Fotoreporter im Konflikt: Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina 9783839436943

A comparative communicative study of the photojournalistic actions of international, Israeli, and Palestinian photojourn

383 94 20MB

German Pages 458 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Forschungsstand
3. Theorie
4. Das Fallbeispiel Nahostkonflikt
5. Methodik
6. Der Journalismuskontext (Empirie I)
7. Der Konfliktkontext (Empirie II)
8. Eine Typologie fotojournalistischer Akteure
9. Fazit und Ausblick
Literatur
Danksagung
Anhang
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Fotoreporter im Konflikt: Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina
 9783839436943

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Felix Koltermann Fotoreporter im Konflikt

Kultur und soziale Praxis

Felix Koltermann, geb. 1979, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Stiftung Universität Hildesheim. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fotojournalismus, visuelle Medienkompetenz, das Fotobuch im Zeitungsdruck und globale fotografische Kulturen.

Felix Koltermann

Fotoreporter im Konflikt Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina

Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich um eine an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt angenommene Dissertation.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3694-9 PDF-ISBN 978-3-8394-3694-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]



Inhalt

1. Einleitung | 9  2. Forschungsstand | 21  3. Theorie | 45 

3.1 Der Journalismuskontext | 46 3.1.1 Fotojournalismus als Journalismus | 47 3.1.2 Der fotografische Akt | 51 3.1.3 Darstellungsformen im Fotojournalismus | 53 3.1.4 Sozialisation und Rollenverständnis im Fotojournalismus | 58 3.1.5 Das Institutionengefüge des Fotojournalismus | 64 3.1.6 Routinen und Auswahlprozesse im Fotojournalismus | 71 3.1.7 Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen | 77 3.1.8 Ethik im Fotojournalismus | 80 3.1.9 Aktuelle Tendenzen im Fotojournalismus | 86 3.1.10 Zwischenfazit zum Journalismuskontext | 91



3.2 Der Konfliktkontext | 93 3.2.1 Definitionen und Analyseebenen von Konflikten | 94 3.2.2 Gewalt in sozialen Konflikten | 96 3.2.3 Macht und Herrschaft in sozialen Konflikten | 98 3.2.4 Konfliktnarrative als Legitimationsmuster | 99 3.2.5 Psychosoziale Folgen von Konflikten | 102 3.2.6 Zwischenfazit zum Konfliktkontext | 103 3.3 Fotojournalismus in Konflikten | 105 3.3.1 Auslandsjournalismus | 105 3.3.2 Konfliktjournalismus | 108 3.3.3 Psychoziale Folgen | 114 3.3.4 Zwischenfazit zum Fotojournalismus in Konflikten | 115 3.4 Ein Akteursmodell des fotojournalistischen Handelns im Konflikt | 116



 4. Das Fallbeispiel Nahostkonflikt | 123

 4.1 Die politischen Rahmenbedingungen des Nahostkonflikts | 124 4.1.1 Herrschaftsformen im israelisch-palästinensischen Territorium | 125 4.1.2 Politische Subjekte in der Region | 128 4.1.3 Gewaltformen des Besatzungsregimes | 132 4.1.4 Vom Kolonialprinzip zum Separationsprinzip | 133 4.1.5 Die Fragmentierung des geografischen Raums | 136 4.1.6 Narrative im Israelisch-Palästinensischen Konflikt | 141 4.1.7 Zwischenfazit zum Nahostkonflikt | 144



4.2 Der fotojournalistische Produktionsstandort Israel/Palästina | 145 4.2.1 Das Nachrichtenzentrum Israel/Palästina | 145 4.2.2 Die Geschichte der Fotografie in der Region | 148 4.2.3 Die Beschaffenheit des lokalen Medienmarkts | 151 4.2.4 Journalistische Interessenvertretung in der Region | 153 4.2.5 Das Government Press Office und Presseausweise | 155 4.2.6 Infrastruktur und Geografie der Berichterstattungsregion | 156 4.2.7 Die Region in Rankings zur Pressefreiheit | 158 4.2.8 Zwischenfazit zum Produktionsstandort Israel/Palästina | 159



5. Methodik | 161 

5.1 Qualitative Interviewforschung | 161 5.2 Fallauswahl und Samplekriterien | 165 5.3 Zugang zum Feld und Interviewsetting | 168 5.4 Forschung in interkulturellen und konflikthaltigen Kontexten | 170 5.5 Schwierigkeiten im Forschungsprozess | 173 5.6 Datenerfassung und qualitative Inhaltsanalyse | 174 5.7 Sample und Beschreibung des Datensatzes | 176



6. Der Journalismuskontext (Empirie I) | 183

 6.1 Die berufliche Sozialisation der Fotoreporter | 184 6.1.1 Die Arbeitsmotivationen der Fotoreporter | 184 6.1.2 Ausbildung und Berufswege der Fotoreporter | 189 6.1.3 Das Rollenverständnis der Fotoreporter | 205



6.2 Allgemeine fotojournalistische Routinen | 211 6.2.1 Die Arbeitsroutinen der Nachrichtenfotografen | 211 6.2.2 Die Arbeitsroutinen der Dokumentarfotografen | 231



 6.3 Zwischenfazit zum Journalismuskontext | 260 6.3.1 Die berufliche Sozialisation der Fotoreporter | 260 6.3.2 Fotojournalistische Routinen | 263



7. Der Konfliktkontext (Empirie II) | 271

 7.1 Arbeitsroutinen im Konflikt | 271 7.1.1 Die Bedeutung des Konflikts für die Arbeit der Fotoreporter | 272 7.1.2 Der Einfluss des Konflikts auf den Alltag der Fotoreporter | 277 7.1.3 Kooperationen mit den Konfliktparteien | 285 7.1.4Der Umgang mit mediatisierten und inszenierten Ereignissen | 291 7.1.5 Das kollegiale Verhältnis der Fotoreporter | 301 7.1.6 Der Umgang mit Herkunft, Sprache und Geschlecht im Feld | 305



7.2 Pressefreiheit und Probleme bei der Berichterstattung | 316 7.2.1 Die Bewegungsfreiheit | 316 7.2.2 Die Situation in Israel | 321 7.2.3 Die Situation in der Westbank und in Ost-Jerusalem | 326 7.2.4 Die Situation im Gazastreifen | 330 7.2.5 Die Beurteilung der Situation durch die Fotoreporter | 333 7.2.6 Schutzmaßnahmen der Fotoreporter | 337



7.3 Fotojournalistische Ethik in der Praxis | 340 7.3.1 Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten | 340 7.3.2 Das Verhältnis von Fotograf und Fotografiertem | 344 7.3.3 Helfen oder nicht Helfen: Die Frage nach der Arbeitsrolle | 347 7.3.4 Der Umgang mit Opfern im Bild | 348 7.3.5 Der Umgang mit Inszenierungen und Manipulationen | 351



7.4 Die Konfliktnarrative der Fotoreporter | 354 7.4.1 Die Konfliktnarrative der israelischen Fotoreporter | 354 7.4.2 Die Konfliktnarrative der palästinensischen Fotoreporter | 363 7.4.3 Die Konfliktnarrative der internationalen Fotoreporter | 367 7.4.4 Das gesellschaftliche Klima der Berichterstattung | 373



7.5 Die psychosozialen Folgen der Arbeit im Konflikt | 377 7.5.1 Die Rolle der Kamera | 377 7.5.2 Die emotionale Involviertheit der Fotoreporter | 379 7.5.3 Die psychosozialen Folgen der Arbeit | 381 7.5.4 Copingstrategien der Fotoreporter | 384





 7.6 Zwischenfazit zum Konfliktkontext | 387 7.6.1 Arbeitsroutinen im Konflikt | 387 7.6.2 Die Pressefreiheit der Fotoreporter | 390 7.6.3 Die fotojournalistische Ethik in Konflikten | 396 7.6.4 Die Konfliktnarrative der Fotoreporter | 397 7.6.5 Die psychosozialen Folgen der Arbeit in Konflikten | 399



8. Eine Typologie fotojournalistischer Akteure | 403  9. Fazit und Ausblick | 415  Literatur | 427  Danksagung | 447  Anhang | 449

 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen | 449 Abkürzungsverzeichnis | 450 Verzeichnis der Forschungsinterviews | 451 Interviewleitfaden | 454





1. Einleitung Every day, photographers around the globe capture images of events. Many of the photographs document local events for local audiences, but some photographs find their way into the international news stream. For viewers, photographs of international events provide an awareness of events that occur outside their own country and culture. These visual representations help to shape the attitudes and opinions viewers hold about the people who are involved with or affected by the depicted events. GREENWOOD/SMITH

1

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist einer der weltweit am längsten schwelenden Konflikte. Er stellt ein hochkomplexes soziales System dar, in dem viele verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Motiven agieren. Die Besonderheiten des Konflikts sind dabei sowohl seine lange Dauer als auch die manifesten Herrschaftsstrukturen, die sich in ihm ausgebildet haben. Neben den primären Konfliktparteien gibt es Akteure, die sich erst aufgrund der Existenz und der gewalttätigen Ausprägung des Konflikts mit diesem beschäftigen und ihn zum zentralen Gegenstand ihres Handelns machen. Dazu gehören lokale wie internationale Fotoreporter2,

 1

Greenwood, Keith/Smith, C. Zoe (2007): How the world looks to us – International news in award winning photographs from the Picture of the Year, 1943 – 2003, in: Journalism Practice 1 (1), S. 82.

2

Aufgrund der vereinfachten Lesbarkeit hat sich der Autor dafür entschieden, durchgehend die männliche grammatikalische Form zu benutzen. Wenn nicht anders konnotiert, ist damit immer ein übergeschlechtlicher Rahmen gemeint.



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die in großer Zahl am Produktionsstandort Israel/Palästina3 arbeiten. Sie produzieren dort tagtäglich das Rohmaterial für die internationale Bildberichterstattung über den Konflikt und fungieren als „Augenzeugen“ und „Chronisten“ für die Weltpresse. Aufgrund der Konstitution des Nahen Ostens als Nachrichtenzentrum hat sich an diesem Standort ein eigenes auf den Konflikt bezogenes System fotojournalistischer Produktion entwickelt. Dort tätige Fotoreporter gehören als Kommunikatoren zu den wichtigsten journalistischen Akteuren der Region. Die geringe geografische Ausdehnung und die überschaubare Struktur des Produktionsstandortes Israel/Palästina erleichtern den Blick auf die Akteure und die Produzentenseite. Dies bietet eine hervorragende Möglichkeit, dort das Berufsfeld und die Routinen in der Auslands- und Konfliktberichterstattung zu untersuchen. Ein weiterer Vorteil der Region als Ausgangspunkt der Forschung ist, dass das Konfliktsystem sehr gut und breit wissenschaftlich untersucht worden ist. Hier bieten sich Anschlussmöglichkeiten für eine Diskussion der Rolle des Journalismus im Konflikt. Damit wird es möglich, die Beziehung von Fotojournalismus und Konflikt offenzulegen und der Frage nachzugehen, wie beide miteinander interagieren und wie die jeweiligen Strukturen sich einander anpassen. Fotoreporter, die in Israel und den palästinensischen Gebieten arbeiten, können dabei als fotografische Auslandskorrespondenten betrachtet werden. Fotoreporter sind die ersten in einem komplexen Prozess der Bedeutungskonstruktion von Bildern und haben zum Teil entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Krisen und Kriegen. Der Produktionsprozess, in dem sie fotojournalistisch handeln, ist als ein eigenständiges Phänomen zu betrachten, das anderen Gesetzmäßigkeiten folgt als die Prozesse der Distribution, Redaktion, Publikation und Rezeption. Kaum etwas ist über die Produzenten der Bilder, die Fotoreporter aus dem In- und Ausland, und ihr Auftreten im Konflikt bekannt. Nur selten wird der Mensch, der den Auslöser betätigt und journalistisch im Konflikt handelt, hinter den Bildern sichtbar. In Form einer Kommunikatorstudie verfolgt diese Arbeit das Ziel, das journalistische Handeln der Fotoreporter am Produktionsstandort Israel/Palästina offenzulegen und die Besonderheiten der fotojournalistischen Arbeit im Konfliktkontext aufzuzeigen. Dabei sollen zum einen die allgemeinen fotojournalistischen Routinen der Fotoreporter, zum anderen ihr Umgang mit den Macht- und Herrschaftsstrukturen des Konflikts untersucht werden, um davon ausgehend ihre Handlungsspielräume bestimmen zu können. Dies soll mit Hilfe eines Vergleichs internationaler, israelischer sowie palästinensischer Fotoreporter umgesetzt werden.

 3

Der Begriff Palästina wird hier synonym für die besetzten palästinensischen Gebiete benutzt. Offiziell existiert bis heute kein Staat Palästina.



E INLEITUNG | 11

Problemhintergrund Das Verständnis des Fotojournalismus, vor allem in seiner Ausprägung als Pressefotografie, ist bis heute stark geprägt vom Blick auf das Einzelbild. Auch wenn diese Perspektive durchaus relevant ist, hat sie für das Verständnis des fotojournalistischen Produktionskontextes und die Analyse des Handelns der Fotoreporter nur eine eingeschränkte Relevanz. Hinter dem Blick auf das Einzelbild verbirgt sich die vom Tageszeitungskonsum geprägte Rezipientensicht auf die Bildberichterstattung sowie eine verkürzte Übernahme von Konventionen aus der Kunstwissenschaft, die auf einzelne Werke und deren Ikonografie schaut. Der Fotojournalismus funktioniert dagegen anders: Waren es in Zeiten des Films die 36 Bilder einer Filmrolle, die den Rahmen absteckten und eine erste Narration boten, so sind es heute die Speichergröße des Chips und die Vorschaubilder auf dem Monitor der Kamera, die den Rahmen vorgeben. Fotojournalismus ist zu weiten Teilen ein narratives Genre. Einzelbilder sind dabei vor allem für die klassische Pressefotografie interessant. Auch wenn sie den zentralen Orientierungshorizont der Nachrichtenfotografie darstellen, können Einzelbilder in Form von Bildnachrichten nicht als repräsentativ dafür gelten, was den Fotojournalismus als Profession ausmacht. Deshalb ist es aus einer theoretischen Perspektive wichtig, das Bild von den in den Prozess der Bildkommunikation involvierten Akteuren zu trennen. Nur so ist es möglich, den Fotoreporter als Kommunikator zu untersuchen. Der Fotojournalismus, zu dem die Konflikt- und Kriegsfotografie zählt, ist ein komplexes Phänomen, da er sowohl im Journalismus als auch in der Fotografie verortet ist. Dies zeigt sich an der Notwendigkeit, sowohl Kenntnisse journalistischer Arbeitsprinzipien als auch des fotografischen Handwerks zu haben. Grundsätzlich lässt sich der Fotojournalismus in der Abgrenzung von anderen Disziplinen konzeptionalisieren. Dies kann anhand der Textproduktion als zentralen Bestandteils massenmedialer Berichterstattung geschehen. Die Unterschiede werden anhand der Arbeit im Feld deutlich: „Photojournalists spend more time ‚in the streets‘ than word journalists. They are more accustumed to creating relationships with people of all socioeconomic levels because they cannot do their reporting by phone or over the internet.” (Langton 2009: 241) Das Besondere des Fotojournalismus sind das Vor-Ort-Sein und die Unmittelbarkeit der Begegnung. Die daraus entstehenden Bilder haben die Funktion von Dokumenten, die auf Zustände und Geschehnisse in der Realität verweisen und bis zu einem gewissen Grad für sich selbst stehen können. Zentral ist dabei, dass „ein verpasstes Motiv [...] nicht nachgeholt werden“ kann (Segbers 2007: 67). Der fotografische Prozess ist somit als eine soziale Praxis zu betrachten, die nicht von gesellschaftlichen Strukturen und diesen immanenten Macht- und Herrschaftsstrukturen zu trennen ist. Bisher wurde die Auseinandersetzung, wie die Beziehung zwischen Fotograf und Fotografierten aussieht, vor allem über die Bilder geführt. Die vorliegende Arbeit wechselt die Perspektive und wen-

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det sich dem Fotografen und seiner Verortung im Journalismus- und Konfliktkontext aus Sicht der fotojournalistischen Praxis zu. Grundsätzlich ist im Fotojournalismus im Allgemeinen und in der fotojournalistischen Krisen- und Kriegsberichterstattung im Besonderen zwischen drei Bereichen zu unterscheiden, die unterschiedlichen Parametern folgen und mit unterschiedlichen Methoden zu untersuchen sind. Zum einen ist als Ausgangspunkt die fotojournalistische Produktion zu nennen, die von Fotoreportern in verschiedenen Berufsrollen ausgeübt werden kann. Kennzeichnend für diese Phase ist die Anwesenheit des Fotoreporters in einer Konfliktregion – im Fall dieser Arbeit am Produktionsstandort Israel/Palästina – und seine Interaktion mit anderen Konfliktakteuren: Diese soziale Interaktion ist konstitutiv für den fotografischen Akt. Davon abzugrenzen ist der Prozess der Bilddistribution und Bildredaktion, der zumeist außerhalb der Konfliktregion stattfindet und in dem die Fotografie als fotojournalistisches Produkt stärker einen Warencharakter annimmt. In dieser Phase finden die Verarbeitung des Rohmaterials und die Kontextualisierung in einem Medienprodukt statt. Damit wird auch eine bestimmte Lesart vorgegeben. Kennzeichnend für diesen Prozess ist, dass die Bildredaktion Zugriff auf eine Vielzahl verschiedener Quellen hat, aus denen sie ein Bild zur Publikation auswählt. Ergebnis ist ein Medienbild in Form einer Pressefotografie (Grittmann 2007: 263). Schließlich ist der Komplex der Bildberichterstattung zu nennen, der eng mit der Rezeption verbunden ist. Die Bildberichterstattung über einen Gegenstand wie den Nahostkonflikt setzt sich aus der Summe der über einen Zeitraum in verschiedenen Medien veröffentlichten Fotografien zusammen. Prägend für das israelisch-palästinensische Territorium und die Akteure in der Region ist der israelisch-palästinensische Konflikt. Die Region befindet sich in einem dauerhaften Konfliktzustand, der sich im ungelösten Territorialstreit sowie der Besatzung der palästinensischen Gebiete zeigt. Er dominiert seit Jahrzehnten sowohl das Leben vor Ort als auch die internationale Medienagenda und sorgt für einen wichtigen Platz der Region in der internationalen Nachrichtengeografie. Die Konflikthaftigkeit der Region einer der wichtigsten Gründe für die Anwesenheit der internationalen Medien. Der Konflikt hat eine sehr vielseitige Geschichte und nimmt sowohl aufgrund seiner langen Dauer als auch wegen der spezifischen, gewalthaltigen Ausprägung vor Ort einen zentralen Stellenwert in der internationalen Politik ein. Zahlreiche Versuche, in den letzten Jahrzehnten einen nachhaltigen Friedensprozess einzuleiten, sind gescheitert. In der seit 1967 andauernden Besatzung manifestiert sich exemplarisch die Asymmetrie zwischen den Konfliktparteien. Während die jüdisch-zionistische Nationalbewegung mit der Gründung des Staates Israels ihren Traum einer nationalen Heimstatt verwirklichen konnte, arbeitet die palästinensisch-arabische Nationalbewegung weiter an der Verwirklichung dieses Zieles.



E INLEITUNG | 13

Bei jeder neuen Eskalationsphase des Konfliktes, seien es die Kriege bzw. Militäroperationen 2008/2009, 2012 oder 2014, flammt die Diskussion um die Rolle von Bildern im Konflikt neu auf. Von den Konsumenten wird die Bildberichterstattung über den Konflikt dabei als sehr polarisiert wahrgenommen. Ein Teil davon ist die Wahrnehmung, dass der Konflikt nicht „real“ vor Ort im Leben der Menschen, sondern ausschließlich auf der Ebene der Repräsentation stattfindet. Dies ist oft verbunden mit Manipulationsvorwürfen, die vor allem an die professionellen Fotoreporter und die Agenturen gerichtet werden, wie z.B. an Paul Hansen, den Gewinner des World Press Photo Award 2013. Diese Vorwürfe sind Teil eines Kampfes um die Deutungshoheit über den Konflikt und seine Narrative. Einige sprechen in diesem Zusammenhang auch vom „Bilderkrieg“ oder vom „Social Media War“4. Immer wieder bezichtigen Pressesprecher der „Israel Defense Forces“ (IDF) Zivilisten in Gaza, sich nach Aufforderung der Hamas als menschliche Schutzschilde in Häusern aufzuhalten, damit medienwirksame Opferbilder entstehen, die Israel als den Aggressor entlarven. Umgekehrt wirft die Hamas regelmäßig Israel vor, absichtlich Kinder und Familien zu töten. Umso wichtiger ist die Frage, wie die Bilder entstehen, die weltweit über den Konflikt publiziert werden und welche Akteure in diesen Prozess involviert sind. Zentral ist, die Bedingungen am Produktionsstandort Israel/Palästina von den Strukturen der Distribution und den Mediensystemen in den Ländern, in welchen die Bilder gekauft und publiziert werden, zu unterscheiden. In der Region tätige Fotoreporter bearbeiten mit Hilfe des Mediums Fotografie Ereignisse und Themen, über die sie dem internationalen Markt Bilder zur Verfügung stellen. Die Kunden weben die gekauften Bilder dann in ihre medialen Publikationsprodukte ein und geben eine bestimmte Bedeutungskonstruktion vor. Als Zwischenhändler fungieren Agenturen, die versuchen, ein relativ breites Portfolio an Themen zu vermarkten, aus denen sich die Veröffentlichungsmedien das für sie Relevante heraussuchen. Die Konkurrenzsituation am Produktionsstandort und die unterschiedlichen Segmente des Bildermarktes, die bedient werden wollen, haben eine starke Aufgliederung des Angebots zur Folge. Agenturen oder freie Fotografen versuchen, bestimmte Marktsegmente abzudecken und Nischen aufzutun. Das in der Region produzierte Angebot reicht von tagesaktuellen Nachrichtenbildern über features und Fotoreportagen bis hin zu langfristig angelegten konzeptionellen Arbeiten. Eine wichtige Funktion in der Region haben die lokalen und internationalen Angestellten der internationalen Agenturen, die tagesaktuelles Material für den Bildpool ihrer Arbeitgeber produzieren. Darüber hinaus gibt es lokale Dokumentar-

 4

Vgl. Momigliano, Anna (2012): Israel’s social media campaign: The first war lost on Twitter? http://972mag.com/israels-social-media-campaign-the-first-war-lost-on-twitter/ 60251/ (Letzter Zugriff 1.2.2015).



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fotografen wie beispielsweise Eddie Gerald, der von der deutschen Agentur „laif“ vertreten wird und der für seine als Reportagen veröffentlichten Projekte unter anderem mit dem „Leica-Oskar-Barnack-Preis“ ausgezeichnet wurde. Andere Fotografen wie der als Dokumentarfotograf sozialisierte Miki Kratsman realisieren dagegen heute fast ausschließlich politisch-konzeptionelle Fotoprojekte für Ausstellungen. Nahe dran am politischen Konflikt und den sozialen Bewegungen in der Region sind dagegen die jungen Fotografen des Kollektivs „Activestills“. Selbst internationale Fotopreise werden auf den Konflikt und seine fotografische Dokumentation zugeschnitten, wie etwa im Jahr 2009 der Preis der Carmignac Gestion aus Frankreich.5 Aber auch die Fotoworkshops der lokalen NGO „Edutmekomit“ mit israelischen und palästinensischen Fotoreportern sind ein wichtiger Teil der Fotoszene in der Region. So ist die Existenz unterschiedlicher, sich zum Teil gegenseitig befruchtender fotojournalistischer Ansätze kennzeichnend für den Produktionsstandort Israel/Palästina und soll hier vertiefend untersucht werden. Problematisch an der Art und Weise, wie viele Studien zum Thema den Journalismus in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten betrachten, ist die Separierung der Regionen. Auch bei Indizes für die Pressefreiheit ist dies auffällig (vgl RWB 2012; FH 2012). Außer Acht gelassen wird dabei die enge Verzahnung der beiden Gebiete. Diese Arbeit folgt einer anderen Denkrichtung, die vor allem von den israelischen Theoretikern Ariella Azoulay und Adi Ophir angestoßen wurde. Aufgrund des von ihnen konstatierten Übergangs des temporären Besatzungsstatus der Westbank und des Gazastreifens in ein auf Dauer angelegtes Herrschaftssystem sprechen sie vom Occupation Regime (Besatzungsregime) (vgl. Azoulay/Ophir 2013: 11).6 Damit wird es möglich, Israel und die palästinensischen Gebiete nicht nur als eine geografische, sondern auch eine politische Einheit zu betrachten. Institutionen des israelischen Staates sind die zentralen Organe der Besatzungspolitik und aufs Engste mit Regierung und Militär verbunden. Diese enge Verzahnung der Regionen zeigt sich auch in der institutionellen Praxis des Journalismus. Auslandskorrespondenten in Israel sind ebenfalls für die palästinensischen Gebiete zuständig, da es keine eigenen Auslandskorrespondenten für die besetzten palästinensischen Gebieten gibt. Die individuellen und institutionellen Akteure verhalten sich so, als ob es sich um einen geografischen und politischen Raum handeln würde.

 5

Vgl. http://www.fondation-carmignac.com/fr/prix-du-photojournalisme/les-prix/1ere-edi

6

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der auf Deutsch übersetzte Begriff Besatzungsre-

tion/ (letzter Zugriff 1.2.2015). gime verwendet.



E INLEITUNG | 15

Eine Verortung des Forschungsansatzes innerhalb der Disziplinen Die vorliegende Arbeit ist ein an der Schnittstelle der Kommunikationswissenschaft und der Friedens- und Konfliktforschung angesiedeltes interdisziplinäres Forschungsvorhaben. Dies impliziert nicht nur zwei unterschiedliche Fächertraditionen, sondern auch unterschiedliche thematische Ausrichtungen. Die einzelnen Disziplinen erfüllen dabei unterschiedliche Funktionen. Die Kommunikationswissenschaft gibt den makrotheoretischen Rahmen vor, der in der Handlungsorientierung auf den Fotoreporter als sozialen Akteur sowie der Bestimmung von Einflüssen auf Mikro, Meso- und Makro-Ebene besteht. Damit wird der Journalismuskontext beschrieben. Die Friedens- und Konfliktforschung bietet hingegen das analytische Handwerkszeug, um den Konfliktkontext und seine Folgen auf das journalistische Handeln der Fotoreporter zu analysieren. Sowohl die Kommunikationswissenschaft als auch die Friedens- und Konfliktforschung sind primär sozialwissenschaftliche Disziplinen. Für die Kommunikationswissenschaft bedeutet die Verfasstheit als sozialwissenschaftliche Disziplin eine Abgrenzung von der Medienwissenschaft, die sich eher als Geistes- und Kulturwissenschaft versteht und die Geschichte und Ästhetik von Einzelwerken erforscht. Da die vorliegende Arbeit nicht die Fotografie als Produkt, sondern die sozialen Prozesse und das Handeln der Fotoreporter erforscht, ist eine disziplinäre Verortung in der Kommunikationswissenschaft nur konsequent. Generell geht es in der Kommunikationswissenschaft um die Erforschung von Kommunikationsverhältnissen in der Gesellschaft sowie den Prozess- und Vernetzungscharakter der (Massen-) Kommunikation. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Prozessen der öffentlichen Kommunikation. Als Teildisziplin der Kommunikationswissenschaft ist die Kommunikatorforschung, in deren Tradition die vorliegende Arbeit steht, an der Erforschung des Kommunikators als sozialer Akteur interessiert. Im Sinne „wissenschaftlicher Arbeitsteilung“ hat es sich bewährt, „das System Journalismus von der Produzentenseite her zu betrachten und über Handlungen der Kommunikatoren empirischer Forschung zugänglich zu machen“ (Schmidt/ Weischenberg 1994: 430). Die Kommunikatorforschung zeichnet sich durch ihr Interesse an der Entstehung von Medienaussagen aus. Ihr Ziel ist „deskriptiv festzuhalten, welche Faktoren die publizistische Aussagenentstehung bestimmen“ (Wyss 2001: 184). Besonders fruchtbar für diese Arbeit sind dabei Ansätze der Kommunikatorforschung, die sich mit der Erforschung des journalistischen Berufsfelds beschäftigen und Motivationen und Routinen der journalistischen Kommunikatoren sowie deren Verankerung in journalistischen Organisationen untersuchen (z.B. Scholl/Weischenberg 2008). Aufgabe der Konfliktforschung in dieser Arbeit ist es, einen Rahmen für eine systematische macht- und herrschaftskritische Konfliktanalyse herzustellen. Grundlegend für die Friedens- und Konfliktforschung ist die Orientierung an den Begrif-



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fen Frieden und Konflikt (Imbusch/Zoll 2005). Dabei geht es zum einen um eine Untersuchung von Ursachen, Verläufen und Bearbeitungsmöglichkeiten von Konflikten, zum anderen um die Frage nach Formen des Friedens und Friedensursachen. Mit dem über die konfliktwissenschaftlichen Grundlagen generierten Verständnis von Konflikten im Allgemeinen und bezogen auf diese Arbeit des Nahostkonflikts im Besonderen ist es möglich, das fotojournalistische Handeln im Konflikt besser zu verstehen und eine Beziehung zwischen dem Konflikt und dem Fotojournalismus herstellen zu können. Mit der Verbindung einer kommunikationswissenschaftlichen und einer Konfliktforschungsperspektive für die qualitative Analyse des fotojournalistischen Handelns in Konflikten betritt diese Arbeit wissenschaftliches Neuland und ermöglicht, das Berufsfeld des Fotojournalismus im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikt umfassend in den Blick zu nehmen. Theoretischer Rahmen Die theoretischen Implikationen des zuvor geschilderten interdisziplinären Forschungsansatzes liegen in einer Betrachtung des Fotoreporters als Kommunikator, der in Konflikten journalistisch handelt. Kommunikatoren sind diejenigen sozialen Akteure, die Aussagen für die öffentliche Kommunikation auswählen (vgl. Beck 2007: 171). Sie können sowohl individuelle als auch kollektive Akteure sein, die sich hinsichtlich verschiedener Berufs- und Tätigkeitsbereiche, wie z. B. Redakteure, Archivare, Gestalter oder Fotoreporter, unterscheiden. Kommunikatoren können darüber hinaus verschiedene Stellungen im Kommunikationsprozess einnehmen. Fotoreporter als Kommunikatoren stehen am Beginn eines komplexen Prozesses der Bildproduktion und handeln journalistisch indem sie visuelle Aussagen in Form von Bildnachrichten bzw. Fotoreportagen generieren, die in den Massenmedien verarbeitet werden. Die Kommunikatoren, um die es in dieser Arbeit geht, sind lokale und internationale Fotoreporter, die in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten tägig sind. Der Fotojournalismus ist dabei als ein Subsystem des Journalismus zu betrachten (Grittmann 2007). Im Journalismus wird in diesem Zusammenhang zwischen Nachrichten- und Dokumentarfotografie unterschieden. In dieser Arbeit geht es darüber hinaus um fotografischen Konfliktjournalismus als Auslandsjournalismus. Als Kommunikatoren produzieren Fotoreporter im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts das Primärmaterial für die visuelle Konfliktberichterstattung über die Region. Da sie ihre Bilder dem internationalen Markt zur Verfügung stellen, wird die Definition von Auslandsjournalismus erfüllt, nach der Informationen Grenzen überschreiten (Hafez 2002). Um Konfliktjournalismus handelt es sich, da die Region vom israelisch-palästinensischen Konflikt und dem Besatzungsregime geprägt ist und beide zentrale Berichterstattungsgegenstände darstellen. Die Unterschiede zwischen den lokalen und internationalen im Fotojournalismus tätigen Auslandkorrespondenten können mit einer von Hamilton/

E INLEITUNG | 17

Jenner (2004) entwickelten Typologie von Auslandskorrespondenten beschrieben werden. So sind in der Region traditional foreign correspondents, parachute correspondents sowie foreign foreign corresondents aktiv. Das Handeln der Fotoreporter als Kommunikatoren im Konflikt ist im Spannungsfeld zwischen organisatorischen Zwängen und individuellen Handlungsspielräumen zu untersuchen (Hanitzsch 2007). Einflüsse können dabei sowohl auf der Mikro-, der Meso- als auch der Makro-Ebene untersucht und beschrieben werden. Davon ausgehend können ihre Handlungsspielräume bestimmt werden. Die Einflüsse auf das fotojournalistische Handeln werden somit aus zwei Perspektiven betrachtet. Ausgehend von einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive geht es um das Handeln des Fotoreporters als Kommunikator innerhalb journalistischer Institutionen. In der konfliktwissenschaftlichen Perspektive geht es um das Handeln des Fotoreporters als sozialer Akteur innerhalb des Konfliktes. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie die Strukturen des Konflikts die Routinen der Fotoreporter beeinflussen. Wie andere Akteure auch sind die Kommunikatoren von den gesellschaftlichen Konfliktnarrativen beeinflusst und müssen sich zu diesen verhalten. Durch eine konzeptionelle Zuordnung der Einflüsse zum Journalismus- bzw. Konfliktkontext werden die Unterschiede fassbar gemacht. Um beide Kontexte voneinander abgrenzen zu können wird zwischen endogenen und exogenen Faktoren des Journalismus unterschieden (Pürer 2003). Zusammenfassend ermöglicht dies eine Akteursbestimmung und -beschreibung des Fotoreporters in zwei Bereichen: 1.

2.

Der Fotoreporter als journalistischer Kommunikator, der innerhalb des Systems Journalismus visuelle Aussagen für die Medien bereitstellt (Journalismuskontext). Der Fotoreporter als sozialer Akteur, der innerhalb eines Konfliktkontexts journalistisch handelt und zu diesem in einem wechselseitigen Beziehungsverhältnis steht (Konfliktkontext).

Mit dieser doppelten Perspektive können der Handlungsspielraum der Fotoreporter und Faktoren, die seine Umsetzung bestimmen, herausgearbeitet werden. Dies ermöglicht, Optimierungsstrategien für fotojournalistisches Handeln und eine Sicherung von Qualität unter Bezugnahme auf das Handeln der Akteure zu diskutieren. Fragestellung und methodisches vorgehen Aus dem hier skizzierten theoretischen Rahmen der Arbeit lassen sich erste übergeordnete Fragestellungen für die empirische Analyse ableiten:



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Was sind die kennzeichnenden Faktoren zur Beschreibung der beruflichen Sozialisation der Fotoreporter und ihrer journalistischen Routinen? (Journalismuskontext) Wie lässt sich der Fotojournalismus in der Region über die Unterscheidung von Nachrichten- und Dokumentarfotografie hinaus beschreiben? (Journalismuskontext) Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern? (Journalismus- und Konfliktkontext) Welche Faktoren bestimmen die Handlungsspielräume der Fotoreporter im Konflikt? (Journalismus- und Konfliktkontext) Wie wirken sich die Macht- und Herrschaftsstrukturen des Konflikts auf das journalistische Handeln der Fotoreporter aus? (Konfliktkontext) Was sind die psychosozialen Folgen der Arbeit im Konflikt? (Konfliktkontext)

Die zu untersuchende Gruppe besteht dabei aus internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern, die am Produktionsstandort Israel/Palästina für den internationalen Bildermarkt tätig sind. Ausgeschlossen werden damit Fotoreporter, die ausschließlich für den lokalen Markt produzieren. Unterschieden werden die Fotoreporter hinsichtlich Hamiltons und Jenners (2004) Typologie von Auslandskorrespondenten sowie ihrer Arbeitsrollen als festangestellt (Staffer), auf Tagesbasis arbeitend (Stringer) und freischaffend (Freelancer). Diese Studie stützt sich auf qualitative Leitfadeninterviews, um das Forschungsziel einer Fokussierung auf die Kommunikatoren zu erreichen und damit eine Rekonstruktion ihres Handelns zu ermöglichen. Zum einen bieten sie den Vorteil der Vergleichbarkeit einer großen Zahl von Interviews und zum anderen erlauben sie eine relativ freie Gesprächsführung (Lamnek 2005). Über die Selbstaussagen der Fotoreporter wird das fotojournalistische Handeln einer Analyse zugänglich gemacht und damit eine Rekonstruktion des Feldes der fotojournalistischen Produktion in Israel und den palästinensischen Gebieten ermöglicht. Ein Fragebogen, mit dem vor allem soziobiografische Daten aufgenommen wurden, ergänzt die Leitfadeninterviews. Darüber hinaus wurden in der Region Hintergrundgespräche mit Bildredakteuren, Wissenschaftlern und Experten geführt, um ein besseres Verständnis des Felds zu erlangen. Die Interviews wurden zum Großteil während eines Feldforschungsaufenthalts in Israel und den palästinensischen Gebieten zwischen September 2011 und April 2012 durchgeführt. Am Ende steht eine explorativ ausgerichtete Studie, die über eine dichte Feldbeschreibung und die Selbstaussagen der Kommunikatoren eine Rekonstruktion des fotojournalistischen Produktionsprozesse möglich macht.

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Struktur und Aufbau der Untersuchung Auf diese Einleitung folgt eine Herleitung des Forschungsstands (2.). Dem interdisziplinären Charakter dieses Projekts ist es geschuldet, dass hier eine große Bandbreite unterschiedlicher Ansätze und Perspektiven in Bezug auf den Fotojournalismus zur Sprache kommt, um davon ausgehend Forschungslücken offenzulegen. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf Erkenntnissen über fotojournalistische Produkte, sondern der Beschäftigung mit den Kommunikatoren. Im ersten Teil des Theoriekapitels zum Journalismuskontext (3.1) wird zunächst eine Herleitung des Fotojournalismus als Handlung vorgenommen. Dies geschieht über eine kommunikationswissenschaftliche Verortung des Fotojournalismus als Teil des Journalismus. Darüber hinaus wird der Fotojournalismus ob seiner spezifischen Ausprägung auf der Mikro-, der Meso- und der Makro-Ebene und der das fotojournalistische Handeln der Akteure prägenden Faktoren diskutiert. Im zweiten Teil des Theoriekapitels über den Konfliktkontext (3.2) werden grundlegende konfliktwissenschaftliche Begriffe und Konzepte geklärt. Davon ausgehend werden verschiedene Formen von Gewalt, Macht und Herrschaft unterschieden und der individuelle und gesellschaftliche Umgang mit Konflikten diskutiert. Dem folgt eine Bestimmung der besonderen Bedingungen des Fotojournalismus in Konflikten (3.3) unter Berücksichtigung von Konzepten des Auslands- und des Konfliktjournalismus. Die verschiedenen Ansätze des Theoriekapitels werden miteinander verknüpft und in einem Akteursmodell des fotojournalistischen Handelns im Konflikt zusammengeführt (3.4). Dies ermöglicht die weitere Untersuchung fotojournalistischer Produktionsprozesse ausgehend von der Akteursebene. Um die konkreten Fragestellungen, die im Empirieteil in Bezug auf das fotojournalistische Handeln im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts diskutiert werden, kontextualisieren zu können und konkrete Fragestellungen zu entwickeln, wird nachfolgend an das Theoriekapitels das Fallbeispiel Nahostkonflikt diskutiert (4.). Dabei geht es sowohl um eine analytische Betrachtung des Konflikts (4.1) als auch um die Beschreibung der Besonderheiten des fotojournalistischen Produktionsstandortes Israel/Palästina (4.2). Damit wird die Grundlage für ein Verständnis der im Empiriekapitel diskutierten Prozesse gelegt. Darauf folgt ein Kapitel (5.) über die Methodik und das Forschungsdesign dieser Arbeit. Hier werden die methodischen Prämissen, denen diese Arbeit als qualitatives Forschungsprojekt folgt, offengelegt. Darüber hinaus werden der konkrete Zugang zum Feld in der Untersuchungsregion und damit verbundene Schwierigkeiten diskutiert und eine Beschreibung des Sample sowie des Datensatzes vorgenommen. Im Kapitel Journalismuskontext (6.) werden zunächst die berufliche Sozialisation und die allgemeinen fotojournalistischen Routinen der Kommunikatoren untersucht. Im Vordergrund steht dabei eine detaillierte Beschreibung des fotojournalistischen Handelns. Während in Bezug auf die Sozialisation vor allem Unterschiede

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zwischen den drei Vergleichsgruppen internationaler, israelischer und palästinensischer Fotoreporter aufgearbeitet werden, trägt die Offenlegung der Routinen zu einer differenzierten Betrachtung von Nachrichten- und Dokumentarfotografie bei. Die Untersuchung der Fotoreporter als Akteure im Konflikt stellt das umfangreichste Kapitel der Arbeit dar (7.). Eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte, von der Bedeutung des Konflikts für die Arbeit der Fotoreporter über die Auswirkungen der Pressefreiheit auf ihr Handeln, die Routinen im Feld, über Fragen der Ethik und die Konfliktnarrative der einzelnen Kommunikatoren bis hin zu den psychosozialen Folgen werden hier diskutiert. Die zu Grunde liegende Leitfrage ist dabei, welche Implikationen die lokalen Macht- und Herrschaftsstrukturen für das Handeln der einzelnen Akteure sowie für das fotojournalistische Institutionengefüge in der Region haben. Im letzten Kapitel des Empirieteils (8.) werden die Erkenntnisse über den Journalismus- und Konfliktkontext zusammengeführt und für die Bildung einer Typologie fotojournalistischer Akteure genutzt, um daran unterschiedliche Handlungsspielräume der Fotoreporter aufzeigen und Faktoren die die Umsetzung bestimmen benennen zu können. Im Fazit (9.) werden die Ergebnisse der Empirie mit der Herleitung der theoretischen Grundlagen zusammengeführt und einer Diskussion zugänglich gemacht. Dies erfolgt sowohl aus einer konflikt- als auch aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive. Im Ausblick werden die Erkenntnisse im Hinblick auf die fotojournalistische Praxis betrachtet und weitere Forschungsdesiderata angerissen, die sich aus dieser Studie ergeben.



2. Forschungsstand The work of photojournalists has become subject to increased restrictions from both state and private bodies. Following recent terrorist incidents, state authorities have sought to limit and control the taking of photographs citing ‚security‘ reasons, often detaining or harassing journalists under powers granted by vague and ill-conceived legislation. 1

DAVID MCCAIRLEY

Der Forschungsstand zu dieser Arbeit ist durch den Rückgriff auf verschiedene sich kreuzende und überlappende Themenbereiche sowie Forschungstraditionen gekennzeichnet. Im Vordergrund des folgenden Kapitels steht die Frage, welches Wissen bereits über Fotoreporter als Kommunikatoren generiert wurde und welche Untersuchungsergebnisse es über die fotografische Repräsentation sowie die massenmediale Berichterstattung des Nahostkonflikts gibt. Darüber hinaus wird in angrenzenden Themenfeldern recherchiert, welche Fragestellungen sich daraus für den konkreten Forschungsstand ergeben, um darauf aufbauend einen Transfer herzustellen. So werden hier beispielsweise Erkenntnisse aus der Forschung über den Auslands- und Konfliktjournalismus vorgestellt, sofern deren Ergebnisse Aussagen beinhalten, die zum Verständnis des Themas dieser Arbeit beitragen. Fotoreporter in der Region Die Bedingungen fotografischer Arbeit in Israel und den palästinensischen Gebieten hat der Ethnologe Martin Heidelberger in seiner Studie „Bildermarkt Nahostkonflikt“ untersucht (Heidelberger 2008). Damit wird zum ersten Mal der wissen-

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McCairley, David (2009). Photojournalists – An endagered species in Europe? Brussels, European Federation of Journalists, S.5.



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schaftliche Blick auf dieses Feld gelenkt. In seiner ethnografischen Forschung beschreibt Heidelberger Produktion, Verarbeitung und Verbreitung von (Kriegs-) Bildern aus dem Nahen Osten anhand von qualitativen Interviews mit Fotoreportern vor Ort sowie Bildredakteuren in Deutschland. Heidelberger beschreibt ein journalistisches Klassensystem, in dem „der ‚ausländische‘ Bildkorrespondent oben und der palästinensische Stringer“ (ebd.: 100) unten stehen. Dominierend ist nach seiner Einschätzung die Nachrichtenfotografie der Wire, die aus der 1. Intifada übernommene Bildklischees in einer Massenproduktion bedient. Dabei beobachtet er verschiedene journalistische Milieus: „Während sich Wire-Fotografen eher als Handwerker sehen, erinnert der Habitus dieser engagierten Bildjournalisten an Künstler.“ (Ebd.: 101) Als Probleme identifiziert er den Umgang mit Gewalt auf Fotografien sowie den Druck auf die Fotojournalisten durch politisierte, vor allem proisraelische „media watchers“ (ebd.: 102). Die einzige Arbeit aus dem Bereich der israelischen Kommunikationswissenschaft, die sich mit dem Berufsfeld des Fotojournalismus in der Region beschäftigt, ist die Dissertation von Yonatan Ilan. Sie hat den fotojournalistischen Produktionsprozess bei der internationalen Nachrichtenagentur Reuters in Israel als Thema (Ilan 2012). Zu diesem Zweck begleitete Ilan 2005 und 2006 israelische ReutersFotografen bei ihren Assignments, hauptsächlich in Israel. Er legt das komplizierte Akteursgeflecht zwischen Fotograf, chief photographer2, Bildredakteur und Redakteur in der lokalen Reutersredaktion offen, das für die Absprachen und die Entscheidung über die Bearbeitung von stories und features verantwortlich ist. Dabei steht im Vordergrund der Arbeit die Vermarktung: „a ‚good‘ Reuters picture is one that is eventually published by a great number of its clients, supplying greater publicity to Reuters and increasing the chances for broadening its circle of clients in the future“ (ebd.: 156). Ilan beschreibt darüber hinaus ausführlich die Arbeit an den Picture Desks von Reuters in Singapur und London und folgt den Bildern bis in die Redaktion der englischen Tageszeitung „The Guardian“. Aufschlussreich für das Verständnis palästinensischer Journalisten und Fotoreporter ist auch die ethnographische Forschungstätigkeit von Amahl Bishara (2006). Nach ihren Erkenntnissen haben vor allem ältere palästinensische Journalisten einen Hintergrund im politischen Aktivismus. Aufschlussreich sind auch ihre Erkenntnisse über die Motivation palästinensischer Fotoreporter: „Photojournalists [...] tend to believe their work helps Palestinian society to bring ‚the truth‘ about the

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Die meisten der internationalen Nachrichtenagenturen, die eigene Bilderdienste besitzen, haben in den großen Berichterstattungsregionen, wie z. B. in Israel und den palästinensischen Gebieten, eigene chief photographer. Bei diesen handelt es sich meist um internationale Fotoreporter, die das fotografische Geschäft der Agenturen vor Ort in Zusammenarbeit mit dem Bürochef leiten.



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occupation to the world.“ (Bishara 2006: 26) Bezüglich ihres Berufszugangs schreibt sie, dass viele Fotoreporter Zugang zum Feld aufgrund ihrer „experience with photography, through studio, wedding and tourist photography“ sowie ihrer Englischkenntnisse fanden (ebd.: 27). Die Erkenntnisse von Ilan und Bishara bieten hervorragende Anknüpfungspunkte für einen Vergleich internationaler, israelischer und palästinensischer Fotoreporter, wie er mit dieser Arbeit angestrebt wird. Fotografische Repräsentation des Nahostkonflikts Dass die israelische Fotografie im Zusammenhang mit ihrer zeitgeschichtlichen Entstehung zu sehen ist, zeigen mehrere Essays, die sich mit der israelischen Fotografie beschäftigen (Nasser 2004; Perez 2000; Sela 2005; Shalom/Katz 2001; Zalmona 2005). Battia Donner kommt in einer Untersuchung fotografischer Ikonen des Zionismus zu dem Schluss, dass visuelle Dokumente „als Beleg für die Gültigkeit des entstehenden kollektiven Narrativs“ des Zionismus gelten (Zalmona 2005: 465). Rona Sela untersucht in einem Artikel die Entwicklung von der zionistischen zur kritischen Fotografie. Als Auslöser sieht sie unter anderem die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Yom-Kippur Krieg von 1973 und konstatiert: „Die Fotografie wurde im öffentlichen Raum relevant und entwickelte sich zu einem Medium, das in vielen Fällen ein gesellschaftliches Bewusstsein schuf“. (Sela 2005: 460) Insbesondere ausgehend von der fotografischen Dokumentation des Besatzungsregimes und der ersten Intifada sieht sie jedoch das Paradox, dass die fotografischen Zeugnisse auch das Potential haben, durch die Aufdeckung des Entsetzens das israelische Gewissen reinzuwaschen. So kann Fotografie entweder als ein kritischer Prozess oder als ein Akt gesehen werden, der das Verhältnis von Besatzer und Besetztem festschreibt (vgl. ebd.: 464). Die israelische Fotografietheoretikern Ariella Azoulay geht noch einen Schritt weiter und sieht die Funktion der israelischen Fotografie darin, den Habitus der Israelis als Besatzer zu rekonstruieren (vgl. Azoulay 2010: 20). Sie zeigt dies am Beispiel des Bildes vom Einzug des israelischen Verteidigungsministers Moshe Dayan in die eroberte Jerusalemer Altstadt im Jahr 1967 auf. Nach ihren Recherchen war der öffentliche israelische Diskurs in den ersten 20 Jahren der Besatzung vom Bild des gütigen Besatzers bestimmt, obwohl Fotografien existierten, die deren gewalttätige Seite und den palästinensischen Widerstand dagegen zeigten (vgl. ebd.: 4). Die intensivste theoretische Auseinandersetzung mit der fotografischen Repräsentation des Nahostkonflikts findet sich in Azoulays Büchern „The civil contract of photography“ (2008) sowie „Civil Imagination“ (2012). Bezogen auf die bildnerische Darstellung von Palästinensern in israelischen Medien kommt sie zu dem Schluss, diese sei „effetively interwoven into the body of the dominant narrative that attempts to justify the occupation“ (Azoulay 2008: 200). Dabei weist die herrschende Ikonographie den Palästinensern die Rolle des „dangerous enemy“ zu (vgl.

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ebd.: 293). Durch die Nicht-Nennung der Fotografennamen und die Anführung des scheinbar neutralen und Objektivität vorspiegelnden Namens von FotografenAgenturen verschwiegen israelische Medien des Weiteren, dass diese Bilder paradoxerweise zu großen Teilen von palästinensischen Stringern stammen (vgl. ebd.: 347). Eine weitere von ihr problematisierte Praxis bezieht sich auf das Zeigen von palästinensischen Gefangenen oder Menschen, die an Checkpoints festgehalten werden, da sich ihrer Meinung nach die Unterdrückung des Fotografierten im Moment des Ereignisses im Bild fortsetzt: „The publication of this photograph on the newspaper’s front page magnifies the ritual of humiliation he undergoes at the checkpoint“. (Ebd.: 355) Azoulay thematisiert auch die Verbindungen, welche die Fotografie mit dem geografischen Raum des Konflikts eingeht: „[...] the Occupied Territories have become an extended borderless photography studio whose reach may be extended at any given moment to more and more areas, including private homes.“ (Azoulay 2012: 244) Die von Azoulay postulierte Grenzenlosigkeit ist ein wichtiger Aspekt für die Untersuchung der Produktionsroutinen sowie die Frage nach der Bewegungsfreiheit der Fotoreporter im geografischen Raum. Die Bedeutung der israelischen Sperranlage als visuelles Stereotyp in der Bildberichterstattung nimmt der israelische Philosoph und Fotografietheoretiker Meir Wigoder als Ausgangspunkt, um sich mit der Frage zu beschäftigen, wie Fotografen mit diesem Infrastrukturprojekt umgehen sollen. Dabei weist auf er ein zentrales Paradox hin: „(N)o matter how critical we are of its construction, once we choose to photograph it, we are colluding with its construction and preservation.“ (Wigoder 2010: 293) Er verfolgt damit die These, dass mit dem fotografischen Akt auch die Festschreibung eines Zustands einhergeht. Wigoder diskutiert verschiedene künstlerische Strategien und seine eigene fotografische Arbeit im Umgang mit der Sperranlage, um zu dem Schluss zu kommen: „To photograph a wall as a protest is also to acknowledge the impotency of the photographic act.“ (Ebd.: 308) Wigoders Thesen verweisen darauf, dass Fotoreporter sich in ihrer Arbeit mit bestehenden Bildkulturen und visuellen Klischees auseinandersetzen müssen. Auch Dora Apel geht in einem Kapitel ihres Buches „War Culture and the Contest of Images“ auf künstlerische Strategien des Umgangs mit der Sperranlage ein (Apel 2012). Darüber hinaus untersucht sie die Politisierung der Landschaftsfotografie israelischer Fotografen, die sich dem zionistischen Mythos entziehen: „Photos such as those by Kratsman, Kremer, Ophir, and others make it impossible to edit out the topographical features of the land that do not fit with an Israeli imaginary or do not present the landscape in heroic or defensive terms.“ (Ebd.: 215) Die Landschaft und in ihr enthaltene Infrastrukturprojekte werden damit zu Gegenständen, die nicht nur aufs Engste mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verknüpft sind, sondern die auch ein relevantes Thema für die politische Ikonografie des Konflikts darstellen.

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Auch die Jerusalemer Kommunikationswissenschaftler Zohar Kampf und Karin Tenenboim-Weinblatt beschäftigen sich mit der Rolle der Fotografie im politischen und medialen Diskurs in Israel. Anhand des Rückzugs Israels aus dem Gazastreifen arbeitet Tenenboim-Weinblatt die Bedeutung von Fotografien für die Berichterstattung angesichts Ereignissen nationaler Tragweite heraus: „Photographs also took center-stage during the disengagement process. For at least nine days – from the first day of the disengagement to the completion of the settlements’ evacuation – the Israeli press coverage was dominated by photographs and other visual elements.“ (Tenenboim-Weinblatt 2008: 500) Unter Rückgriff auf Literatur zum Thema Trauma und Fotografie zeigt sie auf, wie die Bilder bei der medialen Konstruktion des Ereignisses als nationale Katastrophe eine zentrale Rolle spielten und wie sie gleichzeitig die Funktion hatten, das Trauma zu heilen und nationale Einheit herzustellen (vgl. ebd.: 509). Kampf (2006) untersucht die Bedeutung des sogenannten lynch picture für das israelische Konfliktnarrativ. Im Jahr 2000 wurden zwei israelische Soldaten, die aus Versehen nach Ramallah fuhren, von Palästinensern gelyncht. Das bekannteste Bild, welches weltweit Verbreitung fand, zeigt einen der Mörder mit erhobenen, blutigen Händen im Fenster des Gebäudes, in dem die Tat stattfand. Es wurde einen Tag nach der Tat auf der Titelseite der israelischen Tageszeitung „Yediot Aharonot“ gezeigt als „a depiction of problematic events that pose a threat to the Israeli Jewish ‚We‘“ (Kampf 2006: 268). Im weiteren Verlauf wurde das Bild „a visual resource employed for political purposes“ (ebd.: 273) und vor allem von rechten pro-israelischen Gruppen für antipalästinensische Kampagnen verwendet. Aus einem Bild journalistischen Ursprungs wurde durch die Rekontextualisierung ein Bild für die proisraelische Propaganda und eine zentrale Referenz für das dominante israelische Konfliktnarrativ3: „the ‚blood on their hands‘ can also be understood as an archetypical episode in an ongoing and unfinished narrative of the Israeli-Palestinian conflict.“ (Ebd.: 281) Das Blut an den Händen der Mörder wurde zum Symbol des Bluts an den Händen der Palästinenser und hatte eine Stärkung des israelischen Kollektivs in der Abwehr externer Aggression zur Folge. Das von Kampf diskutierte Bild und sein Kontextwandel sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ikonische Kriegsfotografien zu zentralen Elementen von Konfliktnarrativen werden können. Dabei ist zu beachten, dass diese Prozesse innerhalb der Medien sowie der gesellschaftlichen Rezeption stattfinden, ohne dass der Fotograf oder Produzent daran einen Anteil gehabt hätte. Bilder be-

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Dies gilt beispielsweise auch für das Bild des blutenden amerikanischen Studenten Tuvia Grossman am Tempelberg, der von der New York Times fälschlicherweise als Palästinenser betitelt wurde und in der Folge für proisraelische Gruppen zum Symbolbild für die vermutete anti-israelische Motivation ausländischer Medien wurde.



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kommen in diesen Fällen eine Eigenlogik, gesteuert von politischen Gruppierungen, die diese als Teil ihrer Bildpolitik und politischen Rhetorik nutzen. Ein Bild, das eine ähnliche Funktion im palästinensischen Konfliktnarrativ einnimmt und von propalästinensischen Gruppen bis heute verwendet wird, ist unter dem Stichwort „Mohammed Al-Dura“ bekannt (siehe dazu Paul 2008; Zelizer 2010). Dies ist der Name eines zwölfjährigen Jungen aus dem Gazastreifen, der auf dem Bild aus dem Jahr 2000 zu sehen ist, wie er beschützt von seinem Vater hinter einem Betonklotz Schutz sucht. Das Bild ist ein Still aus einem Video eines für den Fernsehsender „France 2“ arbeitenden palästinensischen Kameramanns. Es wurde weltweit auf den Titelseiten vieler Tageszeitungen gedruckt. Die öffentliche Diskussion im Fall „Mohammed Al-Dura“ drehte und dreht sich vor allem um die Frage, ob sich Vater und Sohn vor den Kugeln israelischer oder palästinensischer Bewaffneter in Sicherheit bringen und ob der Junge erschossen wurde oder nicht. Damit einher gehen unterschiedliche Interpretationen des Bildes: „Its emotional overload enabled contradictory interpretations to prevail about the photo: one side saw it as proof of the boy’s death and hence of Israels military brutality, the other as tampered image that underscored both a lack of professional integrity and image management by the Palestinians.“ (Zelizer 2010: 202)

Die Frage, was sich damals tatsächlich zugetragen hat, ist bis heute nicht geklärt und war Gegenstand verschiedener Gerichtsprozesse, ohne dass dies den Status als Bildikone in Gefahr gebracht hätte. Der Fall „Mohammed Al-Dura“ zeigt die zweifache Wirkung von Bildern auf Konfliktnarrative: Während das Bild im dominanten palästinensischen Konfliktnarrativ als Bestätigung des eigenen Leids fungiert, steht es im dominanten israelischen Konfliktnarrativ beispielhaft für die Manipulationsversuche, die der anderen Seite zugeschrieben werden. Aufschlussreich für die wissenschaftliche Analyse der visuellen Repräsentation des Nahostkonflikts und der Verwendung von Begriffen wie balance und bias zu deren Beschreibung sind die Schlüsse, die Katy Parry aus einer visuellen FramingAnalyse der Bildberichterstattung der Tageszeitungen „The Times“ sowie „The Guardian“ über den Libanonkrieg 2006 zieht (Parry 2010). Sie arbeitet heraus, dass beide Zeitungen den Fokus auf die menschlichen Kosten des Krieges legen, mit einem größeren Fokus des „Guardian“ auf den Toten (vgl. ebd.: 81). Das von ihr beobachtete Gegenüberstellen einer gleich großen Anzahl von Bildern und Interviews mit Opfern auf israelischer und libanesischer Seite – eine weit verbreitete Praxis auch in der Berichterstattung über militärische Eskalationen zwischen Israelis und Palästinensern – kommentiert sie folgendermaßen: „The implied notion of ‚balance‘ in these circumstances does not in fact reflect the scale of destruction in Lebanon but reveals editorializing decisions that serve to downplay the Israeli mili-



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tary force used against the Lebanese population.“ (Ebd.) Bezogen auf das größere Gewicht schockierender Opferbilder in „The Guardian“ folgert sie: „What looks like a bias or ‚skewed‘ coverage in The Guardian arguably indicates an attempt to inform readers of large-scale devastation in Lebanon.“ (Parry 2010 : 81) Perrys Ausführungen zeigen, wie schwierig die Verwendung der Begriffe balance und bias in einem Konflikt ist, der von einer großen Asymmetrie der Mittel sowie der Konfliktfolgen gekennzeichnet ist. Noch weiter in der Kritik am Konzept der balanced objectivity geht Amahl Bishara ausgehend von ihrer Auseinandersetzung mit den internationalen Medien und deren Korrespondenten in der Region. Sie kritisiert, dass „representing the two sides through the logic of balance obscures the difference in power between the two sides and erases the relationship between them as occupier and occupied“ (Bishara 2013: 43). Für Bishara hat der Rückgriff auf das Konzept der balanced objectivity die Funktion, Kritik an der Berichterstattung zu mildern (vgl. ebd.: 39). Eine interessante theoretische Perspektive auf die Bildpolitik des israelischen Staates wählt Mayan Amir aus dem Jahr 2014. Amir untersucht darin die Bilderpolitik rund um die sogenannte „Gaza Flotilla“, mit der internationale Aktivisten im Jahr 2010 versuchten, in einer Solidaritätsaktion die israelische Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen. An Bord der Schiffe, die von israelischen Spezialeinheiten geentert wurden, befanden sich auch zahlreiche nationale und internationale Medienvertreter. Die „Gaza Flotilla“, so Amir „was conceived as a highprofile media event designed to take place in broad daylight and to alert the world to the crimes being committed against the Palestinians“ (Amir 2014: 723). Um die Zirkulation von Bildern über das Entern durch die IDF zu verhindern, griff das israelische Militär zu drastischen Maßnahmen und konfiszierte auf den aufgebrachten Schiffen alle Kameras und Speichermedien. Damit entstand, so Amir, ein „digital archive of violence“ (ebd.: 732) in Händen des israelischen Staates, das bis heute der Öffentlichkeit vorenthalten ist, da die IDF im Zeigen der Bilder eine Gefahr für die nationale Sicherheit sieht. Amir bezeichnet diese Bilder als „extraterritorial images“ (ebd.: 720 f.). Die Extraterritorialität ist ihrer Ansicht nach nicht nur deshalb gegeben, weil die Aktion in internationalen Gewässern stattfand, sondern auch deshalb, weil die visuellen Dokumente zwar existieren, sich aber in einem rechtsfreien Raum außerhalb der Reichweite der Produzenten und der Öffentlichkeit befinden. Der Fall der „Gaza Flotilla“ stellt insofern ein extremes und bisher einzigartiges Beispiel der Bilderpolitik Israels dar, als nicht nur der Zugang zum Geschehen eingeschränkt wird, sondern durch das illegale Konfiszieren des Bildmaterials auch die Verbreitung der Bilder verhindert wurde: „The battle over the images was not limited to their production, but also encompassed their circulation and interpretation“, so Amir (2014: 720). Für die Fotoreporter stellt sich die Frage, wie

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sie mit Ereignissen dieser Art umgehen und wie sie gegenüber solch extremen Maßnahmen der Bildpolitik reagieren. Von Relevanz für den Forschungsgegenstand sind auch verschiedene Untersuchungen der internationalen Berichterstattung über den Gaza-Krieg. Für einen Artikel im Journal „Jerusalem Quarterly“ untersuchte Michelle L. Woodward Pressefotografien in den amerikanischen Magazinen „Time“ und „Life“ während vier verschiedener Konfliktphasen. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass einhergehend mit technischen Veränderungen in der Fotografie seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Bewegung näher zu den Hotspots des Konflikts und den Konfliktakteuren zu beobachten ist (vgl. Woodward 2007: 19). Neben dem positiven Trend, mehr Leser anzusprechen, hat dies laut Woodward zur Folge, dass es „also obscures subtleties and ignores quieter but often more sinister and powerful development on the ground“ (ebd.: 19). Aufschlussreich ist auch eine Untersuchung der Israel-Fotografien des Magnum-Gründers Robert Capa aus der Zeit der Unabhängigkeit (vgl. Mendelson/Smith 2006). Sie kommen zu dem Schluss, dass in der kritischen Phase nach der Staatsgründung „Capa’s published work helped to legitimize the creation of Israel for Western audiences.“ (Ebd.: 201) Mendelson/Smith legen dar, dass dafür Capas Sympathien für den jüdisch-zionistischen Staat entscheidend waren. Ihre Ergebnisse deuten somit darauf hin, dass die politische Motivation eines Fotoreporters möglicherweise entscheidenden Einfluss auf die Auswahl seiner Themen hat. Für das vorliegende Forschungsprojekt führt dies zu der Frage, inwieweit die nationale Herkunft der Fotoreporter auch bei ihrer Produktion für den internationalen Markt eine Rolle spielt, trotz des von den Autoren beschriebenen Wandels in der israelischen Fotografie seit den 80er Jahren. Eine Reihe von Studien (Campbell 2009; Fahmy/Neumann 2012; Koltermann 2010) beschäftigen sich mit der Bildberichterstattung über den Gaza-Krieg 2008/2009, der auch unter den Namen „Operation Gegossenes Blei“ bekannt ist. In einer Untersuchung der deutschen Bildberichterstattung über den Krieg kommt der Autor dieser Studie zu dem Schluss, dass eine Entkörperlichung zu beobachten ist und es kaum Bilder von Opfern gibt (vgl. Koltermann 2010). David Campbell schlägt eine neue Lesart der Zugangsbeschränkungen für Fotojournalisten zum Gazastreifen vor: Seiner Ansicht nach geht es dabei weniger um die Frage von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit als um „controlled and structured visibilites“ (Campbell 2009: 9). So folgert er aus den Zugangsbeschränkungen: „It was not an attempt to keep Gaza hidden – it was an attempt to politicise the hundreds of pictures that emerged daily as inevitable ‚biased‘.“ (Ebd.: 10) Infolgedessen wurden die Palästinenser in den veröffentlichten Bildern weniger als politische Subjekte, sondern als Opfer und gleichzeitig als potentielle Empfänger humanitärer Hilfe portraitiert. Campbell beschreibt dies als „humanitarianization of Gazans“ (ebd.: 26). Wissenschaftliches Neuland betreten Fahmy/Neumann gleich zweifach mit ihrer



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Untersuchung zum Gazakrieg 2008/2009: zum einen untersuchten sie das Primärmaterial der Bilderdienste von AFP, AP und Reuters, zum anderen wendeten sie Galtungs Unterscheidung in peace journalism und war journalism auf den Fotojournalismus an (Fahmy/Neumann 2012). Sie kommen zu dem Schluss, dass alle drei Agenturen mehr war journalism frames benutzen und die Intensität der Berichterstattung der Intensität der Ereignisse folgt und damit als reaktiv zu bezeichnen ist (Fahmy/Neumann 2012). Im Unterschied zu Campbell (2009) diskutieren Fahmy/Neumann (2012) ihre Ergebnisse nicht in Bezug auf die Ereignisrealität der Berichterstattung vor Ort und können somit die Schwierigkeiten bei der Herausbildung von peace journalism frames nicht erklären. Auslandsberichterstattung aus der Region Da Fotoreporter, die für den internationalen Bildermarkt produzieren, als Auslandskorrespondenten gelten können, ist auch der Blick auf Forschungsprojekte, die sich mit Auslandskorrespondenten in der Region beschäftigen, von großem Interesse für diese Arbeit. Dadurch eröffnen sich Vergleichsmöglichkeiten zwischen Text- und Fotojournalismus. Die Situation von deutschsprachigen Auslandskorrespondenten in Israel und den palästinensischen Gebieten ist in den letzten Jahren in einigen Studien untersucht und thematisiert worden (Dressler 2004; Götz 2008; Levine/Podszich 2014). Götz (2008) erforschte in einer qualitativen Studie das Selbstverständnis und die Arbeitsbedingungen deutscher Nahostkorrespondenten. Trotz der Bedeutung des Nahostkonflikts als zentraler Berichterstattungsgegenstand sehen sich die Korrespondenten nicht als Kriegskorrespondenten. Tendenzen, die sich in der Studie abzeichnen, sind Probleme mit der Informationspolitik der israelischen Regierung, Behinderungen einer freien Recherche in den palästinensischen Gebieten sowie die Agentur-Hörigkeit der Heimatredaktionen, die das Absetzen eigener Recherchen erschwert. Bezüglich der Arbeitsorte ist eine gewisse Asymmetrie festzustellen, da die große Mehrheit der Korrespondenten in Jerusalem lebt und arbeitet und nur zu gelegentlichen Recherchereisen in die Westbank oder den Gazastreifen fährt (vgl. ebd.: 422). Das Selbstbild von Korrespondenten deutscher Medien in Israel und den palästinensischen Gebieten untersuchen Levine und Podszich (2014). Ihren Erkenntnissen nach sehen sich die Korrespondenten als Gesellschaftsübersetzer, die eine „hintergründige und differenzierte Berichterstattung“ verfolgen, „welche sich gesellschaftlichen Ereignissen sowohl in Israel als auch den palästinensischen Gebieten widmet und diese in einen deutschen Kontext übersetzt“ (Levine/Podszich 2014: 50). Dressler (2008) kommt ihm Rahmen ihrer ethnologischen Studie zu der Erkenntnis, dass die Berichterstattung heute nicht mehr vom eigentlichen Konflikt zu trennen ist und die Medien mit ihrer Berichterstattung zur Verbreitung und Verfestigung der vorhandenen Narrative beitragen (vgl. Dressler 2008: 210). Dies hat

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unter anderem damit zu tun, dass der geringe Spielraum für eigene Recherchen, der einer Ressourcenverknappung zuzuschreiben ist und die damit einhergende Agentur-Hörigkeit der Redaktionen der Eskalationslogik des Konflikts in die Hände spielen. Dabei klaffen die in Deutschland wahrgenommene Realität des Konflikts und die Realität vor Ort oft auseinander (vgl. ebd.: 192). Dies ist der Konfliktorientierung der Berichterstattung zuzuschreiben. Für das vorliegende Forschungsvorhaben ist zu überprüfen, inwieweit sich Faktoren wie die Informationspolitik der israelischen Regierungen auf den Fotojournalismus auswirken und ob sich die Asymmetrie der Arbeitsorte sowie das Selbstbild des Übersetzers auch bei den Fotoreportern finden. Den Umgang deutscher Journalisten mit dem unter dem Namen „Hasbara“ firmierenden Konzept Israels zur Public Diplomacy (PD) untersuchen Fleischer/Füser/Isermeyer (2014). Neue soziale Medien wie Facebook und Twitter gelten dabei als die zentralen Kanäle, mit denen der israelische PD-Apparat neben den direkten Kontakten mit den Journalisten interagiert (vgl. Fleischer et al. 2014: 152). Aufschlussreich ist der abschließende Kommentar, „dass die Größe des PDApparats in keinem Verhältnis zu den PD-Maßnahmen steht, die bei den Journalisten in Deutschland ankommen“, die sich immer noch recht erfolgreich von den PD-Maßnahmen distanzieren (ebd.: 153). Eine weitere Studie über deutschsprachige Auslandskorrespondenten geht der Frage nach, ob die Logik des Journalismus Anti-Israelismus produziert, ohne darauf eine befriedigende Antwort geben zu können (Langenbucher/Yasin 2009). Die Schwierigkeit liegt darin begründet, dass die Autoren sich ausschließlich auf die Selbstaussagen der Korrespondenten stützen, ohne die publizierten Texte zu analysieren. Auf Studien (Jäger/Jäger 2003; Kempf 2011), die sich mit dem Israel-Bild in deutschen Medien und dem Verhältnis von Antisemitismus und Israelkritik beschäftigen, wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen, da sich diese ausschließlich mit den publizierten Texten beschäftigen und nur geringe Relevanz für das vorliegende Forschungsvorhaben haben. Ähnliches gilt für die Studien und Forschungsarbeiten, die in den letzten Jahren zur Analyse der Wort-Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt entstanden sind (Gaisbauer 2012; Maurer/Kempf 2011; Witte 2014). Weitere Beschreibungen der Arbeitsbedingungen internationaler Korrespondenten in Israel und den palästinensischen Gebieten finden sich in verschiedenen ethnologisch angelegten Studien über Auslandsberichterstatter in der Region (Gutman 2003; Hannerz 1998; Hannerz 2004). Neben einer anschaulichen Beschreibung des journalistischen Milieus, vor allem in Jerusalem, in dem die internationalen Korrespondenten tätig sind, hebt Hannerz die Fokussierung auf hard news und die Ereigniszentrierung des Korrespondentenplatzes hervor (vgl. Hannerz 2004: 104). Interessant ist seine Unterscheidung zwischen den expats und den immigrants, wobei



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vor allem Letztere meist Juden sind, die Aliya4 gemacht haben, und von daher länger in der Region sind als die expats (vgl. ebd.: 550). Diese und andere Faktoren sprechen nach Hannerz für eine große Heterogenität der Community der Auslandskorrespondenten (vgl. ebd.: 556). Gutmans Studie über den internationalen Journalismus hingegen hat Schwächen aufgrund einer großen Nähe der Autorin zum staatlichen „Government Press Office“ (GPO) und zu dessen Sprecher Daniel Seaman sowie ihres positiven Bezugs auf die Public Diplomacy Strategien Israels (Gutman 2003). So ist ihre These „The second intifada was intended for and could not have happened without an international audience“ mit Vorsicht zu genießen (ebd.: 9). Die Rolle palästinensischer Stringer, die für internationale Medien arbeiten sowie deren Verhältnis zu ihren internationalen Arbeitgebern untersuchte die amerikanische Anthropologin Amahl Bishara (Bishara 2013; Bishara 2006). Bishara weist nach, dass palästinensische Journalisten eine zentrale Rolle in der internationalen Nachrichtenproduktion spielen (Bishara 2013: 256). Bisharas Arbeit stellt insofern eine Ausnahme im Forschungsfeld dar, als die meisten anderen wissenschaftlichen Arbeiten den Fokus auf die entsandten Korrespondenten richten und lokale Journalisten außen vor lassen. Vor besonderen Herausforderungen stehen Medien, die in Konfliktregionen publizieren und somit Konfliktjournalismus als Inlandsjournalismus betreiben. Dies trifft auf die israelischen und palästinensischen Medien zu. Bezogen auf die palästinensischen Gebiete ist das zentrale Problem, dass dort keine freie Presselandschaft existiert (Jamal 2000; Nossek/Rinnawi 2003). Eine Untersuchung der palästinensischen Berichterstattung über die zweite Intifada von Nidal Foqaha kommt zu dem Schluss, dass die Medien hauptsächlich den eigenen Standpunkt wiedergeben und sich auf die Kosten der israelischen Besatzung und die militärischen Aktivitäten in der Region fokussieren (Foqaha 2006). „This type of coverage contributed to increased tension and played into the hands of those whose goal was to continue the cycle of violence, wether on the Palestininan or the Israeli side“ (ebd.: 7), so sein abschließender Kommentar. Bezogen auf die israelische Berichterstattung kommt Daniel Dor (2005) in einer Studie zu einem ähnlichen Schluss: Seiner Ansicht nach verfolgte die Berichterstattung in Israel das Ziel, die Menschen vom Gefühl der Schuld zu befreien und sie in ihrer Opferrolle zu bestärken. Im Einklang mit dem israelischen Konfliktnarrativ, in dem der Terminus Besatzung nicht auftaucht, wird „the Occupation itself [...] rarely acknowledged as one of the causes of the conflict“ (ebd.: 914). Hier sind Parallelen zu den Erkenntnissen von Kampf (2006) und Tenenboim-Weinblatt (2008) über die Rolle journalistischer Bilder im israelischen Konfliktnarrativ zu erkennen. Der israelische Kommunikationswissenschaftler Gadi

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Hebräischer Begriff, der die Einwanderung von Juden aus der ganzen Welt nach Israel beschreibt.



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Wolfsfeld kommt in einer Untersuchung zur Rolle der israelischen Berichterstattung in Bezug auf den Friedensprozess zu dem Schluss, dass „in the case of Oslo the Hebrew media made a difficult situation worse“, da die Medien die zurückhaltende Unterstützung der Israelis für den Friedensprozess negativ beeinflussten (Wolfsfeld 2004: 220). Der Einfluss der Medien auf den öffentlichen Diskurs zeigte sich dabei vor allem in zwei Bereichen: „First, the emphasis on conflict and drama raised the intensity of the debate over peace. Second, the need for simple story lines and the media’s inability to question conventional wisdom narrowed the range of frames that were made public.“ (Ebd.: 222) Damit konnte die mediale Berichterstattung der im dominanten israelischen Konfliktnarrativ verankerten Skepsis gegenüber dem palästinensischen Friedenswillen nichts entgegensetzen. Durch eine Konzentration auf die Gruppierungen „Hamas“ und „Islamischer Jihad“ bekamen dagegen die Spoiler5 des Friedensprozesses auf palästinensischer Seite verstärkte Aufmerksamkeit (vgl. ebd.: 224). Die Besonderheit der Beschaffenheit des israelisch-palästinensischen Konflikts für die Berichterstattung beschreiben Rid/Hecker (2009) in einer Studie. Sie sehen als zentralen Faktor für den Journalismus in Israel an, dass Krieg als existentiell angesehen wird, weil Sicherheitsbedrohungen als existentielle Gefahr konzeptionalisiert werden. Sie sprechen von der „proximity of the theatre of operations“ als Umschreibung der Nähe der Kampfzone zum Kernland Israel (Rid/Hecker 2009: 102). Die geringe strategische Tiefe im geografischen Raum erlaubt es den palästinensischen Widerstandsgruppen, den Konflikt ins israelische Kernland zu tragen. Beide Faktoren beeinflussen den Bewegungsspielraum und die Routinen der Journalisten in der Region. Als ein zentrales Element im israelischen Konfliktnarrativ zeigen sie auf, dass der israelischen Armee in der Bevölkerung ein erweiterter Spielraum im Einsatz militärischer Mittel zugestanden wird als westeuropäischen Armeen (vgl. ebd.: 102). Die Autoren machen darüber hinaus in Israel das Gefühl aus, das internationale Publikum sei dem eigenen Land gegenüber generell negativ eingestellt. Deswegen werden PR-Anstrengungen der israelischen Regierung für notwendig angesehen (vgl. ebd.: 103). Dies ist ein weiteres zentrales Element des israelischen Konfliktnarrativs und ein Grund dafür, warum sich auf Seiten Israels so viele proisraelische Media-Watchdog-Gruppen gebildet haben. Darüber hinaus liefern Rid/Hecker (2009) eine hervorragende Beschreibung der Zensurmechanismen insbesondere in Bezug auf den Libanon- und den Gaza-Krieg. Während im Libanon-Krieg noch relativ weiche Regelungen herrschten und Korrespondenten zu Dutzenden mit den Einheiten in den Krieg zogen, zog die IDF aus der negativen Presse die Konsequenzen und verbannte die Journalisten im Gaza-

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Als Spoiler werden Konfliktakteure bezeichnet, die als Störer in Friedensprozessen auftreten und in Postkonfliktsituationen auf erneute Eskalationen hinarbeiten.



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Krieg komplett aus der Kampfzone. Es wurden eigene Blogs und YoutubeChannels aufgebaut, um das Publikum direkt zu erreichen. Laut Rid/Hecker zeigte damit die israelische Armee folgendes: „War 1.0 could be effectively combined with some elements of War 2.0..“ (Ebd.: 124) Die von Rid und Hecker beschriebenen Phänomene finden auf Seiten der Palästinenser ihre Entsprechung in professionellen Social-Media-Präsenzen islamistischer Gruppierungen wie der „Hamas“ oder des „Islamischen Djihad“. Insbesondere in der Westbank finden sich darüber hinaus viele Medienaktivisten, die tagtäglich Demonstrationen und politische Aktivitäten dokumentieren. Für dieses Forschungsvorhaben leitet sich daraus die Frage ab, welchen Einfluss diese Phänomene auf die Arbeit der Fotoreporter haben. Die viel zitierten mehr oder weniger offenen Mechanismen der Zensur (Rid/Hecker 2009; Görtz 2008; Hannerz 2004) in Israel sieht die israelische Kommunikationswissenschaftlerin Tamara Liebes weniger als Problem an als die Mechanismen der Selbstzensur, die geprägt seien von der Akzeptanz der Zensur aufgrund von angenommen Sicherheitsrisiken (Liebes 1997). Hier zeigt sich der Einfluss des dominanten israelischen Konfliktnarrativs auf die Journalisten. „(T)he media has strengthened self-censorship, while contributing to the general belief among Jewish journalists that their work environment is free of government pressure“, so auch Dor (2010: 912). Liebes beschreibt darüber hinaus hegemoniale Zwänge bei der Berichterstattung über den Konflikt in Form technischer Schwierigkeiten beim Zugang zu beiden Seiten, in Form der Selbstidentifikation vieler israelischer Journalisten als Zionisten und in Form des Anerkennens der mythische Rolle der „Israel Defence Forces“ (IDF) als Beschützer der Anti-Diaspora und des „Neuen Juden“ (vgl. Liebes 1997: 3). Diese Zwänge gelten zwar primär bezogen auf die israelische Presse, sind aber mit anderen Vorzeichen auch auf die Palästinenser und selbst außen stehende Gruppen übertragbar. Liebes’ Ausführungen weisen darauf hin, wie wichtig die Untersuchung des Konfliktnarratives der Fotoreporter ist, wie sie diese Arbeit vornimmt. Fotojournalismus Unabhängig vom konkreten Untersuchungsgegenstand des Nahostkonflikts werden im Folgenden aktuelle Fragestellungen der Forschung über den Fotojournalismus thematisiert. Diese geben Hinweise auf das Berufsfeld an sich sowie mögliche Hinweise auf Entwicklungen, die auch am Produktionsstandort Israel/Palästina zu beobachten sind. Erkenntnisse über die Arbeit von Fotoreportern in Konflikten stammen aus einer Studie von Pedelty (1995) über das internationale Pressekorps im Bürgerkriegsland El Salvador Anfang der 1990er Jahre. Aufschlussreich sind vor allem seine Erkenntnisse über das Verhältnis von Text- und Fotojournalisten. Pedelty beschreibt, dass Fotoreporter von ihren schreibenden Kollegen nicht als ihresgleichen gesehen und ihr professioneller Status zu Handwerkern degradiert



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wird, denen vermeintlich die kreative Autorenschaft fehlt, die dem Schreiben innewohnt (vgl. Pedelty 1995: 154). Des Weiteren zeigte sich eine große Kompetitivität im Feld, die Dominanz der beiden Bildkategorien „pseudo-events“ und „blood“ sowie eine große Abhängigkeit der Fotoreporter von den beauftragenden Redaktionen: „Yet, in certain ways, photographers are just one link in a complex chain of objectification. News photographers are at the mercy of editors and institutions to whom they sell their work.“ (Ebd.: 157/158) Die Bedeutung von Distributions- und Selektionsprozessen im Fotojournalismus greift Gürsel (2012) auf und geht den Routinen in der Bildredaktion der globalen Nachrichtenagentur AFP auf den Grund. Sie bezeichnet Bildredakteure als image broker, die eine zentrale Stelle in der „infrastructure of representation“ besetzen (Gürsel 2012: 72 f.). Sie beschreibt ausführlich die Routinen in der Pariser AFP-Bildredaktion und weist auf die Bedeutung der Agentur als Karrieresprungbrett für Fotoreporter hin. Aufschlussreich ist ihre Erkenntnis, dass die Aufgabe der Agentur ist, „to offer a validated representation chosen from the overwhelming number available“ (ebd.: 78). Angesichts der Konkurrenz durch soziale Medien hat der Faktor Qualität den Faktor Geschwindigkeit als zentrales Erfolgskriterium abgelöst. Die Folge ist, dass „what constitutes a good image has shifted from a strictly aesthetic and informational sense to a rubric that incorporates other factors“, allen voran die Glaubwürdigkeit der Quellen (ebd.: 84). Daran schließt sich die Frage an, was dies für die Produzenten bedeutet und wie sie dies auffassen. Da wissenschaftliche Untersuchungen über den Fotoreporter als Kommunikator in Deutschland und Europa rar gesät sind, soll hier vor allem auf aktuelle Studien der entsprechenden Berufsverbände über die berufliche Situation von Fotojournalisten Bezug genommen werden. Im Jahr 2009 wurde die erste Sozialstudie deutscher Fotojournalisten vom Fachverband „Freelens“6 in Auftrag gegeben (Thiemann 2009). Im gleichen Jahr veröffentlichte die „International Federation of Journalists“ (IFJ) die internationale Studie „Photojournalists: An endagered species in Europe?“ (McCairley 2009). Dort werden die Arbeitsbedingungen von Fotojournalisten in Europa im digitalen Zeitalter untersucht. Die wichtigsten Tendenzen für Fotojournalisten, die von Thiemann und McCairley herausgearbeitet wurden, sind dabei sinkende Honorare und ein steigender Konkurrenzdruck, die Übertragung von Management- und Post-Produktions-Aufgaben an den Fotojournalisten, die Bündelung von Fotografie und Video-Produktion in einer Person und der Ausverkauf von Bildrechten (McCairley 2009; Thiemann 2009). Darüber hinaus kommt McCairley in seinem Bericht zu dem Schluss, dass das klassische Modell des festangestellten

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Als Berufsverband wurde „Freelens“ im Jahr 1995 gegründet und ist mit fast 2500 Mitgliedern die größte Standesorganisation für Fotojournalisten verschiedener Sparten in Deutschland.



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Fotojournalisten, dessen Bezahlung tariflich geregelt war, obsolet geworden ist (vgl. McCairley 2009: 29). Anders als in Europa gibt es in den USA eine ausgereifte Forschungstradition über das fotojournalistische Berufsfeld. Vor allem in den Zeitschriften „Newspaper Research Journal“ sowie „Visual Communication Quarterly“ wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, an die hier angeknüpft werden kann. Ein wichtiges Thema ist dabei die Auswirkung der Digitalisierung auf das Berufsfeld. Greenwood/Reinardy beispielsweise untersuchen die technologischen Herausforderungen der Digitalisierung für die Arbeitspraxis der Fotoreporter (Greenwood/Reinardy 2011). Fahmy/Smith beschreiben eine damit einhergehende Veränderung der beruflichen Routinen (Fahmy/Smith 2003). Der Abbau fester Fotografen- und Bildredakteursstellen in den USA führte zu einem größeren work load bei den Fotoreportern, wirkte sich jedoch nicht auf die hohe Berufszufriedenheit aus (vgl. ebd.: 77). Gestärkt wurde diese durch den Fakt, dass die Digitalisierung die Autonomie der Fotoreporter und die Unabhängigkeit von Redaktionsräumen erhöht, beides Faktoren, die eine wichtige Rolle für die Berufszufriedenheit spielen (vgl. ebd.: 81). Santana/Russial (2013) zeichnen nach, dass durch das Aufkommen neuer Multimediaformate eine Ausweitung des Aufgabenbereichs von Fotoreportern zu beobachten ist, die nun auch für Sound-Aufnahmen und Videobilder sowie das Editing verantwortlich zeichnen. Diese neuen Formate werden in der Community insofern positiv aufgenommen, als damit eine Ausweitung der „reporting practices“ (Lillie 2011: 360) der Fotoreporter möglich wird. Ein relativ neuer Forschungstrend untersucht professionelle Fotoreporter und citizen photographer im Vergleich. Buehner/Keshelashvili bestätigen durch eine Untersuchung unter Mitgliedern der amerikanischen Standesorganisation „National Press Photographers Association“ (NPPA), dass Fotoreporter die Arbeit von citizen photographer als Gefahr ihres Berufsstandes sehen (vgl. Buehner Mortensen/Keshelashvili 2013: 152). Aufschlußreich sind vor allem die unterschiedlichen Qualitätskriterien, die beide Gruppen anlegen: „(O)verall, citizen photojournalists evaluate the photograph based on the emotional and aesthetic factors, while professionals evaluate the photographs in reference to professional photojournalism standards: the storytelling aspects, ethical considerations, and the originality of the photograph.“ (Ebd.: 154) In einer Untersuchung der Arbeitsansätze beider Gruppen bei der Dokumentation eines Amoklaufs kommt Yaschur zu dem Schluss, dass die Erfahrung und die internalisierten Routinen den professionellen Fotoreportern helfen, weniger Risiken einzugehen und das Ereignis in einen größeren Zusammenhang zu stellen sowie den Fokus auf eine „comprehensive coverage“ (Yaschur 2012: 174) zu legen. Andere Studien zeigen, wie wichtig es für professionelle Fotoreporter ist, sich durch eine Bestätigung der eigenen Professionalität über die Qualität und technische Präzision der eigenen Arbeit ebenso wie das Erschaffen von

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Narrationen von den citizen photographers abzugrenzen (Mortensen 2011; Mortensen 2014). Weitere in der Literatur beschriebene Tendenzen im Fotojournalismus sind das Verschwimmen der Grenzen zwischen Fotojournalismus und Kunst (vgl. Panzer 2007: 32) sowie eine zunehmende Vermischung mit PR (vgl. Lauber 2008: 165), die vor allem von einer Ausdifferenzierung des Bildermarktes durch die Aufnahme von Service- und Lifestylethemen in das Medienangebot und das Aufkommen der Corporate-Magazine7 angestoßen wurde. Schon 1997 beobachtete Urs Stahel ein Verschwinden der Reportagefotografie im Journalismus bei der gleichzeitigen Zunahme dokumentarischer Bildtechniken in Mode, Werbung und Kunst (Stahel 1997). Damit einher geht auch die zunehmende Bedeutung der stock photography (Ullrich 2008), die aufgrund des Produzierens von stereotypen Bildhinhalten auf Halde auch als image factory (Frosh 2003) bezeichnet wird. Der Trend in kommerziellen Nachrichten ist „to strip documentary photography of its once critical function, now producing images only of the novel, sensational or bloody for entertainment“. (Taylor 2000: 129) Dies zeigt sich z. B. daran, dass die Bebilderung von Titelseiten zunehmend ästhetischen und nicht journalistischen Kriterien folgt, wie es Aker auf dem skandinavischen Markt beobachtet hat (vgl. Aker 2011: 336). Das Internet als neues Medium, welches auch von den Medieninstitutionen aus dem Printbereich mit bedient wird, vergrößert das Publikationsspektrum für Fotografie durch die Möglichkeit, Onlinegalerien und Audioslideshows zu erstellen und erleichtert damit das storytelling (Caple/Knox 2012: 232). Hier ist eine Adaptierung zeitgenössischer Publikationspraktiken im Fotojournalismus zu beobachten (vgl. Lillie 2011: 361). Mit der visuellen Kommunikationsforschung hat sich in der Kommunikationswissenschaft seit der Jahrtausendwende eine neue Forschungsrichtung (Lobinger 2012; Müller 2003) auch in Deutschland etabliert, die den Blick unter anderem auf Produkte fotojournalistischer Provenienz richtet. Die Perspektive des Kommunikators bleibt dabei in der Regel außen vor. Von zunehmender Bedeutung ist dabei die Entwicklung einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Visual Framing (Geise/Lobinger 2013). In diesem Rahmen hat sich auch eine eigene Forschungstradition zu Fotonachrichtenwerten entwickelt (Rössler et al. 2011b; Stengel 2013). Die Ergebnisse verschiedener Studien von Rössler und Kollegen (Rössler et al. 2011b) und Stengel sind insofern interessant, als damit die Selektionskriterien für die Publikation von Bildern offengelegt werden können. Mit einer Untersuchung der Bildredaktionspraxis beim Nachrichtenmagazin Stern konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass die Redakteure bei der Bildauswahl von Fotonachrich-

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Als Corporate Magazine werden die meist kostenlos zur Verfügung gestellten Zeitschriften großer Unternehmen wie Lufthansa bezeichnet.



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tenfaktoren beeinflusst werden (vgl. ebd.: 427). Für das vorliegende Forschungsprojekt stellt sich die Frage, ob dies auch für die Produzenten eine Rolle spielt. Vor allem im englischsprachigen Wissenschaftsraum sind mittlerweile zahlreiche inhaltsanalytische Studien entstanden, die sich mit dem Fotojournalismus und der Pressefotografie beschäftigen, unter anderem mit dem Framing-Ansatz. Beachtenswert sind vor allem Arbeiten, die sich mit der Bildsprache internationaler Fotojournalismuspreise beschäftigen, da damit deren Bedeutung für den Fotojournalismus Rechnung getragen wird. Sie funktionieren als „showcases of professional press coverage of war, disaster and poverty“ (Zarzycka/Kleppe 2013: 978). In einer Analyse der Gewinnerbilder des amerikanischen Pulitzerpreises zwischen 1942 und 2002 zeigte sich eine ausgeprägte Konfliktorientierung der Bildinhalte, mit der Kategorie „war and coup“, die mehr als zwei Drittel der internationalen Bilder ausmachen (Kim/Smith 2005: 320). Ähnliche Ergebnisse förderte auch die Analyse der Gewinnerbilder des amerikanischen „Pictures of the Year“-Wettbewerb zu Tage (Greenwood/Smith 2007). Greenwood/Smith arbeiten des Weiteren heraus, dass die ausgezeichneten Bilder eine episodic coverage widerspiegeln und damit die Darstellung von Ursachen von Gewalt und Armut außen vor bleibt (vgl. ebd.: 96). Damit einher geht eine Konventionalisierung des Bilderkanons, was nicht nur in der news photography sondern auch in der feature photography zu beobachten ist (Greenwood/Smith 2009). Eine Studie von Zarzycka/Kleppe des World Press Photo Awards weist nach, dass der Wettbewerb „iconographic conventions rather than journalistic criteria of impact and accuracy“ in den Vordergrund stellt (2013: 991). Hier zeigt, wie gefährlich eine Reduzierung des Fotojournalismus auf Wettbewerbe ist, da damit der journalistische Charakter des Berufsfelds in den Hintergrund gerät. Wichtig ist herauszuarbeiten, welche Rolle internationale Preise für die in dieser Studie befragten Fotoreporter spielen und welchen Umgang sie damit pflegen. Zwei ausgezeichnete Studien, in denen ausgehend von einer Bildinhaltsanalyse das Angebot der Bilderdienste der Nachrichtenagenturen auf dem deutschen Bildermarkt untersucht wurde, stammen von Wilke und Kollegen (Fechter/Wilke 1998; Wilke 2008b). Ein für das vorliegende Forschungsvorhaben interessantes Ergebnis ist, dass der Anteil von Einzelbildern im Bildangebot bei allen drei untersuchten Agenturen 50 % des Angebots ausmachen (vgl. Wilke 2008b: 83). Aufschlussreich ist jedoch vor allem die Untersuchung des Anteils genuinen und inszenierten Bildinhalts bei den Bilderdiensten. Während der Anteil sich in der Untersuchung von 2005 bei dpa und AFP mehr oder weniger die Wage hält, sind bei AP und Reuters ca. zwei Drittel Bilder mit inszeniertem Inhalten (vgl. ebd.: 86). Im Vergleich zur Untersuchung von 1997 hat sich der Anteil inszenierten Bildinhalts mehr als verdoppelt. Dies weist auf die Bedeutung hin, den Umgang der Fotoreporter mit inszenierten und genuinen Ereignissen genauer zu untersuchen.

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Forschungsstand zu den psychosozialen Folgen der Arbeit Obwohl die Thematik der psychosozialen Folgen traumatischer Ereignisse im Allgemeinen und im Kontext kriegerischer Gewalt im Besonderen von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist und einen hohen Stellenwert in der Psychologie hat, rückten Journalisten als mögliche Zielgruppe erst in den späten 1990er Jahren in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Wissen wurde bis dahin vor allem über andere Kriegsakteure wie Soldaten, Kriegsveteranen sowie Mitglieder von Friedensmissionen generiert (vgl. Danieli/Mahmoud 2002: 3). Seither wurden jedoch einige Studien über Journalisten im Allgemeinen und Fotojournalisten im Besonderen erstellt (Feinstein/Owen 2002; Himmelstein/Faithorn 2002; Newman 2002) und einige Publikationen zum Thema herausgegeben (Danieli 2002b; Feinstein 2006; Simpson/Coté 2006). Die Studien der letzten Jahre, die sich mit dem Risiko der Traumatisierung von Journalisten beschäftigen, die in der Krisen- und Kriegsberichterstattung tätig sind, kommen zu dem Ergebnis, dass das Risiko, an „Post Traumatic Stress Disorder” (PTSD) zu erkranken, bis zu 5-mal so hoch ist wie bei der normalen Bevölkerung und noch das anderer Berufsgruppen wie Polizisten übersteigt (vgl. Feinstein/Owen 2002: 313). Auch wenn das PTSD-Risiko bei Fotografen im Vergleich zu Journalisten nicht höher ist, so ist bei ihnen doch die allgemeine Stress-Symptomatik erhöht, ausgelöst durch die Nähe zu den Ereignissen (vgl. ebd.: 29 ff.). In einer besonders schwierigen Situation befinden sich Freelancer, da sie keine institutionelle Unterstützung bekommen (vgl. ebd.: 313). Ähnliches gilt für lokale Journalisten. So weist Danieli auf die Asymmetrie zwischen lokalen und internationalen Angestellten hin, vor allem wenn es darum geht, eine Mission oder eine Reise aus Sicherheitsgründen abzubrechen, und es zeigt die Parallelen zwischen lokalen Angestellten, Freelancer und Stringern auf, die meist nicht die Rückversicherung einer Evakuierung haben (vgl. Danieli 2002a: 386). Laut Himmelstein/Faithorn verfügen Journalisten aufgrund ihrer Ausbildung sowie einer in der Regel überdurchschnittliche Berufsmotivation jedoch über gute Grundlagen, wirkungsvolle Copingstrategien zu entwickeln (vgl. Himmelstein/Faithorn 2002: 552). In einer vergleichenden Untersuchung der bisher vorliegenden Studien über das Traumarisiko von Journalisten weist die Berliner Psychologin Anke Weidmann „deutliche methodische Mängel“ nach (Weidmann 2008: 242). Sie bemängelt, dass die subjektiven Reaktionen der Journalisten nicht ausreichend anhand einer PTSDDiagnostik erfragt wurden, dass in der Regel geeignete Kontrollgruppen fehlen sowie die Studien ausschließlich retrospektiv durchgeführt wurden. Die in einigen Studien nachgewiesene geringere Belastung von Journalisten als anderen first respondern (Ersthelfern) führt sie darauf zurück, dass es im Journalismus möglich ist, in andere Ressorts zu wechseln, wenn jemand sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlt (vgl. ebd.: 242). Als bedenklich für die psychische Gesundheit sieht sie die



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Bündelung von Aufgaben in einer Person an, wie beispielsweise beim Videojournalisten, da damit der emotionale Rückhalt eines Teams verloren gehe (vgl. ebd.: 244). Psychosoziale Hilfsangebote existieren vor allem bei großen Medieninstitutionen wie der BBC, wobei unter Journalisten Bedenken bestehen, die Inanspruchnahme dieser Maßnahmen könnten von Kollegen als Schwäche ausgelegt werden (vgl. Himmelstein/Faithorn 2002: 553). Dem versuchen Institutionen wie das „Dart Center for Journalism“ durch eigene Hilfsangebote sowie durch Aufklärungsarbeit entgegenzuwirken (Dart-Center 2014). Forschungslücke In einer zusammenfassenden Betrachtung des Forschungsstands zeigt sich, dass bis heute eine breit angelegte, wissenschaftlich fundierte Studie fehlt, die mit qualitativen Methoden das Feld der fotojournalistischen Produktion im Allgemeinen und in Konfliktkontexten im Besonderen vergleichend erforscht. Während Journalisten beispielsweise in der Kommunikatorforschung immer wieder in Bezug auf Fragen der beruflichen Sozialisation untersucht werden, fallen Fotoreporter meist durch das Raster kommunikationswissenschaftlicher Forschungsprojekte. So wurden in den großen Studien zum Journalismus in Deutschland, die von Weischenberg und Kollegen durchgeführt wurden, Fotoreporter nicht als eigene Berufsgruppe erfasst (Weischenberg et al. 1993; Weischenberg et al. 2006). Dies ist der Textorientierung der Disziplin geschuldet, die insbesondere in fehlenden Theoriemodellen für den Fotojournalismus sichtbar wird: „Das System des Journalismus ist in bisherigen Entwürfen jedoch vorrangig und zunächst ein System sprachlicher Kommunikation, nicht auch visueller. Weder auf Organisations-, Redaktions-, Ressorts- und Programmebene sind Fotojournalisten bislang hinreichend berücksichtigt worden.“ (Grittmann 2007: 260)

Was den komplexen Prozesses der Aussagenentstehung fotojournalistischer Produkte innerhalb des Systems Journalismus betrifft, fehlt bisher ein heuritisches Akteursmodell, das den Prozess von der Bildproduktion über die verschiedenen Distributions- und Redaktionsstufen bis hin zur Pressefotografie beschreiben würde. Alle Ansätze, die aus der Kommunikationswissenschaft kommen, müssen somit zunächst auf ihre Tauglichkeit für den Fotojournalismus überprüft werden, was eine große Hürde darstellt. In dieser Hinsicht erscheint es sinnvoll, die aktuellen Ansätze systematisch sowohl theoretisch als auch empirisch bezüglich ihrer Anwendbarkeit für den Fotojournalismus zu überprüfen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Dies wird auch diese Arbeit nicht umfassend leisten können, sondern dies nur dort tun, wo es relevante Fragestellungen bzw. Ansätze aus der Kommunikationswissenschaft bezogen auf den Forschungsgegenstand gibt.



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Bezogen auf aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen zum Fotojournalismus weist Grittmann darauf hin, dass der Rahmen des spezifischen sozialen Produktionskontextes von Fotografie und Politik selten analysiert wird (vgl. ebd.: 178). Dass sich die „empirische Bestandsaufnahme des journalistischen Berufsfeldes [...] bislang kaum um den Fotojournalismus” (Grittmann/Ammann 2008: 16) kümmert, zeigt sich auch im Vergleich der Erforschung von Text- und Bildnachrichten: „Trotz ihrer großen Bedeutung sind Bildnachrichten wissenschaftlich bisher viel weniger untersucht worden als Wortnachrichten.“ (Fechter/Wilke 1998: 55) Eine von Katharina Lobinger durchgeführte Meta-Analyse wissenschaftlicher Studien im Bereich der visuellen Kommunikationsforschung zeigt, dass nur ca. 4 % der Artikel in kommunikationswissenschaftlichen Journalen dem Kommunikator gewidmet sind (vgl. 2012: 198). Dies ist unter anderem der aus den Kunstwissenschaften übernommen ikonografischen Forschungstraditionen zuzuschreiben, die die Bildwissenschaft und die visuelle Kommunikationsforschung dominieren und den Fokus eher auf das Produkt und das (künstlerische) Werk legen. Da die publizierte Pressefotografie ein Medienprodukt ist (vgl. ebd.: 68 f.), an deren Erstellung neben den Fotoreportern eine Vielzahl anderer Akteure wie Agenturen, Bildredaktionen und Layouter beteiligt waren, geht vom Bild nur eine eingeschränkte Aussagekraft bezüglich des Produzenten aus. Kernfragen zum Berufsfeld Fotojournalismus hinsichtlich der beruflichen Sozialisation, systemischer Zwänge, der Interaktion mit Redaktionen sowie hinsichtlich der Marktintegration des Einzelnen müssen daher ausgehend vom Akteur untersucht werden. „What is missing is research that informs those standards of professional behaviour among press photographers“, so Julianne Newton (2001: 71). Beuthner/Weichert wünschen sich das akademische Projekt einer interdisziplinären Bildkritik, in das unter anderem auch „das Wissen um Zeitpunkt und Entstehungsbedingungen der Bilder“ und „die redaktionelljournalistische Handhabung der unterschiedlichen Bildproduzenten“ (2003: 13) zu integrieren sei. Dem pflichtet auch Evelyn Runge bei: „Empirische Untersuchungen über Selbstbild und Arbeitsbedingungen der Fotoreporter wären nötig, um theoretischen Annahmen eine Basis zu geben, die über implizites Wissen hinausgeht.“ (2011: 250) Verschiedene Autoren weisen des Weiteren auf die Notwendigkeit hin, stärker medienethnographische Studien im fotojournalistischen Produktionskontext durchzuführen. So fordert die amerikanische Anthropologin Gürsel „anthropological fieldwork at sites of visual worldmaking [...] to understand how power fields come to clash or become interlaced or interfere with one another through images themselves“ (2012: 84). Ihr geht es dabei sowohl um ein besseres Verständnis der Berufspraktiken als auch um ein Nachvollziehen der Machtbeziehungen, die bei der Produktion im Spiel sind. Ilan weist auf die Notwendigkeit für „more ethnographic work on media institutions, in particular on international news agencies and their



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processes of production“ sowie einen „greater focus on local news organizations and their connections with international news agencies“ hin (2012: 369). Durch einen Vergleich lokaler und internationaler Fotoreporter wird in dieser Studie versucht, einigen dieser Aspekte Rechnung zu tragen. Über die richtungsweisende Studie von Martin Heidelberger (2008) „Bildermarkt Nahostkonflikt“ sowie die Dissertation von Ilan (2012) hinaus gibt es bisher keine Untersuchung, die sich mit der fotojournalistischen Produktion in der Konfliktregion aus einer Akteursperspektive beschäftigen. Mit dem von ihm gewählten ethnologischen Vorgehen verbleibt Heidelberger auf einer deskriptiven Ebene. Viele interessante Aspekte werden zwar angesprochen, aber kaum kontextualisiert und keiner Explikation zugeführt. So werden die Unterschiede in den Routinen zwischen Nachrichten- und Dokumentarfotografie nicht aufgearbeitet. Darüber hinaus werden seine Ergebnisse nicht in Beziehung zu Erkenntnissen aus der Kommunikationswissenschaft und der Journalistik gesetzt. Auch die Erkenntnisse, die er in Bezug auf die Arbeit im Kontext des Nahostkonflikts gewinnt, werden nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Beschaffenheit des Konflikts und zu seinen Macht- und Herrschaftsstrukturen abgeglichen. Ähnliche Lücken weist auch die Dissertation von Ilan (2012) auf. Aufgrund seines Fokus auf den Prozess der kulturellen Bedeutungsproduktion lässt er den lokalen Konfliktkontext als Einflussfaktor auf die Produktion unberücksichtigt. Darüber hinaus werden seine Erkenntnisse dadurch eingeschränkt, dass er nur israelische Fotoreporter untersucht. Das Problem vieler Studien im Bereich des Auslandsjournalismus (Hahn et al. 2008; Hannerz 2004; Weichert/Kramp 2011) besteht darin, dass sie den Fokus auf den Auslandskorrespondenten als entsandtes Redaktionsmitglied, den traditional elite foreign correspondents, richten, obwohl dieser quantitativ gesehen nur noch einen geringen Anteil an der Berichterstattung hat. So werden die Korrespondenten der Nachrichtenagenturen, egal ob Staffer oder Stringer, die mittlerweile für einen Großteil der Auslandsberichterstattung verantwortlich sind, in der Regel vernachlässigt. Auch Fotoreporter in ihrer Funktion als Auslandskorrespondenten werden in diesen Studien bisher selten erfasst. Damit werden die von Hamilton/Jenner (2004) beschriebenen strukturellen Veränderungen im Auslandsjournalismus bisher kaum berücksichtigt. Es fehlen empirische Studien, die sich den neuen Typen von Korrespondenten wie beispielsweise den foreign foreign correspondents zuwenden. Ähnlich sieht die Forschungslücke beim Konfliktjournalismus hinsichtlich der Untersuchung der Kommunikatoren aus. Auch hier ist oft die Perspektive auf den Konfliktjournalismus ausgehend vom traditionellen Auslandskorrespondenten sowie den Publikationsländern vorherrschend. Ähnliche Tendenzen der Fokussierung auf die traditional elite foreign correspondents und damit journalistische Akteure aus dem globalen Norden sind auch bei der Forschung über die psychosozialen Folgen der Arbeit in Konflikten zu



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beobachten, obwohl der globale Süden viel stärker von diesen Themen betroffen ist (vgl. Danieli 2002a: 386). Diese Feststellung gilt auch für Arbeiten über Traumarisiken anderer Akteure, die in Konflikten intervenieren, wie Soldaten oder NGOMitarbeiter. Ein bisher nicht untersuchtes Feld ist somit das der Journalisten, die in ihrer eigenen Gesellschaft und in ihrem Lebensumfeld vom Krieg überrascht wurden, und die Frage, ob die Symptome hier potenziert auftreten, da sie Gefangene ihrer Situation sind (vgl. Feinstein 2006: 100). Ebenso wenig dezidiert herausgearbeitet wurde in den bisherigen Studien die Besonderheit der fotojournalistischen Arbeit in Konflikten. Was fehlt, ist eine breit angelegte Feldstudie, die Fotoreporter verschiedener Korrespondententypen bezüglich ihrer Traumaexposition und der Risiken der Erkrankung an PTSD untersucht (vgl. Weidmann 2008: 242). Der Autor hat sich mit dieser Arbeit dafür entschieden, die fotojournalistische Produktion im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts zu untersuchen. Der Konflikt ist ein Forschungsgegenstand, der von vielen unterschiedlichen Disziplinen betrachtet wird und zumindest aus politik- und konfliktwissenschaftlicher Perspektive auch als überforscht angesehen werden kann. Dennoch gibt es in Arbeiten, die sich mit dem Konflikt beschäftigen, eine weitverbreitete Schwachstelle die sich darin zeigt, dass die Bedeutung des Besatzungsregimes als zentraler politischer Einflussfaktor auf Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete in der Regel nicht herausgearbeitet wird: „Moreover, it is presupposed here that this blindness is an effective element in the occupation machinery itself.“ (Ophir et al. 2009b: 16) Die von Ophir et al. konstatierte blindness ist in vielen Studien zu beobachten (z. B.: Götz 2008; Hannerz 1998; Heidelberger 2008), die sich mit der Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt oder mit der Arbeit von Journalisten und Fotoreportern vor Ort beschäftigen. Anstatt wie in dieser Arbeit zu fragen, worin die Rolle des Journalismus im israelischen Besatzungsregime besteht, bleiben sie in der Diskussion um mögliche proisraelische oder propalästinensische Bias in der Berichterstattung oder der Beschreibung alltäglicher journalistischer Routinen an der Oberfläche verhaftet. Damit wird Auslands- und Konfliktjournalismus als ein isoliertes System betrachtet, in dem zwar dem Handeln von Konfliktakteuren eine bestimmte Rolle zugewiesen wird, ohne dies jedoch in strukturellen, macht- und herrschaftskritischen Zusammenhängen zu thematisieren. Trotz der Bedeutung massenmedialer Berichterstattung im aktuellen Kriegsund Konfliktgeschehen hat die Friedens- und Konfliktforschung das Thema bisher weitestgehend der Kommunikations- und Medienwissenschaft überlassen. Vor allem zur Rolle von Kommunikatoren als Akteuren in Konflikten gibt es in dieser Disziplin kaum Untersuchungen. Dies ist vermutlich ihrer politikwissenschaftlichen Prägung geschuldet. Einige Autoren fordern deshalb eine Friedenswissenschaft als Bildwissenschaft (vgl. Möller 2008: 37). Sie sehen wie Paul eine „friedenspädagogische Verantwortung“ der Kulturwissenschaften (2004: 485). Für eine friedens-

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wissenschaftlich orientierte Bildforschung formuliert Frank Möller ein spezifisches Erkenntnisinteresse: „Friedenswissenschaft kann nicht primär am Bild an sich interessiert sein, sondern am gesellschaftlichen Kontext, in dem Bilder operieren.“ (2008: 36) Vor allem Möllers Kritik an der Fokussierung auf die Ikonografie stellt einen guten Anknüpfungspunkt für eine akteurszentrierte Untersuchung des journalistischen Handelns von Fotoreportern in Konflikten dar. Er weist jedoch auf die Gefahr hin, nicht „zur Stabilisierung jener Herrschaftsformen beizutragen, die sie zu kritisieren beabsichtigt (wird) und damit zu einem Teil des Problems zu werden“ (ebd.). Ein erster Ansatzpunkt kann darin bestehen, wie in diesem Forschungsprojekt erfolgt, die Prozesse der Produktion im Feld unter Einbeziehung der dort herrschenden Macht- und Gewaltstrukturen genauer zu untersuchen.







3. Theorie The heart of photojournalism is reporting human experience accurately, honestly, and with an overriding sense of social responsability. The key to earning and maintaining public trust is increasing awareness of the process of visual reporting and its potential to inform or misinform. JULIANNE NEWTON1

Die Aufarbeitung des Forschungsstands hat deutlich gemacht, was bisher an Wissen über das Wirken von Fotoreportern in Konflikten besteht und welche Forschungslücken sich daraus ergeben. An dieser Stelle folgt nun die theoretische Einbettung des vorliegenden Forschungsvorhabens. Dies geschieht ausgehend von einer Unterscheidung zwischen Journalismus- und Konfliktkontext. Diese Unterscheidung ist dabei sowohl den zwei unterschiedlichen Disziplinen geschuldet, in denen sich diese Arbeit verortet, als auch der Unterscheidung von zwei verschiedenen Beobachterperspektiven. Während der Journalismuskontext auf die endogenen, dem Journalismus zuzuschreibenden Faktoren abzielt und damit den Fotoreporter als Kommunikator begreift, geht es beim Konfliktkontext um exogene Faktoren und die Auswirkungen der politischen Rahmenbedingungen des Konflikts auf den Fotoreporter als Konfliktakteur.

 1

Newton, Julianne (2001): The burden of visual truth: The role of photojournalism in mediating reality, Mahwah, NJ: Erlbaum, S. x.



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3.1 D ER J OURNALISMUSKONTEXT Um den Fotojournalismus in seiner Komplexität verstehen und Analyseebenen definieren zu können, wird er in diesem Kapitel als Teil des Journalismus hergeleitet und in seiner besonderen fotospezifischen Ausprägung vor allem hinsichtlich Institutionen, Routinen und Märkten beschrieben. Für eine umfassende Definition von Journalismus ist die Bestimmung seiner gesellschaftlichen Funktion, ausgehend vom Handlungsaspekt, von großer Bedeutung. Im Kommunikations- und Ordnungsprozess der Welt, den Medien für den Bürger vornehmen, kommt dem Journalismus eine zentrale Funktion zu. Über die Massenmedien, die Journalismus nutzt, werden dem Nutzer Ereignisse vermittelt, die nicht im direkten Erfahrungsumfeld des Menschen liegen. Die Vermittlung der Ereignisse kann über verschiedene Veröffentlichungskanäle bzw. -medien geschehen. Aufgabe des Journalismus ist die Reduzierung der Komplexität der Welt durch die „Bereitstellung von Themen für die aktuelle Medienkommunikation“ (Weischenberg 1992: 60) in Form von Bild, Text und Film. Wichtig ist dabei, „Journalismus als Bedingung und Prozeß der Entstehung medialer Aussagen“ zu definieren, der „nicht identisch mit den Massenmedien oder den massenmedialen Inhalten“ ist (Scholl/Weischenberg 1998: 60). Die zentralen Akteure, die diese Aussagen bereitstellen, sind die journalistischen Kommunikatoren. Diese Definition ist insofern von Bedeutung, als damit der Produktionsprozess von Journalisten und Fotoreportern ausgehend von den Akteuren und ihren Handlungen in den Blick genommen werden kann. Grundlegend für eine Untersuchung des journalistischen Entstehungsprozesses über die empirische Erforschung journalistischer Kommunikatoren ist die Betrachtung des Journalismus als Handlung. Dabei erlaubt diese theoretische Konzeptionierung den Blick auf die Praxis des Journalismus, die ihm inhärenten (konkreten) Arbeitsprozesse sowie die Berufsbilder des Journalismus zu richten. Nach Ansicht von Scholl/Weischenberg beinhaltet journalistisches Handeln drei Dimensionen: die beruflichen Ziele (Wollen), deren Handlungsrelevanz (Können) und die Selbstverpflichtung (Sollen/Dürfen) (vgl. 1998: 195). Das journalistische Handeln muss dabei immer im Spannungsfeld zwischen der individuellen Perspektive der Journalisten und ihrer institutionellen Einbindung untersucht werden. Zentrale Handlungen des Journalismus wie Recherche, die Auswahl von Informationen sowie das Verfassen und Redigieren von Texten finden weitgehend in den organisatorischen Zusammenhängen der Redaktionen statt. Journalistische Organisationen spannen ein Relevanzsystem auf, in dem Journalisten „institutionalisiert handeln und somit gemeinsamen Regelungen für ihr Handeln unterliegen“ (Altmeppen 1999: 54). Dies bringt die systemtheoretische Kommunikationsforschung dazu, nicht Journalisten, sondern das redaktionelle Handeln



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als Kriterium einer Systemzugehörigkeit zu definieren (Rühl 1980). Redaktionen sind die sozialen Systeme bzw. Institutionen, in denen journalistisches Handeln, ausgehend von einem klassischen, institutionell geprägten Verständnis von Journalismus, stattfindet. Kernfunktionen journalistischen Handelns, wie die Art der Recherche als auch die journalistischen Darstellungsformen wie die Nachricht, der Bericht oder der Kommentar, sind dabei auf den Textjournalismus bezogen. Dabei eröffnet „der Umstand, dass journalistisches Handeln nie vollständig formalisiert und reguliert ist, [...] den Blick für Handlungsspielräume der journalistischen Akteure“ (Pürer 2003: 172). Der Freiraum, selbstständig Entscheidungen treffen und eigene Akzente setzen zu können, kann als Handlungsspielraum definiert werden und eröffnet einen „Korridor möglicher Handlungsweisen“ (Altmeppen 1999: 52). Kennzeichnend ist, dass „dieser Handlungsspielraum von den Journalistinnen und Journalisten eigenverantwortlich und selbstständig ausgefüllt“ wird (ebd.: 52). Für eine Untersuchung der fotojournalistischen Produktion im Kontext von Konflikten ist die Frage nach den Handlungsspielräumen von zentraler Bedeutung. Dafür muss zunächst Fotojournalismus als Teil des Journalimus theoretisch hergeleitet werden. 3.1.1 Fotojournalismus als Journalismus Der Fotojournalismus steht geradezu exemplarisch für die Beobachtung der Welt. Als Teil des visuellen Journalismus setzt er seine Beobachtung in Form von Fotografien um. Was der Fotoreporter sieht, wird mit dem technischen Hilfsmittel der Kamera im Bild festgehalten. Damit entsteht eine Unmittelbarkeit in der Kommunikation, die im Text so nicht vorhanden ist. Die Verortung des Fotojournalismus im System Journalismus ist der deutschen Kommunikationswissenschaftlerin Elke Grittmann zu verdanken. Sie greift dabei auf die Ausdifferenzierung von Subsystemen im Journalismus zurück. Grittmann definiert den Fotojournalismus als eigenes Subsystem und begründet dies damit, dass Fotojournalismus dazu beiträgt, die Funktion des Systems Journalismus zu operationalisieren (vgl. Grittmann 2007: 261). Sie weist nach, dass Fotojournalismus der Primärfunktion von Journalismus folgt, zur Selbstbeobachtung der Gesellschaft beizutragen und Themen zur öffentlichen Kommunikation bereitzustellen. Der Fotojournalismus unterscheidet sich jedoch „grundlegend von anderen Subsystemen des Journalismus, da die Differenzierung nicht sachgebiets- oder themenspezifisch verläuft“, sondern zeichenspezifisch bezogen auf das Medium Fotografie (ebd.: 261). Konsequenterweise wäre dann dem Fotojournalismus der Wort- bzw. Text-Journalismus gegenüberzustellen. Die Modellierung als Subsystem des Journalismus ermöglicht den Fotojournalismus „von anderen Gebrauchsweisen der Fotografie in der Gesellschaft abzugrenzen“ (ebd.: 263). Sofern der Fotojournalist nicht Teil der Organisation und somit



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dem System zugehörig ist, schafft erst die Operationalisierung der spezifischen Codes die Zugehörigkeit zum System Journalismus. Das Journalistische in der fotojournalistischen Arbeit konstituiert sich vor allem über den Arbeitsprozess sowie den journalistischen Verwendungskontext der produzierten Fotografien. Der Fotojournalismus hat dabei seine eigenen „codes of production as much as any other component of the news industry” (Perlmutter 1998: 4). In der Ausgestaltung fotojournalistischer Arbeit folgt der Fotojournalismus allgemeinen journalistischen Codes wie der Aktualität, der Neuigkeit, der Relevanz und der Faktizität. Trotz der engen Verzahnung mit anderen Genres stellt der Fotojournalismus eine eigenständige Gattung des Journalismus dar. Seine Betrachtung als Journalismus ermöglicht in Anlehnung an Scholl/Weischenbergs Journalismusdefinition, den Fotojournalismus von den Massenmedien zu trennen (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 60). Abbildung 1: A sociohistorical model of photographic meaning

Quelle: Mendelson 2008: 28

Eine weitere Möglichkeit, Fotojournalismus konzeptionell von den Massenmedien und den publizistischen Produkten zu trennen, bietet die theoretische Herleitung der fotografischen Produktion über das von Mendelson entwickelte „sociohistorical

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model of photographic meaning“ (2008: 27). In diesem Modell1 unterscheidet Mendelson zwei Bereiche: den Kontext der fotografischen Produktion und den Kontext der Präsentation. Die Schnittstelle zwischen beiden Bereichen stellt die Fotografie als visuelles Produkt dar. Mendelsons Modell ist insofern fruchtbar für diese Arbeit, als damit die fotojournalistischen Akteure als Teil der Produktion bestimmt werden können und somit eine Trennung der fotojournalistischen Handlung von der Fotografie als Produkt vollzogen werden kann. Damit wird es möglich, das Augenmerk auf den Fotografen oder den Fotoreporter als Kommunikator zu legen. Der „Context of Photographic Production“ ist geprägt von der Interaktion zwischen Fotograf und Subjekt. Der Fotograf muss dabei als ein Akteur gesehen werden, der von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird: „Though the photographer pushes the button to make a photograph, he or she actually represents the confluence of sociological, cultural, institutional, and individual differences before and after the image is made“ (ebd.: 28). Sowohl der Fotograf als auch das fotografische Subjekt werden in ihrem Handeln von ihrer jeweiligen Kultur und ihren individuellen Prädispositionen beeinflusst. Bezüglich der Produktionskultur ist entscheidend, ob es um den Kontext des Journalismus, der Public Relations oder der Werbung geht, die alle unterschiedlichen Paradigmen folgen (vgl. Lobinger 2012: 64). Während zwischen Fotograf und Subjekt ein Fixer2 eine Vermittlerrolle einnehmen kann, können beide auch von externen Institutionen beeinflusst werden. Dies können in einem journalistischen Kontext z. B. die beauftragenden Redaktionen oder Verlage sein. Alle drei Akteure, Fotograf, Subjekt und Institutionen beeinflussen die Entstehung der Fotografie. „The Photograph“3 stellt das materielle Produkt der Akteursbeziehungen und der Begegnung, sowie die Schnittstelle und den Übergang vom „Context of Photographic Production“ zum „Contex of Presentation“ dar.

 1

Mendelsons Modell stellt insofern eine schematische Reduktion der Wirklichkeit dar, als im Produktionsprozess, wie im weiteren Verlauf dieses Kapitels gezeigt wird, auch andere Akteure eine Rolle spielen, vor allem hinsichtlich der publizistischen Verwertung von Fotografien.

2

Unter einem Fixer versteht man in der Regel eine lokale Kontaktperson, die im Auftrag eines Fotoreporters recherchiert und Kontakte vermittelt. Oft sind dies lokale Journalisten und Fotografen.

3

In Mendelsons Modell werden die unterschiedliche Schreibweise von Fotografie und auf diese bezogener Begriffe deutlich. Während im englischen die Schreibweise mit „ph“ die einzig grammatikalisch korrekte ist, hat sich im Deutschen die Schreibweise mit „f“ eingebürgert. Einzelne Autoren und Institutionen nutzen jedoch auch im Deutschen weiterhin die Schreibweise mit „ph“. Inhatlich ist darin kein Unterschied zu sehen.



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Der Präsentationskontext ist der Moment, in dem eine Fotografie gelesen und ihr eine Bedeutung zugeschrieben wird. Eine entscheidende Rolle spielt hier der Kontext, in dem ein Bild gezeigt wird und in dem die Rezeption stattfindet, sei es journalistisch, künstlerisch oder kommerziell (vgl. Müller 2003: 22). In der Pressefotografie ist dies ein journalistischer Kontext und die publizierten Fotografien sind in diesem Fall als Medienbilder zu betrachten (vgl. Lobinger 2012: 68f.). Ein Medienbild zeichnet sich dadurch aus, dass neben dem Fotografen auch andere Akteure seine Entstehung beeinflussen und dass sie massenmedial verbreitet werden. Der wichtigste Akteur im „Context of Presentation“ ist der Betrachter, der für sich aus der Fotografie eine fotografische Bedeutung konstruiert. Der Betrachter ist dabei wiederum von unterschiedlichen „layers of influence“ (Mendelson 2008: 33) wie persönlichen Vorlieben, seiner Kultur sowie bestimmten Wahrnehmungsmodi beeinflusst. Der Prozess der Bedeutungszuschreibung, der zwischen diesen beiden Kontexten stattfindet, kann auch als Prozess der Denotation/Konnotation beschrieben werden (Hall 2012). Während eine denotative Ebene dem Bild eingeschrieben ist als das, was abgebildet ist, ist für die konnotative Ebene das Wissen des Rezipienten von zentraler Bedeutung. Mendelson fasst dies unter anderem über die innate perceptual tools (vgl. 2008: 28), die Wahrnehmungsmodi des Betrachters, die neben der Sozialisation einen entscheidenden Einfluss auf seine Fähigkeit haben, Bilder zu lesen. Da diese Arbeit einer akteurszentrierten Perspektive folgt, die das Augenmerk auf den Kommunikator und die Wechselbeziehungen zwischen Akteur und Struktur im Fotojournalismus richtet und damit der Kontext der Präsentation nicht im Fokus der Untersuchung steht, werden an dieser Stelle bildtheoretische Fragestellungen nicht weiter vertieft. Die Literatur zu diesem Thema ist sehr umfangreich, führt für ein Verständnis des journalistischen Handelns von Fotoreportern jedoch zu weit. Auf der einen Seite finden sich philosophische und bildwissenschaftliche Auseinandersetzungen über den Charakter von Bildern und Fotografien (Belting 2001; Sachs-Hombach 2006), auf der anderen Seite kunst- und medienwissenschaftliche Reflektionen über die Rezeption von Bildern und deren ikonographische und ästhetische Merkmale (Knieper/Müller 2001; Sachsse 2003). Wichtig für ein Verständnis des Produktionskontextes und der darin involvierten Akteure ist jedoch, den Prozess der Bildkommunikation, wie er mit Hilfe von Mendelson (2008) exemplarisch skizziert wurde, im Kopf zu haben, um unterschiedliche Produktions- und Rezeptionskontexte unterscheiden zu können. Die Ausdifferenzierung des Fotografen als zentraler Akteur des Produktionskontextes (Mendelson 2008) und die Betrachtung des Fotojournalismus als Journalismus (Grittmann 2007) ermöglichen es, Fotoreporter als Kommunikatoren zu betrachten. Sie sind die Akteure, die journalistisch handeln und journalistische Produkte in Form von Fotografien für die publizistische Verwertung zur Verfügung stellen.

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3.1.2 Der fotografische Akt Einen zentralen Referenzpunkt in der Betrachtung des Fotojournalismus als Handlung stellen die fotografische Produktion und der dieser innewohnende fotografische Akt dar. Die Bildproduktion ist der Ausgangspunkt fotojournalistischer Arbeit und bezeichnet den Prozess der Erstellung von Fotografien, die ins Distributionssystem eingespeist werden und aus deren Auswahl die Pressefotografie und die Bildberichterstattung entstehen. Kennzeichnend für die Produktion ist, dass das eigentliche fotografische Produkt im Nachhinein, bezogen auf den Bildinhalt, nicht mehr verändert werden kann, außer durch digitale Manipulation. Somit findet die eigentliche kreative wie journalistische Leistung des Fotoreporters während der Produktion statt. Der Produktion voraus gehen die Recherche und die Entscheidung, warum zu welchem Thema gearbeitet wird. Im Moment der Produktion haben die Fotojournalisten meist eine zukünftige Verwendung im Auge: „Die meisten Fotografien entstehen zunächst im Hinblick auf einen bestimmten Gebrauchszusammenhang“, schreiben Binder und Vogel (2009: 13). Dies ist wichtig, um den journalistischen Produktionskontext von kommerziellen und künstlerischen Kontexten zu trennen. Mit einem fotografischen Akt im Kontext eines journalistischen Gebrauchszusammenhangs ist meist auch ein daran anschließender entsprechender Präsentationskontext verbunden. Ändert sich dies, beispielsweise weil für die pressefotografische Verwertung erstellte Fotografien in einem Kunstkontext ausgestellt werden, so haben wir es mit einem „Medienstransfer“ (ebd.: 9) zu tun. Die Vorraussetzung für den fotografischen Akt ist die physische Anwesenheit des Fotoreporters im Feld. Es ist eine soziale Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass aus ihr ein Bild entsteht (vgl. Berger/Mohr 2006: 93). In der Anwesenheit des Fotografen in der Situation manifestiert sich das zentrale Qualitätskriterium fotojournalistischer Arbeit: die Authentizität als spezifische Form des journalistischen Objektivitätsanspruchs (vgl. Grittmann 2007: 36). Die Anwesenheit des Fotografen ist der Garant für die Authentizität, während für die Objektivität im Textjournalismus journalistische Rechercheprogramme ausschlaggebend sind, unter denen die Anwesenheit vor Ort bzw. persönlicher Augenzeuge zu sein nur eines unter vielen Kriterien ist. Das zentrale Moment ist die Einführung der Kamera und des Fotoreporters in eine soziale Situation. Damit kommt es zu einer Interaktion zwischen Fotograf und Subjekt: „The rule is that the introduction of a camera into any place participates in the creation of the event.“ (Azoulay 2008: 156) Dass muss jedoch nicht heißen, dass die komplette Situation artifiziell ist und für die Kamera konstruiert. Aber die Kamera beeinflusst den Ablauf der Ereignisse und das Verhalten der Personen. Trotz allem gibt es Momente, in denen die Kamera von den Fotografierten nicht



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wahrgenommen wird oder in denen sie sich an die Präsenz der Kamera gewöhnt haben und sie als Teil ihres Alltags wahrnehmen. Ariella Azoulay versucht dies über eine Unterscheidung zweier Erscheinungsformen des fotografischen Ereignisses genauer zu fassen: „The event of photography has two different modalities of eventness—the first occurs in relation to the camera or in relation to its hypothetical presence while the second occurs in relation to the photograph or in relation to the latter’s hypothetical existence.“ (Azoulay 2011: 77)

Sie versteht unter dem event of photography die Begegnung, die das Bild entstehen lässt und die Fotografie erst möglich macht, und unter dem photographed event das Ereignis, das der Fotograf in Bildern festhält. Die Fotografie als visuelles Produkt, bei Mendelson „The Photograph“, ist für sie „an additional factor in the unfolding of the event of photograph“ (ebd.: 75). Der fotografische Akt kann somit theoretisch stattfinden, ohne dass überhaupt ein Bild gemacht wird. Im Moment der fotografischen Aufnahme gehen der Fotograf und der Fotografierte laut Azoulay einen social contract ein. Dies ist vor allem in der journalistischen Fotografie meist eine unausgesprochene, nicht schriftlich fixierte Übereinkunft. Der Fotografierte offenbart sich dem Fotografen und überlässt diesem damit die Kontrolle über die entstandene Fotografie. Azoulay geht jedoch noch einen Schritt weiter und spricht von einem „civil contract of photography“ (Azoulay 2008: 117). Der Fotografierte weiß, bewusst oder unbewusst, dass die Fotografien mit der Intention gemacht werden, sie später anderen Betrachtern zu zeigen und publizistisch zu verwerten. Damit gibt er auch dazu sein Einverständnis.4 Aus diesem Vertrag erwachsen jedoch Verpflichtungen in alle Richtungen. Dazu gehört eine Haltung des Fotografen, die einen verantwortungsbewussten Umgang des Fotografen mit den Fotografierten beinhaltet, ebenso wie eine Verantwortung des Betrachters den Fotografien gegenüber. Fotografien, insbesondere von Katastrophen und Kriegen, können eine Art Appell-Funktion an den Betrachter als Bürger haben, seine Verantwortung wahrzunehmen und zu diesen Ereignissen Stellung zu beziehen. Ein zentrales Charakteristikum des Fotojournalismus ist, dass sich hier, anders als in anderen journalistischen Ausdrucksformen, die Begegnung zwischen Fotojournalist und Subjekt später als Motiv – und eben als photographed event – auf den Bildern wiederfindet. Dabei variiert die Zeit der Begegnung immens. Laut Langton

 4

Kritisch zu diskutieren ist, ob sich das Subjekt im Moment des Fotografiertwerdens immer der Implikationen, die beispielsweise eine weltweite Verbreitung eines Bildes haben kann, bewusst ist.



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sind “many photographic assignments [...] ‚quick hit‘ encounters in which the photographer looks for an interesting (or famous) face, decides whether she wants a simple or more complex photograph and waits for a ‚peak‘ moment of expression or activity” (2009: 169). Doch auch während dieser „quick hit encounters“ kommt der Kommunikation zwischen beiden eine zentrale Rolle zu. In dieser Beziehung sind die Rollen nicht von vorneherein festgelegt. „There’s a kind of dance that takes place in which the photographer seeks to photograph everything, good and bad, and the subject attempts to exercise control over how he is visually portrayed”, so Langton (ebd.: 172). Die Dauer der Beziehung ist meist begrenzt auf den Moment der Begegnung zwischen beiden und hat keine Folgen, sofern es sich nicht um Dokumentationen handelt, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen: „Most subjectphotographer relationship begin solely for the purpose of the story and end once that story is finished. Photographers often focus on getting their photographs while remaining emotionally outside the relationship.” (Ebd.: 173) Diese Beschreibung Langtons gehört im Fotojournalismus zum Alltag. Fotoreporter, vor allem in der Nachrichtenfotografie, absolvieren tagtäglich eine Vielzahl von sozialen Begegnungen und Fototerminen, die eine professionelle Distanz notwendig machen. Unabhängig von ihrer Dauer sind der fotografische Akt oder das event of photography jedoch konstitutiv für die Erstellung von Bildnachrichten und fotografischen Reportagen und damit ein kennzeichnendes Merkmal für das Gewerbe des Fotojournalismus. Während im Textjournalismus ein Ereignis auch über Sekundärquellen rekonstruiert werden kann, gibt es ohne die Begegnung im fotografischen Akt kein visuelles Material für die fotojournalistische Berichterstattung und damit konsequenterweise auch kein photographed event. 3.1.3 Darstellungsformen im Fotojournalismus Grundlegend für den Fotojournalismus ist die Sammlung von Informationen und deren visuelle Aufbereitung: „Photojournalism is the profession of recording and reporting news by means of photographs“ (Sexton 2002: 335). Problematisch ist hier die Fokussierung auf news, da dies eine ausschließliche Orientierung an Ereignissen bedeutet und längerfristige Reportageprojekte ausschließt. Eine weitere Eingrenzung des Fotojournalismus ist vom Begriff der Fotografie her hilfreich. Fotografie ist „a term that designates an ensemble of diverse actions that contains production, distribution, exchange, and consumption of the photographic image“ (Azoulay 2008: 86). Hier zeigt sich eine heuristische Sicht auf Fotografie, die verschiedene Stadien wie Produktion, Distribution, Publikation und Rezeption einschließt und es so ermöglicht, verschiedene Gebrauchsformen der Fotografie aus-



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zudifferenzieren. Neben der Amateurfotografie, der Werbe- und der Kunstfotografie ist der Fotojournalismus eine spezifische Gebrauchsweise der Fotografie. Als spezifische Form des Journalismus hat der Fotojournalismus eigene Darstellungsformen entwickelt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Produktion visueller Informationen nach journalistischen Kriterien. Die Darstellungsformen lassen sich vor allem danach unterscheiden, ob die Aufnahme stärker auf eine Handlung/ein Ereignis oder ein Verhalten/ein Prozess fokussiert ist. Sachsse unterscheidet im Fotojournalismus zwischen Ereignisfotografie, Portrait- und Featurefotografie (vgl. 2003: 74). Diese Unterscheidung ist an (wort-)journalistische Darstellungsformen angelehnt, bei denen ebenfalls zwischen Nachricht, Reportage, Portrait etc. unterschieden wird. Darüber hinaus wird je nach Autor auch die Sportfotografie als eigenständige Kategorien genannt (vgl. Blecher 2001: 62). Im englischsprachigen Raum hat sich der Begriff news photography (Nachrichtenfotografie) eingebürgert, der in der Regel fünf Kategorien umfasst: spot news, general news, features, illustrations und documentary (Newton 2008: 3604). Andere Autoren wie Grayson (2013) verwenden auch den Begriff der editorial photography (redaktionelle Fotografie). Eine weitere wichtige Charakterisierung ist bezüglich der Art und Weise der Bildverwendung zu treffen. Hier ist vor allem zwischen Einzelbild und Bildserie zu unterscheiden. Einzelbilder finden sich in Form von Bildnachrichten vor allem in Tageszeitungen, Bilderserien insbesondere in Onlinegalerien. Als spezifische Erzählform ist des Weiteren die Reportage zu erwähnen, die eine Geschichte visuell erzählt, während die Serie eine Vielzahl von unterschiedlichen Bildtypen durch systematische Aneinanderreihung zur Serie macht. In dieser Arbeit wird der Fotojournalismus (photojournalism) in zwei Darstellungsformen untergliedert: die Nachrichten- (news photography) und die Dokumentarfotografie (documentary photography). Zur Nachrichtenfotografie gehören spot news, general news und features. Als spot news werden „significant, unplanned events“ (Newton 2008: 3604) bezeichnet: „a breaking news story, a particular scene shot while it occured or in its aftermath“ (Perlmutter 2003: 477). Unter general news dagegen werden „ongoing issues and activities“ (Newton 2008: 3604) verstanden, die sich oft auf „anticipated or expected events“ beziehen „which nonetheless may yield unexpected pictures“ (Perlmutter 2003: 477). Unter der dritten Kategorie features sind allgemeine „shots of human or visual interest“ (ebd.) zu verstehen, die die Form interpretativer Essays annehmen (Newton 2008: 3604).5 Eine Besonderheit in der Nachrichtenfotografie

 5

Feature ist ein sehr gebräuchlicher Begriff im Journalismsus, der jedoch unterschiedliches Bedeutungen hat. Vor allem im Radiojournalismus werden darunter kürzere Reportagen verstanden. Im Fotojournalismus werden darunter auch Einzelbilder gefasst.



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stellen sogenannte illustrations dar. Perlmutter versteht darunter „planned pictures that are intended to illustrate a story“ (Perlmutter 2003: 477). Dies kann eine große Bandbreit von Bildern umfassen, wie z. B. Preisschilder eines Supermarkts um Preiserhöhungen zu dokumentieren. Auch inszenierte Porträts beispielsweise zur Illustration eines Interviews sind hier zu nennen. Trotz des Inszenierungscharakters stellen illustrations eine gängige Praxis sowie eine eigene Gattung des Fotojournalismus dar. Die Nachrichtenfotografie ist in der Regel auf Einzelbilder fokussiert, die auch als „Bildnachrichten“ (Fechter/Wilke 1998: 55) bezeichnet werden. Es sind diese Bilder, die der Betrachter tagtäglich in der aktuellen Presse zu sehen bekommt und die Ereignisse „bebildern“. Hier geht es vor allem darum, komplexe Informationen zu reduzieren und auf den Punkt, oder besser gesagt, auf eine Fotografie zu bringen. „News pictures have a special ability to focus attention on one time, place, event and issue [...]“. so Perlmutter (1998: xiv). Dabei merkt Grittmann an (2007: 31), dass es „nicht unumstritten ist, ob die ‚news photography‘ überhaupt als Form des Fotojournalismus zu bezeichnen ist“, da sie eher als technische Unterstützung in Form der visuellen Reproduktion von Ereignissen zu sehen ist. Für die Verortung der news photography im Fotojournalismus spricht einerseits die Orientierung an Ereignissen mit hohen Nachrichtenwerten, die (foto-) journalistisch aufgearbeitet werden, andererseits die Verwendung als Pressefotografie in publizistischen, redaktionellen Medien. Nur der Freiraum der Darstellung ist aufgrund der Ereignisfixierung wesentlich geringer als beispielsweise in der Fotoreportage. Die Fokussierung auf Einzelbilder in der Nachrichtenfotografie hat dabei auch eine historische Dimension, die der Übertragungstechnik über das Kabel – die Wire – die auch den Nachrichtenagenturen den Namen gaben, geschuldet sind: „Wire photographers were trained to take shots that summed up the event in a single image rather than in a series of images that collectively formed a story or a photo essay“. (Gürsel 2012: 74) Die wichtigsten Faktoren, die eine gute Nachrichtenfotografie kennzeichnen, sind „getting close to the subject“ und „capturing humans in action“ (Perlmutter 2003: 479). Generationen von Fotojournalisten, vor allem zu Zeiten der analogen Fotografie, folgten dem klassischen Wahlspruch des Fotojournalismus „F8 and be there“. F8 steht dabei für die Blendengröße 8 als einer Kameraeinstellung für alle Zwecke, die genügend Licht und ausreichend Schärfe im Bild garantiert. Darüber hinaus sind „content“ (Inhalt), die „primacy of the story“ (Knight 2009: 83) sowie eine „accurate and fair representation of the news“ (Evans 1997) von zentraler Bedeutung. Für die Darstellung von Informationen in einem Bild ist „tigthness“ der zentrale Begriff (Perlmutter 2003: 479). Bilder sollen nur diejenigen Informationen enthalten, die für die Nachricht wichtig sind. Wenn alle diese Elemente auf ein Bild zutreffen, wird dies als der entscheidende Augenblick – the decisive moment –



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bezeichnet, dessen Formulierung auf den Mitbegründer der Agentur Magnum, Henri Cartier-Bresson, zurückgeht. Damit wird der Moment beschrieben, in dem alle Bildelemente im Gleichgewicht sind. Im Gegensatz zur tagesaktuell ausgerichteten Nachrichtenfotografie wird mit dem Begriff der Dokumentarfotografie auf narrativ angelegte, auf langfristigen Recherchen basierende Projekte mit dem Ziel, „in-depth coverage of some human condition“ (ebd.: 477) zu erzeugen, verwiesen. Andere Begriffe, die in diesem Zusammenhang immer wieder Verwendung finden, sind die redaktionelle Fotografie, die sozialdokumentarische Fotografie oder die Magazin-Fotografie. Der Begriff der Dokumentarfotografie ist tatsächlich aufs Engste verknüpft mit der Tradition der Magazin-Fotografie, für die das amerikanische Magazin „Life“, die französische „Paris Match“, der deutsche „Stern“ oder das brazilianische Magazin „O Cruzeiro“ stehen und standen (Panzer 2007: 19). Über die Bedeutung dieser Erzählform in den Nachkriegsjahren schreibt Panzer: „Photojournalists and magazines remained mutually dependent; magazines supported many independent careers, and freelance photographers in turn supplied the stories needed to fill pages and lure advertisers and readers. The era of the independent and creative photojournalist was underway.“ (Ebd.: 21)

Magazine stellten für viele Jahre das zentrale Veröffentlichungsmedium der Dokumentarfotografie dar. Die wichtigste Form war in der Regel die umfangreiche Fotoreportage. Heute wird Dokumentarfotografie auch in Onlinemedien, Fotobüchern und Ausstellungen gezeigt und gilt als die ausgereifteste Spielart des Fotojournalismus. Das Fotobuch als Medium ist sehr stark photographer-driven: „Although publishing is clearly a team effort, the instigators, the editors and often the financiers of many photobooks are the photographers themselves“. (Parr/Badger 2004: 10) Anders als bei Veröffentlichungen in Magazinen und Onlinemedien haben Fotografen beim Fotobuch eine große Kontrolle über das finale Produkt, die sich einer starken Autorenschaft zeigt. Vor allem in der Dokumentarfotografie ist dies aus diesem Grund von großer Bedeutung und viele Fotografen nutzen das Fotobuch, um Projekte abzuschließen und ihre Version einer Geschichte zu erzählen. Laut Wheeler sind die zwei kennzeichnenden Merkmale der documentary photography, dass Fotoreporter „a personal point of view“ und eine „specific agenda“ haben (Wheeler 2002: 84). Sie ist dabei vor allem durch die Präsentationsform sowie die lange Recherche- und Produktionsphase gekennzeichnet: „The series or picture story is the most prestigious, least practiced form of photojournalism. Typically a series involves a long-term (two- to six-month) assignment sponsored by a paper



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or occasionally a freelance submission which comprises in-depth coverage of some human condition“. (Perlmutter 2003: 478)

Neben Serie und Fotoreportage ist eine weitere Präsentationsform der fotografische Essay. Ein wichtiges Merkmal ist dabei die Bild-Text Kombination, durch die das Produkt „als Machwerk eines Autors präsentiert (wird), der eine Sicht auf einen Sachverhalt darstellt“ (Graf 2013: 46). Vor allem im fotografischen Essay werden Fotografen laut Graf zu Autoren (vgl. ebd.). Eine besondere Form der Dokumentarfotografie stellt somit die Autorenfotografie dar. Kennzeichnendes Kriterium der Autorenfotografie ist eine „fest umrissene Haltung angesichts der Wirklichkeit“ (Honnef 1980: 223). So ist nicht jeder dokumentarische Fotograf auch als ein Autor zu bezeichnen: „Ob ein Fotograf ein Autorenfotograf ist oder nicht, lässt sich nicht anhand eines einzelnen fotografischen Bildes beantworten. Erst in der Summe seines fotografischen Werkes zeichnet sich ab, inwieweit seine Bilder durch eine bestimmte Haltung zur Wirklichkeit gekennzeichnet sind, durch eine Haltung, die sich in einer individuellen Sehweise zu erkennen gibt.“ (Ebd.: 223)

Interessant ist hier der Fokus auf das Werk bei der Beurteilung der Arbeit eines Fotografen, die sich von der Betrachtung von Einzelbildern, wie es in der Nachrichtenfotografie vorherrschend ist, unterscheidet. In einem Essay über die Entwicklung des Begriffs Dokumentarfotografie schreibt Bettina Lockemann: „Die Dokumentarfotografie entzieht sich einer einfachen Definition, insofern mittels ihres Begriffs sehr unterschiedliche fotografische Positionen zusammengefasst wurden“. (Lockemann 2008: 17) Darüber hinaus bestehen innerhalb dieser fotografischen Praxis „große Unterschiede in der Intention, der Herangehensweise und der Art und Weise, wie sich die Fotografie an die BetrachterInnen wendet“ (ebd.: 17). So kann die Dokumentarfotografie durchaus auch künstlerische Praktiken beinhalten und beispielsweise die Form konzeptioneller Fotografie annehmen. In einer künstlerischen Variante der Dokumentarfotografie sieht Walter Grasskamp die Stärke, „dass sie außerhalb von publizistischen und propagandistischen Verwertungszusammenhängen ihre Gegenstände sucht und gestaltet“ (Grasskamp 1980: 25). Die hier skizzierten Darstellungsformen zeigen, dass sich der Fotojournalismus mit Kategorien wie der news photography, der feature photography und der documentary photography zwar an Kategorien des Journalismus orientiert, jedoch eigene bildspezifische Ausdrucksformen entwickelt hat, um die Welt zu beobachten. Die Vielseitigkeit dieser Ausdrucksformen und der möglichen Umsetzung in Produkte wie Reportagen oder Fotobücher zeigt die Bandbreite des Fotojournalismus zwischen den Polen der Nachrichten- und der Dokumentarfotografie. Bei einer



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wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Fotojournalismus ist darauf zu achten, dass diese Heterogenität abgebildet wird. 3.1.4 Sozialisation und Rollenverständnis im Fotojournalismus Bei der Beschreibung der beruflichen Sozialisation sowie der von den Kommunikatoren verinnerlichten Rollenvorstellungen und Berichterstattungsmustern geht es um Praktiken auf der Mikro-Ebene des Journalismus. In der Betrachtung der individuellen Dispositionen des Kommunikators wird in der Forschung zwischen personen- und berufsbezogenen Bereichen unterschieden. Zur ersten Gruppe gehören z. B. soziographische Daten, die soziale und politische Sozialisation sowie Werte und Überzeugungen des Einzelnen (vgl. Bilke 2008: 69), zur zweiten Gruppe berufliche Einstellungen und Verhaltensweisen. Der Begriff der Sozialisation bezieht sich somit „auf berufliche Prozesse, die den Einzelnen betreffen; dabei werden die Normen gelernt und verinnerlicht, welche in den Medieninstitutionen jeweils Gültigkeit besitzen. Durch Sozialisation werden Journalistinnen und Journalisten Mitglieder dieser Institutionen.“ (Weischenberg 1995: 490)

Sozialisation bedeutet somit das Erlernen und Verstehen journalistischer Handlungsschemata. Sie erfolgt dabei in der Regel über die Ausbildung in Hochschule und Volontariat, den Kollegenkreis, Berufsverbände sowie die Redaktion. Über den Begriff der Sozialisation hinaus geht die Professionalisierung, die für „berufsstrukturelle Entwicklungen insgesamt“ (Weischenberg 1995: 490) steht und mit der „generellere Aussagen über die Berufsrolle des Kommunikators und seine Sozialisation“ gemacht werden können (ebd.: 493). Die Art und Weise der journalistischen Sozialisation unterscheidet sich dabei nicht nur zwischen den Individuen, sondern ebenso zwischen Wort- und Fotojournalismus. Der Begriff Fotojournalist als solcher ist nicht geschützt und der Zugang zu diesem Berufsfeld nicht reglementiert. So gilt beispielsweise in Bezug auf das Berufsfeld des Fotojournalismus in Deutschland folgendes: „Der Berufszugang für fotojournalistische oder fotografische Tätigkeiten ist frei, nicht in Handwerkskammern organisiert und durch die grundgesetzliche Festlegung der Pressefreiheit gesichert. Da der Beruf nicht reglementiert ist, sondern eine formelle Freiheit den grundgesetzlichen Rahmen bildet, kann theoretisch jeder ohne Vorbildung oder bestimmte Ausbildungsabschlüsse fotojournalistisch oder fotografisch tätig werden.“ (Thiemann 2009: 8)



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Dies gilt nicht nur für Deutschland sondern auch für viele andere Regionen weltweit und beeinflusst den beruflichen Sozialisationsprozess in diesem Bereich. Da es im Fotojournalismus anders als im Textjournalismus kaum Möglichkeiten eines Volontariats gibt, ist der Sozialisationsprozess komplex und höchst individuell. Er hängt auch davon ab, ob Fotoreporter eine Tätigkeit in der Nachrichten- oder der Dokumentarfotografie anstreben. Als Alternative zum Volontariat, das eine vor allem in Deutschland übliche Ausbildungsform darstellt, fungieren Assistenzen bei Fotografen. Einen zunehmend wichtigen Stellenwert nehmen Hochschulstudiengänge ein. Dabei sind beispielsweise in Deutschland die meisten Studiengänge in diesem Bereich an Fachhochschulen und Kunsthochschulen und nicht an Journalismusfakultäten angesiedelt. Eine auf Fotojournalismus spezialisierte Ausbildung bietet nur die Hochschule Hannover mit einem Bachelorstudiengang an.6 Alle anderen Hochschulen bieten Kommunikationsdesign oder Fotografie-Abschlüsse. Eine ausgereiftere Tradition der Hochschulausbildung im Fotojournalismus findet sich in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern. Der Prozess der beruflichen Sozialisation im Fotojournalismus wird von Cookman auch als „enculturation“ (Cookman 2009: 263) beschrieben, in dem junge Fotografen das Handwerkszeug lernen, um im Berufsfeld des Fotojournalismus Fuß fassen zu können. Die professionellen Codes der Industrie werden „created, reinforced and perpetuated by photojournalism education and textbooks, by veteran practioners and editors in the workplace, and also by the folk culture of photography (including the awarding of prizes and honors)“ (Perlmutter 2003: 468). Bevor Fotoreporter von Redaktionen oder Agenturen auf Assignments geschickt werden, müssen sie ihr Können unter Beweis stellen: „The photographers hired by newspapers must demonstrate through painstakingly compiled portfolios the craft skills they bring to the task of photo reporting“. (Schwartz 2003: 30) Portfolios sind Beweisstücke für das handwerkliche Können der Fotoreporter und spielen bis heute eine wichtige Rolle. Ein weiteres Element auf der Mikro-Ebene ist die Auseinandersetzung damit, was Journalisten als ihre grundlegende Aufgabe ansehen sowie welche Rolle in Bezug auf ihr journalistisches Handeln sie sich selbst zuschreiben. So werden die „beruflichen Kommunikationsabsichten als Selbstverständnis von der eigenen (Berufs-)Rolle interpretiert“ (Scholl/Weischenberg 1998: 157). Zum Rollenselbstverständnis gehören darüber hinaus verschiedene Berichterstattungsmuster (vgl. Weischenberg 1995: 114), die von anderen Autoren auch JournalismusKonzeptionen (vgl. Wyss 2001: 274) genannt werden. Diese Varianten von Rollenbildern und Berufsauffassungen sind „zu einem Teil der persönlichen Einstellungen

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Zu diesem Studiengang und zur Fotografieausbildung in Deutschland: http://www.fotostudium.de/nc/studiengaenge.html.



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von Journalisten, der redaktionellen Routinen und der allgemeinen Berufskultur geworden“ und prägen „das Zustandekommen der Medienrealität mit“ (Meier 2007: 183). So wird unter anderem zwischen folgenden Berichterstattungsmustern bzw. Journalismuskonzeptionen unterschieden: objektiver Journalismus, Meinungsjournalismus, Präzisionsjournalismus, investigativer Journalismus, anwaltschaftlicher Journalismus und Public Journalism. Der objektive Journalismus sieht seine Rolle in der Vermittlung von Fakten, der anwaltschaftliche Journalismus ist hingegen von einer parteiischen Subjektivität und dem Auftreten als Advokat für wenig repräsentierte Gruppen geprägt, während der investigative Journalismus seine Funktion im Aufdecken von Missständen und Machtmissbrauch sieht (vgl. Pürer 2003: 122f.). Eine weitere wichtige Unterscheidung bei der Diskussion von Rollenbildern ist zwischen idealtypischen, normativen und empirischen Typologien zu setzen (vgl. Donsbach 2005: 415). Wenn Journalisten mit ähnlichen Rollenverständnissen zusammentreffen, entstehen journalistische Subkulturen und professionelle Milieus: „Professionelle Milieus im Journalismus werden konstituiert von Journalisten mit ähnlichen beruflichen Rollenverständnissen. Diese Milieus können die Grenzen von Organisationen und Ländern transzendieren und Personen ganz unterschiedlicher Couleur zusammenführen.“ (Hanitzsch 2010: 230) Während mit dem Rollenselbstverständnis eine berufliche Selbstwahrnehmung abgebildet werden kann, die sich vor allem auf den individuellen Journalisten bezieht, ermöglicht die Betrachtung professioneller Milieus nach Gemeinsamkeiten sowohl über journalistische Gattungen als auch nationale Mediensysteme hinaus zu schauen und ist von daher für eine vergleichende Kommunikatorstudie von großem Interesse. Das Vorkommen verschiedener Berichterstattungsmuster hängt dabei unter anderem vom Mediensystem ab, das in einer Gesellschaft prägend ist: „Im Zentrum des Selbstverständnisses pluralistischer Mediensysteme steht nach wie vor die ‚Objektivität‘ von Nachrichten“. (Weischenberg 1995: 157) Von besonderer Bedeutung ist somit das Konzept des Informationsjournalismus, der stark von einer angloamerikanischen journalistischen Tradition geprägt ist und dort unter objective reporting firmiert (vgl. Neuberger 2005: 326). Journalisten nehmen hier die Rolle des Vermittlers ein und haben die Aufgabe, Realität abzubilden. Grundsätzlich ist zwischen einem engen Objektivitätsverständnis, das sich vor allem am „Verhältnis zwischen der Realität und Aussagen über Aspekte der Realität“ (ebd.: 325) orientiert, und einem weiten Objektivitätsbegriff, der darüber hinausgeht, zu unterscheiden. Dabei ist entscheidend, „dass die Objektivitätsnorm aus der Wahrheitsnorm deduzierbar ist und einen prozessualen sowie einen objektbezogenen Aspekt beinhaltet“ (Scholl/Weischenberg 1998: 181). Während der prozessuale Aspekt sich auf das journalistische Handeln und damit die Objektivität des Journalisten bezieht, geht es beim objektbezogenen Aspekt um Medienobjektivität, die sich zum Beispiel in einer verzerrungsfreien Darstellung zeigt (vgl. ebd.).

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Das Problem journalistischer Objektivität steht dabei im Zentrum einer Ethikdebatte im Journalismus (vgl. ebd.: 180). Kritiker des Konzepts des objektiven Journalismus weisen darauf hin, dass er „offizielle Standpunkte und Ereignisse, die von mächtigen Institutionen inszeniert und kontrolliert werden“ (Meier 2007: 184) bevorzuge. Mit einer Orientierung auf einer „neutralen“ Faktenpräsentation besteht darüber hinaus die Gefahr, einer gewissen „Ereignisfixierung“ zu verfallen und Ursachen und Hintergründe zu vernachlässigen. An der Objektivitätsnorm wird auch das Synchronisationsproblem deutlich, mit dem Journalismus konfrontiert ist (vgl. Neuberger 2005: 325). Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass Journalisten und Redakteure oft nicht selbst vor Ort sind und sich stattdessen auf Sekundärinformationen verlassen müssen. Hier hat der Fotojournalismus einen entscheidenden Vorteil, ist doch die Anwesenheit am Ort eines Geschehens die Conditio sine qua non für die Entstehung einer Bildnachricht. Die Bedeutung des Vor-Ort-Seins manifestiert sich an der Authentizität als zentraler Leitidee des Fotojournalismus. Sie kann laut Grittmann als die bildspezifische Ausprägung des journalistischen Objektivitätsanspruchs gelten (vgl. Grittmann 2007: 36). Der Begriff der „Authentizität bezieht sich dabei auf eine Übereinstimmung der Aufnahme mit der Realität“ (Grittmann 2003: 124). Damit findet eine Orientierung an einem klassischen Wahrheitsbegriff statt, für den entscheidend ist, dass das, was auf dem Bild zu sehen ist, so vor der Kamera stattgefunden hat. Klaus Honnef brachte dies auf folgende Formel: „Das fotografische Bild enthält mit anderen Worten die Sache, ohne die Sache selbst zu sein“. (Honnef 1980: 215) Damit hält der Fotojournalismus an einer Norm fest, die in der bildtheoretischen Diskussion, insbesondere seit der konstruktivistischen Wende in den Sozialwissenschaften, als überholt gilt. Bilder im journalistischen Gebrauch gelten weiterhin als Fenster zur Realität, „einzig eingeschränkt um das Wissen, dass das jeweils aufgestoßene Fenster nur einen ausgewählten Moment zeigt“ (Grittmann 2003: 124). Der Authentizitätsanspruch ist dabei nicht zu verstehen, ohne auf die Bedeutung von Bildern im Journalismus einzugehen. Vor allem die Informationsfunktion von Bildern (vgl. Meckel 2001: 26) ist hier von großer Bedeutung, da „die Objektivität der Berichterstattung und ihre Glaubwürdigkeit [...] durch das authentische Bild unterstützt werden“ (Grittmann 2003: 128). Der Journalismus brauchte die Fotografie um die Objektivitätsnorm aufrecht erhalten zu können. Seine Institutionen waren die ersten, die sich mit der Fotografie identifizierten „exploiting the belief in the photograph as an accurate, credible representation of reality“ (Becker 1991: 382). In ihrer zeitgenössischen Ausprägung und Diskussion der Authentizitätsnorm im Fotojournalismus gilt die Glaubwürdigkeit nicht mehr als bildinhärente Eigenschaft, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit, die auf professionellen Normen und sozialen Praktiken fußt (vgl. Grittmann 2003: 125): „Accepting photojournalism as evidence is a convention rather than an absolute guarantee of truth



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because even when photography is used in one of its most realistic styles it still does not provide absolute or even substantial proof“ so Taylor (2000: 131). Der Authentizitätsanspruch wird durch spezifische Techniken des Fotojournalismus und die Einhaltung bestimmter Regeln bei der Aufnahme hergestellt. Dazu gehört beispielsweise der „Verzicht auf Eingriffe in die Aufnahmesituation durch die Fotojournalistin oder den Fotojournalisten sowie der Verzicht auf nachträgliche Bildmanipulation nach der Aufnahme und in der Bildbearbeitung“ (Grittmann 2007: 266). Dazu kommen andere Kriterien wie der kameraabgewandte Blick, die Abwesenheit der Kamera und anderer Fotoreporter im Bild, was auch als clean frame bezeichnet wird, Aufnahmen in Augenhöhe sowie eine Einstellungsgröße zwischen nah und halbtotal (vgl. ebd.: 282). Die beiden letztgenannten sind bildnerische Konventionen zur Erzeugung eines naturalistischen Bildeindrucks. Das Festhalten an der Authentizitätsnorm stellt auch einen zentralen Pfeiler einer fotojournalistischen Ethik dar.7 Es ist der Fotoreporter als journalistischer Kommunikator, der durch seine subjektive Leistung in Form seiner Augenzeugenschaft und seiner körperlichen Anwesenheit für die „Authentizität“ der Bilder steht. Die Kontextualisierung bei der publizistischen Verwertung im Journalismus bildet den Rahmen, um diese Glaubwürdigkeit zu fördern und aufrechtzuerhalten. Die Authentizitätsnorm des Fotojournalismus und die Objektivitätsnorm des Textjournalismus unterscheiden sich, weil beide zu weiten Teilen nur mediumspezifisch umgesetzt werden können. Quellenvielfalt als zentraler Teil der Objektivitätsnorm ist beispielsweise im Fotojournalismus nicht umzusetzen und bezieht ihre Bedeutung aus der Schaffung verschiedener Bedeutungs- und Argumentationsebenen im Text. Die bildnerischen Konventionen zur Erzeugung von Authentizität in Bildern sind dagegen für den Textjournalismus irrelevant. Während die Augenzeugenschaft des Kommunikators eine Kann-Funktion im Textjournalismus hat, ist sie im Fotojournalismus die Conditio sine qua non für ein authentisches Bild. Beide Normen und Gattungen interagieren jedoch miteinander. So wird das authentische Bild im Textjournalismus genutzt, um die Glaubwürdigkeit eines Textes zu erhöhen, während die Bildunterschriften von Bildern sich an der Objektivitätsnorm und Prinzipien wie den Fünf W orientieren. Die Hybridität des Berufsfeldes Fotojournalismus, das durch eine große Akteursvielfalt sowie den Charakter einer freien Profession gekennzeichnet ist, erschwert auch die Formulierung von klaren Rollenbildern. Darüber hinaus ist bis heute das Bild „des Fotojournalismus als Leistung individueller Persönlichkeiten (vorherrschend), die sich stärker in der Fotografie als kulturellem Bildmedium denn im Journalismus als organisations-

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Das Thema fotojournalistischer Ethik wird ausführlich im Kapitel 3.1.8 behandelt.

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gebundenem Kontext verorten. Dazu trägt bei, dass Fotojournalist/-innen hauptsächlich als Freie arbeiten und dabei teils in Agenturen organisiert sind, die selbst internationales Renommee genießen.“ (Grittmann 2007: 34)

Die umfangreiche Forschung über Rollenbilder im Journalismus hat die Fotoreporter bisher weitgehend ignoriert, so dass es keine Formulierung von Rollenmustern gibt, die auf das Berufsfeld und die Besonderheit der Arbeit mit Bildern gerichtet sind. Eine Schwierigkeit ist, dass Fotoreporter oft aufgrund ökonomischer Zwänge gleichzeitig im Journalismus, der Werbung und der Kunst tätig sind. Laut Lauber kommt es in diesem Zusammenhang zu „Entgrenzungen, beispielsweise zwischen den ‚Systemen‘ Journalismus und Public Relations (PR). Das (ökonomisch) aufwendig gestaltete PR-Bild findet analog zu seinem textlichen Pendant immer häufiger Eingang in den Journalismus. Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen den Berufsbildern ‚Fotojournalist‘ und ‚Fotokünstler‘.“ (Lauber 2008: 165)

Angesichts dieser Entgrenzungen ist zu fragen, ob die Fotoreporter für jedes Berufsbild eine eigene Rollenvorstellung entwickeln oder die Fotografie als Klammer oder Schirm funktioniert, die bestimmte Einstellungen auf das Medium vorgibt und gleichzeitig verschiedene Herangehensweisen an den Beruf zulässt. Die Bedeutung des Realitätsbezugs und der Augenzeugenschaft sowie der professionellen Norm der Authentizität im Fotojournalismus weisen darauf hin. Verweise in der Literatur, die sich auf das Vorkommen von Rollenbildern im Fotojournalismus beziehen, sind in der Regel empirisch nicht fundiert, sondern Einzelfallbeschreibungen. So schreibt Fred Richtin über die Rollenvorstellungen von Dokumentarfotografen: „Documentary photographers, at least many of them, have always seemed to approach the world with a touch of both the poet and the social worker, aware of both what is and what might be.“ (Richtin 2013: 152) Ähnlich wie die Beschreibung als social worker vergleichen andere Autoren die Arbeit von Fotojournalisten mit der von Anthropologen: „Photojournalism is visual anthropology. Photojournalists study humankind through their reportage; they are professional observers.“ (Newton 2001: 54) Löffelholz merkt kritisch an, dass ausgehend von einem systemtheoretischen Konzept individuelle Merkmale von Journalisten keine besondere Relevanz für das journalistische Handeln haben (vgl. Löffelholz 2003: 47). Darüber hinaus hat die Forschung, was den Zusammenhang zwischen Rollenselbstverständnis und journalistischem Handeln angeht, keine einheitlichen Ergebnisse zu Tage gefördert. Um diese Lücke zu schließen, führen Scholl und Weischenberg die Kategorie der Handlungsrelevanz ein, worunter sie „die Wahrscheinlichkeit der praktischen Umsetzung des Rollenselbstverständnisses in (redaktionelles) Handeln“ verstehen (Scholl/



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Weischenberg 1998: 162). Insofern ist für die empirische Untersuchung vor allem die Untersuchung der tatsächlichen Handlungen von Journalisten von Bedeutung. Die Betrachtung der Sozialisation von Journalisten ist jedoch insofern von Bedeutung, als damit eine Analyse verschiedener persönliche Zugänge zum Journalismus und eine Herausarbeitung von Berichterstattungs- und Rollenmustern möglich werden. Dabei muss die Besonderheit der Sozialisation im Fotojournalismus berücksichtigt werden. Zu überprüfen ist, inwieweit Facetten der dominierenden Berichterstattungsmuster, wie des objektiven Journalismus, auch im Fotojournalismus zu finden sind. Für eine Betrachtung der Einflüsse auf journalistisches Handeln spielen jedoch nicht nur individuelle Faktoren, sondern auch das institutionelle Gefüge, in das diese eingebunden sind, eine entscheidende Rolle. 3.1.5 Das Institutionengefüge des Fotojournalismus Bei der Untersuchung der Meso-Ebene geht es des Weiteren um Faktoren, die im Bereich der Medieninstitutionen angesiedelt sind und über individuelle Aspekte des Einzelnen hinaus Themen des Berufsfeldes aufgreifen. Dazu gehören vor allem Medienroutinen, wie die Nachrichtenauswahl, aber auch Charakteristika des Marktes. Einen Kernbereich journalistischen Handelns stellt die Auswahl von Nachrichten dar. Dies ist ein verbindendes Element aller journalistischen Gattungen bzw. Darstellungsformen, vom Textjournalismus im Zeitungsformat über den Onlinejournalismus zum Fernseh- und Fotojournalismus. Journalisten wählen aus einer Vielzahl von Ereignissen diejenigen aus, die publizistisch verwertet werden. Das aus der Sozialpsychologie übernommene Konzept des Gatekeepers sieht Journalisten in der Funktion von Schleusenwärtern. Der fiktive „Mr. Gates“ als Redakteur ist die Schleuse, durch die eingehende Nachrichten (Input) gehen müssen, bevor ein Bruchteil von diesen publizistisch verwertet (Output) werden kann. Innerhalb des Journalismus findet ein „Gatekeeping in erheblichem Umfang und zum Teil in mehreren Stufen (Reporter, Agentur, Redakteur etc.) statt“ (Beck 2007: 166). Ging es in dieser Forschungsrichtung anfänglich eher um persönliche Einstellungen des Kommunikators, wurden diese mit der Zeit um Faktoren wie die Berufssozialisation und organisationelle Kontexte erweitert. „Die inviduellen Gatekeeper handeln also keineswegs beliebig, sondern reagieren aufgabenorientiert und routiniert nach professionellen Kriterien auf den Input“ so der Kommunikationswissenschaftler Klaus Beck (ebd.: 167). Fotoreporter stellen eine Art von visuellen Gatekeepern dar, die je nach Beruf- und Arbeitsrolle auf unterschiedliche Art und Weise in die Redaktionen integriert sind. In den klassischen Organisationsstrukturen des Journalismus zeigt sich eine nachrangige Bedeutung des Fotojournalismus bzw. der Pressefotografie. Umgekehrt ist die „Trennung in Redakteurs- und Reporterrollen [...] im Fotojournalismus



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weitaus verbreiteter als im Textjournalismus“ (Grittmann/Ammann 2008: 17). Dies wird vor allem an der Ausdifferenzierung der Berufsfelder Fotoreporter und Bildredakteur8 deutlich, die die zentralen Berufsrollen des Fotojournalismus darstellen. Während der Fotoreporter, wie bereits erläutert, für die Produktion verantwortlich zeichnet, ist der Bildredakteur vor allem in die Distribution, Redaktion und Publikation involviert. Anders als Fotoreporter sind Bildredakteure aufgrund der Existenz eigenständiger, teilautonomer Bildredaktionen direkt in die journalistischen und redaktionellen Organisationsstrukturen eingebunden. Die meisten Pressefotografen dagegen arbeiten frei oder in eigenen Organisationsstrukturen und nicht als feste Redaktionsmitglieder (vgl. ebd.: 16). Auf institutioneller Ebene sind die Bildredakteure meist die Ansprechpartner der freien Fotoreporter in den Redaktionen. Tabelle 1: Ausdifferenzierung von Berufs- und Arbeitsrollen der Fotoreporter BERUFSROLLE

ARBEITSROLLE

Arbeitsbereich

Arbeitsverhältnis

Staffer

Fotoreporter

Nachrichtenfotografie

Agentur/ Medium Agentur/ Medium Agentur Agentur

Stringer Dokumentarfotografie

Arbeitgeber/ Auftraggeber

Freelance

Agentur/ Medium Medium

Position Local Staff Foreign Staff Chief Photographer Stringer mit Guarantee Normaler Stringer Tagesjob Assignment

Lässt sich durch die Übernahme bestimmter Aufgabenbereiche weiter spezifizieren, z.B. Local Staff als Informant, ...

Selbstständig

Quelle: Eigene Darstellung

Die Berufsrolle lässt sich des Weiteren durch die Verortung zu den beiden Arbeitsbereichen Nachrichten- und Dokumentarfotografie spezifizieren. Daraus ergeben sich dann bestimmte Arbeitsrollen. Eine Arbeitsrolle ist durch die Übernahme eines klar definierten Arbeitsbereiches vor allem innerhalb journalistischer Institutionen gekennzeichnet. Von daher wird die Arbeitsrolle bestimmt durch das Arbeitsverhältnis, den Charakter des Arbeitgebers, die Position innerhalb der Institution sowie den spezifischen Aufgabenbereich. Daraus ergeben sich eine Reihe konkreter fotojournalistischer Arbeitsrollen (siehe Tabelle 1). Diese lassen dann auch Schlüsse über den Umfang des Gatekeeping des einzelnen Fotoreporters zu. Die Arbeitsrol-

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Auf die spezifische Ausprägung des Berufsfelds des Bildredakteurs wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen.



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len stellen insofern eine Spezifizierung der Berufsrolle Fotoreporter dar, als sie „weitere formalisierte Verhaltenserwartungen in der Redaktion“ beinhalten, „die aber innerhalb gewisser Grenzen interpretierbar sind“ (Weischenberg 1992: 301). Der Fotojournalismus ist durch eine Mischung aus freier Profession und industrialisiertem Arbeitsprozess charakterisiert. Er zeichnet sich durch einen sehr stark arbeitsteiligen und professionalisierten Arbeitsprozess aus, der Routinen ausgebildet hat und in seiner spezifischen Tätigkeit allgemeinen Normen und Regeln unterliegt. Eine Besonderheit des Fotojournalismus ist, dass er eigene organisationale Strukturen entwickelt hat, die zum System Journalismus gerechnet werden können und die entscheidend für eine Beschreibung der Routinen im Fotojournalismus sind. Dies ist eine Folge der Parallelität in der historischen Entwicklung von Foto- und Wortjournalismus (vgl. Grittmann 2007: 261). Diese Institutionen sind in einen eigenen Bildermarkt integriert. Für eine analytische Betrachtung dieser Institutionen werden drei Gruppen unterschieden: Bildurheber, Bildnutzer und Bildanbieter bzw. -vermarkter (Wilke 2008a: 37). Fotoreporter übernehmen für den Markt die Funktion der Bildurheber und, sofern sie ohne die Vertretung von Agenturen agieren, auch die des Bildanbieters. Medieninstitutionen, die publizistische Produkte erstellen, übernehmen die Funktion des Bildnutzers. Die sichtbarste Ausprägung des Warencharakters fotojournalistischer Produkte und des dahinterstehenden kommerziellen Systems stellt die Pressefotografie dar. „Icons are sought, bought, and marketed“ heißt es bei Perlmutter (1998: xvii). Die klassische Funktion der Bildanbieter und -vermarkter und damit der Zwischenhändler übernehmen Bildagenturen, die in vielen verschiedenen Formen existieren. Sie übernehmen eine zentrale Funktion auf der MesoEbene des Fotojournalismus und stellen das Rückgrat seines institutionellen Gefüges dar. Laut Wilke beschaffen Bildanbieter das benötigte „Bildmaterial durch eigene oder freischaffende Fotografen und verbreiten dieses an die Nachfrager und Bildnutzer“ (Wilke 2008a: 37). Darüber hinaus agieren Bildanbieter „auf dem Bildermarkt als Makler, bei ihnen treffen sich Angebot und Nachfrage. Fotoagenturen besitzen nicht nur mehr oder weniger große Datenbanken zur Recherche, hier stehen darüber hinaus auch ständig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Beratung von Art-Buyern und Bildredakteuren sowie zur Bearbeitung von Kundenanfragen zur Verfügung.“ (Bauernschmitt 2010: 83)

Das Feld der Bildanbieter lässt sich dabei weiter differenzieren. Grundsätzlich ist eine Unterscheidung zwischen Agenturen, die Bilder für den kreativen Bereich (creative), und Agenturen, die Bilder für den redaktionellen Einsatz (editorial) anbieten, zu treffen (vgl. Bergmann 2006: 35). Zum ersten Bereich gehören vor



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allem Spezialagenturen und Universalagenturen, wobei Letztere oft auch redaktionelle Bilder anbieten. Hauptsächlich im journalistischen Bereich tätig sind Pressebild-Agenturen. Eine andere Unterscheidung ist des Weiteren nach der Eigentümerschaft zu ziehen. Auf dem Markt finden sich sowohl privat geführte Geschäfte, Kollektive als auch börsennotierte Unternehmen. Ein besonderes Marktsegment bezieht sich auf den Bereich der redaktionellen Fotografie (editorial) und damit auf den Fotojournalismus. Für den Bereich der Pressebild-Agenturen sind vor allem drei Akteursgruppen von Interesse: die Bilderdienste der Nachrichtenagenturen, eigenständige Bildagenturen und Fotografenagenturen. Als Bilderdienste werden die auf das Bild ausgerichteten Abteilungen globaler, internationaler sowie nationaler Nachrichtenagenturen bezeichnet. Bildagenturen sind im Vergleich zu den Bilderdiensten der Nachrichtenagenturen nur im Bildgeschäft tätig, wie z. B. die „European Pressphoto Agency“ (EPA). Fotografenagenturen wären diejenigen, die in der Hand von den Fotografen oder den Redakteuren sind, oft in Form von Kollektivstrukturen. Die Bilderdienste der Nachrichtenagenturen sind die Marktführer, was den weltweiten Handel mit tagesaktuellen Bildern angeht. Nachrichtenagenturen im Allgemeinen sind „Nachrichtengroßhändler“ (Schulten-Jaspers 2013: 57) und stellen die Schnittstelle bzw. die „Mittler zwischen Ereignis und Publikum dar“ (Segbers 2005: 311). Sie sind die wichtigsten Gatekeeper vor allem im internationalen Journalismus und der Auslandsberichterstattung. Bildangebote gehören dabei neben Text- und Videomaterial zu den Kernangeboten der Nachrichtenagenturen (vgl. Segbers 2007: 66). Eine bis heute gültige Definition von Nachrichtenagenturen stammt von der UNESCO: „A news agency is an undertaking of which the principle objective, whatever its legal form, is to gather news and news material of which the sole purpose is to express or present facts and to distribute this to a group of news enterprises [...].“ (UNESCO 1953: 24) Primär ist dabei zwischen globalen, internationalen und nationalen Nachrichtenagenturen zu unterscheiden. Globale Agenturen, auch „Weltagenturen“ genannt (Segbers 2007: 43), bieten ihre Dienste in mehreren Sprachen an und verfügen über ein globales, engmaschiges und kostenintensives Korrespondentennetz. Oft gehen sie Kooperationen mit nationalen Agenturen ein, an die ihr Angebot übermittelt wird. Als globale Agenturen gelten heute „Associated Press“ (AP), „Agence France-Presse“ (AFP) und Reuters. Internationale Agenturen verfügen ebenfalls über ein globales Korrespondentennetz, haben aber eine geringere weltweite Wahrnehmung als globale Agenturen und verfügen in der Regel nicht über Dienste in mehreren Sprachen. Dazu gehören die „Deutsche Presse-Agentur“ (dpa), die italienische „Agenzia Nazionale Stampa Associata“ (ANSA) und die spanische EFE. Laut Segbers sind die „Grenzen zwischen globalen und internationalen Nachrichtenagenturen“ jedoch fließend (ebd.: 16). Nationale Agenturen sind privatwirtschaftlich oder staatlich organisiert



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und konzentrieren „sich ausschließlich oder nur mit geringem Ausnahmen auf ihren jeweiligen Heimatmarkt“ (ebd.: 17). Eine Besonderheit stellen Staatsagenturen dar. Vor allem die russische Nachrichtenagentur „Itar-Tass“ und die chinesische Agentur „Xinhua“ haben dabei ebenfalls eine globale Reichweite. „Während privatwirtschaftlich organisierte Nachrichtenagenturen das Ziel verfolgen, die Informationsbedürfnisse der Medien und damit die des Endverbrauchers zu befriedigen, verstehen sich Staatsagenturen als Vermittler staatlicher Informationspolitik.“ (Ebd.: 34) Unter den drei globalen Agenturen unterhält AP den größten Apparat und führt die Selbstbezeichnung als größte Nachrichtenagentur der Welt. 3500 Angestellte verteilen sich auf 250 Büros und es gibt Dienste in fünf Sprachen (Englisch, Spanisch, Französisch, Arabisch und Niederländisch) (vgl. ebd.: 20). AP ist ein genossenschaftlich organisierter Zusammenschluss US-amerikanischer Zeitungsverlage (vgl. Schulten-Jaspers 2013: 59). Die zweitgrößte globale Agentur ist Reuters. 2.300 Journalisten, Fotografen, und Kameraleute verteilen sich auf 196 Büros in 130 Ländern mit Diensten in 18 Sprachen (vgl. Segbers 2007: 17). Im Vergleich zu den beiden anderen globalen Agenturen hat Reuters keinen Heimatmarkt. Reuters ist ein börsennotiertes Unternehmen, firmiert seit 2007 unter dem Namen Thomson Reuters und ist von der Rechtsform her eine Aktiengesellschaft (vgl. SchultenJaspers 2013: 59). Die kleinste der globalen Agenturen ist die französische Agentur AFP. 1.200 Journalisten, darunter 250 Fotografen, sowie 2000 Freie arbeiten in Büros in 165 Ländern. Nachrichten werden in sechs Sprachen (französisch, englisch, deutsch, spanisch, portugiesisch, arabisch) verbreitet. Das Statut der Agentur in Frankreich ist mit dem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland vergleichbar ist, was sich unter anderem an der Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zeigt (vgl. Segbers 2007: 23). Die Landschaft der Bilderdienste hat sich von zwei Weltbilderdiensten in den 1980er Jahren, namentlich AP und UPI, zu drei Weltbilderdiensten im 21. Jahrhundert gewandelt. Während AP weiterhin im Geschäft ist, verkaufte UPI 1984 ihren Bilderdienst an Reuters und AFP gründete nach dem Austritt aus der EPA einen eigenen Bilderdienst (vgl. ebd.: 66). Auch „ItarTass“ und „Xinhua“ vertreiben ihre Bilder weltweit. Das Geschäft der Bilderdienste der globalen und internationalen Nachrichtenagenturen sind die Bildnachrichten, also Fotografien von tagesaktuellen Ereignissen. Ein weiteres wichtiges Produkt sind features. Kennzeichnend ist dabei die Fokussierung auf Einzelbilder. Ziel der Bilderdienste ist es „to have a photograph available on the wire as soon as possible after the event“ (Gürsel 2012: 74). Schnelligkeit ist somit ein zentrales Kriterium. Hierfür sind das weltweite, engmaschige Korrespondennetz der Bilderdienste sowie technologische Entwicklungen, die eine Produktion fast in Echtzeit ermöglichen, von großer Bedeutung. In der Regel werden die Bilder bei Nachrichtenagenturen von den eigenen Angestellten angefertigt. Ist dies nicht oder nicht schnell genug möglich, kaufen die Agenturen in seltenen

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Fällen auch Bilder von anderen Fotoreportern oder im Ausnahmefall sogar von Amateuren an (vgl. Segbers 2007 : 67). Die Bilderdienste zeichnen sich dadurch aus, dass hier eine ausgeprägte Trennung der fotojournalistischen Arbeits- und Berufsrollen, verbunden mit klaren Hierarchien, zu finden ist (siehe Tabelle 1). Es gibt eine klare Aufgabenteilung zwischen den global verteilten Fotoreportern, die die Arbeit im Feld übernehmen, sowie den auf verschiedene weltweite Standorte verteilten Bildredakteuren mit festen Redaktionsstrukturen. Als Arbeitsrollen finden sich die chief photographers, die ein Team von Fotoreportern koordinieren, sowie die festangestellten Fotoreporter, oft internationale und auch Staffer genannt, sowie die auf Tagesbasis angeheuerten Stringer, zumeist lokale Fotoreporter. Die Finanzierung der Bilderdienste geschieht wie im klassischen Agenturgeschäft über Abonnementdienste. Gewinn wird nicht über Einzelbilder, sondern die Masse der Abonnements erzielt. Eine weitere wichtige Strategie ist die Zweitverwertung von Bildern, z. B. durch den Verkauf von Bildern an Werbeagenturen oder andere kommerzielle Bildnutzer. Ob und inwieweit eine nicht redaktionelle Nutzung möglich ist, hängt von der Art der Bilder ab. Einige Agenturen schränken dies ein, indem sie ihre Bilder mit dem Zusatz „for editorial use only“ versehen. Dann sind Bilder nur im direkten Zusammenhang mit journalistischen Erzeugnissen über das bebilderte Ereignis verwendbar, z. B. in einem Buch oder als generisches Bild zu einem bestimmten Thema. Bildagenturen sind im Vergleich zu den Nachrichtenagenturen nur im Bildgeschäft tätig. Beispielhaft zu nennen wären die europäische Bildagentur EPA oder die amerikanischen Universalagenturen „Corbis“ und „Getty Images“. Die EPA ist ein Zusammenschluss europäischer Nachrichtenagenturen mit weltweiten Strukturen: „Durch ihre Mitgliedsagenturen verfügt die epa innerhalb Europas über ein nahezu flächendeckendes Fotografennetz, außerhalb Europas werden eigene Fotografen beschäftigt.“ (Wilke 2008a: 71) Die Agentur „Corbis“ wurde 1989 vom Microsoftgründer Bill Gates gegründet und war in 14 Ländern auf der Welt tätig.9 Durch Zukäufe von kleineren Bildagenturen wie „Sygma“ wuchs die Agentur stark. Der „Gigant unter den Bilderhändlern“ (Segbers 2007: 179) ist die Universalagentur „Getty Images“, mit Tochtergesellschaften in mehr als 50 Ländern, 250 festen und freien Fotografen sowie eigenen redaktionellen Angeboten zu den Themen Nachrichten, Sport und Entertainment. Eine bisher einzigartige Kooperation sind „Getty Images“ und AFP eingegangen. Über „Getty Images“ werden die tagesaktuellen Fotos des AFP Bilderdienstes weltweit und auf dem amerikanischen Markt

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Corbis wurde Anfang 2016 an ein Unternehmen der Visual China Group verkauft und die Webseite vom Netz genommen. Außerhalb Chinas übernahm der Konkurrent Getty Images die Vermarktung des Bildarchives.



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verbreitet. Eine weitere Eigentschaft, die „Corbis“ und „Getty Images“ von den Bilderndiensten unterscheidet, ist, dass sie einen Großteil ihrer Einnahmen über stock photography erwirschaften. Der Begriff bezieht sich dabei auf den stock (Lager), die Produktion von Bildern auf Vorrat um damit das Bedürfnis der Medien sowie der Werbebranche nach Bildern zur Illustration bedienen zu können (vgl. Ullrich 2008: 51). Die Trennlinie zwischen Bildagenturen und Fotografenagenturen ist nicht einfach zu ziehen. Als klassische Fotografenagentur und herausragendes Beispiel gilt die 1947 gegründete Agentur „Magnum“. Sie steht exemplarisch für Institutionen im Fotojournalismus, die von freien Fotoreportern gegründet wurden. Fotografenagenturen wären somit diejenigen, die in der Regel in der Hand von Fotografen oder (Bild-)Redakteuren sind und anders als die Bildagenturen in direktem Bezug zu den Produzenten stehen. Oft existieren sie in Form von Kollektivstrukturen nach dem Vorbild „Magnum“. Bekannte amerikanische Agenturen sind „Black Star“, „Contact Press Image“, „Magnum“, „Polaris“ und „Zuma Press“, auf dem europäischen Markt haben die Agenturen „SIPA Press“, „Vu“ und „laif“ einen Namen. Neu gestartet sind im Jahr 2001 die Agentur „VII“ sowie das 2007 gegründete Kollektiv „Noor“. Dazu kommt eine zunehmende Bedeutung von „hundreds of small, independent firms that offer photos over the Internet“ (Sexton 2002: 335). Die Marktdominanz von Nachrichten- und Bildagenturen aus dem globalen Norden leistet einer westlich-dominierten Nachrichtenkultur Vorschub. Fotojournalisten aus dem globalen Norden, die als Fotoreporter im globalen Süden arbeiten, bewegen sich in der Berichterstattung über den globalen Süden „immer auf dem schmalen Grad zwischen einem ethnograpischen und einem ethnozentrischen Blick“ (Schmidt 2000: 116). Ein neues Phänomen ist das Anheuern lokaler Fotografen für Aufträge internationaler Medien. Dies ist nicht ohne Folgen für das Berufsfeld: „Insofern hat die Globalisierung den global agierenden Fotoreporter eher untergraben und den Typus des vor Ort agierenden, aber global verkaufenden Fotografen hervorgebracht – mit anderen Worten den „glokalen“ Fotojournalisten.“ (Grittmann/Ammann 2008: 27) Mit dem Phänomen der „Glokalisierung“ geht einher, dass sich die Grenzen zwischen nationaler und internationaler Berichterstattung verschieben. „Glokale“ Fotoreporter übernehmen die Funktion, welche klassischerweise den festen Auslandskorrespondenten vorbehalten war. Die vorliegende Arbeit trägt der Glokalisierung insofern Rechnung, als das (g)lokale und internationale Fotoreporter als Produzenten für den internationalen Bildermarkt untersucht werden. Durch die Typologisierung von Auslandskorrespondenten nach Hamilton/Jenner (2004) kann dies auch theoretisch beschrieben werden.10

 10 Siehe dazu ausführlich das Kapitel 3.3 zum Fotojournalismus in Konflikten.



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Die hier skizzierten Institutionen des Bildermarkts sind deswegen von so großer Bedeutung, weil sie im Fotojournalismus das institutionelle Gefüge darstellen, in denen institutionalisierte Routineabläufe von Fotoreportern und eine Interaktion zwischen Fotoreporter und Redaktion zu beobachten ist. Fest angestellte Fotoreporter finden sich heute vor allem im Bereich der Agenturfotografie. Darüber hinaus finden sich hier spezifische Arbeitsrollen. In wichtigen Nachrichtenzentren wie in Israel und den palästinensischen Gebieten finden sich eigene Redaktionen, in die die Fotoreporter eingebunden sind. Vom Grad der Institutionalisierung hängt es ab, welche gemeinsamen Regeln es für das fotojournalistische Handeln gibt. Redaktionelles Handeln der Fotoreporter lässt sich vor allem bei den Bilderdiensten beobachten. In die klassischen Redaktionsstrukturen von Zeitungen und Zeitschriften sind eher die Bildredakteure eingebunden und frei schaffende Fotoreporter fungieren hier als Zulieferer mit weniger starren Strukturen, welche die persönlichen Handlungsspielräume bestimmen. Eine zentrale Fragestellung ist, auf welche Art die Fotoreporter mit den Organisationen verbunden sind und welcher Grad der Systemintegration vorherrschend ist. Beim Bildredakteur lässt sich diese Frage relativ einfach beantworten. Er ist ein Teil eines Redaktionssystems, mit einer bestimmten ihm zugewiesenen Rolle in der Produktion von Nachrichten, welche in der Auswahl von Bildern besteht. Bezogen auf den Fotoreporter ist eine weitere Binnendifferenzierung notwendig. Hier ist zwischen festangestellten Fotografen der Nachrichtenagenturen, Fotografen mit Redaktionsauftrag und Freien aus dem Bereich der Dokumentarfotografie zu unterscheiden. Die Agenturfotografen sind prinzipiell durch ihre Zugehörigkeit zur Agentur ins System Journalismus integriert, sowie durch die klare Aufgabenbeschreibung in der Nachrichtenfotografie, die sich am Code der Aktualität orientiert. Wobei der Grad der direkten Integration ins Redaktionssystem je nach Einsatzregion und dortiger Redaktionsstruktur sehr unterschiedlich sein kann. Fotografen mit Redaktionsauftrag sind temporär assoziierte Mitglieder der Organisationen, ohne in dieser Struktur verwurzelt zu sein, da sie physisch nicht Teil der Redaktionen sind. Hier erfolgt die Integration ins System vor allem durch die Produktion nach journalistischen Codes. Freie Fotografen, vor allem in der Dokumentarfotografie, haben dagegen meist keine direkte Bindung zu Redaktionen und Organisationen und können nur als Mitglieder des Systems Fotojournalismus bezeichnet werden, wenn sie nach journalistischen Codes produzieren. 3.1.6 Routinen und Auswahlprozesse im Fotojournalismus Fotojournalistisches Handeln zeichnet sich durch einen sehr stark arbeitsteiligen und professionalisierten Arbeitsprozess aus, der eigene Routinen ausgebildet hat und in seiner spezifischen Tätigkeit allgemeinen Normen und Regeln unterliegt



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(vgl. Grittmann 2007: 217). Dabei ist davon auszugehen, dass „der Fotojournalismus bzw. die Pressefotografie denselben Normen und Regeln unterliegt, wie der Wortjournalismus. Sie werden jedoch in bildspezifischen Techniken und (Re-) Präsentationsformen umgesetzt“ (Grittmann 2007: 17). Insofern ist zu untersuchen, inwieweit das spezifische der Bildtechnologie andere Routinen hervorbringt. Auf einen wichtigen Aspekt diesbezüglich weist Loup Langton hin: „Newsroom culture and routines create a kind of autopilot mentality when reporters and editors are forced to make rapid decisions about stories and photographs under deadline pressure.” (Langton 2009: 236) Der Autopilot ist ein wichtiges Stichwort, um zu beschreiben, wie Fotoreporter die bereits beschriebenen Darstellungsmodi verinnerlicht haben, die damit als eine wichtige Grundlage der alltäglichen fotojournalistischen Arbeit fungieren. Zu den Kernfunktionen journalistischen Handelns gehören die Rechercheprozesse. Sie gewährleisten die Qualität des Journalismus und haben zum Ziel „Geschehnisse möglichst genau und umfassend in Erfahrung zu bringen – und die dabei gewonnenen Informationen, so weit sie zutreffend sind, in einen Sinnzusammenhang zu bringen und öffentlich zu machen“ (Haller 2002: 576). Konkret geht es bei der Recherche um die Beschaffung geprüfter Basisinformationen und die Einlösung der drei Forderungen nach Relevanz, Gültigkeit und Verstehbarkeit. Dabei stellen ein kritischer Umgang mit Quellen und die Herstellung von intersubjektiver Überprüfbarkeit die wichtigsten Ziele dar. Zur Überprüfung der Ausgangsinformationen wird in der Regel auf die 5 W’s zurückgegriffen. Neben dem Umgang mit Basisinformationen geht es bei der Recherche auch darum, knappe redaktionelle Ressourcen und publizistische Erwägungen in Einklang zu bringen. Dafür ist die Art und Weise der Nachrichtenauswahl ein entscheidender Faktor. Die Nachrichtenauswahl ist ein verbindendes Element aller journalistischen Gattungen bzw. Darstellungsformen, vom Textjournalismus im Zeitungsformat über den Onlinejournalismus bis zum Fernseh- und Fotojournalismus. Journalisten und Fotoreporter wählen aus einer Vielzahl von Ereignissen diejenigen aus, die zu einem Berichterstattungsgegenstand werden und eine publizistische Verwertung erfahren. Dabei ist die Auswahl von Nachrichten im Journalismus als ein routinisierter Prozess zu betrachten, der Teil der täglichen Arbeitsabläufe ist. Die Auswahl erfolgt dabei anhand von Nachrichtenfaktoren, die einer Nachricht einen bestimmten Nachrichtenwert zuschreiben (vgl. Pürer 2003). Diese Nachrichtenfaktoren werden Ereignissen im Nachhinein zugewiesen, sind diesen also nicht immanent: „Nachrichtenfaktoren sind bestimmte Merkmale von Ereignissen, die deren Nachrichtenwert bestimmen. Je ausgeprägter diese Merkmale sind und je mehr Faktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto größer ist dessen Chance, als Nachricht beachtet zu werden.“ ( Meier 2007: 192) Die Beschreibung des Prozesses der Nachrichtenselektion über Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwerte wird auch als „Zwei-



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Komponenten-Modell“ (Kepplinger 1998: 20) bezeichnet und kommt vor allem aus der Erforschung des Textjournalismus. Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass Nachrichtenfaktoren Merkmale sind, die Objekten oder Ereignissen zugewiesen werden, die Nachrichtenwerte dagegen die Kriterien der Selektion darstellen. Erst die journalistischen Selektionskriterien „verleihen den Nachrichtenfaktoren ihren Nachrichtenwert. Allein besitzen die Nachrichtenfaktoren überhaupt keinen Nachrichtenwert“ (ebd.). Eine erste, bis heute gültige Einteilung der Nachrichtenfaktoren im Journalismus haben die Friedensforscher Galtung und Ruge in den 1960er Jahren vorgenommen. Ihrer Ansicht nach gibt es acht kulturunabhängige Faktoren, die in Frequenz, Schwellenfaktor, Eindeutigkeit, Bedeutsamkeit, Konsonanz, Überraschung, Kontinuität und Variation bestehen, sowie die drei kulturabhängigen Faktoren Bezug zu Elite-Nationen, Personalisierung und Negativität (vgl. Galtung/Ruge 1965). Die Faktoren sind dabei als additiv zu betrachten: je mehr Faktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto höher sein Nachrichtenwert. Die Unterscheidung in kulturabhängige und kulturunabhängige Faktoren ermöglicht, unterschiedliche Gewichtungen der Nachrichtenfaktoren zu beschreiben. Eine Neuausrichtung in Bezug auf die Zuordnung von Nachrichtenwerten zu Ereignissen gab es durch die Arbeit von Schulz (1997). Bei ihm wird vor allem der konstruktivistische Aspekt der Auswahl von Nachrichten stärker hervorgehoben, der sich in der bewussten Zuweisung der Faktoren durch Journalisten zeigt. Damit spricht Schulz den Journalisten dezidiert die Definitionsmacht darüber zu, welcher Wert einem Ereignis zugemessen wird. Schulz führt sechs Dimensionen ein, in die die Nachrichtenfaktoren eingeordnet werden können. Diese sind Status (EliteNation, Elite-Institution, Elite Person), Valenz (Aggression, Kontroverse, Werte, Erfolg), Relevanz (Tragweite, Betroffenheit), Identifikation (Nähe, Ethnozentrismus, Emotionalisierung), Konsonanz (Thematisierung, Stereotypie, Vorhersehbarkeit) und Dynamik (Frequenz, Ungewissheit, Überraschung) (vgl. ebd.: 20-22). In der klassischen Forschung zu Nachrichtenfaktoren hat die visuelle Darstellung bisher eher eine marginale Rolle gespielt: „Die Frage, ob Bildmaterial überhaupt vorliegt, hat gerade in der Forschung zum Nachrichtenwert von Fernsehnachrichten zur Entwicklung eines eigenen Nachrichtenfaktors „Visualität“ geführt. Allerdings deuten die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass es sich nicht um einen Auswahlfaktor handelt, sondern dass er allenfalls die Gewichtung bestimmt.“ (Grittmann 2007: 94)

Umso interessanter ist die Fragestellung, wie es um eigenständige Fotonachrichtenfaktoren bestellt ist. Im Subsystem des Fotojournalismus werden ähnlich wie im Journalismus Ereignisse als Berichterstattungsgegenstand ausgewählt, um darüber



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publizistische Produkte in Form von Nachrichtenbildern und Fotoreportagen zu erstellen. Rössler und Kollegen definieren Fotonachrichtenfaktoren als „Kriterien, anhand derer Kommunikatoren über die Publikationswürdigkeit von Pressefotos entscheiden oder diese rechtfertigen“ (Rössler et al. 2011b: 208). Diese unterscheiden sich insofern vom Moment der Ereigniswahl, als zu diesem Zeitpunkt noch keine visuellen Informationen vorliegen. Offen ist die Frage, ob und wenn ja, welche „bildspezifische(n) Merkmale (es) gibt, die zwar bei der Bildauswahl, jedoch nicht bei der Ereignisauswahl relevant sind“ (Stengel 2013: 136). Fotonachrichtenfaktoren sind laut Rössler und Kollegen Gewalt/Aggression, Prominenz, Emotionen, Fototechnik, Kontroverse, Schaden, Sexualität und Überraschung (Rössler et al. 2011b). Andere Faktoren, die bei der Forschung zu Fotonachrichtenfaktoren von Diehlmann (Diehlmann 2010) und Engesser und Kollegen (Engesser et al. 2010) eine Rolle spielten, waren Demonstration, Einfluss, Kind, Kontroverse, Kriminalität, Kuriosität, Personalisierung, Reichweite, Superlativ, Überraschung und Tier. Strittig ist der Umgang mit dem Fotonachrichtenfaktor Fototechnik. Aufgrund der schwierigen Operationalisierung hält Stengel diesen für problematisch. Ihrer Ansicht nach ist davon auszugehen, dass publizierte Bilder mit Ausnahme von Amateuraufnahmen immer ein Mindestmaß an Qualität erfüllen und der Faktor von daher nicht als Auswahlkriterium geeignet ist (vgl. Stengel 2013: 135). Auch wenn die ästhetische Qualität der Bilder für die Auswahl eine große Rolle spielt, findet sie keinen Eingang in die Fotonachrichtenfaktoren (vgl. ebd.: 122), da hierfür vor allem persönliche Vorlieben des Bildredakteurs eine große Rolle spielen (vgl. Rössler et al. 2011a: 428). Grundsätzlich ist zu beachten, dass Fotonachrichtenfaktoren bei der Auswahl von Bildern für die Publikation nur einen unter vielen Faktoren darstellen. Nach Untersuchung von Rössler und Kollegen sind auch persönliche Einstellungen, spezifische Kenntnisse der Bildredakteure sowie redaktionelle Richtlinien entscheidende Faktoren (Rössler et al. 2011a). Grittmann stellt grundsätzlich in Frage, „ob der Nachrichtenwert von Bildern und insbesondere von Pressefotos unabhängig vom Text überhaupt ermittelt werden kann“ (Grittmann 2007: 94), da die Entscheidung, über ein Thema zu berichten, ausgehend von Textnachrichten gefällt wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass die Entscheidung über Bilder der Entscheidung über einen Text in der Regel nachgelagert ist. Hier kommt noch einmal die Besonderheit visueller, bildbasierter Kommunikation zum Tragen: „Fotos stellen nur einen Moment einer Beobachtung dar, Nachrichtenfaktoren beziehen sich jedoch genau auf den Kontext, der im redaktionellen Prozess der Text-Bild-Auswahl erst hergestellt wird. Damit ließe sich lediglich erklären, warum auch ein Foto ausgewählt wurde [...].“ (Ebd.: 269)



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Als problematische Tendenz wird in der Literatur beschrieben, „wenn Journalismus und Massenmedien, und dies ist bei Presse, Hörfunk und Fernsehen weitestgehend der Fall, sich an Nachrichtenfaktoren orientieren und ihr Selektionsverhalten danach ausrichten“ und damit „Realität und Medienrealität weit auseinander klaffen“ (Pürer 2003: 133). Dies birgt die Gefahr, dass eine selbstreferentielle Medienrealität entsteht, die nur noch an sich selbst und nicht mehr an der „Realität“ orientiert ist. Staab kritisiert, dass die Nachrichtenwerttheorie ein weitgehend „apolitisches Kausalmodell der Nachrichtenauswahl“ sei, in dem „Eigenschaften von Ereignissen als Ursachen, die Berichterstattung als Folge betrachtet wird“ und fordert darüber hinaus „die Möglichkeit der Intentionalität journalistischer Selektionsentscheidungen in Betracht“ zu ziehen (Staab 2002: 613). Eine wichtige Unterscheidung, die vor allem im Fotojournalismus eine Rolle spielt, ist zwischen Ereignissen und Themen zu sehen. Aufgrund der Nachrichtenfaktorenroutine gibt es eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber Ereignissen. Dies bringt die Frage mit sich, wie der Ereignisbegriff an sich konzeptioniert ist. Näher mit dem Ereignisbegriff in der Publizistikwissenschaft hat sich der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger beschäftigt. Er definiert Ereignisse als „zeitlich und räumlich begrenzte Geschehnisse. Sie besitzen folglich einen erkennbaren Anfang und ein absehbares Ende“ (Kepplinger 2001: 119). Wichtig an dieser Definition ist, dass es sich bei einem Ereignis um ein Geschehen handelt. Dazu kommt die Begrenzung in Zeit und Raum. Geschehnisse dieser Art sind beobachtbare Ereignisse, die meist in der außermedialen Wirklichkeit stattfinden und sich somit gut als Gegenstand fotojournalistischer Berichterstattung eignen. Damit grenzen sie sich von Themen ab, die Kepplinger als Zustände bezeichnet, „deren Anfang und Ende nicht absehbar sind. Beispiele sind diplomatische Beziehungen, Abrüstung und Verkehr“ (ebd.: 120). Die Unterscheidung zwischen Ereignis und Thema liegt somit zum einen im Unterschied zwischen Geschehnis und Zustand und zum anderen im Grad der räumlichen Begrenzung des Geschehens. Kepplinger schlägt des Weiteren vor, drei Ereignisklassen zu unterscheiden: genuine, mediatisierte und inszenierte Ereignisse (vgl. ebd.: 120). Dafür ist vor allem die Trennung von Berichts- und Ereignisebene wichtig (Siehe Abbildung 2). Ereignisse, deren Ursache auf der Ereignisebene liegen und die weitgehend unabhängig von der Berichterstattung geschehen, werden als genuine Ereignisse bezeichnet. Dies können z. B. Unfälle, Naturkatastrophen oder kriegerische Auseinandersetzungen sein. Davon grenzen sich mediatisierte Ereignisse ab, deren Ursache sowohl auf der Ereignis- als auch der Berichtsebene liegt und „die zwar vermutlich auch ohne die zu erwartende Berichterstattung geschehen wären, wegen ihr aber einen spezifischen, mediengerechten Charakter erhalten” (ebd.: 120). Als beispielhaft sind Pressekonferenzen oder Demonstrationen zu nennen. Eigens zum Zweck der Berichterstattung herbeigeführte Geschehnisse werden als inszenierte Ereignisse

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bezeichnet. Gruppenfotos von Politikern und langanhaltendes Händeschütteln für die Kamera sind hierfür ein treffendes Beispiel. Bezogen auf die journalistische Verwertung der Ereignisse weist Kepplinger darauf hin, „dass jedes dieser (genuinen, mediatisierten, inszenierten) Ereignisse ein Auslöse- oder Folgeereignis bzw. ein Berichtsanlass oder Berichtsgegenstand sein kann” (ebd.: 120). Das besondere an der Nachrichtenroutine ist, dass diese Ereignisformen miteinander in Beziehung stehen. Vor allem bei mediatisierten und inszenierten Ereignissen spielt die Wirkung vergangener Ereignisse und Berichte sowie die antizipierte Wirkung von Berichten eine große Rolle. Abbildung 2: Modell der Ereignis- und Berichtsebene

Quelle: Kepplinger 2001: 127

 Das Konzept der Nachrichten- und Fotonachrichtenfaktoren ist hilfreich um nachvollziehen zu können, warum bestimmte Ereignisse als Berichterstattungsgegenstand und Bilder für die Publikation ausgewählt wurden. Für die Betrachtung des fotojournalistischen Handelns der Fotoreporter bei der Produktion ist zu fragen, welche Rolle diese in den journalistischen Alltagsroutinen spielen, in welcher Form sie Anwendung finden und ob sie in die „autopilot mentality” (Langton 2009) integriert sind. Für den Fotojournalismus sind darüber hinaus die Differenzierung zwischen Ereignis und Thema, sowie die Unterscheidung verschiedener Ereignisdimensionen von Interesse. Während in Texten eine Verknüpfung von Ereignissen und Themen relativ problemlos möglich ist, ist dies auf der Bildebene sehr viel komplizierter und kann nur über eine Kontextualisierung in einer caption oder einem begleitenden Text erfolgen. So braucht vor allem der tagesaktuelle Fotojour-



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nalismus in Form der Nachrichtenfotografie, der auf die Produktion von Bildnachrichten spezialisiert ist, Ereignisse, um Bilder generieren zu können. Während Ereignisse als beobachtbare Geschehnisse in der Regel auch fotografierbar sind, ist dies nicht in gleicher Weise bei Themen gewährleistet. Deren Darstellung funktioniert meist nur über symbolhafte Bilder. Eine andere Möglichkeit, Themen zu bebildern, besteht im Erzählen von Geschichten und der Erstellung von Bilderserien, wie es ein kennzeichnendes Merkmal der Dokumentarfotografie ist. 3.1.7 Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Journalisten und Fotoreporter arbeiten, geht es um von Faktoren, die auf der MakroEbene angesiedelt sind. So beeinflussen medientechnologische, medienpolitische, medienrechtliche und medienökonomische Faktoren journalistisches Handeln in vielfacher Hinsicht. Die gesellschaftspolitische Ebene von Journalismus ist deswegen von Bedeutung, weil die Funktion von Journalismus für die Gesellschaft unter anderem von der Verfasstheit des politischen Systems abhängt. So ist Journalismus in autoritären Systemen Diener des Staates und fungiert als Propagandist, während in demokratischen Ordnungen Information, Unterhaltung und Kontrolle des Staates im Vordergrund stehen (Hallin/Mancini 2012). Auf der Makro-Ebene interagiert der Journalismus darüber hinaus mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen wie den Public Relations oder der Politik, die beide versuchen, sowohl Einfluss auf den Journalismus zu nehmen als auch selbst auf Gesellschaft einzuwirken. Insbesondere für das fotojournalistische Handeln in Konflikten, wie es in Kapitel 3.1 ausführlich diskutiert wird, birgt dies besondere Herausforderungen. Die Verfasstheit des politischen Systems sowie die ökonomische Ausrichtung einer Gesellschaft entscheiden über die Spielräume von Medienunternehmen (vgl. Jarren/Meier 2002: 102). Ist das wirtschaftliche System einer Gesellschaft beispielsweise marktwirtschaftlich organisiert, überträgt sich dies auch auf den Journalismus und seine Institutionen. In diesem Fall sind auch die Medien an Markt und Wettbewerb gebunden. Dabei gibt es jedoch auch Sonderregelungen, die von staatlicher Finanzierung für Medienerzeugnisse bis zur Einrichtung öffentlichrechtlicher Medienhäuser reichen. Diese Regelungen sind Teil nationalstaatlichen Medienrechts. Das Medienrecht ist primär nationalstaatlich gefasst und steht ebenfalls in einem Abhängigkeitsverhältnis zum politischen System. Es geht dabei vor allem um verfassungsmäßige und rechtliche Grundlagen für die Arbeit von Journalisten. Dazu gehören als wichtigste Säule die Pressefreiheit sowie Aspekte rechtlich kodifizierter Medienethik. Dies beinhaltet zum einen Sonderrechte für Journalisten zum Schutz ihrer Arbeit und ihrer Informanten, zum anderen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft. Darüber hinaus gibt es internationale Regulierungen in



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der Kommunikationspolitik. Diese sind jedoch vor allem für das Satellitenfernsehen und beispielsweise die Verfügung über Frequenzen von Bedeutung, weniger jedoch für den Fotojournalismus. Journalistische Produkte, über Nachrichten, Textformate bis hin zu den veröffentlichten Medien verfügen über eigene Märkte mit besonderen Strukturen und Institutionen. Die marktwirtschaftliche Verfasstheit vieler nationaler Mediensysteme sowie globale kapitalistische Handelsstrukturen lassen journalistische Produkte zu einer Handelsware werden. Auch für den Fotojournalismus ist die Existenz eines eigenen Bildermarkts kennzeichnend, in dem fotojournalistische Produkte kommerziell gehandelt werden und in dem Bilder zur Ware werden (vgl. Bruhn 2003: 16). In diesen fließen die Produkte aus der fotojournalistischen Produktion ein. Trotz der nationalstaatlichen Verfasstheit der Mediensysteme ist ein globaler Medien- und Bildermarkt entstanden, auf dem journalistische Produkte weltweit gehandelt werden und der die „Transkulturalität bzw. Globalität des Fotojournalismus spiegelt“ (Grittmann/Ammann 2008: 26). Dies gilt insbesondere für den Markt mit Nachrichten und tagesaktuellen Bildern, der von global agierenden Nachrichtenagenturen als Dienstleistern dominiert wird, wie es bei der Beschreibung des Institutionengefüges des Fotojournalismus aufgezeigt wurde. Der Weltmarkt der Bilder wird auf 2,2 Milliarden Euro geschätzt, der deutsche Markt auf allein 200 Millionen Euro (vgl. Hartmann 2010: 78). Die Kommerzialität des Handelns mit dem Rohstoff Bild, die sich hier zeigt, führt auch zum Gebrauch des Begriffs Bildwirtschaft (Bruhn 2003). Deutschland ist neben den USA der weltweit größte Markt für Bilder. Kennzeichnend für den Bildermarkt und die in ihm vertretenen Institutionen und Akteure ist seine globale Ausrichtung, für die vor allem die Bilderdienste der globalen Nachrichtenagenturen und deren weltweite Vermarktung von Nachrichtenbildern stehen (vgl. Fechter/Wilke 1998: 76; Grittmann/Ammann 2008: 25). Der Bildermarkt ist ein „Angebotsmarkt“, der von einem „Überangebot an Bildern“ (Fechter/Wilke 1998: 75) gekennzeichnet ist. Dieses Überangebot entsteht unter anderem dadurch, dass dieser Markt nicht nur von professionellen Fotoreportern und Bildagenturen bespielt wird, sondern eine Vielzahl von Akteuren über Stock-Agenturen bis hin zu Amateuren versuchen, in diesem Fuß zu fassen. Die Bilddatenbanken der Agenturen stellen Archive der Repräsentation dar und sind vor allem in der Nachrichtenfotografie durch eine extrem kurze Halbwertszeit von Bildern gekennzeichnet. Die Bildnachricht bekommt auf dem Markt einen Warencharakter. Für das Auffinden der Bilder in den umfangreichen Datenbanken zählt nicht die visuelle Qualität, sondern die richtige Verschlagwortung. Vor allem, was die tagesaktuelle Nachrichtenfotografie betrifft ist der Markt hochkompetitiv. So sind auf dem Markt immer wieder Insolvenzen und Verkäufe zu beobachten. Die drei wichtigsten marktbeherrschenden Tendenzen sind laut Wilke Expansion, Ausdifferenzierung und Konzentration (vgl. Wilke

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2008a: 44). Matthias Bruhn weist darauf hin, dass „das Bild als Handelsware ein Rohstoff (ist), der von seiner Umwelt abhängig ist“ (Bruhn 2003: 20). Faktoren, die hier eine Rolle spielen, sind vor allem technologische Entwicklungen, die Verfasstheit der Bildrechte sowie ökonomische Tendenzen des Marktes. Als letzte Determinante auf der Makro-Ebene ist die Medientechnologie zu nennen. Diese hat immer wieder entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung der Mediensysteme und ihrer Erzeugnisse geliefert, von der Einführung des Buchdrucks bis zum Internet und zur Digitalisierung des kompletten Produktionsprozesses. Exemplarisch gilt dies für die Entwicklung der Fotografie als technisches Medium, deren konstante Evolution in ihrer mehr als 175-jährigen Geschichte auch die sozialen Gebrauchsweisen entscheidend veränderte. So hatten die Entwicklung von Kompaktkameras sowie die Möglichkeit kurzer Aufnahmezeiten einen großen Einfluss auf das Aufkommen dokumentarischer Praktiken. Auch für den Fotojournalismus im 21. Jahrhundert ist die Medientechnologie ein entscheidender Faktor. Dabei geht es vor allem um die Digitalisierung der Kameratechnik sowie den digitalen Workflow und dessen Auswirkungen auf die Arbeitsprozesse und -routinen. Der Fotojournalismus hat mit der Umstellung von analoger auf digitale Technik einen fundamentalen Wandel erfahren. Dieser Wandel ist deswegen so fundamental, weil in seiner Folge die Diskussion um den Authentizitäts- und Wahrheitsgehalt von Fotografie neu entflammt ist. Die Digitalisierung des Mediums hat die Möglichkeit, Bilder zu produzieren, extrem vereinfacht und zu einer Demokratisierung der Fotografie beigetragen, wie es selbst Journalistenverbände eingestehen: „In recent years, the ability to produce images has been democratised, and it is now easier than ever to produce photographs to the standard necessary for reproduction.“ (McCairley 2009: 3) Auch die Foren, in denen Bilder publiziert werden, haben sich gewandelt: „(D)igital photography and new channels for publication allow anyone with a camera to find the audience for his or her work.“ (Panzer 2007: 33) Das Internet als weltweit verfügbares Kommunikationsmedium hat hier die Möglichkeiten der Verbreitung von Bildern revolutioniert. Für das Berufsfeld des Fotojournalismus bedeutet dies eine größere Konkurrenz durch neue image broker, beispielsweise in Form von citizen journalists. Die Digitalisierung hat darüber hinaus aber auch die Möglichkeiten, Bilder zu publizieren, radikal gewandelt: „whereas limited physical space in a print publication meant that not every article would be accompanied by an image, online versions of publications allegedly had no space concerns and, so, every news story could be accompanied by images“ (Gürsel 2012: 81). Im 21. Jahrhundert ermöglicht die Fototechnik das Arbeiten fast in Echtzeit und stellt damit auch die Routinen des Fotojournalismus vor neue Herausforderungen. Bezogen auf die vorliegende Arbeit ist die Makro-Ebene insofern die komplexeste, als theoretisch in geografischer Hinsicht verschiedene Makro-Ebenen



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denkbar sind, die das journalistische Handeln der Fotoreporter beeinflussen. So ist zuerst die Makro-Ebene der Berichterstattungsregion zu nennen.11 Die dort geltenden Mediengesetze haben entscheidenden Einfluss auf die Arbeit lokaler und internationaler Fotoreporter. Daneben gibt es für die internationalen Fotoreporter die Makro-Ebene ihrer Heimatländer. Dazu kommt als Drittes die Region, in denen das beauftragende Medium oder die Nachrichtenagentur als Arbeitgeber ihren Sitz haben. Da in dieser Studie die fotojournalistische Produktion im Konfliktkontext im Vordergrund steht, werden vor allem Aspekte benannt, die mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Berichterstattungsregion zu tun haben. Aspekte, die mit der Makro-Ebene der Heimatländer und dem Sitz des Publikationsmediums zu tun haben, werden nur dann berücksichtigt, wenn diese konkrete und nachvollziehbare Auswirkungen auf das fotojournalistische Handeln der Fotoreporter haben. 3.1.8 Ethik im Fotojournalismus Fragen der Bildethik stehen an einer Schnittstelle von Mikro-, Meso- und MakroEbene und werden aufgrund ihrer großen Bedeutung für das Berufsfeld hier in einem eigenen Kapitel behandelt. Während es auf der Mikro-Ebene des Kommunikators um eine persönliche Positionierung gegenüber medienethischen Fragestellungen geht, geben auf der Meso-Ebene redaktionsinterne codes of conduct Verhaltensleitlinien vor, die unter anderem von presserechtlichen Vorgaben auf der Makro-Ebene beeinflusst werden. Um diese verschiedenen Ebenen miteinander in Beziehung zu setzen, hat Stapf (2006) ein Modell gestufter Medien-Verantwortung entwickelt, in dem zwischen einer individuellen, einer korporativen, einer kollektiven und einer strukturellen Verantwortung unterschieden wird. Während die korporative Verantwortung vor allem gegenüber dem Handlunsprodukt – also dem Medienbild als Kommunikat – besteht, richtet sich die individuelle Verantwortung des Kommunikators auf kausal zurechenbare Handlungs- und Nebenfolgen (Stapf 2006: 187). Dies ist gleichbedeutend mit einer Unterscheidung zwischen einer Bildethik, deren Referenz das Objekt ist und einer Fotojournalismusethik, die sich eher am fotografischen Akt und den daraus resultierenden sozialen Beziehungen orientiert. Der Fotojournalismus als Profession lebt vom Glauben an die Authentizität publizierter Bilder und an deren Charakter, als Abbilder der Wirklichkeit fungieren zu können. Wie bereits dargelegt, sind die Authentizität, vermittelt über den Fotoreporter als professionellen Augenzeugen, sowie der Glaube an den dokumentarischen Charakter eines Bildes zentrale Pfeiler des Fotojournalismus und damit auch zentrale Prinzipien fotojournalistischer Ethik (vgl. Funiok 2007: 137). In Frage

 11 Siehe zur Berichterstattungsregion das Kapitel über den Produktionsstandort Israel/ Palästina.



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gestellt werden diese Prinzipien jedoch vor allem durch die neuen Möglichkeiten der Bildbearbeitung und -manipulation, die im Zuge der Digitalisierung entstanden sind. Aber auch Kommerzialisierungs- und Konzentrationsprozesse auf dem Bilderund Nachrichtenmarkt und die zunehmende Nutzung von Bildern als Mittel zur Visualisierung und Blattgestaltung im Journalismus stellen neue Herausforderungen für ein ethisches Handeln im Fotojournalismus dar. In der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Medienethik wird zwischen zwei Ebenen der normativen Bildethik unterschieden: gesetzlichen Schranken und Freiheiten auf der einen und der medialen Selbstkontrolle auf der anderen Seite (vgl. Isermann/Knieper 2010: 309). Fotojournalisten genießen durch die Pressefreiheit eine Reihe von Privilegien, die an die „Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgabe“ (Büllesbach 2008: 122) gebunden sind. Dabei verläuft die Diskussion um fotojournalistische Ethik in der Regel retrospektiv: „Nachdem Artikel oder Bilder veröffentlicht werden und in Darstellungsweise und Relevanz umstritten sind, kommt eine Spirale der Medienkritik in Gang.“ (Runge 2011: 101) Einen wichtigen Teil der medialen Selbstkontrolle stellen Berufskodizes, sogenannte codes of conduct, dar. Die Funktion eines code of conduct als Form kodifizierter Verantwortlichkeiten ist „to define and clarify the rules and responsabilities of the members of a professional association or a group“ (Lavoie 2010). Sie finden sich entweder auf nationaler Ebene bei den entsprechenden nationalen Berufsverbänden oder bei den Institutionen der Medienselbstkontrolle sowie auf transnationaler Ebene innerhalb von Medienkonzernen und globalen Nachrichtenagenturen. Aus einer historischen Perspektive fand laut Lavoie eine Übernahme von Regulierungen aus dem Print- bzw. Textjournalismus statt, der eine Legitimierung des Fotojournalismus und seine Bindung an dessen Standards zum Ziel hatte (vgl. ebd.). Ethische Standards im Fotojournalismus haben sich immer als eine Reaktion auf „changing technology but also as a result of the more informed expectations of news consumers” entwickelt (Langton 2009: 141). Die bekanntesten codes of conduct, auf die sich in der Literatur immer wieder bezogen wird, stammen von der amerikanischen „National Press Photography Association“ (vgl. NPPA 2014) sowie dem amerikanischen Medienkonzern „Associated Press“ (vgl. AP 2014). Im deutschen Kontext ist die wichtigste Bezugsgröße der Pressekodex des „Deutschen Presserats“ (vgl. Presserat 2014). Den verschiedenen Kodizes ist gemein, dass sie den Glauben an die Objektivität des Journalismus aufrecht erhalten wollen und sich an der Authentizität der fotojournalistischen Berufsnorm orientieren. So ist in den „News Values & Principles“ von AP der Begriff der Wahrheit die zentrale Referenzgröße (vgl. AP 2014). Die Kodizes unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Detailliertheit, mit der sie zu konkreten ethischen Fragen Stellung beziehen. AP legt z. B. ausführlich die Richtlinien beim Sammeln von Informationen sowie die erlaubten Formen digitaler



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Bildbearbeitung dar (vgl. AP 2014). Beim Pressekodex des Deutschen Presserats steht vor allem die Sorgfaltspflicht der Journalisten und Medien im Mittelpunkt. Konkrete Anmerkungen gibt es zur Publikation von Bildern Verletzter, Vermisster und Selbstmörder und von deren Namen sowie dem Umgang mit Symbolbildern (vgl. Presserat 2014). Der Ethikkodex der NPPA hebt dagegen stärker auf die Rolle der Fotoreporter ab, die als „trustees of the public“ bezeichnet werden und eine „responsability to document“ haben (NPPA 2014). Was hier deutlich wird, ist vor allem die unterschiedliche Funktion der Kodizes. Während es bei AP und der NPPA stärker um den Produktionsprozess geht, steht beim Presserat die Orientierung an den publizistischen Medien im Vordergrund. Verstöße gegen die codes of conduct werden auf unterschiedliche Art und Weise geahndet. Auf der einen Seite gibt es die Institutionen der medialen Selbstkontrolle. Diese überprüfen in Eigenverantworung Verstöße gegen Berufsnormen. In Deutschland nimmt sich der „Deutsche Presserat“ der Beschwerden an und verhandelt sie (vgl. Isermann/Knieper 2010: 311), sofern sich diese auf Elemente des Pressekodex beziehen. Bei Verstößen wird als schärfste Sanktion eine Rüge ausgesprochen (vgl. ebd.: 312) und das Medium gegebenenfalls zu einer Richtigstellung aufgefordert. Auf der anderen Seite ahnden Medienunternehmen wie die globalen Nachrichtenagenturen Verstöße ihrer Angestellten gegen ihre Standesregeln mit arbeitsrechtlichen Schritten, die bis zu einer Entlassung führen können. Gerade Fälle digitaler Manipulation von Fotografen werden auf diese Art und Weise geahndet. Die bekanntesten Fälle der letzten Jahre sind z. B. die Verschmelzung zweier Bilder des amerikanischen Fotografen Brian Walski im Irakkrieg, der unter dem Stichwort Reutersgate (vgl. Ilan 2012: 13 ff.) bekannt gewordene Skandal um die Bildmanipulationen des libanesischen Reuters-Stringer Adnan Hajj im Jahr 2006 oder die Entlassung des AP-Fotografen Narciso Contreras im Jahr 2013. Um die Glaubwürdigkeit der Institutionen und des Fotojournalismus nicht zu gefährden, sind eine schnelle Reaktion sowie die Darstellung der Aktion als Einzelfall und „journalistically deviant“ (Carlson 2009: 130) von zentraler Bedeutung. Mit Fragen der Bildethik sind jedoch auch verschiedene konkrete Rechtsfragen verbunden. Sie gehen über die codes of conduct hinaus und umfassen Verfehlungen und Verstöße, die justiziabel sind, wenn z. B. das Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten verletzt wurde. Rechtsfragen beziehen sich vor allem auf das Recht einer Person am eigenen Bild sowie das Copyright des Fotografen auf ein fotografisches Bild. Beides ist in der Regel im nationalen Recht festgeschrieben. Entscheidend ist dabei, wo ein Bild veröffentlicht wird und nicht, wo ein Bild produziert wurde. Dies bedeutet eine starke Asymmetrie, vor allem für Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen, die kaum rechtliche Handhabe zur Verteidigung ihrer Persönlichkeitsrechte besitzen. Dabei ist „grundsätzlich zwischen dem Skandal im Bild und dem skandalösen Bild“ zu unterscheiden (Isermann/Knieper 2010: 309). Die Frage nach



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den Persönlichkeitsrechten der Abgebildeten ist für den Fotojournalismus insofern von Bedeutung, als Menschen einen elementaren Teil der Berichterstattung ausmachen. In Deutschland sind die entsprechenden Fragen im Kunsturheberrechtsgesetz (KUG) geregelt (vgl. ebd.: 310). Grundsätzlich gilt, dass Fotografen sich die Veröffentlichung eines Bildes von den abgebildeten Personen autorisieren lassen müssen. Einschränkungen bestehen, wenn der oder die Abgebildete eine Person des Zeitgeschehens ist, nicht Hauptmotiv, sondern Beiwerk ist oder „ein höheres Interesse der Kunst besteht“ (ebd.). Eine Autorisierung geschieht in der Regel über einen so genannten model release (vgl. Feldmann 2008: 161) oder Modelvertrag und ist vor allem in der kommerziellen Werbe- und Modefotografie üblich. Das Recht am eigenen Bild wird darüber hinaus eingeschränkt, wenn Menschen an öffentlichen Veranstaltungen wie z. B. Demonstrationen teilnehmen: „Die hieran teilnehmenden Personen müssen ihre Abbildung dulden, wenn lediglich das Ereignis an sich dokumentiert wird.“ (Feldmann 2008: 160) Porträtaufnahmen einzelner und deren Hervorheben, so dass der Kontext des Ereignisses nicht mehr erkennbar ist, sind dagegen nicht erlaubt. In Bezug auf Opferbilder von Katastrophen, Terrorismus und Krieg wird das Schutzrecht der Abgebildeten gegenüber dem Informationsrecht der Öffentlichkeit erst dann zur Priorität, wenn „die Berichterstattung identifizierende Personenfotos durch Namen und Detailangaben der Abgebildeten ergänzt“ (Leifert 2005: 227). Wie bereits geschildert, hat sich im Zuge der Digitalisierung die Manipulation der Fotografie stark vereinfacht. Eine Überarbeitung und Anpassung vieler codes of conduct setzte ein unter besonderer Berücksichtigung der Herausforderungen digitaler Bildtechnologie (Schwartz 2003: 33). Ziel war, die Kontrolle der Fotoreporter über die digitalen Techniken sicherzustellen, um die Glaubwürdigkeit des Fotojournalismus nicht in Gefahr zu bringen (vgl. Becker 1991: 396). Die Überarbeitungen waren dabei von zwei Faktoren geprägt: einem Rückgriff auf die analoge Fotografie und den Formen der Bildbearbeitung, die in der Dunkelkammer erlaubt waren sowie einer Orientierung an der Dokumentarfotografie als Modell (vgl. Lavoie 2010). So sollte auch in der Digitalfotografie nur das Maß an Bildbearbeitung erlaubt sein, das auch in der analogen Fotografie schon zu finden war. Die finnischen Autoren Mäenpää/Seppänen sprechen in diesem Zusammenhang von einem „imaginary darkroom“, den sie als eine „social and psychic formation“ bezeichnen, „which sets the limits of photo editing and, as such, allows photojournalism to function relatively smoothly and maintain its objective status“ (Mäenpää/Seppänen 2010: 471). Die hinter den vorgenommenen Änderungen stehende Logik war, dass die Technik neutral ist, „but human users may introduce bias, either unwittingly or willfully“ (Schwartz 2003: 33). Zu den erlaubten Veränderungen zählen das Entfernen von Staub und Kratzern, das Beschneiden (cropping), die Anpassung des Kontrasts einzelner Bildelemente, also das Nachbelichten oder Abwedeln (dodging and



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burning) sowie die Farbkorrektur (color correction) (vgl. Wheeler 2002: 95 ff.). Dabei sind den einzelnen Techniken der Bildbearbeitung wie z. B. dem Beschneiden feste Grenzen gesetzt: „Note that ‚cropping‘ refers to reducing the borders of an image, rather than removing elements from within the borders. We can imagine an example of unethical cropping, as when essential elements are eliminated and the remaining image is misleading.“ (Ebd.: 94)

Ein gutes Beispiel aus dem Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts, an dem sich dies illustrieren lässt, stammt aus der Auseinandersetzung um die Erstürmung der sogenannten „Gaza Flotilla“ im Jahr 2010 durch die israelische Armee. Die Bildredaktion von Reuters hatte hier ein handout picture der türkischen Menschenrechtsorganisation IHL so stark beschnitten, dass man die Hand eines Mannes, der ein blutiges Messer hielt, nicht mehr sah, sondern nur den am Boden liegenden israelischen Soldaten. Ein zentraler Aspekt zur Beurteilung von Bildmanipulationen bezieht sich auf die Frage, ob Bilder willentlich und wissentlich manipuliert wurden. Dies ist insofern von Bedeutung, als damit die Schwere des Verstoßes beurteilt werden kann. Eine Definition liefert Forster: „Manipulation bedeutet die mit einer Täuschungsabsicht verbundene intentionale Veränderung von Informationen durch Auswahl, Zusätze oder Auslassungen.“ (Forster 2003: 66) Vor allem bei der Beurteilung von manipulierten Bildern aus Krisenregionen spielt die Frage der Intentionalität eine große Rolle, da die Diskussion um Verstöße, beispielsweise im Kontext der Nahostberichterstattung, sehr emotional geführt wird. Damit lässt sich z. B. zwischen einem fehlerhaften cropping, wie im Fall des Reutersbilds von der „Avi Marmara“, und einem bewussten Duplizieren von Wolken, wie in der Affäre Hajj, unterscheiden. Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang bezieht sich auf den Kontext, in dem das Bild gehandelt und veröffentlicht wird: „Grundlegend für die Entscheidung zur Veränderung des Bildgehaltes ist das Interesse, welches mit dem Bild verfolgt wird.“ (Fechter/Wilke 1998: 68) So gelten für hard news pictures wesentlich striktere Standards als für ein Porträt auf der Titelseite eines Nachrichtenmagazins. Verbunden mit der Bildmanipulation ist die Frage nach dem Umgang mit bewusst digital manipulierten Bildern. Diese finden sich als publizierte Bilder in journalistischen Medien z. B. in großer Regelmäßigkeit auf den Titelseiten von Nachrichtenmagazinen oder bei Porträts und Modeaufnahmen: „Um den Verlust der Glaubwürdigkeit von Bildern generell vorzubeugen, fordern Fotografen- und Journalistenverbände bereits seit Ende der achtziger Jahre eine Kennzeichnungspflicht manipulierter Fotos“ (vgl. ebd.). Die englische Journalistenunion entschied 1996 eine entsprechende Markierung einzuführen: Bilder sollten entweder mit der



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Markierung genuine photo oder manipulated image versehen werden (vgl. Michalos 2004: 463). In der Praxis setzte sich diese Regelung jedoch nicht durch. Ähnliches passierte mit dem vom „Bundesverband der Pressebildagenturen“ (BVPA) im Jahr 1997 verabschiedeten „Memorandum zur Kennzeichnungspflicht manipulierter Fotos“, nach dem jedes dokumentarisch-publizistische Foto, welches nach der Belichtung verändert wird, mit dem Zeichen [M] zu kennzeichnen ist (Büllesbach 2008: 114). In Anlehnung an Überlegungen der Moralphilosophie trifft der französische Fotografiekritiker Vincent Lavoie eine weitere Unterscheidung zwischen code of conduct und einer professionellen Berufsethik. Eine professionelle Berufsethik geht seiner Ansicht nach über die festgesetzten Normen hinaus „to adress the social role of the profession, its responsabilities and fundamental activities“ (Lavoie 2010). So wird neben der Medienselbstkontrolle und dem Bildrecht vor allem in der nichtkodifizierten professionellen Berufsethik immer wieder neu verhandelt, was machbar ist und was nicht: „Photojournalism is a category that is fundamentally unstable and continually in the process of being reconfigured by discourse.“ (Lavoie 2010) Hier geht es vor allem um die Rolle des Fotografen in der Gesellschaft und die Frage nach einer Haltung professioneller Fotoreporter. Mit einer fotografischen Haltung ist vor allem eine Selbstreflektion verbunden sowie eine ausgewiesene Bildkompetenz der Produzenten hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Fotografien (vgl. Koltermann 2014: 26). Oft geht es bei Fragen der Bildethik um Konventionen der Sichtbarkeit, die immer auch gesellschaftliche Realitäten widerspiegeln. Dies wird z. B. an der Veränderung des Zeigens nackter oder wenig bekleideter Körper in den letzten 50 Jahren deutlich. In der Konflikt- und Kriegsfotografie dreht sich eine zentrale Auseinandersetzung um die Darstellung von Opfern und des Leidens anderer. Der wohl bekannteste Essay der amerikanischen Fotografiekritikerin Susan Sontag (2010) „Das Leiden anderer betrachten“ nimmt darauf Bezug. Grundsätzlich geht es dabei um die Frage, ob zum einen der Betrachter durch das Sehen der sich vermeintlich wiederholenden Bilder abstumpft, was auch unter dem Stichwort „Compassion Fatigue“ (Chouliaraki 2006; Moeller 1999) diskutiert wird, und zum anderen, ob aufgrund des Zeigens von Opfern das Publikum verletzt werden kann – Stichwort „Images that injure“ (Elliot 2003; Lester/Ross 2003). Ein weiteres Thema sind die Folgen der Bilder für die Subjekte der Berichterstattung und die Gefahr, dass sich über sie z. B. die Machtposition des wehrlosen Opfers und des Betrachters als Mittäter festschreibt. Diese Fragen spielen vor allem in fototheoretischen Auseinandersetzungen sowie in der Analyse der Pressefotografie eine große Rolle. Die fotojournalistische Praxis berühren sie nur marginal hinsichtlich der Frage, welche Bilder von Opfern die Fotoreporter den Betrachtern zumuten können.

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Problematisch ist, dass ethische Debatten im Fotojournalismus vor allem auf die individuelle Verantwortung des Fotoreporters fokussieren. Dies knüpft nahtlos an die Ethik im Journalismus an, die unterstellt, „daß jeweils immer ein einzelner verantwortlich ist“ (Weischenberg 1992: 172). Sanktionen treffen in der Regel die Fotoreporter als Kommunikator und Autor der Bilder. Dies ist eine Konsequenz der „individual responsability“, wie sie der Berufskodex der amerikanischen NPPA hervorhebt (vgl. NPPA 2014). Systemische Zwänge wie Zeit- und Kostendruck sowie die Rolle der auftraggebenden Institutionen und Redaktionen als denjenigen, in denen journalistisch gehandelt wird, bleiben damit außen vor. Eine Institutionenethik, die darauf Bezug nimmt, dass nicht allein „der einzelne Journalist mit seiner Individualethik die folgenreichen Entscheidungen über publizistisches Handeln“ (Weischenberg 1992: 213) trifft, ist im Fotojournalismus nur wenig entwickelt. Dies hat natürlich auch mit dem besonderen Institutionsgefüge der Profession sowie damit zu tun, dass es schwierig ist, direkte Verantwortlichkeiten bei Fehlverhalten nachzuweisen. Nur in Ausnahmefällen werden beispielsweise auch Bildredakteure sanktioniert, wenn sie ihrer Kontrollfunktion nicht nachgegangen sind, wie es im Fall von Reutersgate passiert ist. Während die Medienhäuser auf Fehler mit veröffentlichten Richtigstellungen und Korrekturen reagieren können, verlieren Fotoreporter bei Fehlverhalten ihren Job. Da diese Fälle meist öffentlich werden, ist dies in der Regel gleichbedeutend mit einem Ende der Karriere im Fotojournalismus. 3.1.9 Aktuelle Tendenzen im Fotojournalismus Der Fotojournalismus unterliegt, wie andere Formen medialer Darstellung auch, aktuellen Trends und Entwicklungen. Aktuelle Fragestellungen im Fotojournalismus drehen sich vor allem um den sogenannten citizen journalism12 und damit um neue Akteure und image broker sowie um neue Möglichkeiten des visuellen Erzählens, die sich durch eine Digitalisierung der Medientechnik ergeben haben. Auf beide Phänomene soll an dieser Stelle kurz eingegangen werden. Die Diskussion um den citizen journalism wird vor allem ausgehend von spezifischen Ereignissen und Bildern aus der Konfliktberichterstattung geführt: Bilder der iranischen Studentin Neda Soltani, von 9/11 und den Szenen um die Twin-

 12 In dieser Arbeit wird der englischsprachige Begriff des citizen journalism verwendet. In deutschen Sprachgebrauch könnte theoretisch Bürgerjournalismus als Äquivalent benutzt werden. Aber da der Begriff des „Bürgerjournalismus“ in Deutschland auf eine institutionalisierte Tradition des Bürgerrundfunks mit den sogenannten Offenen Kanälen im Fernsehen und freie Radios zurückgeht, wird citizen journalism der Vorzug gegeben um den international diskutierten Phänomenen um cellphone photography etc. Rechnung zu tragen.



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Towers, die Folterbilder aus Abu Ghraib und der Leichen bzw. der Hinrichtung der Diktatoren Saddam Hussein und Muhammar Ghaddaffi: „In photography and video, likely the majority of recent news-related scoops (Abu Ghraib, the 2011 earthquake and tsunami in Japan, the execution of Saddam Hussein, the Arab Spring, and so on) have become principally the province of amateurs equipped with sophisticated portable technologies.“ (Richtin 2013: 28)

Auch wenn eine Schwierigkeit darin besteht, die Qualität und das Vermögen des Fotojournalismus am Scoop zu messen, so handelt es sich bei den bebilderten Ereignissen doch um Geschehnisse von großer weltpolitischer Bedeutung, in deren Folge die Amateurbilder zu Ikonen wurden. „The rise of citizen photojournalism has created a landslide of visual information on current world affairs that would have been impossible few years ago“, so Mette Mortensen (Mortensen 2011: 13). Eine wichtige Charakteristik des citizen journalism ist es, Bilder und Inhalte zur Verfügung zu stellen, die klassische Nachrichtenorganisationen nicht produzieren können (vgl. Anden-Papadopoulos/Pantti 2011: 12). Die Debatte wird des Weiteren gepusht von der Bildberichterstattung über den Bürgerkrieg in Syrien und die Feldzüge der islamistischen Terrorgruppe Islamischer Staat. In diesem Zusammenhang ist auch das massive Auftreten von selbstproduziertem Videomaterial zu beobachten. Die Schwierigkeit des Journalismus im Umgang mit diesen Bildern besteht in ihrer Kontextualisierung sowie in der Überprüfung ihrer Authentizität. In Deutschland haben seit 2006 verschiedene Tageszeitungen Versuche mit dem Konzept des Leserreporters gemacht (vgl. Grittmann/Ammann 2008: 20), der als eine institutionalisierte Form des citizen journalism angesehen werden kann. Leser werden aufgefordert, eigene Bilder einzusenden und zum Teil wird eine Veröffentlichung sogar honoriert. Bilder von Leserreportern werden in der Regel nur für das Internet genutzt. Eine interessante Begriffsdefinition stammt von Engesser und Kollegen: Sie sprechen von partizipativer Pressefotografie, um den „nichtprofessionellen Charakter der Tätigkeit zu unterstreichen“ und diese vom professionellen Berufsfeld Fotojournalismus abzugrenzen (2010: 130). Am deutschen Magazin „View“ ist zu beobachten, wie dieses Prinzip eher dazu dient, eine Community um das Produkt zu bauen, in dem die Leser die Möglichkeit bekommen, eigene Bilder hochzuladen. Vor allem was den tagesaktuellen Fotojournalismus angeht, gehen die Meinungen über die Bedeutung des citizen journalism jedoch weit auseinander. Nach Ansicht von Jörg Buschmann, dem Bildchef der „Süddeutschen Zeitung“, spielen



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Amateurbilder nur eine marginale Rolle in der Bildpraxis von Tageszeitungen13. Dies deckt sich auch mit empirischen Erkenntnissen über die Bildberichterstattung. So gab es beispielsweise in der publizistischen Praxis der deutschen Tageszeitungen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) und „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) zum Gazakrieg 2008/2009 keine Bilder aus dem Bereich des citizen journalism, obwohl diese Auseinandersetzungen aufgrund der Zensur prädestiniert dafür gewesen wären (Koltermann 2010). Was die Distributionsebene angeht, so werden diese Bilder, wenn überhaupt, von den Nachrichtenagenturen als Zwischenhändlern aufgegriffen, wenn nichts anderes auf dem Markt ist und gelangen über diese Kanäle in die Medien (vgl. Ilan 2013: 87). Wenn Amateure als die „neuen Subjekte der Bildproduktion“ visuelle Berichte produzieren, dann arbeiten sie „ohne öffentlich-rechtlichen oder privatwirtschaftlichen Auftrag, und ihre Qualifikation besteht oft einzig darin, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sowie im Besitz einer Digitalkamera oder eines Fotohandys zu sein“ (Holert 2008: 326). Genau diese Ferne zu den Institutionen sowie die Nichtgebundenheit an fotojournalistische Routinen verleiht ihnen nach Ansicht von Richtin auch eine eigene Form der Glaubwürdigkeit: „Rather than claiming a doctrine of journalistic objectivity or neutrality, the very subjectivity of nonprofessionals, their transparent self-involvement and lack of financial incentive, can be reassuring – many viewers may empathize with the motivations of these ordinary citizens, which are possibly similar to their own.“ (Richtin 2013: 11)

Teil der Glaubwürdigkeit ist die von den Bildern ausgehende Nähe zum Geschehen und eine damit verbundene „raw, immediate, intensely subjective perspective“ (Anden-Papadopoulos/Pantti 2011: 13). Laut Christian Caujolle hat die von ihm beobachtete Akzeptanz von Amateurbildern im Journalismus eine Gleichsetzung mit Produkten professioneller Fotografen zur Folge und damit auch Auswirkungen auf das Berufsfeld: „The privileged status [...] the latter once enjoyed in the field of news photography is definitively over.“ (2007: 377) Tom Holert ist dagegen der Ansicht, dass die Bedeutung der „Produktion prägnanter Bildlichkeit“ (2008: 326) weiterhin zum Wesen des Fotojournalismus und der Pressefotografie gehört und auch durch die Konkurrenz des citizen journalism nicht aus den Fugen gerät. Kari Andén-Papadopoulos und Mervi Pantti weisen darauf hin, dass Amateurbilder nicht den gleichen Standards in Bezug auf Ästhetik und Ethik wie dem professionellen Fotojournalismus folgen und es aus diesem Grund bei deren Verwen-

 13 In einem Vortrag auf der Tagung „Wie managen wir die Bilderflut“ der Sektion Technik der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) am 20. Juni 2014 auf dem Lumix Festival für jungen Fotojournalismus in Hannover.



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dung zu Konflikten „with the standards and values of professional journalism“ (2011: 9) kommen kann. Der citizen journalism zwingt die Fotoreporter und die Qualitätsmedien jedoch, sich stärker zu positionieren und sich auf die Stärken des Mediums zu besinnen: „Trotz neuer Bildtechnologien und blogosphärischer Konkurrenz auf dem Bildermarkt fällt den professionellen Fotoreporter/innen weiterhin die Aufgabe zu, über das Geschehen visuell so zu berichten, dass diese Signifikanz und gegebenenfalls jene Ikonizität gewinnt, mit denen sich politischer Konsens herstellen lässt.“ (Holert 2008: 326)

Wie citizen journalism und professioneller Fotojournalismus miteinander interagieren zeigt sich auch am Nutzen neuer technologischer Entwicklungen: „more symptomatic of the profound reshaping of approaches to journalistic output is the use by professionals themselves of tools usually associated with citizen practices“ (Lavoie 2012). So wird in professionellen Kreisen diskutiert, inwieweit die Nutzung des iPhones als Kamera im Fotojournalismus gestattet sei. Durch die digitale Kameratechnik wurde eine weitere Neuerung im Fotojournalismus angestoßen. Aktuelle Kameras im semi-professionellen wie im professionellen Bereich können auch Videos in hochauflösender Qualität (HD) produzieren und Ton aufnehmen. Dies hat einen Trend vorangetrieben, in dem Fotoreporter zum Produzenten umfangreicher Multimedia Geschichten werden. Diese können sowohl eine Mischung aus statischen Fotografien sowie Videobildern mit Ton umfassen. Definitionen sind bisher eher vage und zeigen die Hybridität dieser Entwicklung: „In photojournalism, ‚multimedia‘ has often been first understood as ‚photography, plus…‘, principally the combination of still imagery with other content. Nowadays we see it in multiple forms ranging from online photo galleries where pictures are combined with text captions, to audio slideshows, linear video (both short-form and long-form), animated infographics, non-linear interactives, and full-scale web documentaries and broadcast films.“ (Campbell 2013: 10)

Als Pioniere gelten in diesem Zusammenhang die amerikanische Produktionsfirma „Mediastorm“14 oder das deutsche Kollektiv „2470media“15. Auch die renommierte Fotografenagentur Magnum gründete schon 2004 eine eigene Multimedia Company

 14 Siehe die Webseite des von Brian Storm gegründeten Unternehmens http://mediastorm. com/. 15 Siehe die Webseite des Unternehmens http://www.2470media.com/index.82.de.html. Das Unternehmen „2470media“ wurde von Absolventen des Fotojournalismusstudiengangs an der Hochschule Hannover gegründet.



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unter dem Namen „Magnum In Motion“16. Fotoreporter versuchen damit, neue Marktlücken zu erschließen. „There is a general sense amongst photojournalists that multimedia formats are becoming increasingly important“, schreibt David Campbell in der Einleitung zu einer von der „World Press Photo Academy“ und der „Fotofederatie“ in den Niederlanden in Auftrag gegeben Studie zum Thema (vgl. Campbell 2013: 3). Viele internationale Fotojournalismusfestivals haben mittlerweile eigene Multimediasektionen, wie z. B. der „World Press Photo Award“ oder das „Lumix Festival für jungen Fotojournalismus“ in Hannover und weisen damit auf die Bedeutung des Trends hin (Lumix 2014; WPP 2014). Auch Agenturen und Fotografenverbände reagieren darauf und bieten Weiterbildungen zum multimedia storytelling an, wie z. B. der deutsche Verband „Freelens“ (vgl. Freelens 2014). Ob sich in Zukunft damit das Feld zwischen Fotografie und Film weiter auflöst bleibt abzuwarten. Laut Kennedy hat der Trend zur Folge, dass „the photojournalistic image is mutating as a digital feature of new forms of news production“ (Kennedy 2008: 286). Ohne das Internet, das auf Webseiten fast unbegrenzt Platz für Onlinegallerien und Multimediastories zur Verfügung stellt, wäre diese Entwicklung nicht denkbar. Dona Schwartz weist daraufhin, dass mit neuen Formaten unter dem Stichwort des storytelling möglicherweise auch eine Veränderung des Selbstverständnisses von Fotoreportern einhergeht: „Journalists and educators alike have begun talking straightforwardly about news as a narrative genre: the work journalists do is increasingly referred to as ”storytelling“. Perhaps invoking storytelling will begin to dislogde naive assumptions about photography’s inherent objectivity and lead to more productive debates about appropriate photojournalistic norms and practices. The metaphor might even encourage identifying storytellers and, therefore, the makers of photographs who create the stories they invoke.“ (Schwartz 2003: 48)

Der Fotojournalismus mit seinen zentralen Referenzgrößen Authentizität und dokumentarisches Bild wäre damit nicht in Frage gestellt, aber es könnte eine Verschiebung hin zur stärkeren Wahrnehmung des Fotoreporters als Autor, der sich für eine Narration in Form von Bildern entschieden hat, stattfinden. Im Zusammenhang mit der Auflösung von Genre-Grenzen hat der amerikanische Fotografiekritiker Fred Richtin den Begriff der hyperphotography geprägt (Richtin 2009: 261). Damit bezieht er sich vor allem auf die Einbeziehung von Text in Bildergeschichten.

 16 Siehe http://inmotion.magnumphotos.com.



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3.1.10 Zwischenfazit zum Journalismuskontext Fotojournalismus ist Journalismus. Über diese einfache Formel lässt sich die Bedeutung des Fotoreporters als Kommunikator, der visuelle Produkte zur publizistischen Verwertung erstellt, umfassend beschreiben und gleichzeitig auf eine Vielzahl von Bedeutungs- und Analyseebenen verweisen. Wie dieses Kapitel aufzeigen konnte, sind die Einflüsse auf das journalistische Handeln der Fotoreporter auf verschiedenen Ebenen zu verorten. Sowohl auf der Mikro-, der Meso- wie der Makro-Ebene lassen sich Spezifika des Fotojournalismus bestimmen, die ihn vom Textjournalismus als seinem zeichenspezifischen Pendant unterscheiden. Exemplarisch deutlich wird dies zum Beispiel an der Art und Weise, wie Fotoreporter in klassische Redaktionsstrukturen integriert sind oder an der Authentizitätsnorm als fotojournalistischer Ausprägung der Objektivität. Auch medienrechtliche und medientechnologische Fragestellungen stellen sich für den Fotojournalismus anders dar als für den Textjournalismus. Die hier erfolgte Darlegung des Institutionengefüges des Fotojournalismus mit seinen verschiedenen Typen von Agenturen ermöglicht es, die Routinen, die Fotoreporter in der Nachrichten- und Dokumentarfotografie ausgebildet haben, im Detail zu untersuchen und die spezifischen Arbeitsrollen zu bestimmen. Fotoreporter sind dabei insofern Gatekeeper, als ihre Kamera als Filter der „Realität“ Ausschnitte aus dem politischen und sozialen Geschehen zu Bildnachrichten oder Reportagen zusammenfasst. Der Fotojournalismus zeichnet sich durch seine doppelte Orientierung am Journalismus und der Fotografie aus. Dies zeigt sich auch an der zeichenspezifischen Herleitung des Fotojournalismus als Subsystem des Journalismus (Grittmann 2007) sowie der Orientierung an journalistischen Codes wie Aktualität und Faktizität. Ebenso wie der Journalismus nicht gleichzusetzen ist mit massenmedialen Inhalten (Scholl/Weischenberg 1998), ist der Fotojournalismus vom publizierten Bild zu unterscheiden. Mendelson (2008) trennt zwischen dem medialen Präsentationskontext und dem Produktionskontext. Zentrales Element des Produktionskontextes ist der fotografische Akt, dessen Ergebnis eine Fotografie sein kann, aber nicht sein muss. Dem fotografischen Akt wohnen dabei zwei Ereignismodalitäten inne (Azoulay 2011). Während das fotografische Ereignis als soziale Interaktion zwischen Fotograf und fotografischem Subjekt mit dem Ende einer Begegnung vorbei ist, besteht das fotografierte Ereignis in Form einer Fotografie fort. Welcher Art die Begegnung ist, hängt unter anderem von der Darstellungsform und damit der fotojournalistischen Gattung ab. In der Nachrichtenfotografie, die Bildnachrichten und features produziert, sind es eher kurze Begegnungen, während die auf Reportagen ausgerichtete Dokumentarfotografie meist auf längeren Treffen fußt. Die zentrale Leitidee des Fotojournalismus ist dabei die Authentizität, die jedoch nicht als bild-



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inhärente Eigenschaft sondern eine auf professionellen sozialen Praktiken fußende Form der Wirklichkeitskonstruktion gilt. Besonders ausgeprägt ist im Fotojournalismus die Trennung zwischen den Berufsrollen Fotoreporter und Bildredakteur. Fotoreporter als Bildurheber arbeiten entweder frei, als Mitglieder von Fotoagenturen oder als Angestellte von Bildagenturen oder Bilderdiensten. Innerhalb dieser Institutionen finden sich eigene Redaktionsstrukturen, die sich von den Redaktionen publizistischer Medien unterscheiden. Abhängig von der spezifischen Arbeitsrolle der Fotoreporter sowie der institutionellen Verortung ergeben sich unterschiedliche Grade der Integration in journalistische Institutionen. Davon hängen beispielsweise die Routinen und Auswahlprozesse ab. Im Journalismus wird der Auswahlprozess über Nachrichten- und Fotonachrichtenfaktoren (Galtung/Ruge 1965; Rössler et al. 2011) sowie die Unterscheidung von Ereignissen und Themen (Kepplinger 2001) beschrieben. Was im Bild gezeigt werden kann bzw. was fotografiert wird, hängt von gesellschaftlichen Konventionen des Sehens ab. Dabei ist zwischen konkreten Rechtsfragen wie dem Recht am eigenen Bild sowie einer in Form von codes of conduct festgelegten professionellen Berufsethik zu unterscheiden. Vor allem die Digitalisierung der Fotografie hat zu einem Wandel des Fotojournalismus geführt, der sich sowohl in neuen Darstellungsformen wie dem mutimedia storytelling als auch im Aufkommen neuer Akteure wie dem citizen photographer zeigt.

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3.2 D ER K ONFLIKTKONTEXT Im vorangegangenen Kapitel wurde der Fotojournalismus als Teil des Journalismus innerhalb der Kommunikationswissenschaft verortet und damit der Journalismuskontext dieses Forschungsvorhabens theoretisch hergeleitet. Die Funktion des folgenden Kapitels ist, die Vielschichtigkeit des Begriffs Konflikt sowie anderer relevanter Begriffe wie Gewalt, Macht und Herrschaft hinsichtlich ihres Nutzens zur Beschreibung gesellschaftlicher Konfliktphänomene herauszuarbeiten. Damit können Faktoren bestimmt werden, die das Handeln von Fotoreportern in Konflikten beeinflussen. Das in der Friedens- und Konfliktforschung vorherrschende Verständnis des Begriffs Konflikt1 geht davon aus, „dass Positionsdifferenzen im menschlichen Zusammenleben normal und somit auch Konflikte dessen unvermeidbare Begleiterscheinung auf allen seinen Ebenen sind“ (Meyer 2011: 34). Wird der Fakt akzeptiert, dass Konflikte elementarer Bestandteil moderner Gesellschaften sind, führt dies „zu einer Unterscheidung zwischen schöpferischen, konstruktiven (Kriesberg 2007), den Fortschritt der Gesellschaft förderlichen und destruktiven Konflikten, die Menschen und Gesellschaften zerstören und auslöschen“ (Jahn 2012: 33) und eröffnet die Möglichkeit, den Begriff analytisch in seine verschiedenen Dimensionen zu zerlegen. Einige Autoren sehen in Zusammenhang mit einer konstruktivistischen Wende in der Konfliktforschung insofern eine „Entpolitisierung“ des Konfliktbegriffs, als „er nun weder normativ ausgezeichnet noch abgewertet wird. Konflikte führen nicht automatisch zu sozialem Wandel, wirken aber auch nicht grundsätzlich desintegrierend.“ (Bonacker 2008: 12) Diese „Wertfreiheit“ ist für die Analyse von Konflikten von großer Bedeutung.2 Für die vorliegende Arbeit ist dabei vor allem die Orientierung an sozialen Konflikten und seinen Beschreibungsebenen interessant. Theorien und Konzepte, die sich mit Konflikten auf der intrapersonalen3 und interpersonalen Ebene befassen, werden nicht berücksichtigt. Laut Bonacker und Imbusch können Konflikte somit „als soziale Tatbestände“ gelten, „an denen mindestens zwei Parteien (Einzelpersonen, Gruppen, Staaten etc.) beteiligt sind, die auf Unterschieden in der sozialen Lage und/oder auf Unterschieden in der Interessen-

 1

Die hier verwendeten Begriffsdefinitionen sind allesamt einer europäischen Forschungstradition entlehnt, mit der ein bestimmter Blick auf Gesellschaft verbunden ist. So kann z. B. die Beschreibung eines Konfliktverständnisses im Alltag in Gesellschaften anderer kultureller Prägung anders ausfallen.

2

In der Forschung wie in der Praxis ist leider immer wieder eine Vermischung von Beschreibung und Bewertung vorzufinden, die ein sachliche, gegenstandsbezogene Diskussion von Konflikten erschwert.

3



Als intrapersonale Konflikte werden Konflikte zwischen Einzelpersonen bezeichnet.

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konstellation der Konfliktparteien beruhen“ (ebd.: 71). Andere Autoren wie Glasl werden noch etwas spezifischer und fügen die „vermeintliche Unvereinbarkeit von Zielen“ als Kriterium hinzu (Glasl 1990: 14). Sichtbar wird ein Konflikt dabei erst, wenn er vom latenten in den manifesten Zustand übergeht, weil er „aufgrund seines Konfliktaustrags oder in Bezug (sic) auf die offene Artikulation durch die Konfliktparteien als solcher erkennbar“ wird (Bonacker/Imbusch 2005: 73). 3.2.1 Definitionen und Analyseebenen von Konflikten Die bisher vorgenommene Begriffsbestimmung ermöglicht weitere Differenzierungsmöglichkeiten und die Auffächerung innergesellschaftlicher und internationaler Konflikte hinsichtlich verschiedener Merkmale und Analyseebenen. So lassen sich Konflikte hinsichtlich ihrer Konfliktgegenstände, der Art ihrer Austragungsformen und Eskalationsstufen sowie der involvierten Konfliktparteien unterscheiden. Nach Bonacker/Imbusch lässt sich der Konfliktgegenstand „sowohl hinsichtlich knapper Güter als auch Normierungen abstrakt erschließen“ (ebd.: 72). So wird gemeinhin zwischen Macht-, Herrschafts-, Ressourcen-, Werte- oder Regelkonflikten unterschieden. Bei den Austragungsformen ist vor allem zwischen gewalthaltigen und gewaltlosen Austragungsformen zu unterscheiden. Krisen und Kriege gelten dabei als ausdifferenzierte Formen von Konflikten, die eine bestimmte Eskalationsschwelle überschritten haben und mit Gewalt ausgetragen werden. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) definiert Krise beispielsweise als einen eskalierten und ausdifferenzierten Konflikt, in dem mindestens eine der beiden Parteien Gewalt anwendet (vgl. HIIK 2011: 88).4 Kriege unterscheiden sich laut HIIK dadurch von Krisen als spezifischer Form politischer Konflikte, dass dort Gewalt systematisch und in großem Umfang eingesetzt wird und das Ausmaß der Zerstörung nachhaltig ist. Andere Forschungstraditionen sehen in der Anzahl der Opfer die Schwelle zwischen Krise und Krieg. Bilke spricht von der Krise auch als einem „Kontinuum zwischen Konflikt und Krieg“ (Bilke 2008: 141). Insofern sind Krisen und Kriege als besondere Formen gesellschaftlicher (Konflikt-) Dynamiken anzusehen.5 Der Übergang von Konflikt über Krise hin zu

 4

Im alltäglichen Gebrauch wird Krise auch in Bezug auf Naturkatastrophen und andere

5

An dieser Stelle ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass insbesondere die Kommunikati-

gesellschaftliche Ereignisse von großer Reichweite benutzt. onswissenschaft von einem anderen Begriff der Krise ausgeht. Krise wird dort in Zusammenhang mit Krisenkommunikation gesehen und bedeutet ein Zustand, in dem eine gesellschaftliche Gruppe, ein Unternehmen oder ein Staat in ihrer Existenz, eher in einem institutionellen Sinn, bedroht sind. Eine Krise kann in diesem Fall auch von natürlichen



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Krieg ist Teil einer Eskalationsdynamik, die jedoch in beide Richtungen gehen kann. Vielen Konflikten ist gemein, dass sie verschiedene Eskalationsstufen, oft auch in zirkulären, sich wiederholenden Schlaufen durchlaufen. In der Forschung wird heute davon ausgegangen, dass Konflikte hochkomplexe Systeme mit vielen verschiedenen Akteuren sind, in denen jeder Konfliktakteur eine bestimmte Rolle einnimmt. Die zentralen Akteure in einem Konflikt sind natürlich die Konfliktparteien, die in der tatsächlichen Auseinandersetzung um einen Konfliktgegenstand stehen. Dazu kommen weitere Akteure, wie z. B. unbeteiligte Zivilisten, internationale (Hilfs-)Organisationen, Journalisten oder Fotoreporter. Dabei ist es wichtig zwischen internen Akteuren (staatlichen und nichtstaatlichen Konfliktparteien, Zivilisten, lokalen NGOs) und externen Akteuren (staatlichen Repräsentanten, Diasporagruppen, Hilfsorganisationen, Journalisten) zu unterscheiden. Auch wenn die Dynamik eines Konflikts hauptsächlich von den Konfliktparteien beeinflusst wird, so haben doch alle Akteure durch ihr Handeln bestimmte Einflussmöglichkeiten auf dessen Verlauf. Diese können sie bewusst oder unbewusst wahrnehmen. Über eine bewusste Einflussnahme der Akteure auf das Konfliktszenario hinaus gibt es sogenannte implicit ethical messages, welche die Akteure meist unbewusst allein durch ihre Anwesenheit bzw. ihr Handeln aussenden (vgl. Anderson 1999: 55).6 Diese Botschaften sind in der Art der Kleidung, des Auftretens, der benutzten Verkehrs- und Kommunikationsmittel etc. versteckt. Damit wird an andere Akteure in Konflikten ein bestimmtes Signal gesendet, das wiederum Einfluss auf deren Verhalten hat. Eine weitere zentrale Diskussion dreht sich um Symmetrien bzw. Asymmetrien in Konflikten bzw. Kriegen. Dabei ist die wichtigste Unterscheidung zwischen einer Asymmetrie der Stärke und einer Asymmetrie der Schwäche zu legen. Laut Münkler erwachsen „Asymmetrien der Stärke [...] in der Regel aus waffentechnischer und/oder militärorganisatorischer Überlegenheit“ (Münkler 2006: 140) und gehen mit der Erreichung einer tendenziellen Unverwundbarkeit einher, während „die Asymmetrie aus Schwäche [...] auf der Idee einer tendenziellen Unerkennbarkeit der Kämpfer“ beruht (ebd.: 141). Dabei ist der Partisanenkrieg die defensive, der Terrorismus hingegen die offensive Form asymmetrischer Kriegführung der Schwäche. Kriegführung aus einer Asymmetrie der Stärke ist zum Beispiel der Drohnenkrieg der USA gegen „Al-Qaida“ oder das von Israel im Gazastreifen angewandte Prinzip des targeted killing.

 Ereignissen wie Erdbeben oder ähnlichem ausgelöst werden. Krisenkommunikation ist in diesem Falle dazu da, die Krise von der Institution abzuwenden. 6

Die Überlegungen zu diesem Thema sind an die Evaluierungsmethode „Do No Harm“ angelehnt, die vor allem in der humanitären Hilfe angewendet wird.



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3.2.2 Gewalt in sozialen Konflikten Die Auffächerung der Beschreibungsebenen sozialer Konflikte im letzten Absatz hat gezeigt, dass sich diese unter anderem durch den Grad ihrer Gewalthaltigkeit unterscheiden lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Eskalation von Konflikten in Form von Krisen und Kriegen geht. Im Folgenden soll zuerst eine genauere Bestimmung des Gewaltbegriffs vorgenommen werden, um analytisch präzisere Aussagen über die Formen des Auftauchens von Gewalt in sozialen Verhältnissen und Ordnungen treffen zu können. Dabei gilt auch in der Gewaltforschung, ähnlich wie in der Konfliktforschung, erst einmal eine Unterscheidung zwischen einem engen und einem weiten Gewaltbegriff. Ersterer umfasst in der Regel nur Formen direkter, physischer Gewalt, zweiter bedeutet eine Ausdifferenzierung hinsichtlich von Gewaltformen, die nicht unbedingt sichtbar sein müssen. Wichtig für ein grundlegendes Verständnis von Gewalt ist, „Gewaltbereitschaft und gewalttätiges Handeln in Konflikten [...] nicht in erster Linie als Persönlichkeitsmerkmal oder Motiv einer oder beider Konfliktparteien noch als bloße(n) Ausfluss struktureller Bedingungen“ zu behandeln (Eckert 2002: 1457). Das heißt, dass Gewalt Akteuren nicht per se als Eigenschaft zugeschrieben werden kann, sondern als ein spezifisches Merkmal von Konfliktsituationen zu betrachten ist. Beschreiben lassen sich Gewaltphänomene durch das Subjekt, welches Gewalthandlungen ausübt, über die Phänomenologie der Gewalt, die eingesetzten Gewaltmittel, die Frage nach den Objekten der Gewalthandlungen, die Ursachen von Gewalt, die Zielrichtung von Gewalt sowie die Rechtfertigungs- und Legitimationsstrategien von Gewalt (vgl. Bonacker/Imbusch 2005: 85-87). Gewalt ist meist multikausal angelegt und verfügt sowohl über Handlungs- als auch Strukturkomponenten (vgl. ebd.: 87). Für eine weitere Differenzierung des Gewaltbegriffs ist eine Unterscheidung unterschiedlicher Gewaltverständnisse von großer Bedeutung. Eine genauere Begriffsbestimmung muss dabei von der direkten physischen Gewalt als elementarster Form ausgehen, „die auf Schädigung, Verletzung oder Tötung anderer Personen abzielt“ (Bonacker/Imbusch 2005: 88). Bonacker/Imbusch weisen darüber hinaus darauf hin, dass diese Form der Gewalt in der Regel intendiert ausgeübt wird und als manifest zu bezeichnen ist. Von der physischen Gewalt ist die psychische Gewalt zu unterscheiden, die „sich auf Worte, Gebärden, Bilder, Symbole oder den Entzug von Lebensnotwendigkeiten (stützt), um Menschen durch Einschüchterung und Angst oder spezifische ‚Belohnungen‘ gefügig zu machen“ (ebd.: 89). Im Gegensatz zu direkter, physischer Gewalt ist psychische Gewalt meist nicht sichtbar und in ihren Ausmaßen sowie ihren Folgen schwerer einschätzbar. Eine besondere Form der direkten Gewalt stellt die institutionelle Gewalt dar. Sie beschreibt „die ordnungsstiftenden Funktionen von Gewalt, wie sie von staatli-



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chen Sicherheitsbehörden (Polizei) oder staatlichen Organisationen (wie dem Militär oder Geheimdiensten) ausgeübt werden“ (ebd.: 89). Mit dem Begriff der strukturellen Gewalt hat der Friedensforscher Johan Galtung einen weiteren Begriff ins Spiel gebracht. Strukturelle Gewalt ist „immer dann gegeben, wenn es keinen direkten Täter, aber doch einen Dauerzustand von Gewalt gibt, die Gewalt also in die sozialen Strukturen einer Gesellschaft oder eines Systems eingebaut sein muss“ (Imbusch 2002: 39). Legitimiert werden diese bisher beschriebenen Ausprägungen von Gewalt über kulturelle Gewalt (Galtung 2007) bzw. symbolische Gewalt (Bourdieu 1993). Damit werden jene Aspekte von Kultur beschrieben, „die zur Rechtfertigung oder zur Legitimierung direkter, illegitimer institutioneller oder struktureller Gewalt benutzt werden können“ (Bonacker/Imbusch 2005: 91). Das kennzeichnende Merkmal von Gewaltkonflikten ist, dass dort meist verschiedene Gewaltformen nebeneinander existieren und sich gegenseitig bedingen. Eine weitere Ausdifferenzierung des Gewaltbegriffs hinsichtlich seiner Erscheinungsformen ist ausgehend von den Gewalt ausübenden Akteuren zu treffen. Als eine erste allgemeine Erscheinungsform ist individuelle Gewalt anzusehen, die von einzelnen Tätern ausgeübt wird (vgl. Bonacker/Imbusch 2005: 93). Eine besondere Form individueller Gewalt stellt die private Gewalt dar, die „im sozialen Nahbereich ausgeübt“ wird (ebd.). Den Gegensatz zu diesen beiden Gewaltformen bildet die kollektive Gewalt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie „ein gewisses Maß an Lenkung durch eine wie auch immer dazu legitimierte Führung besitz(t) und für die ein bestimmtes Maß an Organisiertheit sowie eine Herausforderung der Öffentlichkeit konstitutiv ist“ (ebd.: 94). Kollektive Gewalt findet sich z. B. in Aufständen, sozialem Aufruhr oder gewalttätigen Protesten. Eine Sonderform kollektiver Gewalt stellt politische Gewalt dar, die sich durch das (politische) Ziel auszeichnet, „welches mit dem Einsatz von Gewalt erreicht werden soll, nämlich politische Macht zu erringen oder etablierte Herrschaftsverhältnisse zu ändern“ (ebd.: 95). Eine der heterogensten Gewaltformen stellt staatliche Gewalt dar. Sie beschreibt Gewalt, die vom Staat als einem politischen Gebilde ausgeht, aber „verschiedenartige Qualitäten Gewaltausübung“ umfasst, die „vom legitimen Gewaltmonopol des Staates über den Krieg bis hin zu staatsterroristischen Formen der Gewalt“ (ebd.) reichen können. Die Frage nach Legalität und Legitimität von Gewalt ist immer von der spezifischen Situation und dem kulturellen und sozialen Kontext, in dem sie angewendet wird, und der auftretenden Gewaltform abhängig. Bonacker und Imbusch weisen darauf hin, „dass es im Einzelfall eine beträchtliche Grauzone zwischen legitimer und legaler Gewaltanwendung gibt“, da „die Kennzeichnung einer bestimmten Handlung als Gewalt selbst einem historischen Wandel unterliegt und das einstmals illegale Gewalt durch bestimmte Ereignisse oder durch den sozialen Wandel plötzlich in einem legitimen Licht“ (ebd.: 104) erstrahlen kann. Dies ist unter anderem

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bei durch Gewalt herbeigeführten Regimewechseln, beispielsweise im Zuge der Dekolonialisierung zu beobachten. Eine ausführliche Analyse von Konflikten muss somit immer auch eine spezifische Bestimmung und Verortung der dort vorherrschenden Gewaltformen beinhalten. 3.2.3 Macht und Herrschaft in sozialen Konflikten Macht und Herrschaft sind Begriffe, die hier bezüglich ihrer Funktion zur Beschreibung von Konfliktformationen diskutiert werden. Wie Imbusch herausstellt, ist „Macht eben nichts gegenständliches, unmittelbar sichtbares, sondern (eine) weithin unsichtbare Eigenschaft sozialer Beziehungen“ (ebd.: 10). Damit bezeichnet Macht erst einmal ein soziales Verhältnis. Eine klassische Machtdefinition nach Weber sieht Macht als „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ (1985: 28). Macht als soziale Figuration ist dabei hinsichtlich ihrer Beziehungen und sozialen Prozesse genauer untersuchbar. Eine wichtige Unterscheidung, die in Macht als Form des spezifischen Vermögens und Könnens steckt, ist dabei zwischen power to und power over zu setzen. Im Fall von power to geht es um die Fähigkeit, „allein oder zusammen mit anderen bestimmte Ziele zu erreichen“, bei power over „steht eine präventive Machtausübung, die wesentlich Kontrolle über andere anstrebt, im Mittelpunkt“ (Imbusch 2012: 11). Darüber hinaus sind nach Imbusch vier Dimensionen der Macht zu unterscheiden: Machtquellen, Machtmittel, Formen der Machtausübung und Wirkungsmechanismen von Macht (vgl. 2008: 168). Als Machtquellen fungieren dabei z. B. die physische Stärke oder Persönlichkeit und Charisma von Personen, eine Monopolisierung von Ressourcen sowie die gebündelten Handlungspotentiale von Organisationen (vgl. ebd.: 169). Machtmittel können verschiedene Formen von Kapital sein, Organisationen, die Verfügung über Informationen und die Sanktionsgewalt von Ämtern (vgl. ebd.: 170). Formen der Machtausübung sind unter anderem Überzeugung und Motivation, Autorität, Kontrolle und Zwang (vgl. ebd.: 171-172). Als eine besondere Form der Machtausübung ist die Gewalt anzusehen. Der Überschneidungsbereich zwischen Macht und Gewalt besteht laut Imbusch darin, „dass Gewalt ein sehr effektives Machtmittel sein kann, weil sie unmittelbar Gehorsam erzwingt und Widerstand zu überwinden weiß“ (ebd.: 173). Einen Spezialfall stellt in diesem Zusammenhang das staatliche Gewaltmonopol dar. Bei den Wirkungsmechanismen der Macht unterscheidet Imbusch zwischen Sanktion, Kompensation und Kontrolle (vgl. ebd.: 173). Die hier aufgezeigten Beschreibungsmerkmale zeigen, dass Macht ein sehr komplexes soziales Phänomen ist und mit anderen Phänomenen wie der Gewalt interagiert.



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Ebenso wie Macht kann auch Herrschaft als ein soziales Verhältnis beschrieben werden. Im Gegensatz zu Macht ist Herrschaft jedoch von einer gewissen Beständigkeit gekennzeichnet und kann „auch als ein institutionalisiertes Dauerverhältnis der Machtausübung einer übergeordneten Person oder Personengruppe gegenüber untergeordneten Gruppen verstanden werden“ (ebd.: 174). Herrschaft in Form institutionalisierter Macht ist eine soziale Ordnung, die von zunehmender Entpersonalisierung, zunehmender Formalisierung sowie der Integration von Macht in übergreifende Ordnungsgefüge gekennzeichnet ist (vgl. ebd.: 175). Bei Max Weber ist Herrschaft darüber hinaus an Legitimation gebunden und grenzt sich damit von Macht ab (vgl. Weber 1985: 122). Trotz allem existieren jedoch auch Formen der illegitimen Herrschaft. Imbusch weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „Herrschaft ohne Legitimation [...] das Funktionieren eines Systems keineswegs“ ausschließt (2008: 179). Laut Bonacker und Imbusch sind „soziale Systeme [...] immer auch Macht- und Herrschaftszusammenhänge, die in unterschiedlichem Umfang und Ausmaß Ungerechtigkeiten, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt bewirken oder mit sich bringen“ (2005: 76). Soziale Konflikte sind sozialen Systemen immanent und können „auf Unterschiede in der sozialen Lage und/oder Unterschiede in der Interessenkonstellation der Akteure zurückgeführt werden“ (ebd.). Die Formen, die Macht und Herrschaft annehmen, sind somit weitere wichtige Bausteine zur Beschreibung vor allem manifester sozialer Konflikte. Deren Strukturen sowie deren spezifischen Gewaltformen haben großen Einfluss auf alle Akteure, die im Kontext eines Konflikts agieren, auch auf Journalisten und Fotoreporter. Wichtig ist zu betonen, dass Journalisten sowohl Beobachter von Gewaltgeschehen sind als auch selbst von multiplen Formen der Gewalt betroffen sind, welche die herrschenden Machtstrukturen ausgebildet haben. 3.2.4 Konfliktnarrative als Legitimationsmuster In Gesellschaften und Gruppen, die in Konflikte involviert sind, entwickeln sich eigenständige Konfliktkulturen. Dies gilt vor allem für lang andauernde, scheinbar unlösbare Konflikte, die auch als „intractable conflicts“ (Bar-Tal/Salomon 2006: 20) bezeichnet werden können. Elementarer Teil dieser Konfliktkultur ist eine sozialpsychologische Infrastruktur auf individueller und kollektiver Ebene. Diese hat das Ziel „to justify the negative acts of the ingroup toward the enemy, including violence against humans and destruction of property“ (Bar-Tal 2013: 249). Die sozialpsychologische Infrastruktur fußt auf den Konfliktnarrativen, für die die kollektive Erinnerung sowie der „ethos of conflict“ (Bar-Tal/Halperin 2013: 2) eine entscheidende Rolle spielen. Während die kollektive Erinnerung ein kohärentes Bild eines Konfliktverlaufs aus gesellschaftlicher Perspektive zeichnet, setzt sich der ethos of conflict aus gemeinsamen Werten und Überzeugungen hinsichtlich des



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Handelns in Konflikten zusammen (vgl. ebd.). Diese Ausgestaltung des Konfliktnarrativs ist somit ein entscheidender Faktor dafür, welche Handlungsoptionen gesellschaftliche Akteure sehen und ob Möglichkeiten zu einer gewaltfreien Konflikttransformation in Betracht gezogen werden (vgl. ebd.: 1). Die Frage nach den Konfliktnarrativen ist für diese Arbeit insofern von Bedeutung, als damit vergleichend untersucht werden kann, wie sich lokale und internationale Fotoreporter dem Konflikt gegenüber positionieren. Die Definition kollektiver Narrative geht dabei auf Bruner (1990) zurück. Sie sind demnach: „social constructions that coherently interrelate a sequence of historical and current events; they are accounts of a community’s collective experiences, embodied in its belief system and represent the collective’s symbolically constructed shared identity“ (zitiert nach Bar-Tal et al. 2014: 663). Ein Konfliktnarrativ stellt somit eine Art Filter dar, unter dem alle neuen Informationen verarbeitet werden: „These narratives are characterized, inter alia, by selective, biased, and distortive information processing that precludes contemplation of incongruent information and alternative approaches to the conflict.“ (Ebd.: 667) Die sogenannten conflict supporting narratives haben die Funktion, die Position der eigenen Seite im Konflikt zu untermauern: „The narratives form a collective self-presentation and describe the causes of the conflict, its nature, the image of the rival, the conditions needed to win the conflict, and more.“ (Ebd.: 665) Dabei kann zwischen einem dominant narrative (dominantes Narrativ) und einem counternarrative (Gegennarrativ) unterschieden werden (vgl. Bar-Tal 2013: 22). Das dominante Konfliktnarrativ wird in der Regel von der Mehrheit als eine rechtmäßige Repräsentation der Geschichte akzeptiert und bietet damit einen Orientierungsrahmen für das Kollektiv (vgl. ebd.). Anders dagegen das Gegennarrativ; es besteht aus „stories that provide alternative social constructions of interrelated sequence of historical and current events with new implications“ (ebd.). Wichtig ist zu betonen, dass es sich bei einem Konfliktnarrativ nicht um frei erfundene Geschichten handelt, sondern um eine aus der selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit zusammengesetzte Geschichte der eigenen Gruppe im Konfliktgeschehen. Der Blick auf die Konfliktnarrative hat deshalb so große Bedeutung, weil sie eine zentrale Rolle spielen „not only in the eruption of violent conflics, but especially in their persistence – as well as in the use of violent means that often violate moral codes of conduct, and in the difficulty in resolving them peacefully“ (Bar-Tal et al. 2014: 663). Konfliktnarrative bilden somit den Rahmen zur Rechtfertigung des Handelns der eigenen Seite oder zur Delegitimierung des Handelns des Anderen. Dies gilt auch für die Legitimationsfrage von Gewalt oder den Umgang mit bestehenden Macht- und Herrschaftsstrukturen. Somit legen Konfliktnarrative auch Deutungshoheit über bestimmte Begriffe fest. Welche Problematik dadurch entstehen kann, zeigt sich am Gebrauch des Begriffs Gewalt: „Wird nämlich etwas Ge-

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walt genannt, was zuvor harmloser etikettiert wurde, lässt sich eine Skandalisierung von Sachverhalten erzielen, mit der nicht nur eine Diskreditierung der Gegner verbunden ist, sondern möglicherweise auch eine Rechtfertigung von Gegengewalt.“ (Bonacker/Imbusch 2005: 99) Konfliktnarrative haben auch deshalb so große Relevanz, weil sie meist von Generation zu Generation weitergegeben werden und zu einem elementaren Teil der persönlichen Biografie werden. Die Auseinandersetzung über das dominante Konfliktnarrativ findet dabei nicht nur innerhalb der eigenen Gesellschaft statt, sondern auch in der internationalen Gemeinschaft statt. Eine Auseinandersetzung um die Narrative auf internationaler Ebene verfolgt dabei klare Interessen: „The goal is to influence this community, since the in-group needs moral – and often diplomatic – support from international organizations, as well as their tangible assistance with certain resources (both financial and military).“ (Bar-Tal et al. 2014: 668) Soziale Institutionen und Individuen, die sich der Verteidigung des Konfliktnarrativs verschrieben haben, nutzen dabei verschiedene Mechanismen wie z. B. die Kontrolle von Informationen, Zensur, Monitoring, das Diskreditieren von Gegen-Information und deren Bestrafung (vgl. Bar-Tal/Halperin 2013: 3). Das Diskreditieren von Informationen ist ein Mechanismus, mit dem versucht wird, Informationen, die das Gegennarrativ unterstützen, und Quellen, aus denen sich diese speisen, als unglaubwürdig und die Ziele der eigenen Gruppe gefährdend darzustellen (vgl. ebd.). Das Monitoring hat hingegen zum Ziel, durch ein regelmäßiges Screening öffentlich zugänglicher Informationen aus verschiedenen Quellen diejenigen rauszufiltern, die Gegennarrative unterstützen und dann öffentlich zu isolieren (vgl. ebd.). Dies zeigt sich am Produktionsstandort Israel/Palästina beispielsweise an den von proisraelischen Media-WatchdogGruppen geführten Diskussionen um vermeintlich und tatsächliche Bildmanipulationen, die vor allem den Fotografen der Wire vorgeworfen werden.7 Zu beachten ist, dass der Begriff des Konfliktnarrativs einer sozialpsychologischen Analyse des individuellen und gesellschaftlichen Umgangs mit Konflikten entstammt. Innerhalb der Kommunikationswissenschaft wird bislang wenig mit dem Begriff Narrativ im Allgemeinen und Konfliktnarrativ im Besonderen gearbeitet. Dort geht es entweder um die Untersuchung von Frames (Entman 1993; Gofman 1974) oder Diskursen (Jäger 2004a). Nach Ansicht des Autors ist es möglich, eine Schnittstelle zwischen diesen verschiedenen Begriffen zu finden. So kann die innergesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen dominantem Konfliktnarrativ und Gegennarrativen als gesellschaftlicher Diskurs über einen Konflikt aufgefasst werden, der diskursanalytisch untersucht werden könnte. Der Begriff des

 7

Vgl. z.B. die Texte auf den Webseiten von http://honestreporting.com/shattered-lens-part6-photo-bias-in-depictions-of-the-idf/, http://blog.camera.org/archives/2010/04/ap_photo grapher_wins_award_for.html oder http://honestlyconcerned.com/



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Frames kann benutzt werden, um zu untersuchen, wie mit Hilfe der Sprache einzelne Aspekte der Narrative dargestellt bzw. gerahmt werden. Damit wäre eine sinnvolle Hierarchie zwischen den Begriffen hergestellt, die von einzelnen Frames als Teil dominanter Narrative und Gegennarrative hin zum gesellschaftlichen Diskurs zwischen diesen reichen. Gleichzeitig wird dadurch ermöglicht, die Konfliktnarrative als eigenständige Kategorie ausgehend vom Kommunikator einer empirischen Untersuchung zugänglich zu machen. Die Konfliktnarrative stellen eine Schnittstelle zwischen der individuellen Ebene des Kommunikators (Mikro-Ebene) und der Gesellschaftsebene (Makro-Ebene) dar. Zu untersuchen ist zum einen, wie sich die Fotoreporter als Akteure im Konflikt an den Konfliktnarrativen orientieren und ob sowie in welcher Form sie das Handeln der Fotoreporter im Konflikt beeinflussen. 3.2.5 Psychosoziale Folgen von Konflikten Langandauernde gesellschaftliche Konflikte haben eine Reihe psychosozialer Auswirkungen, die sowohl auf der Ebene des Individuums als auch des Kollektivs zu verzeichnen sind. Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits die Herausbildung von Konfliktnarrativen beschrieben, mit der Gesellschaften auf Konflikterfahrungen reagieren. Ereignissen in Konflikten und Kriegen ausgesetzt zu sein, kann für die beteiligten Akteure dauerhafte psychische Schäden bedeuten, die sich unter anderem in Form von Traumata zeigen. Als traumatisches Ereignis wird in der klinischen Diagnostik der Psychologie das Erleben eines Ereignisses bezeichnet, das „mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat“ (DSM-IV 1998: 487). Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem persönlichen Erleben, der Beobachtung eines Ereignisses, das anderen widerfährt, sowie Ereignissen, die Verwandte oder nahestehende Personen erlebt haben und von denen ein Individuum erfährt (vgl. ebd.). An diese Kategorisierung lässt sich die Unterscheidung von primärer und sekundärer Traumatisierung anschließen. Eine sekundäre Traumatisierung bezieht sich dabei vor allem auf das dritte Kriterium, das Erfahren von traumatischen Erlebnissen anderer über deren Erzählungen (vgl. Weidmann 2008: 235). Eine sekundäre Traumatisierung kann dabei auch Menschen treffen, die in Berufsgruppen aktiv sind, wo das Zuhören einen zentralen Tätigkeitsbereich darstellt. Neben verschiedenen helfenden Berufsgruppen zählen dazu auch Journalisten. Ob sich aus Traumatisierungen dauerhafte psychische Folgeschäden entwickeln, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Eine besondere Form einer psychischen Störung, die sich aus traumatischen Erfahrungen entwickeln kann, wird als Post-



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Traumatic Stress Disorder (PTSD)8 bezeichnet. PTSD liegt dann vor, wenn innerhalb eines Jahres nach einem traumatischen Erlebnis bestimmte psychische und psychosomatische Symptome auftreten und nicht wieder abklingen, wie ein beharrliches Wiedererleben des Ereignisses, Vermeidungsverhalten sowie ein anhaltender Erregungszustand (vgl. Rojas 2008: 300). Kritiker einer Verwendung des Begriffs Trauma im Zusammenhang mit systematischer, kriegerischer Gewalt bemängeln, dass damit Pathologisierung der Opfer einhergehe, da „durch das Operieren mit einem psychiatrischen Begriff [...] das falsche Bild (entsteht), es stimme in erster Linie etwas mit dem Opfer nicht“ (Kühner 2002: 22). Stattdessen müsse jedoch, vor allem hinsichtlich von genozidalen Phänomenen wie dem Holocaust, eine „traumatisierende Realität“ (ebd.) im Vordergrund der Bearbeitung stehen. Deswegen sind auch die Traumata, denen journalistische Akteure aufgrund ihres Berufs ausgesetzt sind, nicht mit Traumata, die beispielsweise durch Verkehrsunfälle, Naturkatastrophen oder Vergewaltigungen entstehen, vergleichbar. Die Traumata der Fotoreporter sind im Gegensatz zu den letztgenannten mit den sozialen und politischen Kontexten der Konflikte, in denen sie arbeiten, zu erklären und auch im Kontext derselben zu behandeln. Das Wissen um die Akteure der Gewalt bekommt hier eine besondere Bedeutung. 3.2.6 Zwischenfazit zum Konfliktkontext Den Begriffen Konflikt hinsichtlich seiner Spezifizierung auf soziale Konflikte, Macht und Herrschaft ist gemein, dass sie allesamt soziale Verhältnisse umschreiben und immer nur in Verbindung mit anderen Menschen denkbar sind. Es sind soziale Akteure, die in diesen Verhältnissen handeln, die Konflikte vom latenten in den manifesten Zustand überführen und über seine Gewalthaltigkeit entscheiden, die unterschiedliche Machtverhältnisse konstituieren und Herrschaftsverhältnisse sichern. Aber auch wenn soziales Handeln konstitutiv für Konflikt, Macht und Herrschaft ist, so existieren diese als soziale Verhältnisse jedoch auch unabhängig von einzelnen sozialen Akteuren und deren Handeln in Form politischer Konflikte. Gewalt ist dabei ein bestimmtes Mittel, das vor allem in eskalierten Konflikten sowie bestimmten Macht- und Herrschaftszusammenhängen zum Tragen kommt. Ihr kommt in diesem Rahmen vor allem eine Ordnungsstiftende Funktion zu. Alle sozialen Akteure, die in einem von einem politischen Konflikt bestimmten geographischen Raum leben müssen sich, auf welche Art und Weise auch immer, zu diesem Konflikt verhalten. Dies gilt nicht nur für die tatsächlichen Konfliktpar-

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Im Deutschen findet auch der Begriff Posttraumatische Belastungsstörung (PTB/PTBS) Verwendung. Da das Phänomen jedoch meist mit der englischen Abkürzung bezeichnet PTSD wird, benutzt auch diese Arbeit die englische Begrifflichkeit.



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teien, sondern für alle Akteure, die sich in einer Konfliktregion aufhalten, wie z. B. die lokale und internationale Zivilgesellschaft, NGOs sowie Medienvertreter. Verhalten reicht dabei vom Ignorieren als bewusster Handlung, der Akzeptanz des Konfliktzustands bis hin zu Formen des Eingreifens oder des Widerstands, wodurch Akteure auch selbst zu Konfliktparteien werden können. Der Handlungsspielraum der einzelnen Akteure ist dabei unter anderem von den im Konflikt existierenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie vom Grad der Symmetrie bzw. Asymmetrie zwischen den Konfliktparteien bestimmt. Konflikte verzeichnen dabei Auswirkungen sowohl auf der Mikro-, der Mesoals auch der Makro-Ebene. Denn individuelle soziale Akteure (Mikro-Ebene) ebenso wie Institutionen (Meso-Ebene) orientieren sich in ihrem Handeln an den Machtund Herrschaftsstrukturen eines Konflikts (Makro-Ebene) und konstituieren diesen gleichzeitig mit. Dies bedeutet, dass sich die Auswirkungen von Konflikten auch auf allen diesen Ebenen analysieren lassen. Auf der Mikro-Ebene geht es vor allem um die Auswirkungen des Konflikts auf das Lebensumfeld des Einzelnen sowie das von diesen angenommene Konfliktnarrativ. In Bezug auf die Meso-Ebene ist herauszuarbeiten, wie sich die Institutionen in einer Konfliktregion, beispielsweise die Medieninstitutionen, am Konflikt orientieren und auf diesen bezogene Strukturen ausbilden. Auf der Makro-Ebene sind die Verfasstheit des Konflikts sowie die sich ausbildenden Macht- und Herrschaftsstrukturen zu analysieren.





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3.3 F OTOJOURNALISMUS

IN

K ONFLIKTEN

Nachdem in den beiden vorangegangenen Konflikten der Fotojournalismus im Journalismus veortet und konflikttheoretische Begriffsbestimmungen vorgenommen wurden, soll an dieser Stelle der Blick auf den Fotojournalismus in Konflikten gelenkt werden. Eine besondere Form des fotojournalistischen Handelns ist dann gegeben, wenn Fotoreporter aus dem Ausland über Konflikte berichten. Fotoreporter sind dann Teil der Auslandsberichterstattung und grundsätzlich aus einer ähnlichen Perspektive zu betrachten wie Auslandskorrespondenten, außer dass sie mit dem Medium Bild kommunizieren. Primär ist zwischen Konfliktjournalismus als Auslandsjournalismus und Konfliktjournalismus als Inlandsjournalismus zu unterscheiden. Wenn der Konflikt nicht im Land stattfindet, in dem das Publikationsmedium seinen Sitz hat, haben wir es mit Auslandsjournalismus zu tun. Wenn Publikationsregion und Konfliktregion übereinstimmen, geht es um Konfliktjournalismus als Inlandsjournalismus. Diese Unterscheidung hat große Implikationen vor allem bezogen auf die Rolle der Medien in den jeweiligen Konflikten. 3.3.1 Auslandsjournalismus Dem Auslandsjournalismus kommt insofern eine zentrale Funktion zu, da er die Aufgabe hat, den Rezipienten über konfliktive sowie nicht konfliktive Ereignisse außerhalb der eigenen nationalstaatlichen Grenzen zu informieren. Der Auslandsjournalismus stellt somit eine besondere Form der internationalen Kommunikation dar. Laut Hafez kann unter Auslandsberichterstattung „jedes System der journalistischen Informationsübermittlung verstanden werden, in dessen Verlauf Informationen und Nachrichten staatliche Grenzen überschreiten“ (Hafez 2002: 24). Da es in dieser Arbeit um Konfliktjournalismus als Auslandsjournalismus geht, ist dies eine grundlegende Definitionen für das weitere Forschungsvorhaben. Anknüpfend an die verschiedenen Einflussgrößen auf journalistisches Handeln ist auch Auslandsberichterstattung „nicht allein (als) ein Ergebnis individuellen Handelns“ zu verstehen, „sondern zum Teil auch Resultat eines sozialen Prozesses, in dessen Verlauf die Organisation als solche oder Teile der sozialen Organisation die nachrichtenwertliche Interpretation gesammelter oder zu sammelnder Informationen steuern“ (ebd.: 89). Um den Ursachen- und Wirkungskomplex von Auslandsberichterstattung genauer bestimmen zu können, hat der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez ein Theoriemodell entwickelt. Er unterscheidet darin zwischen der Mikro-, der Meso- und der Makro-Ebene der Auslandsberichterstattung (vgl. ebd.: 34 ff.). Auf der Mikro-Ebene müssen die sozialisationsbedingten Einflüsse des Auslandsjournalisten auf den Medientext, seine individuelle und politische Sozialisation sowie vorhandene journalistische Rollenkonzepte untersucht



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werden. So bringt der Journalist laut Hafez „sozialisationsbedingte Kompetenzen, Weltbilder, Perspektiven, aber auch Stereotype und Feindbilder“ in seine Bild- und Textproduktion mit ein (Hafez 2005a: 23). Die Meso-Ebene richtet den Blick auf die Einflüsse der Medienorganisationen wie „informationelle Rahmenbedingungen, das Verhältnis von Agenturmaterial zu journalistischer Eigenleistung, die durch verlegerische (oder andere hierarchische) Interessen sowie soziale Interaktionsprozesse gesteuerten Entscheidungsprogrammierungen der Auslandsredaktionen, die sozialen Beziehungen zwischen Zentralund externen Redaktionen (Auslandskorrespondenten) sowie die Struktur der innerjournalistischen Meinungsführermilieus“ (Hafez 2002: 34). Die Makro-Ebene beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen Medien- und Gesellschaftssystem im nationalen und internationalen Rahmen. Kennzeichnend sind dabei das „Wechselspiel von Politik und Medien“ und die Konkurrenz von Politik, Journalisten und Organisationen um den „Zugang zur internationalen Kommunikation“ (Hafez 2005a : 24). Eine besondere Rolle für das journalistische Handeln im Rahmen der Auslandsberichterstattung nehmen Auslandskorrespondenten, egal ob Text-, Fernseh-, oder Bildjournalisten, als diejenigen ein, welche die Nachrichten in die Heimatredaktionen übermitteln. Sie besetzen „eine Schlüsselposition in der öffentlichen Kommunikation von Auslandsgeschehen“ (Junghanns/Hanitzsch 2006: 2). Auslandskorrespondenten stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen ihrem „understanding of what are the most important stories in the country they are covering and what their editors back home think is newsworthy“ (Karadjov 2008: 1852). Die klassische Figur der in diesem Bereich tätigen Journalisten war lange Zeit der von einem Medium entsandte Korrespondent an einem festen Standort im Ausland. Diese Struktur hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch aufgrund von hohen Kosten bei der Erhaltung von Korrespondentenplätzen zunehmend aufgelöst (Hamilton/Jenner 2004: 303 ff.). Dies hat weitreichende Folgen: „the traditional elite foreign correspondent no longer has the hegemony over foreign news“ (Hamilton/Jenner 2004: 312). Ausgehend von dieser Beobachtung haben Hamilton/Jenner eine neue Typologie der Auslandskorrespondenten entwickelt. Dazu gehören folgende acht Typen: traditional foreign correspondent, parachute journalist, foreign foreign correspondent, local foreign correspondent, foreign local correspondent, in-house foreign correspondent, premium service foreign correspondent und amateur correspondent (vgl. Hamilton/Jenner 2004: 313). Interessant für diese Studie sind vor allem der traditional foreign correspondent, der parachute journalist bzw. correspondent sowie der foreign foreign correspondent. Der traditional foreign correspondent ist die klassische Version des Auslandskorrespondenten, der von einem Medium fest in eine bestimmte Region entsandt wird. Davon grenzt sich der parachute correspondent ab, der zwar auch von einem Medium entsandt wird, jedoch nur für



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einen kurzen Zeitraum und für einen bestimmten Berichterstattungsanlass. Relativ neu ist das Phänomen des foreign foreign correspondent, unter dem sich lokale Angestellte internationaler Medien subsumieren lassen, die fest oder frei bestimmte Regionen abdecken. Hiermit lässt sich auch das Phänomen des „glokalen“ Fotoreporters beschreiben (vgl. Grittmann/Ammann 2008: 27). In ihrer Vielfalt bietet diese Einteilung somit hervorragende Anknüpfungspunkte zur Typologisierung von Fotoreportern die im Konfliktjournalismus tätig sind. Ein wesentlicher Teil des Auslandsjournalismus wird mittlerweile von den globalen und internationalen Nachrichtenagenturen geleistet, „die heute im Regelfall der Auslandsberichterstattung 50 bis 80 Prozent der Informationsquellen darstellen“ (Hafez 2005b: 56). Deren Strukturen (siehe Kapitel 3.1.5) ermöglichen es, zeitnah über Ereignisse auf der ganzen Welt zu berichten. Ihre Aufgabe ist es, die Ereignisse und Themen vorzustrukturieren und den Erwartungen verschiedener Medien anzupassen (vgl. Lönnendonker et al. 2008a: 31). So sind es vor allem die Nachrichtenagenturen, die die Nachrichtenroutine aufrechterhalten und einen zentralen Pfeiler der internationalen Kommunikation bilden. Dies ist ihrem weltweiten Netz von Redaktionsstandorten und Korrespondenten zu verdanken, die auch als Nachrichtengeografie bezeichnet werden kann. Hafez weist kritisch darauf hin, dass „die zentrale Stellung der Agenturen“ die „Orientierung der Auslandsberichterstattung an Konflikten und Eliten gefördert“ hat (Hafez 2005b: 56). Vor allem was die Versorgung der Medien mit tagesaktuellen Bildern aus Konfliktregionen angeht, sind die Bilderdienste der Nachrichtenagenturen heute unverzichtbar. Ausgehend vom Bild des klassischen Auslandskorrespondenten haben Hahn und Kollegen ein auf der Mikro-Ebene angesiedeltes Modell des Auslandskorrespondenten als Kontextvermittler zwischen den Kulturen entwickelt (vgl. ebd.: 44). Sie gehen dabei davon aus, dass „jede kommunizierte wie rezipierte Information in der interpersonalen und auch massenmedialen Kommunikation – bewusst oder unbewusst – kulturell konditioniert und kodiert“ (ebd.: 45) ist und somit „ein und dieselbe Information in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unterschiedliche Bedeutung habe.“ (Ebd.: 45). Die eigentliche interkulturelle Kontextvermittlung findet durch Adaption statt, indem Informationen aus einer Ausgangskultur einer Zielkultur angepasst werden (ebd.: 57), beispielsweise in dem Themen so selektiert werden, „dass sie Bezüge zu den Lebenswelten ihrer jeweiligen Zielpublika daheim schaffen“ (ebd.: 56). Entscheidend für die Arbeit der Auslandskorrespondenten ist dabei, dass „(d)ie Grenzen journalistischer Kulturen [...] sich im Wesentlichen weiterhin mit nationalen und regionalen Grenzen“ (Prinzing 2008: 177) decken, womit der Kontextvermittlung einer klarer Rahmen gegeben ist. Die hier beschriebene Kontextvermittlung stellt vor allem die von Hamilton/Jenner (2004) beschriebenen neuen Typen der Auslandsberichterstattung vor große Herausforderungen, da sie oft ihr Zielpublikum nicht kennen. Für Bilder im



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Auslandsjournalismus trifft die „kulturelle Kodierung“ von Informationen im Unterschied zum Text, der sowohl in einem bestimmten Zeichensystem (Alphabet) als auch in einer bestimmten Sprache verfasst ist, nur zum Teil zu. Laut Engelbert können Bilder als „global images“ (Engelbert 2011) bezeichnet werden, die bis zu einem gewissen Grad eine universelle Lesbarkeit haben und „potenziell stärker transkulturell ausgerichtet“ sind (Grittmann/Ammann 2008: 25). Somit geht es bei Bildern weniger um die kulturelle Kodierung der Information durch den Bildproduzenten als um die Fähigkeit des Rezipienten, im Bildinhalt sichtbare Informationen zu deuten und deren spezifische kulturelle Konnotation zu erkennen, sofern diese vorhanden sind. Der fotografische Auslandskorrespondent ist darüber hinaus im Rahmen seiner Arbeit in verschiedene Formen der interkulturellen Kommunikation verwickelt: entweder in Form der indirekten Kommunikation über eine Fotografie, wenn lokale Fotoreporter Produkte für ein internationales Publikum herstellen, das sich in einem anderen kulturellen Kontext befindet, oder in Form direkter, interpersonaler Kommunikation zwischen einem internationalen Fotoreporter und der lokalen Bevölkerung. 3.3.2 Konfliktjournalismus Ein besonderes Interesse des Journalismus im Allgemeinen und des Auslandsjournalismus im Besonderen gilt Konflikten als spezifische Form gesellschaftlicher Dynamiken. Je stärker diese Dynamiken sind, umso größer ist auch das Interesse des Journalismus an ihnen. Anknüpfend an die Konfliktdefinitionen in Kapitel 3.2.1 bezieht sich der Begriff des Konfliktjournalismus auf die Berichterstattung über gesellschaftliche Konflikte, in denen immer wieder systematisch Gewalt zur Erreichung bestimmter Ziele angewendet wird. Dabei stellt Konfliktjournalismus eine journalistische Subkategorie dar. Ob Konfliktjournalismus immer auch gleich Krisenjournalismus ist, hängt jedoch enscheidend von der Beobachterperspektive ab. Damit es sich um Krisenjournalismus handelt, muss der Konflikt zumindest hypothetisch als „Bedrohung der eigenen Existenz oder Identität wahrgenommen werden“ (Kohring et al. 1996: 297).1 Dies gilt in vielen Fällen für foreign foreign correspondents, meist jedoch nicht für ihre internationalen Kollegen. Auch für die Rolle der Medien ist es entscheidend, ob diese in Form des Auslandsjournalismus

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Mit dieser Definition setzt sich diese Arbeit bewusst von einer Forschungstradition ab, in der die Kriegsberichterstattung als Teil der Krisenkommunikation gesehen wird (Vgl. Löffelholz, Martin (Hrsg.) (1993): Krieg als Medienereignis: Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation, Opladen: WDV. sowie Löffelholz, Martin (Hrsg.) (2004): Krieg als Medienereignis II: Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.



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nur über Konflikte außerhalb der nationalstaatlichen Grenzen berichten oder ob sie Teil des Gesellschaftssystems sind, das in den Konflikt verwickelt ist und wo der Konflikt geografisch verortet ist. In diesem Fall handelt es sich um Konfliktjournalismus als Inlandsjournalismus. Die Herausforderung für den Konfliktjournalismus besteht darin, dass journalistisches Handeln im Kontext gewalttätiger Konflikte stattfindet. Entscheidend ist dabei, in welchem Eskalationsstadium sich die Konflikt- oder Kriegsregion befindet, aus der berichtet wird. Wichtig ist zu betonen, dass die Konfliktjournalisten trotz aller systemischen Abhängigkeiten, die sich aus der Konzeptionierung der allgemeinen Einflussfaktoren auf journalistisches Handeln ergeben, über eigene Handlungs- und Gestaltungsspielräume verfügen (vgl. Korte/Tonn 2007: 27). Wie diese ausgestaltet sind, hängt von Faktoren auf der Meso-, Mikro- und MakroEbene ab. Im Konfliktjournalismus tätige Fotoreporter besetzen die Mikro-Ebene der journalistischen Akteure (vgl. Hanitzsch 2007: 48). Um die hohen Anforderungen, die an Konfliktjournalisten gestellt werden, umsetzen und die Qualität ihrer Arbeit sichern zu können, sind laut Bilke (2008) eine Reihe spezifischer Kompetenzen notwendig. Bilke hat verschiedene Voraussetzungen auf der Ebene der journalistischen Akteure definiert und in den drei Kategorien Selbstreflexion, Kompetenzen und Wissen zusammengefasst (vgl. Bilke 2008: 229). Zur Kategorie Selbstreflexion gehören die Auseinandersetzung des Konfliktberichterstatters mit seiner Rolle in der Gesellschaft und im Konflikt sowie kulturellen Werten und Deutungen. In der Kategorie Kompetenzen finden sich z. B. Fähigkeiten in der Recherche und der Arbeit unter Krisenbedingungen. Die dritte Kategorie Wissen beinhaltet Kenntnisse über Konflikttheorie, internationale Beziehungen sowie die Krisen- und Kriegsberichterstattung. Die Formulierung spezifischer Kompetenzen im Sinne von Fachkompetenzen für die Arbeit in Konflikten ermöglicht es, den Grad der Professionalisierung (foto-)journalistischer Akteure in der Konfliktberichterstattung zu untersuchen. Eine besondere Situation ist dann gegeben, wenn foreign foreign correspondents für internationale Medien aus Konfliktregionen berichten. Insbesondere im Fotojournalismus stellt dies aufgrund der Vielzahl lokaler Fotoreporter im Dienst der Nachrichtenagenturen die Alltagsrealität dar. Lokale Fotoreporter sind dann ebenso wie andere Mitglieder der Gesellschaft im und mit dem Konflikt sozialisiert worden. Eine entscheidende Funktion auf der Mikro-Ebene nehmen in diesem Fall die Konfliktnarrative ein (siehe Kapitel 3.2.4). Sie ermöglichen es individuellen Akteuren in Konflikten, das eigene Handeln und die Position der eigenen Seite in Konflikten als sinnbehaftet wahrzunehmen und mit der dominierenden gesellschaftlichen Konfliktwahrnehmung abzugleichen (Bar-Tal/Salomon 2006). Konfliktjournalismus ist für diese Kommunikatoren mit Inlandsjournalismus vergleichbar, da sie über Geschehnisse in ihrem unmittelbaren Erfahrungsraum berichten, auch

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wenn ihre Produkte auf dem internationalen Bildermarkt verbreitet werden. Aber auch internationale Journalisten und Fotoreporter müssen dominante lokale Konfliktnarrative der verschiedenen Parteien und deren Gegennarrative kennen, um diese als zentralen Konfliktfaktor beschreiben und die eigene subjektive Sicht auf den Konflikt mit diesen abgleichen zu können. Um vorzubeugen, dass „positive wie negative Tendenzen der Kriegsberichterstattung auf das Wirken einzelner Personen reduziert werden“ (Hanitzsch 2007: 48), ist ein Blick auf die Meso-Ebene und die Routinen die sich innerhalb der Redaktionen ausgebildet haben von großer Bedeutung. Konflikte und Kriege sind zwar oft außerplanmäßige Ereignisse, trotz allem gibt es wiedererkennbare Prozesse, wie Medien auf diese reagieren. Insbesondere dann, wenn Konflikte lange andauern und manifeste Strukturen ausgebildet haben, wie im Fall des israelischpalästinensischen Konflikts, stellen sich Journalisten und Medieninstitutionen auf die Bedingungen der Arbeit im Konflikt ein. So stellen journalistische und redaktionelle Strukturen bezogen auf die Produktion von Medienaussagen über Konflikte und Kriege ein entscheidende Merkmal dar (vgl. ebd.: 49). Einen wichtigen Teil des journalistischen Handelns in Konflikten, der innerhalb der Institutionen zu verorten ist, stellt die Selektion von Nachrichten dar. Allgemein gesprochen, erfüllen Krisen und Kriege aufgrund ihrer Dramatik und ihres Neuigkeitswert meist mehrere Nachrichtenfaktoren und haben einen hohen Nachrichtenwert. Kriege und hocheskalierte, gewalttätige Konflikte entfalten eine ausgeprägte Ereignisdynamik, die von einer Vielzahl von Geschehnissen gekennzeichnet ist und in der unter anderem direkte Gewaltanwendung oder die Folgen von Gewalt sichtbar werden. Damit verbunden ist jedoch die Frage, ob es in Anlehnung an die Gewaltdefinitionen (Siehe Kapitel 3.2.2) auch Gewaltformen gibt, die, obwohl sie elementarer Teil von Konflikten sind, primär unsichtbar bleiben. Dies gilt insbesondere in Bezug auf strukturelle und kulturelle Gewalt und stellt die visuelle Berichterstattung vor große Herausforderungen. Eine Möglichkeit, die Nachrichtenauswahl im Kontext von Konflikten und Kriegen über eine Analyse der Nachrichtenfaktorenroutine hinaus kritisch zu untersuchen, bieten die Überlegungen des norwegischen Friedensforschers Johan Galtung. Er hat aus konfliktwissenschaftlicher Perspektive die Diskussion um einen „Friedensjournalismus“ bzw. eine lösungsorientierte Berichterstattung auf den Weg gebracht.2 Dabei nähert er sich dem Thema von der Textanalyse her. Galtung stellt

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Der Autor zieht persönlich den Begriff konfliktsensitiver Journalismus dem Gebrauch von Friedensjournalismus vor. „Friedensjournalismus“ in Anführungszeichen wird verwendet, wenn der Begriff von anderen Autoren gebraucht wird. Die Diskussionen um das Für und Wider sollen an dieser Stelle nicht widergegeben werden, sondern stattdessen die für diese Arbeit relevanten Punkte seines Ansatzes herausgestrichen werden.



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Friedens- bzw. Konfliktjournalismus systematisch einen Kriegs- bzw. Gewaltjournalismus gegenüber (Galtung 1998). Zum „Friedensjournalismus“ gehören eine Friedens- bzw. Konfliktorientierung, eine Wahrheitsorientierung, eine Menschenorientierung sowie eine Lösungsorientierung. Der „Kriegsjournalismus“ dagegen zeichnet sich durch eine Kriegs- bzw. Gewaltorientierung, eine Propaganda- und Eliteorientierung sowie eine Siegorientierung aus. Kennzeichnend für Galtungs Ansatz ist ein aus der Konfliktforschung stammendes Konfliktverständnis. In einer kriegsorientierten Darstellung geht es in der Regel um eine Win-Lose-Situation, zwei Seiten, die auf ein Ziel orientiert sind. Der Journalismus orientiert sich in diesem Fall an der Konfliktarena und den Ereignissen auf dem Schlachtfeld. Der Friedensjournalismus folgt dagegen eher einer WinWin-Orientierung, in der es um X Parteien und Y Ziele geht. Die Beschreibung des Konflikts erfolgt anhand seiner Ausprägung, seiner Gegenstände etc. und kann der Theorie nach zu einer Versachlichung und Entemotionalisierung der Auseinandersetzung beitragen. Hier bieten sich einige Ansatzpunkte, um das fotojournalistische Handeln und die Ereignis- und Themenwahl von Fotoreportern in Konflikten zu untersuchen. So hat die Frage, welche Akteure – ob politische Eliten, Gewaltakteure oder die Zivilgesellschaft – den Berichterstattungsgegenstand des Fotojournalismus darstellen, große Relevanz. Darüber hinaus kann die Berichterstattung präventiv oder reaktiv erfolgen. Besonders deutlich wird der Unterschied an der bildnerischen Darstellung von Opfern. Hier fordert der „Friedensjournalismus“, keine Gruppen zu übersehen. Eine große Herausforderung, insbesondere für die Nachrichtenfotografie, stellt die Forderung dar, primär „unsichtbare“ Aspekte des Konflikts zu zeigen. Hier kommt möglicherweise die Dokumentarfotografie ins Spiel, die aufgrund eines größeren Fokus auf der Bearbeitung von Themen, größere Freiheiten besitzt. Weiterhin weist Galtungs Modell auf die Problematik des Zeit- und Aktualitätsdrucks massenmedialer Konflikt- und Kriegsberichterstattung hin, die konfliktsensitives Handeln erschwert. Gerade der tagesaktuelle Fotojournalismus ist aufgrund medientechnischer Entwicklungen, die quasi eine Echtzeit-Berichterstattung mit Bildern ermöglichen, dafür besonders anfällig. Einige Autoren sehen Konfliktjournalismus als einen neuen Fachjournalismus (vgl. McGoldrick/Lynch 2005). In diesem Zusammenhang hat Bilke (2008) in Anlehnung an den Informationsjournalismus ein idealtypisches Rollenmuster für einen konfliktsensitiven Journalismus entwickelt. Auch wenn „die beiden Rollenmuster [...] sich nicht als absolute Gegensätze“ zeigen, hat der konfliktsensitive Journalismus einige Merkmale, „die ihn deutlich vom Informationsjournalismus unterscheiden“ (Bilke 2008: 231). Ein konfliktsensitives Rollenverständnis zeichnet sich durch Multiperspektivität, Transparenz und Authentizität in Form eines selbstreflexiven Umgangs mit der Objektivitätsnorm aus. Darüber hinaus sind ein empa-



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thischer Umgang mit Protagonisten und ein aktives Publikumsbild mit einer individuell-gesellschaftlich verwurzelten Ethik, die einem Menschenrechtsfokus folgt, von großer Bedeutung. Um nicht der Gefahr zu großer Nähe und damit einer möglichen Parteilichkeit zu erliegen, plädiert sie für eine „situative(n) Balance aus Distanz und Nähe“ (ebd.: 233). Vor allem der letzte Aspekt erscheint von großer Bedeutung für den Fotojournalismus, da die Anwesenheit im Geschehen eines der zentralen Elemente der Authentizitätsnorm darstellt. Auf der Makro-Ebene wird der Konfliktjournalismus vor allem von den besonderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Journalisten und Fotoreporter in Konfliktregionen arbeiten, herausgefordert. Die moderne Kriegsberichterstattung wird „im Leistungssystem Journalismus in professionellen und organisierten Zusammenhängen produziert“ (Hanitzsch 2007: 47). Aber nicht nur das: In der zeitgenössischen Kriegsberichterstattung interagieren die Systeme Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit als Teil der öffentlichen Kommunikation mit der Sicherheitspolitik (vgl. ebd.: 48). Löffelholz beobachtet schon seit dem Ende des Kalten Krieges einen Strukturwandel der sicherheitspolitischen Kommunikation (Löffelholz 2004: 15 ff.). Ein wichtiger Teil davon ist eine Professionalisierung des sicherheitspolitischen Kommunikationsmanagements hin zu Praktiken des Information Warfare, der die Legitimation militärischer Interventionen zum Ziel hat (vgl. ebd.: 19 ff.). Sogenannte Information Operations und Public Diplomacy Strategien begleiten heute militärische Operationen und bereiten sie vor und nach. Diese modernen Formen der Propaganda kommen meist ohne eine Aushebelung der Pressefreiheit aus und ziehen ihre Kraft aus der strategischen Kommunikation. Sie unterscheiden sich damit von einem klassischen Bild der Proganda, das oft mit den Kommunikationsanstrengungen autoritärer Regime gleichgesetzt wird. Grundsäztlich sind unter Propaganda sämtliche Versuche der systematischen Beeinflussung der öffentlichen Meinung zugunsten politischer Ziele zu verstehen (Jäger 2004b: 317). Propagandatechniken stützen sich dabei auf verschiedene sozialpsychologische Mechanismen um im Kriegsfall die Identifizierung mit militärischer Logik zu stärken (Kempf 1997: 139). Schon 1995 stellte Mark Pedelty fest, dass Auslandskorrespondenten in der Kriegsberichtung einem sogenannten „disciplinary aparatus“ ausgesetzt sind (Pedelty 1995: 6). Ein Teil davon ist die militärische Kontrolle von Territorien, die meist mit einer Limitierung des Zugangs zu eben diesen für Journalisten einhergeht. Hanitzsch (2007) beschreibt neben den Maßnahmen der direkten Kontrolle von Informationen eine Reihe indirekter Maßnahmen zeitgenössischer militärischer Kommunikationspolitik. Dazu gehört zum Beispiel das gezielte Lancieren von Informationen zur Verschleierung der Absichten des sicherheitspolitischen Systems, die Einstellung der Öffentlichkeitsarbeit auf Strukturen des Journalismus, die Orientierung des Timings der Sicherheitspolitik am Redaktionsschluss sowie die



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Ausbildung von Strukturen innerhalb der Sicherheitspolitik, „um den Journalismus zu beobachten und gegebenenfalls in seiner Handlungsfähigkeit zu beschränken“ (Hanitzsch 2007: 53). Der Aktualitätsdruck und die Erfordernisse medialer Darstellungsmuster werden z. B. durch die Bereitstellung von Interviewpartnern bedient. Darüber hinaus nutzen militärische Akteure heute soziale Netzwerke, um ohne den Umweg über journalistische Medien direkt mit dem Publikum zu kommunizieren. Eine wichtige Funktion sicherheitspolitischer Kommunikationsstrategien ist die Kontrolle von Bildern. Dies wird auch mit dem Begriff der Bildpolitik beschrieben. Unter Bildpolitik ist die „politische(n) Verfügung über die visuelle Repräsentation des Gesellschaftsprozesses und über deren Darstellung, Reflexion oder Kritik in der Öffentlichkeit“ zu verstehen (Werckmeister 2005: 7). Die bildbezogenen Strategien, die im sicherheitspolitischen Informationsmanagement Anwendung finden, unterscheiden sich von den auf Textjournalismus orientierten Maßnahmen. Der wichtigste Faktor der Kontrolle von Informationen ist hier die Kontrolle des Zugangs zum Ereignisgeschehen und damit der Möglichkeit, Bildnachrichten produzieren zu können. Einzelne, gezielt durchgeführte Aktivitäten im Rahmen der Bildpolitik werden auch als Image Operations beschrieben. Dies sind, so Tom Holert, „Operationen mit Bildern oder Anhand von Bildern. Diese finden z. B. im Raum der Öffentlichkeit, der Zivilgesellschaft und der Medien statt und zeigen sich [...] daran, wie Bilder von Staaten und der Industrie zur Propagierung ihrer Ziele“3 genutzt werden. Ziel dieser bildspezifischen Form von Information Operations ist die Erlangung und der Erhalt der Kontrolle der Informationshoheit (Schlüter 2004: 249). Diese Aktionen bezwecken entweder die Produktion von eigenem Bildmaterial durch die Konfliktakteure oder das Inszenieren von Ereignissen für die fotojournalistische Berichterstattung. In diesem Zusammenhang ist ein weiteres zentrales Kontrollelement das sogenannte embedment, das sich aus dem Pool System entwickelt hat, wie es für die Berichterstattung über den Kuwait-Krieg charakteristisch war. Unter dem embedment oder embedding wird die Begleitung militärischer Einheiten durch Journalisten und Fotoreporter verstanden (vgl.Boyd-Barrett 2004: 30). Wenn dies auch kein neues Phänomen darstellt und auch schon im Vietnamkrieg zu beobachten war, so wurde diese Technik doch insbesondere von den USA in Irak und Afghanistan perfektioniert und „stellt die aktuellste Entwicklung in der Tradition der Kriegsberichterstattung dar“ (Schwarte 2007: 7). Journalisten sollten mit Hilfe des embedement davon abgehalten werden, auf eigene Faust ins Konfliktgebiet zu reisen und zu recherchieren. Einher ging dies mit Reiserestriktionen für diejenigen, die frei arbeiten wollten. Für das vorliegende Forschungsvorhaben stellt sich die Frage, wie diese Mechanismen in der Region funktionieren.

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Im Interview mit Felix Koltermann, in: Wissenschaft & Frieden 3/2014, S. 30-33.

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3.3.3 Psychoziale Folgen Konfliktjournalisten müssen die Pflicht zu informieren mit dem Schutz des eigenen Lebens austarieren. Laut Bläsi bringt die „Berichterstattung aus Krisengebieten [...] für Journalisten physische und psychische Belastungen mit sich, die in ihren Dimensionen und in ihrem Ausmaß über die Anforderungen des normalen journalistischen Arbeitsalltags weit hinausgehen“ (Bläsi 2006: 185). Dies hat besondere psychosoziale Herausforderung zur Folge. Journalisten und insbesondere Fotoreporter können auch als first responder (Brayne 2009; Simpson/Coté 2006) bezeichnet werden, da sie ähnlich wie Rettungskräfte oft die ersten am Ort eines Geschehens sind und das Risiko besteht, dass sie Teil des Geschehens werden (Simpson/Coté 2006: 142). Es ist die Unmittelbarkeit der Erfahrung und die emotionale Intensität, mit denen diese verbunden ist, welche die psychosoziale Komponente der Arbeit von Journalisten und Fotografen charakterisieren. Andere Autoren wie Newman vergleichen Journalisten deshalb auch mit „health workers“, die Schwierigkeiten haben, den Fokus beizubehalten, „without being challenged and changed by interacting with bereaved suffering individuals“ (2002: 316). Die psychische Gesundheit von Journalisten, die über konfliktive und gewalthaltige Ereignisse berichten, ist dabei auf mehreren Ebenen gefährdet. Auf der einen Seite können sie direkt, entweder gezielt oder in Folge sogenannter Kollateralschäden, zum Opfer von Gewalt werden. Mit einer physischen Verwundung ist dabei oft auch ein traumatisches Erlebnis verbunden. Eine weitere Gefahr beschreiben drei amerikanische Autoren: „Newsgatherers, emergency, rescue, relief and medical workers may become secondary victims of disasters. They are affected by the sheer magnitude of the incident, their connection with survivors and the dead [...].“ (Mills et al. 2002: 327) Journalisten nehmen aufgrund ihrer Übersetzerfunktion eine zentrale Stellung im Kommunikationsprozess über menschliches Leid ein. So kann auch Opfern zuhören schon zum oben beschriebenen Phänomen einer sekundären Traumatisierung von Journalisten führen. Die Besonderheit des Fotojournalismus aus einer psychosozialen Perpektive besteht darin, dass seine zentrale Funktion die Augenzeugenschaft und damit die Anwesenheit im Feld ist. Damit verbunden ist notwendigerweise auch Zeuge von Krieg und Gewalt zu sein. Anders als in anderen Spielarten des Journalismus geht es im Fotojournalismus neben dem Zeuge sein aber auch um das Anfertigen von visuellem Dokumentationsmaterial, was den besonderen Charakter der Fotoreporter als „first responder“ ausmacht.

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3.3.4 Zwischenfazit zum Fotojournalismus in Konflikten Zusammenfassend sollen an dieser Stelle noch einmal einige Merkmale des Fotojournalismus in Konflikten genannt werden. Für die weitere Bearbeitung des Themas und die Übertragung auf den Forschungsgegenstand sind dabei mehrere der hier angeschnittenen Themen von Bedeutung. Das fotojournalistische Handeln der Fotoreporter im Nahostkonflikt im Rahmen der Produktion für den internationalen Bildermarkt ist, Hafez’ (2002) Definition folgend, als eine Form des Auslandsjournalismus, das fotojournalistische Handeln im Konfliktkontext als eine Form des Konfliktjournalismus zu betrachten. Die für den Auslandsjournalismus vorgestellte Typologie der Korrespondenten (Hamilton/Jenner 2004) ermöglicht die Differenzierung der Arbeitsrollen von Fotoreportern, die in der Auslandsberichterstattung tätig sind. Die von Galtung (1998) in die Diskussion um einen Konfliktjournalismus eingeführte Unterscheidung von Konflikt vs. Kriegs- und Gewaltorientierung hat eine große Relevanz, um ausgehend von den Nachrichtenfaktoren zu untersuchen, in welche Richtung sich Fotoreporter orientieren und welche Prioritäten die Institutionen des Journalismus setzen. Die Entscheidung beispielsweise zwischen einer Eliten- und Menschenzentrierung hat Auswirkung auf die Akteure, die in Bildern dargestellt werden. In Verbindung mit der Unterscheidung zwischen Ereignissen und Themen (Kepplinger 2001) ist damit ein Instrumentarium geschaffen, um das fotojournalistische Handeln im Konflikt beschreiben zu können. Im Zusammenspiel mit den von Bilke (2008) definierten Kompetenzclustern wird es möglich, den Spielraum für konfliktsensitives Handeln einzuschätzen. Darüber hinaus ermöglichen die Überlegungen von Bilke, die Diskussion um Handlungsspielräume von Konfliktjournalisten hinsichtlich einer Konfliktsensitivität ihrer Arbeit als Kommunikatoren, innerhalb einer Debatte um Qualität im Journalismus zu verorten. Hanitzsch (2007) ist es zu verdanken, auf systemischer Ebene die Felder Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit und Sicherheitspolitik auseinanderzudividieren sowie die Handlungsstrategien von Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen von Sicherheitspolitik offenzulegen. Fotoreporter sind vor allem von im Rahmen des Informationsmanagements durchgeführten Maßnahmen zur Kontrolle der Bildpolitik betroffen und mit Ereignissen konfrontiert, die Teil von Information Operations sind. All dies hat Auswirkungen auf das fotojournalistische Handeln der Fotoreporter. Für das vorliegende Forschungsprojekt stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Informationspolitik die fotojournalistische Produktion in der Berichterstattungsregion beeinflussen und wie sich die Fotoreporter zwischen gewalthaltigen und gewaltfreien Ereignissen und Themen orientieren.



116 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

3.4 E IN A KTEURSMODELL DES H ANDELNS IM K ONFLIKT

FOTOJOURNALISTISCHEN

Als Synthese der in den letzten drei Kapiteln erfolgten theoretischen Einbettung des Untersuchungsgegenstandes soll an dieser Stelle eine auf den konkreten Untersuchungsgegenstand bezogene Beschreibung des Kontextes fotojournalistischen Handelns bzw. der fotojournalistischen Produktion in Konflikten erfolgen. Dazu wird ein vom Autor entwickeltes Modell vorgestellt, welches zum einen die Akteursbeziehungen offengelegt und zum anderen die Einflussfaktoren auf das fotojournalistische Handeln im Konfliktkontext aufzeigt. Darüber hinaus können damit die verschiedenen Phasen fotojournalistischen Handelns genau bestimmt werden. Ziel des hier vorgestellten Modells ist es, auf der einen Seite das fotojournalistische Handeln im Kontext der Bildproduktion von der Distribution und Vermarktung des Produkts zu trennen und zum anderen die verschiedenen Einflussgrößen, die auf den Fotoreporter in seinem Handeln einwirken, beschreibbar zu machen. Dabei stellt dieses Modell natürlich eine schematisierte Reduktion der Wirklichkeit dar, die darüber hinaus exemplarisch die Arbeit eines Fotoreporters für den Bilderdienst einer Nachrichtenagentur sowie eines als Freelancer tätigen Dokumentarfotografen aufgreift. Das hier präsentierte Akteursmodell zur Beschreibung des fotojournalistischen Handelns in Konflikten geht vor allem auf die Überlegungen von Mendelson und die von ihm vorgenommene Trennung des Kontextes der Produktion vom Kontext der Präsentation zurück (Mendelson 2008). Wichtig ist dabei die Trennung der Akteursebene von der Produktebene. Das hier vorgestellte Modell entwickelt Mendelsons Vorstellungen insofern weiter, als die beiden Ebenen auch im Modell konsequent voneinander getrennt werden. Der Bedeutung des fotografischen Aktes, wie ihn Berger (2006) und Azoulay (2008) beschrieben haben, wird durch die Positionierung des fotografischen Aktes im Zentrum des Handlungskontextes Rechnung getragen. Darüber hinaus fokussiert das Modell auf die Produktionsprozesse im Fotojournalismus und zeigt diese exemplarisch in einer Unterscheidung des Produktionskontextes in der Nachrichten- und der Dokumentarfotografie auf. Die theoretischen Überlegungen zum Konfliktkontext werden insofern aufgegriffen, als zwischen Akteuren aus dem Journalismus- und dem Konfliktkontext unterschieden wird. Damit wird auch den theoretischen Überlegungen von Hanitzsch zum Verhältnis von Journalismus, Sicherheitspolitik und Öffentlichkeitsarbeit Rechnung getragen (Hanitzsch 2007). Um das Bild als Produkt des Produktions- und zentrales Element des Publikationsprozesses nicht zu vernachlässigen, wird es im Modell in einer zweiten Ebene sichtbar gemacht, auch wenn es für dieses Forschungsprojekt eine untergeordnete Rolle spielt. Dabei geht es um die Darstellung des prozessualen Charakters der



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Bildauswahl. Dieser wird exemplarisch deutlich an der extremen Verringerung des Bildmaterials, wie es sich vor allem in der Nachrichtenfotografie zeigt. Während der Beginn von einem Bildkorpus mit, je nach Bedeutung des Ereignisses, Dutzenden bis Hunderten von Bildern gekennzeichnet ist, ist das publizistische Endprodukt ein Einzelbild als Bildnachricht. Dazu kommt eine weitere Transformation: Während der Bildkorpus der Produktion das Resultat eines sozialen Prozesses ist, in dem der Fotoreporter mit einer Vielzahl von Akteuren interagiert, werden die Bilder mit der Erstellung einer Auswahl und deren Hochladen zur Ware, die von den Bilderdiensten als Bildanbieter verwertet wird, um möglichst viele Bildnutzer zu finden. Soziale Prozesse finden dabei natürlich auch in den Bildredaktionen statt, involvieren aber in der Regel nicht die am fotografischen Akt beteiligten Subjekte. Der Prozess, auch wenn aus Gründen der Übersichtlichkeit so dargestellt, ist natürlich nicht ausschließlich linear zu verstehen. Darüber hinaus beinhaltet er verschiedene Ebenen der Encodierung und Decodierung, die zu beachten sind. Unter dem Konfliktkontext werden in diesem Modell Akteure und Institutionen verstanden, die der Sphäre des Konflikts zuzuordnen sind. Dazu gehören folgende Akteure: Fotoreporter, fotografische Subjekte, lokale Akteure, Konfliktakteure, Meinungsführer sowie, falls existent, eine lokale Redaktion oder ein Korrespondent. Lokale Akteure können zivilgesellschaftliche Gruppen oder NGOs sein, als Konfliktakteure werden hier staatliche und nichtstaatliche Gewaltakteure gezählt, die den Konflikt am Laufen halten. Sie grenzen sich insofern von Meinungsführern ab, als dies auch Regierungen oder andere bedeutende politische Akteure sein können. Ebenfalls zum Konfliktkontext gehörig sind Lobbygruppen, auch wenn sich diese in der Regel nicht in einer Konfliktregion aufhalten. Deswegen werden sie auch nicht in den Kontext fotojournalistischen Handelns mit einbezogen. Einige der hier benannten Akteure sind gleichzeitig auch Teil des Journalismuskontextes. Zum Journalismuskontext gehören vor Ort der Fotoreporter, seine Kollegen und möglicherweise ein Fixer sowie, sofern vorhanden, die Redaktion und der Korrespondent vor Ort. Bei den weiteren Akteuren des Journalismuskontextes ist die Unterscheidung zwischen Nachrichten- und Dokumentarfotografie zentral. Während in der Dokumentarfotografie nur die Redaktion, der Verlag sowie der Rezipient als Akteure in Frage kommen, wird das Feld in der Nachrichtenfotografie durch die Redaktion einer Agentur sowie deren Eigentümer ergänzt. All diese Akteure befinden sich außerhalb der Konfliktregion. Im Journalismuskontext ist zwischen zwei Arten von Akteursbeziehungen zu unterscheiden. Zum einen gibt es Akteure, die direkt Einfluss auf das Handeln der Fotoreporter nehmen können, wie die lokalen Redaktionen. Zum anderen existieren von Seiten des Fotoreporters Erwartungserwartungen bezüglich der publizierenden Medien und vor allem bezüglich des Rezipienten. Bei den Akteuren, die Teil des Journalismuskontextes sind, wurde insofern eine Komplexitätsreduktion vorgenommen, als auf der Ebene des



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Mediums sowie der Agentur nicht zwischen Gesamtredaktion und Bildredaktion unterschieden wird. Dies wird damit begründet, dass die Redaktionen als eine geschlossene organisatorische Einheit gesehen werden können, in der Bildredakteure eine spezifische Berufs- und Arbeitsrolle übernehmen. Darüber hinaus stehen die Prozesse der Distribution und Bildredaktion nicht im Fokus dieser Arbeit. Der Kontext des fotojournalistischen Handelns in der Produktion (Kreis in der Abbildung) muss per definitionem in der Konfliktregion stattfinden. Wichtigstes Element ist der fotografische Akt als die Interaktion des Fotoreporters mit einem oder mehreren fotografischen Subjekten. Je nach Ereignis oder Thema kann diese Situation unterschiedliche Formen annehmen und verschiedenartige Kommunikationsprozesse zwischen Fotograf und Fotografiertem bedeuten. Der Fotoreporter steht in seinem Handeln mit verschiedenen Akteuren in Kontakt, die Einfluss auf sein Handeln und den fotografischen Akt ausüben können. Da sind neben den fotografischen Subjekten zum einen die Konfliktparteien zu nennen, zum anderen Kollegen, Fixer und alle andere Akteure, die im Konfliktkontext aktiv sind. Darüber hinaus ist der Fotoreporter je nach seiner Arbeitsrolle Einflüssen seiner Agentur, möglicherweise Einflüssen des veröffentlichenden Mediums sowie direkt oder indirekt Einflüssen des Eigentümers und Verlagshauses ausgesetzt. Des Weiteren hat der Fotoreporter vermutlich Vorstellungen über die Bedürfnisse der Redaktionen sowie Erwartungserwartungen der Rezipienten an seine Bilder. Alle Akteure, die nicht Teil des Produktionskontextes sind, befinden sich außerhalb der Konfliktregion. Damit finden auch die Prozesse der Distribution und Redaktion bzw. Publikation außerhalb der Konfliktregion statt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass in dieser Arbeit Konfliktjournalismus als Auslandsjournalismus betrachtet wird. Der zentrale Unterschied zwischen dem Kontext fotojournalistischen Handelns in der Nachrichten- und der Dokumentarfotografie liegt darin, dass im zweiten Fall der Fotoreporter nicht nur als Bildurheber sondern auch als Bildanbieter fungiert. Er übernimmt damit die Funktion, die die Bilderdienste in der Nachrichtenfotografie innehaben. Somit kann im auf die Dokumentarfotografie bezogenen Modell eine ganze Gruppe von individuellen und institutionellen Akteuren ausgeklammert werden. Dabei wird hier vom Idealfall ausgegangen, dass der Fotoreporter ein Assignment ohne den Umweg einer Bild- oder Fotografenagentur annimmt und durchführt. Würde der Prozess über diese Institutionen laufen, ergäbe sich ein ähnliches Akteursmodell wie für die Nachrichtenfotografie. Dies hat sowohl Auswirkungen auf die Routinen und die Kommunikationsprozesse zwischen den Akteuren als auch auf den Prozess der Bildauswahl. Je nach der Art des Assignments sowie dem institutionellen Kontakt zwischen Fotoreporter und Bildredaktion ist in den Produktionsprozess noch ein Korrespondent eingeschaltet. Dieser fungiert dann als Repräsentant der Redaktion vor Ort, auch wenn die Bildredaktion der zentrale Ansprechpartner ist.



A KTEURSMODELL | 119

Abbildung 3: Akteursmodell fotoj. Handelns I: Nachrichtenfotografie

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 4: Akteursmodell fotoj. Handelns II: Dokumentarfotografie

Quelle: Eigene Darstellung



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Der Kontext fotojournalistischen Handelns, wie er hier verstanden wird, ist damit zum einen durch den sozialen Prozess der Interaktion zwischen Fotograf und Fotografierten als eigentlicher Bildproduktion gekennzeichnet, sowie durch die Erstellung einer ersten Auswahl und der Einspeisung eines oder mehrere Bilder in den Bildermarkt. Der Fotoreporter, der fotografische Akt sowie die Medieninstitutionen werden dabei von den Strukturen des Mediensystems beeinflusst. Das Mediensystem wiederum steht in einer Wechselbeziehung zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und dem herrschenden politischen System. Der Raum, in dem die Fotoreporter journalistisch handeln, ist somit durch bestimmte Macht- und Herrschaftsstrukturen strukturiert. Diese prägen nicht nur die lokalen Mediensysteme, sondern haben Einfluss auch auf den Status der Journalisten im Feld. Tabelle 2: Forschungsmatrix

JOURNALISMUSKONTEXT (KOMMUNIKATOR) KONFLIKTKONTEXT (KONFLIKTAKTEUR)

MIKRO-EBENE

MESO-EBENE

MAKRO-EBENE

- Motivation - Ausbildung und berufliche Sozialisation - Professionelle Rolle - Berichterstattungsmuster - Persönliche Konflikterfahrung - Positionierung zu Konfliktnarrativen - Umgang mit Traumaerfahrung

- Institutionelle Routinen - Nachrichtenfaktoren - Beschaffenheit des Bildermarkts

- Mediengesetzliche Rahmenbedingungen - Technische Entwicklungen

- Routinen im Konflikt - Umgang der Medieninstitutionen mit dem Konflikt - Umgang mit Propaganda und Manipulation - Umgang der Institutionen mit Trauma

- Beschaffenheit des politischen Systems - Ideologische Ebene - Konfliktnarrative - Umgang der Gesellschaft mit Trauma

Quelle: Eigene Darstellung

Aus den bisher vorgestellten theoretischen Überlegungen ergeben sich eine ganze Reihe konkreter Fragestellungen hinsichtlich der Arbeit der Fotoreporter im Kontext politischer Konflikte. Das Akteursmodell fotojournalistischen Handelns stellt dafür exemplarisch zwei Akteurskonstellationen gegenüber, die den Berufsfeldern Nachrichten- und Dokumentarfotografie zugeordnet werden können. In der Tradition der Kommunikatorforschung wird damit der Blick auf den journalistischen Kommunikator als sozialen Akteur ermöglicht. Damit können sowohl berufsspezifische Merkmale seiner Tätigkeit erfasst als auch der Blick auf seine institutionelle Einbindung gerichtet werden. Der Blick auf den Fotoreporter als sozialen Akteur ermöglicht des Weiteren, sein Handeln auch aus einer Konfliktperspektive zu analysieren. Denn Fotoreporter in der Konfliktberichterstattung müssen sowohl im Journalismuskontext als auch im Konfliktkontext verortet werden. Innerhalb dieser



A KTEURSMODELL | 121

beiden Bereiche muss wiederum jeweils nach Einflüssen auf der Mikro-, der Mesound der Makro-Ebene geschaut werden, um eine systematische Beschreibung fotojournalistischen Handelns vornehmen zu können. Primär geht es hier darum, zwischen endogenen, auf den Journalismus bezogenen Faktoren und exogenen, in Bezug zum Konflikt stehenden Faktoren zu unterscheiden. Während Erkenntnisse in Bezug auf den Journalismuskontext ausgehend vom konkreten Forschungsgegenstand abstrahiert werden können, ist dies beim Konfliktkontext aufgrund der spezifischen Dynamik eines jeden Konflikts kaum möglich. Konkret geht es auf der Mikro-Ebene des Journalismuskontextes um die Motivationen der Fotoreporter, ihre Ausbildung und berufliche Sozialisation sowie ihre berufliche Rolle und Berichterstattungsmuster. Dazu kommt aus der Perspektive des Konfliktkontextes die Frage nach ihrer Konflikterfahrung, ihren Konfliktnarrativen sowie den psychosozialen Folgen der Arbeit im Konflikt. Diese Aspekte werden vergleichend zwischen internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern untersucht. Auf der Meso-Ebene des Journalismuskontextes geht es um die institutionellen Routinen, die Nachrichtenauswahl und die Beschaffenheit des Bildermarktes. Darüber hinaus werden die spezifischen Routinen, die sich im israelisch-palästinensischen Konflikt herausgebildet haben sowie der Umgang der Medieninstitutionen mit dem Konflikt und dem Informationsmanagement der Konfliktakteure untersucht. Auf der Makro-Ebene geht es um den Einfluss der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie technische Entwicklungen. In dieser Arbeit wird dies nur in Bezug auf medienethische Fragestellungen untersucht, da andere Faktoren wie die Digitalisierung der Fotografie als wichtiges Element der Medientechnologie bereits anderweitig erforscht wurden. Bezogen auf den Konfliktkontext geht es auf der Makro-Ebene um eine Beschreibung der Beschaffenheit des politischen Systems, um Faktoren, die die Ideologie betreffen, sowie um die Bedeutung der Konfliktnarrative. Mit der Auffächerung der Mikro-, Meso- und Makro-Ebenen für den Journalismus- und den Konfliktkontext sind die Grundlagen geschaffen, um das fotojournalistische Handeln in Konflikten am Fallbeispiel des Nahostkonflikts, ausgehend von den in der Einleitung genannten Forschungsfragen, zu untersuchen.







4. Das Fallbeispiel Nahostkonflikt Following the second Intifada, the imaginative geography of the ‚space of exception‘ was activated through the construction of a physical signalling system that includes the construction of the Separation Wall, the establishment of permanent checkpoints, temporary checkpoints, and other obstacles that mark the Occupied Territories as ‚abnormal space‘, the antithesis of Israeli ‚normal space‘. HONAIDA GHANIM1

Nach der theoretischen Herleitung des Themas aus der Perspektive der Kommunikationswissenschaften sowie der Friedens- und Konfliktforschung und der Zusammenführung in einem Akteursmodell fotojournalistischen Handelns soll an dieser Stelle das konkrete Fallbeispiel vorgestellt werden, welches die Grundlage der empirischen Untersuchung darstellt. Denn das fotojournalistische Handeln von Fotoreportern in Konflikten wird in dieser Studie beispielhaft an der Arbeit von Fotoreportern im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts untersucht. Dazu wird der Konflikt aus einer konflikttheoretischen Perspektive hinsichtlich seiner zentralen Paradigmen untersucht, um damit die politischen Rahmenbedingungen transparent zu machen (4.1.). Dabei geht es vor allem um die Offenlegung der im Konflikt vorherrschenden Macht- und Gewaltstrukturen. Des Weiteren werden die Strukturen des fotojournalistischen Produktionsstandorts Israel/Palästina vorgestellt und wichtige Akteure und Institutionen eingeführt (4.2.). Damit wird die Grundlage für ein Verständnis der fotojournalistischer Arbeitsprozesse im Nahost-

 1

Ghanim, Honaida (2008): Thanatopolitics: The Case of the Colonial Occupation in Palestine, in: Thinking Palestine, Lentin, R. (Hrsg.), London: Zed Books, S. 65-81, hier S. 71.



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konflikt gelegt. Die Analyse geht dabei vom Status Quo2 in der Untersuchungsregion aus. Die – für den Gesamtkontext des Konflikts durchaus sehr relevanten – Geschehnisse in den Nachbarländern werden nur am Rande berücksichtigt, da sie für die Arbeit der Fotoreporter in der Region nur eine geringe Rolle spielen.

 

4.1 D IE POLITISCHEN R AHMENBEDINGUNGEN N AHOSTKONFLIKTS

DES

Der israelisch-palästinensische Konflikt – oft auch verkürzt als Nahostkonflikt bezeichnet – bestimmt seit dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts das Leben der Menschen auf dem Gebiet des historischen Palästina, auf dem sich heute der Staat Israel, die Westbank und der Gazastreifen befinden, sowie in seinen Nachbarländern. Darüber hinaus ist der Konflikt bis heute von immenser weltpolitischer Bedeutung. Schon die Frage, was den Konflikt eigentlich ausmacht, was seine zentralen Gegenstände und Austragungsformen sind oder wie er sich im Alltag manifestiert, füllt ganze Bücherregale. Je nach Standpunkt des Fragestellers sowie seines Erkenntnisinteresses können die Antworten diesbezüglich extrem variieren. Was für den einen eine nüchterne Konfliktanalyse sein mag, kann für den anderen ein politischer Affront sein. So ist es z. B. ein zentraler Unterschied, ob der Konflikt auf die Frage, wer die territoriale Kontrolle über die Westbank und den Gazastreifen hat, reduziert wird oder die Auseinandersetzung um das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes in den Vordergrund gestellt wird. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass der israelisch-palästinensische Konflikt sich sowohl in der Westbank und im Gazastreifen als auch im Kernland Israel innerhalb der grünen Linie3 abspielt. Diese drei Territorien sind durch die dort herrschenden politischen Systeme aufs Engste miteinander verzahnt.

 2

Als Status Quo gilt dabei der Zeitpunkt der Feldforschung in der Region im Winter

3

Die grüne Linie (green line) ist die Waffenstillstandslinie zum Ende des ersten Arabisch-

2011/2012. Israelischen Krieges, von Israel Unabhängigkeitskrieg genannt. Der Verlauf der Linie wurde in einem Waffenstillstandsabkommen festgehalten und ist eine Demarkationslinie. International wird die grüne Linie seither als die Grenze Israels zur Westbank und zum Gazastreifen wahrgenommen.



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4.1.1 Herrschaftsformen im israelisch-palästinensischen Territorium Zu Beginn soll die Frage aufgegriffen werden, auf welche Weise sich die Herrschaftsformen, die heute im Territorium des historischen Palästinas zu finden sind, beschreiben lassen. Neben der Palästinensischen Autonomiebehörde, die Teile der Westbank kontrolliert, und der Hamas, die im Gazastreifen regiert, ist der Akteur mit der größten Machtfülle der israelische Staat. Die Besonderheit des israelischen Staates besteht darin, dass er aus dem Siedlerkolonialismus4 jüdisch-zionistischer Einwanderer aus Europa entstanden ist, deren Ziel die Schaffung einer sicheren Heimstatt für das jüdische Volk war. Die Besonderheit der jüdisch-zionistischen Einwanderung und der Staatsgründung im Jahr 1948 ist, dass sich diese im Konflikt mit der palästinensischen Nationalbewegung vollzog, die ebenfalls Anspruch auf dieses Territorium erhob und nur durch die Vertreibung (Nakba) von etwa 700.000 ansässigen arabischen Palästinensern während des ersten israelisch-arabischen Kriegs aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet möglich wurde (vgl. Herz/Steets 2002: 30 ff.). Dies hatte die Entstehung einer besonderen Herrschaftsform auf Seiten Israels zur Folge: „The Israeli-Palestinian case is more complex than ‚regular‘ settler polities due to its peculiar path of institutionbuilding as it created a dual democratic-military regime in two historical moments: the 1948 war, which instutionalized borders of a formal ‚democratic‘ regime, and the 1967 war, which institutionalized the military regime.“ (Grinberg 2010: 2)

Das democratic regime besteht dabei in Form eines ethnokratischen5 Siedlerstaates, während das military regime in der militärischen Besatzung der Westbank und des Gazastreifens besteht. Die Grenzen des demokratischen Staates sind dabei nur zu einem kleinen Teil im Einvernehmen mit den Nachbarländern festgelegt (vgl. Newman 2013: 135). Mit Jordanien und Ägypten gibt es Verträge, welche die Grenzen festschreiben. Dagegen ist der Grenzverlauf zum Libanon und zu Syrien umstritten. Während trotz alledem große Teile des Grenzverlaufs mit dem Libanon heute nicht mehr zur Debatte stehen, reklamiert Syrien die von Israel 1967 besetzten und später annektierten Golanhöhen weiterhin für sich. Die Grenzen zur Westbank hat Israel bis heute nicht festgelegt und nach 1967 die grüne Linie aus allen

 4

Der Begriff Siedlerkolonialismus bezieht sich auf den Umstand, dass der Zionismus als Nationalbewegung europäischer Juden die Einwanderung in das historische Palästina vollzog, bei einer weitestgehenden Ignorierung der Belange der indigenen palästinensisch-arabischen Bevölkerung.

5



Das theoretische Konzept der ethnocracy wird weiter unten erläutert.

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offiziellen Karten getilgt (vgl. Newman 2013: 136). Der israelische Staat verfügt darüber hinaus bis heute über keine gültige Verfassung (vgl. Schmidt 2001: 98). Allein die Unabhängigkeitserklärung von 1948 hat eine Art Verfassungsrang und bildet mit den im Gesetz verankerten Grundrechten die Basis für die Rechtsprechung des obersten israelischen Gerichtshofs. Das military regime zeichnet sich vor allem durch das sukzessive nach 1967 von Israel in der Westbank und im Gazastreifen installierte Besatzungsregime aus. Während eine militärische Besatzung aus Sicht des Völkerrechts durch ihren temporären Charakter gekennzeichnet ist, wird sie in einem Besatzungsregime zu einem auf Dauer angelegten Zustand (vgl. Azoulay/Ophir 2013: 11). Azoulay und Ophir sehen im Besatzungsregime auch eine eigenständige Herrschaftsform: „The occupation is understood here as an unstable set of technologies of power that open and limit a space of action and reaction for their subjects.“ (Ophir et al. 2009a: 17) Ziel des israelischen Besatzungsregimes ist die Gewährleistung der Kontrolle über die palästinensischen Territorien, um die Ressourcen ausbeuten und die eigene Bevölkerung dort ansiedeln zu können. Dies geschah ohne Annexion dieser Regionen, bei gleichzeitiger Ausübung möglichst weitreichender Kontrolle über die Bevölkerung. Das Besondere des Besatzungsregimes ist, dass es in das Ordnungsgefüge des israelischen Staates integriert ist. Die Institutionen des Besatzungsregimes sind aus dem israelischen Staat heraus entstanden und werden von diesem am Leben erhalten. Dabei gibt es Institutionen, die für zivile und militärische Belange zuständig sind und in der Regel eingebettet in legalisierte Praktiken funktionieren. Die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens ist nach Lesart des Völkerrechts illegal und wurde von der internationalen Gemeinschaft immer wieder verurteilt. Der zentrale Referenzpunkt ist dabei die Resolution 242 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom November 1967, die einen Rückzug der israelischen Truppen aus den besetzten Gebieten fordert (vgl. S/RES/242 1967). Eine Veränderung trat im Jahr 2005 mit dem unilateralen Abzug Israels und der damit verbundenen Evakuierung israelischer Siedler aus dem Gazastreifen ein. Während Israel seitdem jede Verantwortung für diesen Landstrich negiert und ihn als hostile territory definiert, sehen weite Teile der internationalen Gemeinschaft die Besatzung weiterhin als gegeben an, aber unter veränderten Umständen.6 Die Dualität des israelischen Herrschaftssystems als democratic-military regime ist von besonderer Bedeutung für das Verständnis der aktuellen politischen Situation und der Geografie des Konflikts, wie sie im weiteren Verlauf dieses Kapitels beschrieben wird. Als neue politische Entität ist mit den Verträgen von Oslo die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) entstanden, deren Aufgabe die Regelung aller Belange der

 6



Siehe dazu den Abschnitt „Die Fragmentierung des geografischen Raums“ (4.1.5.).

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palästinensischen Bevölkerung in den A- und B-Gebieten7 ist. Von Anfang an hatte sie mit der territorialen Fragmentierung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen zu kämpfen. Der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah und die Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2006 hat diese Situation noch einmal verschärft und hatte die Teilung in zwei Herrschaftsgebiete zur Folge (vgl. Frisch 2008: 170). Heute ist der Gazastreifen von der Hamas, die Westbank hingegen von der Fatah regiert. Die demokratische Legitimation beider Regierungen ist umstritten. Die letzten freien Wahlen zur Autonomiebehörde gewann 2006 die Hamas, worauf diese sich zur Legitimation ihrer Herrschaft auch nach dem Bruderkampf und der Vertreibung der Fatah aus Gaza beruft. Die internationale Gemeinschaft weigerte sich, den Wahlsieg der Hamas anzuerkennen, da sie von vielen Regierungen als Terrororganisation angesehen wird. Die amtierende Regierung der Fatah in der Westbank wurde nicht durch demokratische Wahlen legitimiert. Politische Beobachter sehen in der PA „authoritarian features“ (Brown 2010: 374), die sich in der quasi Einparteienherrschaft der Fatah bis zum Jahr 2002 und deren Regierungsstil zeigte. Auch die Hamas Regierung hat autokratische Tendenzen. Beide Parteien nutzen ihren jeweiligen Polizeiapparat zur Sicherung ihrer Macht und zur Verfolgung der politischen Opposition (vgl. Frisch 2008: 172). Während das Hamas-Regime die politische Konfrontation mit Israel sucht und zementiert, sichert die PA ihre Macht auch durch die Aufrechterhaltung des Status Quo mit Israel und der Verteilung der Pfründe der Verträge von Oslo durch ein klientelistisches System. Die Existenz der PA Seite an Seite mit dem israelischen Staat schafft die Illusion, dass sich hier zwei politische Akteure auf Augenhöhe gegenüberstehen, die das jüdisch-zionistische sowie das palästinensische Nationalprojekt repräsentieren. Problematisch ist, dass diese Illusion zu einem gewissen Grad von den palästinensischen Institutionen aufrecht erhalten wird um die eigene Existenz zu legitimieren. Dabei gibt es analytisch betrachtet, vor allem hinsichtlich der tatsächlichen Machtfülle, einige wesentliche Unterschiede zwischen dem israelischen Staat und der PA: „It is necessary to recognize that the Israeli state and the PNA are two very different types of governmental structures, producing very different forms of collective and individual rights.“ (Kelly 2006: 13) In Kellys Beschreibung zeigt sich die fundamentale Asymmetrie, die zwischen beiden politischen Entitäten besteht. So ist Israel ein international anerkannter Staat mit weitestgehend demokratischen Strukturen im Innern, während die PA nur über eine partielle Autonomie ohne Kontrolle ihrer Grenzen verfügt und weistgehend von ausländischer Finanzhilfe abhängig ist.

 7

Die A- und B-Gebiete sind laut den Verträgen von Oslo die Regionen, in den die PA die administrative Kontrolle übernimmt. Eine genaue Definition der A-, B- und C-Gebiete folgt im Absatz über die Fragmentierung des geografischen Raumes.



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Die Palästinenser stehen darüber hinaus weiterhin unter der militärischen Kontrolle Israels: „It is worth remembering that under the Oslo Accords, the Israeli military commander still remains the ultimate legal authority in the area.“ (Ebd.) Die Asymmetrie zwischen Israel und der PA zeigt sich am stärksten beim Vergleich des Status zwischen Israelis und Palästinensern als politische Subjekte. „Although the Oslo Accords attempted at one level to separate Israelis and Palestinians, Israel and the PNA should be seen as two integrated political entities, that produce very difference type of legal subject, creating an unequal access to both collective and individual rights.“ (Ebd.)

Für die vorliegende Arbeit ist dies von großem Interesse, weil sich daran die Frage anschließt, wie der Status als politische Subjekte den Status als Journalist beeinflusst. Für das weitere Vorgehen wird der Schwerpunkt auf den israelischen Staat und die von ihm ausgehenden Macht- und Herrschaftsstrukturen gelegt. Vor allem das Besatzungsregime ist hier ein entscheidender politischer Faktor. Damit soll keinesfalls negiert werden, dass auch die PA und die Hamas sowie andere politischmilitärische Akteure eine bestimmte Machtfülle besitzen, die über das eigene Territorium hinausreicht. 4.1.2 Politische Subjekte in der Region Der israelische Staat ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich gleichzeitig als jüdischer und demokratischer Staat definiert. Die Fokussierung auf den jüdischen Staat geht auf das politische Ziel des Zionismus zurück, eine Heimstatt für die politisch verfolgte jüdische Nation zu schaffen. Dazu kommt die Unfähigkeit oder der Unwillen der Gründergeneration des Staates, das Verhältnis von Staat und Religion zu bestimmen, was seinen praktischen Ausdruck darin findet, dass bis heute keine Verfassung verabschiedet wurde. Dies hat elementare Folgen dafür, wer als Bürger des israelischen Staates und damit als primäres Rechtssubjekt angesehen wird: „Israel, constructed as the state of the ‚Jewish nation‘, grants automatic citizenship to anyone who can prove s/he ha a Jewish mother, while depriving of citizenship those Palestinians born on the land, who happened to be absent on census day – this applies both to 1948 and 1967.“ (Lentin 2008: 8)

Das hier angesprochene Rückkehrgesetz hat zum Ziel, Juden auf der ganzen Welt die Übersiedelung nach Israel durch die Zuerkennung der israelischen Staatsbürgerschaft zu erleichtern, bei der gleichzeitigen Verweigerung der Rückkehr für die im



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ersten israelisch-arabischen Krieg8 geflohene palästinensische Bevölkerung. Dies bedeutet, dass das zentrale politische Subjekt in Israel, der eigentliche Staatsbürger oder citizen, der/die jüdische Israeli ist. Damit wird der Gedanke an eine ethnisch homogene jüdische Bevölkerung hochgehalten. Der exklusiven Fokussierung auf den jüdischen Israeli und die jüdische Nation ist auch eine Form der Abgrenzung vom „Anderen“, in diesem Fall den Palästinensern, immanent: „The peculiar history of the Jewish settlement in Palestine, institution-building, and military confrontations resulted in a dual military-democratic regime that constructs Arab Palestinians as the „other“ and divides them into three main groups: the discriminated citizens within the Jewish State; those denied citizenship under military rule; and those denied the right to live in the area of Israel-Palestine.“ (Grinberg 2010: 206)

An dieser Stelle soll zunächst auf die Situation der Palästinenser in Israel eingegangen werden. Die in Israel lebenden Palästinenser wurden vom israelischen Staat in Israeli Arabs umbenannt und ihnen damit der Status einer nationalen Minderheit in Israel sowie die Verbindung zu außerhalb israelischer Grenzen lebenden Palästinensern abgesprochen. Insbesondere seit dem Scheitern von Oslo sind sie zu „Opfer(n) einer extremen Sicherheitspolitik“ geworden und werden „zunehmend als ein Sicherheitsrisiko und eine demographische Bedrohung betrachtet“ (Adallah 2010: 23). Auch wenn einerseits die Unabhängigkeitserklärung die Gleichheit aller Bürger festschreibt, betonen viele israelische Grundgesetze den jüdischen Charakter des israelischen Staates.9 Damit geht eine systematische Diskriminierung der in Israel lebenden palästinensischen Bevölkerung einher, die zu Bürgern zweiter Klasse degradiert werden (vgl. Schmidt 2001: 287). Palästinenser in Israel haben zwar das Anrecht auf die Staatsbürgerschaft, werden jedoch durch eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen systematisch diskriminiert. Besonders deutlich zeigt sich dies im Staatsbürgerschaftsrecht, das z. B. die Gewährung eines Aufenthaltsstatus für Palästinenser aus der Westbank oder Gaza, auch wenn diese mit einem israelischen Bürger verheiratet sind, verbietet (Adallah 2010: 24). Darüber hinaus kann die Staatsbürgerschaft ohne strafrechtliche Verurteilung bei mangelnder Loyalität gegenüber dem israelischen Staat entzogen werden. Hieran wird deutlich, dass der

 8

Von Israel wird der erste israelisch-arabische Krieg als „Unabhängigkeitskrieg“ bezeichnet. Während Israel mit diesem Datum die Staatsgründung verbindet, verbinden die Palästinenser damit die sogenannte „Naqba“, die Katastrophe der Vertreibung aus der Region.

9

Da der Unabhängigkeitserklärung der Status einer Verfassung fehlt, kann sie nicht als ein verbindliches Rechtsinstrument behandelt werden Adallah (2010): Minderheitenrechte und die palästinensisch-arabische Minderheit, in: Israel & Palästina (II/2013), S. 21-28.



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Blick des israelischen Staats auf seine palästinensischen Bewohner von einer Sicherheitslogik bestimmt wird. Die Besonderheit des israelischen Staates ist, dass er den in seinen Grenzen lebenden Palästinensern weder den Status einer nationalen Minderheit zuweist, noch die Öffnung hinsichtlich eines binationalen Staatsverständnisses schafft. Diese Fokussierung auf die imaginierte jüdische Nation, die gleichzeitig Volk und Religionsgemeinschaft ist, hat den israelischen Sozialwissenschaftler Oren Yiftachel (2010) dazu veranlasst, den israelischen Staat mit dem Begriff ethnocracy zu beschreiben: „The fusion of the three forces – settler society, ethno-nationalism, and the ethnic logic of capital – creates a unique regime-type I have called ‚ethnocracy‘. An ethnocracy is a nondemocratic regime that attempts to extend or preserve disproportional ethnic control over a contested multi-ethnic territory.“ (Ebd.: 276)

Der Begriff ist insofern hilfreich, als damit auch die Auseinandersetzung innerhalb der grünen Linie zwischen jüdischer Mehrheit und palästinensisch-arabischer Minderheit gefasst werden kann. Während Yiftachel der ethnocracy jeden demokratischen Charakter abspricht, sieht der Autor in Anlehnung an Grinberg (2010) auch Anteile eines demokratischen Regimes in Israel. Wie bereits aufgezeigt werden konnte, ist Israel bezogen auf die Westbank auch nach Oslo weiterhin der dominierende politische Akteur und behält sich vor zu entscheiden, welcher politische Status den Palästinensern zugeschrieben wird. Dies zeigt sich vor allem in der Verweigerung eines gleichwertigen Rechtsstatus für Palästinenser, wie ihn israelische Staatsbürger in der Westbank innehaben. Palästinenser sind zwar Subjekte des Besatzungsregimes, werden aber gleichzeitig zu noncitizen (vgl. Ophir et al. 2009a: 18) degradiert. Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass neben den Palästinensern auch über 350.000 jüdisch-israelische Siedler10 in der Westbank leben, die, obwohl im gleichen Territorium lebend wie die Palästinenser, im Gegensatz zu diesen ihren Status als citizen von Israel behalten. Wer dabei zum Subjekt welcher Rechtsnormen wird, hängt von der Verleihung des Status als citizen und non-citizen ab. Die Siedlungen sind „enclaves where Israelis law applied exlusively, connecting them legally, economically, and socially to Israel“ (Benvenisti 2012: 233). Während israelische Staatsbürger in den besetzten Gebieten unter dem Schutz des israelischen Rechts stehen, befinden sich die Palästinenser zu großen Teilen außerhalb desselben.

 10 In dieser Zahl sind nicht die ca. 300.000 Israelis eingerechnet, die in den annektierten Teilen Ost-Jerusalems leben.



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Ein wichtiges Element der Bevölkerungskontrolle an dem diese Prinzipien deutlich werden, ist die Vergabepraxis von ID-Cards (Tawil-Souri 2011: 219 f.). Bis heute werden die verschiedenen ID-Cards hinsichtlich der Farbe ihrer Plastikhüllen unterschieden, die auf den politischen Status der Inhaber hinweisen. Tawil-Souri spricht in diesem Zusammenhang von einer „color-coded bureaucracy“ (vgl. ebd.: 221). Jüdische Israelis sowie in Israel lebende Palästinenser haben eine blaue ID. Bis zur Schaffung der PA hatten palästinensische Bewohner der Westbank und des Gazastreifens eine orange ID (Lyon 2011 : 50). Nach 1994 wurde dies sukzessive durch eine grüne ersetzt. Die von der PA herausgegebene grüne ID ist quasi identisch mit der israelischen ID, außer dass sie mit dem PA Logo versehen sind. Die endgültige Genehmigung obliegt auch weiterhin den israelischen Behörden, die auch das Bevölkerungsregister führen (vgl.Tawil-Souri 2011: 222). Die farbig codierten IDCards sind vor allem in der Westbank ein einfaches Mittel auf Seiten der IDF, um die Mobilität an den Checkpoints zu kontrollieren (vgl.Lyon 2011: 53). An der Bevölkerungskontrolle zeigt sich die Schwäche der PA, die keinem Staat vorsteht und von daher den Palästinensern in der Westbank auch nicht die Staatsbürgerschaft verleihen kann, mit all den darin enthaltenen Rechten (vgl. Kelly 2006: 19). Israel „regiert“ zwar die Westbank, ohne jedoch den dort lebenden Palästinensern gleiche Rechte zuzugestehen. In der Praxis zeigt sich dies auch in einem extrem komplexen und fragmentierten Rechtsapparat, der in der Westbank Gültigkeit besitzt und mit der israelischen Eroberung des Territoriums im Jahr 1967 installiert wurde. „Accordingly, a complex legal system, was put in place composed of laws from the Ottoman Empire, the British Mandate (particularly the emergency regulations of 1945), Jordanian and Egyptian law (depending on the region), and Israeli military orders.“ (Gordon 2009: 249) Ziel dieses Rechtsapparates ist es zum einen, die israelische Macht in der Region zu sichern. Gleichzeitig dient dieser der Verschleierung der Illegalität der Besatzung an sich durch den Versuch, diese durch einen Rechtsrahmen zu legitimieren. Aus diesem Grund bezeichnet beispielsweise Kelly die Situation als „military-based legalism“ (Kelly 2006: 7). So werden z. B. Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern, wie beispielsweise die Konfiszierung von privatem palästinensischem Land für jüdische Siedlungen, von den in der Westbank herrschenden Rechtsnormen gedeckt und zum Teil sogar vom Obersten Gerichtshof in Israel abgesegnet. Die Menschen im Gazastreifen dagegen sind Rechtssubjekte unter der De-factoRegierung der Hamas. Dabei kann diese jedoch nicht für den Schutz ihrer Bevölkerung garantieren. So sind die Menschen aus Gaza aufgrund der fortdauernden Besatzung weiterhin als non-citizen von Israel anzusehen. Ihr Status ist insofern prekärer als der der Palästinenser in der Westbank, als Israel jede formelle Autorität im

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Gazastreifen ablehnt und sich von daher Palästinenser nicht direkt an israelische Institutionen wenden und Fälle vor israelische Gerichte bringen können. 4.1.3 Gewaltformen des Besatzungsregimes Da die Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen das israelische Besatzungsregime als illegitim betrachten, ist dieses zur Aufrechterhaltung seiner Macht auf Gewalt angewiesen. Dabei greift das System sowohl auf direkte, physische Gewalt zurück sowie auf Formen struktureller Gewalt, die in der Regel in institutionalisierter Form ausgeübt werden. Es handelt sich dabei um klassische Formen staatlicher Gewalt. Um die vom israelischen Besatzungsregime angewandten institutionellen Formen der Gewalt und die mit ihr verbundene ordnungsstiftende Funktion genauer bestimmen zu können, schlagen Ariella Azoulay und Adi Ophir eine Präzisierung vor, die über die in der theoretischen Herleitung im Kapitel Konfliktkontext hinausgeht. Sie unterscheiden vor allem zwischen eruptive violence und withheld violence (Azoulay/Ophir 2009). Während eruptive violence auch als direkte, physische Gewalt beschrieben werden kann, zeichnet sich withheld violence durch die Nicht-Ausführung aus. Die Aufgabe von withheld violence ist, die Potentialität der Ausführung von Gewalt aufzuzeigen und als eine Art Abschreckung immer sichtbar präsent zu sein. Beide sind als institutionalisierte Formen der Gewalt direkt der israelischen Armee zuzuordnen. Dabei verorten die Autoren diese Form der Gewalt in vielen verschiedenen Feldern: „Eruptive violence remains suspended, withheld in the club, the rifle, the armored vehicle, but also in the voice announcing a curfew, in the computer issuing the magnetic cards that serve as permits of passage, in the metal arm of the roadblock and the concrete structure that serves as an IDF inspection booth.“ (Azoulay/Ophir 2009: 109)

Diese Form der Gewalt kann somit auch als eine spezifische Ausprägung struktureller Gewalt angesehen werden. Ähnlich wie andere Autoren (Gordon 2009) sehen Azoulay/Ophir einen qualitativen Wechsel in der Anwendung von Gewalt zum einen seit den Verträgen von Oslo und verstärkt seit der 2. Intifada (2000 – 2005). Sie beobachten darüber hinaus immanente Unterschiede zwischen der Westbank und dem Gazastreifen. Sie konstatieren eine Zunahme direkter, physischer Gewalt vor allem im Gazastreifen in Form der eruptive violence, gekennzeichnet durch regelmäßige Militäroperationen und die Praxis der gezielten Tötungen (targeted killing). In der Westbank dagegen hat sich das System der withheld violence mit der Umsetzung der Separationslogik perfektioniert. In diesem Licht sind dann auch temporäre Öffnungen von Checkpoints oder die Reiseerleichterungen in der Westbank zu betrachten. Da die physischen Strukturen weiterhin bestehen und das Risi-



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ko der Rücknahme der Erleichterungen immer präsent ist – wie es z. B. regelmäßig in einer völligen Abriegelung der palästinensischen Gebiete an jüdischen Feiertagen geschieht – manifestiert sich hier der Charakter der withheld violence par excellence. Die withheld violence ist darüber hinaus kennzeichnend für das Konzept des power to (siehe Kapitel 3.2.3), mit dem präventive Machtausübung und die Ausübung von Kontrolle über andere bezeichnet werden. Letztlich ist es genau das Spannungsfeld zwischen der Zurückhaltung der withheld violence und der Drohung mit eruptive violence, das als zentraler Kontrollaspekt funktioniert: „Militärische Drohungen funktionieren nur, wenn eine Diskrepanz aufrechterhalten bleibt zwischen der möglichen Zerstörung, die eine Armee anrichten kann, wenn sie alle ihre Vernichtungskapazitäten einsetzt, und der tatsächlichen Zerstörung, die sie anrichtet.“ (Weizmann 2008: 279)

In den besetzten Gebieten kommt es unter dem Besatzungsregime täglich zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Diese Menschenrechtsverletzungen werden dabei oft auf eine Auflösung der Rechtsstaatlichkeit zurückgeführt und die Region als ein anarchischer, rechtsfreier Raum beschrieben (Korn 2008). Dabei ist sie genau dies nicht. „However it is important recall that the situation prevailing in the Territories is by no means anarchy. Rather it is closer to the opposite end of the continuum, namely the exercise of limitless state power. Very clear rules operate in the Territories as almost every aspect of Palestinian life is regulated through permits and licenses. As a matter of fact, Palestinian know very well what is allowed and what is forbidden.“ (Korn 2008: 124)

So ist z. B. die Straffreiheit für Attacken jüdischer Siedler auf Palästinenser nicht auf die Unfähigkeit israelischer Institutionen zurückzuführen, diese zu verfolgen, sondern politisch gewollt und Teil politischer Praxis. Denn Attacken von Palästinensern auf jüdische Siedler werden von der Besatzungsmacht mit aller Härte verfolgt und ziehen meist ausgedehnte militärische Operationen in den betroffenen Regionen nach sich. 4.1.4 Vom Kolonialprinzip zum Separationsprinzip Wie bereits dargelegt, ist das Kennzeichnende des militärischen Teils des dual democratic-military regime Israels die Besatzung der Westbank und des Gazastreifens. Die Herrschaft des israelischen Staates über die palästinensischen Gebiete war dabei in den letzten drei Jahrzehnten einem starken Wandel unterworfen. Neve Gordon (vgl. 2009: 242) beschreibt diesen Wandel des Besatzungsregimes als einen



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fundamentalen Paradigmenwechsel vom Prinzip der Kolonialisierung (colonization principle)11 zum Prinzip der Separation (separation principle)12. Mit dem colonization principle meint Gordon eine Form der Herrschaft, in der der Kolonialherr für alle Aspekte des Lebens der Kolonialisierten zuständig ist und darüber hinaus die Ressourcen des Territoriums ausbeutet (vgl. ebd.: 243). So übernahm beispielsweise Israel nach der Besetzung der Westbank 1967 die Verantwortung für alle Belange des gesellschaftlichen Lebens, von der Erziehung über Gesundheit bis hin zum Rechtssystem. Ziel war die Fragmentierung des alltäglichen Lebens unter Einbeziehung von Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle sowie die Steigerung ihrer ökonomischen Produktivität, bei gleichzeitiger Reduzierung ihrer politischen Fähigkeiten (vgl. ebd.). Die hier beschriebene Form der Herrschaft garantierte die israelische Vormachtstellung in den palästinensischen Gebieten, bis die 1. Intifada diese in Frage stellte und ins Wanken brachte. Dies hatte weitreichende Konsequenzen: „At a certain point during the first intifada, Israel realized that the colonization principle could no longer be used as the basic logic informing its control of the West Bank and the Gaza Strip and began looking for a new principle that would allow it to uphold the occupation.“ (Ebd.: 253) Die alten Formen einer indirekten Kontrolle erwiesen sich angesichts des zivilen und militärischen Widerstands der Palästinenser als nicht mehr ausreichend. Der tatsächliche Wendepunkt in der Form der Herrschaft über die besetzten Gebiete setzte dann paradoxerweise mit dem Oslo-Prozess ein: „The Oslo process was a turning point. The significant change in policy began at that point (and not, as some might think, with the construction of the Separation Wall and the unilateral moves led by Prime Minister Sharon attempting to set ‚permanent borders‘). Israel sought to neutralize the ‚demographic threat‘ by separating itself from the Palestinians. In Oslo, Israel was determined to part with the Palestinians but not to partition the territory. Israel renounced its responsibility for the fate of more than three million people and withdrew from its duties as an occpuying power.“ (Korn 2008: 120)

 11 An dieser Stelle kann nicht näher auf die Frage eingegangen werden, warum die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete als ein koloniales Projekt angesehen wird. Den Argumentationsrahmen bildet die These, das Israel Teile seiner Bevölkerung in fremdem Territorium ansiedelt, mit dem Ziel dieses Territorium zu beherrschen und gleichzeitig zwischen den eigenen Staatsbürger und den Kolonialisierten unterscheidet. 12 Einige andere Autoren benutzen statt dem Begriff Separation auch den Begriff Apartheid. Dieser Begriff ist wesentlich politisierter aufgrund des Vergleichs der damit zwischen Israel und dem weißen rassistischen Apartheidregime in Südafrika hergestellt wird.



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Auch wenn Israel offiziell nie den Status als Besatzungsmacht anerkannt hatte, so erfüllte Israel in der Praxis bis Anfang der 1990er Jahre diese Funktion und „sorgte“ auch für das Wohlergehen der Bevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten. Die Palästinenser waren ein Reservoir billiger Arbeitskräfte für den israelischen Arbeitsmarkt, was einen signifikanten Anstieg in der Lebensqualität in den palästinensischen Gebieten zur Folge hatte. Die politischen Rechte wurden jedoch weiter negiert was unter anderem zum Ausbruch der 1. Intifada führte. Die Aufteilung der palästinensischen Gebiete in die A-, B- und C-Gebiete sowie die Übergabe bestimmter Politikbereiche an die neugeschaffene Palästinensische Autonomiebehörde leitete den Übergang vom Kolonialprinzip zum Separationsprinzip ein. Entscheidend für die Separationslogik war jedoch, dass Israel die Kontrolle über das Territorium behielt: „The overarching logic informing the different agreements is straightforward: Transfer all responsibilities relating to the management of the population to the Palestinians themselves while preserving control of Palestinian space.“ (Gordon 2009: 254) Das Scheitern der mit dem Oslo-Prozess verknüpften Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Konflikts und eine ZweiStaaten-Lösung hatte die weitere Zementierung dieser Separationslogik zur Folge, die Anfang des neues Jahrtausends im Bau der Sperranlage kulminierte. Mit dem Separationsprinzip wurde jedoch auch für bestimmte Bereiche eine neue Logik der Kontrolle ins Leben gerufen, die beispielsweise mit einer Privatisierung von Sicherheitsleistungen einhergeht. Weizman macht diesen Wandel auch an einer semantischen Veränderung fest, die in der Ersetzung des Begriffs „Besatzung“ durch „Management“ liegt (vgl. Weizmann 2008: 156). Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kolonialprinzip und dem Separationsprinzip ist die Veränderung der Machtanwendung durch Israel. Griff Israel in der Zeit bis Oslo, mit Ausnahme der Niederschlagung der ersten Intifada, nur gelegentlich auf die Möglichkeiten der Anwendung direkter militärischer Gewalt zurück, so wurde diese nach Oslo zum zentralen Anker israelischer Herrschaft. Dies zeigte sich z. B. an der militärischen Wiederbesetzung der A-Gebiete während der 2. Intifada. Für die Bevölkerungskontrolle sowie das Wohlergehen der palästinensischen Bevökerung war die Palästinensische Autonomiebehörde zuständig. Mit einem drastischen Rückgang von Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser in Israel wurden hier neue Grenzen gezogen. Eine weitere Ausdifferenzierung der Herrschaftsformen und der Gewaltpraxis in den palästinensischen Gebieten hatte der mit dem Separationsprinzip verbundene unilaterale Rückzug Israels aus dem Gazastreifen zur Folge: „Zwischen den Operationen, die die IDF in Gaza durchführt und denen im Westjordanland, besteht ein beträchtlicher Unterschied, insbesondere seit dem »Abzug« aus dem Gazastreifen. Der Grad der von Israel in Gaza ausgeübten Gewalt liegt weit über dem in der Westbank.



136 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT Diese Unterschiede gehen auf ein unterschiedliches Maß an Kontrolle über Territorium und Bevölkerung zurück.“ (Ebd.: 265)

Die schon vor dem Abzug herrschende Asymmetrie zwischen den beiden Teilen des besetzten palästinensischen Territoriums verstärkte sich durch den Abzug weiter. Der Grad der Gewalthaltigkeit und die Art der militärischen Interventionen im Gazastreifen haben auch Auswirkungen auf den Zustand des Rechts: „One of the most striking characteristics of the second Intifada is the extensive suspension of the law under the aegis of the separation principle“, so Neve Gordon (2009: 256). Als Beispiel dafür nennt er die Praxis des targeted killing im Gazastreifen sowie der Hauszerstörungen, wie sie vor allem in der Westbank zu beobachten sind. Seiner Ansicht nach ist damit die Aussetzung des Rechts zur Norm geworden. 4.1.5 Die Fragmentierung des geografischen Raums Die Wandlung vom Kolonialprinzip zum Separationsprinzip ist fundamental für ein Verständnis der territorialen Fragmentierung, wie sie heute in den besetzten Gebieten herrscht. Was nach 1967 für mehr als zwei Jahrzehnte ein geografischer Raum war, in dem sich sowohl Israelis wie Palästinenser relativ frei bewegen konnten, wurde nach Oslo zu einem extrem regulierten geografischen Raum mit voneinander getrennten Archipel. „The Oslo process charted the path for the fragmentation of the Territories into autonomouslike enclaves, leading to the desintegration of the West Bank and the Gaza Strip, by splitting the Territories into separate territorial entities, unable to sustain themselves economically and with no sense of political sovereignity.“ (Korn 2008: 121)

Das zentrale Ergebnis des Oslo-Prozess war die Aufteilung der besetzten palästinensischen Gebiete in drei Gruppen: die A-, B- und C-Gebiete (vgl. Schmidt 2001: 388). Diese Aufteilung sollte den Weg für eine schrittweise Übernahme palästinensischer Verantwortung in der Westbank und im Gazastreifen ebnen. Mit dem Scheitern der Friedensgespräche und dem Ausbruch der 2. Intifada wurde diese territoriale Aufteilung zum Status Quo. In den A-Gebieten (17,2 % der Westbank) hat die PA seither die vollständige Kontrolle (vgl. Schmidt 2001: 389). In diesen Gebieten übernehmen palästinensische Sicherheitskräfte die Aufgabe, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sorgen. In den B-Gebieten (23,8 % der Westbank), ist die PA für alle Belange des öffentlichen Lebens zuständig, während Israel die Kontrolle über die Sicherheit innehat. Der größte Teil der Westbank gehört zu den C-Gebieten (59 % der Westbank) in denen Israel die vollständige Kontrolle besitzt. Die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung lebt in den A und B Ge-



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bieten. Der Gazastreifen ist im Innern seit dem unilateralen Abzug der Israelis unter palästinensischer Kontrolle. Da Israel jedoch weiterhin die Landgrenzen, den Luftraum sowie den Zugang von der See her kontrolliert, gilt der Gazastreifen nach internationalem Recht weiterhin als besetzt (vgl. Mari 2005: 366). Der in den Verträgen von Oslo vorgesehene Korridor, der Palästinensern ermöglichen sollte, zwischen den palästinensischen Gebieten zu reisen, ist geschlossen. Die territoriale Aufteilung der Westbank in die A-, B und C-Gebiete ist primär eine kartographische, die keine sichtbaren physischen Grenzstrukturen nach sich gezogen hat. Die A- und B-Gebiete stellen geographische Cluster dar, die von den C-Gebieten umgeben sind. Israelische Siedlungen finden sich ausschließlich in den C-Gebieten. Die Infrastruktur der Besatzung und die Fragmentierung des geografischen Raumes lassen sich jedoch nicht nur auf die Aufteilung in die A-, B- und CGebiete reduzieren. Einen wichtigen Teil stellen die jüdischen Siedlungen dar. Diese sind, ausgenommen vom Norden der Westbank, über das ganze Territorium verteilt und befinden sich meist strategisch auf Hügeln und Bergspitzen zwischen palästinensischen Dörfern und Städten. Verbunden sind die Siedlungen mit einem Netz von Straßen, die zum Teil der exklusiven Nutzung der Siedler vorbehalten sind. Für die Palästinenser wurden sogenannte Bypass Roads gebaut. Erdwälle und Metalltore verhindern, dass Palästinenser von ihren Dörfern die Siedlerstraßen erreichen können. Diese, sowie permanente und temporär besetzte Checkpoints und über die Westbank verteilte Kontrolltürme sind der elementare Teil der militärischen Infrastruktur, die eine Kontrolle der Mobilität der Palästinenser gewährleistet. „Das System der Kontrollpunkte ist außerdem darauf ausgelegt, die Durchsetzung und Aufrechterhaltung einer Politik der totalen Abriegelung zu ermöglichen – die vollständige Unterbindung jeglicher Bewegung aus dem Westjordanland nach Israel.“ (Weizmann 2008: 160) Ein weiterer Faktor, der die territoriale Fragmentierung zementiert und verschärft hat, ist der Bau der Sperranlage im Jahr 2003. Die offizielle Begründung der israelischen Regierung für den Bau war die Abwehr von Terrorattentaten. Ein Gutachten des internationalen Gerichtshofs in Den Haag bezeichnet den Bau dagegen als Verstoß gegen das Völkerrecht, da sich die Anlage nicht am Verlauf der grünen Linie orientiert (vgl. ICJ 2004). Kritiker werfen Israel darüber hinaus vor, damit den Status Quo zu zementieren, da die Sperranlage teils weit in die Westbank hineinreicht und jüdische Siedlungen an israelisches Territorium anbindet. Ein Ziel der mit der Sperranlage verstärkten bzw. neugeschaffenen Infrastruktur war es, die Bewegung von israelischen Siedlern aus der Westbank heraus und in diese hinein, so weit es geht, zu erleichtern und zu normalisieren, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung maximaler Kontrolle über die palästinensischen Enklaven.



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Abbildung 5: Karte der Westbank

Quelle: OCHA 2011

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Dies wird durch das System segregierter Straßen sowie die zweigeteilte Checkpoint- und Kontrollpunktpolitik ermöglicht. Die Kontrollpunkte an den Siedlerstraßen bei Ausfahrt aus der Westbank ähneln Mautstationen und sind nur für den israelischen Verkehr geöffnet. Für Palästinenser, die über Genehmigungen zur Einreise nach Israel verfügen, gibt es spezielle Checkpoints, die auf die totale Kontrolle der Aus- und Einreisenden ausgerichtet sind. Die israelischen Siedlungen sind durch diese Maßnahmen hervorragend in das israelische Territorium integriert. Einen besonderen Status nimmt Ost-Jerusalem ein, das ebenso wie Westbank im 6-Tage-Krieg 1967 von Israel besetzt wurde. Kurz darauf wurden die Stadtgrenzen Israels auf im Osten liegende Stadtteile ausgedehnt und diese Gebiete im Jahr 1980 formell annektiert, ohne dass dies Annektion jedoch von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt worden wäre (vgl. Benvenisti 2012: 204 f.). Der Staat Israel setzte mit Hilfe von Infrastrukturprojekten und Siedlungen damit die Vision eines wiedervereinigten Jerusalems um und schaffte die Metropolregion des „Greater Jerusalem“ (Groag 2006: 178). Der Bau der Sperranlage in den Jahren nach 2003 hat diese geografische Realität weiter zementiert. Dies ist insofern problematisch, als die Palästinenser Ost-Jerusalem als ihre Hauptstadt ansehen und ihnen sowohl der Zugang zum Felsendom, dem drittheiligsten Ort der Muslime, als auch zu ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum versagt ist. Zonen der Normalität und Zonen des Ausnahmezustands Das mittlerweile seit fast zwei Jahrzehnten existierende Separationsprinzip hat dramatische Folgen für die Wahrnehmung des Raumes, vor allem aufgrund unterschiedlicher Grade von Konflikthaftigkeit und Gewalthaltigkeit in den verschiedenen Territorien. Entstanden ist primär ein zweigeteilter Raum, zwischen Zonen der Normalität und Zonen des Ausnahmezustandes und des Konflikts: „Following the second Intifada, the imaginative geography of the ‚space of exception‘ was activated through the construction of a physical signaling system that includes the construction of the Separation Wall, the establishment of permanent checkpoints, temporary checkpoints, and other obstacles that mark the Occupied Territories as ‚abnormal space‘, the antithesis of Israeli ‚normal space‘.“ (Ghanim 2008: 71)

Das, was den abnormal space darstellt, sind geografisch gesehen der Gazastreifen sowie die A- und B-Gebiete, die, umschlossen von der Sperranlage, in der Westbank liegen. Israelisch kontrolliertes Territorium innerhalb der grünen Linie sowie israelisches Territorium westlich der Sperranlage und die annektierten Regionen Ost-Jerusalems sind der normal space. Die Folgen der Separation sind die Verbannung dessen, was von vielen, vor allem in Israel und außerhalb der Region als Konflikt wahrgenommen wird, aus den Zonen der Normalität in die Zonen des Aus-



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nahmezustands. Dieses Bild wird durch den „Grenzcharakter“ der Sperranlage noch verstärkt und bekommt dadurch einen neuen Symbolgehalt: „Die Illusion, dass durch eine Reihe einseitig bewährter Grenzlinien, die durch Beton, Stacheldraht und Überwachungstechnologie zusätzlich verstärkt sind, Israel und Palästina gleichermaßen normale, territorial definierte Nationalstaaten werden können, verdeckt die reale Gewalt einer beweglichen kolonialen Grenze.“ (Weizmann 2008: 196)

Mit dem Ende der 2. Intifada und dem Rückgang von Selbstmordattentaten in Israel seit 2006 ist der Konflikt militärisch gesehen in Israels Städten nicht mehr präsent.13 Eine Ausnahme stellen die Grenzregionen zum Gazastreifen dar, die immer wieder unter Raketenbeschuss stehen. Während sich also qualitativ die Sicherheitslage in Israel stark verbessert hat, hat sich die Situation in den palästinensischen Gebieten verschlechtert. Die mit dem Separationsprinzip verbundene ungehemmte Anwendung von direkter Gewalt, vor allem in Form von Luftangriffen im Gazastreifen, hat eine erhöhte Anzahl palästinensischer Opfer zur Folge.14 Gleichzeitig ist aus der Perspektive der israelischen Bevölkerung der Konflikt immer weiter an die Peripherie gerückt. Damit verbunden entsteht der Eindruck, der Status Quo des Konflikts sei eine Form der zumindest temporären Lösung oder Einhegung des Konflikts, die der israelischen Bevölkerung einen friedlichen Alltag beschert habe. Verstärkt wird dies dadurch, dass durch die mit dem Separationsprinzip verbundenen Einreiseverbote für Palästinenser nach Israel und dem dramatischen Rückgang palästinensischer Arbeitskräfte, Palästinenser auch visuell weitestgehend aus dem Alltag in Israel verschwunden sind. Und anders als früher haben Israelis heute keine Möglichkeit mehr zum billigen Einkauf in die Westbank zu fahren und sich durch direkten Kontakt mit Palästinensern ein eigenes Bild jenseits der Medien zu machen. Durch physische Grenzen markiert und Regelwerke ergänzt hat die Separation somit eine neue politische Realität geschaffen. Der Zustand, wie er heute in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zu finden ist, kann auch als eine Form des low intensity conflict bezeichnet werden. Was damit ultimativ umgesetzt wurde, ist die von israelischen Verteidigungsminister Moshe Dayan geprägte Redewendung, die Besatzung unsichtbar zu machen (vgl. Weizmann 2008: 155). Dieser Realität stehen all diejenigen Akteure gegenüber, die sich zwischen den

 13 Eine etwas veränderte Situation findet sich seit dem Jahr 2015 mit einer neuen Form von Terrorattacken die mit Messern und Fahrzeugen von Palästinensern in Israel ausgeführt werden. 14 Zwischen 2000 und 2011 kamen nach Angaben von OCHA 6.803 Palästinenser und 1.087 Israelis um Leben.



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Zonen der Normalität und des Ausnahmezustands bewegen, unter anderem israelische und internationale Journalisten und Fotoreporter. Für die vorliegende Arbeit stellt sich die Frage, wie sie mit diesem Umstand umgehen und welche besonderen Erfahrungen dies zur Folge hat. 4.1.6 Narrative im Israelisch-Palästinensischen Konflikt Das eine ist der konflikt-analytische, wissenschaftlich fundierte Blick auf die zentralen Charakteristika des israelisch-palästinensischen Konflikts, das andere die oft emotional begründete, auf persönlichen Erfahrungen basierende und von der politischen Sozialisation geprägte Positionsbeziehung der Menschen in der Region. Um das Verhalten der Menschen auf beiden Seiten sowie die Schwierigkeit verstehen zu können, eine dauerhafte Lösung für die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Probleme zu finden, ist ein Blick auf die Konfliktnarrative notwendig. Konfliktnarrative, die mit ihnen verbundene kollektive Erinnerung sowie das Konfliktethos können aus sozialpsychologischer Perspektive das Handeln von Gruppen in Konflikten erklären (vgl. Bar-Tal/Salomon 2006). In medialen und politischen Diskursen sowie in der schulischen Bildung wird immer wieder auf die Narrative Rekurs genommen. Dominante Konfliktnarrative geben dem Verhalten der eigenen Seite im Konflikt Sinn und stehen von daher meist einer friedlichen und gewaltfreien Konfliktlösung entgegen (vgl. Bar-Tal et al. 2010). Dabei ist zu beobachten, dass es eine „reciprocal relationship between political events and a collective narrative“ (Bar-Tal/Salomon 2006: 31) gibt. Da die Narrative sich zwar auf Ereignisse in der Realität beziehen, aber diese selektiv interpretieren, hat dies zur Folge, dass die Narrative beider Seiten aufs Engste miteinander verzahnt sind, wie es Robert Rotberg in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt schreibt: „The Palestinian and the Israeli narratives, intertwined as they necessarily are, exist as extended conflict stories. Indeed, because both narratives were fired in the crucible of difficult conflict over eighty years, and both are constructed around a contest for the identical territory, they share the same bitter characteristics. Each is consumed by the struggle for national identity. Each posits that any acceptance of the other’s identity negates its own. Each is promised on zero-sum views of reality; shared or multiple identities, jointly inhabited territory, or anything that confers mutuality of existential being is consequently antithetical to the nature of the conflict-honed narrative. The narrative exists, furthermore, as a coping mechanism in a situation of interminable conflict. Both the legitimacy of the cause and the nature of the sacrifices that support coping under stress are encapsulated in the narrative.“ (Rotberg 2006: 3)



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Hier wird erneut die besondere Funktion von Konfliktnarrativen für den kollektiven Zusammenhalt einer Nation sowie die Identität des Einzelnen im Kontext von Konflikten deutlich. Was die zentralen Aspekte der dominanten israelischen und palästinensischen Konfliktnarrative darstellen, wird im Folgenden kurz erläutert. Dabei ist zu betonen, dass es auf jeder Seite jeweils verschiedene, sich zum Teil diametral entgegenstehende Narrative gibt. An dieser Stelle wird vor allem auf die wichtigsten Elemente der dominanten Konfliktnarrative eingegangen. Auf israelischer Seite ist vor allem das dominante Konfliktnarrativ der jüdischisraelischen Bevölkerung von Interesse, da diese die Bevölkerungsmehrheit stellt und sich um das Jüdischsein des israelischen Staates sorgt. Phillip Hammack sieht vier zentrale Elemente des dominanten jüdisch-israelischen Konfliktnarrativs: 1. die historische Erfahrung der Verfolgung und der Stigmatisierung als Opfer der Juden, 2. das Gefühl existentieller Unsicherheit, 3. die Besonderheit der jüdischen Israelis in Bezug auf ihren ökonomischen, militärischen und moralischen Erfolg sowie 4. die Deligitimierung der Palästinenser (vgl. Hammack 2011: 117). Die Erfahrung der Verfolgung findet ihre Entsprechung in der Herausbildung einer wehrhaften Identität des „Neuen Juden“, der sich dem angenommen dauerhaften Belagerungszustand als jüdischer Staat in der arabischen Welt widersetzen kann (vgl. Rotberg 2006: 4). In der politischen und gesellschaftlichen Praxis findet dies seinen Ausdruck in der herausragenden Stellung, welche die israelische Armee genießt (vgl. Hammack 2011: 122). Verbunden mit der Wehrhaftigkeit ist der Glaube an die eigene Nation als friedliebend, immer bereit, eine friedliche Lösung auszuhandeln, sowie die Beschreibung des eigenen Handelns als zutiefst moralisch (vgl. BarTal/Salomon 2006). Einen wichtigen Faktor zur Stärkung der nationalen Identität sowie des dominanten Konfliktnarrativs stellt der für alle jungen Israelis obligatorische Militärdienst dar. Als „Building Blocks of Official Israeli Culture“ sieht Amit Scheijter den Zionismus als jüdisch-israelische Nationalbewegung sowie das Erziehungskonzept des „Mamlakhtiyut“ an, deren zentrale Referenzpunkte der Nationalfeiertag, der Holocaustgedenktag, die Hymne sowie die Flagge sind (vgl. 2009: 8 ff.). Die im israelischen Konfliktnarrativ vorhandenen societal beliefs sind laut Halperim und Kollegen auch der Grund dafür, dass die Besatzung der Westbank in der jüdischisraelischen Gesellschaft nicht zu größeren identitären Problemen führt: „The sincere longstanding belief, held by a majority of the Israeli public, that the domination of the territories of the West Bank, Gaza, and Golan Heights is an act of self-defense based on historical justifications, allowed the Israeli public to avoid facing the negative implications of the occupation for many years. Obviously, this belief is fed by the grim reality of continuous terror attacks that lead to fear and insecurity. In addition, Israelis’ positive self-perception, rooted in beliefs regarding their own morality along with delegitimization of Palestinian

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individuals and the Palestinian nation as a whole, further helped Jewish-Israelis to avoid negative experiences in the face of the reality of the occupation.“ (Halperin et al. 2010: 67)

Der hier geschilderte positive Selbstbezug in Zusammenhang mit den zentralen Elementen des israelischen Konfliktnarrativs hat zur Folge, dass die israelische Mehrheitsgesellschaft, obwohl eine occupying society (vgl. ebd.: 60), das Verhalten der eigenen Seite rechtfertigt und positiv belegt. Das dominante palästinensische Konfliktnarrativ hingegen wird ebenfalls von vier zentralen Elementen bestimmt. In seinem Zentrum stehen die Erfahrungen des Landverlusts sowie der Vertreibung (vgl. Hammack 2011: 160). Das daraus abgeleitete Recht auf Rückkehr bildet einen zentralen Pfeiler der kollektiven palästinensischen Identität (vgl. Matthews 2011: 3). Dazu kommt der positive Bezug auf den Widerstand, der aus dieser Verlusterfahrung resultiert, und die Bedeutung des Kampfes für nationale Selbstbestimmung (vgl. Hammack 2011: 161). Im Alltag zeigt sich dies z. B. an der Bezeichnung von im Konflikt mit Israel Getöteten als Märtyrer. Dabei sind es vor allem das Fehlen starker Institutionen sowie eines anerkannten Staates, die der nationalen Identität und damit dem Kampf für Selbstbestimmung auf Seiten der Palästinenser so große Bedeutung verleihen (vgl. Brown 2010: 384). Ein weiteres Merkmal ist das Gefühl existentieller Unsicherheit auf Seiten der Palästinenser, bezogen auf das Alltagsleben unter der Besatzung. Darüber hinaus gibt es ähnlich wie auf israelischer Seite den Aspekt der Deligitimierung des Anderen (vgl. ebd.: 161). Lange Zeit war das palästinensische Narrative von einem säkularen palästinensischen Nationalismus gekennzeichnet, der vom Pan-Arabismus sowie einer Verortung in postkolonialen Befreiungskampf geprägt war (vgl. ebd.: 172). Mit dem Aufkommen islamistisch geprägter Bewegungen hat hier jedoch eine Verschiebung stattgefunden, da „the introduction of an Islamist discourse into the mainstream of Palestinian society“ (ebd.) das säkular geprägte Konfliktnarrativ ins Wanken brachte. Besonders deutlich werden die Unterschiede zwischen den beiden Narrativen bei der Betrachtung zentraler historischer Ereignisse. Der erste arabisch-israelische Krieg gilt in Israel als der Unabhängigkeitskrieg, in dem sich der neugegründete Staat gegen eine Übermacht angreifender arabischer Truppen erfolgreich zur Wehr setzte. Im palästinensischen Narrativ wird der Krieg dagegen als „Al-Naqba“ (die Katastrophe) bezeichnet, der in Flucht und Vertreibung aus der Heimat endete. Diametral entgegen stehen sich die beiden Narrative auch in Bezug auf die Besatzung der Westbank und des Gazastreifens. Dies hat zur Folge, dass die Lösung der Punkte, die als zentrale Fragen des Konflikts angesehen werden, wie die Grenzen eines zukünftigen palästinensischen Staates, der Umgang mit den palästinensischen Flüchtlingen sowie der Status von Ost-Jerusalem, im jeweiligen Konfliktnarrativ eine völlig andere Bedeutung haben.



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4.1.7 Zwischenfazit zum Nahostkonflikt Der israelisch-palästinensische Konflikt ist durch ein hochkomplexes Akteursgeflecht gekennzeichnet, in dem sich verschiedene Macht- und Herrschaftsstrukturen ausgebildet haben, die wiederum unterschiedliche Formen von Gewalt produzieren. Die Herrschaftsformen haben sich in asymmetrischen Strukturen verfestigt, die sich auf unterschiedlichen Ebenen zeigen, wie die Verfasstheit der Akteure (international anerkannter Staat Israel gegenüber Palästinensischer Autonomiebehörde), die Kontrolle über das Territorium, die Ebene der Rechtssubjekte sowie die Art der Gewaltanwendung. Das dominierende Herrschaftssystem ist dabei das vom Staat Israel installierte und am Leben erhaltene Besatzungsregime. Der rechtliche Status der in der Region lebenden Menschen ist von ihrer ethno-nationalen Zugehörigkeit abhängig. Dieser, sowie ihre Religion und ihr Lebensmittelpunkt entscheiden darüber, ob sie den Status von citizen nach dem israelischen Recht bekommen, oder als non-citizen in einem prekären Subjektstatus verhangen sind. Dies gilt primär für alle in der Region lebenden Menschen, lokale Journalisten und Fotoreporter eingeschlossen. Die israelische Herrschaft in der Region ist als eine Form des dual democraticmiliary regime (Grinberg 2010) zu bezeichnen und ist vor allem durch ein ausgefeiltes Besatzungsregime gekennzeichnet, welches die Geschicke der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank und im Gazastreifen bestimmt. Die Besatzungsmacht zeichnet sich durch ihre absolute Sanktionsgewalt gegenüber den Palästinensern aus, was sich z. B. darin zeigt, dass Israel mit dem Prinzip des targeted killing im Gazastreifen ohne Gerichtsbeschluss über Leben und Tod von Menschen entscheidet. Das israelische Besatzungsregime ist eine Form der Herrschaft, die sich durch institutionalisierte Macht und eine rationalisierte Form auszeichnet. Das beherrschende Prinzip ist dabei die Logik der Separation, welches die Aufteilung der Region in Zonen der Normalität und Zonen des Ausnahmezustands zur Folge hat. Damit verbunden ist die Installierung eines Bewegungsregimes, in dem den politischen Subjekten ausgehend von ihrer ethno-nationalen Zugehörigkeit ein bestimmter Bewegungsspielraum zugewiesen wird. Die Menschen in der Region sind dabei von den dominanten Konfliktnarrativen ihrer Seite geprägt. Die beiden dominanten Konfliktnarrativ stehen sich diametral gegenüber und erfüllen die Funktion, das Handeln im Konflikt des Einzelnen sowie des Kollektivs als sinnbehaftet wahrzunehmen.



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4.2 D ER FOTOJOURNALISTISCHE P RODUKTIONSSTANDORT I SRAEL /P ALÄSTINA Der israelisch-palästinensische Konflikt wurde im vorangegangenen Kapitel hinsichtlich seiner politischen Rahmenbedingungen sowie der spezifischen Macht- und Herrschaftsstrukturen analysiert. Ein weiterer wichtiger Aspekt, um das fotojournalistische Handeln in der Region untersuchen zu können, ist die Bestimmung der spezifischen Faktoren, die den fotojournalistischen Produktionsstandort Israel/Palästina charakterisieren. Dies wird an dieser Stelle hinsichtlich der journalistischen Bedeutung der Region sowie der Beschreibung des für den Fotojournalismus relevanten Institutionengefüges vorgenommen. 4.2.1 Das Nachrichtenzentrum Israel/Palästina Israel und die besetzten palästinensischen Gebieten nehmen einen festen Platz in der internationalen Nachrichtengeografie ein. Nirgendwo sonst auf der Welt prallen auf kleinstem geografischem Raum so viele kulturelle, politische und soziale Gegensätze aufeinander. Vor allem Themen, die mit dem politischen Konflikt in Verbindung stehen, haben eine relativ große Chance, publiziert zu werden. In diesem Zusammenhang sind vor allem Bilder gefragt. Text-, Fernseh- und Bildnachrichten aus der Region sowie Hintergrundberichte zirkulieren weltweit in allen Mediengattungen. Obwohl im Vergleich nur von geringer geografischer Größe, ist die Region ein wichtiges Nachrichtenzentrum. Als Nachrichtenzentren werden Länder bezeichnet, die konstant auf der Nachrichtenagenda mit einer großen Themenvarianz erscheinen (vgl. Kamps 1998: 291). Sie können noch einmal zwischen kontinuierlich und zyklisch unterschieden werden (vgl. Lönnendonker/Hahn 2008: 511). Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete gehören laut Lönnendonker und Hahn zur zweiten Kategorie. Eine Begründung für die Region als Nachrichtenzentrum liefert Ulf Hannerz: „The assumption about these places (Jerusalem) is that a fair number of newsworthy events occur continuously in the immediate vicinity and that they are at the same time places from which other potential news sites can be reached fairly quickly and conveniently.“ (Hannerz 2004: 40)

Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete ziehen ihre Bedeutung für die internationalen Medien somit sowohl aus den Ereignissen, die vor Ort passieren, als auch aus der geografischen Nähe zu weiteren Hotspots des internationalen Interesses. Das vor Ort arbeitende Personal kann dabei je nach Nationalität flexibel eingesetzt und auch in angrenzende Regionen verschoben werden. Die Bedeutung des



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Nachrichtenplatzes hat zur Folge, dass die Region ein wichtiger Standort für Auslandskorrespondenten aus der ganzen Welt ist. Weitere Gründe für die Anwesenheit internationaler Journalisten sind die gute Infrastruktur in der Region sowie die gute Erreichbarkeit von Europa und den USA. Der internationale Flughafen „Ben Gurion“ in der Nähe von Tel Aviv wird von vielen internationalen Fluglinien direkt angeflogen. Darüber hinaus verfügt Israel über einen Lebensstandard und eine Gesundheitsversorgung, die mit europäischen Standards vergleichbar ist, was die Attraktivität als Korrespondentenplatz ebenfalls unterstreicht. Tabelle 3: Institutionelle Akteure am Produktionsstandort Israel/Palästina ART DES AKTEURS Globale Nachrichtenagentur mit Bilderdienst Internationale Bildagentur

Staatliche Nachrichtenagentur mit Bilderdienst Internationale Fotografenagentur Lokale Bildagentur Lokale Nachrichtenagentur mit Bilderdienst

NAME AFP AP Reuters Getty Images SIPA Press EPA Xinhua Itar-Tass Polaris laif Flash 90 Maan

FPAMITGLIED* Ja Ja Ja Nein Ja Ja Ja Ja Nein Nein Ja Ja

TAGESAKTUELLE PRODUKTION Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Nein Nein Ja Ja

* Die Mitgliedschaft erfolgt entweder als Institution oder über die Fotografen.

Quelle: Eigene Darstellung

Am Produktionsstandort Israel/Palästina finden sich verschiedene Typen von Auslandskorrespondenten, darunter sowohl traditional foreign correspondents als auch foreign foreign correspondents. Das Mitgliederverzeichnis der israelischen Foreign Press Association (FPA) führte im Jahr 2011 344 Journalisten, Fotografen, Kameramänner, Producer und Redakteure aus über 28 Ländern (vgl. FPA 2011). Vor allem die großen internationalen Nachrichtenkanäle wie „Al-Jazeera“, BBC und CNN verfügen in der Region über eigene Studios und große Mitarbeiterstäbe. Aber auch viele nationale öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten, wie die deutsche ARD oder die italienische RAI, haben Repräsentanzen in Israel. Ebenso bedeutend ist die Region für die globalen Nachrichtenagenturen AFP, AP und Reuters sowie für die internationalen Nachrichtenagenturen „Itar-Tass“ und „Xinhua“, die in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten breitflächig mit viel Personal vertreten sind. Auch viele nationale Medienhäuser haben feste Korrespondenten vor Ort. Angesichts des Rückgangs von Korrespondentenplätzen und der Umstrukturierung, die in vielen Ländern die Auslandsberichterstattung erfahren hat, spricht dies für die



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herausragende Bedeutung der Region in der internationalen Nachrichtengeografie. Zu den festen und freien Korrespondenten und Mitarbeitern, die in Israel und den palästinensischen Gebieten leben, kommen noch die sogenannten parachute correspondents, die nur für kurze Zeit in die Region kommen. Ihre Zahl ist schwer zu fassen, da sie nirgendwo registriert sind. Die Bedeutung der Region für den Fotojournalismus lässt sich an verschiedenen Faktoren ablesen. Dazu gehört zum Beispiel die Präsenz der Bilderdienste der globalen Nachrichtenagenturen. Ihre Fotografen sind in der Region ständig auf der Suche nach neuen Bildern. Die drei globalen Nachrichtenagenturen AP, AFP und Reuters haben eigene Regionalbüros mit Bildredakteuren vor Ort, die das in der Region von freien und festen Fotoreportern fotografierte Material sichten und die Weitervermarktung organisieren. Auch internationale Bildagenturen wie die europäische EPA, „Getty Images“ oder „SIPA Press“ sind mit eigenem Personal vor Ort. Schätzungen gehen von 100 bis 200 fest angestellten Fotoreportern in der Region aus (vgl. Heidelberger 2008: 29). Das Mitgliedsverzeichnis der FPA aus dem Jahr 2011 weist allein 34 Journalisten als Fotoreporter aus (vgl. FPA 2011).1 Schwerer zu quantifizieren ist die Bedeutung des Marktes für lokale und internationale Freelancer. Indizien liefert das Internetportal „Lightstalkers“2, auf dem freischaffende Fotoreporter ihre Dienstleistungen anbieten. Ein kurzer Blick zeigt alleine 150 Einträge von Fotojournalisten, die in der Region leben und arbeiten, und zeigt somit auch die Bedeutung der Region für Freie (vgl. Lightstalkers 2011).3 Ein weiterer Faktor, der die Bedeutung des Marktes zeigt, ist die Gründung lokaler Bildagenturen, wie „BauBau“ oder „Flash 90“ in Israel oder „Maan Images“ in den besetzten palästinensischen Gebieten, die sowohl den nationalen als auch den internationalen Markt mit Bildern über den Konflikt und die Region versorgen. Während lokale Fotoreporter meist sowohl für den lokalen und internationalen Markt produzieren, sind internationale Fotoreporter i.d.R. meist nur für den internationalen Markt tätig. Bilder aus dem Nachrichtenzentrum Israel/Palästina werden weltweit nachgefragt. Dies hat zur Folge, dass sich ein eigener Markt für fotojournalistische Produkte aus der Region gebildet hat. „Die gesamte Produktion der fotografischen

 1

Da nicht alle Mitglieder auch mit ihrer Funktion ausgewiesen sind, könnten dies durchaus auch mehr sein. Einige Journalisten führen die Bezeichnung Freelancer, ohne zu spezifizieren, ob für Text, Bild oder Video. Gleiches gilt bei den Agenturjournalisten.

2

Siehe auch www.lightstalkers.org (Seit 2016 nicht mehr aktiv).

3

Die Zahlen auf Lightstalkers sind mit Vorsicht zu genießen, da dort auch Profile von Fotojournalisten zu finden sind, die nicht mehr aktiv sind. Darüber hinaus kann sich jede/jeder dort akkreditieren und es findet keine Auswahl oder ein Bewerbungsprozess statt.



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Kriegsberichterstattung zum Nahostkonflikt, ihre Vermarktung und Veröffentlichung formen den ‚Bildermarkt Nahostkonflikt‘“, so Martin Heidelberger (2008: 21). Was auch immer am Produktionsstandort Israel/Palästina an visuellem Material geschaffen wird, hat große Chancen, international Absatz zu finden. Der Anteil von Bildern aus dem Nahen Osten beim Angebot der globalen Bildagenturen, z. B. in Deutschland, liegt bei ca. 10 %, womit die Region unter den ersten fünf Plätzen der Nachrichtengeografie landet (vgl. Wilke 2008b: 78). Entscheidend bei der Einschätzung des Marktes und des Größe des Produktionsstandortes Israel/Palästina ist die Festlegung, was als fotojournalistisches Produkt gilt. Im Fall dieser Arbeit wird dies weit gefasst und geht um mehr als tagesaktuelle Nachrichtenfotografie. Dazu gehören auch aufwendig produzierte Fotoreportagen und features. Die Publizität – also die Chance, Bilder über die Region publizieren zu können – ist dabei ein zentraler Faktor, welcher die Produktion bestimmt. Ein kennzeichnendes Merkmal des Marktes ist seine Internationalität. Neben der Nachfrage nach Bildern aus der Region aufgrund des weltweit hohen Aufmerksamkeitsgrades für die Region hat natürlich auch die Ereignislastigkeit des Konflikts, die immer wieder visuell attraktives (Konflikt-)Bildmaterial produziert – und somit die Angebotsseite abdeckt – einen Einfluss auf die Konstitution dieses Marktes. Eine Besonderheit der Arbeit der internationalen Nachrichtenagenturen und ihrer Bilderdienste ist, dass diese geografisch gesehen Israel und die palästinensischen Gebiete sehr gut abdecken. Die festangestellten Fotoreporter sind dabei in der Regel in den wirtschaftlichen und politischen Zentren wie Jerusalem, Ramallah, Gaza-Stadt und Tel Aviv konzentriert. In Jerusalem, Ramallah und Gaza-Stadt befinden sich auch die Büros der Agenturen, wobei die lokalen Bildredaktionen der Bilderdienste von AP und Reuters ausschließlich in Jerusalem angesiedelt sind. Die internationalen Angestellten der Agenturen sind vor allem in Tel Aviv und in Jerusalem konzentriert. Lokale Stringer der Agenturen sind wie in einem Netzwerk über das gesamte Territorium verteilt und decken die verschiedenen Regionen Israels ebenso ab wie die Westbank und den Gazastreifen. Damit können die Agenturen garantieren, durch kurze Wege möglichst schnell Ereignisse dokumentieren zu können.

 4.2.2 Die Geschichte der Fotografie in der Region Die Region, in der sich heute Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete befinden, ist nicht nur ein weltweit wichtiges Nachrichtenzentrum, sondern steht auch fast seit Anbeginn der Fotografie in deren Interesse. Aufgrund der religiösen Bedeutung Palästinas für das Christentum stand die Region schon früh im Fokus internationaler Fotografen. Im Gepäck europäischer Kolonisatoren und Forschungreisenden reisten auch Kameras mit: „Travelling photographers from Europe,



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mostly British and French, and later Americans, dominated the field until about the end of the nineteenth century“, so Yeshayah Nir (1995: 186). So kamen das historische Palästina und seine arabische und jüdische Bevölkerung schon während der Zeit des Osmanischen Reiches mit der Fotografie in Berührung, die damals noch unter dem Label Holy Land Photography lief. Kennzeichnend für diese Fotografie war eine „Biblifizierung der Landschaft“ (Nasser 2004: 109). Palästinenser waren in diesen Bildern entweder abwesend oder als „exotische Orientale(n)“ Teil der „Illustration des Erscheinungsbildes der biblischen Vorfahren“ (ebd.: 110). Ein Wechsel setzte mit der zionistischen Einwanderung ein: „The study of the photographic heritage of Eretz Israel has to be dissociated from the early photography in the country in the second half of the 19th century, mostly by western travellers as these earlier images belong ot a very different artistic tradition and approach carrying a discourse aimed at western audience.“ (Perez 2000: 9)

Neben den Reisenden aus Europa, die vor allem auf der Suche nach orientalistischen Motiven waren, entstanden vor allem in Jerusalem in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts lokale Fotostudios. Erste lokale Fotografen waren die armenischen Fotografen Garabed und John Krikorian sowie der christliche Araber Khalil Raad (vgl. Silver-Brody 1998: 12). Dazu kam das Fotostudio der American Colony in Jerusalem. Innerhalb der lokalen palästinensischen Fotografie zu dieser Zeit beobachtet Issam Nasser vier verschiedene Trends, von denen das Anfertigen von Familienporträts den größten Einfluss hatte (vgl. Nasser 2003: 327). Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die unterschiedliche Tradition der Fotografie und des Fotojournalismus in der jüdischen und der palästinensischen Bevölkerung der Region von großem Interesse. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die unterschiedlichen Geschicke der jüdischen und der arabisch-palästinensischen Bevölkerung in der Region zu betrachten. Mit Ausnahme einiger urbaner Zentren und Hafen- und Handelsstädte wie Akko, Jaffa und Jerusalem war die arabisch-palästinensische Bevölkerung im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem bäuerlich geprägt. Die alteingesessene jüdische Bevölkerung, die sogenannten „Sabre“, lebte meist in den Städten. Mit Beginn der zionistischen Einwanderung ins historische Palästina gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen viele hochmotivierte jüdische Einwanderer vor allem aus Europa und den USA ins Land, die eine zumeist neue, parallele Infrastruktur im Land errichteten. Dazu gehörten neben neuen Dörfern und Städten auch Krankenhäuser, Verwaltungsstrukturen sowie kulturelle Einrichtungen. So wurde z. B. schon im Jahr 1906 in Jerusalem die Kunstgewerbeschule „Bezalel“ gegründet, die „als das erste Kapitel in der Geschichte der modernen Kunst in Erez Israel“ gilt (Zalmona 2005: 154) und geprägt war vom europäisch-amerikanischen Einfluss der Einwanderer.



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Von großer Bedeutung für das zionistische Projekt waren Institutionen wie die „World Zionist Organisation“ (WZO) oder der „Jewish National Fund“ (JNF), die unter anderem von Europa und den USA aus Unterstützung für den Staatsaufbau organisierten. Schon früh waren auch jüdische Fotografen für diese Organisationen tätig, um die Bemühungen zur Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zu bebildern. „The photographs reveal transformations occuring in the process of developing a new culture within a new society intent on the creation of heroes and myths alongside its everyday concerns“, so Vivienne Silver-Brody über diese frühe Phase jüdisch-zionistischer Fotografie (1998: 81). Vor allem im Zuge der verschieden jüdischen Einwanderungswellen, „Alija“ genannt, in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kamen zunehmend Fotografen aus Russland und Deutschland ins heilige Land, die in Europa an Kunsthochschulen ausgebildet worden waren und ihr Wissen in den Dienst der zionistischen Ideologie stellten (ebd.: 245). Rona Sela schreibt über diese Zeit: „Die jüdische Fotografie entwickelte sich ferner im Zuge der Einwanderungswellen aus Deutschland und Zentraleuropa, die ein größeres Bewusstsein für die Verwendung dieses Mediums der Kommunikation und der Kunst mitbrachten. Zudem wuchs aufgrund der immer häufigeren Konfrontationen mit der palästinensischen Bevölkerung das nationale Bedürfnis nach Images.“ (Sela 2005: 458)

Somit steht auch die frühe jüdisch-zionistische Fotografie schon in einem Spannungsfeld mit dem Konflikt zwischen den beiden konkurrierenden Nationalbewegungen. Das Image, das die zionistische Fotografie zu dieser Zeit weltweit verbreitete, war das des „Neuen Juden“, der als Pionier „Erez Israel“ besiedelt und das Land verteidigt (vgl. ebd.). Nach der Staatsgründung und dem ersten-arabischisraelischen Krieg dauerte es bis in die 1980er Jahre, bis sich in Israel die Fotografie allmählich vom Zionismus löste und zu einem Medium wurde, „das in vielen Fällen ein gesellschaftliches, politisches und ethisches Bewusstsein schuf“ (ebd.: 460). Dies war einer neuen Generation von Fotoreportern zu verdanken, die seit den 70er und 80er Jahren den Markt aufrollte: „This younger generation of photographers purposefully ignored and even dismissed existing norms as obsolete, anachronistic, and worthless, creating a new order of cosmopolitan photography based on western canons.“ (Perez 2000: 12) Ein Teil dieser Fotografengeneration ist bis heute im Geschäft und Forschungsgegenstand dieser Arbeit, andere waren die Lehrer der jungen Fotojournalistengeneration. Das Erbe dieser – aus Platzgründen hier nur kurz angerissenen – unterschiedlichen Tradition der Fotografie in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zeigt sich heute vor allem an der Stellung und der Existenz von Bildungs- und Kultureinrichtungen, die sich dem Thema Fotografie widmen. Während es in Israel



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zahlreiche öffentliche Kunstmuseen gibt, die Fotografieausstellungen organisieren und israelische Fotografie sammeln und wie das „Tel Aviv Museum for Modern Art“ oder das „Israel Museum“ in Jerusalem auch eigene Sammlungen aufbauen, gibt es in den palästinensischen Gebieten keine einzige Institution dieser Art. Das Gleiche gilt für Ausbildungseinrichtungen für Fotografie. In Israel gibt es mehrere weltweit renommierte Kunsthochschulen, wie die Kunstakademie „Bezalel“ in Jerusalem mit eigenen Fotografiestudiengängen sowie zahlreiche private Schulen, wie das Photography Department am „Hadassah College“ oder das „Minshar College“ in Tel Aviv. Die erste Kunsthochschule in den palästinensischen Gebieten wurde erst 2006 in Ramallah eröffnet und bietet einen Bachelorstudiengang in „Contemporary Visual Art“ an.4 Die erste private Kunstgalerie eröffnete erst acht Jahre später. Vor allem in Ost-Jerusalem gibt es eine kleine und sehr lebhafte Kunstszene rund um das „Al-M’amal Center“5 in der Altstadt. Das Medium Fotografie steht hier jedoch nicht im Vordergrund. Diese Situation ist dabei nicht nur der unterschiedlichen Tradition der Fotografie in beiden Gesellschaften geschuldet, sondern, wie andere Probleme z. B. bei der Entwicklung eines eigenen Mediensektors (siehe Kapitel 4.2.3), auch auf die Geschichte des Konflikts und die militärische Besatzung der Westbank und des Gazastreifens zurückzuführen. 4.2.3 Die Beschaffenheit des lokalen Medienmarkts Auch wenn die Arbeit von Fotoreportern für den lokalen Medienmarkt nicht Teil der empirischen Untersuchung dieser Arbeit ist, so wird an dieser Stelle kurz auf die Struktur des Marktes eingegangen. Dieser ist insofern von Bedeutung, als damit möglicherweise bestimmte Fragestellungen hinsichtlich der Bedeutung des internationalen Marktes für lokale Fotoreporter beantwortet werden können. Dabei ist zwischen dem Markt in Israel und dem in den besetzten palästinensischen Gebieten zu unterscheiden. Erwähnung finden dabei an dieser Stelle vor allem der Zeitungsmarkt sowie lokale Agenturen, da in diesem ebenfalls Bilder gehandelt und Fotoreporter beschäftigt werden. Kennzeichnend für die Geschichte der israelischen Presse ist, dass sie ähnlich wie die Fotografie aufs Engste mit der Entwicklung des Zionismus verbunden war (vgl. Dor 2010: 910). Der Medien- und Zeitungsmarkt in Israel war lange Zeit in den Händen von drei Familien (vgl. Limor 2003: 626). Die Mozes-Familie kontrolliert einen Medienkonzern, der die lange Zeit populärste israelische Tageszeitung „Yediot Aharonot“ herausgibt. Zum Konzern gehört auch das einflussreiche Online-Nachrichtenportal „Ynet News“. Der zweitgrößte Medienkonzern, der Heraus-

 4

Siehe http://www.artacademy.ps/.

5

Siehe http://www.almamalfoundation.org/.



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geber der Tageszeitung „Ma’ariv“, ist in den Händen der Familie Nimrodi. Die Shoken Familie gibt die kleine linksliberale Tageszeitung „Ha’aretz“ heraus. Im Jahr 2007 kam die gratis verteilte Tageszeitung „Israel Ayom“ dazu, die sich in kürzester Zeit den Spitzenplatz als auflagenstärkstes Medium erkämpfte. Herausgegeben wird sie vom israelisch-amerikanischen Multimilliardär Sheldon Adelson. Sie gilt als Unterstützer der Regierungspolitik Netanyahus (vgl. Hunt et al. 2013: 20). Die traditionelle Rivalität zwischen „Maariv“ und „Yediot Aharonot“, die Yehiel Limor als „fierce rivalry“ (vgl. Limor 2003: 626) bezeichnet, wurde durch den Launch von „Israel Ayom“ noch verstärkt. Neben diesen vier hebräischsprachigen Tageszeitungen gibt es diverse lokale Zeitungen und Medien, die den russisch- und arabisch-sprachigen Markt bedienen. Wenn auch auflagenmäßig eher unbedeutend, so sind die beiden englischsprachigen Tageszeitungen „Haaretz“ und „Jerusalem Post“ von großer Bedeutung für die internationalen Korrespondenten in der Region. Zum Zeitpunkt der Feldforschung für diese Arbeit gab es eine lokale Bildagentur, die auch auf dem internationalen Bildermarkt tätig war. Die Agentur „Flash90“ wurde 1990 vom israelischen Fotoreporter Nati Shohat gegründet (vgl. Flash90 2014). Die Bilddatenbank der Agentur ist auf Englisch verfügbar und auch auf den internationalen Vertrieb ausgerichtet. „Flash90“ hat in Israel eigene Fotografen unter Vertrag und arbeitet mit Stringern in der Westbank und im Gazastreifen. Eine herausragende Stellung in der Region hatte für viele Jahre die vom israelischen Fotoreporter Eyal Warshavsky geleitete Bildagentur „Bau Bau“, deren Betrieb jedoch 2007 eingestellt wurde. Im Vergleich zu Israel hat der Zeitungsmarkt in den besetzten palästinensischen Gebieten bis heute eine weit geringere Bedeutung als in Israel. Vor allem private Radio- und Fernsehstationen sprossen nach der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde weitgehend unreguliert aus dem Boden (vgl. Najjar 2003: 633). Sie gelten bis heute als zentrale Informationsmedien. Der Zeitungsmarkt in den besetzten palästinensischen Gebieten ist relativ klein und vor allem durch seine Orientierung an den politischen Fraktionen geprägt. Die größte und Auflagenstärkste Tageszeitung ist „Al-Quds“, die in Ost-Jerusalem herausgegeben wird (vgl. ebd.: 631). Zwei weitere wichtige Tageszeitungen sind „Al-Ayyam“, in Privateigentum, aber Fatah-nah, und „Al-Hayyat Al-Jaddida“, im Besitz der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die wichtigste Nachrichtenagentur in den palästinensischen Gebieten ist „Maan News“. Die Agentur wurde 2005 gegründet und hat Services auf Arabisch, Hebräisch und Englisch (vgl. Maan 2014). „Maan News“ bedient vor allem den lokalen palästinensischen Markt. Der größte Konkurrent ist die staatliche Nachrichtenagentur „Wafa“. Eine weitere kleine lokale Nachrichtenagentur ist das „Palestine News Network“ (PNN). Alle drei Agenturen beschäftigen auch eigene Fotoreporter. Für die palästinensische Medienlandschaft war und ist die „Fremdbestimmung“ (Reuter/Seebold 2000: 137) kennzeichnend, vom Osmani-



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schen Reich über jordanische und ägyptische Verwaltungen bis hin zum israelischen Besatzungsregime. 4.2.4 Journalistische Interessenvertretung in der Region Die Korrespondenten internationaler Medien sowie die für internationale Nachrichtenagenturen tätigen lokalen und internationalen Journalisten sind in der „Foreign Press Association“ (FPA) organisiert. Die FPA wurde 1957 gegründet und hat als Ziel, „to assist our members in covering the Middle East conflict“ (FPA 2013). Die Organisation bezieht ihren Auftrag somit direkt aus der Konfliktberichterstattung über die Region. Eine Vollmitgliedschaft (Active-Membership) kann nur von Journalisten beantragt werden, deren Medienhäuser ein Büro bzw. einen offiziellen Repräsentanten in Israel haben.6 Freelancer können nur assoziierte Mitglieder werden (Associate Membership) (vgl. ebd.). Jeder Anwärter auf eine Mitgliedschaft muss darüber hinaus zwei Bürgen aus dem Kreis der FPA vorweisen. Im 10köpfigen Board of Directors ist jeweils ein Sitz für eine Vertretung der Fotoreporter reserviert. Im Jahr 2011 nahm diese Funktion Marco Longari wahr, chief photographer in der Region für die Agentur AFP (FPA 2011). Für Palästinenser aus der Westbank ist eine Mitgliedschaft bei der FPA insofern vorteilhaft, weil mit dem Mitgliedsausweis das vereinfachte Passieren von Checkpoints der israelischen Armee verbunden ist. Die FPA vertritt die Interessen der Mitglieder gegenüber staatlichen israelischen Stellen und der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Organisation ist offiziell in Israel registriert und arbeitet von Tel Aviv aus. Sie vertritt aber auch die Interessen palästinensischer Kollegen, sofern diese für internationale Medien arbeiten. Eine ähnliche Struktur von Auslandskorrespondenten in den besetzten palästinensischen Gebieten ist nicht vorhanden. Eine wichtige Funktion der FPA für den Fotojournalismus ist die Organisation der sogenannten Pools für die internationale Berichterstattung über offizielle Termine der israelischen Regierung. Das System der Pools wird eingesetzt, um die Anzahl der anwesenden Journalisten überschaubar zu halten und den Zugang zu kontrollieren. Die Organisation der Pools geschieht in enger Kooperation mit dem „Government Press Office“ (GPO). Ein Pool dient der Reglementierung des Zugangs zu einem offiziellen Ereignis. Ein gewisses Kontingent von Plätzen in den Pools ist für FPA Mitglieder reserviert, die rotierend daran teilnehmen. Andere Plätze gehen an lokale Medien. Die Bilder aus einem Pool stehen per definitionem allen Mitgliedern zur Verfügung: „News organizations

 6

Siehe auch Tabelle 2 „Institutionelle Akteure auf dem Bildermarkt Nahostkonflikt“ bezüglich der Mitgliedschaft der Bilderdienste sowie der Bild- und Fotoagenturen.



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agree to share still photographs or video produced by individual photographers.“ (Perlmutter 2003: 481) Weder in Israel noch in den palästinensischen Gebieten gibt es eine Interessenvertretung speziell für Fotoreporter. Die Mitgliedschaft in einem allgemeinen journalistischen Berufsverband ist jedoch möglich. Zu den wichtigsten Verbänden in Israel gehören die „Israel Association of Periodical Press“ (IAPP)7 und die „Tel Aviv Journalists Association“ sowie in den palästinensischen Gebieten das „Palestinian Journalist Syndicate“ (PJS), das als PLO-nah gilt. Nach den politischen Ereignissen im Jahr 2007, die eine Aufteilung der Gebiete unter palästinensischer Kontrolle zwischen Hamas und Fatah zur Folge hatte, spaltete sich auch das PJS. Im Vergleich zu lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen, die sich mit der Pressefreiheit in der Region beschäftigen, wie dem „Palestinian Center for Development and Media Freedoms“ (MADA) in Ramallah oder den internationalen Organisationen „Committee to Protect Journalists“ (CPJ) und „Reporter ohne Grenzen“ (RWB/ROG), treten die lokalen Verbände jedoch öffentlich wenig in Erscheinung und verfügen nur über eine schwache Lobby (vgl. Hunt et al. 2013: 34). Eine wichtige Funktion als Verband büßen sie dadurch ein, dass die Presseausweise von den jeweiligen Regierungen vergeben werden. Die Vertretung nach außen nimmt vor allem die FPA war. Eine relative bedeutende Institution in Israel ist der „Israel Press Council“ (IPC), die lokale Institution der Medienselbstkontrolle. In ihm sind zu je einem Drittel Vertreter von Journalisten, der Verlage sowie des Publikums vertreten (vgl. Limor 2003: 631). Vom IPC stammt auch der wichtigste für die israelischen Journalisten gültige Berufskodex. Die große Bedeutung der Region für den internationalen Journalismus und die damit verbundene hohe Zahl von Korrespondenten und internationalen Medieninstitutionen hat zur Folge, dass sich vor allem in Israel journalistische Serviceprovider gegründet haben. Diese stellen entweder Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung, vermitteln Gesprächspartner und Zugänge zu Institutionen oder bieten eigene Informationskanäle und Nachrichtenzusammenfassungen an. Dazu gehören Institutionen wie das „The Israel-Project“ (TIP). Das selbstformulierte Ziele von TIP ist „informing the media and public conversation about Israel and the Middle East“ (TIP 2015). Die Organisation führt jedoch auch politische Kampagnen wie „Expose Hamas War Crimes“ durch.8 Dies zeigt, dass TIP weniger als journalistische Institutionen, sondern als Teil politischer PR gesehen werden sollte. Trotz allem werden sie von der FPA als Empfehlung für Journalisten gelistet (FPA 2015). Dazu kom-

 7

Siehe http://www.iapp.co.il/main.asp?sel_nav1=95&sel_header=english&cat=site bzw.

8

Siehe http://www.exposehamas.com/tip.

http://www.jat.co.il/BRPortal/br/P100.jsp.



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men NGOs wie das „Ilam Center“9 und Institute wie „Keshev“10, die den Journalismus in der Region beobachten und nach Bias für die eine oder andere Seite untersuchen.

 4.2.5 Das Government Press Office und Presseausweise Eine wichtige Funktion, um eine professionelle Tätigkeit als Journalist und Fotoreporter wahrzunehmen und den Schutz der Pressefreiheit zu genießen, stellen Presseausweise dar. In Israel werden sie vom „Government Press Office“ (GPO) vergeben. Das GPO ist offiziell das Presseamt der israelischen Regierung und direkt dem Büro des Ministerpräsidenten unterstellt. Neben den israelischen Journalisten können auch internationale Korrespondenten beim GPO einen Presseausweis beantragen. Für internationale Journalisten gibt es zwei mögliche Presseausweise: 1. eine GPO-Card für Journalisten, die sich dauerhaft in Israel aufhalten, wird für die Dauer von zwei Jahren ausgestellt und 2. eine Visiting journalists card für Zeiträume bis zu 4 Monaten (vgl. GPO 2014b). Bis zum Jahr 2002 konnten auch Palästinenser ohne israelische Staatsangehörigkeit oder ID, die in den besetzten palästinensischen Gebieten lebten, eine GPO-Card beantragen (vgl. Bishara 2013: 75). Die Ausstellung eines Presseausweises erleichtert neben dem Zugang zu offiziellen Terminen der israelischen Regierung auch die Beantragung eines Arbeitsvisums für Israel. Auch eine Einreise in den Gazastreifen über den israelischen Checkpoint Erez ist nur mit der GPO-Card möglich. Die Funktion der GPO als Presseamt der Regierung wird in der Selbstdarstellung deutlich: „The GPO serves as the central address for contact with the government and the Israel Defense Forces“ (GPO 2014a). Zur Aufgabe der GPO gehört es den Kontakt zu staatlichen Stellen herzustellen und auf Englisch übersetzte Zusammenfassungen der israelischen Medien an Korrespondenten zu verbreiten. Das GPO beschäftigt des Weiteren eigene Fotografen, die offizielle Anlässen dokumentieren, um diese Bilder an die Presse weiterzugeben, und verwaltet die „National Photo Collection“ (NPC) (vgl. NPC 2014). Israelischen Fotoreportern mit GPOCard ist es erlaubt, auch in den A-Gebieten unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde zu arbeiten. Darüber hinaus erlaubt die GPO-Card den Zugang zu offiziellen Veranstaltungen der israelischen Regierung, wie beispielsweise Pressekonferenzen. Lokale und internationale Journalisten sind darüber hinaus einer militärischen Zensur unterworfen. Dies betrifft jedoch ausschließlich Fragen der nationalen Sicherheit (vgl. Schmidt 2001: 444).

 9

Siehe http://www.ilam-center.org/en/.

10 Siehe http://www.keshev.org.il/en/.



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In den palästinensischen Gebieten unter Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde vergibt das palästinensische Informationsministerium einen Presseausweis (vgl. Reuter/Seebold 2000: 55). Die sogenannte PNA-Card können auch Ausländer bekommen. Im Vergleich zur GPO-Card hat sie für internationale Journalisten nur geringe Bedeutung. Sie ist vor allem wichtig, um Zugang zur Muqata, dem Sitz der PNA, zu bekommen. Offizielle Veranstaltungen dort werden jedoch in der Regel von palästinensischen Mitarbeitern internationaler Nachrichtenagenturen bedient. Im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen hat die PNA-Card keine Bedeutung. Die Hamas nimmt dort eine eigene Registrierung von Journalisten vor. Seit 2011 müssen sich internationale Journalisten, die in den Gazastreifen einreisen, offiziell bei der Hamas registrieren. Die Besonderheit bei der Vergabe von Presseausweisen sowohl in Israel auch in den Autonomiegebieten ist, dass diese im Vergleich zu anderen Ländern wie Deutschland von Regierungsinstitutionen und nicht von journalistischen Berufsverbänden vergeben werden. 4.2.6 Infrastruktur und Geografie der Berichterstattungsregion Anknüpfend an die Analyse des Nahostkonflikts (Kapitel 4.1) soll an dieser Stelle noch einmal aus der Perspektive des Journalismus auf die Infrastruktur und die Geografie in der Berichterstattungsregion eingegangen werden. Wie bereits geschildert, erleichtern sowohl die GPO-Card als auch der Mitgliedsausweis der FPA die Mobilität in der Region. Dieser sind jedoch aufgrund der Infrastruktur des Konflikts bereits enge Grenzen gesetzt. Dafür sind vor allem das Besatzungsregime sowie die Aufteilung der Westbank nach den Verträgen von Oslo in die A-, B-, CGebiete verantwortlich.11 Auch wenn es teilautonome palästinensische Gebiete unter Kontrolle der PA und der Hamas gibt, ist der israelische Staat der entscheidende Souverän, der über Fragen der Mobilität entscheidet. Aufgrund der Kontrolle über die Außengrenzen überwacht der israelische Staat im Prinzip auch den Zugang zu allen drei Regionen.12 Somit hat der israelische Staat die weitgehende Kontrolle über die Ein- und Ausreise internationaler Journalisten in die Region.

 11 Siehe das Kapitel zum Nahostkonflikt (4.1). 12 Theoretisch ist es möglich, über den Grenzübergang Rafah von Ägypten in den Gazastreifen einzureisen. Da es aufgrund der unsteten Grenzöffnungen jedoch ein unsicherer Weg ist, versuchen die Fotoreporter in der Regel über Israel einzureisen. Dazu kommt, dass eine diplomatische Betreuung der palästinensischen Gebiete von Israel aus erfolgt. Und wer über Ägypten einreist, muss auch über Ägypten ausreisen. Aufgrund der israelischen Besatzung des Jordantals kontrolliert Israel auch die Ein- und Ausreise in die Westbank.



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Innerhalb des Kernlandes Israel gibt es in der Regel keine Mobilitätskontrollen und es herrscht Reisefreiheit. Dies gilt auch für den Zugang zu den von Israel annektierten Golanhöhen.13 Der Gazastreifen ist auf dem Land von einer befestigten Grenzanlage umgeben. Von israelischer Seite gibt es vier Grenzübergänge, die seit 2005 jedoch alle für den Personenverkehr geschlossen sind. Grenzübertritte werden nur Diplomaten, Journalisten, Mitarbeitern von NGOs sowie humanitären Notfällen gestattet. Diese Personengruppen reisen über den Grenzübergang Erez an der Nordgrenze des Gazastreifens ein und aus. Die Einreise mit dem eigenen Fahrzeug ist nicht möglich. Anders als zum Gazastreifen ist der Zugang zur palästinensischen Westbank vergleichsweise einfach. Auch die Westbank ist zwar von Israel von einer Sperranlage14 getrennt, aber aufgrund der jüdischen Siedlungen in der Westbank ist der Weg in die Westbank hinein in der Regel ohne Kontrollen möglich. Grundsätzlich ist es kein Problem, auch mit einem eigenen Auto in den palästinensischen Gebieten der Westbank zu arbeiten, sofern es über ein israelisches Kennzeichen verfügt. Kontrollen finden jedoch beim Verlassen der Westbank statt. Ebenso wie der Zugang von Palästinensern mit einer Westbank-ID nach Israel beschränkt ist, dürfen auch Autos mit palästinensischen Nummernschildern nicht in Israel fahren. Die eigene Motorisierung ist vor allem für die schnelle Erreichbarkeit von nachrichtenrelevanten Ereignissen wichtig, weshalb dies das Mittel der Wahl der meisten Journalisten ist. Diese Form der Mobilität bringt es jedoch mit sich, dass dies auch den Blick auf den Konflikt beeinflusst. So ist mit einem Auto das Passieren der Checkpoints bei der Ausreise aus den palästinensischen Gebieten problemlos an vielen Stellen möglich. Als Fußgänger oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind die Übergänge jedoch stark reduziert und die Kontrollprozedere umfangreicher. Innerhalb der Westbank gibt es ein ausgeklügeltes System von festen und temporären Checkpoints, an denen Mobilitätskontrollen stattfinden. Im Jahr 2011 zählte die „Office for the Coordination of Humanitarian Affairs“ (OCHA) in der Westbank 524 Bewegungshindernisse (OCHA 2012: 25).

 13 Die Golanhöhen gehören zu Syrien und wurden im 6-Tage-Krieg 1967 völkerrechtswidrig von Israel besetzt. Im Jahr 1981 annektierte Israel formell die Golanhöhen. Dieser Akt wird von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. 14 Auf die Kontroverse zur Sperranlage, die auch Mauer, Trennzaun oder Sicherheitszaun heißt, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Ebenso wenig auf die Folgen, die diese für die Palästinenser hat. Wichtig ist der Hinweis, dass die Kontroverse hauptsächlich von dem Fakt genährt wird, dass der Lauf der Sperranlage nicht der Waffenstillstandslinie von 1949, der sogenannten „grünen Linie“ (Green Line), folgt sondern sich zum Teil weit in die Westbank hinein zieht.



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4.2.7 Die Region in Rankings zur Pressefreiheit Israel ist ein demokratischer Staat mit einer pluralen Medienlandschaft, wie das Kapitel über die Beschaffenheit des lokalen Medienmarktes bereits aufzeigen konnte. Institutionen wie der „Israeli Press Council“ tragen zusammen mit entsprechenden medienrechtlichen Rahmenbedingungen dazu bei, die Pressefreiheit zu erhalten. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde hat seit ihrer Gründung Anfang der 1990er Jahre die medienrechtlichen Grundlagen für eine freie Presse geschaffen. Anders als in Israel ist die Situation dort jedoch zum einen vom Machtkampf zwischen der Hamas und der Fatah und zum anderen durch die Besatzungssituation geprägt, was einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Pressefreiheit hat. Die Situation der Pressefreiheit in Israel und den palästinensischen Gebieten wird Jahr für Jahr auch in Rankings verschiedener Organisationen erfasst. In diesen rangiert Israel im Gegensatz zu den palästinensischen Gebieten meist auf einem besseren Platz. Im „World Press Freedom Index 2011/2012“ der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ befindet sich Israel auf Platz 92, die palästinensischen Gebiete auf Platz 153 (vgl. RWB 2012). Dass Israel nicht noch besser abschneidet, begründen ROG mit der militärischen Zensur (vgl. ebd.: 13). Die Situation in den von Israel besetzten Gebieten wird von ROG gesondert beurteilt. Israel landet hier auf Platz 133.15 Besser weg kommt Israel im „Press Freedom Index 2011“ der NGO „Freedom House“ (FH). Dort liegt Israel auf Platz 63, die palästinensischen Gebiete auf Platz 179 (vgl. FH 2012). Die Situation in den besetzten Gebieten wird von FH nicht extra ausgewiesen. Die grundsätzlich bessere Positionierung Israels hängt damit zusammen, dass für den Index vor allem auch die interne Meinungsfreiheit und die Pluralität im Mediensektor untersucht wird. Ebenfalls erfasst wird die Zahl von Übergriffen und getöteten Journalisten. Bei Militäraktionen Israels im Gazastreifen wurden im Winter 2008/2009 vier palästinensische Journalisten getötet und im November 2012 drei (vgl. IFJ 2013: 6). Im Jahr 2011 wurde im Gazastreifen der italienische Journalist Vittorio Arrigoni ermordet (vgl. MADA 2011: 12). Die palästinensische NGO MADA listet zwischen 2009 und 2011 insgesamt 336 Übergriffe auf palästinensische Journalisten durch die israelische Besatzungsmacht auf (vgl. MADA 2011: 5). Einen Großteil davon machen physische Übergriffe und Verhaftungen aus. Im gleichen Zeitraum gab es 251 Übergriffe durch palästinensische Sicherheitskräfte, wobei mehr als ein Drittel davon auf die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah zurückzuführen sind (vgl. MADA 2011: 12).

 15 Seit dem Jahr 2013 wird Israel von ROG nur noch zusammen gerankt. Israel kam für das Jahr 2012 auf Platz 112.



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4.2.8 Zwischenfazit zum Produktionsstandort Israel/Palästina Als zyklisches Nachrichtenzentrum nehmen Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete einen festen Platz auf der internationalen Nachrichtenagenda ein. Die Region ist einer der wichtigsten Standorte weltweit für den internationalen Journalismus. Viele internationale Medienunternehmen und Nachrichtenagenturen haben eigene Büros vor Ort und bilden einen Hotspot für Auslandskorrespondenten. Der fotojournalistische Produktionsstandort Israel/Palästina zieht seine Bedeutung aus der konstanten internationalen Nachfrage von Bildern aus der Region. Angesichts dieser Nachfrage und aufgrund der Bedeutung der Region in der internationalen Nachrichtengeografie haben sich in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten Strukturen gebildet, die diese Nachfrage bedienen. Dazu gehören die Bilderdienste der internationalen Nachrichtenagenturen ebenso wie lokale Agenturen und eine Szene von freien Fotoreportern. Die Konstitution der Region als ein international bedeutendes Nachrichtenzentrum bringt es mit sich, dass in der Region immer eine Vielzahl lokaler und internationaler Fotoreporter anwesend sind, die als Korrespondenten für den internationalen Bildermarkt fungieren. Die Geschichte der Fotografie in der Region ist aufs Engste mit den politischen Geschehnissen auf dem Gebiet des historischen Palästina verzahnt. Eine entscheidende und bis heute prägende Rolle spielt dabei die politische Bewegung des Zionismus. Anders als in den palästinensischen Gebieten gibt es unter anderem aufgrund der zionistischen Einwanderung in Israel eine lange Tradition der Pressefotografie, die sich heutzutage beispielsweise in einer großen Bandbreite an Institutionen zeigt, die der Ausbildung von Fotografen oder dem Zeigen von Fotografie verpflichtet sind. Der lokale Medienmarkt ist sehr vielfältig, mit sehr unterschiedlichen Strukturen und Traditionen in Israel, dem Gazastreifen und der Westbank. Um die Bedürfnisse des internationalen Journalismus in der Region bedienen bzw. deren Handeln kontrollieren zu können, haben sich eigene Institutionen wie das „Goverment Press Office“ oder die „Foreign Press Association“ gebildet. Lokale Berufsverbände spielen dagegen eher eine marginale Rolle. Der fotojournalistische Produktionsstandort Israel/Palästina ist nicht zu verstehen, ohne konfliktspezifische Faktoren als Bezugsgröße dazuzunehmen. So haben der andauernde Konfliktzustand sowie das Besatzungsregime negative Auswirkungen auf die Pressefreiheit in der Region. Während Israel in internationalen Rankings zur Pressefreiheit im unteren Mittelfeld rangiert, befinden sich die palästinensischen Gebiete am unteren Ende. Vor allem in Eskalationsphasen des Konflikts steigt das Risiko für Journalisten überproportional an. Aufgrund der Praxis der journalistischen Institutionen sowie der Vorherrschaft eines politischen Systems können Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete als eine zusammenhängende Berichterstattungsregion betrachtet werden. Zieht man theoretische Differen-

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zierungen zwischen Konflikt, Krise und Krieg zur Bestimmung der Situation in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten heran, so lässt sich konstatieren, dass sich die Region im Zustand einer dauerhaften Krise befindet. Das bringt mit sich, dass die Fotoreporter ebenso wie andere Journalisten ständig in der Krisen- bzw. Konfliktberichterstattung tätig sind.





5. Methodik Doing ethical research in a foreign setting [...] is about building mutual beneficial relationships with people you meet in the field and about acting in a sensitive and respectful manner. SCHEYVENS/STOREY1

Auf die theoretische Konzeptionierung der Fotoreporter als Subjekte dieses Forschungsvorhabens folgt in diesem Kapitel eine Einführung in die Methodik. Dazu werden in einem ersten Schritt die zentralen Ansätze qualitativer Forschung innerhalb der Kommunikationswissenschaft herausgearbeitet. Ausgehend vom Forschungsinteresse dieser Arbeit wird dann eine begründete Methodenwahl getroffen. Dem folgt im zweiten Schritt eine Diskussion der Fallauswahl und der Entwicklung der Samplekriterien zur Durchführung der Feldforschung. Diskutiert werden des Weiteren Besonderheiten des Interviewsettings sowie der Zugang zum Feld, der in dieser Arbeit gewählt wurde. Herausgearbeitet werden auch die Besonderheiten der Forschung in interkulturellen und konflikthaltigen Kontexten in Bezug auf dieses Forschungsvorhaben. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Diskussion aufgetretener Schwierigkeiten im Forschungsprozess.

5.1 Q UALITATIVE I NTERVIEWFORSCHUNG Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist das fotojournalistische Handeln von Fotoreportern, die im Kontext des Nahostkonflikts für den internationalen Bildermarkt arbeiten. Insofern ist diese Arbeit handlungstheoretisch ausgerichtet und konzentriert sich auf den Fotoreporter als sozialen Akteur und seine institutionellen

 1

Scheyvens, Regina/Storey, Donovan (2003): Development fieldwork: A practical guide, London [u.a.]: SAGE, S. 139.



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Einbindungen. Bei der Auswahl einer Methode für diese Arbeit geht es also um ein Verfahren, das die Beobachtung und Rekonstruktion des Handelns der fotojournalistischen Akteure ermöglicht. Dabei steht der Forscher, egal welche Methode angewandt wird, immer vor dem Problem, nur kleine Ausschnitte sozialer Realität erfassen zu können (vgl. Pürer 2003: 526). Grundsätzlich ist diese Arbeit als explorativ ausgerichtete, empirische Studie innerhalb der Kommunikationswissenschaft der qualitativen Sozialforschung zuzurechnen. Mit dem Fokus dieser Arbeit auf der Rekonstruktion des sozialen und journalistischen Handelns im Konflikt rücken qualitative Forschungsmethoden ins Blickfeld. Ziel qualitativer Verfahren ist es, spezifische soziale Phänomene in ihrer jeweiligen komplexen Situation, ausgehend von ihren Hintergründen und Motiven, detailliert zu erfassen (vgl. Meier 2007: 48). Dabei geht es primär um den Prozess des Verstehens sozialer Wirklichkeit bzw. die Rekonstruktion derselben mit Hilfe einer bestimmten Methodik. Dieser Prozess wird als Fremdverstehen bezeichnet (vgl. Lamnek 2005: 348), da der Forscher durch seine Datenerhebung versucht, die soziale Wirklichkeit, die von anderen mit Sinn versehen wurde, zu verstehen. Am Ende steht das Ziel, „subjektive Deutungsmuster, Sichtweisen und Theorien auf der Einzelfallebene zu verstehen“ (Kruse 2009: 79) und einer Interpretation zugänglich zu machen. Eine der wichtigsten qualitativen Methoden, die in der Kommunikatorforschung Anwendung findet, ist die Befragung. Die Befragung ist dabei die Oberkategorie, zu der verschiedene Methoden gehören, von der schriftlichen Befragung über das persönliche Interview bis hin zum Gruppeninterview. Die Befragung hat zum Ziel, „gesellschaftlich relevante Aussagen über Merkmalsträger zu machen“ (Brosius et al. 2009: 92). Die „Königsdisziplin“ der Befragung stellt das qualitative Interview dar. So wird „(d)er Konstitutionsprozess von sozialer Realität [...] durch das qualitative Interview hervorragend dokumentiert, rekonstruiert, interpretiert und letztlich auch erklärt“ (Lamnek 2005: 349). Im Interview bekommt der Befragte die Möglichkeit, dem Forscher seine Wirklichkeitsdefinitionen mitzuteilen. Die Antworten der Befragten gelten als „prozesshaft generierte Ausschnitte der Konstruktion und Reproduktion von sozialer Realität“ (ebd.: 349). Diese Art der qualitativen Interviewforschung wird vor allem „in relativ neuen Forschungsgebieten (angewandt), über die Wissenschaftler selbst noch nicht viel wissen“ (Brosius et al. 2009: 94). Die Befragung bzw. das Interview sind als eine künstlich geschaffene Situation anzusehen, für die Interviewer und Interviewte konstitutiv sind und somit gemeinsam an „der Konstruktion von Wirklichkeit und mithin an der Aushandlung von Situationsdefinitionen“ mitwirken (Lamnek 2005: 349). Das Besondere am qualitativen Interview ist, „dass die Informationen im statu nascendi aufgezeichnet werden können, unverzerrt-authentisch sind, intersubjektiv nachvollzogen und beliebig reproduziert werden können“ (ebd.: 329). Im Fall dieser Arbeit sind die Merkmalsträger, die untersucht werden sollen, die am Produktionsstandort Israel/Palästina



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tätigen fotojournalistischen Kommunikatoren. Qualitative Interviews erscheinen als das Mittel der Wahl, da sie die Möglichkeit bieten, den Konstruktionsprozess sozialer Realität der Fotoreporter nachvollzieh- und erklärbar zu machen. Eine besondere Form des qualitativen Interviews stellen Leitfadeninterviews dar. Sie sind dann interessant, wenn hinsichtlich einer großen Zahl von Interviews eine direkte Vergleichbarkeit hergestellt werden soll, wie im Fall dieser Studie zwischen internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern und gleichzeitig das qualitative Paradigma erfüllt werden soll. Laut Kruse ist das Kennzeichnende des Leitfadeninterviews, dass ein Gespräch „mittels eines Gesprächsleitfadens strukturiert (wird), so dass der Interviewverlauf einem bestimmten vorgegebenen Themenweg folgt“ (Kruse 2009: 57). Der Leitfaden ist aber eben nur ein Leitfaden, das heißt, die Abweichung und das Folgen einer bestimmten Richtung des Gesprächs, die sich in der konkreten Situation ergibt, ist ausdrücklich erlaubt, wenn nicht sogar erwünscht. In der Literatur werden Leitfadeninterviews aufgrund ihrer Offenheit oft auch als „halbstandardisiert“ bezeichnet (vgl. Brosius et al. 2009: 113). Kriterien für qualitative Interviews sind, dass diese mündlichpersönlich und in der Regel als Einzelbefragung geführt werden (vgl. Lamnek 2005: 346-350). Ein wichtiger Faktor in der qualitativen Interviewforschung ist die Art der Fragestellung. Es eignen sich vor allem offene Fragen, da diese den Vorteil haben, dass sie einen hohen Grad an Komplexität erlauben, viele Randbedingungen erfassen sowie dem Befragten ermöglichen, Aspekte zu nennen, die der Forscher noch nicht kennt (vgl. Brosius et al. 2009: 95). Vermieden werden sollen dagegen wertende oder aggressiv klingende Fragen, die Andeutung von Erwartungen und Fragen, die Scham- oder Schuldgefühle hervorrufen können (vgl. Kruse 2009: 67). Dies weist auf die besondere Bedeutung der Schaffung einer achtsamen Gesprächsatmosphäre hin. Von zentraler Bedeutung bei dieser Form der qualitativen Interviewmethode ist die Entwicklung des Leitfadens. Er muss gewährleisten, dass alle Themen, die der Forscher ansprechen will, enthalten sind und gleichzeitig die geforderte Offenheit erlauben. Die Themen des Leitfadens ergeben sich dabei aus der Fragestellung und werden aus der Theorie abgeleitet. Im Theoriekapitel (3.) dieser Arbeit wurde ausführlich die Betrachtung des Fotoreporters aus zwei theoriegeleiteten Perspektiven herausgearbeitet: einmal ausgehend vom Journalismuskontext, ein zweites Mal vom Konfliktkontext. Damit wird aufbauend auf der Forschungsmatrix (siehe Kapitel 3.4) zwischen zwei Betrachtungsweisen des Akteurs unterschieden: dem Fotoreporter als Kommunikator und als Konfliktakteur. Diese forschungsspezifische Konzeptionierung des Fotoreporters wurde als Grundlage für die thematische Erstellung des Interviewleitfadens genutzt.



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Tabelle 4: Themen für den Interviewleitfaden OBERKATEGORIE

1. JOURNALISMUSKONTEXT

UNTERKATEGORIE 1a) Berufliche Sozialisation der Fotoreporter 1b) Arbeitsroutinen / Fotojournalistische Arbeit im Allgemeinen

2a) Arbeit am Produktionsstandort Israel/Palästina

2b) Routinen im Konfliktkontext

2. KONFLIKTKONTEXT 2c) Persönliche Sozialisation im Konflikt

2d) Psychosoziale Dimension und bildethische Fragen

THEMEN FÜR LEITFADEN - Motivation zur (fotografischen) Arbeit - Ausbildung und Berufseinstieg - Besonderheit der fotografischer Arbeit - Konkrete Arbeitsbereiche - Art des Kontakts zu Redaktionen - Ablauf der (Nachrichten-) Produktion - Anwendung von Nachrichtenwerten - Thematisierung/Themensetzung - Erwartungen des Auftraggebers - Erwartungserwartung an das Publikum - Motivation zur Arbeit über Nahostkonflikt - Konkurrenzsituation im Feld - Kontakt zu anderen Fotoreportern - Beschreibung der Arbeitsrolle - Vor-/Nachbereitung von Assignments - Vermarktungsstrategien - Einfluss der Globalisierung des Marktes - Arbeit mit Stringern und Übersetzern - Reflexion der eigenen Rolle im Konflikt - Wahrnehmung durch andere Akteure - Umgang mit Zensur und Selbstzensur - Zugang zum Konfliktgebiet - Gender-Komponente der Arbeit - Zwang zu Positionierung im Konflikt - Erwartungen der Subjekte an Fotoreporter - Konflikterfahrung allgemein - Privates Lebensumfeld (Israel, Palästina, ...) - Grad der Involviertheit in Nahost-Konflikt - Spezifisches Konfliktwissen - Positionierung zu Konfliktnarrativen - Persönlicher Umgang mit Gewalterfahrung - Art der Copingstrategien - Rolle der Kamera bei der Arbeit - Umgang mit Gewalt im fotografischen Akt - Grenzen der fotojournalistischen Arbeit

Quelle: Eigene Darstellung

Zu den beiden Kategorien Journalismus- und Konfliktkontext wurden jeweils Untergruppen gebildet, um unterschiedliche thematische Bereiche in den Leitfaden aufnehmen zu können (siehe Tabelle 4). So fächert sich die Kategorie Journalismuskontext noch einmal in a) berufliche Sozialisation als Fotoreporter und b) Arbeitsroutinen und fotojournalistische Arbeit im Allgemeinen auf. In der Kategorie Konfliktkontext wurden die Untergruppen a) Arbeit am Produktionsstandort Israel/Palästina b) Routinen im Konflikt, c) persönliche (Konflikt-)Sozialisation und d)



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psychosoziale Dimension und bildethische Fragen gebildet. Für diese Themen wurden dann konkrete Fragestellungen für den Leitfaden entwickelt (Siehe Anhang). Pro Themenbereich gab es eine Leitfrage sowie eine Reihe von vorbereiteten Nachfragen und Aufrechterhaltungsfragen. Der Leitfaden wurde zuerst auf Deutsch erstellt und dann ins Englische übersetzt. Auf zwei weitere wichtige Aspekte der qualitativen kommunikationswissenschaftlichen Forschung weist Krotz hin: zum einen die Kennzeichnung der Forschung als offener Prozess, zum anderen als zirkulärer und multiperspektivischer Prozess (vgl. Krotz 2003: 248). Daraus erwächst der Anspruch an den Forscher, „das eigene Handeln, seine Voraussetzungen und seine Ergebnisse im Forschungsprozess ständig neu zu reflektieren“ (ebd.: 248). Dies bedeutet in der Praxis, dass die Schritte der Datenerhebung und der Datenauswertung in der Regel kaum voneinander zu trennen sind. Qualitatives Forschen in diesem Sinn ist „im Allgemeinen zirkulär, besser spiralförmig angelegt, weil es immer wieder, dann aber auf einer höheren Ebene, zu den Ausgangsannahmen zurückkehrt und sie reformuliert“ (ebd.: 249). Um Fehlerquellen auzuschließen wurde der in dieser Arbeit verwendete Interviewleitfaden einem Pretest unterzogen, für den zwei Fotoreporter befragt wurden. Davon ausgehend wurde der Leitfaden kleineren Modifikationen hinsichtlich der Themenzuordnung unterzogen. Die daraus entstandene Endversion wurde dann bei der Durchführung der Feldforschung in Israel und den palästinensischen Gebieten genutzt. Aber auch während der Feldforschungsphase ergaben sich immer wieder kleinere Modifikationen, die sich unter anderem durch das Wissen ergaben, das mit der Zeit über die Interviews gesammelt wurde, worin sich die Zirkularität des Forschungsprozesses zeigt. Da sich qualitative Leitfadeninterviews zwar hervorragend zur Erfassung sozialer Realität, aber weniger zur Erfassung von Daten eignen, wurde als weitere Methode ein Fragebogen hinzugenommen. Fragebogen erleichtern das gezielte Abfragen von Daten und ermöglichen gleichzeitig eine große Vergleichbarkeit. In dieser Arbeit wurde die Methode des Fragebogens genutzt, um soziografische Daten abzufragen. Erhoben wurden allgemeine Angaben zur Person sowie Daten zur Ausbildung, zum Arbeitsverhältnis, zum Einkommen, zum Status in der Konfliktregion, zu den Sprachkenntnissen, der Vernetzung, der Sicherheitsplanung sowie des Equipment. Den Fotoreportern wurde der Fragebogen im Anschluss an das Gespräch vorgelegt.

5.2 F ALLAUSWAHL

UND

S AMPLEKRITERIEN

Ziel der qualitativen Sozialforschung ist es, ein bestimmtes soziales Phänomen und seine spezifischen Wirklichkeitskonstruktionen ausgehend von seinen Merkmalen



166 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

phänomenologisch zu beschreiben. Dies hat Implikationen für die Auswahl der zu Befragenden. Dabei geht es nicht um eine „statistische Repräsentation“ sondern eine „qualitative Repräsentation“ (Kruse 2009: 79). Im Mittelpunkt stehen in der qualitativen Forschung laut Lamnek „Typisierungen bzw. Typologien, weshalb die Repräsentativität nicht so bedeutsam erscheint“ (Lamnek 2005: 384). Aber auch die qualitative Repräsentation soll auf eine gewisse Art und Weise einer Verallgemeinerung zugeführt werden, um die „Rekonstruktion eines bestimmten Falltyps über den untersuchten Fall hinweg“ (Kruse 2009: 79) möglich zu machen. Hierzu ist die Art und Weise der Fallauswahl von entscheidender Bedeutung: „Insofern muss in Hinsicht auf bestimmte Merkmalsausprägungen (wie zum Beispiel standarddemografische Merkmale) eine bewusste Fallauswahl getroffen werden.“ (Ebd.) Die Leistung besteht vor allem darin, die Heterogenität des Untersuchungsfeldes qualitativ abbilden zu können. Eine gute Möglichkeit diesbezüglich wird mit dem Begriff des theoretical sampling (vgl. Lamnek 2005: 384) umschrieben, was eine Abkehr vom Prinzip der Zufallsstichprobe bedeutet, die vor allem in der quantitativen Forschung handlungs- und forschungsleitend ist. Im Bilden bestimmter theoretischer Typologien im Vorhinein besteht jedoch die Gefahr der Verzerrung. Dies weist auf das Paradoxon hin, dass das, was die methodologische Idealvorstellung ist, nämlich „ohne theoretisches Vorverständnis ein qualitatives Interview zu beginnen, nur sehr bedingt realisierbar ist“ (ebd.: 385), da ein gewisses Feldwissen notwendig ist, um überhaupt eine erste Typologisierung für das Sampling bilden zu können. Um eine gewisse Repräsentation der Heterogenität des untersuchten Feldes zu gewährleisten, kann das Prinzip der maximalen strukturellen Variation angewandt werden, das besagt, „dass die Heterogenität des Untersuchungsfeldes dann relativ gut in der Fallauswahl repräsentiert ist, wenn sich die Fälle selbst maximal voneinander unterscheiden in Hinsicht auf bestimmter Merkmale“ (Kruse 2009: 80). Dieses Prinzip kann entweder durch eine theoretisch begründete Vorabfestlegung des Samples oder durch ein Sampling im Verlauf des Datenerhebungsprozesses erreicht werden. Welche Art des Sampling vorgenommen wird, hängt vor allem vom Untersuchungsgegenstand und vom vorhandenen Vorwissen über das spezifische Feld ab. Um mit dieser Arbeit die Heterogenität des fotojournalistischen Berufsfeldes in Israel und den besetzen palästinensischen Gebieten untersuchen zu können, folgt diese Arbeit bei der Fallauswahl dem Prinzip der maximalen strukturellen Variation. Eine bestimmte Kombination aus soziodemografischen und berufsspezifischen Faktoren wurde zu Grunde gelegt, um die Fotoreporter im Forschungsfeld zu beschreiben und eine möglichst große Varianz in der Typologie zu gewährleisten. Damit fiel die Entscheidung für eine Theorie gestützte Vorabfestlegung des Sample (siehe Tabelle 5). Der Fokus wurde auf Fotoreporter gelegt, die innerhalb des Nahostkonflikts fotojournalistisch für den internationalen Bildermarkt tätig und damit

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der Auslandsberichterstattung zuzurechnen sind. Zur genaueren Bestimmung dieser Gruppe wurde zunächst die von Hamilton und Jenner (2004) entwickelte Typologie der Auslandskorrespondenten zu Hilfe genommen und zwischen traditional foreign correspondent, parachute correspondent und foreign foreign correspondents unterschieden. Diese Typen wurden mit der Herkunft bzw. ethno-nationalen Zugehörigkeit der Fotoreporter verbunden. Tabelle 5: Übersicht der Samplekategorien HERKUNFT Lokale Fotoreporter Foreign foreign correspondents Israel

Palästina

Internationale Fotoreporter Traditional foreign correspondents

Parachute correspondents

Staffer ArbeitsVerhältnis

Stringer Freelancer

Arbeitgeber (Agentur), Geschlecht und Berufsalter als weitere Variablen

Quelle: Eigene Darstellung

Dabei wurde als Erstes zwischen internationalen Fotoreportern, denen die Typen traditional foreign correspondent und parachute correspondent zugeschrieben wurden, und lokalen Fotoreportern als foreign foreign correspondents unterschieden. Die lokalen Fotoreporter wurden dann noch einmal bezüglich ihrer ethnonationalen Zugehörigkeit in jüdische Israelis und Palästinenser unterschieden. Eine weitere Unterscheidung wurde hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse bzw. der Arbeitsrolle der Fotoreporter nach Staffer, Stringer und Freelancer getroffen. Innerhalb der einzelnen Kategorien wurden die Agenturzugehörigkeit, das Geschlecht sowie das Berufsalter der Fotoreporter als weitere Variablen dazugenommen, um die Breite des Feldes darstellen zu können. Mit der theoretischen Vorabfestlegung des Sample, angelehnt an theoretisch hergeleitete Kategorien, sollte damit eine qualitative Repräsentation des Feldes ermöglicht werden. Für die Frage, ob Fotografen sich als Forschungssubjekte für die vorliegende Arbeit qualifizierten, war die Erfüllung einiger Bedingungen von Bedeutung. Die zentralen Kriterien waren, ob die Fotografen zum einen fotojournalistisch handeln und sich zum anderen selbst als Fotojournalist oder Fotoreporter bezeichnen. Darüber hinaus war die professionelle Produktion von Bildmaterial für den internatio-



168 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

nalen Markt von Bedeutung. Zweitrangig waren dagegen die Form der Vermarktung der Produkte und der Zeitpunkt der Publikation. So fand die Bestimmung der Forschungssubjekte nicht ausgehend von der Analyse bestimmter Produkte, sondern ausgehend von der Frage statt, wer zum Zeitpunkt der Forschung in den Jahren 2011 und 2012 fotojournalistisch am Produktionsstandort Israel/Palästina tätig war. Kein ausschlaggebendes Kriterium war, ob die Fotoreporter alleine von der Publikation für den internationalen Markt leben können. Mit diesem Kriterium konnten auch Fotoreporter erfasst werden, die sowohl im lokalen wie im internationalen Markt verankert sind. Die pragmatische Handhabung der Frage, welcher Fotograf als ein professioneller Fotoreporter einzuschätzen ist, trägt dem im Kapitel Fotojournalismus diskutierten Umstand Rechnung, dass es keine geschützte Berufsbezeichnung Fotojournalist gibt. Ein Ausschluss bestimmter Gruppen aufgrund einer zu engen Festlegung hätte zu einer qualitativen Reduzierung des Samples geführt und relevante Akteure in diesem Feld unberücksichtigt gelassen.

5.3 Z UGANG

ZUM

F ELD

UND I NTERVIEWSETTING

Der Zugang zum Feld bzw. die Auswahl der sozialen Akteure, die als Repräsentanten für bestimmte Typologien stehen, kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen und hängt von den Zugangsmöglichkeiten und dem Vorwissen über den zu untersuchenden Gegenstand ab. Eine Möglichkeit ist, durch Recherche direkt bestimmte Akteure herauszufiltern und anzusprechen. Durch das Abarbeiten vorher definierter Samplekriterien kann damit das Prinzip der maximalen strukturellen Variation in die Praxis umgesetzt werden. Eine weitere Möglichkeit der Ansprache von Interviewpartnern ist theoretisch das Schneeballsystem. Dies bedeutet, dass der Interviewer von seinen Interviewpartner neue Kontakte bekommt und damit Schritt für Schritt zu einem größeren Kreis von Forschungssubjekten kommt. Die Gefahr, wenn das Sample sich allein auf das Schneeballsystem stützt, besteht darin, dass damit auf schon bestehende Netzwerkstrukuren der Forschungssubjekte zurückgegriffen wird und diese reproduziert werden. Damit unterliegt die Forschung der Gefahr eines Bias. Begegnet werden kann dieser Gefahr durch eine Kombination unterschiedlicher Zugänge zum Feld, wie im Fall dieser Arbeit. Der Zugang zu den Forschungssubjekten für diese Arbeit erfolgte auf mehreren Ebenen. In einem ersten Schritt wurden Schlüsselpersonen identifiziert, die das Berufsfeld aufgrund der Arbeit für Agenturen oder der Ausbildung von Fotografen kennen. Sie ermöglichten dem Autor den Zugang zu mehreren der vorgestellten Typen von Fotoreportern. Darüber hinaus nutzte der Autor schon bestehende Kontakte in die Region. Über diese Personen konnte der Kontakt zur eigentlichen Zielgruppe hergestellt werden. Daneben wurde eine gezielte Internetrecherche betrie-



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ben. Hilfreich zur Identifikation von in der Region tätigen Fotoreportern waren das Fotografenportal „Lightstalkers“ sowie Datenbanken von Bildagenturen und Fotowettbewerben. Auch das Mitgliederverzeichnis der FPA wurde nach Fotoreportern der internationalen Agenturen untersucht. Alle diese Informationen flossen in eine Liste von in der Region tätigen Fotoreportern, die dann gezielt abgearbeitet wurde. In einer Mischung aus direkter Ansprache und Schneeballprinzip konnten so Repräsentanten für die einzelnen Typen des Samples gefunden werden. Generell gestaltete sich der Zugang zum Feld als erstaunlich einfach. Die guten Einstiegskontakte ermöglichten es dem Autor, schnell Kontakt zu den Fotoreportern aufnehmen zu können, die in der Regel gerne zu einem Interview bereit waren. Nach einer Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail wurden Interviewtermine vereinbart. Die Gespräche dauerten zwischen 25 und 110 Minuten, im Durchschnitt ca. 90 Minuten. Die eigentliche Datenerhebung verlief zweistufig und umfasste das leitfadengestützte Interview und einen Fragebogen zum Ausfüllen. Der Großteil der Interviews fand bei persönlichen Treffen statt. Nur die Interviews mit palästinensischen Fotoreportern aus dem Gazastreifen wurden mit Hilfe der Software Skype in Form von Videokonferenzen geführt, da der Autor keine Zugangsmöglichkeiten zum Gazastreifen hatte. Die meisten der Face-to-Face Gespräche fanden an öffentlichen Orten wie Cafés statt. Das Angebot, die Gespräche in einem geschützten Setting durchzuführen, wurde meist abgelehnt. Nur zwei Gespräche fanden in den Redaktionsräumen von Agenturen statt. Zu Beginn des Interviews wurde den Fotoreportern der Zweck des Forschungsvorhabens dargelegt. Am Ende der Interviews wurden sie gefragt, ob sie einer namentlichen Verwendung des Datenmaterials zustimmen oder eine Anonymisierung vorziehen. Wie bereits erwähnt, wird eine Interviewsituation künstlich hergestellt und dient „allein dem Zweck der Datenerhebung“ (Brosius et al. 2009: 126). Der Befragte ist hier das Subjekt der Forschung und seine Informationen stellen für den Forscher die zentrale Ressource dar. Dies ist der Ausgangspunkt für die fundamentale Asymmetrie, die in der Interviewforschung zwischen Befragtem und Forscher besteht. Die Asymmetrie wird jedoch zum Teil dadurch aufgehoben, dass „das zu erkennen gegebene Interesse [...] für den Erzählenden eine positive Sanktion (ist), die er willkommen als Stimulans für deren Fortsetzung betrachtet“ (Lamnek 2005: 355). Auch die prinzipielle Offenheit der Interviewsituation mildert insbesondere bei Leitfadeninterviews die Asymmetrie zwischen Befragtem und Forscher. Im Idealfall sind die Interessen und Bedürfnisse von Befragtem und Interviewer „reziprok und können befriedigt werden und beide Parteien wollen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – das Interview: der Befragte teilt sich mit, der Forscher erhebt Daten (Information)“ (ebd.: 388). Der Interviewer muss in der Situation „durch seine Persönlichkeit und sein Verhalten eine permissive, offene Atmosphäre schaffen und den zu Befragenden (wenn



170 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

möglich ohne direkte Aufforderung) zum reden bringen“ (Lamnek 2005: 354). Dem Autor wurde dies in seiner Feldforschung dadurch erleichtert, dass er mit seinen Gesprächspartnern die Leidenschaft für die Fotografie teilt und damit Anknüpfungspunkte für eine Diskussion gegeben waren. Als positiv für die Interviewsituationen wirkte sich des Weiteren aus, dass der Autor aufgrund seines Fotografiestudiums und der praktischen Kenntnisse des Feldes von den Fotoreportern trotz des wissenschaftlichen Charakters des Projekts als Kollege angesehen wurde. Die Interviewten konnten somit ohne Probleme berufsspezifische Fachwörter benutzen, ohne dass diese einer Erklärung bedurft hätten. Ein zentrales Problem bei der Durchführung von Interviews wird mit sozialer Erwünschtheit umschrieben: „Auslöser für dieses Phänomen ist die Tatsache, dass Befragte nur ungern eine sozial nicht akzeptierte Meinung äußern, mit der sie sich gegenüber der (vermuteten!) Mehrheitsmeinung isolieren“ (Brosius et al. 2009: 100). Dieses Problem findet sich insbesondere dort, wo es um normative Fragestellungen geht. Laut Brosius/Koschel/Haas besteht die Schwierigkeit darin, „dass `die` Gesellschaft einerseits sozial konformes Verhalten erwartet, der Kommunikationsforscher andererseits keine angepasste, sondern die wahre Einstellung der Menschen erfragen will“ (ebd.: 100). So stimmen Auskunft und tatsächliches Verhalten oft nicht überein (vgl. ebd.: 133). Dem ließe sich jedoch entgegnen, dass die qualitative Sozialforschung per se immer mit sozial konstruierter Wirklichkeit zu tun hat. So lassen sich Effekte sozialer Erwünschtheit nicht vollständig vermeiden. Durch die Art der Fragestellung kann ihr Einfluss jedoch minimiert werden (vgl. ebd.: 101) und durch das Kriterium der intersubjektiven Überprüfbarkeit kann der Prozess transparent gemacht werden.

5.4 F ORSCHUNG

IN INTERKULTURELLEN UND KONFLIKT HALTIGEN K ONTEXTEN

Die Durchführung einer Feldforschung in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten bedeutet nicht nur die Forschung in einem Fremdsprachenkontext, sondern auch innerhalb eines politischen Konflikts. Dies stellt den Forschungsprozess vor besondere Herausforderungen. In der Debatte um den Umgang der westlichen Industrienationen mit dem globalen Süden sind auch die Disziplinen der Sozialforschung und ihre Praxis in den Blick der Wissenschaftskritik geraten. Dabei stehen Fragen „over power relations between the researcher and the researched, and the dominance of Westerners as researchers of ‚other‘ people’s cultures“ (Scheyvens/Storey 2003: 3) im Mittelpunkt. Die Dominanz westlicher Forscher im Feld hat eine „crisis of legitimacy“ hervorgerufen, „affecting both male and female researchers from Western countries who have been forced to reconsider their role in



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the research process in Third Wolrd contexts in recent years“ (ebd.). Dieser Rollenreflexion soll hier Rechnung getragen werden. Vor allem das dem qualitativen Forschungsprozess innewohnende Problem des Fremdverstehens bekommt in fremdsprachlichen Kontexten Bedeutung. Denn was in einem kulturellen Kontext sinnbehaftet ist, mag in einem anderen Kontext widersinnig erscheinen. Im Idealfall sollte qualitative Interviewforschung deswegen immer in der Muttersprache des Befragten durchgeführt werden (vgl. Kruse 2009: 122). Dies hat den Vorteil, dass „dies in nachvollziehbarer Weise die Einfachheit und Ergiebigkeit der Thematisierung fördert und einen freien und flüssigen Ausdruck ermöglicht“ (ebd.: 122). Das bedeutet jedoch in den meisten Fällen, dass sich der Forscher eine Fremdsprache neu aneignen muss oder auf die Hilfe eines Dolmetschers zurückgreifen muss. Eine Alternative besteht darin, sich auf eine dritte, von allen beherrschte Sprache zu verständigen. Dies hat natürlich den Nachteil, dass sich sowohl der Befragte wie der Forscher in einer Sprache verständigen müssen, die nicht ihre Muttersprache ist. Hierin steckt gleichzeitig jedoch eine Chance, „sich außerhalb der gewohnten idiomatischen Systeme seiner Muttersprache auszudrücken“ (ebd.: 123) und damit Distanz zum Thema der Befragung zu bekommen. In jedem Fall „muss der Interviewer die Frageformulierung dem jeweils in der Befragungssituation verwendeten Sprachcode anpassen“ (Lamnek 2005: 352). Für die Forschung am Produktionsstandort Israel/Palästina erwies sich Englisch als das Mittel der Wahl. Da die befragten Fotoreporter alle für den internationalen Bildermarkt arbeiten, konnte eine gewisse Kenntnis des Englischen vorausgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Kenntnisse szenetypischer Begriffe. Darüber hinaus ist vor allem in Israel Englisch weit verbreitet. Problematischer als gedacht erwiesen sich die Englischkenntnisse auf Seiten der Palästinenser. Waren auf Seiten der israelischen und der internationalen Gesprächspartnern bei allen ausreichen gute Englischkenntnisse vorhanden, so mussten aufgrund mangelhafter Englischkenntnisse zwei Interviews mit Palästinensern mit Übersetzern geführt werden. Auch die schon angesprochene Asymmetrie zwischen dem Forscher und dem Befragten kann sich in der Forschung in interkulturellen Kontexten noch verstärken. Machtunterschiede existieren auf zwei Ebenen: „real differences associated with access to money, education and other ressources, and perceived differences which exist in the minds of those participants“ (Scheyvens/Storey 2003: 149). Dabei gibt es bestimmte Faktoren auf Seiten des Interviewers, wie das Auftreten im Feld, die Kleidung, die Gestaltung der Interviewsituation etc., die kontrollier- und veränderbar sind. Nichtkontrollierbare Faktoren sind dagegen beispielsweise Einkommenssituation, Bildung, Geschlecht, Größe und Hautfarbe (vgl. Scheyvens/ Storey 2003: 150). Die einzelnen Faktoren können sich dabei gegenseitig potenzieren. Bezogen auf das Forschungsfeld Israel/Palästina wird die Situation dadurch vereinfacht, dass Ausländer in vielen unterschiedlichen Rollen zum Alltag gehören.

172 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

Und insbesondere der Fotojournalismus in der Region zeichnet sich dadurch aus, dass die Kooperation zwischen lokalen und internationalen Fotoreportern zum Alltag gehört. Grundsätzlich ist das Problem, dass die Feldforschung auch immer einen Prozess der Wissensproduktion bedeutet. Aus einer Nord-Süd-Perspektive ist es oft wie im Fall dieser Arbeit der weiße, europäisch sozialisierte Forscher, der Feldforschung in Konfliktregionen und Ländern des globalen Südens betreibt und mit seinem Wissen dann beispielsweise zurück nach Deutschland geht. Dem wurde von Seiten des Autors dadurch begegnet, dass der Autor in Kooperation mit dem Goethe-Institut zwei Jahre nach der Feldforschung erneut in die Region gereist ist, um Teilergebnisse der Arbeit öffentlich zu diskutieren und damit einen Wissenstransfer herzustellen. Eine Kooperation mit der „Hebrew-University“ ermöglichte des Weiteren eine Diskussion des Themas mit der lokalen kommunikationswissenschaftlichen Fachöffentlichkeit. Auch die Beschaffenheit des Konflikts hat – ob gewollt oder nicht – einen zentralen Einfluss auf die Forschung. So heißt es bei Scheyvens, dass selbst wenn „you are not going to an area to study conflict, violence or a dissident group, you may accidentally find yourself in the wrong place at the wrong time“ (ebd.: 164). Nur zwei der Aspekte sind dabei die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit des Forschers, für die besondere Vorkehrungen getroffen werden müssen. Ein nicht minder wichtiger Aspekt ist die Stellung, die der Forscher als externer Akteur im Konflikt hat, und sein möglicher Einfluss auf die Gesprächssituation. In der Regel befindet sich der Forscher in einer privilegierten Position, beispielsweise aufgrund des Zugangs zum Feld und der Bewegungsfreiheit, die er in einem KonfliktKontext genießt: „as researchers we are the privileged ones in that we can choose when to come and go“ (ebd.: 235). Insbesondere im Kontext des israelischpalästinensischen Konflikts ist dies ein entscheidender Faktor, verfügen doch Menschen mit einem internationalen Pass über die größte Bewegungsfreiheit. Hier besteht eine fundamentale Asymmetrie zwischen dem Forscher, auch dem Autor dieser Arbeit, und den lokalen Fotoreportern, insbesondere den Palästinensern. Verstärkt wurde sie dadurch, dass sich der Autor dafür entschied, für den Zeitpunkt der Feldforschung seinen Lebensmittelpunkt nach Tel Aviv und damit in die „Comfort-Zone“ zu verlagern. Dies ermöglichte jedoch umgekehrt einen gewissen Abstand zum Forschungsgegenstand zu erlangen. All diese Überlegungen bedeuten für die fremdsprachliche und interkulturelle Forschung in Konflikten, dass der Forscher sich ethnografisches Wissen (Deppermann 2008: 87) über den anderen Kulturraum, den spezifischen sozialen Kontext sowie den Konflikt im Vorhinein aneignen muss, um sowohl die Art und Weise der Fragestellung – selbst wenn in einer dritten Sprache ausgeführt – als auch eine Anpassung der Gesprächssituation an die lokalen Kontexte vornehmen zu



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können. Dieses Wissen ist auch für die spätere Analyse hilfreich. Die für diese Arbeit benutzte Methode der qualitativen Leitfadeninterviews bietet viele Möglichkeiten, den Frage- und Interviewprozess flexibel zu gestalten. Das ethnographische Wissen kann der Forscher zum Beispiel durch eine Beobachtung des Feldes erlangen. Das ethnographische Wissen erlangte der Autor durch vorherige Forschungsaufenthalte in der Region. Im Winter 2006/2007 verbrachte er einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in der Region. Während dieser Zeit bereiste er sehr intensiv Israel und die Westbank und fertigte eigene fotografische Arbeiten an.2 Darüber hinaus verfügt der Autor aufgrund seiner Sozialisation als Fotograf über Detailkenntnisse des Berufsfeldes und damit über beste Vorausetzungen, um auf Augenhöhe mit den Fotoreportern kommunizieren zu können. Während der Zeit der Feldforschung war der Autor Teil der Fotojournalismusszene in Israel. Dies ermöglichte, auch über die konkreten Interviewtermine hinaus den Kontakt zu Fotoreportern, beispielsweise bei öffentlichen Veranstaltungen oder Ausstellungen, zu pflegen. Zu diesen Anlässen ergab sich auch immer wieder die Möglichkeit, erste Erkenntnisse zu thematisieren und im Sinne einer Feldbeobachtung das ethnografische Wissen zu erweitern.

5.5 S CHWIERIGKEITEN

IM

F ORSCHUNGSPROZESS

Bereits bei der Recherche der Zielgruppe vor Beginn des Feldforschungsaufenthaltes wurde ein strukturelles Problem deutlich. Während eine einfache Internetrecherche eine Fülle internationaler und israelischer Fotografen zu Tage brachte, waren es auf palästinensischer Seite nur wenige. Viele von ihnen verfügen als Staffer oder Stringer internationaler Agenturen nicht über eigene Webseiten. Auch die Praxis vieler Medien, nur den Agenturnamen als Bildquelle zu nennen, war ein Faktor, der die Bestimmung palästinensischer Fotoreporter erschwerte. So brach der Forscher mit einer limitierten Vorstellung ins Feld auf, was die Grundgesamtheit angeht, aus der die Forschungssubjekte für das Sample ausgewählt wurden. Diese musste vom Autor durch erhöhte Sensibilität für das Feld palästinensischer Fotografen und intensive Recherchen vor Ort ausgeglichen werden. Die eigentliche Feldforschung verlief ohne größere Probleme ab. Es gab jedoch einige Faktoren, die sich im Lauf der Zeit als hinderlich herausstellten. Insbesondere aus einer organisatorischen Perspektive stellten die knappen Zeitressourcen der Fotoreporter – vor allem auf Seiten der Agenturfotografen – einen Nachteil dar. Auch wenn es eine generelle Gesprächsbereitschaft vieler Fotoreporter gab, kamen

 2

Ein Ergebnis war z.B. die mit dem Netzwerk Friedenskooperative herausgegebene Zeitung „Kontext Nahost“.



174 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

viele Termine nur spontan zu Stande oder wurden aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage mehrmals verschoben. So war eine langfristige Planung nur schwer möglich, was den Prozess in die Länge zog. Was die Frage der Anonymisierung angeht, so waren die meisten Fotoreporter damit einverstanden, ihre Aussagen mit ihrem Namen in dieser Arbeit veröffentlicht zu sehen. Nur ein Fotoreporter zog eine vorher erteilte Genehmigung zur namentlichen Verwendung von Aussagen im Nachhinein zurück. Als Begründung wurde Angst vor möglichen negativen Konsequenzen bei der Beantragung eines israelischen Presseausweises genannt. Ein amerikanischer Fotoreporter bestand von vorneherein auf einer Anonymisierung, da er befürchtete, eine Verbindung seines Namen mit seinem jüdischen Glauben könnte seine Arbeit in Ägypten und anderen arabischen Ländern torpedieren, die ihm sein amerikanischer Pass ermöglicht. Diesen Wünschen wurden selbstverständlich entsprochen. Die einzige Gruppe, zu der sich der Zugang schwierig gestaltete, waren Angestellte der internationalen Nachrichtenagenturen AP und Reuters. Während die Angestellten von EPA und AFP ohne Absprache mit Vorgesetzten zu Gesprächen, auch ohne Anonymisierung, bereit waren, war dies ihren Kollegen von AP und Reuters nicht möglich. Anfragen der Fotoreporter von AP und Reuters bei ihren Vorgesetzten wurden grundsätzlich negativ beschieden. Auch ein Versuch des Autors, beispielsweise direkt über das Kontaktieren der Reuters-Zentrale in London eine Interviewerlaubnis einzuholen, verlief im Sande. Interviews mit Fotoreportern dieser Agenturen konnten somit nur unter Zusicherung der völligen Anonymität oder mit ehemaligen Mitarbeitern geführt werden. Aus diesen Gesprächen war herauszulesen, dass der Grund für die ablehnende Haltung der Agenturen in der großen Sensibilität zu sehen ist, welches das Thema Nahostkonflikt international verzeichnet. So sind vor allem AP und Reuters immer wieder in der Kritik proisraelischer Media-Watchdog-Gruppen und vermeiden alles, was ihrer Arbeit weitere Aufmerksamkeit schenken könnte. Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Projekte, in denen die Arbeit von Fotoreportern der Agenturen gezeigt werden darf, wie z. B. im 2011 erschienenen Dokumentarfilm „Deadline every second“ (Kobre 2011). Es ist davon auszugehen, dass hier das Eigeninteresse der Agentur an Selbstdarstellung groß genug war, um eine Kooperation einzugehen.

5.6 D ATENERFASSUNG I NHALTSANALYSE

UND QUALITATIVE

Im Prozess des qualitativen Forschen ist eine wichtige Unterscheidung zwischen der Datenerhebung und der Datenerfassung zu treffen, die beide konstitutiv für den Forschungsprozess und die Interpretation der Daten sind: „Erst aufgrund der Ergeb-



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nisse der Datenerhebung kommt der Forscher durch Techniken der Interpretation zu typisierenden Aussagen und über diese zu theoretischen Konzepten über Konstellationen der sozialen Wirklichkeit.“ (Lamnek 2005: 347) Alle für diese Arbeit Interviewten willigten ein, die Interviews digital aufzuzeichnen, um sie danach einer Verschriftlichung zuführen zu können. Die Datenerfassung erwies sich somit als weitgehend problemlos und alle Audiodateien hatten eine ausreichend gute Qualität, um die Gesprächsverläufe einwandfrei nachvollziehen zu können. Damit waren die Daten für den weiteren qualitativen Forschungsprozess gesichert und standen einer intersubjektiven Überprüfbarkeit offen. In einem nächsten Schritt wurden die Interviews im Zuge der Datenerhebung einer Verschriftlichung mit Hilfe der Transkriptionssoftware F5 zugeführt. Die beiden mit Übersetzern geführten Interviews auf Arabisch wurden von arabischen Muttersprachlern transkribiert und anschließend übersetzt. Alle anderen Interviews wurden in der Sprache verschriftlicht, in der sie geführt wurden. Das Ergebnis der Transkription waren ca. 850 Seiten Text, die einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen wurden. Die qualitative Inhaltsanalyse ist als eine systematische Form der Interpretation eines Textes zu definieren, mit dem Ziel, das Datenmaterial zu „verdichte(n) und auf seine je thematisch relevanten Kerne“ (Krotz 2003: 254) zu reduzieren. Auf dieser Grundlage können dann Aussagen zur Beschreibung des spezifischen sozialen Feldes der Untersuchung getroffen werden. Dabei lassen sich drei Grundformen des Interpretierens unterscheiden: Die Zusammenfassung, die Explikation und die Strukturierung (vgl. Mayring 2008: 58). Bei der Zusammenfassung geht es um eine Reduktion des Materials durch Abstraktion unter Beibehaltung der wesentlichen Inhalte. Die Explikation hat zum Ziel, unter Einbeziehung des Kontextes relevante Textstellen zu erklären. Dabei lässt sich weiter zwischen enger und weiter Kontextanalyse unterscheiden (ebd.). Ziel der Strukturierung ist die Ordnung des Materials nach bestimmten formalen Kriterien, um damit einen besseren Überblick zu bekommen. Eine Strukturierung kann z. B. nach formalen, inhaltlichen oder typisierenden Kriterien erfolgen. In der Regel zeichnet sich eine qualitative Inhaltsanalyse durch eine Kombination der hier beschriebenen Grundformen aus. Die konkrete Analyse der Texte für diese Arbeit wurde mehrstufig angegangen. Zuerst wurden die Texte ein Mal grob gelesen und mit Anmerkungen versehen, die sich aus dem deduktiven Erkennen relevanter Sachverhalte ergaben. Danach wurden die Texte ein zweites Mal mit Hilfe eines aus dem Interviewleitfaden entwickelten Kodierleitfadens gelesen. Die so bearbeiteten Texte bildeten die Basis für die qualitative Inhaltsanalyse. Der Autor entschied sich bei der Auswertung aufgrund persönlicher Präferenzen für ein visuelles Vorgehen auf manueller Basis und gegen die Arbeit mit einer Computersoftware. Nach der Kodierung der einzelnen Interviews wurde pro Interview ein Mindmap erstellt, das alle relevanten in einem Interview kodierten Begriffe enthielt. Davon ausgehend wurden zur Strukturierung des

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Materials thematische Mindmaps erstellt, die Hinweise auf diejenigen Interviews enthielten, in denen die entsprechenden Begriffe vorkamen. Diese wurden dann wiederum thematisch zusammengefasst und bildeten die Grundlage der Kapitelstruktur dieser Arbeit. Für die Interpretation und Explikation der aus der Empirie gewonnen Daten wurde auf die Experteninterviews und Sekundärliteratur zurückgegriffen. Eine Herausforderung bei der Anwendung qualitativer Interviews besteht in der Validierung der Aussagen der Interviewpartner. Vorsicht ist geboten, da über die Faktoren der sozialen Erwünschtheit hinaus die Richtigkeit der Aussagen überprüft werden muss. Denn zuerst einmal handelt es sich bei diesen um subjektive Aussagen Einzelner. Diese Überprüfung kann z. B. durch die Hinzuziehung einer anderen Methode – auch Triangulation genannt – gewährleistet werden, um durch die Betrachtung eines Forschungsgegenstandes von mindestens zwei Punkten aus eine umfassende Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand zu erhalten (Flick 2003: 161). In der Kommunikatorforschung werden Interviews oft mit einer Inhaltsanalyse der journalistischen Produkte gespiegelt, also beispielsweise einer Bildanalyse. Problematisch daran ist, dass damit auch ein neuer Forschungsgegenstand dazukommt und methodische Folgeprobleme entstehen können. Ein anderes Hilfsmittel ist die Suche nach Häufungen und Querverweisen innerhalb der Interviews. Auch die Hinzunahme von Sekundärliteratur, in der ähnliche Phänomene beschrieben werden, kann eine Validierung erlauben. Weitere Möglichkeiten stellen die Hinzuziehung von Experteninterviews und die Einschätzung der Informationen über das gesammelte ethnographische Wissen dar, wie es in dieser Arbeit geschehen ist. Zu beachten ist, dass für das primäre Ziel dieser Arbeit, die Vielfalt fotojournalistischer Ansätze im Feld qualitativ zu beschreiben, Fragen der Repräsentation eine geringere Bedeutung zukommt.

5.7 S AMPLE

UND

B ESCHREIBUNG

DES

D ATENSATZES

Im folgenden Kapitel soll der Blick auf das dieser Arbeit zugrunde liegende Sample gelenkt sowie die über die Fragebögen erhobenen Daten vorgestellt werden. Das Sample dieser Arbeit besteht aus 40 Interviews mit Fotoreportern, von denen die überwiegende Mehrzahl in den Jahren 2010 und 2011 in Israel und den palästinensischen Gebieten gearbeitet hat. Da ein Interview mit einem Fotografenpaar stattfand, ergibt sich die Anzahl von 41 interviewten Fotoreportern.3 Das Sample stellt

 3

Andrea&Magda sind ein Paar, das sich unter diesem Namen als Fotografenkollektiv vermarktet. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die beiden als ein Interview gezählt, wenn es um die Anzahl der Interviews geht. Wenn es um spezifische Fragestellungen



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eine qualitative Repräsentation des Feldes dar, weil Vertreter aller relevanten Gruppen innerhalb des Berufsfelds interviewt werden konnten. Innerhalb des Sample wurde auf eine ausgewogene Verteilung der Faktoren Berufsalter, Geschlecht, Agenturen und Herkunft geachtet. Die Varianz innerhalb dieser Faktoren ist ausreichend groß, um die Vielfalt des Feldes qualitativ abbilden zu können, gleichzeitig jedoch noch eine qualitative Bearbeitung des Datenmaterials möglich zu machen. Tabelle 6: Sample der Untersuchung HERKUNFT Lokale Fotoreporter

Internationale Fotoreporter Traditional foreign correspondents

Staffer (Agentur)

I

MM MM

MM M

M

M

-

-

MW

-

11

Stringer (Agentur)

G

MW

MM

-

M

-

-

WW

-

7

Freelancer

WB

Gesamt

MM MM

M

MW

-

W M(W)

M

MM WW

MMM

17(18)

Staffer (Medium)

I

Parachutist correspondent

MM MW

-

-

M

-

-

5

Gesamt

ARBEITSVERHÄLTNIS

I

Foreign foreign correspondents Palästina WB G

14

12

14 (15)

40 (41)

M = 31, W= 9 (10) / G=Gaza, I=Israel, WB=Westbank

Quelle: Eigene Darstellung

Unter der Gesamtzahl der befragten Fotoreporter sind 14 Israelis, 12 Palästinenser und 14 (15) Internationale. Das Verhältnis von Lokalen, den foreign foreign cor-

 geht wird zum Teil einer der beiden zitiert. Die Version mit einer Person mehr in Klammer soll dies deutlich machen.



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respondents, und den Internationalen, den traditional foreign correspondents und den parachutist correspondents ist damit 2 zu 3. Von den 12 befragten Palästinensern stammen sechs aus der Westbank, drei aus dem Gazastreifen und drei aus Israel. Die in der Westbank und in Gaza lebenden Palästinenser verfügen über keine israelische ID. Von den in Israel lebenden haben zwei eine Jerusalem ID. Von den 14 (15) befragten internationalen Fotoreportern waren 11 (12) traditional foreign correspondents. Drei der interviewten internationalen Fotoreporter kamen als klassische parachutist correspondents für ein oder mehrere Assignments bzw. Projekte in die Region. Unter den internationalen Fotoreportern sind fünf verschiedene Nationalitäten vertreten: deutsch, französisch, italienisch, jordanisch und usamerikanisch. Was das Arbeitsverhältnis der Fotoreporter im Sample angeht, stellen die größte für diese Arbeit befragte Gruppe die Freelancer dar. Insgesamt wurden 17 (18) Freelancer befragt, von denen der größte Anteil internationale Fotoreporter sind. Die zweitgrößte Gruppe sind mit 11 Fotoreportern die Staffer internationaler Agenturen. Hier stellen die lokalen israelischen und palästinensischen Fotoreporter den größten Anteil dar. Die beiden kleinsten Gruppen im Sample stellen Stringer sowie Staffer lokaler Medien dar. In beiden Gruppen finden sich ausschließlich lokale Fotoreporter. Im Sample sind Angestellte aller wichtigen Nachrichtenagenturen vertreten, sowohl der Wire als auch der Non-Wire. Aus dem Bereich der Wire konnten Fotoreporter von AP, AFP, EPA und Reuters interviewt werden. Von den Non-Wire wurden Gespräche mit Angestellten von „Getty Images“, „Itar-Tass“, „SIPA Press“ und „Xinhua“ geführt (siehe Tabelle 3). Bei den im Dokumentarfotobereich tätigen Fotoreportern wurde ebenfalls darauf geachtet, dass Mitglieder verschiedener Fotografenagenturen im Sample vertreten sind. So finden sich Fotografen, die von den Fotografen- und Bildagenturen „laif“, „Polaris“ und „Panos Pictures“ vertreten werden. Darüber hinaus wurden Mitglieder der lokalen israelischen Agentur „Flash 90“, des Fotografenkollektivs „Activestills“ sowie der Agentur „APA Images“ aus dem Gazastreifen interviewt. Damit sind im Sample Vertreter aller wichtigen Akteure des Produktionsstandortes Israel/Palästina vertreten. Das Altersspektrum der befragten Fotoreporter deckt vier Jahrzehnte und somit mehr als zwei Generationen ab (siehe Tabelle 8). Der älteste Fotoreporter war 60 Jahre alt, der Jüngste 23. Im engem Bezug zum Alter steht auch das Berufsalter. So sind die interviewten Fotoreporter zwischen zwei und 25 Jahren als professionelle Fotoreporter im Feld tätig, die meisten von ihnen ähnlich lang auch in der Konfliktberichterstattung. Damit konnte mit dem Sample ein sehr großer Erfahrungsschatz abgefragt werden. Die befragten Israelis sind diejenigen mit der meisten Erfahrung. Über die Hälfte von ihnen hat mehr als 15 Jahre Berufserfahrung. Die Mehrheit der internationalen Fotoreporter verfügt über weniger als 10 Jahre Berufserfahrung,

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wobei vier ihnen schon mehr als 20 Jahre im Beruf stehen. Die palästinensischen Fotoreporter befinden sich im Mittelfeld mit Berufserfahrung zwischen fünf und 15 Jahren. Bei den interviewten internationalen Fotoreportern ist zu berücksichtigen, dass die Region meist nur eine Etappe einer beruflichen Laufbahn darstellt. Was die Geschlechterverteilung angeht, so finden sich im Sample weit weniger Frauen als Männer: nur 9 der 40 Interviews wurden mit Frauen geführt sowie eines mit einem Fotografenpaar. Dies ist mit der geringeren Anzahl von Frauen im Berufsfeld an sich zu begründen. Es wurde jedoch darauf geachtet, möglichst in allen Gruppen Frauen zu interviewen. Die einzigen beiden Kategorien, in denen sich keine weiblichen Fotoreporter fanden, waren palästinensische Fotoreporter aus der Westbank und Israel. Dass unter den befragten parachutist correspondents keine Frau ist, hat forschungspraktische Gründe. In allen anderen Gruppen konnten Frauen als Interviewpartner gewonnen werden. Am größten ist der Anteil von Frauen im Sample dabei unter den internationalen in Israel lebenden Fotoreportern (fünf von neun Fotoreportern), am geringsten unter den Palästinensern. Auswertung der Fragebögen Einen ersten Überblick über die Akteure des Samples liefert die Auswertung der Fragebögen, die den Fotoreportern nach den qualitativen Leitfadeninterviews vorgelegt wurden, um vor allem sozio-biografische Daten abzufragen. Die Auswertung dieser Daten erfolgte hinsichtlich des höchsten Schulabschlusses, der Sprachkenntnisse, des Einkommens sowie der sozialen Absicherung und gibt erste Hinweise auf mögliche Asymmetrien zwischen den einzelnen im Sample vertretenen Berufsgruppen. Einzelne der hier kurz angerissenen Faktoren werden in den Kapiteln zum Journalismuskontext und Konfliktkontext (6./7.) ausgehend von der qualitativen Datenerhebung vertiefend behandelt. Die Art und Weise der formellen Ausbildung wird hinsichtlich des höchsten Abschlusses, des Studienfach – sofern ein Studium erfolgt ist - sowie der fotografischen Ausbildung unterschieden. Die fotografische Ausbildung wurde weiter nach den gängigsten Formen wie Ausbildung, Schule, Studiengang, Assistenz und Autodidakt aufgeschnürt. Bezogen auf die Höhe ihrer Abschlüsse angeht, können die Fotoreporter nur zum Teil als gut ausgebildet gelten. Fast ein Viertel von ihnen hat nur die Highschool beendet. Dies sind vor allem Israelis und Palästinenser. Zwei Drittel der befragten 40 Fotoreporter haben studiert und davon 14 einen Bachelor und 12 einen Master- bzw. ein Diplomabschluss. Im Vergleich der drei Gruppen dieser Fallstudie haben die internationalen und palästinensischen Fotoreporter höhere berufliche Abschlüsse als ihre israelischen Kollegen. Was die Studieninhalte angeht, so überwiegen jedoch fachfremde Ausbildungen. Auch ein Journalismusstudium ist aufgrund der primären Textorientierung als fachfremd zu bezeichnen. Bei den Palästinensern gibt es neben dem Journalismusstudium einen Trend zu IT-

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Abschlüssen, bei den internationalen Fotoreportern überwiegen dagegen sozialwissenschaftliche Abschlüsse. Was die fotografische Ausbildung angeht, so sind fast drei Viertel der Befragten als Autodidakten zu bezeichnen. Dies zeigt die geringe Bedeutung einer formalen Ausbildung für den Fotojournalismus. Keiner der befragten Fotoreporter verfügt über einen universitären Abschluss im Fotojournalismus. Hier spiegelt sich die Ausbildungssituation in diesem Bereich wieder. Fotografie als Studienfach wird bis heute vor allem in den Bereichen Kunst und Design angeboten, nur äußerst selten integriert in ein Journalismusstudium. Dem vor allem in Deutschland bekannten und dominierenden Weg über ein Volontariat in den Journalismus zu gelangen, kam im Sample nur eine marginale Rolle zu, ebenso der klassischen dualen Berufsausbildung. Der höchste Anteil von Absolventen eines Fotografiestudiums fand sich auf Seiten der Israelis. Das heterogene Bild der Ausbildung zeigt eine gewisse Offenheit des Feldes für Quereinsteiger. Gleichzeitig steigt damit die Bedeutung der beruflichen Sozialisation während der fotojournalistischen Arbeit, um Defizite in der Ausbildung ausgleichen zu können. Das Einkommen der befragten Fotoreporter wurde in 5 Stufen zwischen unter 5.000 und über 50.000 Dollar unterschieden. Mehr als die Hälfte verdient danach über 20.000 Dollar im Jahr. Vier Fotoreporter gehören zu Spitzenverdienern, die mehr als 50.000 Dollar im Jahr verdienen. Dies sind ausschließlich Israelis. Sieben der 40 Fotoreporter sind als Geringverdiener zu bezeichnen und verdienen unter 10.000 im Jahr. In dieser Gruppe befinden sich vor allem palästinensische und interrnationale Berufseinsteiger, die ihren Lebensmittelpunkt in den palästinensischen Gebieten haben. Auffällig ist, dass kein Israeli unter 10.000 Dollar im Jahr verdient. Am schlechtesten verdienen im Durchschnitt die palästinensischen Fotoreporter. Die am besten verdienende Vergleichsgruppe stellen die Israelis dar. Somit findet sich hier eine starke Asymmetrie zwischen palästinensischen Fotoreportern auf der einen und ihren internationalen und israelischen Kollegen auf der anderen Seite. Ein weiterer Faktor, der über die Fragebogen erhoben wurde, war die soziale Absicherung, worunter in diesem Fall das Verfügen über eine Kranken- und/oder Rentenversicherung verstanden wird. Hier zeichnet sich ein sehr vielschichtiges Bild. Während immerhin 27 der 40 befragten Fotoreporter über eine Krankenversicherung verfügen, so hat nur etwas mehr als die Hälfte eine Rentenversicherung. Am schlechtesten stehen die internationalen und palästinensischen Fotoreporter da, was die Krankenversicherung angeht. Sieben von fünfzehn internationalen Fotoreportern verfügen über keinerlei Absicherung. Was den Abschluss einer Rentenversicherung angeht, so stehen die Internationalen am schlechtesten dar. Neun von 15 der internationalen Befragten verfügen über keinerlei Absicherung, weder öffentlich noch privat. Dagegen sind es bei den Israelis nur drei von 14 und bei den Palä-

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stinensern noch fünf von zwölf. Der Abschluss einer Rentenversicherung scheint somit bei den Fotoreportern noch geringere Priorität zu haben als der Abschluss einer Krankenversicherung. Angesichts teils niedriger Einkommen sind die hohen Kosten einer privaten Altersvorsorge sicherlich ein wichtiger Faktor. Die vergleichsweise schlechte soziale Absicherung hängt sicherlich damit zusammen, dass viele der Internationalen aus dem Sample als Freelancer arbeiten. Somit sind sie selbst für ihre Versicherung verantwortlich. Insbesondere eine Krankenversicherung, die auch die Arbeit in Krisenregionen im Ausland absichert, ist extrem kostspielig. Auch unter den Palästinensern finden sich fünf ohne Krankenversicherung. Dies sind diejenigen ohne ein festes Arbeitsverhältnis. Die israelischen Fotoreporter verfügen dagegen alle über eine Krankenversicherung. Es sind vor allem die Staffer, die gut abgesichert sind und von ihrem Arbeitgeber mit einer Krankenversicherung ausgestattet werden. Die Stringer dagegen sind meist nur für den Zeitraum ihrer Arbeit versichert. Dies gilt auch für Freelancer, die Assignments internationaler Medien annehmen. Eigene Projekte und das alltägliche Risiko der Arbeit kann dagegen nur über eine private Versicherung abgefangen werden. Bei der Abfrage der Sprachkenntnisse ist vor allem relevant, ob die befragten lokalen Fotoreporter die Sprache der jeweils anderen ethno-nationalen Gruppe sowie Englisch als Arbeitssprache beherrschen und wie es um die Kenntnis der internationalen Fotoreporter in Bezug auf die beiden lokalen Sprachen Arabisch und Hebräisch bestellt ist. Was die Englischkenntnisse der israelischen Fotoreporter angeht, so sind diese als gut bzw. sehr gut zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil dazu ihre Arabischkenntnisse. Mehr als zwei Drittel der befragten Fotoreporter sprechen kein bzw. wenig Arabisch. Nur drei Fotoreporter bezeichneten ihre Arabischkenntnisse als gut. Anders sieht es dagegen bei den Palästinensern im Sample aus. Immerhin 10 von 12 verfügen über Kenntnisse des Hebräischen und drei der befragten Fotoreporter gaben ihre Kenntnisse sogar als sehr gut an. Anders sieht es bei den Englischkenntnissen der Palästinenser aus. Nur noch ein Viertel hat sehr gute Englischkenntnisse. Zwei der interviewten Fotoreporter sprechen jedoch kein bzw. wenig Englisch. Erstaunlich sind die relativ schlechten Sprachkompetenzen der Internationalen Fotoreporter hinsichtlich des Hebräischen und Arabischen. Selbst diejenigen Fotoreporter, die seit vielen Jahren in Israel oder der Westbank leben, haben nur geringe Kenntnisse der lokalen Sprachen. Auch wenn nur bei der Hälfte der internationalen Fotoreporter Englisch die Muttersprache ist, verfügen sie über gute Kenntnisse der Sprache. Im Vergleich der drei Gruppen des Sample zeigen sich einige Unterschiede. So haben im Vergleich der lokalen Fotoreporter die befragten Israelis ein besseres Englischniveau als die Palästinenser. Erstaunlich ist, dass zwei palästinensische Fotoreporter auch ohne Englischkenntnisse ihrem Job nachgehen können. Ver-

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gleicht man die beiden lokalen Gruppen des Sample danach, welche die Sprache der jeweils anderen ethno-nationalen Gruppe beherrscht, so sprechen eher Palästinenser Hebräisch als jüdische Israelis Arabisch. Diese Erkenntnis ist insofern nicht neu, als dass sie auch auf die beiden Gesellschaften im Allgemeinen zutrifft. Während für die Israelis das Erlernen des Arabischen keine Notwendigkeit darstellt, ist das Hebräische für Palästinenser mit israelischer ID unabdingbar für gesellschaftliche Teilhabe. Hier zeigt sich eine Übertragung der im Besatzungsregime festgeschriebenen Machtunterschiede. Erstaunlich sind die relativ schlechten Sprachkompetenzen der internationalen Fotoreporter hinsichtlich des Hebräischen und Arabischen. Selbst diejenigen internationalen Fotoreporter, die seit vielen Jahren in der Region leben, haben nur geringe Kenntnisse der lokalen Sprachen. Die hier erfolgte Auswertung der Fragebögen gibt einen ersten Überblick über die Zusammensetzung des Sample dieser Arbeit. Dabei erfüllen die hier aufgezeigten Faktoren nicht den Anspruch der Repräsentativität für das Berufsfeld des Fotojournalismus am Produktionsstandort Israel/Palästina, zeigen aber erste Tendenzen auf. So werden in der empirischen Analyse beispielsweise Hinweise auf Asymmetrien zwischen den ethno-nationalen Gruppen hinsichtlich des Berufszugangs aufgegriffen. Des Weiteren werden die Sprachkenntnisse hinsichtlich ihrer Relevanz für das fotojournalistische Handeln analysiert.







6. Der Journalismuskontext (Empirie I) The style and approrach to photography varies between photographers, depending on their background, beliefs and demographic differences inculding gender, race, class, and age. All of these factors affect their perception of the world, and thus, their photographs. ANDREW L. MENDELSON1

Im ersten empirischen Teil der Arbeit steht der Journalismuskontext im Vordergrund. Hier werden ausgehend von den Selbstaussagen der Fotoreporter ihre berufliche Sozialisation (6.1.) und die allgemeinen fotojournalistischen Routinen (6.2.) beschrieben. Im Kern geht es um das journalistische Handeln und die Faktoren, die dieses beeinflussen. Im Vordergrund stehen damit in diesem Teil der Arbeit der Fotoreporter als Kommunikator und journalistischer Akteur sowie Einflüsse des Journalismus auf sein Handeln. Ziel dieses Kapitels ist eine Beschreibung von Aspekten auf der Mikro- und der Meso-Ebene aus Sicht der Fotoreporter (siehe Tabelle 2). Anders als im Kapitel Konfliktkontext (7.) werden in diesem Kapitel primär Aspekte des Fotojournalismus geschildert, die zwar am Produktionsstandort Israel/Palästina erhoben wurden, von denen aber anzunehmen ist, dass sie für das Berufsfeld und das Institutionengefüge des Fotojournalismus im Allgemeinen kennzeichnend sind. Es geht hier somit primär um endogene Faktoren des Fotojournalismus.

 1

Mendelson, Andrew L. (2008): The construction of photographic meaning, in: Handbook of Research on Teaching Literacy through the Communicative and Visual Arts – Volume II, Flood, James (Hrsg.), New York [u.a.]: Lawrence Earlbaum Associates, S. 27-36, hier S. 29.



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6.1 D IE

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Die Fotoreporter stellen in ihrer Rolle als Kommunikatoren die zentralen Akteure der fotojournalistischen Produktion dar. Um journalistisch handeln zu können, ist die Aneignung spezifischer Kompetenzen notwendig. Der Aneignungsprozess dieser Kompetenzen wird als berufliche Sozialisation bezeichnet (vgl. Weischenberg 1995: 490). Durch die berufliche Sozialisation lernen die Fotoreporter alle relevanten Fähigkeiten, um am Produktionsstandort Israel/Palästina als Kommunikatoren in unterschiedlichen Arbeitsrollen aktiv werden und Aufgaben innerhalb der Institutionen übernehmen zu können. Wo und wie sie im Berufsfeld Fotojournalismus aktiv werden, hängt auch von ihrer Motivation zur Aufnahme einer Tätigkeit in diesem Bereich ab. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist dabei das Rollenselbstverständnis der Fotoreporter. Es gibt Auskunft über die beruflichen Kommunikationsabsichten und das Journalismusverständnis der Kommunikatoren (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 157). 6.1.1 Die Arbeitsmotivationen der Fotoreporter Für ein Verständnis des fotojournalistischen Handelns lokaler und internationaler Fotoreporter, die im Kontext des Nahostkonflikts tätig sind, ist es von großer Bedeutung, ihre Motivation zur Aufnahme einer Tätigkeit in diesem Feld nachzuzeichnen. Die Motivationen geben unter anderem Auskunft darüber, was die Fotoreporter mit dem Berufsfeld verbindet. Oft ist mit der Motivation auch schon eine gewisse Orientierung bezüglich einer bestimmten fotojournalistischen Tätigkeit und einer bestimmten, angestrebten Berufsrolle verbunden. Innerhalb der untersuchten Gruppe fand sich eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe für die Aufnahme einer Tätigkeit in diesem Feld. Die Gründe lassen sich dabei bestimmten Oberkategorien zuordnen. Dazu gehört eine biografische Komponente, eine Faszination für das Medium Fotografie, journalistische und politische Motivationen sowie die Faszination für das Abenteuer. Wichtig ist zu betonen, dass sich auf einen Fotoreporter meist mehrere Motivationsstränge vereinen. Stark ausgeprägt ist bei den untersuchten Fotoreportern eine biografische Komponente. Dazu gehört ein sehr früher Zugang der Fotoreporter zur Fotografie, meist schon in ihrer Kindheit bzw. Jugend, oder die Beschäftigung eines engen Familienmitglieds mit dem Medium. Dies zeigt sich z. B. beim israelischen Fotoreporter Nati Shohat: „When I was a child, it was my passion to shoot pictures.“ (I21) Andere internationale und israelische Fotoreporter sprachen davon, dass sie schon ihr ganzes Leben lang Bilder machen und dass sie dies direkt in das Berufsfeld Fotojournalismus geführt habe (I23). Auch einige der palästinensischen Fotoreporter, die erst in fortgeschrittenem Alter den Zugang zum professionellen Fotojournalis-



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mus fanden, äußern, dass Fotografie schon lange vorher ihr Hobby war (I38). Daneben gibt es auch Fotoreporter, deren Eltern oder Großeltern sich schon mit Fotografie oder anderen visuellen Medien wie dem Film beschäftigten. So war etwa der Vater einer amerikanischen Fotoreporterin Manager in einem Fotogeschäft (I16). Auch beim deutschen Fotografen Peter Damman wurde die eigene Beschäftigung mit dem Medium durch die Familie beeinflusst: „Mein Vater war Filmregisseur und ich hab eine zweiäugige Rolleiflex geerbt, als ich 9 Jahre alt war und habe immer fotografiert. Als ich 18/19 war habe ich eine Ausbildung als Filmtechniker in einem Filmkopierwerk in Hamburg angefangen. Eigentlich wollte ich an die Fernseh- und Filmakademie nach Berlin. Aber dann wollte ich in Hamburg bleiben und habe Sozialarbeit studiert. Aber ich habe dort immer fotografiert.“ (I02)

Daneben gibt es Fotoreporter im Sample, deren Motivationen von der Eigenschaft des Mediums Fotografie hergeleitet sind, wie die Faszination des künstlerischen Ausdrucks oder seiner Direktheit und Schnelligkeit. So erzählte die israelische Fotoreporterin Rina Castelnuovo: „I always loved immediacy, and the immediate results.“ (I14) Der Begriff der „Immediacy“ – auf Deutsch Unmittelbarkeit – bezieht sich auf die schnelle Verfügbarkeit eines Ergebnisses. Während in Zeiten der analogen Kameras noch die Filmentwicklung als Prozess abzuwarten war, sind die Bilder heute fast in Echtzeit verfügbar. Für den palästinensischen Fotoreporter Ahmad Mesleh ist der Aspekt der Gestaltung mit Licht von zentraler Bedeutung den er mit dem Zeichnen vergleicht (I31). Fasziniert sind einige der befragten Fotoreporter, wie der Ost-Jerusalemer Palästinenser Atta Awissat, auch von der Möglichkeit, sich selbst über das Medium der Fotografie ausdrücken zu können: „I am obsessed with translating feelings through photography, which I can’t express verbally.“ (I28) Die Fotografie bekommt für Awissat ihre Bedeutung durch den Aspekt der Übersetzung. Sie bietet eine Möglichkeit, weitestgehend ohne das Medium Sprache mit anderen Menschen über Bilder zu kommunizieren. Ein israelischer Fotoreporter, der zu Beginn fasziniert davon war, dass die Fotografie ohne Sprache auskommt, machte im Berufsleben dann gegenteilige Erfahrungen: „I’m into photography because I don’t like to speak so much with people. But it prooved the be the other way around. Sometimes you need to speak to get your way, which is a big headache.“ (I13) Verbale Kommunikation mag zwar für die Fotografie als Produkt des fotografischen Aktes keine Rolle spielen, sehr wohl aber auf dem Weg, der bis zur Anfertigung einer Fotografie notwendig ist. Dabei beinhaltet der Wunsch, mit dem Medium Fotografie zu kommunizieren, oft auch eine Orientierung auf das Publikum, wie es die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine im Gespräch schildert: „I try to use photography as a way to communicate to an audience.“ (I16)

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Andere der befragten Fotoreporter ziehen ihre Motivation eher aus der Bedeutung der sozialen Situation und der Interaktion bei der Arbeit im Feld. Aspekte, die hier eine Rolle spielen, sind Neugier oder der Wunsch nach menschlicher Begegnung. Darüber hinaus zeigt sich wie bei Rina Castelnuovo auch eine Faszination jeden Tag an einem anderen Ort zu sein und mit anderen Menschen und Situationen konfrontiert zu werden. „Every day you come across different things as a person and as a photographer. It gives you this ticket to enter other places that most people who have been here don’t get to see“ so auch ihre israelische Kollegin Gali Tibbon (I34). Für sie ist die Fotografie ein Türöffner zu normalerweise verschlossenen Bereichen der Gesellschaft. Dies beinhaltet sowohl persönliche wie fotografische Herausforderungen. Dabei wurde auch geäußert, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, Zugang zu einer solchen Vielzahl sozialer Situationen und Ereignisse zu bekommen: „It is a big privilege to do that, because some people open the door for me to go inside their private life.“ (I27) Die Aussage dieses israelischen Fotoreporters zeigt, dass der privilegierte Zugang auch eine Form der Verantwortung mit sich bringt, die sich in einer bescheidenen und respektvollen Haltung zeigt. Der privilegierte Zugang zu vielen Bereichen der Gesellschaft ist bei einigen der Fotoreporter aufs Engste verknüpft mit dem Wunsch, Geschichten zu erzählen. Das Motiv des storytelling ist insbesondere unter den Freelancern weit verbreitet. Ein israelischer Fotoreporter berichtet von einem „urge to take pictures and to have people see stuff through my eyes“ (I23). Es ist eine Art innerer Drang, mit der Kamera loszuziehen und die Realität im Bild einzufangen. Eine weitere Motivation geht vom Wert der Information aus und stellt den journalistischen Aspekt sowie die Glaubwürdigkeit des Mediums Fotografie in den Vordergrund. Daneben fanden sich Aspekte einer politischen Motivation, welche die politische Situation in der Region und das Erzählen über sie in den Vordergrund stellt. Dies ist insbesondere bei den palästinensischen Fotoreportern wie Ahmad Mesleh zu finden: „I am a Palestinian and I want to show the truth of what is happening to my people.“ (I31) Ausgehend von seiner nationalen Identität formuliert er den Wunsch, die Wahrheit darüber zu erzählen, was seiner Nation widerfährt. Der Begriff der Wahrheit wiederum weist auf ein bestimmtes Verständnis des Fotojournalismus als ein – vermeintlich – objektives Medium hin.2 Im Fall des palästinensischen Fotoreporters Mohammed Abed besteht seine politische Motivation in dem Wunsch, den Menschen von außerhalb zu erzählen, dass Gaza trotz aller Widrigkeiten noch am Leben ist: „I want to tell to everyone, that Gaza is still alive. After all these things that happened in Gaza, like the Israeli War on the Gaza Strip, the division between Fatah and Hamas and the

 2



Siehe dazu auch das Kapitel 6.1.3 über das Rollenverständnis der Fotoreporter.

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Gaza Strip and the West Bank and the siege which we have lived under for many years, many things in Gaza are difficult and complicated. So I tell myself, my family and all the other people that Gaza is looking for life.“ (I39)

Die fotografische Arbeit wird von Abed hier als eine Botschaft des Überlebens in der Krise gerahmt. Eine politische Motivation zur Nutzung des fotografischen Mediums ist jedoch auch bei einigen wenigen internationalen Fotoreportern wie der Französin Anne Paq zu finden: „I see photography as a way to raise awareness for the situation. But also as a way to express myself about what is happening here. It is my way to be constructive about it and not just going on and shoot slogans - sometimes I do that - but I think it is a way to handle my anger so there is also a personal aspect, which is photography almost as a therapy to deal with the situation I think.“ (I12)

Paq lebt in der Westbank und ist dem Besatzungsregime fast täglich direkt ausgesetzt. Die Fotografie bietet ihr die Möglichkeit, konstruktiv mit ihren Erlebnissen in der Region umzugehen. Mit dem Medium Fotografie will sie die Menschen außerhalb der Region auf die Geschehnisse vor Ort aufmerksam machen. Es fanden sich jedoch auch ganz pragmatische Gründe, den Fotojournalismus als Berufsfeld zu wählen: „To beginn with, it’s a career. For sure, everyone needs a career to live, to get money and to have a good life“, so der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri (I18). Die Karriereorientierung, die hier Ausdruck findet, zeigte sich interessanterweise nur auf Seiten der palästinensischen Fotoreporter. So ist die Arbeit als Fotoreporter ein gut – darüber hinaus in Dollar – bezahlter relativ krisensicherer Job in einer Region, die ansonsten von Instabilität gekennzeichnet ist. Trotzdem verbindet sich dies wie bei Fadi Arouri meist mit einem Interesse an der journalistischen Arbeit. Es gibt auch Äußerungen von Fotoreportern, die darauf hindeuten, dass die Bedeutung der Fotografie in ihrem Leben weit über einen Beruf hinaus geht und zu einer eigenen Lebensphilosophie bzw. einem Lifestyle wird. So erzählt der israelische Fotoreporter Eddie Gerald: „Actually it is not a profession, it is a way of living.“ (I03) Ähnlich drückt es auch der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters aus: „It was never just about work for me.“ (I30) So ist für ihn das persönliche Erkenntnisinteresse, das ihn zu seiner Arbeit animiert, wesentlich wichtiger als die Arbeit für einen Auftraggeber. Im Fotojournalismus bieten sich vielfältige Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, die oft mit den Herausforderungen des Reisens in fremde Länder und mit der schon beschriebenen Besonderheit des fotografischen Akts als soziale Motivation verbunden sind.



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Nicht zu vernachlässigen als Motivationsfaktor ist auch der Aspekt des Abenteuers. Fotojournalismus, vor allem in Krisenregionen wie in Israel und Palästina, ist ein Berufsfeld mit vielen emotionalen Herausforderungen. So ist das Adrenalin ein Motor, sich immer wieder auch in Grenzsituationen zu begeben. Ein Teil der Fotoreporter ist fasziniert von der Arbeit bei gewalttätigen Ereignissen unter gefährlichen Bedingungen: „It was in the time of the disengagement when I really realized that I like these kind of experiences of being where something happens very quickly and you need to move very quickly and think very quickly.“ (I25) Wie es diese junge amerikanische Fotoreporterin beschreibt, besteht die Herausforderung in der Unübersichtlichkeit der Ereignisse und der Notwendigkeit, schnell zu handeln. Die Schnelligkeit, mit der im Feld Entscheidungen getroffen werden müssen, vergleicht eine andere Fotoreporterin mit dem Überlebensinstinkt: „And in photojournalism you need to interact with what is right there where you are, kind of according to the story. It’s also like a survival instinct, which people to trust, which not to trust, where to run. You are in the middle of a clash and somebody opens a house door and tells you ‚Come on, get in’ and you have 30 seconds to decide wether to stay out or to get in, if you can trust that person or not.“ (I34)

Was für andere Menschen ein Grund wäre, sich diesen Situationen nie wieder auszusetzen, motiviert Fotoreporter, immer wieder diese Herausforderungen zu suchen. Eng mit diesen beschriebenen Szenen verbunden ist auch die körperliche Reaktion darauf, wie es Nati Shohat beschreibt: „This is really tough, fast and dangerous. For me as a photographer it was very amazing to understand how it happens. At some point you know it is going to happen. And it makes your blood rush, you feel like you got heroine in your blood.“ (I21) Die Tätigkeit in einem konflikthaltigen Umfeld, wo das Handeln möglicherweise nur noch durch den Instinkt gesteuert ist, setzt bei den Fotoreportern Adrenalin frei, das vergleichbar mit einer Droge berauschend wirkt. Dies birgt eine große Faszination. Der israelische Fotoreporter Eddie Gerald versucht diesen Wunsch in einen historischen Kontext zu stellen: „In general, what leads a photographer, is the passion to do something. 100 years ago he probably would have been a pirate.“ (I03) Folgt man der Logik dieser Aussage, so hat jede Epoche Berufsfelder oder gesellschaftliche Räume, die vom Handeln in sozialen Grenzbereichen gekennzeichnet sind. Eine Möglichkeit, in sozialen Grenzbereichen wie beispielsweise sozialen und politischen Konflikten tätig zu werden, stellt der Fotojournalismus dar.



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6.1.2 Ausbildung und Berufswege der Fotoreporter Nach der Beschreibung der individuellen Motivationen der Fotoreporter zur Beschäftigung mit der Fotografie sowie zur Aufnahme einer Tätigkeit im Fotojournalismus werden als weitere Aspekte auf der Mikro-Ebene im Folgenden die Ausbildungswege, der Zugang zum Beruf und die Karrierewege der befragten Fotoreporter vorgestellt. Ziel ist eine Herausarbeitung der spezifischen Ausbildungswege und Karriereschritte im Fotojournalismus in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten und die Darstellung verschiedener Formen der beruflichen Sozialisation (Siehe auch Kapitel 3.1.4). Der Blick auf die Ausbildung ist auch deswegen von Bedeutung, weil diese etwas über die Kompetenzen sagt, die Fotoreporter mitbringen müssen und die als Grundlage für ihr fotojournalistisches Handeln dienen. Da für die Art der Ausbildung sowie den Weg in den Beruf der gesellschaftliche Kontext, in dem die Fotoreporter aufwachsen, von Bedeutung ist, wird in diesem Kapitel zwischen lokalen und internationalen Fotoreportern unterschieden. Dieses Kapitel greift neben den Interviews auf die den Fotoreportern ausgehändigten Fragebögen zurück. Ausbildung und Berufswege der Palästinenser Was die Ausbildungssituation der in diesem Sample vertretenen palästinensischen Fotoreporter angeht, so ist auffällig, dass keiner der Befragten eine formelle Ausbildung an einer Hochschule im Bereich Fotojournalismus oder Fotografie abgeschlossen hat. Dies gilt sowohl für die in Israel lebenden Fotoreporter, die theoretisch den Zugang zum israelischen Bildungssystem mit seinen Ausbildungsinstitutionen im Bereich Fotografie haben, wie auch für die Fotoreporter aus der Westbank und dem Gazastreifen. Bezogen auf die in den palästinensischen Gebieten lebenden Fotoreporter ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass es weder in der Westbank noch im Gazastreifen die Möglichkeit gibt, Fotojournalismus als Schwerpunkt innerhalb des Studiums zu wählen und sich damit weiter zu spezialisieren. Die einzige Universität in den palästinensischen Gebieten, die überhaupt Fotojournalismus im Programm hat, ist die „Bir Zeit University“ in der Nähe von Ramallah. Dort hat die ehemalige Reuters Fotoreporterin Rula Halawani ein Fotografieinstitut gegründet. Bis zum Sommersemester 2012 war Fotojournalismus jedoch nur ein Minor innerhalb des BA in „Media and Communication“, der sich de facto auf zwei Kurse beschränkte. Von einer fundierten fotojournalistischen Ausbildung kann somit keine Rede sein. Nur Safadi Atef (I09), der heute für EPA tätig ist, besuchte vor seinem Berufseinstieg verschiedene Kurse an Fotografieschulen in Jerusalem und im Norden Israels, ohne jedoch einen Bachelor oder einen ähnlichen Abschluss in diesem Bereich abzulegen. Eine fundierte Ausbildung genoss dagegen der palästinensische



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Fotoreporter Alaa Badarneh, dessen Vater ein eigenes Fotostudio betrieb und der damit den direktesten Zugang zum Medium Fotografie hatte, als die Digitaltechnik noch lange nicht in Sicht war: „My father owned a small studio in a small village. [...] I used to help him and work with him. So this was the first contact between me and the camera at that time. I worked in his studio as a cameraman, just for local events like weddings.“ (I15) Auch wenn Badarneh keine klassische Ausbildung im Sinne des deutschen dualen Ausbildungswesen absolvierte, so kann jedoch seine Arbeit im väterlichen Betrieb als ein Lernen „von der Pike auf“ und damit als eine fundierte fototechnische Ausbildung angesehen werden. Kennzeichnend ist jedoch, dass das zentrale Geschäftsfeld die Hochzeitsfotografie war. Bei den Fotoreportern des Samples, die als Autodidakten zu bezeichnen sind, hängt es von ihrem Berufsweg ab, wo sie ihre fotojournalistischen Fähigkeiten erwarben. Fotoreporter der älteren Generation, die aus dem Text-Journalismus in den Fotojournalismus wechselten, wurden von ihren Agenturen weitergebildet: „When I started with AFP they helped me. I remember that in 2002 a lady from AFP, her name is Leila, was sent to Gaza. She came to my home in Rafah and she spent more than one week in my home. She taught me about photography: she showed me the framing, the light, how to use the picture, how to publish it and how to file it.“ (I39)

Somit bildete ein einwöchiger Intensivkurs das Grundgerüst für die fotojournalistische Tätigkeit von Mohammed Abed. Dabei standen vor allem fototechnische Fragen im Vordergrund. Von Vorteil ist für jene, die vom Textjournalismus kommen, dass sie vorher Journalismus studierten und so mit journalistischen Fragestellungen bereits vertraut waren, so Nasser Shiyoukhi: „As a reporter, when you know what is in the news, you know what kind of pictures you need.“ (I20) Interessant an der Aussage des Fotoreporters Nasser Shiyoukhi ist die Reduzierung des Fotojournalismus auf den Aspekt der news. Andere Kompetenzen wie spezifische fotojournalistische Erzähltechniken spielen damit kaum eine Rolle. Umgekehrt ist diese Art der Ausbildung für die Anforderungen, welche die Bilderdienste der Nachrichtenagenturen an ihre Fotoreporter stellen, als ausreichend anzusehen. Für die hier skizzierte Situation spielt eine Rolle, dass es in den palästinensischen Gebieten bis Mitte der 1990er Jahre so gut wie keine Fotoreporter gab, auch nicht bei den internationalen Nachrichtenagenturen. Insofern gab es in diesem Bereich kaum Vorbilder und nur wenig institutionalisiertes Wissen, auf das die palästinensischen Fotoreporter hätten zurückgreifen können. Für die befragten Autodidakten aus der jüngeren Generation spielen vor allem das Ausprobieren in Form eines „self-training“ (I18), das Lernen über das Betrachten der Bilder anderer Fotoreporter (I01) sowie das Anschauen von Technik-Videos auf der Internetplattform „Youtube“ (I31) eine zentrale Rolle. Das Aufkommen des

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Internets hat hier die Möglichkeiten des Lernens ausgeweitet. Die Palästinenser profitieren insofern davon, da es nur wenige Fotobücher oder Lehrbücher auf Arabisch gibt. Dabei kann es als Autodidakt beim Zugang zum Beruf durchaus passieren, dass zentrale Aspekte, wie z. B. das technische Wissen, von den Fotoreportern nicht verstanden werden, wie es Eman Mohammed aus Gaza beschreibt: „Until now there are simple things which sometimes I’m clueless about. I might know big, important things, but the small things that can make the whole difference I don’t even know about. And sometimes this is shameful and embarassing. I didn’t know the difference between the raw3 and jpeg until two years ago.“ (I35)

An dieser Aussage zeigt sich die Schwäche einer reinen Selbstschulung. Der Rückgriff auf das Format des digitalen Negativs erleichtert die Arbeit um ein Vielfaches. Fotoreporter, die für die Agenturen arbeiten, bekommen dies von Anfang an vermittelt. Da wie hier ausgeführt keiner der befragten palästinensischen Fotoreporter eine formelle Berufsausbildung genossen oder Fotojournalismus studiert hat, ist zu vermuten, dass sie eher als Quereinsteiger in dieses Berufsfeld gekommen sind. Ein Weg, der häufig auf Seiten der palästinensischen Fotoreporter der Wire zu finden ist, insbesondere der Generation über 40, liegt im Wechsel vom Text- zum Fotojournalismus, wie es die Geschichte von Nasser Shiyoukhi zeigt: „Well I became a photojournalist by mistake. At the beginning I was a reporter in Hebron City. I saw the events, I covered them but there were no photos or photographers, and when they came from Jerusalem or other places they were sometimes late. So my office gave me a small camera. [...] So I took the pictures until somebody came. And I liked it and I became more a photographer than a reporter.“ (I20)

Der Berufseinstieg wurde dadurch erleichtert, dass es noch keinen lokalen Fotoreporter in Hebron gab. Der Vorteil für Shiyoukhi bestand darin, dass er schon innerhalb des journalistischen Systems für eine internationale Nachrichtenagentur tätig war und sich diesen Zugang nicht erst erkämpften musste. Die ersten palästinensischen Fotoreporter stiegen dabei in den 1990er Jahren in das Feld ein und gaben zum Teil gut bezahlte Jobs in anderen Bereichen für dieses Unterfangen auf. Systematisch fingen die Bilderdienste jedoch erst mit dem Ausbruch der zweiten Intifada an, einen palästinensischen Staff aufzubauen. Ein wichtiger Faktor war

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Das RAW-Format ist ein spezielles Format zur Speicherung digitaler Bilddaten, eine Art digitales Negativ. Jpeg ist das Standard-Format zur Bildspeicherung, in dem die BildDaten jedoch komprimiert werden, um eine geringere Datei-Größe zu erreichen.



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dabei die Wiederbesetzung der palästinensischen Autonomiegebiete durch die IDF und die durch zunehmende Mobilitätsbeschränkungen auftretenden Probleme für israelische Fotoreporter bei der Arbeit in der Westbank. Alaa Badarneh konnte bei seinem Einstieg in den professionellen Fotojournalismus auf seine Erfahrungen im Fotografiegeschäft seines Vaters zurückgreifen: „When the first Intifada started in 87 everything went down in the village. So we closed the studio and I left to Jordan to continue my studies in IT. When I came back to the Westbank in 1994 I went directly to Nablus. At that time the PA started with Arafat and the situation started to become a big story. So I worked in IT just for four years before I went back to the camera.“ (I15)

Die Bildagentur EPA, für die Badarneh zu arbeiten begann, war mit ihrem lokalen Koordinator Jim Hollander die erste Agentur, die einen lokalen palästinensischen Staff aufbaute. Der Berufsweg von Badarneh ist auch insofern exemplarisch, als auch andere palästinensische Fotoreporter wie Ahmad Mesleh (I31) erst einmal den sicheren Weg eines IT-Berufs wählen, der ihren Lebensunterhalt sichern kann. IT gehört dabei zu den Zukunftsberufen in der Region, die gute Aufstiegsmöglichkeiten versprechen und ist im Gegensatz zum Fotojournalismus gesellschaftlich anerkannt. Junge palästinensische Fotoreporter stehen vor dem Problem, dass der Wechsel vom eigentlich studierten Beruf hin zum Fotojournalismus auch von ihren Familien nicht immer nur mit Wohlwollen betrachtet wird, wie es Ahmad Mesleh erzählt: „In the beginning, my family didn’t encourage me, because you study four years and studying information technology costs a lot and you study and they say ‚Oh, you lost 4 years from your life and now you should settle your future‘. So I say, ok, I know that, but I have something special that I like.“ (I31)

Familien haben die nachvollziehbare Angst, dass ihre Kinder mit dem Beruf des Fotoreporters nicht ihren Lebensunterhalt finanzieren können und die Investitionen, die für ein Studium vorgenommen wurden, umsonst waren. Diese Angst zeigt auch das geringe gesellschaftliche Ansehen der Arbeit als Fotoreporter. Es ist eine bis heute spürbare Folge, dass der Beruf des Journalisten „in Palästina lange Zeit als wenig prestigeträchtig galt“ (Reuter/Seebold 2000: 75). Hinsichtlich des Berufseinstiegs ist jedoch auch ein Generationenwechsel zu beobachten. So erfolgt bei den palästinensischen Fotoreportern unter 30 der Berufseinstieg eher über die Arbeit als Freelancer. Ein wichtiger Pfeiler ist dabei auch die Arbeit für palästinensische NGOs und politische Netzwerke, bevor eine profes-



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sionelle journalistische Karriere gestartet wird, wie es der Fall des Fotoreporters Ahmed Mesleh zeigt: „I started in 2008 as a volunteer of the Palestinian Red Crecent. [...] I got a small digital camera as a gift from my friend and I started to cover the volunteer work during the protests. It was good because they have monthly and weekly reports and they put these pictures in their reports. And sometimes we sent it to the media as well, because they asked for it and there wasn’t a lot of media attention at that time. And day by day I posted pictures on Facebook and I found out that people wanted to see more. [...] Like this I got more professional and skilled in my work every week. Then I left the Red Crecent because you cannot be a freelancer and wear the orange vest of the Red Crecent at the same time. So I started to wear the yellow one for the press.“ (I31)

Sichtbares Zeichen des Wechsels vom Fotoaktivisten und Amateurfotografen war für Mesleh der Wechsel der Weste, die ihn von da an auch rein äußerlich als Journalisten identifizierte. Fotoreporter wie Ahmad Mesleh, die noch nicht Teil des Systems der Nachrichtenagenturen sind, müssen sich den Zugang zu diesem mühsam erkämpfen. Von Vorteil ist dabei die Digitalisierung des Mediums und der Bildverbreitung, da Fotoreporter wie Mesleh auf diese Weise kostengünstig eigene Portfolios ins Netz stellen und Agenturen auf ihre Arbeit aufmerksam machen können. Die Nutzung von Facebook als Tool der Selbstvermarktung ist insbesondere für junge palästinensische Fotoreporter, die sich noch nicht im Markt etabliert haben, von zentraler Bedeutung. Eine dauerhafte Arbeit als Freelancer ist dabei meist nicht das Ziel der palästinensischen Fotoreporter. Ihr Karriereweg ist in der Regel mit der Hoffnung verknüpft, einen der wenigen und hart umkämpften Plätze als Festangestellter bei einer der internationalen Nachrichtenagenturen zu bekommen oder zumindest als Stringer mit Guarantee zu arbeiten. Besonders schwierig ist der Berufseinstieg in den palästinensischen Gebieten als Frau, da der Fotojournalismus dort nach Aussage von Eman Mohammed als eine Domäne der Männer angesehen wird (I35). So gibt es bis heute nur sehr wenige weibliche Fotoreporter in der Region. Der Fotoreporter Mohammed Abed aus Gaza sieht die Probleme für weibliche palästinensische Fotoreporter vor allem in der Tradition und den daraus folgenden Restriktionen, frei und ungehindert berichten zu können: „Especially for the local women, it is very difficult in Gaza to work as a photographer. If something happens for example at night, the families will not allow the females to go out. They are afraid for them. And the second thing is that sometimes the people don’t help the females during their work. So we are going together, we are taking the females with others in



194 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT our cars and try to help them. But I think the conflict in Gaza is difficult sometimes for the females. But it is free, they can work.“ (I39)

Der Fotoreporter stellt sich und seine Kollegen als offen gegenüber Frauen dar, die in das Berufsfeld eintreten möchten und sieht größere Probleme bei der palästinensischen Gesellschaft. Im Gegensatz zu ihrem männlichen Kollegen sieht Mohammed das Problem nicht an erster Stelle in der Gesellschaft, sondern innerhalb der männlichen Kollegen: „Normal people in the street they wouldn’t say anything. They wouldn’t harass you as I expected and they wouldn’t say much. It is more about the journalism community that would be really blocking your way. (I35) Die Schwierigkeiten, denen weibliche palästinensische und arabische Fotoreporter in der Region ausgesetzt sind, wissen diese jedoch auch produktiv für sich zu nutzen. So hat Eman Mohammed ein Alleinstellungsmerkmal im Gazastreifen, das sie zu vermarkten weiß. In Berichten, die in europäischen Medien über sie veröffentlich werden, wird dies immer wieder in den Vordergrund gestellt. So wird sie beispielsweise auf der englischen Webseite Bigsisters als Vorbild einer Muslima präsentiert.4 Ihre arabische Kollegin Tanya Habjouqa nutzt ihre Herkunft mit Hilfe des Fotografinnenkollektivs Rawiya ebenfalls für ihr Marketing: „We did use the fact that we’re all women and photographers and it did gain us a lot of attention internationally. It worked, so it was a PR tool and it was effective.“ (I36) Der Name Rawiya5 bedeutet auf Arabisch „she who tells a story“. Dies kann als Teil des Versuchs gesehen werden, Fotografie aus der arabischen Welt und dem Nahen Osten auf dem Kunstmarkt zu etablieren. Die meisten Mitglieder von Rawiya haben jedoch in den USA und Europa studiert, bevor sie zurück in die Region gegangen sind. Neben den geschlechtsspezifischen Problemen beschreibt Eman Mohammed den Klientelismus als eine weitere große Hürde, die den Einstieg in eine internationale Agentur erschwert: „Gaza is a small community, so you have the family thing going on. It’s all related to each other somehow. It might be confusing for you if you hear it for the first time, but you have for example five brothers working for Reuters in Gaza and in AP you have a nephew and his uncle and his cousin. That’s how it works here.“ (I35)

Da die professionelle Arbeit als Fotoreporter in den palästinensischen Gebieten vor allem innerhalb der Nachrichtenagenturen verläuft, ist damit auch der Einstieg in den Fotojournalismus an sich erschwert. Dabei hat es in den palästinensischen

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Vgl. http://www.bigsister.org.uk/worldbigsisters.php?id=25.

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Rawiya besteht ausschließlich aus Frauen nahöstlicher Herkunft: http://www.rawiya.net/.



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Gebieten Tradition, immer die Versorgung der eigenen Familie mit im Blick zu haben, da staatliche Institutionen, die diese Fürsorge im Notfall übernehmen würden, nur ansatzweise existieren. Auch wenn der Familienbonus sicherlich nicht für alle Stellenbesetzungen innerhalb der internationalen Agenturen ausschlaggebend ist, so ist die Bedeutung diesbezüglich auch nicht zu unterschätzen. Zum einen ist es ein Hinweis auf das Funktionieren der palästinensischen Gesellschaft, die eher am Wohl der eigenen Familie als am Gemeinwohl orientiert ist. Andere Familienmitglieder am eigenen Aufstieg teilhaben zu lassen, ist ein zentrales Prinzip der gesellschaftlichen Ordnung. Zum anderen sagt dies auch etwas über die Bedeutung des Berufsbildes Fotoreporter oder Reporter in der Region. Es ist eben primär auch ein gutbezahlter Job, wie es der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri ausdrückte (I18). Und der Fotojournalismus wird als ein Berufsfeld angesehen, in das der Einstieg auch mit einem niedrigen Kompetenzprofil möglich ist. Ausbildung und Berufswege der israelischen Fotoreporter Auffallend an den im Sample vertretenen israelischen Fotoreportern ist, dass zwei Drittel von ihnen klassische Autodidakten sind, deren höchster Abschluss die Highschool darstellt, obwohl es verschiedene Möglichkeiten eines Fotografiestudiums in Israel gibt . Diese Fotoreporter haben jedoch trotzdem Karriere gemacht und hervorragende Positionen am Produktionsstandort inne, ohne dass ihnen der vergleichsweise niedrige schulische Abschluss zum Nachteil gereicht wäre. Wie der Lernprozess als Autodidakt abläuft und welches Lernverständnis damit verbunden ist, zeigt exemplarisch die Aussage eines jungen israelischen Fotoreporters, der für „Getty Images“ arbeitet: „It was mostly learning as autodidact. I was going out, I was taking some pictures, I understood what’s wrong while talking to people and I was figuring things out. Basically there are two kind of photographers. It is either you alreday have it and you make it into something bigger, or you need to study really hard, trying to get somewhere. I was never the school guy.“ (I23)

Dieser Fotoreporter sieht sich mit der „Gabe“ der Fotografie gesegnet, die er ohne Studium weiterentwickeln konnte. Dies deckt sich mit einem weitverbreiteten Verständnis von Fotografie, dass man für diese Tätigkeit nur den „Blick“ besitzen müsse. Neben den hier erwähnten Lernmöglichkeiten über das Ausprobieren in der Praxis wurden das Lernen über Bücher (I14) und die Auseinandersetzung mit dem Werk anderer (I10) als zentrale Elemente eines autodidaktischen Lernens genannt. Eine der dienstältesten Fotoreporter berichtet, dass die Arbeit als Stringer bei der internationalen Agentur AP ihre formelle Ausbildung gewesen sei: „AP was my



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formal journalism school.“ (I14) Für den israelischen Fotoreporter Oren Ziv war der kollegiale Austausch und das Beobachten erfahrener Fotoreporter im Berufsalltag ein wichtiges Element (I09). Vor allem der Umgang mit der Nachrichtenroutine lässt sich gut im Umfeld der Wire erlernen. Hier wird die Bedeutung der beruflichen Sozialisation durch den Kollegenkreis deutlich. Anders als bei den palästinensischen Fotoreportern war Fotografie bei den befragten israelischen Fotoreportern fast immer eine feste Größe in der Biografie, meist von Jugend an. Den ersten Zugang zur Fotografie fanden viele schon in der Highschool, woran sich, wie bereits geschildert, in vielen Fällen ein autodidaktischer Lernprozess anschloss. Fünf der 14 befragten Israelis haben darüber hinaus einen akademischen Zugang zum Medium über ein Fotografiestudium. Vier von ihnen haben allein am „Hadassah College“ studiert. Diese Häufung in der Stichprobe angesichts einer Vielzahl anderer Studienmöglichkeiten für Fotografie in Israel ist auffällig und zeigt die herausragende Bedeutung dieses Colleges für die Gruppe der befragten Fotoreporter. Über eine klassische journalistische Ausbildung, entweder über ein Studium oder ein Volontariat, verfügt hingegen keiner der interviewten israelischen Fotoreporter. Kennzeichnend für viele der interviewten israelischen Fotoreporter ist ein sehr früher Berufseinstieg. Einige von ihnen arbeiteten schon vor und während des Militärdienstes als Fotografen, beispielsweise für lokale Zeitungen. Bei der Mehrzahl von ihnen verlief der Weg in den internationalen Markt über lokale Agenturen und Zeitungen, wie es beispielhaft an dieser Aussage deutlich wird: „First of all it was an Israeli newspaper. Then I got to a bigger Israeli newspaper. Then I started working with Corbis, followed by Getty Images.“ (I23) Hier zeigt sich die Bedeutung, die der lokale Zeitungsmarkt für ihren Berufseinstieg spielt. Der Einstieg ist relativ niedrigschwellig möglich und wenn sich wie im Falle des hier zitierten Fotoreporters Erfolg einstellt, ist es möglich, relativ schnell aufzusteigen und auch zu internationalen Agenturen zu wechseln. Die befragten israelischen Fotoreporter hatten dabei eine Vielzahl verschiedener Positionen inne und wechselten vom Status des Freelancer zum Staffer und zurück und waren durchaus auch bei konkurrierenden Agenturen tätig. Sie arbeiteten sich dann über verschiedene Berufsstationen zu ihrer heutigen Position nach oben. Damit zeigt sich, dass das Lernen bei ihnen hauptsächlich im Beruf stattfand. Aber auch die Fotoreporter mit einem Fotografiestudium hatten keinen einfachen Berufseinstieg und mussten ebenfalls bei lokalen Medien ihre Karriere beginnen. Dabei beschreiben sie diesen Weg als die „Ochsentour“, den Marsch durch die Institutionen, der mit viel Aufwand verbunden ist. So wurde dem für AFP tätigen Fotoreporter Menahem Kahane von einer älteren Kollegin Folgendes mit auf den Weg gegeben: „She told me that if I wanted to be a newspaper photographer, I would need to start from the low place. And the low place is run-



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ning after Binyamin Netanyahu or the prime minister and to shoot every handshaking and to see how it’s working. And this is what I did.“ (I26) Dieser Weg funktioniert auch als eine Art Selektionsmechanismus. Nur wer sich durch das langweilige politische Alltagsgeschäft der Tageszeitungen gequält hat, bekommt eine Chance, weiterzugehen. Ein Fotoreporter, der diesen Test besteht, hat damit bewiesen, diesen Job tatsächlich machen zu wollen. Darüber hinaus ist der Berufseinstieg bei vielen der israelischen Fotoreporter aufs Engste mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden. So haben zwei der befragten Fotoreporter schon während des dreijährigen obligatorischen Militärdienstes als Fotografen für die IDF oder die Army Police gearbeitet. Für andere Fotoreporter, wie Nati Shohat, waren es die politischen Ereignisse, die einen katalysierenden Effekt hatten: „To be honest, the Intifada built me up as a photographer. I started in 1987 as a professional photographer. It was the beginning of the Intifada and I found myself in the middle of the conflict.“ (I21) Ging es bei Nati Shohat um die 1. Intifada, so hatte für andere Fotoreporter der Generation um die 40 die 2. Intifada eine ähnliche Funktion. Im Fall von Gil Cohen Magen ermöglichten ihm die gewalttätigen Ereignisse den Wechsel vom Freelancer zur Festanstellung bei einer internationalen Agentur: „Then in 2000 the second Intifada suddenly started. I lived in Jerusalem at that time. Most of the things were happening there: a lot of terror attacks, funerals and explosions. There weren’t so many freelance photographers in Jerusalem, because we were still shooting negatives. I found myself selling pictures to agencies, international newspapers and magazines. But generally I only worked with a local newspaper. After a while, about six months after the Intifada started, Reuters offered me to work with them because they looked for Israeli Photographers.“ (I26)

Meist ist jedoch nicht so recht auszumachen, welche Faktoren zu einem bestimmten Zeitpunkt eine zentrale Wende in der Karriere der Fotoreporter ausmachen. Denn richtig planbar ist diese in der Regel nicht. So ist es für einen israelischen Fotoreporter eine Mischung aus „talent but as well to be in the right place at the right moment“ (I27). Diese Momente sind bei vielen Fotoreportern mit persönlichen Schlüsselereignissen verbunden. Ausbildung und Berufswege der internationalen Fotoreporter Auf Seiten der internationalen Fotoreporter innerhalb der Stichprobe findet sich eine sehr heterogene Ausbildungssituation. So finden sich Absolventen geistes- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge, Fotoreporter die Journalismus oder Fotografie studiert haben als auch Autodikakten, die nur über einen Highschoolabschluss verfügen. Als die zwei klassischen Ausbildungswege in Europa und Nordamerika



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in der Fotografie sind der Besuch einer Hochschule für Fotografie oder das Lernen über Assistenzen bei anderen Fotografen. Wie der Weg über Assistenzen funktioniert, beschreibt eine amerikanische Fotoreporterin: „I have always really liked photography but I never took courses until in college. There, by the time I realized that it is something I wanna do but I didn’t get a degree in it. [...] Once I graduated I went back to New York and started assisting photographers, so it is something that I just love, showing people my perspective, which is different from theirs.“ (I37)

Diese Fotoreporterin entschied sich erst nach ihrem ersten berufsqualifizierenden Abschluss den Weg in den Fotojournalismus zu gehen. Ihre Erfahrungen als Amateur konnte sie über die Assistenz bei einem Fotografen professionalisieren. Eine Besonderheit bezüglich der fotojournalistischen Ausbildung stellt der Fall des deutschen Fotoreporters Oliver Weiken dar, der für die Nachrichtenagentur EPA arbeitet. Er absolvierte in Deutschland ein Volontariat im Bereich Fotojournalismus bei der deutschen Nachrichtenagentur DPA, einem der Eigentümer der Bildagentur EPA. Volontariate im Bereich Fotojournalismus gibt es – vor allem im Vergleich zum Textjournalismus – sehr selten. Deshalb ist dies eine besondere Form des Berufszugangs. Dazu kommt, dass in vielen Ländern diese Form der koordinierten Ausbildung in einem Volontariat nicht existiert. Interessant ist, wie die Fotoreporter, die eine auf den ersten Blick fachfremde Ausbildung wie z. B. ein Geschichts- oder Anthropologiestudium genossen haben, Bezüge zwischen diesem und dem Fotojournalismus herstellen: „I took a photography course in highschool, but that was just learning basic techniques. And then I took a course in history, which was essentially a course in representation and which taught me a lot about the theoretical background of telling stories. What in my university was taught in history, is the same thing you need if you work as photojournalist. I also focused my academic studies on specific aspects of representation.“ (I11)

Die Aussage des italienischen Fotoreporters Janos Chiala zeigt, dass er in der Fotografie eine bestimmte Technik der Repräsentation sieht, die anzuwenden ihm das Geschichtsstudium erleichterte. Dahinter verbirgt sich auch eine bestimmte intellektuelle Sichtweise auf die Fotografie, die stark konstruktivistisch geprägt ist. Absolventen sozialwissenschaftlicher Studiengängen, die zum Fotojournalismus überwechseln, genießen den Vorteil, dass sie komplexe soziale Phänomene analysieren und beschreiben können und damit über eine zentrale Voraussetzung vor allem für die Dokumentarfotografie verfügen. So ist es nur konsequent, dass die Absolventen dieser Studiengänge auch eher in diesem Bereich tätig sind.



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Selbst für Fotoreporter, die sich schon vor dem Antritt in eine Festanstellung bei einem Bilderdienst lange mit Fotografie beschäftigt haben, bedeutet der Wechsel in die Nachrichtenfotografie auch den Beginn einer weiteren Lernphase, wie es ein ehemaliger Staffer von AP schildert: „I didn't do that before I got the AP job. So it taught me a lot. My visual skills really improved immensely. In Israel, in the Westbank and in Gaza you are up against photographers, who have won multiple awards and are really on the top of their game. So if you don’t bring your A level to handshakes, you might loose bigtime. So it really taught me about finding stuff even when it is a stupid photoshoot.“ (I37)

Das starke Konkurrenzverhältnis sowie der Druck, immer besser zu werden, können hier als Push-Faktor beschrieben werden. Dabei ist es keinesfalls so, dass es einen formalisierten Lernprozess gäbe, den neue Fotoreporter in einer Agentur durchlaufen. Das hier angesprochene Wissen wird über die Arbeit im Feld erlernt, über die alltäglichen neuen Herausforderungen, das Ausprobieren und das Scheitern. Die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine, eine der dienstältesten Fotoreporter in der Region, brach ihr Journalismusstudium ab, als sie in die Region übersiedelte. Zwei Jahrzehnte später entschied sie sich, aus dem Beruf heraus die akademische Ausbildung wieder aufzunehmen: „So a couple of years ago I found a program with the London College of Communication that would count in my professional career towards my B.A. and let me jump into a Master Program. So that’s what I did.“ (I16) Es ist sicherlich eine Ausnahme, dass Fotoreporter diesen von Levine geschilderten Weg wählen und erneut studieren. Bei ihr stand vor allem der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung sowie die Erschließung neuer Geschäftsfelder Pate bei dieser Entscheidung. Der Fotoreporter Oliver Weiken, der als Staffer für EPA arbeitet, beschreibt, wie sein Weg in den Beruf nach seinem Volontariat funktionierte: „Ich habe zwei Jahre bei DPA volontiert. Dann hatte ich Angebote, woanders hinzugehen, weil der Job, den DPA mir angeboten hat, mich nicht wirklich gereizt hat. Dann kam letztendlich mein DPA-Chef auf die Idee, ob ich nicht Lust hätte, zu EPA zu gehen, weil DPA der größte Shareholder von EPA ist. [...] Zuerst war ich für zwei Jahre in Frankreich, dann bin ich für ein Jahr zurück nach Berlin gezogen. Ich bin aber von dort nur gereist und habe nichts in Deutschland fotografiert. Danach kamen zwei Jahre China und jetzt bin ich in Israel.“ (I08)

Weiken war der jüngste Volontär in der Geschichte der DPA und im Vergleich zum Alter seiner Branchenkollegen noch sehr jung, als er mit 19 Jahren eine erste Festanstellung bekam. Er kann als ein Fotoreporter bezeichnet werden, der durch und durch im System der Nachrichtenagenturen sozialisiert wurde und dort seine Hei-



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mat gefunden hat. Die Frequenz der Ortswechsel in einem Abstand von zwei Jahren ist typisch für das Geschäftsmodell der internationalen Agenturen. Den Weg in eine Festanstellung bei einer internationalen Agentur über die Arbeit als Stringer, wie er bei einigen israelischen Fotoreportern zu beobachten war, wählte auch eine Amerikanerin: „Beirut was too expensive and I moved to Cairo. [...] I was stringing for Reuters and other publications. [...] Then I did the Eddie Adams workshop. I met with Santiago Leon from AP afterwards and told him, that I was ready for a job. I knew him and we had a conversation before I moved to the Middle East. He said that he knew my work and I told him that I was kind of finished with Cairo and that I was interested in doing something else. And he said that I could apply for the job that he had in Jerusalem. So that’s how I ended up in Jerusalem for 4 years.“ (I37)

Es waren mehrere Faktoren, die dieser Fotoreporterin den Weg zu AP ebneten. Zum einen war sie zum einem Zeitpunkt im Nahen Osten, als Fotoreporter gefragt waren. Zum anderen hatte sie mit Kairo einen wichtigen Standort der Nachrichtengeografie gewählt. Während dessen qualifizierte sie sich mit dem „Eddie Adams Workshop“6 weiter. Darüber hinaus verfügte sie über persönliche Kontakte in die Agentur. Dieses Beispiel zeigt somit die Bedeutung renommierter Workshops und Stipendien sowie die Bedeutung eines funktionierenden Netzwerks und guter Kontakte in die Agenturen. Der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters hingegen schaffte es, noch bevor er seinen Lebensmittelpunkt in die Region verlagerte, eine internationale Agentur davon zu überzeugen, ihn zu repräsentieren, wie er im Interview schilderte: „The day prior to moving to this region, I went around in New York and showed my stuff to different agencies. And Polaris decided that they will represent my stuff and get me assignments. The day I landed in Cairo, moving my whole life there, they called me and said: ‚Leave now and come here to cover the Pope‘.“ (I30)

Bei seiner Suche nach einer Agentur in den USA kam Nieters sicherlich zugute, dass er noch während seines Studiums eine Zeit lang in Kairo als Stringer für EPA arbeitete und somit über Kontakte und Felderfahrung verfügte. Somit ist auch Nieters, ähnlich wie seine amerikanische Kollegin, letztlich innerhalb des Systems sozialisiert und fand so zu seinem Job. Darüber hinaus wird hier deutlich, wie As-

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Der „Eddie Adams Workshop“ geht auf den gleichnamigen amerikanischen Fotografen und Kriegsreporter Eddie Adams zurück. Mehr Informationen finden sich auf www.eddieadamsworkshop.com.



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signments die persönlichen Pläne der Fotoreporter durcheinander bringen können. Nieters war letztlich nie in Kairo, sondern ist kurz darauf nach Gaza gezogen. Unter den internationalen Fotoreportern stellt der Wechsel des italienischen Fotoreporters Alessandro Gandolfi vom Text- zum Fotojournalismus eher eine Ausnahme dar: „I became a photojournalist 10 years ago. [...] Before I worked as writing journalist for ‚La Repubblica‘. So my knowledge is about written journalism. I understand what the news are, what a feature is and I know how a magazine works. In 2001 (…) I decided to change to photojournalism because I was interested in telling journalistic stories with pictures. I like very much to take pictures, probably more than writing, and I really like to be in the place where things are happening.“ (I29)

Gandolfi gab eine Festanstellung als Reporter einer der größten italienischen Tageszeitungen auf, um sich dem Fotojournalismus zu widmen. Ausgehend von Reisereportagen hat sich sein Portfolio zunehmend hin zu dokumentarischen Projekten verschoben. Gleichzeitig ist er auch Miteigentümer der Fotografenagentur „Parallelo Zero“7 in Mailand. Drei der befragten Fotoreporter gingen noch während des Studiums in die Region, so dass ihr Einstieg in den Beruf mit dem Beginn der Arbeit in der Region zusammenfiel. Während der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer in die Region kam, um seine Abschlussarbeit für das Fotografiestudium zu produzieren, gab die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine mit Beginn ihres Aufenthalts in Israel ihr Studium in den USA auf, wie sie im Interview berichtete: „ I went to Israel by chance, because I had a boyfriend and my old roommate over there. I had the number of AP with me, so I called one day and met with the picture editor and was offered to come and work. Then I called my professor and asked him what to do, because I was still in the middle of school. He said take the chance and go for it. So one year kind of turned into two years and so on and so forth.“ (I16)

Am Beispiel von Levine wird erneut deutlich, wie wichtig die fotojournalistische Praxis und der persönliche Zugang zu den Agenturen für eine Karriere in diesem Bereich sind. Auch wenn sie maßgeblich durch ihre journalistische Ausbildung beeinflusst wurde, hatte es keinerlei Nachteil auf ihre Karriere, dass sie keinen Abschluss gemacht hat. Heute gehört sie zu den renommiertesten und dienstältesten Fotoreportern, die in Israel und den palästinensischen Gebieten arbeiten.

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Siehe das Profil von Alessandro Gandolfi bei seiner Agentur „Parallelo Zero“ (http:// www.parallelozero.com/photographers/alessandro-gandolfi-1).



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Einen ganz anderen Weg in den Beruf wählte die französische Fotoreporterin Anne Paq. Sie kam aus einer politischer Motivation und der Beschäftigung mit der Menschenrechtslage in die Region und wandte sich immer mehr der Fotografie zu, wie sie im Interview erzählte: „Actually I came to Palestine for Human Rights issues. [...] My growing as a photographer went really step by step. At one stage I just decided, ok, that is really what I want to do fulltime, this is where my passion is and I should really give it a go. Because if I still continue having office and research jobs, I will never fully explore the potential that I can have as a photographer. And parallel to this I also got involved with Activestills photo collective since 2005. That also encouraged me and pushed me because I was actually working with some professional photographes and it helped me to develop myself and to consider myself as a photographer.“ (I12)

Um im Fotojournalismus Fuß fassen zu können, war für Paq wichtig, sich völlig auf dieses Feld zu konzentrieren. Sie arbeitet heute als Freelancer hauptsächlich mit lokalen und internationalen NGOs und für das Fotografenkollektiv „Activestills“. Der journalistische Markt ist ihr jedoch bis heute fast vollständig verschlossen geblieben. Ähnliches gilt auch für das Fotoreporterpaar Andrea&Magda8, die ihre Karriere ebenfalls in der Region gestartet haben, aber kaum Zugang zum journalistischen System hatten. Darüber hinaus erschwert ihnen ihr Lebensmittelpunkt in der Westbank die Kontaktaufnahme zu professionellen Netzwerken (I22). Die Berufswege der internationalen Fotoreporter zeigen, dass auch ein Studium der Fotografie oder des Journalismus den Berufseinstieg nicht unbedingt vereinfacht. In den hier geschilderten Fällen waren es vor allem persönliche Kontakte zu Menschen in den internationalen Agenturen sowie die Anwesenheit in der Region, die den Berufseinstieg erleichterten. Bei anderen wie dem deutschen Fotoreporter Oliver Weiken, war es die Sozialisation im System Journalismus, die ihm den Weg in das Berufsfeld ebnete. Einmal Teil des Systems der Nachrichtenagenturen, wurde er von einer Stelle an die nächste weitergereicht. Staffer oder Stringer Vor allem auf Seiten der interviewten israelischen und internationalen Fotoreporter gibt es eine gewisse Entscheidungsfreiheit, ob eher die Arbeit als Staffer oder als Freelancer angestrebt wird. Meist ist damit auch eine Orientierung zwischen Nachrichten- und Dokumentarfotografie verbunden. So gibt es auf Seiten der israelischen Fotoreporter im Sample einige, die sich bewusst für die Arbeit als Freelancer

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Andrea&Magda vermarkten sich gemeinsam unter diesem Label, weshalb im Text von ihnen in dieser Form gesprochen wird.



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entschieden und auch Angebote einer Festanstellung abgelehnt haben, wie es ein israelischer Freelancer beschreibt: „I had some opportunities to be a staff photographer in a few companies, but I always said no because I wanted to keep my independence. Which was a bad idea actually, because after all these years I don’t have the financial backup that my fellow colleagues have as staffers. But I always wanted to keep my independence and to choose the stories I want to work on. So professionally speaking it was a good move.“ (I13)

Die Begründung ist hier die Freiheit, in der Dokumentarfotografie als Freelancer selbst Themen setzen zu können, solange diese auf dem Markt zu verkaufen sind. Es ist dem Umstand geschuldet, dass Dokumentarfotografen weniger stark in redaktionelle Hierarchien integriert sind und oft die eigenen Themen vermarkten. Auch wenn die festangestellten Kollegen finanziell besser dastehen, ist die Situation am Produktionsstandort Israel/Palästina für israelische Fotoreporter so gut, dass sie von dieser Arbeit gut leben können. Hier liegt ein fundamentaler Unterschied zu den palästinensischen Kollegen, die nicht über diese Entscheidungsfreiheit verfügen. Für die Arbeit als Stringer oder Staffer bei den Wire spricht, dass die Fotoreporter damit von bestimmten Aufgaben entbunden sind und sich auf das Fotografieren konzentrieren können, wie es ein israelischer Fotoreporter schildert: „I prefer being with an agency rather then being a freelancer just because of the fact that I don’t like to promote myself. I hate that. I would rather be able to go and shoot than dealing with public relations: you have to call people, sell yourself, sell your stuff, do this, do that. Once you’re with an agency and once it’s a big agency your photos are out there and people see them and you get paid and I don’t need to do the rest.“ (I23)

Oft geht bei Freelancern ein Großteil der täglichen Arbeitszeit für die Akquise und Vermarktung verloren, Zeit, die nicht mit dem Fotografieren verbracht werden kann. Für die Staffer stellt dies kein Problem dar. Ein weiterer Nachteil der Arbeit als Staffer oder Stringer für eine Agentur wird jedoch mit der Abgabe aller Bildrechte beschrieben. Bei der Entscheidung zwischen Staffer und Stringer spielt auch das Einkommen eine Rolle. Nach Auskunft von Safadi Atef kann erstaunlicherweise auch ein Stringer, der auf Honorarbasis arbeitet, ein höheres Einkommen erzielen als ein Staffer: „If you take more than three pictures a day, they will pay you as a day’s work, which is almost 200 dollars. And if you take only one picture, they will pay around 75 dollars per picture. So if you take let’s say one picture or two pictures per day and in one month, it will be a lot of



204 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT money. But on the other hand if there is nothing to do, you will be stuck without money.“ (I19)

Dies bedeutet jedoch eine extrem starke Abhängigkeit von der Nachrichtenlage. Welche Variante Fotoreporter vorziehen, hängt letztlich auch von der persönlichen Motivation sowie der familiären Situation der Fotoreporter ab. Nicht zu unterschätzen ist, dass die Arbeit als Stringer um einiges stressiger ist als eine Festanstellung. Von den befragten israelischen Fotoreportern beispielsweise arbeitet nur ein kleiner Teil ausschließlich als Freelancer. Viele der Interviewten Israelis sind als Freelancer für den internationalen Markt tätig, haben aber Verträge als Stringer mit einer Nachrichtenagentur wie Gali Tibbon oder arbeiten für eine lokale Tageszeitung wie Ziv Koren oder Oren Ziv, was ihnen ein Grundeinkommen garantiert. Wie Oren Ziv es beschreibt, kann dies bedeuten, einen Teil der Woche Arbeit zu tun, die einen nicht wirklich interessiert: „I have to work also, I have days when I’m taking pictures of things I don’t really care for anyway, or which wouldn’t choose voluntarily. And then I have 4 days a week that I’m going to rest and take pictures of interesting stuff.“ (I09) Dabei sind sich die in Festanstellung bei den Wire arbeitenden Fotoreporter darüber im Klaren, dass dies ein Privileg darstellt, wenn dies auch zu Beginn der Karriere nicht absehbar war, wie es ein israelischer Fotoreporter weiter ausführt: „It was a smart decision. Because today there isn’t any freelance work. All the newspapers closed their bureaus. It is not easy to find work. And everybody has their own photographers so it is not easy to sell the pictures.“ (I27) Vor allem die unsichere Situation auf dem Markt ist ein zentrales Argument für die Arbeit als Staffer. Denn die ersten Stellen, die wegfallen, sind in der Regel diejenigen von Stringern. Darüber hinaus ist eine schlechte Marktsituation meist an einem Rückgang der Auftragsvergabe an Freelancer ersichtlich. Trotz der Bedeutung des Nachrichtenzentrums Nahost berichten die befragten Fotoreporter von einem Rückgang des medialen Interesses an der Region. Dies ist zum einen der Krise etablierter Medien vor allem in den USA und Europa zuzuschreiben, zum anderen den politischen Umbrüchen im Nahen Osten. Diejenigen, die diese Umbrüche zuerst wahrnehmen, sind in der Regel Freelancer: „In the last 2 or 3 years I had maybe three or four periods of some months – maybe two months each – that where like holes where I had no assignment. I still worked on my own stories, I still sold my archive, I still did things, but I really had like holes. But I don’t know if it is because of this crisis that everybody talks about. But it was indeed new. I had no holes since I started to work full time.“ (I13)

Für diesen israelischen Fotoreporter war es eine neue Situation, die jedoch noch keine existenzbedrohenden Ausmaße angenommen hat. So gab es innerhalb des



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Samples keinen Fotoreporter, für den dies zugetroffen hätte. Dem Autor wurde jedoch von Fotoreportern berichtet, die weniger gut im Markt verankert waren und aufgrund erschwerter Marktbedingungen den Job wechselten. Dass diese Probleme nicht nur für Freelancer in Israel gelten, sondern auch in den palästinensischen Gebieten, zeigt die Aussage des Palästinensers Naaman Omar: „When I started to work, every month I had three or four assignments a month. But now every six, or seven months, I have one assignment.“ (I33) Dabei ist nicht nur die Medienkrise für diesen Rückgang verantwortlich. Vor allem für die ereigniszentriert arbeitenden Nachrichtenfotografen haben politische Veränderungen und Deeskalationsphasen im Konflikt negative Auswirkungen auf die Auftragslage. So hat die Transformation des Konfliktes nach dem Ende der 2. Intifada ein vermindertes Medieninteresse zu Folge, da tägliche gewalttätige Auseinandersetzungen und Terroranschläge außer in Phasen der Eskalation heute eher eine Seltenheit sind. Die Auswirkungen der veränderten Nachrichtenlage machen sich bei den Bilderdiensten meist erst zeitversetzt bemerkbar. Bevor Personal abgebaut wird, werden offene Stellen für internationale Angestellte erst einmal nicht besetzt und nur noch befristete Verträge ausgegeben. So müssen Standorte nicht geschlossen oder verkleinert werden, aber es kann von Agenturseite her flexibel auf neue Veränderungen reagiert werden. Eine weitere Maßnahme ist die Entsendung von Fotoreportern in andere Regionen, um überschüssige Arbeitskapazitäten zu nutzen. Ein wichtiges Ventil waren in den letzten Jahren die arabischen Nachbarländer. Die mediale Aufmerksamkeit, und damit auch die Nachfrage nach Geschichten aus der Region, verschob sich seit 2011 in Richtung Ägypten, Libyen, Tunesien und Syrien. Dies bedeutete unter anderem für die internationalen Staffer, dass diese von Israel aus dorthin entsandt wurden. Aber auch für die palästinensischen Staffer der Wire ergaben sich neue Möglichkeiten. Vor allem Fotoreporter aus dem Gazastreifen dokumentierten an vorderster Front die Geschehnisse in Ägypten und Libyen (I39). Durch ihre Konfliktberichterstattung in Gaza hatten sie genügend Erfahrung, um sich für diesen Job zu qualifizieren. Ihnen kommt zu Gute, dass sie – anders als ihre israelischen Kollegen – eine weitestgehende Reisefreiheit in die arabischen Länder des Nahen Ostens haben. Dem Ost-Jerusalemer AFP-Fotografen Ahmad Gharabli ermöglicht dies zwei Arbeitsaufenthalte im Jemen.

 6.1.3 Das Rollenverständnis der Fotoreporter Grundsätzlich bezeichnete sich die Mehrheit der befragten Fotoreporter als photojournalist. Damit ist zum einen eine Orientierung auf die Fotografie, zum anderen auf den Journalismus verbunden. Die Bezeichnung photographer wurde von den befragten Fotoreportern dagegen eher selten benutzt. Dies deutet darauf hin, dass sie sich bewusst von dieser sehr allgemeinen Beschreibung absetzen wollen. Mit



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dem Begriff des „storyteller“ beschrieb der us-amerikanische Fotoreporter Ted Nieters seine Tätigkeit. Sehr Ausdrucksstark ist auch die Bezeichnung „privilegded witness“, die von der amerikanischen Fotoreporterin Heidi Levine benutzt wurde. Die Begriffe „fotografierender Sozialarbeiter“ und „begleitender Bildjournalismus“ benutzte der deutsche Fotoreporter Peter Damman. Er merkte darüber hinaus kritisch an, dass die Definitionen der Arbeit eher von außen aufgesetzt sind: „Das wandelt sich. Das ist ja immer interessant was dann die Kunsthistoriker schreiben.“ (I02) Damit bezog er sich vor allem auf kunstwissenschaftlich geprägte Definitionen und der Beschreibung der Fotografie. Auch andere Fotoreporter wie Eddie Gerald sehen zwischen den einzelnen Bezeichnungen eher geringe Unterschiede: „I really think that today there’s a tiny difference between all these kinds of photography unless I’m a porn photographer. But you know, in general all these fields are really matched to each other.“ (I03) So kann eine bestimmte Form der Selbstbeschreibung oft auch eher praktische oder marketingtechnische Gründe haben. Kaum Verwendung fand unter den interviewten Fotoreportern die Bezeichnung Konflikt- bzw. Kriegsfotograf, obwohl Adrenalin und die Nähe zum Geschehen ja durchaus Motivationen der Fotoreporter sind. Der italienische Fotoreporter Alessandro Gandolfi präzisierte dies folgendermaßen: „Actually I’m not a war photographer, I’m a photojournalist who want to tell stories of the people.“ (I29) Diese Form der Selbstbeschreibung trifft auch auf viele andere Fotoreporter zu. Der Konflikt ist entweder Teil ihres Lebens und ihrer Umgebung wie im Fall der israelischen und palästinensischen Fotoreporter oder die internationalen Fotoreporter entscheiden sich, Geschichten im Spannungsfeld des Konflikts zu erzählen. Dies ist jedoch nicht mit einem Kriegsfotografen gleichzusetzen, dem es per definitionem nur um die fotografische Dokumentation von Krieg geht. Auch die Bezeichnung politischer Aktivist wurde von den Fotoreportern im Sample abgelehnt. Selbst diejenigen der befragten Fotoreporter, die mit ihrer Arbeit nah dran an sozialen Bewegungen sind und offen mit politischen Aktivisten sympathisieren, sehen sich selbst immer in der Rolle des Fotoreporters. Deutlich wird dies an der Antwort des palästinensischen Fotoreporters Ahmad Mesleh auf die Frage, ob er sich als activist photographer fühle: „No, because I am only taking pictures and posting them. But I am not arranging the protest and I am not involved in making people go to protest.“ (I31) Das zentrale Kriterium, das für Mesleh einen politischen Aktivisten ausmacht, ist, einen aktiven Anteil an der Organisation der Proteste zu haben. Die Übernahme einer beobachtenden Rolle setzt sich davon ab, ist damit doch auch eine bestimmte dokumentarische Praxis verbunden. Die Art und Weise, wie die interviewten Fotoreporter ihre fotojournalistischen Ansätze beschreiben, lässt sich hervorragend für eine Bestimmung der Berichterstattungsmuster der Fotoreporter nutzen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über den Fotojournalismus gibt es bisher keine spezifisch auf dieses Berufs-

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feld ausgerichtete Klassifizierung von Berichterstattungsmustern. Insofern kann nur auf die allgemeinen Journalismus-Konzeptionen, wie sie beispielsweise Weischenberg (vgl. 1995: 114) entwickelte, zurückgegriffen werden. Für die vorliegende Arbeit sind dabei aus Sicht des Autors vor allem drei Rollenmuster interessant: der Informationsjournalismus bzw. der objektive Journalismus9, der anwaltschaftliche Journalismus sowie der konfliktsensitive Journalismus. Wobei es in den Selbstaussagen einzelner Fotoreporter auch Aspekte gibt, die auch anderen Journalismuskonzeptionen zuzuordnen sind. In der Regel dominiert jedoch ein Muster. Die Intention des objektiven Journalismus beschreibt Meier als „Realität abbilden“, verbunden mit einer „neutralen Faktizität“ (Meier 2007: 185). Bezogen auf den fotojournalistischen Ansatz der befragten Fotoreporter waren die zentralen Referenzbegriffe, auf die in den Interviews immer wieder Bezug genommen wurde, Objektivität (objectivity), Wahrheit (truth) und Realität (reality). Eine Verwendung des Begriffs der Objektivität findet sich vor allem auf Seiten der Nachrichtenfotografen. Objektivität wird von den Fotoreportern dabei in Hinsicht auf ihren Umgang mit dem Ereignis bzw. die Haltung, die sie zu diesem einnehmen, konzeptioniert. Dies zeigt sich in Aussagen wie „I don’t want to pick a side. I’m not a part of this. I’m a neutral person in the event“ (I21), „My personal view to my work is not relevant“ (I13) oder „When I work I try to be as professional as I can be. I have no opinion, I have no passed judgement. I try to come empty“ (I06). Der Begriff der Wahrheit wird dagegen eher in Bezug auf die konkreten Handlungen, die fotografisch dokumentiert werden, benutzt. Wahr ist aus Sicht der Fotoreporter das, was vor der Kamera passiert. Dies wird dann auch mit dem Begriff der Realität umschrieben. Das findet sich bei den untersuchten Fotoreportern in Aussagen wie „I show the reality as it is“ (I17), „relevant are the facts“ (I27) oder „I am trying to be objective and I think I succeed“ (I23).Verbunden mit dem Zeigen der Fakten ist ein Glauben daran, dass eine intersubjektive Überprüfbarkeit der Fakten möglich ist und als eine Art von „objektiver“ Wahrheit über allem steht. Die fotografische Umsetzung zeigt sich exemplarisch an einer Aussage des Palästinensers Ahmad Mesleh: „I am a Palestinian and I want to show the truth of what happens to my people. I show the truth exactly as it is.“ (I31) Mesleh sieht die Wahrheit als die Geschehnisse, die sich vor seinen Augen abspielen und die er versucht, so genau wie möglich zu dokumentieren. Ähnlich zeigt sich dies auch in

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In der Literatur wird der Begriff objektiver Journalismus oft gleichbedeutend mit Informationsjournalismus gebraucht. Einige Autoren nutzen den Begriff Informationsjournalismus jedoch auch als Überkategorie, die sowohl objektiven Journalismus als auch andere Journalismuskonzeptionen umfasst. Der Autor hat sich für die Nutzung des Begriffs objektiver Journalismus entschieden, da damit eine Abgrenzung dieser Journalismuskonzeption von anderen am deutlichsten möglich ist.



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einer Aussage eines israelischen Stringers: „You try to get to these situations as clean as possible. And whatever is going on, you take the pictures and you look at it the way it is.“ (I23) Vor allem auf Seiten der befragten palästinensischen Fotoreporter findet sich darüber hinaus ein Glauben an die Faktizität von Bildern, denen quasi forensische Qualitäten zugewiesen werden, wie es die Aussage von Eman Mohammed zeigt: „Well you cannot argue with photos. The presence of photos makes discussions less dramatic. So it is really useful. Sometimes reports and articles just escalate the conflict to another level. But if you have photos, they are like facts. So you just spread facts.“ (I35)10 Bilder haben danach die Form von Beweisen (Fakten), dass etwas geschehen ist. Hier zeigt sich exemplarisch der bildnerische Aspekt der „neutralen Faktizität“ aus dem objektiven Journalismus. Auch der Fotoreporter Nasser Shiyoukhi ist überzeugt: „Pictures make the information more reliable.“ (I20) So können Bilder die Folgen einer militärischen Auseinandersetzung nachweisen und sind in dem Sinne ein Beweis, dass diese stattgefunden hat. Einige Fotoreporter nehmen Einschränkungen dahingehend vor, als sie die Bedeutung des eigenen Standpunkts herausstreichen. Dies zeigt sich an den Aussagen „report what I am seeing“ oder „truthful story from my point of view“. Trotz allem spielt hier der Aspekt der Wahrheit in Form der „truthful story“ bezogen auf die Abbildungsqualitäten des Mediums Fotografie weiterhin eine große Rolle. Gleichzeitig ist hier das Bewusstsein zu sehen, welchen Einfluss der eigene Standpunkt hat und dass dieser in jedem Bild mitschwingt. In der Journalismusforschung werden dem objektiven Journalismus vor allem die Rollenbilder neutraler Beobachter, Vermittler und Chronist zugerechnet (Pürer 2003). Bezogen auf den Fotojournalismus ist die Bedeutung des Vermittlers eher gering zu schätzen, wohingegen das Beobachten einen wichtigen Moment darstellt. Dabei lässt sich das Berichterstattungsmuster objektiver Journalismus eher auf Seiten der israelischen und palästinensischen Nachrichtenfotografen finden. Dies ist zumindest bei den palästinensischen Fotoreportern nicht verwunderlich, arbeiten sie doch mehrheitlich bei den Bilderdiensten der Nachrichtenagenturen. Der Agenturjournalismus zieht seine Glaubwürdigkeit ebenso wie das ökonomische Kapital aus dem Verkaufen von Nachrichten. Agenturen wie AP haben die Objektivitätsnorm zu ihrem Alleinstellungsmerkmal gemacht. Vertreter eines anwaltschaftlichen Journalismus sehen sich dagegen als Anwälte benachteiligter oder marginalisierter Gruppen: die Intention ist Verständnis und

 10 Ähnlich auch die Aussage des in der Westbank arbeitenden Fotoreporters Nasser Shiyoukhi „pics make info more reliable“ (I20). Shiyoukhi ist vom Text- in den Fotojournalismus gewechselt und kennt von daher die Schwierigkeit aus eigener Erfahrung, Ereignisse, zu denen es keine Bilder gibt, bekannt zu machen.



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Solidarität schaffen (vgl. Meier 2007: 185). Dem anwaltschaftlichen Journalismus sind Begriffe wie eine Agenda haben, Geschichtenerzähler oder keine Balance zuzuordnen. Dies zeigt sich im Sample in Aussagen wie „I am on the weak side“ (I17), „I don’t balance at all. I cover stories as they happen“ (I04) oder „we are the voice of the people“ (I24). Damit wird letztlich eine Art „Gegenöffentlichkeit zur Institutionenhörigkeit des Journalismus“ (ebd.) geschaffen. Der anwaltschaftliche Journalismus findet sich eher auf Seiten der internationalen und israelischen Dokumentarfotografen. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass im Bereich der Dokumentarfotografie tätige Fotoreporter einen größeren Handlungsspielraum besitzen. Den Fotoreportern des Sample, die dem anwaltschaftlichen Journalismus zuzuordnen sind und die sich dagegen sträuben, den israelisch-palästinensischen Konflikt aus einer ausgleichenden Perspektive zu betrachten könnte vorgeworfen werden, parteilich zu sein. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass es sich beim israelischpalästinensischen Konflikt um einen asymmetrischen Konflikt handelt. Aus diesem Grund kritisiert zum Beispiel die Autorin Amal Bishara das ihrer Ansicht nach vorherrschende Konzept der balanced objectivity, nach der der palästinensischen jeweils die israelische Perspektive gegenübergestellt wird (vgl. Bishara 2013: 35). Fotoreporter, die für sich in Anspruch nehmen, die Ereignisse so zu dokumentieren, wie sie aus ihrer Perspektive geschehen, grenzen sich weniger vom Prinzip der Objektivität als von einer Nivellierung der Unterschiede ab. Beim konfliktsensitiven Journalismus geht es vor allem um die Art und Weise der Begegnung, ein Über-den-Konflikt-hinausgehen und eine Sensibilität in der Arbeit. Das Rollenmuster eines konfliktsensitiven Journalismus beinhaltet eine Selbstreflexion der eigenen Rolle, eine empathische Begegnung mit den Konfliktparteien sowie ein Fokus auf die Menschenrechte (vgl. Bilke 2008: 231). Aspekte eines konfliktsensitiven Journalismus sind fast ausschließlich auf Seiten der Internationalen zu finden. So bezeichnete sich die amerikanisch-jordanische Fotoreporterin Tanya Habjouqa als Anthropologin mit der Kamera (I36) während sich ihr Kollege Eddie Gerald als „50% researcher and 50% photographer“ sieht (I03). Die Bedeutung einer über das Ereignis der Fotografie hinausgehenden empathischen Begegnung mit Menschen zeigt sich an Aussagen wie „das Hauptereignis ist die Begegnung“ (I02) oder „to take a step back and to see what’s going on“ (I07). Noch konkreter in Bezug auf seine Arbeit im Gazastreifen wird der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters: „For me it was never about shooting conflict in Gaza. It was always about representing the people with dignity and showing life beyond the conflict.“ (I30) Teil einer selbstreflexiven Einstellung ist die Relativierung der eigenen Anwesenheit, wie es sich im Herausstreichen des Aspekts der Bescheidenheit zeigt: „First of all you need to be really humble.“ (I27) Ein wichtiger Teil einer konfliktsensitiven Berichterstattung oder eines Friedensjournalismus im Gegensatz



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zu einem Kriegsjournalismus (vgl. Galtung 1998) besteht darin, die Gewaltorientierung zu überwinden. Dies ist nur mit umfangreicher Recherche möglich, wie sie der Italiener Janos Chiala als grundlegend für seine Arbeit ansieht: „I am trying to spend as much time as possible in the Westbank, going out to the checkpoints, finding out about the permit system, knowing about things.“ (I11) So ist es für einen jungen französischen Fotoreporter wichtig zu verstehen, „what you do, what you shoot and what is the impact“ (I07). Aus Sicht des Autors gibt es verschiedene Gründe dafür, dass andere Berichterstattungsmuster nicht auftauchten. Ein wichtiger Punkt ist, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung über diese bisher vor allem ausgehend vom Print- und Fernsehjournalismus geführt wurde. Somit orientieren sich die Berichterstattungsmuster auch an bestimmten Darstellungsformen, die für diese Medien gelten. Ein investigativer Journalismus, der seine Rolle als Kontrolleur ernst nimmt, braucht das Medium Text oder zumindest die Verbindung von Text und Bild, um in die Tiefe gehen zu können. Auswertungen von Protokollen und Dokumenten bspw. können nur schwerlich über die Bildebene geführt werden. Hier käme dem Fotojournalismus – wenn überhaupt – nur eine illustrierende Funktion zu. Ähnliches gilt für den interpretativen Journalismus oder den Public Journalism. Nur der New Journalism (vgl. Meier 2007: 186), auch literarischer Journalismus genannt, hat für das fotografische Erzählen mit fiktionalen Elementen außerhalb der Nachrichtenproduktion noch eine gewisse Relevanz, spielte jedoch in diesem Sample ebenfalls keine Rolle.

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6.2 A LLGEMEINE

FOTOJOURNALISTISCHE

R OUTINEN

Fotojournalistisches Handeln am Produktionsstandort Israel/Palästina unterliegt allgemeinen Regeln und Normen. Diese zeigen sich in den arbeitsteiligen und professionalisierten Arbeitsprozessen, die der Fotojournalismus ausgebildet hat und die sich in bestimmten Arbeitsrollen manifestieren. Ein wichtiger Aspekt der Routinen ist die Nachrichten- und Themenauswahl. Damit aufs Engste verzahnt ist die Art und Weise der Bildproduktion. Ein wichtiges Merkmal ist dabei, ob die Fotoreporter sich in ihrem fotojournalistischen Handeln eher an Ereignissen oder Themen orientieren. Während Ereignisse klar in Zeit und Raum begrenzte Geschehnisse darstellen, sind Themen Zustände ohne absehbaren Anfang und Ende (vgl. Kepplinger 2001: 120). Bei der Beschreibung der fotojournalistischen Routinen geht es um Aspekte, die auf der Meso-Ebene angesiedelt sind. Dies liegt darin begründet, dass sich viele dieser Prozesse innerhalb journalistischer Institutionen herausbilden und in diese Routinen meist weitere journalistische Akteure wie Bildredakteure, Redakteure oder Korrespondenten involviert sind. Grundsätzlich ist zu beachten, dass bei Dokumentarfotografen die Arbeitsroutinen zum Teil aus rein individuellen Prozessen bestehen, die eher auf der Mikro-Ebene anzusiedeln sind. Die Beschreibung der allgemeinen fotojournalistischen Routinen ermöglicht, die institutionellen Zwänge und die Handlungsfreiheit der Fotoreporter zu bestimmen. Da diese Arbeit das komplette Feld fotojournalistischer Produktion von der tagesaktuellen Nachrichtenfotografie bis hin zur längerfristig angelegten Dokumentarfotografie untersucht, wird hier zwischen diesen beiden Bereichen unterschieden. Aus dem Sample der befragten Fotoreporter konnten 18 der Gruppe der Nachrichtenfotografen und 17 (18) der Gruppe der Dokumentarfotografen zugeordnet werden. Des Weiteren gab es fünf Fotoreporter, die in beiden Feldern zu Hause sind. Diese fanden sich vor allem unter den Stringern und als local staff tätigen Fotoreportern. Ihre Aussagen wurden je nach Tätigkeitsbereich zum einen oder zum anderen Bereich gezählt. Zur Gruppe der Nachrichtenfotografen wurden dabei diejenigen der befragten Fotoreporter gezählt, die als Staffer oder Stringer für die internationalen Bilderdienste ausschließlich in der tagesaktuellen Nachrichtenfotografie tätig sind. Zur Gruppe der Dokumentarfotografen zählten vor allem die Freelancer, die am Produktionsstandort Israel/Palästina projektbezogen oder über Assignments tätig waren. So können zur zweiten Gruppe auch Fotoreporter gehören, die auf dem israelischen Markt über eine Fest- oder Teilzeitanstellung verfügen. 6.2.1 Die Arbeitsroutinen der Nachrichtenfotografen Die Nachrichtenfotografie ist der Teil des Fotojournalismus, der auf die tagesaktuelle Berichterstattung ausgerichtet ist und für den die Bilderdienste der globalen



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Nachrichtenagenturen den wichtigsten organisatorischen Bezugsrahmen darstellen. Die im Bereich der Nachrichtenfotografie tätigen Fotoreporter sind als Staffer oder Stringer i.d.R. lokalen Bildredaktionen und Büros der Agenturen zugeordnet. Daraus ergibt sich eine Reihe von täglichen Arbeitsabläufen, die im Folgenden einzeln vorgestellt werden. Dazu gehören die Arbeitsplanung und die Art der Entscheidungsstrukturen, die Praxis der Nachrichtenauswahl, die Recherche, die Praxis der Bildproduktion sowie der Bildredaktion und die Bedeutung der Veröffentlichung. Je nach Umfang des Ereignisses kann dieser Prozess ein bis mehrmals täglich ablaufen. Geprägt werden diese täglichen Arbeitsroutinen durch für die einzelnen Organisationen charakteristische Prozesse der Arbeitsplanung sowie Entscheidungsstrukturen, die diesen immanent sind. Ein Aspekt, der für die Beschreibung der Routinen große Bedeutung hat, ist die organisatorische Struktur der internationalen Agenturen in der Region, vor allem der Bilderdienste. Im Kapitel über über den Produktionsstandort Israel/Palästina wurden diese Akteure bereits vorgestellt (siehe Tabelle 3). Die wichtigen Fragen sind dabei zum einen, ob die Agenturen über eigene Büros in der Region und eine lokale Bildredaktion verfügen und wo diese angesiedelt sind, sowie zum anderen, wo die Fotografen der Agenturen aktiv sind bzw. wie diese geografisch aufgeteilt sind. Von den Wire verfügen nur AFP, AP und Reuters über eigene Büros, sowohl in Gaza, Jerusalem als auch in Ramallah. Die Hauptbüros und der Sitz der lokalen Redaktion befinden sich dabei jeweils in Jerusalem. Weder die Wire EPA, „ItarTass“ und „Xinhua“ noch die Non-Wire „Getty Images“ und „SIPA Press“ verfügen über Büros in der Region. Nur „Flash90“ als lokale Agentur hat auch ihren Sitz in der Region. Alle Agenturen verfügen jedoch über Staffer und Stringer, sowohl in Israel als auch in der Westbank und im Gazastreifen. Arbeitsplanung und Entscheidungsstrukturen Kennzeichnend für das fotojournalistische Handeln in der Nachrichtenfotografie ist, dass die Arbeitsplanung in sehr kurzen Zeitintervallen stattfindet und sich an der aktuellen Nachrichtenlage orientiert, wie es der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken im Interview schilderte: „Hier in Israel planst du eigentlich nie länger als zwei Tage. Prinzipiell entscheidest du immer morgens, was du machst. Und dann hängt das immer ein bisschen von der Nachrichtenlage ab. Wenn du jetzt in den Süden runterfährst, dann weißt du dass, gestern Nacht wieder Raketen aus Gaza kamen und dann bist du mal zwei Tage im Süden. Das kommt immer in Intervallen, dann hast du so ein langes Wochenende, dann hast du wieder drei Wochen nichts, und dann hast du wieder was.“ (I08)



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Diese Kurzfristigkeit sowie das Zyklische der Arbeit sind der Orientierung an tagesaktuellen Ereignissen geschuldet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer flexiblen Arbeitsplanung, die immer wieder den aktuellen Erfordernissen angepasst werden kann. Oft wird die Planung auch erst am Morgen des Arbeitstages oder am Abend vorher festgelegt, so die Aussage einer internationalen Stafferin von AP: „It was usually the desk at night that had the schedule for the next day and would call us up.“ (I37) Dem Aktualitätsdruck geschuldet ist, dass die Fotoreporter immer erreichbar sein müssen und damit 24 Stunden auf Standby sind. Das Haus dürfen sie nur mit ihrer Ausrüstung (Kamera, Computer) verlassen. Dies ist vor allem ein Überbleibsel aus der Zeit der Selbstmordattentate in Israel, als zu jeder Tages- und Nachtzeit das Risiko von Anschlägen bestand und Fotoreporter sofort zum Ort des Geschehens eilen mussten. Dies veranlasste einen israelischen Fotoreporter zu folgendem Vergleich: „To be a photojournalist you need to be as a soldier. You need to be ready 24 hours a day, all the time, with your equipment.“ (I27) Die ständige Erreichbarkeit hat dabei auch Folgen für das Privatleben der Fotoreporter. So gibt es wenig Planungssicherheit und es muss die Bereitschaft da sein, jederzeit alles stehen und liegen zu lassen. Damit ist eine Unterordnung des Privatlebens unter den Beruf verbunden. Darüber hinaus erschwert es die Arbeit an eigenen Projekten, so eine ehemalige AP Fotoreporterin: „When I was there, there was really little room for working on personal projects. We were quite a few people so we were always on call.“ (I37) Für die eben skizzierten täglichen Arbeitsroutinen gibt es ja nach Agentur unterschiedliche Entscheidungsspielräume für den einzelnen Fotoreporter, bei der Planung mitzuwirken. Für AP schildert dies eine internationale Stafferin: „Maybe they would give us an option, but most times they would ask ‚Can you do this?‘ [...] The photo-editor usually would talk to the chief photographer and then decide but for two years we didn’t have a chief photographer so the photo-editor decided that stuff.“ (I37) An dieser Aussage zeigt sich, dass es klare hierarchische Absprachen zwischen dem vor Ort tätigen chief photographer und dem Bildredakteur gibt. Die Wahlmöglichkeiten für den Fotoreporter sind dabei stark eingeschränkt, wie es auch Nasser Shiyoukhi bestätigt: „At the end the decision is taken by the agency.“ (I20) Dass wie hier beschrieben der Posten des chief photographer für längere Zeit nicht besetzt ist, stellt eher eine Ausnahme dar. Die Hierarchie in den Entscheidungsstrukturen zwischen Fotoreporter und Redaktion blieb davon jedoch unberührt. Ähnlich wie bei AP entscheidet auch bei Reuters der Bürochef vor Ort. Bei AFP ist es dagegen ein Aushandlungsprozess zwischen dem Fotoreporter und der Redaktion, der zur Entscheidung über die Dokumentation von Ereignissen führt. Insbesondere gut informierte lokale Fotoreporter können hier eigene Akzente set-

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zen, wenn sie überzeugend begründen können, warum ein Ereignis dokumentiert werden soll. Ähnlich wie die Entscheidung über die Themenvergabe variiert auch die Frequenz des Kontakts zwischen Fotoreporter und Redaktion. Vor allem die im Sample vertretenen von Jerusalem aus arbeitenden Staffer und Stringer von AFP, AP und Reuters kommen jeden Tag ins Büro und haben somit persönlichen Kontakt zur Redaktion. Ihren palästinensischen Kollegen aus der Westbank und dem Gazastreifen bleibt dagegen nur der telefonische Kontakt, da sie als Palästinenser ohne israelische ID nicht nach Israel reisen dürfen. Auch wenn es Büroräume in Ramallah und Gaza gibt, so sitzen die Personen mit Entscheidungsbefugnis in Jerusalem. Bei EPA und „Getty Images“ hängt die Intensität des Kontakts zur Zentralredaktion in Europa oder den USA stärker von der Nachrichtenlage ab. Aber auch hier findet die Themensetzung in Absprache zwischen dem vor Ort ansässigen Fotoreporter und der Redaktion statt: „Me and my editor we speak every day. I’ll call him ahead of time. And he might see something on TV or might see a documentary about something or have an idea about something and talk wiht me about it. Then we’ll try and figure this out and work on the story. But basically it comes from my side most of the time.“ (I23)

In diesem Austausch per Telefon und per Mail übernimmt der Fotoreporter auch die Funktion eines Themenmaklers, der seinem Redakteur Angebote macht. Dies spielt bei “Getty Images” als einer Bildagentur eine noch größere Rolle als bei den Bilderdiensten der Nachrichtenagenturen, die versuchen, alle Ereignisse zu dokumentieren. Als Bildagentur, die nicht ausschließlich den tagesaktuellen Markt bedient, kann bei “Getty Images” langfristiger geplant werden, als bei den Wire. Einzig bei EPA haben die Fotoreporter die Freiheit, relativ selbstständig zu entscheiden, welche Themen bearbeitet werden. Dies hängt mit der Struktur der Agentur zusammen, die über keine Bildredaktion und keinen chief photographer vor Ort verfügt, der weisungsbefugt wäre. Die Absprachen finden gleichberechtigt zwischen den lokalen und internationalen Kollegen in Israel und den palästinensischen Gebieten statt (I19). Als reine Bildagentur produziert EPA mit seinen Fotoreportern vor Ort ausschließlich Bildmaterial. Der für EPA tätige Fotoreporter Safadi Atef sieht sich darin im Nachteil gegenüber den Bilderdiensten der Nachrichtenagenturen, die mit der Kombination von Bild und Text auch größere Themenpakete zusammenstellen und so eine größere Aufmerksamkeit erzielen können. Größere Entscheidungsfreiheit haben die interviewten Fotoreporter von AP und Reuters wenn es um features geht. „With the daily life pictures or features, it is all up to us“, so ein für AP in der Westbank tätiger palästinensischer Stringer (I20). features werden in der Regel dann bearbeitet, wenn die Nachrichtenlage schlecht

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ist, also wenn es wenig Ereignisse mit einem hohen Nachrichtenwert gibt. Dabei handelt es sich meist um Alltagsthemen oder Themen, die den Fotoreportern persönlich ein Anliegen sind. So fotografiert der im Gazastreifen lebende AFP Fotoreporter Mohammed Abed mit Vorliebe den Alltag abseits des politischen Konflikts, während Alaa Badarneh von EPA beispielsweise features über die Produktion von Holzkohle und Olivenölseife in der Westbank anfertigte (I15). Die hier geschilderten Routinen der Wire und die Abhängigkeit der Arbeitsplanung von der Nachrichtenlage sowie die diesem Prozess innewohnende Ereigniszentrierung könnte zu der Schlussfolgerung führen, dass die Redaktionen der Wire über so gut wie keinen Spielraum verfügen, in der Konfliktberichterstattung eigene Akzente zu setzen. Die Ausführungen eines ehemaligen israelischen Angestellten der internationalen Nachrichtenagentur Reuters zeigen jedoch, dass es durchaus Spielräume gibt. Diese hängen seiner Ansicht nach unter anderem von der Haltung des chief photographers ab: „In the beginning when the old chief photographer was here, he gave me the freedom to do whatever I wanted. ‚If you don’t want to cover this, don’t. But if something will happen and you are not there, I blame you and you need to get a picture. You need to justify why to shoot the picture or not‘. He gave me all the opportunity to be free. I controlled the area and I did whatever I needed to do. But when they changed the boss, the new one felt that he knows everything. They are foreigners and they want to cover their ass and they just want to cover everything. [...] If it’s a serious explosion, thirty people wounded, two people died, you say ok, I need to go. But if it’s only something that they send some rocket somewhere to Shderot and nothing happened, nobody needs to go. They (Reuters, Anm. d.A.) are afraid that they don’t have every aspect of what’s necessary.“ (B26: 10)

Neben einem hier durchschimmernden Kompetenzkonflikt zwischen dem ehemaligen israelischen Reuters-Fotografen und dem internationalen chief photographer zeigt sich an der skizzierten Gegenüberstellung der Arbeitsweisen unter dem alten und dem neuen Chef vor allem ein unterschiedlicher Umgang mit den Ereignissen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob eine Agentur jedes Ereignis dokumentieren muss oder etwas selektiver vorgehen kann. Normalerweise sind zumindest die Fotoreporter von AFP, AP, EPA und Reuters immer alle an einem Ort. Die dahinter stehende Logik ist, dass das, was die eine Agentur im Angebot hat, auch die andere anbieten muss. Nach Ansicht des Reuters-Fotografen kann es sich eine Agentur jedoch erlauben, auch selektiver vorzugehen. Dies birgt natürlich das Risiko, die Bedeutung von Ereignissen falsch einzuschätzen. Um dem zu begegnen, sind eine langjährige Erfahrung in der Region und ein Wissen um die lokalen Eskalationsmodi wichtige Kompetenzen, über die vor allem lokale Fotoreporter mit langjähriger Arbeitspraxis verfügen. Dagegen steht die Vorgehensweise des neuen chief



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photographers, auf Nummer sicher zu gehen und lieber so viele Ereignisse wie möglich zu dokumentieren. Dies ist vor allem für die lokalen Fotoreporter mit einem immensen Mehraufwand an Arbeit verbunden und bedeutet ein erhöhtes berufliches Stresspotential. Die Praxis der Nachrichtenauswahl Innerhalb der soeben geschilderten Strukturen findet der Prozess der Nachrichtenauswahl statt. Klar ist, dass die Orientierung an den Ereignissen den Arbeitsrahmen für die Nachrichtenfotografie darstellt, so ein Getty-Mitarbeiter: „When you work for a news agency you obviously need to cover the news. So whenever something happens you just jump on it and cover it.“ (I23) Die Bilderdienste der internationalen Nachrichtenagenturen verdienen ihr Geld mit Nachrichtenbildern oder Bildnachrichten. Insofern ist es auch aus einer ökonomischen Perspektive nachvollziehbar, dass ihre Mitarbeiter versuchen, so viele Ereignisse wie möglich abzulichten und in die Bilddatenbanken einzuspeisen. Dreh- und Angelpunkt der Arbeit der Nachrichtenfotografen sind somit als nachrichtenrelevant eingestufte Ereignisse. Alle anderen Themen sind der News-Orientierung nachgeordnet. So sind z. B. features zu Themen des alltäglichen Lebens zwar gerne willkommen, aber nur wenn gerade keine aktuellen Themen anstehen. Auch wenn features immer wichtiger werden, ist es nicht das eigentliche Kerngeschäft der Agenturen. Dabei gibt es in der Region einige Ereignisse, die den Kern der alltäglichen Arbeitsroutine vor allem für die Nachrichtenfotografen der Wire darstellen. Dazu gehören z. B. Pressekonferenzen in Jerusalem und Ramallah sowie Demonstrationen von Palästinensern in Ost-Jerusalem und der Westbank. Insbesondere die sogenannten „shakehands“ und diplomatische Termine werden von den Nachrichtenfotografen als das „bread and butter“ (I27) ihrer Arbeit bezeichnet. Dies sind meist mediatisierte oder inszenierte Ereignisse, die vorher bekannt sind und deren Dokumentation in die alltägliche Arbeitsroutine eingeplant werden kann. Eine weitere wichtige Gruppen von Ereignissen stellen Beerdigungen dar sowie je nach der Eskalationsphase des Konflikts militärische Operationen der israelischen Armee. Auch der christliche, jüdische und muslimische Feiertagskalender kommt am Produktionsstandort Israel/Palästina dazu. Damit sind bei der fotojournalistischen Produktion in der Region auch Ereignisse von Bedeutung, die nicht vordergründig mit dem Konflikt zu tun haben. Wichtig sind des Weiteren Themen, die das Potential zu einer Story haben, die längerfristig von Interesse sind, die ein gutes Bild versprechen, sowie Hintergrundgeschichten für kommende Ereignisse. Viele Ereignisse zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auf gewisse Weise stellvertretend für den politischen Konflikt stehen und Kristallisationspunkte desselben darstellen. Darüber hinaus bedeuten die verschiedenen Ereignisse auch unterschiedliche Herausforderungen für die Fotore-

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porter, bezogen auf ihr journalistisches Handeln. Aufgrund der Repetitivität einiger Ereignisse kann es nach Aussage von Alah Badarneh von EPA durchaus vorkommen, dass sich Agenturen auch dagegen entscheiden, diese zu dokumentieren: „It depends from the information we have, if the last demo was a strong one or not. Sometimes we decide not to cover anything, because it is the same picture every week.“ (I15) Alle diese Ereignisse und Themen machen aus, was viele Fotoreporter als das Zyklische des Konflikts beschreiben. Wie wenig formalisiert dabei der eigentliche Prozess der Nachrichtenauswahl ist, zeigt die Antwort des AFP-Fotografen Menahem Kahane auf die Frage, wie diese zu Stande kommt: „Well you need some experience. I cannot tell you how. Everybody knows what is important and what is not. And we make some kind of a selection. Sometimes we consult with other people in the office, what is important and what is not. Stories that we consider too local we don’t go, because it will be published mainly in local media. We are thinking about what kind of stories would be published abroad because we are international media.“ (I24)

Aufschlussreich an dieser Aussage ist der Hinweis auf das vermutete Interesse internationaler Medien. Bezüglich der Routine zeigt sich, dass es keine geschriebenen Regelwerke gibt, auf die sich die Nachrichtenauswahl stützen kann, dass aber der kollegiale Austausch eine entscheidende Rolle spielt. Die hier angesprochene Erfahrung ist etwas, was als eine Form des tradierten Wissens innerhalb der Organisationen und des Systems bezeichnet werden kann. Da die meisten der lokalen Fotoreporter keine formelle fotojournalistische Ausbildung genossen haben, ist davon auszugehen, dass dieses Wissen innerhalb der Organisationen erlernt wird. So wird das Verständnis dessen, was news ausmacht, von Fotoreporter zu Fotoreporter weitergegeben und als Routineprozess verinnerlicht. Dies hat zur Folge, dass news zu einem schwammigen Begriff wird, auf den sich jeder bezieht und der trotzdem nicht klar zu bestimmen ist. Bei der Nachrichtenauswahl ist ein entscheidender Faktor die Einschätzung der Visualität bzw. der visuellen Qualität eines Ereignisses, wie es die Aussage eines israelischen Stringers zeigt: „I mean you get text messages about whatever is going on everyday. If somebody arrested a woman with a knife at the checkpoint then I’m not gonna go for that, because it’s not gonna make a picture and I won’t be able to shoot anything by the time I get there. But if something big happens, a settlement destroyed by the police for example and I know it’s an ongoing story and I have the time to go and it’s something that always has a life, I will go and cover it.“ (I23)



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Das Abklären der Visualität bedeutet zuerst einmal nichts anderes, als die Frage zu stellen, ob sich das Ereignis oder dessen Folgen überhaupt in einem Bild darstellen lassen, wie es die Formulierung „it’s not gonna make a picture“ verdeutlicht. Wie diese Aussage zeigt, ist somit nicht jede Textnachricht automatisch auch eine gute Bildnachricht und nicht jedes Ereignis mit einem hohen Nachrichtenwert auch eine spannende photo opportunity. Und umgekehrt würde vieles, was ein guter shot für ein photo of the day ist, es als Textnachricht – wenn überhaupt – nur in die Rubrik „Vermischtes“ schaffen. Ist die Frage der Visualität geklärt, wird die weitere Auswahl in Abhängigkeit von den vermuteten Eigenschaften des Ereignisses durchgeführt. Hier kommen die sogenannten „Nachrichtenfaktoren“ ins Spiel. Dabei geht es um Faktoren, die einem Ereignis zugeschrieben werden. Grundlegend ist dabei das angenommene Interesse des internationalen Marktes für ein Ereignis. So sind Themen aus der Region nur dann von Interesse, wenn sie zum einen den Doppelbezug Israel/Palästina haben und zum anderen mit dem Konflikt als Oberthema verbunden sind. Besonders deutlich ist dies in Bezug auf die Situation im Gazastreifen zu beobachten, wie es der palästinensische Fotoreporter Naaman Omar beschreibt: „The media are interested in Gaza just when things have a relation with Israel. [...] But this is the situation. Only Palestinian topics, they are not interested in. But if Israel has any relation with the events, the media in the world are interested in this.“ (I33) Anders als in Israel oder der Westbank, wo es eher auch Themen aus dem Bereich Vermischtes oder Religion auf die Agenda schaffen, ist im Gazastreifen die Konfliktbezogenheit besonders ausgeprägt. Die zentralen Faktoren, die für den Auswahlprozess der Ereignisse, den Handlungsspielraum der Fotoreporter sowie die Frequenz des Kontaktes eine Rolle spielen, sind die Strukturen der Agenturen vor Ort, ihre Hierarchien, die geographische Verteilung der Fotoreporter innerhalb der Agenturen sowie die Position und die Ausrichtung der Fotoreporter auf dem Markt. So verfügt die für die NYT tätige Fotoreporterin Rina Castelnuovo über größere Freiheiten in der Entscheidung, weil die NYT bei tagesaktuellen Ereignissen auch auf die Berichterstattung der Wire zurückgreift. Ähnlich gelagert ist es beim lokalen Fotoreporter von „Getty Images“. Grundsätzlich besteht das Problem darin, dass bei allen Absprachen und Rückversicherungen auch falsche Entscheidungen getroffen werden können. „Many times you miss something“, so Safadi Atef von EPA. „Sometimes you expect something to be interesting and then it is bullshit, it is not worth driving there.“ (I19) Vor allem für die Agenturen mit einer relativ kleinen Gruppe von Fotografen stellt dies ein Risiko dar. Die großen Agenturen können dagegen so weit wie möglich auf Nummer sicher gehen und ihre Fotoreporter eher zu oft als zu selten aussenden, während die kleinen Agenturen Prioritäten setzen müssen.



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Recherche Die Recherche ist ein wichtiger Prozess, der die Nachrichtenauswahl begleitet und für die Kontextualisierung der Bilder von immenser Bedeutung ist. Dabei sind verschiedene Formen der Recherche in unterschiedlichen Momenten voneinander zu trennen. Der Entscheidung über die Auswahl eines zu dokumentierenden Ereignisses vorgelagert ist eine Recherche der aktuellen Nachrichtenlage. Damit starten die täglichen Arbeitsroutinen in der Nachrichtenfotografie: „I have contact with the people all the time. I start around 8:00, 8:30 in the morning. I do around 25 or 30 phone calls. I want to know what is the situation today. I call somebody in Silwan for example to ask what happens there today and they tell me what there is. Now Facebook helps a lot as well. I have a lot of friends that tell me ‚Tomorrow there’s a demo in Silwan around 11 o’clock‘. I can see it in my phone now, I don’t need to open my computer. Then I call my boss and tell him that tomorrow there is a demo in Silwan.“ (I32)

Lokale Fotoreporter wie der hier zitierte Stringer von AFP, Ahmad Gharabli, haben oft eine Doppelfunktion: Fotoreporter sowie Informant für die Redaktionen zu sein. Die Recherche hat dabei zum Ziel, die aktuelle Nachrichtenlage zu checken. Die Fotoreporter informieren sich vor allem über lokale und internationale Medien, Telefonanrufe zu Informanten, die Beeper bzw. Nachrichtenticker, SMSNachrichten sowie Facebook. Aufgrund ihres größeren Handlungsspielraums ist die Recherche dabei vor allem für die Angestellten von EPA und AFP von großer Bedeutung, die deswegen mehr Zeit dafür verwenden: „Ich stehe morgens früh auf, lese zwei lokale Zeitungen, Haaretz und Jerusalem Post – die auf Englisch sind – dann verschiedene internationale Websites und internationale Zeitungen. Dann schaust du auch in den Nachrichtenticker von den Lokalen, was so passiert ist, und ganz oft sprichst du mit anderen Fotografen, die was wissen.“ (I08)

Der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken ist wie die meisten seiner internationalen Kollegen aufgrund mangelnder arabischer und hebräischer Sprachkenntnisse bei der Recherche auf die englischsprachigen lokalen Medien und internationale Zeitungen angewiesen. Dies reduziert die zur Verfügung stehenden lokalen Medienquellen immens. Gleichzeitig zeigt sich daran auch die Selbstreferentialität der Recherche: Ausgangspunkt der Recherche sind lokale Medien oder Kollegen, also primär Quellen, die ebenfalls dem Journalismus entstammen. Des Weiteren sind die Nachrichtenticker in der Regel nicht auf Englisch, so dass diese als Recherchequellen für die internationalen Fotoreporter ebenfalls ausfallen. Die Abklärung der Nachrichtenlage ist von der Recherche bei einem konkreten Ereignis zu unterscheiden. Insbesondere bei einem hoch emotionalisierten Konflikt,



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wie ihn der Nahostkonflikt darstellt, ist es von entscheidender Bedeutung, wie Bilder über ein einzelnes Ereignis einzuordnen sind. Kleine Fehler in der Berichterstattung und der Recherche können zu großen politischen Verwerfungen führen. Insofern kommt nicht nur dem Bild an sich, sondern auch der Recherche der Umstände eines Ereignisses eine große Bedeutung zu. Wie dies ablaufen kann, schildert der für AFP tätige palästinensische Fotoreporter Mohammed Abed aus dem Gazastreifen: „First of all I am shooting direct pictures. I am not asking and shoot direct pictures because there is no time to ask for the story. After shooting the pictures, I am asking, I am looking and hearing what the people are saying. I have sources that I am calling to know everything, the reality and the truth. So if everything is true, I send my picture and write the caption about what the sources told me and what I saw. But if I discover that there is something wrong, I don’t send my picture, I tell my agency, there is something wrong and that’s it.“ (I39)

Hier ist vor allem interessant, den Arbeitsablaufs nachzuvollziehen. Als Erstes wird von Abed ein Bild der Situation angefertigt. Dies ist insofern nachvollziehbar, als das Bild die zentrale Informationsquelle und das Informationsmedium darstellt. Die Recherche über den Inhalt des Ereignisses ist damit nachgeschaltet, jedoch nicht weniger bedeutend. Sie ist nicht für den fotografischen Akt relevant, sondern für die Frage, ob und wie das Bild veröffentlicht und kontextualisiert wird.1 Nur wenn Abed zum einen das Ereignis kontextualisieren kann und zum anderen entsprechende Nachrichtenwerte erfüllt sind, sendet er das Bild an die Redaktion. So geht es im Gazastreifen beispielsweise immer wieder um die Frage, wer die Verantwortlichen für zivile Opfer und Schäden an der Infrastruktur sind. Dann ist es unter anderem die Aufgabe der Fotoreporter herauszufinden, ob es sich bei den von ihnen im Bild festgehaltenen Schäden um die Folgen eines israelischen Luftschlags oder die Folgen anderer Ereignisse handelt. Ein anderer Weg ist in der Nachrichtenfotografie nicht möglich, besteht doch bei einer vorgeschalteten Recherche das Risiko, dass das visuelle Ereignis vorüber ist oder die Situation sich auf solch eine Art und Weise weiterentwickelt hat, dass kein verwertbares Nachrichtenbild mehr entstehen kann. Insofern ist der umgekehrte Weg, erst Informationen zu sammeln und dann Bilder zu machen, kaum möglich.

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Auskunft gibt die Aussage Abeds auch über die Ethik des Fotojournalismus. Denn im Mittelpunkt steht oft nicht die Frage, ob die Kamera die Situation überhaupt einfangen kann, somit eine Frage der Aushandlung mit dem Subjekt, sondern ob das Bild später veröffentlicht werden kann. Denn für ethische Fragen ist zumindest bei Breaking News gar kein Spielraum. Von daher muss diese Frage nachgelagert behandelt werden. Mehr dazu im Abschnitt zu Ethik.



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Auf die Bedeutung, welche die Recherche als zentraler Pfeiler für journalistische Qualität hat, weist auch die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine von SIPA Press hin: „Well you have to be a good journalist as well, because you cannot assume and you have to ask the five W’s even if you feel that you know all the information. You have to doublecheck because you can be wrong and you don’t wanna be wrong because you don’t want to ruin your reputation or put out false information. And it’s easy to make mistakes.“ (I16)

Levine hebt hier konkret zwei klassische Recherchetechniken hervor: Die fünf W sowie der „doublecheck“, womit die Überprüfung bzw. das Gegenchecken von Informationen gemeint ist. Hinter den fünf W verstecken sich die Fragen „Wer, was, wo, wann, warum“. Diese Fragen dienen vor allem dazu, eine nachvollziehbare Bildunterschrift mit den wichtigsten Informationen zu verfassen, so dass die Kunden ein Bild kontextualisieren können. Dabei geht es auch darum Fehler zu vermeiden, die zu Falschinformationen führen und auch eine Kariere ruinieren können. Während Fotoreporter, die für die Bilderdienste arbeiten, auch auf die Hilfe ihrer Kollegen, insbesondere der Textjournalisten, zählen können, sind Stringer, die für Non-Wire Bildagenturen wie „SIPA Press“ oder „Getty Images“ arbeiten, bei ihren Recherchen und dem Überprüfen von Informationen erst einmal auf sich alleine gestellt. Ihnen hilft in diesem Fall nur ein gutes lokales Netzwerk. Der Zugang zum Feld und die Praxis der Bildproduktion Während Freelancer eigene Kontakte nutzen oder mit Hilfe ihrer Fixer an Geschichten kommen, haben die Angestellten der Bilderdienste den Vorteil, dass sie bei der Vorbereitung des Zugangs zum Feld auf ein breitmaschiges Netz lokaler Angestellter zurückgreifen können, wie es eine ehemalige Mitarbeiterin von AP schildert: „Especially in the Westbank and Gaza, we had our photographers that were there as well. So access was usually prepared by them and their contacts.“ (I37) Somit ist es für die internationalen Fotoreporter der Wire relativ einfach, zwischen den Berichterstattungsregionen hin- und herzuwechseln. Das breitmaschige Netz lokaler Angestellter garantiert, dass Themen von diesen vorbereitet werden können und die internationalen Staffer nur noch kommen müssen, um die Motive zu fotografieren. Lokale palästinensische Fotoreporter der Wire übernehmen für ihre internationalen Kollegen damit letztlich die Funktion von Fixern. Das zentrale Element der Bildproduktion ist der fotografische Akt, während dem die Fotoreporter am Ort des Geschehens sind und visuelle Zeugnisse einer Situation anfertigen. Dem vorgelagert ist die Frage nach dem Zugang zum Feld, der an dieser Stelle nicht näher thematisiert wird. Ausführlich wird darauf im Kapitel



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zum Konfliktkontext (7.) eingegangen. Zu unterscheiden sind hinsichtlich der Produktion inhaltliche und gestalterische Kriterien. Unter inhaltlichen Kriterien wird die Frage verstanden, welche Akteure bzw. welche Elemente eines Ereignisses in einem Bild festgehalten werden, unter gestalterischen Kriterien hingegen die Art und Weise der visuellen, fotografischen Umsetzung. Der zweite Aspekt bezieht vor allem auf formale Aspekte des Einzelbildes. Grundsätzlich ist bei der fotojournalistischen Produktion von Bedeutung, den Geschehnissen ihren Lauf zu lassen und „to try as much not to interfere with the event“ (I27), so ein israelischer Reuters-Fotograf. Andere Erwartungen, die an einen Fotoreporter hinsichtlich der inhaltlichen Kriterien herangetragen werden, beschreibt der für Itar-Tass tätige Fotoreporter Ilja Yefimovich: „If there was a demo, they expect you to bring a picture of the police shooting, a picture of the kids throwing stones, a picture of a guy arrested. Or if you go to do a portrait at somebodys home, there shouldn’t be only one image, there should be 10 different ways to show the situation.“ (I10)

Inhaltliche Kriterien zur Dokumentation eines Ereignisses sind somit das Abbilden aller relevanten Akteure in einem Bild, die Darstellung möglichst vieler Facetten eines Ereignisses sowie die Lieferung einer großen Bandbreite an Aufnahmen verschiedener Einstellungsgrößen und Formate. Dazu gehört meist eine Übersicht der Situation, ein „medium shot“ sowie ein „close-up“ (I32). Die Fotoreporter antizipieren damit beim Fotografieren verschiedene Blickwinkel auf ein Ereignis und kommen damit den Bedürfnissen der Redaktionen entgegen. Dazu gehört auch, sowohl hoch- als auch querformatige Bilder anzufertigen, damit die Redaktionen entsprechende Auswahlmöglichkeiten haben. Dass die Fotoreporter auf die Bedürfnisse ihrer Abnehmer reagieren, ist Teil der Servicefunktion, der sie als Produzent nachkommen. Eine Besonderheit bezüglich der Bildproduktion herrscht bei „Getty Images“: „The criteria at Getty is that I’ll try to make a story around the whole event. I’ll try and get you the detail, the general view and as many aspects of the same thing as possible so that you can build yourself a story.“ (I23) Von Vorteil für Getty Images ist, dass Sie mit dem Bilderdienst von AFP kooperieren und deren Bildmaterial in ihrer Datenbank zugänglich machen. Damit tritt Getty nicht als Konkurrent der Wire auf und kann mit unfangreicheren Geschichten rund um tagesaktuelle Ereignisse eigene Schwerpunkte setzen. Weitere wichtige Kriterien der Bildproduktion sind, nah dran zu sein am Geschehen und einen sogenannten clean frame zu zeigen. Dies bedeutet, dass normalerweise keine Fotoreporter oder andere Journalisten im Bild zu sehen sein sollen. Damit wird das Kriterium einer fotorealistischen Wiedergabe eines Ereignisses im Sinne eines authentischen Bildes erfüllt. Andere Journalisten oder Fotoreporter

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sollen nur dann im Bild zu sehen sein, wenn es für das Verständnis des Ereignisses von Bedeutung ist (I23). Kritisch zu betrachten ist, dass damit z. B. dem Konsumenten vorenthalten wird, wie groß die Medienpräsenz am Ort eines Geschehens ist. Dahinter steht die Logik, dass andere Journalisten im Bild den Charakter einer Fotografie als authentisches Zeugnis in Frage stellen. Haben die Nachrichtenfotografen Zeit, den Bildausschnitt zu wählen, wählen sie bewusst den Einfall des Lichts im Bild sowie den Bildhintergrund aus (I32). Darüber hinaus gibt es weitere gestalterisch bzw. fotografisch wichtige Kriterien: „Obviously, pictures that are out of focus or blurry are not accepted. Or there has to be a big justification for that. This would be easier if you would work for a magazine or other publications. And they want people in the shots unless there is a compelling reason for that. Just a picture of a building is not interesting, there has to be something going on.“ (I37)

An der Aussage dieser für AP tätigen Stafferin zeigt sich, dass der fotografischen Kreativität des Nachrichtenfotografen klare Grenzen gesetzt sind. Ein wichtiges Kriterium, an dem sich die Gestaltung zu messen hat, ist der Informationsgehalt des Bildes: Dies ist das primäre Ziel. Alle fotografischen Gestaltungsmittel wie die Schärfeverteilung, die Wahl der Lichtquelle, die Einbeziehung des Bildhintergrundes haben sich dem unterzuordnen. Dies zeigt sich auch an der Dominanz der Farbfotografie, die heute so gut wie flächendeckend in der Nachrichtenfotografie zum Einsatz kommt. Trotzdem wurde von den Fotoreportern darauf verwiesen, dass persönliche Vorlieben des Fotoreporters innerhalb dieser Grenzen zulässig sind. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt sind Modeerscheinungen in der Nachrichtenfotografie. So waren in den letzten Jahren Tendenzen wie Weitwinkelaufnahmen oder die Arbeit mit offener Blende zu beobachten. Viele bildnerische Aspekte gründen auf implizitem Wissen, das informell innerhalb der Agenturen und unter den Fotoreportern weitergegeben wird. Wichtig sind Beeinflussungen, die nicht direkt verbal in Form einer Arbeitsanweisung geäußert werden, aber zweifellos die Arbeit der Fotoreporter mit bestimmen. Insbesondere die Fotoreporter der Wire sind in der Regel innerhalb des Agentursystems sozialisiert worden. In der alltäglichen Routine durchläuft ein bestimmter, sich wiederholender Bildtypus die Hände der Fotoreporter und der Redaktionen. Da bleiben Einflüsse nicht aus, auch wenn die Sozialisierung selten so formalisiert verlief wie beim deutschen Fotoreporter Oliver Weiken in seinem Fotovolontariat bei DPA. Andere Indikatoren liegen im Umgang der Bildredaktion mit dem Bildmaterial des Fotoreporters. Neben dem – oft nicht vorhandenen – Feedback durch die Bildredakteure der Agenturen ist ein Gradmesser vor allem der play report. Daraus kann ersehen werden, ob ein Bild sich gedreht hat bzw. wie oft es abgedruckt wurde. Auch die Annahme oder Ablehnung der Bildauswahl durch die Bild-



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redaktion ist ein Signal. Hieran kann der Fotoreporter sehen, welche Art von Bildern auf dem Markt angenommen werden und Erfolg haben. Die Praxis der Bildauswahl und -redaktion In den Prozess der Bildauswahl und -verarbeitung sind sowohl die Fotoreporter als auch die Bildredakteure der Bilderdienste involviert. In der Regel wird die erste Auswahl von den Fotoreportern getroffen. Je nach Zeitdruck wird diese noch vor Ort auf dem Laptop ausgeführt oder nach der Rückkehr ins Büro. „After an event you need at least between one or two hours to choose and to delete pictures“, so Safadi Atef von EPA (I19). Diese erste Bildauswahl wird dann an die Bildredaktion übertragen bzw. in den Bildpool der Nachrichtenagenturen eingespeist. Pro Ereignis muss mehr als ein Bild gesendet werden, i.d.R. jedoch maximal zehn Bilder (I19). „You cannot bring only one picture from a demo. You need to bring six or ten pictures, this is kind of the expectation“ (I10), so Ilja Yefimovich über seine Erfahrungen. Der Umfang der versandten Bilder hängt dabei von der Bedeutung des Ereignisses ab. Wichtig ist auch der Abgleich mit der internationalen Nachrichtenlage um zu verhindern, dass unnötig Ereignisse aus der Region gepusht werden, wenn die Nachrichtenlage gerade von anderen Themen dominiert wird. Die Bildredaktion überprüft die Auswahl des Fotoreporters und nimmt gegebenenfalls eine Reduktion der Bilder vor. Die Fotoreporter berichteten, dass ihre Auswahl in der Regel von den Bildredakteuren übernommen wird. „After all these years with AFP, what I send out is what is put on the wire“ (I34), so Gali Tibbon. Vor allem die dienstälteren und erfahrenen Fotoreporter verfolgen das Prinzip des tight edit, der sogenannten engen Bildauswahl, um weder die Datenbanken zu überladen noch die Kunden mit zu vielen Bildern zu überfordern. Korrekturen der Auswahl durch die Bildredaktion beinhalten dann meist nur eine Reduktion um ein bis zwei Bilder. Um die eigenen Präferenzen weitergeben zu können, wenden die Fotoreporter auch die Taktik an, die besten Bildern zuerst zu senden: „If I pick like five pictures, I will send the best one first, then the second one and so on.“ (I19) Wenn die Bildredaktion von den Fotoreportern ausgewählte Bilder nicht übernimmt, wird dies in der Szene als „to kill pictures“ (I24) bezeichnet. Der Prozess der Bildauswahl unterscheidet sich unter den Agenturen vor allem aufgrund ihrer Organisationsstrukturen. AP und Reuters haben eigene Bildredakteure in Jerusalem angestellt. Die Entscheidung über die Veröffentlichung von Bildern erfolgt somit noch in der Region. Die Bildredakteure sind Israelis oder Internationale. Bei Reuters ist die Bildredaktion beispielsweise 12 Stunden täglich in zwei Schichten besetzt (I27). Zu anderen Tages- und Nachtzeiten gehen die Bilder zu anderen Büros von Reuters. Die globale Vernetzung der Agenturen garantiert, dass immer eine Bildredaktion besetzt ist. Es kann jedoch auch vorkommen, dass die Fotoreporter untereinander die Aufgabe des Bildredakteurs übernehmen und ein

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israelischer Staffer die Bilder seines palästinensischen Kollegen editiert und umgekehrt. Die Bildredaktion von AFP sitzt in Nikosia auf Zypern (I24). Dort wird die Bildredaktion für den gesamten Nahen Osten zentral organisiert. Die Agentur EPA verfügt dagegen über keine Bildredaktion in der Region. Die Fotoreporter sind selbst für die finale Auswahl verantwortlich und werden dabei nur von einem Bildredakteur in der Zentralredaktion in Frankfurt am Main überwacht. In diesem täglichen Routineprozess hängt die Art des Kontaktes von der Institution, für die der Fotoreporter tätig ist, sowie von seiner Nationalität ab. Fotoreporter von Reuters und AP, mit israelischem oder ausländischem Pass, die im Großraum Jerusalem tätig sind, schauen in der Regel täglich im Büro vorbei und haben dabei auch Kontakt zur Bildredaktion, da diese vor Ort ist. Palästinensischen Fotoreportern ist dies dagegen aufgrund ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit nicht möglich. Bei allen anderen Institutionen wie AFP, EPA, „Getty Images“, ect. gibt es weniger persönlichen Kontakt, da es keine lokale Bildredaktion gibt. Kontakt wird entweder aufgenommen, wenn es von Seiten der Bildredaktion Unklarheit gibt oder der Fotoreporter mit der Auswahl unzufrieden ist bzw. wenn er ein Bild für besonders wichtig hält. „I talk with them if there is something that I think it must be in the story“, so Menahem Kahane von AFP (I24) bezüglich seines Kontakts zur regionalen Bildredaktion in Nikosia. Eine Besonderheit stellt die Situation von Rina Castelnuovo als lokaler Fotoreporterin der „New York Times“ (NYT) dar. Sie ist Teil der lokalen Redaktionsstrukturen der NYT und ein local staff. Anders als ihre Kollegen der Wire gehen ihre Bilder nicht in einen Bilderpool, aus dem sich andere Medien bedienen. So hat sie beim Fotografieren schon ihr Publikationsmedium im Auge und kann ihren fotografischen Prozess sehr viel stärker auf die Bedürfnisse ihres Arbeitgebers anpassen. Dies unterscheidet ihre Arbeit als local staff der NYT entscheidend von ihren Kollegen bei den Wire. Sie ist auch direkt in den finalen Redaktions- und Veröffentlichungsprozess involviert. Vor besonderen Herausforderungen steht die Bildredaktion, wenn es sich um unerwartete Geschehnisse von großer Bedeutung handelt: „If it’s breaking news and something happens right here, it is great if I can transmit one or two pictures to the wire. Then everybody can relax because we have two or three pictures on the wires and we can continue. That’s really important.“ (I23) Hier zeigt sich der Einfluss der Beschleunigung des Mediums Fotografie auf der einen Seite, der mit der Digitalisierung der Fotografie immens zugenommen hat, sowie der Einfluss zunehmender Konkurrenz zwischen den Nachrichtenagenturen auf der anderen Seite. So ist es bei unerwarteten Ereignissen wichtig, als erste Agentur Bilder „über den Draht zu schicken“, wie die Fotoreporter zu sagen pflegen. Diese Schnelligkeit ist vor allem für die Kunden entscheidend, die im Internet publizieren. Die Tageszeitungen hingegen können sich aufgrund klarer Deadlines mehr Zeit lassen. Da im Online-

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Journalismus keine Deadlines existieren, herrscht hier das Gebot der Schnelligkeit und der Gleichzeitigkeit vor. Im Fall von breaking news gibt es theoretisch auch die Möglichkeit, Bilder direkt von der Kamera zu versenden. Zum Zeitpunkt der Feldforschung verfügte nur Reuters über diese Technik, die einen zeitlichen Vorsprung gegenüber der Übertragung der Bilder auf den Laptop erlaubt. Bei Reuters senden die Fotoreporter die ersten Bilder dann direkt vom Ereignis von der Kamera. In der Diskussion ist ebenfalls, ein erstes Bild mit dem Smartphone zu machen und zu versenden, bevor sich der Fotoreporter in Ruhe der Dokumentation des Ereignisses widmen kann. Ein Verfahren, das ebenfalls nur von Reuters angewandt wird ist das sogenannte remote editing2, welches vor allem bei großen, lange im Voraus planbaren Ereignissen zum Tragen kommt, so ein israelischer Staffer der Agentur: „When we shoot a big occasion like the pope visit, you have a lot of photographers. And it’s much easier to control that exactly when you see the whole picture. You know that this guy has this picture, that guy has that one. Like this we can create something as a group.“ (I27)

Das remote editing bedeutet für den einzelnen Fotoreporter den totalen Kontrollverlust über das von ihm produzierte Bildmaterial, da die Speicherkarten an die Redaktionen gehen und er selbst keine Bildauswahl mehr vornimmt. Umgekehrt ermöglicht es der Agentur, wie es der Fotoreporter schildert, ein Bild-Paket als gemeinsames Produkt zu verkaufen, möglicherweise auch durch Text angereichert. Wichtig ist auch, die Form der Bilddistribution über die Agenturen zu erwähnen. Die finale Auswahl der Fotoreporter wird von den Bildredakteuren oder den Fotoreportern selbst in eine Datenbank eingespeist. Anders als auf der Ebene der Publikationsmedien gibt in es in den Datenbanken kein Platzproblem und eine Konkurrenz um den Platz auf einer Seite. Der Prozess der Datenbankeinspeisung wird auch als Bilder hochladen, online stellen oder auf den Draht schicken – „to put them on the wire“– bezeichnet. Letzteres bezieht sich auf die ursprüngliche Technik der Nachrichtenagenturen, als Texte und Bilder per Kabel bzw. wire in die Redaktion übertragen wurden. Je nach Agentur ist dieser Bilderpool frei öffentlich zugänglich, wie z. B. bei AFP und EPA, oder nur mit einem Kundenkonto im Fall von Reuters.3 Die im Bilderpool veröffentlichten Fotografien sind für die Bildersuche verschlagwortet und verfügen über captions. Als zusätzliche Serviceleistung bieten

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Über den Prozess des remote editing gibt es bis heute relativ wenig Wissen. Vom technischen Ablauf gesehen, haben die Bildredakteure über einen Sender in der Kamera und eine Verbindung derselben mit dem Internet die Möglichkeit, direkt auf das Bildmaterial der Fotoreporter zuzugreifen.

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Zum Bildpool beispielsweise von AFP siehe www.imageforum-diffusion.afp.com.

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einige Agenturen auch eine tägliche Auswahl der besten Bilder als Editor’s Choice (Auswahl der Redaktion) an, was in den Datenbanken gesondert präsentiert wird. Bezüglich des Inhalts der auszuwählenden Bilder gilt, dass in der Regel eine Handlung mit Personen dargestellt sein soll (I37) und das Prinzip des clean frame respektiert wird, wie es bereits im Absatz zur Praxis der Bildproduktion geschildert wurde. Als Idealfall gilt darüber hinaus, wenn alle Akteure in einem Bild dargestellt werden können bzw. wenn ein Bild die Story zusammenfasst (I20). Dieses Bild stellt dann meist den Aufhänger für ein Ereignis dar und wird um weitere Bilder ergänzt, die den Ablauf und die einzelnen Akteure zeigen. Einige gestalterische Prinzipien, die von den Fotoreportern respektiert werden müssen, wurden bereits im Abschnitt zur Bildproduktion dargestellt. So ist eine technische Präzision von großer Bedeutung, es sei denn, die Aufnahmesituation machte dies nicht möglich. Da bei Getty Images Geschichten rund um das Ereignis erzählt werden ist es dort auch möglich, größere Bildmengen einzureichen. Teil des Auswahl- und Redaktionsprozess ist die digitale Bildbearbeitung: dazu gehört die Konvertierung der Daten von digitalen Negativ (RAW) zu Tiff- oder Jpeg-Dateien, sofern nötig, der Beschnitt der Bilder sowie Korrekturen in Photoshop oder anderen Bildbearbeitungsprogrammen. Eine AP Stafferin formuliert diesbezüglich den Standard ihrer Agentur folgendermaßen: „They have a set of Photoshop actions that you are allowed to do in a certain context and what you are allowed to fix or dodge, burn, and all that stuff. But they were pretty standard. I mean it’s just like after all this fiasco in the 2006 War4 that people became a lot more careful about what was done in Photoshop.“ (I37)

Die Aussagen anderer Fotoreporter bestätigen, dass in der Regel von den Fotoreportern nur kleinere Korrekturen in Photoshop vorgenommen werden, vor allem hinsichtlich der Farbe und des Kontrastes. Diese Aspekte lassen sich auch in den online zugänglichen Richtlinien einzelner Nachrichtenagenturen nachlesen. So erlaubt die Agentur Reuters ihren Fotoreportern das cropping, Anpassungen an der Gradationskurve, kleinere Farbkorrekturen, das minimale Schärfen, die vorsichtige Anwendung des Lasso-Tools sowie Anpassungen im Licht- und Schattenbereich (Reuters 2008). Klar verboten sind alle Eingriffe in den Bildinhalt: „No additions or deletions to the subject matter of the original image (thus changing the original content and journalistic integrity of an image).“ (Reuters 2008) Konkrete Aussagen der Fotoreporter über den Umgang mit dem Beschnitt gab es nicht. Das cropping ist

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Hier wird Bezug auf den Fall „Adnan Hajj“ genommen, einen libanesischen Stringer von Reuters, der im Libanonkrieg Rauchwolken in einem Bild digital vermehrt hatte, was zu einem großen Skandal und seiner Entlassung führte.



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dabei zwischen zwei diametral entgegengesetzten Interessen gefangen: zum einen der Tendenz der Wire, Bilder auf die Kernaussage zu beschneiden, zum anderen der Notwendigkeit, Raum für eine Anpassung ans Layout der Publikationsmedien zu haben. Kritisch zu sehen ist das cropping, weil möglicherweise relevante Bildinformationen wegfallen können. So wurde im Jahr 2010 die Agentur Reuters dafür kritisiert, bei Bildern über das Entern israelischer Soldaten der „Gaza Flotilla“ relevante Bildinformationen weggeschnitten zu haben. Im Beschnitt war eine Hand weggefallen, die ein blutverschmiertes Messer hielt. Zu erwähnen ist jedoch, dass es sich hierbei um ein sogenanntes handout picture der IDF handelte, das nicht von einem Reuters Fotografen angefertigt worden war. Neben der Produktion und Auswahl der Bilder ist ein weiterer zentraler Aspekt der Arbeit der Fotoreporter das Verfassen der captions bzw. der Bildunterschriften5. In diesen liefern sie alle relevanten Informationen zum fotografierten Ereignis und ermöglichen den Bildredaktionen das Ereignis zu kontextualisieren. So geht es nach Aussage des EPA-Fotoreporters Safadi Atef vor allem um das „who, whom, where and when“ (I19) bei der Verfassung der captions, also die klassischen 5 W’s. Eine Schwierigkeit, die Atef anspricht, liegt darin, dass fast alle der Fotoreporter keine englischen Muttersprachler sind und somit im Verfassen von captions auf Englisch immer eine potentielle Fehlerquelle liegt. Kein Zweifel herrscht darüber, dass die captions so gut sein müssen wie die Bilder. Der praktische Umgang mit den captions ist dabei durchaus unterschiedlich und zeigt sich vor allem an der Wahl von Begriffen, wie es ein palästinensischer Staffer von AP erläutert: „There is some style for any agency. For example you cannot say martyrs. One Palestinian killed, or ten, you have to say suicide bomb, or suicider ... It all depends on the agency. As a local, I might see it differently as they see it as Israelis or Foreigners. But if we look at the side of the Israelis, they neither can write whatever they want. There is the agency to tell the form and line and what we are and what we are not. Since we know the rules, it is no problem.“ (I20)

Diese Regeln für das Verfassen der captions haben zum Ziel, die persönliche Sicht der Fotoreporter auf den Konflikt und die Ereignisse weitestgehend auszugleichen

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Bei den captions ist zu beachten, dass es einen großen Unterschied zwischen dem gibt, was der Fotoreporter über die Agentur als caption mit seinen Bildern veröffentlicht und was die ein Bild publizierenden Medien als Bildunterschrift daraus machen. Für den Fotoreporter und die Agentur hat die Caption die Funktion, alle relevanten Informationen zu einem Ereignis zu liefern. Sie dient somit als Informationsquelle für die Kunden. In der veröffentlichten Bildunterschrift in einem Medium geht diese Informationsqualität oft verloren.



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und einen gemeinsamen Standard zu gewährleisten. Nach Aussage des für AFP tätigen Fotoreporters Menahem Kahane orientiert sich die französische Nachrichtenagentur beispielsweise an den Begrifflichkeiten des internationalen Rechts (I24). Die Besonderheit bei Reuters ist, dass die Fotoreporter die captions nur dann selbst schreiben, wenn sie dazu die Zeit haben. Ansonsten geben sie alle relevanten Informationen an den Producer in der Bildredaktion durch, der den Text formuliert (I27). Ein relativ neues Phänomen in der Publikationspraxis der Bilderdienste ist, Akteure, die nicht im Bild zu sehen sind, die aber bedeutsam für ein Verständnis der Situation sind, in den captions zu benennen. So ist es Teil der fotojournalistischen Praxis, die Caption zum Bild eines Soldaten mit angelegtem Gewehr dahingehend zu ergänzen, dass er auf die Demonstranten zielt, die nicht im Bild sichtbar sind. Wenn es um steinewerfende Jugendliche geht, gilt dies ähnlich. Wie dieser Abschnitt aufzeigen konnte, ist das Zusammenspiel zwischen Bildredaktion und Fotoreporter ein wichtiger Pfeiler der täglichen Routine und funktioniert im Idealfall reibungslos mit wenig Kommunikation da die Bedürfnisse des Anderen klar sind. Um dies zu gewährleisten, gibt es jedoch auch dezidierte Erwartungen der Fotoreporter an die Bildredakteure: „Since it is a news agency, it is very important that the editors know where he is getting the pictures from and why he is getting the pictures. [...] If the editor has no idea about what is going on in this area, he will not understand why I’m sending this picture. So he will look at the picture and send it if he likes it. If he will not like it, he will not send it, which doesn’t make sense. This is Israel-Palestine, if there are some pictures, there should be a story for the news.“ (I19)

Safadi Atef formuliert hier einen hohen Anspruch an den Bildredakteur. Seiner Ansicht nach geht es bei der Beurteilung der Bilder nicht primär um ihre visuelle Qualität, sondern um die Bedeutung des fotografierten Ereignisses. Bezüglich Atefs Agentur, der EPA, setzt dies die Bildredaktion unter großen Zugzwang, da sie nicht im Nahen Osten, sondern in Frankfurt angesiedelt ist und theoretisch dort eine regionale Expertise vorhanden sein müsste. Angesichts der Vielzahl internationaler Themen, die dort zusammenkommen, ist dies jedoch nur schwer zu leisten. Umgekehrt lässt sich daraus eine Begründung ableiten, warum es von Vorteil sein kann, eine Bildredaktion in der Region zu haben, wie es bei AP und Reuters der Fall ist. Die Bedeutung der Veröffentlichung Die für die Wire tätigen Fotoreporter geben mit der Weiterleitung ihrer Bilder in den Bestand der Agenturen i.d.R. jede weitere Kontrolle über die Verwendung der Bilder ab. So wissen sie oft selbst nicht, ob und wie ihre Bilder veröffentlicht wurden. Bei der täglichen Bildproduktion für den schnelllebigen tagesaktuellen Markt



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der Nachrichtenfotografie kann der Überblick über die Veröffentlichung schnell verloren gehen. Somit sind Fotoreporter auch auf eigene Internetrecherchen angewiesen. Diese führen sie vor allem dann durch, wenn sie einen guten shot hatten. Die großen Wire-Agenturen (AFP, AP, EPA, Reuters) verfügen zwar meist über einen sogenannten play report, der den Fotoreportern zugeht und anzeigt, wie oft ihr Bild gekauft wurde bzw. wo es veröffentlicht wurde. Aber die play reports sind oft unvollständig und erfassen meist nicht alle veröffentlichten Bilder. Für einige Fotoreporter bietet der play report jedoch auch eine Orientierung in Richtung der Qualität ihrer Arbeit. Bei ganz wichtigen Ereignissen gehen den Fotoreportern von EPA z. B. auch Scans oder PDFs der abgedruckten Bilder zu (I08). Die Besonderheit der Arbeit bei den Wire ist, dass alle Bilder, die sie produzieren, über kurz oder lang irgendwo veröffentlicht werden. „Especially when you work for an agency, you discover that everything you shoot gets published“ so die Stringerin von AFP Gali Tibbon (I34). Das ist auch eine Folge der gesteigerten Nachfrage nach Bildern, die im Zuge der zunehmenden Bedeutng von Visualisierung und Illustration im zeitgenössischen Journalismus aufgetreten ist. Bei der Frage, welche Bedeutung einer Veröffentlichung zukommt, ist für die Fotoreporter entscheidend, wo das Bild abgedruckt wurde. Als zentrale Referenzgröße wurde in den Interviews diesbezüglich die amerikanische Tageszeitung „New York Times“ (NYT) genannt. Am stärksten war die Orientierung hinsichtlich des Abdrucks auf Seiten der palästinensischen Fotoreporter zu beobachten . Für die Mehrzahl der befragten israelischen und internationalen WireFotoreporter spielt der Abdruck jedoch keine so große Rolle, wie es ein israelischer Reuters-Angestellter darlegt: „Sure I care about the publishing, it is really nice to have some good publicity, or your picture is running all over the newspapers. But this is not the main thing. You are forgetting really quickly, the amazing picture that you took, after a week you cannot look at the picture any more. Because what is the value of this picture? I need to bring a much better one than that.“ (I27)

Die Veröffentlichung ist damit zwar ein Aspekt der Selbstbestätigung, aber es findet gleichzeitig auch eine Form der Sättigung statt, weil in der alltäglichen Routine ständig qualitativ hochwertige Nachrichtenbilder produziert werden müssen. Aus der Perspektive des Konsumenten, der nur das publizierte Einzelbild in der Tageszeitung sieht, ist schwer vorstellbar, wie gering die Halbwertszeit einzelner Bilder für den Fotoreporter ist. Die Fotoreporter legen aus diesem Grund eine andere Messlatte an, wie es der Reuters Fotograf weiter ausführt:



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„I’m looking at it from a much wider perspective. I’m looking at the pictures that I did 10 or 15 years ago and not at the pictures that I’m shooting today because a picture is getting its strength with the years. If it was a big event, the picture is much stronger after 10 years. Suddenly you look at your picture differently. You say, ‚Shit, I have Ariel Sharon sitting on the Knesset or as Prime Minister, or Moshe Katsav‘, that is history. It is already history today and it’s not a lot of years. So I’m looking at my whole work as a big package from a wider angle. I don’t look only at one event and on what I did today or what will be published tomorrow.“ (I27)

Einzelbilder haben somit in der täglichen Produktionsroutine für die Fotoreporter eine eher geringe Bedeutung. Stattdessen wird die Selbstmotivation aus der politischen und historischen Bedeutung der eigenen Arbeit geschöpft. Dies bedeutet auch, dass sich ein Teil der Nachrichtenfotografen hinsichtlich der Qualität ihrer Arbeit nicht an der Pressefotografie und dem publizierten Produkt orientiert: „Für mich zählt, wenn ich abends meinen Job gemacht habe und mir nochmal angucke, was ich den Tag über fotografiert habe und das A) gute Bilder sind und ich da B) journalistisch dahinterstehe. Ich bewerte meine Arbeit und die Arbeit anderer Leute letztendlich nicht daran, was nächsten Tag gedruckt wird. Denn es ist heute nicht mehr so wie vor 10, 20 oder 30 Jahren, wo du die besten Bilder in großen Zeitungen oder Magazinen siehst. Es gibt ganz wenige Zeitungen, die heute noch extrem gute Fotoredaktionen haben.“ (I08)

Dabei sind es verschiedene Gründe, die hier vom EPA-Fotografen Oliver Weiken aufgeführt werden. Ein zentraler Punkt betrifft die fotojournalistische Qualität und seine Kritik, dass dies nicht das zentrale Kriterium der Bildauswahl sei und von daher für ihn nicht als Referenzpunkt dienen kann. Dazu kommt die Skepsis gegenüber den Bildredaktionen. Als Referenz dient somit letztlich der body of work, den die Fotoreporter mit der Zeit zusammentragen.

 6.2.2 Die Arbeitsroutinen der Dokumentarfotografen Die Dokumentarfotografie stellt den Bereich des Fotojournalismus dar, der eher an Themen orientiert ist und sich durch langfristiges Arbeiten und die Produktion von Fotoreportagen auszeichnet. Anders als die Nachrichtenfotografen verfügen Dokumentarfotografen über weniger formalisierte Arbeitsabläufe und Routinen. Die Selbständigkeit, aus der heraus die meisten Dokumentarfotografen als sogenannte Freelancer tätig sind, bringt es mit sich, dass es von der Art des Auftrages, dessen Umfang und Auftraggeber sowie der persönlichen Arbeitsweise des Fotoreporters abhängt, wie sich Arbeitsabläufe gestalten. Als Arbeitsroutinen sind im Bereich der Dokumentarfotografie eher persönliche Arbeitsweisen als routinisierte Abläufe



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innerhalb von Institutionen anzusehen. Zu diesen Abläufen gehören, ähnlich wie in der Nachrichtenfotografie, die Arbeitsplanung und Entscheidungsstrukturen, die Themenwahl, die Praxis der Bildproduktion sowie die Bedeutung der Veröffentlichung. Von besonderer Bedeutung für die Dokumentarfotografie sind darüber hinaus die Auftragsakquise und Finanzierungsstrategien, die Kooperation mit einem Reporter sowie die Arbeit mit NGOs. Arbeitsplanung und Entscheidungsstrukturen Der Hauptunterschied bezüglich der Arbeitsplanung und den Arbeitsroutinen in der Dokumentarfotografie ist bei den Fotoreportern der Strichprobe zwischen denjenigen, die als eine Art traditional foreign correspondents vor Ort leben, und sogenannten parachute correspondents, die nur für einen einzigen Auftrag einfliegen, zu legen. Der italienische Freelancer Alessandro Gandolfi beschrieb im Interview, wie seine Arbeit als parachute correspondent in Gaza angelegt war: „For example in Gaza, my focus were surfers. I knew that I have to go there and come back with 30, 40 good pictures of people surfing and of course surfers at home. I wanted to tell the story of the people, not only surfing, but also at home, going out with friends, etc. So I prepared myself. I usually try to have more infos about the issue I’m shooting. And I usually try to have more information of course about the country I go to. But you can do this in few days or few month, it depends.“ (I29)

Gandolfi hatte für die Produktion seiner Arbeit etwas mehr als eine Woche zur Verfügung. In dieser Zeit musste ein Bildkorpus für die Entwicklung einer Bildreportage entstehen. Ist dies aus einem bestimmten Grund nicht möglich, steht oft ein ganzes Projekt auf der Kippe. Viel hängt somit von der Genauigkeit der Planung und der Vorbereitung ab. Je genauer die Vorbereitung und je besser der Aufenthalt geplant ist, umso größer die Chance, dass die Reise zu einem Erfolg wird. Denn wenn wie im Falle Gandolfis der Aufenthalt selbst finanziert ist, steckt dahinter meist auch ein erhebliches finanzielles Risiko. Freelancer sind in vielen Fällen eine Art Ein-Personen-Unternehmen, die von der Projektplanung bis zur Ausführung alles selbst in die Hand nehmen, wie es auch die Amerikanerin Heidi Levine schildert: „You are like your own boss. You always have to check the wires. And let’s say if you are working with a fixer, make sure nothing has changed. And then wake up and check everything again.“ (I16) Anders als bei den parachute correspondents gibt es bei den vor Ort lebenden und als Freelancer für den internationalen Markt arbeitenden traditional foreign correspondents zwei Gruppen. Die eine Gruppe arbeitet ausschließlich als Freelancer für verschiedene internationale Kunden, während die andere sich darüber hinaus mit Jobs auf dem lokalen Markt absichert. Vor Ort lebende Fotoreporter haben den Vorteil, über

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Jahre hinweg an einem Projekt zu arbeiten und aufgrund der kurzen Distanzen einfacher zwischen freien Themen und Auftragsarbeiten wechseln zu können. Wenn Fotoreporter aber für ein Assignment angefragt werden, bedeutet das eine Festlegung auf einen klaren zeitlichen und inhaltlichen Rahmen ihrer Arbeit. Wie sich dieser konkret ausgestaltet, hängt jedoch von der jeweiligen Bildredaktion ab, wie es beispielhaft der Amerikaner Ted Nieters erläutet: „It really depends on the editor. Some editors might just be like: ‚This is the story. Go shooting‘. Other people might say ‚This is the story and this is what we want‘ and will control you. And at that point, I take these pictures because I am doing a job for somebody.“ (I30) Hier zeigt sich, dass Assignments mit klaren Wünschen verbunden sein können, wenn sie direkt von den Redaktionen kommen. Betroffen davon sind zuerst die thematische Ausrichtung und das spezifische Abdecken einzelner Aspekte einer zu bebildernden Thematik. Dies kann, muss aber nicht mit einer bestimmten Vorstellung bezüglich der visuellen Umsetzung verknüpft sein. Eine kleinere Gruppe von lokalen Fotoreportern des Samples, ausschließlich Israelis, hat eine Festanstellung bei einem lokalen Medium und arbeitet darüber hinaus als Freelancer, wie es Oren Ziv vom Fotografenkollektiv „Activestills“ beschreibt: „I have two parts of my work. The first one is that I’m staff of the local Haaretz Newspaper, which is called the City. [...] The more important part is the work I do with Activestills. [...] This is the part which includes photo stories, exhibitions and long term projects. And I am also going to the field for one day and one story, or for or a demonstration.“ (I09)

Diese Arbeitsweise von Ziv bedeutet, dass er zwei parallele Arbeitsroutinen hat: zum einen die tägliche Auftragsfotografie für die in Tel Aviv erscheinende lokale Tageszeitung „The City“, zum anderen die dokumentarische Arbeit für „Activestills“. Je nach Nachrichtenlage und Bedeutung der Themen können jedoch auch dort aktuelle Ereignisse zum Thema werden. Eine große Herausforderung bei der Bearbeitung eigener Projekte ist für Freelancer die Selbstdisziplin, wie es eine junge amerikanische Fotoreporterin schildert: „My projects are never done. Right now I’m in the middle of sending pictures to a contest [...] I looked through one of the projects I did that I was thinking about sending but the more I looked at it, the more I said it is not done. I can’t send it and it doesn’t feel right. I have been out and shooting it countless times. I’m actually really terrible at this. I tend to start a lot of projects and I never finish them.“ (I25)

Anders als bei Auftragsarbeiten liegt bei eigenen Projekten die ganze Verantwortung in der Hand der Fotoreporter: von der Recherche über die Produktion bis hin



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zur Bildauswahl. Nicht alle fühlen sich dem, wie die zitierte Aussage zeigt, gewachsen und können die entsprechende Selbstmotivation aufbringen. Als ein Antrieb, eigene Projekte abzuschließen, wird von Fotoreportern immer wieder die Teilnahme an Wettbewerben genannt. Zu betonen ist jedoch, dass nicht alle Freelancer auch an eigenen Projekten arbeiten. Einige von ihnen betreiben hauptsächlich Auftragsfotografie über Assignments und können davon ihren Lebensunterhalt finanzieren. Denn eigene Projekte zu fotografieren bedeutet einen erheblichen Aufwand. So schildert eine amerikanische Fotoreporterin bezogen auf die Frage, ob sie eigene Projekte verfolge: „I tell you, in the last few years I kind of became very lazy in that aspect. To be honest, I’m just kind of trying to work and keep things together and to manage life. The last few years of my life have been a little tough. But I am sure, that I will go back to that.“ (I04) Interessant ist, dass es für ihre Auftraggeber keine Rolle zu spielen scheint, ob sie eigene Projekte verfolgt oder nicht. Da sie seit langen Jahren in der Region lebt, scheinen die Erfahrung und ihre fotografische Qualität Grund genug zu sein, um immer wieder gebucht zu werden. Junge Fotoreporter müssen sich diesen Status erst einmal erarbeiten und schaffen, wahrgenommen zu werden. Dies funktioniert am besten über eigene Stories. Ob und inwieweit Freelancer in redaktionellen Entscheidungsstrukturen involviert sind, hängt vor allem von den verfolgten Projekten ab. Je nachdem, ob es sich um freie Projekte ohne die Einbeziehung von Redaktionen oder Assignments handelt, variiert damit auch der Grad des Entscheidungsspielraums der Fotografen. Grundsätzlich verläuft die Kommunikation zwischen den Dokumentarfotografen und den sie beauftragenden Redaktionen sehr unterschiedlich. Der Kontakt hängt davon ab, ob die Fotoreporter den Auftrag direkt von der Redaktion bekommen haben oder über ihre Agentur, ob sie in der Region oder außerhalb tätig sind oder der Auftrag von einem Korrespondenten kam. Es gibt Fotoreporter, die langjährige persönliche Kontakte sowohl zu Korrespondenten vor Ort als auch zu Bildredakteuren ausserhalb der Region haben. So haben zwei israelische Fotoreporter langjährige Kontakte zu deutschen Nachrichtenmagazinen. Der persönliche Kontakt erleichtert dabei die Auftragsakquise. Oft besteht jedoch kaum persönlicher Face-to-FaceKontakt zwischen Fotoreporter und Redakteur, wie es eine amerikanische Fotoreporterin berichtet: „I never met anybody I work with. [...] I met actually by chance an editor from a Suisse newspaper that I worked for. He was here for this UN thing and he worked with this German journalist, and he was with him when I met him. And I worked with him for years, you know, and we never met. It is internet mostly, I don’t even have a lot of phone contact with people.“ (I04)



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Heute ist es möglich, die Kommunikation ausschließlich über das Internet abzuwickeln: Die Korrespondenz, die Auftragsvergabe sowie die Abrechnung verlaufen per E-Mail und selbst die digitalen Bilddaten werden per FTP6 auf den Server der Bildredaktion übertragen. Bei diesem reduzierten Kontakt gibt es kaum Möglichkeiten, Feedback zu geben, was Vor- und Nachteile haben kann. Grundsätzlich erlaubt es den Fotoreportern jedoch einen größeren Freiraum (I04). Möglichkeiten zur Begegnung mit Redakteuren bieten sich unter anderem auf den bekannten internationalen Fotofestivals wie „Visa pour l’Image“ in Perpignan oder bei Portfolio-Reviews. Diese Möglichkeiten zu nutzen erfordert von den Fotoreportern eine strategische Planung und eine klare und offene Selbstvermarktung. Nach Darstellung des Fotoreporterpaares Andrea&Magda sind das Wichtigste dabei die persönlichen Kontakte, die bei eben diesen Gelegenheiten geknüpft werden können: „It is the best if you meet them. I mean people always speak about the web, web-marketing, facebook, etc. which is important, because we are in the market as photographers. But I realized that the best thing is always, what the internet cannot substitute, the best thing is to meet people. I mean we publish with people we never met, but the best is to meet these people, you create your own market, your own network, so sometimes it is good to take opportunities to meet these people.“ (I22)

Für die Arbeit mit den Redaktionen und die Vermarktung eigener Stories ist ein weiteres Problem, dass Bildredakteure in den Redaktionen häufig wechseln oder die Bildredaktion komplett outgesourct wird, wie es eine junge amerikanische Fotoreporterin berichtet: „As freelancer it is hard work. I try to get noticed by international media. But they don’t know who I am, I am some freelancer on the other side of the world. The point is that inside the newspapers, photo editors change so quickly that I can be working with someone that I love and he remembers me and then two weeks later she is gone and someone else is working there who doesn’t know who I am.“ (I25)

Damit gehen für die Fotoreporter feste Ansprechpartner verloren, die einen wichtigen Faktor darstellen, um Verlässlichkeit in den Markt zu bringen. Eine weitere Schwierigkeit besteht grundsätzlich darin, dass es für Projektideen, die an Redaktionen herangetragen werden, keinen Copy-Right-Schutz gibt. Aus diesem Grund vermied es der italienische Fotoreporter Alessandro Gandolfi, sein

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Der Prozess, Bilder direkt auf einen Server zu laden wird als File Transfer Protocoll (FTP) bezeichnet.



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Projekt über die Gaza-Surfer weit zu streuen, bevor es an die Produktion ging: „I was afraid to tell the story to other magazines. Because maybe they would say ‚It is a very interesting story, but no‘, and then send another journalist and photographer to do it.“ (I29) Dies zeigt das mangelnde Vertrauen, das unter den Fotoreportern herrscht. Dabei ist dieses Risiko natürlich dem Berufsfeld immanent und besteht auch in dem Falle, dass eine schon fertige Geschichte einer Redaktion angeboten wird. Dies deutet erneut auf die Erfordernis einer vertrauensvollen Beziehung zwischen den Fotoreportern und den Bildredaktionen hin. Wenn Redakteure von ausserhalb der Konfliktregion Assignments an Fotoreporter vergeben besteht immer wieder das Problem, dass die vorgegebene thematische Ausrichtung vor Ort oft so nicht vorzufinden ist, wie es der deutsche Fotoreporter Peter Damman schildert: „Ich finde, man muss den Geschichten vor Ort nachgehen. Man muss das machen, was wirklich da ist und nichts inszenieren und aufbauen, was nur in der Fantasie von irgendwelchen Chefredakteuren vielleicht so sein sollte“ (I02). Er zeigt zwar Verständnis für die Zwänge der Redakteure und die Sorge, „dass eine Geschichte herauskommt, die sie gar nicht wollten“ (I02). Aber ein wichtiger Pfeiler seiner dokumentarischen Arbeit, wie der vieler Kollegen, ist die Suche nach Geschichten vor Ort. Die kollidiert mit dem Interesse der Bildredaktion nach einer Kontrolle der Bildproduktion sowie des Ergebnisses. Letztlich berührt diese Thematik auch die Frage, welche Geschichte wirklich ist und welche nicht, was inszeniert und was wahr ist. Hier ist auf Seiten der Fotoreporter Fingerspitzengefühl gefordert, sowohl die Erwartungen einer Redaktion zu befriedigen als auch die Welt nur so wiederzugeben, wie sie selbst sie im Augenblick der Arbeit im Feld wahrnehmen und damit dokumentieren können. Die Praxis der Themensetzung Wie der vorangegangene Absatz aufzeigen konnte, sind Fotoreporter des Sample, die im Bereich der Dokumentarfotografie als Freelancer tätig sind, nur zu einem geringen Grad in redaktionelle Abläufe integriert. Dies ist von Bedeutung für die Prozesse, die zur Auswahl von Themen auf Seiten der Fotoreporter führen. Dokumentarfotografen lassen sich in der Regel von Themen und Geschichten leiten und sind an längerfristigen Projekten interessiert. Wie sie in der Praxis zu Themen finden, erläutert ein israelischer Dokumentarfotograf: „Some stories are sort of a most to do and to cover. For example in 2005 when there was the Israeli pullout from Gaza. For me it was a must to work on the build-up of the disengagement. It was not a spot story, one week of Israeli pullout and that’s it. It was a whole build-up of events, because it was declared two years before it happened and it caused some things to happen in the field. This is like a must story because this is the most important story at the time.“ (I13)



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Wichtige Geschichten entstehen somit aus und rund um die zentralen politischen Themen einer Zeit, wie es das Beispiel des israelischen Rückzugs aus dem Gazastreifen, dem sogenannten disengagement, zeigt. Im Unterschied zur Arbeit der Nachrichtenfotografen geht es dabei weniger um die Dokumentation einzelner Ereignisse als die fotografische Begleitung des Prozesses. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ein Gespür dafür zu entwickeln, was wichtige Themen werden können, um frühzeitig in deren Bearbeitung einsteigen zu können, wie der Fotoreporter weiter ausführt: „And there are also things I work on, that I think don’t get enough media attention. I did a few of these over the years and I’m happy to have done it because it prooved to be right to do this.“ (I13) Für das als zweites genannte Auswahlkriterium, Themen, die wenig Medienaufmerksamkeit bekommen, sind eine profunde Kenntnis der Region und eine Beobachtung der Bildberichterstattung von zentraler Bedeutung, um die entsprechenden Themen zu finden. Viele der Themen funktionieren somit als Kontrapunkt zur ereigniszentrierten tagesaktuellen Berichterstattung, zum anderen als eine Form von Hintergrundberichterstattung. Für die Dokumentarfotografen ist klar, dass es erst einmal die Angestellten der Wire sind, die das Feld der tagesaktuellen Nachrichtenfotografie abdecken. Mit diesen können und wollen sie in der Regel nicht konkurrieren. Von daher stehen sie weniger unter dem Druck, jedem Ereignis folgen zu müssen. Angesichts der vielen Ereignisse, die tagtäglich passieren, ist dies jedoch nicht immer einfach umzusetzen, wie es die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine schildert: „When you life here it’s a little bit difficult, because you are bombarded with so much news that it’s hard to stay focused. I find it a bit of a struggle because on the one hand you want to focus on your project, and on the other hand you still have to be aware of what is going on and earn a living at the same time as well.“ (I16)

Die Fotoreporter lösen dies meist so, dass sie zwar aufmerksam die täglichen Geschehnisse verfolgen, aber nicht zu jedem Ereignis fahren, da dies die Arbeit an eigenen Themen unmöglich machen würde. Erst wenn die Ereignisse auch eine Eskalation des Konflikts bedeuten, fangen sie an, sich an ihnen zu orientieren und sie mit der Kamera zu dokumentieren: „Let’s say there was an airstrike on Sunday and maybe I didn’t go on Sunday. And if there were three airstrikes on Monday, maybe I went to one. Only when things are starting to heat up, then I am moving with this. But let’s say that I am working on a feature story with you and there is an airstrike. Then I don’t need to say bye to you to rush to see dead or injured guys. I have never based it on the thought if I can sell this. It is more a personal thing. But it also depends who it was. I mean if there was a big military leader or somebody like this, I always go to the funeral and I often go the house of the family afterwards and talk to them

238 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT and things like this, even if the funeral is not big. But I am still interested in the story of this individual.“ (I30)

An dieser Aussage des amerikanischen Fotoreporters Ted Nieters wird deutlich, wie er versucht, seine eigene Routine nicht von den tagesaktuellen Ereignissen bestimmen zu lassen. Dies hat auch praktische Gründe: Würde er jedes Mal losziehen, wenn es im Gazastreifen einen Luftangriff oder ein ähnliches Ereignis gibt, könnte er die eigenen Projekte nicht mehr verfolgen. Die gewalthaltigen Ereignisse und ihre Folgen stellen darüber hinaus für Nieters nur einen Teil seiner Arbeit dar. Gleichzeitig bieten sie auch die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Und sie stellen eine Art Ankerpunkt dar, wie es an seinem zweiten Beispiel deutlich wird. Selbst wenn er das Ereignis dokumentiert, geht es nicht um das Ereignis an sich, sondern um das Leben desjenigen, der bei einem Luftangriff getötet wurde. Dieses Vorgehen unterscheidet sich somit fundamental von dem eines Nachrichtenfotografen, für den die Bilder des Ereignisses an sich die größte Bedeutung und den größten Wert auf dem Markt haben. Dokumentarfotografen haben somit eine gewisse Freiheit, eigene Akzente setzen zu können, und orientieren sich zwischen Ereignissen und Themen anhand von Kriterien, die nur zum Teil der Nachrichtenlogik folgen. Themen sind z. B. das religiöse Leben in Jerusalem, die Sperranlage oder der Alltag unter dem Besatzungsregime. Dabei variieren die Gründe für eine Themensetzung. Sie sind in der Regel außerhalb der Ereignislogik zu finden oder decken Schwachstellen und Gegensätze derselben auf. Mögliche Gründe für die Themenwahl können dabei z. B. die Konzentration auf relevante politische Akteure innerhalb des Konflikts wie die israelische Armee oder jüdische Siedler sein, die Hervorhebung von vernachlässigten gesellschaftlichen Gruppen in der Berichterstattung, die Fokussierung auf mögliche Ursachen oder Gegenstände des Konflikts wie Religion oder Zugang zu Land, ferner das Alltagsleben von Menschen im Konflikt am Beispiel von Surfern im Gazastreifen. Ein hervorragendes Beispiel für die Konzentration auf einen relevanten politischen Akteur im Kontext des Nahostkonflikts ist die Arbeit eines israelischen Fotoreporters mit radikalen jüdischen Siedlern. Über Jahre begleitete er diese in der Westbank im Alltagsleben und bei politischen Ereignissen. Letztlich hat er sich durch diese Arbeit ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen und national wie international viel Anerkennung gefunden. Im Moment der Entscheidung der israelischen Regierung für den Abzug der Siedler aus dem Gazastreifen war er plötzlich aufgrund seiner guten Kontakte zu dieser Gruppe von großem Interesse für Redaktionen weltweit (I13). Ein weiteres Bespiel der Konzentration auf einen bestimmen Akteur zeigt sich an der Arbeit des israelischen Fotoreporters Ziv Koren, der seit vielen Jahren schwerpunktmäßig über die israelische Armee arbeitet. Dabei ist

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seine Arbeit zum einen mit einer marktorientierten Logik verbunden, sich einen exklusiven Zugang zu Gruppen zu verschaffen, über den kein anderer verfügt, und zum anderen mit einer politischen Motivation, um die Professionalität der Arbeit israelischer Antiterroreinheiten zu zeigen. Die amerikanisch-jordanische Fotoreporterin Tanya Habjouqa hingegen beschäftigt sich seit vielen Jahren mit marginalisierten Gruppen im Konflikt. So dokumentierte sie das Leben von heroinabhängigen Palästinensern in Ost-Jerusalem oder die Transsexuellenszene in Jerusalem. Als dokumentarische Geschichten aufgezogen sind diese Projekte gleichzeitig hochgradig politisch und sprechen Tabuthemen an. So zeigt die Arbeit über die Transsexuellen zum einen, wie in diesem Mikrokosmos Koexistenz und Solidarität zwischen so unterschiedlichen Gruppen wie orthodoxen Juden und muslimischen Palästinensern aus der Westbank gelebt wird, und zum anderen, wie der politische Konflikt die Palästinenser aus der Westbank zu einem prekären Status in der Illegalität in Jerusalem zwingt. Der israelische Fotoreporter Oren Ziv und das Fotografenkollektiv Activestills versuchen dagegen, die Auswirkungen des politischen Konflikts auch in Israel sichtbar zu machen. Kennzeichnend für den fotojournalistischen Produktionsstandort Israel/Palästina ist, dass sich diese themenorientierte Arbeitsweise an langfristigen Dokumentarfotoprojekten und Reportagen ausschließlich auf Seiten der befragten internationalen und israelischen Fotoreporter findet. Dabei gibt es durchaus einen Austausch über die fotografische Herangehensweise, beispielsweise zwischen internationalen und palästinensischen Fotoreportern: „Ich habe mal zu einem palästinensischen Fotografen gesagt, er solle sich 20 Punkte in der Westbank nehmen. Da gab es noch kein GPS. Ich habe gesagt, stell da die Kamera auf und da und mach das die nächsten 10 Jahre. Und siehe einfach wie sie die Siedlungen bauen. Das wäre eine super Dokumentation. Und das würde soviel verbildlichen. Weil ich denke, die Leute müssen sich halt – das ist auch was ich in Zukunft probiere – aus diesem völligen Aktualitätswahn total lösen, um vielleicht zu überlegen was ist denn in 10 Jahren interessant.“ (I40)

Bis heute hat kein palästinensischer Fotoreporter die von Kai Wiedenhöfer vorgeschlagene Herangehensweise gewählt. Damit bleibt ein großes Potential auf Seiten palästinensischer Fotoreporter unausgeschöpft. Durch ihre persönlichen Kenntnisse der Region haben sie eine größere Nähe und könnten damit in Bereiche vordringen, die Israelis und Internationalen eher verschlossen sind. So lange auf Seiten der palästinensischen Fotoreporter der Fokus jedoch auf der Nachrichtenfotografie liegt, wird sich daran nichts ändern.

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Zugang zum Feld Kennzeichnendes Merkmal der Bildproduktion ist die Anwesenheit der Fotoreporter im Feld und ihre Interaktion mit anderen Akteuren. Eine zentrale Frage betrifft dabei die Art und Weise, wie die Fotoreporter Kontakt zu den Menschen aufnehmen. Der Erstkontakt ist oft entscheidend dafür, ob ein Projekt erfolgreich sein wird oder nicht. Während vor Ort ansässige Fotoreporter oft über ein gutes Netzwerk in verschiedene gesellschaftliche Bereiche verfügen, ist dies für die parachute correpondents wie Peter Damman schwieriger: „Ich versuche mir schon von der Schweiz oder von Deutschland aus möglichst gute Eintrittskarten zu besorgen und Empfehlungen zu bekommen, damit die Gruppen wissen: ‚Der ist koscher, dem könnt ihr Vertrauen‘.“ (I02) An der Aussage lässt sich die Bedeutung einer guten Planung im Vorfeld ablesen. Für internationale Fotoreporter, die nur für ein Projekt anreisen, stellt der Kontakt zu einem Fixer vor Beginn der Reise eine Möglichkeit dar, um abzuklären, ob das geplante Thema eine zu fotografierende Geschichte hergibt: „I contacted a friend of mine, a journalist in the foreign office of ‚La Repubblica’ to ask her, if she knows some local fixer who I could talk to in Gaza. She said ‚Yes I know a man, his name is Safouad‘. She gave me his mobile phone and his email address. So I contacted him and I asked him if it is true that there are people surfing in Gaza. And he said ‚Yes, I know that people are not allowed, but we can find a few people‘.“ (I29)

Für den italienischen Fotoreporter Alessandro Gandolfi lieferten die Auskünfte des palästinensischen Fixers ausreichend Informationen, um sich für die Reise zu entscheiden. Wie in diesem Fall sind Fixer in der Regel lokale Journalisten, die ihr Wissen über die Region internationalen Fotoreportern anbieten. Auch vor Ort setzte Gandolfi diesen Kontakt fort. Aber auch israelische Fotoreporter, die Projekte in den palästinensischen Gebieten planen, brauchen Kontakte in die Region, um ihre Projekte angehen zu können. Der israelische Fotoreporter Eddie Gerald nutzt NGOs oder Graswurzelgruppen von Israelis, die eng mit Palästinensern zusammenarbeiten, um Zugang zum Feld zu bekommen: „Usually I follow groups that are already dealing with such issues and we have a lot of them in Israel, especially decidated to the occupation, to Palestinian and Jewish issues.“ (I03) All dies ersetzt jedoch nach Ansicht einer amerikanischen Freelancerin nicht das adäquate Verhalten vor Ort: „Like a lot of this job depends on how you talk to people. It depends how you talk and what kind of face you put on things. I think I can explain myself, I can talk to most people.“ (I25) Kommunikation ist ein zentraler Aspekt, der auch in Situationen, in denen ein Zugang schwierig erscheint, Türen öffnen kann, die eigentlich verschlossen waren.



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Die Praxis der Bildproduktion Dokumentarfotografen müssen sich in der alltäglichen fotografischen Praxis immer wieder der Herausforderung stellen, aus komplexen Themen visuell darstellbare Geschichten zu destillieren. Die Aussage des deutschen Dokumentarfotografen Peter Damman zeigt exemplarisch, wie dies geschehen kann und was die Herausforderungen sind: „Wenn ich nach der Geschichte schaue, dann gucke ich vor allem immer nach den Protagonisten, also mit welchen Leuten ich diese Geschichte erzähle. Das ist wie ein Casting. Ich gucke mir den Ort an, suche mir die Leute, die die Geschichte erzählen könnten. Das hat was mit der Persönlichkeit, mit deren Rolle zu tun, aber es hat auch ganz viel mit deren Aussehen zu tun. Man kann die richtige Geschichte mit den falschen Leuten erzählen und dann funktioniert sie nicht.“ (I02)

Hier wird deutlich, dass für das fotografische Erzählen einer Geschichte visuelle Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Das Wesentliche der Dokumentarfotografie liegt für Damman in der Herausarbeitung eines Protagonisten für die Geschichte. Ist dieser gefunden, folgt er ihm mit der Kamera, so dass Stück für Stück eine Geschichte in Bildern entsteht. Auch wenn vor Beginn der Bildproduktion das Thema mehr oder weniger feststeht, muss der Fotoreporter flexibel auf die Entwicklungen und die Begegnungen vor Ort reagieren. Anders als beim Textjournalismus geht es nicht nur um die Abfrage biografischer Daten, sondern darum, dass der fotografierte Mensch in einer Geschichte auch glaubwürdig herüberkommt. Wie bereits geschildert, steht für die Dokumentarfotografen ein einzelnes Ereignis meist in einem größeren Kontext oder sie konzentrieren sich auf einen bestimmten Aspekt dieses Ereignisses. Von daher können sie anders mit den Ereignissen umgehen als Nachrichtenfotografen, wie es Eddie Gerald erzählt: „First of all I’m an observer and many times I don't even take pictures. I just want so see it. And there's this difference between my job and the one of a photojournalist7. I was in events where I took out the camera only after several hours. A real photojournalist would not do it. He would just snap and go. I try to educate myself through this process. But I think, at the end I’m better compensated, I understand the subject and I also can promote it better.“ (I03)

Wichtig ist somit auch der Zeitpunkt, ab dem die Fotoreporter die Kamera in eine Situation einführen. Interessant ist in diesem Zitat auch der Fokus auf den Gewinn, den er glaubt aus dieser Art der Arbeit ziehen zu können. Zum einen geht es um das

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Der Begriff „photojournalist“ wird hier von Eddie Gerald als Synonym für Nachrichtenfotografen gebraucht.



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Verständnis des Subjekts: Dieses verstehen und sich in es hineindenken zu können sind zentrale Faktoren, um ein Thema in der Tiefe zu bearbeiten. Zum anderen erleichtert eine große Nähe zum Subjekt die Vermarktung einer Geschichte. Darüber hinaus ist natürlich die Frage interessant, welches Ziel die Fotoreporter mit der eigenen Arbeit verfolgen und welchen Zugang zum Feld und zu den Subjekten sie benötigen. Der israelische Fotoreporter Oren Ziv schildert dies anschaulich an einem Beispiel: „I started to document this Bedouin village that was supposed to be demolished. I started a year before, going there every week, mostly not shooting because it’s very hard and the Bedouin community is very segregated. And then after a year, I was there during the first demolition. But almost no Israeli media were there [...] And then in the third demolition the media came. It’s not that they had no access, but they only came for two hours. Meanwhile I have been there for one year and a half and I had more access on the spot. [...] This is why I had the better story.“ (I09)

Die Fotoreporter, die bei der dritten Zerstörung kamen, waren interessiert an Bildern über dieses spezifische Ereignis. Dabei ist es sogar möglich, dass gemessen an der Qualität der Einzelbilder in diesem Moment visuell interessantere Bilder entstanden als im Zeitraum davor. Der Unterschied ist jedoch, dass das von Ziv formulierte Interesse eben nicht dieses Einzelbild, sondern der Prozess und die Geschichte sind, die zu diesem Ereignis führten. Hier lässt sich erneut die unterschiedliche Herangehensweise von Dokumentar- und Nachrichtenfotografen aufzeigen. Und daraus leitet sich naturgemäß eine andere Bedeutung eines offenen Zugangs ab. Zivs Ziel der fotografischen Prozessbegleitung ist nur möglich durch einen offenen Zugang ins Feld und die Bereitschaft der Akteure zur Kooperation. Welche Bedeutung der Aspekt der Begegnung auch über den eigentlichen fotografischen Akt und die Bildproduktion hinaus bekommen kann, erzählt der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters: „For me when I am working with a subject, all I care about is our relationship. I don’t need to change anybody, this is not my job to change. But I am trying to tell this guys’s story with dignity. And I don’t necessarily agree with the story. And maybe I photograph and show it as something dark. But I am still trying to show him respect and understand his side. And what I care about when I leave is that maybe this guy has been positively effected by our time. Maybe he has more of an understanding about people from the outside. Maybe he has more of an understanding of journalism.“ (I30)

Somit geht dem eigentlichen fotografischen Akt oft eine längere persönliche Begegnung voraus, deren Länge und Tiefe meist nicht abzuschätzen ist, die aber ent-



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scheidend ist, damit die eingeforderte Qualität entsteht und auch eine gute Geschichte erzählt werden kann. Nicht immer sind die Fotoreporter in anspruchsvolle Projekte involviert. Das Tagesgeschäft bietet auch viele Routinevorgänge in engen Zeitrahmen, wo die ausführliche Beschäftigung mit einem Thema nicht möglich ist, wie es eine junge amerikanische Fotoreporterin schildert: „The thing about newspaper work is that usually I have like a day in advance or so to do something. So I don’t get a lot of time to do it in depth unless I know it in advance and I can really work it out or I have things from before.“ (I25) Die Auseinandersetzung mit visuellen Vorgaben ist insofern schwierig, da es, wie bereits beschrieben, viele verschiedene Formen der Kooperation zwischen Fotoreporter und Auftraggeber gibt. Darüber hinaus antworteten viele der Fotoreporter nur zögerlich auf diese Fragen und meist gab es erst auf Nachfragen etwas detailliertere Aussagen. So erwartet z. B. das deutsche Magazin „Mare“ nach Aussage von Peter Damman eine dichte und nahe Fotografie. Darüber hinaus muss Meer immer Teil der Geschichten sein. Fotografiert wird auf Filmmaterial und in der Regel in Schwarz-Weiß (I02). Nur selten sind die Vorgaben der beauftragenden Medien jedoch so spezifisch. Dazu kommen z. B. Beeinflussungen, die nicht direkt verbal geäußert werden, aber zweifellos die Arbeit der Fotoreporter bestimmen. Insbesondere werden die Erwartungen hinsichtlich der Umsetzung bestimmter formaler Kriterien in vielen Fällen nicht explizit geäußert. Die Fotoreporter sind sich jedoch bewusst, dass jedes Medium eine eigene Bildsprache hat und Bilder anders einsetzt, wie es ein französischer Fotoreporter erläutert: „You have an own language of the medium you work for. I was surprised - I gave you the example of a German newspaper Die Zeit - that their format is a square. For their articles they use a lot of squares. [...] Sometimes they don’t tell you that they are going to do this and if you would have known ... It’s affecting the photography.“ (I07)

Wenn der Fotoreporter dieses Wissen beispielsweise über die Bevorzugung quadratischer Bilder nicht hat, kann es bedeuten, dass dies einzig und allein im Prozess der Bildredaktion durch Beschnitt umgesetzt wird. Weiß der Fotoreporter um diese Vorliebe seines Auftraggebers, kann der die Bilder dahingehend gestalten, dass die wichtigen Bildinformationen immer in einem Quadrat zu sehen sind. All dies sind Beispiele dafür, dass die Geschichten, die fotografisch erzählt werden, natürlich auf eine bestimmte, subjektive Art und Weise fotografisch umgesetzt werden. Die Redaktionen haben bei der Steuerung dieses Prozesses somit einen zentralen Anteil. Viele Dokumentarfotografen sind auch Autorenfotografen. Ihre Arbeit zeichnet sich durch einen individuellen fotografischen Ansatz sowie eine Bildsprache aus, die sie meist über viele Jahre entwickelt haben. Redaktionen wissen darum. Entweder sie buchen einen Fotoreporter gerade aufgrund seiner Bildsprache und seines



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Ansatzes, oder es ist für das angefragte Projekt wenig relevant. Insofern sind visuelle bildnerische Vorgaben in der Dokumentarfotografie weniger standardisiert als in der Nachrichtenfotografie, wie es im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde. Während es eine sogenannte Wire-Bildsprache gibt, findet sich in der Dokumentarfotografie wenig Vergleichbares. Dies hängt auch mit der bereits erwähnten Fokussierung der Dokumentarfotografie auf das storytelling zusammen. Unterschiedliche Geschichten brauchen auch unterschiedliche Bildsprachen, so dass sich immer wieder Fotoreporter finden, die ihre Bildsprache dem Thema anpassen und sich fotografisch neu erfinden. Exemplarisch wird dies an der Arbeit des deutschen Dokumentarfotografen Kai Wiedenhöfer deutlich. Arbeitete dieser in den 1990er Jahren noch hauptsächlich in Schwarz-Weiß in einem Reportagestil, mit einem Fokus auf dem Alltagsleben in den besetzten Gebieten, so entschied er sich 10 Jahre später bei der Dokumentation der Sperranlage für einen konzeptionellen Ansatz mit Hilfe von Panoramaaufnahmen in Farbe. Für sein Projekt „The Book of destruction“ hingegen porträtierte er in sorgfältig komponierten Farbbildern die palästinensischen Opfer des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen im Winter 2008/2009. Dies zeigt, dass hier nicht nur eine persönliche fotografische Entwicklung, sondern auch eine Anpassung der Bildsprache an den Gegenstand stattgefunden hat. Die Arbeit mit einem Reporter Eine besondere Form der Bildproduktion ist dann gegeben, wenn Fotoreporter mit einem Textjournalisten zusammenarbeiten. In der Dokumentarfotografie stellt dies einen wichtigen Pfeiler fotojournalistischer Produktion dar. Deshalb ist es für ein Verständnis der Arbeitsprozesse aufschlussreich, das Verhältnis von Reportern und Fotoreportern genauer zu betrachten und die vielfältigen Formen der Kooperation hinsichtlich der Bedeutung für die Produktion aufzuschlüsseln. Für den deutschen Fotoreporter Peter Damman gibt es dabei eine klare Hierarchie: „Ich finde, die Königin ist wirklich die Bild-Text Reportage, die beides hat, wo einer oder eine wunderbar schreibt und eine Geschichte erzählt und parallel mit den Bildern die Geschichte erzählt wird.“ (I02) Eine Geschichte dieser Art erfordert eine sehr gute Kooperation zwischen Fotoreporter und Texter. Zu beachten ist, dass in der publizistischen Praxis die umfangreiche Bild-Text-Reportage jedoch eher die Ausnahme darstellt. Die Arbeit mit einem Reporter ist auch deswegen von Bedeutung, weil viele Fotoreporter davon überzeugt sind, dass „storytelling“ mehr als gute Bilder braucht (I16) und es viele Projekte gibt, die nicht nur rein visuell funktionieren: „There are certain stories that, you have to bring the color out in the writing.“ (I36) So sind sich bei aller Bedeutung der Visualität und der Einzigartigkeit des Mediums Fotografie die Fotoreporter bewusst, dass ihre Bilder in einem ständigen Spannungsverhältnis zum Medium Text stehen.



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Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie Kooperationen entstehen können. Zum einen kann der Fotoreporter die Geschichte einbringen und ein Texter kommt später hinzu und produziert den Text unabhängig vom Bild. Zum anderen können beide gemeinsam auf Assignment gehen. Darüber hinaus kann der Fotoreporter auch von einem Korrespondenten oder einer Redaktion angefragt werden, eine bestimmte Geschichte zu einem bereits feststehenden Thema zu bebildern. Diese Kooperationsformen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Grads der Handlungsfreiheit des Fotoreporters. Zur Ausnahme gehört sicherlich das Vorgehen, das der italienische Fotoreporter Alessandro Gandolfi im Interview schildert: „I stayed in Gaza for around a week or 9 days the first time. When I went back home we tried to sell the surfing in Gaza story and another story I did on daily life in Gaza with my Agency Parallelo Zero. And the German magazine called Mare bought the surfer story, but they told me‚ OK, we want to buy the story but we really would like that you go back next year to Gaza with a German journalist‘. So I did that.“ (I29)

Das von Gandolfi auf eigene Rechnung produzierte Bildmaterial verschaffte ihm zwar den Auftrag, es stellte darüber hinaus jedoch nur den Grundstock der gemeinsam mit dem Reporter zu produzierenden Geschichte, die für die Publikation komplett neu produziert werden musste. Im Idealfall ergänzen sich, wie hier dargelegt, der Reporter und der Fotoreporter und arbeiten gleichberechtigt an einem Projekt. Für beide Seiten sind dabei eine qualitativ hochwertige Arbeit und ein ständiger Austausch von zentraler Bedeutung. Die zu bearbeitenden Themen werden in diesen Konstellationen jedoch oft von den Reportern eingebracht und erst in einem zweiten Schritt wird ein Fotoreporter hinzugezogen. Vor allem für lokale israelische sowie vor Ort lebende internationale Freelancer ist es Teil der alltäglichen fotojournalistischen Routine, in Form von Assignments auf Tagesbasis einige wenige Bilder zu einem geplanten Artikel beizusteuern. Wie diese Kooperation im Detail aussehen kann und welche Herausforderungen darin liegen, beschreibt sehr eindrücklich ein israelischer Fotoreporter: „If I’m working with a writer, I need to know what his idea is. It’s a must for me to understand his lead of a story, to know that we work on the same story. With assigned work I have a commitment with the client to do the story that they are doing. You can be with a writer and tell an entirely different story. It might be a good story but it would not be a story that they are writing about. So you have a sort of commitment when you are on assignment.“ (I13)

Die Schwierigkeit besteht im hier geschilderten Fall darin, in einer Feinjustierung sicherzustellen, dass beide dieselbe Geschichte erzählen. Interessant ist dieses Thema vor allem ausgehend von der Frage, wer eigentlich die Richtung, die eine



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Geschichte nimmt, entscheidend prägt. Dies ist vor allem bedeutsam, wenn man davon ausgeht, dass der Aspekt der Visualität nachher in der gedruckten Geschichte sehr wichtig ist. Die Aussage des Fotoreporters „I have a commitment“ belegt hier, dass er sich an die – inhaltliche – Ausrichtung des Textes und die Vorgaben des Repoters gebunden fühlt und dies als Orientierungsrahmen nimmt. Von einer gleichberechtigten Aufgabenverteilung hinsichtlich der Produktion kann in diesem Fall nicht die Rede sein. Noch deutlicher bezüglich der Art der Vorgaben des Auftraggebers wird der israelische Fotoreporter Eddie Gerald: „Usually when you are assigned by an international magazine or outlet, you have specific requirements. I was doing a job for Die Zeit and the reporter exactly knew whom she would like to interview in this tent city movement. Whom, what and when actually. So I was just the photographer.“ (I03) Eddie Geralds Ausführungen zeigen eine klare Rollenaufteilung auf. Der Reporter hat die Geschichte geplant und die Richtung festgelegt. Die Gesprächspartner und die Termine waren festgelegt, bevor der Fotoreporter angefragt wurde. Der Fotoreporter ist in diesem Sinne tatsächlich nur noch der Bildbeschaffer, der Fotograf, der dazu beiträgt, die geschriebene Geschichte nach den Vorstellungen der Autorin zu bebildern. Auf einer anderen Ebene ließe sich die hier skizzierte Beziehung auch mit dem Stichwort Kundenorientierung umschreiben: Der Fotoreporter versucht möglichst genau die Wünsche seines Kunden, der seine visuelle Leistung abfragt, zu befriedigen. Eine amerikanische Fotoreporterin beschreibt dies mit den Worten „I am illustrating their story“. (I04) Der Fotojournalismus wird in diesem Fall auf den Aspekt der Illustration reduziert. Oft handelt es sich bei diesen Aufträgen um Assignments, bei denen es um die Bebilderung von Artikeln der Nahostkorrespondenten internationaler Medien geht. Diese Aufträge werden in der Regel von lokalen Fotoreportern durchgeführt. Aber auch in diesen sehr klar abgesteckten, scheinbar in engen Grenzen verlaufenden Aufträgen gibt es Möglichkeiten für die Fotoreporter, Einfluss auf das Produkt zu nehmen. Das hängt jedoch vom Geschick und von der Kreativität des Fotoreporters ab, wie es Eddie Gerald weiter ausführt: „Even in those situations I will always try to sell pictures from my archive. And they will not expect me to have it. Normally a photographer will just go to the date. And I will always put another six, ten or twenty pictures about this issue. It always happens that they will publish something from my archive. Because I was documenting more it was more powerful than to just go for five hours and shoot.“ (I03)

Dadurch, dass Eddie Gerald schon vor dem Assignment selbstständig zu diesem Thema gearbeitet ein visuelles Archiv angelegt hattte, verfügte er über einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Fotoreportern. Diesen konnte er nutzen, um

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die Geschichte mit seinem eigenen umfangreichen Bildmaterial aufzuwerten und für sich selbst das Beste herauszuholen. Die hier skizzierten Möglichkeiten beschränken sich jedoch meist auf die Bildebene und auf den Aspekt der Visualität, nicht auf die Möglichkeit der inhaltlichen Ausrichtung der Geschichte. Vor allem junge Fotoreporter, die sich bisher keinen Namen mit Dokumentarfotografie machen konnten, sehen in der Kooperation mit einem Reporter die einzige Möglichkeit, um im Business Fuß zu fassen, wie ein französischer Fotoreporter berichtet: „For people from my generation today you have to work with a writer, because the chance that the paper is going to use your pictures of a story where there is no text equals almost zero. So you have to do it with a writer and you even have to bring the entire story and the idea to the writer. And you do your own part of the story which are the pictures.“ (I07)

Für junge Fotoreporter besteht jedoch das Risiko, dass sie aus diesem eingeschränkten Markt-Segment nicht mehr herauskommen. Nur wenn sie nebenher eigene Projekte verfolgen und versuchen, darüber Aufmerksamkeit zu erzielen, können sie größere Gestaltungsmacht für ihr Arbeiten erlangen. Entscheidend dafür ist, ob sie die Motivation und die Kraft dazu aufbringen oder mit der Rolle als „Bildbeschaffer“ oder „Illustrator“ zufrieden sind. Die Zusammenarbeit zwischen einem Reporter und einem Fotoreporter ist aber auch hinsichtlich des Einflusses auf die soziale Situation interessant, in der ein Bild entsteht. So berichtet ein israelischer Fotoreporter von den Auswirkungen, welche durch die Anwesenheit einer weiteren Person in Gestalt eines Reporters entstehen können: „Sometimes you get a writer that interrupts you, just walking into the pictures, intimidating the subjects. And sometimes you get a really good writer that gets their attention so you can do whatever you want. And sometimes you are without a writer and this is good. Alone you can work without being interrupted. And sometimes I wish there was a writer that would speak with this guy so he goes of me and I am able to do my work. So it always changes.“ (I13)

Diese Aussage zeigt, dass es positive wie negative Effekte geben kann, und deutet auf das sensible Beziehungsgeflecht hin, das während der Aufnahmesituation entsteht. Dies ist durch die Vielzahl von Akteuren bestimmt, die in eine solche Situation involviert sein können. Neben Reporter und Fotoreporter gehören dazu auch ein lokaler Fixer sowie möglicherweise ein Übersetzer. Die Art des Einflusses hängt dabei vor allem vom Verhalten der einzelnen Akteure ab. Hier ist von allen invol-



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vierten Beteiligten eine hohe Sensibilität hinsichtlich der spezifischen Situation gefragt. Auftragsakquise und Finanzierungsstrategien In der Regel gibt es für die Freelancer zwei Möglichkeiten, an Aufträge zu kommen, die auch unterschiedliche Arbeitsprozesse und -routinen zur Folge haben. Eine Möglichkeit ist die Arbeit über Assignments, d.h. Aufträge von Redaktionen mit oder ohne Reporter, an einem Thema zu arbeiten. In diesem Fall setzt meist der Auftraggeber das Thema fest. Eine andere Möglichkeit ist die Arbeit an selbstgesetzten Themen, die nach Fertigstellung den Redaktionen angeboten werden. Bei der Akquise von Assignments gibt es in der Regel keine formalisierten Prozesse und jeder hat sein eigenes Rezept. Oft sind es unterschiedliche Kanäle, die sich letztlich ergänzen, wie bei der israelischen Fotoreporterin Gali Tibbon: „On the one hand there are the newspapers I have been working with for years, even if they already changed four different correspondents here (Israel, Anm. d. A.). On the other hand there are people that see a publication or your website and then they contact you. And sometimes people get your name from other people.“ (I34) Langjährige Kontakte sind ein wichtiges Standbein für die lokalen israelischen Freelancer, ebenso wie für ihre internationalen Kollegen. Oft gehen diese jedoch, anders als im Falle Tibbons, mit dem Wechsel von Korrespondenten oder der Aufgabe von Korrespondentenplätzen verloren. Der Kontakt sowie die Themenvorschläge können dabei sowohl von den Redaktionen wie den Fotoreportern ausgehen, wie es der Israeli Ziv Koren schildert: „It can go both ways. I either get a call from Harald Menk of Stern Magazine saying we have a story we wanna do in Israel and we would like you to do it. Or I have a story or an idea and I think that it is interesting for them and if they like it, I would be happy to run the story in Stern Magazine.“ (I05)

Hier zeigt sich die große Freiheit von Dokumentarfotografen, sowohl eigene Geschichten vorschlagen zu können als auch für spezifische Themen gebucht zu werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Koren über lange Jahre mit dem Magazin „Stern“ arbeitete, für das er als eine Art fotografischer Korrespondent fungierte. Andere Fotoreporter halten das Einbringen von eigenen Themen, im Fachjargon Pichten genannt, für schwieriger. Es gelingt den Fotoreportern höchst selten, wie es eine amerikanische Fotoreporterin beschreibt: „The hardest as a photographer is to be the person who pitches a story, because usually it has to come through the writer. But I pitched a story to Vanity Fair about the women of Hezbollah.“ (I37) Neben der Akquise von Assignments liegt ein wesentlicher Anteil der Arbeit von Freelancern in der Vermarktung eigener Projekte. Den größten Druck verspüren Freelan-



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cer, die nicht über eine andere Teilzeitanstellung verfügen. Sie sind darauf angewiesen, ihr Geld komplett auf dem freien Markt einzuwerben. Die Art und Weise, wie die als Freelancer tätigen Fotoreporter mit ihren fertigen Projekten Geld verdienen, ist dabei meist eine Kombination verschiedener Strategien, wie es ein israelischer Freelancer beschreibt: „It’s sort of everything completing everything. I get a bit of assignments, a bit of independent work beeing published and a bit of archives sold. It’s kind of nice to have sales out of my archive, but I can’t live off it alone as well as I can’t live off my independent reportage alone, as much as I cannot live off my assignments alone. These are kind of the three main income sources. But it changes: sometimes this is more and this is less.“ (I13)

An dieser Aussage zeigt sich, wie gering die Planbarkeit des Verkaufs ist und wie wichtig eine Diversifizierung der Strategie und des Angebots ist. Ein wichtiger Teil der Akquise ist die Selbstvermarktung und der Aufbau eines professionellen Netzwerks mit Kontakten zu Medien, Redakteuren und Agenturen. Oft wird dieser sehr zeitintensive Aspekt der Arbeit vernachlässigt, wie es die französische Fotoreporterin Anne Paq schildert: „It is a weakness of many photographers that we don’t have the time to advertise our work and to develop our networks.“ (I12) Vor allem für größere, in Eigenregie durchgeführte Fotoprojekte sind große Investitionen im Vorhinein nötig. Oft produzieren Fotoreporter die Geschichten auf eigene Kosten vor und gehen damit auch finanzielle Risiken ein, wie es der italienische Freelancer Alessandro Gandolfi tat: „If you are a photojournalist working for a photoagency sometimes you have to take some risks, especially if you have a very good idea. You want to go after this idea but you won’t find a magazine that supports the story economically. [...] If the story is a very good one, like the surfing in Gaza, I mean there is no problem for me to invest 1000 or 1500 Euro. Because I’m sure that when I’m back I can sell the story 5 or 6 times all over the world. So I’m sure I will have my money back .“ (I29)

Diese Form der Produktion ist natürlich nur möglich, wenn Fotoreporter über das Kapital verfügen, diese Geschichten zu produzieren. Je nach Länge und Aufwand können die Kosten schnell mehrere Tausend Euro betragen. Bezogen auf die Arbeit in Israel und den palästinensischen Gebieten sind hier diejenigen im Vorteil, die schon in der Region leben. So kann eine Geschichte auch nebenher produziert werden. Letztlich sind der Zeitfaktor und die Platzierung einer Geschichte zum richtigen Zeitpunkt entscheidend. Bei dieser Form des Arbeitens ist ein langer Atem erforderlich, wie es Peter Damman beschreibt:



250 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT „Also dieses langfristige Arbeiten, das rentiert sich auf lange Sicht. Man muss nicht heute 500 Euro ausgeben und sie nächste Woche wiederhaben wollen. Das funktioniert nicht, sondern da muss man dann auch mal ein Jahr warten können auf das Geld. Also dass ist wichtig, wenn man so arbeitet.“ (I02)

Eine andere Strategie, die Anforderungen tagesaktueller Arbeit mit der Umsetzung langfristiger Projekte zu verbinden, beschreibt der israelische Fotoreporter und Eigentümer der Agentur „Flash90“ Nati Shohat. Wenn er beispielsweise über ein Jahr zu einem bestimmten Thema arbeitet, speist er einen Teil – oft die zweite Wahl – des Materials in den Markt ein und baut mit dem Rest die Geschichte aus, die zu erzählen sein Anliegen ist: „I get my bread from the shitty picture lets call them, and I get my reportage at the end because I work very hard for it. So the local shitty work pays well to do amazing reportage at the end. So it works all over the way.“ (I21) Einige der befragten Fotoreporter räumen jedoch ein, immer wieder auch Jobs ausserhalb der fotojournalistischen Arbeit anzunehmen. Die Fotoreporterin Eman Mohammed aus dem Gazastreifen beschreibt, wie der finanzielle Druck dazu führen kann, „to take that kind of assignments that you only take to pay the bills“ (I35). Dies kann auch fotografische PR-Jobs mit einschließen, wie es Kobi Wolf berichtet: „For money I’m even doing public relation for the government press office. Unbelievable, yeah, but I need money.“ (I17) Relativ weit verbreitet, vor allem bei den israelischen Fotoreportern, ist auch das Unterrichten an Fotoschulen. Darunter sind sowohl staatliche Schulen wie die „Bezalel Academy“ oder das „Hadassah College“ als auch private Fotoschulen wie „Minshar“ in Tel Aviv. Andere Formen des Geldverdienens, die genannnt wurden, sind Layout-Jobs oder die Arbeit als Texter. Für Fotoreporter ist es somit nicht ungewöhnlich, von einer Rolle in die andere zu schlüpfen, vom Lehrer zum PR-Fotografen und zum Fotojournalisten. Ein wichtiges Medium für die Akquise stellt der Text dar. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn es um Geschichten geht, über die noch kein Bildmaterial vorliegt. Aber auch bei der nachträglichen Vermarktung selbst produzierter Geschichten spielt eine textbasierte Zusammenfassung des Projekts durchaus eine Rolle. So sind insbesondere Fotoreporter, die an langandauernden Dokumentarfotoprojekten arbeiten, darauf angewiesen, immer wieder auch Text zu produzieren, wie dies ein Israeli aus seiner Praxis schildert: „I write on my own a one page synopsis. But I’m not a good writer, I tell you for fact, because for me it’s the most difficult part. I will write a one-page synopsis without to many clichés. [...] So I try to keep it very dry and factual, the minimum necessary.“ (I13) Sei es, um die Finanzierung eines Projektes bei einer Stiftung zu bekommen, die Einreichung der Arbeit bei einem Wettbewerb oder die spätere Vermarktung: Für diese Form der fotojournalistischen Arbeit, in der der Fotoreporter weitgehend die Kontrolle über das Produkt behält, sind kurze und prägnante konzeptionelle Texte von zentraler Bedeutung und



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nicht zu unterschätzen. Dies erscheint insofern paradox, als der eigentliche Träger der Information für die Fotoreporter das Bild ist. Unter den befragten Fotoreportern fanden sich jedoch auch ungewöhnliche Wege, das Einkommen zu sichern. So hat das in der Westbank lebende Fotoreporterpaar Andrea&Magda angefangen, Postkarten über die Westbank und die Besatzung zu vertreiben. Damit haben sie großen Erfolg, da es einen Markt neben der rein touristischen Fotografie bedient, wie es Magda erzählt: „We found a really amazing tool with the postcards. When he (Andrea) first told me about this idea [...] I was really uncomfortable with it. I thought it was doing some second project marketing. But then we started doing it and we found out that it was definitely a way to get regular money. [...] To put butter in the spinach as we say in French. Then we made this part a little bit better, worked on the legends and then I really realized that it is an amazing independent tool for photographers.“ (I22)

Die beiden waren die Ersten, die den touristischen Postkartenmotiven journalistische Bilder vom Alltag der Menschen sowie der politischen Situation zur Seite stellten. Als ein kleines stetiges Einkommen ist ihnen dies eine gute Stütze. Dazu verkaufen sie mittlerweile auch Prints ihrer Bilder. Fotoreporter, die sich dafür entscheiden, als Freelancer tätig zu sein, haben die Möglichkeit, Mitglied einer Fotografenagentur8 zu werden bzw. sich um eine Vertretung durch eine Agentur zu bewerben. Ein Teil der Vermarktung und der Akquise wird dann von den Agenturen übernommen. Dafür bekommen diese einen – meist individuell – festzusetzenden Prozentsatz der Auftragssumme. Verschiedene der interviewten Freelancer dieser Studie arbeiten mit einer Fotografenagentur zusammen. Darunter sind so renommierte Agenturen wie „laif“, „Panos“ und „Polaris“. Ein Beispiel der prozentualen Verteilung bei Aufträgen über eine Agentur legt ein israelischer Fotoreporter offen: „The percentages are sort of standard I think. If I get an assignment through the agency, I take 75% of the assignment fee and they take 25%. But it all depends on what they sell. If they sell just a single archive picture, it is 50/50. And if they sell a reportage I did, which is a set of pictures, they take 40% and I take 60%. This is the divide.“ (I13)

An diesem Zitat wird der Unterschied deutlich, ob ein Fotoreporter eine auf eigene Rechnung vorproduzierte Geschichte selbst verkauft oder dies die Agentur über-

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Im Unterschiede zu den Bilderdiensten oder den Bildagenturen sind Fotografenagenturen auf den Bereich der Dokumentarfotografie spezialisiert und oft in den Händen der Fotoreporter selbst, beispielsweise in Form von Kollektiven.



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nimmt. Einen Anteil von 40 % an die Agentur abzugeben bedeutet einen erheblichen Einkommensverlust auf Seiten des Fotoreporters. Die interviewten Fotoreporter berichten jedoch auch davon, dass es nicht möglich ist, sich völlig auf die Agentur zu verlassen, um Aufträge zu bekommen. Die eigene Akquise ist also weiterhin unumgänglich. Die Vor- und Nachteile der Arbeit mit einer Fotografenagentur beschreibt ein israelischer Fotoreporter: „There are many advantages and disadvantages. First of all it depends on how well you know the market as a photographer. Because usually the newspaper will offer you less than what the agency will get. The agency knows the market well and they can say if you want this and this job, you have to pay that and that. But a young photographer who doesn’t know the market, they can offer him less.“ (I06)

Für die israelischen Fotoreporter liegen die interessanten Märkte vor allem in Europa und den USA. Die speziellen Bedingungen dieser Märkte und die jeweilige Preispolitik zu kennen ist selbst für Fotoreporter aus den jeweiligen Ländern schwierig, weshalb hier das Wissen einer Agentur von großem Nutzen ist. Neben monetären Aspekten kann auch Beratung im Marketing oder die Besprechung von Bildstrategien zum Serviceangebot einer Agentur gehören (I13). Die praktische Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit den Agenturen wird von den befragten Fotoreportern sehr unterschiedlich gehandhabt. Zum einen hängt dies natürlich von den geschlossenen Verträgen ab, zum anderen aber auch von der Arbeitsweise der Fotoreporter. So unterscheidet sich z. B., mit welchem Bildkredit Arbeiten, die ohne die Agentur zu Stande kommen, belegt werden. Ein israelischer Fotoreporter, der mit der deutschen Agentur „laif“ arbeitet, berichtet, dass er auch freie Aufträge, wenn sie für den deutschen Markt sind, über den Namen der Agentur laufen lässt. Die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine entscheidet dies von Fall zu Fall. Sie verbindet damit auch die Frage, wer die Arbeitsleistung in Rechnung stellt: „I did a lot of stuff for the Globe and Mail. Even though I sign my photographs SIPA Press, I bill them. Usually with external stuff even though I have a real good relationship with the editors and I’ll usually get the assignments I’ll let SIPA bill them. But on certain things I’ll bill. It depends, if it’s really all mine.“ (I16)

Den Hauptunterschied bei der Kennzeichnung der Autorenschaft des Bildes macht dabei, dass Bilder, die über die Agentur vermarktet werden, über diese eine Zweit-

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oder Drittverwertung erfahren können.9 Der Nachteil, Aufträge über die Agentur laufen zu lassen, ist, dass diese einen gewissen Prozentsatz einbehält. Darüber hinaus wurden von den befragten Fotoreportern auch andere Nachteile der Kooperation mit einer Agentur genannt. So hält Andrea&Magda von der Arbeit mit Agenturen ab, dass sie von diesen in der Regel nicht gefragt werden, bevor eine Story aus dem Archiv verkauft wird (I22). So kann es sein, dass es in einer Publikation landet, mit der sich die Fotoreporter nicht identifizieren und mit der sie nicht hätten arbeiten wollen. Neben klassischen Foto- und Bildagenturen bekommen zunehmend fotografische Onlinedatenbanken eine Bedeutung, die an der Schnittstelle zwischen citizen journalism und professionellem Journalismus arbeiten. Für die Dokumentarfotografie hat vor allem die Plattform „Demotix“10 große Relevanz. Drei palästinensische, ein israelischer und ein internationaler Fotoreporter des Sample nutzen diese Plattform, um eigene Reportagen zu präsentieren. Über die Erfahrungen mit „Demotix“ berichtete die palästinensische Fotoreporterin Eman Mohammed ausführlich im Interview: „Well I started with Demotix and they were really good with the selling. But I told you the spotlight went away from Gaza and got on Iran, Egypt and other places. So I became less involved with Demotix, even though I like them very much. (…) Plus Demotix is only for real Scoops. So whenever I have something like that I used to go to them. [...] But they take 50% from whatever you get, what can be a really big share if you get a scoop.“ (I35)

Für Mohammed bot sich mit „Demotix“ die Möglichkeit, ihre eigenen Arbeiten einem großen Publikum zugänglich zu machen. „Demotix“ funktionierte darüber hinaus wie eine Bildagentur zu einem Zeitpunkt, als der Fotoreporterin der Zugang zu anderen Agenturen noch verschlossen war. Die finanziellen Nachteile nahm sie dafür in Kauf. Eine Möglichkeit der Finanzierung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt, bieten Wettbewerbe und Stipendien. Einige der renommiertesten Wettbewerbe vergeben Preisgelder in fünfstelliger Höhe und ermöglichen die Erarbeitung eines eigenen thematischen Projektes. Vor allem Dokumentarfotografen, die konzeptionell

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Der Unterschied ist sichtbar vor allem in der Veröffentlichung. Die Bilder eines Fotoreporters, der ein Projekt direkt an einen Verlag heranträgt, werden nur mit seinem Namen gekennzeichnet. Bilder die von einer Agentur kommen, werden mit dem Namen der Agentur und dem Namen des Fotografen gekennzeichnet.

10 Demotix war eine Onlineplattform zur Vermarktung von Bildern von Freelancern und Amateuren. Da sie zur Agentur Corbis gehörte, wurde die Plattform mit dem Verkauf von Corbis vom Netz genommen.



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arbeiten wie der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer, greifen auf diese Möglichkeit der Finanzierung zurück. Kai Wiedenhöfer, obwohl selbst Nutznießer von Preisen, die aus der Wirtschaft gestiftet wurden, kritisiert jedoch, dass diese oft nur aufgelegt werden, damit ein Unternehmen sich beispielsweise nach einer Krise Glaubwürdigkeit kaufen kann (I40). So fließen leicht mehrere Millionen Euro in die Organisation eines Wettbewerbs. Diese auf den ersten Blick rein philanthropischen Projekte sind somit auch aus einer PR-Perspektive der Stifter zu betrachten. In welcher Form es eine inhaltliche oder redaktionelle Beeinflussung gibt, darüber liegen bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Kai Wiedenhöfer berichtete auch, dass er nach dem Erhalt des Carmignac Award sein Konzept für „The book of destruction“ nur gegen den Widerstand des Stifters durchsetzen konnte. Zunehmend an Bedeutung für die Vermarktung der eigenen Arbeit gewinnen auch die sozialen Medien im Internet. Die befragten Fotoreporter nutzen vor allem das professionelle Netzwerk LinkedIn, das Netzwerk Facebook sowie die Fotografenplattform Lightstalkers11. LinkedIn und Lightstalkers bieten die Möglichkeit, über Suchmaschinen gefunden zu werden. Darüber hinaus hat die Plattform eine eigene Suchfunktion, über die gezielt Fotoreporter in bestimmten Regionen ausfindig gemacht werden können. Facebook hingegen wird vor allem als visuelle Präsentationsplattform genutzt. Ziv Koren hat auf seiner Facebookseite beispielsweise mehr als 10.000 Follower und updatet die Bildergalerien regelmäßig. Aber vor allem junge palästinensische Fotoreporter nutzen Facebook und das Internet als ein Medium, um auf sich aufmerksam zu machen und darüber hinaus direkt mit ihren Bildern an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie fungieren damit zum Teil als eine Art von citizen journalist. Wie erfolgreich dies ist, zeigt sich an der hohen Anzahl von Followern. So hat der palästinensische Fotoreporter Ahmad Mesleh über 70.000 Follower. Erstaunlich ist, dass in der Region immer noch Freelancer tätig sind, die keine eigene Webseite besitzen. Darunter ist ein israelischer Fotoreporter, der zwar eine Festanstellung bei einer israelischen Tageszeitung hat, aber als Freelancer für deutsche und europäische Nachrichtenmagazine tätig ist (I06). Um Aufträge zu erhalten, reichen ihm sein persönliches Netzwerk und die Zugehörigkeit zu einer Bildagentur. Über die Webseite der Bildagentur gibt es immerhin einen Zugriff auf Bilder von ihm. Eine amerikanische Fotoreporterin vermeidet es aus politischen Gründen, dass Informationen über sie im Internet aufzufinden sind. Als Jüdin mit einem internationalen Pass möchte sie auf diese Weise sicherstellen, dass sie weiterhin problemlos in die arabische Welt reisen kann. Dies ist möglich, da ihr Pass ohne die Religionszugehörigkeit ausgestellt ist.

 11 Siehe auch www.lightstalkers.org (seit 2016 nicht mehr aktiv).



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Die Kooperation mit NGOs Eine immer größere Bedeutung bei der Finanzierung von Projekten im Bereich der Dokumentarfotografie hat die Arbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGO). Der Bildermarkt der NGOs hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und ist zum Teil sehr lukrativ. Innerhalb der Stichprobe dieser Arbeit sind es vor allem internationale Freelancer, die ihre Arbeit unter anderem über Assignments von internationalen Institutionen und NGOs finanzieren (I36). Ein wichtiger Auftraggeber sind UN-Institutionen, wie beispielsweise die „United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Middle East“ (UNRWA) oder das „Office for the Coordination of Humanitarian Affairs“ (OCHA) in den besetzten palästinensischen Gebieten. Bei der Arbeit mit der UN geht es oft nicht um die Dokumentation der Arbeit der entsprechenden Institutionen, sondern um fotografische Medienprojekte mit marginalisierten Gruppen. Die Arbeit mit NGOs ermöglicht es Fotoreportern, in den Regionen, in denen sie schwerpunktmäßig arbeiten möchten, tätig zu bleiben und möglicherweise nebenbei eigene Fotoprojekte zu verfolgen. Ein weiterer Vorteil der Arbeit mit NGOs ist, dass diese als Türöffner in sensible gesellschaftliche Bereiche fungieren können. Darüber hinaus fahren einige Fotoreporter die Strategie, einen Teil des für NGOs produzierten Bildmaterials für andere publizistische Zwecke zu verwenden, wie es Magda beschreibt: „Generally we use the work that we do for NGOs as well for publishing. [...] Andrea compiled a couple of pictures he took for diverse organizations plus independent pictures and he made a subject about olive picking in general, for example.“ (I22) Dabei sind sich die Fotoreporter durchaus der Grenzen ihrer Freiheit bei Assignments internationaler Organisationen bewusst, wie es Tanya Habjouqa bezüglich der Arbeit mit der „United States Agency for International Development“ (USAID)12 beschreibt: „To be honest I don’t like it. I don’t mind the photographs so much. You’re still vantaged towards PR and you have to know your client. I really don’t like working for USAID. Because their politics are so overt to what they want. Fatima crying in the tent. They never want the reality, they just want the sticker. It’s so easy to compose. You’re in the hospital, you go to the newborn wing, you compose a nice image with the USAID sticker in the background. It feels cheap, but you want to give them what they want because you want to get more work.“ (I36)

Hier zeigt sich das Dilemma der Freelancer, die vom Wohlwollen ihrer Klienten abhängig sind, um weitere Aufträge zu bekommen. So nehmen einige von ihnen es

 12 USAID ist die staatliche Entwicklungshilfeorganisation der USA und in den palästinensischen Gebieten aktiv.



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durchaus auch auf sich, Bilder zu inszenieren, was in der PR-Branche nicht unüblich ist. Hier zeigt sich, dass bezüglich der Ethik in der PR-Fotografie andere Grenzen gelten als im Fotojournalismus. So ist das Inszenieren in der PR-Fotografie durchaus erlaubt und einige in der humanitären Hilfe tätige Organisationen fordern sogar, anstatt „reale“ Bilder zu machen, Situationen mit Models nachzustellen, um die Persönlichkeitsrechte von Menschen, die in Krisensituationen leben, zu wahren.13 Nicht alle Fotoreporter, die mit NGOs arbeiten, verfolgen jedoch diesen Ansatz. Einige arbeiten weiterhin an klassischen Dokumentarfotoprojekten, nur dass sie statt von Magazinen und Medienhäusern von NGOs finanziert werden. Für NGOs hat die längerfristige Arbeit mit Fotoreportern den Vorteil, dass sie über den Einkauf eines fotografischen Stils und möglicherweise den Namens des Fotoreporters einen hervorragenden Werbeeffekt haben, ohne dass Einfluss auf die Gestaltung der Bilder genommen werden muss. Wie solch ein Vorteil für eine NGO aussehen kann, beschreibt Peter Damman: „Eigentlich ist meine Fotografie Teil der Öffentlichkeitsarbeit dieser Projekte. Und diese Öffentlichkeitsarbeit dieser Projekte dient natürlich zur Akquirierung von Geld. Und ich glaub auch, dass dies die Funktion der Fotografie ist. Damit werden relativ viele Spenden aquiriert. Ein drei Seiten Bericht in der NZZ zu Weihnachten wenn die Kirchen hier ihre Sammlungen durchführen für dieses Spital, das bringt einfach mal ein paar Millionen. Und Geld braucht man wirklich, Geld rettet leben.“ (I02)

Dammans Arbeit stellt für die NGOs somit vor allem einen Türöffner zu journalistischen Medien dar. Es gibt jedoch auch Fotoreporter, die eine Arbeit mit NGOs ablehnen. So ist in diesem Zusammenhang auch die Einschätzung eines Fotoreporters interessant, dass die Arbeit mit NGOs eher für die Fotoreporter in Frage kommt, die in den großen Hauptstädten des globalen Nordens sitzen: „This is something you do when you live in a big capital. If you are in Berlin or Paris, where you find the main offices of those NGOs, here (Israel, Anm. des Autors) almost not. And you can be a part of the conflict again. So you have to think twice when you work for some NGOs.“ (I07)

Diese Einschätzung, dass viele der Fotografieprojekte von NGOs in deren Büros außerhalb der Konfliktregionen geplant werden, ist sicherlich richtig. Israel und die

 13 Siehe dazu auch die Diskussion um den sogenannten Code of Conduct von NGOs zur Nutzung von PR-Bildern http://www.concordeurope.org/publications/item/115-code-ofconduct-on-images-and-messages.



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palästinensischen Gebiete haben hier jedoch eine Sonderstellung aufgrund der großen Konzentration von NGOs und INGOs. So werden auch viele Aufträge an Fotoreporter direkt in der Region vergeben. Denn für die Institutionen zahlt es sich umgekehrt ebenfalls aus, auf das große Netz von Fotoreportern in der Region zugreifen zu können. Aufschlussreich ist auch die Einschätzung des Fotoreporters, dass die Arbeit mit einer NGO ihn zu einem Teil des Konflikts werden lassen. Dies sieht er im Fall der Arbeit über ein Assignment nicht als gegeben an. Kritik gegenüber der Arbeit von NGOs formulierten zwei der befragten Fotoreporter auch aus einer anderen Perspektive heraus. Sie stellten sich die Frage, welche Rolle NGOs als Akteure in Bezug auf den Fortbestand des Konflikts spielen: „From our point of view, the presence of NGOs and international organizations here (Israel/Palestine, Anm. d. Autors) is not really clean in the sense that it is not bringing something really positive inside the Palestinian society. But at the same time they also do good things. So it is not all black and white.“ (I22)

Aus diesem Grund wählt das Fotografenpaar Andrea&Magda sehr genau aus, mit welchen NGOs sie zusammenarbeiten und mit welchen nicht. Die Kritik an der Arbeit der NGOs in der Region lässt sich genauer am Aspekt der Nachhaltigkeit ihrer Arbeit beschreiben. So lehnte es der im Gazastreifen lebende Fotoreporter Ted Nieters ab, für eine internationale NGO zu arbeiten, da das Projekt, das er fotografieren sollte, dieses Kriterium aus seiner Sicht nicht erfüllte: „I have been approached by an organization that wanted to do a project in Gaza. Right now I am debating wether or not I am going to do it. They wanted to hire me and pay me a ridicoulous amount of money to fly here from Cairo a couple of times a month, travel to Gaza and stay at a hotel. And they are going to teach ten kids how to do something for two or three month and then they are leaving. And then they will use my videos to raise funds for this project that is not even sustainable and not important for the society. Everybody wants their hand in Gaza, but none of these people want to make sustainable projects.“ (I30)

Nieters ist zwar ein lukrativer Auftrag verloren gegangen: Aber seiner Ansicht nach stand seine Bezahlung in keiner Relation zum Budget des tatsächlichen Projekts. Andere Kritiker der NGOisierung des Fotojournalismus stellen immer wieder die Arbeit für NGOs auf eine Stufe mit der Arbeit für Regierungen oder direkt am Konflikt beteiligter, z. B. militärischer Akteure. Bei aller Vorsicht gegenüber diesem Phänomen ist dieser Kritik entgegenzuhalten, dass NGOs Gewalt ausschließen, während militärische Akteure diese in ihre Überlegungen miteinbeziehen. Dies ist aus Sicht des Autors ein wesentlicher Unterschied.



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Die Bedeutung der Veröffentlichung Für die Dokumentarfotografen ist das Thema der Veröffentlichung in vielerlei Hinsicht von Bedeutung. Der Abdruck einer Reportage ist ihre Visitenkarte und bildet möglicherweise die Grundlage für weitere Aufträge. Anders als in der Nachrichtenfotografie ist ihre Arbeit nicht mit dem Einspeisen ihrer Bilder in den Bildpool einer Agentur getan. Und im Gegensatz zur Nachrichtenfotografie wissen in der Dokumentarfotografie tätige Fotoreporter in der Regel, wer ihre Geschichte gekauft hat und in welchem Magazin sie veröffentlicht wird. Dies hängt damit zusammen, dass es Dokumentarfotografen mit weniger Masse als die Nachrichtenfotografen und mit einem anderen Output in Form von Serien und Reportagen zu tun haben. Trotzdem haben sie selten Einfluss darauf, welche ihrer Bilder für den Druck ausgewählt werden, wie eine Reportage zusammengestellt wird und welchen Umfang sie hat, wie es der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer anhand seiner Arbeit zum Gazastreifen nach dem Krieg 2008/2009 schildert: „Beim Stern haben sie am Anfang 14 Seiten gelayoutet. Aber dann haben sie daraus sechs Seiten gemacht.“ (I40) Während es für ihn von finanzieller Seite her keinen Unterschied machte, auf wie vielen Seiten die Geschichte gedruckt wurde, hatte die Verkürzung den Verlust der Serialisierung zur Folge. Damit war der konzeptionelle Ansatz seiner Arbeit, der in der fotografischen Wiederholung der Opferdarstellung bestand, nicht mehr sichtbar. Hier zeigt sich, wo auch für Dokumentarfotografen Grenzen liegen. Einige im Bereich der Dokumentarfotografie tätige Fotoreporter, wie Kai Wiedenhöfer, verfolgen mit ihrer Arbeit einen ganz bestimmten konzeptionellen Ansatz der meist nur sichtbar wird, wenn das Layout oder die Länge der publizierten Strecke diesem gerecht wird. An dieser Stelle wird die Bedeutung eines guten Bildredakteurs deutlich, der genau dies erkennt und darüber hinaus die Macht hat, es auch in einer Redaktionskonferenz durchzusetzen. Auf Grund des geringen Grades der Kontrolle über die Verwendung der Bilder in Tageszeitungen und Magazinen schätzen einige der befragten Fotoreporter die Veröffentlichung ihrer Bilder in anderen Medien, wie Büchern, und die Produktion von Ausstellungen: „Und mir sind eigentlich auch die Bücher viel wichtiger. Dieses Buch über das Spital in Bethlehem, das ist so ein Komplettangebot an dieses Projekt gewesen. Da ist die Autorin, mit der ich gerne und schon seit 10 Jahren arbeite, eine Grafikerin mit der ich schon studiert hab, das ist ein Verlag, wo ich schon vor 20 Jahren Bücher gemacht hab: das ist ein richtiges Team. Da wird alles diskutiert, die Punktgröße der Schrift, die Bildauswahl. Da hat man aber auch ein paar Monate Zeit.“ (I02)

Wie von Peter Damman geschildert, verfügen die Fotoreporter in diesen Fällen über einen erheblich größeren Einfluss über das zu veröffentlichende Produkt. Bei dieser



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Form der Vermarktung ist die Publikation in einer Zeitung oder einem Magazin nur der Anfang einer längeren Verwertungskette. Ziv Koren arbeitet nach diesem Prinzip: „It is not the end of the line of the picture, the picture or the story being published in a magazine. is just one step in a long line of opportunities for my pictures to be seen. I do between five to ten exhibitions every year. I publish books.“ (I05) Koren arbeitet als eine Art Ein-Mann Unternehmen und schöpft alle Produktionsmittel aus. Er behält damit die Kontrolle über seine Produkte und bekommt über ein vielseitiges Marketing Zugang zu einem breiten Publikum. Darüber hinaus kann er so eine konstante Auftragslage sicherstellen. Für weniger bekannte Fotoreporter ohne Renommee ist solch ein Aufwand alleine nicht zu bewältigen. Auch Koren beschäftigt eine Agentin, die mit den organisatorischen Dingen betraut ist.

260 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

6.3 Z WISCHENFAZIT

ZUM

J OURNALISMUSKONTEXT

6.3.1 Die berufliche Sozialisation der Fotoreporter Kennzeichnend für die am Produktionsstandort Israel/Palästina tätigen und für diese Arbeit interviewten Fotoreporter ist ihre hohe persönliche Motivation. Dies zeigt sich z. B. an der Bedeutung der Fotografie als Konstante in der Biografie vieler Fotoreporter der Stichprobe. Oft kommen sie jedoch erst über Umwege mit fortgeschrittenem Alter zu diesem Beruf. Für einen späten Wechsel ist meist eine besondere intrinsische Motivation ausschlaggebend. Beim Vergleich der Motivationen der lokalen und internationalen Fotoreporter des Sample fallen einige Unterschiede auf. Elaborierte künstlerische Motivationen sind eher auf Seiten der befragten internationalen und israelischen Fotoreportern. Umgekehrt finden sich auf Seiten der interviewten Palästinenser eher politische Motivationen und eine ausgeprägte Karriereorientierung. Zu betonen ist, dass eine politische Motivation zur Aufnahme einer fotojournalistischen Tätigkeit, die vermutlich aus der Politisierung des Alltags in den besetzten palästinensischen Gebieten rührt, nicht automatisch einen Bias bedeutet, der dem Handeln nach journalistischen Qualitätskriterien im Wege steht. Die 40 bzw. 41 befragten Fotoreporter haben zwischen 2 und 25 Jahren Berufserfahrung was mit sehr unterschiedlichen Wegen in den Beruf verbunden ist. Es zeigte sich, dass für den Berufseinstieg persönliche Kontakte in die Institutionen ein entscheidendes Kriterium sind. Auf Seiten der Israelis und Palästinenser der Stichprobe beginnt der erfolgversprechendste Weg bei lokalen Medien und führt über das Arbeiten als Stringer bei internationalen Agenturen in eine mögliche Festanstellung als Staffer. Vor allem bei den israelischen Fotoreportern ist dabei immer wieder auch ein Wechsel von einem ins andere Arbeitsverhältnis zu beobachten. Mit den lokalen Medien und internationalen Agenturen sind die wichtigsten Stationen der beruflichen Sozialisation israelischer und palästinensischer Fotoreporter benannt. Auf Seiten der befragten Internationalen werden berufsspezifische Kenntnisse vor allem über Assistenzen, Praktika und on the job erworben. Hier wird deutlich, dass die berufliche Sozialisation der Befragten vor allem über das Arbeiten innerhalb fotojournalistischer Strukturen abläuft und Studium oder Ausbildung nur eine geringe Bedeutung haben. Der Weg in den Beruf auf Seiten der für diese Arbeit befragten lokalen Fotoreporter kann dabei nicht ohne Einbeziehung des Nahostkonflikts beschrieben werden. Die politische Situation ist ein katalysierender Faktor, da verschiedene Eskalationsphasen des Konflikts immer auch Veränderungen für den Produktionsstandort Israel/Palästina bedeuteten. So fanden zu Beginn der ersten und der zweiten Intifada vermehrt israelische Fotoreporter eine Anstellung bei den Agenturen. Der Aufbau palästinensischer Büros wurde hingegen erst über die politische Segregation ermög-



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licht, die mit dem Oslo-Prozess begann und ihren Höhepunkt in der 2. Intifada fand. Vorher war der Markt fest in der Hand israelischer und internationaler Fotoreporter. Unter den interviewten palästinensischen Fotoreportern ist ein Generationenwechsel hinsichtlich des Berufseinstiegs zu beobachten. Während die erste Generation der festangestellten Agenturfotografen während der Zeit der zweiten Intifada ihren Einstieg in den Fotojournalismus vor allem über den Umstieg von Text auf Bild fand, zeichnet sich die neue Generation von Fotoreportern durch einen direkten Zugang zur Fotografie aus. Dies ist der Digitalisierung der Fotografie und den geringeren Materialkosten sowie den Möglichkeiten der Selbstvermarktung in den sozialen Medien geschuldet. Dieses Phänomen ermöglicht es jungen Palästinensern, selbstständig einen Berufseinstieg zu versuchen und das Internet zu nutzen, um sich einen Namen zu machen. Die wichtigsten institutionellen Akteure im Fotojournalismus in den palästinensischen Gebieten sind die Bilderdienste der internationalen Agenturen. So ist es nicht verwunderlich, wenn diese Akteure auch den zentralen Bezugsrahmen für die berufliche Sozialisation darstellen und gleichzeitig mit verantwortlich für die Schwächen des palästinensischen Fotojournalismus sind. Die Situation in den palästinensischen Gebieten bezüglich einer qualitativ hochwertigen fotojournalistischen Ausbildung ist als nicht förderlich zu bezeichnen, was den fehlenden Ausbildungsinstitutionen, einem Kunst- und Galeriebetrieb in den Kinderschuhen sowie den negativen Folgen des akademischen Boykotts1 geschuldet ist. Die Möglichkeit, über das Besuchen von Ausstellungen oder die Recherche in Bibliotheken Zugang zu qualitativ hochwertigen fotojournalistischen Arbeiten zu bekommen, ist stark eingeschränkt. Damit wird Palästinensern der Zugang zur Dokumentarfotografie erschwert. Im Vergleich zu den Palästinensern innerhalb des Sample profitieren die befragten israelischen Fotoreporter davon, dass die israelische Fotografie eine Art eigenes Markenzeichen ist und international einen guten Ruf genießt. Sie können das, vor allem wenn sie von renommierten Ausbildungsinstitutionen kommen, beim Aufbau von Netzwerken und der Selbstvermarktung nutzen. Die gute Integration der interviewten israelischen Fotoreporter in den internationalen Bildermarkt, insbesondere der Freelancer, hat dabei eine historische Dimension und liegt unter anderem im europäischen Erbe des israelischen Staates begründet (siehe Kapitel 4.2.2). Israelische Fotoreporter waren schon in den 1960er Jahren Mitglieder renommierter inter-

 1

Der politische Diskurs über Normalisierung und Boykott erschwert den Zugang zu fotografischer Bildung. Darunter leiden z. B. Projekte wie „Frames of Reality“, die versuchen, israelische und palästinensische Fotoreporter in Workshops zusammenzubringen und deren Weiterqualifizierung zu ermöglichen.



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nationaler Fotografenagenturen, wie beispielsweise Micha Bar-Am bei „Magnum“.2 Die palästinensischen Fotoreporter müssen sich diesen Platz erst noch erkämpfen. Neben bestimmten fotografischen Kompetenzen fehlt ihnen vor allem der Zugang zu den relevanten beruflichen Netzwerken, die meist eher außerhalb der Region zu finden sind. Grundsätzlich wird an der beruflichen Sozialisation der für diese Studie befragten Fotoreporter die geringe Bedeutung einer formalen Ausbildung im Bereich Fotografie oder Fotojournalismus für den beruflichen Erfolg deutlich. Anders lässt sich nicht erklären, warum der Anteil der Autodidakten unter den interviewten Fotoreportern in der Region so hoch ist. Umgekehrt hängt dies auch mit den Kompetenzanforderungen für die verschiedenen Arbeitsrollen zusammen. Vor allem in der Nachrichtenfotografie sind sie gering: Für die Arbeit in diesem Bereich reicht ein kurzes Training verbunden mit dem Erlernen der Routinen im Berufsalltag aus. Damit wird jedoch die Chance verpasst, sich über eine fundierte journalistische Grundausbildung und das Erlernen ausgeprägter fotografischer Kompetenzen sowie die Entwicklung eines kritischen Fotografiediskurses auch für das Berufsfeld der Dokumentarfotografie zu qualifizieren. Als Autodidakt ist es um einiges schwerer, die dafür notwendigen Kenntnisse zu erlernen, wie es sich an der Situation der befragten palästinensischen Fotoreporter zeigt. Unabhängig von der Ausbildungssituation verfügen die Fotoreporter der Stichprobe über sehr klar artikulierte berufliche Identitäten. Hier zeigt sich, dass die Fotoreporter trotz zum Teil mangelhafter Ausbildung nicht mit Fotoamateuren gleichgesetzt werden können. Aufgrund ihrer (foto-)journalistischen Sozialisation im Berufsleben und der damit verbundenen Professionalisierung verfügen sie über ausgeprägte (foto-)journalistische Rollenselbstverständnisse. Dem Selbstverständnis als photojournalist sind dabei vor allem die Berichterstattungsmuster des objektiven Journalismus, des anwaltschaftlichen Journalismus sowie des konfliktsensitiven Journalismus zuzuordnen. Eine ausgeprägte Orientierung am objektiven Journalismus findet sich vor allem auf Seiten der interviewten Nachrichtenfotografen, insbesondere bei den Palästinensern. Diese ist verbunden mit einem Glauben an die Faktizität von Bildern sowie mit einer Hervorhebung der dokumentarischen Funktion des Fotojournalismus, Realität so zeigen zu wollen, wie sie ist. Hier zeigt sich, wie stark der Fotojournalismus an der Primärfunktion des Journalismus, aktuelle Themen für die Berichterstattung aufzubereiten und anhand des Neuigkeitswerts, der Faktizität sowie der Relevanz zu ordnen, orientiert ist (vgl. Scholl/ Weischenberg 1998: 77 f.). Dass sich die Berichterstattungsmuster des anwaltlichen und konfliktsensitiven Journalismus eher auf Seiten der Dokumentarfotografen

 2

Siehe http://www.magnumphotos.com/C.aspx?VP3=CMS3&VF=MAGO31_10_VForm &ERID=24KL5355CC.



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zeigen, ist vermutlich dem größeren Handlungsspielraum zuzuschreiben, über den die Fotoreporter in diesen Bereichen verfügen, wie das Kapitel über die allgemeinen fotojournalistischen Routinen aufzeigen konnte und der es ermöglicht, eigene Akzente zu setzen. 6.3.2 Fotojournalistische Routinen Die abschließende Betrachtung der fotojournalistischen Routinen der befragten Fotoreporter verfolgt zwei Ziele. Zum einen geht es darum, noch einmal die zentralen Arbeitsschritte in der Nachrichten- und Dokumentarfotografie aufzuzeigen, um das Verständnis für die dem Berufsfeld immanenten Prozesse zu erhöhen. Zum anderen sollen anhand der Routinen die zentralen Unterschiede der beiden Felder aufgezeigt und ausgehend vom Produktionsstandort Israel/Palästina eine Abstraktion der Arbeitsabläufe für das Berufsfeld an sich vorgenommen werden. Für eine Betrachtung der Arbeitsplanung und Entscheidungsstrukturen muss der Blick zunächst auf den Grad der Integration der Fotoreporter in die Redaktionen und damit die Teilhabe an redaktionellen Abläufen gelenkt werden. Dabei ist zwischen den Redaktionen und Bildredaktionen der Bilderdienste und Bildagenturen, die für die Nachrichtenfotografie relevant sind, sowie den Redaktionen der beauftragenden Medien in der Dokumentarfotografie zu unterscheiden. Die Arbeitsplanung und Entscheidungsstrukturen hängen zentral von diesem Fakt und von der Arbeitsrolle des einzelnen Fotoreporters ab. Bei den Nachrichtenfotografen ist diese vor allem durch das Arbeitsverhältnis sowie den Arbeitgeber bestimmt, bei den Dokumentarfotografen über die Art des Projekts und das Vorhandenseins eines Auftraggebers. Kennzeichnend für die Nachrichtenfotografen des Samples ist, dass sie über einen sehr geringen Grad an Autonomie verfügen, was die Nachrichtenauswahl und gestalterische Spielräume angeht. Dies gilt insbesondere für die Angestellten von AFP, AP und Reuters. Die Existenz lokaler und regionaler Redaktionsstrukturen schafft für die dort tätigen Fotoreporter klare, hierarchisch gegliederte Arbeitsabläufe. Demgegenüber verfügen Angestellte beispielsweise von EPA aufgrund der Abwesenheit lokaler Redaktionsstrukturen über größere Handlungsspielräume. Über Freiräume verfügen die Nachrichtenfotografen nur in marginalen Arbeitsbereichen, beispielsweise bei der Erstellung von features. Der größere Freiraum bei der Erstellung von features lässt sich damit begründen, dass sie weniger prestigeträchtig sind als Bildnachrichten (vgl. Perlmutter 2003: 477). Die Erkenntnisse über die Entscheidungsspielräume und die Arbeitsplanung in den Nachrichtenagenturen ähneln den Erkenntnissen über die Arbeit von Textjournalisten bei den Agenturen (vgl. Segbers 2007). Bei den interviewten Dokumentarfotografen hängt der Grad der Autonomie von der Art des Assignments bzw. des durchgeführten Projekts ab. Es gibt eine Vielzahl



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unterschiedlicher Formen der Kooperation zwischen Freelancern und Redaktionen, von der Anfrage zur Illustration eines Artikels mit oder ohne direkten Kontakt zum Korrespondenten über das gemeinsame Planen von Reportagen bis zum nachträglichen Ankauf von Geschichten durch Redaktionen. Nur einige wenige Fotoreporter verfügen über feste Arbeitsbeziehungen, die klassischen Korrespondentenverhältnissen ähneln. Grundsätzlich sind die Kontakte der Fotoreporter zu den Redaktionen wenig formalisiert und verlaufen meist ohne persönliche Kontakte per E-Mail. Dies zeigt den geringen Grad der Integration in redaktionellen Strukturen. Dieser Fakt und die größere geografische Distanz zu den Redaktionen der Publikationsmedien hat eine größere Autonomie auf Seiten der Dokumentarfotografen zur Folge. Eingeschränkt wird die Autonomie nur bei kurzfristigen Redaktionsaufträgen mit klaren Auftragsbeschreibungen oder Kooperationen mit Korrespondenten vor Ort. Schwierigkeiten können durch die Notwendigkeit einer hohen Selbstdisziplin, mangelnde Konstanz aufgrund wechselnder Ansprechpartner in den Redaktionen sowie Konflikte mit den Redaktionen um Themenzuschnitte entstehen. Bei ihrer Arbeit in der Region sind die befragten Fotoreporter einem ständigen Strom von als nachrichtenrelevant eingeschätzten Ereignissen ausgesetzt. Während diese Situation den Nachrichtenfotografen der Wire volle Terminkalender und eine gute Auftragslage garantiert, stellt sich für die Dokumentarfotografen die Frage, wie sie zwischen diesen Ereignissen ihre eigenen Schwerpunkte setzen und wann sie sich eher an den Ereignissen, wann eher an ihren Abbildung 6: Der Prozess der Nachrichtenauswahl eigenen Themen orientieren.  DER PROZESS DER NACHRICHTENAUSWAHL Fotoreporter haben dabei soIN DER NACHRICHTENFOTOGRAFIE wohl mit genuinen, mediati1. Eingang einer Text-/Sprachinformation sierten als auch inszenierten Ereignissen zu tun. Zwischen 2. Abklärung der Visualität des Ereignisses* der Nachrichten- und der Do3. Entscheidung über Relevanz des Ereignisses* kumentarfotografie herrscht 4. Entscheidung über Dokumentation dabei eine Art Symbiose vor, da sich ihre Arbeitsroutinen *Schritt 2 und 3 können auch parallel verlaufen. hinsichtlich des Umgangs mit der Aktualität sowie der Aus- Quelle: Eigene Darstellung wahl von Ereignissen und Themen hervorragend ergänzen. Grundsätzlich ist zwischen der Auswahl eines Ereignisses zur Dokumentation und der Bildauswahl für die Veröffentlichung zu unterschei-den. Dies ist insofern von Bedeutung, als im ersten Schritt schon eine ganze Reihe von Ereignissen wegfallen, die aus verschiedenen Gründen nicht dokumentiert werden.



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Die Aussagen der Interviewten lassen darauf schließen, dass für die Art und Weise, wie der Auswahlprozess in der Nachrichtenfotografie abläuft, drei Faktoren entscheidend sind: 1. die redaktionellen Rahmenbedingungen und davon abhängig die Entscheidungsbefugnisse, 2. die Nachrichtenfaktorenroutine und ihre inhaltlichen Auswahlkriterien und 3. das Kontextwissen der Personen, die in den Entscheidungsprozess involviert sind. Die redaktionellen Rahmenbedingungen bestimmen den Prozess der Entscheidungsfindung. Das Vorhandensein lokaler Büros und Redaktionsstrukturen, der Standort der Bildredaktion, der Grad der Integration der Fotoreporter in diese Strukturen, die Art der Absprachen mit den Bildredakteuren und dem chief photographer sowie die redaktionelle Kultur sind hier entscheidende Faktoren. Die Nachrichtenfaktorenroutine hat Einfluss auf die Bewertung der Informationen und die Bestimmung des Nachrichtenwerts einzelner Nachrichten. Das Kontextwissen entscheidet darüber, inwieweit der einzelne Fotoreporter das Wissen hat, die Bedeutung von Ereignissen im Kontext des Nahostkonflikts einschätzen zu können. Je geringer das Kontextwissen, umso mehr verlassen sich die Fotoreporter auf Kollegen, Producer oder Bildredakteure. Vor allem lokale Fotoreporter sowie internationale Fotoreporter mit langjähriger Erfahrung in der Region sind hier im Vorteil. In der fotojournalistischen Praxis der Nachrichtenfotografie erfolgt die Ereignisbzw. Themenauswahl vor allem ausgehend von inhaltlichen Faktoren, bezogen auf die Eigenschaften des Ereignisses. Die Kriterien, die hier eine Rolle spielen, lassen sich nur zum Teil mit den Nachrichtenfaktoren (vgl. Meier 2007) erklären. Faktoren, die das Bild betreffen, werden erst bei der Auswahl eines Bildes für die Publikation interessant. In diesem Prozess gibt es zwei entscheidende Momente (siehe Tabelle 7). Der eine bezieht sich auf die Klärung der Frage, ob ein zur Berichterstattung auszuwählendes Ereignis visuell darstellbare Elemente hat. Dieses Kriterium ist ein Ausschlusskriterium für die Frage, ob ein Fotoreporter aktiv wird, und kann von daher nicht mit dem Nachrichtenfaktor Visualität gleichgesetzt werden, der nur einer unter vielen bei der Frage ist, ob ein Ereignis zum Berichterstattungsgegenstand wird. Der zweite ist dann die Entscheidung über die Bedeutung des Ereignisses anhand von Nachrichtenfaktoren. Beide Faktoren werden in der Regel ausgehend von vorliegenden Sprach- und Textinformationen entschieden, ohne dass der Fotoreporter selbst am Ort des Geschehens ist. Sie können auch parallel oder in umgekehrter Reihenfolge ablaufen. Faktoren, die für die Ereigniswahl eine Rolle spielen, sind die Aktualität, ein Bezug zum Nahostkonflikt, die Prominenz der beteiligten Akteure oder Personen (beispielsweise internationale Politiker), ein religiöser Bezug sowie ein angenommenes internationales Interesse am Thema (siehe Tabelle 7). Andere Themen wie beispielsweise das Alltagsleben der Menschen in der Konfliktregion oder religiöse Feierlichkeiten in der Region werden eher als features umgesetzt.



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Tabelle 7: Vergleich der Faktoren für die Ereignis-, Bild- und Themenauswahl zwischen der Nachrichten- und der Dokumentarfotografie NACHRICHTENFOTOGRAFIE Faktoren für Ereignisauswahl - Visualität - Aktualität - Bezug zum Nahostkonflikt - Prominenz - Religiöser Bezug - Internationales Interesse

- Planbarkeit

Faktoren für Bildauswahl

DOKUMENTARFOTOGRAFIE Faktoren für Themenwahl - Bezug zum aktuellen Geschehen - Bezug zum Nahostkonflikt

- Fototechnik (Qualität) - Handlung im Bild/ Aktion - Dramatik/Aktion - Emotionen - Nähe zum Gegenstand - Komprimierung - Kontroverse - Personalisierung - Hintergrundgeschichten - Relevante Konfliktakteure - Vernachlässigte Gruppen in der Berichterstattung - Exklusivität des Zugangs - Einzigartigkeit der Themenstellung

Quelle: Eigene Darstellung

Auch für den Auswahlprozess in der Dokumentarfotografie ist die Arbeitsrolle in Kombination mit der Art des Assignments bzw. Projekts entscheidend. Je größer die Kontrolle der Fotoreporter über ihr Projekt, umso größer auch die Freiheit der Themensetzung. Vor allem konzeptionell und an langfristigen Reportageprojekten arbeitende Fotoreporter genießen hier weitgehende Freiheiten. Grundsätzlich ist für die Dokumentarfotografie am Produktionsstandort Israel/Palästina von Bedeutung, ob die zu wählenden Themen einen Bezug zum aktuellen Geschehen und zum Nahostkonflikt haben (siehe Tabelle 7). Beides hat Auswirkungen auf den Marktwert einer zu produzierenden Geschichte sowie auf ihre Halbwertszeit. Während Bildnachrichten oft schon nach einem Tag ihren Wert verlieren, haben Reportagen der Dokumentarfotografen auch noch nach längerer Zeit einen publizistischen Wert. Wichtige Aspekte für die Auswahl von Themen sind z. B. Hintergrundgeschichten zu aktuellen Themen, die Konzentration auf relevante Konfliktakteure oder ver-



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nachlässigte Gruppen und Themen in der aktuellen Berichterstattung, die Exklusivität des Zugangs zu einer bestimmten Gruppe sowie die Einzigartigkeit der Themenstellung. An dieser Stelle soll zusammenfassend noch einmal genauer auf den Aspekt der Recherche eingegangen werden. Mit Recherche wird im tagesaktuellen (Text-) Journalismus die Überprüfung von Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt verbunden. Dazu gehören Techniken wie das Überprüfen von Informationen, also der Abgleich verschiedener Quellen, aber auch das Führen von Hintergrundgesprächen (vgl. Mast 2012: 176). In der Nachrichtenfotografie spielt die Recherche im Gegensatz zum Textjournalismus eine andere Rolle. Sie ist in jedem Fall zweigeteilt zu betrachten. Ein erster Aspekt der Recherche betrifft das Überprüfen der aktuellen Nachrichtenlage, von der ausgehend ein Fotoreporter im Kontakt mit seiner Agentur entscheidet, welches Ereignis er dokumentieren wird. Diese Recherche verläuft in der Regel eher oberflächlich, ausgehend von bestimmten Elitequellen sowie persönlichen Kontakten. Hier geht es vor allem um die Relevanz. Ein zweiter Aspekt der Recherche betrifft dann das Sammeln von Informationen in Bezug auf die Ereignisse, die der Fotoreporter visuell dokumentiert. Dabei geht es um die Validierung der Bildzeugnisse und die Frage, ob diese in Umlauf gebracht werden können oder nicht. In Form der captions werden die recherchierten Informationen dann auch zu einer Textinformation verarbeitet. Größerer Rechercheaufwand ist nur dann vonnöten, wenn sich im Zuge eines Ereignisses Unklarheiten über die involvierten Akteure oder den Auslöser des Ereignisses ergeben. Dies ist im Alltag jedoch nur selten der Fall. Die Aussagen der befragen Dokumentarfotografen lassen darauf schließen, dass in diesem Bereich des Berufsfeldes der Rechercheaufwand davon abhängt, ob die Fotoreporter allein oder mit einem Textjournalisten tätig sind. Ein weiterer Faktor ist der Umfang des Projektes. Mit der Komplexität eines Projektes steigt auch der Umfang der Recherchetätigkeit. Hat ein Fotoreporter ein Thema identifiziert, geht es darum zu überprüfen, welche Relevanz es in der Region hat und wie wichtige Akteure und Gruppen identifiziert werden können. Oft betragen die Recherche einer Geschichte und die Vorbereitung einer Reportage ein Vielfaches der Zeit, die für das Fotografieren und die Arbeit im Feld notwendig sind. Anders sieht der Rechercheaufwand eines Dokumentarfotografen aus, wenn er einen Textjournalisten während eines ein- oder mehrtägigen Assignments begleitet. Während dieser Zeit gibt es in der Regel klare Rollenteilungen: der Fotoreporter ist hier ausschließlich für die Produktion von visuellem Material zuständig, der Textjournalist für die Recherche von Informationen. Für die Praxis der Bildproduktion ist vor allem der Zeitraum entscheidend, der den Fotoreportern für die Produktion zur Verfügung steht. Dies hängt wiederum von der Frage ab, ob sie eher ereignis- oder themenbezogen arbeiten. Die tagesak-



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tuelle Routine der Nachrichtenfotografen, die von engen Deadlines und einer Vielzahl von pro Tag zu dokumentierenden Ereignissen gekennzeichnet ist, hat etwas von einer industriellen Bildproduktion. In der Dokumentarfotografie steht meist mehr Zeit zur Verfügung und es geht nicht nur darum, ein Ereignis inhaltlich korrekt wiederzugeben, sondern es ist eine überzeugende visuelle Umsetzung für ein Thema zu finden und in eine komplexe Bilderserie zu übertragen. Ausschlaggebende Kriterien hierfür sind z. B. die erfolgreiche Suche nach Protagonisten für eine Geschichte oder die Gewöhnung der fotografischen Subjekte an die Präsenz der Kamera. Hier zeigt sich die herausragende Bedeutung der sozialen Begegnung in der Dokumentarfotografie. Dies spiegelt sich auch in der Praxis wieder, erst einmal zu beobachten und dann zu fotografieren. Dies steht im Gegensatz zu den Nachrichtenfotografen, die sofort fotografieren, um keinen Moment zu verpassen. Selbst bei kurzen Assignments auf Tagesbasis, bei denen ein Dokumentarfotograf einen Korrespondenten begleitet, besteht nicht der Zeitdruck der für die Nachrichtenfotografen an der Tagesordnung ist. Eine individuelle Bildsprache gilt in der Dokumentarfotografie als Kennzeichen einer ausgereiften Autorenschaft und wird gerne gesehen. Für die Bildauswahl in der Nachrichtenfotografie spielen verschiedene Kriterien eine Rolle. Grundsätzlich liefern die Fotoreporter eine Auswahl von Bildern ab, die ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven zeigt und alle Akteure berücksichtigt. Aufgrund des hohen Zeitdrucks ist eine wichtige Kompetenz, große Bildmengen in kurzer Zeit bearbeiten zu können. Die Anzahl der Bilder pro Ereignis hängt dabei von der institutionellen bzw. redaktionellen Kultur ab. Auch die Bedeutung und die Komplexität des Ereignisses haben Auswirkung auf die Anzahl der Bilder. Darüber hinaus spielen vor allem bildimmanente Faktoren eine Rolle. Bildimmanente inhaltliche Faktoren sind die Darstellung einer Handlung im Bild, die Nähe zum Gegenstand sowie eine Personalisierung (siehe Tabelle 7). Im Idealfall sind in einer Nachrichtenfotografie alle beteiligten Akteure in einem Bild zu sehen. Dies ist jedoch nur selten zu erreichen. Gestalterische Faktoren sind ein Fokus auf Emotionen, die realistische Wiedergabe des Ereignisses sowie eine gewisse Dramatik, die eine Art von Wire-Bildkultur bzw. -Bildsprache kennzeichnen. Eine technisch einwandfreie Aufnahme hinsichtlich Komposition, Licht und Schärfe ist selbstverständlich. Die Agentur nimmt mit der Übernahme der von den Fotoreportern eingesandten Bilder eine Validierung ihrer Bildauswahl vor (vgl. Gürsel 2012: 78). Aufgrund der standardisierten Bildsprache und klaren Hierarchien spielen individuelle Vorlieben und Prädispositionen des Fotoreporters nur eine geringe Rolle. Die fotojournalistische Praxis der Interviewten legt vor allem hinsichtlich der Bildauswahl nahe, die Produktion und das fotojournalistische Handeln als eigenständigen Bereich anzuschauen, der anderen Regeln folgt als die Pressefotografie. Eine wichtige Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang, dass sie in der Regel pro

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Ereignis eine Auswahl von mehreren Bildern an die Bildredaktionen ihrer Agenturen schicken. Mit ihrer Auswahl verfolgen sie das Ziel, verschiedene Aspekte eines Ereignisses abzudecken. Dies gibt Aufschluss darüber, wie die Nachrichtenfotografen ein Ereignis bildnerisch darstellen: in einer Bildfolge. Dies steht der Praxis der die Bilder publizierenden Medien diametral entgegen, die fast immer nur ein Bild pro Ereignis drucken. Damit zeigt sich, dass die publizistischen Medien – und damit auch die Konsumenten – auf der einen sowie die Fotoreporter auf der anderen Seite von unterschiedlichen Vergleichsgrößen bzw. Bewertungskriterien ihrer Arbeit ausgehen. Die hier erfolgte Beschreibung der fotografischen Produktionspraxis unterstützt das Argument, ein von einer Tageszeitung publiziertes Einzelbild als publizistisches Medienprodukt und weniger als die von einem Fotoreporter erstellte Repräsentation der Realität zu betrachten. Dies zeigt sich auch an der Bedeutung, die von den Nachrichtenfotografen der Stichprobe der Veröffentlichung beigemessen wird. Die Nachrichtenfotografen geben meist alle Bildrechte an die Agenturen ab und wissen oft nicht einmal, wo ihre Bilder publiziert werden. Die Ausnahme stellen Bilder auf Titelseiten internationaler Tageszeitungen dar. Aus diesem Grund beurteilen die Nachrichtenfotografen die Qualität ihrer Arbeit eher ausgehend von dem über Jahre zusammengetragenen body of work. Daraus spricht weniger ein künstlerischer Blick auf das eigene „Werk“ als der Aspekt sich als „Chronist des Zeitgeschehens“ zu sehen. Damit ist die Validierung der eigenen Arbeit weniger am Einzelbild und dessen tagesaktuellem Marktwert als an der politischen, gesellschaftlichen und sozialen Relevanz der fotografischen Arbeit orientiert, die über einen längeren Zeitraum zu beobachten ist. In der Dokumentarfotografie ist der Abdruck einer Geschichte dagegen die Visitenkarte der Dokumentarfotografen und entsprechenden Wert legen diese darauf. Publizierte Reportagen sind für Freelancer eine Art öffentliches Portfolio. Es geht darum, die eigenen Bilder in möglichst prestigeträchtigen Magazinen unterzubringen. Aber auch andere Möglichkeiten, über Ausstellungen, Bücher oder über das Internet Projekte in die Öffentlichkeit zu tragen, bekommen eine zunehmende Bedeutung. Vor allem bei konzeptionell arbeitenden Fotoreportern ist die Form der Publikation oft aufs Engste mit der Aussage verbunden. Wie die ausführliche Diskussion der in der Dokumentarfotografie tätigen Fotoreporter aufzeigen konnte, liegt eine Besonderheit in diesem Bereich in der Arbeit als Selbständige. Dies bringt es mit sich, dass die Dokumentarfotografen auch als Unternehmer auftreten müssen, die ihre Themen und Projekte vermarkten und dafür Sorge tragen, dass genug Einkommen erzielt wird. Damit liegt das Berufsrisiko anders als bei den Nachrichtenfotografen zu großen Teilen direkt bei den Fotoreportern. Dies macht die Bedeutung der Akquise in der Dokumentarfotografie deutlich. Die Fotreporter benötigen dafür ausgeprägtes Verhandlungsgeschick und Kompetenzen beim Verfassen von Exposés. Um das Risiko zu streuen, verfolgen



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die interviewten Dokumentarfotografen meist eine Mischkalkulation. So setzen sich die Einkünfte meist aus Archivverkäufen, Assignments und dem Verkaufen eigener Projekte zusammen. Ein langfristiges Denken ist hilfreich um die eigenen Projekte zum richtigen Zeitpunkt platzieren zu können. Eine gängige Praxis ist auch das Querfinanzieren der Dokumentarfotografie über andere Tätigkeiten, wie z. B. eine Teilzeitanstellung auf dem lokalen Medienmarkt, die Annahme von PR-Jobs oder das Verkaufen von Postkarten. Einige der Befragten greifen bei der Vermarktung auf die Hilfe von Fotografenagenturen zurück. Die Agenturen nehmen den Fotoreportern einen Teil der Akquise ab, helfen bei der Zweitvermarktung von Projekten und kassieren dafür festgelegte Prozentsätze. Da sie oft über bessere Kenntnisse der Märkte verfügen, kann sich dies für die Fotoreporter durchaus lohnen, vor allem wenn es sich um bekannte Agenturen handelt. An Bedeutung gewinnt auch die Querfinanzierung über Aufträge von NGOs oder die Annahme von Stipendien. Das Risiko der Arbeit mit NGOs besteht darin, klassische PR zu betreiben, auch wenn die Auftraggeber wie internationale Organisationen oder NGOs aus dem Menschenrechtsbereich oder der humanitären Hilfe den Fotoreportern oft freie Hand lassen.





7. Der Konfliktkontext (Empirie II) In order to establish a journalistic identity, to report the truth and to gain credibility, one has to grapple with issues related to the occupation and the resulting tensions inherent in reporting news enlisted by the press. ELDAD RAFAELI1

Neben der Betrachtung des Journalismuskontextes wird mit dieser Arbeit ein zweiter Schwerpunkt auf den Konfliktkontext gelegt, d.h. den politischen Raum, in dem die Fotoreporter als Konfliktberichterstatter tätig sind und an dem sie ihr journalistisches Handeln ausrichten. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist dabei eine externe Einflussgröße außerhalb des Journalismuskontextes, der seine Bedeutung unter anderem im Feld der fotojournalistischen Produktion entfaltet. Seine Bedeutung erfährt der Konflikt dadurch, dass er sowohl der Berichterstattungsanlass ist als auch Strukturen geschaffen hat, an denen sich die Fotoreporter in ihrer Arbeit orientieren müssen. Fotoreporter sind Akteure im Konflikt. Als solche agieren sie nicht nur im Feld und richten ihr Handeln an diesem aus, sondern positionieren sich auch zu den vorhandenen Konfliktnarrativen. Diese Aspekte werden im folgenden Kapitel dargelegt.

7.1 A RBEITSROUTINEN

IM

K ONFLIKT

Im Kapitel zum Fallbeispiel Nahostkonflikt wurde bereits beschrieben, was den Produktionsstandort Israel/Palästina ausmacht und welche die ihn prägenden Institutionen sind. Der israelisch-palästinensische Konflikt entfaltet seine Bedeutung dabei auf mehreren Ebenen. Zum einen ist zu klären inwieweit er eine Rolle bei der

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Rafaeli, Eldad (2010): The Hidden Potential, in: Frames of Reality 2010, Steinitz, Amir (Hrsg.), Tel Aviv: Peres Center for Peace, S. 177.



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Entscheidung der Fotoreporter spielt, eine Tätigkeit in diesem Feld aufzunehmen und zum anderen, welche Rolle er im beruflichen sowie im privaten Alltag spielt. Damit können Fragen hinsichtlich der Sozialisation der Fotoreporter im Konflikt beantwortet werden. Darüber hinaus gibt es im Berufsalltag immer wieder neue Herausforderungen, die auf die eine oder andere Art und Weise mit dem Konflikt zu tun haben. Diese reichen von der Kontaktaufnahme im Feld, dem Umgang mit der Bewegungsfreiheit, dem Umgang mit Sprache und Geschlecht, der Kooperation mit den Konfliktparteien, dem Umgang mit mediatisierten und inszenierten Ereignissen bis zur Ausgestaltung der Kooperation unter den Fotoreportern. 7.1.1 Die Bedeutung des Konflikts für die Arbeit der Fotoreporter Die Gründe dafür, warum die befragten Fotoreporter zum einen in der Region und zum anderen zu Themenfeldern in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt arbeiten, sind sehr verschieden. Grundsätzlich ist dabei zwischen den lokalen und den internationalen Fotoreportern zu unterscheiden. Während es für die internationalen Fotoreporter eine Frage der Wahl ist, ob sie sich fotografisch mit der Region und vor allem dem Konflikt beschäftigen wollen, ist der Nahostkonflikt für die lokalen Fotoreporter ein elementarer Teil ihres Lebens in der Region. Was den Zugang zu Israel und den palästinensischen Gebieten innerhalb der Gruppe internationaler Fotoreporter angeht, so gibt es einige signifikante Unterschiede. Viele der Zugänge sind erst einmal unpolitisch. Bei Peter Damman war es die Arbeit mit einem Jugendorchester, bei Alessandro Gandolfi war es das Phänomen surfender junger Männer im Gazastreifen. Bei anderen waren es dagegen familiäre Gründe. So kam eine amerikanische Fotoreporterin nach Israel, weil ihre Familie dort lebte während es bei einer Kollegin der erste Freund war, der sie in die Region brachte. Auch eine enge Beziehung zum Judentum war für einige Fotoreporter ein Grund, in die Region zu kommen, wie im Fall einer Amerikanerin nach ihrer Konvertierung zum Judentum. Den jungen italienischen Fotoreporter Janos Chiala führte hingegen die in seiner jüdischen Familie vorherrschende kritische Haltung zum Staat Israel in die Region. Dabei bleiben nicht alle internationalen Fotoreporter der Region dauerhaft verbunden. Für Alessandro Gandolfi bspw. war es eine einmalige Geschichte. Peter Damman entschied nach dem Ende des Projektes mit der „Barenboim-Stiftung“, sich nach einem anderen Projekt in der Region umzuschauen, das er dokumentieren wollte. Andere wiederum machten die Region zu ihrem Lebensmittelpunkt. Bei den internationalen Fotoreportern der Stichprobe, die als Staffer für internationale Agenturen arbeiten, sind die Gründe eher in der Bedeutung des Nachrichtenzentrums Israel/Palästina zu sehen. So war es für den für EPA tätigen Fotoreporter Oliver Weiken primär ein Karriereschritt. Auch bei einer amerikanischen Foto-



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reporterin, die vier Jahre für AP in der Region arbeitete, waren es eher strategische Gründe nach Israel zu gehen. Sie hatte sich zwar entschieden, ihren Lebensmittelpunkt in den Nahen Osten zu verlagern, die Arbeit in Israel stand jedoch nicht oben auf ihrer Prioritätenliste: „I knew that I wanted to do photojournalism but I was very interested in women issues. At some point I just decided that if I wanted to do projects on women, then I should be in a place where I could link it to the news. So therefore I decided to choose the Middle East, even though not being sure if the Middle East is my favourite region in the world. But it is definitely a region that is producing news all the time, there is a lot of women stuff that you can easily link to a news story.“ (I37)

An dieser Aussage zeigt sich, dass sich durch die Verbindung mit dem Nachrichteninteresse an der Region persönliche Themen einfacher vermarkten lassen. Die gilt auch für internationale Fotoreporter, die als Freelancer tätig sind: „One reason why we are still here and why we will probably be here for the next years even if it is not necessarily the place we would like to live, is because it is impossible to talk about Italy for example. Like it was much harder publishing something about Italy. [...] So part of the reason why we are here is to take advantage of the media market. It is going natural this way, it is not a choice.“ (I22)

Neben dem Interesse am Nachrichtenzentrum Nahost sind auch die geringen Lebenshaltungskosten vor allem in der Westbank ein wichtiger Standortfaktor. Dies war für Andrea&Magda ein Grund, ihre Karriere in der Region zu starten. In Israel dagegen sind die Lebenshaltungskosten um ein vielfaches höher und liegen auf dem Niveau europäischer Großstädte wie Rom oder Paris. Die Region kann somit auch als ein Sprungbrett für junge Fotoreporter bezeichnet werden und wird als solches von diesen auch beschrieben. So bezeichnen Fotoreporter die Region als „good place to learn“ (I11), als den „backyard of Europe“ und „testzone for photojournalists“ (I03) oder sehen Israel als „game for photojournalists of the world“ (I21). Als Gründe, warum Israel und die palästinensischen Gebiete so interessant für junge Fotoreporter sind, werden darüber hinaus auch die guten Arbeitsbedingungen genannt. So ist es laut Janos Chiala ein „low intensity conflict with enough safe areas“ (I11), was es den Fotoreportern ermöglicht, für kurze Zeit in die Konfliktzonen vorzudringen, gleichzeitig aber nach westlichen Standards, beispielsweise in Tel Aviv, zu leben. Daneben ist in der Regel das Arbeiten ohne einen Fixer problemlos möglich und insbesondere die Palästinenser werden als sehr offen gegenüber Journalisten beschrieben.



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Für die befragten israelischen Fotoreporter entfaltet der Konflikt vor allem hinsichtlich der beruflichen Sozialisation eine zentrale Bedeutung. Wie im Kapitel über die berufliche Sozialisation der Fotoreporter bereits dargelegt wurde, waren verschiedene Eskalationsphasen im Konflikt immer auch Momente der Blüte im Fotojournalismus, in denen Berufseinsteiger eine Chance bekamen. Der Aufbau palästinensischer Mitarbeiterstäbe in den internationalen Nachrichtenagenturen ist sogar eine direkte Folge des Konflikts. So ist aus der Perspektive der lokalen Fotoreporter nicht die Frage interessant, ob der Konflikt eine Rolle in ihrer Arbeit spielt, sondern wie groß seine Bedeutung ist. Aus israelischer Perspektive erläutert dies Ziv Koren: „So there are themes that I work on, like the Israeli-Palestinian conflict, that are in the back of my head in the last 20 years. I mean it is constantly there, regardless of whether I am working on a different subject here or there. It is something that I have been dealing with my whole career.“ (I05) Prozentual gesehen sprechen die befragten israelischen Fotoreporter von einem Anteil zwischen 70 und 80 % des Themas Nahostkonflikt an ihrer Arbeit. Ein israelischer Fotoreporter differenziert dies noch einmal zwischen der Arbeit für den lokalen und den internationalen Markt. Bezogen auf seine Arbeit für die internationalen Medien sieht er den Anteil von Themen bezüglich des Konflikts bei 95 % (I06). Andere lokale Fotoreporter dagegen beschreiben die Arbeit über den Konflikt eher als ein unvermeidliches Übel: „When I started I was looking at it as an artistic medium. Today it’s not that at all. I’m deeply involved in the conflict I live in. It has not to do any more with art, or my education or anything like that. It’s my story living here that I follow all these unsolvable situations and the most photographed conflict in the world.“ (I14)

Die israelische Fotoreporterin Rina Castelnuovo hatte eher einen künstlerischen Zugang zum Medium Fotografie zu Beginn ihrer Karriere. Heute stehen dagegen die journalistische Arbeit und die Konfliktorientierung im Vordergrund ihrer Arbeit. Ihrer Ansicht nach ergibt sich das aufgrund ihrer Anwesenheit in der Region und damit ihrer Involvierung in den Konflikt. Auch für die palästinensischen Fotoreporter ist ihre Heimat aufs Engste mit dem Konflikt verbunden, wie es Alaa Badarneh im Interview erläuterte: „(T)he situation is the occupation, it is a conflict, it is clashes. I am covering this side, which is the Westbank area, so most of my pictures are news pictures.“ (I15) Diese Orientierung der Fotoreporter am Konflikt kann zum Teil absurde Blüten treiben. So langweilte sich der israelische Fotoreporter Eddie Gerald bei einem längeren Aufenthalt in Deutschland und vermisste die Herausforderungen:„I’m accustomed to follow a lot of events that are evolving themselves rapidly, that are changing. And over there, I find it to be unfortunately a stable society.“ (I03)



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Die interviewten Fotoreporter sind sich somit dessen bewusst, dass sie in einer Region arbeiten, die entscheidend vom Konflikt geprägt ist und die aus diesem Grund weltweit im Fokus der Presse steht. Aus der Perspektive eines palästinensischen Fotoreporters beschreibt Abbas Mohmani, was das große Interesse an der Region für ihn als lokalen Fotoreporter ausmacht: „Palestine offers all topics a photographer would wish: Military invasions, demonstrations, anger, beauty, etc. All you want is in front of your lens.“ (I38) Hier zeigt sich exemplarisch die Konfliktorientierung des internationalen Bildjournalismus in der Region. Für eine amerikanische Fotoreporterin ist das herausragende Merkmal der Region der große Nachrichtenwert der Ereignisse, die dort passieren: „Well I think it is always newsworthy (what happens here). I think some things are really news, others obviously aren’t. But I think this country, the Israelis and the Palestinians, will always be of interest to the world. I just pops up all the time. And then all the other countries around tie everything back to here, although I think a lot of times it has nothing to do with the conflict.“ (I04)

Es gibt jedoch auch Fotoreporter wie Kai Wiedenhöfer, die die mediale Aufmerksamkeit für den Nahostkonflikt sehr kritisch sehen: „Im Endeffekt ist das ganze Land nicht so wahnsinnig wichtig. Es ist überhaupt nicht wichtig im Prinzip, welches Fähnchen jetzt in Jerusalem irgendwie über dem Felsendom oder über der Erlöserkirche weht. [...] Es ist die größte Journalistendichte weltweit, die du irgendwie hast. Und die ist eigentlich durch nichts zu belegen. Weil da ist nichts. China z. B. ist Wahnsinn, was da passiert. Und das betrifft uns eigentlich mehr, was da passiert.“ (I40)

Aus Wiedenhöfers Sicht scheint, gemessen an der Größe der Region und dem Nichtvorhandensein von Ressourcen, das Interesse an der Region völlig überdimensioniert. Es ist seiner Ansicht nach vor allem eine symbolische Bedeutung, die der Region zugesprochen wird. Darauf aufbauend kritisiert Wiedenhöfer die Konzentration journalistischen Personals in der Region. Was den Charakter der Ereignisse angeht, die im Zentrum der Berichterstattung stehen, so berichten Fotoreporter vom Gefühl, die Ereignisse in der Region hätten einen zyklischen Charakter: „You know how many times I wrote captions like, ‚Israeli Troops pulling out of Gaza‘, ‚Israeli troops pulling out of Bethlehem‘? And it keeps happening. And you know older people would say the same thing about the Lebanon war. [...] So people say it’s the cycle but there’s yet another cycle: there’s nothing we have never seen here yet. Everything we’re doing we’ve already seen in a way.“ (I34)



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Die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon macht den repetitiven Charakter der Ereignisse vor allem an bestimmten Standardphrasen der captions fest. Sich abwechselnde Phasen der Ruhe und der Eskalation haben zur Folge, dass beispielsweise israelische Truppen immer wieder in den Gazastreifen ein- und ausmarschieren. Dies kreiert das Gefühl, dass nichts Neues passiert und jedes Ereignis visuell schon einmal dagewesen ist. Am Beispiel des Gazastreifens beschreibt die palästinensische Fotoreporterin Eman Mohammed weitere Faktoren, die von Bedeutung dafür sind, ob ein Ereignis von Interesse für den weltweiten Nachrichtenmarkt ist: „In Gaza it depends on the conflict itself and on the atmosphere in the rest of the world. This is the bad and good thing about Gaza. It is connected to everything. If you have a revolution in Egypt, it’s gonna impact Gaza. If you have a revolution in Lybia, it is gonna have some sort of impact on Gaza and photojournalism in Gaza.“ (I35)

Hier zeigt sich, wie der Wert einer Nachricht aus dem Gazastreifen – und damit die Chance zur Veröffentlichung eines Bildes – stark von der internationalen Nachrichtenlage abhängt. Ob es die Revolutionen in Ägypten oder Libyen sind, wenn dort Ereignisse stattfinden, die größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, haben auch Nachrichten aus dem Gazastreifen keine Chance mehr auf dem internationalen Bildermarkt. Kritik an der Kurzfristigkeit des Interesses der Medien kommt jedoch auch von internationalen Fotoreportern wie Kai Wiedenhöfer: „Am Ende des Krieges 2008/2009 war ich mit dem Stern da. Aber der Stern hatte kein Interesse mehr, als der Krieg vorbei war. Alles ist nach Hause gepilgert [...].“ (I40) So ist es extrem schwierig, in Nachkriegsphasen Redaktionen von der Bedeutung fotojournalistischer Arbeit zu überzeugen und Aufträge zu erhalten. Letztlich reduziert es sich dann auf die Frage, ob es sich ein Freelancer finanziell leisten kann, auch eigenständig ein Projekt zu verwirklichen. Die hier geschilderte Bedeutung der Berichterstattungsregion Israel/Palästina bringt es mit sich, dass sich eine Vielzahl von Fotoreportern auf einem geografisch relativ kleinen Raum im Feld begegnet. So wird die Region von vielen Fotoreportern als überlaufen beschrieben. Was einmal ein relativ überschaubares Feld war, in dem jeder jeden kannte, ist heute ein großer, in vielen Teilen unüberschaubarer Markt, so Rina Castelnuovo: „We used to know each other, in the sense that there weren’t that many. Now there are so many and every time you go to an event, there are new people you have never seen before.“ (I14) Oft ist damit auch eine dezidierte Kritik an der Praxis verbunden, für kurze Zeit in die Region zu kommen, die vermeintlichen Hotspots abzuklappern und dort Bilder für ihre Portfolios zu machen (I34). Umgekehrt sind natürlich auch die Fotoreporter, die schon lange im Feld sind, in dieser Spirale der Ereigniszentrierung und der Nachfrage gefangen.



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Der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken sieht hinter der großen Anzahl von Fotoreportern, die bei den Agenturen in der Region angestellt sind, auch eine Politik, auf alles vorbereitet zu sein: „Du brauchst eine gewisse Manpower hier, die ein bisschen zuviel ist, weil sich das Klima hier von heute auf morgen ändern könnte und hier wirklich einen Krieg an der Backe hast.“ (I08) Damit geht es laut Weiken vor allem darum, auf den Worst-Case eines erneuten Krieges in der Region vorbereitet zu sein. Im Fall einer Eskalation muss dann nicht umständlich Personal in die Region verlegt werden, sondern es kann spontan mit lokalen Mitarbeitern auf Veränderungen reagiert werden. 7.1.2 Der Einfluss des Konflikts auf den Alltag der Fotoreporter Egal ob als parachute correspondent, der für wenige Tage in die Region kommt, als lokaler israelischer oder palästinensischer Fotoreporter oder als ein internationaler Fotoreporter, der lange vor Ort lebt: Jeder der Journalisten wird mit dem Nahostkonflikt auf eine bestimmte Art und Weise konfrontiert. Neben der Arbeit spielt der Lebensmittelpunkt der Fotoreporter dabei eine entscheidende Rolle. Davon ausgehend ergeben sich unterschiedliche Auswirkungen des Konflikts auf den Alltag der Fotoreporter. Im folgenden Kapitel soll dies, ausgehend von der Herkunft der Fotoreporter und in Bezug auf ihren Lebensmittelpunkt im Konflikt, erläutert werden. Dabei steht im Vordergrund die Frage, ob die Internationalen, Israelis oder Palästinenser unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben und wodurch sich diese unterscheiden. Die Mehrheit der befragten israelischen Fotoreporter lebt in den Ballungszentren Tel Aviv und Jerusalem. Insbesondere Tel Aviv genießt einen hervorragenden Ruf als weltoffene Stadt am Mittelmeer mit hoher Lebensqualität. Der israelische Fotoreporter Kobi Wolf beschreibt das Leben in Tel Aviv folgendermaßen: „Tel Aviv is like a different country. You don’t feel it (the conflict) here, only in Jaffa. In Jaffa you can feel it. In Jaffa you can feel the tension in the people. [...] Sometimes you don’t want to live where you are working. It’s an easy life here. I love Tel Aviv. It’s different. It’s a place to come after your working in these kind of places, just to clear your mind.“ (I17)

Wolf zieht es vor, an einem Ort zu leben, der nicht dem Arbeitsplatz gleicht. Tel Aviv erscheint dafür ideal. Wie das Leben in Tel Aviv hier beschrieben wird, bedeutet es einen sicheren Rückzugsort neben der Arbeit. Nur im arabischen Teil Tel Avivs, in Jaffa, ist seiner Ansicht nach der Konflikt stärker spürbar, weil dort die sozialen Konflikte mit der palästinensisch-arabischen Minderheit stärker zu Tage treten. So hat sich für das Leben in Tel Aviv der Begriff der bubble (Blase) einge-



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bürgert, der beschreibt, wie all die politischen und sozialen Konflikte innerhalb Israels sowie der Konflikt mit den Palästinensern weit weg zu sein scheinen. Ein anderer israelischer Fotoreporter weitet das Thema der geografischen Verortung der Fotoreporter dahingehend aus, inwieweit die Israelis vom Konflikt an sich betroffen sind: „Israelis don’t live around the conflict: maybe settlers who live near the Palestinian village feel the conflict. But Tel Aviv is a different world. Living in Tel Aviv is like living in Paris or in Manhattan.“ (I21) Der israelischpalästinensische Konflikt als zentraler Berichterstattungsgegenstand wird somit von den Fotoreportern geografisch nicht mit ihrem persönlichen Lebensraum verbunden2, insbesondere seit es keine Selbstmordattentate mehr innerhalb Israels gibt. Sie sehen den Konflikt als an der Peripherie des israelischen Staatsgebiets stattfindend. Daraus ergeben sich ganz bestimmte Arbeitsroutinen und Bewegungsmuster, wie es der israelische Fotoreporter Nati Shohat beschreibt: „You can shoot in Qalandia, you can shoot the war and then cross the border and you come 3

and sit in Aroma . You go to eat or you are going to a restaurant and you forget that you have been in a war one hour before. Actually there is no conflict every day like it looks in the news. In the news you only see the events, when something is happening: you see Nabi Saleh now every Friday and Silwan and Bi’lin from time to time. But we don’t really live the conflict every day.“ (I21)

Dieses hier geschilderte Phänomen, dass der Konflikt, der von den Fotoreportern fotografiert wird, auf der anderen Seite der Sperranlage oder in den Grenzräumen stattfindet, ermöglicht es ihnen, die Arbeit vom persönlichen Alltag und dem Leben in Israel zu trennen. Darüber hinaus sind auch die Familien der Fotoreporter in einer relativen Sicherheit. Die im Rahmen dieser Studie befragten palästinensischen Fotoreporter leben entweder in den palästinensischen Gebieten der Westbank und des Gazastreifens oder in Ost-Jerusalem. Palästinensische Fotoreporter, die in anderen Regionen Israels leben, waren nicht Teil des Samples. Die Menschen in Jerusalem sind geografisch gesehen um einiges näher an den Konfliktregionen der Westbank. Auf-

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Ähnlich auch die Aussagen anderer israelischer Fotoreporter: „I mean you don’t feel it because if you are not living in some kind of border town or settlement. So you won’t really feel it unless there’s going to be a bombing in Tel Aviv.“ (I23) „There are some people who are living in outposts and settlements or in the south, and they say that they live under threat and they live in like kind of a war all the time, but the people from the center they don’t know it. They are all the time in the coffee shop.“ (I10)

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Aroma ist eine der bekanntesten israelischen Kaffeehausketten und steht exemplarisch für den amerikanischen Einfluss auf den israelischen Way of Life.



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grund der Besetzung des palästinensischen Ost-Jerusalems und der sogenannten Wiedervereinigung der Stadt 1968 hat sich der Konflikt tief in die Stadtgeografie eingegraben. Einen großen Einfluss auf die Stadtgeografie und vor allem das Leben der Palästinenser in Ost-Jerusalem hatte der Bau der Sperranlage, der viele palästinensische Stadtviertel in Ost-Jerusalem getrennt hat, wie es der Fotoreporter Ahmad Gharabli beschreibt: „I have a house from my family, but it is in Beit Hanina Old. There is Beit Hanina New and Beit Hanina Old. When the Wall came, Beit Hanina Old was cut from Beit Hanina New. Beit Hanina Old is now on the Westbank side of the Wall. So I left Beit Hanina Old for Beit Hanina New because of my ID. If I live in the Westbank, I will loose my ID and don’t have it any more.“ (I32)

Was Gharabli hier schildert, ist ein typisches Problem vieler Palästinenser in OstJerusalem. Viele von ihnen verfügen über einen israelischen Personalausweis. Diesen erhalten sie jedoch nur, wenn sie innerhalb des israelischen Stadtgebiets wohnen und leben. Der Bau der Sperranlage hat diesbezüglich neue Fakten geschaffen und zwingt Menschen wie Gharabli, eine andere Wohnung anzunehmen, um die ID behalten zu können. Denn nur mit dem Personalausweis kann er sich frei in Israel und den palästinensischen Gebieten bewegen. Der Verlust der ID würde bedeuten, dass er weder nach Israel noch nach Jerusalem reisen kann, und es würde damit auch seine Position als Stringer von AFP in Gefahr bringen. Noch schwieriger ist es für Palästinenser aus Ost-Jerusalem, einen israelischen Reisepass zu bekommen. Deshalb verfügen viele Palästinenser aus Ost-Jerusalem – ebenso wie Palästinenser aus der Westbank – über einen jordanischen Reisepass. Die spezielle Form des Personalausweises für Palästinenser aus Ost-Jerusalem bringt es mit sich, dass für Polizeibeamte sofort am Dokument erkennbar ist, dass es sich bei der zu kontrollierenden Person um einen Palästinenser handelt. Welche Folgen dies für die Bewegungsfreiheit und die Ausreise aus Israel hat, berichtet Ahmad Gharabli: „I went with my wife from Ben Gurion Airport to Turkey. I flew at six in the morning and I went there at three o’clock in the morning. [...] Outside Ben Gurion there is the security. First time they stopped me there for half an hour and checked me, my bag and my car. Then I went inside and at the door they checked me again. When I entered they gave me a sticker that I am Palestinian from East-Jerusalem. They checked me three hours. [...] Because of this I don’t like Ben Gurion: they ask you a lot of questions and you need to put all the bags. If I go with my camera and my computer, this will be a big problem.“ (I32)

Gharabli schildert hier alltägliche Erfahrungen mit Rassismus, denen er als Palästinenser in Israel ausgesetzt ist. Um diesem zu entgehen, muss er bei privaten wie



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beruflichen Reisen außer Landes den weiteren und teureren Weg über die jordanische Hauptstadt Amman auf sich nehmen. Die Beschreibung der israelischen Fotoreporter aufgreifend, dass der Konflikt sich rund um die Siedlungen und an den Grenzen abspielt, sind die Palästinenser mittendrin oder nahe dran am Konfliktgeschehen. Auch wenn der Konflikt im Alltag innerhalb eines palästinensischen Dorfes oder einer palästinensischen Stadt meist nicht spürbar ist, leben palästinensische Fotoreporter wie Alaa Badarneh unter ständiger Anspannung:4 „Now I send my daughter to a special school for kids because my wife is an employee as well. Every time before I put here there at 8 in the morning, I ask myself if it is a safe place and what will happen if the army goes there or if a wanted man will be hiding near the school. The army might come and they will surround the place and fire tear gas. And what will happen then? I wish once she can go with her mother alone to visit my family. Now they can’t go, because I am afraid that there might be any checkpoints.“ (I15)

Es ist die Unberechenbarkeit der israelischen Besatzung und seine Erfahrungen des Lebens in Nablus während der 2. Intifada, die Badarnehs Angst schüren. Obwohl sich Nablus wie die Mehrzahl palästinensischer Städte und Dörfer innerhalb der sogenannten A-Gebiete befindet, also unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde steht, kommt es dort immer wieder zu Operationen der israelischen Armee. Besonders häufig passiert dies in den Städten Jenin und Nablus. Für die Menschen im Gazastreifen ist das zentrale Problem die fehlende Reisefreiheit: „(The conflict) divides and it confuses your life in a simple way. My daughter is allowed to the Westbank, I’m not. Whenever I’m allowed into the Westbank, my daughter is not. It’s because she is half half: she is half American, half Palestinian. The US Embassy would call and say she has to evacuate out of Gaza.“ (I35)

Obwohl die Tochter von Eman Mohammed die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, ändert dies nichts an ihren Schwierigkeiten, sich in der Region zu bewegen. Es offenbart jedoch, wie unklar die Zuordnungen sind und wie sehr nach nationalen Zugehörigkeiten geschaut wird. Schaut man sich den Lebensmittelpunkt der internationalen wie der israelischen Fotoreporter der Stichprobe an, so fällt auf, dass die Mehrzahl von ihnen in den Großräumen Tel Aviv und Jerusalem leben. Das liegt natürlich zum einen an der

 4

Palästinenser aus Ost-Jerusalem die über einen israelischen Personalausweis (Blue-ID) verfügen jedoch keinen israelischen Reisepass bekommen oder beantragen möchten, können ein Laissez-Passer beantragen. Dies gilt als Reisedokument für Staatenlose.



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zentralen Lage und guten Anbindung, zum anderen an der politischen Bedeutung der beiden Orte. Dabei machen die befragten internationalen Fotoreporter ähnliche Erfahrungen wie die Israelis, was die positiven Aspekte des relativ sicheren Lebens abseits der konfliktiven Regionen angeht. Die positiven Effekte des Lebens in Tel Aviv beschreibt der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken im Gespräch: „Ich könnte auch in Jerusalem leben oder in Gaza. Aber letztendlich glaube ich, dass Tel Aviv der Ort in Israel ist, der am wenigsten beeinflusst ist von dieser gesamten Konfliktgeschichte. Hier gehe ich raus und hier hast du viele Touristen. Ich arbeite ja auch kaum in Tel Aviv, meine meiste Arbeit ist in der Westbank, in Gaza oder in Ost-Jerusalem. Hier Tel Aviv ist das wirklich wie so eine Blase. Du hast den Konflikt und dies und das bei der Arbeit ständig vor Augen und dann ist es schön, wenn du nach Hause kommst, dass du einfach irgendwo entspannt ein Bier trinken kannst. Dazu kommen ganz simple Sachen wie dass hier an Feiertagen oder Samstagen die Geschäfte nicht geschlossen sind. Tel Aviv kommt meinem westlichen Lifestyle am nächsten, was für mich dann auch völlig o.k. und richtig ist.“ (I08)

Für Weiken ist der Vorteil an Tel Aviv, dass er den Konflikt, der in seiner fotojournalistischen Arbeit eine große Rolle spielt, in Tel Aviv nicht ständig vor Augen hat. Das Leben dort kommt dem, was er aus Deutschland gewohnt ist, sehr nah. Darüber hinaus sind die Einflüsse der Religion auf den Alltag in Tel Aviv vergleichsweise gering. Wichtig ist sein Hinweis, dass er sich theoretisch natürlich auch in Gaza oder Jerusalem hätte niederlassen können. Weil es ihm wichtig ist, in der Freizeit von Konfliktthemen Abstand halten zu können, hat er sich gegen die palästinensischen Gebiete entschieden. Tel Aviv fungiert hier somit ähnlich wie für die israelischen Fotoreporter als ein psychologischer Rückzugsort, von wo aus die Konfliktregionen an der Peripherie besucht werden können, ohne dass der private Alltag davon belastet werden würde. Sich den Lebensmittelpunkt so aussuchen zu können, ist ein Luxus, der den internationalen – und ebenso den israelischen – Fotoreportern vorbehalten bleibt. Der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer weist des Weiteren auf die seiner Ansicht einfachere Integration in Israel hin: „Das Problem ist, dass du als Westler den Israelis immer näher bist. Das ist im Ansatz immer der Fall, vor allem wenn du als Journalist kurz hingehst. Die ganze Idee dieses Landes mit Herzl ist eben europäischer Nationalismus des 19. Jahrhunderts ‚at it’s best‘. Diese Kultur steht uns einfach sehr viel näher.“ (I40) Mit der Betonung der kulturellen Gemeinsamkeiten ist nicht automatisch verbunden, sich mit der israelischen Position gemein zu machen. Aber neben den Faktoren Sicherheit und Lifestyle ist die kulturelle Nähe, die sich auch im Vorhandensein von kulturellen Institutionen wie Museen etc. zeigt, ein weiterer Erklärungsfaktor.

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Dabei ist es nicht für alle Fotoreporter einfach, mit dem bubble-Phänomen umzugehen. Eine junge amerikanische Fotoreporterin berichtet, dass sie versucht diesem zu entgehen, indem sie ihre Zeit gleichmäßig zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten verteilt: „I ran a long time not coming to Tel Aviv at all because it’s just weird, I couldn’t handle it. Obviously I come here now, like I got over it. But if I spend a lot of time in one place, and then I go to the other I certainly see the stark contrast and differences. But I also split up my time equally between Jerusalem, Ramallah and Tel Aviv. I don’t stay in one place very long. I always have my backpack in my car. This is my personality since I am a kid: I like to move around a lot.“ (I25)

Insbesondere wenn Fotoreporter sowohl in Israel als auch in den palästinensischen Gebieten arbeiten und regelmäßig zwischen den Orten wechseln, sind ihnen die Kontraste sehr stark bewusst. Anders als in Tel Aviv ist in Jerusalem der Konflikt für Menschen, die sensibel auf politische Prozesse reagieren, durchaus auch im Alltag spürbar. Eine amerikanische Fotoreporterin berichtet, wie sie die Situation dort empfindet: „I mean it is true that everything you do and essentially living in Jerusalem of all the places, everything you do is tinted with the conflict. From where you eat, to what you eat, to like where you live, to who you hang out with. I mean everything. And it is just incredibly draining if it’s not your conflict“. (I37)

Beschrieben wird hier, wie der Konflikt die Stadt durchdringt. Auf den ersten Blick erscheint Jerusalem als eine vereinte Stadt, mit Bewegungsfreiheit für alle. Aber auf den zweiten Blick gibt es klare – unsichtbare – Grenzen zwischen den Stadtvierteln. So gibt es z. B. nur wenige Stadtviertel, in denen Juden und Muslime Tür an Tür leben und wo dies normal bzw. auch geduldet ist. Alltägliche Entscheidungen über Wohnen, Essen oder Ausgehen werden somit politisch konnotiert. Wer in Jerusalem lebt, wird damit zu einem Wandler zwischen den Welten, wenn man sich nicht klar einer Seite zuordnen lassen will. Auf Dauer wird dies von vielen als sehr aufreibend empfunden. Dies gilt dabei nicht nur für internationale Fotoreporter, sondern ebenso für internationale Angestellte von NGOs oder INGOs sowie für Text- und Fernsehjournalisten. Wie sich jedoch selbst in Tel Aviv aus Gesprächen im Alltag auch immer eine gewisse Form der Politisierung entspinnt, schildert der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken:



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„Du wirst automatisch positioniert, selbst hier in Tel Aviv. Du kannst nicht einfach rausgehen und Leute kennenlernen, ohne dass du jedes Mal über Politik sprechen musst. Vor allen Dingen fordert Dich jeder raus: was meinst Du, was sollte man machen, dies und das und jenes. Es vergeht kein Tag, an dem du nicht über Politik sprichst und immer nur über die gleichen Sachen.“ (I08)

Im Alltag entstehende Auseinandersetzungen und Diskussionen zwingen die Fotoreporter – wenn auch oft nur unbewusst – zu einer Positionierung. Vor allem internationale Fotoreporter, die nur für einen begrenzten Zeitraum in der Region leben oder als parachutist correspondent kommen, schaffen es meist relativ lange eine emotionale Distanz zu wahren. Auf der einen Seite ist diese hilfreich, um die Region wieder verlassen zu können, auf der anderen Seite ist es damit schwieriger, Verständnis für Probleme im Alltag aufzubringen, die aus dem Konflikt zwischen den beiden nationalen Gruppen herrühren. Insbesondere Fotoreporter, die ihren Lebensmittelpunkt in die Region verlagert haben, bekommen mit der Zeit eine sehr enge Beziehung zum Konflikt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, wenn Fotoreporter mit ihrer Familie in die Region übersiedeln oder eine Familie in der Region gründen. Was zu Tage tritt, ist eine wesentlich größere emotionale Involviertheit in den Konflikt. Sie berichten davon, wie der Konflikt mit der Zeit auch zu „ihrem Konflikt“ wird, wie im Fall der amerikanischen Fotoreporterin Heidi Levine: „I mean I started here, I have a family here and so I feel it’s personal to me. It’s not just somebody else story, it’s my story. I have friends and let’s say family, so I feel it’s a very personal conflict and it will affect my children. I mean it affects me deeper than someone that just goes to work six months, a year or two on a conflict and then goes back to NY or Paris and chooses something else.“ (I16)

Dabei bedeutet diese emotionale Involviertheit nicht unbedingt auch eine Positionsbeziehung für die eine oder andere Seite. Besonders stark wurde die amerikanische Fotoreporterin Tanya Habjouqa in den Konflikt hineingezogen. Ihre Heirat mit einem Palästinenser mit israelischem Pass veränderte ihre Position im Konflikt radikal: „I became part of the story when I married a Palestinian and even more when I had a baby.“ (I36) Auch wenn sie sich in Ost-Jerusalem lebend in einer privilegierteren Situation fühlt als ihre Freunde in der Westbank, sieht sie sich trotzdem Rassismus ausgesetzt. Israelische Institutionen kontrollieren regelmäßig den Aufenthaltsstatus von Habjouqa und ihrem Mann, um herauszufinden, ob sie tatsächlich in Jerusalem leben und Anrecht auf einen israelischen Personalausweis haben. Aufgrund ihrer Heirat mit einem Palästinenser ist Habjouqa mit ähnlichen Problemen konfrontiert, wie sie beispielsweise der Ost-Jerusalemer Palästinenser



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Ahmad Gharabli schilderte. Dies hat auch Konsequenzen für ihre Arbeit. Denn obwohl sie durch die Heirat einen legalen Aufenthaltsstatus in Israel hat, hält sie selbst diesen Status für prekär. Die direkte Konsequenz daraus ist eine Form der Selbstzensur, die dazu führt, dass sie die Berichterstattung über bestimmte politische Ereignisse, wo sie eine starke Kontrolle durch den israelischen Staat vermutet, vermeidet, um ihren Statuts nicht zu gefährden. Unter den dauerhaft in der Region lebenden internationalen Fotoreportern des Sample gibt es nur wenige Personen, die ihren Wohnsitz in den palästinensischen Gebieten haben. Nur vier leben in diesen Regionen. Der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters war der einzige internationale Fotoreporter, der zwischen 2009 und 2012 dauerhaft im Gazastreifen lebte. In und um Betlehem leben das Fotoreporterpaar Andrea&Magda sowie die französische Fotoreporterin Anne Paq. Anders als die in Israel lebenden Fotoreporter ist diese Gruppe stärker mit den direkten Auswirkungen der Besatzung konfrontiert. Umgekehrt berichten internationale Fotoreporter wie der Italiener Andrea auch davon, wie das Leben innerhalb der palästinensischen Gebiete die Erinnerung an die Besatzung vergessen machen kann: „Living in Beit Sahour you are not affected by the occupation day by day, if you don’t go into Jerusalem. The soldiers are not here, like it is not the occupation that can get heavy.“ (I22) Sein Lebensmittelpunkt Beit Sahour gehört zur C-Gebiet in der Westbank und untersteht der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde. Damit sind in der Regel keine israelischen Soldaten im Ort und der Konflikt ist damit außerhalb des direkten Lebensumfeldes angesiedelt. Auch seine Partnerin Magda sieht die Besatzung nicht als zentrales Problem, sondern die mangelnde Integration in die palästinensische Gesellschaft: „(I)t is not so much the occupation but the Palestinian society being a society that is so different from ours. I mean if I was married to a Palestinian, it would be completely different because I would have a long-term view of trying to integrate myself. But it’s not the case. I feel like a real stranger here.“ (I22) Die Folgen des Besatzungsregimes werden jedoch ab dem Moment spürbar, wo die Fotoreporter in der Westbank unterwegs sind, durch Checkpoints fahren müssen und dem israelischen Kontrollregime unterworfen sind. Wie unterschiedlich die Erfahrungen zwischen der Westbank und dem Gazastreifen sind, schildert der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters: „In the Westbank I do get occasionally frustrated at checkpoints and the general occupation. In Gaza I don’t see soldiers, I don’t have checkpoints, I don’t have this, so when I am in Gaza I am free. It is a big difference from here. When I am in Gaza I am not confronted with the occupation face to face, where as here, I have some little kid with the gun who you know can control what I do. In Gaza it is easier because you are not so much confronted with the occupation.“ (I30)



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Interessant ist hier der positive Bezug Nieters auf das Alltagsleben in Gaza und die Frustration bei seiner Reise in der Westbank. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass innerhalb des Gazastreifens seit dem unilateralen Abzug Israels im Jahr 2005 keine israelischen Siedler mehr präsent sind, was es ermöglicht, den Konflikt teilweise auszublenden. Ähnlich wie Fotoreporter, die in Tel Aviv auf israelischer Seite leben, schätzt Nieters aus dieser Perspektive nicht ständig direkt mit dem Konflikt konfrontiert zu sein. Aber ab dem Moment, wo es eine Eskalation des Konflikts gibt, ist der Konflikt in Gaza ständig präsent, wie er weiter berichtet: „When things heat up in Gaza what you have is that they (IDF, Anm. des Autors) terrorize you from the air. Maybe they are not even dropping bombs, but they are continuously doing sonic booms and they are flying airplanes, the F16’s. Which honestly those two things I can deal with. The worst things for me when the things heat up, is when they put the drones. In Arabic they call them Sanana bcause of this noise ‚SSSSS‘. They fly them non-stop when things heat up in Gaza. And it doesn’t matter where you are, there are so many drones in the air, all you hear is ‚SSSSS‘. It doesn’t terrorize me in the aspect that I am at home thinking ‚Oh my god I’m going to get bombed’, but I want to sleep. Or maybe I am in my house and I don’t want to think about that aspect of this society that at any time that can happen.“ (I30)

Durch die massive militärische Präsenz im Luftraum wird der Konflikt für jeden im Gazastreifen ständig spürbar, somit auch für die Fotoreporter. Die alltägliche Auseinandersetzung mit den hier geschilderten Phänomenen umgehen die internationalen Fotoreporter, die sich für ein Leben in Israel entscheiden, sei es in Jerusalem oder Tel Aviv. 7.1.3 Kooperationen mit den Konfliktparteien Die Fotoreporter haben bei ihrer alltäglichen fotojournalistischen Arbeit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Konfliktakteure zu tun. Auf der einen Seite gibt es Akteure, zu denen sich die Fotoreporter alleine durch ihre Anwesenheit im Feld positionieren müssen. Dazu gehören zum Beispiel verschiedene israelische und palästinensische Institutionen. So müssen internationale Fotoreporter, um nach Israel und in die besetzten palästinensischen Gebiete einreisen zu können, erst einmal die Autorität der israelischen Regierung anerkennen. Gleiches gilt bei der Einreise in den Gazastreifen hinsichtlich der Anerkennung der Autorität der Hamas als Defacto-Regierung. Auf der anderen Seite gibt es Akteure, die ausgehend vom Berichterstattungsanlass von Interesse sind. Bei der Arbeit mit diesen Akteuren sind zwei Zugänge zu unterscheiden. Zum einen gibt es öffentliche Ereignisse wie Demonstrationen, bei denen die Fotoreporter aufgrund des Ereignischarakters in Kontakt mit bestimmten Akteursgruppen wie



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Demonstranten, Siedlern oder der Polizei kommen. Zum anderen gibt es ein journalistisches Interesse an bestimmten Konfliktakteuren als sozialer Gruppe. Für Fotoreporter ist es von großem Interesse, Zugang zu Akteuren wie der IDF oder Widerstandsgruppen zu bekommen und sie im Alltag oder bei besonderen Anlässen zu begleiten. Dies setzte eine engere Form der Kooperation und die bewusste Zustimmung der Akteure zur Anwesenheit der Fotoreporter voraus. Wie dies konkrete aussehen kann soll im Folgenden konkret geschildert werden. Embedded mit der israelischen Armee und Polizei Die israelische Armee ist einer der zentralen Akteure im israelischpalästinensischen Konflikt. Vor allem in der Westbank sind die israelischen Soldaten der IDF und die Einheiten der „Border Police“ für die Aufrechterhaltung des Besatzungsstatus verantwortlich. Auch wenn sie sich theoretisch mit der palästinensischen Polizei die Kontrolle der A,B und C-Gebiete teilen, haben sie letztlich in der Westbank die völlige Kontrolle. Vor allem bei politischen Ereignissen wie Demonstrationen in der Westbank sind Einheiten der israelischen Armee und der „Border Police“ immer präsent. Die israelische Armee bei Einsätzen embedded zu begleiten, ist entweder bei einer kriegerischen Eskalation des Konflikts oder bei speziellen Einsätzen von Sondereinheiten von großem Interesse für Journalisten und Fotoreporter. Dies gilt vor allem dann, wenn keine anderen Formen des Zugangs in die Region bestehen. Die israelische Armee ist eine Institution, die das Embedment seit vielen Jahren praktiziert (vgl. Heidelberger 2008: 55). An dieser Stelle wird die Praxis des Embedment aus Sicht der Fotoreporter hinsichtlich der Möglichkeiten des fotojournalistischen Handelns bei diesen Einsätzen beschrieben. Dabei ist hervorzuheben, dass der Zugang zu diesen Einheiten ein immenses Privileg darstellt, das nur wenigen, vor allem israelischen Fotoreportern, vergönnt ist. Die beiden israelischen Fotoreporter Ziv Koren und Nati Shohat beispielsweise haben über Jahre immer wieder vorrangig israelische Antiterror-Einheiten bei der Arbeit in der Westbank begleitet. Ziv Koren schildert im Interview, wie schwierig sich das Aufbauen der Kontakte gestaltete: „First of all it took years of all of gaining all the trust. And then there are some units that took me between four to five years to get the access to photograph. So it is not something that happens overnight.“ (I05) Solch einen langen Atem kann sich nur erlauben, wer vor Ort lebt und über gute Kontakte verfügt. Wenn dann der Zugang gewährt wird, sind damit klare Regeln verbunden. So müssen die Fotoreporter bei den Einsätzen Uniformen tragen (I21). Auch bezüglich dessen, was gezeigt werden darf, gibt es Restriktionen: „The only restriction is that it has to go through censorship. But the censorship has nothing to do with the question if they like the picture or not, or if it shoes Israel in a good way or not. The only problem is if something can harm the defense of the country. For example you



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cannot show the faces of the soldiers because they are a secret unit. And there are some devices that you cannot show.“ (I05)

Ziv Koren zeigt hier Verständnis für die Auflagen und hat wie sein Kollege Nati Shohat keine schlechten Erfahrungen mit dem militärischen Zensor gemacht. Auf die Frage, wie sich die Anwesenheit eines Fotoreporters bei den Einsätzen auf die Arbeit der Soldaten auswirkte, antwortete Nati Shohat: „I think at the beginning, they tried to. But when I say in the beginning, it’s the first, second, third mission ... But if you want to be a journalist, you don’t have to be only right, you have to be very smart and you have to be very friendly to the people. They have to feel very calm with you. And they felt very calm with me and they gave me all the access. And then they did what they would do if I would not be there. I’m telling you, I knew exactly what they do for me, and everything was open for me. At the end I saw the real thing. [...] Everything happens so fast. They don’t have time for games. If they don’t feel calm with you, you will not go with them. It’s very simple.“ (I21)

Nach Einschätzung Shohats gab es höchstens am Anfang Momente, wo die Soldaten versuchten, ihr Verhalten auf seine Anwesenheit abzustimmen. Aber durch die Routine, die er in der Begleitung gehabt habe, hätte er letztlich ein unverfälschtes Bild bekommen, so Shohat. Denn die Voraussetzung dafür, dass er die Soldaten hätte begleiten dürfen, sei ihr Vertrauen ihm gegenüber gewesen. Ein weiterer Aspekt, der hier deutlich wird, ist die Auseinandersetzung Shohats mit der Auswirkung seiner Anwesenheit auf das Verhalten der Soldaten. Dass die Praxis des Embedding jedoch nicht nur bei der Arbeit mit den Streitkräften oder militarisierten Polizeieinheiten eine Rolle spielt, zeigen die Erfahrungen des israelischen Fotoreporters Oren Ziv. Seine Überlegungen sind vor allem hinsichtlich berufsethischer Fragestellung von großem Interesse: „When I did a story about the immigration police, I did it 100% with activists and immigrants. I was walking every day in the streets and waiting for the immigration police and being on this network of activists of sms, like giving alerts of immigration police. But I didn’t go embedded and I didn’t join the immigration police for a tour, because I don’t feel comfortable to be inside a car with these people, who are arresting workers and putting them in jail for nothing. [...] It makes a big difference for me to jump out of a big car with policemen and take pictures or running from the other side of the street and the guy that is getting arrested sees that the policeman is as well not really cooperating with me. Maybe it’s a small thing, but I did see the feelings. [...] With the old newspaper we did a lot of front pages about the immigration police especially when they started. And then one day they told us that they wanted us to join them. I went because my work told me to go, but I didn’t feel comfortable



288 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT to walk with these guys and take pictures. But a lot of times when I was walking along and taking pictures of immigrants the police officers would tell me don’t take pictures, you are hurting their rights. And sometimes I wouldn’t take pictures if the guy was like ‚No pictures‘ or I would take pictures from the back.“ (I09)

An Oren Zivs Beispiel wird das ethische Problem des embedding sehr deutlich. Er stellt die beiden unterschiedlichen Herangehensweisen gegenüber: zum einen das Auftauchen mit der Polizei als dem Akteur, der den Migranten verhaften will, was als solches von den Migranten durchaus wahrgenommen wird, oder das Auftauchen als unabhängiger Akteur auf der Straße. Gleichzeitig wird in Zivs Schilderung deutlich, dass die Polizei bewusst versuchte, Ziv einzubinden. Der Umgang mit palästinensischen Widerstandsgruppen Betrachtet man die Konfliktakteure, die direkte Gewalt ausüben, so finden sich als Gegenspieler zur israelischen Armee auf Seiten der Palästinenser verschiedene Widerstandsgruppen oder Terrororganisationen. Kennzeichnend für diese Gruppen ist, dass sie vor allem aus der Klandestinität heraus operieren. Ihre bevorzugten Mittel waren lange Jahre die Entsendung von Selbstmordattentätern nach Israel und die Verübung bewaffneter Anschläge auf israelische Institutionen. Heute ist es vor allem der Raketenbeschuss israelischer Regionen im Süden des Landes aus dem Gazastreifen. Zum Zeitpunkt der Feldforschung spielte der organisierte bewaffnete Widerstand in der Westbank nur noch eine marginale Rolle, da die palästinensische Polizei in Kooperation mit der israelischen Armee die Widerstandsgruppen fast völlig unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Anders stellt sich die Situation im Gazastreifen dar, wo auch unter dem Hamasregime weiterhin verschiedene bewaffnete Gruppen aktiv sind. Für die Fotoreporter sind Mitglieder dieser Gruppen aus vielfacher Hinsicht von Interesse. So sind beispielsweise Bilder vom Raketenabschuss ebenso gefragt wie Reportagen über das militärische Training dieser Gruppen. Zu Zeiten der Selbstmordanschläge war es von großem Interesse, die Entsender der Attentäter aufzuspüren. Da diese Menschen in der Regel von der israelischen Armee gesucht werden, erschwert dies den Zugang zu ihnen jedoch immens. Es sind vor allem palästinensische Fotoreporter sowie ab und an auch Internationale, die mit Bildern von den Widerstandsgruppen aufwarten. Palästinensische Fotoreporter berichten, dass der Versuch, Zugang zu diesen Gruppen zu bekommen und über diese zu arbeiten, selbst in der eigenen Community nicht gerne gesehen wird. Für sie ist der Zugang jedoch noch vergleichsweise einfach. Hier spielen das Wissen um die lokale Politik und die persönliche Verankerung in der Region eine entscheidende Rolle. „Look, it is not difficult. You are local and they know you. They know your background and if you are trustworthy,



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you are into it“ so ein palästinensischer Fotoreporter (I20). Die Arbeit über diese Gruppen ist jedoch auch mit einigen Risiken verbunden, die sowohl von den Gruppen selbst als auch von der IDF ausgehen. Die Gruppen sind sehr darauf bedacht, die Aufenthaltsorte ihrer Mitglieder sowie Treffpunkte geheimzuhalten. Das Treffen mit Journalisten und Fotoreportern ist damit immer ein potentielles Risiko, dass Informationen weitergeleitet werden. Die schwächsten Glieder in dieser Konfliktkonstellation sind dabei die Fotoreporter, da sie zwischen allen Stühlen stehen. Sowohl die Widerstandsgruppen als auch die israelische Armee besitzen ihnen gegenüber Sanktionsmacht. Dies gilt vor allem für die Palästinenser. Wie die Risiken aussehen können, berichtet ein palästinensischer Fotoreporter: „I think you should not get involved with them (dem Widerstand; Anm.d.A.) too much. Because it is not going to be pleasant for you if you go and meet somebody that is hiding and then the army arrests him or shoots him. In the eyes of the resistance, you are the one who lead them. So on the other side the Israeli Authority comes and arrests you for helping the resistance.“ (I20)

Theoretisch besteht für die Fotoreporter das Risiko, aufgrund ihrer Anwesenheit zur falschen Zeit am falschen Ort als „Kollateralschaden“ Opfer eines Angriffs zu werden. Da ausländische Journalisten mit dem Erhalt des Presseausweises, der ihnen den Zugang zum Gazastreifen verschafft, unterschreiben, dass sie alle Risiken selbst tragen, sind sie dieser Gefahr hilflos ausgeliefert. Der Umgang mit radikalen jüdischen Siedlern Ein weiterer politischer Konfliktakteur, der vor allem in der Westbank sehr präsent ist, sind radikale jüdische Siedlergruppen. Die Siedlungsfrage ist ein wesentlicher Streitpunkt in Verhandlungen um eine Lösung des Konflikts, da dies mit der Frage der Verfügungsgewalt über das Land verbunden ist. Auch wenn viele israelische Siedlungen mittlerweile von eher unpolitischen Israelis bewohnt werden, so gibt es weiterhin eine radikale Siedlerbewegung, die immer wieder auch die Aufmerksamkeit der Fotoreporter auf sich zieht: „Shooting the settlers is another thing that I am doing which I think is definitively part of the conflict. [...] But it is very hard to do. It is very hard to go deep, because they are very hostile against journalists. This is really something that is not simple to do. So again, bit by bit, kind of building the mutual trust and coming back and forth, sometimes they allow you to photograph something and sometimes they don’t. It is very hard because the nerves are very exposed and every spark can light everything.“ (I05)



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Ähnlich wie der israelische Fotoreporter Ziv Koren machen viele israelische und internationale Fotoreporter die Erfahrung, dass der Zugang zu radikalen Siedlergruppen sehr schwierig ist. Trotz allem sind israelische Fotoreporter, ähnlich wie im Fall des Umgangs palästinensischer Fotoreporter mit lokalen Widerstandsgruppen, diejenigen der drei ethno-nationalen Gruppen, die den einfachsten Zugang zu den Siedlern haben. Jüdisch-israelische Fotoreporter und Siedler haben einen gemeinsamen kulturell-religiösen Hintergrund. Dies zeigt sich unter anderem darin, es sich herausnehmen zu können, auch konfrontativ aufzutreten, wenn es um den Zugang zu einer Siedlung geht: „You can go to some settlement and they will tell you listen you are not allowed to be here. But then I can tell them ‚Listen, I am an Israeli citizen, what do you mean I am not allowed to be here? This place was built by my tax money, you cannot tell me I’m not allowed to be here‘. So you can control them.“ (I06)

So ist der Vorteil jüdischer Israelis, dass sie auch unter dem Vorwand, jemanden in einer Siedlung privat besuchen zu wollen, dorthin reisen können. Sie profitieren beim Zugang zu den Siedlungen von den rassistischen Strukturen, die sie als jüdische Israelis erst einmal auf die Seite der Guten stellt. Die Palästinenser dagegen werden per se eher als Feinde eingestuft. Einige israelische Fotoreporter haben es geschafft, langjährige Beziehungen zu radikalen Siedlergruppen aufzubauen und aufwendige dokumentarische Arbeiten vor allem über deren Alltagsleben zu machen. Dabei gibt es von den Siedlern durchaus starke Eigeninteressen an der Berichterstattung. „The weirdest thing was, that at some level - and I can understand it - they wanted to maintain some of their aggressive image. Because some settler told me, that in the minute his Arab neighbors would understand that he is not a monster, that would be the end of him and his family and they would come and slaughter everybody. So in a sense some of them had an interest in maintaining some of their aggressive image.“ (I13)

Interessant ist, sich genauer die Begründungen der Siedler anzuschauen, die Fotoreporter – wie hier geschildert – für eine Verwehrung des Zugangs bekommen. Im Mittelpunkt steht dabei in der Regel der pauschale Vorwurf, die internationalen Medien seien politisch links zu verorten und gegen Israel und die Siedler eingestellt. Mit dieser Einstellung ist meist verknüpft, die Rechtmäßigkeit der Siedlungen in der Westbank in Frage zu stellen und von den palästinensischen Gebieten als besetzten Gebieten zu sprechen. Dass dies die gängige Interpretation des Völkerrechts ist, spielt dabei keine Rolle. Dabei richtet sich der Vorwurf ausdrücklich auch gegen die internationalen Nachrichtenagenturen AFP, AP und Reuters. Diese



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Vorwürfe sind ein Versuch, die Berichterstattung zu politisieren. Sie sind vor allem im Licht des dominanten israelischen Narrativs zu sehen (siehe Kapitel 4.1.6). 7.1.4 Der Umgang mit mediatisierten und inszenierten Ereignissen Immer wieder werden Vorwürfe gegen Fotoreporter laut, unkritisch mit dem Staging von Situationen und vermeintlicher oder tatsächlicher Manipulation umzugehen. Dabei folgen die Vorwürfe meist stereotypisierten Kategorien: So wird oft palästinensischen und internationalen Fotoreportern vorgeworfen, bewusst Palästinenser als Opfer israelischer Gewalt darzustellen, um Israel in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Damit ist zum einen der Vorwurf der Intentionalität verbunden. Darüber hinaus werden die palästinensischen Fotoreporter – und zum Teil auch die internationalen – als homogene Gruppe dargestellt, die ein politisches Ziel mit ihrer Manipulation verfolgen würde. Die Dokumentation unterschiedlicher Ereignisdimensionen gehört zum Alltag sowohl im Journalismus als auch im Fotojournalismus. Dabei hat Wilke anhand des in Deutschland verfügbaren Bildmaterials von Nachrichtenagenturen nachgewiesen, dass sich der Anteil von Bildern mit inszeniertem Inhalt sich zwischen 1997 und 2005 mehr als Verdoppelt hat (2008: 87). Diese beiden Ereignisdimensionen stellen somit einen elementaren Anteil massenmedialer Berichterstattung dar. In Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt kommt hinzu, dass sich in der Region routinisierte Formen des Protests entwickelt haben, die einen zentralen Berichterstattungsgegenstand und eine wichtige Photo-Opportunity für die Fotoreporter darstellen. Dabei gibt es eine schmale Grenze zwischen der journalistisch zu rechtfertigenden fotografischen Dokumentation von mediatisierten und inszenierten Ereignissen – wo der Mediatisierungs- und Inszenierungsprozess ohne direktes Zutun des Fotoreporters erfolgt – und einem Eingriff des Fotoreporters in die Ereignisroutine und damit einer bewussten Manipulation. Vor allem bei der Dokumentation mediatisierter und inszenierter Ereignisse wie Pressekonferenzen oder Demonstrationen stehen Fotoreporter vor großen Herausforderungen. Sie sind Teil der wöchentlichen Routinen und im Gegensatz zu genuinen Ereignissen wie einem Luftschlag der IDF im Gazastreifen oder gewalthaltigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen jüdischen Siedlern und Palästinensern planbar und meist vorher bekannt. Die Herausforderung des Umgangs mit diesen Ereignissen bei der täglichen Arbeitsroutine der Fotoreporter schildert eine amerikanische Fotoreporterin: „There is a conflict going on here that is very staged, it’s very very staged on both parts. Mostly every shoot that you go to you kind of know what is going to happen before hand. Nothing is really spontaneous. And I don’t

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think that many things here are very heart-felt“. (I25) Eine für AFP tätige Kollegin verdeutlicht dies an einem Beispiel: „Like what happens with these outposts. If they know you are coming, they tell you in advance and then you go and they sit there on an outpost and they wait for the police to remove them. That’s just a photo opportunity that gets a lot of play. And so you feel slightly manipulated by the whole thing.“ (I37)

Wie diese Aussage zeigt, haben Fotoreporter ein zwiespältiges Verhältnis zu diesen Ereignissen. Auf der einen Seite sind sie zu einem gewissen Grad selbst an ihrer Mediatisierung beteiligt, auf der anderen Seite brauchen sie Bilder dieser Ereignisse, weil sie einen elementaren Teil ihrer Arbeit darstellen. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, was den genuinen, mediatisierten und inszenierten Charakter der Ereignisse ausmacht. Der italienische Fotoreporter Janos Chiala wies darauf hin, dass in die Routinisierung der Ereignisse eine Vielzahl von Akteuren involviert ist: „One common way to do it around the Jerusalem area which works almost always is that Palestinian kids will start burning tires. The tires make black smoke. The journalists come like bees because if there is smoke, something might be happening. The army gets a hint that something is going on. Then the Palestinians throw a stone. The army reacts and there you have it: It’s a riot.“ (I11)

Die Beschreibung Chialas macht sehr gut deutlich, wie alle an diesen Ereignissen beteiligten Akteure ihren Teil zur Routinisierung beitragen: die palästinensischen Jugendlichen, die Armee und die Journalisten. Trotz der ritualisierten Form, die bestimmte Demonstrationen wie die Freitags-Demos in Bi’lin, Nilin oder Nabi Saleh angenommen haben, sind diese Proteste durch politisch-soziale Probleme vor Ort entstanden. Wie die Fotoreporter und Journalisten individuell mit entsprechenden Ereignissen umgehen, ist dann wiederum sehr unterschiedlich. Einen wichtigen Teil der Arbeitsroutinen stellt die Dokumentation von Demonstrationen und Clashes in der Westbank dar. Die Herausforderung entsteht aus der Ritualisierung der Ereignisse in ihrer mediatisierten und inszenierten Form einerseits und der Bedeutung der Proteste als Teil eines sichtbaren Widerstandes gegen die aktuelle politische Situation andererseits. Ein Gradmesser ist der angenommene Nachrichtenwert. Diesbezüglich gehen die Meinungen der Fotoreporter weit auseinander. Dabei muss wie bei dieser Aussage eines israelischen Freelancers oft ein Vergleich der aktuellen Situation mit den Hochzeiten des Konflikts während der ersten und zweiten Intifada herhalten:



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Tabelle 8: Ereignisdimensionen in Israel/Palästina EREIGNISKLASSEN GENUINES 5 EREIGNIS Ereignis, das spontan und ungeplant ohne Rücksicht auf Medien zu Stande kommt

MEDIATISIERTES EREIGNIS Ereignis hätte auch ohne Zutun der Medien stattgefunden, wird aber aufgrund der Bedürfnisse verändert

INSZENIERTES EREIGNIS

BEISPIEL Raketeneinschlag im Süden Israels Luftangriff der IDF in Gaza Spontane Demonstration Beerdigung Selbstmordattentat in Israel Erstürmung der „Gaza Flotilla“ Angekündigte Demonstration Evakuierung von Siedlern aus Gaza Freitagsproteste in Silwan Räumung eines illegalen Außenpostens in der WB Beerdigung, die Form politi. Veranstaltung annimmt Pressekonferenz Politische Protestaktion (z.B. Freedom Ride) Truppenbesuch israelischer Politiker Krankenhausbesuch von Hamas-Kadern nach IDF- Angriff Steinewerfen zu bestimmten Ereignissen

INHALT MIT GENUINEM, MEDIATISIERTEM ODER INSZENIERTEM CHARAKTER Moment des Einschlags unvorhersehbar; hoher Schaden = hoher Nachrichtenwert Moment des Einschlag nicht vorhersehbar; bei hohem Schaden hoher Nachrichtenwert Spontane Reaktion auf politische Situation; Größe und Verlauf der Demo nicht planbar Reaktion auf tödlich verlaufendes Ereignis Unvorhersehbares Geschehen; direkte journalistische Reaktion auf Attentat Medienwirksame Erstürmung mit dem Ziel, der Welt zu zeigen, dass Blockade nicht durchbrochen werden darf Ankündigung einer Demo, um Medienpräsenz zu erreichen Evakuierung wird medienwirksam als Tragödie inszeniert Medienwirksame Proteste mit sozialem Hintergrund Widerstand gegen Räumung wird medienwirksam in Szene gesetzt Flaggen; polit. Symbolik; polit. Partei, die Beerdigung zu Machtdemonstration nutzt Einladung der Presse, um bestimmten Inhalt kommunizieren zu können Inszenierter Protest um Reiseprobleme von Palästinensern in Westbank deutlich zu machen Truppenbesuch, um Bild an Bevölkerung zu senden Öffentliches Zeigen von Solidarität mit den Opfern und Anklage von Israel Steine werden aufgrund der Anwesenheit der Medien geworfen; oder auf Aufforderung der Medien

Quelle: Eigene Darstellung

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Bei einigen Ereignissen wie terroristischen Selbstmordattentaten oder Raketenangriffen auf Israel ist dazuzurechnen, dass die Verantwortlichen dieser Attentate neben der Wirkung des Attentates an sich auch negative Bilder produzieren wollten, um damit die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Angst zu sähen. Dies ist ein Thema, welches die Terrorismusforschung und die Diskussion um Neue Kriege näher beleuchtet. Aus medialer Perspektive ist das Ereignis jedoch als genuin zu betrachten, da es ungeplant und in ungeahnter Dimension die alltägliche Routine unterbricht.



294 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT „I know clashes from the beginning of the Intifada, people that walked in the streets and had real emotions of anger and you could see that in the face. In Qalandia every Friday it’s like a game. Every Friday here, every Friday there ... come on, where is the emotion, where is the true feeling?“ (I13)

Hier wird anhand des Auftretens starker Emotionen bei den Demonstranten der angenommenene Realitätsgehalt und damit verbunden der Wert des Ereignisses beurteilt. Insofern ist gemessen an dem, was in der zweiten Intifada passierte, heute kaum noch eine politische Auseinandersetzung real. Dies ist insofern eine problematische Einschätzung, da der Fotoreporter vorgibt zu wissen, ob „wahrhaftige“ Emotionen und damit nachvollziehbare Gründe für Demonstrationen vorliegen. Viele kommen dann allgemein zu dem Schluss, dass diese keinen Nachrichtenwert mehr besitzen oder nicht real sind. Es ist auch die Verschiebung der Maßstäbe aufgrund der Gewöhnung an Krieg und Gewalt, aufgrund derer die Fotoreporter solche Demonstrationen geringschätzig betrachten: 6

„Die letzten Krawalle waren am Naqba-Gedenktag an der syrischen Grenze und in Jerusalem. Das war das letzte Mal, wo wirklich drei Tage full on action waren, aber im Großen und Ganzen sind die ganzen Demos, die du jetzt hier hast, alles Pillepalle, da werden ein paar Steine geworfen, bisschen teargas, das ist echt langweilig“. (I08)

Aus der Aussage des deutschen Fotoreporter Oliver Weiken spricht eine Überheblichkeit gegenüber den Menschen, die auch bei kleinen Demonstrationen Leib und Leben riskieren. Steine und Tränengas werden als langweilig abgetan und bringen nur noch einen Teil der Fotoreporter dazu, ihre Wohnungen zu verlassen. So waren die Demonstrationen zum Naqba-Gedenktag 2011 in den Golanhöhen das einzige Ereignis, das als realer Ausbruch von Wut und Gewalt verstanden wurde. Damals versuchten Hunderte von Menschen von Syrien aus den Grenzzaun nach Israel zu überwinden. Neben Demonstrationen sind andere Standardsituationen aus dem Repertoire mediatisierter und inszenierter Ereignisse Pressekonferenzen und offizielle politische Anlässe. Aus fotografischer Perspektive ist aufgrund der standardisierten Situationen die Arbeit auf Pressekonferenzen und offiziellen Ereignissen relativ einfach. Viel Zeit vergeht vor allem mit Warten auf den richtigen Moment oder das Auftauchen der relevanten Akteure. Für viele Fotoreporter genießen diese Ereignis-

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Die Palästinenser bezeichnen die Vertreibungen im Zuge des ersten israelisch-arabischen Krieges, von den Israelis Unabhängigkeitskrieg genannt, als „Al-Naqba“, die große Katastrophe. Ein palästinensischer Gedenktag am 15. Mai erinnert daran.



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se deswegen eher einen schlechten Ruf. Als „the most boring thing“ bezeichnete diese Tätigkeit ein israelischer Freelancer und seine für die NYT arbeitende israelische Kollegin Rina Castelnuovo zeigte sich „personally deligthed“, dort nicht mehr arbeiten zu müssen, da sie das Arbeiten dort eher als Strafe empfand. Pressekonferenzen sind ein Paradebeispiel für inszenierte Ereignisse. Das Geplante und Standardisierte einer Situation aus dem politischen Alltagsgeschäft in Jerusalem schildert ein israelischer Fotoreporter: „Take for example the Katsav Trial7 this morning. Inside the court it was a pool, which I didn’t get. [...] I was standing outside among maybe 30 or 35 still photographers. Each one has good and bad, some of them are good photographers, some of them are not the best photographers. Doesn’t matter. For me being there it didn’t add up. My pictures wouldn’t add to this situation. It was very directed, it was very clear what is there. He goes out from the court, he goes along the corridor... There were photographers in the corridor taking every step of it.“ (I06)

Für diesen Fotoreporter geht es vor allem um die Frage, ob seine Anwesenheit bei dem Ereignis notwendig war oder nicht und einen Mehrwert darstellt. Laut seiner Beschreibung handelte es sich um eine konstruierte Situation, in der den Fotoreportern eine klare Funktion und ein bestimmter Platz zugewiesen wurden. Ein weiteres Beispiel über direkten Kontakt zwischen den Fotoreportern und den politischen Akteuren vor einer Protestaktion im Parlament schildert der israelische Fotoreporter Ilja Yefimovich: „We spoke about something that has to do with government yesterday. Somebody was covering a parliament meeting and then the spokesman of the Kadima Party8 told the journalists that they are gonna do an event. They were all going with sprays and black flags. Every time it happens they tell it first to the press. And then some journalists move to a position closer to them to take a picture of that because they know it’s gonna happen. And there`s the ethical question of it. If the journalists weren’t in the parliament meeting, would these people in the parliament still do the thing or they are doing it because the press is there? Well I guess the question is if they will anyway do that because they need to show that they are against something and they are going to do it in an interesting way and then there is no problem of moving to the other balcony to be closer to take a better picture of it because you know it’s gonna happen.“ (I06)

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Moshe Katsav ist ein ehemaliger israelischer Staatspräsident, dem im Jahr 2009 wegen sexueller Belästigung der Prozess gemacht wurde.

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Kadima ist eine Partei, die 2005 vom ehemaligen Ministerpräsidenten Ariel Sharon gegründet wurde und die als liberal gilt.



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Yefimovich stellt hier ein weiteres Beispiel aus dem Alltag fotojournalistischer Produktion dar. Abgeordnete einer israelischen Partei informierten vor einer Aktion im Parlament die Fotoreporter, so dass diese sich eine bessere Position suchen konnten, um das Ereignis zu dokumentieren. Für Yefimovich ist die Grenze dann überschritten, wenn er das Gefühl hat, dass die Aktion ohne seine Anwesenheit nicht stattfinden würde. Ansonsten sieht er in der vorherigen Information und dem Standortwechsel kein Problem. Die Rolle der Kamera Ein wesentlicher Faktor bei der Diskussion um den Umgang mit mediatisierten und inszenierten Ereignissen ist die Rolle der Kamera. Es ist eine Kernfrage des Fotojournalismus und der Fotografie, welche Wirkung die Kamera auf die Realität hat und welche Beziehungen durch den technischen Apparat im Feld entstehen. Aus der starken Präsenz von Kameras in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, vor allem bei nachrichtenrelevanten Ereignissen leitet sich die Frage ab, wie die Menschen auf diese reagieren. „Ich glaube, die Leute sind hier so an Kameras gewöhnt, dass sich dadurch nicht viel ändert“, so der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken (I08). Die Gewöhnung an eine Kamera erleichtert es einem Fotoreporter, seine Arbeit zu machen und Bilder zu produzieren. Er selbst steht damit nicht mehr im Vordergrund, sondern kann sich auf seine Tätigkeit konzentrieren und dem widmen, was als das Magische des „unbeobachteten Moments“ beschrieben wird. Eine etwas andere Sicht auf die Auswirkung der Kamera hat ein israelischer Fotoreporter: „I mean as a photographer there’s always an influence. You go to a demonstration and there are four people and you are gonna be there and you start to take pictures. Then you’re the reason that these people are there. And that’s the game you play. You always have to be careful and see that you are not the cause of what’s going on there and once you cross that line and you realize that there’s no story and you cannot publish it. I mean there’s a line that you realize that is there and you just cannot cross it.“ (I23)

Laut dieser Aussage hat die Kamera immer einen Einfluss auf die Situation. Diese wird hier als eine Art Spiel dargestellt, in dem die fotografischen Subjekte und der Fotoreporter ihre Spielräume ausloten. Der italienische Fotoreporter Janos Chiala beobachtete, dass vor allem die Palästinenser die Präsenz von Kameras sehr bewusst wahrnehmen und auf diese reagieren und sich demenstprechend verhalten: „In some places it is even difficult to go around with the camera and take pictures of daily life because people will instantly react to you and they will say you have to come take pictures of



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this or no you have to come to take pictures of that. And it is really hard to stay focused on what you want to do.“ (I11)

Nach Ansicht Chialas findet damit bei der Arbeit in der Westbank zum Teil eine Umkehrung der Machtbeziehung zwischen Fotograf und Fotografiertem statt. Normalerweise übt der Fotograf die größte Kontrolle aus. Aus diesem Grund kommt Chiala zu dem Schluss, dass der sogenannte „observer effect“ (I11) dramatische Auswirkungen auf die Arbeit mit Palästinensern habe. Bei anderen Gruppen wie den jüdischen Siedlern sieht er dagegen eine komplette Verweigerungshaltung gegenüber der fotografischen Dokumentation. Gründe für die Dokumentation dieser Ereignisse Trotz der hier dargelegten Kritik vieler Fotoreporter an der großen Bedeutung, die Demonstrationen und Clashes innerhalb der Produktion haben sowie der Schwierigkeit, der Instrumentalisierung während dieser Ereignisse zu entgehen, sehen viele Fotoreporter die Notwendigkeit, weiterhin diese Ereignisse aufzusuchen und darüber zu berichten. Der deutsche Fotoreporter Oliver Weiken begründet dies folgendermaßen: „Ganz oft gehe ich auch dahin und fotografiere nix. Das kommt ganz häufig vor. Aber weil sich hier immer was entwickeln kann, musst du präventiv da sein“. (I08) Das hier angesprochene „präventiv da sein“ ist ein ganz entscheidender Faktor in der Nachrichtenproduktion in Israel und den palästinensischen Gebieten. Dahinter steht die Logik, dass die Fotoreporter für den Fall da sein müssen, dass eine Situation eskaliert und Personen zu Schaden kommen. Dann wäre dies eine wichtige Nachricht, die zu verpassen sich eine Agentur nicht leisten kann und zu der Bilder gebraucht würden. In Israel und den palästinensischen Gebieten ermöglicht die hohe Personaldichte der Agenturen präventiv zu Ereignissen zu gehen. Andere Fotoreporter dagegen gehen nur zu bestimmten Demonstrationen und halten sich sonst von diesen Ereignissen fern: „I don’t criticize people who go and cover that. I just don’t go and cover that. If there is like a serious riot, then I’ll definitively be there. And my clients don’t ask for this that much.“ (I04) Die Begründung dieser amerikanischen Fotoreporterin, eine Demonstration zu fotografieren, ist damit wieder im Raum des Unklaren dessen, was „serious“ oder „real“ ist. Die Fotoreporter greifen zur Beurteilung dessen in der Regel auf ihr Gespür zurück, wenn es nicht aufgrund massiver Polizei- und Militärpräsenz und zahlreicher Opfer andere – nachrichtenrelevante – Gründe gibt. Je nach fotografischer Herangehensweise gibt es somit unterschiedliche Gründe, warum die Fotoreporter diese Ereignisse auf einer allgemeinen Ebene als wichtig erachten. Für Fotoreporter, die für die Wire arbeiten, sind diese Ereignisse auch deswegen von Bedeutung, weil sie einen der wenigen Momente aufzeigen, wo sich zwei oder mehr Konfliktparteien gegenüberstehen. Aufgrund der Verfasstheit des

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Konflikts erweist es sich als schwierig, Bilder zu finden, bei denen mehr als ein Konfliktakteur zu sehen ist. Demonstrationen in der Westbank erfreuen sich also auch deswegen so großer Beliebtheit, weil sich in der Regel nur dort israelische Soldaten und palästinensische Demonstranten direkt gegenüber stehen und sie nur so in einem Bild gezeigt werden können. Für die dokumentarisch arbeitenden Fotoreporter geht es hingegen darum, bei den Ereignissen präsent zu sein, um alternative Formen des Widerstands gegen die israelische Besatzungspolitik zeigen zu können. Selbst für den Fall, dass Nachrichten- und Dokumentarfotografen dasselbe Ereignis dokumentieren, heißt dies immer noch nicht, dass sie den gleichen (fotografischen) Umgang mit dem Ereignis haben. Sie haben primär ein grundverschiedenes Erkenntnisinteresse. Während es bei den Nachrichtenfotografen um die Suche nach dem perfekten Nachrichtenbild geht, das im besten Fall das Geschehnis in nur einem Bild zusammenfasst, haben Dokumentarfotografen meist ein anderes Erkenntnisinteresse. Für sie kann das Ereignis Teil einer größeren Serie zu einem bestimmten Thema sein oder sie beschäftigen sich mit einem bestimmten Akteur, der auf diesem Ereignis präsent ist: „When I go to a demo and there are not many pictures there is always something interesting to do and if it is not through photography, maybe we will have one good conversation because we go to one event. For me this will be fulfilling enough. I am not always looking for the action saying that this was crap today because there was no battle with the Israeli soldiers and the Palestinians and there was not even tear gas.“ (I12)

Paq schildert hier, wie sie versucht, den Besuch von Demonstrationen nicht ausschließlich aus einer Kosten-Nutzen Perspektive hinsichtlich der Verwertbarkeit ihres Bildmaterials zu betrachten. Sie hat jedoch als Freelancer auch den Luxus, nicht auf das Verkaufen von Bildern über die Wire angewiesen zu sein. Wenn Fotoreporter versuchen, innerhalb dieser Ereignisse andere Schwerpunkte zu setzen, wird es jedoch schwierig, diese Bilder auf dem internationalen Markt unterzubringen: „One senior photographer in an international agency told me once, that the pictures of Activestills are too complicated for them because we document activists. It is a problem for them to say that Israeli left wing activists are protesting against Israeli soldiers. For them it’s to hard even to technically catch and explain to the outside how it comes that Israelis join Palestinians against the Israeli Army. They want the Palestinian boy throwing stones against the Israeli soldier or the opposite. They want simple things you can catch easily and sell easily. And show like black and white. And it’s not the fault of the photographers here, they do their job. It’s how the companies work.“ (I09)



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Diese Aussage von Oren Ziv macht deutlich, wie die Nachrichtenlogik der Wire komplexere lokale Zusammenhänge kaum verarbeiten kann. Fotoreporter wie Ziv und sein Kollektiv „Activestills“ fallen durch die unterschiedliche Themensetzung bei der Dokumentation von Demonstrationen aus dem Rahmen. Während es für sie eine wichtige Botschaft ist, dass sich Israelis mit Palästinensern in Protesten solidarisieren, ist dies als Subtext einer Bildnachricht der Wire zu komplex. Erstaunlich ist, dass Ziv die Schuld für die Verhältnisse auf Seiten der Auftraggeber und nicht auf Seiten der lokalen Fotoreporter verortet, obwohl er mit deren Verhalten nicht einverstanden ist. Ein weiterer Aspekt ist die Frage nach der fotografischen Herausforderung, die mit der Dokumentation von Clashes verbunden ist: „Clashes are very simple, it’s a very easy situation to photograph. Clashes and war, as much stupid as it sounds to you, I think are simple. Because you don’t have to use anything in your brain - except feel safe maybe - but it’s there, take it. It’s not requiring any particular skills. It’s there, it’s like take me, I’m there on a silver platter almost. So I find those two things very easy for a photographer. If he has the ability to face danger, to use the right precautions, if he likes the fear of death or if he doesn’t mind the fear of death, pictures are there in abundance.“ (I14)

Nach Ansicht Castelnuovos ist beim Fotografieren von Clashes die persönliche Sicherheit das Einzige, worauf geachtet werden muss. Ansonsten präsentieren sich spektakuläre Bilder quasi frei Haus direkt vor der Linse. Hier liegt eine weitere Begründung dafür, warum Fotoreporter gerne und häufig Demonstrationen fotografieren. Ähnliches ließe sich auch für Pressekonferenzen und andere Termine aus dem Arsenal der visuellen Politik sagen. Bei diesen Ereignissen muss der Fotoreporter nur die Kamera heben und das, was vor ihm passiert, fotografieren. Weder muss er sich einen besonderen Zugang zu Menschen verschaffen, noch eine besondere Storyline suchen, um etwas erzählen zu können. Dies zeigt, dass für diese Form der Dokumentation nur sehr wenig fotojournalistische Kompetenzen notwendig sind. Die Beurteilung des Staging durch die Fotoreporter Aufgrund der großen Probleme und der Kritik an der Dokumentation mediatisierter Ereignisse stellt sich die Frage, warum Fotoreporter diese immer wieder aufsuchen. Während sich dies bei Pressekonferenzen aus der politischen Bedeutung dieser Ereignissen erklären lässt und die Arbeit dort gemeinhin akzeptiert wird, wird vor allem die Dokumentation von Demonstrationen und Clashes stark kritisiert. Dabei verbunden ist der Vorwurf, diese Proteste seien alleine Schuld der Fotoreporter. An dieser Stelle soll diesbezüglich die Einschätzung der Fotoreporter wiedergegeben



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werden. Die palästinensische Fotoreporterin Eman Mohammed sieht den Umgang mit Staging-Vorwürfen kritisch: „The staging thing is a really dangerous thing that is happening in photojournalism in the region and it’s really bad, it is damaging everything. For me it is a deadly thing. But people should take it seriously and not call everything they don’t like staged.“ (I35) Mohammed kritisiert das Staging, hält die Vorwürfe jedoch für eine Form der politischen Medienkritik, die zum Ziel hat, unliebsame Informationen durch den Manipulationsvorwurf zu diskreditieren. Deswegen fordert sie einen vorsichtigen Umgang damit. Aus dieser Perspektive ist auch die Einschätzung zweier Fotoreporter zu Gründen für das Inszenieren von Situationen durch Fotoreporter in der fotojournalistischen Produktion im Nahostkonflikt aufschlussreich. Der drusische Fotoreporter Safadi Atef betrachtet dies vor allem aus der Perspektive der Professionalität: „I mean this kind of setup is unprofessional and I believe that people who do that will not have a good career. Because at some point they cannot set up pictures and then they have nothing to do.“ (I19) Der israelische Fotoreporter Menahem Kahane unterscheidet darüber hinaus hinsichtlich der Motivation der Fotoreporter zum Inszenieren: „Listen, I think that photographers are really trying to get the top of the event. It doesn’t matter which side he is on. If he is a photographer, a good photographer, he will try to reach the top of the event to express the event in a good picture, in a good visual. But there are many not so good photographers. And some photographer will set up. But he will not do it because he is politically motivated, he will do it because he is a bad photographer. Maybe he is too tired, or he is coming late“. (I24)

Für Atef steht im Vordergrund, dass das Inszenieren den journalistischen Kodizes widerspricht und ein Verstoßen dagegen wahrscheinlich negative Einflüsse auf die eigene Karriere haben wird. Kahane sieht den Grund für das Staging ebenfalls in mangelnder journalistischer Qualität und weniger in einer politischen Motivation. Erstaunlich ist, dass Ereignisse aus dem politischen Alltagsgeschäft in Israel, wie die schon erwähnten Pressekonferenzen, von den Fotoreportern in der Regel weniger kritisch begutachtet werden als politische Demonstrationen von Palästinensern in der Westbank. Dies kann zum einen natürlich an der Bedeutung der Ereignisse liegen. Zum anderen weist es jedoch auch auf eine bestimmte Form politischer Kritik hin, deren Interesse es ist, eher die Palästinenser für das Inszenieren bestimmter Bilder zu kritisieren und den Blick von der Inszenierung des alltäglichen Politikgeschehens abzulenken. Während das Bild des ehemaligen Präsidenten Katsav politisch gesehen noch relativ unbedeutend sein mag, ist beispielsweise der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten bei einer Einheit der Luftwaffe in



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Krisenzeiten ein politisch wesentlich relevanteres Ereignis, was hinsichtlich der Inszenierung der gleichen Kategorie zuzuordnen ist. Viele der Ereignisse, die Fotoreporter dokumentieren, sind inszeniert, wie die Aussagen der Fotoreporter gezeigt haben. Trotz allem stellen sie einen gewichtigen Teil nicht nur der fotojournalistischen Produktion, sondern auch der als Pressefotografie veröffentlichten Bilder dar. Der Umgang mit diesen Ereignissen ist immer grenzwertig und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Der Umstand, der hier eine Rolle spielt, ist jedoch die pure Anwesenheit der Kamera im Feld. Davon unterscheidet sich die bewusste Inszenierung durch den Fotoreporter, der eine Person bittet, eine bestimmte Handlung auszuführen. Wichtig ist, dass der Impuls in beiden Fällen ein anderer ist, wenn auch der Unterschied hinsichtlich des Ergebnisses und des inszenatorischen Charakters nur graduell ist. Denn insbesondere die Politik kommt heute ohne symbolische Akte in Form medial vermittelter Ereignisse nicht mehr aus. Der Fotojournalismus hat insofern darauf reagiert, als dass zunehmend in den Captions darauf hingewiesen wird, wenn ein dargestellter Akteur für ein Bild posiert. 7.1.5 Das kollegiale Verhältnis der Fotoreporter Auch wenn sich viele Fotoreporter gerne in der Rolle des lonely wolf sehen, der durch die Welt streift und Geschichten produziert, stellt dies im Alltag der fotojournalistischen Produktion eher die Ausnahme dar, wie ein Blick auf das kollegiale Verhältnis zeigt. Dabei ist die Westbank der einzige Raum, in dem sich alle drei ethno-nationalen Gruppen begegnen können. Ansonsten begegnen sich entweder israelische und internationale oder palästinensische und internationale Fotoreporter. In der Westbank gehört die Kooperation zwischen israelischen und palästinensischen Fotoreportern zum Arbeitsalltag. Die Begegnungen finden dabei meist bei Ereignissen in der Westbank statt. Von vielen Fotoreportern wird diese Kooperation als positiv beschrieben, wie es in der Aussage des palästinensischen Fotoreporters Alaa Badarneh deutlich wird: „Most of the Israeli photographers who work with different agencies are friends of mine or they are friends of my colleagues. We talk with each other many times. If we meet in an event, we stay together and we keep exchanging information.“ (I15) Er hebt hier die gute Kommunikation und das freundschaftliche Verhältnis hervor. Ein französischer Fotoreporter sieht im guten Verhältnis der verschiedenen Nationalitäten etwas Besonderes, das man nur im Fotojournalismus findet: „If you look at the cooperation between Israeli and Palestinian photographers, this is something very good that you won’t see with writers. Israeli and Palestinian Photographers work together and take care of each other. [...] If Palestinians have to deal with the army you



302 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT will see Israeli photographers taking care of the Palestinianp photographers. I can tell you why. Because basically we see so much shit, so many bad things, that you start to understand, that it can’t be black or white.“ (I07)

Das gute Verhältnis zwischen den Fotoreportern zeigt sich nach Ansicht dieses Reporters unter anderem darin, dass Israelis ihren palästinensischen Kollegen zu Hilfe kommen, wenn diese Probleme mit der IDF haben. Ein israelischer Freelancer betont, dass hinter der guten Kooperation für ihn auch für eine bestimmte Haltung steht: „There is a sort of mutual understanding. Because at the end of the day, you meet these people all the time. Sometimes they need your help, sometimes you need their help, you want to have good contacts with everybody on a personal level, sort of professional but personal.“ (I13) Die Community der Fotoreporter ist zwar nicht gerade klein, aber meist begegnen sich die Fotoreporter bei bestimmten Ereignissen wieder, weshalb gute Beziehungen zu den Kollegen wichtig sind. Für den israelischen Fotoreporter geht es dabei um gegenseitige Hilfe, die auf einer professionellen Ebene aufbaut, aber auch Züge eines persönlichen Verhältnisses hat. Der palästinensische Fotoreporter Ahmad Mesleh streicht dabei vor allem die gemeinsame Erfahrung als das verbindende Element heraus: „They are covering the same thing. They are facing the same danger. So if you see them you say hi because you know someone, because it is the same work. [...] And in this spot, you are not like Israeli or Palestinian, you are like photographer.“ (I31) Dies bringt ihn zu der Schlussfolgerung, dass für die Kooperation im Feld letztlich nur die Rolle als Fotoreporter, jedoch nicht die Nationalität entscheidend sei. Besonders interessant ist das kollegiale Verhältnis der Fotoreporter innerhalb der Wire. Alle Wire haben Fotoreporter sowohl auf israelischer wie palästinensischer Seite als auch internationale Angestellte. Ein israelischer Angestellter von Reuters beschreibt das Verhältnis folgendermaßen: „My office is half Palestinian. It’s part of the normality and it is good. I wish everbody was doing like we are doing. I have Palestinian friends and it is normal for me, I don’t care.“ (I27) Für diesen israelischen Fotoreporter ist die Kooperation mit seinen palästinensischen Kollegen Teil des normalen Arbeitsalltags. Es ist eine Form der alltäglichen Koexistenz, die er sich darüber hinaus auch in anderen Gesellschaftsbereichen wünschen würde. Dass die vermeintlich neutralen und kollegialen Begegnungen aber immer im Zeichen des Konflikts stehen und über die fundamentale Asymmetrie in der Beschränkung der Bewegungsfreiheit nicht hinwegtäuschen können, wird nur von wenigen israelischen Fotoreportern wahrgenommen und thematisiert. Der israelische Fotoreporter Oren Ziv beschreibt die Schwierigkeiten, ein freundschaftliches



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Verhältnis auf gleichberechtigter Ebene angesichts der Asymmetrie aufrecht zu erhalten: „I’ve been friends with Palestinian photographers for many years. When Fadi Arouri was shot in Ramallah, I visited him every week in the hospital and we are good friends. But me personally I have this bad feeling, I came to Ramallah, he helps me a lot, he shows me around, he take me to eat somewhere, even on the friendship level and I cannot invite him to Tel Aviv. Unless I decide to take him illegally but it’s a big risk for him. He is not like a Palestinian worker that can get a permit. He’s a Palestinian photographer and cannot get it.“ (I09)

Für Ziv stellt es ein Problem dar, dass er seinem palästinensischen Freund in dieser Konstellation nicht das zurückgeben kann, was er gerne möchte, auch wenn er versucht, durch Hilfe beim Reparieren von Kameras in Tel Aviv oder dem Besorgen von Ausrüstung behilflich zu sein. Ebenso sind sich natürlich die palästinensischen Fotoreporter bewusst, dass sie ihre Kollegen nie in Israel besuchen können. Von ihnen wurde das Thema jedoch nicht angesprochen. Einen anderen, moralisch geprägten Standpunkt bezüglich des Themas bezieht der israelische Fotoreporter Kobi Wolf: „It’s unbelievable, but it’s a privilege for us. [...] And I feel bad about it. I feel badly about the fact that he’s not allowed because of my government. Because I pay taxes to the government and all the money goes to the army.“ (I17) Kobi Wolf sieht die israelische Regierung als verantwortlich für die Situation. Als ein Mitglied der israelischen Gesellschaft sieht er sich damit auch direkt verantwortlich dafür, dass ein palästinensischer Fotoreporter nicht nach Israel kommen kann, er dagegen das Privilig der Freizügigkeit genießt. Einige israelische Fotoreporter, die sich dieses Themas bewusst sind, versuchen darauf zu reagieren, indem sie an anderen Stellen ihren palästinensischen Kollegen zu Hilfe kommen, wie es Oren Ziv schilderte: „Me and other photographers really try to help when they need to fix cameras. We help and take them and bring them back. Because the fixing places are in Tel Aviv. To buy equipment, cell phone, internet, all the things you cannot buy in Ramallah. At least on the personal level with our friends. Of course the people that work for the big companies, the company takes care. Like other photographers that work for small agencies or work independently we try to help them.“ (I09)

In den palästinensischen Gebieten gibt es kaum Möglichkeiten, Kameras reparieren zu lassen oder neu zu ewerben. Die israelischen Fotoreporter sorgen dafür, dass ihre palästinensischen Kollegen an aktuelles Equipment kommen. Sie übernehmen damit eine Form von Botendiensten und tragen dazu bei, die Nachteile, denen die palästinensischen Freelancer ausgesetzt sind, ein wenig zu minimieren.



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Ein weiteres Problem in der Beziehung zwischen den lokalen palästinensischen Fotoreportern in Gaza und internationalen Kollegen beschreibt die in Gaza lebende palästinensische Fotoreporterin Eman Mohammed: „Sometimes try to take advantage of locals in a really insulting way. Others really respect them which are few. And I think this has to do something with the whole West-East way of looking at local photojournalists and locals in general. Because sometimes I get female photojournalists contacting me and they would come and visit and they would be in Gaza and they would start asking questions to give them ideas on what to work on while they are in Gaza. But I need to work as well, so I can’t do that. Like you can’t give someone an idea to work on.“ (I35)

Mohammed fühlt sich von internationalen Kollegen geringschätzig behandelt, wenn diese von ihr wissen möchten, was relevante Themen sein könnten. Wenn Mohammed darauf eingehen würde und die Rolle, die klassischerweise einem Stringer überlassen ist, ausüben würde, würde sie ihre eigene Marktposition schwächen. Mohammed erklärt sich diese Geringschätzung mit der Art und Weise, wie der „Westen“ lokale Fotoreporter betrachtet. Dahinter steckt jedoch auch das Verständnis klassischer Arbeitsteilung im Auslandsjournalismus, in dem die Lokalen die Rolle als Stringer und Zuarbeiter übernehmen, aber keine eigenen Geschichten produzieren. Veränderung im Feld durch den Citizen Journalism Vor allem in der Westbank ist bei politischen Ereignissen eine Zunahme von zivilgesellschaftlichen Akteuren zu beobachten, die das Geschehen dokumentieren. Dies ist unter anderem der Digitalisierung und damit dem vereinfachten Zugang zur Fotografie zu verdanken. Dies hat nach Ansicht von Menahem Kahane von AFP Folgen für das Berufsfeld: „The change is that everybody today is a photojournalist. Everyone is holding a camera, everyone is having a twitter account, everyone is having a facebook page, everyone can get out the material.“ (I24) Da viele Menschen über Kameras in ihren Mobiltelefonen verfügen, kann theoretisch jeder zu einem Reporter werden, wenn alleine die Verfügbarkeit über Bilder diesen Status rechtfertigt. Aus diesem Grund ist in den letzten Jahren immer öfter die Rede vom citizen journalist oder in diesem Fall dem citizen photographer, der aufgrund seiner Präsenz im Feld über interessante Informationen verfügt und diese für die Medien zur Verfügung stellt. Nach Ansicht des israelischen Fotoreporters Eddie Gerald verschärft dies die Konkurrenzsituation: „Because today right now everybody is a photographer. Especially in those riots everyone is holding a camera. Sometimes you cannot even distinguish who is a hobbyist and who is a



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professional. Because they look alike. One’s you could define by the camera but today you cannot distinguish. It’s difficult in any way to market you pictures. The media is full of those images. And now there are agencies that call themselves citizen journalism and they are filled with material. And protesters themselves are uploading material. So for this I see dark clouds in the near future and it’s already overthere. There’s a collapse in sales in any term.“ (I03)

Den Fotoreportern wird von den Aktivisten die Rolle des Reporters und Beobachters der Ereignisse streitig gemacht. Ein israelischer Fotoreporter sieht dies im Zusammenhang mit einem Bedeutungsverlust des Berufs Fotoreporter an sich: „It used to be a really unique profession. Now it became an everybody profession“. (I27) Eine israelische Fotoreporterin sieht gar den ganzen Berufsstand in Gefahr: „But on the other hand maybe in the futere there won’t be a need of photojournalists at all. There will be citizen journalism which will be good enough for the masses and for the web. It depends what will happen. Maybe it is a vanishing profession.“ (I14) Aus diesen Aussagen sprechen auch Standesdenken und die Angst, die Exklusivität der eigenen Arbeit könne verloren gehen. Zum anderen verändert sich auch der Charakter der Ereignisse durch die massive Präsenz von Kameras. Eine besondere Schwierigkeit besteht somit für die Fotoreporter darin, sich von den Amateurfotografen und Aktivisten abzugrenzen, um eine Rechtfertigung für die eigene Anwesenheit und den Verkauf von Bildern zu generieren. Denn anders als für die Erstgenannten ist die Dokumentation für die Fotoreporter auch der Broterwerb. Trotzdem stellt dies nicht für alle Fotoreporter gleichermaßen ein Problem dar, wie die Aussage von Oren Ziv zeigt. „If today someone is going with his iPhone and taking pictures that no one could do with a normal camera, it’s more photojournalism then getting a press release in the email and going to a staged event. It’s hard for me to tell.“ (I09) An dieser Aussage zeigt sich, dass es nicht nur um die neue Konkurrenz durch das Aufkommen der Technik geht, sondern durchaus auch um die Frage, was eigentlich das Wesen des Fotojournalismus ist. Zu weiten Teilen besteht der Fotojournalismus aus eben jener Arbeit, dem Dokumentieren inszenierter Pressekonferenzen, wie es Ziv hier beschreibt. Das iPhone als Stellvertreter für das Kamerahandy wird womöglich einfach zu einem weiteren technischen Tool, dessen sich Amateure wie Fotoreporter bedienen. Alleine der Zweck und die Art der Verwendung bestimmen dann darüber, ob es sich um Fotojournalismus handelt oder nicht. 7.1.6 Der Umgang mit Herkunft, Sprache und Geschlecht im Feld Das Nachrichtenzentrum Nahostkonflikt ist ein binationaler Raum, in dem die jüdisch-zionistische und die arabisch-palästinensische Nationalbewegung um die Vorherrschaft über das Territorium kämpfen. Die beiden ethno-nationalen Gruppen



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unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Sprachen, dem Hebräischen und dem Arabischen. Während in den palästinensischen Gebieten unter Kontrolle der PA nur das Arabische als Amtssprache fungiert, ist in Israel aufgrund der großen palästinensischen Minderheit neben dem Hebräischen das Arabische die zweite Nationalsprache. Grundsätzlich gibt es auf der jüdisch-israelischen Seite aufgrund des Charakters Israels als Einwanderungsgesellschaft eine größere Sprachenvielfalt. So haben auch Russisch und Englisch eine große Bedeutung. Die Beherrschung der Sprachen ist deswegen von Bedeutung, weil sie zum einen etwas über den Zugang zum Feld sagt und zum anderen mittelbar auf die Nationalität des Sprechers hinweisen kann. Besondere Relevanz hat das Thema für die internationalen und israelischen Fotoreporter. Internationale Fotoreporter arbeiten qua definitionem außerhalb ihres Herkunftslandes, sei es in Israel oder den palästinensischen Gebieten. Auch für israelische Fotoreporter gehört die Arbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten, also außerhalb des eigenen Nationalstaatlichen Rahmens, zum Arbeitsalltag. Insofern gibt es bei der Arbeit im Feld immer einen Aspekt der interkulturellen Begegnung. Die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon plädiert dafür, die Bedeutung der Sprachen im Feld nicht zu überschätzen: „I think in this place, because it has seen so many foreigners, whether it’s Holy Land tourism or it’s conflict tourism [...] language isn’t a barrier here as it would be let’s say in Egypt or in another place.“ (I34) Nach Tibbons Ansicht ist es damit nicht zwingend notwendig, Arabisch oder Hebräisch zu sprechen. Auch ein französischer Fotoreporter teilt die Ansicht, dass man in der Region mit Englisch gut durchkommt: „Basically you always manage to find someone that speaks English and he is going to translate. But sometimes you have to be with a translator because sometimes if you find someone in the street and you ask him to translate, he will translate what he wants. The risk is that you’re going to get the translators story and not the persons story.“ (I07)

Deutlich wird hier jedoch, wo die Grenzen beim Rückgriff auf Übersetzungshilfe von Fremden liegen. Bei wichtigen Recherchen muss auf qualifizierte Dolmetscher zurückgegriffen werden. Bezüglich der Sprachen ist ein deutliches Gefälle zu beobachten. Während es in Israel mit Englisch auch im Alltag recht einfach ist, wird dies in der Westbank schon schwerer, während es in Gaza fast unmöglich ist, allein mit Englisch klar zu kommen. Nicht zu unterschätzen ist, wie die Beherrschung einer lokalen Sprache als ausländischer Fotoreporter den Status im Feld verändern kann, wie es der Amerikaner Ted Nieters erlebte:



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„It is very important. If I can walk up to somebody and speak to them in a way that breaks all the barriers instantly. Especially if you could look at them and you know how to speak to them. I would speak to you differently than I would speak to someone else. And you can understand this: it is huge. It breaks all the barriers instantly. It is a welcome to the house right away. And I speak enough to explain to people and talk and especially in Palestine I can make jokes, I understand all the local politics very well. So if anybody actually starts talking in depth of Israeli or Palestinian politics, we can discuss this. And they’ll trust you instantly.“ (I30)

Für Nieters bekommen die Beziehungen zu den Menschen aufgrund des Beherrschens der arabischen Sprache eine neue Qualität, vor allem wenn er durch Humor und Sprachwitz zum Ausdruck bringen kann, dass er die politische Situation gut kennt. Dies bringt einen nicht zu unterschätzenden Vertrauensvorschuss und öffnet neue Zugänge. Unter den befragten internationalen Fotoreportern ist er jedoch der einzige, der ein entsprechendes Arabischniveau hat. Aber auch lokale Fotoreporter profitieren bei ihrer journalistischen Arbeit davon, wenn sie die Sprache der anderen Seite beherrschen, wie es der OstJerusalemer Fotoreporter Ahmed Gharabli berichtetet: „I speak Hebrew and it helps me all the time. When I speak Hebrew, I say that I am from Agence France Presse, I am here because there is a story here, Netanyahu speak about Migron and wants the demolition in Migron. There is the story and I want to take some picture about houses in Migron, people and the flags. ‚No problem, welcome‘. All the time I do like this. In Jerusalem there was a Rabbi arrested. The settlers made big trouble in Jerusalem and I was with the settlers there, near the court, near the Knesset. You know all the time I do a good job.“ (I32)

Die Hebräischkenntnisse fungieren für Gharabli als ein Türöffner und verstärken die Privilegien, die er aufgrund seines Status als Fotoreporter einer internationalen Agentur genießt und ermöglichen ihm den Zugang zu sensiblen politischen Gruppierungen. Seine Hebräischkenntnisse können als Wille zur Integration in Israel gedeutet werden. Möglicherweise werden sie aus diesem Grund auch positiv von tendenziell antipalästinensisch und rassistisch eingestellten Gruppen aufgenommen. Israelische Fotoreporter haben grundsätzlich den Vorteil, dass sie mit vielen Palästinensern auch auf Hebräisch kommunizieren können, weil viele Menschen aus der Westbank der älteren Generationen Hebräisch sprechen, das sie entweder bei der Arbeit in Israel oder in israelischen Gefängnissen gelernt haben. Dies erleichtert die Arbeit der jüdisch-israelischen Fotoreporter. Neben den hier geschilderten positiven Aspekten, die sich aus der Sprachkompetenz der Menschen in der Region ergeben, gibt es jedoch auch negative Seiten.



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Diese ergeben sich aus einer Gleichsetzung von Sprache und Nationalität. Bei der Arbeit in einem interkulturellen und binationalen Kontext stellt sich die Frage, wie die Fotoreporter mit ihrer Nationalität im Feld umgehen. Dies gilt insbesondere für die jüdisch-israelischen Fotoreporter bei der Arbeit in der Westbank. Viele dieser Fotoreporter vermeiden es zumindest in der Öffentlichkeit, sich als Israelis zu erkennen zu geben, so Kobi Wolf: „(I)t’s not smart to tell anyone that you’re from Israel. Because you never know who’s around you. There are enough fanatics, it doesn’t matter what happens. And you don’t want to take the risk. You just don’t want to tell them that you’re from Israel.“ (I17) Der wichtigste von Wolf genannte Grund ist dabei die angenommene Bedrohung der eigenen Sicherheit bei Bekanntwerden der eigenen Nationalität. Ein israelischer Angestellter eines Bilderdienstes beobachtet diesbezüglich eine Veränderung seines Status im Feld: „Because of the whole war in Gaza, when people find out that you are Israeli, they’re not as happy to see you as it used to be a couple years back. I’m not saying, that I feel huge amounts of hostility if I say that I’m Israeli, but I’ll just prefer not to say that. Not to be recognized as an Israeli working there.“ (I23) Die gefühlte Bedrohung steht in Beziehung zur politischen Situation. Der Gaza-Krieg hat sich nach dieser Ansicht negativ auf das gesellschaftliche Klima und die Offenheit gegenüber israelischen Journalisten ausgewirkt, auch wenn dies bisher nicht in offene Feindseligkeiten umgeschlagen ist. Diese Erfahrung machte auch der Amerikaner Ted Nieters.: „At some point people where like ‚Are you American? We hate your government‘. But they never hated me. I never had a problem with them. But I got a lot of ‚Fuck you Bush‘.“ (I30) Dies zeigt, wie sensibel die Menschen in der Region auf die Positionen der internationalen Gemeinschaft zum Konflikt reagieren. Nieters weist jedoch darauf hin, dass die Kritik immer nur der amerikanischen Regierung, nie ihm als Person galt. Um diesen Themen zu entgehen verweist ein israelischer Fotoreporter bei Nachfragen auf den Auftraggeber: „I’m like very numb. If someone would ask me where are you from I would just throw another country. Like if I worked for a Danish newspaper at that time I would say Denmark. So it was not a lie, it’s like if I you ask me what paper I’m working for. Throwing these very unclear words. But it depends on the situation.“ (I13) Diese Taktik, die eigene Herkunft im Unklaren zu lassen und Gesprächen eher aus dem Weg zu gehen, verlagert zwar die Diskussion auf eine andere Ebene, birgt jedoch das Risiko, dass ein intensiverer Austausch unmöglich wird. Aber nicht alle israelischen Fotoreporter verfolgen diesen Weg. Eddie Gerald schilderte im Interview, wie aktiv er mit seiner eigenen Herkunft umgeht: „I always say it, I don’t hide my nationality. But I always start to talk directly about politics. It interests me and it interests them. And they always have really fast a clear idea what is my

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political opinion. And I say it to Jews and I say it to Palestiniasn. And they know that I am on their side in this matter. So usually they embrace me.“ (I03)

Hier wird ein solidarisches Vorgehen deutlich. Über das Offenlegen seiner politischen Position kommt Eddie Gerald möglicher Kritik zuvor und kann so eine gemeinsame Gesprächsbasis herstellen, die oft entscheidend ist für einen tieferen Zugang zu den Menschen. Auch andere jüdisch-israelische Fotoreporter haben die Erfahrung gemacht, dass es ihnen nicht zum Nachteil gereicht, als Israeli in die palästinensischen Gebiete zu gehen. „My being there in the first place speaks for itself“ so eine junge Fotoreporterin. So machen viele jüdisch-israelische Fotoreporter positive Erfahrungen bei der Arbeit in der Westbank. Die hier beschriebenen Vorsichtsmaßnahmen gelten vor allem bei der Begegnung mit Fremden und beim Arbeiten in konflikthaltigen Ereignissen wie Demonstrationen oder gewalttätigen Auseinandersetzungen. Genderaspekte bei der Arbeit im Feld Wie bei der Beschreibung des Datensatzes (5.7.) aufgezeigt wurde, sind Frauen im Vergleich zu Männern am Produktionsstandort Israel/Palästina unterrepräsentiert. An dieser Stelle soll es darum gehen, welche Rolle die Geschlechteridentität bei der Arbeit im Feld spielt. Von den Fotoreportern wurde geschildert, dass es vor allem für die Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppierungen von Bedeutung ist. Den Grund dafür sieht die israelische Fotoreporterin in der Religion: „You’re in the Middle East and both Jews and Muslims are based on rules of gender segregation.“ (I34) Sowohl bei der jüdisch-israelischen als auch bei der muslimisch-palästinensischen Gesellschaft haben wir es mit Gruppen zu tun, in denen es zumindest in den konservativen Teilen eine starke Geschlechtersegregation gibt. Mehrere weibliche Fotoreporter äußerten, dass sie die allgemeine geschlechtsspezifische Segregation stärker in den palästinensischen Gebieten als in Israel zu spüren bekommen. Dies ist sicherlich dem Zustand geschuldet, dass im Alltag innerhalb Israels die Bedeutung der Religion weniger groß ist als im Alltag in den palästinensischen Gebieten. Deutlicher werden die Unterschiede bei einer genaueren Betrachtung der Berichterstattungsanlässe sowie einer Ausdifferenzierung der Situation zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten. Bezogen auf die Arbeit in Israel berichten die Fotoreporter, dass ihre Geschlechteridentität dann ein Thema wird, wenn sie sich mit religiösen Themen beschäftigen. So berichtete ein männlicher israelischer Fotoreporter, dass er beim Staatsbesuch von Hillary Clinton keine Bilder von ihr beim Besuch der Klagemauer machen konnte, weil die Sektion der Frauen dort nicht für Männer zugänglich ist. Neben orthodoxen Synagogen ist dies jedoch einer der wenigen öffentlichen oder halb-öffentlichen Orte in Israel, wo Männer keinen Zutritt haben. Mit umgekehrten



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Vorzeichen gilt dies auch für weibliche Fotoreporter, wie es Rina Castelnuovo berichtet: „The only place I really feel the gender is a problem is when I want to cover the activities of the ultraorthodox jews. That’s the only place that I’m like really with a barrier, behind a glass. There is no shortcut, no journalists are allowed, they don’t care.“ (I14) Umgekehrt betrifft dies natürlich auch die männlichen Fotoreporter, wenn sie Zugang zu nur Frauen vorbehaltenen Bereichen bekommen möchten. Weibliche Fotoreporter sind vor allem deswegen benachteiligt, weil das öffentliche religiöse Leben stärker von orthodoxen Männern geprägt ist und diese auch die Politik und das Auftreten der Gruppe bestimmen. Darüber hinaus müssen Frauen die in orthodoxen jüdischen Orten und Stadtteilen arbeiten, stärker auf Kleidervorschriften Rücksicht nehmen, wie eine amerikanische Fotoreporterin erläutert: „I keep a skirt in the trunk of my car. Why? In case I need to go into Mea Shearim, the ultra-orthodox area. Because I felt it should be done if I work there. So you put a skirt over your jeans and then the people leave you alone for the most part.“ (I04) Der mehrheitlich von orthodoxen Juden bewohnte Stadtteil Mea Shearim ist ein Mikrokosmos, in dem es auch für Besucher ratsam ist, sich den lokalen Gewohnheiten anzupassen.9 Schwierig wird es für die männlichen Fotoreporter, wenn sie sich in Israel in konservativen religiösen Kreisen bewegen und Porträts einer Frau anfertigen möchten. Vor diesem Problem stand ein israelischer Fotoreporter, der für ein europäisches Magazin eine Geschichte über die sogenannten „Taliban-Women“, orthodoxe jüdische Frauen, die sich komplett verschleiern, machen wollte. Mit einem Kniff gelang die Bild-Produktion: „The Taliban women project was very difficult to get the access but somehow I made it. I contacted the husband of one of the women and we set up an appointment. [...] Luckily they were speaking English so the correspondent could interview them. [...] But for the pictures and the video, the Taliban women had to leave the room, I went in, I measured the light and everything and set the camera. Then I left the room and they went in and then the reporter and the producer took some pictures with my camera and did the video as well. I showed them how to do the video and they did the interview and everything.“ (I06)

 9

In den letzten Jahren hat es mehrere Fälle gegeben, wo selbst orthodoxe Frauen, deren Kleidervorschriften vermeintlich nicht denen der Orthodoxen entsprachen, von religiösen Männern bespuckt wurden, und dies zu breiten öffentlichen Debatten in Israel führte. Es ist ein Ausdruck des zunehmenden Konflikts zwischen der säkularen jüdischen Mehrheit in Israel und der wachsenden orthodoxen Minderheit.



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Dieses Beispiel ist zum einen ausgehend vom Ablauf der Produktion als auch bezüglich der Bedeutung, die das eigentliche Bild später hat, interessant. Während des Interviews war es kein Problem, dass sowohl der männliche Fotoreporter als auch die weibliche Fotoreporterin mit der Frau und ihrem Mann in einem Zimmer sein konnten. Für die Anfertigung des Bildes war dies jedoch nicht denkbar. Dass die Bild-Produktion an sich möglich war, zeigt des Weiteren, dass das Problem nicht das Bild an sich, sondern die Begegnung mit einen Mann darstellte: Gegen die Veröffentlichung des Bildes hatte das Paar nichts einzuwenden.10 Diese Beispiele zeigen, dass das Geschlecht zwar primär eine Hürde sein kann, aber nicht notwendigerweise sein muss, und dass es durchaus Möglichkeiten gibt, trotzdem Zugang zu einem normalerweise verschlossenen gesellschaftlichen Bereich zu bekommen. Dies zeigt auch die Erfahrung der israelischen Fotoreporterin Gali Tibbon bei ihrer Arbeit mit Mitgliedern der Griechisch-Orthodoxen Kirche in Jerusalem: „I think a lot of it is about personality. Because I have this huge project about religion in Jerusalem, and one of the places that I have the most access is with the Greek Orthodox Church. It is a church that is built on a history of segregation, and all of them are monks. In other communities you can be a priest, but you don’t have to be a monk, you might even marry. So to start with, A, I am a woman, B, I’m Jewish. And I’m pretty young and I’m pretty good looking. And I get to step wherever I want! But I think it has to do with my personality and my ability to persuade people. [...] I’m pretty much allowed in everywhere beside a few monasteries that woman are not allowed to enter and nobody’s going to break that ban for me. But in many of the other places I go. So I think it’s not because I’m a woman, it’s in spite the fact that I’m a woman I managed to do that.“ (I34)

Tibbon hat sich über Jahre einen exklusiven Zugang zu vielen Bereichen der Griechisch-Orthodoxen Kirche erkämpft, von dem selbst viele Männer nur zu träumen wagen. Ihrer Ansicht nach war der Grund dafür ihre Überzeugungskraft und ihr Wille dort zu arbeiten, mit dem sie letztlich alle Hürden überwand. Trotz alledem gibt es jedoch weiterhin bestimmte Bereiche wie die männlichen Klöster, die ihr verschlossen bleiben.

 10 In der Literatur zum Thema Fotografie und Nahostkonflikt findet sich ein ähnliches Beispiel. Ariella Azoulay befragt dazu den israelischen Fotoreporter Miki Kratsman, der auf eine ähnliche Art und Weise ein Bild des verletzten Beines einer muslimischpalästinensischen Frau anfertigen konnte und auch die Erlaubnis erhielt dies zu publizieren. Auch in diesem Fall war das Problem, dass der Fotoreporter direkter Zeuge der Entblößung der Frau geworden wäre.



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Was die muslimischen Gesellschaften angeht, so wird in der Regel davon ausgegangen, dass Frauen es aufgrund der Geschlechtersegregation schwerer haben dort zu arbeiten als Männer. Eine junge amerikanische Fotoreporterin schildert jedoch andere Erfahrungen aus der Westbank: „In my experience in the Westbank there is a lot of respect for women. It might even be easier for me to work as a woman, then for some of my male colleagues. [...] Women trust other women much easier than they would trust other men.“ (I25) Auch die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine berichtete im Interview darüber, welch besonderer Zugang ihr als Frau vor allem in den palästinensischen Gebieten gewährt wurde: „Being a woman is let’s say my green card or my visa into often intimate situations. Because I am a female, I am able to be in a room with women that are not covered for example. You as a male who is not from the family wouldn’t be allowed.“ (I16) Sie sieht ihre Weiblichkeit als eine Art Visum, vor allem für intime familiäre Situationen, die Männern eher verschlossen sind. Sie bezieht sich dabei bei auf eine Situation, in der sie ein Begräbnis in den palästinensischen Gebieten dokumentierte. Eine amerikanische Fotoreporterin schilderte eine ähnliche Situationen, wie sich der Zugang als Frau in diesen Situationen gestalten kann: „When there were funerals and the women sit inside and wait for the body to arrive, the male photographers, who would come, wouldn’t be getting in and out. They wouldn’t be comfortable being around the women or staying there. So they would come a few minutes before the body is coming and run out when the body left. And I found it some of the most compelling moments, when I was with the women before and after and not just like with the body. Because that was just like total mayhem. So I appreciated the ability to go in and stay with them and hang out with them sort of in these sad quieter moments with a lot of feelings and emotions I wouldn’t have got otherwise.“ (I37)

Diese Fotoreporterin schildert, wie sie sich die Zeit nahm, bei den Frauen zu bleiben, auf den Sarg mit dem Verstorbenen zu warten und auch danach noch da zu sein. Sie hatte das Gefühl, in diesen Situationen ruhige und sehr emotionale Momente mit den Frauen teilen zu dürfen, die ihr viele interessante Bilder bescherten. Ihren männlichen Kollegen, die nur kurz mit dem Sarg im Moment der höchsten Aufregung kamen und gingen, wurde diese Erfahrung nicht zu teil. Einer Gefahr, der sich vor allem allein reisende und arbeitende Frauen in den palästinensischen Gebieten gegenübersehen, ist die Gefahr sexueller Belästigung, wie es Anne Paq erzählte: „It’s a patriarchal society here, and there are cases of sexual harassment. I am aware of it and I had some problems here. I am careful for instance not to find myself too much in the dark where there is nobody. I am as well careful of not being alone with young men because this is



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not acceptable in general for a Palestinian woman, so I would not do it. And it can send wrong signals to the young men. I think in Bethlehem it is less than in Ramallah. In Ramallah I know there is quite a high level of harassment, like guys talking to you in the street or following you. [...] Because a lot of young men will think because you are international you are free and you have sex with everybody and where ever. So they think when you come it is for this.“ (I12)

Das Phänomen, welches Paq hier beschreibt, bezieht sich auf ihre Rolle als westliche Frau innerhalb der palästinensischen Gesellschaft, nicht auf ihre Arbeit als Fotoreporterin. Vor allem in den größeren Städten wird ihr Alleinsein als Frau als Offenheit gegenüber Männern interpretiert und kann zu mehr oder weniger direkten Formen sexueller Übergriffe führen. Paqs Strategie ist es, sich den lokalen Gepflogenheiten anzupassen, um Probleme zu vermeiden. Als Ausländerin hat Paq jedoch auch einen besonderen Status innerhalb der muslimisch-palästinensischen Gesellschaft, wie sie weiter schildert: „Another aspect is that as an international involved here, sometimes I am invited to some houses and I have a special status, because I am an international woman and also a photographer. So I will sit with the men and I will barely see the Palestinian women. They will come to bring the coffee and they will go to the kitchen. Then I feel uncomfortable because then I am kind of playing this game of patriarchal society and I am sitting with the men and talking about politics and the woman is in the kitchen. And sometimes that makes me uncomfortable.“ (I12)

Ihr sind nicht nur die weiblichen Sphären, sondern auch viele Bereiche der männlichen Sphären zugänglich. Als Gast hat sie einen Sonderstatus und verfügt über größere Privilegien als palästinensische Frauen. Die Zuschreibung dieses privilegierten Status führt bei Paq jedoch zu Unwohlsein, da diese Privilegien das Verhältnis zu den palästinensischen Frauen negativ beeinflussen können, weil für Gäste der Eintritt in die weiblichen Sphären der Haushalte schwerer ist. Das weibliche Geschlecht kann sich jedoch auch als positiver Faktor in gewalthaltigen Situationen auswirken. Da der Schutz der Frau und das Achten auf ihre körperliche Unversehrtheit in den muslimisch-arabischen Gesellschaften des Nahen Ostens ein hohes Gut darstellt, profitieren Frauen von diesem Status, wenn sie selbst in Gefahr geraten. In eine ähnliche Richtung argumentiert die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon: „Especially if you are a woman even if it’s the worst militants, they wouldn’t hurt me, they would hurt the guy photographer that pisses them off.“ (I34) Folgt man dieser Argumentation, dann sind Männer in der Regel gefährdeter als Frauen, da sie zum einen ein legitimes Ziel der vor allem von Männern im öffentlichen Raum ausgelebten Aggression darstellen und zum anderen



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selbst als potentielle Aggressoren angesehen werden können. Dies reduziert für Frauen das Risiko eines tätlichen Angriffes beträchtlich. Eine interessante Perspektive auf das Thema des geschlechtsspezifischen Zugangs als Fotoreporter zu bestimmten gesellschaftlichen Bereichen in den palästinensischen Gebieten hat das Fotografen-Paar Andrea&Magda. Nicht nur in ihrer Außendarstellung und der Vermarktung ihrer Produkte, auch im Feld treten die beiden als Paar auf und machen damit gute Erfahrungen: „It is very good because of course there are two people instead of one. And especially in the Middle East, the sexes are really divided, sometimes in women and men. So when we have an assignment she approaches the women better and me the men. And this is very good, they really like that. And we look like, I mean we are a couple and people see us as a couple and so sometimes we are not photographers, but a couple that is taking pictures. So the impact in our subjects is less aggressive. I mean people like couples, it’s romantic, I don’t know, but in general, people like it.“ (I22)

Die positive Erfahrung, welche die beiden Fotoreporter hier machen, was den gleichzeitigen Zugang zu bestimmten geschlechtergetrennten Bereichen der Gesellschaft angeht, ist natürlich nicht nur Paaren vorbehalten, sondern kann auch von Reporter-Tandems genutzt werden. Das Besondere ist jedoch die Erfahrung, als Paar im Feld anders von den Subjekten wahrgenommen zu werden und damit leichter Akzeptanz zu erfahren. Patriarchale Gesellschaftsstrukturen in den besetzten palästinensischen Gebieten betreffen jedoch auch die lokalen Fotoreporterinnen, wie es Eman Mohammed anhand des Gazastreifens schildert. Sie hatte sich Zugang zu einer Gruppe weiblicher Widerstandskämpferinnen verschafft und bekam dann unerwarteterweise Probleme: „The guns were loaded, the place was out of nowhere, the people I went with I didn’t really know or trust. And at the place we got into a heated argument because I don’t wear Hijab and that upset one member. [...] He was a guy and he was really upset about it. Even though his father was fine with me going coming into their house. So you see it all depends. You can get along with someone and you can get into a fight with someone else at the same place.“ (I35)

Obwohl es sich hier eigentlich um ein Thema handelt, bei dem eine Frau in der Rolle als Fotoreporter über Frauen im Widerstand berichtete, waren es Männer, die ihr den Zugang ermöglichen mussten und die das Unterfangen, weil sie nicht konservativ genug gekleidet war, fast zum Scheitern gebracht hätten. Sie zieht daraus klare Konsequenzen: „By being a photojournalist in Gaza you make no-one happy,



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especially when you are a girl. And it’s not only the community, it is the government as well that is really conservative.“ (I35) Aber auch in Israel war der freie Zugang für Frauen zu Konfliktregionen und dem Militär nicht von vorneherein Konsens. Die israelische Fotoreporterin Rina Castelnuovo berichtete aus eigener Erfahrung, wie der Zugang zum Konfliktgeschehen mit Hilfe der Gerichte eingeklagt werden musste: „In Israel during the first war in Lebanon, AP went to the High Court against the IDF with BBC or NBC or one of the big networks because we were two or three women who were not allowed to cross the border to cover the war because we are women. So the High Court ruled that we should be allowed to go.“ (I14) Darüber hinaus haben Frauen, die im Fotojournalismus und der Konfliktberichterstattung tätig sind, auch mit impliziten Rollenerwartungen der Gesellschaft zu kämpfen, die an sie als Frau und Mutter gerichtet werden und mit denen sie sich gezwungenermaßen beschäftigen müssen. So berichtet die amerikanische Fotoreporterin Heide Levine, dass sie bei Einsätzen in Krisenregionen immer dieselben Gedanken wälzt: „And I kept like swimming under my breast why can’t you be just a normal woman. You have a lot of dialogues in yourself.“ (I16) Obwohl Levine seit über 20 Jahren als Fotoreporterin die Konfliktregionen des Nahen Ostens bereist, scheint sie sich unterbewusst immer noch an der Rollenvorstellung der „normalen“ Frau, der Frau als Mutter, zu messen. Insbesondere die Konfrontation mit gefährlichen Situationen spült diese Themen an die Oberfläche.

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7.2 P RESSEFREIHEIT UND P ROBLEME B ERICHTERSTATTUNG

BEI DER

Die Pressefreiheit ist ein elementarer Teil der Menschenrechte. Dazu gehören unter anderem der freie Zugang zu Informationen, der Schutz vor einer Verfolgung aufgrund der journalistischen Tätigkeit, die Garantie körperlicher Unversehrtheit sowie die Reisefreiheit. Darüber hinaus schreibt das humanitäre Kriegsvölkerrecht Journalisten, die in Konflikten tätig sind, den Status von Zivilisten zu, die besonders schutzbedürftig sind, wie es im Artikel 79 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention festgehalten ist (vgl. ICRC 1977). Gerade in Konfliktregionen ist der Schutz von Journalisten jedoch immer wieder in Gefahr. Die untersuchte Gruppe der Fotoreporter hat bei ihrer Arbeit in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, wie andere Journalisten auch, mit einer Vielzahl von staatlichen wie nichtstaatlichen politischen Akteuren zu tun, die versuchen, Einfluss auf ihr Handeln zu nehmen. Zu unterscheiden sind die Probleme ausgehend von der Region, in der diese passieren, sowie von den Akteuren, die für diese Probleme verantwortlich sind. Der Diskussion der Pressefreiheit im Vergleich zwischen Israel, der Westbank und dem Gazastreifen wird eine Beschreibung der Bewegungsfreiheit in der Region vorangestellt. 7.2.1 Die Bewegungsfreiheit Entscheidend für die Bewegungsfreiheit sind die Regularien der israelischen Besatzungsmacht sowie die territoriale Aufteilung der besetzten palästinensischen Gebiete nach den Verträgen von Oslo. Palästinenser sind klar benachteiligt, weil sie nur in ihrer Heimatregion, entweder dem Gazastreifen oder der Westbank, arbeiten dürfen. Nur palästinensische Fotoreporter mit israelischer ID genießen Bewegungsfreiheit sowohl in Israel als auch der Westbank. Während internationale Fotoreporter in der Westbank die volle Freizügigkeit zwischen den A-, B- und C-Gebieten genießen, ist israelischen Staatsbürgern der Zugang zu den A-Gebieten verboten. Nur wenn sie über eine GPO-Card verfügen, ist ihnen dies erlaubt. Sie müssen jedoch eine Erklärung unterzeichnen, dass sie das Risiko alleine tragen (I19). Für den Zugang zum Gazastreifen brauchen internationale Fotoreporter eine gültige Akkreditierung bei der GPO und der Hamas. Israelischen Fotoreportern wird Zugang zum Gazastreifen von der IDF seit 2005 verwehrt (I14). Zu Zeiten der ersten Intifada und in den 1990er Jahren war der Gazastreifen noch nicht vollständig abgeriegelt und ein freieres Reisen zwischen beiden Regionen möglich.



P RESSEFREIHEIT | 317

Abbildung 7: Bewegungsregime der Fotoreporter

Quelle: Eigene Darstellung

Grundsätzlich ist die Bewegungsfreiheit vom Faktor der Potenzialität gekennzeichnet. An dieser Stelle soll deshalb gefragt werden, wie der Umgang der Fotoreporter der Stichprobe mit der Bewegungsfreiheit aussieht. Vor allem israelische Fotoreporter sind insofern privilegiert gegenüber ihren palästinensischen Kollegen, als sie das Recht besitzen in der Westbank zu arbeiten. Ihr potenzielles Berichterstattungsgebiet ist damit wesentlich größer als das ihrer palästinensischen Kollegen.1 Für

 1

Da es für die Israelis eine Frage der Wahl ist, wird hier ausschließlich deren Perspektive wiedergegeben.



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viele israelische Fotoreporter gehört die Arbeit in der Westbank his heute zum Alltag, wie es Kobi Wolf schildert: „I was in Nablus, I was in Hebron, I was in Ramallah. I’m going there and I feel free.“ (I17) Ähnliche Aussagen gab es auch von anderen Kollegen. Aber nicht allen fällt der Zugang zur Westbank leicht, wie es ein israelischer Angestellter einer internationalen Agentur schildert: „I would rather go around with some other photographers, just because I don’t always know my way and I don’t always know where I’m going.“ (I23) Hier wird deutlich, dass das persönliche Sicherheitsempfinden ein Faktor ist, der im Hinblick auf ihre Arbeit in der Westbank eine zentrale Rolle spielt. Der israelische Fotoreporter Ilya Yefimovich weist des Weiteren auf die Bedeutung der Armee-Erfahrung bei diesem Thema: „I think that it matters to people that served in the army. Today there are many photographers who are afraid or preferring not to go to because they base their experience on what they did in the army.“ (I10) Yefimovich blieb der Militärdienst aufgrund seiner Immigration nach Israel im Erwachsehnenalter erspart, was ihm einen unvoreingenommeneren Zugang zur Westbank verschafft. Fotoreporter, die sich entscheiden in der Westbank zu arbeiten, verfügen damit über einen Erfahrungsraum, den sie nicht mit der Mehrheit der israelischen Bevölkerung teilen können. Schwieriger als in der Westbank sieht die Situation auf den Gazastreifen bezogen aus. Israelische Fotoreporter haben heute keine Chance dort zu arbeiten. Welche Bedeutung die Arbeit im Gazastreifen für israelische Fotoreporter in der Vergangenheit hatte, beschreibt anschaulich die israelische Fotoreporterin Rina Castelnuovo, die für die „New York Times“ arbeitet: „I did until 2006. Because then we couldn’t cross any more. I’m Israeli, I can’t cross. But until 2006 I worked in Gaza. I worked in Gaza for years. It was almost my main story during the first Intifada.“ (I14) Vom freieren Zugang zwischen den Regionen profitierte nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern auch Fotoreporter und Journalisten. Die Arbeit israelischer Fotoreporter in Gaza war auch deshalb von so großer Bedeutung, weil bis zur Jahrtausendwende im Gazastreifen kaum palästinensische Fotoreporter tätig waren. Mit Beginn der zweiten Intifada wurde der Zugang für Israelis zum Gazastreifen sukzessive eingeschränkt und mit dem Ende des unilateralen Abzugs der Israelis 2005 völlig eingestellt. Bei der Beurteilung der Frage, ob israelische Fotoreporter im Gazastreifen gearbeitet haben, ist zu beachten, welcher Generation von Fotoreportern sie angehören und zu welchem Zeitpunkt sie dort tätig waren. Die Aussage „I worked in Gaza“ kann sowohl implizieren, dass sie in palästinensischen Orten als auch in den jüdischen Siedlungen des Gazastreifens arbeiteten. Insbesondere bei der Generation, die seit der zweiten Intifada den Einstieg in den Beruf fand, ist davon auszugehen, dass sie ausschließlich in den Siedlungen gearbeitet haben. Denn mit Zuspitzung des militärischen Konflikts seit Beginn der zweiten Intifada bis hin zum unilateralen



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Abzug Israels wurde die Situation für Israelis in Gaza immer gefährlicher. Bei den Fotoreportern, die seit den 1990er Jahren in der Region tätig waren, kann dagegen davon ausgegangen werden, dass sie auch außerhalb der Siedlungen im Gazastreifen arbeiteten. Beachtenswert ist auch der Umgang der Arbeitgeber mit der Bewegungsfreiheit. Hier ist ein Blick vor allem auf die Bilderdienste interessant. So sind die institutionellen Praktiken der Nachrichtenagenturen und Medienhäuser entscheidende Faktoren dafür, ob die Fotoreporter ihre Bewegungsfreiheit im Berichterstattungsgebiet ausnutzen können. Von diesen hängt ab, wo in der Region welche Fotoreporter arbeiten. Während israelische Freelancer und Mitglieder von Fotoagenturen weiterhin in verschiedenen Regionen der Westbank arbeiten, sind israelische Fotoreporter der Wire immer weniger dort unterwegs, wie es Menahem Kahane schildert: „There is a big change lately. In former times we used to go everywhere, covering Gaza, Nablus and Hebron. Today we are going less because they established some kind of border and we are not allowed to go here and there. [...] The second thing is hat we have photographers based in the Palestinian Territories. They are doing a good job, good photographers, very talented people. [...] In the Westbank I can go to many places. But still I don’t have to go because we have enough people. When it is a major story and it’s really important and they need a backup I would go. Or maybe if it is a story, then it will be easier for me to go in because of the army or the settlers or maybe I have a better contact.“ (I24)

Für lange Zeit gehörte es zum Arbeitsalltag israelischer Nachrichtenfotografen, in der Westbank wie im Gazastreifen zu arbeiten. Heute arbeiten israelische Nachrichtenfotografen immer weniger auf Seiten der Palästinenser. Sie bezeichnen das wie der für AFP tätige Menahem Kahane als einen „big change“, da diese Regionen früher für sie die wichtigsten Arbeitsgebiete waren. Da den israelischen Fotoreportern rein rechtlich immer noch der Zugang zur Westbank offensteht und sie darüber hinaus in der Regel gute Erfahrungen bei der Arbeit dort gemacht haben, sind die Gründe für diesen Wechsel vor allem innerhalb der Agenturen zu suchen. Ein Aspekt ist dabei der Aufbau palästinensischer Mitarbeiterstäbe, die geografisch die Westbank gut abdecken. Dies macht die Arbeit israelischer Fotoreporter in der Region zu einem gewissen Grad obsolet. Die israelischen Fotoreporter beschrieben diese Situation damit, dass es ausreichend palästinensische Kollegen vor Ort gäbe, die wüssten, was zu tun sei, einen guten Job machten und keine Hilfe benötigen würden. Eine bessere Organisation der Arbeitsprozesse in den Agenturen wurde genannt, um zu beschreiben, wie die territoriale Aufteilung die Routinen verändert hat. Darüber hinaus berichteten die israelischen Fotoreporter, dass die Agenturen auch Sicherheitsbedenken ins Feld geführt hätten und immer seltener die Erlaubnis zur Arbeit in den palästinensischen Gebieten



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erteilen würden. Dabei bezieht sich dies vor allem auf die Arbeit in den AGebieten. Es gibt jedoch weiterhin Momente, in denen israelische Fotoreporter auch in der Westbank arbeiten. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein wichtiges Ereignis aus verschiedenen Perspektiven dokumentiert werden soll, beispielsweise von Seiten der israelischen Soldaten und der palästinensischen Demonstranten. Auch wenn die palästinensischen Kollegen Unterstützung brauchen, sind die israelischen und ebenso die internationalen Fotoreporter zur Stelle. Darüber hinaus arbeiten Israelis in der Westbank, wenn es um israelische Akteure geht, zu denen sie qua ihrer Nationalität einen besseren Zugang haben, wie bei jüdischen Siedlern, der israelischen Armee oder bestimmten Ereignissen in den C-Gebieten. Eine Besonderheit ist, dass die israelischen Nachrichtenfotografen, wenn sie in der Westbank tätig sind, dort in der Regel als Gruppe arbeiten. Aufschlussreich ist es, sich die Argumente anzuschauen, mit denen die israelischen Fotoreporter diesen Wechsel in ihren Arbeitsroutinen und den – zumindest teilweisen – Verlust ihres zentralen Berichterstattungsgebietes rechtfertigen. So finden sich zum einen Argumente, dass die Palästinenser besser über ihre Seite berichten können, da es ihre Region sei und sie besseren Zugang zu Menschen und Orten besitzen würden. Interessant ist hier, dass dieses Argument die israelischen Fotoreporter über viele Jahre nicht davon abgehalten hat, ohne die Präsenz palästinensischer Kollegen das Berichterstattungsmonopol in der Westbank und im Gazastreifen innezuhaben. Darüber hinaus bezeichnen Fotoreporter die palästinensischen Gebiete als ein anderes Land und rechtfertigen damit, dass sie dort nicht mehr arbeiten können. Sehr deutlich formuliert dies ein für Reuters tätiger israelischer Fotoreporter: „Long time ago I put in my mind a line, this is a different country and that’s it. I cannot shoot everything. I would be happy to go in the Westbank and shoot Ramallah and Nablus, but I cannot do that.“ (I27) Die Folgen davon sind, dass die israelischen und palästinensischen Fotoreporter oft an völlig unterschiedlichen Themen arbeiten. Viele der Themen, die ein Palästinenser in der Westbank fotografiert, würden die israelischen Kollegen nicht bearbeiten. Im weiteren Sinn hat dies zur Folge, dass Israelis immer weniger die Ereignisse fotografieren, die dem alltäglichen Geschehen des Konflikts zuzurechnen sind. Nur wenn es gewalthaltige Ereignisse in Israel gibt, wenn Ereignisse in der Westbank eine gewissen Bedeutung haben oder wenn der Konflikt in Richtung kriegerischer Auseinandersetzungen eskaliert, wird dies erneut zum Thema der israelischen Nachrichtenfotografen. Ansonsten sind sie eher mit Themen in Israel und dem diplomatischen Alltag in Jerusalem beschäftigt. Bei den israelischen und internationalen Dokumentarfotografen spielt die institutionelle Praxis eine wesentlich geringere Rolle, da sie als Freelancer weniger von redaktionellen Entscheidungen vor Ort abhängig sind. Ihre Themen setzen sie oft

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selbst. Sie nutzen dabei weitestgehend den ihnen zur Verfügung stehenden Bewegungsspielraum und bearbeiten Themen quer durch die Berichterstattungsregion. Da darüber hinaus viele internationale Medien langjährige Arbeitsbeziehungen zu israelischen Fotoreportern als foreign foreign correspondents pflegen, decken diese meist auch das gesamte ihnen zugängliche Territorium inklusive der Westbank ab. Dies schließt auch Themen mit ein, zu denen ein palästinensischer Fotoreporter möglicherweise einfacher Zugang hätte. So berichtete ein israelischer Fotoreporter, der seit langen Jahren für ein deutsches Nachrichtenmagazin tätig ist, dass er selbst Interview- und Fototermine mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas abdecke. Nur im Gazastreifen kann er aufgrund der Restriktionen der israelischen Armee nicht tätig werden. 7.2.2 Die Situation in Israel Wer professionell als Fotoreporter in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten arbeiten und auch Zugang zu offiziellen Ereignissen bekommen möchte, ist auf eine GPO-Card angewiesen (siehe Kapitel 4.2.5). Dabei sind mit dem Erhalt des Presseausweises einige Hürden verbunden. Vor allem in Israel lebende palästinensische und arabische Fotoreporter beklagen hier eine systematische Benachteiligung (I19). Ihr Antrag auf einen Presseausweis der GPO muss vom israelischen Inlandsgeheimdienst „Shabak“ genehmigt werden (I19). Der für die israelische Tageszeitung „Yediot Aharonot“ arbeitende Ost-Jerusalemer Fotoreporter Atta Awissat erzählte, dass ihm über 40 Tage die Aushändigung seines Presseausweises aus politischen Gründen verweigert wurde (I28). Erst starker Druck der Redaktion und seiner Kollegen machte die Aushändigung möglich. Aber auch israelische Fotoreporter können Probleme bekommen, wenn die GPO der Ansicht ist, dass ihre Arbeit zu politisch ist, wie es den israelischen Mitgliedern des Kollektivs „Activestills“ widerfuhr (I09). Für internationale Freelancer ist es schwierig, eine GPOCard zu bekommen, wenn sie über kein festes Assignment verfügen oder ihren festen Wohnsitz in der Westbank haben. Teil der GPO-Regularien ist, die eigenen Bilder dem miliary censor vorzulegen. Wie die Fotoreporter schilderten, wird dies in der Praxis jedoch meist nicht getan. Und wenn dies passiert, so werden höchst selten Bilder zensiert. Eine größere Rolle spielt der military censor entweder im Fall eskalierter militärischer Konflikte oder wenn Journalisten und Fotoreporter embedded die IDF begleiten. In diesem Fall berichtete Ziv Koren, dass einige seiner Bilder zensiert wurden, weil sie besondere militärische Ausrüstungsgegenstände zeigten (I05). Es ging dabei also vor allem darum, die Weitergabe militärisch verwertbarer Informationen zu verhindern. Für dieses Vorgehen findet sich Verständnis auf Seiten der Fotoreporter, da es so Ziv Koren „no restrictions on the content“ (I08) gibt.



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Beschwerden gegenüber der GPO gibt es auch hinsichtlich des Umfangs der Sicherheitskontrollen, die trotz des Presseausweises auf die Fotoreporter zukommen (I08), die als übertrieben geschildert werden. Was dies in der Praxis bedeuten kann, schildert der arabische Fotoreporter Safadi Atef: „If I go covering the Israeli Prime Minister I have to be there 2 hours before. I have to take an intensive security check, which Israeli Jews will not pass. They don’t pass this. But for any Arab that goes there it is a nightmare. [...]You know that the one in front of you from the Israeli Security is racist.“ (I19) Für Atef und seine in Israel arbeitenden palästinensischen Kollegen stellt dies eine alltägliche Erfahrung von Diskriminierung dar. Die Gründe liegen hier in seiner Nationalität und seiner Religion. Dass er sich für den Erhalt der GPO-Card bereits einem besonderen Sicherheitscheck unterziehen musste, ändert nichts an der alltäglichen Praxis bei offiziellen Ereignissen. Eine andere Form der Zugangsbeschränkung ist das Pool-System, für das die GPO und die FPA verantwortlich zeichnen. Einschränkungen dieser Art gab es beispielsweise bei großen politischen Ereignissen, wie der „Gaza Flotilla“ oder der Rückführung des entführten Soldaten Gilad Shalit2 nach Israel (I15). Einige Fotoreporter, wie der israelische Fotoreporter Nati Shohat, sehen in den Pools eine Aushebelung des freien Marktzugangs: „I hate the pools. There’s no competition in the pools. I want competition because I want to see who makes the best picture in the same turns. That’s what I want to see.“ (I21) Nati Shohat ist neben der eigenen fotojournalistischen Arbeit Eigentümer der Agentur „Flash90“. Aus seiner Perspektive ist es nachvollziehbar, dass die Pools die freie Konkurrenz behindern. Ein anderer israelischer Fotoreporter sieht dagegen auch positive Aspekte der Pools hinsichtlich der Kontrolle der Fotoreporter: „You can’t have 100 photographers charging to the Supreme Court and let them do whatever they want. Because it would end very badly. So you have to put them in lines. Photographers are not necessarily the kindest people on earth and not necessarily the most polite ones. Because if they need a picture they would usually do anything in their power to get it.“ (I06)

Die Begründung dieses Fotoreporters folgt vor allem sicherheitsrelevanten Aspekten. Die Kontrolle einer großen Gruppe von Menschen ist tatsächlich schwierig und nur durch eine Kontrolle des Zugangs lässt sich zum einen eine Arbeitsatmosphäre schaffen, zum anderen bringt sie den Menschen Schutz, die im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen.

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Der israelische Soldat Gilad Shalit wurde 2006 von einer palästinensischen Widerstandsgruppe aus dem Gazastreifen bei einem Angriff auf den Grenzstreifen zu Israel entführt. Er war mehrere Jahre in Geiselhaft bevor er 2011 im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freikam.



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Eine Fotoreporterin berichtet am Beispiel der Pools für die Begleitung israelischer Truppen bei der Erstürmung der „Gaza Flotilla“ auch von politischen Kriterien, nach denen Fotoreporter ausgewählt werden: „For the pool they were taking for the foreign press, the poor person had to be Israeli and had to have served in the Army. [...] That was the criteria. That knocked out so many people that are members of the Foreign Press Association. Why should it be someone that served in the army and is Israeli for the Pool of the Foreign Press?“ (I04)

An diesem Fall ist sehr deutlich zu sehen, dass die Kriterien für die Aufstellung der Pools nicht nur journalistischen Kriterien entsprachen, sondern die FPA hier den von der IDF vorgegebenen Richtlinien folgte. Die amerikanische Fotoreporterin kritisiert, dass dies viele Mitglieder des internationalen Pressekorps in Israel vom Pool ausschloss, und sie stellt in Frage, warum das Kriterium der Ableistung des Militärdienstes in der israelischen Armee an ausländische Fotoreporter angelegt wird. Wie selbst diejenigen Fotoreporter, die einen Platz im Pool bekommen hatten, an der Berichterstattung gehindert wurden, schilderte ein israelischer Fotoreporter: „I was shooting a pool for the foreign media, newspapers and agencies. I was on a ship right in front of the Flotilla when it happened. They (IDF, Anm. d. A.) had pictured a scenario where these Israeli soldiers would get on the boat, rescue the people, get the ship and it’s all safely managed. Once they realize that it’s not happening they just took us off the boat and inside the boat, instead of letting us take the pictures.“ (I23)

Hier zeigt sich, dass die Präsenz von Journalisten und Fotoreportern so lange geduldet wurde, wie die Operation im Sinne der israelischen Armee verlief. Wenn Journalisten embedded arbeiten, sind sie diesen Entscheidungen machtlos ausgeliefert. Begründet werden diese sie in der Regel mit Sicherheitsproblemen. Größere Probleme gibt es, wenn die Konfliktlage eskaliert und kriegerische Formen annimmt. In diesen Fällen beklagen die Fotoreporter, dass der Zugang zu den Ereignissen erschwert wird (I04). Dafür greift die israelische Armee auf die Einrichtung von closed military zones zurück (I05). Die letzte massive kriegerische Auseinandersetzung vor der Durchführung der Feldforschung im Winter 2011/2012 war der Krieg zum Jahreswechsel 2008/2009 zwischen dem israelischen Staat und der Hamas. Die israelische Armee riegelte während der kompletten Zeit der militärischen Auseinandersetzung den Gazastreifen hermetisch ab. Selbst auf israelischer Seite der Grenze wurde eine Sicherheitszone eingerichtet, die Journalisten nicht betreten durften. Das schon für israelische Journalisten existierende Einreiseverbot in den Gazastreifen wurde auch auf internationale Journalisten ausgedehnt. Für die meisten Fotoreporter, insbesondere diejenigen, die wie die amerikanische Fotore-



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porterin Heide Levine einen Großteil ihres Lebens mit der Dokumentation des Konflikts von Gaza aus verbracht haben, war diese Abriegelung völlig unverständlich und extrem frustrierend: „I couldn’t get into Gaza and it was the first time I wasn’t allowed to go somewhere and no matter how hard I tried - I have never really taken a No for a No - but this time you really couldn’t cross that border without getting killed and that was really frustrating.“ (I16) So war der einzige Ausweg die Arbeit auf der israelischen Seite der Grenze, während es im Gazastreifen die palästinensischen Kollegen waren, die dort die Folgen des Krieges dokumentierten. War es noch im Libanonkrieg im Sommer 2006 möglich gewesen, embedded mit der israelischen Armee die Kampfhandlungen zu dokumentieren (I10), so waren im Gazakrieg selbst für israelische Journalisten alle Türen zum Schlachtfeld verschlossen. So mussten die Fotoreporter, selbst um Bilder aus dem Grenzstreifen anzufertigen, diverse Tricks anwenden: „I needed to disguise myself into a farmer and rent a pickup truck so I’ll be able to drive to the border and get down to a spot instead of being able to you know, take pictures and do your work you have to run away from the army that follows you everywhere and doesn’t really want you to take the picture.“ (I23)

Was hier beschrieben wird, ist eine Art „Katz-und-Maus-Spiel“ mit der israelischen Armee, um wenigstens vom Grenzstreifen aus Bilder des Gazastreifens oder israelischer Einheiten machen zu können. Auf diesen Bildern war letztlich jedoch auch nicht mehr zu sehen als israelische Einheiten beim Warten oder beim Einmarsch und Bilder von Explosionen aus der Distanz. Internationale in Israel tätige Fotoreporter berichten darüber hinaus von Problemen, Zugang zur IDF zu bekommen (I04). Darüber hinaus ist vor allem die Visa-Situation für Freelancer und Berufseinsteiger problematisch. Das bedeutet in der Regel das Arbeiten mit einem prekären Aufenthaltsstatus mit einem Touristenvisum. Darüber hinaus gibt es Beschwerden internationaler Fotoreporter über exzessive Sicherheitskontrollen bei der Ein- und Ausreise nach Israel. Dies verstärkt sich, wenn sich der Status der internationalen Fotoreporter beispielsweise durch die Heirat mit einem Palästinenser verändert (I36). In diesem Fall wird ihnen auch der Zugang in den Gazastreifen verwehrt, auch wenn sie über einen internationalen Pass verfügen. Palästinensische Fotoreporter mit israelischer ID beklagen sich auch über exzessive Sicherheitskontrollen bei der Ein- und Ausreise ins Land (I32). Sie sehen sich darüber hinaus systematisch exzessiven Polizeikontrollen ausgesetzt, auch wenn diese nicht in Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit stehen, wie der Ost-Jerusalemer Fotoreporter Atta Awissat:



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„My problem is [...] with the whole institution. Even if I commit a traffic violation the police will check my information and know who I am and then the police officer will harass me. Such assaults could also happen at a checkpoint under the rain, when a border control would stop me and recognize me. Then he would ask me to open the doors and let my children go out of the car and start checking the car pretending that this is the legal procedure. But in fact, he only wants to provoke me personally. These things happen very often. They always tell you: if you don’t like it, go to court.“ (I28)

Awissat beklagt hier, dass er, auch wenn er nicht in journalistischer Funktion unterwegs ist, systematisch kontrolliert wird. Die Gründe für die Probleme, die ihm die israelische Polizei bereitet, sieht er in seiner fotojournalistischen Arbeit. Seitdem er mit einem Foto die bewusste Aggression von Polizisten gegen palästinensische Kinder nachweisen konnte, sieht er sich auf der „Abschussliste“ der Polizei, da er die Institution öffentlich der Lüge bezichtigte. Mit großen Problemen verbunden ist auch die Arbeit im Umfeld öffentlicher Veranstaltungen orthodoxer Juden. Sowohl israelische wie internationale Fotoreporter berichten davon, angespuckt worden zu sein (I34/37). Darüber hinaus sind sie der Gefahr körperlicher Übergriffe ausgesetzt. Wie die konkreten Probleme aussehen, wenn die Fotoreporter trotzdem versuchen, Aktivitäten der ultraorthodoxen Juden zu dokumentieren, schildert eine amerikanische Fotoreporterin: „Every photographer that has to deal with Ultra-Orthodox has been spit on, they tried to break their cameras, so that’s different. But when it comes to rallies or funerals or anything like that, just forget it. There is no way that a woman is being able to cover that. [...] There was like the school issue that the Israeli court said that had to be integrated with Ashkenazi and another group and they refused. So they held this really big rally in downtown Jerusalem and then they walked to the court house and when they first gathered, it was impossible to be down in the crowd because I was instantly yelled at and screamed at and kind of ganged up on.“ (I37)

Hier wird deutlich, wie schwer der Umgang mit den Ultraorthodoxen selbst im öffentlichen Raum ist. Angespuckt zu werden ist eine erniedrigende Erfahrung, der Fotoreporter sich ungern aussetzen möchten. Das Anspucken ist dabei ein Zeichen tiefster Missachtung. Weniger Probleme scheinen Palästinenser zu haben, die aufgrund ihrer muslimischen Religion von den orthodoxen Juden eher als Berichterstatter akzeptiert werden. Bei der Arbeit in Israel haben die Fotoreporter - anders als in der Westbank weniger mit der israelischen Armee als mit der israelischen Polizei zu tun. Ein israelischer Fotoreporter schildert, wie auch die israelische Polizei von Zeit zu Zeit als ein Akteur auftritt, der die Berichterstattung erschwert:



326 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT „I am allowed to go into Silwan as a journalist unless they have a special order to block me. But still any policemen would stop me and tell me that I am not allowed to go. By law I am allowed to go and he is not allowed to stop me. And he is supposed to keep the law. But you cannot argue just with a stupid policeman that decides that you are not allowed to go. Or there is his officer that doesn’t know. So I have to call the spokesman of the police to talk to him until he finds out who is the officer that gave the order, it takes half an hour and the incident is gone already. So they prevent me from doing my work.“ (I06)

Beispiele wie dieses zeigen, wie es auch kleine Alltagsprobleme sein können, welche die Arbeit der Fotoreporter erschweren. Auch wenn es sich bei Fällen wie den hier geschilderten möglicherweise nicht um eine systematische Behinderung journalistischer Arbeit handelt, so fördern doch das Unwissen oder der Unwille der Polizisten einerseits sowie ein möglicher Machtmissbrauch andererseits, dass die Arbeit der Fotoreporter erschwert wird. Dass sich die Fotoreporter in der Regel nach aufwendigen Telefonaten Zugang verschaffen können, spricht einerseits für bestehende Beschwerdemechanismen innerhalb der Polizei. Andererseits sind die Ereignisse, die der Fotoreporter dokumentieren wollte, dann oft vorbei, so dass eine Berichterstattung letztlich verhindert wurde. 7.2.3 Die Situation in der Westbank und in Ost-Jerusalem Die Situation in der palästinensischen Westbank ist insofern sehr kompliziert, als dort sowohl die israelische Armee als Besatzungsmacht wie auch die palästinensischen Behörden in den Autonomiegebieten für die Sicherheit zuständig sind. Während die PA die A-Gebiete kontrolliert, stehen die B- und C-Gebiete unter israelischer Kontrolle. Der wichtigste Akteur ist jedoch die israelische Besatzungsmacht, da sie in der Region die völlige territoriale Kontrolle ausübt. So dringen die israelischen Sicherheitskräfte bei militärischen Operationen immer wieder auch in AGebiete ein. Ein probates Mittel der israelischen Armee besteht auch in der Westbank im Einrichten von closed military zones, wovon lokale wie internationale Fotoreporter gleichermaßen betroffen sind. Das größte Problem für die palästinensischen Fotoreporter stellen jedoch die in der Westbank verstreuten festen und mobilen Checkpoints dar, die ihre Bewegungsfreiheit stark einschränken. Durch die temporäre Öffnung einiger Checkpoints in den letzten Jahren hat sich die Situation jedoch leicht entspannt. Theoretisch soll eine Akkreditierung bei der FPA den palästinensischen Fotoreportern die Arbeit in den C-Gebieten der Westbank erleichtern. Dass dies nicht immer der Fall ist, schildert der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri:



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„The Israeli army deals with Israeli media in a different way than us. If I meet with an Israeli photographer holding the FPA card and we show both cards, maybe the soldier will look at him and say you can work, but tell me you can’t work. I face this many times recently in Qalandia checkpoint. It is AREA C in the Westbank.“ (I18)

Qalandia ist einer der wichtigsten Übergänge zwischen der Westbank und Israel. An diesem Knotenpunkt finden immer wieder Auseinandersetzungen statt, bei deren Dokumentation sich Arouri trotz Akkreditierung behindert sieht. Darüber hinaus berichten palästinensische Fotoreporter von willkürlichen Verhaftungen, dem Konfiszieren von Kameras sowie dem Beschuss durch Gummigeschosse und Tränengas bei Demonstrationen (I15). Noch etwas deutlicher bringt dies der palästinensische Fotoreporter Nasser Shiyoukhi, ausgehend von seinen Erfahrungen in der Westbank, auf den Punkt: „The Israeli Authorities and the Army, they don’t see us as journalists. They see us as Palestinians, even if we have all kinds of accreditation that says that we are journalists working with an international agency and not with the local media. But we are always victims as being Palestinians.“ (I20)

Egal welche Akkreditierungen Shiyoukhi vorweist, an seinem Status ändert dies nichts: Für die Sicherheitskräfte ist er erst einmal ein Palästinenser und kein Journalist. Ähnlich äußerte sich der Palästinenser Fadi Arouri: „The Israeli army they deals with the Israeli media in different way than us“ (I18). Und auch sein Kollege Alaa Badarneh stellt sich die Frage ob er aufgrund seiner Nationalität zur Zielscheibe wird: „Is it because we are Palestinians?“ (I15) Dies bedeutet, dass palästinensische Fotoreporter in ihrem Arbeitsalltag regelmäßig diskriminierenden und rassistischen Praktiken ausgesetzt sind. Damit wird nicht nur das Recht auf Informationsfreiheit verletzt, sondern darüber hinaus auch gegen den international verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, der Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht etc. verbietet. Einen wichtigen Pfeiler in der Arbeit der Fotoreporter in der Westbank stellt die Dokumentation von Demonstrationen dar. Eine große Gefahr geht dabei für die Demonstranten wie für die Fotoreporter vom exzessiven Tränengasgebrauch aus: „First of all the level of tear gas that is used in demonstrations has really increased to a level that it was just impossible to continue photographing without a gas mask. [...] You find yourself in the middle of clouds of teargas and we know it can be very dangerous. Some people fainted and got to the hospital. And in Bilin a Palestinian woman even died following tear gas inhalation. So it is not just an issue of being able to take pictures, it is an issue of safety. And we know that they are using different tear gases. Because sometimes the effect that you feel is



328 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT totally different. Sometimes it is not so strong, and sometimes it really burns your skin and it is really terrible.“ (I12)

Wie die Aussage der französischen Fotoreporterin Anne Paq zeigt, stellt das Gas ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko dar, vor allem wegen seiner starken Dosierung. Dies bestätigt der palästinensische Fotoreporter Safadi Atef: „I am not sure, I am not an expert, but I think they changed the level of the gas they use against the demonstrators. Sometimes there is some gas you cannot breathe.“ (I19) Dies deckt sich mit den Beobachtungen im Jahresbericht 2012 der „Office for the Coordination of Humanitarian Affairs“ (OCHA), die davon sprechen, dass Tränengas zum primären Mittel der IDF beim sogenannten crowd control auf Demonstrationen geworden sei (vgl. OCHA 2012: 7). Damit einher geht ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, das sich auch an einer höheren Zahl von Verletzten zeigt. Viele der befragten Fotoreporter wurden mehrfach durch direkten Beschuss der israelischen Armee verletzt, vor allem durch Gummigeschosse (I24). Der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri wurde 2009 bei einem Einsatz der israelischen Armee im Zentrum von Ramallah durch Live-Munition verletzt und war danach mehrere Wochen hospitalisiert (I18). Arouri beklagt auch, nur schlechten Zugang zu Informationen israelischer Behörden zu bekommen und diesbezüglich gegenüber seinen israelischen Kollegen benachteiligt zu sein (I18). Lokale palästinensische Medien wurden des Weiteren in den letzten Jahren immer wieder zum Ziel nächtlicher Durchsuchungsaktionen der IDF, in deren Rahmen Equipment zerstört und konfisziert wurde. Nach Angaben der palästinensischen Fotoreporter verhalten sich die palästinensischen Sicherheitsorgane so lange kooperativ, wie der Berichterstattungsanlass die israelische Besatzung ist (I01/19). Sobald es jedoch um interne palästinensische Angelegenheiten geht, verstärken sich die Probleme. Insbesondere bei der Dokumentation regierungskritischer Demonstrationen berichten palästinensische Fotoreporter davon, geschlagen zu werden, vom Konfiszieren der Kameras und willkürlichen Verhaftungen (I19/20). Insbesondere die innere Spaltung zwischen Hamas und Fatah und die Teilung von Westbank und Gazastreifen hat diese Tendenzen verstärkt. Was die israelischen und internationalen Fotoreporter angeht, so wurden dem Autor keine Übergriffe von palästinensischen Sicherheitsorganen geschildert. Aber ähnlich wie ihre palästinensischen Kollegen haben sie Probleme bei der Dokumentation regierungskritischer Demonstrationen, werden jedoch weniger rüde behandelt. Darüber hinaus wurden einige Einzelfälle geschildert, bei denen die palästinensische Polizei Fotoreporter aufgrund vermeintlich fehlender Genehmigungen das Fotografieren verboten hat (I06). Neben der israelischen Besatzungsmacht und palästinensischen Sicherheitsorganen sind die Fotoreporter in der Westbank auch mit radikalen jüdischen Siedlergruppen konfrontiert. Fotoreporter berichten davon, dass sich der Zugang zu den



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Siedlungen zum Teil sehr schwierig gestaltet (I10). Palästinensern ohne israelische ID ist der Zugang komplett verwehrt (I19). Darüber hinaus besteht vor allem bei der Berichterstattung über Demonstrationen die Gefahr, tätlich angegriffen zu werden. Ein großes Risiko vor allem für palästinensische Fotoreporter besteht darin, von der israelischen Armee als Terroristen gesuchte Mitglieder lokaler Widerstandsgruppen zu treffen, da man sie dann der Kollaboration bezichtigen könnte (I20). Palästinensische Fotoreporter aus der Westbank oder dem Gazastreifen haben kaum legale Möglichkeit, in Israel zu arbeiten. Sie können höchstens Sondergenehmigungen für einen Kurzbesuch in Israel beantragen. Eine weitere Hürde für palästinensische Fotoreporter eine Reisegenehmigung für Israel zu erlangen, entsteht dann, wenn sie bei Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee verletzt wurden, wie es der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri schildert: „Well after I got injured until today I’m banned from going to Israel. It is because of security reasons for them. They say ‚You might want to take revenge because we shot you‘. So I’m banned from going there. I just went there once when I got a price in world press photo Israel and Palestine and the Perez Center for Peace gave me a permission for that, just for a few hours.“ (I18)

Arouri wurde von einem Blindgänger bei militärischen Auseinandersetzungen in Ramallah verletzt und verbrachte mehrere Monate in einem israelischen Krankenhaus. Abgesehen von der geschilderten Ausnahme hat diese seine Möglichkeit, eine Genehmigung für den Besuch Israels zu bekommen, immens erschwert. Er wird, egal ob Journalist oder nicht, als Palästinenser geführt, der potentiell Israel gefährlich werden könnte. Es gibt nur wenige israelische Organisationen – wie das „Perez Center for Peace“ – mit guten Kontakten zur IDF, die trotz allem Ausnahmegenehmigungen für kurze Zeit erwirken können. Probleme und Gefahren für jüdisch-israelische Fotoreporter können noch von ganz anderer Seite entstehen. Vor allem das politische Klima in einigen OstJerusalemer Stadtteilen ist extrem angespannt und kann sich bei Demonstrationen, auch gegen sie als israelische Fotoreporter richten. Einen konkreten Fall schildert Ahmed Gharabli: „Maybe eight months ago I was in Ras Al-Amud and there were big clashes about Al-Aqsa. A lot of Israeli photographers were there. Suddenly somebody said these guys are not photographers, they are undercover police. And the Palestinians started to fight with them. But I knew these photographers. One was from Reuters, the other from Flash 90 and there was someone from the Jerusalem Post. I didn’t know him, he was not a photographer but a print journalist. He was there and the Palestinian jumped on him and wanted to kill him. I stopped him and I told him ‚I know all these people, this is photographer, this is a journalist, I know



330 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT them. If you need anything – I was speaking with him in Arabic – come and talk with me‘. Somebody came and asked me which family I am. I told him that I am from Gharabli family. He told me I know your family, you are ok. And he said ‚Hallas, if you know them this is no problem‘.“ (I32)

Der palästinensische Stringer von AFP aus Ost-Jerusalem musste hier seinen jüdisch-israelischen Kollegen zu Hilfe kommen. Hier zeigt sich die Brisanz der politischen Situation, die vor aufgrund der Konflikte mit jüdischen Siedlern in OstJerusalem hochexplosiv ist. Es kommt dort immer wieder zu Protesten vor allem Jugendlicher Palästinenser gegen die israelische Besatzung und die jüdischen Siedlungen. Um vermeintliche Rädelsführer zu finden, nutzt die israelische Polizei Undercover Agenten, die sich unter die Demonstranten mischen und Festnahmen durchführen.3 Ihr Einsatz hat zur Folge, dass es ein immenses Misstrauen unter den palästinensischen Demonstranten gegenüber jüdischen Israelis gibt, was sich auf Journalisten überträgt und das von Gharabli geschilderte Gefahrenpotential erzeugt. 7.2.4 Die Situation im Gazastreifen Auch wenn die israelische Armee mit dem unilateralen Abzug im Jahr 2005 offiziell den Gazastreifen verlassen hat, ist der Besatzungszustand aufgrund der israelischen Kontrolle der Grenzübergänge zu Land und zu See sowie des Luftraums weiterhin gegeben. Palästinensische Fotoreporter berichten von großen Risiken vor allem bei der Arbeit am Rande der Sicherheitszone, die Israel im Grenzgebiet des Gazastreifens deklariert hat (I39). So darf sich von Seiten Gazas niemand um mehr als 1 bis 1,5 Kilometer den Grenzanlagen nähern (vgl. OCHA 2012: 34). Aber auch bei der Arbeit außerhalb dieser Zone sehen sich Fotoreporter dem Risiko ausgesetzt, direkt beschossen zu werden. Auf diese Art kam im Jahr 2007 ein palästinensischer Reuters-Angestellter ums Leben (I39). Ein weiteres Risiko, sowohl für palästinensische als auch für internationale Fotoreporter, stellt die von Israel angewandte Praxis des targeted killing dar. Das Risiko besteht entweder darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, oder eine Person zu fotografieren, die auf der Abschussliste Israels steht. Darüber hinaus laufen lokale palästinensische Fotoreporter Gefahr, aufgrund ihrer Tätigkeit für der Hamas nahestehende Medien getötet

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Die ist z. B. im einem Video des israelischen Fotoreporters Nati Shohat zu sehen: https:// www.youtube.com/watch?v=7iS3BmljBic



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zu werden. So wurden im November 2012 zwei Fotoreporter von der israelischen Armee getötet (vgl. IFJ 2013).4 Seit dem Jahr 2011 müssen sich internationale Fotoreporter, die im Gazastreifen arbeiten wollen, vor der Einreise bei den Behörden der Hamas registrieren und einen lokalen Kontakt nachweisen. Dies ist unabhängig von den Regelungen der israelischen Besatzungsmacht. Internationale Fotoreporter berichten auch von Problemen mit der Polizei beim Arbeiten im öffentlichen Raum und von willkürlichen Verhaftungen. Anders als in der Westbank bekommen auch internationale Fotoreporter immer wieder Probleme mit den Sicherheitskräften der Hamas, wie es der italienische Fotoreporter Alessandro Gandolfi berichtet: „After three or four days Hamas people arrested me for a couple of hours because I was taking pictures of women on the beach at sunset. Two persons arrived close to me and asked me what I was doing. Very gently they asked me to go with them and then they took me to the police station for a couple of hours. I was a little bit afraid because I was alone. But then Safouad, the man who was my local fixer, came to the police station and tried to convince the chief of the local police to let me free. Because Safouad is a journalist as well, working for the Italian press agency Ansa. So he told them that if I will not be free in an hour he would write that there was an Italian journalist in jail in Gaza. So they let me free in a couple of hours.“ (I29)

Gandolfi konnte die Situation nur mit Hilfe seines lokalen Fixers lösen. Der Fixer musste dazu den lokalen Behörden drohen, den Fall öffentlich zu machen. An diesem Beispiel sieht man, wie wichtig gute lokale Kontakte für die Arbeit der internationalen Fotoreporter sind. Bei Problemen wie den hier geschilderten handelt es sich jedoch meist um zeitlich begrenzte Auseinandersetzungen mit einzelnen Polizisten, deren Handlungen im Großen und Ganzen die Berichterstattung jedoch nicht gefährden. Von ähnlichen Erfahrungen berichtete auch der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters, der mehrere Jahre im Gazastreifen lebte (I30). Meist ist es die Arbeit in der Öffentlichkeit, wie im Fall von Gandolfi am Strand, die mit den Moralvorstellungen der Menschen kollidiert. Internationale Fotoreporter sind darüber hinaus dem Risiko von Entführungen ausgesetzt. Seit 2000 wurden mehrere internationale Fotoreporter im Gazastreifen entführt. Sie kamen jedoch alle wieder frei. Verschärft wurden die Sicherheitsregeln für internationale Journalisten im Gazastreifen nach der Ermordung des italienischen Medienaktivisten Vittorio Arrigoni im Jahr 2011 (vgl.

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Am Anfang war von drei Toten die Rede. Die Zahl wurde später von IFJ von drei auf zwei korrigiert, weil nur zwei der drei getöteten einwandfrei eine hauptberufliche journalistische Tätigkeit nachgewiesen werden konnte.



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MADA 2011: 12). So reisten in Folge vor allem die internationalen Angestellten der Wire soweit möglich nur noch für Tagestrips in den Gazastreifen. Von größeren Schwierigkeiten mit der Hamas berichten palästinensische Fotoreporter. So wird immer wieder versucht, den Zugang zu bestimmten Ereignissen zu beschränken. Darüber hinaus sind sie der Gefahr ausgesetzt, dass ihr Equipment beschlagnahmt wird und sie willkürlich verhaftet sowie von den Polizisten geschlagen werden. Auch Mitglieder verbotener Widerstandsgruppen zu treffen ist gefährlich. Die Risiken gehen dabei sowohl von der Hamas und den Gruppen selbst aus als auch von der israelischen Armee. Vermieden wird von den befragten Palästinensern jedoch, direkte Kritik an der Hamas zu äußern. So werden deren Anweisungen eher mit advice (Ratschlag) umschrieben (I33). Der im Gazastreifen lebende Fotoreporter Mohammed Abed fühlt sich dagegen sicher genug die Konfrontation zu suchen: „Hamas Authority approached me many times during my work and prevented me from shooting pictures. But I am not afraid of any one, because it is my city, so I can fight with them, I can speak with them.“ (I39) Oftmals sind es Individuen in politischen Organisationen, die Fotoreportern die Arbeit erlauben, obwohl dies möglicherweise der offiziellen Linie widerspricht. Auf einer Demonstration zum Jahrestag der Gründung der Hamas in Gaza Anfang 2012 wurde der palästinensischen Fotoreporterin Eman Mohammed von einem für die Sicherheit zuständigen weiblichen Kader der Hamas erlaubt, auf einen Stuhl zu steigen, um Bilder der Bühne machen zu können, was den Unmut eines männlichen Sicherheitsbeamten auf sich zog: „I was covering the Hamas anniversary parade. And there was this Niqabi woman, a Hamas supporter and part of the security team they had for women. She helped me to get on top of something like a chair so that I can have a wider angle. And there was this guy who was security as well that rushed towards me when he saw me. He didn’t see her helping me once I was going down he rushed through the crowd to threaten me. It is bad for them if you act this way, but it depends on the mentality of the people you are working with. And to him it was shameful that I did that, but she helped me and they are both the same organization. So that happens a lot. Sometimes you are not allowed to take photos here or there, sometimes you are not allowed to go into this place.“ (I35)

Das Beispiel von Mohammed zeigt, dass innerhalb derselben politischen Organisation Menschen unterschiedliche Ansichten darüber haben, welche Rechte Fotoreporter haben sollten. Möglicherweise war an dieser Stelle das größere Vergehen, dass Mohammed als Frau das Ereignis dokumentierte. In den Verträgen von Oslo wird Palästinensern theoretisch die Möglichkeit zugesichert, sich frei zwischen der Westbank und dem Gazastreifen zu bewegen. Nach dem Bruderkampf zwischen Hamas und Fatah und der Spaltung der palästi-

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nensischen Gebiete hat Israel diese Möglichkeit jedoch stark eingeschränkt. De facto besteht für einen Fotoreporter aus Gaza keine Möglichkeit, in der Westbank zu arbeiten, wie es der AFP Fotoreporter Mohammed Abed beschreibt: „Till now the Israelis are not allowing Gazan Journalists to work in the Westbank and in Jerusalem. [...] It is my dream especially to work in Jerusalem. First I want to see it and to show Jerusalem and the old town there. [...] And also I would like to shoot pictures from AlAqsa and as well from the demonstrations in Bi`lin and pictures from Nablus.“ (I39)

Damit hat ein Fotoreporter, genau so wie jeder andere Bürger Gazas, keine Möglichkeit, sich die für das palästinensische Narrativ wichtigen Orte der Westbank wie die Al-Aqsa Moschee anzuschauen, geschweige denn zu den zentralen politischen – auch innerpalästinensischen – Fragestellungen journalistisch zu arbeiten. Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche: Palästinensische Fotoreporter aus der Westbank bekommen keine Genehmigung, um im Gazastreifen zu arbeiten. Die Westbank unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Gazastreifen unter der Kontrolle der Hamas sind damit aus journalistischer Perspektive praktisch wie zwei getrennte Territorien. 7.2.5 Die Beurteilung der Situation durch die Fotoreporter Was die Einschätzung und die Beurteilung der oben geschilderten Situation hinsichtlich der Pressefreiheit in Israel und den palästinensischen Gebieten angeht, so variieren die Aussagen der Fotoreporter. Zum einen hängt dies meist mit dem Vergleich zusammen, den sie ziehen, zum anderen von ihrem Status in der Region. So beurteilen einige der internationalen Fotoreporter die Arbeit in der Region und den Zugang zum Feld aus einer vergleichenden Perspektive als relativ offen. „Of course there are restrictions but if I wanna compare it to other countries, I think it’s not that restricted as it could be“ (I16), so diesbezüglich die amerikanische Fotoreportern Heidi Levine. Ähnlich drückte sich auch eine amerikanische Angestellte von AP aus: „The general amount of annoyance is so minimal compared to other places and their soldiers.“ (I37) Die Vergleichsgrößen sind dabei meistens andere Krisenregionen, vor allem Libyen oder Ägypten, die aktuell von Bedeutung sind. Auch die Soldaten der israelischen Armee kommen trotz der geschilderten Probleme bei Fotoreportern wie Janos Chiala mit einem relativ milden Urteil davon: „The soldiers on the ground are actually better than most police forces that I have witnessed in my life.“ (I11) Chiala sieht kein systematisches Fehlverhalten der Soldaten und Polizisten auf persönlicher Ebene im Feld. Sein Kollege Oren Ziv sieht den Grund dafür in der Ausbildung der Soldaten: „People are still a target, but I guess less than before, because the IDF is giving courses on how to deal with



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media.“ (I09) Chiala kritisiert statt der individuellen Akteure „the general policy and the general legislational frame and the generational setting (that) is very unfriendly to documentation“ (I11). Auch Oren Ziv sieht das Problem im politischen Umgang mit dem Thema in Israel: „Nobody expects that there won’t be any security, it’s understable in certain situations – not that I support this culture – but the way they use this security issue to terrorize people is censorship on a bigger level.“ (I09) Die vermeintlichen Sicherheitsmaßnahmen werden so zu einem Kontrollinstrument und die Sicherheit der Vorwand für politische Kontrolle. In dieser Hinsicht beobachten einige der dienstältesten Fotoreporter auch eine Veränderung im Feld. So wirft Gali Tibbon den Konfliktparteien, allen voran der IDF, vor, Journalisten bewusst und gezielt zu attackieren: „(F)or many years in the beginning, the camera used to be some kind of an insurance policy. People wouldn’t touch you because you had a camera, and the presence of the camera would even have a positive impact on the soldiers that wouldn’t want to be caught on the camera doing like shitty stuff. Or, let’s say picking up somebody they detained, they wouldn’t do it if there were photographers there.“ (I34)

War die Kamera früher also eine Art Versicherungspolice im Feld, die vor Übergriffen israelischer Sicherheitskräfte schützte, so hat sich die Situation heute drastisch verändert. Dabei ist die interessante Frage, was den Auslöser dafür darstellte. Während die Einen den Bürgerjournalisten und dem vermehrten Aufkommen von Bildern die Schuld geben, hebt Gali Tibbon auf die politischen Umstände ab: „I don’t think there’s like some mega instruction. I think it could be a very local spot of a stupid commander that reads the daily incitements by politicians that all the media is left and anti-Semitic and blah blah blah. I think it’s a result of that more than policy or decision. And when someone has a weapon in his hand, he has the power. And a weapon is always stronger than words or images.“ (I34)

Tibbon sieht die Gründe für die Angriffe denen sie und ihre Kollegen ausgesetzt sind im politischen Diskurs Israels. Ausführlicher wird dieses Thema im Kapitel über das gesellschaftliche Klima der Berichterstattung aufgegriffen (siehe Kapitel 7.4.4). Einen wesentlichen Unterschied im Umgang mit der IDF macht nach Aussagen der befragten Fotoreporter ihre Nationalität und damit verbunden ihr Status im Feld aus. Einige israelische Fotoreporter wie Ilja Jefimovich berichten, dass sie sich auch ein sehr stark konfrontatives Verhalten gegenüber den Sicherheitskräften herausnehmen können:



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„If you are going to go to a checkpoint in Russia you are going to finish your day in a hospital or in a wooden box. It depends on who is standing at the checkpoint. And here you just answer them in a way like ‚Fuck of, there is no closed military zone, I can do whatever I want‘. You stand outside a military base, tanks moving, a soldier comes to you telling you ‚Go away from here, this is an army base‘. You tell him ‚Show me the paper’s‘. In which country can you reply in this way to a soldier, ‚Show me the papers, show me that it is a closed military area‘?“ (I10)

Ähnlich äußert sich auch der israelische Fotoreporter Eddie Gerald: „ You can sometimes even shout at an Israeli commander: ‚Hey, why are you not letting me shoot?‘ You can argue with them and you shout at them. Try to shout at a Russian soldier or in Africa and he will either kick you or shoot at you.“ (I03) Ein verbindendes Element ist dabei, dass die Mehrzahl der israelischen Fotoreporter selbst in der israelischen Armee gedient hat und sie somit sehr genau über die Regeln, die dort gelten, Bescheid wissen. Dazu kommt, dass ein etwas rüderes Vorgehen in der israelischen Gesellschaft keineswegs verpönt ist. Sehr viel drastischer schätzen vor allem die palästinensischen Fotoreporter die Situation in den palästinensischen Gebieten ein. So sieht der in der Westbank lebende Fotoreporter Nasser Shiyoukhi wenig Handlungsspielraum: „Another thing is that you are living in the area. You cannot go and fight them.“ (I20) Aus dieser Antwort spricht die Angst, durch zu starke Kritik oder vehementes Auftreten gegenüber den palästinensischen Behörden Repressionen gegenüber sich selbst oder der eigenen Familie zu provozieren, die kaum kontrollierbar sind. So fällt auch seine Bewertung des Handelns palästinensischer Sicherheitsorgane in der Westbank drastisch aus:„It is like the Arab Regimes, they try to control it from the beginning“ (I20), so Nasser Shiyoukhi. Auch der für EPA tätige Fotoreporter Safadi Atef findet harsche Worte für die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsorgane: „I mean the Palestinian Security are very assholes. Sorry for that. They are very bad people.“ (I19) Die Art und Weise, wie die palästinensischen Sicherheitsbehörden mit den Fotoreportern umgehen, bringt diese paradoxerweise dazu, Probleme mit der israelischen Besatzungsmacht vorzuziehen, wie es Safadi Atef weiter schildert: „Facing a problem with Israeli soldiers, it is much easier than facing problems with Palestinian Security. Because I know the construction of the Israeli Army and the Police. They are soldiers, I know that there are officers behind you and there is the IDF spokesman, there is the Police spokesman. There is a process that you can like find a way to get out of this trouble.“ (I19)

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Die israelische Armee und Polizei erscheint somit als ein stärker demokratisch verfasstes Organ, bei dem es klare Ansagen und Grenzen gibt, aber auch Mittel und Wege, als Journalist auf seine Rechte zu pochen. Bei den palästinensischen Behörden erscheint dies alles mehr oder weniger der Willkür preisgegeben. Bei den israelischen Sicherheitsorganen im Feld kommt dazu, dass diese in der Regel klar ansagen, wo Fotoreporter sich zu platzieren haben oder ob eine closed military zone eingerichtet wurde (I19). Problematisch ist, dass es nach schweren Übergriffen nur wenige Möglichkeiten gibt, dagegen vorzugehen. Zwar ist aufgrund klarer Befehlsketten auf israelischer Seite immer klar, wer der Ansprechpartner für Beschwerden ist, aber selbst wenn dieser Beschwerdeweg mit Hilfe der FPA beschritten wird, hat dies kaum Konsequenzen: „They (FPA) are helping us, but there is nothing in their hand to do. Ok what they do is complain when someone is arrested. They start making calls and asking to be released or not to be charged. But this is a policy of the IDF and the Border Police that they cannot change. They stand with us when we complain and when we tell them the story they write to the High Court. But at the end it is only letters and phone calls. We never had any Israeli Soldier or Policemen stop working or give them any kind of judge because they beat up us Palestinians.“ (I20)

Der palästinensische Fotoreporter Nasser Shiyoukhi schilderte die FPA zwar als willigen, leider jedoch machtlosen Akteur. Er beklagt sich darüber, dass dies seiner Ansicht nach noch nie zu einer Verurteilung oder Suspendierung eines Soldaten oder Polizisten geführt hat. So wird de facto das aus dem Ruder gelaufene Verhalten gegenüber Journalisten nur selten sanktioniert und es etabliert sich ein Klima der Straffreiheit. Aber nicht nur bei Vorfällen gegenüber lokalen palästinensischen Fotoreportern bleiben diese in der Regel ungeahndet. Auch in den Fällen der letzten Jahre, bei denen internationale Fotoreporter durch Beschuss der israelischen Armee tödlich verletzt wurden, hatte dies lange keine Konsequenzen, wie es der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer beklagt: „Ich meine es passiert einfach nichts. Schau mal James Miller5 an. Irgendwann sind die Israelis zwar eingeknickt, aber die Familie hat echt einen riesigen Aufstand gemacht. Und jetzt haben sie halt eineinhalb Millionen bezahlt. Aber um das geht es gar nicht. Du musst das einfach an die Öffentlichkeit zerren.“ (I40) Wiedenhöfer beklagt hier die Straffreiheit und das unnachgiebige Verhalten israelischer Behörden. Ihm geht es vor allem darum, dass

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James Miller war ein britischer Dokumentarfilmer, der 2003 bei im Gazastreifen von einem israelischen Soldaten erschossen wurde.



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Vorfälle dieser Art öffentlich gemacht werden und sie als bewusste Angriffe auf Journalisten behandelt werden. Die hier geschilderten Formen der Einschränkung der Pressefreiheit können auf Dauer nicht folgenlos für das fotojournalistische Handeln bleiben. Eine mögliche Konsequenz ist, dass die vor Ort tätigen internationalen Medienunternehmen ihren Personaleinsatz an den Vorgaben ausrichten, so Oren Ziv: „It’s not like you are not allowed to film, but if you get arrested once or twice, you won’t go to do it and the wires will send an Israeli photographer in the end, or somebody with a press card. In this way they prevent photographers to work.“ (I09) Das Unwohlsein, das viele Fotoreporter alleine beim Gedanken an die Kontrollen beschleicht, hat erst einmal eine abschreckenden Wirkung und verhindert möglicherweise, dass die Fotoreporter diese Events dokumentieren. Darüber hinaus kann der von Ziv beschriebene Effekt eintreten, dass eher systemkonforme, jüdisch-israelische Fotoreporter zu den Events entsandt werden. 7.2.6 Schutzmaßnahmen der Fotoreporter Wie hier geschildert, haben in Israel und den palästinensischen Gebieten tätige Fotoreporter mit einer Vielzahl von Situationen zu tun, in denen sie Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind. Damit verbunden ist die Frage nach konkreten Schutzmaßnahmen, die zu ergreifen sind. Grundsäztlich ist mehr als erstaunlich, dass nur wenige Fotoreporter Trainings zum Verhalten in Konfliktregionen absolviert haben und über ausgearbeitete Notfallpläne verfügen. Von vielen Fotoreportern wird Angst als ein wichtiger Faktor beschrieben, um in diesen Situationen handlungsfähig zu bleiben und nicht unvorsichtig zu werden, wie es Rina Castelnuovo beschreibt: „Experience helps, I think that’s part of it. You are a bit frightened, you are a bit worried. If you are not, you are really stupid.“ (I14) Damit verbunden ist die Bedeutung eines klaren Auftretens nach außen, wie es ein israelischer Kollege schildert: „There are cases where you feel fear, where you feel intimidated, you feel like you are in danger. But then first of all you have to control your feelings. You cannot show that you are afraid. You have to act as if it would be normal that you are there. You have to persuade that it is normal. Because if it’s normal that you are there then you are less at risk, then you are less in danger. Because people understand that it is normal that you are there. They see you acting naturally even if they are confronting you.“ (I06)

Die hier geschilderte Strategie besteht darin, Anspannung und Nervosität nicht nach außen zu tragen und sich so zu verhalten, als wäre es normal, dass man dort anwesend ist. Dies bedeutet für ihn als Israeli sich auch beim Fotografieren in palästinen-



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sischen Flüchtlingslagern so zu verhalten, als wäre es selbstverständlich und natürlich, dort zu sein. Aber auch das Verständnis und die Sensitivität, sich in das lokale Geschehen einfühlen zu können, um damit Gefahren erkennen zu können, sind extrem wichtige Faktoren: „For example when you are in the Palestinian villages, a lot of the communication there is by whistling. Suddenly you hear whistles from the left hand side. Then I know stones might come from there, so I go left and find myself at a wall and if the stone will come I will see them falling there. So this is something you learn by experience. It’s not something you can be taught in school. Because in each area it is different. In Pakistan or in Afghanistan maybe they do signals with the kites for example. So you have to understand the local language in the area.“ (I06)

Was von diesem israelischen Fotoreporter hier beschrieben wird, ist die Bedeutung des Verständnisses lokaler Kommunikationsformen. Fotoreporter müssen offen durchs Feld gehen und diese Zeichen erkennen, um sicher arbeiten zu können. Dafür ist regionales und konfliktspezifisches Wissen zentral. Es kann nur durch Erfahrung angesammelt werden. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von konkreten technischen Maßnahmen, die von den Fotoreportern ergriffen werden, um das Risiko, verletzt oder getötet zu werden, zu minimieren. Zur Grundausstattung der meisten Fotoreporter in der Region gehören eine Gasmaske, ein Helm und eine Schutzweste. „Without gear you cannot go to a conflict zone. You can see this in my car. I have two vests, one for light machine guns and one for heavy machine guns“ (I27) so ein israelischer Fotoreporter von Reuters. Aber auch hinsichtlich dieser Maßnahmen gibt es eine große Asymmetrie, vor allem zwischen den Festangestellten und den Freelancern, die sich unter anderem an den Kosten festmacht. So beklagt der Fotoreporter Naaman Omar aus dem Gazastreifen, dass er als Freelancer von den Kunden mit diesem Thema alleine gelassen wird (I33). Dies zeigt sich auch an Sicherheitskursen, die die Wire regelmäßig mit ihren Angestellten durchführen, wofür die Freelancer jedoch selber sorgen müssen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die eigene Motorisierung, um sich im Notfall schnell vom Ort des Geschehens entfernen zu können (I09). So kann auch die entsprechende Ausrüstung immer mit sich geführt werden. Für eskalierte Konfliktsituationen verfügen vor allem die internationalen Agenturen über gepanzerte Fahrzeuge. Kamen diese in der Westbank vor allem während der Hochzeiten der 2. Intifada zum Einsatz, sind sie im Gazastreifen weiterhin gebräuchlich. Unter den Fotoreportern, die in der Westbank arbeiten, ist es des Weiteren üblich, als Gruppe zu einem Ereignis aufzubrechen und gemeinsam eine bestimmte Position zu bezie-



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hen, von der das Geschehen gut zu beobachten ist und die gleichzeitig relativ viel Sicherheit bietet (I31). Ist in den Agenturen aufgrund der routinemäßigen Absprachen meist klar, wo sich einzelne Fotoreporter befinden, so müssen Freelancer in dieser Hinsicht selbst aktiv werden. Oren Ziv von „Activestills“ beispielsweise informiert immer andere Mitglieder des Kollektivs über seine aktuellen Reisepläne (I09). So könne diese im Notfall aktiv werden, sollte er sich zu einer bestimmten Zeit nicht zurückmelden. Andere Maßnahmen bestehen in individuellen Absprachen, wenn Fotoreporter und Journalisten im Team arbeiten. So berichtet Peter Damman von der Abmachung, sofort den Ort des Geschehens zu verlassen, wenn einer im Team sich unwohl fühlt (I02). Dabei geht es nicht nur um persönliche Grenzen, sondern auch das instinktive Wahrnehmen von Gefahren.

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7.3 F OTOJOURNALISTISCHE E THIK

IN DER

P RAXIS

Wie im Theoriekapitel (3.1.8) dargelegt wurde, ist die fotojournalistische Ethik aufs Engste mit generellen Fragen der Medienethik verbunden. Diese beinhalten Fragen auf verschiedenen Ebenen: das Verhältnis von Fotoreporter und fotografischem Subjekt, die spezifischen Eigenschaften des Mediums sowie die Veröffentlichungspraxis und Kontextualisierung von fotografischen Bildern. An dieser Stelle soll der Blick vor allem auf die Mikro-Ebene fotojournalistischer Ethik im Hinblick auf das fotojournalistische Handeln gelenkt werden. Dabei stehen individuelle Entscheidungen im Vordergrund, die das Handeln im Kontext spezifischer sozialer Situationen zum Ziel haben. Diese betreffen unter anderem die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten, die Frage nach helfen oder nicht helfen sowie den Umgang mit Opfern und Manipulationen. Bei der Arbeit im Feld greifen die Fotoreporter auf ein bestimmtes Set ethischer Regelsätze zu, die definieren, welche Handlungen erlaubt sind und welche nicht. Dabei handelt es sich jedoch in der Regel nicht um geschriebene Regeln, sondern ein dynamisches Gebilde. Geschriebene Regelwerke existieren vor allem auf nationalstaatlicher Ebene – und damit auf der Makro-Ebene – in Form von Mediengesetzen oder Pressekodizes. 7.3.1 Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten Das Fotografieren von Menschen stellt einen elementaren Teil des fotojournalistischen Handelns dar. Damit verbunden ist die Frage nach dem Umgang der Fotoreporter mit den Persönlichkeitsrechten der Abgebildeten. Die Voraussetzung für das Entstehen einer Fotografie, auf der Menschen abgebildet sind, ist eine soziale Situation, in der ein Fotoreporter mit einem fotografischen Subjekt interagiert. Dies setzt eine zumindest minimale Form der Kommunikation voraus. Wenn es sich nicht um extrem komplexe Situationen wie Demonstrationen oder kriegerische Ereignisse handelt, beinhaltet diese Kommunikation auch das Einholen des Einverständnisses, ob das Fotografieren erlaubt ist oder nicht. Prinzipiell respektieren die befragten Fotoreporter, wenn Menschen nicht fotografiert werden wollen, wie es die jordanisch-amerikanische Fotoreporterin Tanja Habjouqa ausdrückte: „If someone makes it very clear that they do not want their picture taken, I respect that. I never cross that line, so I’ve never felt uncomfortable.“ (I36) Für Habjouqa ist es eine klare Linie, dass Nein eines Menschen zu akzeptieren. Damit erlaubt sie sich auch, sich selbst mit ihrer Art und Weise der Arbeit wohl zu fühlen. Dies weist darauf hin, dass die Frage der Ethik auf zwei Ebenen verhandelt wird: zum einen in der Kommunikation mit dem fotografischen Subjekt, zum anderen im persönlichen Aushandlungsprozess um eine individuelle Arbeitsethik, die es ermöglicht, hinter dem eigenen Verhalten zu stehen. Andere Fotoreporter wie der



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deutsche Fotoreporter Oliver Weiken schränken dieses Prinzip jedoch dahingehend ein, dass sie alles der situativen Entscheidung überlassen: „Letztlich musst du immer im Moment entscheiden. Normalerweise würde ich immer sagen, dass, wenn jemand wirklich nicht fotografiert werden möchte, ich die Person auch nicht fotografieren würde. Aber es gibt auch Situationen, wo du, selbst wenn einer sagt, dass er nicht fotografiert werden möchte, ihn trotzdem fotografieren musst.“ (I08)

Der Fall, jemanden gegen seinen Willen zu fotografieren, tritt zum Beispiel dann ein, wenn dem Ereignis eine übergeordnete journalistische Bedeutung beigemessen wird. Darüber hinaus wird ein Nein eher in privaten Situationen akzeptiert als im Umgang mit Menschen, die Institutionen repräsentieren und als politischer Akteur auftauchen wie Polizisten oder Soldaten. Dann wird das Recht auf ein „Nein“ von den Fotoreportern in der Regel übergangen. Was die Rechtfertigungsstrategie von Weiken angeht, so ist der Rückgriff auf die Formulierung „müssen“ interessant. Die Begründung für ein Übertreten ethischer Grundsätze wird damit nicht auf der individuellen Ebene, sondern in den an die Fotoreporter gerichteten Erwartungen gesucht. Als weitere Möglichkeit ein Nein zu umgehen, nannte eine amerikanische Fotoreporterin das fotografische Subjekt von der Bedeutung des Fotografierens zu überzeugen (I04). Ein palästinensischer Fotoreporter erzählte, dass er ein Nein nur so weit akzeptiere, wie es seinen journalistischen Auftrag nicht gefährde (I15). Aufschlussreich ist auch die Herangehensweise des jungen palästinensischen Fotoreporters Hamde Abu Rahma aus Bi’lin. Er lehnt das Fragen um Erlaubnis bei Ereignissen grundsätzlich ab: „If I will ask, my picture will be fake.“ (I01) Damit drückt Hamde Abu Rahma auch eine bestimmte Haltung gegenüber der Fotografie aus, die nur aus der unbeobachteten Perspektive „wahr“ ist. Wird ein Mensch seiner Tätigkeit gewahr und fordert ihn auf, ein Bild zu löschen, würde er dieser Aufforderung jedoch nachkommen. Darüber hinaus machen viele der befragten Fotoreporter einen Unterschied zwischen dem fotografischen Akt und der Veröffentlichung des Bildes. Ein französischer Fotoreporter bringt dies auf die folgende knappe Formel: „Basically you can record whatever you want, the problem is to publish.“ (I07) In der Praxis heißt dies, dass Fotoreporter dazu tendieren, strittige Situation erst einmal zu fotografieren und sich im Nachhinein mit der Frage zu beschäftigen, ob das Bild veröffentlicht werden kann oder nicht. Denn anders als im Textjournalismus sind im Fotojournalismus kleine Momente oft die alles entscheidenden: Eine verpasste Gelegenheit ein Bild zu machen lässt sich nicht wiederholen. Deswegen tendieren Fotoreporter dazu, auf Nummer sicher zu gehen und im Zweifelsfall eher das Bild zu machen als eine Gelegenheit verstreichen zu lassen. Diese Einstellung wird jedoch nicht von

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allen Fotoreportern geteilt, wie es die Aussage der israelischen Fotoreporterin Gali Tibbon zeigt: „Sometimes you think twice about the way you acted in a certain scene in order to get a picture. I’ve seen people do things I would never do in my life. And I wouldn’t mind losing a picture and not behaving like that. I mean it’s not just like what you see, it’s also what comes out of you as a human being in those situations.“ (I34)

Für Tibbon ist es wichtig, ihre ethischen Grenzen nicht zu überschreiten und sich kohärent mit ihren Prinzipien zu verhalten. Sie stellt damit den Respekt vor den Menschen, die sie fotografiert, über die Anforderungen ihres Jobs. Eine besondere Situation entsteht beim Fotografieren in privaten Räumen und bei sensiblen, eher intimen Situationen wie Beerdigungen oder persönlichen Begegnungen. Hier ist der Fotoreporter auf die soziale Situation und das Wohlwollen der fotografischen Subjekte angewiesen. Insofern findet hier in der Regel ein längere Aushandlungsprozess statt, der auch die Erörterung der Frage, ob und wie fotografiert werden darf, mit einschließt. Auf die Bedeutung der Verfasstheit des Bildermarktes für die ethischen Regelsätzen weist der amerikanische Fotoreporter Ted Nieters hin und beschreibt die Auswirkungen folgendermaßen: „I would say like that there is a completely different set of ethics in a way to work here than I was taught in school. Here people think they have like more rights to take a picture. And I don’t agree with that and I never will. I never have the right to take somebodies picture. [...] I think it is because of the need to sell who you are and the competitiveness within journalism here.“ (I30)

Ted Nieters hat Journalismus an einer amerikanischen Hochschule studiert und wurde in Amerika sozialisiert. Bei der Arbeit im Gazastreifen hat er feststellen müssen, dass dort zum Teil andere Regeln gelten als diejenigen, die er verinnerlicht hat. Er führt dies hauptsächlich auf den starken Konkurrenzdruck zurück. Die Auswirkungen auf die fotojournalistische Ethik werden auch an einer Aussage des palästinensischen Fotoreporters Nasser Shiyoukhi deutlich: „I have to do my job. It doesn’t matter what happens around me. Sometimes we are pushing the medicals, people that are coming to save the guy, and we go and push them to take the picture. It is not that easy, it is very hard.“ (I20) Anders als Nieters oder Tibbon stellt Shiyoukhi die Zwänge und Anforderungen seines Jobs in den Vordergrund und begründet damit, dass er einen rüden Umgang mit Sanitätern pflegt, um an sein Bild zu kommen.



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Bezogen auf den fotografischen Akt gibt es jedoch noch weitere ethische Aspekte, die für die Fotoreporter eine Rolle spielen. Für den israelischen Fotoreporter Kobi Wolf ist es wichtig, dass die Menschen wahrnehmen, dass er sie fotografiert: „I want the people to notice me. I don’t want to hide shooting people. It’s ugly, it’s really ugly.“ (I21) Dies schließt für ihn auch die immer noch weit verbreitete Arbeit mit Teleobjektiven aus. Letztlich ist das hier von Wolf formulierte Prinzip, von anderen als „No Paparazzi“ benannt, eine Spezifizierung des Rechts der fotografischen Subjekte auf ihr Bild. Im Alltag der fotojournalistischen Produktion gibt es jedoch immer wieder Situationen, wo dies ausgehebelt wird, beispielsweise wenn sich Fotoreporter auf die Lauer legen um Schnappschüsse von Politikern zu machen. Aber nicht alle Fotoreporter teilen die Herangehensweise von Kobi Wolf. Sein israelischer Kollege Nati Shohat erzählte im Interview stolz davon, wie er das erste Paparazzi-Bild des neugewählten Minister-Präsidenten Benjamin Netanyahu machte: „I have to find the right way to do the best picture. I did the first paparazzi picture in Israel of the Prime Minister. When Netanyahu won the elections for the first time, I photographed him in the King David Hotel. It was the first time we saw the Prime Minister playing with his children. So it was kind of paparazzi. By paparazzi I mean that I had to work with a 600mm lens. But I think he knew that I was there. Because of the security I can’t really do paparazzi. But it was still something different. After that everybody tried to do it. So I prefer to be on this side and not on the side where they pose for you and they have to pick the picture. I will not accept that.“ (I21)

Für Shohat war dieses Bild ein scoop, ein vor allem ökonomisch interessantes, einmaliges Bild. Er sieht es als seine Aufgabe an, das beste Bild zu finden und dazu gehört auch, Bilder aus großer Entfernung ohne explizites Wissen der Fotografierten zu machen. Er begründet dies damit, dass diese Bilder näher dran seien an der Realität und konstruiert dies als Gegensatz zu gestellten Porträts. Ein besonders interessanter Fall aus fotojournalistischer Ethik ist ein Projekt des israelischen Fotoreporters Nati Shohat. Er begleitete über Monate Anti-TerrorEinheiten der israelischen Polizei bei Einsätzen in der Westbank. Shohat war das, was heute gerne mit embedded beschrieben wird. Für den Zeitraum des Einsatzes war er Teil der Einheit, ausgestattet mit Uniform, jedoch unbewaffnet. Auf die Frage, ob die Menschen, die er während der Einsätze fotografierte, dem zugestimmt hätten, antwortete er mit Nein und stellt dies als den einzigen Fehler der Projekts dar (I21). Der journalistischen – und militärischen – Faszination diese Arbeit dokumentieren zu dürfen, tat dies jedoch keinen Abbruch. Die Bedeutung der Geschichte und der scoop bzw. die Exklusivität dahinter waren für Shohat letztlich wichtiger, als das ethische Prinzip, nicht ungefragt die privaten Räume anderer

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Menschen zu betreten. So gibt er zwar zu, dass dies ein Fehler war, was aber keinen Einfluss auf die Veröffentlichung der Geschichte hatte. Insofern nimmt Shohat hier ganz bewusst den Bruch eines zentralen Prinzips fotojournalistischer Ethik vor. 7.3.2 Das Verhältnis von Fotograf und Fotografiertem Die Konfliktfotografie bringt Fotoreporter mit Menschen zusammen, die Opfer von Gewalt geworden sind und viel Leid erfahren haben. Dies bringt für eine amerikanische Fotoreporterin automatisch medienethische Fragestellungen mit sich: „On the one hand for me the human emotion is so raw, it’s very interesting from the anthropological aspect. Being close to that much raw emotion is fascinating and it’s wonderful to be so close to someone and you don’t know them and listen. On the other hand it is terrible, because you meet them on one of the worst days of their lives. So you question yourself am I exploiting them, am I not exploiting them?“ (I25)

Diese Fotoreporterin ist sich darüber bewusst, dass der Moment, der für sie aus journalistischer und anthropologischer Sicht am interessanten ist, weil er authentische Emotionen zeigt, für die Fotografierten in der Regel eine persönliche persönliche Grenzsituation ist. Daraus ergibt sich für sie die Frage, ob dadurch nicht auch eine Form der Ausbeutung entsteht. Der deutsche Fotoreporter Peter Damman wurde bspw. bei seiner Arbeit über eine Kinderklinik in der Westbank mit konkreten Erwartungen der Angestellten konfrontiert. Ursprünglich hatte er geplant zu berichten, wie die medizinische Versorgung der Kinder und Frauen in Kombination mit psychosozialer Betreuung deren Position in der Gesellschaft stärkt. Mit der Reaktion hatte er nicht gerechnet: „Großer Aufschrei im Spital: Wenn wir außerhalb des Spitals erzählen würden, dass das Spital die Frauen gegen die palästinensischen Männer stärkt, dann müsste man damit rechnen, dass irgendjemand durchdreht und aufs Spital losgeht. Das könnten sie überhaupt nicht riskieren. Das könnte man überhaupt nicht nach außen sagen.“ (I02) Dieses Beispiel zeigt, wie das Veröffentlichen bestimmter Informationen negative Konsequenzen für die lokale Bevölkerung haben kann. Während es aus einer journalistischen Perspektive geboten erscheint, alle verfügbaren Informationen zu publizieren, stellt eine ethische Perspektive den Schutz der Informanten in den Vordergrund. Trotz allem bleibt bei jeder fotografischen Situation, sei es im Autopiloten innerhalb von Sekunden in einem gewalthaltigen Ereignis oder in einer persönlichen Situation, die Verantwortung des Fotoreporters hinsichtlich der Ausgestaltung des fotografischen Aktes besteht. Ein wichtiger Faktor ist hier das Verhältnis von Nähe



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und Distanz. Die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine beschreibt das Dilemma, das sie insbesondere auf der palästinensischen Seite wahrnimmt: „Somehow we feel we are entitled to (be close). And they (Palestinians) actually allow it more. I mean there is kind of a different set of rules covering - won’t say set of rules – on both sides. But I think, no matter who you are covering as a photographer or as a journalist, you have to impose some good education on yourself. And I see people crossing that line a lot. Let’s say you can just get closer on the Palestinian side than on the Israeli side because they let you. I think it’s a matter of culture, a matter of wanting or being more private.“ (I16)

Hier wird sehr gut die geteilte Verantwortung deutlich. Nur weil der Fotoreporter die Möglichkeit bekommt, ein Bild zu machen oder näher an sein fotografisches Subjekt heranzukommen, muss er dies noch lange nicht tun. Die Verantwortung, dass er das Bild gemacht hat und möglicherweise veröffentlicht, muss er weiterhin tragen. Levine kritisiert die unterschiedlichen Praxen auf der israelischen und palästinensischen Seite, die zum Ergebnis haben, dass auf Seiten der Palästinenser weniger Distanz herrscht. Der Faktor der geringen Distanz wird von einigen Medienkritikern genutzt, um den Palästinensern vorzuwerfen, sie würden dies als bewußte Manipulationsstrategie nutzen. Wie Levine hervorhebt, ist es jedoch weiterhin eine persönliche Entscheidung des Fotoreporters, wie nah er an ein Ereignis oder ein Subjekt herangeht. Die palästinensische Fotoreporterin Eman Mohammed kritisiert ihre – vor allem männlichen – palästinensischen Kollegen dafür, dass sie Beerdigungen mit ihrer Anwesenheit so stark beeinflussen, dass die Trauerzeremonien gestört würden (I35). Zu Selbstzweifeln und ethischen Problemen auf Seiten der Fotoreporter führt auch die Asymmetrie zwischen der Position als Beobachter und Akteur im Feld, wie es der israelische Fotoreporter Oren Ziv schildert: „Personally I don’t feel that comfortable with a helmet and gas mask and taking a picture of a woman choking from tear gas. It’s not a comfortable thing.“ (I09) Ziv fühlt sich unwohl damit, dass er aus einer privilegierten Situation heraus mit der Gasmaske als Schutz Bilder von leidenden Menschen macht. Hier wird das Machtungleichgewicht zwischen Fotograf und Fotografiertem besonders deutlich: Der Fotoreporter schützt sich und sein Leben durch bestimmte technische Ausrüstungsgegenstände, während er Bilder von Menschen macht, denen das Fehlen genau dieser möglicherweise großen Schaden zufügt. Eine extreme Asymmetrie in der Begegnung stellt der schon geschilderte Fall des Embedment mit einer israelischen Antiterror-Einheit bei Verhaftungen in der Westbank dar. Der israelische Fotoreporter begegnet möglichen ethischen Zweifeln mit der Aussage, dass er sich während des Embedment mit der Anti-Terror-Einheit immer korrekt verhalten habe:



346 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT „It was very funny because you know I am I. And I don’t hate the Palestinians So I was with the unit for one day and a child asked me to give him my apple. They (IDF) brought us a lot of apples. I was in uniform with my face covered. [...] It was so funny because from time to time, I was apologizing if I would touch somebody by mistake. This is how I was educated. And when the child wanted the apple from me, it was a pleasure for me to give it to him. And you should have seen his parents: they laughed. Because their son, the Palestinian boy, wanted the apple from the Israeli warrior. It was funny. And I think you can see it also in my pictures.“ (I21)

Das Verteilen von Äpfeln in Uniform dient für ihn als Blaupause dafür, dass er auch in dieser schwierigen Situation immer menschlich gehandelt habe. Es ist auch eine Art von Legitimierung seiner Anwesenheit in der Situation, die hier stattfindet. Dies ändert jedoch nichts an der Situation, in Uniform bekleidet und mit Kamera ungefragt die Räume von Menschen zu betreten und die Bilder ohne deren Zustimmung zu veröffentlichen. Bei den Ausführungen über Kooperationen mit Konfliktakteuren (siehe Kapitel 7.1.3) wurde bereits auf einen anderen Fall hingewiesen, in dem ein israelischer Fotoreporter sich gegen die Kooperation mit der israelischen Migrationspolizei entscheidet. Für Oren Ziv stellt es sich als ein ethisches Problem dar, von Migranten auf der Straße als derjenige wahrgenommen zu werden, der mit der Polizei bei einer Razzia auftaucht (I09). Auch wenn dies aus einem Informationsinteresse heraus gerechtfertigt erscheint, ähnlich wie im Fall von Shohat, so ist für Ziv das ethische Prinzip, nicht mit Konfliktakteuren zu kooperieren und von den Fotografierten in dieser Funktion wahrgenommen zu werden, höher angesiedelt. Damit erschwert er jedoch seine Arbeit. Denn um ähnliche Bilder zu machen, wie sie beim Embedment mit Polizei und Militär entstehen können, muss ein Fotoreporter viele Stunden im Feld verbringen in der Hoffnung, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Darüber hinaus hängt es natürlich vom Erkenntnisinteresse des Fotoreporters ab: Wenn es um die Arbeitspraxis der Polizisten und Soldaten geht, ist dies besser embedded darstellbar. Um mit den hier geschilderten Schwierigkeiten bei den Begegnungen zwischen Fotograf und Fotografierten im fotografischen Akt umzugehen, schilderten Fotoreporter weitere persönliche Verhaltensregeln. So versucht ein israelischer Fotoreporter nach der Prämisse zu handeln: „I’m really trying to respect my object as they respect me.“ (I17) Gegenseitiger Respekt als ethische Prämisse erscheint damit als Grundvoraussetzung jeglicher menschlichen Interaktion. Um einer stereotypisierten Opferdarstellung der Palästinenser zu begegnen hat sich Peter Damman zum Ziel gesetzt, die Menschen mit Würde und Stärke zu zeigen (I02). Dies ist als ein Versuch zu sehen, eine bildnerische Umsetzung für die eigenen ethischen Grundsätze zu finden.



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7.3.3 Helfen oder nicht Helfen: Die Frage nach der Arbeitsrolle Eine wichtige Frage, die sich durch die Geschichte des Fotojournalismus zieht, ist die nach der Rolle des Fotoreporters und ob er in Situationen eingreifen soll oder nicht. Der palästinensische Fotoreporter Nasser Shiyoukhi beschreibt dies ausgehend von einer konkreten Situation folgendermaßen: „I will tell you one story. We were at an Israeli checkpoint taking pictures. Not much happened. When we started chatting, we see a soldier shooting a Palestinian and grabbing him on the ground. It took me at least half a minute to realize what the fuck is happenig. He was still alive and I went to take the pictures and to understand what is going on. But I asked myself: What the fuck is going on? Shall I interfere to stop them? Or take the pictures? Because at the end that’s my job. To safe the life or not, that’s where you go with your emotional fight.“ (I20)

Fotoreporter sind bei ihrer Arbeit in der Region immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen Menschen vor ihren Augen angeschossen oder erschossen werden. Jede Situation bedeutet von Neuem ein Abwägen zwischen verschiedenen Optionen. Vor allem in gewalthaltigen Situationen, wie von Shiyoukhi beschrieben, ist das Eingreifen auch deshalb schwierig, weil es möglicherweise mit negativen Konsequenzen und Risiken für den Fotoreporter verknüpft ist. Denn bei der hier geschilderten Situation gab es eine Auseinandersetzung zwischen Soldaten und einem Palästinenser, ein Eingreifen hätte auch ein Eingreifen in diesen Konflikt bedeutet und letztlich eine Positionierung gegen den Soldaten. Dies erfordert zum einen besonders viel Courage, zum anderen stellt es, insbesondere als Palästinenser, ein Risiko dar, selbst in die Auseinandersetzung verwickelt zu werden. Eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu umgehen, ist das Eingreifen, wenn der eigentliche Gewaltakt vorbei ist. Der palästinensische Fotoreporter Hamde Abu Rahma dokumentiert zuerst eine strittige Situation, um – wenn möglich – danach Verletzten zu Hilfe zu eilen (I01). Die von ihm geschilderte Situation des Eingreifens bei Demonstrationen ist jedoch mit weniger Risiko für ihn verbunden als bei dem von Shiyoukhi geschilderten Fall. Wie die Frage des Eingreifens oder NichtEingreifens mit der Rolle, die ein Fotoreporter sich selbst gibt, zu tun hat, beschreibt ein israelischer Kollege: „I don’t take a role over myself except being a photographer. Usually I wouldn’t try to interfere in the actual happening. If it’s something very dramatic and I know that I can do something good and I can save someone or I need to assist to help someone and someone is in direct need and I need to help him, then definitely I will take a role as a human being. But for that I need to put aside my role as a photographer.“ (I06)



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Für diesen Fotoreporter ist seine Rolle als Fotoreporter klar definiert: dies bedeutet in der Regel das Nicht-Eingreifen. Eine Ausnahme wäre für ihn, wenn er Menschen in direkter Not- oder Hilfelage begegnet. Er weist darauf hin, dass er dann jedoch seine Rolle als Fotograf verlässt. Der israelische Fotoreporter Eddie Gerald dagegen ist der Überzeugung, dass er, egal was passiert, immer Fotograf sei: „I’m always a photographer. I think I can help them more if I concentrate on real photography then in helping some people ... I’m talking in general. For shure, I will do it. I really think to help with the good picturers I need to concentrate.“ (I03) Gerald ist der Ansicht, dass er mehr bewirken kann, wenn er sich auf seine Aufgabe des Fotografierens konzentriert, als wenn er in eine Situation eingreifen würde. Wo Hilfe von Fotoreportern häufig geleistet wird, ist beim Transport von Verletzten. Da sie in der Regel motorisiert sind, können sie schnell und unkompliziert Hilfe leisten, wenn professionelle Hilfe nicht zur Stelle ist. Aber hier können Probleme entstehen, vor allem wenn es um gewalthaltige Ereignisse geht, die sich in der Westbank abspielen. So gibt es Verordnungen der israelischen Besatzungsbehörden, die verbieten, dass israelische Bürger – und somit auch Journalisten – Palästinenser befördern. Eine Besonderheit stellen Unfälle und Katastrophen dar. Fotoreporter wie Nati Shohat sind hier eher bereit einzugreifen: „If I see in someone in a burning car, I will stop, shoot pictures and then save his life.“ (I21) Interessant ist jedoch die Priorisierung, die er vornimmt: Zuerst ein Bild machen und dann Hilfe leisten. Auch Shohat setzt somit hier die Priorität klar auf seine Rolle als Fotoreporter. Fotoreporter befinden sich bei ihrer Arbeit insbesondere in Krisen- und Kriegsregionen in einem zentralen Dilemma: Das Leid, welches sie dokumentieren, ist oft so massiv, dass auch ein persönliches Eingreifen dieses kaum lindern könnte. Ein Eingreifen kann vielleicht einzelne Menschenleben retten, aber die Entscheidung, einer Person zu helfen, bedeutet möglicherweise die Verweigerung von Hilfe für eine andere Person. Bei zeitlich und räumlich begrenzten Ereignissen wie Verkehrsunfällen mag es noch, wie hier geschildert, Auswege geben. Bei großangelegten gewalthaltigen Ereignissen ziehen es Fotoreporter dagegen vor, sich auf ihre Rolle als Fotoreporter zurückzuziehen. Damit ermöglichen sie es, ihre eigene Anwesenheit im Feld zu legitimieren und gleichzeitig einen Umgang mit dem Dilemma, nicht allen helfen zu können, zu finden. 7.3.4 Der Umgang mit Opfern im Bild Für die Veröffentlichung eines Bildes hat die Frage nach dem Bild-Inhalt große Relevanz, vor allem wenn es um menschliche Opfer geht. Wie bereits aufgezeigt werden konnte, tendieren viele Fotoreporter dazu, im Zweifelsfall ein Bild erst einmal zu schießen und im Nachhinein zu überlegen, ob es veröffentlichbar ist oder



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nicht. Welche Diskussionen es bezüglich des Zeigens von Opfern gibt fasst die israelische Fotoreporterin Rina Castelnuovo zusammen: „There are basically two cultures here (Israel; Anm. d. A.). One culture believes that no dead and victim should be shown. The other culture on the contrary thinks we should show all our victims and all our injured. So you have to walk in between and kind of respect both cultures. Because you don’t want to insult anybody on this side if you show the injured or the dead. Sometimes it’s like walking on eggs. But there is really two different ways of how each side views it.“ (I14)

Castelnuovo beschreibt hier vor allem die gesellschaftlichen Erwartungen in Israel. Diese sind insofern bedeutsam, als dort wahrgenommen wird, wenn Bilder von israelischen Opfern im Ausland, beispielsweise bei der „New York Times“, für die Castelnuovo arbeitet, veröffentlicht werden.1 Aus Sicht Castelnuovos geht es darum, den Willen der Opfer und ihrer Angehörigen zu respektieren. Der israelische Fotoreporter Nati Shohat hält den vorsichtigen Umgang mit Opferbildern, wie er in Israel zur Zeit praktiziert wird, jedoch für einen Fehler: „10 years ago when we had terror attacks on the street, you were allowed to shoot anything you want. This year it stopped. No faces are allowed anymore. You have to summon the paper to give you permission. If somebody dies you cannot show the picture any more. This is a big mistake if you ask me. Why did it happen? Because some member of the Knesset decided to go for it. But I think for us it’s very bad. Because if you want to be great, you need to show what happened. And in Palestine you can shoot whatever you want with the Palestinian Authority.“ (I20)

Shohat kritisiert vor allem die dahinter stehende politische Entscheidung, die ein Verbot des Zeigens von Opfern in israelischen Medien zur Folge hatte. Als Vergleich dient ihm der Umgang mit dem Thema durch die Palästinensische Autonomiebehörde, die keinerlei Regulierungen in dieser Hinsicht verabschiedet hat. Trotz allem tendiert Shohat weiterhin dazu, erst ein Bild zu schießen und während der Postproduktion die Frage nach einem Für und Wider einer Veröffentlichung zu klären. Für Shohat als Eigentümer einer israelischen Nachrichtenagentur bedeutet das Nichtveröffentlichen bestimmter Bilder darüber hinaus auch einen ökonomischen Verlust.

 1

Siehe zu diesem Thema auch das Kapitel über das gesellschaftliche Klima der Berichterstattung (7.4.4).



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Der israelische Fotoreporter Oren Ziv hingegen schildert, wie die Dynamiken sich im Moment des Fotografierens entwickeln können und für ihn daraus eine Grenzüberschreitung entstand: „One time there was this 10 year old boy that got shot in a demonstration and we went to the hospital where he was declared dead. And then they took us to the dead room and I wanted to make a portrait of his face. But it was a picture from far away without the flash in order not to have a brutal close up. But then the doctor came and said but „No, look“ and opened and showed me the other side with all the blood. And I took pictures, because I was there with the family and they wanted me to take the pictures. I uploaded it and many people didn’t like it and there was some discussion about it.“ (I09)

In diesem Fall waren es die Angehörigen des Opfers, die wollten, dass er Bilder vom toten Kind macht. Dahinter stand möglicherweise die Motivation, die Welt möge von diesem Ereignis erfahren. Ziv machte sich ihren Wunsch zu eigen oder hatte im Moment nicht die Kraft, Nein zu sagen. Paradoxerweise wurde er später für das Veröffentlichen des Bildes kritisiert. Vor neue Herausforderungen wird die fotojournalistische Ethik durch die Nutzung von Neuen Medien durch die Fotoreporter gestellt. Im Internet ist es extrem schwierig, einer unkontrollierten Verwendung von Bildern entgegenzutreten. Insbesondere junge palästinensische Fotoreporter, die viele ihrer Bilder auf Facebook posten, haben immer wieder mit dem Problem zu kämpfen, dass ihre Bilder dekontexualisiert in einem anderen Zusammenhang auftauchen, wie es Ahmad Mesleh schildert: „Seven months ago, there was the picture of a guy that was shot with a tear gas canister in Qalandia in his eye and lost it. I posted the picture on my Facebook. And after a while I found that one of the Egyptians shared it and that they mentioned that this is what the Egyptian police is doing to the protesters. And I said ‚Stop, this is my picture and it is in Palestine‘. And I showed him the date when I took the picture. You should not say that you don’t care, let them use it. I went back to the people and some people I wrote to said we are sorry to use the picture in a wrong way. So you should say the truth about what happens around and if you have some information you should say it.“ (I31)

Das Bild, was Mesleh in Qalandia machte, wurde als Symbol für polizeiliche Gewalt verwendet und von anderen Facebooknutzern in einen ägyptischen Kontext gestellt. Für Mesleh ist es Teil seiner ethischen Verantwortung als Fotoreporter, auf diese falsche Verwendung zu reagieren. Trotz allem gibt es immer wieder Fälle, wie bzgl. des Bildes von Tuvia Großmann, wo Bilder trotz des Nachweises einer falschen Kontextualisierung zu Selbstläufern in der Verbreitung werden und einen

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immensen Symbolgehalt bekommen. Hier wird der Unterschied zwischen der fotografischen Praxis und der Fotografie als medialem Produkt deutlich. Das ethische Handeln des Fotoreporters kann nur an den Praktiken gemessen werden, auf die er selbst einen Einfluss hat. Die Aussage von Mesleh zeigt deutlich, dass seine Kontrolle über das Bild mit der Veröffentlichung endet. 7.3.5 Der Umgang mit Inszenierungen und Manipulationen Die schon diskutierte Frage nach dem Umgang der Fotoreporter mit manipulierten und inszenierten Ereignissen (7.1.4) ist auch aus einer ethischen Perspektive interessant. Fotoreporter haben im Feld häufig damit zu tun, dass die fotografischen Subjekte auf ihre Anwesenheit reagieren. So gehen die meisten Fotoreporter davon aus, dass ihre Anwesenheit nicht unbemerkt bleibt und dies Teil des fotografischen Prozesses sei. Aber wie gehen Fotoreporter mit dem Staging um? Der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri legte bezüglich der Frage, was das wichtigste ethische Prinzip seiner Arbeit sei, seine Position im Interview dar: „Never set up a picture. [...] This is the main principle for me. I get really angry when I see any kind of photographers set up any kind of pictures. Even if it was small pictures, not like a political picture concerning throwing a stone, or raising a flag, or flashing a peace sign in front of an Israeli soldier. I’m really too much concerned about making the picture, taking the picture as it is in front of me.“ (I18)

Arouri formuliert hier klar, dass das Inszenieren von Bildern für ihn nicht in Frage kommt, und sieht dieses Verhalten auch bei Kollegen als kritisch. Dabei beginnt für ihn die Inszenierung schon dabei, einen Demonstranten um eine bestimmte Geste gegenüber den Soldaten zu bitten. Er möchte dagegen das Bild so machen, wie es vor seinen Augen ist. Ähnlich äußert sich auch die palästinensische Fotoreporterin Eman Mohammed aus dem Gazastreifen. Sie beobachtete während der Arbeit, wie andere Kollegen, sowohl lokale wie internationale, immer wieder dazu übergehen, Situationen zu stellen (I35). Auch die französische Fotoreporterin Anne Paq, die zum Fotografenkollektiv Activestills gehört, wirft vor allem einigen Wire-Fotoreportern unkorrektes Verhalten vor: „Honestly sometimes they are really acting as if they are the kings of the scene. They decide sometimes even how the activists should act. I saw some very disturbing behaviour where they were asking kids to go there and to throw rocks. They would ask women to raise the hands in the air in front of a house demolition in order to have their clisheé pictures of poor



352 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT Palestinians crying. I mean I witnessed this and for me this is a breach of ethics and I have some problems with them.“ (I21)

Nach Aussage Paqs zeigen die Wire-Fotoreporter eine Art Platzhirschverhalten. Darüber hinaus beklagt Paq, dass die Wire-Fotoreporter auch bewusst Bilder inszenieren, was für sie einen klaren Bruch ethischer Richtlinien darstellt. Dies ist insofern interessant, da zu vermuten wäre, dass sie als dem Aktivistenspektrum zuzurechnende Fotoreporterin ein Interesse an dieser Form der Bilder hätte. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Das Problem stellt für sie über die ethischen Fragestellungen hinaus dar, dass sie in einem alltäglichen Arbeitskonflikt mit den Fotoreportern der Wire steht. Ein anderes, etwas weniger offensichtliches Beispiel des zumindest fragwürdigen Umgangs mit Ereignissen schildert eine amerikanische Fotoreporterin: „I think if you have like five kids throwing stones and you shoot it in a way that makes it look like there is a big riot, then I think that there is something ethical about it.“ (I04) Das Problem, welches diese Fotoreporterin anspricht, liegt in der Kontextualisierung eines Ereignisses sowie in der Form der fotografischen Darstellung. Aber nicht nur in den palästinensischen Gebieten haben Fotoreporter mit gestellten und für die Presse inszenierten Situationen zu tun. Der israelische Fotoreporter Ilja Yefimovich schilderte einen Fall, wo im israelischen Parlament Journalisten im vorhinein über eine Protestaktion informiert wurden, um bessere Plätze einzunehmen. Yefimovich stellte sich darauf folgende Fragen: „If the journalist weren’t in the parliament meeting, would these people in the parliament still do the thing or they are doing it because the press is there? Well I guess the question is they will anyway do that because they need to show that they are against something and they are going to do it in an interesting way and then there is no problem of moving to the other side to the other balcony, to be closer to take a better picture of it because you know it’s gonna happen.“ (I10)

Die Aussage von Yefimovich zeigt, dass sich die Fotoreporter durchaus darüber bewusst sind, Teil eines Systems zu sein, in dem mediatisierte oder sogar inszenierte Ereignisse zum Alltag gehören. Für Yefimovich ist die entscheidende Frage, ob das Ereignis auch ohne sein Zutun stattfinden würde. Nur dann macht er Bilder. Aufgrund von Vorabinformationen über ein Ereignis bessere Bilder machen zu können, hält er dagegen nicht für problematisch. Wie fließend die Grenzen sind, darauf weist ein anderer israelischer Kollege hin: „The ethical line between being a journalist and being somebody’s tool is pretty obvious and sometimes you are used as a tool. But there has to be a journalistic substance to whatever you are covering that it would be justified. Otherwise I’m not



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gonna shoot.“ (I23) Nur wenn es eine journalistische Substanz im zu fotografierenden Ereignis gibt, ist es für diesen Fotoreporter gerechtfertigt, über sie zu berichten, auch wenn sie inszeniert sind. Dabei ist der Begriff „journalistic substance“ sehr schwammig und offenbart vor allem im Tagesgeschäft eine geringe Trennschärfe. Offen bleibt immer ein letzter Ausweg, wie es Ziv Koren schildert: „In some occasions when I start to take pictures and I feel that by the fact that I am standing there I am changing the situation I will walk away.“ (I05)

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7.4 D IE K ONFLIKTNARRATIVE

DER

F OTOREPORTER

Wie jedes andere Gesellschaftsmitglied auch, werden Fotoreporter von den gesellschaftlichen Diskursen über den Nahostkonflikt und den dort verhandelten Konfliknarrativen beeinflusst. Der Fortbestand der politischen Systeme in der Region hängt entscheidend von der Unterstützung der lokalen Bevölkerung ab. So müssen sowohl der israelische Staat als auch die Palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas-Regierung ihr Verhalten gegenüber der eigenen Bevölkerung legitimieren. Ein wesentlicher Teil dieser Legitimation besteht im Rekurs auf conflict supporting narratives, die das Verhalten der eigenen Seite im Konflikt als sinnbehaftet und moralisch beschreiben (siehe Kapitel 3.2.4). Über die Konfliktnarrative wird auch die Anwendung von Gewalt legitimiert. Darüber sind die Konfliktnarrative auf der individuellen Ebene dafür verantwortlich, wie Informationen wahrgenommen und in das bestehende Weltbild integriert werden (vgl. Bar-Tal/Salomon 2006: 35). Im folgenden Kapitel wird herausgearbeitet, welchen Konfliktnarrativen die befragten internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreporter folgen. 7.4.1 Die Konfliktnarrative der israelischen Fotoreporter Die Analyse der Interviewaussagen der israelischen Fotoreporter über den Nahostkonflikt ergab klare Zuordnungen, entweder zu einem dominanten israelischen Konfliktnarrativ oder zu einem Gegennarrativ. Darüber hinaus gab es Aussagen, die hinsichtlich einer Öffnung des dominanten Konfliktnarrativs in Richtung einer Lösungsorientierung gedeutet werden können. Im Vergleich der drei verschiedenen Gruppen waren die israelischen Fotoreporter diejenigen, die am ausführlichsten Aussagen zum Konflikt an sich machten. Von daher findet sich in dieser Gruppe auch das empirisch reichhaltigste Material der drei Vergleichsgruppen. Das dominante israelische Konfliktnarrativ zeigte sich bei den Fotoreportern vor allem in Aussagen, in denen die IDF als professioneller Akteur im Kampf gegen den Terrorismus beschrieben, die Blockade des Gazastreifens als bedeutungslos klassifiziert, die Angriffe palästinensischer Widerstands- und Terrorgruppen mit dem globalen Terrorismus gleichgesetzt sowie das Nichtvorhandenseins eines palästinensischen Partners für Frieden beschrieben wird. Darin drückt sich aus, dass es anscheinend so gut wie keinen Handlungsspielraum zur Veränderung des Status Quo durch die israelische Seite gibt. Argumente, die das dominante Narrativ aufweichen, finden sich in Aussagen, die auf die Bedeutung eines Rückzugs auf die Waffenstillstandslinie von 1967 hinweisen, die eine Abgrenzung von jüdischen Siedlern fordern und die sich positiv auf den Friedenswunsch der Menschen auf beiden Seiten beziehen. Das Gegennarrativ ist von Aussagen geprägt, in denen die Verantwortung der israelischen Gesellschaft an der Politik ihres Landes hervorge-



D IE K ONFLIKTNARRATIVE DER F OTOREPORTER | 355

hoben wird, in denen die Besatzung der palästinensischen Gebiete kritisiert wird, in denen auf die Vertreibung der Palästinenser im Unabhängigkeitskrieg durch Israel hingewiesen wird und in denen die Verträge von Oslo aufgrund ihres Beitrags zur Stabilisierung der israelischen Besatzung kritisiert werden. Das dominante israelische KonfliktNarrativ Ein zentrales Element im dominanten israelischen Konfliktnarrativ ist die Sicherheitsfrage. Damit verbunden ist zum einen ein Bezug auf den internationalen Terrorismus, zum anderen die Hervorhebung der Bedeutung, die der IDF als Garant der Sicherheit und zentraler Akteur der Terrorbekämpfung beigemessen wird, wie es der Israeli Ziv Koren schildert: „First off all terrorism is not only an Israeli problem, it is a global problem. But unlike other countries or other armies, I think that Israel was successful in being able to crack the DNA of terrorism in the region. Because if you look at the facts, from the early nineties in the hardcore of the second Intifada, we were facing over a thousand dead Israelis from terror attacks, since 2008, 2009, 2011, you had very few incidents. And this is not because the Palestinians lost their motivation in executing terror attacks. There are a variety of things that were done: a very strong intelligence and daily military operations to stop and prevent terror activities and the building of the separation barrier. Now my heart goes to the people that live around the fence because they are the people that are suffering from the building of the fence. But it proved to be sufficient and it really prevents leaking of terrorists into Israel. So all the things together pretty much cracked the terror on the Palestinian side.“ (I05)

In Korens Bedrohungsanalyse ist der – islamistische – Terrorismus nicht nur ein israelisches, sondern ein weltweites Problem. Damit nimmt er dem Problem die lokale Dimension und beförderte eine Solidarisierung anderer Länder mit Israel. Hinter dem Hinweis auf den Erfolg der Terrorbekämpfung Israels aufgrund seiner militärischen Stärke und der Präzision seiner Anti-Terror-Einheiten verbirgt sich eine Legitimation des militärischen Vorgehens Israels in den palästinensischen Gebieten. Die so zum Ausdruck gebrachte Unterstützung des Militärs ist ein zentraler Pfeiler des israelischen Narrativs. Interessant ist auch die Aussage „my heart goes to the people that live around the fence“. Hier zeigt sich zwar ein Bewusstsein dafür, dass die Sperranlage negative Konsequenzen für die lokale palästinensische Bevölkerung hat, aber letztlich wird das eigene Bedürfnis nach Sicherheit höher gewertet. Dies paart sich mit einer Sicht auf das israelische Vorgehen im Konflikt als bedacht und humanitäre Belange berücksichtigend, was sich in einer weiteren Aussage Korens über die Bedeutung der Blockade des Gazastreifens zeigt:



356 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT „The siege of Gaza is a joke, it is not a real siege. It is a siege for certain things that they (IDF; Anm.d.A.) don’t want them to create bombs with. But if Israel wants to close down Gaza, Gaza is drained. And another thing that needs to be taken into account is that there is not a real battle. Israel is in overpower. If Israel wants, they can wipe out Gaza in one or two minutes. Bu this is not the aim. Nobody is trying to cause the Gaza Strip to hunger. But Israel has the ability to do this.“ (I05)

Wiederum mit dem Argument der Sicherheit wird hier die Blockade des Gazastreifens als begründet und gerechtfertigt dargestellt. Negative Auswirkungen der Blockade hinsichtlich der humanitären Situation werden nicht berücksichtigt. Ähnliche Muster finden sich auch hinsichtlich der Rolle der israelischen Armee in der Westbank. Darüber hinaus kommt Israel damit die Rolle des rationalen und umsichtigen Souveräns zu, da Israel die Möglichkeit, die ihm seine militärischen Fähigkeiten bieten um den Gazastreifen auszulöschen, nicht ausnutzt. In eine ähnliche Richtung geht die Darstellung der israelischen Armee als humanitärer Akteur, wie es sich zum Beispiel in einer Aussage von Nati Shohat zeigt: „You know there are shitty people in any army. When you are a warrior, it destroys your soul, nothing will help you. Now I know it from the inside, it’s the first time in my life. If you do something wrong, you will be in jail. They fight on it, they won’t accept it in the army. No question about it. I didn’t believe it before. Now I see it in my eyes. I know it’s the truth.“ (I21)

Shohat stellt hier auf der einen Seite die negativen Konsequenzen des Soldatseins in den Vordergrund. Auf der anderen Seite zeigt er sich überzeugt davon, dass ein Soldat, der etwas falsch mache, auch bestraft wird. Als Legitimation seiner Position nennt er die Erfahrung, die er als Fotograf bei den Under-Cover-Einsätzen der israelischen Armee sammeln konnte. Die IDF wird von Shohat als ein Akteur dargestellt, der schwarze Schafe aussortiert. Gewalt wird damit als Ausnahme von der Regel dargestellt und der IDF weiterhin hohe moralische Standards attribuiert. Dies ist ein wichtiger Pfeiler im israelischen Diskurs. Ein weiteres Schema des israelischen Narrativs ist eine Disqualifizierung der politischen Ansprüche der Palästinenser, z. B. über eine Hervorhebung ihres vermeintlich hohen Lebensstandards. So legt Nati Shohat den Fokus auf die Privilegien, welche die Palästinenser im Vergleich zu den Menschen in anderen arabischen Ländern genießen und nutzt die wirtschaftliche Entwicklung in Ramallah zur Untermauerung seines Arguments: „I was in Ramallah, it’s an amazing city. [...] There is lot of money there. [...] Ramallah, it’s the, it’s like the Palestinian Riviera. You work there and you feel almost at the Champs Ely-



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sée. [...] It’s really beautiful. I’m really happy to see that, and I hope that this will stay, you know. They need work, they need money and they need a good life. Everybody here needs a good life.“ (I21)

Die Überhöhung des „guten Lebens“ ist ein Argument, bei dem zwischen den Zeilen mitschwingt, dass die Palästinenser dies Israel zu verdanken haben. Die Botschaft ist, dass es den Palästinensern besser geht, weil sie in der Westbank unter israelischer Besatzung und nicht in einem der Nachbarländer leben. Diese Sicht auf vermeintlich positive Aspekte der Besatzung wird auch mit dem Begriff der enlightened occupation beschrieben. In dieser Gönnerhaftigkeit spiegelt sich eine besondere Moral und Selbstgerechtigkeit wider, verbunden mit der Delegitimisierung des Opfernarrativs der anderen. Da sowohl Palästinenser wie Israelis nach dem guten Leben streben, wie es aus der Aussage „everybody needs to have a good life“ hervorgeht, werden mit dieser Argumentation jegliche Machtunterschiede nivelliert. Auch die Auseinandersetzung mit dem Thema einer Konfliktlösung ist kennzeichnend für Konfliktnarrative. So ist Teil des dominanten israelischen Narrativs die Betonung, wie schwer es sei, eine Lösung zu finden, wie es sich unter anderem in der Aussage des israelischen Fotoreporters Menahem Kahane zeigt: „Right now at least I don’t really see that a solution is close, because the conflict is so high, I’m not really sure it will end so quick. It is too complicated from both sides. There are many things that the Palestinians are right and there are many things the Israelis are right about it. And I’m in the middle. That’s how I feel.“ (I24)

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Kahane sieht zurzeit keine Chance auf einen Frieden, wobei er die Gründe dafür auf beiden Seiten verortet. Keiner von beiden hat eine Verantwortung und er selbst sieht sich zwischen allen Stühlen: Diese Argumentation ist ein typisches Muster dominanter Konfliktnarrative. Auf eine einfache Art und Weise kann damit Verantwortung für die Unmöglichkeit der Konfliktlösung an den anderen abgeben werden. Im dominanten israelischen Narrativ ist der Hinweis auf die Unmöglichkeit, Frieden zu schließen, oft gepaart mit dem Hinweis auf den unilateralen Abzug und die Auflösung der Siedlungen im Gazastreifen: „After Israel withdrew from Gaza and removed the settlers – although I knew it’s not done with coordination with the

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Ähnlich auch ein anderer isralischer Fotoreporter, der Arafat als den letzten palästinensischen Politiker mit dem Wunsch nach Frieden sah: „I think after Rabin died, there is almost no real chance for peace because we have no real partners. Nobody is strong enough on the other side. Like Arafat was the only one who was really strong to make peace. To get the decision.“ (I21)



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PA – I thought maybe it’s a new thing, a new move that can really change something. Now I’m not optimistic any more as I used to be.“ (I14) Mit dem Argument, dass der Abzug aus dem Gazastreifen keinen Frieden brachte, wird begründet, warum Israel die Situation in der Westbank nicht angeht. Nach Ansicht der Verfechter dieser These hat Israel mit dem unilateralen Abzug alles getan und es sind die Palästinenser, die dieser Geste gegenüber undankbar sind. Damit wird die politische Verantwortung für die aktuelle Situation den Palästinensern angelastet, was auch die Einschätzung eines Reuters-Angestellten zeigt: „I think after Rabin died, there is almost no real chance for peace because we have no real partners. Nobody is strong enough on the other side. Arafat was the only one who was really strong to make peace.“ (I27) Ähnliche Muster, die Schuld bei externen Akteuren zu suchen, finden sich auch in Aussagen, in denen der Konflikt als Medienkonflikt bezeichnet wird: „The problem is that it is a media conflict. It’s not something else. It’s not about the fifty rockets, the ten or twelve bombings, the bombing that kills people: it is about the media. And in the media conflict they (IDF; Anm. d. A.) are losing all the time.“ (I10) Für diesen Israeli bedeutet die Klassifizierung des Nahostkonflikts als Medienkonflikt, diesem jeden realen Gehalt abzusprechen. Damit tragen nicht die Konfliktparteien, sondern die Medien die Verantwortung. Darüber hinaus ist die Perspektive des Gewinnens und Verlierens interessant, die hier bezüglich der Berichterstattung eingenommen wird. In dieser Denkweise zeigt sich das dominante israelische Narrativ dahingehend, dass es dem Fotoreporter etwas bedeutet, ob Israel oder die IDF diesen Konflikt verlieren oder gewinnen. Innerhalb des dominanten israelischen Konfliktnarrativs, wie es in der Literatur gemeinhin beschrieben wird (Bar-Tal/Salomon 2006; Rotberg 2006), gibt es einige Aspekte, die in den Gesprächen mit israelischen Fotoreportern nicht auftauchten. So gab es keinerlei Bezugnahme auf den Holocaust oder den Antisemitismus. Auch der Aspekt, Israel als jüdischen Staat zu erhalten, wurde nicht genannt. Ebenso wenig wurde die Westbank als umstrittenes Territorium statt als besetztes Gebiet bezeichnet. Dies zeigt zum einen, wie heterogen die Argumente innerhalb des dominanten israelischen Narrativs sind. So finden sich Verteidiger des dominanten israelischen Narrativs in unterschiedlichen politischen Lagern. Sie setzen dann verschiedene Schwerpunkte in ihrem Diskurs. Bezogen auf die Fotoreporter kommt zum anderen hinzu, dass sie anders als viele Israelis Alltagserfahrungen mit Palästinensern in der Westbank haben. Diese persönlichen Erfahrungen entkräften möglicherweise einige Aspekte des dominanten israelischen Narrativs wie den angenommenen Rassismus und die Israelfeindlichkeit der Palästinenser. In den Interviews fand sich eine Reihe von Aussagen, die in Richtung einer Aufweichung des dominanten israelischen Narrativs geht. Diese „offenen“ Aspekte können hinsichtlich einer gewissen Lösungsorientierung bzw. einer vorsichtigen



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Annäherung an das dominanten palästinensische Narrativ gedeutet werden. Dazu gehören Themen wie die Anerkennung des Leids der Palästinenser, Lob für palästinensische Politiker oder der Bezug auf Normalität für beide Völker als Ziel. Ein Beispiel, wie israelische Fotoreporter zu einer differenzierten Einschätzung der Leistung palästinensischer Politiker kommen können, zeigt die folgende Aussage: „After an interview with Salam Fayyad (…) I told him that he is a flower in the desert in this political arena. Because I really think so and I didn’t care to tell him, because it was after we finished the interview.2 (…) I really think that his view is very positive. He is all the time preaching against violence, he is saying that the most important thing for the Palestinians is to struggle in a nonviolent way. And I agree with him. And his vision is a very economic vision, it is really important for him to take care of the well being of the Palestinians, that they have a good economy and a comfortable life.“ (I12)

Für diesen Fotoreporter ist der palästinensische Ministerpräsident Salaam Fayyad ein vertrauenswürdiger und ernsthafter Politiker, dem er bei diesem Treffen seinen Respekt aussprach. Er begründet dies zum einen mit dem Eintreten Fayyads für gewaltfreien Widerstand im Gegensatz zum Einsatz von Gewalt sowie seiner ökonomisch ausgerichteten Zukunftsvision. Damit wird hier eine Perspektive gewählt, die dem zentralen Element des israelischen Narrativs, dass es keinen Partner für Frieden auf der anderen Seite gäbe, entgegensteht. Ein anderer Punkt ist die Anerkennung des Leids, das den Palästinensern im bisherigen Konflikt widerfahren ist: „There is a big wound to solve on the Palestinian side.” (I14) Diese “Wunde” wird als Grund dafür gesehen, warum es so schwer ist, den Konflikt zu lösen. Als verbindendes Element zwischen beiden Seiten wird von einigen jedoch der Wunsch nach Frieden der einfachen Bevölkerung auf beiden Seiten hervorgehoben: „I think the average people, in a way they’re fed up and don’t have much faith in the politicians, because they just want to go to work, to make money, to come back home and to have a nice family. They don’t want to see tanks outside their houses. Israelis don’t want to have their buses or restaurants blowing up. I think the majority of the people just really want to get on with their life.“ (I34)

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Mit diesem Einschub nimmt der Fotoreporter darauf Bezug, dass normalerweise nicht in seine Rolle fallen würde, einem Politiker ein Lob in diese Richtung auszusprechen. Er sah sich jedoch als israelischer Fotoreporter nach einem fotografischen Portraittermin für ein internationales Magazin in der Lage, Fayyad seine Hochachtung auszudrücken, ohne dass es dies seine ethischen Standards verletzte.



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Mit dieser Aussage wird die Verantwortung für die scheinbare Unlösbarkeit des Konflikts in die Sphäre der Politik verschoben. Als verbindendes Element wird hier die Befriedigung der Grundbedürfnisse hervorgehoben. Damit wird auch allen involvierten Parteien das Recht auf ein Leben in Frieden und Sicherheit sowie auf ökonomische Entwicklung zugestanden. Das israelische Gegennarrativ Eine kleinere Gruppe der interviewten israelischen Fotoreporter benutzt zur Beschreibung des Nahostkonflikts Argumente, die dem dominanten israelischen Narrativ entgegenstehen und damit klar einem Gegennarrativ zuzuordnen sind. Dazu gehört z. B. die Hervorhebung der Verantwortung der israelischen Gesellschaft für die aktuelle politische Situation, der Hinweis auf die Vertreibung von Palästinensern im Unabhängigkeitskrieg (Naqba), der Bezug auf das System der Besatzung als zentraler Konfliktgegenstand sowie eine kritische Einschätzung der Verträge von Oslo. Der Staat Israel stellt sich selbst gerne als die einzige Demokratie im Nahen Osten dar. Für den israelischen Fotoreporter Eddie Gerald ist damit auch eine politische Verantwortung verbunden: „We elect our politicians. And what is a politician? It is a reflection. We are a democracy. In some way or another way we are a democracy and we select. They reflect actually our own beliefs. And yes, in my people I’m working, this is a sentence in Hebrew and within my people I’m living.“ (I03)

Mit dieser Aussage geht Gerald auf die demokratische Verfasstheit des israelischen Staates ein. Aus dem Umstand, dass das israelische Volk seine Regierungen wählt, leitet er auch eine Verantwortung der israelischen Gesellschaft als Wähler hinsichtlich des Handelns der Regierungen im Nahostkonflikt ab. Ein anderer Aspekt im Gegennarrativ ist eine alternative Deutung der Geschehnisse seit der Gründung des Staates Israel, wie es Eddie Gerald weiter beschreibt: „I always say that the settlers were sent by us. Let’s say that the first settlers where sent out by a left party that was called Marach at that time. They were the first settlers. So who wants to attack should go back in history. Sorry but you cannot stop over there. It will go up until 48. The lack of our society is to acknowledge that we threw Arabs from here. That’s the basis. We cannot accept that we threw Arabs from the Tel Aviv University area. There was a big village over there. We cannot accept that.“ (I03)

Gerald spielt hier auf die politische Verstrickung der gesamten politischen Elite Israels in das Projekt der Besiedelung der Westbank an und zeigt damit, wie schwer es aus diesem Grund ist, einen neuen Kurs einzuschlagen. Darüber hinaus bricht er



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ein bis heute bestehendes gesellschaftliches Tabu, indem er den in Israel als „Unabhängigkeitskrieg“ und „Befreiung“ glorifizierten ersten Israelisch-Arabischen Krieg mit der Vertreibung von Palästinensern in Verbindung bringt. Dies tut er darüber hinaus mit einem Bezug auf seinen spezifischen Lebensmittelpunkt Tel Aviv und bringt damit seine Ablehnung dieser Politik zum Ausdruck. Mit der Wiederholung „we cannot accept that“ bringt er seine Gegenposition zum dominanten israelischen Konfliktnarrativ sehr deutlich zum Ausdruck. Einen anderen Aspekt bringt die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon zur Sprache, indem sie betont, dass Israel die Westbank schon seit 1967 besetzt halte (I34). Schon mit der Übernahme des Begriffs Besatzung setzt Tibbon hier einen Kontrapunkt zum dominanten israelischen Narrativ. Dort wird der Begriff als politisiert bezeichnet und stattdessen von Territorien ohne klare völkerrechtliche Zuordnung gesprochen, den disputed territories. Mit dem Hinweis auf das Jahr1967 macht sie darüber hinaus deutlich, dass der aktuelle Konflikt in der Besetzung der Westbank seine Ursache hat und nicht im Terror der Palästinenser, wie es im dominanten Narrativ immer wieder zum Ausdruck kommt. Auf die Bedeutung unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten historischer Daten weist auch Oren Ziv im Interview hin: „You know for me it’s important - and you can see it differently - but for me when it comes to document to have some perspective about the subject. Not only a sheet of facts Israel occupied the Westbank in 1967, in 1987 the first Intifada started, the first suicide attack was in 1994, 14 days after the Goldstein massacre. These facts are highly important and I’m sure half of the photographers don’t know them. And for sure 90% of the Israeli public don’t know them either.“ (I09)

Ziv greift hier wie im vorherigen Zitat Tibbons das Besatzungsdatum auf und ergänzt es um den Zusatz der ersten Intifada. Er stellt einen einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Daten her und weist auf den Umstand hin, dass es 20 Jahre dauerte, bis die Palästinenser sich erhoben. Mit dem Hinweis auf das Goldstein-Massaker und die Selbstmordattentate in Israel stellt er ein weiteres zentrales Paradigma des dominanten israelischen Narrativs in Frage: die Begründung des palästinensischen Terrors mit dem Haß auf Israel. Aus dieser Perspektive war das Massaker eines extremistischen jüdisch-israelischen Siedlers an betenden Palästinensern in der Moschee in Hebron das Auslöseereignis für den palästinensischen Terror. Ziv rahmt seine Ausführungen mit der Aussage, dass die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung und der internationalen Fotoreporter diese – aus seiner Sicht – Fakten nicht kenne und sich dieses Wissen erst aneignen müsse. Ein anderer zentraler Aspekt des israelischen Gegennarrativs ist eine kritische Einordnung der Verträge von Oslo, wie es Ziv an anderer Stelle vornimmt:



362 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT „The Oslo Accords were trying to make the occupation more easy, similar to the US that is going out of Iraq and leaving the local government and private security people. People understand that direct occupation is really out of fashion. It’s expensive, it’s not good for the PR, it doesn’t look good, it doesn’t attract tourists to come here. And this is why they created the PA to control the people instead of Israel.“ (I09)

Die Verträge von Oslo werden hier aus dem Grund kritisiert, dass deren Ziel nicht eine Zweistaatenlösung gewesen wäre, sondern die Aufweichung des Besatzungsregimes und die Abgabe der Verantwortung an die Palästinenser. Während im dominanten israelischen Narrativ die Gleichsetzung des palästinensischen Terrors mit dem internationalen islamistischen Terror à la Al-Qaeda zu finden war, um damit ein gemeinsames Bedrohungsszenario aufzubauen, findet sich hier der Vergleich der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete mit der amerikanischen Besatzung des Irak. Der Bezug auf und die Kritik am Besatzungsregime, verbunden mit einem sofortigen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, sind ein zentrales Element des Gegennarrativs. Auch auf die Bedeutung, die der Holocaust im israelischen Diskurs spielt, wurde kritisch Bezug genommen. Der israelische Fotoreporter Kobi Wolf setzt den Umgang mit dem Holocaust in Beziehung zum Umgang mit aktuellen politischen Ereignissen in Israel: „There are many rules against foreigners, against African refugees in Israel. But on the other hand they are always saying that no country wanted to protect the Jews in the Second World War. And with the refugees they say that they didn’t expect what’s going on now. They don’t want refugees from Darfur. It’s weird. It’s unbelievable. And every year there is a memorial for the holocaust. And they are saying that the world didn’t learn from the Holocaust but 80% in this country hate foreigners.“ (I17)

Wolf kritisiert hier die seiner Ansicht nach bestehende Diskrepanz zwischen dem diskursiven Bezug in Israel auf den Holocaust, der zur Stärkung des israelischen Opfernarratives genutzt wird, und der aktuellen repressiven Flüchtlingspolitik in Israel sowie der diese unterstützenden gesellschaftlichen Meinung. Ein anderes zentrales Element des israelischen Diskurses greift die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon in Antwort auf die Frage, welche Rolle die Besatzung in ihrer Arbeit spielt auf: „It’s scary, you can’t ignore it. In Israel you read a lot about it enlightened occupation, about how great the military authorities are in actually allowing the Palestinians to do this or that. I don’t know, I don’t look at things in this definition.“ (I34) Das, was Tibbon hier kritisiert, der Bezug auf die humanitären Aspekte im Handeln der israelischen Armee in den besetzten Gebieten, ist ein



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zentraler Aspekt des dominanten israelischen Narrativs und war auch in den Aussagen von Ziv Koren nachzuvollziehen. 7.4.2 Die Konfliktnarrative der palästinensischen Fotoreporter Aus den Aussagen der palästinensischen Fotoreporter Elemente eines konsistenten Narrativs zu extrahieren, erwies sich als schwieriger als auf Seiten der israelischen und internationalen Fotoreporter. Die von den interviewten Palästinensern getroffenen Aussagen zum Konflikt waren zum einen weniger reichhaltig und zum anderen hatte es den Anschein, dass diese das Thema der politischen Positionierungen lieber vermeiden wollten. Zu den Aspekten, die zum dominanten Narrativ gehören, zählen die Beschreibung der israelischen Staatsgründung als europäisches Kolonialisierungsprojekt, der negative Bezug auf das Regime der Besatzung, das Einfordern elementarer Rechte, die den Palästinensern dadurch verweigert werden, ein Wunsch nach Anerkennung des Leids, das sie erfahren mussten, sowie ein positiver Bezug auf eine 2-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit freiem Zugang zur AlAqsa Moschee und zum Meer. Aspekte, die das dominante Narrativ etwas öffnen, beinhalten einen positiven Bezug auf einen Austausch zwischen Israelis und Palästinensern auf persönlicher und professioneller Ebene und das Zulassen von Freundschaften. Das Gegennarrativ bezieht sich vor allem kritisch auf die Frage nach der Lebensfähigkeit eines palästinensischen Staates und der daraus folgenden Bevorzugung einer Ein-Staaten-Lösung sowie auf die Schwierigkeit, als Palästinenser eine ausgleichende Position zwischen den beiden Gesellschaften einzunehmen. Das dominante palästinensische Narrativ Eine sehr plastische Beschreibung des aktuellen Konflikts aus palästinensischer Perspektive liefert der Fotoreporter Hamde Abu Rahma: „These people (Die Juden, Anm.d.A.) came from Europe and occupied us. But now a new age is born and it’s fine, we could live together. But we can only live in peace if they give me the justice and the same rights. Because without justice there will be no peace. If you always take the milk and this and that, you will just give me the pain and I will hate you all my life. But if we are here and you share everything with me and you are so good with me, I will never hate you and I will never hurt you. But as long as there is no justice and as long as people cannot get permissions to go to pray, there will always be conflict between Palestine and Israel.“ (I01)

Der zentrale Aspekt, um den es Hamde Abu Rahma hier geht, ist Gerechtigkeit. Aus seiner Sicht enthält Israel aufgrund des – wenn auch nicht explizit genannten –



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Besatzungsregimes den Palästinensern Rechte vor.3 Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Sichtweise auf den israelischen Staat. Er sieht in diesem ein kolonialistisches Projekt europäischer Juden. Interessanterweise leitet er daraus jedoch nicht die Forderung ab, dass alle Juden das Land wieder zu verlassen hätten, sondern geht von einer möglichen gemeinsamen Zukunft im Hier und Jetzt aus. Darüber hinaus spricht er den Zugang zu Al-Aqsa-Moschee an, der den meisten Palästinensern aus der Westbank verwehrt ist. Die damit verbundene religiöse Dimension lässt sich an einer Aussage des palästinensischen Fotoreporters Fadi Arouri ablesen: „I think the problem with this Palestinian or Israeli State is not so much a political issue but a religious issue. It’s something really big. [...] They don’t accept any Palestinian to carry out their religion. I’m really not accepting what they are doing now with the Al-Aqsa-Mosque.” (I18) Der Kristallisationspunkt des Religionsthemas ist dabei die Al-Aqsa Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem. Die Unmöglichkeit für Palästinenser, dort zu beten, wird von vielen als ein schwerer Affront gesehen. Darüber hinaus entzünden sich an Themen rund um Bebauungen und Ausgrabungen am Tempelberg immer wieder tagelange Straßenschlachten. Arouri sieht sich hier vom israelischen Staat in seiner Religionsfreiheit beschnitten. Sein Kollege Ahmad Mesleh wirft dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon vor, im Wissen um die religiöse Bedeutung der Al-Aqsa-Moschee für die Palästinenser und die emotionale Sprengkraft des Themas, mit dem Tempelbergbesuch im Jahr 2000 einen Akt bewusster Provokation begangen zu haben (I31). Der Bezug auf den Tempelbergbesuch als Auslöser der 2. Intifada, die gemeinhin auch Al-Aqsa-Intifada heißt, stellt einen weiteren zentralen Bestandteil des dominanten palästinensischen Narrativs dar. Die aktuelle Situation in den palästinensischen Gebieten und die Probleme, die aus Sicht der Palästinenser einer Konfliktlösung entgegenstehen, beschreibt Mesleh folgendermaßen: „I don’t imagine any solution to be honest. Because what is a solution? The Westbank is like a Ghetto. The PA is only controlling small cities. And the settlement council goes around all the Westbank. So what is a solution? I am not going to say that the settlers should go away from the Westbank, if we say we have the right to build a state in the Westbank and Gaza strip. This is our right from the UN and around the world. But Israel says no all the time and they still keep building settlements all around. (…) The wall is like 700 kilometers, it is like a cancer, it is like a snake that goes inside. So what solution? You make the borders for the future of a Palestinian State and you keep building the settlements inside. What solution for that? A small Ghetto? It is no life, no country. Even if they would do it, after a while people

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Ähnlich auch Ahmad Mesleh „So our rights are lost. So we need our rights.“ (I16)

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are getting sick of that. You cannot go outside, you cannot do this and that. For me in these days I don’t think that there is a solution.“ (I31)

Ähnlich wie im dominanten israelischen Narrativs sieht Ahmad Mesleh im Moment keine Chance für eine Lösung. Die Gründe dafür sieht er vor allem in der Weigerung der Israelis, einen palästinensischen Staat auf dem Territorium der Westbank und des Gazastreifens zu akzeptieren sowie dem kontinuierlichen Ausbau der Siedlungen. Die sogenannten „facts on the ground“ in der Westbank, die er im Alltag sowie in seiner Arbeit als Fotoreporter tagtäglich zu sehen bekommt, lassen ihn diesbezüglich zu einem Skeptiker werden. Eine weitere bedeutende Einschränkung hinsichtlich der Möglichkeit für die Palästinenser, eine Zwei-Staaten-Lösung zu akzeptieren, nimmt der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri vor: „If there will be a state in the 67 land and if I’ll be allowed to enter the rest of the land, I don’t have a problem with that. But if there will a border and if I’ll not be allowed to reach the sea, it will be a problem for me.“ (I18) Der wichtigste Aspekt, der von Arouri hier ins Spiel gebracht wird, ist die Wahrung der Bewegungsfreiheit und offener Grenzen auch bei der Schaffung von zwei Staaten. Viele Palästinenser sehen darüber hinaus auch Gebiete im Kernland Israel heute noch als eigentlich palästinensisches Territorium. Und auch wenn sich viele wie Arouri mit einer 2-Staaten-Lösung zufriedengeben würden, ist der offene Zugang zu diesen Territorien und vor allem zum Meer eine wichtige Forderung. Der palästinensische Fotoreporter Alaa Badarneh spricht im Interview auch die Bedeutung von Sicherheit für sich und seine Familie an: „My right is to stay here and to live in safety, with security, with a future, with economy, with rights. My home needs to be safe and no one should be allowed to knock the door of my home at 4 o’clock in the morning and to search my house, or to stay three days with my kids, because they want to observe the street. Doesn’t matter if you are Israeli, Palestinian, or Syrian, from wherever, my home is my home, it is not your home. You can come to my home as a guest, this is what I wish.“ (I15)

Badarneh nimmt damit Bezug auf die weit verbreitete Praxis der IDF zu nächtlichen Hausdurchsuchungen in der Westbank.4 Dies schließt für ihn eine positive Orientierung auf die Zukunft mit ökonomischer Entwicklung und politischen Rechten mit

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Badarneh lebt in der palästinensischen Stadt Nablus in der Westbank in der es für viele Jahre an der Tagesordnung war, dass die israelische Armee fast täglich Operationen in der Stadt durchführte. Dass Nablus im A-Gebiet liegt, wo die palästinensische Autonomiebehörde die volle Kontrolle hat, tat und tut dem keinen Abbruch.



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ein. Der Bezug auf die Sicherheit und damit die Zurückweisung der Besatzungssituation ist ein zentraler Pfeiler des palästinensischen Narrativs. Keine Hinweise finden sich in den Aussagen der palästinensischen Fotoreporter zur Legitimation von Gewalt gegen Israel. Darüber hinaus wird nirgendwo davon gesprochen, dass der Staat Israel von der Landkarte zu verschwinden habe, wie es radikale Gruppen in Palästina fordern. Ähnlich wie beim dominanten israelischen Konfliktnarrativ fehlen damit in der Gruppe der befragten Palästinenser bestimmte Argumentationsmuster, die in der normalen palästinensischen Gesellschaft weit verbreitet sind. Das palästinensische Gegennarrativ Aspekte eines Gegennarrativs finden sich innerhalb des Sample ausschließlich auf Seiten der palästinensischen Fotoreporter, die in Israel leben. Anders als die Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen haben sie auch im Alltag Kontakt mit Israelis und können sich zumindest in Israel und der Westbank frei bewegen. Sie genießen die Vorzüge des israelischen Staates, kennen gleichzeitig jedoch die Realität der Besatzung. Eine interessante Beschreibung der jüdisch-israelischen Bevölkerung im annektierten Ost-Teil Jerusalems nahm der palästinensische Fotoreporter Ahmda Gharabli im Interview vor: „Everybody says that Pisgat Zeev is a settlement. But there are no settlers there, only normal people. I go there all the time to the mall and I have no problem.“ (I32) Gharabli lebt im palästinensischen Stadtteil Beit Hanina, der an Pisgat Zeev angrenzt. Nach internationalem Recht ist Pisgat Zev als Siedlung zu klassifizieren. Dass Gharabli dies aus eigener Erfahrung nicht teilt, hängt vermutlich damit zusammen, dass er die „normalen“ jüdischisraelischen Bewohner, die dort aus ökonomischen Gründen wohnen, nicht mit den politisch motivierten Siedlern, die in vielen – wenn auch nicht allen – der israelischen Siedlungen in der Westbank leben, vergleicht. Am weitesten entfernt von einem dominanten palästinensischen Narrativ ist die Beschreibung, die der palästinensische Fotoreporter Atta Awissat vornimmt: „Sometimes I feel sick when I see the hostility between both societies. Each society portrays the other as its enemy. Personally I have friends here (Israel, Anm.d.A.) and at the same time I feel proud to be Palestinian. When there is Palestinian violence toward Israeli civilians, which I consider shameful especially when children are harmed (like what happened recently in a settlement), I feel ashamed and guilty towards my Israeli friends. And when the opposite happens and the Israeli army bombs and kills civilians and children in Gaza or other places, I feel an inner contradiction and I loose my clear thinking.“ (I28)

Awissat stellt insofern eine Ausnahme dar, als er fest angestellt für die israelische Tageszeitung Yediot Aharonot arbeitet. Insofern kennt er als Palästinenser aus Ost-



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Jerusalem nicht nur beide Seiten aus dem Alltag, sondern darüber hinaus auch die inhaltlichen Diskussionen in einer der führenden jüdisch-israelischen Tageszeitungen. Er nimmt im Konflikt einen empathischen Standpunkt den Menschen gegenüber ein, ohne beim Leid zwischen der einen oder anderen Seite zu differenzieren. Die dominierenden gesellschaftlichen Diskurse auf beiden Seiten lassen es jedoch nicht zu, dass er seine humanistischen Erfahrungen und Einschätzungen in beide Gesellschaften hinein transportieren kann. Der arabische Druse Safadi Atef aus den Golanhöhen legte im Gegensatz zum dominanten palästinensischen Narrativ dar, warum er nur eine Ein-Staaten-Lösung auf Dauer für tragfähig hält: „I think the only solution is a one-state solution where people can life where they want. All they need to do is to destroy the wall, take out checkpoints and let live people normally. I think it is very easy. But I think nobody wants this solution, neither the Israeli, nor the Palestinian leadership. [...] Like this we would solve the problem for the minorities of both sides, not minorities, the 50 % of both sides. What is the problem if Mohammed from Ramallah wants to live in Tel Aviv? What is the big deal? Because I know many Moshe and Ari that want to come to live in Ramallah, why not? What is the problem if they can move? And people that want to go back to Haifa, that fled from Haifa, they can go and be in Haifa. [...] I mean with the two states solution you delay the final solution another 20 years.“ (I19)

Atef spricht sich hier aus praktischen Gründen für eine Ein-Staaten-Lösung aus. Damit gehört er einer kleinen Minderheit an. Wenn man seiner Argumentation folgt, so hört sich dies nach einer sehr pragmatischen Lösung an, die jedoch den Wunsch vieler Israelis ignoriert, einen mehrheitlich jüdischen Staat zu haben. Auch hier findet sich ähnlich wie bei Awissat ein humanistischer Ansatz, der von den Bedürfnissen der Menschen ausgeht, ihren Wohnort frei wählen zu können. Darüber hinaus spricht er die Schwierigkeit an, dass ein zukünftiger Staat Palästina, so wie die PA heute, abhängig von internationalen Hilfsgeldern wäre. In dieser Aussage findet sich aber auch eine starke Simplifizierung, die sich darin äußert, dass mit einer Einstaatenlösung und Bewegungsfreiheit alle Probleme behoben wären. Möglicherweise versteckt sich dahinter auch die Formulierung des Anspruchs auf ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge. 7.4.3 Die Konfliktnarrative der internationalen Fotoreporter Die herausgearbeiteten Narrative der internationalen Fotoreporter unterscheiden sich dahin gehend von den Narrativen der Israelis und Palästinenser, als dort andere Argumentationsmuster zu finden sind und eine andere Gewichtung zum Tragen kommt. Bewusst wurden die Narrative vom Autor zwar als israelkritisch, nicht



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jedoch als antiisraelisch oder propalästinensisch benannt. Denn es gibt signifikante Unterschiede zwischen den Konfliktnarrativen der Palästinenser und denen der internationalen Fotoreporter. Die Konfliktnarrative der interviewten internationalen Fotoreporter lassen sich nicht klar israelischen oder palästinensischen Konfliktnarrativen zuordnen. So ist es schwerer, auf Seiten der Internationalen konsistente Narrativ-Stränge zu entwickeln. Dominierend ist der Bezug auf die Besatzung und das Völkerrecht. Daneben gibt es nur einige wenige Aussagen, die eher in Richtung eines neutralen, als unpolitisch einzuschätzenden Narrativs gehen. Israelkritisches Völkerrechts-Narrativ Das verbindende Element in den Aussagen der Mehrzahl der internationalen Fotoreporter innerhalb der Stichprobe ist zum einen der Bezug auf das Völkerrecht zur Beurteilung des Nahostkonflikts und zum anderen die Einnahme einer kritischen Position gegenüber der israelischen Regierungspolitik. Wie das en detail aussieht und welche Aspekte diesbezüglich zu berücksichtigen sind, zeigt die Aussage der französischen Fotoreporterin Anne Paq: „I am looking at it from the Human Rights perspective. My reference is the international law. And this is how I frame my discourse. Because this is a good reference that we have. If we talk about religion or morality, this is another thing. But there is international law, and international law is very clear. Palestinians have the right to self determination and Israel is conducting gross human rights violations, war crimes and we can even talk about crimes against humanity if we talk about what happened in Gaza during the last big military operation. There have been countless UN Resolutions saying very clearly what the situation is: Israel is occupying another country. It is not only that Israel is occupying it, it is also colonizing it. So for me it is very clear that Israel has the responsibility. And the international community has the responsibility to aboard international law, meaning that international law has to be respected. So clearly, the rights of the Palestinians should be implemented, through whatever solution is found. It can be one state, it can be two states, but the human rights should be respected and Israel has to be held accountable for the crimes it has committed, otherwise there will be no lasting peace here.“ (I12)

Der zentrale Referenzpunkt ist für sie das Völkerrecht (International Law). Auch andere Fotoreporter nehmen eine ähnliche Perspektive ein, wie der Deutsche Kai Wiedenhöfer „Perspektivisch interessiert im Moment eigentlich nur das internationale Völkerrecht“ (I40) oder ein italienischer Kollege „I have the perspective about what is happening here by international law“ (I22). Die Perspektive des internationalen Völkerrechts determiniert damit auch die Beschreibung der Situation in den palästinensischen Gebieten als Besatzungsregime sowie die Festschreibung von Verantwortlichkeiten, die Paq vor allem auf Seiten des Staates Israel als Verant-



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wortlicher des Besatzungsregimes sieht. Darüber hinaus wird auch die internationale Gemeinschaft mit einbezogen und aufgefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die Resolutionen, die von der internationalen Gemeinschaft im Rahmen der UN beschlossen wurden, umzusetzen. Interessant ist, dass Paq sich nicht auf eine bestimmte Lösung festlegt, sondern Bedingungen aufzeigt, damit diese Lösung dauerhaft ist, wozu für sie neben der Wahrung der Menschenrechte zählt, Israel für vergangene Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Aus diesen Aussagen spricht sehr stark die Menschenrechts-Aktivistin. Welche Verantwortungen aus dieser Position den Palästinensern zugewiesen werden, zeigt eine weitere Aussage Paqs: „I think the Palestinians have already achieved a huge compromise when they accepted a state on only 22 percent of their original area. So they already take a huge responsibility for this compromise. What else can we ask? The Palestinian Authority was put in place and they did a huge work in cracking down the armed groups. They took the responsibility of protecting Israel from these groups. For sure not 100 % but mostly they manage. (…) So it means that the PA took the responsibility of accepting the Israeli demand of “Security first before you get your state”. But this did not lead anywhere.“ (I12)

Paq deutet hier an, dass die Palästinenser aus ihrer Perspektive im Gegensatz zu Israel die Verträge von Oslo gehalten hätten. Sie sieht einen Verlust von Land vor allem auf deren Seite, da das Gebiet eines palästinensischen Staates in der Westbank und dem Gazastreifen nur noch ca. ein Viertel des Gebiets des historischen Palästinas umfasse. Erfolge sieht sie auch bei Herstellung von Sicherheit und der Bekämpfung von Terrorgruppen durch die PA und nimmt damit vor allem Israel in die Verantwortung. Kritische Einschätzungen finden sich unter den internationalen Fotoreportern des Samples auch zu den Verträgen von Oslo. So sagte der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer bezogen auf die Palästinenser, dass „die einzige Karte, die ihr habt, ist die Anerkennung des Staates Israel, und die habt ihr jetzt gegen einen Präsidenten und ein paar Briefmarken verspielt“ (I40). Die Kritik an den Verträgen von Oslo, die hier durchscheint, war auch ein wichtiger Teil im israelischen Gegennarrativ. Ein anderer Aspekt, der in Bezug auf Oslo erwähnt wurde, ist der seither stark gestiegene Siedlungsausbau. Was von palästinensischer Seite einer Konfliktlösung entgegensteht, erwähnt der Amerikaner Ted Nieters: „The biggest problem today is the division. After the division is finished, then they can go back to deal with the Israelis. Because if Hamas or Fatah accepts a deal with Israel none of them are going to accept the deal of the other. So until there is one representative government, who can speak for the people, it doesn’t matter.“ (I30)



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Nach Ansicht Nieters ist die Schwäche der Palästinenser die interne Spaltung zwischen der Fatah und der Hamas und damit die Festschreibung der territorialen Aufteilung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen. Er befürwortet eine EinheitsRegierung, die im Namen der Palästinenser sprechen und eine Lösung herbeiführen kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt innerhalb des für die Gruppe der Internationalen im Sample charakteristischen israel-kritischen Narrativs ist ein kritischer Bezug auf die Veränderungen vor Ort, den facts on the ground, wie es sich in einer Aussage der amerikanischen Fotoreporterin Heid Levine zeigt:„I don’t like this separation. In a sense it’s a loss for both sides. [...] I’ve seen a lot of physical changes on the ground. I saw checkpoints turning into more border control looking structures and I saw the seeds being sown for it on the ground.” (I16) Nach dieser sehr deutlichen Kritik an der Infrastruktur des Konflikts hat diese eine Separation der beiden Gesellschaften zum Ziel. Insbesondere Fotoreporter wie Levine, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Region leben, konnten dies mit eigenen Augen verfolgen. Darüber hinaus wird bezüglich der veränderten Bedingungen vor Ort vor allem der Bau der Sperranlage immer wieder als einschneidendes Erlebnis geschildert, das die Einnahme einer israelkritischen Haltung fördert, wie hier von einer amerikanischen Fotoreporterin: „Even in my wildest imaginations I would never have believed that actually something like a wall could grow up here. [...] I drive there and it still hits me.“ (I04) Die Sperranlage ist als das Symbol auf der einen und das physische Element auf der anderen Seite zu sehen, das die Separation zwischen der palästinensischen und der jüdisch-israelischen Bevölkerung festschreibt. Vor allem Fotoreporter, die seit vielen Jahren in der Region leben, machte das sehr betroffen. Das herausgearbeitete Israelkritische Narrativ hat das Potential, auch zu einer klaren Täter-Opfer Einteilung zu führen, wie sie sich beispielsweise in dieser Aussage eines deutschen Fotoreporters wiederfindet: „Also die Opfer dieses Konflikts, das sind natürlich die Palästinenser. Aber die sind deswegen nicht unbedingt nett. Im Gegenteil: oft geht es da viel härter zu unter ihnen.“ (I02) Auf der einen Seite wird hier den Palästinensern klar die Opferrolle zugewiesen, was aus der Perspektive des internationalen Völkerrechts, die in diesem Narrativ dominiert, nachvollziehbar erscheint. Trotzdem geht damit jedoch keine Glorifizierung des Verhaltens der Palästinenser einher. In der Regel ist mit der Täter-Opfer Perspektive jedoch auch eine Kritik auf politischer Ebene und eine Orientierung hin auf die Menschen sowohl in den palästinensischen Gebieten als auch in Israel verbunden. Dies zeigt sich an Aussagen wie der folgenden, die sich mit den Hintergründen des Handelns der Konfliktakteure beschäftigt: „I think it is important to understand the people in general. Myself I needed to understand why these people (Israeli; Anm. d. A.) are acting like this. And if you just hate them, and you



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think they are all bastards, you will never understand the why. Because in the end for myself I realized that most of the people don’t hate Palestinians, they are scared of them.“ (I22)

Ausgehend von gegenseitigem Hass als trennendem Faktor sehen Andrea&Magda Annäherung als Möglichkeit, diesen zu überwinden. Darüber hinaus wird hier die Bedeutung von Hintergrundwissen hervorgehoben, um die Beweggründe der Konfliktparteien kennenzulernen. Die Erkenntnis dieser Fotoreporter ist, dass viele Israelis die Palästinenser nicht hassen, sondern Angst vor ihnen haben. Interessant ist, dass internationale Fotoreporter, die ein israelkritisches Narrativ verfolgen, sich oft hinsichtlich der Art und Weise einer Konfliktlösung nicht positionieren möchten, wie der Amerikaner Ted Nieters: „I am not Palestinian and I will never be neither Palestinian nor Israeli. So for me to say, that if the Palestinians agree on a Two-State-Solution, I am going to be upset about it, is wrong. It is just not my place.“ (I30) Nieters unterscheidet zwischen der Kritik an der politischen Situation vor Ort und dem Status Quo. Er sieht seine Rolle in einer kritischen Berichtererstattung, aber nicht in der Annahme einer aktiveren Position hinsichtlich einer bestimmten Lösungsoption. Unpolitisches Narrativ Eine kleinere Gruppe unter den befragten internationalen Fotoreportern zeichnet sich dadurch aus, eine eher unpolitische Haltung gegenüber dem Konflikt einzunehmen. Deutlich wird dies an der Beschreibung der beiden Konfliktparteien einer amerikanischen Fotoreporterin: „Both sides have very much a victim behavior. "Oh, we can’t do anything" that’s the Palestinians and then the Israelis are constantly making themselves out the victims of the world "Look at us, we have to fight because we are the underdog". It is just these behaviors that have been set up over the course of 60 years and longer and it is just incredibly hard to see where that is going.“ (I37)

Hier zeigt sich eine eher pessimistische Sicht auf einen positiven Ausgang des Konflikts. Darüber hinaus wirft die Fotoreporterin beiden Seiten vor, ein OpferVerhalten zu kultivieren, ohne dieses zu bewerten oder zu kontextualisieren. Der Versuch, sich in der Mitte zu platzieren und der Unwille keiner der beiden Seiten recht zu geben, zeigt sich auch in einer anderen Aussage dieser Fotoreporterin: „I mean I don’t think anyone is right or wrong, but when I see things like the checkpoints and these things that are set up to hold the Palestinians in, you definitively understand where a lot of the animosity comes from on that side. And then you see the Katjuschas down South and you understand their animosity.“ (I37) Die Fotoreporterin zeigt hier Empathie für die Menschen in der Region und Verständnis für



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ihren Ärger gegenüber der anderen Seite. Was jedoch fehlt, ist eine weitere Einordnung in den politischen Kontext. Dies ist ein typisches Merkmal für ein „unpolitisches“ Narrativ. Als ein zentrales Problem identifiziert ein französischer Fotoreporter die Folgen der Separation für die beiden Gesellschaften: „I think basically there is today in Israel a lot of ignorance on both sides. If you say to Palestinians describe me an Israeli they are going to show you a settler and if you ask Israelis describe you a Palestinian they are going to show you a guy from the Hamas with a Kalashnikow. And if you are going to tell them that tonight you can go to Ramallah and you can spend a night in places such as in Tel Aviv, they will tell you come on you are liar.“ (I07)

Der Fotoreporter beschreibt hier ein Schein- und Unwissen über den Anderen, was heute beide Gesellschaften charakterisiert und zu einer Delegitimisierung und Darstellung des Anderen als Feind führt. Es ist eine Folge der Separationspolitik seit Beginn der 2. Intifada. Was dieses Narrativ hinsichtlich einer möglichen Konfliktlösung zu bieten hat, zeigt eine weitere Aussage des französischen Fotoreporters: „Basically I think that you should bring business. That’s why when I speak about the conflict I was telling that the social side or the business side is more important or interesting to show because maybe you can show hope and you can see hope. And you can show also that people living here are not that much different from any where else and that they want to do things the same like others.“ (I07)

Der Schwerpunkt wird hier auf die wirtschaftliche Entwicklung als Faktor einer Lösung gesetzt. Dahinter steckt der Gedanke, durch wirtschaftliche Entwicklung die Bedeutung der politischen Forderungen überwinden und einen alternativen Weg gegen zu können, wo die Frage Grenzverläufe etc. nicht mehr im Vordergrund steht. Erstaunlicherweise schließt sich dies gut an Elemente an, die im dominanten israelischen Narrativ – wenn auch nicht unter den befragten Fotoreportern – immer wieder auftauchen. Dort ist der Gedanke des economic peace mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. In der Regel steht dieser dann jedoch im Zusammenhang mit dem Unwillen, am politischen Status Quo etwas zu ändern. Dieses Narrativ ist deswegen als „neutral“ zu bezeichnen, weil die hier diskutierten Aussagen zeigen, dass Vertreter dieses Narrativs vermeiden, eine klare Position zu beziehen. Stattdessen stellen sie die Schwierigkeit einer Konfliktlösung in den Vordergrund. Dies verbindet sich mit einer empathischen Sicht auf die Menschen in der Region. Gleichzeitig ist es aber auch eine eher „unpolitische“ Sicht auf den Konflikt, in dem Machtasymmetrien und die politischen Unterschiede in den



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Positionen der verschiedenen Konfliktakteure eher ausgeblendet werden. Damit ist das Narrativ durchaus anschlussfähig an das dominante israelische Narrativ. 7.4.4 Das gesellschaftliche Klima der Berichterstattung Fotoreporter agieren im Spannungsfeld gesellschaftlicher Prozesse sowohl der Berichterstattungsregion als auch der Publikationsregionen und werden von den dort vorherrschenden Diskursen beeinflusst, da dort die Bildberichterstattung über den Konflikt verhandelt wird. Einige der befragten Fotoreporter werden bspw. von den Konsumenten direkt oder über die Umwege der Agenturen mit ihrer Arbeit konfrontiert. Vor allem jüdische Institutionen, proisraelische Media-WatchdogGruppen sowie diplomatische Vertretungen Israels rezipieren veröffentlichtes Bildmaterial zum Nahostkonflikt auf einer politischen Ebene und äußern regelmäßig öffentliche Kritik an den Medieninstitutionen, wenn diese Bilder verbreiten, die dem dominanten israelischen Konfliktnarrativ und der Regierungspolitik widersprechen. In Israel herrscht, wie im Kapitel über den lokalen Medienmarkt beschrieben wurde (Siehe Kapitel 4.2.3), eine gewisse Pluralität innerhalb des Medienmarktes. Eine Vielzahl auch kritischer Stimmen zur Regierungspolitik ist in Tageszeitungen, dem Fernsehen und dem Radio zu finden. Die Erfahrung lokaler und internationaler Fotoreporter der Stichprobe ist jedoch, dass die Bevölkerung in Israel eine große Skepsis gegenüber den internationalen Medien und ihren Vertretern hegt. Im innenpolitischen Diskurs Israels werden diese oft als antisemitisch dargestellt und so ein Klima des generellen Misstrauens gegenüber den internationalen Medien gefördert. Welche Folgen dies in der Praxis haben kann, verdeutlicht der Fall des israelischen Fotoreporters Nati Shohat: „Sometimes my work causes me a lot of problems in this country. My friend doesn’t like what I do, the government doesn’t like what I do. A few months ago I published something in the Sunday Times. It was about an undercover unit, working in Jerusalem and arresting Palestinians at night in their homes. [...] It was very hard to get the access. But when the Israel ambassador saw it published he wanted to kill me. I got a lot of mad phone calls ‚Why do you do it? You’re an Israeli! You do damage to Israel!‘.“ (I21)

Shohat beschreibt hier das Spannungsfeld seiner Arbeit und die Kritik, der er immer wieder ausgesetzt ist. Aus seiner Sicht ging es im Artikel über die Under Cover Units nicht um eine Kritik an der israelischen Politik, sondern die Sichtbarmachung eines politischen Phänomens. Die Kritik, die ihm unter anderem durch die israelische Botschaft entgegengebracht wurde, warf ihm jedoch interessanterweise vor, antiisraelisch gehandelt zu haben. Die Empörung war deshalb so groß, weil auf



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Unverständnis stieß, wie er „als Israeli“ so handeln könne. Hier zeigt sich zum einen die Erwartung, dass israelische Journalisten zum Wohle Israels handeln sollen und zum anderen die implizite Annahme, dass die Veröffentlichung kritischer Artikel die Diskreditierung Israels zum Ziel habe. Dabei konstatiert die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon eine drastische Veränderung des gesellschaftlichen Klimas in Israel in den letzten 10 Jahren: „The level of incitement against the media in the last 10 years has seriously increased, mostly by politicians. Today we see the outcome of this. Because a young boy that has been hearing this from 8 until he is 18 [...] won’t understand the importance of that (freie Presse; Anm.d.A.) for democracy. He will not respect someone else’s opinion. It doesn’t mean that journalists are biased or anti-Semitic just because they have a different opinion. But that’s a great issue of education.“ (I34)

Tibbon legt hier dar, was die Auswirkungen für die jüngeren Generationen sind. Dies betrifft sie in ihrer Arbeit insofern, als sie im Berufsalltag Soldaten oder Siedler vom Wert ihrer Arbeit überzeugen muss. Vom Mainstream abweichende – und durchaus auch israelkritische – Meinungen haben ihrer Ansicht nach nichts mit Antisemitismus zu tun. Sie vertritt die Ansicht, dass es Politiker der israelischen Rechten wie Netanyahu sind, die versuchen, politische Probleme als Schuld der Medien darzustellen (I34). Im Feld zeigt dies Auswirkungen dahingehend, dass vor allem der Zugang zu rechten politischen Gruppen schwierig ist. Auch ihr israelischer Kollege Eddie Gerald erzählte im Interview, wie er mit seiner politischen Lesart sozialer Probleme, die er im Alltag in Israel beobachtet, immer wieder aneckt (I03). Fotoreporter wie Gerald werden mit der Erfahrung konfrontiert, dass Dinge, die sie während ihrer Arbeit erleben, wie die Besatzung, die sich nur wenige Kilometer vom Alltag ihrer Freunde abspielt, für viele Menschen in Israel kein Thema ist. Wenn sie diese Themen mit einer vom Mainstream abweichenden Sicht einbringen, stoßen sie auf großen Widerstand. So kann es passieren, dass sie selbst durch die Themen, die von ihnen bearbeitet werden, ins Zentrum gesellschaftlicher Kritik rücken. Dies passierte Gerald mit einer Arbeit über Palästinenser, die in Höhlen im Süden der Westbank wohnen: „It was published abroad. But it won at that time the local testimony and I was so astonished to see it in the main Israeli websites. But you should have seen the talkbacks of the people. They said that I was a commander of the Hamas.“ (I03) Erfahrungen wie diese machen es für israelische Fotoreporter besonders schwer, ihre Geschichten in den israelischen Markt zu bringen, weil sie automatisch mit diesen Reaktionen konfrontiert werden. Fotoreporter, die kritisch die Folgen der israelischen Politik begleiten, stehen jedoch nicht nur in Israel im Fokus der Kritik. Wenn es um ausländische Medien



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geht, betrifft dies in der Regel internationale Fotoreporter. Eine in diesem Zusammenhang sehr interessante Erfahrung schildert die amerikanische Fotoreporterin Heidi Levine: „I had a cover in the beginning of the second Intifada of a Palestinian child that was dead with her mother from a village outside of Nablus. It was a cover from Paris Match and it caused a lot of problems. Many of the Jewish community in France wanted to cancel their subscriptions.“ (I16) Der Fakt, dass auf dem Cover des französischen Magazins ein totes palästinensisches Kind zu sehen war, hatte ihrer Schilderung nach zur Folge, dass jüdische Gruppen in Frankreich Druck auf den Verlag ausübten. Aufschlussreich ist, dass sie als Fotoreporterin den Druck ebenfalls zu spüren bekam, obwohl sie aller Wahrscheinlichkeit nach weder in die Bildauswahl noch in die Kontextualisierung oder das Verfassen der Überschrift auf der Titelseite involviert war. Ein anderes Beispiel, wie bestimmte gesellschaftliche Gruppen versuchen, die Veröffentlichung fotojournalistischer Arbeiten zu verhindern, schildert der deutsche Fotoreporter Kai Wiedenhöfer bezüglich der Ausstellung seines Projektes „Book of Destruction“ im Kunstmuseum „Jeu de Paume“ der Stadt Paris im Jahr 2009: „Es gab einen Angriff auf das Museum und es wurde danach einen Tag geschlossen. Und der Dachverband der jüdischen Verbände in Frankreich hat auf die Stadt so viel Druck ausgeübt, dass die Ausstellung nicht plakatiert worden ist und nach drei Tagen vom Museum aus dem Internet5 genommen worden ist.“ (I40) Die Aussage Wiedenhöfers zeigt den Einfluss politischer, proisraelischer Lobby-Gruppen in Europa. Auch wenn nach Aussage Wiedenhöfers die öffentliche Diskussion über den Angriff und die Kritik der jüdischen Verbände das Publikumsinteresse an seinem Projekt noch erhöhte, erschwert es letztlich die Arbeit der Fotoreporter. Denn diese müssen sich, ähnlich wie Kuratoren und Museumsleitungen, pauschalisierter Kritik erwehren. Wie sich dieses gesellschaftliche Klima auf Dauer negativ auf die eigene Arbeit auswirken kann, berichtet der junge italienische Fotoreporter Janos Chiala: „I have to say that as a journalist I experience all of this in a paralyzing way, it prevents me from working. My productivity is much lower here. I censure myself, not knowing what to do.“ (I11) Die Medienkritik hat sich damit in den Köpfen der Fotoreporter festgesetzt und hat den Effekt einer „Selbstzensur“. So überlegen sie sehr genau, welches Thema sie wie bearbeiten und welche Konsequenzen eine mögliche Veröffentlichung haben kann. Darüber hinaus erschwert die Meta-Diskussion über die Rolle der Medien im Konflikt auch die praktische Arbeit im Feld, wie Chiala weiter berichtet: „Especially when you work long-term in an area, you will inevitably create a social network. And this also exposes you to all sorts of mutual peer pressure and judgments. And the easiest

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Im Online-Archiv des Museums ist die Ausstellung bis heute nicht auffindbar.

376 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT way that I can explain to people on one side why I am covering the other side - and it is pretty much the only way that I manage to use – is by saying that you need to know your enemy. And that’s not a very good basis for objective journalism. But that’s the most that they give you.“ (I11)

Damit ist die Arbeit auf beiden Seiten des Konflikts, zumindest wenn sich Gruppen unmittelbar gegenüberstehen, so gut wie unmöglich. Vor allem für politische Akteure wie palästinensische Menschenrechtsgruppen auf der einen und SiedlerAktivisten auf der anderen schließt die Arbeit mit der einen Gruppe die Arbeit mit der anderen aus und wird misstrauisch beäugt. Dies hat in der Regel zur Folge, dass sich Fotoreporter entscheiden, schwerpunktmäßig zu bestimmten Akteursgruppen zu arbeiten. In diesem Zusammenhang entstehen auch neue Formen des peer pressure zwischen den Fotoreportern. Aufgrund der Schwierigkeiten, mit bestimmten Gruppen wie den Siedlern zu arbeiten, ist es in der Fotografen-Gemeinde eher verpönt, sich um Zugang bei diesen zu bemühen, wie es dieser Israeli schildert: „I thought back then that nobody really knew about what it looks like. They (Siedler, Anm.d.A.) were always the monsters. And I thought that they had beautiful sides as well. And I still think. And it’s a very unpopular view which gave me a lot of trouble in the journalism industry also.” (I13) Er war einer der ersten, der sich ausführlich den jüdischen Siedlern in der Westbank zuwandte. Vor allem sein Statement, dass die Siedler in ihrer Art zu leben auch schöne Elemente hätten, brachte ihm viel Kritik innerhalb der journalistischen Gemeinde ein. Problematisch ist, dass die Auseinandersetzung mit und die – meist notwendige – Gegendarstellung gegenüber ungerechtfertigten Vorwürfen viele Arbeitskapazitäten sowohl der Fotoreporter als auch der sie beauftragenden Agenturen oder Medienhäuser beansprucht. Genau das ist jedoch eines der Ziele politisierter Medienkritik. Des Weiteren bleibt meist immer erst einmal ein Makel auf den Projekten der Fotoreporter hängen, die in die Kritik geraten sind. Was oft erfolgreich stattfindet – und als ultimatives Ziel der Medienkritik anzusehen ist – ist eine Verschiebung der Auseinandersetzung von den politischen Problemen in der Region und damit dem Konflikt als Berichterstattungsgegenstand, hin zur Beschäftigung mit der Medienrealität.



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7.5 D IE PSYCHOSOZIALEN F OLGEN K ONFLIKT

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Die fotografische Dokumentation von Kriegen und Konflikten als Fotoreporter bedeutet eine Arbeit unter starker physischer und psychischer Belastung. Aufgrund ihrer Tätigkeit werden Journalisten und Fotoreporter heute als sogenannte first responder (Brayne 2009; Simpson/Coté 2006) bezeichnet, da sie ähnlich wie helfende Berufsgruppen oder Sicherheitskräfte oft die ersten am Ort eines Geschehens sind. Die spezifische Aufgabe und der Auftrag der Fotoreporter ist dabei die visuelle Dokumentation des Geschehens für den internationalen Bildermarkt. Ihre Tätigkeit unterscheidet sich damit von der Aufgabe anderer first responder wie der Sanitäter oder der Sicherheitskräfte, deren Fokus auf der Hilfe für die Opfer und der Sicherung des Ortes liegen. Zuerst einmal ist zu fragen, in welcher Form die Fotoreporter traumatischen Ereignissen ausgesetzt sind. In der Psychologie wird zwischen einer direkten und einer indirekten Konfrontation unterschieden, die gleichbedeutend mit primärer und sekundärer Traumatisierung sein können. Anknüpfend an die Kapitel über Arbeitsroutinen im Konflikt und die Pressefreiheit ist davon auszugehen, dass alle befragten Fotoreporter schon einmal traumatischen Ereignissen ausgesetzt waren. Die gilt sowohl, was die direkte Gewalterfahrung und damit eine Bedrohung der eigenen körperlichen Unversehrtheit angeht, als auch hinsichtlich der indirekten Erfahrung über die Arbeit mit Opfern von Gewalt. Die Art der Traumexposition sagt jedoch erst einmal nichts darüber aus, wie die Fotoreporter mit dem Erlebten umgehen und ob sich daraus dauerhafte psychische Schäden entwickeln. Im folgenden sollen ausgehend von der Rolle der Kamera für die Arbeit im Konflikt die emotionale Involviertheit der Fotoreporter, die psychosozialen Folgen der Arbeit sowie Copingstrategien geschildert werden. 7.5.1 Die Rolle der Kamera Das Besondere an der Arbeit von Fotoreportern ist, dass sie Ereignisse mit der Kamera dokumentieren. Die Kamera bedeutet einen besonderen Zugang zur Wirklichkeit, der Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Situationen sowie die psychosozialen Folgen der Arbeit hat. Die Kamera als physisches Objekt ist auch das entscheidende Merkmal, was Fotoreporter von anderen Journalisten, allen voran den Textjournalisten unterscheidet. Vergleichbar ist die Bedeutung der Kamera im Fotojournalismus mit der Arbeit von Video- und Fernsehjournalisten. Bei diesen kommt jedoch noch die Tonaufzeichnung als weiteres Merkmal hinzu. Darüber hinaus arbeiten vor allem Fernsehjournalisten eher im Team.



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Die befragten Fotoreporter attribuieren mit der Kamera eine ganze Reihe von positiven Funktionen, die es ihnen ermöglicht, auch in gewalthaltigen Kontexten konzentriert und zielorientiert ihrer Arbeit nachzugehen. So schildern die Fotoreporter, dass ihnen die Kamera ein Gefühl der Sicherheit gibt und Selbstvertrauen schafft. Beides resultiert aus der Konzentration auf eine handwerkliche Tätigkeit und den Fakt, etwas zu tun zu haben während um einen herum Chaos herrscht. Darüber hinaus wird die Kamera als eine Art physische Barriere wahrgenommen, die Distanz zur Realität schafft und andere Sinneswahrnehmungen wie das Riechen oder Hören reduziert. Vor allem der Faktor der Distanz macht das Privileg der Fotoreporter deutlich, Beobachter und nicht Akteur zu sein. Die Filterfunktion der Kamera hat ein französischer Fotograf sehr anschaulich beschrieben: „For myself the camera is getting me totally out of what is happening. You feel that you are kind of behind the screen of the TV and looking at news. It’s crazy. It’s hard to see, but you feel that you are like outside.“ (I07) Der Vergleich des Fotografierens mit dem Anschauen der Fernsehnachrichten lässt die Bedeutung der Kamera als physische Barriere besonders deutlich werden. Somit ist es die Ausübung einer sekundären Tätigkeit, was den Fotoreportern dabei hilft, im Chaos von Krieg und Gewalt handlungsfähig zu bleiben. Das Aufkommen von Gefühlen kann die Kamera jedoch nur für den Moment der Arbeit verschieben. Der Moment des Erkennens setzt oft schon ein, wenn sie die Kamera absetzen, wie es die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon beschreibt: „As long as you’re busy with shooting and you are busy with your exposure and disk and whatever, you’re fine. The minute you stop that line of thinking and you have to change something, then all the other senses and the emotions wake up.“ (I34) Was die Kamera somit leistet, ist eine Verzögerung der emotionalen Reaktion auf einen Zeitpunkt nach dem eigentlichen Ereignis. Meist fällt die emotionale Reaktion mit dem Verstehen und der Realisierung dessen zusammen, was gerde beobachtet wurde. Dies kann jedoch auch erst Wochen später passieren. Neben den hier als positiv charakterisierten Faktoren, die das Arbeiten in Grenzsituationen ermöglichen, werden mit der Kamera auch Aspekte verbunden, die eher als negativ einzuschätzen sind. So schildern die Fotoreporter, dass die Kamera auch ein Gefühl der Unverletzbarkeit geben und damit ein trügerischer Schein der Sicherheit entstehen kann. „I am not part of this, so I am not supposed to be hurt from this“, so beschreibt dieses Gefühl der Fotoreporter Safadi Atef (I19). Darüber hinaus wird geschildert, dass die Kamera die Wahrnehmung auch verschlimmern kann, weil sie es ermöglicht, in Details der Ereignisse hineinzuzoomen.



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7.5.2 Die emotionale Involviertheit der Fotoreporter Ob mit oder ohne Kamera bedeutet die Arbeit im Kontext von Krieg und Gewalt immer auch eine Arbeit im Grenzbereich des menschlich Fass- und Ertragbaren. Die persönlichen Grenzen der Fotoreporter können dabei auf vielfältige Art und Weise erreicht oder überschritten werden. Es scheint, als seien sich die Fotoreporter der Stichprobe darüber bewusst, dass sie trotz ihrer professionellen Rolle von dem, was um sie herum passiert, berührt werden, wie es der palästinensische Fotoreporter Fadi Arouri ausdrückte: „At the end I’m a human and I get touched by everything I see.“ (I18) Wenn auch nicht bewusst, so sind emotionale Grenzen immer da und Gefühle auf Dauer wegzuschieben, halten viele für schwierig. Die Erfahrungen, als Erster am Ort eines Geschehens zu sein, haben sich bei den meisten Fotoreportern tief ins Gedächtnis gebrannt, wie es ein israelischer Fotoreporter beschreibt: „If you run into it, you step on blood, you step on body parts without even seing, you just run towards the bus, but the body is scattered like hundred meters around the bus.“ (I06) Der Umgang mit Situationen wie der hier geschilderten stellt zweifellos eine Grenzerfahrung dar. Trotz allem sind die Fotoreporter i.d.R. weiterhin handlungsfähig, da in diesen Momenten der Körper auf Autopilot schaltet und mit Hilfe der Kamera auf das mechanische Dokumentieren fokussiert. Dies kann als eine notwendige Form der Abspaltung beschrieben werden, die sich an der NichtWahrnehmung von Opfern und dem Beiseiteschieben von Gefühlen zeigt. Darüber hinaus findet eine Abgrenzung statt, indem ein Bezug der Ereignisse zur persönlichen Realität negiert wird. Der Motor zur Reaktion in diesen Situationen ist vor allem das Adrenalin. Es ist eine körpereigene Reaktion auf Stress und Angst, die eng mit dem Fluchtreflex und dem Schutzreflex verbunden ist. Wie stark die Fotoreporter von Tod und Verletzung um sich herum betroffen sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So ist es abhängig von der Zeit, die sie vor Ort sind, ob sie Opfer oder betroffene Orte persönlich kennen, welche Beziehung sie zu den Menschen haben oder ob sie sich an persönliche Erlebnisse erinnert fühlen. Darüber hinaus spielt eine Rolle, wie stark sich die Fotoreporter auf die Menschen einlassen, inwieweit sie Distanz zu ihren Subjekten bewahren und emotionale Grenzen setzen. Je persönlicher die Beziehung zu den Fotografierten und zur Region ist, umso mehr schildern vor allem die internationalen Fotoreporter der Stichprobe, dass sie auf Dauer das Gefühl bekommen, Teil des Konflikts zu werden. Dabei trifft die persönliche Involviertheit in der Regel lokale Fotoreporter stärker, wie es die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon beschreibt: „I think that limit usually breaks when it’s somebody or a place you know. It’s also about being local and covering conflict, because there’s always a chance that you’ll know somebody or a place.“ (I34) Der Tod eines Fremden auf der Straße ist dann im Gegenzug eher als ein kurzes Ereignis, eine Adrenalin-geladene Handlung zu deuten,



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von der sich die Fotoreporter relativ schnell distanzieren können. Des Weiteren beobachten die befragten Fotoreporter eine Veränderung der emotionalen Involviertheit im Verlauf ihres Berufslebens. Zentrale Faktoren, die eine Veränderung anstoßen, sind eine zunehmende persönliche Reife und was internationale Fotoreporter angeht, eine stärkere lokale Einbindung. Ein weiterer Aspekt, der ebenfalls die Perspektive auf die Arbeit verändert, ist das Hineinwachsen in eine Vater- oder Mutterrolle, was oft direkte Auswirkungen auf die Arbeit nach sich zieht. In ihrem beruflichen Alltag sind die interviewten Fotoreporter dabei immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen sie an ihre persönlichen Grenzen stoßen bzw. über diese hinausgehen. Dabei sind diese Grenzen individuell höchst unterschiedlich. Einige von den Fotoreportern geschilderte Grenzsituationen sind z. B. die Aufforderung, im Leichenschauhaus Bilder von Toten zu machen, die Arbeit auf Beerdigungen, der Umgang mit trauernden Menschen oder Opfern des Konflikts. In einem abstrakteren Sinn werden Grenzen der Fotoreporter auch dann überschritten, wenn sie das Gefühl haben, an der Eskalation und der Situation des Konflikts nichts positiv verändern zu können, wenn ihr familiäres Umfeld in den Konflikt hineingezogen wird oder sie zu lange in einer Konfliktsituation bleiben. Auch wenn sich die Fotoreporter ihrer emotionalen Grenzen sowie möglicher direkter Risiken bewusst werden, findet immer ein innerer Aushandlungsprozess statt, wie es anschaulich ein israelischer Fotoreporter schildert: „I will calculate the pros and againsts, and see what I will benefit if I will extend these limits. Ok, I might get hurt, but what will I get from it. Is it worth it? If I decide the picture is worth it I might take the risk.“ (I06) Es ist die Form eines inneren Monologes, der hier geführt wird und der eine klare Risikoabwägung zum Ziel hat. Mögliche psychische Spätfolgen einer körperlichen Verletzung sind jedoch meist nicht Teil der persönlichen Kalkulation. Einen besonderen Status nehmen internationale Fotoreporter der Stichprobe ein, die als parachute correspondents nur für einen bestimmten Zeitraum in die Krisenregion Israel/Palästina reisen. Sie haben den Luxus entscheiden zu können, wann sie die Region wieder verlassen und wie stark sie sich belastenden Situationen aussetzen möchten. Von ihnen wurde immer wieder geäußert, dass sie einen zu langen Aufenthalt in der Region als Grenzüberschreitung empfinden. Wo diese Grenze liegt, ist sehr unterschiedlich und kann wie bei Peter Damman schon nach kurzer Zeit erreicht sein: „Also man kann sagen die Regel ist, drei Wochen Palästina hält man gut aus, dann kriecht das so an Dir hoch.“ (I02) Aber auch die israelischen Fotoreporter leben in der Regel nicht direkt in den heißen Konfliktregionen und können sich von der „Front“ immer wieder ins meist ruhigere israelische Kernland zurückziehen. Von dort können die Fotoreporter die Konfliktregionen gut erreichen und sich, wenn sie merken, dass ihre Grenzen erreicht sind, immer wieder nach Hause zurückziehen. Natürlich sind israelische Fotoreporter auch der allge-

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meinen Bedrohung durch terroristische Attentate in Israel ausgesetzt, wie der Rest der Bevölkerung. Aber seit 2006 kam es zu keinen großen Anschlägen, wohingegen die Bedrohungen durch die Besatzungsmacht in der Westbank weiterhin Alltag sind. Insofern gibt es für israelische und internationale Fotoreporter hier einen sicheren Rückzugsort. Darüber hinaus gibt es immer auch einen Aspekt der Gewöhnung, wenn Konflikte Teil des Alltags sind. Ein palästinensischer Fotoreporter schilderte, wie aus seiner Sicht das alltägliche Leben unter der Besatzung und die Konfrontation mit Checkpoints, Kontrollen, etc. es ihm erleichterte, mit den Gefahren, denen er in seinem Job konfrontiert ist, umzugehen:„What makes people in conflicts day by day lose their fears, is that the danger becomes like a normal thing in their life. And this is what happens to Palestinians, the fear becomes a normal thing in their life, like checkpoints and stuff. And then you suffer from it, but that’s not making you stop.“ (I31) Was sich also verschiebt, ist die Wahrnehmung dessen, was als normal empfunden wird. Während eine Checkpoint-Situation für einen internationalen Fotoreporter möglicherweise einen Stressfaktor darstellt, ist dies für die Palästinenser Alltag im Konflikt und hält sie nicht von der Arbeit ab. 7.5.3 Die psychosozialen Folgen der Arbeit Welche dauerhaften psychosozialen Folgen die Arbeit nach sich zieht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Neben persönlichen Prädispositionen hat der Status, den die Fotoreporter in der Region innehaben, einen großen Einfluss auf ihre persönlichen Grenzen, wie im vorangegangenen Abschnitt geschildert. Trotz alledem ist es natürlich individuell sehr unterschiedlich, wie die Fotoreporter mit den Folgen der Arbeit in Konflikten umgehen und welche Auswirkungen dies auf ihr Verhalten und ihr Leben hat. Einige der befragten Fotoreporter schilderten eindeutige körperliche Reaktionen, die sie der Arbeit zuschreiben und die meist nach einem Ereignis oder einer Serie von Ereignissen auftraten. Dazu gehörten z. B. ein unkontrollierbares Zittern am ganzen Körper, unklare körperliche Symptome, das Auftreten eines Hexenschusses, starke Lärmempfindlichkeit sowie Müdigkeit und Schlafprobleme. Darüber hinaus wurden von den Fotoreportern Veränderungen in ihrem sozialen Verhalten festgestellt, wie die Überängstlichkeit bei den eigenen Kindern, Nervosität, Gereiztheit, ständige Wachsamkeit sowie eine erhöhte Risikobereitschaft. Fotoreporter berichten darüber hinaus von einer Art Sucht nach adrenalinhaltigen Situationen und davon, gelangweilt zu sein, wenn nichts passiert. Als andere Folgen der Arbeit werden Frustration, emotional ausgelaugt zu sein sowie der Wunsch, das Land möglichst schnell zu verlassen, beschrieben. Weitverbreitet sind auch Zynismus und schwarzer Humor.



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Die Erinnerungen an traumatische Ereignisse kommen dabei meist in Phasen der Ruhe oder beim Einschlafen wieder hoch. Der palästinensische Fotoreporter Nasser Shiyoukhi schilderte, wie schwer es ihm fiel zu verarbeiten, dass ein Palästinenser vor seinen Augen an einem israelischen Checkpoint erschossen wurde: „I started taking pictures and I saw him die in front of me. After that it took me like a few month to sleep, to start sleeping normally, because every time I went to the bed and put my head down, I saw the guy in front of me.“ (I20) Neben den Bildern der Erlebnisse können es auch bestimmte Gerüche sein, die schwer aus den Erinnerungen zu tilgen sind und über längere Zeit eine Belastung im Alltag darstellen. Einige Fotoreporter berichten auch von Ereignissen und Situationen, die als sogenannte Trigger fungieren und die erlebten Situationen und das damit verbundene Gefühl wieder hervorrufen können. Dazu gehört z. B. das Betrachten von Bildern dieser Ereignisse, das Aufsuchen der Orte, auch Jahre später nach dem Ereignis, sowie Geräusche, die an bestimmte Situationen erinnern. Diese Trigger können wiederum Flashbacks auslösen, also ein Wiedererleben der Situation, was die Gefahr einer Retraumatisierung bergen kann. Welche Symptome die einzelnen Fotoreporter letztlich ausprägen, in welchem Ausmaß sie betroffen sind und ob sie sich ihren Zustand anmerken lassen, ist nach Ansicht eines israelischen Fotoreporters individuell sehr unterschiedlich: „ Each one takes it to other places. But I’m sure that anyone that was exposed to these kinds of things or sights for too many times carries on. And each one deals differently with it. I could see photographers crying in some places. Others look indifferent but then in the evening they would drink to death.“ (I06) Von einigen Fotoreportern wurde jedoch hervorgehoben, dass es mit steigendem Berufsalter immer wahrscheinlicher wird, psychologische Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, um negative Konsequenzen zu vermeiden. Die psychosozialen Folgen werden auch vom Zeitpunkt der fotojournalistischen Arbeit im Konflikt beeinflusst. Je nach Eskalationsstufe sowie der Gewalthaltigkeit des Konflikts haben die Fotoreporter mit völlig anderen Ereignissen und Erfahrungen zu tun, was sich letztlich auch in den psychischen Folgeerscheinungen widerspiegelt. Einige der internationalen und israelischen Fotoreporter sprachen z. B. von den „hell years“ und meinten damit vor allem die Zeit der zweiten Intifada, als palästinensische Terrorgruppen den Konflikt mit Selbstmordattentaten in die israelischen Städte trugen. Für ihre palästinensischen Kollegen waren die Herausforderungen dagegen vor allem die militärischen Auseinandersetzungen in der Westbank und im Gazastreifen. Fotoreporter dagegen, die gegen Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends in die Region kamen, machten völlig andere Erfahrungen. Sie hatten nicht mit Terrorattacken in Bussen zu tun und die Anzahl der nachrichtenrelevanten Ereignisse war niedriger als wenige Jahre zuvor. Nichtsdestotrotz gibt es aber weiterhin viele Risiken, denen die Fotoreporter ausgesetzt sind. So sind Fotoreporter, die im Gazastreifen arbeiten oder regelmäßig über die zum Teil ge-

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waltsamen Zusammenstöße zwischen israelischer Armee und palästinensischen Demonstranten berichten, weiterhin sehr hohem emotionalem Stresspotential ausgesetzt. Die Asymmetrie, die zwischen dem Fotoreporter als einem journalistischen Akteur, der das Geschehen dokumentiert, und den fotografischen Subjekten, die Opfer von Gewalt sind, besteht, spiegelt sich in der Ausbildung von Schuldgefühlen auf Seiten der Fotoreporter. Diese Gefühle entstehen beispielsweise aufgrund des Bewusstseins über eigene Privilegien oder die eigene körperliche Unversehrtheit angesichts der Konfrontation mit Leid. Schuldgefühle spielen vor allem beim Setzen persönlicher Grenzen eine große Rolle. Für die Intensität dieser Gefühle spielt der Grad der persönlichen Involviertheit in den Konflikt eine große Rolle. Vor allem Fotoreportern, die in den palästinensischen Gebieten leben und schwerpunktmäßig tätig sind, bereitet dies große Probleme. Normalerweise bietet die fotografische Arbeit an sich eine Möglichkeit, die Schuld in etwas Produktives umzuwandeln. Wenn diese Möglichkeit verschlossen ist, hat dies eine extrem große Frustration zur Folge. Eine andere Möglichkeit, dem Schulgefühl zu begegnen, ist für die Fotoreporter das Verlassen ihrer Rolle durch direkte Hilfe oder die emotionale Unterstützung von Menschen, denen sie in ihrer Arbeit begegnen. Interessant ist, dass die Beschreibung der psychosozialen Folgen zum Teil hinter Allgemeinplätzen „every photographer who is doing this job for over 10 years might need some psychological help“ (I14) oder „I know it is an issue and the PTSD and blablabla“ versteckt wird (I13). Dies sind allgemeine Aussagen ohne einen Bezug auf das persönliche Befinden, die jedoch dem Thema gleichzeitig Bedeutung zumessen. Bei einigen Fotoreportern sind dagegen auch klassische Abwehrmechanismen zu beobachten, die sich darin zeigen, die psychischen Folgen der Arbeit zu bagatellisieren: „I tell you we are not dealing with trauma issues over here. Absolutely not. I don’t remember a single event that I was traumatized by something.“ (I03) Darüber hinaus werden die Auswirkungen auf die Psyche gerne mit dem Hinweis daraus, dass jede Arbeit ihren Preis habe und dies eben zum Job dazugehöre, abgetan: „It’s all consequences of the work. These are hings that you always take with into consideration. You know that certains things can happen.“ (I10) Dahinter steckt vermutlich eine Berufsauffassung, die dem Mythos anhängt, dass nur die Schwachen im Beruf traumatisiert werden können. Nach dem Motto „Augen zu und durch“ müsse eben der Job erledigt werden. Dies gipfelt im Vergleich der Arbeit von Fotoreportern mit Soldaten, die gestiefelt und gespornt immer bereit für die Arbeit sind und vor nichts zurückschrecken. Zu den bisher geschilderten und der Arbeit im Konfliktkontext zuzurechnenden Faktoren, die einen hohen psychosozialen Preis fordern, kommen erschwerend dem Berufsfeld immanente Bedingungen hinzu. Dazu zählen z. B. der allgemein hohe Produktionsdruck, die Schnelligkeit des Mediums sowie die 24-Stunden-Routine



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auf Seiten der festangestellten Nachrichtenfotografen und die Prekarität der Arbeitsverhältnisse auf Seiten der Stringer und der Freelancer aus dem Bereich der Dokumentarfotografie. Diese Faktoren haben das Potential, mögliche negative Folgen traumatischer Ereignisse zu verstärken, da der berufliche Alltag wenig Raum für Bewältigungsstrategien bietet. Dabei ist natürlich grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der Fotojournalismus ein Feld ist, in dem eine erhöhte Stressresistenz notwendig ist. Bei der Dokumentation von Konflikten wird diese jedoch auf besondere Weise herausgefordert. 7.5.4 Copingstrategien der Fotoreporter Für den Umgang mit den beschriebenen psychosozialen Folgen der Arbeit haben die in der Region tätigen Fotoreporter unterschiedliche Strategien entwickelt. Der Ausgangspunkt einer Verarbeitung von Erlebnissen ist Wege zu finden, die eigenen Erfahrungen mit anderen zu teilen. So wurden von den Fotoreportern einige grundsätzliche Punkte angesprochen, was eine Bewältigung und den Umgang mit traumatischen Ereignissen angeht. Dazu gehört, nach einem traumatischen Ereignis nicht mit der negativen Energie alleine nach Hause zu gehen, die Erlebnisse so früh wie möglich mit anderen zu diskutieren, persönlichen Grenzen zu akzeptieren und auf den Körper und die Intuition zu hören, eigene Erfahrungen zu reflektieren und sich emotional auf das vorzubereiten, was passieren kann. Wie das Thematisieren nach besonders heftigen Ereignissen aussehen kann, beschrieb die israelische Fotoreporterin Gali Tibbon im Interview: „We had a rule at the peak of the Intifada. It was a bunch of us that after something shitty happened, like if there was a bomb at night or something, would not go home like that with this bad energy. We’d go to a certain bar, we’d sit for an hour, two hours, and only after that you would go home, not to go straight home with that energy.“ (I34)

Rituale wie dieses haben eine wichtige Funktion, da sie im Chaos eines Konflikts eine Möglichkeit der Orientierung bieten. Um sich von den Gedanken an die Erlebnisse abzulenken, wurde von den befragten Fotoreportern eine Reihe von weiteren Ablenkungsmechanismen geschildert. Dazu gehörten zum Beispiel der Konsum von Alkohol und das Rauchen von Marihuana, also der Rückgriff auf sogenannte „leichte“ Drogen, sowie schwarzer Humor und Zynismus beim Reden über die Geschehnisse. Diese Formen sind eher als negative Copingstrategien zu betrachten, da sie keine wirkliche Ablenkung bieten und vor allem was den Drogenkonsum angeht, selbst wiederum negative Folgen haben können. Die Fotoreporter schilderten jedoch auch andere Ablenkungsstrategien, die eher meditativen Charakter haben. Als konkrete Tätigkeiten wurden diesbezüglich z.B.



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das Fischen, das Gärtnern und das Musizieren genannt. Andere wiederum finden Ablenkung im friedlichen Alltag israelischer Großstädte wie Tel Aviv, wohin sie sich nach der stressigen Arbeit zurückziehen können. Aber es wurden auch kleinere, eher unscheinbare Dinge genannt, wie es sich zu gönnen, einen Tag das Telefon abzuschalten und in Ruhe zu Hause vor dem Fernseher zu bleiben. Vor allem für die internationalen Fotoreporter, die in den palästinensischen Gebieten leben, hat das Verlassen der Region Richtung Europa mehrmals im Jahr eine wichtige Funktion, um Distanz zu den Ereignissen zu schaffen. Eine Fotoreporterin schilderte, wie sie das Schreiben für ihren Blog als Verarbeitungsstrategie nutzt. Die hier genannten Ablenkungsstrategien, seien sie eher kurzfristig, direkt an ein Ereignis gekoppelt oder längerfristig angelegt, sind als positive Copingstrategien zu bezeichnen. Wie emotional besetzt und ausdrucksstark dabei auch eher alltägliche Arbeiten wie das Gärtnern sein können, zeigt beispielhaft die Aussage des israelischen Fotoreporters Nati Shohat: „I am a gardener as well with a nice garden. If you would come and see my garden after a terror attack you would say: ‚The gardener was crazy yesterday‘. I was cutting everything and make it look different. It was part of the way to take it out.“ (I21) Aber auch die Fotografie selbst kann als Ablenkungsstrategie genutzt werden, wie es der Fall des ehemaligen Reuters-Fotoreporters Gil Cohen Magen zeigt, der neben seinem Brotjob über Jahre hinweg orthodoxe jüdische Gruppen mit der Kamera begleitete: „During my extensive work in Reuters it was for me a place to relax. Because I was always running after clashes and terror attacks, or a lot of things like the wall, the war ... And when I went there, it was for me to relax. It was some kind of therapy from the work in Reuters.“ (I26) Gil Cohen Magen spricht der Arbeit an seinem Projekt sogar eine therapeutische Wirkung zu. Es war für ihn ein Raum, wo er vom Alltag der Nachrichtenfotografie abschalten konnte. Dies zeigt auf, dass es auch möglich ist, innerhalb der Fotografie Räume zur Verarbeitung zu schaffen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als die Fotoreporter eine besondere Beziehung zur Kamera als technischem Gerät haben. Sie haben gelernt, ihre Gefühle über Bilder auszudrücken. Darüber hinaus ist dies für die Fotoreporter eine Bestätigung, dass nicht die fotografische Arbeit sondern der Konflikt das Problem darstellt. An den Aussagen der Fotoreporter zeigt sich die Bedeutung, Räume für den Austausch und das Reden zu schaffen. Diese finden sie entweder im Kollegenkreis oder unter Familien und Freunden. Vor allem, was die Bedeutung der Familie angeht, gibt es aber konträre Schilderungen. Während einige ihre Erlebnisse dort mitteilen, versuchen andere ihren Arbeitsalltag und die Probleme und Ängste, die damit verbunden sind, aus dem privaten Umfeld herauszuhalten. Dies bezieht sich meistens auf die Partner und Kinder. Verbunden damit ist der Wunsch, sich im privaten Umfeld Räume zu schaffen, in denen der Konflikt nicht präsent ist. Besonders schwer ist dies, wenn beide Partner im gleichen Bereich tätig sind. Aber auch

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dann gibt es Möglichkeiten Grenzen zu setzen. So schilderte ein in der Westbank lebendes französisch-italienisches Fotografenpaar, dass sie versuchen, politische Bilder und Karten aus ihrer Wohnung fernzuhalten und Arbeitsthemen nicht mit ins Schlafzimmer zu nehmen (I22). Die Ziele der Copingstrategien sind, Ablenkung zu finden, den Kopf frei zu bekommen, negative Energien loszuwerden und möglicherweise ein Ventil für die eigenen Gefühle zu finden. Denn viele der Fotoreporter teilten die Befürchtung, dass die völlige Vermeidung des Themas auf Dauer negative Folgen hat. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass alle bisher angesprochenen Formen der Verarbeitung keine direkte Bearbeitung traumatischer Erfahrungen waren. Es sind persönliche Strategien der Fotoreporter, sich Ablenkung von negativen Gedanken zu schaffen und das Weiterarbeiten zu ermöglichen. Davon abzugrenzen sind professionelle Settings der Bearbeitung in Form von Debriefiung oder Therapien. Nur sehr wenige Fotoreporter äußerten im Gespräch, dass sie auch professionelle Hilfe von Psychologen und Psychiatern in Anspruch nehmen mussten. Dies kann entweder darauf hindeuten, dass es weiterhin tabubelastet ist, diese Themen öffentlich zu besprechen oder dass trotz der hohen Belastung die psychosozialen Folgen nicht so stark sind, dass sie eine professionelle Bearbeitung notwendig machen würden.

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7.6 Z WISCHENFAZIT

ZUM

K ONFLIKTKONTEXT

7.6.1 Arbeitsroutinen im Konflikt Die Arbeitsroutinen im Konflikt sind von einer Vielzahl von Faktoren gekennzeichnet, die sowohl dem Journalismus- als auch dem Konfliktkontext zuzuordnen sind. Kennzeichnendes Merkmal ist dabei – so banal es sich anhört – die Anwesenheit des Fotoreporters im Feld. An dieser Stelle soll zusammenfassend nachgezeichnet werden, welche Bedeutung der Konflikt für die Arbeit der befragten Fotoreporter hat und wie sich dieser auf das Leben und Arbeiten der Fotoreporter auswirkt. Weitere im Folgenden thematisierte Fragestellungen reichen von der Art und Weise der Kooperation mit bestimmten Konfliktakteuren, das kollegiale Verhältnis bis hin zum Umgang mit Sprache und Geschlecht im Feld. Alle diese Themen bestimmen das fotojournalistische Handeln im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts. Für die am Produktionsstandort Israel/Palästina tätigen und für diese Studie interviewten Fotoreporter ist die Region nicht nur aufgrund des Konflikts von großem Interesse. Es gibt eine Vielzahl von persönlichen Gründen, die dazu führen, dass internationale Fotoreporter in die Region kommen. Bei den befragten internationalen Fotoreportern, die seit vielen Jahren in der Region leben, gibt es in der Regel eine enge biografische Verbindung nach Israel. Dass internationale Fotoreporter ohne diese persönliche Beziehung über Jahre in der Region bleiben, stellt eher die Ausnahme dar. Einmal in der Region angekommen, ist der Konflikt sowohl für die internationalen als auch die lokalen Fotoreporter der entscheidende Berichterstattungsgegenstand. Für die lokalen Fotoreporter des Samples ist der Konflikt darüber hinaus ein entscheidender Pushfaktor in der beruflichen Karriere. Bis heute ist die Region auch ein Sprungbrett für junge internationale Fotoreporter. Die Beschreibung der Lebensumstände der interviewten Fotoreporter in der Berichterstattungsregion Israel und Palästina hat einige Unterschiede im Hinblick auf Auswirkung des Konflikts auf den Alltag der Fotoreporter deutlich gemacht. Im Vergleich zwischen israelischen und palästinensischen Fotoreportern des Samples wird deutlich, dass Israelis ähnlich wie die Internationalen das Gefühl haben, sich in ihrem alltäglichen Umfeld in Israel vom Konfliktgeschehen erholen zu können. Sie bewegen sich also vom Zentrum (Alltag) an die Peripherie (Arbeit), wo der Konflikt stattfindet. Das zentrale Privileg internationaler Fotoreporter ist es, sich bei der Wahl des Wohnortes zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten entscheiden zu können. Die Mehrzahl der befragten israelischen und internationalen Fotoreporter lebt in den Großräumen Jerusalem und Tel Aviv, wodurch sich Parallelen zur Situation der Auslandskorrespondenten zeigen (vgl. Götz 2008). Bezeichnend ist die Beschreibung luxury conflict des Fotoreporters Eddie Gerald, der damit



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die geografische Nähe der Hotspots des Konflikts zum behüteten Alltag israelischer Städte umschreibt. Für israelische Fotoreporter gilt, dass alltägliche Gewalt- und Konflikterfahrung in den letzten Jahren eher die Ausnahme darstellen.1 Anders stellt sich die Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten dar. Dort sind die Auswirkungen des Besatzungsregimes sowohl im Gazastreifen als auch in der Westbank im Alltag spürbar. Auch wenn in palästinensischen Städten und Dörfern in der Westbank die israelische Armee nicht präsent ist, sind Palästinenser spätestens bei Überlandfahrten mit der Besatzung konfrontiert. Dazu kommen Konflikte mit Siedlern sowie das Risiko israelischer Militäroperationen. Dieses Risiko besteht auch im Gazastreifen, wo sich der Konflikt vor allem als Beherrschung aus der Luft abzeichnet. Der Besatzungssituation ausgesetzt sind auch internationale Fotoreporter, die ihren festen Wohnsitz in den besetzten palästinensischen Gebieten haben. All dies sind Faktoren, die die Konfliktsozialisation der Fotoreporter beeinflussen. Bei der Arbeit im Feld sind die Fotoreporter mit einer Vielzahl von Konfliktakteuren konfrontiert. Aber nur eine Minderheit arbeitet an Projekten, die einen engeren, auf Dauer angelegten Kontakt mit einzelnen Akteuren notwendig macht. Alltägliche Begegnungen gibt es auf Arbeitsebene im Feld, z. B. bei Demonstrationen oder politischen Ereignissen. Nur vereinzelt stellen es sich die befragten Fotoreporter als Aufgabe, bestimmte Akteure in den Mittelpunkt zu rücken um diesbezüglich ein eigenes Profil zu entwickeln. Im Vergleich der verschiedenen Akteursgruppen ist der schwerste Zugang dabei zu israelischen Siedlern sowie der israelischen Armee. Von großer Bedeutung als Türöffner sind hier vor allem persönliche Kontakte, eine jüdisch-israelisch Identität sowie die Ableistung des Wehrdienstes. Risikoreich ist vor allem die Dokumentation der Aktivitäten palästinensischer Widerstandsgruppen, auch wenn der Zugang relativ einfach herzustellen ist. Besonders in Zusammenhang mit Demonstrationen von Palästinensern in der Westbank und militärischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen wird von proisraelischen Media-Watchdog-Gruppen immer wieder der Vorwurf der Manipulation und des Anti-Israel Bias an die Fotoreporter, vor allem der Wire, gerichtet. Dahinter steht das Argument, dass nicht soziale und politische Probleme und daraus resultierende Ereignisse die Ursache der Berichterstattung seien, sondern der Wunsch der Fotoreporter, den israelischen Staat in ein schlechtes Licht zu rücken. Diese Arbeit fand hierfür keine Belege. Im Gegenteil: Es konnte aufgezeigt werden, dass es eine komplexe Mischung aus Faktoren aus dem Journalismus- und dem Konfliktkontext ist, die den Umgang mit den Ereignissen bestimmt. Nach den Standesregeln verhal-

 1

An dieser Stelle ist zu betonen, dass der Zeitpunkt der Forschung sowie die Beschreibung der Lebensumstände sich vor allem auf die Jahre 2010 und 2011 beschränken, als es innerhalb Israels mehrere Jahre keine Terroranschläge gegeben hat.



Z WISCHENFAZIT K ONFLIKTKONTEXT | 389

ten sich die Fotoreporter dabei professionell, auch wenn sie inszenierte Ereignisse dokumentieren. Während auf institutioneller Ebene die Kontakte zwischen israelischen und palästinensischen Fotoreportern immer komplizierter werden (siehe Kapitel 7.6.2), herrscht nach Aussage der Befragten im Feld weiterhin eine gute Kooperation. Man ist aufeinander angewiesen und hilft sich gegenseitig: Israelische Fotoreporter werden hier als Kollegen, weniger als Repräsentanten Israels wahrgenommen. Neue Akteure, die vor allem aus dem aktivistischen Spektrum kommen und mit dem Begriff des citizen journalist beschrieben werden können, zwingen die professionellen fotografischen Kommunikatoren zu einer Positionierung. Dabei ist zu beachten, dass viele der jüngeren palästinensischen Fotoreporter, auch der Agenturen, in dieser Szene sozialisiert wurden. Trotz allem sind es die Nachrichtenfotografen, die sich am stärksten abgrenzen. Dies hat vermutlich mit der professionellen Identität zu tun, die von den Agenturen verlangt wird, sowie mit dem hohen Arbeitsdruck. Konkurrenz im Feld entsteht insofern, als die Präsenz von Kameras den Grad der Mediatisierung erhöht und Bilder im clean frame erschwert. Hinsichtlich der Absatzmärkte entsteht dagegen keine Konkurrenz, da die citizen photographer vor allem über soziale Medien kommunizieren und weniger in klassischen journalistischen Medien. Auf lange Sicht stellen die citizen photographer jedoch das Privileg der professionellen Fotoreporter in Frage, die alleinigen und gesellschaftlich akzeptierten Dokumentaristen sozialer Realität zu sein. Trotz des Rückgriffs auf die Fotografie ist die Sprache ein wichtiges Kommunikationsmedium der befragten Fotoreporter, vor allem beim Sammeln von Informationen und bei der Kontaktaufnahme. Umso erstaunlicher ist es, dass viele der Fotoreporter ihrer Arbeit nachgehen können, ohne die jeweils relevante lokale Sprache zu beherrschen. So verfügt nur eine geringe Anzahl internationaler Fotoreporter über gute Kenntnisse der lokalen Sprachen. Zu einem Problem kann die Sprache im Feld dann werden, wenn Konfliktakteure daran die Nationalität der Fotoreporter erkennen können. So vermeiden es einige der interviewten israelischen Fotoreporter aus Angst vor negativen Konsequenzen, in der Westbank Hebräisch zu reden, um nicht als Israeli erkannt zu werden. Unter anderem aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse sind die internationalen Fotoreporter auf die Kenntnisse ihrer lokalen Kollegen angewiesen. Hier zeigt sich die große Bedeutung lokaler Fotoreporter vor allem der Wire in ihrer Doppelfunktion als Stringer und Informanten. Was die Genderfrage angeht, zeigen die geschilderten Erfahrungen, dass die Regeln der Geschlechtertrennung, die in großen Teilen der auf Geschlechtersegregation basierenden Gesellschaften in Israel und den palästinensischen Gebieten virulent sind, auch für Fotoreporter gelten. Als besonders schwierig wird übereinstimmend die Arbeit mit der Gruppe der ultraorthodoxen Juden eingeschätzt. Die Arbeit mit Palästinensern dagegen wird erleichtert durch die besondere Rolle, die

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ein Gast dort genießt, da damit zu einem gewissen Grad die strengen Regeln der Geschlechtersegregation aufgehoben werden. Dies gilt jedoch eher für Frauen als für Männer. Während Frauen als Gast Zugang zur Männerwelt in der palästinensischen Gesellschaft haben, ist dies umgekehrt nicht der Fall. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass vieles von der Persönlichkeit des Fotoreporters abhängt. Neben einem Rückgriff auf kreative Methoden ermöglicht ein empathischer Auftritt männlichen wie weiblichen Fotoreportern, in gesellschaftliche Bereiche einzudringen, die ihnen theoretisch verschlossen bleiben sollten. 7.6.2 Die Pressefreiheit der Fotoreporter Die Aussagen der Fotoreporter des Sample hinsichtlich der Einschränkung der Pressefreiheit bestätigen weitestgehend die Ergebnisse anderer Untersuchungen über die Situation in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten (HRC 2012; Hunt et al. 2013). Neben der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die israelische Besatzungsmacht werden als zentrale Probleme die Pools und military closed zones sowie die Auswirkungen der internen Spaltung zwischen Hamas und Fatah gesehen. Dabei ist zumindest bezogen auf die Westbank die israelische Armee der zentrale Akteur, der für den Großteil der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist und das Besatzungssystem Aufrecht erhält, das die meisten der politischen Restriktionen, mit denen die Fotoreporter zu kämpfen haben, hervorbringt. Die palästinensischen Sicherheitsbehörden haben von Israel die Aufgabe übernommen, Sicherheit in den von ihnen kontrollierten Regionen herzustellen und haben sich nach Ansicht von Kritikern damit zu einem gewissen Teil auch mit den Interessen Israels gemein gemacht. Bezogen auf die Berichterstattungsfreiheit im gesamten Territorium der Westbank ist die Reichweite des Handelns der Palästinensischen Autonomiebehörde jedoch eher als gering einzuschätzen. Ein entscheidendes Merkmal der Pressefreiheit ist die Bewegungsfreiheit. Während in der Westbank und im Gazastreifen wohnhafte Palästinenser den geringsten Grad der Bewegungsfreiheit haben, verfügen Palästinenser mit einer israelischen ID ebenso wie jüdische Israelis über einen mittleren Bewegungsradius (siehe Tabelle 9). Über die größte Bewegungsfreiheit verfügen internationale Fotoreporter. Der entscheidende Faktor für die Bewegungsfreiheit ist die ethno-nationale Zugehörigkeit der Fotoreporter gekoppelt mit ihrem Lebensmittelpunkt. Angesichts der Konstituierung des israelischen Staates als ethnocracy (Yiftachel 2010) ist dies nicht weiter verwunderlich. Erstaunlich ist, dass auch der Status als Journalist in dieser Hinsicht kaum einen Unterschied macht.



 Ja

-

Nein

Ja

Ja

Kein Zugang

-

Nur mit spezieller Genehmigung

Gering

ANRECHT AUF PNA- CARD

RECHT AUF FPA MITGLIEDSCHAFT

REGELN FÜR EINREISE IN WB

REGELN FÜR GAZA EINREISE (ÜBER ISRAEL)

REGELN FÜR EINREISE NACH ISRAEL

Quelle: Eigene Darstellung

GRAD DER BEWEGUNGSFREIHEIT Gering

Nur mit spezieller Genehmigung

Ja

Nein

Nein

ANRECHT AUF GPO- CARD

PALÄSTINENS. BÜRGER DER WB

PALÄSTINENS. BÜRGER AUS GAZA

POLITISCHER STATUS

Mittel

-

-

Mittel

Einreiseverbot für israel. Staatsbürger

Keine Uneingeschränkt

Ja

Ja

Eingeschränkt Shabak Approval

ARAB. ISRAEL. STAATSBÜRGER

Einreiseverbot für Menschen mit israel. ID

Keine Uneingeschränkt

Ja

Ja

Eingeschränkt Shabak Approval

PALÄSTINENS. MIT OSTJERUSALEM ID

Mittel

-

Einreiseverbot für israel. Staatsbürger

B und C Gebiete immer; A Gebiete mit GPO-Card

Ja

Nein

Ja

JÜDISCHISRAEL. STAATSBÜRGER

Hoch

Gültiger Reisepass; kein Bürger aus hostile country

GPO-Card Anmeldung bei Hamas

Keine Uneingeschränkt

Ja

Ja

Ja; Eingeschränkt Wohnsitz in WB und Gaza nicht erlaubt

AUSLÄNDISCHE STAATSBÜRGER

Z WISCHENFAZIT K ONFLIKTKONTEXT | 391

Tabelle 9: Vergleich des politischen Status der Fotoreporter und ihrer Bewegungsfreiheit

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Es ist das auf der Makro-Ebene angesiedelte politische System, das die Grenzen des Bewegungsspielraums festlegt. Auf dieser Ebene zeigt sich erneut die Dominanz des innerhalb des dual democratic-military regime (Grinberg 2010) errichteten Besatzungsregimes. Auch jüdisch-israelische Fotoreporter werden vom lokalen Herrschaftssystem gemäß ihrer ethno-nationalen Zugehörigkeit klassifiziert. So geht der israelische Staat beispielsweise per se von einer Gefährdung eines jüdischen Israeli in den besetzten palästinensischen Gebieten aus. Die mangelnde Bewegungsfreiheit wurde auch in einem Bericht des Sondergesandten Frank La Rue für den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen kritisiert: „In the occupied Palestinian territory, the Special Rapporteur highlights the obstacles faced by journalists in undertaking their work, primarily as a result of restrictions to their freedom of movement imposed by the Government of Israel [...].“ (HRC 2012: 2) Die Aussge der befragten Fotoreporter deuten darauf hin, dass ob und inwieweit die Fotoreporter ihren Bewegungsspielraum ausnutzen, von Faktoren auf der Mesowie der Mikro-Ebene abhängt. Während die internationalen Agenturen ihren israelischen Fotoreportern klare Grenzen bezüglich der Bewegungsfreiheit setzen, entscheiden dies die Freelancer individuell. Auf der Mikro-Ebene ist ein entscheidender Faktor die Konflikterfahrung der Fotoreporter. So spielt für die Frage, ob sich israelische Fotoreporter die Arbeit in der Westbank zutrauen, die Absolvierung des Militärdienstes eine wichtige Rolle. Die journalistischen Institutionen auf der MesoEbene orientieren sich an den Vorgaben des israelischen Herrschaftssystems und haben mit dem Aufbau getrennter israelischer und palästinensischer Mitarbeiterstäbe das Separationsprinzip des Besatzungsregimes weitestgehend übernommen. So müssen bei der Personalplanung ethno-nationale Hintergründe berücksichtigt und Personal in verschiedenen Landesteilen bereitgehalten werden. Dazu gehören nicht nur Fotoreporter in Israel, der Westbank und dem Gazastreifen, sondern auch Personal, das eigens für Ost-Jerusalem zuständig ist. Vor allem für jüngere palästinensische Fotoreporter mit Jerusalem-ID bedeutet dies gute Karrierechancen. Diese sind jedoch eher ihrem politischen Status, weniger ihren fotografischen Kompetenzen geschuldet. Auch internationale Fotoreporter sind aufgrund ihrer Bewegungsfreiheit gefragt. Zu klären ist auch die Bedeutung der Bewegungsfreiheit für die inhaltliche Arbeit und die Themensetzung der Fotoreporter. Die Bewegungsfreiheit ist ein externer Faktor der festgelegt, wer über wen berichten kann. So ist es für einen palästinensischen Fotoreporter aus dem Gazastreifen unmöglich, eine Arbeit über jüdische Israelis zu machen. Die Besatzungssituation bringt es mit sich, dass er höchst selten einem israelischen Soldaten begegnet. Wenn er den Konflikt dokumentiert, dann tut er dies ohne die israelische Seite darstellen zu können. Nicht ganz so drastisch stellt sich die Situation in der Westbank dar, da dort Begegnungen mit israelische Soldaten und jüdischen Siedler zumindest zum journalistischen Alltag gehören. Was



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durch die Konstituierung des Besatzungsregimes erschwert wird, ist aus konflikttheoretischer Perspektive gesehen die Begegnung mit dem „Anderen“ im Konflikt. Die einzige Möglichkeit für Palästinenser, Israelis zu fotografischen Subjekten zu machen, besteht bei politischen Ereignissen und Demonstrationen. Es gibt somit keine visuelle palästinensische Perspektive auf die Israelis außerhalb politischer Ereignisse. Dies heißt umgekehrt, dass die visuelle Perspektive auf die Bevölkerung im israelischen Kernland, die der westliche Medienkonsument außerhalb der ereigniszentrierten Nachrichtenfotografie zu sehen bekommt, vor allem von israelischen und internationalen Fotoreportern stammt. Im Vergleich zur Arbeit von Textjournalisten ist noch einmal das wesentlich höhere Arbeitsrisiko für Fotoreporter hervorzuheben. Gerade für die Nachrichtenfotografen ist nur die Arbeit inmitten des Geschehens ein Garant für gute Bilder. Dabei trifft das Risiko erst einmal alle Fotoreporter, egal welcher Nationalität. Da institutionelle Strukturen und Routinen der Agenturen es jedoch mit sich bringen, dass eher die lokalen palästinensischen Fotoreporter Demonstrationen und gewalthaltige Ereignisse in den besetzten palästinensischen Gebieten dokumentieren, ist das Risiko für diese am höchsten. Dies bestätigt sich durch die Zahl der verwundeten und getöteten palästinensischen Journalisten (vgl. IFJ 2013; MADA 2011; MADA 2013). Palästinensische Fotoreporter haben darüber hinaus mit einer systematischen Benachteiligung aufgrund ihrer Nationalität von Seiten der Besatzungsmacht zu rechnen. Deren Praxis ist durch eine systematische Verletzung der Rechte palästinensischer Journalisten gekennzeichnet, was sich unter anderem an der Nicht-Anerkennung ihres journalistischen Status zeigt. Die israelische Regierung verletzt damit wiederholt internationales Recht. Als zwiespältig ist die Rolle der GPO zu betrachten. Auf der einen Seite stellt sie den lokalen und internationalen Fotoreportern Presseausweise aus, auf der anderen Seite macht sie Öffentlichkeitsarbeit für die israelische Regierung und ist Teil der israelischen Regierungspolitik. Ihr Handeln ist von einer Sicherheitslogik dominiert, die vor allem für palästinensische Fotoreporter rassistische Diskriminierungen zur Folge hat, wenn sie sich beispielsweise bei der Beantragung eines Presseausweises einer Geheimdienstüberprüfung unterziehen müssen oder bei Presseterminen gesondert kontrolliert werden. Ein wichtiges Kontrollinstrument der GPO und der IDF sind die Pools. Diese fanden vor allem bei großen Events wie dem Gaza-Krieg 2008/2009, der Gaza Flotilla oder der Freilassung der israelischen Geisel Gilad Shalit Anwendung. Die Nutzung der Pools als Mittel zur Zugangskontrolle hat sich in den letzten Jahren verschärft, wie es Marco Longari, AFP chief photographer und ehemaliges Vorstandsmitglied der FPA im Interview mit dem Autor schilderte:„It is kind of the sign of what is happening slowly. Everything is regulated through. So the free coverage, the competition between the agencies is mitigated between this pool rotation.“ Problematisch ist, dass die Kooperation der GPO mit

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der FPA, die als unabhängige Medienorganisation gilt, den Pools einen demokratischen Anstrich verleiht. Da die Pools immer stärker den Charakter von Zensur bekommen, sind sie zusammen mit den handout pictures der GPO als Teil der israelischen Bildpolitik einzuordnen. Hier zeigt sich exemplarisch, wie die Sicherheitspolitik eigene Strukturen der Öffentlichkeitsarbeit geschaffen hat, um Einfluss auf die journalistischen Kommunikatoren zu nehmen, wie es Hanitzsch (2007) auf theoretischer Ebene geschildert hat. Über die Maßnahmen der GPO hinaus kann jedoch nicht von einem massiven zentral gesteuerten System der direkten Zensur und der Kontrolle der Bildberichterstattung gesprochen werden. Es ist vor allem die Summe der vielen kleinen, vor allem strukturellen Faktoren, die mitentscheidend für das Ergebnis ist. Was die palästinensischen Institutionen in der Westbank und im Gazastreifen angeht, so zeichnen sich diese durch systematische Repression von gegen sie gerichteten Protesten und der Berichterstattung darüber aus. Das Handeln palästinensischer Sicherheitsorgane wird von den befragten Fotoreportern als unberechenbar geschildert. Viele der Probleme sind vor dem Hintergrund der Teilung der palästinensischen Gebiete zwischen dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und der von der Fatah kontrollierte Westbank zu sehen. Zwei weitere wichtige Faktoren sind Probleme bei der Security Sector Governance und eine unklare Gesetzeslage: „The Palestinian security and media legislation is remarkably imbalanced. On the one hand, there are very liberal constitutional provisions. On the other hand, the ordinary legislation is very restrictive and undermines the media’s oversight role“. (DCAF 2009: 13) Kelly spricht in Bezug auf die PA auch von einem „legal system that is widely perceived to be in crisis“ (Kelly 2006: 12). Die Krise des palästinensischen Rechtssystems auf der einen und die autokratischen Züge der politischen Institutionen auf der anderen Seite sind als Gründe für die direkten Repressionen gegenüber palästinensischen Journalisten zu sehen. Dies hat zur Folge, dass die interviewten palästinensischen Fotoreporter Probleme mit israelischen Polizisten und Soldaten denen mit palästinensischen Sicherheitskräften vorziehen. Ein Grund dafür ist in der Konstitution des Besatzungsregimes und seiner Verrechtlichung zu sehen: „Very clear rules operate in the Territories as almost every aspect of Palestinian life is regulated through permits and licenses. As a matter of fact, Palestinians know very well what is allowed and what is forbidden.“ (Korn 2008: 124) Für palästinensische Fotoreporter machen diese Regeln die Gefahren und Risiken des Berufsalltag beim Umgang mit israelischen Sicherheitskräften berechenbar. Die vom israelischen Besatzungsregime für Journalisten gesetzten und klar kommunizierten Regeln haben jedoch noch eine andere Funktion. Sie sollen den israelischen Staat und seine Soldaten von der Verantwortung für die Sicherheit der Journalisten freisprechen. Der Journalist ist damit eigen-



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verantwortlich für das, was er tut.2 Die klare Kommunikation und das Aussprechen von Warnungen ist ein gebräuchliches Mittel der IDF beim Agieren auf dem Schlachtfeld: „Eine Warnung, die durchdringt, kann ein Leben retten; sie kann aber prinzipiell auch ein Angriffsziel, dessen Zerstörung andernfalls widerrechtlich wäre, ‚legitimieren‘.“ (Weizmann 2008: 289) Weizman bezieht sich hier auf das Vorgehen der IDF bei Militäroperationen im Gazastreifen, bei denen Bewohner vor Luftschlägen durch Soundbomben oder Flugblätter gewarnt werden. Bleiben sie trotzdem vor Ort, werden sie von „an den Kämpfen nicht Beteiligten“ zu „menschlichen Schutzschilden“ und damit zu legitimen Angriffszielen (ebd.: 290). Dies trifft ähnlich auch für Journalisten zu, die sich den Regeln der GPO widersetzen und die Kommunikation mit der IDF verweigern. Ihr Status im Feld ändert sich von am Krieg unbeteiligten Journalisten, deren Schutz im internationalen Kriegsvölkerrecht verbindlich festgeschrieben ist, zu sich illegal im Feld aufhaltenden Personen. Mögliche Angriffe auf Journalisten werden damit zu Kollateralschäden. Dass die hier nachgezeichnete systematische Benachteiligung palästinensischer Journalisten auf Dauer negative Folgen für das kollegiale Verhältnis hat, zeigen die Ergebnisse einer Studie des International Press Institute IPI (Hunt et al. 2013). Danach fordert der palästinensische Journalistenverband PJS von der Autonomiebehörde aufgrund der Benachteiligung seiner Mitglieder beim Zugang zu israelischen Quellen im Gegenzug den Zugang israelischer Journalisten in die Autonomiegebiete zu beschränken. Anscheinend mit Erfolg: „As of May 2013, Israeli journalists were reportedly going to be forced to apply for press credentials if they wished to report from the West Bank, where they had previously been free to enter.“ (Hunt et al. 2013: 33) Darüber hinaus verbietet die PJS ihren Mitgliedern alle Aktivitäten, die zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Israel beitragen. Auch wenn diese Forderung angesichts alltäglicher Frustrationen mit dem Besatzungsregime nachvollziehbar ist, spielt sie gleichzeitig der von Israel verfolgten Politik einer völligen Separation der israelischen und der palästinensischen Bevölkerung in die Hände. Die Forderungen der palästinensischen Journalisten sind ein Indiz dafür, dass diese Politik Israels von Erfolg gekrönt ist. So erschwert die eingeschränkte Pressefreiheit auf Dauer nicht nur die Berichterstattung, sondern zerstört auch das kollegiale Verhältnis zwischen israelischen und palästinensischen Fotoreportern. Damit wird auch im Journalismus in der Region mehr und mehr die politische Separation umgesetzt und Macht- und Herrschaftsstrukturen werden durch die fotojournalistisch Handelnden reproduziert.

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Israelische Fotoreporter müssen zum Beispiel bei der Beantragung einer GPO-Card ein Papier unterzeichnen, dass die Freistellung jedweder Ansprüche gegenüber Israels beinhaltet, um die Erlaubnis zum Betreten der A-Gebiete zu bekommen.



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7.6.3 Die fotojournalistische Ethik in Konflikten Die fotojournalistische Arbeit im Kontext von Krieg und Gewalt fordert jeden Tag aufs Neue die ethischen Prinzipien der Fotoreporter heraus. Der Ausgangspunkt für bildethische Diskussionen ist in der Regel eine Anstoß erregende Publikation. Bei Fragen der fotojournalistischen Ethik im Feld waren die interviewten Fotoreporter jedoch mit ihren Entscheidungen meist auf sich allein gestellt. Journalistische Institutionen sind in diese Prozesse nur zu einem geringen Grad involviert. Vor allem die Sozialisation und die Arbeitsrolle führen zu Unterschieden in der Ethik zwischen Nachrichten- und Dokumentarfotografen. So werden beispielsweise die Regeln des Umgangs mit Opfern auf Seiten der Nachrichtenfotografen des Samples etwas freier ausgelegt. Ausschlaggebend ist, dass sie unter einem großen Produktionsdruck stehen und jedes Bild einen ökonomischen Wert hat. Die Frage der Veröffentlichungswürdigkeit eines Bildes wird von ihnen meist auf den Moment der Postproduktion verschoben und in strittigen Fällen durch Konsultationen mit Auftraggebern und Kollegen geklärt. Dabei wird der Wunsch der Menschen, nicht fotografiert zu werden, immer wieder übergangen. Vor allem den lokalen, israelischen wie palästinensischen Fotoreportern ist in dieser Hinsicht ein offensiveres Verhalten im Feld zu attestieren. Internationale Fotoreporter haben dagegen immer auch eine Art Gastrolle internalisiert und verhalten sich dementsprechend etwas zurückhaltender. Dokumentarfotografen können beim Umgang mit Opfern etwas strenger sein und auch mal ein Bildmotiv verlieren, ohne dass ihre Story gefährdet wäre. Hier kann auch von einer „Tugend des Unterlassens“ (Runge 2011: 101) gesprochen werden. Deutliche Aussagen wurden von den interviewten Fotoreportern bezüglich der Frage nach Helfen oder Nicht-Helfen bzw. dem Umgang mit ihrer Rolle als Fotoreporter im Feld getroffen. Grundsätzlich verlassen die Fotoreporter ihre Rolle als Beobachter des Geschehens höchst selten. Selbst wenn sie das Gefühl haben, handeln zu müssen, machen sie zuerst ein Bild. Das Besondere an der Situation der israelischen Fotoreporter ist, dass ein Passus im Ethik Kodex des IPC die Journalisten dazu verpflichtet, Hilfe zu leisten (vgl. Lavie 2009). Wortwörtlich heißt es in Paragraf 13A: „The moral and legal obligation applicable to every person to offer assistance to a person whom he sees to be in grave and immediate danger of death or injury, also applies to a journalist engaged in journalism.“ (IPC 2008) Dieser Passus wurde erst im Jahr 2003 aufgenommen und ist umstritten. Kritiker merken an, dass durch die Verpflichtung beispielsweise einem israelischen Soldaten zu Hilfe zu kommen der Status des Journalisten als Zivilist und neutraler Beobachter in Gefahr gerate (vgl. Lavie 2009). Was von vielen Fotoreportern als eine Frage der persönlichen Abwägung begriffen wird, bekommt so den Charakter einer rechtlich



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verbindlichen Norm. Israelische Fotoreporter die gegen dieses Prinzip verstoßen, können theoretisch zivilrechtlich belangt werden. Das Zyklische des Nahostkonflikts und die immer wiederkehrenden Muster von Ereignissen bringen es mit sich, dass die Fotoreporter immer wieder mit inszenierten Ereignissen konfrontiert sind und ihre Anwesenheit die sozialen Dynamiken zum Teil drastisch verändert. Klar grenzten sich die befragten Fotoreporter von Kollegen ab, die manipulativ ins soziale Geschehen eingreifen und Akteure zum Handeln auffordern. Deutlich wurde auch hier wiederum die Frage der Kontextualisierung, die es ermöglicht, die Bedeutung eines Ereignisses einzuschätzen. Wichtig ist an dieser Stelle, zwischen dem Skandal im Bild und dem skandalösen Bild zu unterscheiden (vgl. Isermann/Knieper 2010: 309). So steckt hinter den Vorwürfen vermeintlicher Bildmanipulation oft der Versuch, aus einem Skandal im Bild ein skandalöses Bild zu machen und damit dem mit dem Medium der Fotografie dokumentierten Vorgang die dokumentarische Relevanz abzusprechen. Dies weist auf die Verquickung bildethischer Fragen mit politischen Fragestellungen und Positionierungen mit dem Konflikt als Berichterstattungsgegenstand hin. Abschließend ist zu konstatieren, dass sich in Bezug auf den internationalen Fotojournalismus in Israel/Palästina verschiedene, sich zum Teil überlappende Verantwortungsebenen identifizieren lassen. So gibt es z.B. auf struktureller Ebene unterschiedliche mediengesetzliche Rahmenbedingungen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Während es in Israel bspw. einen allgemein gültigen EthikKodex des „Israeli Press Council“ (IPC) gibt, besteht in den palästinensischen Gebieten kein einheitlicher Kodex, auf den sich alle Journalisten beziehen könnten (vgl. Hunt et al. 2013). Die korporative Verantwortung ist dagegen transnational, bspw. innerhalb der Bilderdienste kodifiziert. Die kollektive Verantwortung innerhalb der Profession unterscheidet sich vor allem zwischen verschiedenen Spielarten des Fotojournalismus. All dies hat zur Folge, dass es in der Region keine allgemeingültigen ethischen Grundsätze gibt, an denen sich die Fotoreporter in ihrer individuellen Verantwortung orientieren könnten. Obwohl im gleichen Bereich und Zeitraum tätig, gehen die Fotoreporter also mit unterschiedlichen ethischen Vorstellungen an ihre Arbeit, was in der Praxis des fotojournalistischen Handelns immer wieder zu Konflikten führt. 7.6.4 Die Konfliktnarrative der Fotoreporter Die Betrachtung der Narrative ist insofern aufschlussreich, als damit die Fotoreporter in Bezug zu gesellschaftlichen Konfliktdiskursen gesetzt werden können. Wichtig ist nochmal zu betonen, dass die Herausarbeitung der Narrative erst einmal nichts über deren Relevanz und Wirklichkeitsbezug aussagt. Darüber hinaus beziehen sich die Schlussfolgerungen nur auf die im Sample der Arbeit vertretenen Foto-



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reporter. Besonders deutlich zeigt sich die Prägung durch den gesellschaftlichen Diskurs und den Umgang mit dem Konflikt bei den befragten lokalen Fotoreportern. Sie sind im Konflikt sozialisiert und ordnen meist persönliche Erfahrungen wie den Militärdienst oder das Leben unter Besatzung gemäß ihrer Konfliktnarrative ein. So verwundert es nicht, dass sich die dominanten Konfliktnarrative sehr stark in der Gruppe der lokalen Fotoreporter wiederfinden. Die Untersuchung ergab, dass sowohl auf Seiten der israelischen wie der palästinensischen im Sample vertretenen Fotoreporter eine Mehrheit die jeweiligen dominanten Konfliktnarrative reproduziert. Dies ist insofern überraschend, weil es vor allem palästinensische Fotoreporter sind, die oft mit dem Vorwurf konfrontiert werden, die Position ihrer Seite zu vertreten. Erstaunlich ist, dass verschiedene Aspekte, die normalerweise die dominanten israelischen und palästinensischen Konfliktnarrative kennzeichnen, wie der Bezug auf den Holocaust auf Seiten Israels oder die Rechtfertigung von Gewalt auf Seiten der Palästinenser, in den Argumentationsmustern der befragten Fotoreporter keine Rolle spielen. Eine Begründung dafür könnte sein, dass die israelischen und palästinensischen Fotoreporter anders als die jeweilige Bevölkerungsmehrheit bei der Arbeit im Feld persönlichen Kontakt haben und darüber möglicherweise Vorurteile, die bestimmte Argumentationsmuster stützen, abgebaut werden. Auf Seiten der interviewten internationalen Fotoreporter fand sich sowohl ein israelischkritisches Völkerrechtsnarrativ als auch Aspekte eines als unpolitisch zu bezeichnenden Narrativs. Die Tendenz zu einem israelischkritischen Völkerrechtsnarrativ liegt nach Ansicht des Autors in den Erfahrungen der Fotoreporter im Feld begründet. Als kritische Beobachter des Zeitgeschehens bewegen sich die internationalen Fotoreporter in der Regel frei zwischen Israel, der Westbank und dem Gazastreifen. Dabei lernen sie alle Facetten des Konflikts kennen und können diesen aus eigener Anschauung beurteilen. Rassistische oder antisemitische Stereotype als Grundlage für israelkritische Narrative konnten nicht ausgemacht werden. Dass ein Teil der befragten internationalen Fotoreporter schon viele Jahre mit engen persönlichen Bindungen in Israel lebt, behindert erstaunlicherweise nicht die Ausbildung eines israelkritischen Narrativs. Eine grundsätzliche Frage ist, welche Bedeutung die Konfliktnarrative für die fotojournalistische Produktion haben. Damit verbunden ist ein Ausloten des Verhältnisses von Konfliktnarrativ zum beruflichen Rollenverständnis. So ist erstaunlich, dass die befragten lokalen Fotoreporter trotz ihrer Orientierung an den dominanten Konfliktnarrativen ihr berufliches Rollenverständnis meist am Berichterstattungsmuster des „objektiven Journalismus“ ausrichten, was vor allem auf Seiten der Nachrichtenfotografen zu beobachten ist. Darin steckt jedoch nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, da politische Einstellung und berufliche Rollenmuster nicht kongruent sein müssen. Während starre Routinen und Vorgaben sowie verinnerlich-

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te Rollenbilder zu ähnlichem Verhalten im Feld führen, unterscheiden sich die Fotoreporter, die das dominante israelische bzw. palästinensische Konfliktnarrativ vertreten, hinsichtlich der Interpretation der Ereignisse und der Rechtfertigung des Handelns der eigenen Seite. Vor allem auf Seiten der Nachrichtenfotografen ist auch der individuelle Handlungsspielraum als so gering einzuschätzen, dass sich die Konfliktnarrative kaum auf das journalistische Handeln auswirken können. Anders sieht es dagegen bei den interviewten Dokumentarfotografen aus, die vor allem hinsichtlich der persönlichen Themen- und Schwerpunktsetzung größeren Handlungsspielraum besitzen. Hier kann das Konfliktnarrativ des Einzelnen eine größere Relevanz entfalten. Dies zeigt sich exemplarisch an der Arbeit der israelischen Fotoreporter Ziv Koren und Nati Shohat und ihrer positiven Einschätzung der Arbeit israelischer Antiterroreinheiten (I05/I21). Beide haben hervorragende Kontakte zur israelischen Armee und zahlreiche Reportagen über die Arbeit verschiedener Sondereinsatzkommandos erarbeitet. Wie sich die Begründung der Themensetzung mit zentralen Rechtfertigungsmustern des dominanten israelischen Konfliktnarrativs deckt, zeigt sich an einer Aussage von Ziv Koren: „And actually this what I wanted to show. How the thing is being done, how professional it is, how there is nothing personal about it.“ (I05) Diese Form der Profilierung und die Entwicklung auf militärische Akteure bezogener Arbeitsschwerpunkte ist wegen der größeren Autonomie und des größeren Handlungsspielrams vor allem in den Berufsbildern der Dokumentarfotografie möglich. Aber auch die Herausbildung eines thematischen Schwerpunkts, der Überschneidungen mit dem dominanten israelischen Konfliktnarrativ hat, bedeutet im Umkehrschluss nicht die Aufgabe journalistischer Prinzipien wie Objektivität und Faktizität. Inwieweit diese Prinzipien umgesetzt werden, muss immer wieder an den einzelnen Arbeiten und vor allem deren Kontextualisierung bewertet werden. 7.6.5 Die psychosozialen Folgen der Arbeit in Konflikten Früher oder später haben alle Fotoreporter in ihrer Funktion als first responder mit psychosozialen Folgen ihrer Arbeit zu tun. Aufgrund der qualitativen Ausrichtung dieser Studie können an dieser Stelle keine quantifizierbaren Aussagen über das Vorhandensein einer ausgeprägten PTSD Symptomatik gemacht werden. Aufgezeigt werden konnte jedoch, dass traumatische Erfahrungen ein wichtiger Bestandteil der fotojournalistischen Arbeit sind und einige der befragten Fotoreporter dauerhaft mit den Folgen dieser Erlebnisse zu kämpfen haben. Trotz allem gehen die Fotoreporter weiterhin ihrem Beruf nach. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dieses Sample nur diejenigen Fotoreporter umfasst, die aktuell in diesem Berufsfeld tätig sind. Fotoreporter, die ihm aufgrund der hohen Belastungen den Rücken gekehrt haben, konnten nicht berücksichtigt werden.



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Eine nicht unwichtige Rolle für die Traumaexposition spielen die Phasen und die Eskalationsstufen des Konflikts. So waren diejenigen, die während der Zeit der 1990er Jahre und der 2. Intifada, als Selbstmordattentäter Israel mit Terror überzogen und die IDF täglich Militäroperationen in den palästinensischen Gebieten durchführte, sehr viel stärker möglicherweise traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt als die jüngere Generation. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Nähe zu den Ereignissen, die eine wesentlich größere Belastungen für die Nachrichtenfotografen zur Folge hat. Bei ihnen kommt als weiterer Stressfaktor die Geschwindigkeit hinzu, mit der sie Ereignisse bearbeiten müssen und die im Zuge der Digitalisierung des Mediums drastisch zugenommen hat. Dies weist auf die Bedeutung der Strukturen des Mediensystems für dieses Thema und damit verbunden die Verantwortung der Agenturen hin. Primär wird von den interviewten Fotoreportern der Versuch unternommen, die eigenen Emotionen abzuspalten bzw. sich von diesen zu dissoziieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Kamera, die als ein Filter zur Realität fungiert und vor allem bei der Arbeit im Feld eine gewisse Schutzfunktion entfaltet. Bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen haben die innerliche Distanzierung vom Ereignis mit Hilfe der Kamera sowie die soziale Unterstützung über berufliche und private Kontexte eine große Bedeutung. Dies deckt sich mit Erkenntnissen wissenschaftlicher Studien zur Traumatisierung von Journalisten (Weidmann 2008). Dabei weist Weidmann darauf hin, dass es bisher keine empirischen Befunde darüber gibt, inwieweit es sich dabei um positiv oder negativ zu bewertende Copingstrategien handelt (vgl.Weidmann 2008: 241). Vor allem die starke Fokussierung auf private Beziehungen und Netzwerke durch Fotoreporter zur Verarbeitung ihrer Erlebnisse birgt die Gefahr, dass die Fotoreporter aufgrund ihrer Erzählungen selbst zur Quelle einer sekundären Traumatisierung für Menschen in ihrem Umfeld werden.3 Als hilfreich ist anzusehen, dass die Fotoreporter über die Arbeit die Möglichkeit haben, diesen Erlebnissen einen Sinn zu geben und die Arbeit zur Verarbeitung derselben zu nutzen, wobei erschwerend hinzkommt, dass „das berufliche Selbstbild eines Journalisten – als ein sachlich und neutral zu bleibender Beobachter – mit starken emotionalen Reaktionen unvereinbar“ ist (Weidmann 2008: 243). Anders als gemeinhin zu vermuten gewesen wäre, konnten innerhalb der Stichprobe nur wenig signifikante Unterschiede bzgl. der psychosozialen Auswirkung der Arbeit im Konflikt zwischen lokalen und internationalen Fotoreportern festge-

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Ein sehr drastisches Beispiel wurde in einem Artikel des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ geschildert. Ein polnischer Kriegsberichterstatter hatte über Jahre hinweg seiner Frau am Küchentisch seine Erlebnisse geschildert, was bei dieser eine sekundäre Traumatisierung auslöste, die mit dem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik endete. (Puhl, Jan (2013): Den Tod herausgefordert, in: Der Spiegel 21/2013, Hamburg, S. 90-91.)



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stellt werden. Zu vermuten gewesen wäre, dass z. B. Palästinenser stärker unter der Arbeit leiden, weil sie sowohl im Alltag als auch während der Arbeit mit dem Konflikt konfrontiert sind und anders als ihre internationalen und israelischen Kollegen nicht die Möglichkeit des Rückzugs haben. Hier sind weitere Forschungen notwendig, um herauszuarbeiten, worin die verschiedenen Mechanismen des Umgangs mit den Konfliktfolgen bestehen und ob diese eher kulturell, religiös oder sozial geprägt sind. Möglicherweise existieren bei lokalen Fotoreportern andere Copingstrategien sowie andere Supportsysteme. Ein Faktor, der von Relevanz sein könnte, ist das Erleben des Besatzungsregimes als Kollektiverfahrung durch die Palästinenser. Ähnliches gilt für die politische Motivation palästinensischer Fotoreporter, da sie mit Hilfe der Fotografie über das Leid „ihrer“ Seite berichten und damit den eigenen Erfahrungen Sinn geben können. Im Gegensatz dazu ist es für die israelischen Fotoreporter schwieriger, ihre Erfahrungen aus der Westbank zu teilen, da nur wenige Menschen in Israel ähnliche Erfahrungen gemacht haben und sie darüber hinaus damit konfrontiert sind, dass die IDF als zentraler Gewaltakteur einer der wichtigsten gesellschaftliche Akteure Israels ist. Zu beobachten ist, dass die psychosozialen Folgen der Arbeit vor allem auf der Mikro-Ebene verhandelt werden und die journalistischen Institutionen auf der Meso-Ebene in die Auseinandersetzung mit Traumafolgen meist nicht involviert sind. In den Interviews fanden sich keine Hinweise darauf, dass von diesen präventive Maßnahmen ergriffen werden. Diese könnten z. B. in einer gezielten Psychoedukation zum Umgang mit Opfern von Gewalt, in einer Schulung zum SelbstAssessment sowie klassischen Supervisionsangeboten bestehen.4 Hier ist der Vergleich zu anderen Berufsfeldern interessant, die ebenfalls in die Kategorie first responder fallen oder sich mit Interventionen in Konflikten beschäftigen. In diesen Feldern ist es institutionalisierte Praxis, auf externe Supervision zurückzugreifen, die sich dezidiert mit den psychosozialen Aspekten der Arbeit beschäftigt. Als erschwerend für das Sample der Untersuchung kommt hinzu, dass viele der Fotoreporter als Freelancer tätig sind und somit bei der Auseinandersetzung mit dem Thema auf sich alleine gestellt sind. Während die Auseinandersetzung mit den Folgen traumatischer Erlebnisse auf einer individuellen Ebene erfolgt, liegt die Verantwortung für die Ereignisse auf der Makro-Ebene. Das Agieren der Konfliktparteien und die gesellschaftlichen Realitäten spielen eine entscheidende Rolle für die traumatischen Erfahrungen, denen die Fotoreporter ausgesetzt sind. In den meisten Fällen sind die Verursacher der Gewalt klar auszumachen und oft stehen diese auch in einem Befehlsverhältnis. Somit sind die Fotoreporter in vielen Fällen keiner willkürlichen, sondern systematischer poli-

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Das amerikanische „Dart Center for Journalism and Trauma“ hat als NGO in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleistet. Weitere Informationen unter www.dartcenter.org.



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tischer Gewalt ausgesetzt, die wie im Fall der palästinensischen Fotoreporter Züge rassistischer Diskriminierung trägt. Dies spielt vor allem bei der Einordnung des Erlebten eine Rolle, da es nicht um die Folgen individuellen sondern kollektiven, vor allem politischen Handelns geht.Verschärfend wirkt sich auf die Be- und Verarbeitung traumatischer Ereignisse des Weiteren die Straflosigkeit aus, die hinsichtlich der Übergriffe auf Journalisten und Fotoreporter zu beobachten ist und die ebenfalls dem politischen System anzulasten ist.



8. Eine Typologie fotojournalistischer Akteure Kriege, Gewalt und Konflikte sind zu einem großen Teil visuell-medial vermittelt – was wir nicht sehen, findet nicht statt – und diese Vermittlungs- und Verdrängungsprozesse

müssen

friedenswissen-

schaftlich untersucht werden, um den ihnen zu Grunde liegenden Strukturen und Interessen analytisch gerecht zu werden. FRANK MÖLLER1

Wie die Aufarbeitung des empirischen Materials gezeigt hat, ist das Feld der fotojournalistischen Produktion in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten sehr heterogen. Lokale und internationale Fotoreporter sind dort in verschiedenen Arbeitsrollen aktiv, die sich hinsichtlich ihres fotojournalistischen Handelns und ihrer institutionellen Einbindung unterscheiden. Um die damit verbundene Vielfalt des Berufsfeldes transparent machen und systematisch beschreiben zu können, werden die einzelnen Kommunikatoren an dieser Stelle einer Akteurstypologie zugeordnet. Ziel der Typologie ist die Bestimmung der individuellen Handlungsspielräume der einzelnen Akteure und damit des Freiraums, selbstständig Entscheidungen treffen und Akzente setzen zu können. Die Typologie wird anhand verschiedener aus der Empirie abgeleiteter Kategorien gebildet. Die einzelnen Typen orientieren sich an der fotojournalistischen Praxis und sind durch spezifische Handlungsmuster charakterisiert. Sie können auch als fotojournalistische Subkulturen bezeichnet werden. Alle Akteure der Typologie sind dem professionellen Fotojournalismus zuordnen. Zu berücksichtigen ist, dass es sich hier um idealtypische Akteursgruppen handelt und Zuordnungen nicht immer einwandfrei getroffen werden können. Ein Fotoreporter ist dann als idealtypi-

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Möller, Frank (2008): Friedenswissenschaft als Bildforschung, in: Wissenschaft & Frieden 3/2008, S. 34-37, hier S. 34.



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scher Vertreter eines Akteurstypus zu bezeichnen, wenn alle Faktoren, die zu seiner Beschreibung notwendig sind, zutreffen. Die Typologie stellt trotz allem kein normatives Modell, sondern eine Abbildung des Status Quo am Produktionsstandort Israel/Palästina dar. Als qualitative Abbildung des Berufsfeldes sagt die Typologie erst einmal nichts über die Bedeutung der einzelnen Typen für den publizistischen Markt aus. Die Bildung der Typologie ist notwendig, weil andere aus der Kommunikationswissenschaft bekannte Systematisierungsversuche, beispielsweise hinsichtlich der Arbeits- und Berufsrollen, einer Typologie der Auslandskorrespondenten (Hamilton/Jenner 2004) oder journalistischer Berichterstattungsmuster (Weischenberg 1983) immer nur Teilaspekte umfassen und die Vielfalt des fotojournalistischen Berufsfeldes nicht abzubilden vermögen. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass die genannten Konzepte ausgehend vom Textjournalismus entwickelt wurden. Die Akteurstypologie hat hingegen das Potential, über das Fallbeispiel hinaus Bestand zu haben und zu weiteren Analysezwecken genutzt zu werden. Kategorien zur Bestimmung der Akteurstypologie Die der Akteurstypologie zu Grunde liegenden Kategorien wurden induktiv aus der Empirie abgeleitet. Die einzelnen Kategorien decken dabei unterschiedliche Themenbereiche ab. So haben einige die Funktion, den Status eines Fotoreporters innerhalb der journalistischen Institutionen am Produktionsstandort Israel/Palästina zu beschreiben, wie die Kategorie „berufliche Position“. Andere beziehen sich eher auf Referenzpunkte des fotojournalistischen Handelns, wie die Kategorien „Grad der Konfliktorientierung“ und „Ereignis-/Themenorientierung“. Die theoretische Verortung der einzelnen Kategorien ist sowohl dem Journalismus- wie dem Konfliktkontext entlehnt. So sind einige wie „Grad der Autonomie“, „Kompetenzanforderungen“ oder „Darstellungsformen“ den Berichterstattungsmustern von Weischenberg entlehnt (Weischenberg 1983). Hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bedeutung werden sie jedoch an die spezifischen Bedingungen des Fotojournalismus angepasst. Die Bestimmung der Ereignis- bzw. Themenorientierung folgt Kepplingers Auseinandersetzung mit diesen Begriffen (Kepplinger 2001). Die Kategorie „Grad der Konfliktorientierung“ bezieht sich auf Johan Galtungs Modell des Konflikt- und Kriegsjournalismus und geht auf die Beschreibung der Routinen im Konflikt zurück (Galtung 1998). Die neun Kategorien werden als Klassifikationselemente genutzt, um die verschiedenen Akteurstypen präzise voneinander unterscheiden zu können (siehe Tabelle 10). Mit Hilfe dieser neun Kategorien wird die genaue Bestimmung der spezifischen Arbeitsweisen und Kenntnisse ermöglicht, die für den einzelnen Typ charakteristisch sind. Im Folgenden werden die Kategorien einzeln vorgestellt: 1. Berufliche Position: Diese Kategorie beschreibt das Arbeitsverhältnis, in dessen Rahmen Fotoreporter eines bestimmten Berufsbildes idealtypischerweise



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tätig sind. Dabei geht es vor allem um die Unterscheidung zwischen Staffer, Stringer und Freelancer. Die berufliche Position gibt Auskunft über den Grad der Integration in journalistische Institutionen und Redaktionsstrukturen. 2. Grad der Autonomie: Die Bestimmung der Autonomie gibt Auskunft hinsichtlich des Grades der Selbst- oder Fremdmandatierung der Fotoreporter (Weischenberg 1983). Dafür ist unter anderem die institutionelle Verortung bzw. das Maß der Integration der Fotoreporter in eine Redaktion entscheidend. Der Grad der Autonomie bestimmt, inwieweit Fotoreporter innerhalb institutioneller Strukturen eigenständig handeln und Entscheidungen treffen können. Er wird als niedrig, mittel und hoch gemessen. 3. Kompetenzanforderungen: Diese Kategorie legt die Anforderungen an fotojournalistische Qualifitikation zwischen niedrig, mittel und hoch fest. Niedrige Kompetenzanforderungen beinhalten z. B. das Bedienen einer Kamera und journalistische Grundkenntnisse. Hohe Kompetenzanforderungen beinhalten umfangreiches Recherchewissen, die Fähigkeit, komplexe Themen in Bildgeschichten umzusetzen und Wissen über Vermarktungsstrategien. 4. Art der Kompetenzen: Hier werden die Kompetenzanforderungen genauer ausdifferenziert. Daraus wird erkennbar, hinsichtlich welcher Kompetenz sich die einzelnen Typen unterscheiden. Kompetenzbereiche, die hier eine Rolle spielen, sind die Fototechnik, Journalismus, Konzeption, Vermarktung sowie Kompetenzen hinsichtlich der Arbeit im Konflikt. 5. Grad der Konfliktorientierung: Der Grad der Konfliktorientierung bezieht sich auf die Bedeutung des Konflikts als ereigniszentrierter Kategorie in der Berichterstattung der Fotoreporter. Dabei wird zwischen niedrig, mittel und hoch unterschieden. In Orientierung an Galtung (1998) weist ein hoher Grad an Konfliktorientierung auf eine Nähe zum Gewaltjournalismus, ein geringer Grad deutet auf die Zuordnung zum Konfliktjournalismus hin. 6. Ereignis-/Themenorientierung: Die Entscheidung der Fotoreporter zwischen Ereignissen und Themen gibt Aufschluss über ihre Handlungslogik sowie den Orientierungshorizont ihrer Arbeit. Ereignisse können als zeitlich begrenzte Geschehnisse, Themen als Zustände bezeichnet werden (Kepplinger 2001). Die jeweilige Fokussierung auf Ereignisse oder Themen hat unterschiedliche Routinen zur Folge (siehe Kapitel 6.2.1 und 6.2.2). Vor allem eine starke Ereignisroutine birgt das Risiko der Fremdbestimmung. 7. Darstellungsform: Der Fotojournalismus zeichnet sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Darstellungsformen aus. Dazu gehören das Nachrichtenbild, das feature, die Reportage, die Illustration und der Essay. Die Darstellungsform gibt Auskunft darüber, ob die Fotoreporter eher in Einzelbildern und Sequenzen oder seriell arbeiten, und sagt damit etwas über ihre Outputorientierung aus.

Quelle: Eigene Darstellung





Kampagnen Internet

Aufträge von NGOs

MITTEL

8. Publikationsmedien

9. Art der Finanzierung

Handlungsspielraum

Nachrichtenbild

7. Darstellungsform

Fototechnik Konflikt

4. Art der Kompetenzen

Ereignis

Niedrig

3. Kompetenzanforderungen

6. Ereigns-/ Themenorientierung

Hoch

2. Grad der Autonomie

Hoch

Freelance

News-Activist

NIEDRIG

MITTEL

MITTEL

Assignments auf Tagesbasis

Markt für Bildnachrichten Assignments Verkauf an Magazine

Markt für BildNachrichten/ Bilderdienste

Markt für BildNachrichten/ Bilderdienste

NIEDRIG

Tageszeitung Onlinemedium Magazin

Nachrichtenbild Feature Tageszeitung Onlinemedien Magazin Ausstellung

Nachrichtenbild Feature

Nachrichtenbild Feature Reportage

Tageszeitung Onlinemedien

Ereignis Thema

Mittel

Fototechnik Vermarktung

Mittel

Mittel

Freelance

Illustrator

Ereignis Thema

Hoch

Fototechnik Vermarktung

Hoch

Hoch

Freelance Teilzeitanstellung

Ein-Personen Unternehmer

Ereignis Thema

Hoch

Fototechnik

Mittel

Mittel

Staffer Stringer

News-FeatureProducer

SCHNITTSTELLE

Tageszeitung Onlinemedien

Nachrichtenbild

Ereignis

Hoch

Fototechnik Konflikt

Niedrig

Niedrig

Staffer Stringer

News-Runner

NACHRICHTENFOTOGRAFIE

1. Berufliche Position

Akteursgruppe

BERUFSFELD

MITTEL

NGOs; Zweitverwertung der Bilder im Journalismus

Kampagnen Magazin Buch Ausstellung

Reportage

Thema

Mittel

Fototechnik Vermarktung

Mittel

Mittel

Freelance

NGODokumentarist

HOCH

Stipendien Assignments Verkauf an Magazine

Magazin Buch Ausstellung

Reportage Essay

Thema

HOCH

Assignments Verkauf an Magazine Querfinanzierung

Magazin Buch Ausstellung

Reportage Essay

Thema

Niedrig

Fototechnik Konzeption Vermarktung

Fototechnik Konzeption Vermarktung Niedrig

Hoch

Mittel bis Hoch

Freelance

Geschichtenerzähler

Hoch

Hoch

Freelance

Konzeptioneller Dokumentarist

MITTEL

Aufträge von NGOs Querfinanzierung mit anderen Projekten

Kampagnen Internet Buch Ausstellung

Feature Reportage

Thema

Hoch

Fototechnik Konzeption Vermarktung

Mittel

Hoch Selbstmandatierung

Freelance Teilzeitanstellung

Sozialdokumentarischer Aktivist

DOKUMENTARFOTOGRAFIE

TYPOLOGIE FOTOJOURNALISTISCHER AKTEURE IN ISRAEL UND DEN BESETZTEN PALÄSTINENSISCHEN GEBIETEN

5. Grad der Konfliktorientierung



406 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

Tabelle 10: Typologie fotojournalistischer Akteure

T YPOLOGIE | 407

8. Publikationsforen: Fotoreporter haben bei der Produktion meist schon einen spezifischen Verwertungs- bzw. Publikationskontext ihres Bildes im Kopf. Je nachdem wie dieser aussieht, sind damit auch spezifische bildnerische Vorgaben sowie unterschiedliche Grade der Konventionalisierung verbunden. In dieser Kategorie wird die Vielfalt der medialen Präsentationsformen von der Veröffentlichung in Onlinemedien bis zur Erstellung von Ausstellungen und Fotobüchern deutlich. 9. Art der Finanzierung: Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Finanzierung der fotojournalistischen Produktion. Diese reichen von einer Teilzeit- oder Festanstellung bei internationalen Agenturen über die Akquise eigener Projekte und die Querfinanzierung über andere Tätigkeiten bis zu Stipendien und Aufträgen von NGOs. Mit der Offenlegung der Finanzierung ist es möglich, das spezifische Marktsegment, in dem die Fotoreporter tätig sind, genauer bestimmen zu können. Handlungsspielraum: Als Resultat der neun Kategorien lässt sich für jede Akteursgruppe der individuelle Handlungsspielraum bestimmen. Er beschreibt die der jeweiligen Akteursgruppe zugeschriebene Freiheit, innerhalb bestehender Grenzen eigenverantwortlich und selbstbestimmt handeln zu können. Dies eröffnet einen „Korridor möglicher Handlungsweisen“ (Altmeppen 1999: 52). Der Handlungsspielraum wird zwischen niedrig, mittel und hoch unterschieden. Eine Beschreibung der Akteurstypologie Aus der Gruppe der 40 interviewten Fotoreporter kann mit Hilfe der oben genannten Kategorien eine aus neun Teilen bestehende Typologie herausgearbeitet werden (siehe Tabelle 10). Zu diesen neun Typen zählen „News-Activist“, „News-Runner“, „News-Feature-Producer“, „Ein-Personen-Unternehmer“, „Illustrator“, „Geschichtenerzähler“, „konzeptioneller Dokumentarist“, „NGO-Dokumentarist“ sowie „sozial-dokumentarischer Aktivist“. Diese Typen können wiederum den beiden Berufsfeldern Nachrichtenfotografie und Dokumentarfotografie sowie einem hybriden Berufsfeld mit Anteilen aus beiden Feldern zugeordnet werden. Jede der Akteurstypen lässt sich anhand der neun Kategorien präzise beschreiben. Im Folgenden werden die Typen einzeln vorgestellt: News-Activist: Der „News-Activist“ agiert an der Schwelle zum citizen journalism. Er dokumentiert aus einer politischen Motivation heraus Ereignisse. Er agiert relativ unabhängig von klassischen journalistischen Strukturen und verfügt deshalb über einen hohen Grad an Autonomie. Die Kompetenzanforderungen sind jedoch niedrig und beinhalten vor allem die Grundkenntnisse der Fototechnik und das Wissen um die Arbeit in Konflikten. Die Arbeit orientiert sich an konfliktiven Ereignissen, beinhaltet also eine hohe Konfliktorientierung. Die Bilder werden vor allem in sozialen Netzwerken im Internet und zum Teil über NGOs verbreitet. News-Runner: Dies ist der klassische Nachrichtenfotograf, eine Art Fabrikarbeiter der Wire. Er folgt der Ereignislogik und bearbeitet nur aktuelle Themen. In



408 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

der Regel ist er als Staffer oder Stringer bei den großen Nachrichtenagenturen angestellt. Er finanziert sich über diese Agenturen und die Nachfrage nach tagesaktuellen Bildern. Das fotojournalistische Handeln erfolgt ausgehend von einem externen Auftrag mit geringer Autonomie. Um in diesen Tätigkeitsbereich einzusteigen, sind die Kompetenzanforderungen eher gering und vor allem fototechnischer Natur. Produziert werden Nachichtenbilder für Tageszeitungen und Onlinemedien, die über die Bilderdienste vermarktet werden. Der Konflikt stellt eine zentrale Orientierungsgröße im Handeln dieser Fotoreporter dar. News-Feature-Producer: Bei diesem Typ haben wir es mit einer abgewandelten Form des „News-Runner“ zu tun. In diese Gruppe fallen eher die internationalen Staffer der Bilderdienste, da sie größere Freiheiten auch zum Erstellen eigener features besitzen. Hier findet sich ebenfalls eine klare Orientierung an der Ereignislogik sowie den Konfliktdynamiken. Aber auch Themen können eine Rolle spielen, vor allem wenn es um features geht. Für diese Gruppe ist ein mittleres Maß an Autonomie notwendig, um die Aufgaben umsetzen zu können. Auch ein höheres Maß an Kompetenzen ist unabdingbar. Bei den Darstellungsformen kommen zum Nachrichtenbild auch features hinzu. Der Markt dieser Fotoreporter sind die tagesaktuellen Medien im Print- und Onlinebereich. Ein-Personen-Unternehmer: Zu dieser Kategorie zählen Fotoreporter, die von ihrer Tätigkeit her dem Typ „Hybrid-News Feature“ zuzuordnen sind, dies jedoch nicht als Stringer oder Staffer eines internationalen Bilderdienstes tun, sondern mit einer eigenen Agentur oder als Selbstständige. Sie sind vor allem durch ihre Marktorientierung und das Streben nach Exklusivität gekennzeichnet. Die Konfliktorientierung garantiert Aktualität und Sichtbarkeit, die über die Bearbeitung von Ereignissen und Themen entsteht. Für Fotoreporter dieser Gruppe gelten hohe Kompetenzanforderungen, da sie ihre Produkte eigenständig vermarkten müssen. Sie nutzen geschickt verschiedene Darstellungsformen und bedienen eine große Bandbreite publizistischer Verwertungsmöglichkeiten, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Illustrator: Dies ist eine abgespeckte Variante des Typs „klassischer Dokumentarist“. Fotoreporter in dieser Gruppe werden dann aktiv, wenn Redaktionen sie beauftragen, Ereignisse oder Themen zu visualisieren. Meist sind es lokale Fotoreporter oder Internationale, die dauerhaft in der Region sind und die mit festen Partnern als eine Art Korrespondent zusammenarbeiten. Sie setzen in der Regel weniger eigene Themen um, sondern übernehmen die Vorgaben der Redaktionen, auch hinsichtlich der Art der Bebilderung. Meist handelt es sich um eintätige Assignments. Der Konflikt spielt nur eine mittlere Rolle in der Orientierung. Trotzdem decken sie in der Regel ein breites Themenspektrum ab. Sie produzieren für Tageszeitungen, Onlinemedien und Magazine.

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NGO-Dokumentarist: Diese Akteursgruppe ist ein relativ neues Phänomen. Es ist eine besondere Form des Dokumentarfotografen, der hauptsächlich von Aufträgen für INGOs und NGOs aus den Bereichen Humanitäre Hilfe, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit lebt. Die Themensetzung orientiert sich an dem, was die aktuellen Projekte dieser Organisationen sind. Es können jedoch auch eigene Themen sein, die dann den Institutionen angeboten werden. Eine Zweitverwertung der Bilder für den journalistischen Kontext ist oft zu beobachten. Der Konflikt als Orientierungspunkt hat eine mittlere Bedeutung. Wichtige Darstellungsform ist die Reportage. Konzeptioneller Dokumentarist: Diese Akteursgruppe zeichnet sich durch das Arbeiten an langfristigen Projekten aus. Im Vordergrund steht ein konzeptionelles Arbeiten, was die zentrale Unterscheidung zum Vorgehen des „Geschichtenerzählers“ und dessen Reportageorientierung darstellt. Eine Arbeit in dieser Hinsicht ist nur als Freelancer möglich und die Finanzierung erfolgt oft auch außerhalb des journalistischen Marktes, beispielsweise über Stipendien oder über den späteren Verkauf der Projekte. Die Ereignis- und Konfliktorientierung ist gering. Gearbeitet wird themenorientiert mit einem hohen Grad an Autonomie. Die zentralen Darstellungsformen sind die Reportage und der fotografische Essay. Die publizistische Verbreitung erfolgt über Magazine sowie Fotobücher und Ausstellungen. Geschichtenerzähler: Hierbei handelt es sich um Fotoreporter, die mit der Fotografie vor allem Geschichten erzählen. Der Nahostkonflikt ist dabei ein Thema, das aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise behandelt werden kann. Diese Gruppe braucht ein großes Maß an Autonomie und setzt sich in der Regel selbst die Themen oder wird für umfangreiche Aufträge gebucht. Die Konfliktorientierung ist niedrig. Oft finden sich in dieser Gruppe auch Fotoreporter, die ihre Projekte mit anderen Arbeiten querfinanzieren. Sie suchen vor allem nach Geschichten und Themen, weniger nach Ereignissen. Dafür ist eine ausgeprägte fototechnische und konzeptionelle Kompetenz notwendig, zuzüglich eines Wissens um Selbstvermarktungsstrategien. Die Arbeit erfolg fast ausschließlich als Freelancer. Angestrebt wird die Publikation von Reportagen in Magazinen und Büchern. Sozialdokumentarischer Aktivist: Dieser Akteur ist an der Schwelle zum citizen journalism aktiv und neben dem „News-Activist“ der politischste Typ. Die Fotoreporter sehen sich als Anwälte der Schwachen und setzen ausschließlich Projekte mit kritischen politischen Botschaften um. Ihre Arbeit wird meist mit anderen Aufträgen querfinanziert oder über den Umweg von NGOs. Insofern kann dieser Typ auch als eine Sonderform des „NGO-Dokumentaristen“ bezeichnet werden, wobei Fotoreporter in dieser Gruppe großen Wert auf ihre (finanzielle) Unabhängigkeit legen. Ereignisse spielen eine untergeordnete Rolle, die Konfliktorientierung ist jedoch hoch. Die Art der Publikation spielt erst einmal keine Rolle und

410 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

kann auch unkonventionelle Formen wie das Plakatieren der Arbeit im öffentlichen Raum beinhalten. Die einzelnen Typen werden an dieser Stelle keiner Bewertung unterzogen. Sie sollen zunächst als eine neue Form der Kategorisierung dienen, um das Feld der fotojournalistischen Akteure und deren Handeln ausgehend vom Sample dieser Arbeit umfassend und detailliert beschreiben zu können. Dabei ist die hier vorgestellte Typologie kein statisches Gebilde, sondern ist durch die Mobilität zwischen den Typen innerhalb eines Berufslebens oder das gleichzeitige Arbeiten in verschiedenen Feldern gekennzeichnet. Die Besonderheit der hier vorgestellten Akteurstypen besteht darin, dass sie aus der Arbeit am Produktionsstandort Israel/Palästina abgeleitet wurden. Da dort besondere Bedingungen herrschen, kann dies zur Folge haben, dass sich unter anderen Bedingungen die Relevanz verändert oder neue Typen auftauchen. So sind beispielsweise die Typen „sozialdokumentarischer Aktivist“ oder der „NGO-Dokumentarist“ der spezifischen politischen Situation des Nahostkonflikts und seiner Medialisierung geschuldet. Dagegen sind andere denkbare Akteursgruppen, beispielsweise an der Schnittstelle von Fotojournalismus und Werbefotografie, nicht im Sample aufgetaucht. Einige der hier aufgeführten Akteursgruppen, wie der „News-Activist“, bewegen sich dagegen im Grenzbereich (foto-)journalistischen Handelns. Gerade diese Grenzbereiche sind aus Sicht des Autors jedoch wichtig, um zum einen die Gesamtheit fotojournalistischen Handelns am Produktionsstandort Israel/Palästina darstellen zu können und zum anderen aktuellen Tendenzen innerhalb des Fotojournalismus gerecht werden zu können. Der „News-Activist“ spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Sozialisation der palästinensischen Fotoreporter (siehe 6.1.2). Die Frage, in welcher Akteursgruppe sich der einzelne Fotoreporter wiederfindet, hängt unter anderem von der beruflichen Sozialisation ab. Sie ist verantwortlich dafür, über welche Kompetenzen die Fotoreporter verfügen. Weitere Faktoren sind das jeweilige gesellschaftliche und politische Umfeld sowie die dort vorherrschenden Bilddiskurse. Aber auch die persönliche Motivation spielt eine Rolle. Denn selbst wenn Fotoreporter über die notwendigen Kompetenzen verfügen, heißt es nicht, dass sie automatisch die Arbeit in einer Akteursgruppe mit hohen Kompetenzanforderungen anstreben. So liefert das Kapitel über die berufliche Sozialisation der Fotoreporter (siehe 6.1.2) Hinweise darauf, dass auch die Arbeitsplatzsicherheit oder ein geregeltes Einkommen eine Rolle bei der Entscheidung für ein bestimmtes Berufsfeld spielen. Es ist zu betonen, dass die Typologisierung zunächst nichts über die fotojournalistische Qualität der Arbeit des einzelnen Fotoreporters sagt. Die einzelnen Akteure produzieren für sehr spezifische Marktsegmente, für die jeweils eigene Qualitätskritieren gelten.

T YPOLOGIE | 411

Internationale, israelische und palästinensische Fotoreporter Als Kommunikatorstudie, die das Ziel verfolgt, die Unterschiede zwischen internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern aufzuzeigen, nimmt diese Arbeit immer wieder eine vergleichende Perspektive ein. Dies ist auch für die Betrachtung der Typologie von großer Bedeutung. Was die Verteilung der Nationalitäten in der Typologie angeht, so zeigen sich erneut die Unterschiede zwischen den palästinensischen Fotoreportern auf der einen und israelischen und internationalen Fotoreportern auf der anderen Seite. Während die israelischen Fotoreporter in allen Gruppen zu finden sind und die internationalen Fotoreporter immerhin noch in acht von neun, verteilen sich die Palästinenser nur auf fünf Akteursgruppen (siehe Tabelle 11). So lässt sich die unterschiedliche Integration internationaler, israelischer und palästinensischer Fotoreporter in die Märkte der Nachrichten- und Dokumentarfotografie (siehe Kapitel 6.3.1) mit Hilfe der Akteursgruppen besonders gut verdeutlichen. Hieraus erschließt sich eine deutliche Asymmetrie. Tabelle 11: Verteilung der drei Vergleichsgruppen auf die Typologie HERKUNFT IN DER FOTOJOURNALISTISCHEN AKTEURSTYPOLOGIE

Konzeptioneller Dokumentarist

NGODokumentarist

















Palästina



















GeschichtenErzähler



Illustrator

News-Runner

News-FeatureProducer Ein-Personen Unternehmen

News-Activist Israel

Typ

Herkunft

Dokumentarfotografie

Schnittstelle

Sozialdokumentarischer Aktivist

Nachrichtenfotografie

Berufsfeld

International

Quelle: Eigene Darstellung

Die Abwesenheit der palästinensischen Fotoreporter in den drei dem Berufsfeld Dokumentarfotografie zuordenbaren Akteursgruppen „Illustrator“, „Geschichtenerzähler“ und „konzeptioneller Dokumentarist“ zeigt ihre mangelhafte Integration in diesen Markt deutlich auf. In allen drei Gruppen sind in der Regel Freelancer aktiv. Vor allem für die letzten beiden ist ein hohes Maß verschiedener fotografischer und journalistischer Kompetenzen notwendig, mit denen auch ein sehr spezifischer Bilddiskurs verbunden ist. Die Ausbildung, wie sie die palästinensischen Fotoreporter genossen haben, bereitet darauf i.d.R. nicht vor (siehe Kapitel 6.1.2). Somit



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bleiben den Palästinensern bestimmte Bereiche des Bildermarkts bis heute weitestegehend verschlossen. Prominent vertreten sind sie dagegen in den Akteursgruppen „News Activist“, „News-Runner“ und „Illustrator“. Während es für die palästinensischen Fotoreporter aufgrund der schwierigen Ausbildungssituation sowie der politischen Lage nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten gibt, können sich israelische und internationale Fotoreporter aufgrund besserer Ausgangsvoraussetzungen frei zwischen den verschiedenen Berufsfeldern entscheiden und finden sich fast gleich in der Typologie verteilt. Dass die internationalen Fotoreporter nicht in der Gruppe „News-Activist“ zu finden sind, ist damit zu erklären, dass es sich hierbei um ein spezifisches Phänomen handelt, das der politischen Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten geschuldet ist. Der Handlungsspielraum der Fotoreporter Das zentrale Ergebnis dieser Typologie ist der unterschiedliche Handlungsspielraum der einzelnen Akteursgruppen (siehe Tabelle 10). Er ergibt sich aus der Summe der einzelnen Kategorien und ist nicht mit dem „Grad der Autonomie“ gleichzusetzen, der sich auf den institutionellen und redaktionellen Kontext bezieht. So spielen bei der Bestimmung des Handlungsspielraums auch die „Ereignis-/ Themenorientierung“ sowie der „Grad der Konfliktorientierung“ als zentrale Einflussgrößen fotojournalistischer Routinen eine wichtige Rolle. Typen, die der Ereignislogik folgen und von einer hohen Konfliktorientierung gekennzeichnet sind, verfügen beispielsweise über einen eingeschränkten Handlungsspielraum, da ihr Handeln von zwei relativ unberechenbaren Kategorien mit einer starken Eigenlogik bestimmt ist. Auch die organisationalen Rahmenbedingungen setzen dem Handeln enge Grenzen. Über einen niedrigen Handlungsspielraum verfügen so beispielsweise „NewsRunner“ und „News-Feature-Producer“. Mittlere Handlungsspielräume finden sich bei den Typen „News Activist“, „Ein-Personen-Unternehmer“, „Illustrator“, „NGODokumentarist“ sowie „Sozial-dokumentarischer Aktivist“. Über hohe Handlungsspielräume verfügen nur die „konzeptionellen Dokumentaristen“ sowie die „Geschichtenerzähler“. Ein hoher Handlungsspielraum ist also eher im Berufsfeld der Dokumentar- als der Nachrichtenfotografie zu finden. Im Hinblick auf die drei Vergleichsgruppen verfügen damit Palästinenser nur über niedrige und mittlere, internationale und israelische Fotoreporter dagegen über niedrige, mittlere und hohe Handlungsspielräume. Die Frage nach der Umsetzung individueller Handlungsspielräume wird grundsätzlich von zwei weiteren Faktoren beeinflusst: der Bewegungsfreiheit und der Konfliktsozialisation eines Fotoreporters. Dies sind Zwänge, die je nach ihrer Ausprägung den Handlungsspielraum mehr oder weniger stark begrenzen. Die Bewe-



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gungsfreiheit ist ein Faktor auf der Makro-Ebene, der bestimmt, zu welchen Regionen die Kommunikatoren Zugang haben. Dieser Faktor wird maßgeblich vom Besatzungsregime beeinflusst. Eine geringe Bewegungsfreiheit beeinflusst den Handlungsspielraum negativ, da sie die zur Auswahl stehenden Themen und Ereignisse begrenzt. Wie das Schaubild zum Bewegungsregime (siehe Abbildung 7) zeigt, verfügen die Palästinenser über einen niedrigen, die Israelis über einen mittleren und die Internationalen über einen großen Handlungsspielraum. Damit sind die Israelis doppelt privilegiert gegenüber ihren palästinensischen Kollegen: Sie verfügen nicht nur über größere Handlungsspielräume, sondern auch über eine größere Bewegungsfreiheit. Ein weiteres wichtiges Kriterium, ob ein Fotoreporter seine Bewegungsfreiheit ausnutzt, ist die Sozialisation im Konflikt. So traut sich nur ein Teil der befragten israelischen Fotoreporter zu, eigenständig in der Westbank zu arbeiten und den individuellen Handlungsspielraum auszunutzen. Welche Themen und Ereignisse Fotoreporter mit einem hohen Handlungsspielraum zur Berichterstattung auswählen, hängt von einem weiteren konfliktbezogenen Faktor ab: dem Konfliktnarrativ. Ein hoher Handlungsspielraum bedeutet die Freiheit, selbstständig handeln zu können und damit die Möglichkeit, das eigene Konfliktnarrativ als zentralen Leitfaden des fotojournalistischen Handelns zu nutzen. Da im Vergleich der lokalen Fotoreporter die Israelis des Samples über größere Handlungsspielräume verfügen, haben sie auch mehr Möglichkeiten, ihre Konfliktnarrative umzusetzen. Dies kann eine Orientierung sowohl an dominanten wie Gegennarrativen bedeuten. Da die befragten israelischen Fotoreporter jedoch mehrheitlich einem dominanten Konfliktnarrativ folgen, ist es wahrscheinlich, dass sich dies auch in ihren Arbeiten niederschlägt. Am Beispiel der Arbeit zweier israelischer Fotoreporter wurde dies im Fazit zu den Konfliktnarrativen aufgezeigt. Die Verbindung von Handlungsspielraum und Konfliktnarrativen zeigt damit exemplarisch die Verschränkung des Journalismus- und des Konfliktkontextes auf.





9. Fazit und Ausblick When the occupation is viewed as a rationalized system, that encompasses diverse and sometimes conflicting techniques of domination and control, the seasonal outbursts of military violence that have recurred periodically since 2002 can no longer be considered in isolation from one another and from the occupation regime as a whole. OPHIR /GIVONI/HANAFI1

Als Kommunikatorstudie hat der Autor mit dieser Arbeit das Ziel verfolgt, das Handeln lokaler und internationaler Fotoreporter im Kontext des israelischpalästinensischen Konflikts zu beschreiben und einer Analyse und Bewertung anhand der in der Einleitung formulierten Kernfragen zu unterziehen. Die Studie folgte dabei einer akteurszentrierten Perspektive, die den Fotoreporter als sozialen Akteur und Kommunikator in den Mittelpunkt stellt. Neben einer detaillierten Beschreibung der Routinen war das zweite Ziel die Bestimmung der zentralen Faktoren, die die fotojournalistische Produktion bestimmen. Mit der Verbindung einer Journalismus- und einer Konfliktperspektive zur Untersuchung des fotojournalistischen Handelns im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts hat diese Arbeit Neuland betreten. Besonders deutlich wurde dies an der Verortung der Fotoreporter innerhalb der Konfliktnarrative sowie an der Einbeziehung der psychosozialen Folgen ihrer Tätigkeit im Konflikt. In der Betrachtung der Fotoreporter nicht nur als Kommunikatoren, sondern auch als Konfliktakteure setzte diese Arbeit somit neue Maßstäbe.

 1

Ophir, Adi, et al. (2009): Introduction, in: The Power of Inclusive Inclusion, Ophir, Adi et al. (Hrsg.), New York: Zone Books, S. 15-30, hier S. 18.



416 | F OTOREPORTER IM K ONFLIKT

Ein weiterer Akzent wurde insofern gesetzt, als die Arbeit auf die Bedeutung hinweist, die Macht- und Herrschaftsstrukturen eines Konflikts in Beziehung zur journalistischen Produktion zu bringen. Das Sample von 40 leitfadengestützten Interviews mit lokalen und internationalen Fotoreportern ermöglichte dabei, die Aktivitäten am Produktionsstandort Israel/Palästina qualitativ abzubilden. Mit Hilfe einer induktiv aus der Empirie entwickelten Typologie konnte die Akteursvielfalt über den Unterschied zwischen Nachrichten- und Dokumentarfotografie hinaus beschrieben und es konnten individuelle Handlungsspielräume bestimmt werden. Dies ermöglichte die dem Fotojournalismus in der Region inhärente Asymmetrie, die vor allem zwischen den lokalen israelischen und palästinensischen Fotoreportern besteht und von anderen Autoren (Heidelberger 2008) bereits in Ansätzen skizziert wurde, neu zu bestimmen. Den Ausgangspunkt dieser Studie bildete ein aus der Theorie entwickeltes Akteursmodell zur Bestimmung des Kontextes fotojournalistischen Handelns in der Produktion (siehe Abbildungen 3 und 4). Im Zentrum des Modells steht der Fotoreporter als sozialer Akteur und journalistischer Kommunikator, der mit anderen Akteuren und Institutionen interagiert. Das Modell unterscheidet dabei zwei idealtypische Produktionskontexte in der Nachrichten- und in der Dokumentarfotografie. Der zentrale Unterschied zwischen beiden besteht im Wegfall der Distributionsebene sowie lokaler Redaktionsstrukturen in der Dokumentarfotografie, was einen größeren Grad an Autonomie auf Seiten der Fotoreporter zur Folge hat. Die detaillierte Beschreibung der fotojournalitischen Routinen (Kapitel 6.2) hat gezeigt, dass die Realität um einiges vielfältiger ist als die schematische Darstellung des Modells. Diese Vielfalt genauer einordnen zu können, wird durch die Typologie fotojournalistischer Akteure ermöglicht (siehe Tabelle 10). Ausgehend von theoriegestützen Kategorien wurden neun Typen gebildet, die eine vergleichende Beschreibung der Akteure und ihres Handelns in der fotojournalistischen Produktion in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten erlauben. Diese Typen sind: „News-Activist“, „News-Runner“, „News-Feature-Producer“, „Ein-PersonenUnternehmen“, „Illustrator“, „NGO-Dokumentarist“, „Gesichtenerzähler“, „Konzeptioneller Dokumentarist“ und „Sozialdokumentarischer Aktivist“. Mit jedem Typ verändern sich auch die im Modell des fotojournalistischen Handelns aufgezeigten Akteursbeziehungen. Ein wichtiges Merkmal des Modells ist die Trennung der Akteursebene von der Bildebene. Erst damit wurde eine Fokussierung auf den Fotoreporter als Kommunikator bzw. journalistischen Akteur ohne Einbeziehung des Produkts möglich. Dass diese Trennung der beruflichen Realität der Fotoreporter entspricht, zeigt sich unter anderem am Umgang der Nachrichtenfotografen mit ihren Produkten (siehe Kapitel 6.2.1). Angesichts einer extrem geringen Halbwertszeit des einzelnen Bildes aufgrund der Schnelligkeit in der Produktionsroutine und der Unkenntnis darüber, wo

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die eigenen Bilder publiziert werden, messen die Fotoreporter dem Einzelbild nur geringe Bedeutung bei und validieren ihre Arbeit stattdessen über den Rückblick auf ein Bildkorpus in einem bestimmten Zeitabschnitt. Nicht fehlen soll an dieser Stelle auch die vergleichende Perspektive zwischen internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern, die einen wichtigen Teil in dieser Studie darstellte. In der Typologie wurde deutlich, dass Internationale und Israelis in allen Bereichen vertreten sind, während Palästinenser sich vor allem im Berufsfeld der Nachrichtenfotografie finden. Die Herausarbeitung der beruflichen Sozialisation konnte detailliert aufzeigen, dass gravierende Unterschiede in der Ausbildung und im Zugang zum Beruf zwischen den drei Gruppen bestehen. Vor allem internationale und israelische Fotoreporter profitieren dabei von einem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld, das einem kritischen Fotografiediskurs förderlich ist. Die unzureichende fotografische Ausbildung der Palästinenser findet ihre Entsprechung in der Akteurstypologie. Palästinenser sind hier vor allem bei den Typen, die dem Berufsfeld der Nachrichtenfotografie zuzuordnen sind, zu finden. Der Markt der Dokumentarfotografie bleibt ihnen dagegen weitestgehend verschlossen. Palästinensische Fotoreporter stehen damit am unteren Ende der beruflichen Hierarchien. Die Gründe für ihre systematische Benachteiligung sind dabei in den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und den Auswirkungen der Besatzungsregimes zu suchen. Die Präsenz internationaler und israelischer Fotoreporter in allen wichtigen Akteursgruppen bedeutet, dass sie einen größeren Handlungsspielraum besitzen als ihre palästinensischen Kollegen. Da individuelle Akzente eher bei den Typen der Dokumentar- als der Nachrichtenfotografie gesetzt werden können, haben internationale und israelische Fotoreporter somit mehr Möglichkeiten, ihre Narrative in die Arbeit einfließen zu lassen. Dies hat eine größere Deutungsmacht auf ihrer Seite zur Folge. Was die Betrachtung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der MakroEbene angeht, so steht diese Arbeit in einer Forschungstradition, die den Konflikt aus einer macht- und herrschaftskritischen Perspektive betrachtet (Azoulay/Ophir 2009; Gordon 2009; Grinberg 2010). Der wichtigste Aspekt dieser Tradition ist die Beschreibung des israelischen Besatzungsregimes als der für Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete zentrale Herrschaftsapparat. Das Regime konstituiert seine Herrschaft über unterschiedliche Formen der Macht und wohlkalkulierte Gewaltausübung. Ein kennzeichnendes Merkmal des Besatzungsregimes ist das Separationsprinzip (Gordon 2009). Mit der Separation wird unter anderem das Ziel verfolgt, in Israel die Illusion eines konfliktfreien Alltags zu schaffen, der von Normalität geprägt ist. Ermöglicht wird dies dadurch, dass dem Konflikt zuzuordnende Ereignisse an der Peripherie des Landes bzw. außerhalb der eigenen Grenzen gehalten werden. Durch diese Politik werden zwei unterschiedliche geografische



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Räume geschaffen: Ein Zentrum und periphere Regionen, die unterschiedlich stark vom Konflikt betroffen sind. Während beispielsweise an der Grenze zum Gazastreifen Raketen niedergehen und Siedler und Palästinenser in der Westbank mit jüdischen Siedlern um Zugang zu Land streiten, geht das Leben sowohl in Tel Aviv als auch in Jerusalem seinen gewohnten Gang. Aufgehoben wird dies nur, wenn eine militärische Eskalation diese symbolischen Grenzen verschiebt, wie zuletzt geschehen im Sommer 2014. Frappierend ist, dass die Aufteilung der Region in Zentrum und Peripherie durch die Wahl des Lebensmittelpunkts der internationalen und israelischen Fotoreporter sowie die Organisationsstrukturen der internationalen Nachrichtenagenturen reproduziert wird. So befinden sich bspw. die Hauptbüros von AFP, AP und Reuters allesamt in West-Jerusalem. Dies korrespondiert mit dem Lebensmittelpunkt der befragten israelischen und internationalen Fotoreporter, die in großer Mehrzahl in den Großräumen von Tel Aviv und Jerusalem leben. Die Fotoreporter haben ihre Lebensmittelpunkte bewusst gewählt, entweder um im Alltag Abstand vom Konflikt und seinen Ereignissen haben zu können oder aufgrund von Meldeauflagen israelischer Behörden. Dies bedeutet, dass die Nachrichtenfotografen zum Großteil in Zonen der Normalität leben und sich von dort zu den Zonen des Ausnahmezustands und wieder zurück bewegen. Eng damit verbunden ist die Frage, wo aus Sicht der Nachrichtenfotografie den Konflikt repräsentierende Ereignisse stattfinden, die als berichtenswert eingestuft werden. Hier bekommt die Frage nach den sichtbaren und unsichtbaren Formen von Gewalt seine größte Bedeutung. Die Ereignislogik und der Visualisierungszwang, wie sie für die Nachrichtenfotografie kennzeichnend sind, haben eine Orientierung an gewalthaltigen Ereignissen zur Folge. Diese finden sich hauptsächlich in den Zonen des Ausnahmezustands. Der Konflikt spielt sich visuell gesehen also hauptsächlich in den besetzten palästinensischen Gebieten sowie den Grenzregionen ab (vgl. Ghanim 2008). Insofern stehen die Logik des Besatzungsregimes und die der Nachrichtenfotografie zu Grunde liegende Ereigniszentrierung in einer direkten Beziehung und bestimmen damit das Handeln der journalistischen Institutionen und der Kommunikatoren. Die fotojournalistische Dokumentation der Gewaltanwendung, die in der Regel auf die Peripherie begrenzt ist, zementiert somit die von der Separationslogik hervorgebrachte Unterscheidung in Zonen der Normalität und Zonen des Ausnahmezustands. Was dabei meist außerhalb der Reichweite der bildnerischen Repräsentation bleibt, sind die für diese Situation verantwortlichen meist unsichtbaren Strukturen und Mechanismen des Besatzungsregimes. Wenn überhaupt, sind es Projekte aus dem Bereich der Dokumentarfotografie, die diese sichtbar zu machen versuchen. Das Separationsprinzip hat auch direkte Auswirkungen auf das fotojournalistische Handeln der Akteure sowie auf die institutionellen Strukturen des Fotojourna-

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lismus, die sich im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts herausgebildet haben. Auf institutioneller Ebene wird dies daran deutlich, wie die Nachrichtenagenturen ihre Mitarbeiter rekrutieren und seit Ende der 1990er Jahre ethnisch separierte Bürostrukturen aufbauen. Im journalistischen Alltag zeigt sich dies an der rassistischen Diskriminierung palästinensischer Fotoreporter durch israelische Behörden und Besatzungsinstitutionen. Die auf dem Prinzip der ethnocracy (Yiftachel 2010) fußende und den Alltag in Israel/Palästina bestimmende Separationslogik hat zur Folge, dass für den Status im Feld nicht die Tätigkeit als professioneller Journalist, sondern die ethno-nationale Zugehörigkeit entscheidend ist: Palästinensische Fotoreporter bspw. werden primär als Palästinenser und nicht als Journalisten wahrgenommen. Aus Sicht des israelischen Staates sind die Palästinenser non-citizen (vgl. Ophir et al. 2009a: 18). Konkrete Auswirkungen hat dies beispielsweise für das Bewegungsregime (siehe Abbildung 7), das den Fotoreportern ausgehend von ihrer ethno-nationalen Zugehörigkeit klare Rollen und eine bestimmte Bewegungsfreiheit zuweist. Die internationalen Agenturen übernehmen weitestgehend die Sicherheitslogik der israelischen Politik, was sich unter anderem daran zeigt, dass sie aus Sicherheitsgründen immer weniger israelische Fotoreporter in der Westbank einsetzen, obwohl diese das Recht dazu besitzen und meist gute Erfahrungen bei der Arbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten gemacht haben. Die Separationslogik bringt des Weiteren mit sich, dass zwei Gruppen von Fotoreportern sehr gefragt sind: zum einen Palästinenser mit einem israelischen Pass, zum anderen Internationale. Für die Agenturen sind sie weniger aufgrund ihrer journalistischen Qualität als wegen ihrer Bewegungsfreiheit von Interesse. Eine zentrale Frage dieser Arbeit dreht sich um den Umgang der Fotoreporter mit den Macht- und Herrschaftsstrukturen des Konflikts. Dies soll hier erneut bezogen auf das Handeln der Fotoreporter gegenüber dem Besatzungsregime aufgegriffen werden. Grundsätzlich haben politische Subjekte die Möglichkeit, sich systemkonform oder widerständig zu verhalten. Ein systemkonformes Verhalten bedeutet bezogen auf das Thema dieser Arbeit, die Anerkennung der durch das Besatzungsregime gesetzten Grenzen, widerständiges Handeln hingegen den Versuch, diese auszureizen bzw. zu überwinden. Das Gros der für diese Arbeit befragten Fotoreporter und deren Institutionen handeln systemkonform und reproduzieren damit die Macht- und Herrschaftsstrukturen des Konflikts. Nur eine Minderheit handelt widerständig. Dazu gehören beispielsweise internationale Fotoreporter, die trotz möglicher negativer Konsequenzen ihren Lebensmittelpunkt in die besetzten palästinensischen Gebiete verlagern, aber auch israelische Fotoreporter, die versuchen, die Separationslogik zu überwinden, indem sie weiterhin in der Westbank arbeiten oder ihren palästinesischen Kollegen solidarische Hilfe leisten. Widerständiges Handeln

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kann sich jedoch auch in der Thematisierung niederschlagen, beispielsweise in der Fokussierung auf unsichtbaren Gewaltstrukturen. Für das Besatzungsregime und die israelische Politik ist das Handeln der Fotoreporter funktional. Die Übernahme der Separationslogik durch Fotoreporter und Institutionen am Produktionsstandort Israel/Palästina vereinfacht eine Politisierung des Umgangs mit den Bildproduzenten, wie an den vehementen Auseinandersetzungen um die bildnerische Darstellungen der kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen oder die „Gaza Flotilla“ zu beobachten war (vgl. Campbell 2009; Amir 2014). So ist ein wichtiges Element der israelischen Public-DiplomacyStrategie, Bilder von Gewaltfolgen und Opfern als palästinensische Propaganda abzutun und eine Verschwörung zwischen den Bildagenturen und den palästinensischen Fotoreportern gegen Israel zu konstruieren. Dies wird dadurch erleichtert, dass es heute hauptsächlich palästinensische Fotoreporter sind, die gewalthaltige Auseinandersetzungen und die Folgen des Besatzungsregimes in den besetzten palästinensischen Gebieten dokumentieren. Internationale Fotoreporter sind nur zum Teil vor Ort, und israelische Kollegen nur noch vereinzelt und nur in der Westbank. Wären israelische Fotoreporter weiterhin die zentralen Akteure der Bildberichterstattung, wie es noch bis Mitte der 1990er Jahre der Fall war, wäre diese Argumentation sehr viel schwerer aufrechtzuerhalten. Die für diese Arbeit befragten lokalen und internationalen Fotoreporter sind als traditional foreign correspondents, parachute correspondents sowie foreign foreign correspondents am fotojournalistischen Produktionsstandort Israel/Palästina tätig. Sie sind somit Teil des internationalen Journalismus und der Auslandsberichterstattung über Israel und die palästinensischen Gebiete. Die Verortung des Fotojournalismus in der Auslandsberichterstattung zeigt sich dabei nicht nur an der institutionellen Verortung in den Strukturen bzw. der Anbindung an die Strukturen des Auslandsjournalismus, sondern auch aufgrund der Bedeutung von Nachrichtenbildern als global images (Engelbert 2011). Sowohl in der Nachrichten- als auch in der Dokumentarfotografie werden die Produkte der Fotoreporter in Form von Nachrichtenbildern, features und Reportagen weltweit gehandelt. Wie mit dieser Arbeit aufgezeigt werden konnte ist eine Besonderheit, dass vor allem die „News-Runner“ und die „News-Feature-Producer“ keine Kenntnis davon haben, in welchen Ländern und damit in welchen kulturellen Kontexten ihre Produkte veröffentlicht werden. Damit können sie die kulturelle Übersetzerfunktion, die einige Autoren (Lönnendonker et al. 2008) den Auslandsberichterstattern im Textjournalismus zuschreiben, nur unzureichend wahrnehmen. Selbst für Fotoreporter, die als „Illustratoren“ direkt von einem Medium beauftragt werden, ist diese meist nicht gegeben, da sie in der Regel für Publikationen auf der ganzen Welt tätig sind. Hier zeigt sich die transkulturelle Ausrichtung des Fotojournalismus, wie sie schon andere Autoren wie Grittmann/Amman (2008) beschrieben haben. Dies ist unter anderem der Abwesenheit

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klassischer Korrespondentenstrukturen im Fotojournalismus sowie der globalen Ausrichtung der fotojournalistischen Institutionen geschuldet. Die israelische Wissenschaftlerin Ariella Azoulay führt im Epilog zu ihrer Publikation „Civil Imagination. A Political Ontology of Photography“ die Metapher des grenzenlosen Fotostudios ein, um die Region zwischen Mittelmeer und Jordan zu bezeichnen: „Since they were first conquered, and increasingly over the past two decades, the Occupied Territories have become an extended borderless photography studio whose reach may be extended at any given moment to more and more areas, including private homes.“ (Azoulay 2012: 243) Dieses imaginäre Studio dehnt sich dabei zwischen privaten Räumen, die öffentlich, und öffentlichen Räumen, die privat geworden sind, aus. Das Private wird der Logik des Militärischen sowie der Besatzung unterworfen und durch diese ausgehebelt. So werden beispielsweise private palästinensische Häuser im Gefolge israelischer Spezialeinheiten zu öffentlichen Räumen der Fotografie. Darin zeigt sich die von Azoulay postulierte Grenzenlosigkeit des Fotografiestudios, in dem den Palästinensern die Rolle von passiven Subjekten, einem „Extra“, zukommt. Die Erkenntnisse dieser Studie legen nahe, dass es heute eher segregierte fotografische Enklaven gibt. Wenn man die Situation nicht nur aus Perspektive der israelischen Fotografie betrachtet, sondern internationale und palästinensische Fotoreporter mit einbezieht, ist Veränderung der fotojournalistischen Praxis in Phasen zu beobachten. Die Grenzenlosigkeit des Fotografiestudios trifft dann auf die Zeit von der Besetzung der Westbank im Jahr 1967 bis zum Oslo-Prozess Anfang der 1990er Jahre zu, als israelische und internationale Fotoreporter das Feld dominierten. Ein Übergang setzte mit dem Aufbau palästinensischer Mitarbeiterstäbe durch die Nachrichtenagenturen als Folge des Übergangs vom Kolonial- zum Separationsprinzip (vgl. Gordon 2009) ein. Mit der Errichtung physischer Barrieren und rechtlicher Hürden für die Arbeit israelischer Fotoreporter in den palästinensischen Gebieten wurde die Grenzenlosigkeit des Fotostudios zu einem gewissen Grad aufgehoben. Heute sind es die palästinensischen Fotoreporter, die zum Großteil von ihren israelischen Kollegen die Arbeit in privaten Räumen übernommen haben. Die Praxis, embedded mit israelischen Einheiten in der Westbank zu arbeiten, ist zwar weiterhin existent, jedoch lange nicht mehr so bedeutend wie noch zu Zeiten der 2. Intifada. Die in Folge des Separationsprinzips aufgetretene Aufteilung des geografischen Raumes in Form segregierter fotografischer Enklaven schreibt den Fotoreportern bestimmte Rollen zu. So sind die Siedlungen beispielsweise die exklusive Arbeitszone israelischer Fotoreporter. Das benachbarte palästinensische Dorf ist dagegen den palästinensischen Kollegen vorbehalten. Noch befinden wir uns jedoch in einer Übergangsphase, in der israelische Fotoreporter unter Ausnutzung ihres Handlungsspielraums und ihrer Bewegungsfreiheit in die besetzten palästinensischen Gebiete

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fahren. Am Ende wird jedoch möglicherweise die komplette Abwesenheit israelischer Fotoreporter in diesen Regionen stehen und damit die Vollendung des im Alltag der Menschen in der Region schon weitestgehend umgesetzten Separationsprinzips auch im Feld des Fotojournalismus. Ausblick und weitere Forschungsdesiderata Einige der hier diskutierten Aspekte öffnen den Blick auf angrenzende Themenfelder und weisen auf weitere Forschungsdesiderata sowie mögliche Konsequenzen für die Praxis hin. So ist eine Frage, inwieweit die Ergebnisse dieser Arbeit auf die (foto-)journalistische Arbeit in anderen Konfliktregionen übertragen werden können. Die vorliegende Arbeit weist bspw. auf die Notwendigkeit hin, die Macht- und Herrschaftsstrukturen eines Konflikts in Beziehung zur journalistischen Produktion zu setzen. Dies ist auch bei der Analyse des (foto-)journalistischen Handelns in anderen Konflikten von Bedeutung. So würde eine Analyse der Produktionsbedingungen im aktuellen Syrienkonflikt oder im Afghanistankrieg sicherlich fruchtbare Ergebnisse für eine Kontextualisierung der Bildberichterstattung bringen. Wichtig ist zu betonen, dass bestimmte der hier untersuchten Faktoren nicht eins zu eins auf andere gewalthaltige Konflikte und deren fotojournalistische Dokumentation übertragen werden können. Die Besonderheiten des israelischpalästinensischen Konflikts, die vor allem in seiner langen Dauer – als protracted social conflict – und in der Manifestation asymmetrischer Machtverhältnisse in Form des israelischen Besatzungsregimes – als prolonged occupation – bestehen, müssen bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Die Routinisierung und die Stereotypisierung der fotojournalistischen Produktion, die vor allem im Bereich der Nachrichtenfotografie zu beobachten sind, kennzeichnen die Untersuchungsregion. In anderen Konflikten stellt sich dies möglicherweise anders dar. Wie im Theoriekapitel (3.) dargelegt, ist der Fotojournalismus ein komplexer Prozess, der von der Produktion über Redaktion und Distribution bis hin zur Pressefotografie als dem publizierten Produkt reicht. Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, das fotojournalistische Handeln in der Produktion als eigenständigen Teilbereich des fotojournalistischen Arbeitsprozesses anzusehen. Die hier untersuchten Phänomene betreffen vor allem das fotojournalistische Handeln und die Produktionspraxis vor Ort. Zu untersuchen ist, ob und in welcher Hinsicht die Ergebnisse dieser Arbeit mit dem publizierten Produkt in Beziehung stehen. Da in der Produktion das Rohmaterial für den weiteren Prozess erstellt wird, ist eine Kausalität zwischen beiden zwar naheliegend; wie diese aber aussieht und welche Faktoren für den weiteren Distributions- und Veröffentlichungsprozess entscheidend sind, muss erst noch herausgearbeitet werden. Wichtig für eine Analyse dieser Prozesse ist, wie in dieser Arbeit vorgenommen, ein interdisziplinäres Vorgehen, welches sowohl die Verfasstheit des Konflikts als auch die Einflüsse des Mediensystems be-

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rücksichtigt. Dem Funktionswandel der Bilder vom Moment des fotografischen Aktes im Feld bis hin zur Veröffentlichung eines Bildes als Pressefotografie sollte größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Obwohl die Fotoreporter am Produktionsstandort Israel/Palästina Bilder für die Verwertung auf dem internationalen Bildermarkt und damit die publizistische Praxis produzieren, ist die Produktion an sich ein in sich geschlossenes System. Dies zeigt sich daran, dass viele Fotoreporter den Wert ihrer Arbeit nicht am publizierten Bild, sondern an ihrem body of work beurteilen. Im weiteren Verfahren ändert sich jedoch die Funktion der Bilder. Wo genau die Bruchstellen liegen und wie der Funktionswandel im Detail funktioniert, ist jedoch ein zentrales Thema, das zu vertiefen ist. Um dies zufriedenstellend tun zu können, fehlt nicht nur der wissenschaftlich begleitete Einblick in die Arbeit der Agenturen und der Bildredaktionen; es fehlt auch an einem theoretischen Modell, das diesem Prozess den nötigen Rahmen geben könnte. Ein wichtiger Aspekt des Funktionswandels des Bildes ist die Transformation vom Produkt einer sozialen Interaktion hin zu einer Ware, die auf dem Markt gehandelt wird. Bei der Distribution und der Publikation geht es nur noch um das photographed event, nicht mehr das event of photography. Ausgehend von den in dieser Arbeit generierten Erkenntnissen müssen ähnlich detailliert die weiteren Schritte in der Distribution und der Redaktion von Bildern untersucht werden. Bisher geht die visuelle Kommunikationsforschung in der Regel ausschließlich vom publizierten Bild aus. Grundsätzlich ist für den Bereich der fotografischen Konfliktberichterstattung zu fragen, ob es überhaupt möglich ist, Medieninhaltsforschung zu betreiben, ohne die Produktionsbedingungen und die Verfügbarkeit von Bildern miteinzubeziehen. Aus Sicht des Medienkonsumenten können die in dieser Arbeit dargelegten Erkenntnisse insofern von Bedeutung sein, als die Aufarbeitung der Produktionsbedingungen eine Folie zur Interpretation und zum Lesen des politischen Kontextes von journalistischen Bildern bietet. Denn fotografische Bilder sind immer auch ein kulturelles und politisches Produkt, kein rein ästhetisches oder informationelles. Insofern gehört es zu einer aus Sicht des Autors notwendigen Ausweitung der Bildkompetenz auf Seiten des Medienkonsumenten, bei der Betrachtung journalistischer Bilder den Produktions- und Distributionskontext mitzudenken. Im Wissen um diese Umstände und eine Thematisierung derselben liegt die Chance, sich dem fotografischen Akt und seinen Bedingungen zumindest anzunähern und damit sowohl die Abgebildeten als auch andere in den Produktionsprozess involvierte Akteure als politische Subjekte und nicht als Statisten des konsumierten Medienprodukts wahrzunehmen. Darüber hinaus kann damit der Überfrachtung von Bildern mit uneinlösbaren Erwartungen, wie sie vor allem in der Foto- und Medientheorie immer wieder auftauchen, etwas entgegengesetzt werden und gleichzeitig das Wis-

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sen um die spezifischen Qualität der Fotografie als ein mögliches Medium zur Beschreibung der Realität gefestigt werden. Ob es das System mit sich bringt oder nur bestimmte Charaktere von der fotojournalistischen Arbeit in Konflikten angezogen werden: Viele Fotoreporter sind doch eher lonely wolfs denn Teamarbeiter. Dass es weder in Israel noch in den palästinensischen Gebieten eine Interessenvertretung für die lokalen Fotoreporter gibt, ist eine Konsequenz. Dies erschwert die notwendige Formulierung einer Kritik an den Arbeitsbedingungen im Fotojournalismus. Vor allem angesichts der auch am fotojournalistischen Produktionsstandort Israel/Palästina zu beobachtenden Umwälzungen, die das Mediensystem durch die Digitalisierung sowie den Wegfall von Werbeeinkünften erfahren hat, stellen sich grundsätzliche Fragen nach der Zukunft des Fotojournalismus. Wie diese Arbeit aufzeigen konnte, ist eine Folge das Aufkommen neuer Akteurstypen wie des „NGO-Dokumentaristen“, die auf diese Entwicklungen reagieren. Diese Entwicklung wird sich vermutlich weiter fortsetzen und in einer größeren Diversität fotojournalistischer Akteure münden. Die Unterschiede zwischen reinen Bilderlieferanten auf der einen und Dokumentaristen und Autorenfotografen auf der anderen Seite wird damit vermutlich noch größer werden. Nicht alle Fotoreporter können sich jedoch zu hochgradig spezialisierten Dokumentarfotografen entwickeln. Denn nicht außer Acht gelassen werden darf, dass der Bildermarkt begrenzt ist. Je mehr gut ausgebildete Fotoreporter in den Ländern des globalen Südens heranwachsen, umso größer wird die Konkurrenz zwischen ihnen und den Fotoreportern aus dem globalen Norden, die heute noch bestimmte Segmente wie den Markt für Dokumentarfotografie beherrschen. Dem kann nur in einem solidarischen Austausch zwischen den Fotoreportern begegnet werden. In der vorliegenden Arbeit wird an mehreren Stellen deutlich, dass es Bedarf nach einer qualifizierten Weiterbildung von Fotoreportern gibt. Nicht nur die Schulung palästinensischer Fotoreporter ist wichtig, um der starken Asymmetrie im Feld etwas entgegenzusetzen, sondern auch die Weiterbildung internationaler und israelischer Fotoreporter. Bis heute ist die Weiterbildung von Fotoreportern stark technikorientiert. Kurse richten sich meist danach, was gerade in Mode ist und Geld bringt, wie Seminare in Bildbearbeitung oder dem digitalen Storytelling. Des Weiteren werden vor allem Sicherheitskurse angeboten. Darüber hinaus gibt es jedoch eine Reihe weiterer Themen, zu denen die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten notwendig wäre, von Rechercheschulungen mit besonderem Augenmerk auf der Arbeit in Konflikten bis hin zu Techniken zum Erhalt der psychosozialen Gesundheit. Damit verbunden ist die Entwicklung einer Haltung als kritischer Bildproduzent. Auf dem freien Weiterbildungsmarkt haben Angebote in dieser Richtung nur wenig Chancen.

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Für die institutionell eingebundenen Fotoreporter sind deshalb die Nachrichtenagenturen gefragt, mehr in die Weiterbildung ihrer Fotoreporter zu investieren und das angebotene Themenspektrum auszuweiten. Für die Freelancer könnten dies die Berufsverbände und Fotografenagenturen übernehmen. Aber auch NGOs aus dem Bereich der Medienarbeit könnten in dieser Hinsicht aktiv werden. Projekte wie das schon erwähnte „Frames of Reality“ haben hier Pionierfunktion. Ein Fokus muss dabei auf den Autodidakten und deren Bedürfnissen liegen. Die Integration der hier angesprochenen Themen in den Ausbildungskanon der journalistischen Ausbildungen hilft diesen nicht weiter. Deswegen ist bei der Entwicklung neuer Angebote darauf zu achten, dass sie niedrigschwellig angesiedelt und für ein breites Akteursspektrum zugänglich sind. Wie mit dieser Studie hoffentlich aufgezeigt werden konnte, ist die fotojournalistische Arbeit im Kontext von Konflikten und Kriegen nicht nur eine besonders herausfordernde, sondern auch eine sehr bereichernde Arbeit für den einzelnen Fotoreporter. Und trotz berechtigter Kritik an den Prozessen im Feld und den visuellen Produkten sollte nicht vergessen werden, dass der Beginn des fotojournalistischen Produktionsprozesses eine soziale Begegnung zwischen Menschen ist, aus der eine Fotografie entsteht. An verschiedenen Stellen dieser Arbeit wurde aufgezeigt, dass viele Fotoreporter trotz des großen Drucks und der medialen Erwartungshaltung mit einer achtsamen und offenen Haltung ins Feld gehen. Dies sollte als Beispiel auch für den wissenschaftlichen Umgang mit ihrer Arbeit und ihren fotojournalistischen Produkten gelten.





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Danksagung

Als ich vor mehr als sechs Jahren mein Promotionsprojekt startete, war mir nicht bewusst, wie viel Zeit, Kraft und Aufwand die konkrete Umsetzung dieser Idee kosten würde. Die Entscheidung für die Dissertation entsprang seinerzeit vor allem dem Wunsch, mich für einige Zeit intensiv mit einem Projekt meiner Wahl – dem Fotojournalismus in Israel/Palästina – beschäftigen zu können. An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mich in den vergangenen sechs Jahren während der Promotion unterstützt haben. Zu allererst geht mein Dank an meinen Doktorvater Prof. Dr. Kai Hafez von der Universität Erfurt, der meinem Projekt von Anfang an aufgeschlossen gegenüber stand sowie an meinen Zweitbetreuer Prof. Dr. Wilhelm Kempf von der Universität Konstanz, der diese Aufgabe engagiert begleitet hat. Die regelmäßigen Besuche des Doktorandenkolloquiums in Erfurt sowie der Treffen der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz waren ein wichtiger Rahmen, um Ideen zu diskutieren und Ergebnisse präsentieren zu können. Aber ohne die grandiose finanzielle Unterstützung durch die Graduiertenförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung hätte ich nie die Zeit und die Muße gefunden, mich ganz dem Projekt verschreiben und es – wenn auch spät – zu einem Abschluss bringen zu können. Und wäre da nicht die große Bereitschaft der vielen Fotoreporter in Israel/Palästina gewesen, mit mir über ihre Arbeit zu sprechen, wäre ich nie so weit gekommen. Ihnen und ihrer Arbeit soll dieses Buch gewidmet sein. Und last but not least möchte ich noch den Menschen in meinem persönlichen Umfeld für die bedingungslose Unterstützung danken, die mir Tag für Tag zu Teil wurde. Dies gilt allen voran meinen Eltern und meinen Bruder. Darüber hinaus danke ich Carola Richter und Elke Grittmann für die vielen fachlichen Gespräche und Diskussionen sowie Corinna Hauswedell für das Lesen der allerersten Fassung. Felix Koltermann, Berlin 2017







Anhang

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

 Abbildung 1: A sociohistorical model of photographic meaning | 48 Abbildung 2: Modell der Ereignis- und Berichtsebene | 76 Abbildung 3: Akteursmodell fotojourn. Handelns I: Nachrichtenfotografie | 119 Abbildung 4: Akteursmodell fotojourn. Handelns II: Dokumentarfotografie | 119 Abbildung 5: Karte der Westbank | 138 Abbildung 6: Der Prozess der Nachrichtenauswahl | 264 Abbildung 7: Bewegungsregime der Fotoreporter | 317 Tabelle 1: Ausdifferenzierung von Berufs- und Arbeitsrollen der Fotoreporter | 65 Tabelle 2: Forschungsmatrix | 120 Tabelle 3: Institutionelle Akteure am Produktionsstandort Israel/Palästina | 146 Tabelle 4: Themen für den Interviewleitfaden | 164 Tabelle 5: Übersicht der Samplekategorien | 167 Tabelle 6: Sample der Untersuchung | 177 Tabelle 7: Vergleich der Faktoren für die Ereignis-, Bild- und Themenauswahl zwischen der Nachrichten- und der Dokumentarfotografie | 266 Tabelle 8: Ereignisdimensionen in Israel/Palästina | 293 Tabelle 9: Vergleich des politischen Status der Fotoreporter und Bewegungsfreiheit | 391 Tabelle 10: Typologie fotojournalistischer Akteure | 406 Tabelle 11: Verteilung der drei Vergleichsgruppen auf die Typologie | 411





450 | F OTOREPORTER IM KONFLIKT

Abkürzungsverzeichnis

 AFP AP BBC BVPA CPJ DCAF DPA EPA FPA FAZ FH GPO HIIK IDF IFJ IPC IPI JA JNF KUG MADA NGO NPPA NYT OCHA OPT PA PSJ PTSD ROG SZ UN UPI USAID WZO WPP

Agence France Presse Associated Press British Broadcasting Channel Bundesverband professioneller Bildanbieter International Committee to Protect Journalists Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces Deutsche Presse-Agentur European Pressphoto Agency Foreign Press Association Frankfurter Allgemeine Zeitung Freedom House Government Press Office Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung Israel Defense Forces International Federation of Journalists Israeli Press Council International Press Institute Jewish Agency Jewish National Fund (auch KKL - Keren Kayemeth LeIsrael) Kunsturheberrechtsgesetz Palestinian Center for Development and Media Freedom Non Governmental Organizations (Nichtregierungsorganisationen) National Press Photographer Association New York Times Office for the Coordination of Humanitarian Affairs Occupied Palestinian Territories (Besetzte palästinensische Gebiete) Palestinian (National) Authority (Palästinensische Autonomiebehörde) Palestinian Journalist Syndicate Post Traumatic Stress Disorder (Posttraumatische Belastungsstörung) Reporter ohne Grenzen Süddeutsche Zeitung United Nations United Press International United States Agency for International Development World Zionist Organisation World Press Photo Award

A NHANG | 451

Verzeichnis der Forschungsinterviews INTERVIEWS MIT FOTOREPORTERN Nr.

Name

Nationalität

Arbeitgeber

Datum

Ort

Freelance

16.09.2011

Bielefeld (D)

B01

Hamde Abu

Palästinen-

Rahma

sisch

B02

Peter

Deutsch

Freelance

22.09.2011

Bern (CH)

Israelisch

Freelance

28.10.2011

Tel Aviv (I)

US-

Stringer UPI

07.11.2011

Jerusalem (I)

Dammann B03

Eddie Gerald

B04

Anonym

Amerikanisch B05

Ziv Koren

Israelisch

Freelance

08.11.2011

Tel Aviv (I)

B06

Anonym

Israelisch

Freelance

10.11.2011

Jerusalem (I)

B07

Anonym

Französisch

Freelance

10.11.2011

Jerusalem (I)

B08

Oliver

Deutsch

Staff EPA

11.11.2011

Tel Aviv (I)

Weiken B09

Oren Ziv

Israelisch

Freelance

16.11.2011

Tel Aviv (I)

B10

Ilja

Israelisch

Staff Itar-

17.11.2011

Tel Aviv (I)

Yefimovich B11

Janos

Tass Italienisch

Freelance

21.11.2011

Tel Aviv (I)

Chiala B12

Anne Paq

Französisch

Freelance

26.11.2011

Bethlehem (P)

B13

Anonym

Israelisch

Freelance

28.11.2011

Jerusalem (I)

20.12.2011 B14

Rina Cas-

Israelisch

telnuovo B15

Local Staff

01.12.2011

Beit Zait (I)

Staff EPA

06.12.2011

Nablus (P)

Stringer

07.12.2011

Jaffa (I)

NYT

Alaa

Palästinen-

Badarneh

sisch

B16

Heidi Levine

USAmerikanisch

SIPA Press

B17

Kobi Wolf

Israelisch

Freelance

12.12.2011

Tel Aviv (I)

B18

Fadi Arouri

Palästinen-

Staff Xinhua

15.12.2011

Ramallah (P)

B19

Atef

Israelisch

Staff EPA

15.12.2011

Ramallah (P)

Safadi

(Druse)

Nasser

Palästinen-

Staff Inter-

01.01.2012

Ramallah (P)

Shiyoukhi

sisch

nat. Wire

sisch

B20

452 | F OTOREPORTER IM KONFLIKT

B21

Nati Shohat

Israelisch

Freelance

01.01.2012

Jerusalem (I)

B22

Andrea&

Italienisch

Freelance

05.01.2012

Beit Sahour

Magda

Französisch

Anonym

Israelisch

B23

(P) Staff Getty

09.01.2012

Tel Aviv (I)

Images B24

Menahem

Israelisch

Staff AFP

11.01.2012

Jerusalem (I)

US-

Freelance

12.01.2012

Tel Aviv (I)

Stringer

19.01.2012

Modiin (I)

21.01.2012

Jerusalem (I)

Freelance

28.01.2012

Jerusalem (I)

Kahane B25

Anonym

Amerikanisch B26

Gil Cohen

Israelisch

Magen B27

Anonym

Reuters Israelisch

Staff Reuters

B28

Atta

Palästinen-

Awissat

sisch

Alessandro

Italienisch

Freelance

10.02.2012

Per Skype

Ted

US-

Freelance

16.02.2012

Ramallah (P)

Nieters

Amerikanisch

Ahmad

Palästinen-

Stringer

26.02.2012

Ramallah (P)

Mesleh

sisch

B32

Ahmad

Palästinen-

Stringer AFP

26.02.2012

Jerusalem (I)

Gharabli

sisch

B33

Naaman

Palästinen-

Freelance

27.02.2012

Per Skype

Omar

sisch

Gali

Israelisch

Freelance

29.02.2012

Jerusalem (I)

Freelance

02.03.2012

Per Skype

Freelance

01.04.2012

Jerusalem (I)

Staff AP

03.04.2012

Per Skype

Staff AFP

26.01.2012

Ramallah (P)

Staff AFP

18.04.2012

Per Skype

Freelance

21.06.2012

Berlin (D)

B29

Gandolfi B30 B31

B34

Tibbon B35

Stringer AFP

Eman

Palästinen-

Mohammed

sisch

Tanya

US-Ameri-

Habjouqa

kanisch

B37

Anonym

US-Ameri-

B38

Abbas

Palästinen-

Mohmani

sisch

B36

kanisch

B39 B40

Mohammed

Palästinen-

Abed

sisch

Kai Wie-

Deutsch

denhöfer



A NHANG | 453

HINTERGRUNDGESPRÄCHE Nr. E01 E02 E03 E04

Name

Arbeitgeber/Funktion

Miki

Leiter Bereich Fotografie

Kratsman

Bezalel Akademie

Rula

Birzeit University

Halawani

Fotografin

Marco

Chief Photographer AFP,

Longari

ehemaliger FPA-Vorstand

Dana

Datum

Ort

30.11.2011

Jerusalem (I)

05.12.2011

Ramallah (P)

17.12.2011

Jerusalem (I)

Edutmekomit

17.01.2012

Tel Aviv (I)

Eldad

Fotojournalist

04.03.2012

Tel Aviv (I)

Rafaeli

Trainer Frames of Reality

Wohlfeiler E05

454 | F OTOREPORTER IM KONFLIKT

Interviewleitfaden

 1. Fotoreporter als Kommunikator 1a.) Berufliche Sozialisation als Fotoreporter und Konfliktberichterstatter Wie sind sie zum Beruf des Fotoreporters gekommen? Was motiviert sie zu ihrer Arbeit? Wie haben sie das fotojournalistische Handwerk gelernt? Was bedeutet es für sie journalistisch zu arbeiten? Was ist das Besondere an der fotografischen Arbeit? Was macht einen guten Fotoreporter aus? In welchem Bereich sind sie tätig? Warum? Sind ihrer Meinung nach spezifische Kompetenzen für die fotojournalistische Arbeit im Konflikt nötig? Wie haben sie sich diese Kompetenzen angeeignet? 1b.) Arbeitsroutinen / Fotojournalistische Arbeit Allgemein Was sind die wichtigsten täglichen Arbeitsschritte? Wie sieht der Kontakt zu ihrem Auftraggeber aus? Welche bildnerischen Vorgaben gibt es? Haben sie feste Ansprechpartner in den Redaktionen? Was erwarten sie vom Publikum? Fragen an freie Fotoreporer: Wie kommt in der Regel ein Auftrag zu Stande? Nach welchen Kriterien beurteilen sie Auftragsanfragen? Frage an angestellte Fotoreporter: Wer entscheidet über die zu bearbeitenden Themen? Nach welchen Kriterien wählen sie die Themen aus? 2. Fotoreporter als Konfliktakteur 2a.) Arbeit am Produktionsstandort Israel/Palästina Was ist ihre berufliche Position am Produktionsstandort Israel/Palästina? Warum arbeiten sie über den Nahost-Konflikt? Welches Interesse gibt es an Bildern/Geschichten aus der Region? Welche Themen lassen sich am Besten vermarkten?



A NHANG | 455

Welche Themen bearbeiten sie hauptsächlich? Welche Themen würden sie bearbeiten, wenn es keine ökonomischen Zwänge gäbe? Wie bereiten sie sich auf ihre Arbeit/Einsatz vor? Wie recherchieren Sie? Welche Quellen nutzen Sie? Verfolgen sie die Bildberichterstattung über den Konflikt? Was denken sie darüber? Wie würden sie die Zusammenarbeit zwischen lokalen und internationalen Fotoreportern beschreiben? Haben sich die Arbeitsbedingungen verändert und wenn ja wie? Fragen für internationale Fotoreporter: Arbeiten sie mit festen Stringern/Übersetzern zusammen? 2b.) Routinen und Positionierung im Konflikt Wie würden sie ihre eigene Position als Fotoreporter im Nahostkonflikt beschreiben? Nehmen sie sich selbst als Konfliktakteur war? Wie werden sie von anderen Akteuren wahrgenommen? Zu welchen Konfliktparteien nehmen sie Kontakt auf? Welchen Zensurmaßnahmen sind sie ausgesetzt? Wie schätzen sie ihre Sicherheit bei der Arbeit ein? Wie bewegen sie sich in der Region? Welche Macht haben Bilder im Nahostkonflikt? Gibt es gesellschaftliche Bereiche, zu denen sie als Frau/Mann keinen Zugang haben? Wie reagieren die Menschen auf ihre Arbeit? Welche Botschaft senden sie durch ihr Auftreten aus? Identifizieren sie sich besonders mit einer Seite des Konflikts? Fragen an internationale Fotoreporter: Sind sie als internationaler Fotoreporter gezwungen sich zu positionieren? 2c.) Persönliche (Konflikt-)Sozialisation Wie würden sie ihre persönliche Konflikt-Erfahrung beschreiben? Wie würden sie ihr Verhalten in persönlichen und beruflichen Konfliktsituationen beschreiben? Wirkt sich der Nahostkonflikt auf ihr privates Lebensumfeld aus? Haben enge Angehörige/Freunde von Ihnen im Konflikt Schaden genommen?



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Wie würden sie den Nahostkonflikt beschreiben? Was sind die wichtigsten Akteure? Was steht einem Frieden im Weg? Wie könnte eine Lösung aussehen? Hilft Ihnen Wissen über den Konflikt bei ihrer Arbeit? 2d.) Psychosoziale Dimension und bildethische Fragen Wie verarbeiten sie die Geschehnisse, die sie während ihrer Arbeit dokumentieren? Was war die schwierigste Situation die sie bisher erlebt haben? Mit wem reden sie über ihre Erfahrungen? Gibt es ein Debriefing durch die Redaktionen? Welche Rolle spielt ihrer Erfahrung nach die Kamera in schwierigen Situationen? Was sind besondere ethische Fragen, die sich in ihrer Arbeit stellen? Wo liegen Grenzen in der fotografischen Darstellung? Gibt es einen allgemein gültigen Verhaltenskodex, an den sie sich richten?



Soziologie Uwe Becker Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3056-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart., 11,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3040-4 E-Book: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) 2014, 1264 S., kart., 2 Bde. im Schuber, zahlr. Abb. 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2722-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2722-4

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Soziologie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat 2014, 528 S., kart., 24,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-2835-7 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-2835-1

Carlo Bordoni Interregnum Beyond Liquid Modernity März 2016, 136 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3515-7 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Kijan Espahangizi, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Bernd Kasparek, Simona Pagano, Mathias Rodatz, Vassilis S. Tsianos (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrationsund Grenzregimeforschung Jg. 2, Heft 1/2016: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 272 S., kart. 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3570-6 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich: www.movements-journal.org

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