istis verbis non addere vel minuere“. 268 Test 27 f. (Fontes Franciscani 230). 269 Test 34 (Fontes Franciscani 231): „frater Franciscus parvulus“. 270 Test 38 (Fontes Franciscani 231): „Et omnibus fratribus meis clericis et laicis praecipio firmiter per obedientiam, ut non mittant glossas in regula neque in istis verbis“. 271 Sehr viel kritischer mit dem Papst: Feld, Franziskus 338. 272 Bullarium Franciscanum 1,68b. 273 Berg, Franziskus 135. 274 1 Cel 105,7 (Fontes Franciscani 382): „multitudo populi sanctum Dei sperabat in pro­ ximo moriturum, et haec erat exsulationis tantae materia“. 275 1 Cel 109,5 (Fontes Franciscani 387): „vita sic proxima“ als Umschreibung des Todes.  276 1 Cel 108,11 (Fontes Franciscani 385 f.). 277 S. die Rede von den medici in 1 Cel 107,7 (Fontes Franciscani 384). 278 1 Cel 107,7 (Fontes Franciscani 384). 279 1 Cel 105,12 (Fontes Franciscani 386): „Volebat enim ibi animam reddere Deo, ubi, sicut dictum est, primo perfecte viam veritatis agnovit“. 280 2 Cel 216,3 f. (Fontes Franciscani 630 f.). 281 E 14 (Fontes Franciscani 254); vgl. 2 Cel 216,5–8 (Fontes Franciscani 631). 1 Cel 108,2–10 (Fontes Franciscani 385) lokalisiert Celano diesen Segen noch im Bischofspalast, muss so aber eine doppelte Segensszene in Kauf nehmen. Da es zudem nicht wahrscheinlich ist, dass die Gesamtheit der Brüder sich im Palast aufhielt, kann man hier wohl seiner Korrektur in der zweiten Vita vertrauen. 282 1 Cel 108,1 (Fontes Franciscani 384 f.). 283 1 Cel 109,5–10 (Fontes Franciscani 387); 2 Cel 216,9 (ebd. 631). 284 2 Cel 217,1 (Fontes Franciscani 631): „benedixit et fregit“. 285 Zum „quasi-sakramentalen“ Charakter der Handlung vgl. auch Feld, Franziskus 294. 286 1 Cel 110,1 (Fontes Franciscani 388) bietet eine Mischzitation aus Joh 12,1 und 13,1.  Der Verweis auf das Bewusstsein Jesu von seinem Tod in Joh 13,1 spricht aber dafür, dass letztere Stelle gemeint war. So steht es auch in 2 Cel 217,2 (ebd. 632). 287 2 Cel 214,6 (Fontes Franciscani 629). Celano betont noch, dass Franz sterbend die Seitenwunde bedeckt habe (2 Cel 214,8 [ebd.]). Dass gleichwohl die Nägel in Händen und Füßen hätten sichtbar sein müssen, übergeht er – auch hier zeigt sich, dass es nicht ganz einfach war, die Vorstellung einer Stigmatisierung zwei Jahre zuvor mit dem realen Geschehen in eins zu bringen. 288 1 Cel 110,3 (Fontes Franciscani 388). 259

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Anmerkungen

In der Ferne ein Mensch Jord 50 (Ed. Schlageter 54). Jord 50 (Ed. Schlageter 54): „in qua primitus litteras didicerat et postmodum primum predicare cepit“. 3 Malafarina, Kirche 39; s. die Beschreibung dieser Wiederentdeckung und der Anerken­ nung der Gebeine als authentisch bei Basili, Ricognizione 64–71. 4 Reblin, Franziskus.  5 Vgl. die Zusammenfassung von Müller, Bettelmönche 69, zu den von ihr für authen­ tisch gehaltenen frühen Orientreisen des Franziskus: „Kennzeichnend für diese frühen Missionsversuche sind Spontaneität und absolute Unorganisiertheit“. 1

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Zeittafel 1181/82 1193 1202/03 1206 1208 od. 1209 1209 1211 1215 1216 1217 1219/20 1220 1221 1223 1224 1224 1226

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Geburt als Sohn von Pietro und Pica (?) Bernardone Geburt Klaras Gefangenschaft in Perugia Bruch mit dem Vater Inhaltliche Klärung durch die Aussendungsrede und ihre Erläuterung durch den Priester der Portiuncula Anerkennung der Bruderschaft durch Innozenz III. in Rom Flucht Klaras aus dem Elternhaus November: IV. Laterankonzil Tod Innozenz’ III.; Honorius III. als neuer Papst Aufteilung des Ordens in sechs Provinzen (vermutlich auf dem Pfingst­ kapitel am 14. Mai) Begegnung mit Kardinal Hugolin in Florenz Orientreise, Predigt vor Sultan al-Malik al-Kamil Rücktritt von Franz als Generalminister; Übernahme der Ordensleitung durch Petrus Cathanii Petrus Cathanii stirbt, Übernahme der Ordensleitung durch Elias von Cortona 30. Mai: „Mattenkapitel“ Beschluss der Regula bullata, Bestätigung durch Papst Honorius am 29. November 24./25. Dezember: Krippenfeier in Greccio 15. August – 29. September: Fasten in La Verna; Seraphenvision Krankheit und Pflege in San Damiano; möglicherweise Dichtung des Sonnengesangs April/Mai: Blutsturz in Siena, Reise nach Assisi Abfassung des Testaments 3. Oktober: Franz stirbt in der Portiuncula

Abkürzungen Für Reihen, Zeitschriften und biblische Bücher wird Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 32014, zugrunde gelegt. Zudem werden, angelehnt an die Franziskus-Quellen, folgende Abkürzungen verwendet: Ant Franz von Assisi, Brief an Bruder Antonius AP Johannes von Perugia (Anonymus von Perugia), Über die Anfänge des Ordens BonLM Bonaventura, Legenda maior BonLMMir Bonaventura, Legenda maior. Mirakelbuch BonLm Bonaventura, Legenda minor BonPr Bonaventura, Predigten über Franziskus Bourb Stefan von Bourbon, Predigten BullKl Heiligsprechungsbulle für Klara von Assisi 1 Cel  Thomas von Celano, Vita prima 2 Cel Thomas von Celano, Vita secunda 3 Cel Thomas von Celano, Mirakelbuch 4 Cel Thomas von Celano, Chorlegende Cel VB Thomas von Celano, Vita brevior E Elias von Cortona, Rundbrief über den Tod des Franziskus Eccl Thomas von Eccleston, Chronik Franz von Assisi, Ermahnungen Erm Ern Ernoul, Chronik des fünften Kreuzzugs Fior Fioretti FormKl Franz von Assisi, Forma vivendi für Klara und ihre Schwestern GebKr Franz von Assisi, Gebet vor dem Kruzifix Gef Dreigefährtenlegende 1 Gl Franz von Assisi, Brief an die Gläubigen, Kurzfassung Franz von Assisi, Brief an die Gläubigen, ausführliche Fassung 2 Gl GrMar Franz von Assisi, Gruß an die Jungfrau Maria GrTug Franz von Assisi, Gruß an die Tugenden Verba fratris Illuminati Illum Jord Jordan von Giano, Chronik Julian von Speyer, Franziskus-Leben Jul JulOff Julian von Speyer, Franziskus-Offizium Kler Franz, Brief an die Kleriker Franz, Brief an die Kleriker, bearbeitete Fassung 2 Kler 1 Kust Franz, Erster Brief an die Kustoden Franz, Brief an die Lenker der Völker Lenk Leo Franz, Brief an Leo Thomas von Celano, Legenda Sanctae Clarae LKl LobGott Franz von Assisi, Lob Gottes Franz von Assisi, Mahnlied für Klara und ihre Schwestern MahnKl Min Franz, Brief an einen Minister Off Franz von Assisi, Offizium vom Leiden des Herrn Ord Franz von Assisi, Brief an alle Brüder / den Orden Per Legenda Perusina / Compilatio Assisiensis Akten des Kanonisationsprozesses für Klara von Assisi ProKl

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Abkürzungen Rbull Regula bullata RegKl Regel der Klarissen REins Franz von Assisi, Regel für Einsiedeleien Rnbull Regula non bullata Rnbullalt Fragmenta alterius regulae non bullatae SC Sacrum commercium sancti Francisci com domina Paupertate SegBern Franz von Assisi, Segen für Bruder Bernhard Sonn Franziskus, Sonnengesang SP Speculum perfectionis Split Thomas von Split, Historia pontificum Salonitanorum et Spalatensium Test Franziskus, Testament TestKl Klara, Testament Vat Franz von Assisi, Auslegung des Vaterunsers Visc Friedrich Visconti, Predigten 1 Vitry Brief von Jakob von Vitry aus Genua 2 Vitry Brief von Jakob von Vitry aus Damiette 3 Vitry Jakob von Vitry, Historia occidentalis Roger von Wendover, Liber qui dicitur Flores historiarum Wend WFreud Diktat von der wahren Freude

Quellen und Literatur Im Folgenden sind lediglich die Titel aufgenommen, die unmittelbar mit Franz von Assisi, seinem Umfeld und seiner Wirkung zu tun haben oder die aus anderen Gründen häufiger zitiert werden. Gegebenenfalls weitere benutzte Literatur ist an der jeweiligen Stelle in den Fußnoten vollständig ausgewiesen. Sammelbände sind vollständig aufgeführt, wenn mehr als ein Beitrag darin relevant ist. Die einzelnen Beiträge sind dann an der jeweiligen Stelle im Text, an welcher sie genutzt wurden, ausgewiesen.

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Personenregister Accursius 188 Adiutus 188, Ägidius 109, 113–115 Alberto 94 Alexander von Hales 161 Alfons VIII. 189 f. Al-Malik al-Kamil 188, 191, 199, 242 Angelus 17 Antonius von Padua / Don Fernando 160 f. Arnold von Brescia 212 Augustin, Bruder 15 Augustin, Kirchenvater 37, 53, 175, 211, 266 Benedikt von Arezzo 15, 231 Berald 187 f. Berengar von Tours 222 f., 225 Bernardo, Christiana di 139 Bernardone, Angelo 27, 94 Bernardone, Pica (?) 27, 32 f., 58 f., 80, 94 Bernardone, Pietro 27–29, 32 f., 39, 50 f., 58 f., 62, 70 f., 73–84, 87, 91 f., 94, 103, 105 f., 108, 162, 172, 243, 248, 300 Bernhard von Clairvaux 192 Bernhard von Quintavalle 102–108, 110 f., 113–115, 124, 133 f., 137, 164–166, 189, 244 f., 247 f., 301 Bona de Guelfuccio 133 Bonaventura 13, 27, 47, 84, 90, 118, 124 f., 127, 130, 157 f., 161–163, 169, 189, 194– 196, 229 f., 245, 274 Caesar von Speyer 234 Crescentius von Jesi 16 f., 33 f., 127, 231 Cyprian von Karthago 201 Dionysius Areopagita 267 Dominikus 271 Duns Scotus 161 Elias von Cortona 187, 277, 281–285, 288– 293, 296 Elisabeth von Thüringen 54, 254, 304 Ernoul 193–195 Friedrich I. Barbarossa 28 Friedrich II. 204 Friedrich Visconti 156

Gentile 46 Giotto di Bondone 45, 99, 126, 177, 261, 264 Gottfried von Straßburg 252 Gregor von Neapel 237, 275 Guichard von Pontigny 209 Guido I. 81 f., 87 f., 110, 122, 128 f., 139, 141 f., 232, 301 Guido II. 81 Anm. 203 Heinrich der Löwe 205 Heinrich VI. 28, 204 f. Heloise 136 Hieronymus Massi 231 Illuminatus 194 Jakob von Vitry 100, 131, 138, 169, 193–198, 200, 207, 213, 272, 288 f. Jesus Christus 54–56, 60, 68–70, 83, 88, 96, 100 f., 105, 110, 112 f., 115 f., 123 f., 129, 137, 139–141, 143–145, 149, 153, 156 f., 162 f., 165, 167, 171, 180, 185, 189, 193, 197–199, 201, 207, 223–225, 227, 243, 248 f., 251, 253 f., 256, 258–260, 262, 267–269, 275, 278, 285 f., 289 f., 295 f. Joachim von Fiore 34, 218 f. Johannes der Täufer 33–35, 149, 164 Johannes von Brienne 199 Johannes von Capella 109, 113 Johannes von Penna 273 Johannes von Perugia / Anonymus Perusinus 18, 46 f., 49–51, 55 f., 64, 67, 75, 94, 105, 107, 113, 115–117, 127, 129, 143, 235–239, 256 Johannes von Salisbury 208 Johannes von St. Paul 129 f., 220, 237, 269 John Lackland / Johann Ohneland 206 Jordan von Giano 103 f., 174, 187 f., 190, 194, 234 f., 269, 272–275, 277 Julian von Speyer 16, 44, 49, 51, 67, 115, 127, 189, 211, 280, 292 Konrad von Urslingen 28 Konstanze von Sizilien 204 Langton, Stephan 206 Leo 17 f., 98, 263 f., 270 f., 279–281, 283, 285 f.

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Personenregister Manold 171 Marie von Oignies 289 Martin von Tours 46, 53 Matthäus von Narni 237, 275 Mohammed 196 Mohammed-ben-Nasser 189 f. Morikus Parvus 109, 113 Offreduccio, Agnes 142 Offreduccio, Beatrice 142 Offreduccio, Klara 24, 28, 59, 67, 75, 91, 119 f., 132–143, 254–256, 259, 292 Offreduccio, Ortulana 59, 133 Otho 187 f. Otto IV. 117 f., 122, 205 f. Päpste: Alexander III. 209, 213 Alexander IV. 140 f. Gregor IX. / Hugo von Ostia / Hugolin 14–16, 18, 232, 236–241, 276 f., 294, 298, 301 Gregor VII. 202 Honorius III. 200 f., 231, 233, 236, 277 f. Innozenz III. 13, 21, 28, 68, 82, 110, 122, 124, 126–128, 130, 143, 176, 199–206, 210, 213, 218, 220, 230, 232 f., 242, 273, 275 Innozenz IV. 138 Lucius III. 209 Urban II. 191 Paulus 26, 37, 48, 59, 120, 133, 158, 186, 209, 216, 249, 251, 290 f. Pelagius 193 f., 199 Peter II. 206 Petrus Abaelard 135 f. Petrus Cathanii 103 f., 106, 113–115, 134, 160, 164, 188, 276 f.

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Petrus Lombardus 218 Petrus, Apostel 59, 201, 208, 278 Philipp von Schwaben 205 Philippus Longus 109, 135 Pietro, Priester 64 Pietro Zalfani 231 Rainer von Viterbo 274 Rizzerius 171 Roger aus Potenza 284 f. Roger II. 204 Roger von Wendover 13, 179, 283 Rufin 17, 135, 283 f., 286 Sabatinus 109, 113 Silvester 90, 110 f., 118, 244 Stefan von Bourbon 211 f., 215 Thomas von Aquin 223 Thomas von Celano 14–16, 18, 21, 23, 27, 29, 33–38, 40–44, 46 f., 49–52, 55–58, 61, 63 f., 66–71, 73, 75–80, 83–87, 90, 95 f., 98, 100 f., 103–112, 114–116, 118, 121, 123–125, 127–136, 138, 140 f., 145–148, 151, 155, 157– 161, 163–166, 168–176, 178–181, 186–190, 192, 195, 210, 229 f., 236, 238–240, 247, 253, 255–257, 260, 262, 276 f., 280–286, 288, 290–292, 295 f., 298 Thomas von Eccleston 15, 206, 274, 286 Thomas von Split 155 f., 162 f. Vitalis 190 Waldes 208 f., 213 f. Walter von Brienne 46 Wilhelm von Ockham 161