Forschungen zur Gewalt in der römischen Antike [1. ed.] 9783515134316, 9783515134330, 351513431X

Dem facettenreichen Phänomen der antiken Gewalt nähern sich zehn Beiträge deutsch- und englischsprachiger Autoren aus ve

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German Pages 286 Year 2023

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Table of contents :
EDITORIAL
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
(Justine Diemke) Die neuen „turns“ und Potenziale der altertumswissenschaftlichen Gewaltforschung
(Konrad Löbcke) Die Verharmlosung sexueller Gewalt in Petrons Satyrica (Petr. 9–11) und in der griechisch-römischen Komödie
(Jean Coert) Der kaiserliche Freundschaftsentzug als Instrument der Gewalt und Ordnung im Imperium Romanum
(Jens Fischer) dira carmina Cumanae vatis. Unheilvolle Sibyllenorakel und ihr (in)direkter Einfluss auf das augusteische Weltbild
(Troy Wilkinson) A Red Sea of Trade. A New Perspective on Violence in Rome’s Eastern Desert and the Indian Ocean Trade
(Katharina Angelberger) Die Aitiologie der Gewalt. Zu einer Denkfigur der augusteischen Zeit
(Hendrik A. Wagner) Pretium inpone carni humanae! Der Topos der Anthropophagie als Marker für Gewaltzeiten am Beispiel der Eroberung Sagunts 219 v. Chr. und Roms 410 n. Chr
(Florian Wieninger) Vi capta! Institutionalisierte Gewalt im Zuge von Plünderungsprozessen der römischen Kaiserzeit
(Gabriel Baker) Responding to „Peculiar Tactics“: Mass Violence in the Jugurthine and Lusitanian Wars
(Christina Kecht) „Ubique pavor et plurima mortis imago“. Genozid in der römischen Antike
(Justine Diemke) Schlusswort und Ausblick: Gewalt als emotionale Konstante
AUTORENVERZEICHNIS
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Forschungen zur Gewalt in der römischen Antike [1. ed.]
 9783515134316, 9783515134330, 351513431X

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Forschungen zur Gewalt in der römischen Antike Herausgegeben von Justine Diemke

Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Band 24

Franz Steiner Verlag

24

Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Alessandro Bausi (Äthiopistik), Christof Berns (Archäologie), Christian Brockmann (Klassische Philologie), Christoph Dartmann (Mittelalterliche Geschichte), Philippe Depreux (Mittelalterliche Geschichte), Helmut Halfmann (Alte Geschichte), Kaja Harter-Uibopuu (Alte Geschichte), Stefan Heidemann (Islamwissenschaft), Ulla Kypta (Mittelalterliche Geschichte), Ulrich Moennig (Byzantinistik und Neugriechische Philologie), Barbara Müller (Kirchengeschichte), Sabine Panzram (Alte Geschichte), Werner Riess (Alte Geschichte), Jürgen Sarnowsky (Mittelalterliche Geschichte), Claudia Schindler (Klassische Philologie), Martina Seifert (Klassische Archäologie), Giuseppe Veltri ( Jüdische Philosophie und Religion) Aus dem Herausgebergremium verantwortlich für diesen Band: Werner Rieß Band 24

Forschungen zur Gewalt in der römischen Antike Herausgegeben von Justine Diemke

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Cinerary urn, Etruscan, Italy, Chius © The Trustees of the British Museum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13431-6 (Print) ISBN 978-3-515-13433-0 (E-Book)

EDITORIAL In der Reihe Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne haben sich geisteswissenschaftliche Fächer, die u. a. die vormodernen Gesellschaften erforschen (Äthiopistik, Alte Geschichte, Byzantinistik, Islamwissenschaft, Judaistik, Theologie- und Kirchengeschichte, Klassische Archäologie, Klassische und Neulateinische Philologie, Mittelalterliche Geschichte) in ihrer gesamten Breite zu einer gemeinsamen Publikationsplattform zusammengeschlossen. Chronologisch wird die Zeit von der griechisch-römischen Antike bis unmittelbar vor der Reformation abgedeckt. Thematisch hebt die Reihe zwei Postulate hervor: Zum einen betonen wir die Kontinuitäten zwischen Antike und Mittelalter bzw. beginnender Früher Neuzeit, und zwar vom Atlantik bis zum Hindukusch, die wir gemeinsam als „Vormoderne“ verstehen, zum anderen verfolgen wir einen dezidiert kulturgeschichtlichen Ansatz mit dem Rahmenthema „Sinnstiftende Elemente der Vormoderne“, das als Klammer zwischen den Disziplinen dienen soll. Es geht im weitesten Sinne um die Eruierung sinnstiftender Konstituenten in den von unseren Fächern behandelten Kulturen. Während Kontinuitäten für die Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter und dann wieder vom ausgehenden Mittelalter in die Frühe Neuzeit als zumindest für das lateinische Europa relativ gut erforscht gelten können, soll eingehender der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kulturen des Mittelalters im Allgemeinen auf die antiken Kulturen rekurrierten, sie fortgesetzt und weiterentwickelt haben. Diesen großen Bogen zu schließen, soll die neue Hamburger Reihe helfen. Es ist lohnenswert, diese längeren Linien nachzuzeichnen, gerade auch in größeren Räumen. Vielfältige Kohärenzen werden in einer geographisch weit verstandenen mediterranen Koine sichtbar werden, wobei sich die Perspektive vom Mittelmeerraum bis nach Zentralasien erstreckt, ein Raum, der für die prägende hellenistische Kultur durch Alexander den Großen erschlossen wurde; auch der Norden Europas steht wirtschaftlich und kulturell in Verbindung mit dem Mittelmeerraum und Zentralasien – sowohl aufgrund der Expansion der lateinischen Christenheit als auch über die Handelswege entlang des Dnepr und der Wolga. Der gemeinsame Impetus der zur Reihe beitragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht darin aufzuzeigen, dass soziale Praktiken, Texte aller Art und Artefakte/Bauwerke der Vormoderne im jeweiligen zeithistorischen und kulturellen Kontext ganz spezifische sinn- und identitätsstiftende Funktionen erfüllten. Die Gemeinsamkeiten und Alteritäten von Phänomenen – die unten Erwähnten stehen lediglich exempli gratia – zwischen Vormoderne und Moderne unter dieser Fragestellung herauszuarbeiten, stellt das Profil der Hamburger Reihe dar. Sinnstiftende Elemente von Strategien der Rechtsfindung und Rechtsprechung als Bestandteil der Verwaltung von Großreichen und des Entstehens von Staatlichkeit, gerade auch in Parallelität mit Strukturen in weiterhin kleinräumigen

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Editorial

Gemeinschaften, werden genauso untersucht wie Gewaltausübung, die Perzeption und Repräsentation von Gewalt, Krieg und Konfliktlösungsmechanismen. Bei der Genese von Staatlichkeit spielen die Strukturierung und Archivierung von Wissen eine besondere Rolle, bedingt durch ganz bestimmte Weltvorstellungen, die sich z. T. auch in der Kartographie konkret niederschlugen. Das Entstehen von Staatlichkeit ist selbstverständlich nicht nur als politischer Prozess zu verstehen, sondern als Gliederung des geistigen Kosmos zu bestimmten Epochen durch spezifische philosophische Ansätze, religiöse Bewegungen sowie Staats- und Gesellschaftstheorien. Diese Prozesse der longue durée beruhen auf einer Vielzahl symbolischer Kommunikation, die sich in unterschiedlichen Kulturen der Schriftlichkeit, der Kommunikation und des Verkehrs niedergeschlagen hat. Zentrum der Schriftlichkeit sind natürlich Texte verschiedenster Provenienz und Gattungen, deren Gehalt sich nicht nur auf der Inhaltsebene erschließen lässt, sondern deren Interpretation unter Berücksichtigung der spezifischen kulturellen und epochalen Prägung auch die rhetorische Diktion, die Topik, Motive und auktoriale Intentionen, wie die aemulatio, in Anschlag bringen muss. Damit wird die semantische Tiefendimension zeitlich weit entfernter Texte in ihrem auch symbolischen Gehalt erschlossen. Auch die für uns teilweise noch fremdartigen Wirtschaftssysteme der Vormoderne harren einer umfassenden Analyse. Sinnstiftende Elemente finden sich auch und v. a. in Bauwerken, Artefakten, Grabmonumenten und Strukturen der jeweiligen Urbanistik, die jeweils einen ganz bestimmten Sitz im Leben erfüllten. Techniken der Selbstdarstellung dienten dem Wettbewerb mit Nachbarn und anderen Städten. Glaubenssysteme und Kultpraktiken inklusive der „Magie“ sind gerade in ihrem Verhältnis zur Entstehung und Ausbreitung des Christentums, der islamischen Kultur und der Theologie dieser jeweiligen Religionen in ihrem Bedeutungsgehalt weiter zu erschließen. Eng verbunden mit der Religiosität sind Kulturen der Ritualisierung, der Performanz und des Theaters, Phänomenen, die viele soziale Praktiken auch jenseits der Kultausübung erklären helfen können. Und im intimsten Bereich der Menschen, der Sexualität, den Gender-Strukturen und dem Familienleben gilt es ebenfalls, sinn- und identitätsstiftenden Elementen nachzuspüren. Medizinische Methoden im Wandel der Zeiten sowie die Geschichte der Kindheit und Jugend sind weitere Themengebiete, deren Bedeutungsgehalt weiter erschlossen werden muss. Gemeinsamer Nenner bleibt das Herausarbeiten von symbolträchtigen Elementen und Strukturen der Sinnhaftigkeit in den zu untersuchenden Kulturen gerade im kulturhistorischen Vergleich zu heute. Die Herausgeber

VORWORT

Der vorliegende Sammelband basiert auf der im Februar 2020 an der Universität Hamburg durchgeführten Tagung „Vis omnia vincit? Neue Perspektiven zur Gewalt in der griechisch-römischen Antike“. An der Stelle möchte ich der Studienstiftung des deutschen Volkes herzlich für die finanzielle Unterstützung danken. Besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Werner Rieß, für die kritische Durchsicht, wertvollen Hinweise und die stete Unterstützung bei Erstellung des Sammelbandes. Gedankt sei auch Moritz Müller, Amelie Schwemm und Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag für die angenehme Zusammenarbeit bei der Herstellung des Sammelbandes. Weiteren Dank schulde ich allen Autorinnen und Autoren, die diesen Sammelband mit ihren Beiträgen gefüllt und damit erst ermöglicht haben. Hamburg, im August 2022

INHALTSVERZEICHNIS

Justine Diemke Die neuen „turns“ und Potenziale der altertumswissenschaftlichen Gewaltforschung……………………………………………………………….. 11 Konrad Löbcke Die Verharmlosung sexueller Gewalt in Petrons Satyrica (Petr. 9–11) und in der griechisch-römischen Komödie…………………………………………. 35 Jean Coert Der kaiserliche Freundschaftsentzug als Instrument der Gewalt und Ordnung im Imperium Romanum……………………………………………... 59 Jens Fischer dira carmina Cumanae vatis. Unheilvolle Sibyllenorakel und ihr (in)direkter Einfluss auf das augusteische Weltbild…………………………… 89 Troy Wilkinson A Red Sea of Trade. A New Perspective on Violence in Rome’s Eastern Desert and the Indian Ocean Trade……………………………………. 105 Katharina Angelberger Die Aitiologie der Gewalt. Zu einer Denkfigur der augusteischen Zeit……….. 133 Hendrik A. Wagner Pretium inpone carni humanae! Der Topos der Anthropophagie als Marker für Gewaltzeiten am Beispiel der Eroberung Sagunts 219 v. Chr. und Roms 410 n. Chr………………………………………………. 161 Florian Wieninger Vi capta! Institutionalisierte Gewalt im Zuge von Plünderungsprozessen der römischen Kaiserzeit………………………………. 193 Gabriel Baker Responding to „Peculiar Tactics“: Mass Violence in the Jugurthine and Lusitanian Wars…………………………………………………………… 225 Christina Kecht „Ubique pavor et plurima mortis imago“. Genozid in der römischen Antike………………………………………………………………. 249

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Inhaltsverzeichnis

Justine Diemke Schlusswort und Ausblick: Gewalt als emotionale Konstante…………………. 275 Autorenverzeichnis…………………………………………………………….. 281

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DIE NEUEN „TURNS“ UND POTENZIALE DER ALTERTUMSWISSENSCHAFTLICHEN GEWALTFORSCHUNG Einleitende Bemerkungen zur Erforschung antiker Gewalt Justine Diemke

Keinem, der dem Wesen der menschlichen Angelegenheiten, das sich in Geschichte und Politik manifestiert, nachdenkt, kann die Rolle, welche die Gewalt seit eh und je in den Beziehungen der Menschen zueinander gespielt hat, entgehen; und es ist auf den ersten Blick einigermaßen überraschend, dass sie so selten zum Gegenstand besonderer Untersuchungen gemacht wurde.1 Hannah Arendt, Macht und Gewalt

Noch vor etwa 50 Jahren hielt Hannah Arendt in ihrem Buch Macht und Gewalt empört fest, wie wenig bisher auf dem Gebiet der Gewaltforschung erarbeitet wurde. Umso erfreulicher ist der mittlerweile reichhaltige Fundus an Forschungsliteratur zur historischen Gewaltforschung, der eine Vielzahl von Untersuchungen zur Gewalt in der griechisch-römischen Antike umfasst. Die erste Forschungswelle zur antiken Gewalt begann in den 1990er-Jahren, die das Gewaltphänomen in verschiedenen Bereichen wie Religion, Politik, Krieg, Wirtschaft und Alltag auslotete und einzelne Gewaltakteure wie Räuber und Piraten verstärkt in den Blick nahm. Im Zuge der kulturwissenschaftlichen Neuausrichtung der Geisteswissenschaften verlagerte sich das Interesse der Gewaltforschung auf Gewaltdarstellungen, ihre Ästhetisierung und Dramatisierung in Form literarischer Stilisierungen sowie Gewaltdarstellungen in einzelnen Quellengattungen wie der Historiographie oder Tragödie.2 Die neue Ausrichtung hat auch die Klassische Archäologie nicht unberührt gelassen, die sich in einer regen Publikationstätigkeit zu den Gewaltdarstellungen in Ikonographie und Plastik niederschlug.3 In den 2010er-Jahren wurde die Gewaltforschung von unterschiedlichen Forschungsrichtungen wie den Gender Studies,

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Hannah Arendt 1970, 12. Arendt referiert daran anschließend zwar über die ansehnliche Menge an Literatur zum Krieg und zur Kriegsführung, innerhalb dieser das Untersuchungsinteresse allerdings verstärkt auf den Gewaltmitteln und nicht der Gewalt per se lag. Unter anderem Zimmermann 2007 (Historia Augusta); Whately 2009 (Prokop); Schmitz 2009 (Xenophon); Kapellos 2019 (Xenophon); Lange 2020 (Cassius Dio). Zur Tragödie insbesondere Romilly 2000; Seidensticker 2006; Wessels 2014 (Seneca). Muth 2008, 2009; Mangold 2010; Pirson 2014; Recke 2002, 2011; Seidensticker-Vöhler 2006; Stähli 2005; van Wees 2000; Zanker 1998; Zimmermann 2009; Hölscher 1985, 2003, 2019; Hedreen 2001; Ferris 2009; Faust 2012; Borg 2006.

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Justine Diemke

die zur näheren Untersuchung sexueller Gewalt führten,4 sowie vom temporal, spatial und emotional turn beeinflusst. Auch in der Militärforschung, die sich in der letzten Dekade verstärkt der exzessiven Kriegsgewalt, dem Genozid und der Massengewalt zuwandte, wurden neue Akzente gesetzt.5 Trotz der Menge an Forschungsliteratur zur antiken Gewalt, die in den letzten Jahren fast schon unüberschaubar geworden ist,6 ist das Potenzial dieses Forschungsfeldes noch lange nicht ausgeschöpft. Ferner leidet die Gewaltforschung an einem fehlenden multidisziplinären Diskurs, der sich um eine Synthese zwischen historischer, soziologischer und psychologischer Gewaltforschung bemüht. Vorhandene Forschungslücken sollen die neuen Forschungsrichtungen schließen helfen, indem sie durch ihre zielgerichtete Hinwendung zu einzelnen Untersuchungsobjekten den gegenwärtigen Gewaltdiskurs um neue methodische Zugänge und Ansätze erweitern und damit befruchten. Hierunter zählen im Besonderen die Emotionen, die für die Gewaltforschung noch salonfähig gemacht werden müssen. Emotionen sind jedem Gewaltakt inhärent und können Verständnis für eine Gewalthandlung sowie für die Reaktion, die sie hervorrufen, schaffen. Dies betrifft im gleichen Maße auch den Gewaltraum und die temporalen Umstände des Gewaltaktes, deren Untersuchung noch am Anfang steht. Nach Erfassen des Status quo dieser breiten Forschungsfelder soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die neuen Forschungsrichtungen wie der Emotionsforschung (emotional turn), Sinnesgeschichte (sensory turn), Zeitforschung (temporal turn) und Raumforschung (spatial turn) erfolgen, um verbleibende Forschungsdesiderate zu identifizieren sowie ihre Anschlussfähigkeit an die antike Gewaltforschung zu prüfen. Emotionen und Gewalt Plakativ formuliert: Es gibt keine Gewalthandlung ohne Emotion. Sie ist eine wichtige Triebkraft der Gewalt und stellt einen zentralen Bezugspunkt zwischen Täter und Opfer dar. Jeder Beteiligte, ob Täter, Opfer, Richter, Zuschauer oder abwesender Dritter, der von der Tat nur zufällig erfährt, wird in das Geschehen emotional eingebunden. Doch obwohl die Beschäftigung mit Emotionen wichtig ist, um einen 4

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In den 1990er-Jahren stand vorwiegend nur die Vergewaltigung im Fokus der Forschung (Deacy – Pierce 1997; Doblhofer 1994). In den 2000er-Jahren wurde der Blick auch auf die Gewalt gegen Frauen gelenkt, siehe Schmitz 2005; Pomeroy 2007; Dossey 2008; Gaca 2011; Kaffarnik 2013; Witzke 2016; Walde – Wöhrle 2018 (im Kriegskontext); Pyy 2020. Zu Frauen als (Gewalt)akteurinnen siehe Hazewindus 2004; Räuchle 2008; Engster 2011; Keith – FabreSerris 2015; Ambühl 2018; Baumann – Laureys – Vössing 2022. Van Wees 2010; Linder – Tausend 2011; Bosworth 2012; Bellamore 2012; Gaignerot-Driessen 2013; Quesada Sanz – Muñiz – Flores 2014; Quesada Sanz 2015; Roymans – Fernández-Götz 2015; Barrandon 2018; Baker 2021. Von 2017 liegt die Bibliographie zur antiken Gewalt von Lennart Gilhaus vor: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=3014&view=pdf&pn=forum&type=forschungsberichte (letzter Zugriff am 10.09.2022), zu der in den letzten fünf Jahren allerdings wieder zahlreiche Publikationen dazugekommen sind.

Die neuen „turns“ und Potenziale der altertumswissenschaftlichen Gewaltforschung

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Gewaltakt und seine Folgen7 zu verstehen, haben der emotional sowie affective turn die Gewaltforschung bisher nur beiläufig tangiert.8 Dabei ermöglicht die Herausarbeitung des emotiven Gehalts von Gewaltprozessen ein vertieftes Verständnis von Ursache und Beweggründen der Gewalt, die bisher primär nach ihrer Darstellung und Wahrnehmung untersucht wurde. Gewalt lässt sich als Ergebnis eines Zusammenspiels emotionaler und situativer Bewertungsprozesse in sozialen Interaktionen auffassen,9 wodurch die Emotionsregulierung für das Ausüben von Gewalt einen entscheidenden Faktor darstellt. Neben dem Zorn, der in der Forschung bereits intensiv beleuchtet wurde, können auch andere Emotionen wie Neid, Angst, Scham oder Trauer gewalttätige Handlungen fördern oder sich in Wut entladen. Einzelne Emotionen wie ἔλεος können Gewalt hingegen auch dämpfen oder gar verhindern. Bereits in den homerischen Epen ist das Evozieren von Mitleid beim Aggressor, das durch emotionale Kommunikationsmittel wie Tränen erreicht wird, ein wichtiges Instrumentarium, um die Gewaltbereitschaft des Aggressors zu mindern. Paradigmatisch für solch eine Forschungsperspektive, die das Wechselspiel zwischen Gewalt und Emotionen in den Blick nimmt, ist die Studie von Norbert Elias, der in seinem Buch Über den Prozess der Zivilisation (1939) die Affektkontrolle in den Zivilisationsprozess des Abendlandes einordnet. Während die mittelalterliche Gewalt infolge eines noch rudimentär ausgebildeten Über-Ichs eine Form emotionalen Verhaltens darstelle, führe erst die Affektbändigung in der frühen Neuzeit zur Eingrenzung von Gewalt, die mit der zeitgleichen Herausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols korreliere. Elias’ Archaisierung des Mittelalters wurde vielfach vonseiten der Mediävisten problematisiert,10 die in literarischen Texten den kalkulierten und strategischen Einsatz von Emotionen verifizieren und damit der von Elias postulierten Auslebbarkeit emotionaler Stimmungen, die in Gewalt münden, widersprechen. 7

Hierzu gehören auch die psychischen Folgen von Gewalt. Die antike Traumaforschung hat in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit gefunden, steht allerdings noch in ihren Anfängen. PTBS in den homerischen Epen: Shay 1994; Shay 2002; Tritle 2000. Traumatische Erfahrungen im griechischen Kulturraum: Meineck 2012; Rees – Crowley 2013; Meineck – Konstan 2014 (Konstan lehnt für seine Studien den modernen Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ab und spricht stattdessen von „Combat Trauma“); Settle 2019. PTBS in Xenophons Anabasis: Tritle 2004. Traumatische Erfahrungen im römischen Kulturraum: Chrissanthos 2007; Melchior 2011; Reinard – Rollinger 2020. Traumatische Erfahrungen in der griechisch-römischen Antike: Karanika – Panoussi 2019. Vergleiche zu modernen Kriegen: McCann – Strauss 2001; Cosmopoulos 2007; Hope 2015. In einem rezenten Sammelband werden das Krankheitskonzept und die Frage nach der Richtigkeit von retrospektiven Diagnosen aus einer neuen Perspektive beleuchtet: Rees – Hurlock – Crowley 2022. 8 Zur emotionalen Dimension von Gewalt im Hellenismus siehe Champion – O'Sullivan 2017, 208–222 (Schlusskapitel). Zur ὀργή in der Alten und Neuen Komödie, die auch Gewalt begünstigen kann, siehe Rieß 2012, 254–260, 319–331. Anders als in der Alten Komödie ist der Zorn bei Menander kein kollektives Phänomen mehr, sondern äußert sich individuell; häufig zusammen mit der Manie und dem Wahnsinn. Die ὀργή erhält hier stark destruktive Elemente. 9 Zur Definition siehe Gudehus – Christ 2013, 201. 10 Genauso von Ethnologen und Philosophen; siehe hier insbesondere die Elias-Duerr-Kontroverse: Hinz 2002, 76–85.

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Justine Diemke

Lässt man Elias’ Denkfigur der Emotionskontrolle Revue passieren, so drängt sich die Frage auf, wie sich das Beziehungsgeflecht von Emotionen und Gewalt in der archaischen Gesellschaft verhält, in der Kontrollmechanismen für Affekte schon lange vor der Etablierung der attischen Demokratie vielfach belegt sind.11 Diese noch nicht vollständig geklärte Frage hat einen besonderen Reiz, da Elias die Antike in seiner Untersuchung vollständig ausklammert. Auffallend ist, dass sich im Laufe der Archaik und verstärkt im 5. Jahrhundert v. Chr. diverse Mechanismen und Strategien im sozialen Raum herausbildeten, die auf eine kathartische Befreiung aufgestauter Emotionen, darunter Zorn und Trauer, zielten.12 Diese Affektkontrolle richtet sich primär auf das Individuum, weswegen einzelne Methoden der Emotionskontrolle auch in das informelle Lehrprogramm der paideia implementiert wurden. Kollektive Emotionen lassen sich hingegen deutlich schwerer kontrollieren, für die häufiger eine Kanalisation der Gewalt vorgesehen ist. Der Soziologe Émile Durkheim rechnet kollektive Emotionen zu den stärksten Gefühlen, die nicht nur Gemeinschaft stiften, sondern Handlungsfähigkeiten generieren können, woraus unter Umständen ein starkes Bedrohungspotenzial für den Staat erwächst.13 Paolo A. Tuci beschäftigt sich mit der individuellen und kollektiven ὀργή bei Xenophon, die gerade im militärischen Raum eine durchweg negative Konnotation erfährt. Während die ὀργή des Einzelnen bei Affektbeherrschung seltener in Gewalt mündet, ist die kollektive ὀργή schwerer zu unterdrücken und führt daher deutlich häufiger zur Gewalt in Form militärischer Operationen.14 Aus diesem Grund wird das Evozieren von Angst zu einem wesentlichen Machtinstrument des Herrschers, um wachsende Aufstandsbewegungen und soziale Unruhen einzudämmen und so Ordnung zu wahren.15 Kollektive Emotionen 11 Harris greift am Beispiel der Zornkontrolle, die er als Vorläufer für die Zivilisationstheorie erkennt, kurz auf Norbert Elias’ Konzept zurück; siehe Harris 2001, 150. Anders Ruch, der in den athenischen Gesetzen erst recht einen Katalysator für Emotionen und damit auch Gewalthandlungen erkennt, siehe Ruch 2017. Zur Rolle der Rache aus psychologischer Perspektive: Gehrke 1987. 12 Hier häufig in einem geschützten Raum, darunter in religiösen Kulten. Ausführlich Fehr 1979. Zur Emotionskontrolle in der Kunst siehe Raeck 2004. 13 Durkheim spricht am Beispiel kollektiver Rituale von einem Zustand der kollektiven Efferveszenz, einer kollektiven Aufwallung, die für das Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe entscheidend wird; siehe Durkheim 1994, 297. 14 Tuci 2019, 35. Zu den Folgen kollektiver ὀργή: 31–35. Ähnlich Konstan 2007. 15 Die Bedeutung von Angst in der politischen Sphäre wurde für die römische Zeit bereits untersucht. Ein Mangel an Angst vor dem Herrscher ist negativ konnotiert, da sich die Masse schwerer von Aufruhen und Aufstandsbewegungen abhalten lässt; siehe Kneppe 1994, 329–337. Die Furcht, die Zucht und Ordnung aufrechterhält, ist für die Disziplinierung der Massen daher sehr entscheidend; siehe hierzu Sen. Clem. 1,12,4. Knight kann zeigen, dass auch die ira Caesaris als Mittel der sozialen Kontrolle fungiert, da sie den Betroffenen zur Emotionskontrolle zwingt, siehe Knight 2016, 191–193. Zur Verbindung zwischen Emotionen und Ordnung siehe Bettenworth – Hammerstaedt 2020. Viele Beiträge attestieren einen durchaus stabilisierenden Effekt von Emotionen. Zur Instrumentalisierung von kollektiven Emotionen zur Durchsetzung politischer Interessen siehe auch die rezente Studie von Sven Page, der sich die Emotionen des Demos während des Peloponnesischen Krieges anschaut. So werden die vorhandene und aufgestaute Trauer und Wut des Demos von Theramenes bewusst ausgenutzt, um ein Todesurteil

Die neuen „turns“ und Potenziale der altertumswissenschaftlichen Gewaltforschung

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können gerade in Krisenzeiten auch konstruktiv und ordnungsstiftend sein, indem beispielsweise durch rituelle oder zeremonielle Handlungen wie Triumphzüge das Gemeinschaftsbewusstsein bewusst gestärkt wird. Sie besitzen auch einen instrumentellen Charakter zur Durchsetzung politischer Interessen, etwa im Sinne einer ‚emotionalen‘ Erzwingung von Volksbeschlüssen oder als Katalysator für politische Revolten. Die fatalen Folgen eines gesteuerten Massenzorns lassen sich paradigmatisch an Herakleias Schicksal, der Tochter Hierons II. von Syrakus, zeigen, die im Jahr 215 v. Chr. zusammen mit ihren Töchtern aufgrund ihrer Verbindung zur Königsfamilie auf Volksbeschluss ermordet wird.16 Bezeichnend ist der radikale Stimmungswechsel in der Bevölkerung nach Vollzug der Todesstrafe. Aus Empörung über den voreiligen Volksbeschluss schlägt die kollektive Stimmung von Zorn (ira) in Mitleid (misericordia) um und führt zu Neuwahlen der Prätoren, da der ursprüngliche Zorn gegen die Königsfamilie nun auf die Führungskräfte umgeleitet wird (Liv. 24.26,15). Anknüpfend an Rosenweins Konzept der emotionalen Gemeinschaften können sich in einzelnen Fällen sogenannte Ad-hoc-emotional-Communities bilden, in denen die Bewohner im Hass oder Zorn gegen eine Person oder Gruppe vereint werden, um ein Attentat oder eine Verbannung der betroffenen Person zu rechtfertigen.17 Wie stark die Persistenz eines politischen Systems von der Stimmung der Masse abhängt, zeigt Polybios’ Anakyklosis, der den Verfassungswechsel auch als emotionsgesteuert versteht, indem die Emotionen der Masse zum Untergang der einen und zur Etablierung neuer Herrschaftsformen führen.18 Im Krieg spielen Emotionen ebenso eine bedeutende Rolle; sie können von anfänglicher Euphorie und Freude der Soldaten bis zu Angst und Trauer über die Toten sowie über den Niedergang der eigenen Stadt reichen. Genauso wichtig erscheint die Disziplinierung der Affekte auf dem Schlachtfeld. Bereits in der archaischen Kriegsführung lässt sich eine Affektregulierung der Soldaten beobachten19, der in der Forschung bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. Dass die Gewalt trotz Affektregulierung dennoch weiterhin virulent blieb, liegt nicht zuletzt am Nexus zwischen der Gewalttat sowie weiteren soziokulturellen und situativen Umständen. Im Gegensatz zum historisch-prozessual geprägten Gewaltbild bei Elias spricht Randall Collins von einer situativen Topologie der Gewalt, die aus einer emotionalen Spannung heraus entsteht, welche in emotionale Energie umgewandelt

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über die in der Seeschlacht bei den Arginusen beteiligten Strategen zu erzwingen, siehe Page 2022, 212f. Kowalewski spricht von einem Volkshass, dem Herakleia und ihre Töchter zum Opfer fielen, siehe Kowalewski 2002, 97. Zur Vergemeinschaftung im Hass gegen eine bestimmte Person: Aubreville 2021, 206–219. Zum Konzept der Ad-hoc-emotional-Communities siehe Chaniotis 2011, 265. Hierzu siehe Giannopoulou 2021. Erste Formen der Affektkontrolle im militärischen Kontext finden sich in den homerischen Epen. Neoptolemos Unterdrückung der Tränen im Trojanischen Pferd, was Odysseus besonders rühmt, wird zum Leitbild eines neuen Heldentypus, siehe Hom. Od. 11,526–529.

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Justine Diemke

und damit zum zentralen Antrieb der Gewalthandlung wird.20 Ferner müssen Hintergrundvariablen wie Missbrauch im Kindesalter, Armut oder Frustration, die meist eine geringe Auswirkung auf den Gewaltakt haben, von der Situation isoliert betrachtet werden. Die Gewalt geht stattdessen nach Collins auf bestimmte Situationen zurück, die von Anspannung und Angst geprägt sind. So liegt Massakern im Krieg manchmal eine forward panic zugrunde, die aus einer lang anhaltenden Anspannung sowie ihrer Steigerung erwächst und sich anschließend in Gewalt entlädt. Wie Collins zeigen kann, sind die Voraussetzungen für eine derartige forward panic insbesondere im Guerillakrieg erfüllt, da neben der verlängerten Phase des Krieges die Angst gegenüber dem Feind persistent wird und den Kriegsvorgang beherrscht. Die großen Anstrengungen der Truppen, die nicht zum gewünschten Erfolg führen, münden schlussendlich in Gewalt, indem Frustration, Angst und Anspannung in exzessive Gewalt, die durchaus zielgerichtet sein kann, übergehen.21 Eine derartige Mikrosoziologie der Gewalt, wie sie Collins betreibt, darunter die Herausarbeitung mikrosituativer Details und Feinstrukturen zwischen den kämpfenden Subjekten auf dem Schlachtfeld, ist zwar in historischen Prozessen der Vormoderne schwer anwendbar, doch lassen sich antike Gewalthandlungen durchaus mit emotionalen Anspannungen, denen eine vergleichbare situative Prämisse zugrunde liegt, in Verbindung bringen und bedürfen daher einer genaueren Untersuchung. Ferner lässt sich zeigen, dass sich der emotionalen Energie des Kollektivs im militärischen Kontext „konstruktive“ Elemente abgewinnen lassen. Gerade bei Plünderungsprozessen oder Eroberungszügen kann sie eine durchaus „nützliche“ Wirkung entfalten, da bestimmte Emotionen wie Wut oder Frustration zielgerichtet gegen einzelne Gruppen gelenkt werden können.22 Aufgrund ihrer Lenkbarkeit wird den Emotionen von Gewaltorganisatoren ein legitimer Platz eingeräumt, da ihnen ein strategischer „Mehrwert“ zukommt. So konnte die kollektive Trauer um den Tod eines Feldherrn in Hass und Rachegefühle umgelenkt und die Soldaten so zum Angriff mobilisiert werden. Par excellence für eine derartige Kanalisierung ist der Tod beider Scipionen im Punischen Krieg, deren Soldaten anschließend von Marcius durch Erinnerung an den Trauerfall emotional stimuliert wurden (Liv. 25,38,6). Die Trauer wird an dem Punkt in Wut und Rachegefühle umgeleitet, die anschließend zu einem Blutbad an den wehrlos schlafenden Feinden führt. Wie in diesem Band gezeigt werden soll, ist die Gewalt, gerade im Belagerungskontext, strukturell angelegt und verläuft nicht ohne Befehl des Militärführers. Gleichzeitig attestieren die antiken Quellen Fälle von Kontrollverlusten des Kommandanten, die dem zorn- und rachegeleiteten Verhalten römischer Soldaten, das sich in Wut entlädt, einen gefährlichen Aktionsraum verschaffen.23 Eine nähere Untersuchung derartiger emotionaler Kontrollverluste sowie der dahinterliegenden Motive steht bislang noch aus. Emotionen können gleichzeitig zum Gefahrenpunkt für Anführer werden, wenn sie die Kampfbereitschaft der Soldaten, ob durch Angst 20 21 22 23

Hierzu auch Kuzmics – Haring 2013, 507. Collins 2011, 137. Siehe der Aufsatz von Wieninger in diesem Band. Ziolkowski 1993, 84–85.

Die neuen „turns“ und Potenziale der altertumswissenschaftlichen Gewaltforschung

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oder Verzweiflung, unterminieren und sie zur Flucht veranlassen. Sobald die Demoralisierung ihren Weg durch die Reihen der Soldaten gefunden hat, lässt sie den Sieger Kraft aus der Passivität der Gegner schöpfen, die oftmals den Weg zu seiner endgültigen Vernichtung einleitet.24 Die Emotionen wurden erst dann als nützlich empfunden, wenn ihnen beispielsweise als motivierende und treibende Kraft für einen Angriff oder die Zerstörung einer Stadt ein militärischer Mehrwert innewohnte. Psychische (sprachliche) Gewalt Bisher konzentrierte sich die antike Gewaltforschung auf die physische Form der Gewaltausübung, während die verbale (symbolische Gewalt) oder auch psychische (auch seelisch-emotionale) Gewalt, welche die verbreitetste und am häufigsten verwendete Gewaltform ist, in der Geschichtsforschung bislang kaum Interesse fand.25 Sprachliche Gewalt, das heißt verbale Aggressionsakte, konnte als Substitution für körperliche Gewalt dienen, um das Individuum ohne Anwendung direkter Gewalt auf psychischer Ebene zu schädigen und seine Handlungsfähigkeit zu restringieren. Die sprachliche Gewalt, der eine vergleichbare Zerstörungskraft wie der physischen Gewalt innewohnt und die entweder als ihr Surrogat oder im Zusammenspiel mit ihr erfolgen kann, ist sehr facettenreich. Eine derartige Synthese sprachlicher und körperlicher Gewalt findet sich bereits in einer bekannten Stelle der Ilias, an welcher der Demagoge Thersites, der das griechische Heer zur Heimkehr auffordert, von Odysseus durch pejorative Ausdrücke abgewertet und öffentlich degradiert wird (II.2.246–264). Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und den Demagogen weiter zu entwürdigen, greift Odysseus auf physische Gewalt zurück, indem er Thersites mit einem Zepter Schläge auf den Rücken und die Schulter versetzt, bis dieser anfängt zu bluten (II.2.265–270). Anschließend wird der weinende Thersites vom anwesenden Heer verlacht. Hier kommt es zu einer weiteren Form verbaler Gewalt, die diesmal vom Kollektiv ausgeht und zur endgültigen Entwürdigung des Demagogen führt. Die soziale Ausgrenzung des Thersites entspricht Odysseus’ intendiertem Ziel, mit Hilfe verbaler Gewalt, die der physischen vorausgeht, eine Rebellion seiner Soldaten zu unterbinden.

24 Auch hier Collins 2011, 158. 25 Wegweisend für die anderen Epochen ist die von Anja Lobenstein-Reichmann vorgelegte Studie zur sprachlichen Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (2013). Hierzu ebenso Eming – Jarzebowski 2008. Die altertumswissenschaftliche Forschung beschäftigte sich bisher mit einzelnen Phänomenen verbaler Gewalt; siehe Koster 1980; Bremmer 2001; Danielewicz 2006; Kamen 2020; Pausch 2021. Zum Mobbing: Laes 2019. Zu den Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen: Thurn 2018. Verbale Gewalt im Klassischen Athen: Krause 2004, 24–25 und im Römischen Reich: Krause 2004, 87–92. Zu den Regeln von Invektiven in unterschiedlichen Räumen wie im Theater oder während eines Banketts siehe Jehne 2020.

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Adressatenkreis verbaler Gewalt waren nicht allein soziale Randgruppen, deren emotionale Erniedrigung durch Exklusion sowie öffentliche Verspottung keine Seltenheit war, sondern gerade auch Angehörige der Oberschicht, deren politische Handlungsfähigkeit auf diese Weise paralysiert werden konnte. Besonders häufig wurde die sprachliche Gewalt auf der sozialen Bühne ausgelebt, wo gegen politische Gruppen oder Einzelpersonen, etwa in Form von pejorativen Ausdrücken, polemisiert werden konnte. Unter die sprachlichen Akte der Gewaltausübung lassen sich Beschimpfungen, Diffamierungen, Invektive, Verspottung und Schmähungen subsumieren, die v.a. auf öffentlicher Ebene den Ruf einer Person schädigen und „mit der Waffe des Wortes unschädlich […] machen“ konnten.26 Auf die Verbalinjurie wurde zur satisfaktorischen Kompensation für die Ehrverletzung häufig mit Gewalt reagiert, die sogar im Totschlag münden konnte. Ob die Restitution der Ehre nach einem verbalen Angriff in physische Gewalt mündete, hing stark vom Status und der sozialen Herkunft beider Beteiligten ab; so konnte etwa ein einfacher römischer Bürger, der über keine dignitas verfügte, auch keinen Ehrverlust erleiden. Neben der physischen Eskalation konnte die soziale Ächtung bei der betreffenden Person ein höheres Maß an Frustration auslösen.27 Während die Verleumdung und der Spott denjenigen, der eine feste Haltung hat, emotional nicht affiziert, kann sie bei einer Person mit einer ängstlichen und defensiven Haltung sogar im Freitod münden. Als exemplarisch für den ersten Fall nennt Aelianus den Philosophen Sokrates, der seine eigene Verspottung in den Wolken des Aristophanes mit Humor aufnimmt, während der Komiker Poliagros, der gleichermaßen auf der Bühne verspottet wird, sich anschließend erhängt.28 Die fatalen Konsequenzen einer durch Sprache ausgeübten emotionalen Gewalt waren schon den Athenern bewusst, was zu einer gesetzlichen Regelung der üblen Nachrede, Verleumdung und Diffamierung führte.29 Die Gewalt konnte auch ‚sprachfrei‘ verlaufen, indem sie durch Mittel der Exklusion, Zurückweisung, Freundschaftsentzug30, Marginalisierung oder

26 Koster 1980, 38. Auch in Fluchtafeln lässt sich die Funktion sprachlicher Gewalt untersuchen, die das imaginäre Zufügen von Gewalt in einem kontaktlosen Rahmen ermöglicht. Zum Gewaltpotenzial in Fluchtafeln und Zauberpuppen siehe Rieß 2012, 164–234. Auch hier dienen die Fluchtafeln in erster Linie nicht der Tötung einer Person, sondern dem Versuch, sie handlungsunfähig zu machen. Ebenso Versnel 2003. 27 Der Selbstmord des Opfers konnte zur Beseitigung eines Gegners oder Konkurrenten, unter Anwendung nichtphysischer Formen von Gewalt, führen. Diese Möglichkeit war kein seltenes Phänomen in der Antike; im Gegenteil resultiert der Suizid häufig aus Schamgefühlen und Ehrverlust; siehe die Studie von van Hooff 1990. Auch Angst infolge von Drohungen konnte einen Suizid herbeiführen. So nimmt sich der designierte Konsul Tedius Afer nach zahlreichen Drohungen durch Augustus aus Angst das Leben (Suet. Aug. 27,4). 28 Ail. Hist. 5.8. 29 Diffamierung und Verleumdung konnten auch vor Gericht gebracht werden. Zur dike kakegorias siehe Phillips 2013, 124–136, Krause 2004, 24–25, vgl. Kamen 2020. Die Idee einer gesetzlichen Regelung bereits bei Platon: Plat. leg. 934e–936b. Auch später in Rom, siehe das Zwölftafelgesetz: Thurn 2018, 60–61. Ebenso Krause 2004, 87–92. 30 Hierzu Jean Coert Beitrag in diesem Band. Klingenberg zeichnet alle Suizidfälle infolge des Freundschaftsentzuges auf; siehe Klingenberg 2011, 193–194.

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Vermeidung, die häufig mit einer sozialen Abwertung und Diskriminierung einherging, den Betroffenen psychisch lädierte. Theoriegeleitete Anknüpfungspunkte bietet hier das Bourdieu’sche Konzept der symbolischen Gewalt, mit Hilfe derer unter einem unsichtbaren Habitus und der Verschleierung der Kräfteverhältnisse Herrschaft durchgesetzt und legitimiert wird. Auch das weite Feld der symbolischen Präsenz von Gewalt, zu der Elias Canetti mit seinem opus magnum Masse und Macht (1960) große Pionierarbeit geleistet hat, bleibt noch auszuloten. Das gewalttätige Potenzial der Sprache, seine Folgen und sein Verhältnis zur physischen Gewalt genauso wie die Frage, wann genau sprachlich-emotionale Gewalt durch physische Gewaltform substituiert wird oder in solche mündet, bedürfen noch einer genauen Untersuchung. Sinneswahrnehmungen und Gewalt Obwohl die Erforschung der Sinneserfahrungen von allen turns die jüngste ist, sind in den Altertumswissenschaften hierzu bereits erste Studien erfolgt.31 In diesen Arbeiten wurden die sensuellen Facetten des antiken Alltags sowie die multisensorische Wahrnehmung in sozialen, medialen und performativen Räumen in ersten Schritten erschlossen. Der hohe Erkenntniswert einer Historisierung sensorischer Erfahrungen ergab sich insbesondere durch die Berücksichtigung gesellschaftlicher Randgruppen, die häufig anhand ihres Geruchs oder ihres Aussehens definiert wurden.32 Ferner wurden sensuelle Erfahrungswerte wie Gerüche oder Geräusche nach möglichen Stigmata, Topoi und genderdifferenzierten Klassifizierungen untersucht. Untersuchungen von Sinneserfahrungen stellen in der Gewaltforschung noch eine Leerstelle dar, obwohl die Darstellung des Gewaltakts durch die Inkorporierung sensueller Eindrücke für den Leser nicht nur sichtbar, sondern auch akustisch vorstellbar wird. Die perzipierte Gewalt lässt sich anhand verschiedener Wahrnehmungskategorien untersuchen, von denen mindestens eine die Gewaltbeschreibung begleitet. Durch den visuellen Sinneskanal, die häufigste Erzählebene, lässt sich die Gewalt in all ihrer Grausamkeit enthüllen, die durch eine interne Fokalisierung auch einzelne Emotionen, die mit der Gewalt einhergingen, greifbar macht. Besonders beliebt ist zudem die Ausschmückung des Gewaltaktes oder einzelner Gefahrenmomente mit auditiven und olfaktorischen Referenzen, um die Grausamkeit und 31 Siehe insbesondere die Serie zu den Ancient Senses: Synaesthesia (Butler – Purves 2014); Smell (Bradley 2014a); Sight (Squire 2015); Taste (Rudolph 2017); Touch (Purves 2017); Sound (Butler – Nooter 2018). Zu Sinneswahrnehmungen in der antiken Kriegsführung: Cowan 2007; Peer 2017; Derrick 2017; Whately 2017; Whately 2021; Stoll 2021; Różycki 2021, 128–146; Diemke 2022. Siehe ebenso die Spezialausgabe von Thersites zu “War of the Senses – The Senses in War Interactions and Tensions between Representations of War in Classical and Modern Culture” (2006). 32 So galt die Frau in der Antike als das schlecht riechende Geschlecht, siehe Totelin 2014. Auch einzelne Berufe, Homosexuelle und Prostituierte wurden mit einem negativen Geruch in Verbindung gebracht, hierzu siehe Bradley 2014b.

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Perversion des Täters hervorzuheben. So lässt Caligula einen Aufseher so lange mit Ketten auspeitschen, bis er den Geruch des schon in Fäulnis übergehenden Gehirns des Gestraften als störend empfindet (Suet. Cal. 27,4). Abhängig von sozialen Faktoren wie Ethnie, Geschlecht, Alter und sozialem Status können Geräusche unterschiedliche Emotionen hervorrufen: Das Geschrei der Frauen und der Lärm der Plebejer, der häufig mit sozialem Protest und damit auch Gewalt verbunden war, wurden anders wahrgenommen als die Schlachtrufe römischer Soldaten. Zudem ist Lautstärke ein Topos für Barbaren und kriminelle Gruppen wie Räuber,33 deren Lärm häufig mit dem wilder Tiere parallelisiert wird und damit bewusst ein schauriges Bild auf die Gruppen projiziert. Geräusche, vor allem unbekannter Art, haben zudem Auswirkungen auf die Perzeption von Gefahrenquellen und konnten, insbesondere in der Nacht, ein starkes Gefühl der Unsicherheit und Ohnmacht hervorrufen. Einer derartigen ,Klangsignatur‘ der Gewalt wohnt eine emotionale Wirkungskraft inne, die leicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden konnte. Solche auditiven Marker für Gewalt, die zur Emotionserzeugung funktionalisiert werden, sind vielfach in der antiken Literatur zu finden, wie im Rahmen der Schilderung des Bacchanalienkultes, der 186 v. Chr. aufgrund seiner angeblichen Gefahr zu einer cause célèbre avancierte. Der Konsul Postumius verweist in seiner Rede auf den nächtlichen Lärm und das Geschrei, die aufgrund der nächtlichen bacchischen Riten in der Stadt ertönen. Livius zufolge wurde der Lärm absichtlich produziert, um die Gewalttaten, die während der Kulthandlungen stattfanden, zu verschleiern.34 In diesem Sinne wurden das Blutvergießen und die Hilferufe der Opfer durch lautes Geschrei und Musikinstrumente bewusst übertönt. Der Lärm wurde an dieser Stelle mit Gewalt in Verbindung gebracht und entwickelte sich damit zur potenziellen Gefahr für die gesamte Stadt, was den restriktiven Maßnahmen gegen den Bacchanalienkult eine argumentative Grundlage verlieh. Gleichzeitig rief er eine angsterfüllte Stimmung unter der Bevölkerung hervor, indem der Geräuschquelle eine Gewalthandlung unterstellt wurde. Das nächtliche Setting der Geräuschkulisse, allen voran die Dunkelheit, verstärkte die unsichere Stimmung. Die auditive Wahrnehmung erlaubte hier insofern eine größere Interpretationsfreiheit des Gehörten als die Information nur auf akustischer Ebene übertragen wurde und visuell nicht wahrnehmbar war. Geräusche konnten in der Literatur auch Chiffre einer potenziellen Gefahr sein, die den Betroffenen häufig auf einen bevorstehenden Gewaltakt aufmerksam machten. Im antiken Roman und der Komödie werden Geräuschreferenzen daher häufig in den Tatort eingebunden. Ein beliebtes Motiv ist eine knarrende Tür oder ein anderes Geräusch, das von Dieben verursacht wird und die Hausbewohner aufschreckt. In Apuleius’ Metamorphosen wird eine Frau während eines Raubüberfalls durch ein Geräusch, das von der Haustür kommt, aus dem Schlaf gerissen (Apul. 33 Lucius beschreibt in den Metamorphosen die Räuber als sehr lärmend; siehe Apul. met. 4.8. 34 Liv. 39,8,8: multa dolo pleraque per vim audebantur. occulebat vim quod prae ululatibus tympanorumque et cymbalorum strepitu nulla vox quiritantium inter stupra et caedes exaudiri poterat. Ähnlich der Regen während einer nächtlichen Hinrichtung, der den eigentlich Gewaltakt übertönt: Frontin. aqu. strat. 2.9.

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met. 7.7.2, sonum ianuae matrona percepit).35 Anschließend produziert die Frau absichtlich viel Lärm, um die Nachbarschaft aufzuwecken und auf den Einbruch aufmerksam zu machen. Der Lärm fungiert als Notsignal und zwingt die Räuber, den Gewaltakt abzubrechen und sich schnellstmöglich zurückzuziehen. Die Passage unterstreicht die Bedeutung der Stille für den Einbruch, deren plötzliche Durchbrechung zur Aufdeckung des Überfalls führt, während der absichtlich verursachte Lärm der Frau, hier in Form des Geschreis, den kollektiven Schutz der Stadt mobilisiert und so die Täter zur Flucht veranlasst. Der Lärm kann während einer Gewalthandlung auch bewusst produziert werden, um kollektives Einschreiten zu konterkarieren. In Heliodoros’ Aithiopika wird absichtlich viel Lärm erzeugt, um die Bewohner während der nächtlichen Entführung der Königstochter Chariklea einzuschüchtern (Hel. 4.17.3). Eine stärkere Dynamik erhalten akustische Signale auf dem Schlachtfeld und in der urbs capta, wo Gewalthandlungen akustisch fixiert werden und als wichtiges Kommunikationsmittel fungieren.36 Olfaktorische Elemente wie der Geruch von Blut oder des Todes klingen in der antiken Literatur zwar ebenso an, bergen allerdings weniger Anknüpfungspunkte zur Gewaltforschung, da Gerüche deutlich seltener beschrieben werden.37 Geruchsreferenzen auf dem Schlachtfeld, insbesondere der Leichengeruch, gehören zum epischen Repertoire, auf das Historiographen allerdings nur vereinzelt zurückgreifen. Anders sieht es beim Ekel aus, der das schaurige Bild des Gewaltaktes bewusst verstärken kann. In Prokops Anekdota wird die grausame Folter der Theodora an dem Senator Theodosios beschrieben, der in einem dunklen Raum an eine Krippe gebunden wird, wo er vier Monate schlafen, essen und, wie der Autor anschließend bewusst betont, seine natürlichen Bedürfnisse verrichten muss (Prok. anekd. 3.11). Die Analogie zum Esel verleiht der Szene komödienhafte Züge und akzentuiert gleichzeitig Theodoras Grausamkeit. Nach vier Monaten wird der Senator schließlich wahnsinnig (μανείς). Haptische und taktile Wahrnehmungen bieten für die Gewaltforschung einen besonderen Reiz. Von allen fünf Sinnen überzeugt der Tastsinn die Person von der Realität und damit auch von der Gewalt am stärksten. Das komplexe Forschungsgebiet lässt Fragen nach der Fühlbarkeit von Gewalt, das heißt nach ihrer Wirkung und Anwendung, aufkommen. Im militärischen und medizinischen Kontext bleibt das Berühren und Tragen von Leichen eigener Kameraden oder Verwundeter ein vielversprechendes Untersuchungsfeld, das in der Forschung bereits auf erste Resonanz gestoßen ist.38 Der Körperkontakt, der in bestimmten Kampfformationen wie der Phalanx ein Gefühl von Schutz und Sicherheit vermitteln konnte, spielte 35 Ähnlich in der Räubergeschichte des Thrasyleon: Als er nachts in das Haus des Demochares einbricht, wacht einer von Demochares Sklaven durch den Lärm auf, Apul. met. 4.19. 36 Hierzu Diemke 2022, 585–595. Zum Schlachtenlärm ausführlich Stoll 2021. Zum Kriegsgeschrei siehe Gersbach 2020; Różycki 2021, 135–146. Zum Waffenlärm auf dem Schlachtfeld: Cowan 2007, 114–117. Zum akustischen Erfahrungsraum in Caesars De Bello Gallico siehe Peer 2015. 37 Diemke 2022, 598–601. Zur Geruchslandschaft in Vindolanda siehe Derrick 2017. 38 Eine Untersuchung zur Berührung von verletzten Heroen in der attischen Tragödie; siehe Worman 2017.

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auch während des Kampfes eine große Rolle. Durch die sensuelle Perspektive wird Gewalt nicht allein sichtbar, sondern fühlbar, da sie von Emotionen wie Ekel, Angst oder Trauer begleitet wird. Temporalitäten und Raumstrukturen der Gewalt Jede Gewaltanwendung hat eine eigene Raum- und Zeitdimension. Die altertumswissenschaftliche Forschung ist von der Zeitkonjunktur zwar bereits tangiert worden, steht allerdings noch in ihren Anfängen, obgleich es an Zeitreferenzen in der Literatur nicht mangelt. In der historischen Zeitforschung nimmt bislang nur eine Domäne der Gewaltforschung einen breiten Raum ein: Gewaltunternehmungen bei Nacht.39 Die Frage nach der Wahrnehmung von Gewalt steht in engem Zusammenhang mit den temporalen Umständen, da ein Gewaltakt unter dem Deckmantel der Dunkelheit negative Emotionen evoziert. Wie Chaniotis in seiner Studie zu Gewalthandlungen in der Nacht im Hellenismus zeigen kann, erhält der Gewaltakt in einer zeitlichen Sphäre, die mit Gefahr assoziiert wird, eine durchaus negative Bewertung und schafft zugleich Unsicherheit, was zur Installierung von Nachtwächtern und zusätzlicher Kontrollen führt. Auch die Bewertung des Täters erlebt eine Akzentverschiebung: Der nächtliche Aggressor wird zum Feigling, da er unter dem Schutz der Dunkelheit agiert und die Ohnmacht seines Opfers gezielt ausnutzt. Angesichts dessen werden Gewaltverbrechen, die sich in der Nacht ereignen, strenger geahndet als jene am Tag.40 Auch im militärischen Kontext werden Handlungen zur Nachtzeit negativ konnotiert, da sie Zeichen von Feigheit und ehrlosem Kampf sind.41 Gleichzeitig gehören Nachtangriffe zum Barbarentopos und dienen oft zur Rechtfertigung eigener Niederlagen. Über den nächtlichen Aspekt hinaus wurden Temporalitäten, auch abseits des Gewaltthemas, bislang kaum untersucht. Gerade im militärischen Bereich bergen temporale Strukturen wichtige Informationen zu Planung und Ablauf einer Schlacht. Diese reichen von empfundener Langeweile und langen Wartezeiten auf dem Schlachtfeld oder während einer Belagerung bis zu Planung und Dauer antiker Feldzüge und Schlachten. Einzelne Faktoren, wie die Länge des Krieges oder ein erzwungenes otium während der Kampfhandlungen konnten die Entstehung von Gewalt durch eine Anstauung von Zorn und Furcht fördern. Die Folge eines zu lange Zeit unveränderten Status quo war häufig die Beschleunigung der Kriegshandlung, um den in die Länge gezogenen Krieg endlich zur Entscheidung zu bringen. Diese Beschleunigung äußerte sich als ultima ratio nicht selten in extremer Gewalt, die hier als Verzweiflungstat zu werten ist. Eine Studie zur Entschleunigung/Beschleunigung der Kriegshandlungen und ihrer Folgen, gerade emotionaler Art, ist bislang ausgeblieben. Überdies wäre interessant zu 39 Chaniotis 2017; Günther 2014; Riess 2012, 61–66; Weissmantel 2020; Reinhardt 2020; Beerden 2020; Diemke 2021. 40 Sowohl in griechischer als auch römischer Zeit siehe Lex XII Tab. 2,4; IPArk 17; Plat. leg. 874b‒c; Dig. 47,18,2. 41 Günther 2014.

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untersuchen, wie oft Angriffe zu bestimmten Anlässen wie religiösen Festtagen oder bestimmten Tages-/Jahreszeiten erfolgten. Die Jahreszeiten grenzen den Krieg nicht nur zeitlich ein oder unterbrechen ihn, sondern haben einen großen Einfluss auf das psychische und physische Befinden der Soldaten. In historiographischen Quellen werden das Wetter und die damit verbundenen Strapazen immer wieder hervorgehoben, ob Kälte, Frost, Schnee und Seuchen im Winter (Tac. Ann. 13, 35,5; Amm.14,10,6; Prok. Pers. 1,9), Hitze, Staub, Trockenheit und Wassermangel im Sommer (Tac. Ann. 14,24,1; Prok. Pers. 1,15) oder schmelzender Schnee und starke Regenfälle im Frühling (Herodian. 8,4; Amm.14,10,2). Die Einbeziehung von Raumbildern zur Erklärung von Gewaltphänomenen ist kein Novum der Gewaltforschung. Gerade an den Debatten der räumlichen Strukturen antiker Gewalt hat die Gewaltforschung durch Untersuchungen von topographischer Gewalterfahrung, Grenzziehungen, Raumgewinn und -verlust sowie Raumkonzepten bereits erfolgreich partizipiert.42 Doch auch hier fehlen Studien zur Prägung und Veränderung sozialer Räume durch Gewalt und vice versa die Beeinflussung von Gewaltdynamiken durch derartige Gewalträume. Wichtige Impulse für die Erforschung der Interdependenz von Raum und Gewalt bietet Jörg Baberowskis Konzept zu Gewalträumen (2012), das der Osteuropahistoriker an seine Studie zur Gewalt im Stalinismus anschließt.43 In diesen gewaltoffenen Räumen, in denen es kein Gewaltmonopol gibt, bildet die Gewalt eine zentrale Handlungsressource. Regeln sozialer Kommunikation, die in Friedenszeiten herrschen, werden im Gewaltraum aufgehoben. In solchen Ermächtigungsräumen entscheiden die Gewaltakteure über die Art und den Vollzug kollektiver Gewalt, der nun ein entscheidender Aktionsraum eingeräumt wird. Baberowskis Terminologie lässt sich mutatis mutandis auch auf antike Gegebenheiten anwenden. Solche Gewalträume liegen in der Antike zwar häufig außerhalb der Oikumene im Barbaricum, werden aber auch innerhalb der Oikumene konstituiert, wenn dem Gewaltakt eine ordnungsstiftende Funktion zuerkannt wird. Bei der Auswahl geeigneter Gewaltorte spielen nicht allein logistische Überlegungen, sondern auch emotionale und symbolische Motive eine Rolle. So wird ausgerechnet die domus aurea als geeigneter Ort für das Attentat auf Nero abgesteckt, da sie dem Volk als Ort ohnehin verhasst sei (Tac. ann. 15,52). Zu einem klassischen Gewaltraum gehört die urbs capta, die sich auf Befehl des Militärführers zu einem Ort schrankenloser Gewaltausübung wandeln konnte. Zur Entfesselung der Gewalt kommt es häufig dann, wenn die geschützte Grenze des Stadtgebiets von Feinden überschritten und die alte Ordnung des Raumes zerstört wird. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der überaus dramatisierten Darstellung der Eroberung Roms durch die Gallier, die sich als dies ater tief in das kollektive Gedächtnis der Römer einprägte. Interne Auseinandersetzungen wie Bürgerkriege können hingegen bestimmte Gebiete zu gewaltoffenen Räumen erklären und damit 42 Riess – Fagan 2016. 43 Baberowski 2012. Wie Baberowski zeigen kann, resultiert die Gewalt weniger aus Überzeugungen oder Ideologie, sondern ist an eine konkrete Situation gebunden. Zu den Gewalträumen bereits Sofsky 2005 sowie Elwert 1997.

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räumliche Gewaltgrenzen innerhalb der Oikumene verschieben. Wie Stathis N. Kalyvas in seiner Studie The Logic of Violence in Civil War (2006) zeigen kann, spielt die territoriale Kontrolle im Bürgerkrieg eine maßgebliche Rolle, die gleichzeitig neue Raumkonzepte, wie gewaltfreie und gewaltoffene Räume, entstehen lässt. Während in kontrollierten Gebieten mit Gewalt sparsam und zielgerichtet umgegangen werden kann, kommt es in Gebieten, die noch keiner Kriegspartei unterstehen, zur willkürlichen Gewaltausübung, da den Akteuren keine Informationen zum Aufenthalt sowie zur Identifizierung des Feindes vorliegen, was zur Ausweitung der Gewalt auf Unbeteiligte führen kann. Die Folgen derartiger Verschiebungen und Ausweitungen der Gewalträume durch Bürgerkriege werden in der römischen Literatur durch Bilder der zerstörten Oikumene, wie dem mit Blut besudelten Forum oder dem roten Tiber, veranschaulicht. In Fällen, wo Gewalt in die zivilisierte Oikumene einbricht, werden neue gewaltfreie Räume, sogenannte Fluchträume, konstruiert, die dem Menschen eine Flucht aus dem Gewaltgeschehen ermöglichen. Künstlerische Stilrichtungen wie der zweite pompejanische Stil erhalten gerade in Krisensituationen wie dem Bürgerkrieg Hochkonjunktur, indem sie dem gewalttätigen Alltag einen locus amoenus, eine idyllische Friedenslandschaft, entgegensetzen und das eigene Domizil als gewaltfreie Zone definieren. Solche Räume können insbesondere als Entlastungsventil für die im Krieg angestauten Emotionen fungieren. Gewalt kann einen Raum auch nachträglich verändern und ihn z.B. zu einem Ort der Erinnerung, respektive lieu de mémoire machen. Eine intensivere Anbindung der antiken Gewaltforschung an den temporal und spatial turn ist also noch zu leisten. Inhalte des Sammelbandes Die dargestellten Forschungsrichtungen werden in den Beiträgen nicht einzeln aufgegriffen, sondern verstehen sich als Anregung, den Leser über die vorhandenen Forschungslücken à jour zu bringen. Der Band zielt darauf ab, einzelne Gewaltphänomene exemplarisch näher zu untersuchen. So werden bislang wenig oder noch nicht beachtete Gewalträume wie die arabische Wüste oder eher vernachlässigte Formen der Gewalt wie die psychische/verbale Gewalt in den Blick genommen. Zugleich stellen die Beiträge bisherige Studien, wie etwa negative Lesarten der Gewalthandlungen, infrage oder betrachten bereits erforschte Gewaltphänomene wie militärische Gewalt aus neuer Perspektive. Einzelne Beiträge wurden in einer ersten Fassung auf der interdisziplinären Tagung vis omnia vincit, die im Wintersemester 2020 an der Universität Hamburg stattfand, zur Diskussion gestellt. Gefördert von der Studienstiftung des deutschen Volkes war es Ziel der Tagung, Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, die sich mit Gewalt in der Antike beschäftigen, miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Beiträge decken eine große Zeitspanne von der römischen Republik bis zur Spätantike ab. Am Beginn des Bandes steht die sexuelle Gewalt im Mittelpunkt. Die Bewertung sexueller Gewalt hängt von mehreren Faktoren wie dem Sozialstatus des Opfers, seinem Verhältnis zum Täter sowie vom Kontext des Gewaltaktes ab. Gerade

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der sexuellen Gewalt gegenüber Sklaven wurde in der Antike ein großer Freiraum eingeräumt, da der Akt per se lediglich als Sachbeschädigung aufgefasst wurde. Konrad Löbcke untersucht in seinem Beitrag die narrativen Strategien und Techniken, durch die sexuelle Gewalt in der antiken Komödie und im Roman in ihrer Schwere abgemildert und verharmlost wird. Im Fokus der Studie steht eine Episode aus Petrons Satyrica, welche die Vergewaltigung des Giton durch Ascyltus zum Gegenstand hat. Die Verharmlosung des Gewaltaktes erfolgt zum einen durch ihre Parodierung des Lucretia-Mythos, die Giton in die weibliche Opferrolle der Lucretia zwingt, zum anderen durch die Absenz einer ernsthaften Beschreibung des Vorfalls, der stattdessen Anlass für ein possenhaftes Wortgeplänkel wird und die Szene in ein Art Schauspiel verwandelt. Petrons Techniken der Verharmlosung sind keine innovativen Elemente seiner römischen Erzählung, sondern haben ihre Wurzeln in der Neuen Komödie und der römischen fabula palliata, wie Löbcke im zweiten Teil seiner Untersuchung zeigen kann. So wird auch die Vergewaltigung der Pamphila durch Chaerea in Terenz’ Komödie Eunuchus als Lappalie abgetan, die allerdings anders als bei Petron zur Reue und Schadensbehebung führt, indem der Täter das Opfer heiratet. Die plötzliche Einsicht geht auf den Sozialstatus des vergewaltigten Mädchens zurück, das der Täter zunächst für eine Sklavin hält. Auch Gitons sozialer Status entspricht dem eines Sklaven, weswegen seine Vergewaltigung nicht nur als legitim, sondern dem Leser als eine völlig marginale und belanglose Tat erscheint. Während die amicitia zum Kaiser mit zahlreichen Privilegien einherging, führte ihr Entzug zur Aufhebung des gewährten Schutzraumes und konnte für den Betroffenen tödliche Folgen haben. Jean Coert beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dieser gewaltbelastenden Form des Kontaktabbruches, der renuntiatio amicitiae, der Aufkündigung der Freundschaft durch den Princeps, deren verheerenden und teils vernichtenden Konsequenzen er an zwei Fallbeispielen, dem Präfekten Ägyptens C. Cornelius Gallus und dem Politiker M. Lollius, demonstriert. Gallus, dem der Kaiser bereits aufgrund seiner Präfektur in Ägypten großes Vertrauen entgegenbringt, wird 27/26 v. Chr. aus der Provinz zurückberufen, woraufhin ihm zusätzlich noch die Freundschaft aufgekündigt wird. Die Beweggründe für die renuntiatio amicitiae sind den Quellen zufolge in der Hybris des Präfekten zu suchen, die, wie Coert überzeugend zeigen kann, möglicherweise auf Gallus’ persönlichen Klientelverhältnissen zum meroitischen König fußt, die ihm zu Macht und Einfluss verhelfen. Der kaiserliche Freundschaftsentzug entwickelt sich zum bedeutenden Instrumentarium des Princeps, der nun die Fehltritte und Grenzüberschreitungen einzelner Personen der Führungsschicht ohne Rückgriff auf physische Gewalt öffentlich anzeigen und ahnden kann. Die Beseitigung des Opfers erfolgt hierbei auf psychischer Ebene, indem der Freundschaftsentzug mit sozialen Folgen und einem Reputationsverlust einhergeht. So hat sich der Präfekt Gallus vom Umfeld des Kaisers fernzuhalten und wird fortan von anderen nobiles gemieden. Als obendrein zur sozialen Ächtung auch noch Senatsbeschlüsse gegen Gallus gefasst werden, nimmt sich der ehemalige Präfekt das Leben. Auch M. Lollius, der ähnlich wie Gallus einst

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zu Augustus’ Günstlingen zählte, wählt infolge des Gunstverlustes den Freitod. Ferner ermöglicht der Freundschaftsentzug dem Kaiser, die Fehltritte der Personen zurückzusetzen und so zu berichtigen. Der nächste Beitrag situiert sich im gleichen zeitlichen Umfeld. Die Sibylle erscheint in der augusteischen Literatur prima facie als eine Art Glücksprophetin, die das neue goldene Zeitalter verkündet. Wie Jens Fischer in seinem Beitrag darlegt, bleibt die positive Zuschreibung der Sibylle vorwiegend der 4. Ekloge Vergils, die das saeculum aureum verkündet, geschuldet, während die Prophezeiungen der Sibylle normalerweise als unheilvoll deklariert und primär mit Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien und Gewalt assoziiert wurden. Ferner sind es gerade die innenpolitischen gewalttätigen Konflikte wie der römische Bürgerkrieg, Sullas Marsch auf Rom oder die Catilinarische Verschwörung, die mit den unheilvollen Orakelsprüchen in Verbindung gebracht werden. Die unheilvollen Prodigien forcierten die kollektive Unsicherheit, indem sie gerade in Krisenzeiten zusätzliche Angst evozierten. Das Bedrohungspotenzial derartiger Texte zeigt sich nicht zuletzt im Besitzverbot solcher Orakelbücher in der Republik, worüber fortan die Priesterschaft wachte, die alleinigen Zugang zu ihnen behielt. Lediglich unter Augustus kommt es zu einem erzwungenen Verstummen derartiger Orakelsprüche, das – ähnlich wie die Errichtung des Friedensaltares – mit einem Symbolcharakter des Friedens in Verbindung zu bringen ist. Hierfür lässt Augustus die im Volk zirkulierenden Orakeltexte verbrennen, von denen er nur selektierte Texte der Sibylle, die seiner Vorstellung entsprachen, behält und sie in den Apollontempel auf dem Palatin verlagert. Obwohl der römische Indienhandel seit Langem erforscht wird, wurde die östliche Wüste Ägyptens als bedeutender Handelsraum erst durch die Zunahme archäologischer Funde intensiver untersucht. Die archäologische Evidenz erlaubt zudem neue Rückschlüsse auf die Bedrohung dieser Handelswege durch Piraterie, barbaroi oder Räuber, die Troy Wilkinson unter Hinzuziehung der schriftlichen Evidenz in seiner Studie auslotet. Wie er in seiner Untersuchung darlegt, attestieren gefundene Ostraka zahlreiche Überfälle durch barbaroi auf Händler, Reisende oder Bewohner in der östlichen Wüste, die auch in Totschlag münden konnten. Zusätzlich zu den barbaroi geht im 2. Jahrhundert n. Chr. ein großes Bedrohungspotenzial von den boukoloi sowie der Piraterie auf dem Roten Meer aus. Wie Wilkinson im zweiten Teil seines Beitrags dokumentiert, kommt der römischen Militärpräsenz für die Bewachung und Bekämpfung derartiger Gefahrenquellen in der östlichen Wüste und auf dem Roten Meer eine entscheidende Bedeutung zu. Hierzu gehörte der Einsatz von Kriegsschiffen auf dem Roten Meer, die Errichtung zahlreicher praesidia sowie die Stationierung einzelner Garnisonen an besonders gefährdeten Orten wie Häfen oder Steinbrüchen. Durch Auswertung der schriftlichen Quellen und des archäologischen Befunds kommt Wilkinson auf schätzungsweise 1.000 Soldaten, die in der Region stationiert waren. Die geringe Anzahl an Soldaten für den Schutz dieser großen Region, die in der hohen Kaiserzeit aufgrund vielseitiger Bedrohungen durch kriminelle Gruppen zum Gewaltraum avancierte, lässt sich durch den zusätzlichen Einsatz privater Wachen erklären, die primär für den Schutz der Region eingesetzt wurden.

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Trotz der destruktiven Elemente der Gewalt steht nach René Girad am Anfang jeder sozialen Gemeinschaft die sogenannte Gründungsgewalt, der eine ordnungsstiftende Funktion innewohnt. Das gewalttätige Gründungsereignis, so Girard, geht mit einem sakralen Opfer einher, das im Rahmen einer Katharsis die Gemeinschaft von der Gewalt befreit und damit erst Zivilisation ermöglicht. Dass dieser Gründungsgewalt auch in der Antike eine ordnungsstiftende Funktion zukommt, arbeitet Katharina Angelberger am Beispiel von Vergils Aeneis heraus. Die Schlacht um Latium, wie sie im 12. Buch der Aeneis geschildert wird, mündet in die wohl am intensivsten diskutierten Verse des Werkes: Die Rede ist vom Zweikampf zwischen dem Protagonisten Aeneas und dem Rutulerfürsten Turnus. Hier kommt es zur übermäßigen Gewalt, mit welcher der trojanische Held seinen Kontrahenten tötet und so das Recht auf Niederlassung in Latium erhält. Auch hier ist die Mordtat mit einem rituellen Opfer verbunden, die zur Gründung eines neuen Volkes führt und damit am Anfang Roms steht. Produktive Eigenschaften von Gewalt lassen sich auch außerhalb der Aeneis in der lateinischen Literatur finden. Wie Angelberger im zweiten Teil ihrer Untersuchung zeigen kann, ist auch in anderen Zeugnissen der augusteischen Literatur, darunter in historiographischen Werken, die Vorstellung einer generativen Gewalt präsent. Die Darstellung einer solchen Gründunsgewalt kann Angelberger ferner auch in Festen und Kulten wie den Saturnalien identifizieren. Ein weiteres bedeutendes Forschungsfeld decken die Beiträge von Hendrik Wagner, Florian Wieninger, Gabriel Baker und Christina Kecht ab: Sie widmen sich der militärischen Gewalt aus unterschiedlichen Perspektiven, einem Forschungsgebiet, das trotz zahlreicher Publikationen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Die Anthropophagie gilt als Signum einer gestörten Ordnung und des hervorbrechenden Chaos, indem die Gewaltart die Auflösung der Zivilisation und damit die Rückkehr zum Naturzustand markiert. Noch heute stellt die Anthropophagie eine universell tabuisierte und ekelerregende Form von Gewalt dar. Das Bedrohungspotenzial dieser Gewaltform klingt bereits in antiken Zeugnissen an, welche die Absenz dieser Gewaltart in der zivilisierten Sphäre postulieren. An zwei exempla aus der Historiographie, der Belagerung Sagunts 219 v. Chr. und der Plünderung Roms 410 n. Chr., zeigt Hendrik Wagner, wie bestimmte Ereignisse durch die Inklusion des Kannibalismusmotivs zu Markern einer außergewöhnlichen Gewaltzeit werden. Im Falle des Saguntmythos lässt sich ab der frühen Kaiserzeit eine starke Akzentverschiebung feststellen: Das Ereignis avanciert vom heroischen Verteidigungskampf der belagerten Saguntiner zum schauderhaften exemplum für die Schrecken des Krieges. Auch der Topos des Notkannibalismus wird in den Bericht aufgenommen, der als prägendes Erinnerungsbild an die zurückliegenden Gräueltaten den Zeitgenossen die friedlichen und sicheren Verhältnisse der römischen Kaiserzeit vor Augen führen soll. Der Topos erhält zudem einen ethnographischen Charakter und wird auf die Feinde Roms, darunter die Gallier, zum Erzeugen eines Schreckensbildes übertragen. Im zweiten Fallbeispiel lässt sich eine dichotome Lesart der Plünderung Roms 410 n. Chr. konstatieren, die von einer stark abgemilderten bis ausgesprochen grausamen Darstellung des Ereignisses reicht, welche

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durch die Inklusion der Anthropophagie verstärkt wird. Hier sind es nicht mehr die Feinde Roms, sondern die Römer selbst, die zu Kannibalen werden, während sich die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Aufgabenbereich der Barbaren verschiebt. Hinter dem Kannibalismustopos verbirgt sich unter anderem eine Sozialkritik an der Senatsaristokratie, die den inneren Verfall Roms charakterisiert. Als Scharnier zwischen der Analyse von Gewaltausübung und Disziplinierung steht der Beitrag von Florian Wieninger, der einige Schlaglichter auf die institutionalisierte Form der Gewaltausübung im Kontext der Stadteroberung wirft. Demzufolge handelt es sich bei Plünderungsprozessen nicht allein um unstrukturierte Vorgänge, denen ein Kontrollverlust der Feldherren oder die Disziplinlosigkeit der Soldaten zugrunde liegen. Stattdessen stellt die Gewalt während einer Stadteroberung einen strukturellen Ablauf dar, der entweder auf dem Befehl des militärischen Entscheidungsträgers oder auf einem eintrainierten Skript fußt. Neben dem strukturellen Gewaltablauf nimmt Wieninger auch die Gewaltart genauer in den Blick. Da das Plündern als Siegerrecht gilt, wird der materiellen Bereicherung respektive der Gewalt im Kontext einer Stadtbelagerung ein legitimer Platz eingeräumt, während Plünderungshandlungen ohne Verweis auf einen militärischen Erfolg, das heißt noch vor Ausgang einer Schlacht, jegliche Legitimität aberkannt wird. Der Plünderungsakt erfolgt auf Basis eines klaren Grundsatzbefehls und wird auf Anordnung der militärischen Führung durch akustische Signale eingeleitet. In ähnlicher Weise stehen auch die Gewalthandlungen, die während der Plünderungszüge stattfinden, in enger Verbindung zur Intention des Militärführers. Die Zerstörungswut der Soldaten konnte so gegen bestimmte Gruppen gelenkt werden, die zum Beispiel keinen ökonomischen Wert besaßen und somit der Gewalt schutzlos ausgeliefert waren. Die Beweggründe für die Anwendung militärischer Massengewalt kann Gabriel Baker in seinem Beitrag an zwei exempla aus der Römischen Republik, dem Jugurthinischen Krieg (109–105 v. Chr.) und dem Lusitanischen Krieg (155–138 v. Chr.), überzeugend darlegen. In beiden Kriegen führen militärische Rückschläge und der ausbleibende Sieg in offener Feldschlacht, die den Krieg in die Länge ziehen, unter den römischen Soldaten zu steigender Frustration. Die besondere Kampfweise und Taktik der Numider, darunter der Hinterhalt, überraschende Flankenangriffe, das Vermeiden einer offenen Feldschlacht, Rückzug durch schwer passierbares und unbekanntes Gebiet, tragen entscheidend zur Niederlage der Römer und damit auch zu ihrer Frustration bei. Die römischen Feldherren, die weder einen Erfolg verbuchen noch den Konflikt zu beenden vermochten, sahen sich einem starken zeitlichen Druck ausgesetzt. Die erfolglosen Angriffe der Römer führten somit zu einem strategischen Wendepunkt des Krieges, indem die römischen Feldherren Marius und Metellus das Land der Numider in steigendem Maße zerstörten und die Bevölkerung massakrierten. Eine ähnliche Strategie wurde gegen die Lusitaner eingesetzt, die in gleicher Weise wie die Numider durch Anwendung einer Guerillataktik die Römer vor erhebliche Herausforderungen stellten. Die Unmöglichkeit, den Feind auf dem Schlachtfeld zu besiegen, lässt die Feldherren auf Gewaltmaßnahmen zurückgreifen, die nicht nur Mittel der Abschreckung sind, son-

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dern sowohl die feindliche Bedrohung minimieren als auch den Feind von der Versorgungsgrundlage abschneiden sollen. Wie Baker anschließend zeigen kann, trugen die Gewaltexzesse nicht zwingend zum Erfolg der Römer bei, sondern konnten vice versa neue Ressentiments wecken und die Entschlossenheit der Gegner eher noch stärken, wie er exemplarisch an Viriathus deutlich macht. Eine definitorische Auseinandersetzung mit dem Konzept des Genozids unternimmt Christina Kecht in ihrem Beitrag. Der Genozid wurde als Begriff zwar erst in der Moderne konzeptualisiert, lässt allerdings Schnittmengen mit antiken Konzepten zu. Kecht orientiert sich bei der Definition des Genozids an der UN-Konvention, die sich – mutatis mutandis – unter anderem durch Ausblendung moderner Kategorien wie „national“ und „rassisch“ auf die Antike anwenden lässt. Der Begriff impliziert hierbei nicht das Aufeinandertreffen zweier bewaffneter Parteien, sondern geht über die Schlacht hinaus, indem er die von einer Zentralmacht ausgehende massive Schädigung einer hilflosen und als Einheit verstandenen Gruppe zum Inhalt hat. Die Autorin versucht, das Konzept des Genozids am Beispiel dreier Autoren – Caesar, Tacitus und Ammianus Marcellinus – auf die Römische Kaiserzeit und Spätantike anzuwenden. Da das Konzept bisher nur für den griechischen Raum und die Römische Republik tiefergehend erschlossen wurde, greift die Studie eine wichtige Forschungslücke auf. Die Zuweisung einzelner Gewaltereignisse an die Kategorie Genozid ist stark interpretativ; zudem lassen sich die Gewaltzuschreibungen in weitere definitorische Abwandlungen segmentieren, wie etwa den cultural genocide, die Zerstörung kultureller Merkmale, das heißt Artefakte zur Schwächung einer bestimmten Gruppe, den Ethnozid, die vollständige Auslöschung einer Kultur oder den Genderzid, die Tötung eines spezifischen Geschlechts. Die Anwendbarkeit einzelner Termini ist auch für die Antike fruchtbar und zeigt, wie facettenreich das moderne Konstrukt des Genozids ist und welchen heuristischen Aussagewert es für antike Verhältnisse hat.

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DIE VERHARMLOSUNG SEXUELLER GEWALT IN PETRONS SATYRICA (PETR. 9–11) UND IN DER GRIECHISCH-RÖMISCHEN KOMÖDIE Konrad Löbcke Nach dem deutschen Strafgesetzbuch macht sich eines sexuellen Übergriffs bzw. einer Vergewaltigung schuldig, wer „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt.“1 Diese strafrechtliche Definition von sexueller Gewalt, die auf den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung einer jeden Person ausgerichtet ist, mag uns heute selbstverständlich vorkommen: Niemand darf eine andere Person gegen deren Willen sexuell penetrieren oder auch nur „in sexuell bestimmter Weise körperlich berühr[en].“2 Weiter gefasste Definitionen beschränken sich nicht ausschließlich auf ungewollten Körperkontakt, sondern schließen beispielsweise anzügliches Nachrufen oder -pfeifen mit ein (catcalling).3 Das Prinzip der sexuellen Selbstbestimmung liegt auch populären Slogans wie „Nein heißt Nein“ oder, noch eindeutiger, „Ja heißt Ja“ zugrunde. Um den Glauben an ein (mehr oder weniger) universelles Verständnis von sexueller Gewalt ins Wanken zu bringen, genügt jedoch ein Blick in die nahe Vergangenheit der Bundesrepublik: Bis zu einer Gesetzesänderung im Juli 1997 war eine Vergewaltigung im deutschen Strafrecht explizit als „außerehelich“ definiert.4 Dies bedeutete, dass ein Ehemann seine Ehefrau strafrechtlich gesehen nicht vergewaltigen konnte. Zwang er sie zu sexuellen Handlungen gegen ihren Willen, konnte dies lediglich als Nötigung oder ggf. als Körperverletzung geahndet werden.5 Auch wenn hier keine ausführliche Diskussion von Vergewaltigungen in der Ehe erfolgen kann, bleibt festzuhalten, dass das Prinzip „Nein heißt Nein“ nicht immer als universeller Grundsatz anerkannt war und dass stattdessen unterschiedliche Kontexte bzw. Personenkonstellationen die Beurteilung von nicht-einvernehmlichem Sex bestimmen konnten. Mit anderen Worten: Die Grenzziehung zwischen einem verurteilungswürdigen sexuellen Übergriff und legitimem bzw. nicht-strafbarem Geschlechtsverkehr kann je nach soziohistorischem Kontext unterschiedlich ausfallen. Die ehemalige deutsche Gesetzgebung zu Vergewaltigungen in der Ehe ist in gewisser Weise vergleichbar mit antiken Ansichten zu Fällen, bei denen wir heute 1 2 3 4 5

§ 177 Abs. 1 StGB. § 184i Abs. 1 StGB: Sexuelle Belästigung. Für einen Überblick über moderne Definitionen von sexueller bzw. sexualisierter Gewalt, vgl. Espach 2018, 33–34 mit Verweisen auf weiterführende Literatur. § 177 I StGB a.F.: “Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.“ Für einen Überblick über die Thematik der Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland und anderen europäischen Staaten, vgl. z.B. die entsprechende Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahre 2008: https://www.bundestag.de/resource/blob/407124/6893b73fe226537fa85e9ccce444dc95/wd-7307-07-pdf-data.pdf (letzter Zugriff am 13.11.2022).

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von sexueller Gewalt sprechen würden. Auch hier hängt die Bewertung solcher Übergriffe stark von ihrem Kontext bzw. von den beteiligten Personen und deren Verhältnis zueinander ab. Nach griechischem und römischem Recht konnte ein Ehemann seine Ehefrau genauso wenig vergewaltigen wie ein Sklavenbesitzer seine eigenen Sklavinnen und Sklaven. Diese Personen waren rechtlich von ihrem Ehemann bzw. Besitzer abhängig und hatten kein Mitspracherecht dahingehend, ob er sexuelle Handlungen an ihnen durchführen durfte. In militärischen Auseinandersetzungen galt es überdies als legitimes Mittel der Kriegsführung, unterworfenen Menschen sexuelle Gewalt anzutun. Die Rechtmäßigkeit eines Geschlechtsakts hing insofern viel mehr vom Status der beteiligten Personen ab – unverheiratet vs. verheiratet, frei vs. versklavt etc. – als von ihrem Willen bzw. Einverständnis.6 Wenn es um sexuelle Vergehen mit oder gegen verheiratete Personen ging, spielte zudem das Geschlecht der Beteiligten eine entscheidende Rolle. Ehemännern stand es frei, neben ihren Ehefrauen Sex mit eigenen Sklavinnen und Sklaven sowie mit Prostituierten und Konkubinen zu haben. Ehefrauen andererseits war es untersagt, gemäß ihren eigenen Wünschen außerehelichen Sex zu haben. Hatten sie freiwillig mit einem anderen Mann geschlafen, wurden sie als Ehebrecherinnen bestraft. Männer hingegen – angesichts ihrer angesprochenen Freiheiten – galten nur dann als Ehebrecher, wenn sie Sex mit einer Frau hatten, die mit einem anderen Mann verheiratet war. Ein wichtiger Grund für diese Doppelmoral bestand darin, dass jeder außereheliche Sexualkontakt der Frau die Legitimität der ehelichen Kinder (und damit die Erben des Ehemanns/Familienoberhaupts) in Frage stellte. Da jeglicher Geschlechtsverkehr mit einer verheirateten Frau insofern als Angriff gegen die Ehre des Ehemanns aufgefasst werden konnte, war es nur von untergeordneter Bedeutung, ob die Frau gegen ihren Willen penetriert (also vergewaltigt) worden war, oder ob es sich um einvernehmlichen Sex (also um einen Fall von „Verführung“) gehandelt hatte.7 Die Erkenntnis, dass sich die antike Gesellschaftsordnung stark auf die Bewertung sexueller Übergriffe auswirkte, steht im Zentrum des vorliegenden Beitrags. Auf dieser Grundlage soll eine Episode aus Petrons Satyrica (Petr. 9–11, ganzer Text unten) in den Blick genommen werden, deren spezifische Darstellungsweise einer (versuchten) Vergewaltigung bisher nicht eingehend untersucht wurde. Mein Beitrag ist in zwei Teile gegliedert: Zunächst werde ich die Mechanismen aufzeigen, mit deren Hilfe Petron sexuelle Gewalt (zumindest aus moderner Perspektive) verharmlost. Hiermit ist gemeint, dass seine Darstellung eines sexuellen Übergriffs und dessen Folgen jeglicher Problematisierung entbehrt und insgesamt eher (Schaden-)Freude und Vergnügen als Mitgefühl hervorruft. Die leichtfertige und humoristische Lesart, die ich hier vorstelle, wird gewissermaßen von den handelnden Figuren und vom Erzähler der Satyrica vorgelebt. Ob ein antikes Publikum dieses 6 7

Zu Vergewaltigungen in Abhängigkeitsverhältnissen und im Kriegsfall, vgl. Doblhofer 1994, 18–46. Für antike Sichtweisen auf Vergewaltigung, vgl. auch Robson 2013, 102–105 und die Beiträge in Deacy & Pierce (Eds.) 1997. Für weitere Ausführungen zu dieser Doppelmoral, vgl. Treggiari 1993, 299–309 sowie Robson 2013, 92. Zur Bewertung von Vergewaltigung und Verführung, vgl. Carey 1995.

Die Verharmlosung sexueller Gewalt in Petrons Satyrica

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Interpretationsangebot annahm, oder sich kritisch von den nahegelegten Werturteilen distanzierte, muss freilich offenbleiben. Im zweiten Teil werde ich darlegen, dass sich für alle wesentlichen Techniken zur Verharmlosung von sexueller Gewalt, die wir bei Petron vorfinden, klare Vorläufer in der Tradition der griechisch-römischen Komödie erkennen lassen. Von den vielen Komödien, in denen Vergewaltigungen von freien Mädchen vorkommen, zeichnet sich insbesondere der Eunuchus des Terenz durch frappierende Parallelen zu den Satyrica aus. Überdies erinnern einige Elemente der petronischen Episode an solche Komödien, die sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen und Sklaven zum Inhalt haben. In diesem Zusammenhang werde ich die Casina des Plautus als besonders wichtigen Vergleichstext herausstellen. Meine Diskussion soll insofern einen Beitrag zur altertumswissenschaftlichen Gewaltforschung leisten, als dass sie die literarische Verarbeitung von Vergewaltigungen als Teil einer ‚Technik‘ auffasst. Im Kern geht es mir nicht darum, einmal mehr aufzuzeigen, dass antike Beurteilungen von Gewalt stark von den beteiligten Personen und deren Hintergrund abhängig sind. Stattdessen möchte ich gleichsam einen Schritt weiter gehen und Autoren in den Blick nehmen – in diesem Fall Komödiendichter und insbesondere Petron –, die das Leid von (fiktiven) Vergewaltigungsopfern offenbar bewusst in den Hintergrund rücken. Nicht zuletzt möchte ich in diesem Beitrag auch ein Schlaglicht auf sexuelle Gewalt gegen Männer werfen, die in der Forschung bisher vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erhalten hat.8 I: Sexuelle Gewalt in Petrons Satyrica (9–11) Petrons Satyrica sind eine prosimetrische, fragmentarisch erhaltene Erzählung, die in den Zeitraum zwischen der Mitte des ersten und dem Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts zu datieren sind.9 Protagonist und Ich-Erzähler ist der junge Mann Encolpius, der offenbar unsterblich in den sechzehnjährigen Giton verliebt ist und der seinen Anspruch auf den Jungen gegenüber zahlreichen Nebenbuhlern zu verteidigen hat. Zu Beginn der erhaltenen Fragmente (Petr. 1–5) begegnen wir Encolpius im Gespräch mit einem Rhetoriklehrer namens Agamemnon. Nachdem Encolpius bemerkt hat, dass sich sein Gefährte Ascyltus unbemerkt davongemacht hatte, gelangt er über Umwege zurück zu der Herberge, in der er zusammen mit Giton und Ascyltus untergekommen ist. In der folgenden Episode berichtet Encolpius (aus der rückblickenden Perspektive) davon, wie er seinen geliebten Giton in der Herberge vorfand: [9.1] quasi per caliginem vidi Gitona in crepidine semitae stantem et in eundem locum me conieci …

8 9

Mit ihrem Überblick über sexuelle Gewalt gegen Männer ist Espach 2018 einem Forschungsdesiderat begegnet. Die Verharmlosung von Vergewaltigungen im Sinne einer literarischen Technik findet in ihrer Studie freilich keine Beachtung. Für einen Forschungsüberblick zur Datierungsfrage, vgl. Prag & Repath 2009, 5–9.

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Konrad Löbcke [2] cum quaererem numquid nobis in prandium frater parasset, consedit puer super lectum et manantes lacrimas pollice extersit. [3] perturbatus ego habitu fratris quid accidisset quaesivi. at ille tarde quidem et invitus, sed postquam precibus etiam iracundiam miscui, [4] ‚tuus‘ inquit ‚iste frater seu comes paulo ante in conductum accucurrit coepitque mihi velle pudorem extorquere. [5] cum ego proclamarem, gladium strinxit et ,,si Lucretia es“ inquit „Tarquinium invenisti“.‘ [6] quibus ego auditis intentavi in oculos Ascylti manus et „quid dicis“ inquam „muliebris patientiae scortum, cuius ne spiritus purus est?“ [7] inhorrescere se finxit Ascyltos, mox sublatis fortius manibus longe maiore nisu clamavit: [8] „non taces“ inquit „gladiator obscene, quem †de ruina† harena dimisit? [9] non taces, nocturne percussor, qui ne tum quidem, cum fortiter faceres, cum pura muliere pugnasti, [10] cuius eadem ratione in viridario frater fui qua nunc in deversorio puer est?“ „subduxisti te“ inquam „a praeceptoris colloquio“. [10.1] „quid ego, homo stultissime, facere debui, cum fame morerer? an videlicet audirem sententias, id est vitrea fracta et somniorum interpretamenta? [2] multo me turpior es tu hercule, qui ut foris cenares poetam laudasti“. … [3] itaque ex turpissima lite in risum diffusi pacatius ad reliqua secessimus. * [4] rursus in memoriam revocatus iniuriae „Ascylte“ inquam „intellego nobis convenire non posse. itaque communes sarcinulas partiamur ac paupertatem nostram privatis quaestibus temptemus expellere. [5] et tu litteras scis et ego. ne quaestibus tuis obstem, aliquid aliud promittam; alioqui mille causae quotidie nos collident et per totam urbem rumoribus different“. [6] non recusavit Ascyltos et „hodie“ inquit „quia tamquam scholastici ad cenam promisimus, non perdamus noctem. cras autem, quia hoc libet, et habitationem mihi prospiciam et aliquem fratrem“. [7] „tardum est“ inquam „differre quod placet“. * hanc tam praecipitem divisionem libido faciebat; iam dudum enim amoliri cupiebam custodem molestum, ut veterem cum Gitone meo rationem reducerem. * [11.1] postquam lustravi oculis totam urbem, in cellulam redii osculisque tandem bona fide exactis alligo artissimis complexibus puerum fruorque votis usque ad invidiam felicibus. [2] nec adhuc quidem omnia erant facta, cum Ascyltos furtim se foribus admovit discussisque fortissime claustris invenit me cum fratre ludentem. risu itaque plausuque cellulam implevit, opertum me amiculo evolvit [3] et „quid agebas“ inquit „frater sanctissime? quid? †verti† contubernium facis?“ [4] nec se solum intra verba continuit, sed lorum de pera solvit et me coepit non perfunctorie verberare, adiectis etiam petulantibus dictis: „sic dividere cum fratre nolito“. (Petr. 9.1–11.4)

[9.1] Wie durch einen Nebel sah ich Giton auf dem Gehsteig stehen und stürzte mich eben dorthin. [2] Als ich fragte, ob mein Bruder uns etwas zum Mittagessen bereitet habe, setzte sich der Junge auf das Bett und wischte sich einen Strom von Tränen mit dem Daumen ab. [3] Ich war bestürzt über den Zustand meines Bruders und fragte, was passiert sei. Aber jener sprach zögerlich und widerwillig, nämlich erst, als ich meine Bitten mit Zorn gemischt hatte: [4] „Dein Bruder da oder dein Begleiter kam kurz vorher in unsere Unterkunft gelaufen und begann, mir meine Keuschheit rauben zu wollen. [5] Als ich aufschrie, zückte er sein Schwert und sagte: ‚Wenn du Lucretia bist, hast du deinen Tarquinius gefunden.‘“

Die Verharmlosung sexueller Gewalt in Petrons Satyrica

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[6] Als ich das hörte, erhob ich meine Hände gegen Ascyltus’ Augen und sagte: „Was sagst du, du devote Hure, der du die Rolle einer Frau spielst und an dem nicht einmal der Atem rein ist?“ [7] Ascyltus tat, als ob er erschaudere, und erhob bald seine Hände noch drohender und rief mit weit größerer Heftigkeit: [8] „Willst du nicht still sein, du schmutziger Gladiator, den die Arena †wegen eines Zusammenbruchs† entlassen hat? [9] Willst du nicht still sein, du nächtlicher Dolchmörder, der du nicht einmal damals, als du es noch tüchtig machtest, mit einer reinen Frau gekämpft hast [10] und dessen Bruder ich im Garten auf dieselbe Weise war, wie es jetzt in der Herberge der Junge ist?“ „Du hast dich,“ sagte ich, „von der Diskussion mit dem Rhetoriklehrer davongeschlichen.“ [10.1] „Was hätte ich tun sollen, du Riesendummkopf, als ich vor Hunger umkam? Sollte ich mir seine Sentenzen anhören, das heißt Glasscherben und Traumdeutungen? [2] Viel schlimmer als ich bist du, beim Hercules, der du einen Dichter gepriesen hast, um auswärts essen zu gehen.“ … [3] So löste sich unser höchst abscheulicher Streit in Gelächter auf, und recht friedlich wandten wir uns anderen Dingen zu. * [4] Als mir das Unrecht wieder in den Sinn gekommen war, sagte ich: „Ascyltus, ich sehe ein, dass wir nicht miteinander auskommen können. Lass uns deshalb unsere gemeinsamen Habseligkeiten aufteilen und versuchen, unsere Armut jeweils auf eigene Faust zu vertreiben. [5] Du bist gebildet, genauso wie ich es bin. Damit ich deinen Geschäften nicht im Wege stehe, will ich versprechen, irgendetwas anderes zu tun. Andernfalls werden uns täglich tausend Gründe aneinandergeraten lassen und uns in der ganzen Stadt ins Gerede bringen.“ [6] Ascyltus widersprach nicht. Er sagte: „Weil wir heute als scholastici für ein Abendessen zugesagt haben, wollen wir die Nacht nicht vergeuden. Morgen aber, weil es so sein soll, will ich mich sowohl nach einer Unterkunft als auch nach irgendeinem Bruder umsehen.“ [7] „Es ist müßig aufzuschieben, was man beschlossen hat.“ * Diese so überstürzte Trennung kam durch Geilheit zustande. Denn schon lange hatte ich den lästigen Aufpasser loswerden wollen, um die alte Beziehung zu meinem Giton wiederaufnehmen zu können. * [11.1] Nachdem ich in der ganzen Stadt Ausschau gehalten hatte, kehrte ich in das Zimmerchen zurück. Endlich forderte ich ganz ungeniert Küsse, umschlang den Jungen so fest, wie ich konnte, und genoss die ersehnten Wonnen, um die mich jeder beneidet hätte. [2] Und wir hatten noch nicht einmal alles gemacht, als Ascyltus sich heimlich an die Tür heranschlich, die Riegel gewaltsam aufbrach und mich beim Spiel mit meinem Bruder vorfand. So erfüllte er das Zimmerchen mit Lachen und Beifallklatschen, wälzte mich aus dem Mantel, der mich bedeckte, [3] und sagte: „Was hast du getrieben, mein redlichster Bruder? Was? Machst du unsere Gemeinschaft †zunichte†?“ [4] Und er beschränkte sich nicht auf Worte, sondern löste den Riemen von seinem Ranzen und begann, mich nicht nur oberflächlich zu schlagen. Dabei fügte er noch sarkastische Worte hinzu: „So sollst du nicht mit deinem Bruder teilen!“10

Parodie Im Zentrum des ersten Abschnitts der Episode (9.1–5) steht Gitons Bericht von der (versuchten) Vergewaltigung durch Ascyltus. Obwohl Gitons Formulierung 10 Alle Übersetzungen sind meine eigenen.

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offenlässt, ob Ascyltus’ Versuch erfolgreich war (coepitque mihi velle pudorem extorquere, 9.4), tritt der Junge recht eindeutig als Opfer einer Gewalttat auf: Seine Tränen (manantes lacrimas, 9.2) und seine Hemmungen, von dem Vergehen zu berichten (tarde quidem et invitus, 9.3), werden explizit erwähnt. Den Abschluss von Gitons Aussage bildet sein Zitat von Ascyltus’ Worten, die offenbar den fulminanten Höhepunkt von dessen Drohung darstellen: gladium strinxit et „si Lucretia es“ inquit „Tarquinium invenisti“ (9.5). Spätestens an diesem Punkt wird einem antiken Publikum Petrons erste Technik zur Verharmlosung sexueller Gewalt aufgefallen sein: Diese Passage – wenn nicht die gesamte Episode – parodiert die berühmt-berüchtigte Vergewaltigung der Lucretia durch Sextus Tarquinius. Da dieser Aspekt der Erzählung bereits einiges an Aufmerksamkeit erhalten hat, werde ich meine Ausführungen hier auf einige wesentliche Punkte beschränken.11 Wie Livius (1.57.4–59) und Ovid (Fast. 2.685–852) berichten, kam in Sextus Tarquinius, einem Sohn von Roms letzten König L. Tarquinius Superbus, einst das Verlangen auf, sich an der tugendhaften Lucretia sexuell zu vergehen. Als Gastfreund erhält er Zutritt zum Haus des Collatinus, Lucretias Ehemanns, während dieser abwesend ist. Des Nachts wagt Tarquinius seinen Angriff auf Lucretia, den Livius mit den folgenden Worten beschreibt (vgl. auch Ov. Fast. 2.793–6): Mit gezücktem Schwert trat er zur schlafenden Lucretia. Mit seiner linken Hand drückte er die Frau an der Brust nieder und sagte: „Sei still, Lucretia! Ich bin es, Sextus Tarquinius. Ich habe ein Schwert in der Hand. Du stirbst, wenn du einen Laut von dir gibst.“ 12

Petrons Formulierung (9.5) rekurriert deutlich auf diese literarische Vorlage. Ascyltus präsentiert sich als ein zweiter Tarquinius und zwingt Giton zugleich in die Opferrolle der Lucretia: „si Lucretia es“ inquit „Tarquinium invenisti.“ Eine weitere Parallele zwischen Ascyltus und Tarquinius besteht darin, dass beide ihr Schwert ziehen: Die Wendung gladium strinxit in den Satyrica klingt an Livius’ stricto gladio an. Ein antikes Publikum mag bereits bei der Erwähnung von Gitons sitzender Position an Lucretia erinnert worden sein (Petr. 9.2: consedit puer; Liv. 1.58.6: Lucretiam sedentem; Ov. Fast. 2.813: sedet illa). Hinzu kommen die Tränen der beiden Figuren (Petr. 9.2: manantes lacrimas; Liv. 1.58.7: lacrimae obortae; Ov. Fast. 2.820: fluunt lacrimae). Encolpius nimmt die Rolle des Collatinus ein, der seine Frau aufgelöst vorfindet und zuerst von dem Verbrechen erfährt (vgl. Liv. 1.58.6–7; Ov. Fast. 2.813–28). Während diese Aspekte klare Verbindungen zwischen ab urbe condita, den Fasti und den Satyrica herstellen, erzeugen die jeweiligen Kontexte einen parodistischen Kontrast. Dieser entsteht zunächst dadurch, dass Petron die hochgeborenen Persönlichkeiten aus der römischen Frühgeschichte durch Figuren von niederem sozialen Status ersetzt. Zudem reagieren diese Figuren gänzlich 11 Für eine ausführliche Diskussion von Petrons parodistischer Technik an dieser Stelle, vgl. z.B. Ruden 1993, 21–22; Courtney 2001, 63; Schmeling 2001, 53–54; Breitenstein 2009 ad loc. 12 Liv. 1.58.2: stricto gladio ad dormientem Lucretiam venit sinistraque manu mulieris pectore oppresso „Tace, Lucretia“ inquit; „Sex. Tarquinius sum; ferrum in manu est; moriere, si emiseris vocem.“

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anders auf die Vergewaltigung, die sich in ihrer Mitte abspielt: Während Lucretia Selbstmord begeht, da sie mit der Schande nicht weiterleben will (Liv. 1.58.10–11; Ov. Fast. 2.830–4), bleibt Giton im erhaltenen Text auffällig passiv. In einer späteren Episode wird er den Vergewaltiger sogar seinem „Ehemann“ Encolpius vorziehen (Petr. 80.6). Collatinus rächt sich zusammen mit L. Iunius Brutus an Tarquinius und dessen Familie (Liv. 1.59.2), wohingegen Encolpius Ascyltus lediglich mit derben Beleidigungen attackiert, die sich letztendlich in beidseitiges Gelächter auflösen (Petr. 9.6–10.3). Allem Anschein nach wird der Effekt dadurch intensiviert, dass eine männliche Figur (Giton) die Rolle der Lucretia einnimmt.13 Insgesamt machen es die intertextuellen Bezüge und der daraus resultierende parodistische Kontrast schwer, Gitons Leid ernst zu nehmen. Aus moderner Sicht handelt es sich um eine Verharmlosung von sexueller Gewalt. Petron scheint sein Publikum dazu anzuhalten, die Notlage des Jungen als einen literarischen Scherz aufzufassen. Ausgelassene Gleichgültigkeit Parodie ist nicht der einzige Aspekt dieser Episode, der dem geschilderten sexuellen Übergriff eine gewisse „Leichtigkeit“ verleiht. Ferner nämlich geben Ascyltus und Encolpius geradezu Paradebeispiele dafür ab, wie sich Gitons Klage als eine Nichtigkeit abtun lässt. Sie verhalten sich nicht nur rein egoistisch, sondern betätigen sich auch in einer Art Rollenspiel, das ihren Konflikt letztlich in ein possenhaftes Schauspiel verwandelt. Wenn Encolpius Ascyltus konfrontiert, spricht er ihn nicht direkt auf Giton und dessen Vorwurf an, sondern begibt sich unmittelbar auf die Ebene von persönlichen Beleidigungen, die auf Ascyltus’ (angebliches) Sexualverhalten abzielen. Er wirft ihm vor, sich zu prostituieren (scortum, Petr. 9.6) und beim Sex die entwürdigende „weibliche“ Rolle zu spielen (muliebris patientiae, 9.6). Hiermit ist gemeint, dass sich Ascyltus beim Geschlechtsverkehr penetrieren lasse und deshalb kein „wahrer Mann“ sei.14 Zusätzlich habe er, so insinuiert Encolpius, andere Männer oral befriedigt und sich dadurch ein os impurum beschert (cuius ne spiritus purus est, 9.6).15 Beide Beleidigungen des Encolpius präsentieren Ascyltus also in der Rolle des penetrierten Sexualpartners und sind insofern weit entfernt von dem, was Giton gegen Ascyltus vorbringt – nämlich, dass er ihn unter Gewaltandrohung penetriert habe. Encolpius’ zweite Anschuldigung gegen Ascyltus – dass dieser sich heimlich vom Gespräch mit dem Rhetoriklehrer Agamemnon entfernt habe 13 Zu Gitons Feminisierung und Objektifizierung, vgl. Clark 2019, 64–68. Williams 2010b, 28 führt einige weitere Fälle an, in denen Männer ihre Gegner (oder sich selbst) als Frauen typisieren. 14 Zu diesem ungeschriebenen Gesetz römischer Maskulinität, bei dem das „Erleiden“ (pati) einer sexuellen Penetration als eine Art Demütigung verstanden wird, vgl. Williams 2010a, 18 und passim sowie Robson 2013, 60–1 mit Verweisen auf weiterführende Literatur. 15 Vgl. Breitenstein 2009 ad loc. Zum os impurum, vgl. Richlin 1983, 26–29; Obermayer 1998, 214–231.

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(9.10) – führt noch weiter weg von Gitons Anklage.16 In der gesamten Passage scheint Encolpius wenig bemüht, Gitons Vorwurf der Vergewaltigung unmissverständlich zum Thema der Unterhaltung zu machen. Meine These ist also – Patrick Walsh folgend –, dass Encolpius sich nicht wirklich für Giton einsetzt, sondern dass er Ascyltus in ein gekünsteltes, ja sogar possenhaftes Wortgefecht verwickelt.17 Diese Deutung wird auch dadurch gestützt, dass Ascyltus laut dem Erzähler nur so tut, als ob er nach Encolpius’ Vorwurf erschaudere (inhorrescere se finxit Ascyltos, 9.7), und dass er das Verhalten seines Gegenübers nachahmt bzw. übertreibt (sublatis fortius manibus longe maiore nisu clamavit, 9.7). Zu diesem spielerischen Wortgefecht passt es, dass beide Kontrahenten nach kurzer Zeit in Gelächter ausbrechen (itaque ex turpissima lite in risum diffusi pacatius ad reliqua secessimus, 10.3). Bei genauer Betrachtung kommt Ascyltus’ Lässigkeit gegenüber dem sexuellen Übergriff, der ihm vorgeworfen wird, schon früher zum Ausdruck. Allein der Umstand, dass er sich als ein zweiter Sextus Tarquinius darstellt (9.5), kann als ein bewusstes Rollenspiel verstanden werden.18 So wie er die Chance ergreift, mit Encolpius in ein Wortgefecht einzutreten (vgl. oben), nutzt er eine oberflächliche Parallele zur römischen Frühgeschichte, um seinem Tun den Anschein von Größe und Erhabenheit zu verleihen. Die wahrgenommene Verbindung zwischen Ascyltus und Tarquinius besteht offenbar darin, dass es sich bei beiden um Vergewaltiger handelt, die die Gegenwehr ihres Opfers mit Waffengewalt zu brechen versuchen. Manche Forscher halten auch Gitons Worte und Taten für eine Art schauspielerische Darbietung: Costas Panayotakis behauptet, dass die Art, wie Giton seine Gefühle zum Ausdruck bringt, gänzlich künstlich und falsch daherkomme.19 Als Belege verweist Panayotakis auf einige eindeutige Rollenspiele in der fabula palliata

16 Manche Forscher glauben, dass Encolpius mit den Worten subduxisti te a praeceptoris colloquio (Petr. 9.10) indirekt auf Gitons Anklage Bezug nehme: „Du hast dich heimlich vom Rhetoriklehrer entfernt, um dich an Giton zu vergehen“ sei, grob gesagt, Encolpius‘ intendierte Aussage, vgl. Ciaffi 1955, 25; Jensson 2004, 139. An dieser Interpretation bleibt auszusetzen, dass Ascyltus Encolpius‘ Worte nicht in dieser Weise auffasst, sondern stattdessen über Essen und die Lehrpraktiken des Agamemnon spricht (10.1–2). 17 Vgl. Walsh 1970, 87. 18 Vgl. Panayotakis 1995, 15–16. 19 Panayotakis 1995, 14: „everything in his [i.e. Giton’s] behaviour shows that the way he expresses his feelings is entirely artificial and false.”

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Gitons Vorliebe für mythologische Vorbilder21 glaubt Peter George sogar, dass Ascyltus’ Drohung – nämlich dass Giton die Rolle der vergewaltigten Lucretia spielen solle – in gewisser Weise die Zustimmung des Jungen gefunden haben mag.22 Falls ein antikes Publikum ebenfalls den Eindruck bekam, dass Gitons Vorwurf gegen Ascyltus (zum Teil) nur vorgespielt ist, mag dies mögliche Sympathien für den Jungen deutlich entkräftet haben. Es gibt einen weiteren Punkt, in dem diese Episode an ein Schauspiel erinnert: Wenn Ascyltus Encolpius und Giton im Bett vorfindet, lacht er und klatscht Beifall, als ob er der Darbietung eines Bühnenstücks beiwohne: risu itaque plausuque cellulam implevit (11.2).23 Encolpius legt ein ähnlich geringes Maß an Ernsthaftigkeit an den Tag. Abgesehen von seinen eher halbherzigen Bemühungen im Wortwechsel mit Ascyltus können wir festhalten, dass die meisten – wenn nicht alle – seiner Handlungen vollkommen eigennützig sind. Der Grund, warum er sich von Ascyltus trennt (intellego nobis convenire non posse, 10.4) besteht nicht darin, dass er Giton trösten oder anderweitig helfen will, sondern dass er so schnell wie möglich mit ihm Sex haben will: hanc tam praecipitem divisionem libido faciebat; iam dudum enim amoliri cupiebam custodem molestum, ut veterem cum Gitone meo rationem reducerem (10.7). Wir können zusammenfassen, dass in der petronischen Episode auf mehreren Ebenen eine Verharmlosung von sexueller Gewalt stattfindet: Die handelnden Figuren Encolpius und Ascyltus – und möglicherweise auch Giton selbst – behandeln den Vorfall bestenfalls wie eine Lappalie, die sich als Anlass für eine possenhafte Zankerei nutzen lässt. Keiner der Streitenden erweckt den Anschein, sich ernsthaft für die Gefühle und das Wohlbefinden Gitons zu interessieren. Die Drastik der (versuchten) Vergewaltigung wird überdies dadurch reduziert, dass sie fortwährend in einen parodistischen Kontrast zur Vergewaltigung der Lucretia durch Sextus Tarquinius gesetzt wird. II: PETRON UND DIE KOMISCHE TRADITION Vergewaltigung, Parodie und Ausgelassenheit Die Episode im Zentrum dieses Beitrags verfügt nicht nur über Figuren, die ein Schauspiel auszuführen scheinen, sondern zeichnet sich auch durch zahlreiche Ähnlichkeiten mit erhaltenen antiken Bühnenstücken aus. Zwar werden Episoden 21 Beispielsweise vergleicht Giton eine spätere Auseinandersetzung zwischen Encolpius und Ascyltus mit dem Konflikt zwischen Eteokles und Polyneikes (Petr. 80.3): infelicissimus puer tangebat utriusque genua cum fletu petebatque suppliciter ne Thebanum par humilis taberna spectaret … („Der zutiefst unglückliche Junge berührte weinend unsere Knie und flehte, dass diese niedere Absteige kein thebanisches Paar sehen solle“). 22 George 1966, 341: „we can imagine his [i.e. Giton’s] approval of the terms, if not of the substance, of Ascyltos’ threat.” 23 Vgl. Williams 2010b, 31.

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der Satyrica, bei denen Erotik eine Rolle spielt, häufig als Parodie der idealisierenden griechischen Romane aufgefasst, jedoch ist eine Interpretation im Kontext der griechisch-römischen Komödie nicht weniger fruchtbar.24 Komische Elemente bei Petron wurden zuerst von Keith Preston besprochen und haben durch Costas Panayotakis eine eingehende Behandlung erfahren.25 Panayotakis stellt klar, dass Untreue in der Ehe – wie er das Thema dieser Episode bezeichnet – ein wiederkehrendes Motiv der antiken Komödie darstellt: Es ist unter anderem augenfällig in den Asinaria und den Menaechmi des Plautus sowie im sogenannten Ehebruch-Mimus.26 In diesem Kontext, so Panayotakis, spielt Encolpius die Rolle des eifersüchtigen Gatten, des zelotypus, wie er beispielsweise aus Herodas’ fünften Mimiambus sowie aus Juvenal (8.196–7) bekannt ist.27 Die bühnenhaften Posen, die von Ascyltus (und Giton) in dieser Episode eingenommen werden, sind in diesem Zusammenhang ebenfalls relevant (vgl. oben). Petrons Bezüge zur römischen Frühgeschichte hält Panayotakis für vergleichbar mit den parodistischen Tendenzen, die in den Phlyakenpossen und im Mimus erkennbar sind.28 In der folgenden Diskussion möchte ich über das hinausgehen, was bereits über das Verhältnis zwischen den Satyrica und der griechisch-römischen Komödie geschrieben wurde. Ich möchte zeigen, dass Petrons Techniken zur Verharmlosung von sexueller Gewalt, die wir im ersten Teil betrachtet haben, allesamt klare Vorläufer in der komischen Tradition aufweisen. Mein Fokus wird hierfür auf Vergewaltigungsplots liegen, die mit großer Häufigkeit in der griechischen Neuen Komödie und der römischen fabula palliata anzutreffen sind. Meine These ist nicht, dass Petron die hier besprochenen Stücke direkt rezipiert, sondern dass generell große Teile des komischen Repertoires – z.B. typische Figuren, Plots und Motive – in seine Erzählung Einzug gehalten haben.29 24 Zu den Satyrica als Parodie des idealisierenden Romans, vgl. Heinze 1899 und zuletzt Courtney 2001, 24 sowie Setaioli 2011, 369–90. Kritik an Heinzes Hypothese hat beispielsweise Morgan 2009 geäußert. 25 Vgl. Preston 1915, 265–66; Panayotakis 1995, 10–11. Viele von Panayotakis’ Punkten werden von Williams 2010b aufgegriffen. 26 Zum Ehebruch-Mimus vgl. Reynolds 1946; Kehoe 1984. 27 Vgl. auch Preston 1915, 266. Fantham 1986 bietet einen Überblick über das Motiv der zelotypia in der antiken Literatur. 28 Vgl. Panayotakis 1995, 15–16. 29 Wenn ich unten also beispielsweise auf Terenz’ Eunuchus oder Plautus’ Casina rekurriere, behaupte ich damit nicht, dass sich Petron auf ebendiese Werke bezieht oder sie auch nur gesehen/gelesen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Petron – insofern er sich an eine Bühnengattung anlehnt – vor allem den griechisch-römischen Mimus im Sinn hat, der die Theaterlandschaft seiner Zeit dominierte; vgl. hierzu Augier-Grimaud 2014, 16–17 sowie die expliziten Bezüge auf den Mimus in den Satyrica (Petr. 19.1, 35.6, 55.5, 80.9, 94.15, 106.1, 117.4). Da uns der Mimus nur in wenigen Fragmenten und durch indirekte Zeugnisse greifbar ist, bin ich – genauso wie Panayotakis 1995, xxv und passim – darauf angewiesen, komische topoi in den Satyrica aufzuzeigen. Viele von diesen waren, soweit wir wissen, sowohl in der ‚literarischen‘ Komödie (Alte, Mittlere, Neue Komödie sowie fabula palliata und fabula togata) als auch in der ‚populären‘ Komödie (Phlyakenposse, Mimus, fabula Atellana) vorhanden. Zum Mimus und dessen Verwandtschaft mit anderen komischen Gattungen, vgl. Panayotakis 2010, 1–32; Kocur 2018, 269–302.

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Aus modernder Perspektive ist es zunächst ein verstörender Aspekt der antiken Komödie, dass dort Vergewaltigungen regelmäßig als eine Art Jugendsünde dargestellt werden. In der Alten Komödie sind Vergewaltigungen stets nur vorgestellt oder angedroht; die Drohungen richten sich fast ausschließlich gegen Sklavinnen und Sklaven – welche uns im weiteren Verlauf dieses Beitrags noch beschäftigen werden. Von unmittelbarem Interesse ist hier zunächst die Neue Komödie, wo Vergewaltigungen stets tatsächlich stattfinden und wo es sich bei den Opfern stets um freie Bürgerinnen handelt.30 In ungefähr einem Drittel der Stücke Menanders kommt eine solche Vergewaltigung vor.31 Sie findet in der Regel nachts und im Zusammenhang mit einer religiösen Festivität statt. Der Täter entschuldigt sich im Nachhinein damit, dass er unter dem Einfluss von Wein und einer unkontrollierbaren Lust sozusagen nicht anders konnte, als das Mädchen seiner Begierde zu vergewaltigen. Die Tat zieht stets eine Schwangerschaft nach sich und konfrontiert die Familie des Opfers so mit den sozialen Problemen, die die Geburt eines unehelichen Kindes bedeuten würde. Dies setzt die eigentliche Bühnenhandlung in Gang. Die (für ein modernes Publikum schwer erträgliche) Lösung der Problematik besteht darin, dass der Vergewaltiger sich letztendlich zu seiner Tat bekennt und sein Opfer heiratet: So legitimiert er das ungeborene Kind und rettet das Mädchen und dessen Familie vor der drohenden Schande.32 Wichtig ist, dass die Vergewaltigung für gewöhnlich nicht während der Bühnenhandlung geschieht, sondern zu deren Vorgeschichte gehört. Während die meisten römischen fabulae palliatae dem griechischen Muster folgen, stellt der Eunuchus des Terenz eine bemerkenswerte Ausnahme dar.33 Hier findet die Vergewaltigung nicht nur am Tage statt, sondern ist auch klar im Voraus geplant – die üblichen Ausreden des Vergewaltigers fehlen. Der Eunuchus ist zudem die einzige erhaltene Komödie, in der die Vergewaltigung während der Bühnenhandlung geschieht (wenngleich sie nicht auf der Bühne vollzogen wird). Der Täter ist ein junger athenischer Bürger namens Chaerea, der sich – wie er sagt (307) – auf den ersten Blick in das Mädchen Pamphila verliebt. Er entscheidet sich, von ihr „Besitz zu ergreifen“ (potiar, 320 und 362). Zusammen mit seinem Sklaven Parmeno ersinnt er den Plan, den Platz des Eunuchen einzunehmen, der Pamphila in ihrem Zimmer bewachen soll (365–90). Chaerea hält das Mädchen fälschlicherweise für eine Sklavin (321, 366); er rechtfertigt die Tat damit, dass er

30 Zu den unterschiedlichen Kontexten von Vergewaltigungen in der Alten und Neuen Komödie, vgl. Sommerstein 1998. Riess 2012, 279–85 bietet einen vollständigen Überblick über (vorgestellte) Vergewaltigungen bei Aristophanes; vgl. auch Robson 2014. 31 Vgl. James 2013, 194 Anm. 2. Rosivach 1998 diskutiert alle für die Neue Komödie belegten Vergewaltigungsplots. Für eine Analyse der menandrischen Vergewaltigungen inklusive eines Vergleichs zur Alten Komödie, vgl. Riess 2012, 340–61. 32 Vgl. z.B. Konstan & Raval 2018, 55–57. 33 Die Vergewaltigung von freien Mädchen bzw. Frauen ist ein Element in fünf Stücken des Plautus (Amphitruo, Aulularia, Cistellaria, Epidicus, Truculentus) und in vier des Terenz (Adelphoe, Andria, Eunuchus, Hecyra).

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sich an allen Prostituierten rächen wolle (381–5).34 Nachdem er seinen Plan in die Tat umgesetzt hat, erzählt Chaerea seinem Freund Antipho voller Freude von seinem großen Erfolg (578–606): In der Tat hatten Pamphilas Vormundin Thais und alle Bediensteten ihn für den Eunuchen gehalten; sie hatten das Mädchen auf ihr Bett gelegt und Chaerea mit ihr allein gelassen. Als er Pamphila schlafend und schutzlos vorfand, ergriff er die Gelegenheit und vergewaltigte sie (601–6). Obwohl Chaerea den eigentlichen Geschlechtsakt ausspart, ist seine Beschreibung einer sexuellen Gewalttat doch bei Weitem die expliziteste innerhalb der erhaltenen griechisch-römischen Komödie. Erst gegen Ende nähert sich das Stück wieder den gewohnten Bahnen der Neuen Komödie an: Nachdem er erfahren hat, dass es sich bei Pamphila um eine freie Bürgerin handelt (858), entschuldigt sich Chaerea bei Thais. Er behauptet, nicht aus Übermut, sondern aus Liebe gehandelt zu haben (877–8), und verspricht, das Mädchen zu heiraten (888). So wird das „Happy End“ des Stücks eingeläutet. Wenn Chaerea die Momente unmittelbar vor der Vergewaltigung beschreibt, wird sexuelle Gewalt in ähnlicher Weise verharmlost, wie wir es bereits bei Petron beobachtet haben. Während wir nur erahnen können, was sich im Kopf des (mutmaßlichen) Vergewaltigers Ascyltus abspielt, erhalten wir reichhaltige Informationen über das Kalkül des Chaerea. Wenn er seinem Freund von der Tat erzählt, berichtet er im Detail davon, was in Pamphilas Zimmer vorging: Das Mädchen saß in ihrem Zimmer und blickte hoch auf ein Gemälde. Es zeigte die Geschichte, wie Jupiter einen goldenen Regenschauer in den Schoß der Danaë geschickt haben soll. Auch ich begann, es zu betrachten. Und weil jener einst ein ganz ähnliches Spiel gespielt hatte, war mein Herz umso mehr voll Freude. Ein Gott hatte sich in einen Menschen verwandelt und war auf ein fremdes Haus gestiegen. Er kam durch das offene Dach, um einer Frau einen Streich zu spielen. Und was für ein Gott! Einer, der die höchsten Bezirke des Himmels durch seinen Donner erbeben lässt. Sollte ich, ein einfaches Menschlein, nicht dasselbe tun? In der Tat habe ich es so gemacht – und mit Vergnügen! 35

Mehrere Parallelen zwischen den Vergewaltigern bei Petron und Terenz werden deutlich. So wie sich Ascyltus als zweiter Tarquinius präsentiert (Tarquinium invenisti, Petr. 9.5), glaubt Chaerea, direkt in Jupiters Fußstapfen zu folgen (ego

34 Pamphilas sozialer Status zu diesem Zeitpunkt ist nicht eindeutig geklärt: Ihre Vormundin Thais berichtet, dass ihre Mutter Pamphila einst geschenkt bekam, d.h. als Sklavin (Ter. Eun. 108–10). Es gebe jedoch klare Anzeichen, dass es sich bei dem Mädchen um eine freie Bürgerin handele und dass sie mit ihrer Familie wiedervereinigt werden sollte (110–118). In jedem Fall behandelt Thais Pamphila wie eine Bürgerin, da sie sie in ihrem Zimmer von einem Eunuchen bewachen lässt; vgl. Christenson 2013, 264: „in the sexual code of New Comedy, Pamphila is a virgin and potentially eligible for marriage.“ 35 Ter. Eun. 583–91: dum adparatur, virgo in conclavi sedet|suspectans tabulam quandam pictam. ibi inerat pictura haec, Iovem|quo pacto Danaae misisse aiunt quondam in gremium imbrem aureum.|egomet quoque id spectare coepi, et quia consimilem luserat| iam olim ille ludum, inpendio magis animu’ gaudebat mihi,|deum sese in hominem convortisse atque in alienas tegulas|venisse clanculum per inpluvium fucum factum mulieri.|at quem deum! „qui templa caeli summa sonitu concutit.”|ego homuncio hoc non facerem? ego illud vero ita feci – ac lubens.

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homuncio hoc non facerem?, 591).36 Im Eunuchus wird der parodistische Kontrast ebenso deutlich wie in den Satyrica: Chaerea hat so viel gemein mit einem Gott wie Ascyltus mit einer hochgeborenen Figur aus der römischen Frühgeschichte. Überdies beschränkt sich die Parodie in beiden Fällen nicht auf die Vergewaltiger allein. In den Satyrica finden sich Anklänge an Livius (und Ovid) nicht nur in Ascyltus‘ Worten, sondern durchziehen die gesamte Textpassage (vgl. oben). Im Eunuchus wird Chaereas Gedankengang durch ein Gemälde in Pamphilas Zimmer angestoßen, also durch ein Element des (gedachten) Bühnenbildes, das der gesamten Szene einen gewissen ironischen Beigeschmack verleiht. Bei Petron geben die intertextuellen Bezüge zur Geschichtsschreibung den Ereignissen einen erhabenen Klang; bei Terenz entsteht ein ähnlicher Effekt durch Anspielungen auf die Tragödie und möglicherweise auf das Epos: In seinem Eunuchus-Kommentar aus dem vierten nachchristlichen Jahrhundert hält Donat fest, dass sonitu concutit (590) eine Parodie des Ennius (parodia de Ennio) darstelle und dass templa caeli summa (ebd.) tragisch sei, und zwar absichtlich, nicht versehentlich (tragice, sed de industria, non errore). Des Weiteren steht Chaerea Ascyltus in nichts nach, wenn es um das Rollenspiel geht bzw. darum, sexuelle Gewalt als eine Lappalie abzutun. Zum einen spielt er ganz bewusst die Rolle eines Eunuchen; zum anderen erwähnt er explizit, dass er die Vergewaltigung als ein Spiel (luserat, 586; ludum, 587) oder als eine Art Streich (fucum, 589) betrachtet.37 Trotz dieser schlagenden Parallelen müssen wir uns bewusst machen, dass das Ergebnis der petronischen Episode und der Terenz-Komödie kaum unterschiedlicher sein könnte. Obwohl einiges an Überzeugungskraft nötig ist, tut Chaerea letztendlich das, was die meisten Vergewaltiger der Komödie tun, um ihr Fehlverhalten (teilweise) wiedergutzumachen: Er gibt an, sein Opfer zu lieben und bittet darum, das Mädchen heiraten zu dürfen (877–8, 888). Während es einem modernen Publikum abstoßend erscheinen mag, dass ein Opfer von sexueller Gewalt seinen Angreifer heiraten sollte, gibt es Hinweise darauf, dass diese Option in der Antike nicht gänzlich unattraktiv war. Für Mädchen, die vergewaltigt worden waren und – schlimmer noch – ein uneheliches Kind in sich trugen, war es praktisch unmöglich, einen respektablen Ehemann zu finden. Unter Umständen war der einzige Mann, der sich zu einer Ehe mit ihr bewegen lassen konnte, der Vergewaltiger selbst. Aus Sicht der Angehörigen des Opfers war diese Heirat eine Möglichkeit, die Schande (teilweise) auszuradieren, die ihre Tochter und die Familie insgesamt erfahren hatten.38 Dieses Kalkül setzt freilich voraus – wie es in der Neuen Komödie stets der Fall ist – dass der Vergewaltiger aus einer angesehenen bürgerlichen Familie stammt. Wir sollten uns außerdem vor Augen halten, dass bei antiken Eheschließungen der Wille der Frau nur eine untergeordnete Rolle spielte. Was zählte, war der Wille ihres Vaters oder eines 36 Für einen ähnlichen Gedankengang, vgl. auch Ar. Nu. 1076–82. 37 Zur Metatheatralität der gesamten Szene, vgl. Christenson 2013, 265, 269–73. 38 Vgl. z.B. Pierce 1997, 178 sowie Riess 2012, 356. Harris 2004, 50 verweist auf die Gesetzgebungen mehrerer Länder in Süd- und Zentralamerika, die Vergewaltiger noch bis in die späten 1990-er Jahre dazu anhielten, ihre Opfer zu heiraten.

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anderen (männlichen) Vormunds. Von dieser Perspektive aus betrachtet mag die genaue Intention des Vergewaltigers einen Einfluss auf seine wahrgenommene Schuld gehabt haben. Wenn er wirklich aus Liebe gehandelt hatte, bedeutete dies, dass er die Ehre des Vaters bzw. Vormunds nicht absichtlich hatte verletzen wollen. Letzteres konnte unter Umständen als schlimmeres Vergehen ausgelegt werden als die Vergewaltigung an sich.39 Während Chaerea und andere Vergewaltiger der Komödie ihr Vergehen in gewissem Maße wiedergutmachen, sucht man in der Episode der Satyrica vergeblich nach Reue oder Sühne. Ascyltus scheint zu keinem Zeitpunkt zu glauben, etwas falsch gemacht zu haben. Er gibt nicht einmal an, aus Liebe zu Giton gehandelt zu haben, oder bringt sonstige Ausreden hervor. Weder Encolpius noch irgendjemand sonst führt ihn einer Strafe zu. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags werde ich darlegen, dass die Art und Weise, wie Giton behandelt wird – und insbesondere die mangelnde Empathie für ihn – wesentlich von seinem niederen sozialen Status abhängt. Während der erste Teil der petronischen Episode eine gewisse Nähe zum Vergewaltigungsplot der Neuen Komödie ausweist, ist der Rest des Textes eher mit solchen (possenhaften) Komödien vergleichbar, die sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen und Sklaven zum Inhalt haben. Sexuelle Gewalt gegen versklavte Personen und ähnliche Figuren Obwohl Encolpius, Ascyltus und Giton sich offensichtlich als Trickbetrüger und Parasiten durchs Leben schlagen und insofern eine niedere gesellschaftliche Position einnehmen, bleibt ihr genauer sozialer Status doch unklar. Die relevanten Informationen sind nicht eindeutig, insbesondere weil große Teile des Texts verloren sind und viele Figuren der Satyrica ständig unterschiedliche Rollen spielen. Die meisten Forscherinnen und Forscher halten die drei Protagonisten für freie Bürger, wobei offenbleiben muss, ob es sich um Freigeborene oder um Freigelassene handelt.40 Für meine Interpretation der hier besprochenen Episode ist entscheidend, dass Giton häufig eine untergeordnete bzw. untergebene Position im Trio einnimmt. Zunächst einmal ist er jünger als seine beiden Gefährten41 und

39 Vgl. Rosivach 1998, 47–48 sowie Harris 2004, 74–75. 40 Habermehl 2006, XVIII–XIX und Breitenstein 2009, XVI–XVII glauben, dass es sich bei Encolpius, Ascyltus und Giton um freigeborene römische Bürger handelt, wohingegen Courtney 2001, 41 argumentiert, dass sie als Freigelassene (von unklarer ethnischer Herkunft) zu verstehen seien. Jensson 2004, 110 hält sie für (griechische) exules von außerhalb des römischen Territoriums. Für einen Überblick über die relevanten Textstellen, vgl. Richlin 2009, 86–8. 41 Giton wird wiederholt als Junge (puer, vgl. unten) und einmal explizit als sechzehnjährig bezeichnet (cf. Petr. 97.2). Encolpius und Ascyltus wiederum sind adulescentes (vgl. z.B. Petr. 3.1, 20.6), d.h. sexuell reife junge Männer, vgl. Richardson 1984, 112.

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(„unterwürfigen“) Partners zu spielen.42 Hinzu kommt, dass er zweimal explizit als Sklave bzw. Diener bezeichnet wird: Gitona libentissime servile officium tuentem („Giton, der sehr gerne den Aufgaben eines Sklaven nachging,“ Petr. 26.10); scires non libenter servire ( „man konnte sehen, dass er nicht gerne als Sklave diente,“ 91.1).43 Wenn Ascyltus Giton von Encolpius zurückfordert, nennt er den Jungen seinen entlaufenen Sklaven (fugitivum suum, 97.10).44 Darüber hinaus gehen mehrere Figuren außerhalb des Trios – nämlich Quartilla (24.5) und Hermeros (58.1– 2) – offenkundig davon aus, dass es sich bei Giton um einen Sklaven handelt.45 Wir sollten außerdem beachten, dass der Begriff puer („Junge“), mit dem Giton wiederholt betitelt wird (vgl. z.B. 9.2, 9.10, 11.1), in der römischen Literatur häufig „(junger) Sklave“ bedeutet.46 Im engeren Sinne kann der Begriff einen „Lustknaben“ bezeichnen, also einen Sklaven, der sexuelle Dienste für seinen Besitzer verrichtet.47 In den Komödien des Plautus machen diese pueri delicati einen eigenen Charaktertypus aus, dessen prominenteste Vertreter Paegnium im Persa und Pinacium im Stichus sind.48 In der jeweiligen Übersicht der dramatis personae heißen diese Figuren lediglich pueri. Ihre Namen – Paegnium („Spielzeug“) und Pinacium („kleines Gemälde“) – werden in der Regel in einem erotischen Sinne verstanden. Dasselbe trifft auf Gitons Namen („Nachbar“) zu.49 Zwar lassen sich keine endgültigen Schlüsse auf Gitons sozialen Status ziehen, jedoch ist die schiere Anzahl solcher Aspekte, die ihn in die Nähe von Sklaven rücken, für sich genommen bereits ein beachtlicher Befund. Gerade in den Satyrica, wo der Schein häufig nicht weniger bedeutsam ist als das Sein, sollten wir diese Seite von Gitons Figur nicht ignorieren. Nimmt man Gitons sklavenhafte Züge nun zur Kenntnis, so kommt man kaum umhin, schlagende Parallelen zwischen der petronischen Episode und einer Reihe von possenhaften Komödien festzustellen. Sowohl bei Petron als auch bei Plautus werden Vergewaltigungsplots zu Farcen, in 42 Vgl. Richlin 2009, 85: „Everything in the novel suggests that Encolpius and Giton conform to the normative man/boy pair, thus that Encolpius penetrates Giton, though we never see this.“ Zu Penetration als „Unterwerfung,“ vgl. Anm. 13. 43 Viel problematischer ist Encolpius’ Aussage, dass sich Giton einst in einem Sklaven-Gefängnis (ergastulum, Petr. 81.5) aufhielt; vgl. Courtney 2001, 41 und Habermehl 2006, XIX für zwei gegensätzliche Interpretationen dieser Stelle. 44 Zuvor hatte Ascyltus ausgesagt, Giton solle zumindest die Freiheit haben, sich seinen „Bruder“ auszusuchen (sit illi saltem in eligendo fratre [salva] libertas, Petr. 80.5). 45 Ich gehe hier nicht auf die Croton-Episode ein, wo Encolpius und Giton vorsätzlich die Rolle von Eumolpus’ Sklaven spielen (vgl. Petr. 117.6). Für eine detaillierte Diskussion von Giton „sklavischen“ Eigenschaften, vgl. Clark 2019, besonders 25–50. 46 Vgl. Oxford Latin Dictionary s.v. „puer 5“; Thesaurus Linguae Latinae s.v. „puer II.B.1.b.“ In den Satyrica, vgl. z.B. 54.5: venit decretum Trimalchionis quo puerum iussit liberum esse („es erging ein Erlass Trimalchios, dass der Junge frei sein sollte“). 47 Vgl. Oxford Latin Dictionary s.v. „puer 3“; Thesaurus Linguae Latinae s.v. „puer II.B.1.d.“ 48 Zu pueri delicati in der römischen Komödie, vgl. Lilja 1983, 16–20; Williams 2010a, 36–8; Richlin 2017, 105–15. 49 Zu Gitons Namen, vgl. Habermehl 2006, XVI Anm. 20 mit Verweisen auf weiterführende Literatur. Clark 2019, 99–122 diskutiert einige weitere Verbindungspunkte zwischen Giton und den Sklavenfiguren der Komödie (insbesondere den servi callidi).

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denen das Leid von Sklavinnen, Sklaven und vergleichbaren Figuren nicht mehr als eine Nebensächlichkeit darstellt. Im antiken Griechenland und Rom hing die Bewertung einer Vergewaltigung stark vom sozialen Status des Opfers ab. Während ein sexueller Übergriff gegen eine freie Bürgerin bzw. einen freien Bürger ein Verbrechen mit ernsten Folgen darstellte,50 wurde sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen und Sklaven als eine völlig andere Angelegenheit begriffen: Aus juristischer Sicht hatten Sklavenbesitzer jedes Recht, mit ihren Sklavinnen und Sklaven Sex zu haben, wie es ihnen beliebte – deren Einverständnis war nicht erforderlich.51 Wenn sich Sklavenbesitzer in Komödien an versklavte Mädchen bzw. Frauen heranmachen, führt dies in der Regel zu Konflikten innerhalb seiner Familie: Wenn Aulus Gellius (2.23.8) die Komödie Plocium des Römers Caecilius Statius mit dessen menandrischer Vorlage vergleicht, erwähnt er, dass in diesem Stück ein alter Mann den Verlust eines hübschen Sklavenmädchens bedauert; seine Frau bestand darauf, dass er diese (mögliche) Mätresse verkaufte. Ähnliche Handlungsverläufe finden sich in Plautus’ Mercator und Casina: Beide Komödien setzen voraus, dass Sklavinnen ihren Herren sexuell zu Diensten sein müssen. Im Mercator verliebt sich der senex Demipho in eine Prostituierte namens Pasicompsa und entschließt sich, sie zu kaufen. Dem alten Mann ist unbekannt, dass Pasicompsa die Geliebte seines eigenen Sohnes ist. Da sich Demipho vor seiner eifersüchtigen Ehefrau Dorippa fürchtet und ihren Verdacht nicht nähren möchte, bittet er seinen Freund Lysimachus, das Mädchen zunächst in seinem Haus zu behalten. Als sich jedoch herausstellt, dass die Ehefrau des Lysimachus nicht weniger eifersüchtig ist als die des Demipho, wendet sich das Schicksal gegen den lüsternen alten Mann. Letztendlich lässt er sich dazu veranlassen, Pasicompsa seinem Sohn zu übergeben. Die Handlung der Casina wiederum basiert auf der Vorannahme, dass ein Sklavenbesitzer frei über die sexuellen Dienste einer Sklavin verfügen kann, insofern diese mit einem Sklaven aus seinem Besitz „verheiratet“ ist.52 Der senex Lysidamus setzt sich in diesem Stück deshalb für die Heirat zwischen der schönen Sklavin Casina und seinem Sklaven Olympio ein, weil er selbst Anspruch darauf erhebt, die Hochzeitsnacht mit ihr zu verbringen. Das Problem des Sklavenbesitzers besteht – ähnlich wie im Mercator – darin, dass sich sein eigener Sohn Euthynicus in Casina verliebt hat. Da Euthynicus in der eigentlichen Bühnenhandlung nicht vorkommt, werden seine Interessen von Lysidamus‘ Ehefrau Cleostrata vertreten. Sie versucht, Casina mit dem Sklaven Chalinus zu verheiraten, da dies das Mädchen von Lysidamus fernhalten und sie zugleich Euthynicus (sexuell) verfügbar machen würde. Als sowohl Lysidamus als auch Olympio in der Hochzeitsnacht gegen ihren Willen mit Casina schlafen möchten, tappen sie in Cleostratas Falle: Sie finden nicht Casina im Bett vor, sondern den in 50 Zur Bestrafung von sexueller Gewalt gegen freie Bürgerinnen bzw. Bürger, vgl. Doblhofer 1994, 47–82; Robson 2013, 110–13. 51 Cohen 2014 gibt einen Überblick darüber, welche sexuellen Rechte Sklavinnen und Sklaven in der Antike zukamen. Zu Sex mit versklavten Personen in der Komödie, vgl. auch Richlin 2017, 105–26 und Witzke 2020, 343–44 mit Verweis auf weiterführende Literatur. 52 Zur „Sklavenehe“ in der antiken Komödie, vgl. Cox 2013, 171–2 mit Verweis auf weiterführende Literatur.

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nicht Casina im Bett vor, sondern den in einen Schleier gehüllten Sklaven Chalinus. Am Ende des Stücks stecken Lysidamus und Olympio einiges an Prügel ein und werden von ihren Gegenspielerinnen ausgiebig verspottet.53 Zwar haben alle gerade erwähnten Komödien – im Gegensatz zu den Satyrica – sexuelle Gewalt gegen Mädchen bzw. Frauen zum Inhalt, jedoch gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die komische Tradition auch männliche Opfer solcher Gewalttaten kannte. Zu den bekanntesten Raub- bzw. Vergewaltigungsgeschichten, bei denen Täter wie Opfer männlich sind, zählen diejenigen von Laios und Chrysippos sowie von Zeus und Ganymed. Wie wir aus erhaltenen Komödientiteln schließen können, wurden beide Stoffe auf der Bühne behandelt.54 Zudem wurde bereits erwähnt, dass pueri delicati, die ihren Besitzern (auch gegen ihren Willen) zu sexuellen Diensten verpflichtet waren, recht häufig im plautinischen Oeuvre vorkommen. Da offenbar viele Stücke homoerotischen Inhalts verloren gegangen sind, könnten solche Komödienplots, wie sie uns im Mercator oder der Casina greifbar sind, durchaus auch sexuelle Gewalt gegen Jungen bzw. Männer zum Inhalt gehabt haben.55 Der Zweck des obigen Überblicks besteht darin, die große Nähe zwischen den Satyrica und der griechisch-römischen Komödie aufzuzeigen. Gerade solche Stücke, die sexuelle Gewalt gegen versklavte Menschen zum Inhalt haben, weisen schlagende Parallelen zur hier untersuchten petronischen Episode auf. Wenn es um die Verharmlosung sexueller Gewalt geht, so bringen sowohl Petron als auch Plautus eine wichtige Technik zur Anwendung, die für ein modernes Publikum zunächst schwer nachzuvollziehen ist: Sie ersetzen freie Opfer durch Sklavinnen, Sklaven oder andere ‚niedere‘ Figuren und entfernen damit die meisten rechtlichen und sozialen Probleme, die sonst mit Vergewaltigungen in Verbindung stehen. Während sich Stücke nach dem menandrischen Muster mit dem Ansehen von freien Bürgerinnen und mit der Rechtmäßigkeit ihres Nachwuchses befassen, spielen solche Fragen schlechterdings keine Rolle, wenn es um sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen und Sklaven geht. Denn genau wie Giton können diese Figuren auf der 53 Aus dem Prolog (Pl. Cas. 81–2) und dem Epilog (1013–4) des Stückes erfahren wir, dass Casina sich letztendlich als freie Bürgerin erweisen und Euthynicus heiraten wird. Innerhalb der erhaltenen Handlung wird sie jedoch eindeutig wie ein Stück persönlichen Eigentums behandelt, vgl. z.B. 193–5 sowie 260–2. Das Verhalten von Olympio und Lysidamus wird deshalb nicht durch Casinas (später erkannten) Status als Freie problematisiert, da die Männer nie tatsächlich Sex mit ihr haben, vgl. 81–3. 54 Strattis und Plato Comicus, Autoren der Alten Komödie, verfassten einen Chrysippos bzw. einen Laios. In der Zeit der mittleren Komödie schrieben Eubulus und Antiphanes jeweils einen Ganymedes; vgl. Hubbard 2003, 88. Zum Element der Gewalt in Darstellungen des Ganymeds, vgl. Dover 1978, 93. 55 Zur Häufigkeit des homoerotischen Elements in der römischen Komödie, vgl. z.B. die Aussage Quintilians (Inst. 10.1.100) über den Komödiendichter Afranius: togatis excellit Afranius: utinam non inquinasset argumenta puerorum foedis amoribus („Afranius zeichnet sich in der togata aus: Hätte er nur nicht seine Plots durch schändliche Knabenliebe befleckt“). Wie Williams 2010a, 103 klarstellt, muss Quintilian hier allerdings an freie Jungen, nicht an Sklaven, denken. Für einen Überblick über sexuelle Verhältnisse zwischen Männern in der antiken Komödie, vgl. Dover 1978, 135–53; Lilja 1983, 15–50; Hubbard 2003, 86–117.

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gesellschaftlichen Leiter ohnehin nicht noch weiter nach unten fallen. Da sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen und Sklaven keine ernsthaften rechtlichen und/oder sozialen Folgen nach sich zieht, wirken die entsprechenden Komödien nicht auf eine Hochzeit hin, die die anfängliche Problemlage auflöst, sondern konzentrieren sich stattdessen auf innerfamiliäre Konflikte. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, werden sowohl in Plautus’ Casina als auch in den Satyrica die Gräuel sexueller Gewalt durch das Motiv der Rivalität fast vollständig ausgeblendet. Vorab bleibt noch eine wichtige Ergänzung zu machen: Um die petronische Episode im Kontext solcher Komödien zu verstehen, die sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen und Sklaven zum Inhalt haben, müssen wir nicht zwangsläufig annehmen, dass Encolpius oder Ascyltus Giton tatsächlich besitzen. Meine bisherigen Bemerkungen zur Bewertung sexueller Übergriffe waren auf zwei spezifische Konstellationen beschränkt: a) die Vergewaltigung einer freien Bürgerin bzw. eines freien Bürgers, die ersthafte Folgen nach sich zog und b) die Vergewaltigung einer versklavten Person im eigenen Besitz, die keinerlei rechtliche Konsequenzen hatte. Zwischen diesen beiden Szenarien, die sozusagen die Extrempunkte des Spektrums bilden, existiert jedoch (mindestens) ein weiteres: Wenn ein Mann eine versklavte Person vergewaltigte, die jemand anderem gehörte, so kam dies einer Art von Sachbeschädigung gleich.56 So ein „geringfügiges Vergehen“ führt uns zurück zum Vergewaltigungsplot im Eunuchus des Terenz. Nach der Tat wird Chaerea von Pamphilas Vormundin Thais und von deren Sklavin Pythias zur Rede gestellt. Der Vergewaltiger bemüht die folgende Ausrede: Thais: Chaerea:

quid feceras? paullum quiddam.

Pythias:

Chaerea:

eho, „paullum,“ impudens? an paullum hoc esse tibi videtur, virginem vitiare civem? conservam esse credidi.

Pythias:

conservam! vix me contineo quin involem in capillum, monstrum: etiam ultro derisum advenit. (Ter. Eu. 856–60)

Thais:

Was hattest du getan?

Chaerea:

Nur eine Kleinigkeit.

Pythias:

Oho, nur „eine Kleinigkeit“, du Unverschämter? Scheint es dir etwa eine Kleinigkeit zu sein, ein bürgerliches Mädchen zu vergewaltigen?

Chaerea:

Ich glaubte, sie wäre eine Sklavin wie ich.

Pythias:

Eine Sklavin wie du? Ich kann mich kaum zurückhalten, dir ins Haar zu springen,

56 Vgl. z.B. Cohen 2014, 194.

Die Verharmlosung sexueller Gewalt in Petrons Satyrica

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du Scheusal. Zu allem Überfluss kommt er her, um sich über uns lustig zu machen.

Chaereas Behauptung, Pamphila sei eine Mitsklavin (conserva), beruht zum einem auf seinem Irrglauben, dass es sich bei dem Mädchen um eine Sklavin handele (vgl. oben). Zum anderen wird deutlich, dass Chaerea sich weiterhin als eine andere Person ausgibt, nämlich als der (versklavte) Eunuch, der Pamphila hatte bewachen sollen. Chaerea tut die Vergewaltigung einer conserva unverblümt als eine Kleinigkeit ab (paullum quiddam). Wie Donat in seinem Kommentar herausstellt, betont Pythias’ Antwort (virginem|vitiare civem) Pamphilas sozialen Status: bene intulit civem, quod plus est etiam virginem vitiare: αὔξησις gradatim facta („Geschickt hat sie (das Wort) civem [Bürgerin] eingebracht, was noch schlimmer ist als virginem vitiare [ein Mädchen zu vergewaltigen]: Die Steigerung erfolgt Schritt für Schritt“).57 Hierdurch bestätigt Pythias implizit Chaereas Annahme, dass es sich bei der Vergewaltigung einer Sklavin um ein geringfügiges Vergehen handele. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass der (wahrgenommene) soziale Status einer Person ganz entscheidend mitbestimmte, wie ein sexueller Übergriff gegen sie bewertet wurde. Lüsternheit, Eifersucht und Rivalität Das Motiv der „Untreue in der Ehe“, das Panayotakis zurecht als Bindeglied zwischen den Satyrica und der Komödie betrachtet (vgl. oben), findet sich gerade in solchen Stücken, die sich um innerfamiliäre Konflikte drehen, wie beispielsweise Plautus’ Mercator und Casina. Es lassen sich grobe Entsprechungen zwischen den beteiligten Figuren festhalten: Ascyltus übernimmt die Rolle des lüsternen Ehemanns (Demipho, Lysidamus), Encolpius die der eifersüchtigen Ehefrau (Dorippa, Cleostrata), und Giton die der begehrenswerten versklavten Person (Pasicompsa, Casina). Die Parallelen enden jedoch nicht hier. Meines Erachtens gibt es ein weiteres verbindendes Element zwischen der petronischen Episode und der komischen Tradition: Das Motiv der Rivalität und des (sexuellen) Wettkampfs. Indem der Erzähler Gitons Perspektive unmittelbar nach seiner Anschuldigung gegen Ascyltus ausblendet, lenkt er die Aufmerksamkeit des Publikums nicht (weiter) auf die Vergewaltigung an sich, sondern auf die Auseinandersetzung zwischen Encolpius und Ascyltus, die der sexuelle Übergriff auslöst. In ähnlicher Weise wird Encolpius noch häufiger gegen Nebenbuhler um Giton zu kämpfen haben.58 Dieses Element der Rivalität, das in vielen Plots der Neuen Komödie vorkommt, ist vielleicht nirgendwo so stark ausgeprägt wie in der Casina, wo wir nicht weniger als drei rivalisierende Paare vorfinden: Erstens wetteifern Lysidamus und sein Sohn Euthynicus um das sexuelle Zugriffsrecht auf Casina, wobei Euthynicus durch seine Mutter Cleostrata vertreten wird. Das zweite Rivalenpaar besteht aus 57 Don. Ter. Eu. 857. 58 Vgl. v.a. Petr. 79–82 und 91–99.

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besteht aus den Sklaven Olympio und Chalinus, die selbst alles daransetzen, Casina zu heiraten und Sex mit ihr zu haben. Drittens existiert eine direkte Rivalität zwischen Lysidamus und Olympio – ungeachtet dessen, dass beide in der Vergangenheit ein sexuelles Verhältnis miteinander hatten.59 In der Hochzeitsnacht wetteifern sie darum, wer von ihnen zuerst Sex mit Casina haben kann. Die Art und Weise, wie das Motiv der Rivalität sowohl Petrons Episode als auch Plautus’ Casina bestimmt, soll hier lediglich anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: am Überbietungswettkampf der Rivalen und am dem damit verbundenen Phänomen der Inversion. Wie in der Forschung mehrfach angemerkt wurde, besteht einer der beeindruckendsten Aspekte der petronischen Episode in dem Rollenwechsel, den Encolpius und Ascyltus vollziehen.60 Zu Beginn will Ascyltus Sex mit Giton haben; Encolpius taucht auf und erhebt Vorwürfe gegen Ascyltus (9.6). Wie wir bereits angemerkt haben, besteht Ascyltus’ Reaktion darin, das Verhalten seines Gegenübers nachzuahmen und noch zu übertreiben: Er hebt die Hände noch drohender als Encolpius und ruft seine Widerworte mit noch größerer Heftigkeit (sublatis fortius manibus longe maiore nisu clamavit, 9.7). Die Technik des Spiegelns und Übersteigerns ist sogar auf der Wortebene sichtbar: Hatte Encolpius dem Ascyltus einen beleidigenden Ausdruck (muliebris patientiae scortum, 9.6) in Verbindung mit einem Relativsatz (cuius…, 9.6) an den Kopf geworfen, so antwortet Ascyltus ihm mit zwei solchen Ausdrücken (gladiator obscene … nocturne percussor, 9.8–9) in Verbindung mit gleich drei solchen Relativsätzen (quem… qui … cuius…, ebd.).61 Die Umkehrung ihrer Rollen ist perfekt, wenn Encolpius sich im Anschluss gegenüber Giton so verhält, wie Ascyltus es zuvor getan hatte: Nach der (kurzen) Trennung ist Encolpius derjenige, der unbedingt Sex mit Giton haben will (10.7), und Ascyltus ist derjenige, der plötzlich auftaucht und Vorwürfe erhebt (11.2–4). Die Technik des Nachahmens/Spiegelns bzw. der Inversion ist freilich ein Gemeinplatz der Komödie. Man mag etwa an Dionysos und Xanthias denken, die im Laufe ihrer katabasis wiederholt ihre Verkleidung austauschen (Ar. Ra. 494– 673), oder an Jupiter und Merkur, die das exakte Aussehen von Amphitruo und Sosia annehmen (Pl. Am.). In Plautus’ Casina finden sich allerdings Parallelen, die auch thematisch nah an die Satyrica heranreichen. Ähnlich wie Ascyltus und Encolpius gehen die plautinischen Rivalen nach dem Prinzip „Gleiches mit Gleichem vergelten“ vor. Wenn Lysidamus beispielsweise herausfindet, dass Chalinus seine Pläne durchkreuzen könnte, bietet er dem Sklaven seine Freilassung an; freilich unter der Bedingung, dass er sich von Casina fernhalte (Pl. Cas. 290– 2). Um ihrem Ehemann entgegenzuwirken, unterbreitet Cleostrata kurz später Olympio dasselbe Angebot (314–6). Sie reagiert in ähnlicher Weise, wenn

59 Vgl. hierzu Pl. Cas. 451–66, 723–45 sowie Cody 1976. 60 Vgl. z.B. Ciaffi 1955, 28; Gagliardi 1980, 48; Lefèvre 2007, 162; Breitenstein 2009, 119–20; Williams 2010b, 31. 61 Zur Symmetrie zwischen Encolpius’ und Ascyltus’ Worten und Taten, vgl. Lefèvre 2007, 87; Breitenstein 2009, 119–20.

Die Verharmlosung sexueller Gewalt in Petrons Satyrica

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Lysidamus den Olympio auffordert, seinen Widersacher Chalinus zu schlagen (Pl. Cas. 404–8): Lysidamus: percide os tu illi odio. age, ecquid fit? cave obiexis manum. Olympio:

compressan palma an porrecta ferio?

Lysidamus:

age ut vis.

Olympio:

em tibi!

Cleostrata: quid tibi instunc tactio est? Olympio:

quia Iuppiter iussit meus.

Cleostrata: feri malam, ut ille, rusum. Olympio:

perii! pugnis caedor, Iuppiter.

Lysidamus: quid tibi tactio hunc fuit? Chalinus:

quia iussit haec Iuno mea.

Lysidamus: (zu Olympio) Schlag diesem Scheusal ins Gesicht! Worauf wartest du? (zu Chalinus) Wehe, du erhebst deine Hand! Olympio:

Soll ich mit der Faust oder mit der flachen Hand zuschlagen?

Lysidamus: Mach, wie du willst. Olympio:

(schlägt Chalinus) Nimm das!

Cleostrata: Warum schlägst du ihn? Olympio:

Weil mein Jupiter es befohlen hat.

Cleostrata: (zu Chalinus) Schlag ihn zurück auf den Kiefer, wie er. (Chalinus gehorcht) Olympio:

Oh nein, ich werde mit Fäusten geschlagen, Jupiter.

Lysidamus: Warum hast du ihn geschlagen? Chalinus:

Weil meine Juno es befohlen hat.

Diese Passage ist eine von vielen in der komischen Tradition, in der die gleichen Elemente wie in den Satyrica zusammenkommen. Genau wie Ascyltus spiegelt Cleostrata das Verhalten ihres Widersachers, um ihm eins auszuwischen (feri malam, ut ille, rusum). Chalinus seinerseits wendet – ähnlich wie Ascyltus – Olympios eigene Worte gegen ihn (quia iussit haec Iuno mea). Der Rollenwechsel ist an mehreren Stellen sprachlich markiert (z.B. quid tibi istunc tactio est?; vgl. quid tibi tactio hunc fuit?). Insgesamt drängt sowohl bei Plautus als auch bei Petron

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die ausführliche (und possenhafte) Darstellung von Rivalität das Thema der sexuellen Gewalt weit in den Hintergrund. Fazit Am Anfang dieses Beitrags stand die Einsicht, dass sexuelle Gewalttaten nicht universell verurteilt wurden und werden, sondern dass bestimmte soziohistorische Umstände die Bewertung einer solchen Tat (stark) mitbestimmen können. Petron, so wollte ich zeigen, hat in der besprochenen Episode ein Umfeld erschaffen, das die grausamen Aspekte einer Vergewaltigung abmilderte – ja sogar ins Gegenteil verkehrte – und die Thematik für ein possenhaftes Erzähl-Spektakel fruchtbar machte. Im Einzelnen ließen sich (mindestens) vier Techniken zur Verharmlosung sexueller Gewalt beobachten: 1) Mithilfe seines Erzählers parodiert Petron die berühmt-berüchtigte Vergewaltigung der Lucretia nach Livius und Ovid. Durch den parodistischen Kontrast lässt er die Gewalt, die Giton erleidet, als eine unbedeutende Lappalie erscheinen. 2) Manche – oder sogar alle? – von Petrons Figuren betätigen sich offenbar bewusst in einer Art Rollenspiel und erwecken dadurch den Anschein, beim sexuellen Übergriff auf Giton handele es sich um eine Art (Schau-)Spiel. 3) Petron besetzt die Rolle des Vergewaltigungsopfers mit dem sklavenhaften Giton und schafft so vielerlei rechtliche und soziale Probleme aus dem Weg, die die Vergewaltigung einer freien und angesehenen Person nach sich ziehen würde. 4) Mithilfe seines Erzählers stellt Petron die Rivalität zwischen Encolpius und Ascyltus in den Mittelpunkt der Episode. Hierdurch lenkt er die Aufmerksamkeit seines Publikums weg von den Gräueln der sexuellen Gewalt, die zu ihrer Problematisierung hätten Anlass geben können. Wie im zweiten Teil des Beitrags gezeigt werden konnte, kamen alle diese Techniken bereits deutlich vor Petrons Zeit auf der Komödienbühne zur Anwendung. Von besonderer Relevanz sind hier solche Stücke, die sexuelle Gewalt gegen freie Bürgerinnen oder aber gegen versklavte Personen zum Inhalt haben. Es ist wichtig anzumerken, dass die oben genannten Techniken nicht voneinander unabhängig sind. Gitons niederer sozialer Status ist nicht nur relevant für die (hypothetischen) rechtlichen und sozialen Konsequenzen der Vergewaltigung, sondern stellt auch einen zentralen Bestandteil der LucretiaParodie dar. Des Weiteren ist die Parodie eng mit dem Rollenspiel verzahnt, insofern als sich Ascyltus vorsätzlich als ein zweiter Tarquinius inszeniert. Zu Beginn mag man vermutet haben, dass die Verharmlosung sexueller Gewalt allen voran vom Vergewaltiger Ascyltus ausgeht. Eine eingehende Analyse konnte jedoch zeigen, dass verschiedenste Elemente der Episode zu diesem Effekt beitragen: Die Worte und Handlungen von Ascyltus, Encolpius (und vielleicht sogar Giton) wirken zusammen mit der sorgfältigen Auswahl von Informationen durch den Erzähler und mit dem gezielten Aufrufen von wohlbekannten Prätexten. Bemerkenswerterweise konnten wir feststellen, dass die Darstellung sexueller Gewalt in der Komödie ein ähnlich komplexes Zusammenspiel verschiedener Elemente mit sich bringen konnte: In Terenz’ Eunuchus scheint eine Kombination

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aus mehreren Faktoren – Chaereas Arroganz, Pamphilas wahrgenommener niederer Status, die Ennius-Parodie und das Gemälde in Pamphilas Zimmer – einen Effekt zu erzeugen, der dem der petronischen Episode verblüffend nahekommt.

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DER KAISERLICHE FREUNDSCHAFTSENTZUG ALS INSTRUMENT DER GEWALT UND ORDNUNG IM IMPERIUM ROMANUM Eine neue Interpretation des Niedergangs von C. Cornelius Gallus und M. Lollius Jean Coert Es mag eventuell verwundern, dass in einem Sammelband, der sich dem Phänomen der Gewalt in der Antike widmet, ein Beitrag zum kaiserlichen Freundschaftsentzug zu finden ist. Intuitiv assoziiert man mit dem Terminus Gewalt Formen der physischen Schädigung und auch die altertumswissenschaftliche Gewaltforschung hat sich bisher auf solche Aspekte konzentriert.1 Untersuchungen zu psychischer bzw. sprachlicher Gewalt in der Antike stellen hingegen noch eine Seltenheit dar, welche erst in den vergangenen Jahren zunehmend auf eine breitere Beachtung gestoßen ist.2 Dies wirkt wie ein Versäumnis, da antike Gesellschaften für solche Forschungsinteressen ein außerordentlich fruchtbares Potenzial bieten. Griechische und römische Eliten definierten sich im großen Maß über Ehre und Reputation, sodass ein Angriff auf ihr öffentliches Ansehen bisweilen schwerwiegenderen Schaden anrichten konnte als ein bewaffneter Konflikt. So sind mannigfach Fälle dokumentiert, in denen Ehrverletzungen oder Rufverlust zu Ausgrenzung und sozialer Ächtung führten. Manche Individuen wählten sogar infolge solcher diffamierenden Angriffe auf ihre Person den Freitod, um der erfahrenen Schmach zu entgehen oder das Ansehen ihrer Familie wiederherzustellen.3 Solche Reaktionen zeigen unverkennbar, dass nicht-physische, soziale Interaktionen Gewalt4 darstellen bzw. zu Gewalt führen und gravierende Effekte auf Einzelpersonen haben konnten.

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Für hilfreiche Kritik sowie den anregenden und bereichernden Austausch zum Text danke ich herzlich Tassilo Schmitt und Oliver Bräckel. Ebenso bedanke ich mich herzlich bei Elena Gazina, Alexander Hillger, Max Hochschild, Lea Schönfeld, Leonie Weber und Yannic Zander für die kritische und weiterführende Durchsicht des Manuskripts und insbesondere auch bei Justine Diemke für ihre exzellente redaktionelle Betreuung. Repräsentativ mag dafür der Forschungsbericht von Gilhaus 2017 sein. Ein guter Überblick zu psychischer bzw. sprachlicher Gewalt findet sich auf den einleitenden Seiten 17–19 dieses Sammelbandes, in denen Justine Diemke die Potenziale und bisherigen Forschungsarbeiten aus diesem Teilgebiet der althistorischen Gewaltforschung zusammengestellt hat. Ausführlich zu den Formen und Gründen des Freitodes in der Antike vgl. van Hooff 1990. In Anlehnung an den Soziologen Heinrich Popitz wird in diesem Beitrag Gewalt als eine Machtaktion, welche zur absichtlichen Verletzung führt, verstanden. Zur Soziologie der Gewalt von Heinrich Popitz vgl. Popitz 1986, 68–106.

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Im Rahmen solcher Akte psychischer Gewalt wird die kaiserliche renuntatio amicitiae nachfolgend betrachtet. Dass ein Freundschaftsentzug gewaltsam sei oder Gewalt evozieren kann, mag wohl weder für den modernen noch für den antiken Betrachter selbstverständlich sein. Gewiss verbinden wir in unserer heutigen Zeit zwar mit dem Ende einer Freundschaft meist negative Emotionen, jedoch würde man wohl in den seltensten Fällen von einer Gewaltausübung sprechen. In den Tagen der römischen Republik war es in der Nobilität eine gesellschaftliche Tradition große Freundschaftsnetzwerke aufzubauen, zu kultivieren und bisweilen Freundschaftsverhältnisse wieder formell aufzukündigen. Auch hier hatten die auseinandergehenden Individuen aber in den seltensten Fällen Gewalt durch einen Freundschaftsbruch erfahren.5 Dies ist eine Entwicklung, die man erst mit dem Beginn des frühen Prinzipats beobachten kann und die mit der neuen Sonderstellung des Augustus6 und der nachfolgenden Kaiser zusammenhing. Die extraordinäre Position des Prinzeps in Rom führte dazu, dass ambitionierte Vertreter der römischen Oberschicht dazu angehalten waren die Gunst, im besten Fall die Freundschaft, des Kaisers und/oder seiner Familienglieder zu erlangen, wenn sie Karriere machen, in die hohen Ämter des cursus honorum aufsteigen oder ihre Stellung in einflussreichen Kreisen aufrechterhalten wollten. Augustus und seine Angehörigen förderten nämlich überaus aktiv ihre Günstlinge und Vertrauten und verhalfen ihnen nicht selten zu attraktiven Posten und Würden, die ohne diese Unterstützung schwerlich erreichbar waren.7 Umso verheerender erwiesen sich daher Brüche in diesen guten Verhältnissen zur Kaiserfamilie. Wenn der Prinzeps nobiles die Freundschaft aufkündigte, führte dies zu einem Karriereende für die betreffenden Personen. Die Folge war nicht nur eine Beendigung der kaiserlichen Förderung, sondern de facto auch eine Ächtung unter den Standesgenossen. Andere Senatoren und Ritter mieden in der Regel diese verstoßenen Individuen, um nicht ihr eigenes Verhältnis zum Kaiserhaus zu gefährden. Ovid, der selbst in kaiserliche Ungnade geriet, formulierte diesen Zustand treffend in seinen Tristia: „Wer aber durfte wohl noch mein Freund sein, wenn du mir zürntest?“8 Die Verbannung des Dichters an das Schwarze Meer darf wohl noch als eine milde Strafe gesehen werden, auch wenn Ovid ein anderes Bild

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Vgl. Kierdorf 1987, 228–233. Zu den republikanischen Freundschaftsnetzwerken und den damit verbundenen Traditionen vgl. Rollinger 2014. Der erste Kaiser erlebte eine vielgestaltige Namensgeschichte in der Bürgerkriegszeit und dem beginnenden Prinzipat. Da in diesem Artikel teilweise zwischen den verschiedenen Regierungsjahren des ersten Prinzeps gesprungen wird und der Verwirrung vorgebeugt werden soll, welche die jeweilige Anwendung der zahlreichen Namen des ersten Kaisers mit sich bringen würde, wird in diesem Text die Person Octavian, die im Jahr 27 v.u.Z. den Namen Augustus erhielt, nachfolgend stets als Augustus bezeichnet werden. Zur Nomenklaturgeschichte des ersten Kaisers vgl. Syme 1958. Zum Charakter der kaiserlichen Freundschaft und Patronage vgl. Winterling 2008; Winterling 2011. Ov. Tr. 2, 81 „esse sed irato quis te mihi posset amicus?“ Dt. Übersetzung von Wilhelm Willige.

Der kaiserliche Freundschaftsentzug als Instrument der Gewalt

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in seiner Exilliteratur schildert.9 Häufig fielen in der Nobilität auch jegliche Hemmnisse, Anklagen und Anzeigen gegen die gefallenen Freunde des Prinzeps vorzubringen, sodass diese sich meist in kurzer Zeit nach dem Freundschaftsentzug in Gerichtsprozessen wiederfanden. In der Regel gingen diese sehr zum Nachteil der Angeklagten aus. Es verwundert daher nicht, dass viele der einstigen Freunde des Kaisers direkt nach dem Freundschaftsentzug oder im Anschluss an die Gerichtsurteile den Suizid wählten, um den Folgen dieses Gunstverlustes zu entgehen. Auch wenn die renuntatio amicitiae des Prinzeps der Form nach gewaltlos war, zerstörte sie somit in der Praxis meist das Leben der Betroffenen und führte sehr wohl häufig zu einem gewaltsamen Ergebnis.10 Zutreffend hat daher Wilhelm Kierdorf den kaiserlichen Freundschaftsentzug als „Herrschaftsinstrument“11 bezeichnet, welches als Mittel „zur Kontrolle und Einschüchterung der Oberschicht“ 12 genutzt werden konnte. Während damit bereits das Gewaltpotenzial und die Wirkung des kaiserlichen Freundschaftsentzuges erfasst wurden, sind die konkreten Gründe für die Nutzung dieses Instrumentes bzw. generell seine Anwendungsfelder teils noch nebulös. Exemplarisch dafür sind zwei Fälle aus der augusteischen Ära. Den ersten Präfekten Ägyptens, C. Cornelius Gallus, sowie einen comes des Gaius Caesar, M. Lollius, ereilten im Kontext ihrer jeweiligen Aufenthalte in den Grenzregionen des Reiches solch ein Freundschaftsentzug, der in beiden Fällen einen Suizid provozierte. Mannigfach und keineswegs einheitlich sind die Erklärungsansätze, welche sowohl die antiken als auch die modernen Autoren für diese Vorfälle anbieten und es damit erschweren, ein Urteil über die Gründe der persönlichen Niedergänge zu fällen. Dennoch soll der Artikel ebendies leisten und trotz der scheinbar uneindeutigen Quellenlage die Ursachen für den kaiserlichen Gunstverlust analysieren und identifizieren. So werden in diesem Beitrag die Gründe für den kaiserlichen Freundschaftsentzug sowie für die damit im Konnex stehende Anwendung von Gewalt in den genannten Fällen untersucht und erörtert. Damit verbunden wird eruiert, inwiefern sich die renuntatio amicitiae unter der Ägide des ersten Prinzeps zu einem kaiserlichen Instrument entwickelte, welches gezielt für die Ordnung, die Kontrolle und Gewaltausübung in der Peripherie des Imperium Romanum genutzt wurde. Bevor wir uns den genannten Fragen widmen können, ist es jedoch erforderlich sich mit dem Verhältnis der römischen Oberschicht zu den außeritalischen Gebieten zu beschäftigen, denn dieses hat durch das Wirken des Augustus bereits in den ersten Jahren nach Aktium einen radikalen Wandel erfahren.

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Zu Ovids Exil sowie den Inhalten und dem Charakter der dort produzierten Werke vgl. Holzberg 1997, 181–202. 10 Vgl. Rogers 1959; Baumann 1974, 109–113; Kierdorf 1987, 233–245; Winterling 2008, 309; Winterling 2011, 216. 11 Kierdorf 1987, 245. 12 Ebd. 245.

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Augustus, die Nobilität und die Reglementierung der römischen Peripherie Die Bedeutung, die die Provinzen und Klientelkönigreiche13 im römischen Einflussbereich für Augustus nach den Bürgerkriegen einnahmen, erschließt sich wohl am besten, wenn man ihre Rolle unter jenen Akteuren betrachtet, die maßgeblich die Ordnung der res publica unterminiert hatten. Im 1. Jh. v.u.Z. hatten mehrere republikanische Granden die außeritalischen Gebiete genutzt, um sich opulente Finanzmittel, Prestige durch Kriegszüge, Heeresklientel und mächtige Verbündete und sog. foreign clientelae14, in Form von Königen und provinzialen Eliten, zu verschaffen. Mit diesen Mitteln hatten viele von ihnen ihre Karrieren in Rom vorangetrieben und ihren Einfluss in den dortigen politischen Prozessen steigern sowie stärken können.15 Den Superlativ unter diesen Gestalten stellte wohl Pompeius Magnus dar, der als Patron des Ostens gleichsam einen großen Teil des Reiches in seine persönliche Abhängigkeit gebracht hatte.16 Zurecht sah Christian Wendt hierin eine Zäsur in der republikanischen Geschichte: „Nach ihm konnte endgültig niemand mehr Politik gestalten, wie es in der Republik konsensualer Brauch gewesen war. Neue Konzepte diktiert von Gewalt, persönlicher, nicht institutionalisierter Macht und jedes republikanische Maß sprengendem Personenkult brachen sich nun ungehemmt.“17 Diese persönliche, nicht institutionalisierte Gewalt äußerte sich u.a. darin, dass Pompeius, Caesar, kurzzeitig die Caesarmörder und Antonius komplette Provinzen und Klientelreiche hinter ihren Personen vereinten und für ihre politischen Ambitionen instrumentalisiert hatten. Die foreign clientelae hatten sich damit zu einem zentralen Machtfaktor im republikanischen Konkurrenzkampf entwickelt.18 Sichtbar wird dies etwa bei Caesars Schritt über den Fluss Rubico, den neben römischen Legionen Truppen aus Gallien, Germanien und dem Königreich Noricum begleiteten.19 Auch bei den späteren Schlüsselmomenten, welche die innerrömischen Machtverhältnisse unter den Senatoren langfristig richteten, den Bürgerkriegsschlachten, waren auch stets ihre peripheren Verbündeten zugegen. Auf

13 Klientelkönige sind nach Wendt 2015 im weitesten Sinne als Könige bzw. Herrscher zu beschreiben, die sich in einer patronatsähnlichen oder politisch abhängigen Beziehung zu Rom oder dessen Repräsentanten befanden. 14 Zum Terminus und dessen Rolle für die republikanische Geschichte vgl. Badian 1958. 15 Vgl. Badian 1958, 154–167. 16 Vgl. Baltrusch 2002, 251–262; Wendt 2008, 16–36. 17 Wendt 2008, 16. Obwohl Martin Jehne in einer Rezension des Buches dies zunächst als eine spekulative These kritisierte, stimmte er später Christian Wendt in diesem Punkt zu. Jehne 2010; Jehne 2015, 303–304. 18 Vgl. hierzu auch Wendt 2008, 103–109. 19 Caes. BCiv. 1, 18. Zu Caesars Hilfstruppen vgl. auch Yoshimura 1961, 484–486.

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Auf all den Schlachtfeldern von Pharsalos,20 Thapsus,21 Munda,22 Philippi23 und Aktium24 kämpften an den Seiten der Legionäre zahlreiche Hilfstruppen aus verschiedenen Königreichen und Provinzen. Abseits der militärischen Ereignisse hatte sich das östliche Mediterraneum gleich dreimal als Machtbasis von Bürgerkriegsfraktionen bewährt und damit für nobiles das Potenzial aufgezeigt, auch ohne den Zugriff auf die Stadt Rom große Teile des Reiches zu beherrschen und sogar eine Bedrohung für die res publica aufbauen zu können. Pointiert formuliert, hatte sich in den Bürgerkriegsjahren gezeigt, dass die persönlichen Klientelverbindungen zum Heer, den Provinzen und Königreichen in der Peripherie des Imperiums genutzt werden konnten, um die republikanische Ordnung in dessen Zentrum empfindlich zu stören und neue Herrschaftsstrukturen zu etablieren, wie es der Diktator Caesar tat.25 Wenn sein Adoptivsohn Augustus es nach seinem Bürgerkriegssieg nicht zu einer Wiederholung dieser Phänomene kommen lassen wollte und das Gefahrenpotenzial der Peripherie für seine politische Ordnung in Rom zu minimieren versuchte, dann war eine Schwächung und Reduktion der auswärtigen Klientelbeziehungen der Nobilität sowie zugleich eine Zentrierung wichtiger Klientelverbindungen auf die Person des Prinzeps essentiell. Folglich waren Eingriffe in das Verhältnis und die Interaktionsmöglichkeiten der römischen Oberschicht zu den außeritalischen Gebieten erforderlich.26 Derlei Neujustierungen lassen sich bereits in den ersten Jahren der Alleinherrschaft nachvollziehen. Tacitus 20 Caes. BCiv. 3, 3–5; Cic. Deiot. 28–29; Vell. Pat. 2, 51, 1; Luc. 3, 169–297; Luc. 7, 214–234; Flor. 2, 13, 44; App. B civ. 2, 49 (201–203); App. B civ. 70–71 (289–296); Plut. Pomp. 64–70; Cass. Dio 41, 63, 1–2; Yoshimura 1961, 482–484; Greenhalgh 1981, 190–192. 21 Ps.-Caes. BAfr. 20, 1; Ps.-Caes. BAfr. 25; Ps.-Caes. BAfr. 32, 3–4; Ps.-Caes. BAfr. 59, 1–2; Vell. Pat. 2, 53, 1; Vell. Pat. 2, 54, 2; Flor. 2, 13, 65; Plut. Caes. 52–53; App. B civ. 2, 96 (401– 402); Eutr. 6, 23; Ps.-Aur. Vict. De vir. ill. 78, 8. 22 Ps.-Caes. BHisp. 10, 3; Vell. Pat. 2, 55, 2; App. B civ. 2, 103–105 (426–438); Cass. Dio 43, 36, 1; Yoshimura 1961, 486. 23 App. B civ. 4, 88 (371–373); Cass. Dio 47, 33; Cass. Dio 47, 48, 2; Bengtson 1977, 138–139. 24 Bei der Schlacht von Aktium soll rund ein Viertel von Antonius’ Flotte aus den ägyptischen Schiffen von Kleopatra VII. bestanden haben. Ebenso das Heer des Triumvirn soll sich zu einem großen Teil aus provinzialen und königlichen Hilfstruppen zusammengesetzt haben. Vell. Pat. 2, 84–85; Flor. 2, 21, 5–7; Plut. Ant. 61–63; Cass. Dio 50, 13–14; Oros. 6, 19, 8–12. Eleanor Huzar nahm auf Basis der Quellenberichte an, dass die Armee von Antonius aus rund 60.000 Italikern und 50.000 Nicht-Italikern bestand. Huzar 1978, 212. Die Truppen peripheren Ursprungs machten nach dieser Schätzung also fast die Hälfte seiner Armee aus. Zur Heeres-, Schlacht- und Flottenanalyse vgl. Bengtson 1977, 274–285; Huzar 1978, 209–222; Halfmann 2011, 198–216. 25 U.a. wiesen Christian Meier, Erich Gruen, Rolf Rilinger und Roman Lapyrionok darauf hin, dass die Klientelbeziehungen, Armeen und Ressourcen in den außeritalischen Gebieten zu Machtmitteln in den innerrömischen Konflikten wurden und die jahrzehntelange Bürgerkriegskrise befördert, wenn nicht sogar erst ermöglicht hatten. Vgl. Meier 1966, 204; Gruen 1974, 504–505; Rilinger 1982; Lapyrionok 2007, 85. 26 Ebenso Christian Wendt wies darauf hin, dass es essentiell für die Errichtung des Prinzipats war, dass Augustus die Klientelkönigreiche, Provinzen, Reichs- und die Heeresklientel sicherte. Wendt 2008, 150–161. Auf die Relevanz der Eingriffe und Neuordnung der Klientelstrukturen wies zuvor auch Anton von Premerstein hin. von Premerstein 1937, 112–116.

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lassen sich bereits in den ersten Jahren der Alleinherrschaft nachvollziehen. Tacitus verweist explizit darauf, dass Augustus nach den Bürgerkriegen in seinem sechsten Konsulat (28 v.u.Z.) und in der Folgezeit Gesetze erließ, die wieder für Frieden in der res publica sorgten. Der Historiker spricht metaphorisch davon, dass die Fesseln der Senatoren fortan härter wurden.27 Hierzu gehörte wohl eine Anordnung, von der Cassius Dio berichtet: Augustus verbot fortan allen Senatoren, ohne seine persönliche Weisung oder Erlaubnis Italien zu verlassen. Ausgenommen waren die direkt angrenzenden Provinzen Sicilia und Gallia Narbonensis.28 Die Senatoren waren dadurch systemisch von den Provinzen und Königreichen separiert und, wenn man Tacitus’ Metaphorik fortsetzen will, an einen geographischen Raum gefesselt worden, der es ihnen erschwerte, auswärtige Klientelbeziehungen aufzubauen und zu unterhalten. Ferner ist eine Reihe von Gesetzen aus dem Jahr 27 v.u.Z. bekannt, die auch Interaktionen zwischen römischen Bürgern und den außeritalischen Bewohnern des Mediterraneums reglementieren sollten. Unverkennbar scheint jedenfalls ein Passus in der lex Iulia maiestatis auf derlei Absichten hinzudeuten, der folgende Vergehen als Majestätsverbrechen nennt: 29 Derjenige, durch dessen Tätigkeiten und böswillige Täuschung Feinde des römischen Volkes mit Waffen, Geschossen, Pferden, Geld und mit anderen Sachen unterstützt werden, so dass Freunde des römischen Volkes dazu gebracht werden, Feinde zu werden; Derjenige, durch dessen böswillige Täuschung es geschieht, dass ein König eines auswärtigen Volkes dem römischen Volk nicht gehorcht.30

Unter den aufgezählten Vergehen und Formen des Verrats wird es explizit als Verrat bezeichnet, wenn jemand dafür sorge, dass Könige weniger bzw. nicht dem römischen Volk gehorchen. Zusätzlich steht in dieser Passage, dass es auch als Verrat gelte, Freunde des römischen Volkes, zu denen die reges socii et amici und Provinzbewohner wohl zählten, zu Insubordination oder sogar Feindschaft gegenüber Rom zu provozieren, indem man etwa ihre Feinde unterstütze. Diese

27 Tac. Ann. 3, 28. Auch der augusteische Zeitgenosse Vergil hat im vierten Gesang seiner Georgica, die wohl um das Jahr 28 v.u.Z. die uns heute überlieferte Form erhielt, auf die Rolle des Prinzeps als Gesetzgeber hingewiesen. Verg. G. 4, 559–562; Schmitt 2014, 259. 28 Cass. Dio 52, 42, 6; Blochmann 2017, 194. Ebenso Tacitus bestätigt diese Regelung. Tac. Ann. 12, 23, 1. 29 Richard Baumann konnte schlüssig aufzeigen, dass das Gesetz wohl in das Jahr 27 v.u.Z. zu datieren ist. Vgl. Baumann 1967, 266–292. Zustimmung fand dies bei Daly, Reiter 1979, 306; Waldstein 1989, 520–521. Bisweilen wurde auch eine spätere Datierung vermutet, die jedoch Baumanns Argumente nicht entkräften konnte. Meist wird das Gesetz ebenso in der augusteischen Zeit verortet. Vgl. hierzu Mommsen 1899, 541; Rotondi 1912, 422, 453; Biondi 1945, 156; Allison, Cloud 1962; Schumacher 1982, 114, F. 21. Rolf Rilinger verwies mit Vorsicht auf die Datierungsschwierigkeiten und legte sich auf kein Datum fest, obwohl er trotzdem der Einordnung in den augusteischen Prinzipat zustimmte. Rilinger 1988, 209. 30 Dig. 48, 4, 4, praef. „cuiusve opera dolo malo hostes populi romani commeatu armis telis equis pecunia aliave qua re adiuti erunt: utve ex amicis hostes populi romani fiant: cuiusve dolo malo factum erit, quo rex exterae nationis populo romano minus obtemperet.“ Eigene Übersetzung.

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erwähnt und damit wohl als gleichartig schwerwiegend klassifiziert.31 Die lex Iulia maiestatis stellte somit jene Praxen unter Strafe, die die Parteiführer in der Bürgerkriegszeit vielfach angewandt hatten. Das Gesetz konnte somit als Instrument gegen nobiles verwendet werden, die darauf abzielten auf den Pfaden eines Pompeius oder Caesar zu wandeln. Zusätzlich wurden in diesem Jahr auch alte Gesetze restituiert, denen wohl eine ganz ähnliche Stoßrichtung innewohnte. Hierzu gehörten die Regelungen, dass Statthalter nicht eigenmächtig Truppen ausheben durften sowie das Verbot höhere finanzielle Abgaben als die festgesetzten einzutreiben.32 Auch dies erschwerte Vertretern der römischen Oberschicht die Provinzräume zum machtpolitischen Aufbau zu nutzen. Eine ähnliche Wirkung mochte das Wiederaufgreifen der lex Pompeia de provinciis33 haben. In Anlehnung an das pompeianische Gesetz aus dem Jahr 52 v.u.Z. ließ der erste Kaiser es im Jahr 27 v.u.Z. verbieten, dass Senatoren Statthalterschaften ausübten, wenn nicht mindestens fünf Jahre seit ihrem letzten Amt im cursus honorum verstrichen waren.34 Damit wurde dem Phänomen vorgebeugt, dass die Provinzen des Römischen Reiches zugunsten senatorischer Karrieren finanziell ausgenutzt wurden. Zusätzlich wurde damit der cursus honorum von der imperialen Administration separiert.35 Neben solchen strukturellen Neuerungen kann nachvollzogen werden, dass Augustus auch aktiv gegen Individuen vorging, die in republikanischer Manier Klientelverbindungen zu Königen und peripheren Eliten aufbauten oder sich durch ihre Aktivitäten in der Peripherie zu potenziellen Konkurrenten entwickeln konnten. Ein gut erforschtes Exempel dafür mag ein Senator sein, der bisweilen als einer der letzten ernstzunehmenden Gegenspieler des Prinzeps nach Antonius’ Niedergang betrachtet wird: M. Licinius Crassus, Enkel des gleichnamigen Triumvirs, hatte nach den Ereignissen bei Aktium, 30 bis 28 v.u.Z., als Prokonsul die Provinz Macedonia verwaltet.36 Crassus nutzte seine Statthalterschaft, um Kriege gegen dakische und bastarnische Stämme zu führen, große Teile Moesiens zu erobern und Kontakte zu lokalen Königen zu knüpfen. Er baute freundschaftliche Verbindungen zu Rholes, dem König der Geten, und wohl auch zum König der Odrysen auf. Darüber hinaus

31 Dig. 48, 4, 4, praef. Auch Theodor Mommsen kategorisierte all die aufgezählten Verbrechen gleichermaßen als „Staatsverbrechen“. Mommsen 1899, 545–549. 32 Cass. Dio 53, 15, 5–6; Meyer-Zwiffelhoffer 2002, 60–61; Wesch-Klein 2008, 184. Richard Baumann und John Rich haben auf die Möglichkeit verwiesen, dass hier vielleicht Cassius Dio Bestandteile der lex Iulia maiestatis wiedergeben könnte, die häufig in denselben Zeitraum datiert wird. Baumann 1967, 275–280; Rich 1990, 147. 33 Zum historischen Kontext und den Effekten der lex Pompeia de provinciis vgl. Cass. Dio 40, 46, 2–3, Cass. Dio 40, 56, 1; Marshall 1972; Gruen 1974, 457–460; Giovannini 1983, 114– 119; Steel 2012; Morrell 2017, 204–236. 34 Suet. Aug. 36; Cass. Dio 53, 14, 2; Giovannini 1983, 118–119; Morrell 2017, 217, 233–234; Morrell 2019, 15–19. 35 Vgl. Morrell 2017, 214–236. 36 Cass. Dio 51, 23, 2; PIR2 L 186.

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bezwang er in den Kämpfen mehrere Fürsten und tötete eigenhändig den bastarnischen König Deldo.37 Diese Erfolge führten zu dem Gefahrenszenario, welches die zuvor beschriebenen Gesetze einige Jahre später verhindern sollten: Crassus hatte Einfluss auf einen großen geographischen Raum gewonnen, Klientelverbindungen zu Königen und weiteren peripheren Akteuren aufgebaut und das Anrecht auf einen Triumph erworben. Durch die Tötung eines Königs hatte er sogar die Berechtigung erhalten im Namen von Iuppiter Feretrius die spolia opima auf dem Kapitol zu weihen. Dies war die denkbar höchste Ehrung, die ein Senator im Krieg erwerben konnte und die selbst dem Prinzeps ein Leben lang verwehrt blieb.38 Auf diese entstandene Konkurrenzsituation reagierte Augustus mit mehreren Maßnahmen. Der Prinzeps beanspruchte schon vor der Rückkehr des Feldherrn die militärischen Erfolge für sich, ließ sich für diese in einem Triumph feiern und beschnitt Crassus seiner Ehren, indem er ihm seine Eigenständigkeit als imperator abstritt.39 Ferner warb Augustus ihm die Klientelverbindungen zum Getenkönig Rholes und den thrakischen Stämmen ab.40 Zusätzlich fällt auf, dass Crassus nach seinem Triumphzug 27 v.u.Z. anscheinend nie wieder ein römisches Amt bekleidete und aus der Politik verschwand. Treffend kommentierte dies Dietmar Kienast damit, dass Crassus nach seinem Triumph von Augustus „politisch kaltgestellt“41 wurde.42 Als einige Jahre später, 24/23 v.u.Z., der neue makedonische Statthalter M. Primus den Spuren von Crassus folgte und einen Krieg gegen den Stamm der Odrysen initiierte, traf ihn prompt noch eine schlimmere Strafe. Er wurde vor einem römischen Gericht angeklagt. Augustus nahm hieran persönlich teil, sagte gegen Primus aus, besiegelte damit sein Urteil und erstickte dessen Fehlverhalten im Keim.43 37 Vgl. Cass. Dio 51, 23, 2–27, 3; Wiesner 1963, 162–163; Mócsy 1966; PIR2 L 186; Daicoviciu 1977, 910; Danov 1979, 123–126; Suceveanu, Barnea 1991, 25–26; Kearsley 2009, 152–163. 38 Auf dieses Anrecht verweist Cassius Dio explizit. Cass. Dio 51, 24, 4. Zu den Voraussetzungen der Konsekration von spolia opima vgl. Kehne 1998, 192–194. Obwohl der Prinzeps nie die spolia opima erwarb, kann man eine starke Auseinandersetzung der augusteischen Literatur mit diesen Ehrungen beobachten. Etwa in der Aeneis wird dem mythischen Vorfahren der gens Iulia ein Anrecht auf die spolia opima zugeschrieben und somit eine Verbindung zwischen Augustus und dieser Ehrung hergestellt. Vgl. hierzu Martino 2008. 39 Vgl. Sattler 1960, 11; Rich 1996; Kehne 1998; Flower 2000; Kearsley 2009, 154–156. 40 Zum Klientelverhältnis zu König Rholes und der Abwerbung von Crassus vgl. Cass. Dio 51, 24, 7; Lica 1992. Zu den Klientelverbindungen und politischen Beziehungen des Prinzeps zu den thrakischen Königen nach Crassus’ Feldzügen vgl. Wiesner 1963, 164–166; Danov 1979, 126–132; Sullivan 1979, 196–204; Oppermann 1984, 171–172; Suceveanu, Barnea 1991, 26. 41 Kienast 2014, 99. Zum Ende der Karriere des Triumphators M. Licinius Crassus und zum Verschwinden der letzten Nachfahren des Triumvirs M. Licinius Crassus im frühen Prinzipat vgl. Syme 1986, 273–283. 42 Kienast 2014, 99. 43 Cass. Dio 54, 3, 2–4. Vgl. hierzu Atkinson 1960; Levick 1975; PIR2 P 946; Daubner 2018, 175. Laut Cassius Dio versuchte Primus sich zu exkulpieren, indem er behauptete, dass er auf Anordnung von Augustus gehandelt hätte. Es ist dem Cassius Dio-Kommentator John Rich zuzustimmen, wenn er dies als einen Bluff klassifiziert und darauf verweist, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass er im Sinne des Prinzeps handelte, wenn dieser selbst an der Gerichtssitzung teilnahm und die Verurteilung zuließ. Rich 1990, 175–176.

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Am Beispiel von M. Licinius Crassus und den präsentierten kaiserlichen Gesetzen wird ersichtlich, dass Augustus bestrebt war das Gefahrenpotenzial der Peripherie für seine Herrschaftsordnung zu minimieren, indem er es systemisch Vertretern der römischen Oberschicht erschwerte sich in diesem Raum zu bewegen, ihn für Selbstbereicherung oder militärische Erfolge zu nutzen oder dort persönliche Abhängigkeits- und Klientelverhältnisse aufzubauen sowie diese zu unterhalten. Zugleich fand eine Zentrierung von auswärtigen Klientelbeziehungen auf die Person des Prinzeps statt.44 Er stellte zudem viele der Praxen und Mechanismen unter Strafe, welche die Bürgerkriegszeit geprägt hatten, und ging aktiv gegen potenzielle Konkurrenten, wie M. Licinius Crassus, vor, die dennoch versuchten Prestige, Ressourcen und Klientel in diesem Raum zu erwerben. Mit diesem Hintergrundwissen können nun die Fälle von C. Cornelius Gallus und M. Lollius betrachtet werden. Der verhasste Präfekt Ägyptens. C. Cornelius Gallus C. Cornelius Gallus war als amicus Augusti Caesaris bekannt und hatte unter ihm Karriere gemacht.45 Nach der Ermordung Caesars hatte der Ritter den jungen Augustus unterstützt und Teile seiner Truppen kommandiert. Beim Einmarsch in Ägypten im Jahr 30 v.u.Z. soll er Antonius verheerende Niederlagen beschert und Augustus wiederum wichtige Siege verschafft haben.46 Nach diesem erfolgreichen Feldzug setzte Augustus seinerseits Gallus als ersten Präfekten Ägyptens ein.47 Dies muss als ein immenser Gunst- und Vertrauensbeweis betrachtet werden, denn Ägypten stellte eine Region dar, die Usurpatoren oder Bürgerkriegsparteien viel Potenzial bot. Insbesondere im Jahr 30 v.u.Z. musste die Gefahr, die von dieser Region ausging, unverkennbar sein: Das Land am Nil hatte als Machtbasis und Schaltzentrale von Antonius fungiert und wurde daher keinem Senator mehr anvertraut.48 Obwohl diese Statthalterschaft als Höhepunkt von Gallus’ Karriere zu werten ist, stellt sie zugleich eine Zäsur in der Beziehung zwischen Augustus und dem Ritter dar. Das mag verwundern, denn in den fast drei Jahren, in denen er Präfekt der Provinz Aegyptus war, hatte C. Cornelius Gallus einige Erfolge zu verzeichnen.

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unwahrscheinlich ist, dass er im Sinne des Prinzeps handelte, wenn dieser selbst an der Gerichtssitzung teilnahm und die Verurteilung zuließ. Rich 1990, 175–176. Es ist Ernst Baltrusch zuzustimmen, wenn er Pompeius als „Baumeister des Prinzipats“ bezeichnet, denn Augustus knüpfte an dessen systemische Rolle als personales Zentrum und Patron umfassender Reichsteile an. Baltrusch 2002, 262. Ähnlich ordnete Christian Wendt die reichsweite Patronagerolle des Prinzeps ein. Vgl. Wendt 2008, 149–191. Suet. Aug. 66, 1; Serv. ecl. 10, 1; Syme 1938; PIR2 C 1369; Boucher 1966, 5–26; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 5. Cass. Dio 51, 9; Oros. 6, 19, 15; PIR2 C 1369; Boucher 1966, 27–32; Stickler 2002, 14–16; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 5. Str. 17, 1, 53 (819); Suet. Aug. 66, 1; Cass. Dio 51, 17, 1; Serv. ecl. 10, 1; PIR2 C 1369. Cass. Dio 51, 17, 1.

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Er hatte die römische Herrschaft in Ägypten konsolidiert und Aufstände in der Thebais und anderen Regionen des Landes gegen das neue Regime erfolgreich niedergeschlagen. Zusätzlich war er mit Erfolg militärisch in den Süden vorgestoßen und hatte das Provinzgebiet bis zum zweiten Nilkatarakt erweitert. Der Herrscher von Kusch, in dessen Land Gallus einfiel, wurde zu Friedens- und Vertragshandlungen gezwungen und geriet in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Römischen Reich.49 Trotz dieser hervorragenden Bilanz fiel Gallus tief in die Missgunst des Prinzeps. 27/26 v.u.Z.50 wurde er von Augustus plötzlich aus der Provinz zurückberufen. Damit verbunden kündigte der Kaiser seinem Präfekten die Freundschaft auf und verbot ihm, sich in seinem Umkreis sowie in den Provinzen aufzuhalten. Laut den antiken Autoren hatte dieser Akt nicht nur dazu geführt, dass Gallus fortan nicht mehr die Gunst der domus Caesaris genoss, sondern auch dazu, dass andere nobiles ihn fortan mieden und Hemmungen verloren, ihn mit Anklagen zu überziehen. Dem Freundschaftsbruch mit dem einstigen Bürgerkriegsgefährten folgte somit ein Senatsprozess. Nach Sueton kam es zu vielen Anzeigen sowie zu Senatsbeschlüssen gegen Gallus, die ihn anscheinend in eine solche Verzweiflung trieben, dass er zum Selbstmord schritt.51 Warum der einstige Vertraute des Kaisers, der zuvor noch eine der mächtigsten Positionen im Reich innehatte, so schnell die Gunst seines Freundes verlor und damit auch seine Stellung, sein Ansehen sowie seine Akzeptanz bei den Senatoren, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die antiken Schriftsteller bieten zwar dafür Erklärungsansätze, jedoch unterscheiden sich die Gründe, die sie anführen. Grundlegend sind es drei Motive, die beim Fall Gallus’ genannt werden. Laut Sueton war er undankbar und übelwollend gegenüber Augustus gewesen und hatte sich zudem mit einer Person abgegeben, die bei seinem Gönner in Ungnade gefallen war.52 Cassius Dio schreibt ihm ebenso ein respektloses Verhalten gegenüber dem Kaiser zu und ergänzt es noch um weitere Informationen. Er berichtet davon, dass Gallus während seiner Statthalterschaft zu Übermut geneigt und dort tadelnswerte Handlungen begangen haben soll. Konkret soll er in Ägypten Verzeichnisse mit seinen Taten sowie Standbilder von sich aufgestellt haben, die

49 Stickler 2002, 75–84; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 147–161; Minas-Nerpel 2011, 133–134. 50 Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, in welchem Jahr diese Zurückberufung stattfand, da Cassius Dio (26 v.u.Z.) und Hieronymus (27 v.u.Z.) dieses Ereignis in verschiedenen Jahren ansiedeln. Cass. Dio 53, 23, 5–7; Hier. chron. a. Abr. 1990 (ad Ol. 188, 2). Andere Quellen lassen leider keine präzisere Datierung zu. Daly, Reiter 1979, 292–302; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 6. Zusätzlich verwies John Rich auf das Problem, dass Cassius Dio nicht präzise kennzeichnet, welcher Teil der Gallusgeschichte in das Jahr 26 v.u.Z. zu datieren ist. Rich 1990, 158. Um eine Eingrenzung der Datierungsmöglichkeiten der Statthalterschaften von C. Cornelius Gallus, Aelius Gallus und P. Petronius hat sich Shelagh Jameson bemüht. Vgl. Jameson 1968. 51 Suet. Aug. 61, 2; Cass. Dio 53, 23, 5–7; Sattler 1960, 11–12; Daly, Reiter 1979, 298–299; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 6–7. 52 Suet. Aug. 61, 2; Suet. Gramm. et rhet. 16.

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haben, die seinen Bruch mit Augustus und den Senatoren provoziert hätten.53 Ammianus Marcellinus bietet eine andere Erklärung. Als Grund für den Gerichtsprozess und den Gunstverlust führt er die unrechtmäßige Ausbeutung der Provinz an, welche Gallus vorgenommen haben soll.54 Der Vergil-Kommentator Servius hält wiederum eine andere Kausalität für plausibel. Er spricht davon, dass Gallus in den Verdacht geraten sei, eine Verschwörung gegen den Prinzeps zu planen.55 Friedhelm Hoffmann, Martina Minas-Nerpel und Stefan Pfeiffer haben zeigen können, dass die Erklärungen von Ammianus und Servius sich wohl widerlegen lassen. Dass Gallus eine Verschwörung plante, ist unwahrscheinlich. Es ist zu bezweifeln, dass er sich nach seiner Abberufung in Rom längere Zeit frei bewegen konnte, wenn er tatsächlich als Verschwörer und als Gefahr für Augustus erachtet worden wäre. Auch taucht sein Name nicht in den Verschwörungskatalogen auf.56 Neben Ammianus gibt es keine Indizien für eine Ausbeutung der Provinz Aegyptus. Ebenso scheint es unwahrscheinlich, dass der Senat bei einem Repetundenprozess in einer kaiserlichen Provinz beteiligt worden wäre.57 Hingegen führen Sueton und Cassius Dio plausible und wichtige Gründe für den Konflikt an, die sich in einer anderen Quellengattung weiterverfolgen lassen. Einer der Tatenberichte, welche Cassius Dio als Teilgrund des Gunstverlustes benennt, ist im Augustustempel auf der Nilinsel Philae entdeckt worden. Dass die Trilingue, die auf das Jahr 29 v.u.Z. datiert werden kann,58 als respektlos erachtet wurde, mag auf den ersten Blick verwundern.59 Sowohl im Hieroglyphentext als auch im lateinischen und griechischen Teil der Inschrift wird deutlich signalisiert, dass Gallus unter dem Herrscher Augustus stand und von diesem erst in Ägypten eingesetzt wurde.60 Ferner wird beschrieben, wie der Präfekt Aufstände in der Thebais und in fünf Städten niederschlug und somit für Ruhe und Ordnung in der Region sorgte. Sprengkraft mag wohl nur der letzte Abschnitt der griechischen und lateinischen Inschrift in sich bergen. Hier wird dokumentiert, dass Gallus mit seinem Heer erfolgreich in den Süden vordrang, bis zum zweiten Nilkatarakt Eroberungen vornahm und in Philae Gesandte des äthiopischen Königs (eigentlich

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Cass. Dio 53, 23, 5–7. Amm. Marc. 17, 4, 5. Serv. ecl. 10, 1. Dies bemerkte bereits Peter Sattler. Sen. brev. vit. 4, 5; Sen. clem. 1, 9, 6; Suet. Aug. 19, 1; Sattler 1960, 11; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 8. Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 8. Zum archäologischen Kontext vgl. Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 10–20. Nachfolgend wird sich auf die Edition, die Übersetzung und den Kommentar von Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009 für Zitate und Textinformationen aus der Inschrift bezogen. Ältere Publikationen der Inschrift finden sich auch bei CIL 3, 14147 = ILS 8995 = OGIS 654 = IGRRP 1, 1293 = IGLPhilae 2, 128 = SEG 52, 1798 = SEG 58, 1978. Ebenso Hans Hauben verwies darauf, dass dies schwerlich als Affront gedeutet werden kann. Hauben 1976, 190.

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(eigentlich des Königs von Kusch)61 empfing, mit denen er Friedensverhandlungen zu seinen Gunsten abschloss.62 In diesem Abschnitt tauchen zwei Details auf, die ungewöhnlich sind und Spannungspotenzial im Hinblick auf die Etablierung des frühen Prinzipats aufweisen. Erstens wird in der lateinischen Fassung davon gesprochen, dass Gallus im Anschluss an die Verhandlungen den meroitischen König63 unter seine tutela gestellt hatte.64 Dies ist eine bekannte Formulierung, die in Inschriften und der antiken Literatur Anwendung fand, wenn sich Einzelpersonen, Städte oder Regionen in das Patronat von römischen Politikern begaben.65 Friedhelm Hoffmann, Martina Minas-Nerpel und Stefan Pfeiffer haben zurecht daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass nach dieser Darstellung der nubische König „der Klient des Römers Gallus“66 wurde.67 Ähnlich wird dies in der griechischen Fassung formuliert. Hier heißt es, dass Gallus ein προξενία-Verhältnis mit dem meroitischen König einging.68 Dieser Terminus wird im Deutschen häufig mit „Gastfreundschaft“ übersetzt. Es wurde daher in der Forschung bereits diskutiert, ob mit diesem Begriff tatsächlich der gleiche Inhalt, wie im lateinischen Abschnitt gemeint war.69 Dafür ist ein Vergleich mit Inschriften des Hellenistischen Ostens aufschlussreich, denn hier taucht der Begriff mehrfach auf, wenn Beziehungen von römischen Politikern zu einzelnen Gemeinden und Städten beschrieben werden. Auffällig ist, dass dort πρόξενος oft synonym mit dem Wort πάτρων verwendet wird. In vielen dieser epigraphischen Dokumente

61 In der frühen Prinzipatszeit wird häufig noch nicht zwischen den Königreichen Kusch und Aksum unterschieden, sodass beide meist unter dem Terminus Äthiopien subsumiert werden. Auch wenn die behandelten Quellen stets von Äthiopiern sprechen, wird nachfolgend dieser Begriff vermieden, da er zu möglichen Missverständnissen führen kann. In diesem Abschnitt wird alleinig vom nubischen Königreich Kusch, dessen Hauptstadt Meroë war, gesprochen werden. Zur Begriffsproblematik in Bezug auf das Königreich Kusch vgl. Snowden 1970, 112– 114; Timp 1972, 29–33; Locher 2002, 80–85. In älteren Forschungspublikationen ist diese antike Subsumierung noch übernommen worden und hat zu fragwürdigen Vermischungen der Geschichte Aksums und Kuschs sowie Fehlschlüssen geführt. Vgl. z.B. Hable-Selassie 1964, 50–61. 62 Vgl. Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 45–121, 126–172. 63 Es dürfte es sich um Teriteqas von Kusch handeln. Vgl. Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 147; Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 284. 64 Z. 7–8 „l]eg[atis re]gis Aethiopium ad Philas auditis eoq[ue] rege in tutelam receptor”. 65 Vgl. hierzu Braund 1983, 46; Braund 1984, 146–148. 66 Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 148. 67 Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 148–150; Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 284–285. Ähnlich interpretierte dies zuvor Fritz Gschnitzer. Gschnitzer 1973, 64. 68 Z. 16–17 „δεξάμενός τε πρέσβεις Αἰθιόπων ἐν Φίλαις καὶ προξενίαν παρὰ τοῦ βασιλέως λ[αβών“. 69 Zur klassischen deutschen Übersetzung des Wortes vgl. Gemoll 2012, 682. Die verschiedenen Interpretationen des Inschriftenterminus sind anschaulich im Kommentar von Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 148–150 zusammengefasst. Zur Bedeutung und Entwicklung des Terminus vgl. Gschnitzer 1973; Marek 1984.

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bezeichnet.70 Auch hier ist daher Fritz Gschnitzer, Friedhelm Hoffmann, Martina Minas-Nerpel und Stefan Pfeiffer zuzustimmen, wenn sie folgern, dass in der griechischen Fassung damit ebenso zum Ausdruck gebracht wird, dass der Präfekt Ägyptens persönlich ein Klientelverhältnis mit dem König von Kusch initiierte.71 Im griechischen und lateinischen Text folgt danach eine zweite heikle Information, die in eine ganz ähnliche Richtung deutet. Es wird erwähnt, dass Gallus in dem neu eroberten Gebiet einen tyrannus/τύραννος einsetzte.72 In der Forschung ist mehrfach diskutiert worden, ob dies implizierte, dass Gallus in der Triakontaschoinos, in der römisch besetzten Region, ein Klientelreich mitsamt Klientelkönig installiert hatte oder ob er der Provinz Aegyptus neues Land hinzugefügt hatte und dieses durch einen Tyrannen administrieren ließ oder wiederum eine andere Form von abhängiger Herrschaft kreiert worden war.73 Dieser Aspekt ist für das Verhältnis zum Prinzeps weniger relevant. Wichtig ist vielmehr, dass der Präfekt das unterworfene Gebiet eigenmächtig politisch und administrativ gestaltet und einen Dynasten eingesetzt hat. Dies ist eine bekannte Praxis: Auch sein Vorgänger, der Triumvir Antonius, hatte sowohl in Königreichen als auch in Provinzen Dynasten installiert, die ihm loyal dienten und für ihn wichtige Stützen gewesen waren.74 Ebenso ist davon auszugehen, dass dieser eingesetzte Tyrann in erster Linie eine Klientelbeziehung zum Statthalter von Ägypten und nicht zu dem ihm übergeordneten Prinzeps unterhielt und folglich im Konfliktfall eher gegenüber der Person Loyalität zeigen würde, die seine Herrschaftsstellung kreiert und legitimiert hatte. Bereits Timo Stickler hat darauf verwiesen, dass der eingesetzte Tyrann gleichsam ein Klient des Präfekten gewesen sein muss.75

70 Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 149–150. Auch eine maltesische Inschrift, in der das Wort πρόξενος vorkommt, scheint auf eine synonyme Verwendung des Terminus zum Wort πάτρων hinzudeuten. Vgl. hierzu Bonanno 2017. 71 Gschnitzer 1973, 643; Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 148–150; Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 286–287. Dieser Meinung schloss sich Gagliardi 2012, 100–101 an. Zuvor konstatierte ebenso Benjamin Hendrickx, dass der Terminus in der Inschrift ein Abhängigkeits- bzw. Vasallenverhältnis zwischen Gallus und dem König beschreibt. Hendrickx 1991, 57. 72 Dies wird in der Zeile 8 „tyran[n]o Tr[iacontas]choen[i] in Aethiopiae constituto“ und den Zeilen 17–18 „τύ]ραννόν τε τῆς Τριακοντασχοίνου τοπαρχία[ς] μιᾶς ἐν Αἰθιοπίαι καταστήσα“ beschrieben. 73 Timo Stickler hielt es für plausibel, dass zwar ein „von Rom abhängiger, aber dennoch zu Äthiopien bzw. Meroë gehöriger Machtbereich“ geschaffen wurde. Stickler 2002, 80. Der gleichen Ansicht waren Török 1977, 35; Desanges 1988, 7–8; Török 1989, 78; Török 1989/1990, 174; Török 1997, 449–450. Für eine Erweiterung der Provinz, die unter die Administration eines Tyrannen gestellt wurde, argumentierten Costabile 2001, 317; Locher 2002, 94; Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 288–289. Lawrence Daly und William Reiter gingen davon aus, dass hier ein Klientelkönigtum unter römischer Kontrolle kreiert wurde. Daly, Reiter 1979, 308. 74 Als Beispiel dafür ließe sich der Galaterfürst Adiatorix nennen sowie eine Reihe weiterer Dynasten, die von Antonius in kleinasiatischen Provinzen installiert wurden. Vgl. Str. 12, 3, 6 (542–543); Str. 12, 3, 14 (547); Buchheim 1960, 48–49; Marek 1993, 49–50; Coşkun 2010. Zum Phänomen von Königen ohne Königreiche in römischen Provinzräumen vgl. auch Coert 2019. 75 Stickler 2002, 94.

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verwiesen, dass der eingesetzte Tyrann gleichsam ein Klient des Präfekten gewesen sein muss.75 Gallus folgte damit einem Paradigma, welches auch Antonius, Caesar und Pompeius praktiziert hatten und welches die Basis ihrer großen Klientelnetzwerke darstellte. Er hatte durch Militäroperationen, diplomatische Verhandlungen und die Organisation von eroberten Ländereien den König von Kusch sowie den eigens eingesetzten Tyrannen in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Person gebracht. Der Präfekt hatte damit südlich von Ägypten Klientelbeziehungen zu neuen politischen Akteuren aufgebaut sowie neue politisch-administrative Räume definiert, welche er unter seinen persönlichen Einfluss gestellt hatte. Sowohl die Inschrift als auch die literarischen Quellen bieten zusätzlich weder Indizien dafür, dass Augustus oder der Senat in irgendeiner Form in die Verhandlungen mit dem kuschitischen König oder die Organisation des eroberten Gebietes eingebunden wurden, noch dafür, dass Gallus’ Bestimmungen nachträglich von dieser Institution oder dem Kaiser ratifiziert wurden.76 Dass es nach dem Abzug des Präfekten schnell zu neuen Kriegshandlungen an der befriedeten Grenze kam, die von den Kuschiten initiiert wurden, mag wohl ein Indiz dafür sein, dass die Beziehungen zum meroitischen Königshaus und der damit verbundene Frieden vor allem an der Person des Gallus hingen.77 Anschaulich wird dies vor allem an einer Passage aus Strabons Werk, der von den Nubienfeldzügen des P. Petronius in den Jahren 25/24 und 22/21 v.u.Z. berichtet und das Ende seines zweiten Feldzuges auf folgende Weise beschreibt:78 Da zog Kandake mit vielen Myriaden gegen die Garnison. Petronius eilte zu Hilfe und zog vor ihr in die Festung ein, die er mit mehreren Vorrichtungen sicherte. Als Gesandte kamen, hieß er sie mit Caesar verhandeln, und da sie sagten, sie wüssten nicht wer Caesar sei und welchen Weg man nehmen müsste, um zu ihm zu gelangen, gab er ihnen Geleit mit; und so kamen sie nach Samos (wo Caesar gerade war um von dort weiter nach Syrien zu reisen, da er Tiberius nach Armenien schicken wollte).79

Nach dieser Darstellung wussten anscheinend die Gesandten von Kusch nicht einmal, wer Augustus war. Damit verbunden nahmen anscheinend auch zum ersten Mal Repräsentanten des Königreiches Kontakt mit dem Prinzeps auf und verhandelten mit ihm auf Samos persönlich Friedenskonditionen. Wenn sein Präfekt C. Cornelius Gallus nur wenige Jahre zuvor im Namen des Kaisers Friedensverhandlungen mit Gesandten des meroitischen Königshaus geführt hätte, dann sollte es doch eigentlich undenkbar sein, dass der Mann, der über dem 75 76 77 78 79

Stickler 2002, 94. Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 169–170. Zu den Anfängen der erneuten Konflikte mit Kusch vgl. Török 1997, 451–453. Zur Datierung der Feldzüge vgl. Locher 2002, 79–80, 118. Str. 17, 1, 54 (821C) „ἐν τούτῳ μυριάσι (ἡ) Κανδάκη πολλαῖς ἐπὶ τὴν φρουρὰν ἐπῆλθε: Πετρώνιος δ᾽ ἐξεβοήθησε καὶ φθάνει προσεισελθὼν εἰς τὸ φρούριον, καὶ πλείοσι παρασκευαῖς ἐξασφαλισάμενος τὸν τόπον, πρεσβευσαμένων, ἐκέλευσεν ὡς Καίσαρα πρεσβεύεσθαι: οὐκ εἰδέναι δὲ φασκόντων ὅστις εἴη Καῖσαρ καὶ ὅπη βαδιστέον εἴη παρ᾽ αὐτόν, ἔδωκε τοὺς παραπέμψοντας: καὶ ἧκον εἰς Σάμον, ἐνταῦθα τοῦ Καίσαρος ὄντος καὶ μέλλοντος εἰς Συρίαν ἐντεῦθεν προϊέναι, Τιβέριον εἰς Ἀρμενίαν στέλλοντος.“ Dt. Übersetzung Stefan Radt.

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Statthalter Ägyptens stand und unter dessen Auspizien der Krieg geführt worden war, den diplomatischen Vertretern des Königreiches Kusch unbekannt war. Hat also eventuell Strabon hier einen Fehler gemacht? Da Strabon in diesen Jahren selbst in Ägypten war und den Präfekten Aelius Gallus begleitet hatte, darf man davon ausgehen, dass er direkten Kontakt zu wichtigen Beteiligten dieser diplomatischen Prozesse und damit auch zu den genannten Informationen hatte, die er dokumentierte. Es ist daher anzunehmen, dass er diese wahrscheinlich auch verlässlich wiedergegeben hat.80 Wenn man Strabons Darstellung also vertrauen will, dann liegt der Schluss nahe, dass C. Cornelius Gallus wohl wirklich persönliche Verhandlungen mit den Repräsentanten von Kusch geführt und ein persönliches Klientelverhältnis zum meroitischen König initiiert hatte. Augustus scheint er hierbei übergangen und vielleicht nicht einmal erwähnt zu haben, wenn dieser den Gesandten des nubischen Königreiches später noch unbekannt war. Offenbar waren die Repräsentanten des Königreiches nicht einmal in Rom gewesen, da ihnen nicht bekannt war, wie man zu dem Mann gelangte, der dort die vergangenen Jahre residiert hatte. Im Umkehrschluss ist zu vermuten, dass auch der Prinzeps zuvor keinen Kontakt mit diesen Akteuren unterhielt. Demnach wäre Gallus kurzzeitig zum zentralen Interaktionspartner und Patron der Gebiete südlich der ägyptischen Provinz avanciert. Selbst wenn das Unwissen der meroitischen Abgesandten bezüglich Augustus eine Übertreibung von Strabon gewesen sein sollte, ließe sich diese gleichwohl auch dahingehend deuten, dass Kusch ein Gebiet war, welches nicht dem Zugriff von Augustus unterlag. Wenn man nun den Bogen zurück zu Sueton und Cassius Dio spannt, dann wird ersichtlich, weshalb sie Gallus’ Verhalten gegenüber Augustus als anmaßend, undankbar, übelwollend und seine Taten als tadelnswert beschreiben.81 Nimmt man die vorangegangenen Schlussfolgerungen an, kann man konstatieren, dass der Präfekt den Einfluss seines Patrons in dieser Region empfindlich gestört, dessen Autorität untergraben und die Grenzkonflikte zum persönlichen Vorteil genutzt hatte. Bereits Friedhelm Hoffmann, Martina Minas-Nerpel und Stefan Pfeiffer wiesen darauf hin, dass die persönlichen Klientelbeziehungen zum kuschitischen Königshaus als eine „Kompetenzüberschreitung“ des Präfekten interpretiert werden können.82 Dieser Terminus erscheint jedoch problematisch, wenn man bedenkt, dass er eine klar geregelte Zuständigkeit impliziert, die wohl noch nicht ge-

80 Ebenso Josef Locher plädierte dafür, dass Strabons Aussage über die Unkenntnis der Gesandten wohl ernst zu nehmen ist. Locher 2002, 119–120. Auch Timo Stickler hat sich für die Glaubwürdigkeit von Strabon und seinen guten Informationszugang ausgesprochen. Stickler 2002, 85. Zur Biographie Strabons und seinen Reisen in Ägypten vgl. Engels 1999, 32–33; Dueck 2000, 16–18. 81 Suet. Aug. 61, 2; Cass. Dio 53, 23, 5–7. 82 Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 170, 175–176; Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 290–291. Hingegen schloss früher Jean-Paul Boucher, auch wenn nicht recht überzeugend, dass der Stelentext wohl als unproblematisch zu werten und der Freundschaftsbruch nicht durch die Aktivitäten des Präfekten in Ägypten, sondern in Rom zustande gekommen war. Boucher 1966, 44–45.

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ritterlichen Statthalter, insbesondere des praefectus Aegypti, sowie die neue Rolle des über ihnen stehenden Prinzeps erst sukzessiv definiert und, wie oben gezeigt wurde, durch eine Reihe von Gesetzen justiert. Es gab keinen Präzedenzfall, der klare Grenzen für Gallus’ Position abgesteckt hätte. Treffender erscheint es daher hier von Anmaßung gegenüber Augustus zu sprechen, die sich nicht nur in Gallus’ Patronagebeziehungen äußerte. Christian Wendt und Wolfgang Havener konstatierten zutreffend, dass Gallus durch seine Erfolge auch eine Konkurrenz zum Prinzeps aufbaute.83 Einerseits hatte er als imperator Feinde besiegt und Regionen erobert, die zuvor niemals mit Rom in Kontakt gestanden haben, und dies prestigeträchtig dargestellt. Andererseits geriet er in Rivalität mit der patronusStellung des Kaisers, wenn er Klientelbeziehungen zu Dynasten und Königen unterhielt, die wiederum anscheinend nichts mit Augustus oder dem Senat zu tun hatten. Er hatte damit einen Einfluss auf Regionen und Akteure, die sein Vorgesetzter nicht besaß. Damit hatte er zeitweise sogar den Einfluss von Augustus in dieser Region unterminiert. Zusammengenommen entstand eine ähnliche Problemstellung, wie bei M. Licinius Crassus. Allerdings muss man hierbei aber anmerken, dass der Ritter Gallus nicht dem Senatorenstand oder den alten Geschlechtern der Nobilität entstammte. Er hatte damit weder realistische noch vergleichbare Chancen, wie einst Crassus, Augustus als politischer Konkurrent auf Augenhöhe zu begegnen. Im Gegensatz zum Senator konnte er nicht ernsthaft darauf hoffen, gegen seinen Patron aufzubegehren, ihm seine Stellung streitig zu machen oder gar diese selbst zu bekleiden, auch wenn sein Verhalten in Ägypten diese verletzte. Gallus hatte wohl kaum Möglichkeiten einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören, in dem er die reelle Möglichkeit gehabt hätte am Ende selbst als Sieger und akzeptierte Herrschaftsautorität in Rom dazustehen. Ob der Präfekt derlei Ambitionen hatte, muss fraglich bleiben und es erscheint eher unwahrscheinlich, dass er tatsächlich aktiv gegen Augustus vorgehen oder gezielt seine Herrschaftsordnung verletzen wollte. Plausibler wäre es, dass der Statthalter in den ersten Jahren nach Aktium eventuell die Zeichen der neuen Zeit nicht richtig gedeutet hatte. Vielleicht sah er die Reformen und Eingriffe seines Patrons in die Reichsstruktur in den mittleren 20er Jahren nicht voraus. Immerhin war er nicht gezielt subversiv gegen den Prinzeps vorgegangen, sondern hatte nach den Mustern republikanischer Statthalter und Feldherren gehandelt, indem er seinen Aufenthalt in der Peripherie zum Aufbau persönlicher Klientelbeziehung und zum Erwerb von militärischen Erfolgen genutzt hatte. Selbst wenn wir Gallus als einen harmlosen, fehlgeleiteten Statthalter verstehen wollen, ergab sich ein Folgeproblem, welches Augustus nicht tolerieren konnte. Der Prinzeps herrschte in keiner Monarchie, sondern, wenn man den Terminus von Theodor Mommsen und Aloys Winterling hierfür nutzen möchte, in einer Dyarchie.84 Augustus baute seine extraordinäre Stellung in Rom auf republikanischen Ämtern und Institutionen auf und dafür war eine Kooperation mit dem Senat 83 Wendt 2008, 153, 186; Havener 2019, 133–137. Ähnlich vermutet Martina Minas-Nerpel, dass Gallus wohl in den Augen des Prinzeps zu mächtig geworden war. Minas-Nerpel 2011, 133. 84 Vgl. hierzu Mommsen 1888, 1259–1264; Winterling 2005; Winterling 2016.

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dem Senat und eine grundlegende Akzeptanz seiner Mitglieder notwendig. Es war für ihn von Relevanz, bei vielen seiner politischen Schritte diesen Personenkreis zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass er sein gutes Verhältnis zu den patres conscripti nicht verletzte.85 Für diese Beziehung stellte aber nun Gallus durchaus eine Belastungsprobe dar. Dem Senatorenstand waren Privilegien, Aktionsräume und Möglichkeiten der Patronage und Kriegsführung genommen worden, die der unter ihnen stehende Ritter zum eigenen Vorteil wahrgenommen hatte, während Senatoren, wie Crassus, dafür bestraft wurden. Wenn Augustus bei Rittern, wie Gallus, solche Aktionen duldete, sie womöglich förderte, während er zugleich Senatoren für dieselben Handlungen maßregelte, dann musste der Prinzeps befürchten, seinen Rückhalt und seine Akzeptanz bei diesem Personenkreis zu verlieren oder gar in Konflikt mit den Senatoren zu geraten. Eine Lösung für diese Problematik wäre ein Fallenlassen des Günstlings sowie eine Distanzierung von ihm gewesen. Dass damit auch eine Besänftigung des ordo senatorius bewirkt werden sollte, scheint eine Beobachtung von Paola Gagliardi zu bestätigen. Sie konstatierte, dass der Fall von Gallus vor allem von senatorischer Seite begrüßt und dem Prinzeps positiv angerechnet wurde, während aus dem kaiserlichen Freundesund Dichterkreis gerade hierfür Kritik an Augustus geübt wurde.86 Dass C. Cornelius Gallus durch sein Fehlverhalten, seine Anmaßungen und seine daraus resultierende (wahrscheinlich ungewollte) Konkurrenz zum Prinzeps und die beschriebenen Standeskonflikte die Gunst seines Gönners und die der Senatoren verlor, scheint naheliegend. Vor allem würde damit plausibel werden, warum der Prinzeps dem Ritter nicht nur seine Nähe verbot, sondern auch den Zugang zu den Provinzen untersagte. In der Provinz hatte der Präfekt seine Klientelverbindungen aufgebaut und hätte mit ihrer Hilfe noch einen bewaffneten Konflikt provozieren oder über sie Zuflucht finden können. Durch die räumliche Trennung von den Provinzen und Königreichen trennte Augustus auch Gallus von seinen Verbündeten und deren Ressourcen. Auch Friedhelm Hoffmann, Martina Minas-Nerpel und Stefan Pfeiffer haben das persönliche Klientelverhältnis von Gallus zum meroitischen König, welches auf der Stele beschrieben wird, als möglichen Grund des kaiserlichen Gunstverlustes identifiziert. Sie haben es jedoch zugleich wegen der zeitlichen Abstände relativiert, da zwischen der Aufstellung der Gallusstele sowie der auf ihr beschriebenen Ereignisse (29 v.u.Z.) einerseits und der Abberufung des Präfekten sowie seinem persönlichen Niedergang (27/26 v.u.Z.) andererseits rund zwei Jahre vergangen waren. Sie gehen davon aus, dass der Prinzeps zeitnah nach der Aufstellung der Stele oder nach der Neuordnung der südlichen Provinzregion eingeschritten wäre und Gallus entmachtet hätte, wenn seine Taten nicht mit den Interessen oder 85 Vgl. von Premerstein 1937, 112–113; Flaig 1992, 174–207; Winterling 2005, 192–193; Winterling 2016; Winterling 2017, 419–426. 86 Auch Paola Gagliardi hielt es für plausibel, dass an Gallus das Verhältnis von Senat und Kaiser verhandelt wurde und Augustus versuchte, durch das Fallenlassen seines Günstlings einen Kompromiss zu erreichen. Vgl. Gagliardi 2011; Gagliardi 2015. Ähnlich vermuteten Martina Minas-Nerpel und Stefan Pfeiffer, dass Gallus’ Taten beim Senat aneckten und die Anklagen gegen ihn motivierten. Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 293.

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Vorgaben des Mannes übereingestimmt hätten, der ihn als Statthalter einsetzen ließ. Daher haben sie bezweifelt, dass diese Sachverhalte miteinander zusammenhängen.87 Dieser Gedankengang ist nachvollziehbar, aber berücksichtigt nicht die Genese des frühen Prinzipats in diesen Jahren. Nehmen wir das an, was diese Autoren als Prämisse setzen: Im ersten Nachbürgerkriegsjahr, in dem Augustus in Rom weilte und in dem diese Stele aufgestellt wurde, drang die Nachricht von Gallus’ Taten nach Rom und zum Bürgerkriegssieger, der dies als Affront empfand. Hätte der heimgekehrte Prinzeps ohne Bedenken seinen Präfekten abberufen können? Das ist schwerlich vorstellbar, denn dies hätte wahrscheinlich unweigerlich zu einem verhängnisvollen Konflikt mit dem erfolgreichen Statthalter geführt. Augustus hatte diesem Mann die gefährlichste Region des kompletten Imperiums anvertraut, ein Gebiet, das reich an Ressourcen und Soldaten war und noch vor kurzem die Machtbasis einer Bürgerkriegsfraktion stellte.88 Während er in dieser Region einen Vertrauten installiert hatte, war in diesem und den anschließenden Jahren seine eigene Herrschaftsstellung noch gar nicht gefestigt. Augustus hatte zwar durch den Bürgerkrieg eine extraordinäre Position in Rom behaupten können, aber es waren die Jahre nach Aktium, in denen er um Akzeptanz für seine Herrschaft bemüht war und sich politischen Rückhalt und Legitimation aufzubauen versuchte. Dazu gehörte es auch, das Bild eines willkürlichen Monarchen zu meiden und den wiederhergestellten Frieden zu demonstrieren.89 Wie oben ausgeführt, schuf er zusätzlich in den ersten Regierungsjahren sukzessiv juristische Maßnahmen, die ihm ein Eingreifen in die Aktionsräume der Statthalter ermöglichten und eine Bestrafung von Magistraten und Feldherren legitimierten. Wenn Augustus bereits im Jahr 29 v.u.Z. Gallus seines Amtes enthoben hätte, dann hätte er nicht nur monarchische Willkür demonstriert und sich vielleicht einen Unterstützer in einer wichtigen Machtposition zum Feind gemacht, sondern eventuell sogar einen neuen Bürgerkrieg provoziert. Timo Stickler konnte aufzeigen, dass es Indizien dafür gibt, dass Gallus sich auf einen militärischen Konflikt mit Augustus vorbereitet hatte.90 Im Hinblick auf die sich noch festigende Stellung des Prinzeps und den Rückhalt des Präfekten in einer ressourcenreichen und militärisch vorteilhaften Region, hätte der Statthalter sich zu einer nicht vernachlässigbaren Gefahr entwickeln können. 87 Hoffmann, Minas-Nerpel, Pfeiffer 2009, 170–171, 175–176; Minas-Nerpel, Pfeiffer 2010, 292. Paola Gagliardi schloss sich der Meinung an, dass die Darstellung auf der Inschrift bedeuten würde, dass Gallus einen gravierenden Verstoß gegenüber Augustus beging. Sie sah jedoch ebenfalls den zeitlichen Abstand zu Augustus’ Reaktionen als ein Indiz dafür an, dass sich der Prinzeps wohl nicht daran gestört habe. Gagliardi 2012, 100–101. 88 Zum Stellenwert von Ägypten und Gallus’ dortiger Rolle vgl. auch Boucher 1966, 33–38; Minas-Nerpel 2011, 133. 89 Vgl. Bleicken 1990, 65–93; Börm, Havener 2012. 90 Stickler 2002, 111. Ebenso Max Treu hat dafür argumentiert und sogar eine Revolte des Präfekten gegen Augustus erwägt. Treu 1973. Ihr wichtigstes Indiz war dafür P. Oxy. 37, 2820. Luppe 1978 kritisierte und verbesserte zwar den von Max Treu rekonstruierten Text aus dem Papyrus, stimmte jedoch seiner daraus erwachsenden These zu. Zweifel hegte hingegen Eisenhut 1989, der diese Schlussfolgerungen kritisierte.

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Daher verwundert auch das zurückhaltende Verhalten des Prinzeps in diesem Jahr nicht. Gleichermaßen zurückhaltend hatte Augustus in seinen ersten Regierungsjahren noch gegenüber seinem Konkurrenten M. Licinius Crassus agiert und zunächst seine Feldzüge, seine Verbindungen zu Fürstenhäusern und auch seinen Triumph zugelassen, bevor er dagegen intervenierte. Wenige Jahre später konnten Augustus und der Senat schon viel entschiedener gegen den Statthalter M. Primus vorgehen und seinen Feldzug stoppen sowie ihn in einem Gerichtsprozess bestrafen. Im Jahr 27/26 v.u.Z., als Gallus zurückberufen und mit seinem Gunstverlust konfrontiert wurde, hatte der frisch gekürte Augustus eine sicherere und viel stärkere politische Basis in Rom aufgebaut und außerdem eine juristische Grundlage geschaffen, die ihm im Hinblick auf Gallus ein legitimes Einschreiten ermöglichte: Die oben erwähnte lex Iulia de maiestate war dafür ein geeignetes Mittel. Wie bereits ausgeführt, wird es dort explizit als Verrat bezeichnet, wenn jemand dafür sorgte, dass Könige weniger oder nicht dem römischen Volk gehorchen.91 Wenn Gallus ein persönliches Klientelverhältnis mit den meroitischen Königshaus sowie eventuell auch mit einem selbst installierten Klientelherrscher im neu eroberten Land unterhielt und anscheinend dafür Sorge trug, dass Repräsentanten des Königreiches nicht in Kontakt mit dem populus Romanus, dem Senat oder dem Kaiser gerieten und weder erfuhren, wer Augustus war, noch wie man zu ihm gelangte, dann scheint er genau in dieses Strafparadigma zu passen. Konzis formuliert bedeuteten diese Taten nämlich genau das, was im Gesetz als strafbar dargestellt wird: Er hat mindestens einen König dazu verleitet, nicht dem römischen Volk zu gehorchen und stattdessen ein persönliches Verhältnis zum Statthalter zu unterhalten.92 Hierzu würde auch passen, dass Lawrence Daly, William Reiter und Richard Baumann davon ausgehen, dass Gallus von Senatoren wegen eines crimen maiestatis angeklagt wurde. Hierfür konnten sie einige überzeugende Indizien aufzeigen.93 Dies würde die These unterstützen, dass die lex Iulia maiestatis eine wichtige Rolle bei der Gallus-Affäre einnahm. Ob der Prinzeps bei der Freundschaftsaufkündigung oder der Senat bei seinen Anklagen tatsächlich auf dieses Gesetz rekurrierten, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Trotzdem zeigt es unverkennbar auf, dass das persönliche Unterhalten von Klientelbeziehungen zu Dynasten nicht mehr erwünscht war und der Urheber des Gesetzes solche 91 Dig. 48, 4, 4, praef. 92 Obwohl Lawrence Daly und William Reiter anscheinend nicht den zitierten Digestenausschnitt berücksichtigt haben, haben sie bereits vermutet, dass Gallus’ Militäroperationen und Organisation des neueroberten Landes vielleicht in das Strafmuster der lex Iulia maiestatis passen könnten und somit Augustus und dem Senat die Möglichkeit eines juristischen Vorgehens gegen ihn eröffneten. Sie haben auf die lex Cornelia maiestatis verwiesen (Cic. Pis. 50), die bereits das Betreten von Königreichen ohne Befehl des römischen Volkes oder des Senates verbot. Daly, Reiter 1979, 308–311. 93 Baumann 1967, 181–183; Daly, Reiter 1979, 303–311. Feliciantonio Costabile hegte Zweifel an diesen Überlegungen. Er kannte anscheinend aber nicht die zitierte Passage (Dig. 48, 4, 4, praef.) oder ignorierte diese zumindest bei seiner Kritik und bezog sich lediglich auf die lex Cornelia maiestatis. Costabile 2001, 321–322.

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Beziehungen nicht mehr dulden, sie gar aktiv verhindern und bestrafen wollte. Auf dieser juristischen Basis und durch seine gefestigte politische Stellung in Rom konnte Augustus im Jahr 27/26 v.u.Z. gestärkt, sicher und auf einer legitimen Grundlage dem Präfekten entgegentreten. Die Anmaßung von Gallus konnte nun eindeutig als Fehlverhalten klassifiziert und bestraft werden. Zwei Jahre zuvor wäre dies ohne die zuvor erwähnten Risikopotenziale nicht denkbar gewesen. Damit würde das Warten und die Zurückhaltung im Fall Gallus’, welches für Irritation in der Forschung gesorgt hat, nachvollziehbar werden. Der Freundschaftsentzug im Jahr 27/26 v.u.Z. kann somit als ein taktisch eingesetztes Instrument von Augustus bewertet werden, mit dem er zugleich mehrere Effekte erzielte und Probleme löste: Die öffentliche Aufkündigung der Freundschaft zeigte die Anmaßung dieser Person öffentlich an, signalisierte das Ende der kaiserlichen Gunst und Protektion für Gallus und eröffnete missgünstigen Senatoren, die sich beim Günstling des Prinzeps zurückgehalten hatten, nun die Möglichkeit, Anklagen gegen ihn vorzubringen. An diesen mangelte es anscheinend nicht und der bereits erwähnte Prozess inklusive des Suizids des Angeklagten folgten. Augustus hatte damit das Fehlverhalten bzw. die Anmaßung und die mögliche Konkurrenzstellung von C. Cornelius Gallus markieren, Kompetenzgrenzen definieren, deren Überschreitung bestrafen und den Präfekten unschädlich machen können, ohne der Form nach Gewalt anzuwenden. Dennoch konnte er mit diesem Akt psychischen Druck auf Gallus ausüben und Gewalt gegenüber diesem Individuum bei den Zeitgenossen evozieren. Zugleich pflegte er damit sein Verhältnis zum ordo senatorius, dem er damit zeigte, dass die Privilegien und Praxen, die er ihnen in den außeritalischen Gebieten genommen hatte, auch nicht den Rittern gewähren würde. Dies wäre wahrscheinlich erforderlich gewesen, wenn er nicht langfristig die Eintracht mit dem Senat gefährden wollte. Zuletzt hatte der Prinzeps durch das Verbot die Provinzen besuchen zu dürfen Gallus jegliche Möglichkeiten genommen auf die erworbenen Verbindungen in der Provinz Ägypten, die dortigen Truppen oder die geschlossenen Klientelbeziehungen zuzugreifen und sie zu nutzen. Durch den Tod von Gallus wurden diese Beziehungen gar gänzlich aufgelöst. Augustus hatte sich damit nun die Möglichkeit geschaffen, den peripheren Raum, in dem sein Präfekt aktiv gewesen war, neu zu ordnen und die dortigen Akteure auf die eigene Person auszurichten sowie das Fehlverhalten seines einstigen Freundes zu korrigieren. Die nachfolgenden Nubienfeldzüge unter dem Präfekten P. Petronius,94 die bei Augustus anscheinend auf Akzeptanz stießen und nicht die Beziehung des Kaisers zu seinem Statthalter belasteten, scheinen diese Absichten noch zu unterstreichen. Petronius führte nämlich genau wie Gallus erfolgreich Militäroperationen gegen

94 Eigentlich war Aelius Gallus der zweite Präfekt Ägyptens gewesen. Durch seine Abwesenheit im Arabienfeldzug hat aber P. Petronius diese Position für ihn ausgeübt. Vgl. PIR2 P 270; Stickler 2002, 90–92; Havener 2019, 140–143.

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Strabonpassage zeigt, verhielt sich Petronius aber vollkommen anders gegenüber den Gesandten des Königshauses.96 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger verhandelte er erst gar nicht mit ihnen, sondern schickte sie zu Augustus weiter. Er war zwar als ausführender Feldherr relevant für die militärische Niederwerfung der Nubier, aber er hatte als Person keinen nennenswerten Anteil an den Friedensbedingungen und den daraus resultierenden politischen Beziehungen zum Königreich. Dieses Mal war es Augustus selbst, der auf Samos die Repräsentanten von Kusch empfing und mit ihnen die Friedenskonditionen verhandelte, wodurch er die politischen Verhältnisse zu Nubien und dem meroitischen Königshaus definierte und von seiner Person abhängig machte.97 Ob Kusch damit langfristig in Abhängigkeit zum Prinzeps und zu seinen Nachfolgern geriet und im weitesten Sinne einem Klientelkönigreich entsprach, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden.98 Durch die direkten Verhandlungen auf Samos waren aber die politischen Beziehungen, die zwischen Rom und Kusch bestanden, nun eng mit Augustus verknüpft und es dürfte wohl außer Frage gestanden haben, dass er wieder die römische Autorität in dieser Region und der Interaktionspartner für die dortigen Akteure war. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hatte Petronius weder persönliche Klientelbeziehungen oder Einfluss in der Region erworben noch persönliche Ehrungen militärischer oder politischer Natur für sich beansprucht oder zur Schau gestellt. Er hatte die Fehler des Gallus nicht wiederholt und dadurch auch nicht sein Verhältnis zum Kaiser oder dem Senatorenstand belastet. Der gefallene Begleiter des Kaisererben. M. Lollius Dass das an C. Cornelius Gallus aufgezeigte Paradigma sich im frühen Prinzipat wiederholte, kann man bei M. Lollius beobachten. Wie Gallus, hatte Lollius einst zu Augustus’ Günstlingen gezählt und unter ihm eine steile Karriere gemacht. Historisch fassbar ist er erstmals im Jahr 25 v.u.Z. In diesem Jahr wurde er als Legat des Kaisers mit der Einrichtung der Provinz Galatia beauftragt, als deren erster Statthalter er fungierte. Bereits diese Stellung spricht für ein großes Vertrauen des Prinzeps in seine Person. Das Konsulat, welches Lollius 21 v.u.Z. erhielt, scheint dieses gute Verhältnis noch zu unterstreichen. In den Folgejahren wurde der Senator mit weiteren wichtigen und prestigevollen Aufgaben betraut. In den Jahren 19/18 v.u.Z. wurde ihm die Kriegsführung gegen die Bessi anvertraut; für das Jahr 17 v.u.Z. ist er als Quindecimvir bei den Säkularspielen dokumentiert. Obwohl er 17/16 v.u.Z. als Legat in Gallien eine Niederlage gegen die Usipeter, Tenkterer und

96 Bereits Wolfgang Havener verwies darauf, dass Strabon damit Petronius als Kontrast zu seinem Vorgänger darstellte. Havener 2019, 143. 97 Str. 17, 1, 54 (821C). 98 Zu den langfristigen römisch-kuschitischen Beziehungen im iulisch-claudischen Prinzipat vgl. Hable-Selassie 1964, 50–61; Török 1986, 17–18; Török 1989, 78–82; Desanges 1988, 4–17; Török 1988; Török 1989/1990, 455–467; Locher 2002, 129–133.

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Kaiser nicht geschadet zu haben.99 In der augusteischen Dichtkunst ist M. Lollius sogar als „amicus Caesaris Augusti“100 bezeugt. Die Sympathie und das Vertrauen, welches Augustus diesem Mann entgegenbrachte, mögen sich auch daran zeigen, dass er ihn als comes und rector auf die Orientexpedition seines prädestinierten Erben Gaius Caesar mitschickte.101 Diese Orientepisode ist es, die Aufschluss über das hier behandelte Phänomen gibt, denn auf dieser ereignete sich die renuntatio amicitiae, die M. Lollius’ Karriere abrupt beenden sollte. Tacitus und Sueton schildern zwar, dass sich auf dieser Reise der schlechte Charakter des Senators und sein übler Einfluss auf den Kaisererben, den er als Ratgeber begleitete, gezeigt haben, jedoch geben sie keine Hinweise darauf, um welche Fehltritte es sich hierbei handelte, die den Gunstverlust verursachten.102 Konkreter wird der Zeitgenosse Velleius Paterculus, der davon schreibt, dass Gaius Caesar bei diplomatischen Verhandlungen vom parthischen Großkönig über die verräterischen und perfiden Pläne seines Begleiters unterrichtet wurde. Worin diese bestanden und warum ausgerechnet der Großkönig von diesen wusste, erwähnt der Historiograph nicht.103 Wirkliche Details erfahren wir nur von dem älteren Plinius, der den Freundschaftsbruch mit Lollius’ Umgang mit den Königen des Ostens begründet. Hiervon berichtet er im Zusammenhang des Reichtums von Lollia Paulina, seiner Enkelin und der dritten Ehefrau Caligulas. So äußert sich Plinius folgendermaßen über den Reichtum der gens Lollia: „Dies ist das Ergebnis des Raubes: Deshalb nahm M. Lollius Gift, nachdem er durch die Annahme von Geschenken der Könige im ganzen Morgenland seinen Ruf aufs Spiel gesetzt und Gaius Caesar, der Sohn des Augustus, ihm die Freundschaft aufgesagt hatte, daß sich seine Enkelin mit einem Schmuck von 40 000 000 Sesterzen im Lichte der Lampen sehen lassen konnte!“104 M. Lollius hatte Geschenke von Königen angenommen und dadurch seinen Ruf zerstört. Plinius charakterisiert die Präsente als rapina und zeigt damit deutlich eine Grenzüberschreitung auf und klassifiziert das Verhalten des Senators folglich als unangemessen und verwerflich. Wohl aus ähnlichen Gründen kritisierte auch Velleius Paterculus scharf die Geldgier und Unehrlichkeit des Senators.105 Verwunderlich ist diese Einordnung nicht, denn der Empfang von Geschenken auswärtiger Könige avancierte im frühen Prinzipat zu einem Privileg der Kaiserfamilie.106 M. 99 PIR2 L 311; Sherk 1980, 963–964; Eck, Mägele 2008, 183–185. 100 PLM 1, 10. 101 Vell. Pat. 2, 102, 1; Tac. Ann. 3, 48, 1; Suet. Tib. 12, 2–3; PIR2 L 311; Romer 1979, 210; Eck, Mägele 2008, 184. 102 Tac. Ann. 3, 48, 1; Suet. Tib. 12, 2–3. 103 Vell. Pat. 2, 102, 1. 104 Plin. NH 9, 118. „hic est rapinarum exitus: hoc fuit, quare M. Lollius infamatus regum muneribus in toto oriente interdicta amicitia a Gaio Caesare, Augusti filio, venenum biberet, ut neptis eius quadringentiens HS operta spectaretur ad lucernas.“ Dt. Übersetzung von Gerhard Winkler und Roderich König. 105 Vell. Pat. 2, 97, 1. 106 Erkennbar ist dies z.B. beim Gerichtsverfahren gegen den Senator Cn. Calpurnius Piso. In den epigraphischen Fragmenten, die das senatus consultum dokumentieren, findet sich u.a. der Vorwurf, dass Cn. Calpurnius Geschenke von König Vonones I. angenommen habe und sich damit

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Kronprinz Gaius Caesar, der um sein Vorrecht und anscheinend auch um eine opulente Summe beraubt wurde, dementsprechend pikiert reagierte, erstaunt nicht. Es ging nicht nur um Vorrechte der familia Caesaris und den Erwerb von üppigen pekuniären Mitteln. Marcel Mauss hat anschaulich zeigen können, dass über solche Formen des Gabenaustausches in vormodernen Kulturen Herrschaftsstrukturen, persönliche Bindungen sowie Abhängigkeitsverhältnisse definiert und repräsentiert wurden.107 Auch die republikanischen Patrone hatten einst häufig von ihren royalen und provinzialen Klienten Präsente und Geld bekommen. Nicht selten waren solche Verhältnisse durch den Austausch von Geschenken, finanziellen Zuwendungen oder sonstigen beneficia initiiert worden.108 Bedenkt man diese Prämisse, dann findet sich wohl in dieser Passage der Hinweis darauf, dass M. Lollius die Reise genutzt hatte, um persönliche Beziehungen, wahrscheinlich sogar Patronagebeziehungen zu Königen oder anderen Eliten aufzubauen. Darauf scheint auch die Schilderung von Velleius Paterculus hinzuweisen. So konnte der parthische Großkönig nur von den Plänen des M. Lollius, die er Gaius Caesar offenbarte, erfahren haben, indem es zuvor zu einem persönlichen Austausch mit seinem Berater gekommen war. Das würde bedeuten, dass M. Lollius ohne seinen Schützling aktiv in Kontakt zum Großkönig und wahrscheinlich auch den anderen freigiebigen Königen getreten war und nach der Schilderung von Plinius persönliche Zahlungen und Geschenke von ihnen angenommen hatte. Auf die damit angestrebte Patronage, die Lollius seinem Schützling streitig machte, scheint auch eine Inschrift aus Kleinasien hinzudeuten. Auf ihr ist eine städtische Gesandtschaft aus Halikarnassos dokumentiert, die persönlich M. Lollius aufgesucht hatte. Bereits Werner Eck und Semra Mägele deuteten die Inschrift als Indiz darauf, dass die Bewohner von Halikarnassos M. Lollius als Patron gewinnen wollten. Ebenso interpretierten die beiden Autoren die Überreste einer Kolossalstatue des M. Lollius in Sagalassos als Hinweis dafür, dass der comes als Patron in dieser Region aktiv war.109 Derlei Aktionen müssen aus einer kaiserlichen Perspektive als Fehlverhalten und Anmaßung gewertet werden. Augustus hatte seinen präsumtiven Nachfolger in den Osten geschickt, damit er dort militärisches Prestige und Autorität aufbauen sowie Kontakt zu wichtigen politischen Akteuren in den Provinzen und Königreichen knüpfen konnte. Gaius Caesar sollte als Erbe in Erscheinung treten und der Weg für seine akzeptierte Nachfolge bereitet werden.110 Dieses Unterfan-

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Vorwurf, dass Cn. Calpurnius Geschenke von König Vonones I. angenommen habe und sich damit bestechen ließ. Dies wird als Straftat klassifiziert. Eck, Caballos, Fernández 1996, 40– 42, Z. 37–45. Vgl. Mauss 1990, speziell 170–171. Zum Austausch von Geschenken und Geldmitteln zwischen nobiles und Königen vgl. Badian 1968, 59; Braund 1984b, 58–60; Schulz 2015, 41–47. Z.B. hatte in der Region einst auch Pompeius als Zeichen der Anerkennung wertvolle Geschenke vom König der Iberer angenommen, der in seine Abhängigkeit geraten war. Plut. Pomp. 36. GIBM 893; Eck, Mägele 2008, 184–185. Vgl. Romer 1979; Hurlet 1997, 127–139.

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auswärtigen Monarchen trat, Geschenke von ihnen annahm, gar Patronagebeziehungen zu ihnen oder wichtigen Gemeinden in den Provinzen initiierte. Er ignorierte bzw. verletzte damit die Autorität des Kaisererben und schädigte die Ziele der Unternehmung und folglich die Kaiserfamilie selbst. Der Freundschaftsentzug des Gaius Caesar ermöglichte es, wie im Fall Gallus’, nicht nur dieses Fehlverhalten und die Anmaßung gegenüber seiner Person anzuzeigen und damit eine Grenzüberschreitung zu markieren, sondern sie auch zu bestrafen und zu korrigieren. In Reaktion auf den Freundschaftsbruch wählte M. Lollius kurz darauf, wohl aus Verzweiflung, den Suizid, schon bevor Reaktionen aus Rom folgen konnten.111 Die Verbindungen, die der Senator zu Königen oder anderen Eliten initiiert hatte, wurden damit zurückgesetzt und erlaubten es nun Gaius Caesar diese neu zu definieren und dieses Mal auf seine eigene Person auszurichten.112 Zugleich dürften damit die Privilegienverletzungen zur Genüge vergolten und anderen nobiles die Grenzen bei der Interaktion mit Königen aufgezeigt worden sein. Zusammengenommen zeichnet sich damit ein ähnliches Paradigma wie bei C. Cornelius Gallus ab. Die renuntatio amicitiae konnte vom Kaisererben als Instrument genutzt werden, um Anmaßung und Grenzüberschreitung anzuzeigen, Gewalt und Druck auf M. Lollius auszuüben, ihn unschädlich zu machen und seine Eingriffe in der Peripherie und die Interaktionen mit den dortigen Akteuren zu berichtigen und zu Gunsten der Kaiserfamilie neu zu ordnen. Schlussfolgerungen Summa summarum zeigt sich an den Freundschaftsbrüchen von C. Cornelius Gallus und M. Lollius, dass die renuntatio amicitiae von Augustus und seinen Familienmitgliedern als gezieltes Instrument gegen Angehörige der römischen Oberschicht bedient werden konnte, deren Verhalten der Prinzeps bzw. die familia Caesaris als anmaßend, falsch oder bedrohlich erachteten. Auch wenn diese Tat der eigentlichen Form nach gewaltlos war, signalisierte der öffentliche Gunstentzug die Fehltritte dieser Individuen und evozierte geduldete, gewaltsame bzw. zerstörerische Reaktionen in der römischen Oberschicht gegenüber ihnen. Dies dürfte auch einen erheblichen psychischen Druck auf sie ausgeübt haben, wenn sie in Konsequenz den Freitod wählten. Da somit dem kaiserlichen Freundschaftsentzug eine intendierte Verletzung bzw. Schädigung des Individuums zugeschrieben werden kann, scheint es legitim, diesen Akt in der Praxis als psychische Gewalt zu klassifizieren. So ist auch laut Heinrich Popitz ein zentrales

111 Velleius Paterculus ist sich im Gegensatz zu Plinius nicht sicher, ob es sich um einen Freitod handelte, und deutet an, dass hier vielleicht nachgeholfen wurde. Vell. Pat. 2, 102, 1; Plin. NH 9, 118. 112 Zum Verlauf von Gaius Caesars Orientzug und seinen diplomatischen Interaktionen mit Königen und lokalen Eliten vgl. Romer 1979; Hurlet 1997, 127–139.

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absichtlichen Verletzung eines Individuums führt.113 Ebendieses Gewaltkriterium erfüllt der kaiserliche Freundschaftsentzug. Die Rolle des Kaisers beim Aussprechen der Freundschaftskündigung ähnelte stark derer, die er bei öffentlichen Gerichten einnahm. So hat Klaus Bringmann zeigen können, dass Augustus bei Prozessen de jure keine andere oder gesonderte Rolle als andere Senatoren bei solchen Gerichtsverfahren einnahm und in republikanischer Tradition als Fürsprecher oder Kläger gegenüber einzelnen Personen auftrat. Allein die auctoritas des Kaisers vermochte dazu führen, dass die Gerichtsteilnehmer, die seine Unterstützung erhielten, de facto immun gegen die Anklagen wurden, während jene, die vom Prinzeps angeklagt wurden, meist jegliche Unterstützung von ihren Standesgenossen in solchen juristischen Verfahren verloren. Das Urteil von Augustus war damit meist richtungsweisend für das Urteil des Gerichtes.114 Dieses Paradigma findet sich auch beim kaiserlichen Freundschaftsentzug. Der Form nach bediente Augustus mit der Freundschaftskündigung eine harmlose republikanische Tradition, die durch seine auctoritas und seine Stellung im gesellschaftlichen und politischen Gefüge Roms zu einem Herrschafts- und Gewaltinstrument avancierte. Wenn man, wie Wilhelm Kierdorf, den kaiserlichen Freundschaftsentzug aber nur als ein Mittel „zur Kontrolle und Einschüchterung der Oberschicht“115 bewerten möchte, dann verkennt man doch wichtige Potenziale dieses Aktes. An Gallus und Lollius ist sichtbar geworden, dass mit dem kaiserlichen Freundschaftsentzug gezielt Karrieren, gar Menschenleben zerstört werden konnten. Es ermöglichte Augustus und Gaius Caesar, das Fehlverhalten und die Anmaßung ihrer Mandatare anzuzeigen und zu bestrafen, ohne das Schreckensbild von willkürlichen Monarchen aufkommen zu lassen. In der Formierungsphase des Prinzipats konnten sie damit die Grenzen der Handlungsräume ihrer Amtsträger markieren, sie zugleich definieren und die Überschreitungen dieser maßregeln. Der kaiserliche Freundschaftsentzug war folglich ein wichtiger Bestandteil des Aushandlungsprozesses von Kompetenzbereichen. Ferner erlaubte ihnen der Freundschaftsentzug in beiden Fällen die Fehltritte dieser Personen in den Provinzräumen und Königreichen zurückzusetzen und zu korrigieren, mögliche Gefahren und Konkurrenzsituationen, die von diesen Akteuren ausgingen, im Keim zu ersticken und die peripheren Verhältnisse nach eigenen Vorstellungen neu zu ordnen. Damit erweist sich der Freundschaftsentzug als potentes Instrument des Prinzeps, um gegen Individuen der römischen Oberschicht vorgehen zu können und die Kontrolle sowie den persönlichen Einfluss in den außeritalischen Regionen des Reiches aufrechterhalten zu können. Es erlaubte dem Kaiser ein aktives Operieren und Justieren im Reichsapparat. Deutlich wird die Wirksamkeit dieses Instrumentes auch daran, dass sich die beschriebenen Muster und Phänomene unter den nachfolgenden Kaisergenerationen wiederholten.

113 Popitz 1986, 73. 114 Bringmann 1973, 243–244. 115 Kierdorf 1987, 245.

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Hier ließe sich als Beispiel der Freundschaftsentzug von Tiberius und Germanicus gegenüber Cn. Calpurnius Piso nennen, der auf das Fehlverhalten des Senators auf Germanicus’ Ostkampagne folgte,116 oder der Fall von L. Vitellius, der nach seinen persönlichen Erfolgen im Orient um seine Gunst bei Caligula bangte.117

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116 Vgl. Tac. Ann. 2, 69–82; Tac. Ann. 3, 12, 2; Eck, Caballos, Fernández 1996; Hofmann-Löbl 1996, 252–268; Stickler 2002, 65–69. 117 Vgl. Tac. Ann. 6, 32, 3–4; Suet. Cal. 14, 3; Suet. Vit. 2, 4; Cass. Dio 59, 27, 2–5; PIR2 L 741.

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DIRA CARMINA CUMANAE VATIS Unheilvolle Sibyllenorakel und ihr (in)direkter Einfluss auf das augusteische Weltbild Jens Fischer Die letzte Epoche des cumaeischen Liedes ist schon gekommen. Die große Reihe der Zeitalter beginnt von vorn. Schon kehrt auch die Jungfrau, es kehren die Königreiche Saturns zurück. Schon wird neue Nachkommenschaft vom hohen Himmel herabgesandt. Du, keusche Lucina, sei dem Knaben gewogen, der gerade geboren wird und mit dem erst das eiserne Geschlecht vergehen und sich dann auf der ganzen Welt ein goldenes Geschlecht erheben wird. Schon regiert dein Apollon.1

Es existiert wohl kaum eine Passage der lateinischen Literatur, über die mehr diskutiert und geschrieben wurde als über diese sieben Verse der berühmten 4. Ekloge Vergils. Die vielfältigen in der Forschung zu findenden Interpretationen verteilen sich dabei auf ein äußerst breites Spektrum. Dieses reicht von einer bereits sehr frühen christlichen Interpretation, welche in dem vom Himmel herabgesandten Knaben, dem Dreh- und Angelpunkt des Gedichtes, niemand anderen als Jesus Christus erkennt,2 bis hin zu stark abwertenden Stimmen, die Vergils Werk als ein eher zweitklassiges Geburtstagsgedicht für einen römischen Oligarchen interpretieren.3 Lässt man diese Extreme aber einmal beiseite und wirft einen Blick darauf, welche Interpretation der Ekloge in der modernen Forschung die breiteste Anerkennung für sich beanspruchen darf, so stößt man auf ein vollkommen anderes Konzept. Diesem zufolge bringt Vergil am Ende der vierziger Jahre v. Chr. die Hoffnungen der römischen Bevölkerung auf Frieden zum Ausdruck, welche im Kontext des zwischen Octavian, dem späteren Augustus, und Marcus Antonius geschlossenen Vertrags von Brundisium aufflackerten.4 Aber erst nach der Schlacht bei Actium, also ziemlich genau ein Jahrzehnt später, konnte Octavian diese Hoffnungen der Menschen dann verwirklichen. Daraufhin hätten die zeitgenössischen Künstler das Selbstverständnis der neuen Epoche nicht zuletzt im Anschluss an Vergil als ein neues goldenes Zeitalter, als saeculum aureum, 1

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Verg. Ecl. 4. 4–10: Ultima Cumaei venit iam carminis aetas; | magnus ab integro saeclorum nascitur ordo. | iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna, | iam nova progenies caelo demittitur alto. | tu modo nascenti puero, quo ferrea primum | desinet ac toto surget gens aurea mundo, | casta fave Lucina; tuus iam regnat Apollo; Die Übersetzungen, die sich in diesem Beitrag finden, stammen vom Autor. Weber 1925, 3; Jachmann 1952, 14; Dornseiff 1960, 43; Gotoff 1967, 66; Wlosok 1975, 696f.; Momigliano 1987, 411; Clausen 1990, 72f.; Clausen 1994, 126–129; Girardet 2013, 556–564; Santangelo 2013, 123; Albrecht 2015, 136–140. Corssen 1925, 26; Jachmann 1952, 62; Nisbet 1978, 59; Smith 1983, 13; Albrecht 2015, 130. Vgl. bspw.: Syme 1939, 219f.; Barwick 1943, 57; Carcopino 1943, 107–110; Jachmann 1952, 53; Nisbet 1978, 63; Simon 1986, 14; Clausen 1994, 121 und 150.

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beeindruckend in Szene gesetzt. Ein berühmter Ausdruck dieses Konzepts, welches der vorherrschenden communis opinio zufolge beinahe die gesamte augusteische Kultur durchzogen hätte, wäre die scheinbare Allgegenwärtigkeit des auch von dem Dichter im zehnten Vers seines Werkes erwähnten Gottes Apollon, dem Augustus dann auch einen prächtigen neuen Tempel auf dem Palatin in unmittelbarer Nähe seines persönlichen Wohnsitzes errichtete.5 Ein anderes Beispiel wäre die Ara Pacis mit ihren Motiven der Fülle und der Fruchtbarkeit.6 Die entscheidende Prophezeiung dieses neuen goldenen Zeitalters, die in der 4. Ekloge zum Ausdruck gelangt, stammt Vergil zufolge dabei aber keineswegs von ihm selbst. Wie der Dichter seinen Lesern sehr deutlich zu verstehen gibt, bezieht er sich vielmehr auf die Worte der Sängerin des „cumaeischen Liedes“ (Cumaei carminis). Gemeint ist die cumaeische Sibylle und die Forschung ist sich daher auch seit langem im Wesentlichen darüber einig, dass Vergil bei der Abfassung seines Gedichts ein sibyllinisches Orakel vorlag, das während der 40er Jahre v. Chr. innerhalb der römischen Bevölkerung eine gewisse Bekanntheit besessen haben muss.7 Demnach aber sind es in letzter Instanz die Vorstellungen, die in diesem Orakel zum Ausdruck kamen, an welche die augusteische Kunst und Literatur dann angeknüpft haben sollen. Im Rahmen einer solchen Interpretation unserer Quellen erscheint die Sibylle somit beinahe uneingeschränkt als eine Art Glücksprophetin und ihr ursprüngliches „Lied“ wiederum als ein geradezu paradiesischer Gesang. Vor dem zeitgenössischen Hintergrund bleibt eine solche Interpretation mindestens unvollständig. Die Problematik, welche von der mit der augusteischen Epoche beschäftigten Forschung nur äußerst selten thematisiert wird, tritt bspw. bei einem Blick auf die folgende Passage der Pharsalia Lucans besonders deutlich zutage: Wir haben gehört, die einheimischen Götter hätten geweint, Laren hätten durch ihren Schweiß die Bedrängnis der Stadt bezeugt und Weihgaben seien in ihren Tempeln zu Boden gefallen. Unheilvolle Vögel hätten den Tag befleckt und wilde Tiere, welche die Wälder des Nächtens verlassen hatten, ihr Lager dreist mitten in Rom errichtet. Damals gelang es den Zungen des Viehs leicht, menschliche Laute hervorzubringen und es wurden Menschen mit einer ungeheuren Anzahl und Bildung von Gliedmaßen geboren, sodass das Kind die eigene Mutter erschreckte. Auch verbreiteten sich unheilvolle Gesänge der Seherin von Cumae im Volk.8

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Diese traditionellen Interpretationen der sibyllinischen und apollinischen Aspekte augusteischer Kultur werden vom Autor dieses Beitrages allerdings grundlegend hinterfragt; siehe: Fischer 2022. Mlasowsky 2010; Simon 2012. Diels 1890, 15; Corssen 1925, 27; Jeanmaire 1939, viif.; Barwick 1943, 54; Jachmann 1952, 23; Gagé 1955, 481; Weinstock 1971, 195f.; Wlosok 1975, 695f.; Nisbet 1978, 59f.; Momigliano 1987, 411; Clausen 1994, 131; Collins 1997, 192f.; Gauger 2002, 392f.; Roessli 2004, 62; Lightfoot 2007, 192; Gillmeister 2010, 19f.; Horsfall 2013, 83; Santangelo 2013, 122f. Luc. 1. 556–565: indigetes fleuisse deos, urbisque laborem | testatos sudore Lares, delapsaque templis | dona suis, dirasque diem foedasse uolucres | accipimus, siluisque feras sub nocte relictis | audaces media posuisse cubilia Roma. | tum pecudum faciles humana ad murmura linguae, | monstrosique hominum partus numeroque modoque | membrorum, matremque suus conterruit infans; | diraque per populum Cumanae carmina uatis | uolgantur.

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Der Kontext dieser Verse im Werk des neronischen Dichters ist das unmittelbare Vorfeld des offenen Bürgerkriegs zwischen Caesar und Pompeius. Zu dieser Zeit, so Lucan, verängstigten zahlreiche negative Vorzeichen, sogenannte Prodigien, die römische Bevölkerung. Laren schwitzten, Weihgaben fielen in ihren Tempeln zu Boden, wilde Tiere drangen in die Stadt ein und Frauen brachten Missgeburten zur Welt.9 Zudem sah man sich während all dessen mit unheilvollen Prophezeiungen konfrontiert, welche Lucan niemand anderem als der cumaeischen Sibylle (Cumanae vatis) zuschreibt. Am Beginn seines historischen Epos erwähnt auch der neronische Dichter demnach ein und dieselbe Sibylle wie Vergil. Mehr noch: Ebenso wie es die moderne Forschung für jenes Orakel vermutet, das der berühmten Ekloge zugrunde lag, so kursierten auch in Lucans Vorstellung die dira carmina Cumanae vatis während der 40er Jahre v. Chr. in der römischen Bevölkerung (per populum uolgantur). Der starke Kontrast der beiden Werke ist dabei allerdings ebenso evident. Denn im Gegensatz zu Vergil finden wir uns bei Lucan eben keineswegs mit paradiesischen, sondern ganz im Gegenteil mit überaus unheilvollen Gesängen konfrontiert (dira carmina). Wie genau ist dieser gravierende Unterschied zu verstehen? Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, das Phänomen sibyllinischer Orakel und besonders ihr Auftreten in Krisenzeiten genauer zu betrachten. Dabei wird im Folgenden aufgezeigt werden, dass die unheilvollen Inhalte frei zirkulierender Orakelsprüche – wie sie Vergil und Lucan gut bekannt gewesen sein müssen – die Zeitgenossen regelmäßig zu Tode verängstigten. Auf diese Weise stellten sie zum einen selbst einen wichtigen Teil der Kultur dieser stark durch die verschiedensten Formen von Gewalt geprägten Krisenepoche der späten Republik dar. Zum anderen trugen ihre mitunter sehr gewaltvollen Inhalte aber auch in nicht geringem Maße zur allgemeinen Verunsicherung jener Zeit bei. Durch die Untersuchung eben dieser Zusammenhänge liefert der vorliegende Aufsatz seinen speziellen Beitrag zur antiken Gewaltforschung, in deren Rahmen nicht nur der Untersuchung konkreter Inszenierungen, sondern auch kultureller Repräsentationen von Gewalt sowie ihrer spezifischen Wirkung auf die Menschen schon lange eine wichtige Bedeutung zukommt.10 Weiterhin wird aber auch aufgezeigt werden, wie im Rahmen der augusteischen Religion, Kultur und Politik gerade in der betonten Abwesenheit solcher Inhalte ein sekundärer Einfluss der unheilvollen Orakel zum Ausdruck gelangt.

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Zu dem Konzept des als bedrohlich empfundenen Verlusts der Ordnung, der in diesem sowie in den im Folgenden angeführten Katalogen sogenannter Prodigien zum Ausdruck gelangt und der sich durch das Auftreten „unmöglicher Geschehnisse” (Adynata) sowie das Überschreiten von Grenzen (Liminalität) äußert, siehe: Rosenberger 1998, 103–126. 10 Vgl. besonders. Riess’ (2012) wichtige Untersuchung zur Darstellung interpersoneller Gewalt im Kontext von Gerichtsreden, Fluchtafeln und der athenischen Komödie sowie die breiten kulturellen Horizonte der Sammelwerke von Fischer und Moraw (2005), Seidensticker und Vöhler (2006) sowie Zimmermann (2009).

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Sibyllen und ihre Orakel Beginnen wir unsere Betrachtungen bei der Natur der Prophetin, welche die Orakel dem zeitgenössischen Verständnis nach ursprünglich verkündet habe. Hierbei gilt es als erstes festzustellen, dass sich auch in der modernen Forschung gelegentlich noch die Ansicht findet, Sibyllen hätten einst wirklich existiert. Im Gegensatz etwa zu der delphischen Pythia ist dies jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr handelt es sich bei diesen göttlich inspirierten Seherinnen um rein mythologische Figuren, in deren Namen heute kaum noch greifbare Autoren Orakeltexte verfassten. Im Grunde ist das Phänomen daher durchaus verwandt mit anderen Arten pseudepigrapischer Schriften wie bspw. jenen, die dem Orpheus zugeschrieben wurden.11 Der schließlich berühmt gewordene Sibyllenkatalog des Marcus Terentius Varro, welcher sich uns im Werk des Laktanz erhalten hat und einen großen Einfluss auf die Sibyllentradition der folgenden Jahrhunderte auswirkte, kennt zehn dieser Seherinnen.12 Als die wohl bekanntesten von ihnen können die erythraeische und eben die cumaeische Sibylle gelten.13 Doch besaßen selbst diese zwei ebenso wie ihre acht „Schwestern“ keine allgemeingültige Legende.14 Auf eine ausführliche Behandlung der verschiedenen Traditionen muss aufgrund von deren Komplexität an dieser Stelle verzichtet werden.15 Zwei wichtige Eigenschaften, die sich alle Sibyllen der paganen Tradition teilen und die auch für den vorliegenden Beitrag überaus bedeutend sind, dürfen hingegen nicht unerwähnt bleiben. Zum einen führte man die divinatorische Inspiration der Seherinnen auf den Gott Apollon zurück.16 Zum anderen wurden Sibyllen den verschiedenen Überlieferungen zufolge nicht nur sehr alt, sie lebten stets auch so lange vor der jeweiligen Gegenwart unserer Quellen, dass sie in diesen grundsätzlich als längst verstorben gelten.17 Schon hierin kommt deutlich die oben bereits erwähnte Tatsache zum Ausdruck, dass es sich bei Sibyllen alleine um Gestalten des Mythos handelt. Dennoch erfahren wir 11 Dodds 1951, 148f.; Potter 1990, 102; Shapiro 1990, 336; Suárez de la Torre 1994, 201f.; Dillery 2005, 178f.; Lightfoot 2007, 16 und 29 und 77f.; Johnston 2008, 138f.; Suárez de la Torre 2009, 181; Burkert 2011, 184. 12 Lact. Inst. 1. 6. Bei diesen zehn Sibyllen, die als kanonisch gelten können, handelt es sich um die persische S., die libyische S., die delphische S., die cimmerische S., die erythraeische S., die samische S., die cumaeische S., die marpessische S., die phrygische S. und schließlich die tiburtinische S. 13 Zur erythraischen Sibylle siehe: Graf 1985, 335–350; Zur cumaeischen Sibylle siehe: Parke 1988, 71–99. 14 Ps. Aristot. Mir. 838; Serv. A. 6. 36 und 72 und 321. Wlosok 1975, 705; Parke 1988, 78f.; Keskiaho 2013, 153; Viscardi 2016, 203. 15 Siehe hierfür: Parke 1988; Potter 1990; Roessli 2004; Fischer 2022, 116–142. 16 Weber 1925, 48f.; Dodds 1951, 64 und 71 mit Anm. 27; Kurfess 1951, 6; Fontenrose 1978, 163; Graf 1985, 338; Parke 1988, 9; Suárez de la Torre 1994, 203; Alföldi 1997, 37; Gauger 2002, 346; Lightfoot 2007, 8; Graf 2009, 62 f.; Miller 2009, 134; Gillmeister 2010, 12f.; Viscardi 2016, 212; Fischer 2021, 87–89; Fischer 2022, 61–67. 17 Vgl. bspw.: IE 224; Luc. 5. 138; Mart. 9. 29. 3; Ov. Fast. 4. 158 und 875; Ov. Met. 14. 104 und 143–146; Paus. 10. 12; Petr. 48. 8; Plut. De Pyth. Or. 6; Prop. 2. 2. 15–16 und 2. 24. 33; Sil. 13. 411; Stat. Silv. 1. 4. 126; Verg. Aen.. 6. 321 und 628.

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handelt. Dennoch erfahren wir im paganen Kontext schon sehr früh von in der Bevölkerung verbreiteten Orakeln, die ursprünglich von einer Sibylle verfasst worden seien.18 Später wurde die Figur dann zuerst von den Juden und schließlich den Christen übernommen, wodurch die Prophetinnen auch zu Vermittlerinnen des neuen Glaubens wurden.19 Werfen wir als nächstes einen Blick auf Rom. Der Überlieferung zufolge erwarb die Stadt am Tiber bereits in der halbmythischen Königszeit eine Sammlung derartiger Sibyllenorakel.20 Diese Texte, die libri Sibyllini, wurden fortan von der Priesterschaft der decemviri sacris faciundis bzw. (seit einer Erweiterung des Kollegiums in sullanischer Zeit) quindecimviri sacris faciundis verwahrt.21 Seit den Zeiten der Republik stand dieses Kollegium in engster Beziehung zu Apollon, also jenem Gott, auf den man die Inspiration der Sibyllen zurückführte.22 Die Priester konsultierten ihre Texte beim Auftreten der schrecklichsten Prodigien. Wonach man in ihnen Ausschau hielt, waren zuvorderst Ritualvorschriften, mit denen die Vorzeichen entsühnt werden sollten. Es sind diese Ritualvorschriften, auf denen seit langem der hauptsächliche Fokus des altertumswissenschaftlichen Forschungsinteresses ruht.23 Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Schriften sowie ihrer Handhabung durch die Priesterschaft belegt allerdings, dass die besagten Angaben nur einen Teil ihres typischen Inhalts darstellten.24 Denn tatsächlich handelte es sich auch bei den sibyllinischen Büchern Roms ebenso wie bei ihren jüdisch-christlichen Gegenstücken um sehr vielgestaltige Texte. So etwa prophezeiten die mythologischen Seherinnen eben nicht nur Vor-

18 Aristoph. Eq. 61; Aristoph. Pax 1095 und 1116; Plut. De Pyth. Or. 6. Buitenwerf 2003, 94; Dillon 2017, 22; Nilsson 1951, 138f. 19 Zu der jüdisch-christlichen Sammlung der sogenannten Oracula Sibyllina siehe: Gauger 2002; Buitenwerf 2003; Lightfoot 2007; Waßmuth 2011. 20 Einigen Versionen des Mythos zufolge handelte es sich bei der Überbringerin der Bücher eben um die cumaeische Sibylle selbst; App. Reg. 9; D. H. 4. 62; Gell. 1. 19; Isid. Orig. 8. 8; Lact. Inst. 1, 6; Lyd. Mens. 4. 47; Plin. Nat. 13, 88; Serv. A. 6. 72; Solin. 2. 16–18; Tz. ad Lyc. 1279; Zon. 7. 11. 21 Serv. A. 6. 73; Gagé 1955, 442–444; Radke 1963, 1142; Bloch 1965, 282; Santi 1985, 5 und 49f.; Monaca 2005a, 79f.; Satterfield 2008, 175; Horsfall 2013, 114; Viscardi 2016, 203; Gillmeister 2019, 66–69. 22 Février 2002, 822: „Presque lʼégal du pontife dans la hiérachie sacerdotale, le decemvir est, en même temps, le ministre d’Apollon.“ Cic. har. resp. 26; Liv. 10, 8, 2; Obseq. 47; Plut. Cato min. 4; Boyancé 1972, 351; Bloch 1984, 80 und 103f.; Fischer 2020a, 132f.; Fischer 2020b, 548–553; Fischer 2021, 87f.; Fischer 2022, 163–168. 23 Gagé 1955, 32–33; Latte 1960, 161; Radke 1963, 1121 und 1126f.; Nisbet 1978, 59; Parke 1988, 193; Potter 1990, 476; Collins 1997, 182f.; Beard, North, Price 1998, 62f.; Gauger 2002, 380f. mit Anm. 56 und 389; Roessli 2004, 58; Satterfield 2008, 69–72; Gillmeister 2010, 17f.; Waßmuth 2011, 34; Viscardi 2016, 204. 24 Fischer 2020b; Fischer 2022, 41–60 und 78–90.

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Inhalte die Bevölkerung mitunter stark in Unruhe versetzen und somit für das gesamte Gemeinwesen schädliche Dynamiken hervorrufen konnten, stellten die Römer bereits in republikanischer Zeit nachweislich Bemühungen an, den privaten Besitz derartiger Orakel zu unterbinden und den Zugriff auf diese Texte auf die besagte offizielle Priesterschaft zu beschränken, welche demnach die Funktion einer Kontrollinstanz einnahm.26 Auf diese Weise gelang es dem römischen Senat, die Orakel weitestgehend zu kontrollieren, gleichzeitig aber selbst den Zugriff auf die in den Texten enthaltenen Ritualvorschriften zu behalten. Wie wir sehen werden, ließ es sich jedoch nicht vollständig verhindern, dass derartige Orakel immer wieder auch in der Bevölkerung kursierten. Dies gilt besonders für Zeiten schwerer Krisen, wie eben jenen der späten römischen Republik. Denn gerade in solchen Epochen besaßen unheilvolle Orakel Hochkonjunktur. Das Auftreten unheilvoller Orakel während der Krise der späten Republik Schon die älteste uns erhaltene Erwähnung einer Sibylle in der antiken Literatur charakterisiert die Äußerungen der Prophetin als unheilvoll. Es handelt sich um ein Fragment des Heraklit, welches sich im Werk des Plutarch erhalten hat. Den Worten des griechischen Philosophen zufolge prophezeie die Sibylle „ohne Lachen, ohne Schminke und ohne Myrrhen“ (ἀγέλαστα καὶ ἀκαλλώπιστα καὶ ἀμύριστα).27 Ebenfalls bei Plutarch und zwar in dessen Biographie des Demosthenes findet sich weiterhin ein Orakel, das am Vorabend der Schlacht von Chaironeia bekannt geworden sei und von den Zeitgenossen auf die Niederlage der Athener bezogen wurde.28 Der Perieget Pausanias wiederum überliefert zwei Prophezeiungen, in welchen die Zeitgenossen die Schlachten bei Kynoskephalai und Aigospotamoi erkannten.29 Der unheilvolle Charakter der Sibyllen und ihrer Orakel ist demnach bereits in den ältesten uns erhaltenen Zeugnissen für ein Auftreten dieser Texte deutlich erkennbar. Mit Blick auf jenen Zeitraum, der für den vorliegenden Beitrag 26 D. H. 4. 62. 4; Tac. Ann. 6, 12; V. Max. 1. 1. 13; Abaecherli Boyce 1938, 161; Février 2002, 838 f.; Buitenwerf 2003, 29 und 123; Roessli 2004, 59 f.; Horsfall 2013, 114; Keskiaho 2013, 166; Satterfield 2014, 230. 27 Plut. De Pyth. Or. 6 = Herakl. Frg. 22 B 92 DK: Σίβυλλα δὲ μαινομένῳ στόματι ἀγέλαστα καὶ ἀκαλλώπιστα καὶ ἀμύριστα φθεγγομένη χιλίων ἐτέων ἐξικνέεται τῇ φωνῇ διὰ τὸν θεόν; Anhand der Lebenszeit des Philosophen wird das Zitat gemeinhin an den Beginn des fünften vorchristlichen Jahrhunderts datiert. Allerdings existiert eine längere Forschungsdebatte darüber, wie genau die Worte Heraklits von jenen Plutarchs abzugrenzen sind. Siehe hierzu: Nikiprowetzky 1970, 2; Graf 1985, 345; Parke 1988, 63f.; Schröder 1990, 145f.; Suárez de la Torre 1994, 191; Gauger 2002, 347 mit Anm. 38; Roessli 2004, 48; Monaca 2005b, 307; Lightfoot 2007, 4 mit Anm. 4; Suárez de la Torre 2009, 179; Viscardi 2016, 201. 28 Plut. Dem. 19: τύχη δέ τις ἔοικε δαιμόνιος ἐν περιφορὰ πραγμάτων, εἰς ἐκεῖνο καιροῦ συμπεραίνουσα τὴν ἐλευθερίαν τῆς Ἑλλάδος, ἐναντιοῦσθαι τοῖς πραττομένοις, καὶ πολλὰ σημεῖα τοῦ μέλλοντος ἀναφαίνειν, ἐν οἷς ἥ τε Πυθία δεινὰ προὔφαινε μαντεύματα, καὶ χρησμὸς ᾔδετο παλαιὸς ἐκ τῶν Σιβυλλείων τῆς ἐπὶ Θερμώδοντι μάχης ἀπάνευθε γενοίμην, αἰετὸς ἐν νεφέεσσι καὶ ἠέρι θηήσασθαι. κλαίει ὁ νικηθείς, ὁ δὲ νικήσας ἀπόλωλε. Parke 1988, 14. 29 Paus. 7. 8 und 10. 9. 11; Parke 1988, 14.

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besonders relevant ist, ist es jedoch eine Passage aus dem Werk Appians, die es nach der oben bereits behandelten Passage Lucans als nächstes genauer zu betrachten gilt: Irrationale Ängste befielen viele Menschen sowohl im Privaten als auch in der Masse in ganz Italien und man erinnerte sich schreckenerregender alter Orakel. Es ereigneten sich viele Vorzeichen. Ein Maultier brachte ein Junges zur Welt und eine Frau gebar eine Viper anstatt eines Säuglings. Die Gottheit erschütterte gewaltig die Erde und brachte einige Tempel in Rom zum Einsturz.30

Der Kontext der Worte ist Sullas zweiter Marsch auf Rom im Jahre 83 v. Chr., bei dem auch der kapitolinische Jupitertempel in Flammen aufging.31 Die große Ähnlichkeit der Passage zu den Worten Lucans ist evident. Auch bei dem griechischen Historiker bildet das Auftreten von Orakeln (μαντευμάτων) einen Bestandteil eines sogenannten Prodigienkatalogs. So etwa soll ein Maultier ein Junges bekommen und eine Frau eine Schlange zu Welt gebracht haben. Außerdem habe die Erde gebebt. Ebenso wie Lucan beschreibt dabei auch Appian, dass die überaus furchteinflößenden Orakel (ἐπιφοβωτέρων) in der Bevölkerung (πλῆθος) kursiert seien und zwar sogar jener ganz Italiens (περὶ ὅλην τὴν Ἰταλίαν). Dabei werden die Orakel von dem griechischen Historiker zwar nicht eindeutig als sibyllinisch identifiziert, ihre Beschreibung als besonders alt (παλαιῶν) verweist aber doch zumindest in dieselbe Kategorie von Texten. Bei der nächsten für uns interessanten Passage handelt es sich um ein Fragment des zwar zu großen Teilen verlorenen, aber dennoch in gewisser Weise berühmtberüchtigten Werks De Consulatu Suo, das sich als Selbstzitat in Ciceros Schrift De divinatione erhalten hat: Oder als ein Bürger bei heiterem Sonnenschein von einem schrecklichen Blitz getroffen wurde und sein Lebenslicht aushauchte? Oder als die Erde es geschehen ließ, dass ihr trächtiger Leib erzitterte? Schon warnten verschiedene schreckliche Gestalten, die zu nächtlicher Stunde gesehen wurden, vor Krieg und Unruhen und Seher ergossen aus rasender Brust zahlreiche Orakel ins Land, die kummervolle Unglücksfälle androhten.32

Diese Verse beziehen sich auf das Jahr 63 v. Chr. Der historische Kontext ist die berühmte Catilinarische Verschwörung. Auch in deren Vorfeld wurde die römische Bevölkerung Ciceros Dichtung zufolge durch grauenvolle Vorzeichen verstört. So 30 App. BC 1. 83: δείματά τε γὰρ ἄλογα πολλοῖς καὶ ἰδίᾳ καὶ κατὰ πλῆθος ἐνέπιπτε περὶ ὅλην τὴν Ἰταλίαν, καὶ μαντευμάτων παλαιῶν ἐπιφοβωτέρων ἐμνημόνευον, τέρατά τε πολλὰ ἐγίνοντο, καὶ ἡμίονος ἔτεκε, καὶ γυνὴ κύουσα ἔχιν ἀντὶ βρέφους ἐξέδωκε, τήν τε γῆν ὁ θεὸς ἐπὶ μέγα ἔσεισε καὶ νεώς τινας ἐν Ῥώμῃ κατήνεγκε. 31 Bei diesem Brand fiel auch die offizielle Sammlung der libri Sibyllini den Flammen zum Opfer. In den kommenden Jahrzehnten wurden sie allerdings aufwendig wiederhergestellt, indem aus dem gesamten Mittelmeergebiet sibyllinische Orakel als Ersatz für die verlorenen Texte zusammengetragen wurden. Hierzu sowie zu den weiteren Hintergründen siehe: App. BC. 1. 83; D. H. 4. 62. 6; Lact. Inst. 1. 6. 14; Serv. A. 6. 36; Tac. Ann. 6. 12. Flower 2008a, 74f. 32 Cic. Div. 1. 18: aut cum terribili perculsus fulmine civis | luce serenanti vitalia lumina liquit, | aut cum se gravido tremefecit corpore tellus? | Iam vero variae nocturno tempore visae | terribiles formae bellum motusque monebant, | multaque per terras vates oracla furenti | pectore fundebant tristis minitantia casus.

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sei unter anderem ein Bürger bei heiterem Himmel vom Blitz erschlagen worden und die Erde hätte gebebt. Außerdem hätten Seher (vates) überall im Land (per terras) aus rasender Brust (furenti pectore) Orakel verkündet, die kummervolle Ereignisse androhten. Bei einer genaueren Betrachtung der Passage vor dem Hintergrund der weiteren, oben angeführten Prodigienkataloge ergeben sich nun aber zunächst zwei Probleme. Zum einen werden die Orakel (oracla) auch hier, wie schon bei Appian, nicht eindeutig als die einer Sibylle bezeichnet. Zum anderen werden die Seher im großen Unterschied zu den Passagen sowohl des Lucan als auch des Appian von Cicero als in der Gegenwart aktiv handelnd vorgestellt. Zunächst erscheint ein Bezug der Passage auf frei in der Bevölkerung zirkulierende sibyllinische Orakel daher schwierig. Bei einer Einbeziehung der größeren Zusammenhänge des Jahres 63 v. Chr. ändert sich dies jedoch. Denn unseren Quellen zur catilinarischen Verschwörung zufolge bewegte den wichtigen Mitverschwörer Publius Cornelius Lentulus Sura eben ein sibyllinisches Orakel, das von zwielichtigen Gestalten an ihn herangetragen worden war, überhaupt erst zur Partizipation an dem zum Scheitern verurteilten Unternehmen. Dieses Orakel enthielt die Prophezeiung einer königsgleichen Herrschaft sowie einer Zerstörung einer Stadt, in der man Rom erkannte.33 Ciceros Worte beziehen sich folglich vermutlich auf eben dieses Orakel bzw. die weiteren mit ihm verbundenen Umstände. Zumindest aber kann durch unsere Parallelquellen als gesichert gelten, dass auch zu dieser Zeit unheilvolle Orakel in der römischen Bevölkerung kursierten. Zu guter Letzt findet sich auch im Werk des severischen Historikers Cassius Dio eine weitere mit den vorigen stark vergleichbare Passage: Ein Feuer huschte von Westen nach Osten und ein anderes verzehrte sowohl jenen des Quirinus als auch andere Tempel. Eine vollständige Sonnenfinsternis ereignete sich und Blitze beschädigten ein Szepter des Zeus, Schilde und Helme des Mars, die als Weihegeschenke im kapitolinischen Tempel ausgestellt waren, und ebenso die Tafeln, welche die Gesetze trugen. Viele Tiere brachten Dinge hervor, die außerhalb ihrer eigenen Natur lagen, und einige Orakel verbreiteten sich, als stammten sie von der Sibylle.34

Auch der severische Historiker berichtet von Erdbeben und naturwidrigen Geburten verschiedener Tiere. Zudem erwähnt er beunruhigende Himmelserscheinungen sowie die Zerstörung des Tempels des Quirinus und einiger Votivgaben, bevor er dann schließlich ebenfalls auf Orakel zu sprechen kommt. Im Gegensatz zu den zwei zuvor behandelten Stellen werden diese von ihm sogar expressis verbis als denen einer Sibylle ähnlich beschrieben (ὡς καὶ τῆς Σιβύλλης). Die Tatsache wiederum, dass es sich bei den restlichen Inhalten der Passage um öffentliche Vorzeichen handelt, lässt darauf schließen, dass auch die besagten Orakel von der Bevölkerung wahrgenommen wurden bzw. in dieser zirkulierten. Von 33 App. BC 2. 4; Cic. Catil. 3. 9; Sal. Cat. 47. 2; Plut. Cic. 17. 4; Quint. Inst. 5. 11. 30. 34 D.C. 41. 14. 3f.: πῦρ τε ἀπὸ δυσμῶν πρὸς ἀνατολὰς διῇξε, καὶ ἕτερον ἄλλα τε καὶ τὸν τοῦ Κυρίνου ναὸν κατέφλεξεν. ὅ τε ἥλιος σύμπας ἐξέλιπε, καὶ κεραυνοὶ σκῆπτρόν τε Διὸς καὶ ἀσπίδα κράνος τε Ἄρεως, ἐν τῷ Καπιτωλίῳ ἀνακείμενα, καὶ προσέτι καὶ τὰς στήλας τὰς τοὺς νόμους ἐχούσας ἐλυμήναντο. ζῷά τε πολλὰ ἔξω τῆς ἑαυτῶν φύσεως ἐγέννησέ τινα, καὶ λόγιά τινα ὡς καὶ τῆς Σιβύλλης ὄντα ᾔδετο.

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Bevölkerung wahrgenommen wurden bzw. in dieser zirkulierten. Von entscheidender Bedeutung für den vorliegenden Beitrag aber ist der historische Kontext der Passage. Bei diesem handelt es sich um den Ausbruch des Bürgerkrieges zwischen Caesar und Pompeius im Jahr 49 v. Chr. Die Worte des Cassius Dio bringen uns demnach zurück an unseren Ausgangspunkt. Denn es sind exakt diese Ereignisse, auf die sich auch die eingangs zitierten Verse Lucans beziehen. Bei den von Cassius Dio erwähnten Orakeln handelt es sich folglich mit großer Sicherheit um eben jene dira carmina Cumanae vatis. Bereits jetzt lässt sich daher das Zwischenfazit ziehen, dass es trotz ihrer immer wieder hervorgehobenen Bedeutung für unser Verständnis augusteischer Kultur keineswegs die paradiesischen Worte Vergils sind, welche für Orakel, die während der Zeit der späten Republik in der Bevölkerung kursierten, als typisch gelten können, sondern vielmehr jene des neronischen Dichters Lucan. Im Rahmen der Darstellung unserer Quellen ist das Auftreten unheilvoller Orakel dabei untrennbar mit einigen der gewalttätigsten Konfrontationen der langen Krisenjahre verbunden, nämlich mit Sullas zweitem Marsch auf Rom, den Auseinandersetzungen im Rahmen der catilinarischen Verschwörung und schließlich dem Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Caesar und des Pompeius. Gerade die große Ähnlichkeit der Darstellungen der verschiedenen Zeugnisse mag nun den Verdacht eines literarischen Topos aufkommen lassen, der von den Autoren unserer Quellen immer wieder übernommenen wurde, ohne auf realen Ereignissen zu basieren. Und tatsächlich kann wohl kaum bestritten werden, dass die Art und Weise, in welcher die verschiedenen Prodigienkataloge abgefasst sind, bis zu einem gewissen Grad als topisch bezeichnet werden muss. Besonders das zu Beginn angeführte Zeugnis des Lucan ist sicher zu großen Teilen als ein Ausdruck dichterischer Fiktion einzustufen. Wie im Folgenden aufgezeigt werden wird, bedeutet dies aber keinesfalls, dass die beschriebenen Vorkommnisse und besonders das von den Autoren unserer Quellen immer wieder hervorgehobene Auftreten unheilvoller Orakel ganz grundsätzlich als ahistorisch einzustufen wären.35 Denn auch in unseren Zeugnissen zur augusteischen Epoche lässt sich die einstige Präsenz derartiger in der Bevölkerung zirkulierender Orakel sehr deutlich nachvollziehen. Die augusteische Epoche Werfen wir zuerst einen Blick auf die Elegie 2,5 des Tibull. Das zentrale Thema dieser Dichtung ist die Aufnahme des Sohnes von Tibulls Patron, des jungen M. 35 Die große Problematik des in der altertumswissenschaftlichen Forschungsdiskussion überaus häufig gebrauchten Begriffs des Topos hat zuletzt Zerjadtke sehr deutlich aufgezeigt. Auch wenn bei dessen Beitrag vor allem der ethnographische Topos im Zentrum steht, welcher mit dem in dem vorliegenden Beitrag gegeben Fall nicht zwingend vergleichbar ist, so ist das grundsätzliche Ergebnis – dass nämlich eine vermeintlich „topische“ Darstellung keinesfalls konsequent mit einer grundsätzlichen Ahistorizität des Inhalts der jeweiligen antiken literarischen Quelle einhergeht – durchaus übertragbar; Zerjadtke 2020, 11–26 bes. 12f.

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Valerius Messalla Messalinus, in das oben erwähnte Priesterkollegium der quindecimviri sacris faciundis, welches die von offizieller Seite anerkannten Sibyllenorakel verwahrte und konsultierte. Das Entstehen des Gedichts datiert die philologische Forschung gemeinhin in die Jahre 21–19 v. Chr.36 Auch in diesem Werk finden sich ein Prodigienkatalog sowie eine Bezugnahme auf unheilvolle Orakel, welche die römische Bevölkerung während der vorangegangenen Jahrzehnte so stark mit ihren Prophezeiungen von Krieg und Tod verunsichert hätten: Sie (die Sibyllen) sagten – unheilvolle Vorzeichen eines Krieges – einen Kometen voraus und dass ein gewaltiger Steinregen auf die Länder herniedergehen, dass man Trompeten und Waffengeklirr am Himmel hören werde, dass die Haine eine Flucht prophezeien, die Götterbilder warme Tränen vergießen und sprechende Rinder Schicksale weissagen würden.37

Die große Ähnlichkeit der Verse mit den oben zitierten Passagen muss nicht weiter unterstrichen werden. Doch existieren auch markante Unterschiede. Denn im Gegensatz zu unseren weiteren Quellen bezeichnet Tibull die von ihm genannten Vorzeichen nicht als reale Ereignisse, sondern als Inhalte sibyllinischer Orakel (fore dixerunt). Anders als die vorangegangenen Passagen sollten die von den Sibyllen gemachten Vorhersagen daher auch nicht auf bestimmte historische Situationen bezogen werden.38 Vielmehr beschreibt der Dichter eben ein in den zurückliegenden Bürgerkriegen immer wieder relevantes Geschehen, das einst von den weit in der Vergangenheit lebenden Sibyllen bereits vorhergesagt worden sei. Doch wie wir dann in den darauffolgenden Versen erfahren, sind diese Ereignisse in der Gegenwart des lyrischen Ichs zu einem Abschluss gelangt: Diese Dinge geschahen einst. Du aber, milde nun, Apollon, versenke die Vorzeichen unter dem ungezähmten Meer und in den Heiligtümern knistere der brennende Lorbeer günstig durch heilige Flammen. Durch dieses Vorzeichen wird das Jahr glücklich und geweiht sein.39

Apollon, der Gott, der die Sibyllen inspiriert, ist nun milde. Mit anderen Worten: Es ziehen keine furchtbaren Orakel mehr durch das Land und verängstigen die Menschen. Vielmehr herrscht unter der noch immer jungen Herrschaft des Augustus auch in dieser Hinsicht Friede – jener Friede, der vermeintlich bereits von 36 Ross 1975, 153; Gosling 1985, 3; Gosling 1987, 334; Parke 1988, 35f.; Putnam 2000, 124; Rüpke 2005, 1353; Albrecht 2012, 634; Keskiaho 2013, 150; Schnegg-Köhler 2020, 227. 37 Tib. 2. 5. 71–76: hae (Sibyllae) fore dixerunt, belli mala signa, cometen, | multus ut in terras deplueretque lapis, | atque tubas atque arma ferunt strepitantia caelo | audita, et lucos praecinuisse fugam, | et simulacra deum lacrimas fudisse tepentes | fataque vocales praemonuisse boves; Die Wiedergabe der Verse richtet sich nach der Edition von Luck (1996). 38 Die Erwähnung eines Kometen wird von der modernen Forschung häufig mit jenem Kometen in Verbindung gebracht, der nach Caesars Tod im Jahre 44 v. Chr. erschienen sein soll. Dabei ist es durchaus möglich, dass Tibull beabsichtigte, diese Assoziation hervorzurufen. Gleichzeitig ist es allerdings ebenfalls sehr wahrscheinlich, dass das Vorzeichen eines Kometen schon lange vor Caesars Tod ein generisches Motiv war, das immer wieder in Sibyllenorakeln vorkam; vgl. Ramsey, Lewis Licht 1997, 96 mit Anm. 5. 39 Tib. 2. 5. 79–82: haec fuerant olim: sed tu iam mitis, Apollo, | prodigia indomitis merge sub aequoribus, | et succensa sacris crepitet bene laurea flammis, | omine quo felix et sacer annus erit.

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dem Sibyllenorakel, auf dessen Inhalte sich Vergils 4. Ekloge bezieht, antizipiert wurde, dann aber noch ein gutes Jahrzehnt auf sich warten ließ. Und tatsächlich sind uns für die gesamte augusteische Epoche keine negativen Prodigien bezeugt, aufgrund derer es für die Priesterschaft der quindecimviri notwendig gewesen wäre, die ihnen von offizieller Seite anvertrauten Orakel zu konsultieren. Für die langen Jahre der Herrschaft des Augustus ist überhaupt nur ein einziger Blick der Priester in ihre Bücher belegt. Dieser aber zog die Saecularfeier des Jahres 17 v. Chr. nach sich, für die ein anderer augusteischer Dichter, nämlich Horaz, sein berühmtes Carmen Saeculare verfasste.40 Nichtsdestotrotz werden wir durchaus darüber informiert, dass auch während der augusteischen Epoche zuerst noch Orakelsprüche frei in der Bevölkerung kursierten. Dies belegt eine Quelle, die sich allerdings stark von allen anderen bisher behandelten Zeugnissen unterscheidet. Die Rede ist von der folgenden Passage im Werk Suetons: Nachdem er aber das Amt des Pontifex Maximus, das er dem Lepidus, solange dieser lebte, keinesfalls hatte abnehmen wollen, nach dessen Tod schließlich übernommen hatte, ließ er alles, was an griechischen und lateinischen Weissagungsbüchern, deren Verfasser nicht bekannt waren oder als zu wenig geeignet galten, in der Bevölkerung umlief, mehr als zweitausend Bände, von überall zusammentragen und verbrennen. Alleine die sibyllinischen behielt er zurück, aber auch diese nur in Auswahl. Er bewahrte sie in zwei vergoldeten Schränken unter dem Sockel des Palatinischen Apollon auf.41

Diese Worte des Biographen beziehen sich auf das Jahr 12 v. Chr. Den Kontext bildet die Übernahme des Amtes des Pontifex Maximus durch Augustus nach dem Tod des Marcus Aemilius Lepidus, welcher dieses seit kurz nach Caesars Ableben innegehabt hatte. Sueton zufolge ließ Augustus in diesem Jahr alles, was an Orakeltexten unter den Händen der Menschen zirkulierte, zusammentragen und verbrennen. Der konkrete Grund für dieses rigorose Handeln des neuen Machthabers erschließt sich vor dem Hintergrund der weiteren, in diesem Beitrag diskutierten Passagen. Augustus wollte demnach verhindern, dass unheilvolle Orakelsprüche, deren schreckliche Inhalte aufs engste mit den schwersten Phasen der überwundenen Krise verbunden waren, auch während seiner Herrschaft unkontrolliert in der Bevölkerung kursierten. Der symbolische Wert des Verstummens derartiger Botschaften sollte dabei ähnlich bewertet werden wie die Errichtung der Ara Pacis oder das ostentative dreimalige Schließen der Tore des Janustempels.42 Denn auch die wohlige Ruhe, die das Schweigen der fürchterlichen vates mit sich brachte, war eine charakteristische Eigenschaft des Friedens.

40 Zum Carmen Saeculare siehe grundlegend: Putnam 2000; Putnam 2010; Günther 2013; Schnegg-Köhler 2020, 247–264. 41 Suet. Aug. 31: Postquam vero pontificatum maximum, quem numquam vivo Lepido auferre sustinuerat, mortuo demum suscepit, quidquid fatidicorum librorum Graeci Latinique generis nullis vel parum idoneis auctoribus vulgo ferebatur, supra duo milia contracta undique cremavit ac solos retinuit Sibyllinos, hos quoque dilectu habito; condiditque duobus forulis auratis sub Palatini Apollinis basi. 42 Vgl. R. Gest. div. Aug. 12f.

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Von rechtlicher Seite konnte Augustus sein Handeln dabei sowohl auf sein neu erlangtes Priesteramt stützen als auch auf einen von Tacitus bereits für die 80er Jahre v. Chr. belegten Senatsbeschluss, der es Privatpersonen ausdrücklich verbot, derartige Orakeltexte zu besitzen.43 Besonders in Verbindung mit diesem senatus consultum, das während der Jahrzehnte der späten Republik offensichtlich eher wirkungslos geblieben war, beweist die Passage Suetons aber auch sehr eindrucksvoll, dass es sich bei dem wiederholten Auftreten unheilvoller Orakel im Rahmen der verschiedenen, oben wiedergegebenen Prodigienkataloge keinesfalls alleine um einen literarischen Topos handelt. Es kommt vielmehr deutlich zum Vorschein, dass derartige Orakeltexte durchaus bis weit in die augusteische Zeit hinein für die Menschen präsent waren und daher nach einem entschlossenen Handeln des neuen Machthabers verlangten. Der bei alledem wichtigste Punkt für unser Verständnis der augusteischen Epoche ist jedoch ein anderer. Denn gerade die besonders prominenten Orakel, die einer Sibylle zugeschrieben wurden, ließ Augustus Sueton zufolge eben nicht verbrennen (solos retinuit Sibyllinos). Von der Forschung wird die Bemerkung des Biographen meist so interpretiert, dass der neue Machthaber die offiziellen Sibyllenbücher, welche sich unter der Obhut der besagten quindecimviri befanden, verschonte und vom kapitolinischen Jupitertempel, in welchem sie während der gesamten republikanischen Zeit aufbewahrt worden waren, in den palatinischen Apollontempel transferierte.44 Kaiserzeitliche Quellen bestätigen, dass ein solcher Transfer stattgefunden haben muss.45 Dennoch sollte die Passage Suetons vor dem Hintergrund der oben dargelegten Geschehnisse anders gedeutet werden, als dies gewöhnlich geschieht. Denn es ist wohl eher davon auszugehen, dass Augustus all jene einer Sibylle zugeschriebenen Orakel, die seinen Vorstellungen entsprachen (dilectu habito), zurückbehielt – sowohl die offiziellen Bücher Roms als auch die entsprechenden, zuvor frei in der Bevölkerung zirkulierenden Schriften. All diese Orakel ließ er eben nicht verbrennen, sondern unterstellte sie im direkt neben seinem Wohnsitz neu errichteten palatinischen Tempel symbolisch eben jener Gottheit, deren Inspiration sie einst entsprungen waren, und mit der die angesehene Priesterschaft der quindecimviri, wie oben erwähnt, seit langem in engster Verbindung stand.

43 Tac. Ann. 6. 12: sanxisse Augustum quem intra diem ad praetorem urbanum deferrentur neque habere privatim liceret. quod a maioribus quoque decretum erat post exustum sociali bello Capitolium, quaesitis Samo, Ilio, Erythris, per Africam etiam ac Siciliam et Italicas colonias carminibus Sibullae, una seu plures fuer datoque sacerdotibus negotio quantum humana ope potuissent vera discernere. 44 Radke 1963, 1128; Rosenberger 1998, 236; Balensiefen 2002, 98; Scheid 2009, 284; Miller 2009, 194; Viscardi 2016, 204. 45 Amm. Marc. 23. 3. 3; Serv. A. 6. 72.

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Fazit Kommen wir zu einem abschließenden Fazit. Der vorliegende Beitrag nahm seinen Ausgangspunkt bei den paradiesischen Vorstellungen, welche in der berühmten 4. Ekloge Vergils zum Vorschein kommen und die von Seiten der modernen Forschung zur augusteischen Epoche seit langem viel Aufmerksamkeit erfahren. Wie aufgezeigt werden konnte, liefert eine solche Perspektive allerdings ein durchaus unvollständiges Bild. Denn um die politischen, kulturellen und religiösen Entwicklungen des augusteischen Zeitalters zu verstehen, darf unser Blick keineswegs auf ihnen alleine ruhen. Vielmehr müssen sie stets vor dem größeren Hintergrund der gewaltsamen Ausschreitungen der späten Republik und all jenen Gräueln, die diese mit sich brachten, bewertet und beurteilt werden. Ein untrennbarer Bestandteil dieses Hintergrundes aber sind die ebenso zahllosen wie unheilvollen Orakel, deren oft grausame Inhalte die Menschen während der schweren Krisenzeiten über Jahrzehnte hinweg in Angst und Schrecken versetzten. Dass diese Texte für uns heute im Detail nur noch äußerst schwer zu fassen sind und die wenigen erhaltenen Berichte sogar den falschen Anschein eines rein literarischen Topos erwecken mögen, muss dabei sicher nicht zuletzt als Resultat der beschriebenen Handlungen des ersten Princeps bewertet werden. Doch wenn wir uns des erzwungenen Verstummens dieser dira carmina erst einmal bewusst geworden sind, dann nehmen wir ihre Abwesenheit vor der prachtvollen Inszenierung des augusteischen Weltbildes umso deutlicher wahr.

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A RED SEA OF TRADE A New Perspective on Violence in Rome’s Eastern Desert and the Indian Ocean Trade Troy Wilkinson In recent decades, a large amount of scholarship has been generated relating to commercial activity by the Roman Empire (and the numerous other polities which straddled the Red Sea coast) with the wider Afro-Eurasian continent.1 As a result of this work, knowledge of this activity is beginning to enter mainstream academic discourse. In a 2011 article, Nappo and Zerbini even acknowledged the Eastern Desert of Egypt (the gateway to Rome’s Afro-Eurasian trade) as a distinct financial, military and administrative frontier of the Roman Empire.2 Certainly, the commercial importance of the Red Sea and the wider Afro-Eurasian continent for the Mediterranean is suggested by Strabo’s comment that Roman trade with India had increased fivefold by the end of the 1st century BC.3 This exponential increase has led McLaughlin to argue that Roman trade with ‘the Far East’ (Arabia, India and China) generated perhaps as much as 300 million sesterces a year for the imperial fiscus.4 Since the Ptolemaic period (323 to 30 BC), Mediterranean entrants into the Eastern Desert and Red Sea region (primarily for purposes such as mining and the hunting of elephants) were confronted with the risk of violent attacks by both local desert-dwelling groups, bandits and pirates.5 However, the advent of Roman commercial activity in the region and the subsequent exponential upsurge in valuable cargos caused Pliny the Elder to bemoan the increasingly violent conditions of the Eastern Desert and the Red Sea.6 Indeed, Pliny makes the additional observation 1 2 3 4

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Notable monograph length studies over the last three decades on this subject include Sidebotham 1986; 2011; Young 2001; McLaughlin 2010; 2014; 2015; Evers 2017; Cobb 2018a and De Romanis 2020. Nappo and Zerbini 2011, 61; 68; 76–77. Str. 2.5.12. McLaughlin 2010, 164. Several other estimates have been made for the potential financial value of the Indian Ocean trade to the imperial Roman state. These include Young 2001, 210 (10–50 million); Speidel 2017, 104–105. fn. 81; 82 (200 million); Wilson 2015, 23 (230 million); Wilson and Bowman 2017, 15 (500 million). Bernand 1972, nos. 2, 8 (graffito giving thanks for a safe return from the ‘spice bearing land’); D.S. 3.43.4–5 (deployment of Ptolemaic naval forces to combat Red Sea pirates). For overviews of Ptolemaic gold mining and elephant hunting in the Eastern Desert and around the Red Sea coast see Faucher 2018 (gold mining) and Burstein 2008 (elephant hunting). Plin. Nat. 6.162. Str. 17.53 notes that only 20 ships were sailing into the ‘Arabian Gulf’ during the time of the Ptolemies. In contrast, Str. 2.5.12 states that by the end of the 1 st century BC 120 ships were sailing just to India from the Red Sea port of Myos Hormos.

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conditions of the Eastern Desert and the Red Sea.6 Indeed, Pliny makes the additional observation that these conditions appear to have replicated themselves as far away as the coast of southern India.7 In a similar vein, Lucian implies that crossing the Red Sea was considered a dangerous activity during the 2nd century AD.8 However, the most important evidence for this change is a collection of Roman military documents dating from approximately the beginning to the end of the 2nd century AD. These inscribed potsherds (ostraca), record numerous attacks by desert-dwelling groups on merchants and Mediterranean inhabitants in the Eastern Desert.9 These documents show that attacks, which could sometimes be on quite a large scale, would often leave Roman soldiers dead and, in one case, saw a woman and a child abducted.10 The resulting image has subsequently led scholars (except for Schneider and, to some extent Cuvigny) to view the Eastern Desert and the Red Sea region as an extremely dangerous area.11 On the other hand, in their volumes on policing and banditry in the Roman Empire Fuhrmann and Grünewald have respectively made the important contextual point that such an unstable and violent situation was not so unusual within Roman territory.12 While scholars such as Adams and Fuhrmann quite rightly connect the deployment of the Roman military in the Eastern Desert and the Red Sea with combating groups of nomads or pirates their arguments generally say very little about either the severity of the threat or how it was combated in real terms.13 I would argue however that by carefully combining and reconsidering a variety of different forms of surviving evidence it is possible both to ascertain a sense of the scale of Rome’s military deployment in the region (the Eastern Desert and the Red Sea) and to determine how security was provided during the height of the trading season. This chapter will therefore address several central questions. These are relevant to both the subject of the current volume (i.e., violence in antiquity) and the ongoing study of the Eastern Desert and the Red Sea. The first of these is just how violent a place the Eastern Desert and the Red Sea was for merchants, travelers and Mediterranean inhabitants. Second, is how large the Roman military deployment in the region was and what were its primary duties. Finally, given the size of the Eastern Desert and the Red Sea, how was security provided effectively. By addressing these questions, it will be possible to improve not only our understanding of the Eastern Desert and the Red Sea (an area whose evidence has 6 7 8 9 10 11

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Plin. Nat. 6.162. Str. 17.53 notes that only 20 ships were sailing into the ‘Arabian Gulf’ during the time of the Ptolemies. In contrast, Str. 2.5.12 states that by the end of the 1 st century BC 120 ships were sailing just to India from the Red Sea port of Myos Hormos. Plin. Nat. 6.104. Lucianus. Alex. 44. For an overview of the ostraca from the praesidia see Cuvigny 2014, 173–182. O. Krok. 87. Young 2001, 69–74; Sidebotham 2011, 3; Adams 2007, 197; Maxfield 2003, 154; Schneider 2014, 9–11; Cuvigny 2014, 184; Cobb 2019, 98–100. Mairs 2011, 59–60 has suggested that the desert-dwelling population could have been the main source of concern for travellers or that they were, to some degree, a metaphor for the dangers of traversing the Eastern Desert. Fuhrmann 2011, 4; Grünewald 2004, 31–32. Adams 2007, 197; Fuhrmann 2011, 208.

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until now been underutilized in the context of scholarship on violence in antiquity) as a violence-prone region but as a distinct frontier. In the process, this chapter will accomplish two things. Firstly, it will show that while the Eastern Desert and the Red Sea were potentially very violent places the scale of Rome’s military deployment was able to be very modest compared to other frontier regions and the amount of geographical space that was involved. Secondly, it explores a region where the evidence yielded so far offers scholars examples of themes highly relevant to the present volume (and continuing research) on violence in antiquity. These include physical, emotional and psychological violence. Barbaroi, Bandits, Pirates and the Threat of Violence It was observed in the introduction that the primary threat faced by merchants and incoming travellers in the Eastern Desert appears to have come from a group of desert-dwelling communities. These are referred to in Roman military’s documents as the barbaroi. It was also noted that being attacked by this group appears to have become an increasing problem during the Roman period. This seems to have reached a peak (as the ostraca indicate) by the reign of Trajan (98–117 AD).14 Despite this, members of this group appear to have been a threat for those traversing the Eastern Desert since the Ptolemaic period with 11 dedications from El-Kanais giving thanks for being spared from attack.15 As well as drawing our attention to the long-term nature of the problem, these Ptolemaic documents also highlight the fact that the group referred to as the barbaroi in the Roman records do not appear to have been a single collective. Rather, the barbaroi appear to have been a patchwork of different groups. This situation is hinted at in the Ptolemaic dedications which give thanks for being spared from attack at the hands of the Troglodytes.16 The Periplus (a 1st century AD guidebook to the Indian Ocean trade), confirms that the Eastern Desert was a region that was occupied by a diverse network of different desert-dwelling groups by citing the names of several of them, although these appellations are clearly derogatory (examples include the ‘flesheaters’ and the ‘wild animal eaters’).17 Other than denoting the existence of separate groups the Periplus’ anonymous author implies that the internal structure of these communities was based on bonds between kinsmen and extended familial networks.18 While these desert-dwelling communities certainly appear (judging by the surviving documents) to be the greatest threat to travellers and merchants in the Eastern Desert they were not the only potential danger. 14 Of the 17 ostraca discussed in Cuvigny 2014, 73–82, 6 of these date to the reign of Trajan and the remaining 11 date from the remainder of the 2nd century AD. 15 Mairs 2011, 159–160; Bernand 1972, nos. 3, 13, 18, 43, 44, 61, 62, 82, 90. 16 While there are many examples (see the previous footnote) Bernand 1972, no. 44 is a dedication of thanks from a company of soldiers for their safe return ‘among the Troglodytes.’ On this see Mairs 2011, 59. 17 PME. 2. 18 PME. 2. On the structural nature of the ‘tribes’ of the Eastern Desert see Cooper 2021, 4.

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In addition to the threat of violence which was posed by the various desertdwelling communities of the Eastern Desert Young, in particular, has highlighted the increasing likelihood of bandits moving into the region.19 Young has noted that throughout the 2nd century AD Egypt appears to have faced an increasing level of banditry, especially during the 160s AD.20 This situation, Young suggests, was due to increasingly high levels of taxation within Egypt as well as sporadic internal conflict.21 The extent of this internal conflict and wider instability within Egypt at this time is effectively encapsulated by the surviving accounts of the so-called ‘Boukoloi uprising’ which seems to have taken place between 166 and 171/2 AD.22 While the few extant accounts mention stories of cannibalism and elaborate ambushes which have led some to understandably question the historicity of the event both Alston and Blouin argue convincingly that a historical event can be traced to communities situated within the northern reaches of the Nile Delta.23 Similarly to Young, Alston notes that the evidence indicates that at least 20 (admittedly small) villages had been abandoned by the 160s AD.24 To Egypt’s already extensive list of problems during this time should be added the Antonine Plague (c.165–c.180 AD) which McLaughlin observes will have had a dramatic impact on international trade across the Mediterranean.25 As a result, Young argues, quite rightly, that due to the increasing pressures outlined in the previous sentences, valuable caravans returning through the Eastern Desert will have offered a tempting target to bandits. To support his proposition Young offers an anecdote by the novelist Xenophon of Ephesus who discusses a bandit who operated out of Egypt in order to live off raiding caravans returning from India.26 If we are to accept this tale as an accurate reflection (as Young appears to do) of the situation in the Eastern Desert during the 2nd century AD then it must, of course, be cautioned that Xenophon is a novelist

19 Young 2001, 71. 20 Young 2001, 72. 21 Young 2001, 72; Alston 1995, 83–84. P. Thmouis. 98; 104; 116 suggest a major demographic decline in Egyptian villages during this time. For a review of the impact of this period (referred to by scholars as the Third Century Crisis) on the patterns of trade in the Red Sea and the Indian Ocean see Nappo 2007. 22 Blouin 2014, 284. For accounts of the uprising see Cass.Dio. 72.4; HA. Ant. Pius. 21.2; Avidius Cassius. 6.7; Ach.Tat. 4.12.8; 4.13–14; Heliod. 1.1–6; P. Thmouis. 1. 23 Alston 1999, 129; 136–137; Blouin 2014, 277–278. Riess 2001, 55–57; 89–90 takes a similar view and sees the uprising as being quite small in scale and taking place in a historically unstable region of Egypt centred around Nikochis. 24 Alston 1999, 134. 25 McLaughlin 2010, 59–60. Young 2001, 254; fn. 246 also suggests that the Antonine Plague will have had a major impact on international trade. McLaughlin 2010, 59 supports the view that 10–14% of the imperial Roman population died as a result of the plague. While Bruun 2007, 101. fn. 2 is uncertain about what disease caused the plague Duncan-Jones 2018, 44 notes that it is likely to have been smallpox. 26 Young 2001, 71; Xen. Eph. 4.1.1–5.

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and devoid of ornamentation.27 It is also possible that Xenophon is somewhat exaggerating his account for literary effect.28 On the other hand, as was noted in the introduction, Lucian (a satirist also from the 2nd century AD) makes a somewhat similar and quite generalist description of the dangers of crossing the Red Sea. As will be argued below, while anecdotes from such writers should perhaps not be taken entirely literally, they certainly appear to reflect the broad conditions in regions which these writers appear to have never experienced first-hand.29 It is certainly possible therefore that although Xenophon may be making a broader comment on the wealth that imperial Roman society associated with the Egyptian trade with India the notion that bandits would be attracted to it is certainly a reasonable proposition. As a result, it would be judicious to support Young’s proposition that banditry in the Eastern Desert from immigrants from northern Egypt would have been a problem and that this was likely to have increased during times of regional instability.30 However, bandits, like the barbaroi, were not the only risk and piracy also appears to have been a problem in the Red Sea during the imperial period. Piracy in the Red Sea, much like the problems with the desert-dwelling communities in the Eastern Desert, predated Rome’s tenancy in Egypt and was certainly a concern for the Ptolemaic monarchs and possibly even the Pharaohs who preceded them.31 Who undertook piracy in the Red Sea (defined by de Souza as armed robbery normally involving ships) appears to have varied and Diodorus Siculus mentions Nabataeans outfitting vessels for piracy during the Ptolemaic period.32 In contrast, both the author of the Periplus and Pliny the Elder suggest that by the Roman period communities along the southern coast of the Red Sea (presumably either barbaroi or bandits) also raided ships as well as attacking the caravans that crossed the Eastern Desert.33 It is in light of such testimonies that a statement by a satirist such as Lucian, who is frequently thought of as the inventor of the comic dialogue, that crossing the Red Sea was a dangerous activity becomes a believable if broad reflection on the state of affairs in the region.34 It is clear, therefore, that pirates, along with the barbaroi and bandits, all posed a threat to 27 Kytzler 1996, 350–351; 353. 28 Grünewald 2004, 8 makes it the aim of his work to show the extensive impact of the literary representation of bandits which he proposes were utilised by historians in their depictions of bandits during their accounts of various historical events. 29 Millar 1981 has argued convincingly that novels such as Apuleius’ Metamorphoses offer a detailed reflection of provincial Roman society. 30 It is important to recognise in the case of bandits that, as per Riess 2001, 289–300, real-world instances of physical violence during robberies are few and far between in the historical record. In the case of the barbaroi however physical violence (as will be shown below) seems to have been a very real and frequent probability. 31 Nappo 2015a, 57–58; OGIS 132. On a potential Pharaonic era, navy in the Red Sea see Bourdon 1925, 51 cited in Nappo 2015a. 32 de Souza 2008, 71; D.S. 3.43.4–5. Str. 16.4; 18 also mentions that Nabataeans were engaged in piracy. 33 PME. 20; Plin. Nat. 6.176. 34 Ritcher 2017, 329. Helm 1906 has argued against this view.

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those travelling, trading and living in the Eastern Desert and the Red Sea. However, the evidence which has been discussed so far does not say very much about the actual degree of danger presented by these groups and their activities. As was noted in the preceding paragraph each of the groups discussed (barbaroi, bandits and pirates) clearly posed a threat to merchants and Mediterranean inhabitants in the Eastern Desert and the Red Sea. We have seen that banditry was an increasing problem during the 2nd century AD and would likely have fluctuated according to a variety of factors and circumstances. In contrast, Schneider has noted that no reliable data survives which would allow scholars to estimate the scale of Red Sea piracy.35 While Schneider is quite correct, the existence of a Red Sea fleet during the imperial period (see the discussion below) and the deployment of large warships by the Ptolemies suggests that piracy could be a significant problem.36 The presence of naval forces also served the purpose of projecting Roman (and presumably Ptolemaic) political influence to rulers across the Red Sea and the adjacent coasts.37 The most explicit statement (at least from literary sources) on the degree of risk for those operating in the Eastern Desert or the Red Sea relates to the barbaroi and comes from Strabo who visited Egypt with the province’s second Prefect (Aelius Gallus) in 27 or 26 BC.38 These statements claim that they (referring to the desert-dwelling communities) were few in number and were not thought to be warlike except in times long past.39 Based on this statement and the fact that many of the wells used by travellers were not fortified until the time of Vespasian (69–79 AD) Cuvigny has argued that the 1st century AD was mostly a time in which the barbaroi were less of a threat.40 Indeed, Cuvigny goes further than this and suggests that (judging by the ostraca) the barbaroi posed very little threat to the Eastern Desert’s Roman inhabitants.41 This, she suggests, is shown by the regular activity of individual couriers travelling between the praesidia, the fact that the movement of even small groups of desertdwellers was reported and that even 60 barbaroi could not successfully capture a praesidium even though it was defended by just 15 soldiers.42 Even if the barbaroi 35 Schneider 2014, 9 36 D.S. 3.43.4–5 mentions that the ships deployed by the Ptolemies to tackle piracy were quadriremes. These were ships which Pitassi 2011, 113 has estimated carried 30 archers and marines. Schneider 2014, 11 has acknowledged that piracy would have fluctuated with the fortunes of the Mediterranean-Afro-Eurasian trade. 37 On this see Bukharin 2005 and Nappo 2015a. 38 Cuvigny 2014, 182; Str. 2.5.12 39 Str. 17.1.53. Maxfield 2000, 409 argues that the desert-dwelling population was small but not insignificant. 40 Cuvigny 2014, 183. Brun 2006, 196 cited in Cobb 2018a has taken a similar view in seeing the lack of fortifications in the region of the Wadi al-Hammamat as confirmation of Strabo’s statements. In contrast, Cobb 2019, 98–100 has cautioned that the view that the 1st century AD was a more peaceful period (at least by its end) should be treated with some scepticism due to the Flavian date of much of the material. Cuvigny 2014, 183 does note that efforts were made to fortify the region by the time of Vespasian. 41 Cuvigny 2014, 184. Cuvigny 2021, 427 takes a similar view. 42 Cuvigny 2014, 184.

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did launch a successful attack (for example on a merchant caravan) Cuvigny argues that retribution could quickly and easily follow.43 Certainly, the ostracon which Cuvigny primarily references (O. Krok. 87) appears to indicate that there was very little danger for the Roman inhabitants even when outnumbered by as many as four to one. However, to take the fact that this attack on a praesidium (in this case Patkou) was unsuccessful as evidence that the threat of violence was small (as Cuvigny appears to do) misses several very important points. The most obvious is the nature of the fortifications with which the praesidia of the Eastern Desert were equipped. While these installations were by no means uniform and not all of these have so far been examined archaeologically in many instances the fortifications appear to have been very extensive.44 In the case of Abu Sha’r, the defensive walls appear to have been between three and a half and five metres high.45 This would have made successfully assaulting such a location, which was defended by professional and well-armed and armoured soldiers, remarkably difficult for any attacker.46 As a result, to witness even a large group (although by no means vast) of desert-dwellers fail to capture Patkou should come as little surprise and should not be seen as an indicator that the threat which they posed was limited. On the contrary, that such a large force of barbaroi could be assembled and that they would openly attack a heavily fortified and garrisoned praesidium in daylight is a clear example that the threat was anything but limited. What is more, that O. Krok. 87 states that two soldiers were killed during the assault confirms that the danger was very real. Indeed, if Cuvigny is correct that the garrison of Patkou numbered 15 men then the loss of two of these represents a very high casualty rate.47 The final point to make regarding Cuvigny’s observations is that while Cuvigny sees reports of movement by even small groups of barbaroi as routine and indicative of little threat these instances are in fact indicative of very real danger. This danger is that although the attack on Patkou shows that relative safety could 43 Cuvigny 2014, 184. 44 While Reddé 2018, 183–184 has noted that the typology of the forts of the Eastern Desert differs between the roads leading to the quarries (Mons Claudianus and Mons Porphyrites) and the roads leading to the ports (Berenike and Myos Hormos). Reddé 2018, 194 shows that many of the forts on the roads to the ports are characterised by being large with a single gateway and towers. 45 Sidebotham et al 2008, 55. Gates-Foster et al 2021, 37 shows that the recently discovered praesidium of Berkou had defensive walls up to two metres high and over one metre thick in some places. 46 Cuvigny 2014, 184 makes a similar observation on the apparent gap in military technology between Rome’s soldiers and the attacking barbaroi (whom Str. 16.4.17 describes using small shields and clubs and O. Krok. 47 indicates that they used bows) would have made successfully attacking the praesidia even more difficult. The additional presence of civilians living in the praesidia would have made it even more difficult. On these civilians see Cobb 2018a, 96; 99; Broux 2017, 150–151; O. Did. 377; 379; 393. 47 Cuvigny 2014, 184. On the size of Rome’s garrisons in the Eastern Desert see the next section. Goldsworthy 2003, 59 estimates that the casualties in classical battles (until one side fled) was only five percent based on evidence from the Classical Greek period. For Rome to lose 2 men from a force of 15 in the attack on Patkou therefore represents a very high casualty rate.

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be found within the defences of a praesidium this was not the case for those operating beyond its walls. The clearest example of this is contained in a letter written to one Melanas who is warned to wait for several days before venturing out to collect wood.48 This example indicates that for those who were operating without the support of horses or were undertaking tasks such as collecting wood or accompanying a slow-moving caravan the threat of attack was very real.49 Indeed, given that O. Krok. 87 mentions that a woman and a child were abducted during the recorded attack it is possible (although the ostracon offers no clues) that the abduction occurred outside of the walls of the praesidium. What is more, in some cases soldiers were even killed while in pursuit of groups of barbaroi.50 This shows that the dangers of operating away from the protection of fortifications were not exclusive to civilians. Instead, these examples suggest, in contrast to Cuvigny, that rather than the danger of attack being limited it was simply reduced (albeit significantly) within the walls of the praesidia. However, once someone stepped foot outside of these locations they were confronted by the very real danger of attack (hence the frequent reports on group movements).51 In short, various desert-dwelling groups of the Eastern Desert (although it should be noted that some groups appear to have co-operated with the GrecoRoman population) posed a very real danger to merchants and Mediterranean inhabitants.52 Where Strabo’s statements may reflect a more peaceful situation at the start of the 1st century AD (although both Cuvigny and Cobb note the possible presence of Augustan propaganda in Strabo’s statements), this appears to have begun to change by the end of the century.53 Certainly, by the 2nd century AD, the ostraca recovered from the praesidia demonstrate that hostility and violence between the desert-dwelling communities and Mediterranean inhabitants was a frequent occurrence. If we add to this the more uncertain but seemingly no less present danger of bandits and pirates, then the image of the Eastern Desert and the Red Sea as a very violent region becomes eminently justifiable. Due to the very clear dangers facing merchants and the other Mediterranean denizens of the region, it is logical to ask how large the military presence was and how security was provided. It is to these questions which this chapter will now turn.

48 O. Dios inv. 687; O. Claud. 4.851. 49 On state couriers operating in the Eastern Desert see Bülow-Jacobsen 2013. That soldiers also appear to have been sent out to collect wood confirms the risk involved in such a task. For these patrols see O. Claud. 2.309–339; 348; 355; 356. 50 O. Krok. 6. 51 O. Did. 27; O. Claud. inv. 7309. 52 Gates-Foster 2012, 202; Cobb 2018a, 96; Brun 2006, 196 cited in Cobb 2018a; Cuvigny, 2006, 267–273 cited in Cobb 2018a have all discussed desert-dwellers who appear to have co-operated with the Eastern Desert’s Mediterranean inhabitants. P. Hauswaldt. 6; 15 (mentions the marriage of a desert-dweller to one of the incoming Mediterranean inhabitants); O. Claud. Inv. 529; 830 (discusses an Ichthyophagos requesting permission to relocate his fishing boat). 53 Cuvigny 2014, 183; Cobb 2018a, 46–47.

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The Size and Role of the Roman Military Deployment in the Eastern Desert and the Red Sea It has already become clear in the previous section that the Roman military played an important role in combating a multitude of serious threats in the Eastern Desert and the Red Sea. This included the barbaroi (hostile members of desert-dwelling communities), bandits and pirates. On the other hand, how many Roman soldiers were stationed in the Eastern Desert and the Red Sea to combat these threats is uncertain. Indeed, scholarly opinion on this issue has varied widely. For Adams, the military presence in the region was permanent but on a limited scale.54 Similarly, Maxfield (who has so far produced the only study dedicated solely to this question) simply states that Rome sent a large number of soldiers to secure the Eastern Desert.55 In contrast, Sidebotham has proposed (based on an inscription found in the Red Sea port of Berenike) that 1,000 men appear to have been present in or around the port by the end of the 2nd century AD.56 Coming closely in line with Sidebotham’s estimate Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton have suggested that between 500 and 900 soldiers manned the praesidia during the Roman period.57 Sitting above the two previous estimates, (although he is not explicitly attempting to calculate the size of the Roman force) De Romanis highlights a second inscription (this time from Coptos) which refers to 1,400 men being used to dig wells along the Coptos to Berenike road.58 If the proposed order of magnitude is accurate (i.e. 1,000 men), then as much as 10% of Rome’s military forces in provincial Egypt were posted to the Eastern Desert and the Red Sea during the Augustan period and 20% by the start of the 2nd century AD.59 Unfortunately, these studies fail to consider the number of soldiers who were involved in Rome’s naval forces in the region. They also do not account for the troops who appear to have garrisoned mining operations, quarries or, more significantly, were dispatched to more distant outposts such as the Farasan Islands. As a result, the size of Rome’s military forces in the Eastern Desert and the Red Sea deserves to be (re)examined from the top down.

54 Adams 2007, 197. It is worth noting that Adams does not clarify if, in his view, the military deployment was limited in terms of the deployment of Roman forces in Egypt or in terms of the wider Empire. 55 Maxfield 2000, 409. 56 Sidebotham 2011, 260. For details of the inscription see Dijkstra and Verhoogt 1999 cited in Sidebotham 2011. 57 Van der Veen et al 2018, 359. 58 De Romanis 2020, 50–51; ILS 2483. De Romanis 2020, 51. fn. 75 suggests that these troops were repurposed members of the Galatian army. 59 Pollard 2006, 211; Fischer-Bovet and Sänger 2019, 172; Tac. Ann. 4.5; BGU I 140. Mitthof 2001, 217; 222–223 has argued that by the time of Hadrian Egypt’s garrison was reduced to one legion and by the mid-2nd century numbered 13,000 men (one legion and auxiliary troops).

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The praesidia As we have seen, various estimates exist for how many soldiers were tasked with garrisoning the praesidia during the Roman period. Moreover, although individual estimates exist for the size of the garrisons of several praesidia, more holistic estimates are, broadly speaking, of the same order of magnitude (i.e., 1,000 men).60 With that being said, they are not without their problems. Sidebotham himself effectively acknowledges that of the 1,000 men supposedly under the command of the chiliarch referred to in an inscription from Berenike it is not stated where in the region these men were stationed or what role they performed. As a result, Sidebotham proposes that they were posted in and around Berenike. This supposition is presumably due to the location in which the inscription was found. While we might therefore believe that the number of soldiers implied in the inscription is accurate this brings us no closer to understanding where these men were posted, what role they performed (i.e., did they serve in the praesidia, the navy or the quarries) or if this represented all of the soldiers in the region. Even when Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton suggest the figure of 500–900 men specifically for the garrisons of the praesidia they fail to state exactly how they reached this conclusion.61 As with the size of the force in the region, a cacophony of methods has been used to estimate the numbers of troops that manned the praesidia. These have included Adams’ method of utilising records of food deliveries to Roman soldiers in a single praesidium to Sidebotham, Hense and Nouwens’ approach of using the remains of barrack buildings (in this case at Abu Sha’ r) to estimate their capacity.62 Despite the promise which both methods hold, neither is well suited for a wideranging study of troop numbers. This is primarily due to the limited availability of the necessary data. In the first instance, while the unique preservation conditions of the Eastern Desert have allowed for vast swathes of material to survive to the present day the records of food deliveries that Adams utilises do not exist for every praesidia.63 Likewise, while some barrack buildings have been cautiously identified (such as the ones at Abu Sha’ r) Reddé has noted that securely recognising such 60 Adams 1995, 122–124; 2007, 213–214 has calculated that the garrison at Apollonis comprised 215 men and Sidebotham et al 2008, 241–242 has proposed that Abu Sha’ r housed between 150 and 200 men. 61 It is worth pointing out that the main focus of Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton’s 2018 chapter entitled ‘Roman Life in the Eastern Desert of Egypt: Food, Imperial Power and Geopolitics’ is not the size of the Roman military presence in the Eastern Desert and the Red Sea. 62 Adams 1995, 122–124; 2007, 213–214; Sidebotham et al 2008, 241–242. Mulvin and Sidebotham 2004, 602 propose that these 200 soldiers were dromedary (camel) riders. 63 On the unique preservation conditions offered by Egypt’s Eastern Desert see Sidebotham 2011, 79; Adams 2007, 197–198; Tomber 2008, 24; 54–55; Sidebotham et al 2008, 312. Mitthof 2001, 289–295 has observed that during the early imperial period the state organised military supply but that in frontier regions this could be problematic and often subjected soldiers to guaranteed malnutrition. Mitthof attributes these difficulties to the inability of pre-modern states to establish the necessary administrative structures. In the case of the Eastern Desert

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(such as the ones at Abu Sha’ r) Reddé has noted that securely recognising such buildings is fraught with uncertainty.64 This is not least due to the continual modification of the Roman praesidia and the fact that soldiers appear to have shared these facilities with civilians as has already been alluded to.65 In addition, many praesidia are simply not in a suitable condition to attempt to identify barrack-like structures.66 With that being said, a mixture of both the documentary and archaeological approaches perhaps offers the best means of a widescale estimate of troop numbers.67 Amongst the very large quantity of material that has been preserved in the Eastern Desert (as many as 9,000 ostraca have been found just at Mons Claudianus) are duty rotas for the soldiers of several praesidia.68 These documents moreover appear to form the basis of Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton’s estimate which they state was between 15 and 30 men per praesidium.69 Additionally, they note that there were up to 30 active praesidia spread across the Eastern Desert during the Roman period.70 It is with the 30 praesidia however where Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton fail to note how they reached their estimate.71 Initially, this problem appears to be very difficult to address. This is because while many of the praesidia of the Eastern Desert have been thoroughly examined by archaeologists, many have yet to receive the same treatment.72 Adding to our problems, the sources (in this case Pliny the Elder and the so-called Peutinger Table) do not agree on the number of praesidia that were associated with certain roads.73 In 2018 Brun conducted the most recent study on the Roman era praesidia along the roads to Berenike and Myos Hormos.74 While this work is extremely useful, Brun only outlines the chronology of the praesidia and does not provide either

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military supply may have been overseen and organised by the Prefect of Berenike (on this see Mitthof 2001, 151–152 and footnote 88 below). Reddé 2018, 194. Reddé 2018, 194. Reddé 2018, 182. This combined approach will be adopted throughout the remainder of this section of the chapter. Cuvigny 2006, 307–310 cited in Cobb 2018a; Cobb 2015, 377. Rotas also exist for some of the skoppoloi (watchtowers) in the Eastern Desert. For these see Bagnall and Sheridan 1994, 166– 167; Young 2001, 70; O. Amst. 14–18. Adams 2007, 197 notes that only a very small percentage of the 9,000 documents which have been recovered from Mons Claudianus have been published. Tomber 2013, 113 observes that a further 700 documents have been discovered at Mons Porphyrites. Approximately 2,400 ostraca are thought to have been recovered from the praesidia. On this see Young, 2001, 69; Reddé 2018, 194. Van der Veen et al 2018, 359. Van der Veen et al 2018, 359. Van der Veen et al 2018, 359. Sidebotham 2011, 150. Cobb 2018a, 101; 103; Plin. Nat. 6.102–103. Archaeological survey has also revealed another fortified site on the Coptos to Berenike road. However, given the date of the material this site looks to be Ptolemaic in origin. On this see Sidebotham 1999, 364 cited in Cobb 2018a, 101. See Brun 2018.

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either precise numbers of sites or exact (or approximate) dates for when they were occupied.75 Previously, it was thought that many of the praesidia were constructed and occupied during the reign of the Julio-Claudians (27 BC–68 AD).76 This view was based on early surface surveys as well as the discovery of ostraca and graffiti from the 1st century AD.77 This date has since been modified due to the work of the l'Institut français d’archéologie orientale (IFAO) which has demonstrated that there was a period of extensive construction and (re)fortification of the praesidia under the Flavians (i.e., from 69–96 AD).78 Brun’s recent work broadly aligns with these conclusions.79 Indeed, that more sites appear to have been utilised during the 2nd century AD is shown by a tabulated survey of the praesidia in Sidebotham’s 2011 volume.80 Using primarily pottery sherds it can be estimated that some 31 Roman praesidia appear to have been active during the 2nd century AD.81 This number aligns with that suggested by Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton (who presumably used a similar method of calculation). To limit the number of praesidia to only those that appear to have been active during the 2nd century AD makes sense for several reasons. First, it matches the chronology of the surviving duty rotas.82 Second, it avoids making use of the conflicting literary evidence.83 Avoiding such potential pitfalls will help to reduce the margin of error in what is already a very hypothetical set of estimates. When the 31 praesidia are combined with the surviving duty rotas this produces a minimum estimate for the number of soldiers assigned to these locations of 465 men. This figure is based on the smallest recorded garrison of 15 men.84 In contrast, the maximum estimate based on garrisons of 24 soldiers per praesidium results in a total of 744 men.85 On the other hand, while both of these estimates align with the lower of the two figures suggested by Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton (500–900 men) Sidebotham, Adams, Maxfield, McLaughlin and Cobb 75 See Brun 2018, 141–173. 76 Sidebotham 1986, 54; 2011, 154; Zitterkopf and Sidebotham 1989, 165; Peacock 2000, 426; Van der Veen 2011, 8 cited in Cobb 2018a. 77 Zitterkopf and Sidebotham 1989, 165; Cobb 2019, 98. For the relevant evidence see Bernand 1972, 15; Young 2001, 41; I. Pan 87; (Augustus): I. Koptos 3; 38; 39 (Tiberius): 40; 41; 42; 43; 44; 45; 46; 47; 48; 49 (Claudius): 1 (Nero): 50 (Titus): 51 (Domitian): 52; 53 (Hadrian): 4; 5; 54; 55 (Antonius): 56 (Maximinus Thrax): 57. 78 Cobb 2019, 98–100; 102–105; Reddé and Brun 2006, 86; 90–91; 94; 98–99; 126; 137 cited in Cobb 2018a; Brun 2006, 187; 200 cited in Cobb 2018a; Cuvigny 2006, 267–273 cited in Cobb 2018a. 79 Brun 2018, 185. 80 Sidebotham 2011, 129–135. 81 Sidebotham 2011, 129–135. While Gates-Foster et al 2021, 69 has shown that the praesidium of Berkou likely dates to the Flavian period that it seems to have been abandoned by the early 2nd century AD means that I have excluded it from the calculation. 82 Cobb 2018a, 95–96; M 920. 83 Cobb 2018a, 101; 103. 84 M 920 shows that 15 men were based at Maximianon 18 were stationed at Persou and 15 at Simiou. 85 For references to garrisons of 22–24 soldiers see footnote 60.

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have all pointed out that the number of soldiers at each praesidium were not uniform.86 To account for potential variation it seems reasonable to argue for a middle-sized force of 20 men per praesidium. This would give us an estimate of 620 men assigned to the praesidia throughout the 2nd century AD. Although this is smaller than the upper estimate of 900 men suggested by Van der Veen, Bouchaud, Cappers and Newton this figure, I would argue, instead represents the number of Roman soldiers in the whole of the region (i.e., the Eastern Desert and the Red Sea) rather than just those stationed at the praesidia. That this situation is likely the case is indicated by the aforementioned inscription from Berenike referring to a chiliarch.87 This was a military officer who was notionally given command of 1,000 soldiers.88 The Red Sea Ports and Fleet Ptolemy II, as well as establishing many of the forts which would later become the Roman praesidia that were discussed in the previous section also oversaw the construction of what were to become some of the major ports of the Red Sea.89 These (specifically Berenike) were built to receive shipments of elephants which were acquired by hunting parties that were dispatched further down the Red Sea’s southern coast.90 In addition to receiving elephants, these ports also built the specialist vessels (called elephantagoi) which transported pachyderms.91 Although the Ptolemies are believed to have founded 12 ports along the Red Sea coast of these, only Berenike would achieve any longevity as a centre for mercantile activity.92 This location, along with Myos Hormos, would subsequently act as hubs for both Ptolemaic and Roman trading ventures into the Indian Ocean.93 Indeed, by the end of the 1st century BC Strabo suggests that an immense volume of goods (at least 120 ships worth) was being traded just through the port of Myos Hormos.94 Although a similar statement does not survive implying the volume of goods which passed through Berenike the discovery of a jar in the forecourt of the city’s so-

86 Sidebotham 2011, 150; McLaughlin 2010, 32; Adams 2007, 197; Maxfield 2003, 160–163. 87 Sidebotham 2011, 260. 88 Fischer-Bovet 2014, 134 notes that the Hellenistic chiliarchoi led units of 1,024 men. It is important to note that by the Roman period the title of chiliarch could often refer to a tribunus militum (see Plb. 36–37 for examples). Gilliver 2008, 136 notes that by the time of the principate these tribunes had a variety of duties and often commanded units of auxiliaries. Gulliver 2008, 193 has proposed that these units could number between 500 and 1,000 men. 89 Str. 17.1.25; 1.45; Plin. Nat. 6.33.167. 90 For overviews of Ptolemaic elephant hunting in the region of the Red Sea see Casson 1993; Burstein 1996; Cobb 2016. 91 Sidebotham 2011, 48; p. Petrie. II 40a; D.S. 3.40.4; Agath. 5.85a–b. 92 Sidebotham et al 2008, 158–176. 93 Tomber 2008, 57–65; 2017, 537–539; Sidebotham 2011, 1; Cobb 2018a, 29–30. 94 Str. 2.5.12.

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called ‘Great Temple’ containing seven and a half kilograms of black pepper indicates that the port also processed a large amount of trade.95 The potential military importance of Berenike during the Roman period is indicated by the port’s status as the seat of the Prefect of Berenike.96 This was arguably the most important Roman official in the entire region.97 Given the presence of the Prefect and due to the amount of trade moving through Berenike it therefore seems reasonable, as Sidebotham has suggested, for Berenike to have possessed a garrison.98 Despite the logic of this suggestion, and a rubbish dump to the north of the city disgorging documents that reference the delivery of water to military units within Berenike, none explicitly confirm the stationing of a permanent military force within the city limits.99 Instead, Sidebotham has observed that 10 praesidia were constructed to encircle Berenike in a defensive ring.100 This he rightly suggests had the dual function of protecting the city from attack and providing it with fresh water.101 In addition to these outlying units, the Prefect of Berenike could potentially have drawn on his own small retinue of military personal when he was based within the city.102 Such a retinue might have been drawn from the soldiers of the Ala Heracliana, a unit that appears to have been under the Prefect’s direct command.103 These could have been supplemented by any soldiers which had potentially been assigned to act as an escort from an outlaying praesidium.104 The Prefect’s military manpower could have been bolstered further by hiring any of the doubtless scores of mercenaries (see below) which gathered in the Red Sea ports to escort merchants returning to the Nile Valley. With that being said, it is still possible (although by no means certain) that soldiers might have been purposely deployed to Berenike (and presumably also to Myos Hormos) during the trading season. Such a situation would certainly help to explain the numerous documents which refer to deliveries of water to soldiers within the city. 95 Seland 2014, 382. 96 Sidebotham 2011, 85–86 argues that the Prefect of Berenike was based in the city of the same name. In contrast, Pantalacci 2018, 13 and De Romanis 2020, 306 both argue that the Prefect of Berenike was based at Coptos. 97 The Prefect of Berenike seems to have had numerous duties. For example, he appears to have commanded the Ala Heracliana (Sidebotham 2011, 260); overseen the garrisons along the Coptos to Berenike road (Cobb 2018a, 107); appointed several junior officials (Sidebotham 2011, 110; Nappo and Zerbini 2011, 68–76; Nappo 2017, 561; O. Ber. 11; 36; 51) and overseen maintenance in the region (Sidebotham 2011, 110). 98 Sidebotham 2011, 68–69. 99 For a sample of the ostraca recovered from excavations in Berenike see Bagnall, Helms and Verhoogt 2000; For examples of deliveries of water to soldiers see Bagnall and Ast 2016, nos. 265; 274; 257; 276; 277; 278; 279; 280. 100 Sidebotham 2011, 66. 101 Sidebotham 2011, 66. 102 Fuhrmann 2011, 190–192 has noted that it was not unusual for Rome’s provincial governors to have included soldiers in their personal retinues. The size of these military retinues appears to have ranged from anywhere between 5 (AE 1967, 444) and 500 men (ILS 2487). 103 Sidebotham 2011, 260. 104 Cobb 2018a, 110; Cuvigny, 2005, 25, 77–82, 94, 154 cited in Cobb 2018a. For examples see K458; 315; 519a; O. Krok. 87.

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On the other hand, the maintenance of a naval force in the Red Sea, likely based at both Berenike and Myos Hormos will have reduced the need for a large or permanent terrestrial garrison. This could also explain the apparent presence of soldiers in the city suggested by the water documents. In addition to constructing Berenike, the Ptolemies also established the precedent of posting naval forces to the Red Sea. As has already been seen, this step seems to have been taken to protect ships from attacks by pirates and to project political power. Although very little is known about these earlier naval assets Berenike was probably the fleet’s primary headquarters due to the port’s role in constructing the elephantagoi. These ships were, by necessity, very large, technically complex and, as a result, were worthy of military protection.105 Indeed, the impact of losing just one of these ships is shown by the three-month delay required to construct a new vessel following a sinking during a return voyage to Berenike.106 Although Strabo suggests that, during Gallus’ campaign Rome’s naval assets in the Red Sea were based further to the north at Clysma and Arsinoe, Berenike seems to have resumed its historic role as the primary naval station by the 1st century AD.107 This is implied, firstly, by an ostracon mentioning the captain of a trireme in the city and secondly, by Berenike’s, significance as the seat of the Prefect.108 This made it the logical choice for the headquarters of Rome’s Red Sea fleet. The final reason that Berenike was likely Rome’s main naval base in the Red Sea rather than Myos Hormos is that it was 200 nautical miles further south.109 This made it the closest Roman outpost to the mouth of the Red Sea, Leuke Kome and Rome’s garrison on the Farasan Islands (see below). The size of Rome’s Red Sea fleet in the imperial period, much as its Ptolemaic predecessor, is unknown. Although Strabo states that Aelius Gallus constructed 210 ships for his military campaign at the close of the 1st century BC only 80 of these appear to have been military vessels with the additional 130 being transports.110 The situation is further complicated by the fact that the types of vessels that Rome stationed in the Red Sea are largely unknown and Strabo states that Gallus’ fleet was comprised of triremes, biremes and light ships.111 Indeed, ostraca unearthed in the Red Sea ports confirm that a diverse range of ships was used during the 1st century AD.112 This makes it impossible, based on the current evidence, to reliably determine how many soldiers were assigned to Rome’s Red Sea fleet. While the Martyrium Arethae states that emperor Justinian gathered 50 ships from the Red Sea ports in 524 or 525 AD this does not reflect the size of Rome’s imperial fleet 105 Cobb 2018a, 30; Agath. 5.85 a–b; D.S. 3.40. Str. 2.3.4 mentions guards on the Red Sea coast. While these soldiers probably manned the Ptolemaic forts in the Eastern Desert some could also have been posted to protect Berenike. 106 Seland 2009, 181; p. Petrie. II 40a. 107 Nappo 2017, 115–116; Str. 16.4.23. 108 Nappo 2009, 60; O. Petr. 296. 109 Casson 1980, 22. 110 Str. 16.4.23. 111 Str. 16.4.23. 112 Nappo 2009, 61; O. Petre. 279.

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for several reasons.113 Firstly, it is uncertain if these were military vessels or repurposed merchant boats.114 Second, (similarly to Gallus’ fleet) these ships are mentioned in connection with Justinian’s support for the Axumite campaign against the King of the Himyarites. Third, Justinian’s invasion force is said to have numbered c.120,000 men. That Gallus’ fleet was comprised of 130 transport ships for only 11,500 men implies that the reliability of this later account is seriously flawed. Nevertheless, the gathering of so many ships during the 6th century AD, a time when Rome’s Indian Ocean trade, while still functioning, had declined significantly certainly makes it possible that this many ships could have been crewed during the imperial period.115 As a result, although there is no reliable evidence for the size or composition of Rome’s Red Sea fleet during the imperial period around 50 ships seems a reasonable (if hypothetical) estimate. To this end, Josephus notes that 40 ships made up Rome’s Pontic fleet in the Black Sea.116 Since the Black Sea was an important supplier of grain in the ancient world it does not seem unreasonable to compare this region to the Red Sea, another area through which a large and very valuable trade (including black pepper) returned to Roman territory.117 If Rome’s Red Sea fleet included at least the same number of ships (i.e., 40) and assuming (based on the surviving evidence) that they were triremes, then this could have represented an additional c.400 soldiers (excluding the sailors and crew) assigned to the navy with potentially more attached to smaller supporting ships.118 What is more, if half of these ships were based at Myos Hormos and half again at Berenike then this would have provided each of the ports with a permeant (if fluctuating) garrison of around 200 men.119 Such a large number would aptly explain the number of deliveries of water to military units.

113 Nappo 2015a, 75; Martyrium Arethae. 29. 114 De Romanis 2020, 68 translates Martyrium Arethae. 29 as ‘merchants came from’ thus implying that the ships that were gathered were civilian rather than military vessels. 115 On the decline of trade in the 3rd century AD and its revival in the 4th century AD see Young 2001, 82–88; McLaughlin 2010, 59–60; Sidebotham 2011, 259–282; Gurukkal 2016, 127–128. 116 Joseph. BJ. 2.16.4. 117 Bissa 2009, 155. For a detailed study of black pepper consumption in the Roman Empire see Cobb 2018b. 118 On the size of a trireme’s crew see Morrison et al 2000, 109; Jameson 1960, 199–200, 23–26. The so-called ‘Decree of Themistocles’ states that an Athenian trireme was to be crewed by 10 epibatai and four archers. While Saddington 2008, 202 notes that the Roman classis came to use the large ships of the Hellenistic period he also observes that triremes and biremes remained in use. This variety is confirmed by the ostraca mentioned above. Oothuijs 2007, has shown that the soldiers on board Roman warships were separate detachments to the sailors and other crew members and were commanded by their own officers. 119 Nappo 2017, 116 also suggests that Rome’s Red Sea fleet was divided between Myos Hormos and Berenike.

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The Mines, Quarries and Overseas Garrisons Mining (primarily for gold) has taken place within the Eastern Desert of Egypt since before the Ptolemaic period.120 While this had declined by the Roman period the extraction of other minerals remained a priority and 130 locations have since been identified.121 Where some sites extracted gold others sought precious minerals and several were dedicated to quarrying valuable types of stone.122 Amongst these, the quarries of Mons Claudianus and Mons Porphyrites stand out for their size and sophistication. These appear to have operated intermittently between the 1st and the 3rd century AD and the 1st and the 5th century AD respectively.123 Such valuable materials (specifically stone) were used in fine sculpture, monumental buildings and, most notably, in the construction of the villa of emperor Hadrian.124 As with the elephantagoi discussed above, these materials seem to have necessitated military protection and both Mons Claudianus and Porphyrites were established around fortified outposts.125 In addition, several praesidia were situated nearby putting these sites within easy reach of military support.126 While some have proposed that a military presence was needed to control populations of enslaved labour this has been shown to be incorrect.127 Instead, as with the wider region, soldiers were needed to protect the quarries (as well as the mines) and their precious produce from the increasing threat of hostile desert-dwellers.128 While it is clear therefore that soldiers were assigned to guard these locations, it is uncertain how many were involved. It has already been observed that many sites could draw on soldiers from a nearby praesidium. However, some sites, such as Smitthus, evidently maintained their own garrisons.129 It is only at Mons Claudianus however that the exact size of the garrison can be deduced. This is due to a document recording the provision of drinking water to the inhabitants. Since the military personnel appear to be listed 120 Sidebotham et al 2008, 213; Gates-Foster 2012, 194–195; Klemm and Klemm 2013, 12–15; Brun 2018, 142–145; Fuacher 2018. 121 Maxfield 2002, 155; Hirt 2011, 184; Klemm and Klemm 2013, 15. Maxfield 2002, 143 identifies 70 separate sites that were active at different times. 122 The precious minerals which could be obtained in the Eastern Desert included amethysts, beryls and emeralds. On this see Sidebotham et al 2008, 277–302. The main types of valuable stone that were available included purple (‘imperial’) porphyry, black porphyry hard granodiorite and tonalite. On these types of stone see Maxfield 2002, 143; Sidebotham et al 2008, 74; 78; 82–83; Reddé 2018, 183. 123 Sidebotham et al 2008, 74; 78; 82–83; Reddé 2018, 183. 124 Sidebotham et al 2008, 74; 78; 82–83; Tomber 2013, 112; 2018, 531. 125 Tomber 2013, 112–113. 126 Hirt 2011, 179; 185. 127 Sidebotham et al 2008, 220–222; Hirt 2011, 185; Maxfield 2002, 154; Van der Veen et al 2018, 360. Work by Cuvigny 1996, 140–141 shows that workers could be paid half as much as members of the military. 128 Cobb 2019, 105. Several ostraca from Mons Claudianus suggest that the threat of the barbaroi did disrupt work at the quarries. See O. Claud. Inv. 4888; 7309; 7226; 7255; 4.851; O. Ka. La. inv. 31; P. Bagnall 8. 129 Hirt 2011, 185.

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first it has been calculated that of the 917 inhabitants the garrison comprised two officers, 30 infantry, six cavalry and 22 recruits.130 The large size of Mons Claudianus’ garrison (compared to those at the praesidia) has been explained by Hirt as the result of the increased responsibilities of the soldiers which appear to have included running a medical facility and overseeing the operation of the quarry.131 On the other hand, as has already been noted, Mons Claudianus is the only site for which such numbers are known. Indeed, despite the discovery of several inscriptions referencing soldiers at Smitthus none has yet provided evidence for the size of its garrison.132 Similarly, although Sidebotham, Hense and Nouwens have argued that gold mines must have been garrisoned, due to limited excavation this is so far unproven.133 The evidence for the size of such garrisons across the Roman Empire also offers little help because they seem to have varied widely. For example, the garrison of Montana in Moesia fluctuated between 100 and 500 men.134 Such fluctuations likely also took place in the Eastern Desert.135 As a result, it is only possible to say with certainty that 60 soldiers were involved with this sector of activity although it is certain to have been more (perhaps several hundred?). As well as being involved with mining and quarrying, the author of the Periplus observes that (sometime between 40 and 70 AD) a centurion and a detachment of soldiers was posted overseas to Leuke Kome, a port on the Arabian coast.136 It has been noted by De Romanis that rather than simply being ports like Berenike and Myos Hormos, Leuke Kome was an emporium akin to Coptos and Alexandria.137 This made it one of the few locations where the tetarte (25% tax) could be collected and goods could be sold. While this certainly indicates the importance of Leuke Kome the author of the Periplus, again akin to the quarries and mines of the Eastern Desert, fails to state how many soldiers were stationed there. Nevertheless, in light of the evidence for the Mons Claudianus garrison, it may be possible to say more about Leuke Kome. Since these soldiers were entrusted with collecting taxes in Arabia before Rome annexed the region in 106 AD then it is likely that security

130 Hirt 2011, 182; Sidebotham 2011, 89; Bülow-Jacobsen 2018, 17; O. Claud. inv. 1538+2921. 131 Hirt 2011, 183; 169–171; 183; 201. In a similar vein Maxfield 2002, 151 has proposed that the quarry garrisons were there to offer protection and to administer the site. For centurions at Mons Claudianus see I. Pan 21; 38; 39; 41; 42; O. Claud. 48. 132 Hirt 2011, 184–185; AE 1992 1820; 1821; 1823. 133 Sidebotham et al 2008, 222. 134 Hirt 2011, 189; 192; CIL III 12529; AE 1987: 867. 135 Maxfield 2002, 157 suggests that quarry work was done throughout the year but that the intensity would have varied due to need and the number of ongoing imperial projects. 136 Casson 1989, 7–10; PME. 19. Debate has proliferated over whether the centurion and his command were Romans or Nabataeans. For Nabataeans see Bowersock 1983, 70–71 cited in Nappo 2015b; Casson 1989, 145; De Romanis 1996, 193 cited in Nappo 2015b. For Romans see Young 1997, 268. For uncertainty over the identity see Sidebotham 1986, 105–106; Nappo 2015b. It is assumed for the sake of the calculations in this chapter that these troops were probably Roman. 137 De Romanis 2020, 180; 305.

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observed that Leuke Kome was a two to three-day sail away from Myos Hormos.138 This combination of isolation within a foreign territory and the need to collect customs revenue implies that the contingent of soldiers would have been quite large. It seems reasonable to assume therefore that the garrison of Leuke Kome was at least as large as the one at Mons Claudianus (i.e., 60 men). However, it is also possible (although this is conjecture) that the centurion in command at Leuke Kome may have overseen a full century of 80 soldiers.139 Either way, Leuke Kome appears to have represented an important overseas investment, given the fort which the garrison occupied. This lasted until Trajan created Arabia as a province at the beginning of the 2nd century AD. Perhaps following the dissolution of the Leuke Kome garrison, additional soldiers were dispatched to maintain a garrison on the Farasan Islands. This island chain is located at the mouth of the Red Sea, close to the Gulf of Aden and about 1,000 kilometres to the south of Egypt’s provincial Roman border.140 Two inscriptions indicate that Rome had soldiers stationed on the islands by the middle of the 2nd century AD.141 These inscriptions demonstrate that this garrison (a mixture of legionaries and auxiliaries) was involved in construction the result of which possibly included several small structures and at least one fortified tower.142 Although small and, in one case, very fragmented the more complete of the inscriptions (dated to 144 AD) shows that an official holding the title of ‘Prefect of the Farasan Harbour and the Herculian Sea’ was in command.143 Posting such an official to manage the Farasan Islands is an important indicator both of this location’s significance and the potential size of its garrison. By examining the ranks of officers attested in the Eastern Desert Maxfield has observed that, with one exception, the commanders of the praesidia garrisons do not rank above that of the centurion or decurion of an auxiliary unit.144 Given the inclusion of legionaries, it is likely that the Farasan Prefect would have outranked such junior officers. Although not conclusive proof, this, along with the isolated position of the islands suggest that the garrison (as at Leuke Kome) would have needed to be quite large. As a result, the garrison of the Farasan Islands was likely anywhere from 60 to 80 men (as with Mons Claudianus and probably Leuke Kome). Indeed, given the probable role of the Farasan Islands in providing maritime security, it is also possible that this manpower may have been supplemented by the Red Sea fleet.145 Certainly, these remote islands would need 138 139 140 141 142 143 144 145

Nappo 2010, 341; Str. 16.4.23. Gilliver 2008, 189. Nappo 2015a, 65. Speidel 2017, 89–90; AE 2005, 1640 = AE 2007, 1659; 1643 = AE 2005, 1639 = AE 2007, 1659. de Procé 2019. AE 2005, 1640 = AE 2007, 1659; 1643 = AE 2005, 1639 = AE 2007, 1659. For a discussion of the ‘Herculian Sea’ see Bukharin 2005, 135–136. Maxfield 2003, 163; I. Pan 20; 39; 42; ILS 4424. McLaughlin 2010, 80–81; 200; Sidebotham 2011, 188; Speidel 2017, 91–92. For a contrary view of the purpose of the Farasan garrison to that put forward by McLaughlin and Speidel see Bukharin 2005, 137–138; 139; 2011, 17–20.

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Certainly, these remote islands would need to be supplied by sea (presumably from Berenike).146 This could have put the garrison at well over 100 men at certain times. The Size of the Deployment While several of the estimates presented above are hypothetical it is very clear that the figure proposed by Sidebotham of 1,000 soldiers in the region of the Eastern Desert and the Red Sea is eminently feasible, at least during the 2nd century AD. Indeed, it is easily possible to see this number (the equivalent of a single miliaria) being exceeded during a busy trading season or an especially productive time for the quarries. Certainly, if the evidence for units based on the periphery of the Eastern Desert (often associated with points of entry) is included it could conceivably push the number of soldiers involved nearer to 2,000.147 On the other hand, the range of duties which it has been shown was fulfilled by military personnel (providing security and monitoring merchants) implies that this number (1,000) was relatively small. Considering that the Eastern Desert and the Red Sea are 206,000 km² and 438,000 km² respectively even if just the roads to the major ports (Myos Hormos and Berenike) are considered these total 540 km.148 This situation contrasts markedly with the 3,000 soldiers assigned to Hadrian’s wall (117 km) or the 80,000 men posted to the limes Germanicus (568 km).149 While the focus on a series of fortified locations in the Eastern Desert and ports on the Red Sea coast show that the Roman military was not attempting to dominate either region entirely these numbers display the enormity of the task which they faced. Indeed, even after accounting for this more limited operational scope it still raises serious questions about the extent to which the military could fulfil their role(s) effectively. The Role of the Military It becomes clear from the discussion above that given the size of the area covered by just 1,000 Roman soldiers what role(s) they could perform were, effectively, inherently limited. Certainty, there has been a degree of disagreement between scholars regarding what the military’s primary role was in the Eastern Desert. For Young, while the army did offer merchants, residents and travellers some protection

146 McLaughlin 2010, 80. 147 If 1,000 men were posted inside the Eastern Desert a further 500 cavalry seem to have been stationed at Coptos and a further 500 men at Contropollonis (Sidebotham 2011, 260; Fink 1971 cited in Sidebotham 2011, 260). In addition, a unit of Palmyrene archers was based at Coptos by 217 AD (Speidel 1984, 221). 148 Sidebotham 2011, 127–128. For a more comprehensive study of the roads of the Eastern Desert see Paprocki 2019, 147–189. 149 Thorne 2008, 230; Tac. Ann. 4.5.

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commercial traffic.150 Young makes this case for two reasons. First, because he notes that security appears to have been mainly provided by privately hired guards (more on this point below) and second, due to the placement of the praesidia.151 Young is certainly correct on both counts. Indeed, given the number of soldiers involved versus the area which they had to cover it would have been impossible (as has already been observed) for them to have actively defended every merchant and traveller. As a result, limiting their role to chiefly one of observation is perfectly logical since it would have confined military activities to a manageable area (i.e., around the praesidia, ports, quarries etc). In support of this view, Young notes that rather than being on high, defensible ground the praesidia were instead placed on valley floors where soldiers could easily monitor travellers and thus ensure that the proper tax revenue was collected.152 Young supports this further by referring to the remains of the many skopoloi which survive.153 That preventing smuggling does appear to have been a concern is suggested by several documents, most notably one from Myos Hormos mentioning the smuggling of wood.154 On the other hand, while monitoring traffic and preventing smuggling are certainly likely roles for the military and ones which would have been within their practical capabilities Young’s observations miss several key points. As Cobb has noted, while placing the praesidia on the valley floors will have made them less defensible this certainly allowed for easier access during times of attack.155 It has already been noted that civilians were present, thus making this of vital importance. In addition, it was observed above that the praesidia often possessed substantial fortifications which would doubtless have played a decisive factor in defence. Most significantly, however, Young fails to note the connection between the placement of the praesidia and the locations of the wells which provided water. These were almost all located on the valley floor.156 Given the importance of fresh water for desert survival, it is no surprise to see such concerns placed before physical protection.157 Thus, Cobb has rightly argued that the Roman military played a crucial role in providing protection and combating hostile desert-dwellers. I would argue not only this but that these efforts were geographically confined to small sections of the wider environment. It was shown above that when the praesidia were attacked Rome’s soldiers went to great lengths to defend these outposts including chasing attacking barbaroi. It is also very likely (although this is less certain) that

150 151 152 153 154

Young 2001, 70. Young 2001, 69; 70; 72. Young 2001, 69–70. Young, 2001, 70–71. For more on the skopoloi see Zitterkopf and Sidebotham 1989, 155–189. O. Did. 416. The other main example has been proposed by Cuvigny 2014, 171–172 where she suggests that O. MyHo. inv. 512 is an example of a practice intended to prevent smuggling. 155 Cobb 2018a, 111. 156 Sidebotham 2011, 164. 157 Sidebotham 2011, 87.

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one inscription appears to commemorate.158 As a result, it is clear that while Young is correct to emphasize the role which Roman soldiers played in observation this should not, as Cobb has proposed, overshadow their military role which has been shown to have been critical to the survival of the praesidia and was the lifeblood of merchants and travellers in the Eastern Desert. Nevertheless, Young is correct to highlight the critical importance of privately hired guards for providing security when away from the praesidia. Indeed, this could very well explain how just 1,000 soldiers were able to successfully defend and monitor if not tens of thousands, then hundreds of square kilometres.159 Private Guards in the Eastern Desert and the Red Sea It has been hinted at above that, as Young argues, privately hired guards were the key to explaining how only 1,000 soldiers were able to oversee the roads of the Eastern Desert and the Red Sea. The regular use of privately hired security is made clear by the Muziris papyrus (a 2nd century AD loan contract) and the Coptos Tariff (an inscription recording the cost of customs passes dated to 90 AD). 160 In the Muziris papyrus, it is stated that the goods from the Hermapollon (the ship with which the contract is concerned) will be transported ‘under guard and protection’ to the customs house at Coptos.161 Although at first it seems logical to see these guards as Roman soldiers this image seems unlikely. This is because in the surviving instances of soldiers being given escort duties there does not appear to be more than two or three men involved.162 In contrast, the Hermapollon’s cargo has been estimated to have needed at least 800 camels to transport this one caravan.163 As a result, even three cavalrymen would have been incapable of protecting such a large convoy, especially considering bands of 60 or more desert-dwellers. Instead, the Coptos Tariff, in addition to recording the cost of customs passes for prostitutes, ships masts and human corpses, records the cost of a customs pass 158 The inscription in question is I. Pan. 87 on the various interpretations see Cuvigny 2006, 348– 349; 2014, 177–178 cited in Cobb 2018a; Cobb 2018a, 110. 159 In his discussion of public security in Roman Asia Minor, Brélaz 2005, 231–284 paints a similar picture of formal military involvement to that outlined above. This picture is one in which military activity was mostly confined to defending critical locations and only intervening during times of increased danger. 160 McLaughlin 2014, 89; P. Vindob.G. 40822 (Muziris papyrus); Cobb 2018, 114; OGIS 674 (Coptos Tariff). 161 P. Vindob.G. 40822, Recto, column ii, 1–4 (Evers’s translation). De Romanis 2020, 15 translates it as ‘with vigilance and caution.’ Alternately, Young 2001, 56 translates it as ‘under guard and security.’ 162 Cobb 2018a, 110–111; Cuvigny 2005, 25, 77–82, 94, 154 cited in Cobb 2018a. For examples see K458; 523; 315; 519a; O. Krok. 87. 163 While there is some dispute over the size of the cargo recorded in the Muziris papyrus (Rathbone 2000, 45–46 – 150 tons; Morelli 2011, 227–228 – 180 tons; De Romanis 2012, 89 – 625 tons; 2020, 252 – 635 tons). Evers 2017, 105 notes that the smallest of these estimates required 800 camels.

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for a guard as five drachmae.164 This confirms therefore that the guards referred to in the Muziris papyrus were privately hired protection rather than soldiers assigned to the duty. Supporting this view, Cobb has argued that such private security would have been vital for merchants to escort their cargos and McLaughlin has proposed that guards were hired in large numbers.165 This should come as no surprise given the Hermapollon cargo’s pre-tax value of nine million sesterces.166 Indeed, it is conceivable that considering the observed increase in hostilities during the 2 nd century AD, using private guards (as stipulated in the Muziris papyrus) was a mandatory condition for merchants wishing to undertake a trade mission in the Indian Ocean. This is made even more likely given the propensity of Romans to utilise private security (either hired or slave labour) to defend their property. 167 In light of this, it is no surprise to see a similar practice used to secure significant financial investments into Indian Ocean trade.168 Although security in the region would, officially, have fallen to the Prefect of Berenike more practically it appears to have been carried out by presumably hundreds of private guards who escorted caravans and, as Pliny, the Elder observes, crewed merchant vessels.169 This is not to downplay the significance of state military involvement. Indeed, outsourcing such a critical task allowed the military, as we have seen, to undertake arguably more vital tasks by defending the praesidia, monitoring traffic and protecting sources of fresh water. It was with the assistance of private guards therefore that I would argue the Roman military could use just 1,000 soldiers to manage the affairs of the Eastern Desert and the Red Sea, an otherwise insurmountable logistical task. Conclusion In this chapter, it has been shown that while some desert-dwelling communities cooperated with Rome (increasingly so by the 3rd century AD) at the end of the 1st and into the 2nd century AD they, along with pirates and bandits, were a significant and violent threat to merchants and Mediterranean inhabitants.170 As a result, the Romans, as with the Ptolemies before them, deployed a multitude of military assets to the region. This included the stationing of warships in the Red Sea, posting contingents of soldiers at key locations and the construction and maintenance of numerous fortified positions. Upon (re)examining the evidence, however, it has also been 164 165 166 167 168

OGIS 674, 6. Cobb 2018a, 111; McLaughlin 2010, 30. P. Vindob.G. 40822, verso, column. ii, 28–29. Fuhrmann 2011, 50–51. McLaughlin 2010, 157 suggests that a trade voyage to India cost over one million sesterces. However, Young 2001, 55 argues that groups of less wealthy merchants could invest in a trade venture together. For an overview of this issue see Cobb 2018a, 78–83 who argues that the investment threshold was likely in the hundreds of thousands of sesterces. 169 Plin. Nat. 6.26.101. 170 On increasing co-operation and changing relationships between Rome and desert-dwelling communities see Cobb 2019, 106–107.

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been shown that only about 1,000 soldiers were deployed throughout the Eastern Desert and the Red Sea during the 2nd century AD. Considering the size of the area involved, such a small group of soldiers could not hope to provide security effectively in addition to many other important tasks. To account for this shortfall, using private guards to escort caravans and protect merchant ships appears to have been a common practice. This allowed a small contingent of just 1,000 soldiers (out of a military apparatus thought to number 300,000 in the imperial period) to focus their attention on crucial duties and locations (e.g., defending the praesidia and protecting the wells) rather than trying to defend a frontier region larger than many in the Empire.171

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DIE AITIOLOGIE DER GEWALT Zu einer Denkfigur der augusteischen Zeit Katharina Angelberger Gewalt wird in den modernen Gesellschaften häufig als etwas verstanden, über das der Mensch seit der Aufklärung Kontrolle erlangen und welches er von der Gesellschaft fernhalten muss. Die Folgen dieses Blicks auf Gewalt bestehen nicht nur in einem Ideal von Gewaltlosigkeit, sondern auch in der bis zum Ende des 20. Jahrhunderts währenden Exklusion von Gewalt als möglichen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.1 Doch die Grausamkeit beider Weltkriege schuf Risse im aufklärerischen Bild gewaltfreier Gesellschaften. Dies bewegte Adorno und Horkheimer dazu, die Aufklärung selbst kritisch zu hinterfragen und ihre „formale Logik [als] die große Schule der Vereinheitlichung“2 zu entlarven. In ihrer Dialektik der Aufklärung richten sie daher den Blick über die Grenzen der aufgeklärten Wahrnehmung und wenden sich den blinden Flecken moderner Gesellschaften zu. Auch Gewalt schien angesichts dessen nicht mehr nur fern ab der Gesellschaft zu liegen, sondern als ständiges Dispositiv des Handelns innerhalb der Gesellschaft präsent zu sein.3 So wurde sie im Zuge dieses neu ausgerichteten Denkens in verschiedenen Disziplinen Gegenstand differenzierter Untersuchungen. Was zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur vereinzelt, beispielsweise von Walter Benjamin in seiner 1921 verfassten Kritik der Gewalt durchgeführt worden war, traf nun auf fruchtbaren Boden4: Nicht nur, dass Gewalt einen neuen Platz im Bewusstsein der Gesellschaft gefunden hatte, die gesellschaftliche Ordnung schien plötzlich durch Gewalt erst möglich. Zum einen, so Benjamin, mündet Kriegsgewalt in neue Ordnungen und besitzt demnach ordnungssetzenden Charakter5, zum anderen kennzeichnet Gewalt auch die Institutionen, die für den Erhalt von Ordnungen 

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An dieser Stelle möchte ich Frau Justine Diemke sehr herzlich für die Einladung zur Tagung „Vis omnia vincit? Neue Perspektiven zur Gewalt in der griechisch-römischen Antike“ danken. Zur historischen Entwicklung der Gewaltforschung vgl. die ersten beiden Kapitel von Koloma Beck/Schlichte 2014. Horkheimer/Adorno 201924, 13. Vgl. das 1986 erschienene Werk Phänomene der Macht des Soziologen Heinrich Popitz: Popitz definiert dort „Aktionsmacht“ als die Fähigkeit des Menschen, einem anderen Schaden zuzufügen. Die Verletzungsmächtigkeit und damit „die Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen ist nicht aufhebbar“ (Popitz 19922, 44). Vgl. Benjamin 19653. „Es wohnt also, wenn nach der kriegerischen Gewalt als einer ursprünglichen und urbildlichen für jede Gewalt zu Naturzwecken geschlossen werden darf, aller derartigen Gewalt ein rechtsetzender Charakter bei“, ebd., 39.

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verantwortlich sind – wir sprechen in diesem Zusammenhang von Staatsgewalt oder Rechtsgewalt.6 Die stabilisierenden und transformierenden Eigenschaften von Gewalt haben auch Untersuchungen antiker Gesellschaften nicht unberührt gelassen: Der französische Literaturwissenschaftler, Religionsphilosoph und Anthropologe René Girard7 sowie der deutsche Altphilologe und Philosoph Walter Burkert8 erkennen eine solche Rolle der Gewalt in antiken Opferriten. Das Opferritual verlagert Gewalt, die bei der Jagd an Wildtieren verübt wurde, in den Kreis der Gesellschaft.9 Dort bergen Aggressionen ein für die Gruppe destruktives Potenzial, welches jedoch durch den Ritus auf ein Lebewesen gelenkt wird, das kein Mitglied der Gemeinschaft ist.10 Der Abstand zum Opfertier in Verbindung mit dem streng geordneten Ablauf der Opferhandlungen hält von der Erfahrung des Leids am eigenen Körper fern, bändigt die entfesselte Gewalt durch die

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„Denn die Unterordnung der Bürger unter die Gesetze […] ist ein Rechtszweck. Wird jene erste Funktion der Gewalt die rechtsetzende, so darf diese zweite die rechtserhaltende genannt werden“, Benjamin 19653, 40. 7 Vgl. Girard 20122. 8 Vgl. Burkert 1997. Nach Burkert werden in der Erfahrung von Tötung und Gewalt in antiken Riten, wie sie in historischen und literarischen Quellen bezeugt sind, Ursprünge der menschlichen Kultur sichtbar. In bemerkenswerter Weise schafft Burkert dabei durch seine Theorie von Mythos, Opfer und Ritual eine Verbindung von Altertumswissenschaft, mit Religions- und Naturwissenschaft, wie kaum einer vor ihm (vgl. Bierl 2010, 5; Krummen 2010, 207; Bremmer 2010, 77). Trotz des Gewinns, den sein Werk für die Erforschung von Mensch und antikem Ritus darstellt, muss manches doch kritisch hinterfragt werden: So war der biologisch-naturwissenschaftliche Ansatz den Burkert in Homo necans verfolgt, bereits während seines Entstehens bereits überholt (vgl. Bierl 2010, 7). Neben diesem zeichnet Burkert auf religionswissenschaftlicher Ebene ein klares und universelles Modell des griechischen Opfers und seiner kulturellen Bedeutung. Außer Acht lässt er dabei jedoch jeglichen Wandel des Opferritus, den dieses im Lauf der Jahrhunderte erfährt (vgl. Bierl 2010, 9). Sein Modell leitet Burkert sowohl aus historischen wie literarischen Quellen – allen voran der attischen Tragödie – ab, dabei liegt sein Fokus vor allem auf der Erforschung der griechischen Religion, „die philologisch-literaturwissenschaftlicher Deutung der großen griechischen Texte […] wird für ihn hingegen nur zum Nebenschauplatz“ (Bierl 2010, 34–35). Dass viele seiner Erkenntnisse – allen voran die gemeinschaftsstiftende Funktion und Produktivität von Gewaltprozessen – dennoch an nicht an Aktualität verlieren, bezeugen sowohl Christoph Riedweg (vgl. Riedweg 2015, 671) als auch neuste soziologische Studien zur Gewalt wie die Schlichtes, welcher gesellschaftlichen Wandel im Zusammenhang mit Bürgerkrieg betrachtet (Koloma Beck/Schlichte 2014, 134–135). Auch dieser Aufsatz möchte eine Ergänzung zum Werk Burkerts leisten, indem nicht nur der zentrale Fokus auf die literaturwissenschaftliche Betrachtung von Gewalt gelenkt wird; neben Gewalt in Opferriten soll zudem auch Gewalt als solche in den Blick genommen werden, bevor neben der generativen Funktion von Gewalt auch der Wandel von auf Gewalt basierenden Ordnungen thematisiert wird. 9 Zur Verbindung zwischen der Jagd und dem Opferzeremoniell vgl. ebd., 23. 10 Während eine Gewalttat, die sich gegen einen Mitmenschen richtet, Racheakte nach sich zieht, ist ihre Substitution durch ein Opfertier ein Mittel, destruktive Aggressionen von der Gemeinschaft abzuwenden, vgl. Girard 20122, 13.

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die rigide Ordnung des Zeremoniells und festigt den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Solche Gewalt gilt demnach als ordnungsbewahrend.11 Neben der zum Opfertier aufgebauten Distanz kommt es unterschwellig jedoch auch zu einer Identifikation mit ihm: Denn nicht nur Wild findet im Opfer den Tod, sondern auch domestizierte Tiere, die als Teil des eigenen Hauses gelten.12 Erzählungen, wie die von Kain und Abel13, sprechen aus, was im Opfer latent inhärent ist: der Tod eines Bruders.14 Girard nennt die Identifikation von Opfernden und Opfer die „Krise des Opferkultes“15, die in die Erfahrung der eigenen Sterblichkeit und Schuldgefühlen mündet. Solchen Schuldgefühlen folgt der Wunsch nach Wiedergutmachung, wie dem Opfer die Speise. Die Kompensation der Bluttat wiederum garantiert den Fortbestand und nährt den Wandel der Gesellschaft.16 Girard und Burkert bezeugen demnach ordnungsbewahrende und ordnungstransformierende Gewaltvorstellungen im antiken Denken. Ziel der folgenden Interpretation ist es, ebenfalls den Schritt zu wagen, über die aufklärerischen, moralischen Deutungen hinauszugehen und die Dynamiken von Gewalt – die ich Aitiologie der Gewalt nenne – in Werken augusteischer Autoren zu untersuchen. Dies soll ausgehend von einer Textstelle in Vergils Aeneis geschehen, welche durch ihre überraschende Gewalttätigkeit Gegenstand mannigfaltiger Interpretationen wurde: nämlich dem Ende des Werkes, an dem der sonst rationale Held Aeneas in einem Anflug von Raserei seinen Kontrahenten Turnus gewaltsam tötet. Turnus’ Opfer Seit dem vierten Jahrhundert wird nach Erklärungen für Aeneas’ plötzlichen Gewaltausbruch gesucht: Bereits Servius schreibt dazu: nam et ex eo quod hosti cogitat parcere, pius ostenditur, et ex eo quod eum interimit, pietatis gestat insigne: nam Evandri intuitu Pallantis ulciscitur mortem (Serv. Aen. 12,940).17 Aeneas’ Handeln, so Servius, entspricht der pietas, weil es dem eigenen Vater oder aber dem 11 Zur Festigung und zum Schutz der Gemeinschaft durch das Ausleben gemeinsamer Aggression, vgl. Burkert 1997, 45 und Girard 20122, 18. 12 „Die Realität des Sterbens, des verrinnenden Blutes ist dabei unmittelbar gegenwärtig, wird vielleicht intensiver erlebt am Haustier, am vertrauten Hausgenossen“, Burkert 1997, 54. 13 Vgl. Girard 20122, 14. 14 „[E]ben die intraspezifische Aggressio[n] hat eine merkwürdige Folge: das Beutetier wird damit seinerseits zum quasimenschlichen Gegenüber, es wird wie ein Mensch erlebt und dementsprechend behandelt […]. Vom Gefühl fast brüderlicher Verbundenheit […], von der Austauschbarkeit von Mensch und Tier im Opfer sprechen die Mythen nicht nur bei den Griechen immer wieder“, Burkert 1997, 28–29. 15 Der von Girard geprägt Begriff „die Krise des Opferkultes“ bezeichnet die Identifikation mit dem Geopferten. Ist diese Identifikation zu deutlich ausgeprägt, droht die sich im Opfer entladene Gewalt selbstzerstörend zu werden. Liegt hingegen keine Identifikation mit dem Opfer vor, verliert der Ritus seine kathartische Funktion (cf. Girard 20122, 62–63). 16 Zum Wunsch nach Wiedergutmachung nach dem Opfer vgl. Burkert 1997, 49. 17 Zitiert nach der Ausgabe von Murgia, (Murgia 2018, 515).

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Gastfreund verpflichtet bleibt. Mit dieser Interpretation steht er am Beginn einer Tradition moralischer Deutungen, die sich in zwei gegensätzliche Positionen einteilen lassen: Für eine optimistische Bewertung der Schlussszene spricht sich die Europäische Schule aus; zu ihr zählen u.a. Galinski, Stahl, Thornton oder auch Otis.18 Sie sehen in ihr eine Sühne von Turnus’ Schuld und eine Rechtfertigung von Augustus’ Rache an den Caesarmördern. Dem gegenüber äußern Anhänger der Harvard School19 pessimistische Ansichten über das Werkende. Für sie ist der unvorhersehbare Tod Teil einer allgemeinen condicio humana und Aeneas’ Frevel nicht geringer als der von Turnus. Nichtsdestoweniger folgen beide Interpretationsansätze dem Erbe moralischer Sichtweisen, die den Blick auf die Komplexität des Dargestellten verschleiern. Zu erahnen ist die tiefreichende Bedeutung des Textes schon im Vergleich mit dem homerischen Vorbild: Auffällige Parallelen zwischen dem im 22. Gesang der Ilias geschilderten Kampf zwischen Achill und Hektor und dem zwischen Aeneas und Turnus vergegenwärtigen den homerischen Intertext20: So ist in beiden Kämpfen die Flucht des Unterlegenen eingebettet, welche mit einer Hirschjagd verglichen wird.21 Auch wird beiderorts beschrieben, wie ihre Flucht sie am Rand der Stadtmauern entlang an einem markanten Baum vorbeiführt22, das Erschaudern von Turnus wird ähnlich wie Hektors Flucht mit einem Albtraum verglichen23 und Jupiter bemisst vor Ausbruch des Kampfes wie Zeus das Schicksal der Helden mit einer Waage.24 Doch stellt gerade diese Waage einen auffälligen Unterschied dar: Denn fällt bei Homer die Entscheidung der Götter klar und deutlich zugunsten Achills aus, 18 Vgl. Galinski 1988, 321–348; Stahl 1990, 174–211; 1976; Otis 1963. 19 Vgl. Johnson 1976; Putnam 1990, 7–40; Parry 1963, 66–80. 20 Zur ausführlichen Analyse der Gemeinsamkeiten und Differenzen beider Werke vgl. Freund 2008, 41–66 sowie West 1974, 21–31. 21 Insequitur trepidique pedem pede feruidus urget:/inclusum ueluti si quando flumine nactus/cervum aut puniceae saeptum formidine pennae/uenator cursu canis et latratibus instat;/ille autem insidiis et ripa territus alta/mille fugit refugitque uias, at uiuidus Vmber/haeret hians, iam iamque tenet similisque tenenti/increpuit malis morsuque elusus inani est, (Verg. Aen. 12,749–755); Ἕκτορα δ᾽ἀσπερχὲς κλονέων ἔφεπ᾽ὠκὺς Ἀχιλλεύς./ὡς δ᾽ ὅτε νεβρὸν ὄρεσφι κύων ἐλάφοιο δίηται/ὄρσας ἐξ εὐνῆς, διά τ᾽ἄγκεα καὶ διὰ βήσσας·/τὸν δ᾽εἴ πέρ τε λάθῃσι καταπτήξας ὑπὸ θάμνῳ,/ἀλλά τ᾽ἀνιχνεύων θέει ἔμπεδον, ὄφρα κεν εὕρῃ. (Hom. Il. 22,189–193). 22 Forte sacer Fauno foliis oleaster amaris/hic steterat […] sed stirpem Teucri nullo discrimine sacrum sustulerant (Verg. Aen. 12,767–771); οἱ δὲ παρὰ σκοπιὴν καὶ ἐρινεὸν ἠνεμόεντα/τείχεος αἰὲν ὑπὲκ κατ᾽ἀμαξιτὸν ἐσσεύοντο (Hom. Il. 22,145–146). 23 [Ὡ]ς δ᾽ἐν ὀνείρῳ οὐ δύναται φεύγοντα διώκειν·/οὔτ᾽ἄρ᾽ὁ τὸν δύναται ὑποφεύγειν οὔθ᾽ὁ διώκειν·/ὣς ὁ τὸν οὐ δύνατο μάρψαι ποσίν, οὐδ᾽ὃς ἀλύξαι (Hom. Il. 22,199–201); ac uelut in somnis, oculos ubi languida pressit/nocte quies, nequiquam auidos extendere cursus/uelle uidemur et in mediis conatibus aegri/succidimus; non lingua ualet, non corpore notae/sufficiunt uires nec uox aut uerba sequuntur (Verg. Aen. 12,908–912). 24 [Κ]αὶ τότε δὴ χρύσεια πατὴρ ἐτίταινε τάλαντα,/ἐν δὲ τίθει δύο κῆρε τανηλεγέος θανάτοιο,/τὴν μὲν Ἀχιλλῆος, τὴν δ᾽Ἕκτορος ἱπποδάμοιο,/ἕλκε δὲ μέσσα λαβών· ῥέπε δ᾽Ἕκτορος αἴσιμον ἦμαρ,/ᾤχετο δ᾽εἰς Ἀΐδαο, (Hom. Il. 22,209–213); Iuppiter ipse duas aequato examine lances/sustinet et fata imponit diuersa duorum (Verg. Aen. 12,725–726).

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bleibt Jupiters Götterwaage im Gleichgewicht und lässt ihr Los offen.25 Anders als Hektor ist Turnus nicht tödlich verwundet, bittend stellt er Aeneas vor die Wahl, ihn am Leben zu lassen:26 Ille humilis supplex oculos dextramque precantem protendens ‘equidem merui nec deprecor’ inquit; ‘utere sorte tua. miseri te si qua parentis tangere cura potest, oro (fuit et tibi talis Anchises genitor) Dauni miserere senectae et me, seu corpus spoliatum lumine mauis, redde meis. uicisti et uictum tendere palmas Ausonii uidere; tua est Lauinia coniunx, ulterius ne tende odiis.’ stetit acer in armis Aeneas uoluens oculos dextramque repressit; et iam iamque magis cunctantem flectere sermo coeperat, infelix umero cum apparuit alto balteus et notis fulserunt cingula bullis Pallantis pueri, uictum quem uulnere Turnus strauerat atque umeris inimicum insigne gerebat. ille, oculis postquam saeui monimenta doloris exuuiasque hausit, furiis accensus et ira terribilis: ‘tune hinc spoliis indute meorum eripiare mihi? Pallas te hoc uulnere, Pallas immolat et poenam scelerato ex sanguine sumit.’ hoc dicens ferrum aduerso sub pectore condit feruidus; ast illi soluuntur frigore membra uitaque cum gemitu fugit indignata sub umbras.27

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25 Zur Offenheit der vergilischen Aeneis im Vergleich zur Ilias und zum Bild der Waage als Ausdruck dieser Offenheit vgl. West 1974, 23 und Hardie 1993, 26. 26 Vgl. Freund 2008, 74–75 und Tarrant 2012, 327. 27 Verg. Aen. 12,930–952. Zitiert nach Mynors 1969. Übersetzung nach Götte 19948: Turnus erhebt jetzt demütig flehend den Blick und die Hand zur/Bitte und spricht: „Ich habʼ es verdient und erbitte nicht Gnade./Nütze dein Glück! Doch kann der Gedanke an meinen armen/Vater dich irgendwie rühren, so bitte ich, – war doch auch dir ein/solcher Vater Anchises – hab Mitleid mit Daunus, dem Greise,/gib mich oder – wenn du lieber willst – den des Lebens beraubten/Leib den Meinen! Du siegtest: mich sahn als Besiegten die Hände/heben die Ausonier; dein ist Lavinia nun als Gemahlin./Weiter dringe nicht vor im Haß!“ Wild stand dort in Waffen/jetzt Aeneas, rollte die Augen, hemmte die Rechte;/mehr und mehr schon begann die Rede den Zögernden mild zu/stimmen, da blitzte zum Unglück das Wehrgehenk hoch auf der Schulter,/funkelte hell mit vertrauten Buckeln der Gürtel des jungen/Pallas, ihn hatte Turnus besiegt und mit tödlicher Wunde/niedergestreckt; nun trug er den feindlichen Schmuck auf der Schulter./Als Aeneas dies Mahnmal des grimmigen Schmerzes, die Beute,/nahe vor Augen sah, da rief er, lodernd vor Wut und/schrecklich im Zorn: „Sollst du mir jetzt, mit den Waffen der Meinen/prunkend, entkommen? Pallas erschlägt dich hier mit dem Hiebe,/Pallas nimmt an deinem, des Frevlers, Blute nun Rache.“/Also wütend stößt er tief sein Schwert in die Brust ihm,/dem aber sinken im Todesfrost die Glieder dahin, sein/Leben fährt, aufstöhnend, voll Unmut hinab zu den Schatten.

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Was bei Hektor eine Bitte um ein ehrenvolles Begräbnis war28, wird in der Aeneis zum Flehen ums eigene Überleben. Dabei evoziert Turnus die Erinnerung an seinen Vater Daunus und überträgt diese auf Aeneas’ Vater, Anchises (miseri te si qua parentis/tangere cura potest, oro (fuit et tibi talis/Anchises genitor)) Dauni miserere senectae/et me (Verg. Aen. 12,932–935)). Sein Ziel besteht darin, eine Analogie zwischen Lebenden herzustellen: Fuit […] talis Anchises genitor (Verg. Aen. 12,933–934) referiert auf den ehemals noch lebenden Anchises und kreiert dadurch einen Bezug zu dem lebenden Vater Daunus. Doch verbleibt Turnus nicht dabei, sondern weitet die Gleichung auch auf die Söhne aus, um auch dort das Leben an die Stelle des Todes zu rücken (et tibi […] Anchises genitor) Dauni […] et me (Verg. Aen. 12,933–935)).29 Allerdings so eindeutig, wie es zunächst scheint, sind die Bezüge nicht30: Zwar versucht Turnus, die Erinnerung an den lebenden Anchises zu wecken, jedoch ruft das Vergangenheitstempus fuit den Verstorbenen ins Gedächtnis. Ferner kennzeichnen Turnus nicht nur Ähnlichkeiten zu dem lebenden Sohn, Aeneas, sondern auch zum toten Hektor. So liegt er wie dieser verwundet am Boden, während Aeneas wie Achill sich über ihm aufrichtet.31 Überdies trägt er unbewusst Züge von Pallas, Euanders Sohn32, der durch seine Hand fiel. Die lexikalische Übereinstimmung und die der metrischen Position von uulnere Turnus (Verg. Aen. 12,943) und uulnere, Pallas (Verg. Aen. 12,948)33 sowie das Tragen von Pallas’ Wehrgurt34 legen neben der Analogie zweier Lebender die zweier Toter nahe. Die eindeutige Analogie weicht also einer Vielzahl von impliziten Deutungsmöglichkeiten.35 Der Text verleiht dieser Deutungsoffenheit 28 σῶμα δὲ οἴκαδ᾿ ἐμὸν δόμεναι πάλιν, ὄφρα πυρός με Τρῶες καὶ Τρώων ἄλοχοι λελάχωσι θανόντα (Hom. Il. 22,342–343). 29 Der bildlichen Gegenüberstellung der Väter Anchises genitor) Dauni (Verg. Aen. 12,934) entspricht die der Söhne: Sie manifestiert sich in der Wortstellung von et tibi in Vers 933 und et me in Vers 935. Nicht nur, dass beide Pronomina durch ihre Position am Versanfang und schluss hervorgehoben sind, zusammen mit den Namen ihrer Väter bilden sie einen Chiasmus, in dem sie einander spiegeln (vgl. Tarrant 2012, 332). 30 Zur Komplexität der vergilischen Analogieschlüsse im Vergleich mit dem homerischen Intertext vgl. Esposito 2016, 472. 31 Zur Identifikation des Aeneas mit Achill und des Turnus Hektor vgl. Quint 1989, 43; West 1974, 21; Freund 2008, 69. 32 Als lebender Vater steht Euander Daunus um einiges näher, als es Anchises täte, sodass der logische Schluss zur Analogie von Pallas und Turnus führt (vgl. Tarrant 2012, 332). 33 Zur metrischen Übereinstimmung beider Versenden vgl. Stahl 1990, 199 und Krupp 2020, 187–202. 34 „Turnus as the young warrior who, by foolishly dressing in the sword-belt of Pallas, has consigned himself to the same premature and pathetic death in battle as his victim“, Hardie 1993, 34. 35 Vorbereitet wurde die Steigerung zum homerischen Vorbild von Vergil in den unlängst erwähnten inhaltlichen Parallelen zum 22. Gesang der Ilias: So ist die vergilische Beschreibung der Jagdszene ausführlicher und auch die Weite, der in der Flucht zurückgelegten Strecke, ist in der Aeneis im Vergleich zu Homer gesteigert (vgl. West 1974, 26 und Freund 2008, 72). Johnson schreibt diesbezüglich: „An essential aspect of Homer’s narrative art is his ability to achieve inimitable unity from multiplicity. […] In Vergil on the other hand, the epic narrator

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Deutungsoffenheit dadurch Ausdruck, dass dem in Vers 933 angeführten talis keine Entsprechung in Form eines expliziten qualis folgt.36 Aeneas verharrt37 daher, als er Turnus’ Bitte vernimmt, und zögert, seinen Gegenüber zu töten – er verweilt bei dem Offensichtlichen38, i.e. der Analogie zwischen Lebenden (stetit acer in armis (Verg. Aen. 12,938)); et iam iamque magis cunctantem flectere sermo/coeperat (Verg. Aen. 12,940–941)). Dass dieses Innehalten aufgrund der Identifikation des Aeneas mit Turnus geschieht, zeigt die Verwendung des Partizips cunctantem (Verg. Aen. 12,940). Mit ebendiesem Wort wurde nur wenige Verse zuvor Turnus beschrieben, als er angesichts des heranstürmenden Aeneas erstarrt (Cunctanti telum Aeneas fatale coruscat (Verg. Aen. 12,919)).39 Rührt Aeneas’ Zögern von einer Analogie zwischen sich und dem lebenden Turnus her, gilt diese Analogie auch für die von Turnus genannten Väter und evoziert die Erinnerung an den noch lebenden Anchises. Durch seine Worte bewegt Turnus Aeneas also dazu, sich mit ihm zu identifizieren und bei dem durch den Vater Bekannten zu bleiben.40 Mit nam et quod hosti cogitat parcere, pius ostenditur (Serv. Aen, 12,940) erklärt Servius Aeneas’ Zögern und führt es auf den von Anchises im 6. Buch verkündeten Leitsatz, parcere subiectis et debellare superbos (Verg. Aen. 6,852), zurück. In Gehorsam gegenüber dem Gebot seines Vaters unterdrückt Aeneas gewaltsam den Drang, Turnus das Leben zu nehmen (dextramque repressit (Verg. Aen. 12,939)). Es greift an dieser Stelle „die Unterordnung der Bürger unter die Gesetze“, die nach Benjamin, die „rechtserhaltende“41 Form der Gewalt darstellt und alles Widerrechtliche zum Schutz des Rechts ausschließt. Auch bei dem Gesetz des Anchises handelt es sich um ein ausgrenzendes Recht, das seine Satzung aus der Differenz zu anderen – mögen sie superbi oder subiecti sein – basieren lässt. Die Folgen des Beharrens auf den rigiden Gesetzesgrenzen liegen im Verlust eigenmächtigen Handelns.42 Zeichen dessen ist eine seltsame Passivität, die Aeneas und Turnus überkommt. Vorbereitet wird der passive Zustand des Turnus in einer

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merges imperceptibly with Turnus himself […] yet we have finally no absolute index which enables us to distinguish truth from illusion“, Johnson 1976, 58–59. Vgl. Esposito 2016, 472. Auf das Verharren als eines der Leitmotive des zwölften Buchs macht Philip Hardie aufmerksam: „Mora, „delay,“ and the verb morari are keywords of the book, occurring nine times (mora: 11, 74, 431, 541, 565, 699, 889; morari: 676, 874) “, Hardie 1997, 145. Dass Aeneas’ Blick dem physisch Wahrnehmbaren verhaftet bleibt, wird ebenfalls von John Esposito festgestellt (vgl. Esposito 2016, 467). Doch möchte ich seiner Deutung darin widersprechen, dass –wie im Folgenden dargelegt werden wird – das Verweilen beim Erkannten nicht so sehr mit dem Anblick des Wehrgurts verbunden ist, als vielmehr mit dem ersten Teil von Turnus’ Rede. Vgl. Hardie 1997, 146, Tarrant 2012, 334 und Johnson 1976, 132. Mit den Worten ulterius ne tende odiis in Vers 938 warnt Turnus davor, die Grenzen eines Gesetzes zu übertreten (vgl. Hardie. 1997, 148). Benjamin 19653, 40. Das Verweilen beim Bekannten verschleiert den Blick vor anderen Möglichkeiten des Handelns: „Aeneas will try to act but will be stopped from acting effectively“, Johnson 1976, 78.

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und Turnus überkommt. Vorbereitet wird der passive Zustand des Turnus in einer Szene, die dem Ende der Aeneis unmittelbar vorausgeht: In dieser versucht Turnus noch, seinen Gegner durch Schleudern eines schweren Felsens außer Gefecht zu setzen (saxum antiquum ingens, […] ille manu raptum trepida torquebat in hostem (Verg. Aen. 12,897–901)). Plötzlich befällt ihn Schwäche – angedeutet in manu […] trepida (Verg. Aen. 12,901) – und Turnus ist nicht mehr in der Lage, den Stein weit genug zu schleudern. Seine Passivität wird zum körperlichen Hemmnis: genua labant, gelidus concreuit frigore sanguis./tum lapis ipse uiri uacuum per inane uolutus/nec spatium euasit totum neque pertulit ictum (Verg. Aen. 12,905–907). Verglichen wird dieser Zustand mit der Machtlosigkeit über den eigenen Körper, wie sie einen im Schlaf und in Träumen überkommt: ac uelut in somnis, oculos ubi languida pressit/nocte quies, nequiquam auidos extendere cursus/uelle uidemur et in mediis conatibus aegri/succidimus; non lingua ualet, non corpore notae/sufficiunt uires nec vox aut uerba sequuntur: (Verg. Aen. 12,908–912). Auch Aeneas schwindet in Gehorsam gegenüber der väterlichen Weisung aus der Rolle des agierenden Subjekts: Eingenommen wird dieser Platz zuerst von den Worten, die an den Vater erinnerten (sermo […] coeperat (Verg. Aen. 12,940–941)) und den Sohn regelrecht unter ihr Joch beugen (flectere, Verg. Aen. 12,940), und schließlich vom Wehrgehenk (apparuit […] balteus et notis fulserunt cingula bullis (Verg. Aen. 12,941–942))43, dessen Licht ihn mit Bekanntem umfängt (notis […] bullis (Verg. Aen. 12,942)). Diese physische Einschränkung ist begleitet von einer psychischen auf der Ebene der Erkenntnis: Angedeutet wurde dies bereits in dem der Wahrnehmung entzogenem qualis und dem Verharren des Aeneas bei Bekanntem (notis […] bullis (Verg. Aen. 12,942)). Dasselbe Wort, notus, taucht auch in Verbindung mit Turnus’ Traumgleichnis auf und betont dort die Unvollkommenheit jeglicher bekannten Ordnung (non corpore notae / sufficiunt uires (Verg. Aen. 12,911–912)).44 Denn der Vergleich mit einem Traum offenbart den Trug, der in dem Glauben, das Bekannte sei absolut gültig, ruht.45 Schon im Versuch, über sich hinauszugehen46, muss Turnus seine eigene Unkenntnis eingestehen (se nec cognoscit (Verg. Aen. 12,903)).47

43 Zur Passivität von Aeneas schreibt Esposito: „The direction changes precisely in the image of the cingula, shining. This occurs by way of Aeneas’ famous passivity – first the sermo deflects him, then the balteus appears to him”, Esposito 2016, 470. 44 Zur Unvollkommenheit der auf pietas beruhenden Ordnung des Anchises vgl. Johnson 1976, 107. 45 Das Bekannte, das in einen Sinnzusammenhang gerückt wurde, ist eine Form der rationalen Ordnung, welche erlaubt, das Wahrgenommene zu begreifen. Doch ist, so Horkheimer und Adorno, die Zuschreibung von Sinn, subjektiv und verschließt vor der Vielfalt der möglichen sinnhaften Bezüge (vgl. Horkheimer/Adorno 201924, 16–17). 46 Dass mit diesem Versuch zugleich der Übertritt bekannter Ordnungen und damit Grenzen impliziert ist, zeigen folgende Verse: saxum antiquum ingens campo quod forte iacebat,/limes agro positus litem ut discerneret aruis (Verg. Aen. 12,897–898). 47 Zum Verlust der Selbstkenntnis an dieser Stelle vgl. Hardie 1993, 37.

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Vergil weist auch an früheren Stellen48 auf diese Grenzen der Erkenntnis hin: So bezeichnet er Turnus im zehnten Buch, da Juno ihn dem Kampf entrückte und auf ein Schiff lockte, angesichts des für ihn Unbegreiflichen als ignarus rerum ingratusque salutis (Verg. Aen. 10,666).49 Eine solche Fassungslosigkeit überkommt ihn auch im zwölften Buch Vers 665 (obstipuit uaria confusus imagine rerum (Verg. Aen. 12,665)).50 Er ähnelt darin erneut Aeneas: Von ihm heißt es zu Beginn des zehnten Buchs, als er sich, wie Turnus Vers 666, auf seinem Schiff befindet, stupet inscius ipse (Verg. Aen. 10,249). Beide verfallen demnach angesichts des Unbekannten in Bewegungslosigkeit. Während das Bekannte den Kämpfenden sichtbar vor Augen steht (apparuit […] notis fulserunt cingula bullis (Verg. Aen. 12,941–942)), symbolisieren Ausdrücke des Dunkels das Unbekannte: oculos ubi languida pressit/nocte quies heißt es im Traumgleichnis von Turnus.51 Und obwohl die Worte des Turnus Aeneas zum Verweilen im Bekannten und dem Erhalt der Ordnung bewegen sollten, lassen sie dessen Augen vom Licht gleichzeitig in das dunkle Unbekannte schweifen (seu corpus spoliatum lumine mauis (Verg. Aen. 12,935)). Denn die durch sie hervorgerufene Identifikation zwischen ihm und Aeneas evoziert nicht nur die väterliche Ordnung, sondern durchbricht sie, indem durch die Identifikation mit dem Anderen, die Differenz, auf welcher der Grundsatz des Anchises beruhte, aufgehoben wird. Verhieß das Verweilen innerhalb des Gesetzes Starre, bringt der Schritt ins Ungesehene Bewegung mit sich: So durchbricht Aeneas’ Brocken im Gegensatz zu Turnus’ Wurf auf der physisch nicht wahrnehmbaren Ebene eines Vergleichs52 gewaltsam die Grenzen des väterlichen Gesetzes – symbolisiert durch das Bild einer berstenden Stadtmauer (murali concita numquam/tormento sic saxa fremunt nec fulmine tanti dissultant crepitus (Verg. Aen. 12,922–23)).53 Innerhalb dieses Vergleichs bewegt sich Aeneas nicht mehr auf der Ebene des Sichtbaren, sondern auf 48 Zur Unkenntnis des Aeneas und des Turnus vgl. Johnson 1976, 113–114 und Otis 1963, 370. 49 Vgl. dazu außerdem rerumque ignarus (Verg. Aen. 8,730). 50 Vergleichbar ist diese Reaktion wie die am Ende des zwölften Buchs mit dem Erschaudern der Rutuler in Buch neun: Turnus’ Anhänger erstarren, als sie die wundersame Verwandlung von Aeneas Schiffen in Meernymphen zu Gesicht bekommen ((mirabile monstrum) (Verg. Aen. 9,120)). Auch dort fallen die Worte obstipescere und cunctari (Obstipuere animis Rutuli, conterritus ipse/turbatis Messapus equis, cunctatur (Verg. Aen. 9,123–124)) (vgl. O’Hara 1990, 76). 51 „Thus Vergil’s poem becomes […] a meditation […] on the ways in which rational liberty is jeopardized by the obscurity of our beginnings and our ends, by the frailty of our freedom and our reason, and, above all, by the powers of darkness“, Johnson 1976, 91. 52 Zu der hyperbolischen Darstellung des Aeneas an dieser Stelle als Ausdruck des Außerordentlichen vgl. Tarrant 2012, 328. 53 Mit dem Eindringen von außen in das Stadtinnere wird die politische Ordnung der Stadt aufgehoben und Dunkel, Chaos und Tod brechen herein. Stahl erkennt den Zusammenhang zwischen dem Untergang einer Ordnung und dem Tod im zwölften Buch, als Aeneas und sein Heer in Latium einfallen (vgl. Stahl 1990, 192). Chaos und Tod innerhalb der Stadt, allen voran der Suizid Amatas, sind die Folge (Accidit haec fessis etiam fortuna Latinis,/quae totam luctu concussit funditus urbem./regina ut tectis uenientem prospicit hostem, […] et subito mentem turbata dolore/se causam clamat crimenque caputque malorum,/multaque per maestum

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Vergleichs bewegt sich Aeneas nicht mehr auf der Ebene des Sichtbaren, sondern auf der des unsichtbaren Chaos (uolat atri turbinis instar/exitium dirum (Verg. Aen. 12,923–924)). Was in diesen Versen noch auf der Ebene des Vergleichs geschah, wird in der Schlussszene sichtbar vollzogen: Aeneas verlässt die Grenzen des Bekannten, als ihm Turnus’ Worte (seu corpus spoliatum lumine mauis (Verg. Aen. 12,935)) das Dunkle als gleichwertige Alternative vor Augen führen. Infolgedessen verwandelt sich das Einfache des zunächst Gesehenen (apparuit […] balteus (Verg. Aen. 12,941–942)) in eine Vielfalt an Möglichkeiten54, die erst im Plural von cingula (Verg. Aen. 12,942) erkannt und anschließend als monimenta (Verg. Aen. 12,945) im physisch Unsichtbaren verortet wird.55 Die Grenzen des Bekannten erschienen zwar zunächst als undurchdringliches Hemmnis, doch erweisen sie sich nun als dünn und vergänglich (notis cingula bullis (Verg. Aen. 12,942)).56 Aeneas überschreitet sie im Moment der Entscheidung, Turnus zu töten. Markiert wird dieser Bruch durch das cum inversum in Vers 94157, als Aeneas hinter das Blitzen des Wehrgurtes, der in Vers 944 (atque umeris inimicum insigne gerebat (Verg. Aen. 12,944)) nunmehr als Ellipse im Dunkel des Textes verschwindet58, in das Unnennbare taucht. Dieses Unnennbare können auch wir im Text nicht explizit erkennen: Es handelt sich um das nefas der Danaiden59, das auf diesem Wehrgehenk abgebildet ist. Vergil beschreibt es kurz nach Pallas’ Tod im 10. Buch mit folgenden Worten: […] rapiens immania pondera baltei Impressumque nefas: una sub nocte iugali caesa manus iuuenum foede thalamique cruenti, quae Clonus Eurytides multo caelauerat auro; quo nunc Turnus ouat spolio gaudetque potitus. nescia mens hominum fati sortisque futurae

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nectit ab alta (Verg. Aen. 12,593–603)). Der Einfall des Heeres wird dabei mit dem Bild dunklen Rauchs, der in einen Bienenstock dringt und die dort hausenden Insekten in Unruhe versetzt, verglichen (vgl. Verg. Aen. 12,587–592). Dazu vgl. außerdem Hornsby 1970, 113. Weitere Belege sind der mit Trojas Fall verbundene Tod des Priamus (vgl. Verg. Aen. 2,554–556) oder auch Didos Scheiden in Zusammenhang mit dem Untergang Karthagos (vgl. Verg. Aen. 4,682– 683). Dazu vgl. Sharon 1995, 633. Zum Plural monumenta und cingula im Gegensatz zum Singular balteus vgl. Esposito 2016, 475–476. Zur Erinnerung anstelle des Wahrnehmbaren vgl. Tarrant 2012, 336 und Esposito 2016, 476. Bullae, so Tarrant, wurden zu jener Zeit von Knaben um den Hals getragen und standen für ein erst kurzes Leben (vgl. Tarrant 2012, 333). Auf ebendies spielt auch Vergil an: So verwendet er dieses Wort außer im zwölften nur noch im neunten Buch, als der junge Euryalus Remulus tötet und die Rüstung entwendet. Diese Rüstung ist es, die seinem noch jungen Leben den Tod bringt. Auch in diesem Zusammenhang fällt cingula: Euryalus phaleras Rhamnetis et aurea bullis / cingula, Tiburti Remulo ditissimus olim/quae mittit dona (Verg. Aen. 9,459–461). Zu bulla und der Kürze des Lebens vgl. Varr. rust. 1,1 und Petr. sat. 42,3–5. Vgl. Tarrant 2012, 335 und Hardie 1997, 148. Vgl. Tarrant 2012, 336. Zur zentralen Bedeutung des Danaidenmords in der Schlussszene vgl. Tarrant 2012, 336; Hardie 1993, 33.

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Auch hier stehen Unkenntnis, das Dunkel der Nacht sowie das Durchbrechen eines ordentlichen Maßes in Verbindung mit Tod61: Nicht nur, dass der Gurt an den Mord erinnert, den Turnus an Pallas verübte, er zeigt außerdem die in der Hochzeitsnacht begangene Bluttat der Danaiden an ihren Gatten.62 Der von den Danaiden vollzogene Bruch betrifft erst das foedus zwischen den Verheirateten und besteht schließlich im rechtsüberschreitenden Mord.63 Turnus’ Taten bilden dazu das Äquivalent, machte er doch den Bund zwischen Trojanern und Latinern zunichte und nahm Pallas das Leben. Die Grausamkeit der Mordtat lässt die Danaiden maßlos erscheinen64; jenseits des Fassbaren sind sie auch sprachlich nicht mehr greifbar: In der Beschreibung des Wehrgurts sind sie namenlos.65 Ihre orientalische Herkunft stützt diesen Wesenszug, galt der Orient in der Antike weithin als Verkörperung des Irrationalen jenseits der Kultur.66 Übermaß und Grausamkeit zählen nach dem Mord an Pallas auch zu Turnus’ Wesenszügen.67 Vergil weitet daher die Transgression eines rationalen Maßes durch eine gnomische Aussage aus, die nicht nur die Danaiden, sondern auch Turnus miteinschließt (nescia mens hominum fati sortisque futurae/et seruare modum rebus sublata secundis! (Verg. Aen. 10,500–501)). Aeneas’ Blick ins Dunkel des Wehrgehenks lässt ihn die Analogie zwischen der maßlosen Tat der Danaiden und der des Turnus erkennen. Anstelle der Gleichung zwischen Aeneas und Turnus (et tibi […] et me (Verg. Aen. 12,933–935)) tritt in Vers 943 die zwischen Pallas und Turnus (Pallantis pueri […] uulnere Turnus (Verg. Aen. 12,943)). Nahm Turnus vormals die Rolle des Täters ein, findet er sich hier in der des Opfers wieder. Wie gering der Unterschied zwischen Täter und Opfer ist, darauf macht ebenfalls das Bild der Danaiden aufmerksam68: Denn nicht nur die Frauen, 60 Verg. Aen. 10,495–501. Übersetzung nach Götte 19948: […] indem er des Wehrgehänges lastend Gewicht ihm [Pallas]/raubt mit dem Abbild des Gräuels: in einer einzigen Brautnacht/schändlich erschlagene Jünglingsschar und die blutigen Kammern,/Clonus, des Eurytus Sohn, schuf dies aus reichlichem Golde./Jauchzend rafft jetzt Turnus es auf und freut sich der Beute./Nichts weiß Menschenherz vom Geschick und künftigem Lose,/weiß nicht Maß zu halten auf Glückes schwindelnder Höhe! 61 Vgl. Spence 1991, 11–12. 62 Vgl. Spence 1991, 12 ff. und Harrison 1998, 224–225. 63 Vgl. Harrison 1998, 225. 64 „The indirect allusion to the Danaids in Vergil […] nevertheless evoke the allegorical interpretation of their crime as intemperance“, ebd., 226. 65 Zur Namenslosigkeit der Danaiden vgl. ebd. 224. 66 Dazu vgl. ebd., 234 und Bandera 1981, 230. Als literarisches Zeugnis kann das 63. Gedicht Catulls angeführt werden; dort steht der ekstatische Kybelekult im Kontrast zur kulturellen Ordnung (vgl. Cat. c. 63,50–73). 67 Zur Verbindung des Danaidenmords mit dem an Pallas vgl. Harrison 1998, 227. 68 „The swordbelt makes clear one of the major issues of the poem: that relatively little distinction exists between victim and victor. For the scene that applies to Pallas, in which Turnus is victor, applies equally well to Turnus, in which he is victim“, Spence 1991, 18.

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auch ihre Gatten sind namentlich nicht spezifiziert (caesa manus iuuenum (Verg. Aen. 10,498)).69 Der Übertritt in das Außerordentliche liegt nicht weniger in der Mordtat als im Übergang vom Leben zum Tod. Die Analogie zwischen Turnus und Pallas überträgt Aeneas auf sich; er übertritt durch diese Identifikation und den Entschluss, Turnus zu töten das väterliche Gebot70, sodass das Außerordentliche nunmehr auch auf ihn zutrifft: Worte des Maßlosen und Irrationalen (furiis accensus et ira/terribilis (Verg. Aen. 12,946– 947)) treten an die Stelle der pietas. Pallas te hoc uulnere, Pallas heißt es in Vers 948; aus dem Mord an einem Anderen wird der Mord an einem ihm Gleichenden, einem Bruder.71 Poenam scelerato ex sanguine sumit (Verg. Aen. 12,949) ist einen Anklang an den von Ennius in seinen Annales72 geschilderten Mord des Romulus an seinem Zwillingsbruder Remus und verkörpert ebendiesen Gedanken. Vers 951 greift ihn abermals auf, indem dort der Akt der Transgression (soluuntur, Verg. Aen. 12,951)73 mit Worten, die hier zwar für Turnus (ast illi soluuntur frigore membra (Verg. Aen. 12,951)), doch im ersten Buch in Bezug auf Aeneas selbst gebraucht worden waren (Aeneae soluuntur frigore membra (Verg. Aen. 1,92)).74 Sie geben den maßlosen und gewaltsamen Turnus als Alter ego von Aeneas zu erkennen. Wir können diesem Gewaltakt etwas erkennen, was René Girard75 in La Violence et le Sacré als Krise des Opfers bezeichnet. Walter Burkert nennt es das Erkennen eines Bruders im Opfertier76 und setzt dieses an den Beginn von Kulturentstehung. Denn, so Burkert, „der Erschütterung im Akt des Tötens antwortet

69 Vgl. ebd.13. 70 „Moreover, this fusion of hunter and prey, of aggressor and enemy, applies not only to Turnus but to Aeneas as well. In acting like a Danaid Aeneas is, simultaneously, exhibiting and transgressing Roman behaviour“, Spence 1991, 18. 71 Wird die Differenz zwischen Turnus und Aeneas aufgehoben, verwandelt sich der Mord an Turnus für Aeneas zu einer Selbstopferung (vgl. Bandera 1981, 233, Hardie 1993, 22 und Quint 1989, 51). Andere Autoren sehen die Identifikation zwischen Täter und Opfer mit der Vorstellung einer devotio verbunden (vgl. O’Hara 1990, 82ff.; Johnson 1976, 118–119; Hardie 1993, 28; Nicoll 2001, 197; Thornton 1976, 144). Die devotio bezeichnet das Opfer eines Einzelnen anstelle aller und die dadurch bewirkte Vernichtung des zum Schutz der Gemeinschaft. Ein traditionelles Beispiel einer solchen Opferung ist die des Decimus Mus im Kampf gegen die Samniten (legiones auxiliaque hostium mecum Deis Manibus Tellurique deuoueo (Liv. 8,9,8)). Auch Turnus stellt seinen Zweikampf mit Aeneas als devotio dar: So behauptet er von sich in Buch elf: uobis animam hanc soceroque Latino/Turnus ego […] deuoui (Verg. Aen. 11,440– 442). 72 Zur Ähnlichkeit von dabis sanguine poenas bei Ennius und poenam […] ex sanguine sumit bei Vergil vgl. Tarrant 2012, 340. 73 Das Öffnen ist der Moment, an dem das Chaos über die Ordnung hereinbricht. Dies „kann anhand der Etymologie des Wortes verdeutlicht werden: griechisch χαίνω bedeutet „sich öffnen“, Thomas 1994, 50. 74 Vgl. Quint 1989, 50; Tarrant 2012, 341. 75 Zur Krise des Opferkults vgl. Girard 20122 36, Bandera 1981, 220 und Hardie 1993, 22. 76 Vgl. Burkert 1997, 29.

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Im Erlebnis des Tötens wird die Heiligkeit des Lebens erfahren, das durch den Tod seine Nahrung findet“.77 Auch am Ende der Aeneis wird der Tötungsakt im Moment der expliziten Identifikation mit dem Getöteten zum Opferritus (immolat (Verg. Aen. 12,949)). Was zum Übertritt und Untergang der alten Ordnung führte, wird als Ritus Nährboden einer neuen78, die nicht nur judikativ, poenam scelerato ex sanguine sumit (Verg. Aen. 12,949), sondern allgemein kulturell mit dem Tötungsakt „begründet“ wird (ferrum aduerso sub pectore condit (Verg. Aen. 12,950)).79 Der Grundstein der Stadt Rom liegt demnach nicht im Geordneten, sondern in dem der rationalen Erkenntnis entrückten Dunkel, dem unsäglichen nefas80. Unterstrichen wird dieser Gedanke darin, dass anders als Homer, Vergil das Ende offenlässt81; was folgt, ist kein ordentliches Begräbnisritual, am Ende des Epos und dem Anfang Roms steht das Wort umbras (Verg. Aen. 12,952). Kulturentstehung und Gewalt Die generative Eigenschaft der Gewalt ist, blickt man auf weitere Stellen der Aeneis sowie von anderen Werken der Zeit, kennzeichnend für das damalige Kulturverständnis. Auch außerhalb der Aeneis entsteht Kultur aus dem Dunklen und Chaotischen der Natur. Ein Werk, in dem sich dies besonders abzeichnet, sind die Georgica Vergils82: Dort wird geschildert, wie in der Zeit vor der Entdeckung der Kultur die Erde frei war von jeglichen Grenzen und ihre Gaben jedem darbot. Dieser Zustand währte so lange, bis durch Jupiter diese Gaben vor den Augen der Menschen im Dunkel der Natur verborgen wurden: Ante Iouem nulli subigebant arua coloni: ne signare quidem aut partiri limite campum fas erat; in medium quaerebant, ipsaque tellus omnia liberius nullo poscente ferebat. ille malum uirus serpentibus addidit atris praedarique lupos iussit pontumque moueri, mellaque decussit foliis ignemque remouit et passim riuis currentia uina repressit. 83

77 Ebd., 49. 78 Zur Ambiguität des Chaos, die darin besteht zu zerstören und zu erneuern, vgl. Thomas 1994, 49–50. Zum Opfer als Kontrolle des zerstörerischen Chaos vgl. Bandera 1981, 220 und Burkert 1997, 49. 79 Vgl. Sharon 1995, 635–636; Hardie 1993, 21. 80 Zum im nefas wohnenden Gründungspotenzial vgl. Thomas 1994, 53 und Harrison 1998, 230. 81 Zum Fehlen eines Begräbnisses in der Aeneis im Gegensatz zur Ilias vgl. Edgeworth/Stem 2005, 5. 82 Vgl. Reischl 2000. 83 Verg. Georg. 1,125–132. Übersetzung nach Holzberg 2016: Einst, vor Juppiters Zeit, unterwarf kein Bauer die Fluren;/Unrecht war es, ein Feld zu markieren oder durch eine/Grenze zu teilen:

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Die grenzenlose und gleichzeitig alle nährende Natur entzieht sich plötzlich den Menschen und wird zum Dunklen und Verborgenen. Doch mehr noch, „die einst so freundliche Natur wird zu des Menschen Feind“.84 Gemeinsam mit Ceres gibt der Göttervater85 den Menschen im gleichen Moment, da er ihnen die Gaben der Natur entrückte, die Möglichkeit, das Verborgene in der Tiefe des Bodens zu entdecken und erneut hervorzuholen: Ut uarias usus meditando extunderet artis paulatim, et sulcis frumenti quaereret herbam, ut silicis uenis abstrusum excuderet ignem.86 Prima Ceres ferro mortalis uertere terram instituit, […] 87

Treibende Kraft ist der Mangel an Nahrung, er verleitet die Menschen dazu, das Verborgene zu entdecken und es aktiv als Kultur ans Licht zu holen.88 Vernunft und Ordnung zeichnen das Hervorholen wie auch das Ergebnis aus (meditando (Verg. Georg. 1,133))89, während das Irrationale Zeichen der ungebändigten Natur ist. Dennoch haftet der entstandenen Ordnung auch etwas Gewaltsames an: Verben wie subigere, extundere und excudere zeigen, dass gewaltsames Handeln Voraussetzung für kulturelle Ordnungen ist.90 Anstatt mit Hilfe eines aratrum lehrt Ceres das Pflügen mittels eines ferrum (Verg. Georg. 1,146): Das Werkzeug des

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verlangte. Er erst gab das üble Gift den verderblichen Schlangen,/hieß die Wölfe auf Raub ausgehen und wogen die Meere,/schüttelte von den Blättern den Honig, entfernte das Feuer,/ließ auch den Wein, der überall floss in den Bächen, versiegen. Reischl 1976, 56. Vergil knüpft, indem er Ceres als diejenige nennt, welche die Menschen die Kultivierung der Natur lehrte, an den Mythos des Triptolemos an, dessen älteste Quelle der homerische Hymnos an Demeter ist (ἠμὲν Τριπτολέμου πυκιμήδεος […] (Hom. h. 2,153)). Dort gewährt Demeter dem eleusischen König Triptolemos Einsicht in ihre Riten. Bei Ovid in den Fasti hingegen verleiht sie ihm noch im Säuglingsalter die Kunst des Ackerbaus (Triptolemum […] sed primus arabit/et seret et culta praemia tollet humo (Ov. fast. 4,550–560)). Dazu vgl. Richter 2015, 54– 55. Verg. Georg. 1,133–135. Übersetzung nach Holzberg 2016: denn das Bedürfnis sollte durch Nachdenken vielerlei Künste/langsam hervortreiben, Halme des Korns in den Furchen sich suchen/und aus den Adern des Kieselgesteins schlagen verborgenes Feuer. Verg. Georg. 1,146–147. Übersetzung nach Holzberg 2016: Ceres lehrte als erste die Menschen, mit Eisen das Erdreich/umzuwenden, […]. Vgl. Reischl 1976, 58. Zum Zusammenhang von Kulturentstehung und dem Aufkommen von Ordnung und Rationalität vgl. Ciceros Schilderung vom Ursprung der Kultur in de inventione ([N]am fuit quoddam tempus, cum in agris homines passim bestiarum modo vagabantur […] deinde propter rationem atque orationem studiosius audientes ex feris et inmanibus mites reddidit et mansuetos (Cic. inv. 1,2)). Zur Bewältigung der Natur als gewaltvollen Akt vgl. Reischl 1976, 61 und Gale 2000, 251– 252.

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aufreißt: dicendum quae sint duris agrestibus arma (Verg. Georg. 1,160). Die Geburtsstunde der Kultur wird somit auch zur Geburtsstunde des Krieges und der Gewalt.92 Auf diese Weise erklären sich frühe Zeugnisse der römischen Kultur, welche die Verehrung des Gottes Mars als eines Ackergottes belegen93: In Catos De agricultura ist ein solches Kultlied an Mars überliefert. In diesem wird der Gott zunächst in seiner vor Unheil und Chaos schützenden Funktion und schließlich als Fruchtbarkeitsgott angerufen.94 Diese beiden mit Mars assoziierten Eigenschaften der Gewalt, sind auch der Schilderung von Kulturentstehung in den Georgica zu finden: So ist der Einsatz von Gewalt aufgrund des Mangels notwendig und schützt, indem er Ordnung herbeiführt, vor dem Hereinbrechen des völligen Chaos.95 Gleichzeitig ist Gewalt wie auch Kultur, so Gale, bei Vergil als „notwendiges Übel“96 zu begreifen: Was zunächst den Menschen Schutz bot, entfernt sie von der ursprünglichen Natur, die nun in Gestalt von Unwettern und Wirken der Götter, eine ständige Bedrohung für Kultur und Mensch darstellt:97 Omnia uentorum concurrere proelia uidi, quae grauidam late segetem ab radicibus imis sublimem expulsam eruerent: ita turbine nigro ferret hiems culmumque leuem stipulasque uolantis. saepe etiam immensum caelo uenit agmen aquarum et foedam glomerant tempestatem imbribus atris collectae ex alto nubes; ruit arduus aether et pluuia ingenti sata laeta boumque labores diluit; […] 98

Die Folgen bestehen in einem fortwährenden Wechselspiel zwischen dem Bändigen der Natur und dem Zerstören von Kultur. Darstellung und Wortwahl bei der Beschreibung der zerstörerischen Stürme (turbine nigro (Verg. Georg. 1,320); atris (Verg. Georg. 1,323)) wecken die Erinnerung an den Sturm, mit welchem Aeneas verglichen wurde, als er die Gesetzesordnung seines Vaters durchbrach (uolat atri turbinis instar (Verg. Aen. 12,923)). 92 Vgl. Gale 2000, 63. 93 Zur Verehrung des Mars als Fruchtbarkeitsgott vgl. Rosivach 1983, 509–521. 94 Mars pater, te precor […] uti t˻um˼orbos uisos inuisosque, uiduertatem uastitudinemque, calamitates intemperiasque prohibessis defendas aue˻r˼runcesque; utique tu fruges, frumenta, uineta uirgultaque grandire beneque euenire si˻r˼is. (Cato. agr. 141). 95 „[Labor] is necessary just to maintain the status quo, because the earth itself is in decline“, Gale 2000, 64. 96 Vgl. ebd., 66. 97 Dazu vgl. Gale 2000, 79 und Reischl 1976, 35. 98 Verg. Georg. 1,318–326. Übersetzt nach Holzberg 2016: Oft sah ich […] wie aufeinander im Kampf losgingen sämtliche Winde,/die weithin ausrissen die wuchernde Saat mit der Wurzel/und in die Höhe warfen: So trug denn der Sturmwind im schwarzen/Wirbel die leichten Halme dahin und die fliegenden Stoppeln./Oft auch erscheint eine riesige Wasserarmada am Himmel,/und ein scheußliches Unterwetter ballen, oben gesammelt,/Wolken mit finsterem Regen zusammen: Der Äther stürzt nieder, schwemmt, sich heftig ergießend, die üppigen Saaten, der Stiere Arbeit, fort; […].

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Neben der Schlussszene der Aeneis zeugen auch andere Stellen des Werks von einer Kulturphilosophie wie in den Georgica: So bricht Aeneas den Boden mit Hilfe eines Pfluges auf, um auf diese Weise den Ort zu markieren, an dem sich die Mauern der Stadt Segesta erheben sollen (interea Aeneas urbem designat aratro (Verg. Aen. 5,755))99 und auch Karthago sprießt dort aus dem Boden, wo zuvor Ackerfurchen gezogen wurden: Instant ardentes Tyrii: pars ducere muros, molirique arcem et manibus subuoluere saxa, pars optare locum tecto et concludere sulco. iura magistratusque legunt sanctumque senatum. hic portus alii effodiunt; hic alta theatris fundamenta locant alii, immanisque columnas rupibus excidunt, scaenis decora alta futuris 100

Die Geburtsstunde einer Kultur wird wie in den Georgica als Entbergen der in der Natur angelegten Kultur beschrieben. Eine solche Handlung ist auch hier ein ordnungssetzender Akt und geht einher mit der Einrichtung von Gesetzen (iura magistratusque legunt sanctumque senatum (Verg. Aen. 1,426)). Gesetz und Mauern verbergen, was jenseits ihrer Grenzen liegt.101 Wie die Stürme in den Georgica dringt daher im zweiten Buch das Göttliche, welches den Sinnen Sterblicher entrückt ist102, in Troja ein und weiht die Stadt dem Untergang. […] diuum inclementia, diuum has evertit opes sternitque a culmine Troiam. aspice (namque omnem, quae nunc obducta tuenti mortalis hebetat uisus tibi et umida circum caligat, nubem eripiam […]103

Untergang und Endlichkeit sind in der Aeneis an Grenzen gebunden, welche – im Unterschied zu den Göttern – die Menschen und die Kultur bestimmen.104 Obschon im zweiten Buch das Destruktive des Grenzübertritts im Vordergrund steht, 99 Zur Kulturentstehung an dieser Stelle als dem Ziehen einer Grenze mit Hilfe eines Pflugs vgl. Richter 2015, 68. 100 Verg. Aen. 1,423–429. Übersetzung nach Götte 19948: Feurig gehen ans Werk die Tyrier, bauen die Mauern/hier und türmen die Burg, mit Händen wälzen sie Felsen;/Wohnplatz suchen sich andre und ziehn ringsrum eine Furche./Amt und Gesetz und den heiligen Rat der Alten erwählt man./Häfen schachten die einen aus, und andere legen/tief fürs Theater den Grund, wieder andere hauen aus Felsen/riesige Säulen, erhabene Zier der künftigen Bühne […]. 101 Die menschliche Sicht auf die Welt ist nicht in der Lage, die Komplexität dessen, was sie umgibt, zu erfassen. Ständig bleibt ein Teil im Dunkeln verborgen. Auf dieses Dunkel macht Vergil immer wieder aufmerksam (vgl. Johnson 1976, 98–99). 102 In ihrer Unwissenheit bilden Turnus und Aeneas einen Kontrast zu den Göttinnen Iris oder Iuturna: Von Iris heißt es im fünften Buch, sie sei haud ignara nocendi (Verg. Aen. 5,618), von Juturna im zwölften haud nescia rerurm (Verg. Aen. 12,227) (vgl. Nicoll 2001, 192). 103 Verg. Aen. 2,602–606. Übersetzung nach Götte 19948: der Götter Härte, der Götter./rottete aus diese Macht und stürzte das ragende Troja. Auf schau! – denn die Wolke, die jetzt beim Schauen dein sterblich/Auge umhüllt und stumpf und feucht mit Finsternis ringsum/lastet, ich reiße nun ganz sie fort […]. 104 Vgl. zu der so von Vergil formulierten condicio humana Johnson 1976, 133–134.

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erscheint die Transgression im siebten Buch als Beheben eines Mangels. Dort werden die Grenzen des Bekannten, die als mensae bezeichneten Fladen – ein Wort, das sich etymologisch von metiri herleitet105 –, beim Stillen des Hungers aufgebrochen und geben neuen Raum für die zukünftige Stadt frei106: Instituuntque dapes et adorea liba per herbam subiciunt epulis (sic Iuppiter ipse monebat) et Cereale solum pomis agrestibus augent. consumptis hic forte aliis, ut uertere morsus exiguam in Cererem penuria adegit edendi, et uiolare manu malisque audacibus orbem fatalis crusti patulis nec parcere quadris: ‘heus, etiam mensas consumimus?’ inquit Iulus107

Die Gewalttätigkeit ist unverkennbar, genauso wie der wörtliche Bezug zum Ende der Aeneis: Die untergelegten Fladen (subiciunt epulis (Verg. Aen. 7,110)) werden ebenso wenig geschont (nec parcere (Verg. Aen. 7,115)) wie der von Aeneas niedergeworfene Turnus. Kurz nach dem Verspeisen ist es die zukünftige Generation in der Person des Iulus, die das Bekannte des Vaters aufgibt und Neues erkennt (ʻheus, etiam mensas consumimus?ʼ inquit Iulus (Verg. Aen. 7,116)). Hier wird das gewaltsame Opfer des Alten Grundvoraussetzung für die Ernährung Nachfolgender und Basis für Wandel (ibique memento/prima locare manu molirique aggere tecta (Verg. Aen. 7,126–127)). Der Schritt, der im zwölften Buch wie eine Transgression ins nefas aussieht, verliert, blickt man zurück, in Buch sieben seinen schändlichen Charakter und erscheint im neunten sogar als Möglichkeit der Transzendenz in die göttliche Sphäre.108

105 Vgl. Walde/Hofmann 19725, 70, s.v. mensa und Stubbs 1998, 8. 106 Auch in den Georgica war der Mangel an Nahrung treibende Kraft für die Suche nach der verborgenen Kultur. Gestillt wurde er in dem Moment, da die neue Kultur entdeckt wurde (vgl. Reischl 1976, 58). 107 Verg. Aen. 7,109–116. Übersetzung nach Götte 19948: [Sie] richteten her das Mahl und legten unter die Speisen/Kuchen aus Spelt ins Gras – das gab ihnen Juppiter selbst ein – und sie füllten mit ländlicher Frucht den Bodens des Backwerks./Als nun die Früchte verzehrt und Mangel an Speise sie antrieb,/auch in die dünnen Fladen zu beißen, mit Hand und verwegenen Kinnbacken anzutasten des schicksalsträchtigen Backwerks/Rund und nicht zu schonen die flachen, geviertelten Scheiben./„Ei, doch. wir essen sogar die Tische!“ sagte da ohne/weitere Anspielung Julus. 108 Eine Verbindung zwischen dem Tischprodigium im siebten Buch und der Verwandlung der Schiffe durch Kybele liegt insofern nahe, als dass direkt nach dem Verspeisen der Fladen das dunkle Unbekannte zusammen mit Kybele im Gebet angerufen wird (geniumque loci primamque deorum/Tellurem Nymphasque et adhuc ignota precatur/flumina, tum Noctem Noctisque orientia signa/Idaeumque Iouem Phrygiamque ex ordine matrem/inuocat (Verg. Aen. 7,136– 140)). Zur Apotheose nach dem Tod vgl. Nicoll 2001, 197.

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Kybele, die Göttin der wilden und ungebändigten Natur109, deren heiliger Wald das Dunkel des Chaos in sich birgt110 (lucus in arce fuit summa, quo sacra ferebant,/nigranti picea trabibusque obscurus acernis (Verg. Aen. 9,86–87)), bittet Jupiter darum, Aeneas’ Schiffe ihrer sterblichen Hülle zu entreißen (mortaline manu factae immortale carinae/fas habeant? (Verg. Aen. 9,95–96)). Wie das Hinterfragen des fas zeigt, führt auch hier der Schritt vom Sterblichen ins Unsterbliche ins nefas. Das darauffolgende mortalem eripiam formam (Verg. Aen. 9,101) erinnert an Venus’ Worte aus dem zweiten Buch nubem eripiam (Verg. Aen. 2,606), nur dass hier der Fokus auf der Aszendenz der Schiffe zu göttlichen Wesen, dort auf der Dekadenz der Stadtmauern lag. Auch Aeneas drohen wegen des verübten nefas sowie seiner Identifikation mit dem Getöteten Tod und Verlassen seiner sterblichen Form.111 Dieser wird, so stimmte Jupiter der Forderung Junos zu, gemeinsam mit dem Namen seiner Heimat vergehen und durch keine Grenze, sei sie auch die einer sprachlichen Definition, mehr greifbar sein (occidit, occideritque sinas cum nomine Troia (Verg. Aen. 12,828)).112 Doch erfährt Aeneas wie seine Schiffe dadurch, dass er zum unbegreiflichen Irrationalen wird, die Apotheose zum deus Indiges (indigetem Aenean scis ipsa et scire fateris/deberi caelo fatisque ad sidera tolli (Verg. Aen. 12,794–795)). Livius berichtet ebenfalls davon im ersten Buch seines Werkes (Situs est, quemcumque eum dici ius fasque est, super Numicum flumen: Iovem indigetem appellant (Liv. 1,2,6)). Wie dem Relativsatz an dieser Stelle zu entnehmen ist, bleibt Aeneas nicht nur bei Vergil nach seinem Tod, der dem fas ausgeschlossene, indefinite Gott. Die Politik des Augustus im Zeichen produktiver Gewalt Aus der Darstellung des Bündnisses des göttlichen Aeneas mit den Latinern geht etwas hervor, was für die Politik unter Augustus und das Selbstverständnis der 109 Das Generative des Chaos in Gestalt der Kybele offenbaren ihr Name Magna Mater in der Bedeutung „Mutter großer Städte und Völker“ (en huius, nate, auspiciis illa incluta Roma/imperium terris, animos aequabit Olympo,/septemque una sibi muro circumdabit arces, felix prole uirum: qualis Berecyntia mater/inuehitur curru Phrygias turrita per urbes/laeta deum partu, centum complexa nepotes (Verg. Aen. 6,781–786)). Zu Kybele als Muttergottheit, die ihrer generativen Mächte wegen der Aphrodite nahesteht und für Geburt den Tod fordert, vgl. Burkert 1997, 93–95. 110 Zu Orten des Chaos wie dem Meer oder Wald vgl. Thomas 1994, 64. 111 Dass auch der Körper eine den Menschen einschließende Hülle ist, zeigen Anchises Worte aus dem sechsten Buch: quantum non noxia corpora tardant/terrenique hebetant artuus moribundaque membra./hinc metuunt cupiuntque, dolent gaudentque, neque auras/dispiciunt clausae tenebris et carcere caeco (Verg. Aen. 6,731–734). Zum Tod des Aeneas vgl. neben den Worten Didos im 4. Buch (cadat ante diem mediaque inhumatus harena (Verg. Aen. 4,620)) O’Hara 1990, 105: Dem Mythos getreu verliert Aeneas in der Nähe des Flusses Numicus nach Ende der Schlacht sein Leben. Sein Leichnam jedoch wurde nie gefunden. 112 Zur Namenlosigkeit des Aeneas (vgl. Parry 1963, 75) und ihrer Vergleichbarkeit mit den Danaiden vgl. Harrison 1998, 224.

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römischen Gesellschaft in dieser Zeit kennzeichnend ist: Das Bündnis mit dem chaotischen Göttlichen.113 Juno charakterisiert gegenüber Jupiter die Einheit, die beiden Völkern entspringt, und setzt dabei das unbegreifliche nefas in Gestalt der Trojaner nach Verlust ihres Namens (nulla fati quod lege tenetur (Verg. Aen. 12,819)), in Kontrast zu der Ordnung, die von den Latinern ausgeht (cum iam leges et foedera iungunt/ne uetus indigenas nomen mutare Latinos (Verg. Aen. 12,822– 823)). Ergebnis ist eine Gesellschaft, welche sich von diesem Chaotischen abgrenzt und es dennoch als Teil von sich versteht. Der geordnete, in Schranken gewiesene Wahn, wie er von Jupiter im ersten Buch der Aeneis prophezeit wird (Furor impius intus/saeua sedens super arma et centum uinctus aënis/post tergum nodis fremit horridus ore cruento (Verg. Aen. 1,294–296)), wird als differenzierter, doch integrierter Teil der Kultur gebändigt. Derart kann er nicht mehr in diese dringen und sie erschüttern; vielmehr bleibt eine kulturelle Ordnung bestehen, welche das Chaos mitumfasst und in Abgrenzung zu ihm sogar gefestigt wird. Das rituelle Opfer, wie Aeneas es beim Mord an Turnus begründet, ist mit seinem strengen zeremoniellen Ablauf genau das: Ein kontrollierter gewaltsamer Exzess, der die Gruppe der Gläubigen vor dem unkontrollierten und zerstörerischen Ausbruch bewahrt114 und gleichzeitig innerhalb der Kultur präsent ist. So kann Gewalt fortwährend ins Bewusstsein gerückt, wie die wilde Natur in den Georgica, ständig bezwungen und für neue Ordnungen oder deren Wandel fruchtbar gemacht werden. Dies erlaubt es Rom, künftig als Kultur und damit umgrenzte Stadt über sich hinauszuwachsen und bis zu den Sternen zu erheben: Externi venient generi, qui sanguine nostrum/nomen in astra ferant (Verg. Aen. 7,98–99) prophezeit Faunus seinem Nachkommen Latinus zu Beginn des siebten Buchs und bezeichnet dabei den Bündnispartner bewusst als externus. Die Umsetzung dieser Vorstellung geschieht unter Augustus durch die Einnahme des Orients115 oder aber den Bund der Stadt Rom mit ihren Provinzen.116 Wie prägend dieses Verständnis von der eigenen Kultur und ihren gewaltsamen Ursprüngen nicht nur für Vergil, sondern für die augusteische Zeit im Besonderen war, davon zeugen Texte zeitgenössischer Autoren: Properz beispielsweise verbindet den gewaltsamen Brudermord mit einer Festigung der Stadtmauern (caeso moenia firma Remo (Prop. 3,9,50))117 und spricht ebenfalls von produktiver Gewalt: So ist die Wölfin des Mars in der ersten Elegie seiner Aitia für Properz zunächst mit Blut und Gewalt verbunden altri[x] sanguinis (Prop. 4,1a,38), doch noch in derselben Elegie, sieht er in ihr eine Amme, deren Milch Mauern sprießen lässt (qualia creuerunt moenia lacte tuo! (Prop. 4,1a,56)). Nur wenige Verse zuvor singt er davon, wie das zu Asche zerfallene Troja sich aus dieser zu neuer Kraft erhebt (uertite equum, Danai! male uincitis! Ilia tellus/uiuet et huic cineri Iuppiter 113 Zur Verbindung von Ordnung und Chaos in der Politik Roms vgl. v. a. Thomas 2005, 11. 114 Vgl. Burkert 1997, 45 und vgl. Girard 20122, 18. 115 Augustus selbst bekundet in seinen Res Gestae die Bedeutung des Orients für seine Politik: Exter[nas] || gentés, quibus túto [ignosci p]otuit, conserváre quam excídere ma[lui (Aug. R. G. 3,2). 116 Vgl. Dupont 1994, 71. 117 Vgl. Nicoll 2001, 199.

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arma dabit (Prop. 4,1a,53–54))118, während im selben Atemzug der Name der Venus, der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, fällt (uexit et ipsa sui Caesaris arma Venus,/arma resurgentis portans uictricia Troiae (Prop. 4,1a,46–47)).119 In der zehnten Elegie seines dritten Buchs weitet er diesen Gedanken auf sein Dichtungswerk aus: post obitum duplici faenore reddet Honos,/omnia post obitum fingit maiora uetustas:/maius ab exsequiis nomen in ora uenit (Prop. 3,1,22–24). Waffengewalt und Tod bilden demnach auch bei Properz den Nährboden für Entstehen und Wachstum. Daneben findet sich auch bei Livius die Vorstellung von generativer Gewalt und Tod, wenn er zu Beginn des 19. sowie des 30. Kapitels seines ersten Buchs, das in besonderem Maße von Gründungsmythen kündet, urbem nouam conditam ui et armis (Liv. 1,19,1) oder auch Roma interim crescit Albae ruinis (Liv. 1,30,1) schreibt. Wie sehr die Literatur eine allgemeine Denkfigur augusteischer Zeit in diesen Worten widerspiegelt, davon zeugen einerseits archäologische Kenntnisse von einem Tempel der Kybele, der phrygischen Göttin des Chaos, auf dem Palatin.120 Dank Augustus war dieser Tempel umsäumt von Heiligtümern der Victoria und des Apoll. Umgeben von diesen Gottheiten der Kultur und Ordnung erfuhr sie während der Anfänge des Prinzipats eine Rehabilitation.121 Sie galt nun nicht länger als ausschließlich zerstörerische Göttin, sondern wurde sogar als Schutzherrin verehrt.122 Ihr Fest fand jährlich am vierten April statt.123 An jenem Tag trug eine Schar Priester, unter rasenden Tänzen und begleitet von den Klängen phrygischer Flöten, das Abbild der Großen Mutter durch die Straßen Roms. Als jährlich wiederkehrender Ritus und durch das Verbot dieser Exzesse zu einer anderen Zeit, ist dies ein klares Beispiel für den in der Aeneis beschriebenen kontrollierten Wahn. Ein weiteres archäologisches Zeugnis stellt der unweit des Kybeletempels befindliche Apollontempel dar: Er wurde unter Augustus am 09. Oktober im Jahre 28. v. Chr. nach dessen Sieg in Actium als Symbol seiner Politik eingeweiht.124 Dieser im Anschluss an die Bürgerkriege errichtete Tempel besaß eine Portikus, zwischen deren Säulen 50 Statuen der Danaiden sowie das Abbild ihres Vaters 118 Zitiert nach Fedeli 2006. 119 Zur Verbindung von Venus und Kybele vgl. Burkert 1997, 93–95. 120 Die frühsten Zeugnisse einer Kybeleverehrung in Rom gehen auf 204 v. Chr. zurück. In diesem Jahr wurde ein Abbild der Kybele im Tempel der Victoria errichtet, bevor es nur wenige Jahre danach, im Jahr 191 v. Chr., zum Bau des Kybeletempels auf dem Palatin kam (vgl. Wiseman 1984, 118, 127). 121 Die Erneuerung des Tempels unter Augustus findet in Ovids Fasti Erwähnung (templi non perstitit auctor:/Augustus nunc est, ante Metellus erat (Ov. fast. 4,347–348)). 122 „The Phrygian goddess has become the Trojan goddess, protecting Creusa, providing the fleet; the woods of Ida are no longer Catullus’ place of horror, but the means of safety”, Wiseman 1984, 127. 123 Zur kultischen Verehrung der Kybele in Rom vgl. ebd. 1984, 117 sowie Ovid in seinen Fasti (Ter sine perpetuo caelum versetur in axe,/ter iungat Titan terque resolvat equos,/protinus inflexo Berecyntia tibia cornu/flabit, et Idaeae festa parentis erunt./ibunt semimares et inania tympana tundent,/aeraque tinnitus aere repulsa dabunt;/ipsa sedens molli comitum cervice feretur/Urbis per medias exululata vias (Ov. fast. 4,179–186)). 124 Vgl. Strocka 2008, 44.

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zwischen deren Säulen 50 Statuen der Danaiden sowie das Abbild ihres Vaters Danaus mit gezücktem Schwert aufgestellt waren.125 Die gewaltvolle Darstellung, erkennbar am blanken Schwert des Vaters, war Zeichen für die Schuld Roms, seine Brüder in den Bürgerkriegen bekämpft und getötet zu haben.126 Um in das Heiligtum Apolls des ordnungsstiftenden und entsühnenden Gottes zu gelangen, musste zuerst jener Gang des nefas beschritten werden. Sühne und Neuanfang127 waren damit unweigerlich an Gewalt gebunden und nur durch das nefas zu erreichen. Neben dem Tempel des palatinischen Apoll zählt Sueton das Augustusforum mit dem Heiligtum des Mars Ultor128 zu den bedeutendsten baulichen Neuerungen des Prinzipats. Obwohl manches des Forums und Tempels nicht erhalten ist, geben neben literarischen Quellen architektonische Zeichnungen aus der Renaissance Aufschluss über die Komposition des Baus129: Aus diesen ergibt sich, dass nicht allein Raumnot der Grund für seine Errichtung war, wie Sueton schreibt130, sondern in der Gestaltung des Forums zentrale Züge augusteischer Politik sichtbar werden. So schließt das Augustusforum im rechten Winkel an das Caesarforum mit seinem Tempel der Venus Genetrix an; die Ähnlichkeit in der Gestaltung beider Plätze und Tempel verwies auf die enge Verbindung zwischen dem Kriegsgott und der Schöpfungskraft der Göttin.131 Das Zusammenspiel beider fand seine Fortführung im Inneren des Mars-Ultor-Tempels, dort zeigte sich dem Betrachter inmitten der Cella die Statue des Mars und zu seiner Rechten die der Venus.132 Nach einem Relief auf der Ara Pietatis Augustae bildeten diese beiden Gottheiten nicht nur das Zentrum des Tempels, ihre Abbildungen fanden sich außerdem auch im Giebel des Heiligtums wieder, umgeben von Figuren der Fortuna, des Romulus und der Dea Roma.133 Während die sitzende Haltung des Marssohns, Romulus, als Anspielung auf das augurium augustum, das Gründungsorakel134 zu verstehen ist, zeigte sich die Dea Roma als victrix auf den Waffen besiegter Feinde. An dieser Stelle erhielt die Verbindung von Mars und 125 Literarische Quellen der Portikus sind unter anderem Elegie 2,31 des Properz (aurea Phoebi/porticus a magno Caesare aperta fuit./tanta erat in speciem Poenis digesta columnis,/inter quas Danai femina turba senis (Prop. 2,31,1–4)) und Stellen in den Amores, der Ars amatoria und den Tristia des Ovid (illa quae Danai porticus agmen habet (Ov. am. 2,2,4); quaque parare necem miseris patruelibus ausae/Belides et stricto stat ferus ense pater (Ov. ars. 1,73–74); signa peregrinis ubi sunt alterna columnis,/Belides et stricto barabarus ense pater (Ov. trist. 3,1,61–62)). 126 Vgl. Strocka 2008, 62–63. 127 Zu dieser Bedeutung des Tempels vgl. ebd., 59. 128 Publica opera plurima extruxit, e quibus uel praecipua: forum cum aede Martis Vltoris, templum Apollinis in Palatio, aedem Tonantis Iovis in Capitolio (Suet. Aug. 29,1). 129 Vgl. Zanker 1968, 10. 130 Fori extruendi causa fuit hominum et iudiciorum multitudo, quae uidebatur non sufficientibus duobus etiam tertio indigere (Suet. Aug. 29,1). 131 Zur architektonischen Ähnlichkeit beider Foren und dem Bezug zwischen Mars und Venus, der dadurch entsteht vgl. Freyberger/Reisacher 2014, 67 sowie Freyberger 2015, 176. 132 Vgl. Ganzert 1988, 38. 133 Vgl. Zanker 1968, 14 und Freyberger 2015, 177. 134 In ähnlicher Haltung zeigten sich Romulus und Remus im Giebelfeld des Quirinustempels (vgl. Zanker 1968, 14).

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Waffen besiegter Feinde. An dieser Stelle erhielt die Verbindung von Mars und Venus einen expliziten Bezug zur Gründung der Stadt und diese damit zu Krieg und Gewalt.135 Daran sollten auch die in den Portiken aufgestellten Statuen ehemaliger, erfolgreicher Feldherren erinnern, deren Siege zur Größe Roms beigetragen hatten.136 Diese Darstellung kulminierte in der Person des Princeps137: So war dieser nicht nur Nachfahre des Venussohns Aeneas sowie des Romulus und vereinte damit Venus und Mars in sich, sondern hatte 20 v. Chr. auch die Feldzeichen Roms von den Parthern zurückgewonnen, diese in dem späteren Mars-Ultor-Tempel aufgestellt und dadurch den Anbruch des „goldenen Zeitalters“ in Rom herbeigeführt. Weiterhin im Tempel sichtbar ermahnten die Zeichen, gemeinsam mit den Ehrenstatuen die künftige Generation, ebenfalls Triumphinsignien zu erringen und in dem Tempel niederzulegen.138 Außenpolitisch geschlagene Kriege und Gewalt wurden durch die Erinnerungszeichen der Bevölkerung innerhalb der Stadtmauern ins Bewusstsein gerufen und spornten als exempla zu zukünftigen militärischen Erfolgen und damit Wandel an. Nicht ohne Grund machte Augustus das neue Forum „zum Zentrum des Heeres, der Reichsverwaltung und der Außenpolitik“139, auf dem vor Auszug in die Provinz dem Gott Mars geopfert wurde. Wie sehr ein Neuanfang und Wandel mit Gewalt assoziiert wurde, zeigt außerdem der römische Kalender. In diesem mündete der ordentliche Ablauf des Jahres gen Ende in eine Phase des Übergangs zwischen dem alten und dem neuen Jahr. Diese Tage des Übergangs wurden nicht nur nefasti genannt140, das alte Jahr schloss zudem mit ordnungszerrüttenden, nicht selten gewaltvollen Festen. Die Saturnalien, welche Mitte Dezember gefeiert wurden, verkehrten die gesellschaftlichen Hierarchien, brachten Umsturz und sorgten gleichzeitig für die Wiederkehr eines chaotischen Urzustands, aus dem neue Ordnungen erwachsen 135 Der Bezug beider Gottheiten zur Gründung Roms wurde in Exedren des Tempels erneut aufgegriffen: Der Abbildung des Romulus, des Marssohns, in der südlichen Exedra entsprach in der nördlichen die des von Venus stammenden Aeneas. Die parallel beginnenden Verse Ovids zeigen, wie der Ahnherr der Iulier und der Gründer Roms sich und damit Venus und Mars einander entsprachen (hinc videt Aenean oneratum pondere caro/et tot Iuleae nobilitatis avos;/hinc videt Iliaden umeris ducis arma ferentem,/claraque dispositis acta subesse viris, Ov. fast. 5,563–566). Vgl. dazu ebd., 17–18. 136 Vgl. Zanker 1968, 24 und Woolf 2015, 220. 137 „In der Person des Augustus verbindet sich die sakrosankte Familientradition der Iulier unmittelbar mit der des römischen Staates. Er ist die Erfüllung beider: Die Säulen der Front des Marstempels stehen genau auf der Verbindungslinie zwischen der Romulus- und der Aeneasstatue der Exedren. Auf dem Gebälk der Tempelfront stand in großen Lettern die Nomenclatur des Augustus“, Zanker 1968, 21. Dazu vgl. außerdem: spectat et Augusto praetextum nomine templum,/et visum lecto Caesare maius opus (Ov. fast. 5,567–568). 138 Vgl. Zanker 1968, 24 und Woolf 2015, 220. 139 Zanker 1968, 24. Vgl. dazu auch: sanxit ergo ut de bellis triumphisque hic consuleretur senatus, prouincias cum imperio perituri hinc deducerentur quique uictores redisset, huc insignia triumphorum conferrent (Suet. Aug. 29,2). 140 Vgl. Thomas 1994, 55.

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konnten.141 Es folgten diesem Fest zwei Monate der Läuterung, während derer der erste im Januar vollzogene Ritus die Reinigung vom Alten mit der Transgression der Stadtmauern verband. Es handelt sich um einen von den neu gewählten Konsuln vollführten Pilgerzug nach Lavinium, der Stadt des Aeneas.142 Der Schritt hinaus aus den Mauern der Stadt und damit der Kultur zusammen mit dem in Lavinium vollzogenen Opfer, war Voraussetzung für den Beginn einer neuen Regierungsperiode. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang das Fest der Parilia, das Gründungsfest der Stadt. Gewalt hat auch in diesem Ritus eine ordnungssetzende Bedeutung: So ist das Fest nicht nur mit dem blutigen Opfer des Oktoberrosses und damit dem Mars verbunden143, in seinem zeremoniellen Ablauf144 folgt außerdem dem gewaltvollen Opfer und dem Verbrennen von Stroh, das Ziehen neuer Stadtmauern. Diese untrennbare Verbindung von Ordnung und Gewalt, wie sie in der Literatur und den Riten der augusteischen Zeit erkennbar ist, zeigt, dass die Dynamiken der Gewalt – ihre ordnungssetzende und ordnungstransformierende sowie ihre ordnungsbewahrende Macht –, anders als in den aufgeklärten Gesellschaften der Moderne, gleichermaßen die römische Kultur und die Politik unter Augustus prägten. Fazit Das Ende der Aeneis ist nicht allein Zeugnis eines gewaltvollen Racheakts, sondern auch Ort einer tiefen Reflexion über die kulturstiftenden und kulturtransformierenden Kräfte von Gewalt. Der sichtbare Tötungsakt ist geleitet von einer unsichtbaren, kognitiven Transgression, welche die Schranken bestehender Ordnungen durchbricht und sich dem Ungesehenen zuwendet. In Vergils Text ist jener Schritt daran erkennbar, dass Aeneas in dem Moment, da er der Mahnung seines Vaters gedenkt, zögert, Turnus zu töten. Doch sobald er seinen Blick Neuem zuwendet, gerät er in ein rasendes Wüten, dem sein Gegenüber zum Opfer fällt. Diesem Überschreiten der alten kulturellen Ordnung folgt die Suche nach einer neuen, sodass das zunächst zerstörerische Chaos nunmehr in seinem kreativen Potenzial erkannt wird und den Grundstein für die Entstehung Roms bildet. 141 Zur Funktion der Saturnalien vgl. ebd., 54. 142 Zur ausführlichen Schilderung des Ritus und der mit ihm verbundenen Vorstellungen vgl. Dupont 2011, 63ff.. 143 Zur Verbindung beider Feste vgl. Smith 2013, 5003–5004. Zur Verehrung des Mars bei der Schlachtung des Oktoberrosses vgl. Rosivach 1983, 511. 144 Ovid schildert die Ursprünge und den Vollzug des Festes ausführlich im vierten Buch seiner Fasten von Vers 721 bis 862. Besonders deutlich wird der Zusammenhang von Zerstörung und Entstehung an folgender Stelle: num tamen est vero proprius, cum condita Roma est,/transferri iussos in nova tecta Lares,/mutantesque domum tectis agrestibus ignem/et cessaturae subposuisse casae,/per flammas saluisse pecus, saluisse colonos?/quod fit natali nunc quoque, Roma, tuo. (Ov. fast. 4,801–806).

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Jene Vorstellung von generativer Gewalt findet sich auch in den Georgica: Dort gelingt es den Menschen mit den Werkzeugen des Ackerbaus, jenseits des Sichtbaren zu blicken und die in der Erde schlummernden Kulturgaben gewaltsam hervorzuholen. In der Aeneis verwendet Vergil mehrfach dieses Bild vom gewaltsamen Aufbrechen des Bodens im Kontext von Städtegründungen, wie der Karthagos oder Segestas. Eingebettet ist in beiden Werken jener hervorbringende Gewaltakt in einen religiösen Kontext – so werden in den Georgica die Fertigkeiten dazu als von den Göttern gegeben beschrieben, während es in der Aeneis vielfach die Götter sind, welche – wie Venus im zweiten Buch – den Blick auf das Verborgene lenken. Auch der Mord an Turnus am Ende des Werkes fügt sich in diesen religiösen Kontext, wenn der Akt des Tötens mit dem Verb immolare als Opferhandlung gekennzeichnet wird. Eine solche Opferhandlung verknüpft – so Girard und Burkert – nicht allein die Vorstellung des Vergehens mit dem Streben nach Wiedergutmachung und damit dem Erschaffen von Neuem, das Rituelle eines solchen Aktes distanziert und schützt im gleichen Moment auch das Bestehende vor dem Chaos. Dass ein ebensolches Verständnis von transformierender und bewahrender Gewalt beim Opfer in der Aeneis und der augusteischen Zeit allgemein präsent ist, davon zeugen literarische Darstellungen, wie die des in Ketten geschlagenen Furor, den Jupiter im ersten Buch der Aeneis in unmittelbarem Zusammenhang mit dem über sich hinauswachsenden Rom nennt. Ein vergleichbarer Gedanke findet sich ebenfalls in anderen Werken: So singt Properz von den Mauern Roms als solchen, die durch den Mord an Remus erst gefestigt wurden. Darüber hinaus finden sich auch außerhalb der Literatur Zeugnisse davon, dass transformierende, ritualisierte Gewalt unter dem Prinzipat des Augustus an neuer Bedeutung gewinnt: Eindrücklich zeigt sich dies beispielsweise darin, dass Augustus Riten, wie die Verehrung der phrygischen Göttin des Chaos, Kybele, unter seiner Herrschaft zu neuer Größe und Bedeutung verhilft. Durch seine Hand entstehen Bauwerke, wie das Augustusforum, das den Tempel der Venus Genetrix auf dem Caesarforum mit einem dem Mars Ultor geweihten Tempel verbindet. Daraus lässt sich schließen, dass moderne Vorstellungen von Gewalt als einer bewahrenden und transformierenden Kraft gleichermaßen die augusteische Zeit prägten.

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PRETIUM INPONE CARNI HUMANAE! Der Topos der Anthropophagie als Marker für Gewaltzeiten am Beispiel der Eroberung Sagunts 219 v. Chr. und Roms 410 n. Chr. Hendrik A. Wagner Die Darstellung, Schilderung und Bewertung von Gewaltexzessen haben in den letzten zwanzig Jahren zunehmend das Interesse der altertumswissenschaftlichen Forschung gefunden.1 Dabei hielt bereits Martin Zimmermann fest, dass der Kannibalismus, oder besser die Anthropophagía (ἀνθρωποφαγία/anthrōpophagía), das Verspeisen von Menschen durch Menschen,2 „eine grenzüberschreitende Form von Gewalt“3 darstelle. Hier werden wir allerdings noch weiter gehen müssen und die Anthropophagie als universellen Tabubruch einordnen, der in ganz unterschiedlichen Zeiten, Kontexten und Kulturräumen thematisiert wurde und hierbei stets einen außerordentlich dehumanisierenden und Abscheu erregenden Gewaltakt darstellt.4

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Z. B. Zimmermann 2013 und ders. 2009a; Seidensticker/Vöhler 2006 und Fischer/Moraw 2005. Zur Gewaltforschung in den Altertumswissenschaften vgl. Zimmermann 2009b, 7–45, bes. 32–39 und Hahn 1998, Sp. 1042–1049; ferner Gilhaus, L., „Physische Gewalt in der griechisch-römischen Antike. Ein Forschungsbericht“ in: H-Soz-Kult, 13.07.2017, www.hsozkult.de/ literaturereview/id/forschungsberichte-3014. Zum Begriff und seiner Verwendung in der Antike vgl. Gronau 2015, 65–100, hier 67–74. Vgl. auch Graf 1999, Sp. 247 und Tomaschek 1894, Sp. 2168f. Im Folgenden wird synonym auch der Begriff des Kannibalismus angewendet. Zimmermann 2009b, 28 Anm. 86. Vgl. Pöhl/Fink 2015; hier i. B. der Beitrag Pöhl 2015, 9–51. Nachfolgend erschienen ist der Sammelband Rebitsch/Pöhl/Fink 2017. Grundlegend ist hier auch die Studie Peter-Röcher 1994. Im Zusammenhang mit dem Menschenopfer vgl. erstmals Schwenn 1915; nachfolgend u. a. Steuernagel 1998; Strobel 2002, 487–491 und Green 2003. Zur antiken Philosophie (z. B. bei den sog. Orphikern, den Pythagoreern und bei Theophrast von Eresos nach Porph. abst. 1,23f. [Test.]; Iuv. 15,171ff.; Tert. ieiun. 15; Hier. adv. Iovin. 1,3; Aug. haer. 25.) vgl. Martins 2018, 61–63, 120–126. Im Tyrannenbild (z. B. Phalaris von Akragas nach Klearch. Frg. 61; Polyain. strat. 5,1; Athen. deipn. 9,54; Tat. orat. 34,1 oder Apollodor v. Kassandreia nach Cic. nat. 2,82; Plut. mor. 556d; Polyain. strat. 6,7; Diod. 22,5), bei politischen Verschwörern und Rebellen (z. B. Catilina nach Sall. Cat. 22; Plut. Cic. 10,4; Cass. Dio 37,30,3; Flor. ept. 2,12,4 und Tarquinius Superbus nach Plut. Publ. 4 oder die Mörder Caligulas nach Cass. Dio 72,4); vgl. dazu Peter-Röcher 1994, 141f. und schon Bickerman 1927, 175 und Schwenn 1915, 188– 190; speziell zu Catilina jetzt auch Lindner 2015, 101–120, bes. 101–111. Zum Vorwurf gegenüber den Christen (z. B. Tert. Apol. 2,3–5; 7,1–5 und 8,1–9 sowie Tert. nat. 1,7,23–32; Min. Fel. 9,5 und 29f.; Iust. Mart. Apol. 1,26,7 und 2,12,3–5; Tat. orat. 25,7; Athenag. suppl. 3 und 34f.) vgl. Degen 2015, 145–167; McGowan 1994, 413–442 und knapp Peter-Röcher 1994,

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In mehrerlei Hinschlicht stellt die Untersuchung des Anthropophagiemotivs einen wichtigen Beitrag für die Gewaltforschung dar. Dies begründet sich nicht allein nur dadurch, dass der Vollzug des (Not-)Kannibalismus selbst die denkbar grausamste und abstoßendste Gewalthandlung darstellt, die sich aus einem Handlungshorizont generiert, der durch emotionalen Kontrollverlust (ira/rabies), den radikalen Zivilisationsbruch und irreversiblen Zusammenbruch der Ordnung (Cháos) determiniert ist, und klimaktisch den Höhe- und zugleich schrecklichen Endpunkt einer außergewöhnlichen Gewalteskalation – zumeist im Kriegskontext – markiert. Auch stellt das Anthropophagiemotiv gerade in der literarischen Verwendung ein solch monströses Gewaltbild dar, dass eine positive Wahrnehmung des damit verbunden stehenden Ereignisses und seiner Akteure nicht mehr möglich ist. Relevant für die Gewaltforschung ist somit vor allem die Markerfunktion des Anthropophagiemotivs für außergewöhnliche Gewaltzeiten und die Möglichkeit, über dieses extraordinäre Gewaltbild das Erinnern von Ereignissen und Personen dezidiert negativ zu kodieren bzw. umzukodieren. Wurden in der Forschung die Fallbeispiele des (Not-)Kannibalismus bislang nur summarisch gelistet und lediglich festgestellt, dass es sich um topische Gewaltbilder handelt,5 so wird in dem hier vorliegenden Beitrag nach dem Bedeutungsnukleus des Kannibalismusmotivs und seiner Funktion gefragt. Dabei geht es vor allem darum, den Zweck dieses außerordentlichen Gewaltbilds und seine Wirkung auf den Erinnerungsprozess zu erfassen. Dazu werden zwei prominente Fallbeispiele genauer untersucht: Die Belagerung und Eroberung Sagunts 219 v. Chr. sowie die Belagerungen Roms in den Jahren 408 bis 410 n. Chr.6 Beide Ereignisse sind mehrfach in den antiken Quellen überliefert, sodass sich die Entwicklung des Motivs bzw. Topos und seine Funktion gut erfassen lässt. Zugleich knüpft die hier vorliegende Arbeit an die neusten Forschungsimpulse aus der Toposforschung7 an und nutzt die dort aufgestellte Definition des Toposbegriffs. Die Verwendung des Toposbegriffs setzt voraus, dass zum einen ein Mindestmaß von Parallelüberlieferungen vorhanden ist und zum anderen – und dies ist noch entscheidender – die assoziative Verknüpfungsmöglichkeiten mit weiteren

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1994, 142–145 sowie Edwards 1992, 71–82. Grundlegend sind hier die Beiträge Bickerman 1927, 171–187, bes. 174–178 und Dölger 1934, 188–228. Vgl. Tietz 2013, 380f. Anm. 552 (nach Petron. 141: Sagunt, Petelia, Numantia); Fulda 1997, 261f. Anm. 75 (Samaria, Jerusalem, Petelia, Sagunt, Numantia, Casilinum) und passim PeterRöcher 1994, 121 (nach 2. Kön 6,26–30: Samaria) und 132 Anm. 134 (nach Caes. BG. 7,77: Alesia). Mit dem von Florus und Appian (Flor. epit. 3,5,4; App. Mithr. 38,150) geschilderten Kannibalismusvorfall 87/86 v. Chr. in Athen hat sich jüngst Eckert 2016, 91–102, bes. 93 befasst und Backhaus 2019, bes. 237–243 mit der Verwendung in den Werken Lucans und Senecas. Zum Problemkomplex Topos vgl. aktuell Zerjadtke 2020, 11–26, 137–139; speziell zur Abgrenzung von den Begriffen Stereotypen und Klischee ebd. 21f.; ferner vgl. Wolters 2006. Die Verbindung zieht bereits Aug. civ. 3,20 (hierzu w. u.). Im Tagungsband „Der ethnographische Topos in der Alten Geschichte“ vgl. Zerjadtke 2020, 139: „In der bisherigen Forschung wurden Topoi allzu oft mit einem Hinweis auf ihre normative Färbung abgetan. Umfangreichere und tiefgehende Analysen einzelner Topoi oder ganzer Toposkataloge könnten allerdings noch deutlich mehr leisten.“

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Vorstellungen möglich ist.8 Beides trifft für das Kannibalismusmotiv und seine Verwendung in den hier besprochenen Fallbeispielen zu. Vorüberlegung: Die Anthropophagie im antiken Welt- und Menschenbild Bevor auf die Fallbeispiele Sagunt und Rom geblickt werden kann, ist es erforderlich, den Topos der Anthropophagie kulturhistorisch einzuordnen und seine Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten zu bestimmen. Das kulturelle bzw. literarische Gedächtnis der griechisch-römischen Antike muss berücksichtigt werden.9 So ist zunächst auf die Mythographie und Ethnographie zu blicken, denn hier wird das antike Weltbild geformt. Bereits bei der Entstehung der Götter und Menschen nimmt das Kannibalismusmotiv einen zentralen Platz ein und tritt in unterschiedlichen Mythenerzählungen in Erscheinung. Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt (Teknophagie), Zeus, der wiederum Metis, oder Tantalos, der den Pelops frisst, stellen wohl die prominentesten Beispiele dar.10 Als ausgesprochen wirkmächtig erwies sich der Mythos von Thyestes und Atreus.11 Das „Thyestische Mahl“ wurde gar zum Synonym für den Tabubruch des Kannibalismus, im Speziellen für das Fressen von Kindern – ein Gewaltverbrechen, welches sich ab dem späten 2. Jahrhundert ‚Heiden‘, Christen und ‚Häretiker‘ wechselseitig vorwarfen.12 Hinzu kommen zahlreiche weitere Mythenerzählungen, die das Menschenopfer und den kultischen Kannibalismus zum fluchwürdigen Sakrileg erklären. Neben Tantalos ist besonders an Lykaon und seine Söhne zu denken, deren Vergehen zur Deukalionischen Flut geführt hatten.13 Wichtig ist die Lykaon-Erzählung vor allem deswegen, weil hier auf den Frevel des Kannibalismus nicht mehr nur die Einzelbestrafung der Täter folgt, sondern die universelle Kollektivstrafe: 8 9 10

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Vgl. Zerjadtke 2020, 26, 138. Zum Begriff und der Theorie vgl. A. Assmann 2009 und J. Assmann 82018, 19–25, 78–103 [1992]; aufbauend auf der Theorie von Maurice Halbwachs vom mémoire collective; vgl. Halbwachs 1925 und ders. 1950. Kronos: Hes. Theog. 456ff.; Metis: Hes. Theog. 886ff.; Tantalos: bereits im 5. Jhd. allgemein bekannt bei Eur. Iph. T. 386–388 (allerdings abgelehnt in Pind. O. 1,26f. und 1,47–53); zu den Mythen und weiteren Belegstellen vgl. Pöhl 2015, 10–22; Gronau 2015, 72–80 und Peter-Röcher 1994, 117–122; am umfangreichsten Burkert ²1997. Hier ist an die Aufzählung des christlichen Apologeten Tatian (Tat. 25,5) zu denken, der diese exempla zusammenführt; vgl. hierzu Degen 2015, 153. Thyestes: Aischyl. Agam. 1096f., 1217–1222, 1590–1602; Hyg. Fab. 85–88, 258; Apollod. epit. 2,10–15 und Athen. 3,95. Es folgen Werkfragmente von Sophokles, Euripides, Aristophanes, Diokles v. Phleius und Diogenes v. Sinope und in der lateinischen Dichtung Ennius, Accius und Seneca. Ähnlich ist auch die Erzählung von Harpagos und Astyages: Hdt. 1,119; Thereus: Ov. meth. 6,619–666. Zum Mythos und seiner Bedeutung vgl. Burkert ²1997, 119–125. Noch in Shakespeares Titus Andronicus findet sich das Motiv verarbeitet. Zum Gebrauch vgl. z. B. Athenag. suppl. 3,1 und Eus. H. E. 5,1,14: Θυέστεια δεῖπνα; vgl. Pöhl 2015,10f.; Gronau 2015, 68f. und Peter-Röcher 1994, 120. Lykaon: Ov. meth. 1,260–415 und Apollod. bibl. 3,8 und 3,99 oder Hyg. Fab. 176; hierzu vgl. Burkert ²1997, 98–108 und Peter-Röcher 1994, 117f.

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Kannibalismusmotiv durchweg negativ konnotiert.14 Die Täter sind nicht allein nur abschreckende exempla. Ihre frevelhafte Gewalttat gefährdet den Fortbestand der gesamten zivilisierten Oikuméne. In der Ilias und den Scholien finden wir Fälle von Kannibalismus, allerdings, und das macht sie interessant, nicht im Kontext kultischer Handlungen oder Familienfehden, sondern direkt im Kriegsgeschehen. So droht Achilles, den Leichnam Hektors roh zu verschlingen.15 Hervorzuheben ist, dass die Gedankenfigur im Zorn entsteht. Damit fällt das Kannibalismusmotiv in einen Bereich der Entmenschlichung, der durch die ira/rabies – die entmenschlichende Wut und Raserei – gekennzeichnet wird und somit der Sphäre des Cháos zuzuordnen ist. Das Cháos steht dem Kósmos, also der geordneten Welt und der zivilisierten Oikuméne, entgegen.16 Achilles selbst wird in der Ilias an mehreren Stellen mit animalisch-bestialischen Zügen präsentiert und somit von den übrigen Menschen geschieden.17 Im zweiten Fall, dem des Tydeus, der sich den Schädel des im Kampf bezwungenen Melanippos bringen lässt und das Hirn daraus schlürft,18 folgt als göttliche Strafe nicht allein nur der Tod. Athene, seine Schutzgöttin, zieht sich zutiefst angewidert von der Tat auf den Olymp zurück und verwehrt Tydeus die Rettung durch die Unsterblichkeit. Feststellen lässt sich, dass im antiken Denken all diese Erscheinungsformen des Kannibalismus Charakteristika einer weit zurückliegenden, archaischen Vorzeit sind, die allerdings durchaus als historische Realität begriffen wurde. Somit steht das Kannibalismusmotiv verbunden mit heroischen und hypertrophen Narrativen und Bildern, mit Götter- und Heldenerzählungen. Diese Verbindung ist nicht unwichtig, da hierdurch die Erwähnung des Kannibalismus, eben auch in 14 Hier ist Werner Tietzs These vom „Heroischer Kannibalismus“, einem positiv konnotierten Notkannibalismus, nicht haltbar; vgl. Tietz 2013, 381f.; dagegen jetzt auch Wagner 2022, 279– 295. 15 Il. 22,346f. Zur Figur des Achilles vgl. Gronau 2015, 89f. 16 Diese Verbindung wird auch besonders deutlich bei Atreus und Thyestes; prägnant in Sen. Thy. 23–29 (Prolog der Furia), 180 (iratus Atreus), 259 (mit der Tat maius hoc ira est malum), 504 und 1056 (ira – Selbstbezeichnung), 713 und 737 (ira – Fremdbezeichnung durch den Boten); alle einschlägigen Stellen listet Lefèvre 1997, 120–124. Allgemein zur Verbindung von Kannibalismus und Zorn vgl. Braund/Gilbert 2003, 250–285. 17 Vgl. Il. 4,426–438; 8,131; 22,260–276 und 24,40–44; die Stellen bespricht Gronau 2015, 90. 18 Vgl. Il.-Schol. DABLT und Ge² zu E 126; die älteste überlieferte Version findet sich bei Pherekydes (FGrH 3 F 97, frühes 6. Jh. v. Chr.); Thebais Frg. 9 (Bernabé); Eur. Frg. 537 (Nauck); Pind. N. 10,12b; ferner Il. 14,114 zum Grab und Hdt. 5,67,2–5 zum Kult. Theb. 8,716–766; ferner Lykoph. Alex. 1066; Apollod. bibl. 3,6,8 und Hyg. Fab. 69f. Zwei attische Glockenkratere (einer der verschollene „Rosi-Krater“) und das Antepagment vom Tempel A in Pyrgi bezeugen die frühe Beliebtheit des Motivs. Schwenn 1915, 26 sah hierin eine Erinnerung an eine Art rituellen, prähistorischen Kriegskannibalismus, der dazu gedient haben soll, die Kräfte des besiegten Feinds auf sich zu übertragen. Eine gewisse Parallele findet sich in der Vorstellung, die Kraft von Tieren durch das Verschlingen ihres rohen Fleisches übertragen zu können, was bereits für Achilles geglaubt wurde (Il. 24,207); nachfolgend auch für den „Rohfleischesser“ Dionysos (ὠμάδιος/ōmádios; vgl. Hellanik. FGrHist 4 F 187b; Paus. 2,2,7 und 8,37,5). Hierzu vgl. auch Gronau 2015, 76f. und 90. Zahlreiche Belege für Achilles sind in Robertson 1940, 170–180 gesammelt und diskutiert.

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historiographischen Texten, immer etwas außergewöhnlich Dramatisches und Episches darstellt. Das Gewaltbild des Kannibalismus steht assoziativ mit der sog. Heroenzeit verbunden, womit das so geschilderte Ereignis in Relation oder sogar Konkurrenz zu den großen Epenerzählungen gesetzt wird. So ließe sich an dieser Stelle konstatieren, dass das Kannibalismusmotiv in der Historiographie in erster Linie ein Element der epischen Geschichtsschreibung ist. Zugleich wird deutlich, dass das Anthropophagiemotiv einen doch recht zentralen und prononcierten Platz in den identitätsstiftenden Mythen, den großen Epen und den entsprechenden Götter- und Heroenkulten einnimmt. Das Motiv ist hierbei nicht nur durch die Bildungsliteratur präsent, sondern eben auch durch die vielfältigen Bildzeugnisse und die szenischen Darbietungen, wodurch das Kannibalismusmotiv zu einem allgemein verfügbaren Kultur-, Wissens- und Identitätsgut wurde.19 In der Odyssee erfüllt das Kannibalismusmotiv noch eine weitere Funktion, die für das antike Weltbild und Weltverstehen wichtig ist. Hier sind es nicht mehr die Heroen, die sich schuldig machen, sondern die monströsen Gegner des Odysseus, die menschenfressenden Kyklopen, Laistrygonen, die Sirenen auf ihren Knochenbergen oder auch die Zauberin Kirke.20 Dabei verankert die Odyssee ein dichotomes Weltbild, das nachfolgend von den antiken Ethnographen und Geographen, dann auch von den ‚Entdeckern‘ und Kolonisatoren der Neuzeit21 übernommen wurde und so ganz wesentlich die Vorstellung von der Ordnung der Welt geprägt hat. Auf der einen Seite steht der zivilisierte Mensch, verkörpert durch Odysseus. Auf der anderen Seite stehen die wilden, kannibalischen Fremden, die weder menschliches noch göttliches Gesetz kennen und als zivilisationsfeindlich und aggressiv angesehen werden.22 Der Topos der Anthropophagie markiert so die Grenze zwischen der Zivilisation und der Wildnis, der Ordnung und dem Cháos, dem Menschen und der Bestie.23 Hierbei konstituiert das Kannibalismusmotiv ein Bedrohungsbild, welches die Unversehrtheit des Menschen, die Zivilisation und Ordnung substantiell angreift, womit nicht nur das zivilisierte ‚Wir‘ gegen das wilde ‚Fremde‘ gestellt wird, 19 Zur ungeklärten Frage, wie sich ein Topos in der breiten Bevölkerung verbreitete, vgl. Zerjadtke 2020, 26. Hier müssten künftig verstärkt ikonografische Zeugnisse ausgewertet werden. 20 Polyphem: Od. 9,105ff.; Laistrygonen: Od. 10,80–132; Sirenen: Od. 12,39ff.; Kirke: Od. 10,144ff. Speziell zu den Kyklopen als Prototyp des kannibalischen Hirten, also des nomadisch lebenden „Wilden“, vgl. Rücker 2012, 10–25; Fulda 2001, 7–52; Baudy 1999, 221–242 und Kirk 1972, 162–171. 21 So beschreibt Kolumbus die Einwohner der Insel Bohío als einäugig und hundsgesichtig, was sehr an die einäugigen Arimaspen (Ἀριμασποί), die laut Herodot und Strabon einen Endo-Kannibalismus praktiziert haben sollen (Hdt. 4,13 und Strab. 1,21), erinnert. Zu der Übertragung der antiken Fremd- und Kannibalenbilder in die Neuzeit und den Folgen für den Umgang mit den Indigenen vgl. zusammenfassend Pöhl 2015, 22–45 und Peter-Röcher 1994, 185–212. 22 Vgl. Od. 9,174–176: Die Frage des Odysseus an Polyphem, ob sie (die Kyklopen) unbändige Wilde und nicht Gerechte sind, oder gastfreundlich und einen frommen Sinn, der die Götter scheut, haben. 23 So auch schon Fulda 2001, 17 und Arens 1979, 139f., die hier auch die selbst vergewissernde Funktion des Kannibalismustopos, gegenüber den vermeintlichen „Wilden“ moralisch und zivilisatorisch überlegen zu sein, hervorheben; vgl. auch Zimmermann 2013, 139–154, bes. 146f.

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Hierbei konstituiert das Kannibalismusmotiv ein Bedrohungsbild, welches die Unversehrtheit des Menschen, die Zivilisation und Ordnung substantiell angreift, womit nicht nur das zivilisierte ‚Wir‘ gegen das wilde ‚Fremde‘ gestellt wird, sondern auch die Abwehr, Bekämpfung und Vernichtung der kannibalischen ‚Wilden‘ geboten scheint. Verbunden mit dem Verbot und der Ächtung des Kannibalismus durch die Götter, mündet diese Dichotomie letztlich in den Universalkampf zwischen dem Cháos auf der einen Seite und der menschlichen und göttlichen Ordnung des Kósmos auf der anderen Seite. Treffend bemerkt hierzu Daniel Fulda: der „Kannibalismus, und sei er auch durch extremen Hunger erzwungen, repräsentiert deshalb den Einbruch des vorgesellschaftlichen Cháos in die natürliche Ordnung des christlich-europäischen Lebens.“24 In der Odyssee sind allerdings die geographischen Räume und Grenzen noch nicht genau definiert. Im Grunde irren Odysseus und seine Mannschaft durch eine chaotische und vielerorts lebensbedrohliche Welt, bevölkert von Kannibalen.25 Erst in der antiken Ethnographie und Geographie werden konkrete Räume, Zonen und Grenzen festgelegt. Dabei bleibt die Markerfunktion des Anthropophagiemotivs erhalten, die nun ein Distinktionsmerkmal von ‚Barbaren‘ darstellt, die weit entfernt von der zivilisierten Oikuméne leben. Herodot und Strabon verorten den Kannibalismus im fernsten Norden bei den Skythen, Massageten, Arimaspen, Issedonen, den Anthrophagen und den Inselkelten Hibernias (Irlands) sowie jenseits des Indus bei den Kalatiern und Padäern.26 Damit entsteht ein Weltbild, welches ganz im Sinne der Dichotomie zwischen Ordnung und Cháos die zivilisierte Oikuméne umlagert bzw. belagert von vermeintlich kannibalischen Völkerschaften zeigt. Umso weiter von den Grenzen der zivilisierten Oikuméne entfernt, umso prägnanter ist der Kannibalismus ausgeprägt und die Dehumanisierung fortgeschritten. Wie stark das mythographische Gedächtnis das Weltverstehen prägte, zeigt sich sehr deutlich bei Plinius dem Älteren.27 Bezeichnenderweise hält dieser nämlich die Kyklopen und Laistrygonen für einst real existierende Völker und führt sie als Beleg dafür an, dass es solche kannibalischen Völker auch in seiner Zeit geben

24 Hier Fulda 1997, 266 und ders. 1999, 115. 25 Es gibt natürlich auch freundliche Begegnungen, so z. B. mit den Lotophagen in Od. 9,82–105. 26 Hdt. 2,216 und 4,70: Skythen, Endo-Kannibalismus sowie Mischen von Blut und Wein; Strab. 11,8,8: Massageten, Endo-Kannibalismus; Hdt. 4,13: Arimaspen, Endo-Kannibalismus; Hdt. 4,26: Issedonen, Endo-Kannibalismus; Hdt. 4,106: ‚Anthrophagen‘, Exo-Kannibalismus; Strab. 4,5,4: Inselkelten, Endo-Kannibalismus; Hdt. 3,38: Kalatier, Endo-Kannibalismus; Hdt. 3,99: Padäer, Kranke. Zu Darstellung Herodots vgl. Murphy/Mallor 2000, 388–394 und ausführlich Bichler 2001. Allgemein zu den nomadischen „Fremdvölkern“ vgl. Schulz 2020, 288– 323; Pöhl 2015, 38–44; Rücker 2013, 13–38, bes. 18f. und Peter-Röcher 1995, 126–133. Allgemein zum Barbarenbegriff und den Barbarentopoi vgl. z. B. Waldherr 2000, 201–204. 27 Plin. nat. hist. 7,2,9: esse Scytharum genera et quidem plura, quae corporibus humanis vescerentur, indicavimus. id ipsum incredibile fortasse, ni cogitemus in medio orbe terrarum [ac Sicilia et Italia] fuisse gentes huius monstri, Cyclopas et Laestrygonas, et nuperrime trans Alpis hominem immolari gentium earum more solitum, quod paulum a mandendo abest; vgl. Thuk. 6,2,1; Strab. 1,2,9; Verg. Aen. 3,569 und 3,616–691.

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Zivilisationsgemeinschaft, und vor allem Rom als Ordnungsmacht,28 den Kannibalismus und damit das Cháos aus der Oikuméne verbannt hat und fernhält. Rom (Caesar) hatte die Kelten, die laut Plinius jüngst noch mit ihren Menschopfern halbe Kannibalen waren,29 gebändigt und zwangszivilisiert. Für die gesamte Betrachtung ist entscheidend, dass in der Ethnographie die Grenze zwischen Oikuméne und Babaricum zwar veränderbar ist, sich die Zivilisationsgrenze räumlich verschieben kann, aber im Kern das dichotome Weltbild mit dem Grenzmarker der Anthropophagie unverändert bestehen bleibt. Die Beschreibung von Kannibalismus innerhalb der Oikuméne stellt somit immer einen gravierenden ‚Systemfehler‘ im antiken Welt- und Menschenbild dar und ist allein deswegen schon eine auffällige Anomalie in der literarischen Überlieferung. Dies sieht in der christlich-jüdischen Tradition nicht wesentlich anders aus. Da diese für die Spätantike von Bedeutung ist, soll auch hierzu kurz Stellung genommen werden. Im Alten Testament spielt die Anthropophagie vor allem als denkbar härteste Gottesstrafe eine größere Rolle. So wird an mehreren Stellen dem Volk Israel angedroht, dass die Mütter die eigenen Kinder verzehren werden (Teknophagie).30 Auch in Kriegskontexten tritt der Kannibalismus im Alten Testament in Erscheinung. So bei der Belagerung von Samaria durch Ben-Hadad im zweiten Buch der Könige.31 Darüber hinaus wird der Vorwurf der Anthropophagie auch gegen Feinde erhoben, um damit deren Vernichtung zu begründen.32 In den Schriften des Neuen Testaments spielt das Thema hingegen nur bei der Interpretation und Verteidigung der Eucharistie eine Rolle.33 Für die Betrachtung der christlichen Autoren, die zur Plünderung Roms 410 etwas schrieben, ist vor allem die alttestamentarische Tradition wichtig, die die Anthropophagie als Strafgericht Gottes versteht und damit apokalyptische Vorstellungen bedient. Saguntum 219 v. Chr.: Vom Heldenvolk zu Kannibalen Die achtmonatige Belagerung und Einnahme Saguntums, die zugleich den Auftakt zum Zweiten Punischen Krieg (218 v. Chr. bis 201 v. Chr.) markiert, stellt in der römischen Erinnerungskultur ein Kernereignis dar. Die Saguntiner waren womöglich amici populi Romani.34 Doch das Schicksal Sagunts hätte wohl kaum so großen 28 Verg. Aen. 6, 847–853: tu regere imperio populos, Romane, memento (hae tibi erunt artes), pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos. 29 Zu den Menschenopfern bei den Kelten vgl. u. a. Caes. BG. 6,16; Diod. 5,32; Cic. Font. 31; Liv. 38,47,12 und Strab. 4,4,5. 30 Vgl. Lev 26,29; Dtn 28,53; Jer 19,9; Ez 5,10 und Klgl 2,20 und 4,10. 31 Vgl. 2 Kön 6,24–30. 32 Vgl. Weis 12,5f. und 14,23: die Kanaaniter (wohl aus dem 1. Jhd. v. Chr.). 33 Vgl. Joh 6,52–54 und 1 Kor 11,27–29; hierzu vgl. Theißen 2017, 208–210. Auf die Transsubstantiationslehre kann hier nicht eingegangen werden. 34 Vgl. zum Schutzvertrag Pol. 3,15,1–5 und bes. Pol. 3,20f. und 3,30; zu den karthagischen Verträgen Pol. 3,22–29. Zur Diskussion um die sog. Saguntklausel im Ebro-Vertrag (Pol. 2,13,7, a. 226/5 v. Chr.) und die Stellung Sagunts gegenüber Rom vgl. Matijević 2015, 435–456;

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so großen Widerhall in der literarischen Überlieferung gefunden,35 wenn nicht in der Rückschau die Einnahme Sagunts die Ereigniskette Trasimenischer See – Cannae – Zama eingeleitet hätte. Der Untergang Sagunts ist untrennbar verbunden mit der Nemesis Roms, mit Hannibal und der Schuldfrage des Kriegs. So ist der Fall Sagunts im literarischen Gedächtnis als eine der härtesten und grausamsten Stadtbelagerungen verankert und bis in die Spätantike als schauderhaftes exemplum für die Schrecken des Kriegs, aber auch des Heldenmuts und Edelmuts tradiert worden. Dabei beschränkte sich Polybios, die zeitnaheste Quelle, auf die Feststellung, dass die Stadt nach acht Monaten eingenommen und auf Befehl Hannibals gründlich geplündert wurde.36 Doch auch schon Polybios merkt an, dass Hannibal den Schrecken, den die Einnahme verursachen würde, als Mittel einsetzen wollte, um die Iberer und Römer ruhigzustellen.37 Polybios folgt hier der römischen Lesart, die Hannibal als skrupellos-grausamen Kriegstreiber darstellt. In der lateinischen Überlieferung, die im Ursprung wohl stark von Fabius Pictor und der Annalistik des Ennius beeinflusst wurde,38 wird das Geschehen dramatisierend und emotional erregend in aller Schrecklichkeit ausgemalt. Der Untergang Sagunts, im Besonderen in seinen grausigen Details, ist so in erster Linie ein Konstrukt der römischen Kriegspropaganda, welches erfolgreich in der antiken Erinnerungskultur verankert wurde. Zum Beginn der Kaiserzeit dient Sagunt bereits als paradigmatisches Bild für den Schrecken des Kriegs. Livius benutzt zwar noch nicht das Bild des Notkannibalismus, führt aber den Kriegsschrecken sehr deutlich und ausführlich vor Augen. Auch wird die gesamte Belagerung detailliert und in dramaturgisch durchkomponierten Phasen beschrieben. In der ersten Phase sind es die Saguntiner, die den Puniern und ihrem Belagerungsgerät durch Ausfälle hart zusetzen, sodass sogar Hannibal eine schwere Wunde im Kampf davongetragen haben soll.39 Es folgt nach einer kurzen Ruhephase die verstärkte Bestürmung der Mauern, die zum partiellen Einsturz der Verteidigungswerke führte. Am Ende liegt die Stadt offen und es soll zu einer geordneten Schlacht in der Bresche gekommen sein. Unter Einsatz brennender Wurfspieße (phalarica) sei es den Saguntinern aber gelungen, den Gegner abzuwehren.40 Nach einer weiteren Ruhephase und noch während der

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2,13,7, a. 226/5 v. Chr.) und die Stellung Sagunts gegenüber Rom vgl. Matijević 2015, 435– 456; Bringmann 2001, 369–379; Barceló 1996, 45–57; Bernhardt 1975, 413f.: „Amicitia et societas“. Entsprechend ist Rom auch nicht dem Hilfegesuch der Stadt nachgekommen, obgleich es ein Zeitfenster von acht Monaten gab; vgl. Pol. 3,15,1 und 3,15,2–5. Vgl. Pol. 3,17,9–11. Vgl. Pol. 3,17,5. Mit Fabius Pictor und anderen nicht namentlich genannten Autoren setzt sich Polybios auseinander; vgl. Pol. 3,8,1 und 3,20. Von Ennius ist nichts überliefert zu Sagunt; vgl. Enn. ann. 7 [Frg.]. Es wird aber angenommen, dass Silius Italicus diesen für seine ausführliche Beschreibung in der Punica benutzt habe; so Dorfbauer 2008, 83–108 und Klotz 1933, 1–34. Vgl. Liv. 21,7,4–10. Genutzt wird hier die Textausgabe von Josef Feix in der 4. Aufl. 2000 (Sammlung Tusculum). Vgl. Liv. 21,8,1–9,2.

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römischen Verhandlungsversuche habe Hannibal mit einer Rede, die reiche Beute in Aussicht stellte, seine Truppen zum erneuten, noch heftigeren Sturmangriff angetrieben. Dabei sei es gelungen, die Stadtmauer in noch größerem Umfang einzureißen und in die Stadt einzudringen, worauf sich die Saguntiner hinter einer hastig errichteten Behelfsmauer auf der Burg und im Stadtkern verschanzt haben sollen.41 Die letzte Phase der Belagerung ist dann auf Verteidigerseite geprägt von allgemeinem Mangel (simul crescit inopia omnium longa obsidione)42 und Hoffnungslosigkeit, während Stück für Stück die noch gehaltenen Positionen verlorengehen. Livius spricht von einem „schrecklichen Kampf“ (atroxque proelium), der zuletzt um die Burg und den Stadtkern entbrannte.43 Nach einer Unterbrechung, die erneut Verhandlungsversuche und Reden zum Gegenstand hat, schildert Livius die letzte Verzweiflungstat. Die Edlen der Stadt, die nicht gewillt waren, ihr Hab und Gut Hannibal zu überantworten, verbrannten sich selbst mitsamt ihren Reichtümern und Angehörigen (in forum conlatum in ignem), worauf Furcht und Schrecken (pavor ac trepidatio) die ganze Stadt ergriffen habe.44 Nach diesem dramatisch-epischen Höhepunkt fällt die Stadt. Hannibal habe darauf Befehl gegeben, alle Erwachsenen (totis viribus […] ullum discrimen aetatis) zu töten, Männer, Frauen und auch die Alten.45 Im letzten Abschnitt operiert Livius dann mit dem Wort ira und schließt damit seine Erzählung, wobei auch hier, ebenso wie bei Polybios, noch die reiche Beute Erwähnung findet.46 Das Wort ira verweist in der Endphase der Belagerung auf eine Gewalteskalation, die geprägt ist vom Verlust der emotionalen Selbstkontrolle und brutalsten Affekthandlungen. Dies betrifft beide Parteien, erst die Saguntiner, die in ira/rabies sich und die Ihren verbrennen, und dann die Soldaten Hannibals, die in Raserei und Zorn die verbliebenen Einwohner Sagunts ohne Ausnahme niedergemacht haben sollen. Mit dem Schlagwort der ira als emotional aufgeladenen Terminus werden die Dehumanisierung der Kriegsparteien und der Schrecken der Kriegshandlung noch einmal deutlich vor Augen geführt. Der Untergang der Stadt wird somit in einem Bild in Erinnerung gehalten, welches von einem unkontrollierten Emotionsausbruch bestimmt ist, der die Humanität und die Regeln der zivilisierten Kriegsführung vollständig negiert. Am Ende ist das Kriegsgeschehen ganz von Motiven des Cháos erfüllt, von Kontrollverlust, Zorn, Wahnsinn und der daraus resultierenden grenzenlosen Brutalität. Wie bereits an der

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Vgl. Liv. 21,11,3–11. Vgl. Liv. 21,11,12. Vgl. Liv. 21,12,3. Vgl. Liv. 21,14,1f. Vgl. Liv. 21,14,3. Vgl. zum Motiv der crudelitas und mangelnden Affektkontrolle Waldherr 2000, 200. 46 Vgl. Liv. 21,15,1f. Was den Akt der völligen physischen und materiellen Selbstvernichtung partiell relativiert.

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welchem dann die schrecklichsten Gräueltaten und so eben auch anthropophage Handlungen vorstellbar werden. Bereits am Ende der Römischen Republik griff Cicero Sagunt in mehreren seiner Schriften und Reden als exemplum auf und belegt damit die allgemeine Bekanntheit und fertige Ausformung des Stoffs.48 Eine Auseinandersetzung mit dem parricidium erfolgt hier in der Schrift paradoxa Stoicorum. Damit wird klar, dass das parricidium, welches später Livius in sehr drastischen Bildern präsentiert, bereits kanonisiert war.49 Zwei Elemente dominieren demnach die Erinnerung: zum einen das Motiv der Fides Saguntina und zum anderen das parricidium, welches die schreckliche, aber konsequente Erfüllung der Bündnistreue und Freiheitsliebe der Saguntiner darstellt. Wicha spricht hier vollkommen zu Recht vom „Saguntmythos“.50 Und in der Tat ist das Bild stark von episch-mythischen Elementen überlagert, die den Fall Sagunts und den Kampf der Saguntiner ins Heroische übersteigern. Im Besonderen das Motiv der Selbstverbrennung in auswegloser Lage erinnert an Fälle aus mythischer bzw. grauer Vorzeit, etwa an die Selbstverbrennung Herakles auf dem Oeta51 oder den Tod bzw. Sterbeversuch des Kroisos.52 Die bei den antiken Autoren erwähnten Fälle der kollektiven Selbstverbrennung stellen ein heroisierendes Element in den Erzählungen dar. Livius benutzt das Motiv insgesamt dreimal, und zwar neben Sagunt auch für die Eroberung der spanischen Stadt Astapas 206 v. Chr., diesmal durch die Römer. Nur nennt es hier Livius eine „grässliche und wilde Untat gegen sich und die Ihrigen“ (facinus in se ac suos foedum ac ferum consciscunt).53 Und auch für das Ende der Stadt Abydos 200 v. Chr. wird das Motiv eingesetzt. Hier schreibt Livius, dass die Belagerten „in Raserei gerieten, wie die Saguntiner“ (ad Saguntinam rabiem versi).54 48 Vgl. z. B. Cic. Balb. 23,205–212: Verantwortung Roms als Schutzmacht; Cic. Phil. 5,27,2: Parallelisierung Sagunt/Mutina – Hannibal/Mark Anton. 49 Vgl. Cic. parad. 3,26; hierzu vgl. Wicha 2002/2003, 181. Das parricidium erwähnt schon Diod. 25,15 in Verbindung mit dem Scheiterhaufen; später auch App. Ib. 12 allerdings ohne Scheiterhaufen. Die Frage, unter welchen Umständen der Verwandtenmord akzeptabel ist, wird auch in Sen. Rhet. contr. 9,4,5; Quint. decl. 369,2 und inst. 3,88,22f. erörtert, woraus Wicha schließt, dass es sich hier um einen klassischen Deklinationsstoff der Rednerausbildung handelt. Zum Begriff Kanon vgl. Assmann 82018, 103–129. 50 Vgl. Wicha 2002/2003, 179–190. 51 Vgl. z. B. Cic. Tusc. 2,20 als Mittel der Apotheose. 52 Vgl. Hdt. 1,86–91 hier nicht vollzogen; vgl. aber die Amphora des Myson um 490 v. Chr.; ferner auch Hdt. 7,107: der persische Befehlshaber Bogis und seine Familie in der Festung Eion. Zur Selbstverbrennung mit weiteren Quellenbelegen vgl. Dietrich 2017, 139–143. 53 Vgl. Liv. 28,22,5f. (Übers. Feix 2000); hier geschieht dies aus dem Bewusstsein der eigenen Verbrechen und der unausweichlichen Strafe für den Raub und die Versklavung römischer Bürger. Vgl. z. B. auch Diod. 16,45,4–6 zur Selbstverbrennung der Sidonier nach dem Aufstand gegen Artaxerxes III. im Jahr 346/345 v. Chr.; zu diesen und anderen Fällen vgl. Dietrich 2017, 144–148. 54 Vgl. Liv. 31,17,5 (Übers. Feix 2000); vgl. auch Pol. 16,31. Vgl. hierzu Wicha 2002/2003, 183. Das ganze Geschehen ist hier aber stark kultisch geprägt durch die Anwesenheit der Priester, den Schwur und die Einbeziehung von Opfertieren, Altar und Artemisheiligtum, was eher auf ein rituelles Selbstopfer, und zwar für den Sieg, schließen lässt. Zu solchen Selbstopferungen

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Das Verwenden solcher Extrembilder sorgt dafür, dass das Ereignis hervorgehoben wird und sich in der Erinnerung verankert. Der antike Historiograph zeigt hier auch seine Fertigkeit, die entscheidenden Akzente setzen zu können, die dann zu Erinnerungsmarkern werden. Jedoch scheint Livius auf den ersten Blick eher inflationär und inkonsistent mit diesem Marker umzugehen. Auf den zweiten Blick generiert Livius allerdings Assoziationsketten, die auf das exemplum Sagunt zurückverweisen und den Exemplaritätscharakter dieses Ereignisses noch mal verstärken. Das Bild vom Untergang Sagunts durchläuft in der Kaiserzeit einen interessanten Paradigmenwechsel. War in der späten Republik noch die Figur der im heroischen Kampf sterbenden Saguntiner, die bis zum Schluss treu zu Rom standen und ihre Freiheit stolz verteidigten, dominierend, so erreicht in flavischer Zeit das Schreckensbild, welches nicht mehr Vorbildcharakter besitzt, sondern mahnt und abstößt, seine volle Ausprägung. Plinius der Ältere hält in seiner Naturgeschichte eine Anekdote fest, wonach im Jahr der Einnahme Sagunts ein neugeborenes Kind zurück in den Mutterleib gekrochen sei,55 was wohl als prodicium für den hereinbrechenden Schrecken, die lebensverachtende Gewalt und den Zusammenbruch menschlicher und göttlicher Gesetzmäßigkeit zu verstehen ist. Womöglich deutet dies auch schon auf das Schreckensbild der Teknophagie hin. Im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts n. Chr. prägt dann im Besonderen Silius Italicus das Bild vom Untergang Sagunts.56 In seiner Punica, seinem Epos über den Zweiten Punischen Krieg, übernimmt Silius das Bild von der Selbstverbrennung der Saguntiner, was auch hier das schaurige Finale markiert.57 Allerdings widmet sich Silius zuvor ausgiebig der Hungersnot (ieiunium/fames) in der Stadt, die in drastischen Bildern, auch des physischen und psychischen Verfalls, von ihm gezeichnet wird.58 Nur zum Äußersten lässt es Silius nicht kommen. Die Saguntiner werden bei ihm nicht zu Kannibalen, gleichwohl die Not es verlangt habe. Es ist bezeichnenderweise die Göttin Fides, die personifizierte Treue, die die Saguntiner davon abhält, „das Leben besudelt durch Verbrechen zu verlängern und ihren Hunger mit dem Fleisch ihrer Nächsten zu stillen.“ 59

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im Krieg, hier für Athen 403 v. Chr. vgl. Flaig 1991, 129–149; ferner für Rom Schwenn 1915, 154–164. Vgl. Plin. nat. hist. 7,3,35. Plinius führt hier die Episode nicht weiter aus, sondern listet sie lediglich in einer Reihe „abnormaler“ Geburten. Insofern geht er davon aus, dass die Hintergründe allgemein bekannt sind. Vgl. Sil. 1,296–2,695. Zu den Abweichungen gegenüber Livius und Polybios, i. B. in der Abfolge der Ereignisse, vgl. Klotz 1933, 11–15, der dies auf die jüngere Annalistik zurückführt. Auch Livius wurde benutzt, wie dies an der nahezu identischen Beschreibung der phalarica in Sil. 1,350 (vgl. Liv. 21,8,10) deutlich wird. Zur Entstehung, zum Aufbau und zur Überlieferung vgl. Küppers 1986, 1–21. Vgl. Sil. 2,596; zum Gesamtaufbau vgl. Küppers 1986, 107–170, bes. 164–170. Vgl. Sil. 2,461–525; vgl. Liv. 21,11,12 (s. o.). Vgl. Sil. 2,521–525; zur Bedeutung der Fides bei Silius Italicus vgl. Pomeroy 2010, 59–76 und Küppers 1986, 165. Sil. 2,524f.: sed prohibet culpa pollutam extendere lucem casta Fides paribusque famem compescere membris.

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Zwei Punkte sind hervorzuheben: Zum einen entscheidet sich Silius ganz bewusst dazu, den Notkannibalismus als virulente Gefahr zu thematisieren, lässt ihn aber nicht zur Realität werden, da dies offenbar nicht zu seinem Heldenbild passt und zweifelsohne auch die memoria an die Saguntiner irreversibel beschädigt hätte. Stattdessen wird die Fides Saguntina betont. Zum anderen zeigt uns aber allein schon die Erwähnung, dass das Bild der dem Notkannibalismus verfallenden Saguntiner bereits etabliert und allgemein bekannt war. Silius bietet hier einen Gegenentwurf, der sich explizit gegen die Vorstellung wendet, in der Stadt sei es tatsächlich zu Kannibalismus unter den Einwohnern gekommen. Zugleich kann er damit den Notkannibalismus dennoch als Erinnerungsmarker verwenden, ohne aber das Erinnerungsbild zu verdunkeln. Der Topos des Notkannibalismus als Bestandteil des Saguntmythos scheint schon in neronischer Zeit vorhanden gewesen zu sein, denn schon Petronius kann Sagunt nebst Numantia und Petelia als kanonisches Beispiel für den Notkannibalismus in Belagerungssituationen anführen.60 Allerdings ist es möglich, dass Sagunt als exemplum für den Notkannibalismus noch umstritten war, denn Petronius versucht mit seiner Satyrica bewusst zu provozieren und Kontroversen zu erzeugen, was im Besonderen auch für diese Stelle gilt. Hier verfügt Eumolpus in seinem Testament, dass die Bürger von Kroton seinen Leichnam öffentlich verspeisen sollen, wenn sie sein Vermögen erben wollen.61 Die exempla für den Notkannibalismus dienen dabei zur Beweisführung, dass Kannibalismus durchaus vorkommt und es im Grunde zwischen Menschenfleisch und anderen Fleisch keinen Unterschied gäbe, sondern es allein auf die Raffinesse der Zubereitung und Esskultur ankäme. Spannend sind die zwei anderen Fallbeispiele, die Sagunt zur Seite gestellt werden. Diese sind keineswegs wahllos ausgesucht. Numantia ist der Hauptplatz der Keltiberer, speziell der Arivaker, und befindet sich damit in einem geographischen Raum mit Sagunt.62 Erst nach einjähriger Belagerung wird die Stadt 133 v. Chr. von den Römern erobert.63 Demnach ist der Fall genau konträr gelagert zur Fides Saguntina. Petelia hingegen findet den Untergang als treue Verbündete Roms durch Hannibal, also vergleichbar mit Sagunt, ist allerdings auf bruttischen Boden gelegen und offenbar als geographisch nahes Beispiel entworfen.64 60 Vgl. Petron. 141,9. 61 Vgl. Petron. 141,2–11 (die Überlieferung bricht hier ab); hierzu vgl. Köstner 2018, 191–222, bes. 204–210 und Tietz 2013, 381. 62 Allerdings ist Sagunt eine iberische Siedlung im Siedlungsraum der Edentani, nicht der Keltiberer. In antiker Vorstellung sei die Stadt sogar eine Gründung des Hercules (Sil. 1,274; 1,368; 2,581); vgl. Wicha 2002/2003, 181–183. Aus Gründen der Namensähnlichkeit hat man auch Zakynthos als Mutterstadt angesehen vgl. Liv. 21,7,2; Strab. 3,4,6 und App. Ib. 7,2. 63 Vgl. App. Ib. 96 und Val. Max. 7,6 ext. 2 mit den tadelnden Worten: nulla est in his necessitatis excusatio; nam quibus mori licuit, sic vivere necesse non fuit. 64 Vgl. Pol. 7,1,3 und Liv. 23,30,1–5 operieren allerdings nicht mit dem Kannibalismusmotiv, sondern lassen die Bewohner in der Hungersnot Baumrinden und Leder essen. Die Gegenüberstellung des Schicksals der Saguntiner und Petelier ist so in Val. Max. 6,6 ext. und Sil. 12,432 zu finden. Frontin. strat. 4,5,18 berichtet auch von einem parricidium an Kindern und Frauen.

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Auffällig ist die geographische Schwerpunktsetzung. Insbesondere für den Siedlungsraum der Kelten werden wiederholt in Not- und Kriegssituationen Fälle von Kannibalismus überliefert, vor allem für die Iberische Halbinsel. Neben Numantia wäre noch die Stadt Calagurris zu nennen. Dieses exemplum stellt Juvenal neben das von Sagunt und will damit aufzeigen, dass der Kannibalismus, der aus Not erfolgt, weniger abscheulich sei.65 Um diese kühne These glaubhaft vorbringen zu können, braucht Juvenal Sagunt als positiv konnotiertes Beispiel, denn in Calagurris verbindet sich der Kannibalismus mit einem römischen Feindbild, dem der Vasconen, die bis 72 v. Chr. Pompeius erbittert Widerstand geleistet hatten.66 Juvenal benutzt diese exempla innerhalb eines satirisch-ethnographischen Diskurses über kannibalistische Praktiken in Ägypten. Bereits Caesar schilderte seine Gallier im Gallischen Krieg als ‚Traditionskannibalen‘. Er lässt im belagerten Alesia den adligen Critognatus eine kunstvolle Rede halten, die als Ultima Ratio zum Kannibalismus aufruft und dies sogar mit dem gallischen mos maiorum begründet.67 Bei Strabon sind es dann die Kelten auf den Britischen Inseln, die ihre Alten verschlingen, statt sie zu bestatten. In Notlagen hätten überdies Kelten und Iberer immer wieder zum Kannibalismus gegriffen.68 Eine Art Kriegskannibalismus in brutaler Raserei wird überdies den Kelten in Griechenland und Kleinasien nachgesagt.69 Wenn also Juvenal den Saguntinern und Calagurritanern Kannibalismus zuschreibt und Petronius zusätzlich den Numantianern, kann dies nur schwer als Beleg für einen historischen Kannibalismus angesehen werden, wie dies etwa Tietz annimmt.70 Vielmehr scheinen die Satiriker hier mit klassisch-ethnographischen Vorstellungsmustern zu spielen. Wie das Bild der kannibalischen Saguntiner im Einzelnen entstanden und wer hierfür verantwortlich ist, lässt sich nicht mehr klären. Rekonstruierbar ist aber, aus welchen Einflüssen und literarischen Traditionen sich dieses Bild geformt haben muss. Dabei spielen ethnographische Topoi, ob diese nun im Einzelnen auf Sagunt passen oder nicht,71 genauso eine Rolle wie das Bemühen des Historikers, wirkungsvolle Erinnerungsmarker zu setzen. Der Topos der Anthropophagie markiert das Ereignis als außergewöhnlich und ruft hierbei sehr starke Emotionen hervor, die sich aus dem mythographischen und ethnographischen Gedächtnis speisen. Der

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und Frauen. Denkbar ist, dass hier der Kannibalismus für die Petelier neu erfunden wurde, um ein exemplum zu erhalten, welches geographisch nah bei Kroton liegt und damit ein überzeugenderes Vorbild für die Einwohner bietet. Vgl. Iuv. 15,94–115. Vgl. Val. Max. 7,6 ext. 3; Flor. epit. 2,10,9; Oros. hist. 5,23,14. Überdies soll sogar das Heer des Sertorius aus 50.000 Kannibalen bestanden haben, was hier vor allem die Keltiberer meint; vgl. Sall. Hist. 1,107M. Vgl. Caes. BG. 7,77. Zur Rede des Critognatus vgl. Wagner 2022, 285–295; Brown 2019, 283– 307; Tsitsiou-Chelidoni 2010, 125–155, bes. 140–144 und Schieffer 1972, 477–494. Vgl. Strab. 4,5,4 und 4,201,4. Vgl. Paus. 10,24: die Kelten als Kinderfresser in Kallium [Kallipolis, Lokris?] 279 v. Chr. Vgl. Tietz 2013, 381. Sagunt ist eben keine Stadt der Keltiberer, aber das dürfte im Zweifelsfall kein Hindernis dargestellt haben, die Vorstellungen über die kannibalischen Kelten auch auf die benachbarten Iberer zu übertragen, wenn es nützlich erschien; vgl. Strab. 4,201,4.

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hervor, die sich aus dem mythographischen und ethnographischen Gedächtnis speisen. Der Kannibalismus bleibt eine Tabuhandlung, die schockiert, abschreckt, Ekel (fastidium) erregt72 und eine Identifizierung mit den Tätern ausschließt. Soweit sich dies überblicken lässt, folgt auf den Kannibalismus nie die Rettung, sondern die Vernichtung. Auf Grund dessen eignet sich der Topos der Anthropophagie viel eher als Vorwurf gegenüber Feinden, wie dies auch Hannibal getroffen hat, dessen Heer nach römischer Kriegspropaganda voll von kannibalischen Wilden gewesen sein soll.73 Die römischen Satiriker machen bei der Benutzung dieser exempla zwischen positivem und negativem Erinnern keinen Unterschied.74 Hier ist dies nicht so wichtig. Eine Unterscheidung muss es aber in der Historiographie geben. Zumindest erkennen wir bei Silius, der allerdings kein Historiker ist, noch das Problem, welches sich daraus ergibt, wenn die Saguntiner zu Kannibalen gemacht werden. Das positive exemplum wird mit einem überaus starken malus konterminiert. Der Topos der Anthropophagie, mit welchem Feind- und Schreckensbilder erzeugt werden, blockiert die Identifikation mit dem bonum exemplum der Fides Saguntina. Zugleich ließe sich die Eroberung und Zerstörung der Stadt als gerechtfertigtes göttliches Strafgericht auslegen, was ganz gewiss nicht im römischen Interesse lag. Auch die Verantwortung Roms, keinen Hilfsversuch unternommen zu haben, wiegt hier schwerer. Eine Umkodierung des positiven exemplum ist so eher schwer vorstellbar in einer Zeit, in der noch Karthago als Feind existierte oder Hispanien noch nicht vollständig romanisiert war.75 Der Paradigmenwechsel muss aber in augusteischer Zeit eingesetzt haben und spätestens in der Adoptivkaiserzeit abgeschlossen gewesen sein. In eben dieser Zeit ist dann auch die Romanisierung Hispaniens vollendet und die Aufrechterhaltung der Fides keine tagespolitische Aufgabe mehr. Wichtiger ist nun ein neuer Wert: die Pax Romana, zu welcher auch das umkodierte exemplum Sagunt einen Beitrag leistet, und zwar als Beleg für die Schrecken des Kriegs, womit der Wert des Friedens und die Bedeutung Roms als ‚globale‘ Ordnungsmacht verdeutlicht werden. Der düstere Tenor, der bei Livius mit der Schilderung des parricidium anklingt, wird durch den Kannibalismustopos ins Abscheulichste gesteigert. Der gedankliche Schritt vom kollektiven Selbstmord zum Kannibalismus ist nicht sonderlich groß und sogar recht naheliegend. Die 72 Vgl. hier Petron. 141,6f. 73 Vgl. Pol. 9,24,6: Vorschlag des Monomachus; vgl. Cass. Dio 14,57,3 und Porphyr. abst. 2,57. Vgl. auch Liv. 23,5,12: Rede des Konsul Gaius Terentius Varro 216 v. Chr. Zur Dämonisierung und zu den Topoi im römischen Feindbild Karthago/Hannibal vgl. jetzt auch Wackerow 2020, bes. 69f.; systematisch erfasst in Waldherr 2000, bes. 199f., 205–219; zu dem später entstandenen positivistischen Hannibal-Bild vgl. ebd. 219f. 74 In Iuv. 15,94–115 wird zwar differenziert: so soll der Notkannibalismus der Saguntiner weniger schlimm gewesen sein als das, was die Ägypter praktizieren. Es ist aber zu bezweifeln, dass dem Notkannibalismus tatsächlich mehr Akzeptanz entgegengebracht wurde. 75 Nach den Punischen Kriegen und dem Ende Karthagos war das exemplum der Fides Saguntina sicherlich auch in den Phasen der Romanisierung bzw. Eroberung Hispaniens nützlich; also bis in augusteische Zeit.

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ira/rabies, die das parricidium motiviert und zu einer Entmenschlichung führt, erreicht ihre stärkste Ausprägung im Bild der sich gegenseitig nicht nur tötenden, sondern fressenden Saguntiner. Die Verbindung Hungersnot und Kannibalismus ist bereits in verschiedenen ethnographischen und historiographischen Werken angelegt,76 sodass diese Vorstellung leicht auf Sagunt übertragbar war. Das bonum exemplum der Fides Saguntina wird dafür jedoch zurückgestellt bzw. in Kauf genommen, dass seine Funktionalität stark beeinträchtigt ist. Dafür setzt der Topos der Anthropophagie einen starken Marker für eine fern zurückliegende Gewaltzeit, die als Negativfolie das Bewusstsein dafür schärft, jetzt unter der Herrschaft Roms und des Kaisers in einer besseren Zeit, in Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu leben. Im 5. Jahrhundert n. Chr. ist das Schreckensbild Sagunt fest verankert im kulturellen Gedächtnis. So hält Augustinus fest: „Die Geschichte ihres Unterganges auch nur zu lesen, geschweige denn darüber zu schreiben, ist schauerlich.“77 Dennoch führt der Kirchenvater das Schauderhafte komplett aus. Die Hungersnot, Gerüchte um Kannibalismus, der Scheiterhaufen und der kollektive Selbstmord werden genannt. Das exemplum Sagunt wird noch einmal vor dem Hintergrund der Belagerung und Plünderung Roms 410 n. Chr. aktualisiert. Die Interpretatio Christiana macht Sagunt zu einem exemplum nicht nur für die Grausamkeit des Kriegs, sondern nun auch für die Nutzlosigkeit der paganen Götter, die die Saguntiner trotz ihrer Treue nicht bewahrten und ebenso Rom vor der Plünderung nicht bewahren konnten. Bei Augustinus vollendet sich also die Transformation des Mythos Sagunt vom positiven zum negativen exemplum, welches nun die christliche Argumentation stützt und das bonum exemplum der Fides Saguntina vollends negiert. Rom 410 n. Chr.: Die Apokalypse der Kannibalen Die Plünderung Roms vom 24. bis 28. August 410 n. Chr.78 stellt die Geschichtswissenschaft vor ähnlich schwere Probleme wie im Fall Sagunt. Die Überlieferung scheint auf den ersten Blick zwar reichhaltig. Dennoch wissen wir nicht wirklich, was im Sommer 410 in Rom tatsächlich geschehen ist. Auch für dieses Fallbeispiel gilt, dass bei genauer Betrachtung das überlieferte Ereignis mehr durch die reiche Vorstellungskraft der antiken Autoren geformt ist als durch valide Informationen gesichert.79 Dazu kommt, dass unsere Quellenautoren ein starkes politisches oder auch religiöses Interesse mit ihrer Darstellung verbinden, was zu einer bewussten Verzerrung des Geschehens führte. Zwischen christlichen und paganen Autoren 76 Neben Hdt. 3,25 (Kambyses) stellt vor allem Thuk. 2,70 (Podideia) eines der ältesten Beispiele dar. 77 Aug. civ. 3,20 (Übers. Schröder BKV 1,1, 1911): cuius interitum legere, quanto magis scribere, horroris est. 78 Zum genauen Datum vgl. Prosp. 1240 (s. a. 410); Theoph. Conf. a. m. 5903 und Cedr. 588. 79 Dieses Problem betont auch aktuell Meier 2019, 34. Vgl. zu diesem Problem von Rummel 2013, 17–27.

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paganen Autoren kam es regelrecht zu einer ‚Schlacht‘ der topischen und höchst tendenziösen Bilder. Im Unterschied zu Sagunt geht es hier aber nicht um das Kreieren eines (bonum) exemplum, sondern um das Erschaffen und Kommemorieren eines Traumas und die politische und religiöse Imagination, Ausdeutung und Instrumentalisierung des Ereignisses. Hierbei lassen sich in der Überlieferung zwei Haupttendenzen fassen: eine das Ereignis nivellierende und eine, die die Geschehnisse stark dramatisiert und mit eindrücklichen Gewaltbildern und dem Schockeffekt operiert. Vertreter der nivellierenden Lesart sind etwa Rutilius Namatianus und Orosius, wobei ersterer die Roma renascens80 in erstaunlich zukunftsoptimistischen Bildern propagiert und letzterer im Bemühen, die Plünderung Roms heilsgeschichtlichpositivistisch einzuordnen, die Schäden und das Leid dermaßen herunterspielt, dass dies schon grotesk, zumindest aber unglaubwürdig wirkt. Angesichts der großen Zahl der Römer und ihrer Rede, „könne man denken, dass nichts passiert sei […] als die Stadt ruhig gestürmt wurde“ – so Orosius.81 Über hundert Jahre später blickt der Senator Cassiodor, der allerdings im Dienst des Ostgotenkönigs Theoderich stand, recht versöhnlich auf die Plünderer zurück, die ihren Sieg milde ausgekostet hätten (clementer usi victoria sunt).82 Die gegenläufige Tendenz zeichnet sich dadurch aus, dass das Ereignis als epochale Katastrophe und gravierende Zäsur ausgewiesen und so im kulturellen Gedächtnis als kollektives Trauma des Occident und Orient verankert wurde.83 Zeitnah zum Ereignis geschieht dies noch in einem stark emotional aufgewühlten Duktus. An Hieronymus’ Wehklage im Prolog seines Ezechielkommentars wird dies deutlich:84 […] Nachdem das strahlendste Licht aller Länder ausgelöscht wurde, ja, das Haupt des Römischen Reiches abgeschlagen ist und, um es richtig auszudrücken, in einer Stadt der gesamte Erdkreis zugrunde gegangen ist, da wurde ich stumm und demütig und redete nicht

80 I. B. im berühmten Rom-Hymnus Rut. Nam. 1,5ff.; vgl. u. a. Wagner 2021, 171–181; Meier/Patzold 2013,69–82 und Schierl 2013, 233–264. 81 Oros. hist. 7,40,1. Vgl. zu Orosius Meier 2019, 26–35 und Meier/Patzold 2013, 58–68. Vgl. auch Olymp. fr. 25 (Blockley) zum Bevölkerungswachstum als Indikator der Rekonvaleszenz (wohl handelt es sich hier um Geflüchtete aus den verwüsteten Gebieten Italiens); vgl. Wagner 2021, 192f. Ferner vgl. Philostorg. h. e. 12,5. 82 Cassiod. chron. 1185; vgl. Meier 2019, 30. 83 Dies meint die mediterrane römisch-antike Welt, die eben auch weite Teile des Orients einschließt – so schreibt z. B. Hieronymus im fernen Bethlehem. Zugleich meint dies aber auch die Rezeption in der ‚Westlichen Welt‘ vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Zur Wirkungsund Rezeptionsgeschichte vgl. z. B. Meier/Patzold 2013, 165–234; Rebenich 2009, 49–59 und Demandt 1984; ferner die Sammelbände Harich-Schwarzbauer/Pollmann 2013 und Lipps/Machado/v. Rummel 2013 (mit Fokus auf der archäologischen Forschung). 84 Hier. Ez. pr. 12–17: Postquam vero clarissimum terrarum omnium lumen exstinctum est, immo romani imperii truncatum caput: et, ut verius dicam, in una urbe totus orbis interiit, obmutui et humiliatus sum, et silui a bonis, et dolor meus renovatus est: concaluit cor meum intra me, et in meditatione mea exarsit ignis [Ps 38,4] […]. Vgl. z. B. Meier 2019, 26f., Meier/Patzold 2013, 31–39 oder Zwierlein 1978, 49–59 [vgl. die überarbeitete Fassung 2004, 430–434].

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(einmal) von guten Dingen und mein Schmerz erneuerte sich; in mir wurde mein Herz heiß und in meinen Gedanken entbrannte ein Feuer.

Ambivalente und inkonsistente Bilder bleiben aber auch hier nicht aus, insbesondere, wenn in mehreren Anläufen das Thema traktiert wird und wechselnde Eigen- und Fremdinteressen im Vordergrund stehen. So hat Hieronymus offenbar kein Problem damit, erst den ‚Weltuntergang‘ zu beklagen und später in seinem Nachruf auf die Witwe Marcella das Geschehen heilsgeschichtlich-positivistisch umzudeuten.85 Zugleich arbeitet auch hier Hieronymus mit schrecklichen Katastrophenbildern und gibt seine Betroffenheit und Trauer kund:86 Das Wort bleibt mir in der Kehle stecken und Schluchzen mischt sich beim Diktieren in meine Stimme. Die Stadt wird erobert, welche die ganze Welt eingenommen hat, ja sie wird eine Beute des Hungers ehe das Schwert sie schlägt und kaum einige wenige bleiben übrig, um in die Gefangenschaft geschleppt zu werden. Der Wahnsinn zwingt die Hungernden zu entsetzlichen Nahrungsmitteln zu greifen; gegenseitig zerfleischt man sich die Glieder und die Mutter schont nicht den Säugling und verzehrt den, welchen sie kurz zuvor geboren hat.

Für uns ist dieser Passus auch deswegen interessant, da hier der Topos der Anthropophagie/Teknophagie erstmals für Rom eingeführt wird, und zwar gleich in der denkbar grausamsten Ausprägung. So hätten Mütter vor Hunger ihre neugeborenen Säuglinge gefressen. Auch in diesem Fall steht das Motiv verbunden mit dem Wahnsinn (rabies), womit die Dehumanisierung der Belagerten bereits vor dem Fall der Stadt abgeschlossen ist. Gegenseitig zerfleische man sich die Glieder. Die Bewohner Roms werden in der Not zu Bestien. Das Schockierende ist nicht etwa der militärische Fall der Stadt oder die Gewalttaten der Feinde, sondern die Vorstellung, dass das „strahlendste Licht aller Länder“,87 die Stadt Rom, die Ordnung und Zivilisation der Welt gebracht hat, nun selbst im Cháos versunken ist. Gerade der Topos der Anthropophagie, angewendet auf Rom, lässt das Ereignis der Belagerung und des Falls der Stadt zu einer Katastrophe kosmischen Ausmaßes heranwachsen. In seiner Vorstellung imaginiert Hieronymus die Apokalypse, die nicht wenige seiner Zeitgenossen nun erwarteten.88 Es geht also nicht nur um einen 85 Vgl. Hier. ep. 127,13f.: Marcella (PLRE 2, 542f.) wird zwar misshandelt, habe aber durch Christi Hilfe nichts gespürt. Dann sei sie in die Basilika des Apostels Paulus geleitet worden, wo sie einige Tage später friedlich, angeblich gesund und unversehrt, entschlief. Zur Schonung der Kirchen als Asylort und einer römisch-barbarischen Prozession zu Alt-St. Peter vgl. auch Oros. hist. 7,39,1–10. 86 Hier. ep. 127,12 (Übers. Schade BKV 1,15, 1914): Haeret vox, et singultus intercipiunt verba dictantis. Capitur Urbs, quae totum cepit orbem: imo fame perit antequam gladio, et vix pauci qui caperentur, inventi sunt. Ad nefandos cibos erupit esurientium rabies, et sua invicem membra laniarunt, dum mater non parcit lactenti infantiae, et recipit utero, quem paulo ante effuderat. Vgl. Klein 2016, 658; Zwierlein 2004, 431–434 und Sugano 1983, 159. 87 Hier. Ez. pr. 12 (siehe oben). 88 Hier vgl. auch Aug. civ. 1,33: die Klage in fernen Ländern. Vgl. zur apokalyptischen Naherwartung im 5. Jh. u. a. Kitchen 2013, 641–660; Bleckmann 2008, 13–40 und ders. 2007, 97– 110. Vgl. hierzu auch die Interpretation der Daniel–Apokalypse (Dan 2 und 7) durch Hieronymus: Hier. Dan. 1,2,31–35; vgl. Bleckmann 2008, 33.

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Marker für das Erinnern einer außergewöhnlichen Gewaltzeit, sondern vielmehr um das Markieren der Endzeit. Aufgrund der moralischen Schwäche und mangelnden Standhaftigkeit der Römer siegt im universalen Urkampf nun scheinbar das Cháos. Die Frage, die Hieronymus ein Jahr zuvor bereits aufgeworfen hatte – „was ist heil, wenn Rom zugrunde geht?“89 – stellte sich jetzt erst recht. Bei der drastischen Darstellung spielt allerdings auch die Verbitterung Hieronymus gegenüber der Tibermetropole, die er an anderer Stelle mit der „Hure Babylon“ 90 gleichsetzt und damit ihre moralische Verkommenheit anprangert, eine Rolle.91 Hieronymus muss ja nicht dermaßen bestialisch Rom und die Römer untergehen lassen. Er entscheidet sich bewusst dafür. Für die Einschätzung seiner Arbeitsweise als auch für die Intentionsbewertung ist wichtig, woraus Hieronymus für seine Darstellung schöpfte. Offensichtlich hatte er nur vage Gerüchte vernommen und suchte sich die passenden Bilder in der Bibel, aber auch bei Vergil und vor allem bei Flavius Josephus zusammen. Der Fall Roms wird, wie dies schon Zwierlein erkannte, mit dem Untergang Trojas und im Besonderen mit der Einnahme Jerusalems 70 n. Chr. gespiegelt.92 Das Bild der Mütter, die ihre Neugeborenen verschlingen, findet sich zum einen schon unter den apokalyptischen Fluchwörtern der Bibel93 und im zweiten Buch der Könige,94 im Kontext der Belagerung von Samaria, und zum anderen in der Maria-Episode bei Flavius Josephus.95 Somit ist bereits in der Bibel und der jüdisch-hellenistischen Historiographie, die von den christlichen Autoren genutzt wurde,96 die Anthropophagie, im Speziellen die Teknophagie, als eschatologisches Schreckensbild verankert. Das Kannibalismusmotiv ist hierbei Bestandteil einer Mikro- oder Präapokalypse, also des göttlichen Strafgerichts an einem Volk oder einer Stadt. Dass Hieronymus den Topos der Anthropophagie/Teknophagie als apokalyptisches Bild einsetzt, ist gerade auch mit Blick auf die Bibel und Flavius Josephus sehr naheliegend. Zugleich muss sich Hieronymus, wenn er Josephus

89 Hier. ep. 123,16,4: quid salvum est, si Roma perit? (datiert auf 409); vgl. Meier 2019, 26f.; Zwierlein 2004, 431. 90 Vgl. Hier. Didym. spir. praef.; vgl. Klein 2016, 655–657. Zum Verhältnis des Hieronymus zu Rom vgl. auch Rebenich 1992, 141–208 und Sugano 1983. Zur Moralkritik vgl. auch Aug. civ. 1,33 mit sehr drastischen Worten: O mentes amentes. quis est hic tantus non error, sed furor, […] hanc animorum labem ac pestem, […]. 91 Vgl. Klein 2016, 653–682. 92 In Hier. ep. 127,12 wird Ps 78 verwertet, der die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier betrauert; vgl. Zwierlein 2004, 431. 93 Besonders Dtn 28,52f. 94 Vgl. 2 Kön 6,24–30 (wiedergegeben auch in Ios. ant. Iud. 9,60–67), vgl. hierzu Klein 2016, 665. 95 Vgl. Ios. bell. Iud. 6,3–217, bes. 201–219; vgl. hierzu Klein 2016, 661–669 und Stathakopoulos 2011, 35–43. 96 Vgl. Eus. H. E. 3,6,24–32. Zur Rezeption des Flavius Josephus im 5. und 6 Jh. vgl. Schreckenberg 1972, bes. 89–105.

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Kannibalismustopos bewusst gewesen sein. Denn wir können schon bei Josephus97 lesen, solches sei bei Griechen und Barbaren nie bezeugt worden und man könne es kaum glauben, wenn man es hört.98 Es handelt sich quasi um das Extrem im Extrem und als solches markiert es für Jerusalem wie auch für Rom ein unfassbares, übermenschliches und übernatürliches Geschehen, welches jegliche Vorstellungskraft und alle Grenzen sprengt. Der durch das Verbrechen der Anthropophagie gekennzeichnete zivilisatorische und moralische Fall Roms wird durch den Sachverhalt noch verschärft, dass der vermeidlich ‚barbarische‘ Feind, statt die Verkörperung des Cháos zu sein,99 sich durch christlich-zivilisierte Humanität hervorgetan haben soll. Die Weltordnung wird auf den Kopf gestellt. Die Römer werden zu Kannibalen und die ‚Barbaren‘ zu Hütern der Ordnung, die Kirchen und Gläubige geschont haben sollen.100 Mit dem Bild der stadtrömischen Kinderfresserei setzt Hieronymus einen außerordentlichen Erinnerungsmarker des Grauens und komplettiert damit sein apokalyptisches Erwartungsbild vom inneren Fall, dem moralischen, kulturellen und humanitären ‚Verrotten‘ Roms und der damit einhergehenden Auflösung der römischen Weltordnung. Während Augustinus lediglich eine Parallelisierung mit dem Fall Sagunts vornimmt und hier auch den Notkannibalismus tradiert,101 nutzen vor allem die griechischen Autoren den Kannibalismustopos für ihre Schilderung der Belagerung Roms. Mit Blick auf den Kirchenhistoriker Sozomenos, lässt sich feststellen, dass das Bild der kannibalischen Römer auch noch dreißig Jahre später im Umlauf war, allerdings als Gerücht, denn wir lesen hier, dass nur „vermutet wurde, einige Leute hätten Menschenfleisch gegessen“ (ὑπονοηϑῆναι δὲ τινας καὶ ἀνϑρωπείων

97 Ios. bell. Iud. 6,3 (Übers. Michel/Bauernfeind 1969): καὶ τί δεῖ τὴν ἐπʼ ἀψύχοις ἀναίδειαν τοῦ λιμοῦ λέγειν; εἶμι γὰρ αὐτοῦ δηλώσων ἔργον οἷον μήτε παρʼἝλλησιν μήτε παρὰ βαρβάροις ἱστόρηται, φρικτὸν μὲν εἰπεῖν, ἄπιστον δὲ ἀκοῦσαι. καὶ ἔγωγε μὴ δόξαιμι τερατεύεσϑαι τοῖς αὖϑις ἀνϑρώποις, κἄν παρέλειπον τήν συμφορὰν ἡδέως, εἰ μὴ τῶν κατʼ ἐμαυτὸν εἶχον ἀπείρους μάρτυρας. Vgl. Klein 2016, 661–664; Zwierlein 2013, 260 und Zimmermann 2013, 251–254. 98 Was so nicht stimmt, denn z. B. für Numantia wird die Teknophagie überliefert; vgl. Petron. 141,9 (womit hier eine Steigerung des Schreckens: Sagunt – Petelia – Numantia erzeugt wird). In der Tat ist diese extremste Ausprägungsform des Kannibalismustopos äußerst selten angewendet worden, vgl. noch Quint. decl. 12,27. Hierzu vgl. Klein 2016, 661; Stathakopoulos 2011, 35–46 und Zwierlein 2004, 433f. 99 Das Schreckensbild der „Cháos-Barbaren“ wird vor allem für den Rheinübergang der Quarden, Vandalen, Sarmaten, Alanen, Gepiden, Heruler, Sachsen, Burgunder und Alamannen in der Silvesternacht 406/407 überliefert; vgl. Hier. ep. 123 (ähnlich apokalyptisch auch Soz. 9,12,3 und Philost. 11,7–12,3). Vgl. auch die Schilderung des Radagaisus-Einfalls in Italien 405/406; hier i. B. Oros. hist. 7,37,6 mit der Gegenüberstellung zu Alarich. 100 Vgl. Hier. 127,13f.; Oros. hist. 7,39,1f.; Aug. civ. 1,7; Soz. 9,9f. und Sokr. 7,10. Dass dies in der Realität nicht ganz so war, zeigt sich an den Opfern, neben Marcella vermutlich auch der christliche Senator Pammachius (ein enger Freund des Hieronymus, PLRE 1, 663); vgl. Rebenich 1992, 23–27, 199–203. Die reichen Donative an Alt-St. Peter, die Lateranbasilika und S. Lorenzo: Lib. pontif. 1,233, die unter Valentinian III. erfolgten, deuten darauf hin, dass die Kirchenschätze durchaus in Mitleidenschaft gezogen worden waren. 101 Vgl. Aug. civ. 3,20.

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ἀπογεύσασϑαι κρεῶν).102 Interessanterweise und sicherlich auch bewusst platziert, findet sich die Erwähnung dieses Gerüchts unmittelbar nach der Kritik an der hochfliegenden Antrittsrede des Usurpator Priscus Attalus. Dieser hatte zuvor noch die Wiederherstellung der Herrschaft Roms über den Erdkreis, und im Speziellen über den römischen Osten und Ägypten, gelobt.103 Die wohl bewusste Kontrastierung des Herrschaftsanspruchs der Stadt Rom mit dem Gerücht, dass die stolzen Römer statt zu Herren der Welt, am Ende abgeschnitten von der Getreidezufuhr aus Africa104 zu Kannibalen geworden seien, lässt die Anthropophagie als Quittung für die stadtrömische Hýbris erscheinen. Anders als bei Hieronymus trägt hierfür Alarich keine Verantwortung, denn dieser ist zum Zeitpunkt noch ein Verbündeter der Stadt.105 Wiederum etwas anders sieht es bei Philostorg aus, der allerdings nur durch die Exzerpte des Photios überliefert ist, womit sich eine gewisse Unsicherheit über den Originaltext verbindet. Nach Photios müsste Philostorg den Kannibalismus im Spätsommer 409 eingeordnet haben, und zwar als Folge der Einnahme des Hafens von Ostia/Portus während der zweiten Belagerung Roms. Dabei käme auch hier das Bild einer auf den Kopf gestellten Welt zum Tragen, denn erst Alarich stellt im Bund mit Attalus und dem Senat die Ordnung und vor allem die Versorgung der Stadt vorübergehend wieder her:106 Alarich ließ nach der Proklamation (des Attalus) dem verbliebenen Rest der Römer, was jedenfalls der Hunger selbst und das gegenseitige Auffressen (von diesen) übriggelassen hatten, Nahrung vom Portus bringen.

Das Bild der auf den Kopf gestellten Welt und die Nutzung des Kannibalismustopos dürfte sich bei Philostorg, ähnlich wie schon bei Hieronymus, in ein endzeitliches Denken einordnen.107 Die Markerfunktion des Topos wurde wohl bewusst minimiert. Es bleibt bei einem Nebensatz, wie auch das gesamte Geschehen, was noch bei Hieronymus als epochales Ereignis breit beschrieben wurde, in der Rückschau und räumlichen Distanz sich nur noch als eine weitere Schreckensetappe unter vielen darstellt. In diesem Sinne scheint es für Philostorg auch unerheblich zu sein, ob dies ein Gerücht oder bezeugt war. Gerade in der Beiläufigkeit der Erwähnung, unter der bewussten Vermeidung von Akzenten oder emotionaler Ergriffenheit,

102 Soz. 9,8,8. 103 Soz. 9,8,2; vgl. die Parallelüberlieferung bei Olymp. fr. 10,1 (Blockley) und Zos. 6,7,4. Hierzu vgl. aktuell auch Wagner 2021, 87–98, bes. 89–94 mit weiterer Literatur. 104 Der comes Africae Heraclianus (PLRE 2, 539f.) widersetzte sich erfolgreich dem Attalus und unterband die Getreidelieferungen; vgl. Soz. 9,8,8; Olymp. fr. 10 (Blockley) und Zos. 6,12,1. 105 Zum Vergleich Sozomenos und Philostorg vgl. Wirbelauer 2011, 236f. Hier. ep. 127,12 ordnet den Kannibalismus hingegen in die Zeit der zweiten (eigentlich dritten) Belagerung durch Alarich im Sommer 410 ein; lässt aber auch in seiner stark komprimierten Darstellung die Usurpation des Attalus unerwähnt. Zur Chronologie vgl. Wirbelauer 2011, 238f. 106 Philost. 12,13 (Übers. Bidez 1981): Οὗτος δὲ λοιπὸν μετὰ τὴν ἀναγόρευσιν τὸ λείψανον τῶν Ῥωμαίων, ὅπερ ὁ λιμὸς αὐτὸς καὶ ἡ ἀλληλοφαγία ὑπελείπετο, τροφὴν αὐτοῖς κομίζειν ἀπὸ τοῦ Πόρτου ἐφίησιν. Vgl. Wirbelauer 2011, 237–240, bes. 240. 107 Vgl. Bleckmann 2008, 14–20 und ders. 2007, 97–109.

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erschreckender Nüchternheit das Entsetzlichste veralltäglicht. Am Ende ist es dann nur ein Satz in dem „fremdstämmiges Feuer und feindliches Schwert“ die Größe des Ruhms und das Prestige der Stadt zerlegen.108 Gerade aus oströmischer Perspektive war das Kannibalismusgerücht und im Besonderen der damit verbundene Prestigeverlust Roms politisch sogar nützlich, um dem Vorrang und Herrschaftsanspruch des alten caput mundi eine endgültige Absage zu erteilen. Dies dürfte vor allem die Position des oströmischen Kaisers und Hofs, aber auch des östlichen Klerus gestärkt haben. So ist es sicherlich auch kein Zufall, dass das Gerücht besonders von den griechischen Autoren aufgenommen und verbreitet wurde. Dies betrifft mit Olympiodor von Theben ebenso einen Profanhistoriker, der erkennbar zu Gunsten der machtpolitischen Überlegenheit Konstantinopels schrieb.109 Olympiodor, der uns abermals nur durch Photios überliefert ist, setzt den Kannibalismus (ἀλληλοφαγία/allelophagía)110 offenbar in der letzten Belagerung Roms an, also im August 410.111 Wir erfahren nur, dass während die Stadt belagert wurde, ihre Einwohner dem Kannibalismus verfielen. Auffällig ist, dass diese Notiz den Beginn des Abschnitts markiert und so sicherlich als Aufmerksamkeitsmarker fungieren sollte. Hierbei wirkt die äußerst knappe Notiz bei Olympiodor/Photios, drastischer, da außer der Belagerung keine näheren Gründe angegeben werden. Die Hungersnot und der Verlust von Ostia/Portus bleiben unerwähnt. So wirkt es, als seien die Römer beim ersten Anrücken Alarichs sofort zu Kannibalen geworden. Die Dekonstruktion des Rommythos, des Prestiges und der Vorrangstellung der Stadtrömer spielt hier eine wichtige Rolle. Der Kannibalismus wird dabei nicht hinterfragt, sondern als Fakt präsentiert. Des Weiteren ist zu bemerken, dass im selben Abschnitt auch die Ermordung Serenas und Eucherius’, der Frau und des

108 Philost. 12,13: καὶ τὸ ἐντεῦθεν τῆς τοσαύτης δόξης τὸ μέγεθος καὶ τὸ τῆς δυνάμεως περιώνυμον ἀλλόφυλον πῦρ καὶ ξίφος πολέμιον καὶ αἰχμαλωσία κατεμερίζετο βάρβαρος.Vgl. Wirbelauer 2011, 241f. und Bleckmann 2007, 104 mit Verbindung zum prodicium in Philost. 10,9. 109 Das gesamte Werk ist Kaiser Theodosius II. gewidmet und endet mit dem Triumph über den Usurpator Johannes und der Inthronisierung Valentinians III., womit ab 425 die politische Dominanz Konstantinopels besonders augenfällig wurde; vgl. Phot. Bibl. cod. 80. Die dezidiert oströmische Perspektive wird z. B. auch an der negativen Bewertung des Constantius III. deutlich; vgl. Olymp. fr. 23 und 33,1. Zu Olympiodor als „Panegyriker“ der theodosianischen Dynastie vgl. Chaffin 1993, lxiv, 170 mit Anm. 7; Matthews 1975, 385f. und ders. 1970, 79–97, hier 97. Zu Olympiodor vgl. aktuell Stickler 2014, 85–102 und van Nuffelen 2013, 130–152. 110 Vgl. Olymp. fr. 7,1 (Blockley): Ὅτι ἐν τῇ πολιορκίᾳ τῆς Ῥώμης ἀλληλοφαγία τῶν ἐνοικούντων ἐγίνετο. 111 In der vorangehenden Stelle Olymp. fr. 6 (Blockley) ist die Ereignisabfolge zum Teil sehr wirr paraphrasiert, ebenso in fr. 7,1 (Blockley). Olympiodor/Photios nennt hier zwar nur eine Belagerung, allerdings wird danach erst das Lösegeld an Alarich und der Tod Serenas und des Eucherius erwähnt, was dafürsprechen könnte, dass in der Vorlage eigentlich die erste Belagerung gemeint war (Ende 408); in Zos. 5,40,1 ist es dann auch so eingeordnet.

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Olympiodor113 möglicherweise als politischen Kannibalismus verstanden wissen wollte, der dem tatsächlichen Kannibalismus, der dann hier auch als Strafe aufzufassen wäre, vorausging.114 Bis zum Ende des 5. Jahrhunderts entwickelt sich das Kannibalismusgerücht zu einer zynischen Anekdote weiter, die rückblickend mit weitem Zeitabstand sowohl die weströmische Kaiserherrschaft als auch den Senat und das Volk von Rom in der Banalität des Grauens gänzlich karikiert. Zosimos nutzt das Kannibalismusmotiv gleich zweimal für Rom: zum einen im Kontext der ersten Belagerung 408 und dann erneut während der Herrschaft des Attalus 409/410. Im ersten Passus hält Zosimos fest:115 Als nun die Not aufs Höchste stieg, auch alles versucht worden war, vor dem die Menschen sonst Abscheu haben und zu fürchten war, sie möchten sich untereinander selbst aufzehren, so beschloss man endlich eine Gesandtschaft an den Feind zu schicken mit der Erklärung: Rom sei zu einem gemäßigten Frieden geneigt, aber noch mehr zum Kriege gerüstet, […].

Hier ist es also nur eine Befürchtung, dass der Kannibalismus auf Hungersnot und Pestilenz116 folgen könnte. Auf den ersten Blick lässt Zosimos die Römer sogar heldenhaft und stolz denken. Sie bekunden ihre Kampfbereitschaft, was aber in Anbetracht der zuvor geschilderten Not ein schwacher Bluff ist. Auch hier wird also die maßlose Prahlerei und Selbstüberschätzung der Römer aufgezeigt und an der Realität, wie sie sich Zosimos vorstellt und uns drastisch vor Augen führt, zerschmettert. Dem positiven exemplum Sagunts, auch ohne Hilfe bis zum Äußersten zu kämpfen, kann und wird das römische Volk hier nicht gerecht werden. Zosimos lässt Alarich mit Spott und Gelächter auf die angeblich überwältigende Zahl der kampfbereiten Römer antworten: „Je dichter das Gras, desto leichter das Mähen!“117 Im zweiten Passus verarbeitet Zosimos das Kannibalismusmotiv auf noch zynischere Weise. Während der Herrschaft des Attalus und dem Ausbleiben der Getreidelieferungen aus Africa soll das stadtrömische Volk im Circus skandiert haben: „Pretium inpone carni humanae!, das heißt: ‚Setze doch einen Preis für Menschenfleisch fest!‘“118 Was Zosimos mit dieser verhältnismäßig marginalen 113 Zur stilichofreundlichen Überlieferung vgl. Wirbelauer 2011, 230f., der hierzu auch Zosimos und Sozomenos zählt. 114 Hierfür spricht auch die äußerst brutal geschilderte Tötung des Olympius, der maßgeblich den Sturz und die Hinrichtung Stilichos (u. a. Zos. 5,32–44; Olymp. fr. 8 (Blockley)) verantwortet hatte; vgl. zum Tod des Olympius Olymp. fr. 8,2 (Blockley). 115 Zos. 5,40,1 (Übers. Veh 1990): Ὡς δὲ εἰς ἔσχατον τοῦ κακοῦ προϊόντος καὶ εἰς ἀλληλοφαγίαν ἐλθεῖν ἐκινδύνευσαν, τῶν ἄλλων ἁπάντων ὅσα ἐξάγιστα εἶναι τοῖς ἀνθρώποις ἐδόκει πεπειραμένοι, πρεσβείαν ἔγνωσαν στεῖλαι πρὸς τὸν πολέμιον, ἀπαγγελοῦσαν ὅτι καὶ πρὸς εἰρήνην εἰσὶν ἕτοιμοι τὸ μέτριον ἔχουσαν καὶ πρὸς πόλεμον ἑτοιμότεροι, τοῦ Ῥωμαίων δήμου καὶ ἀναλαβόντος ὅπλα καὶ τῇ συνεχεῖ περὶ ταῦτα μελέτῃ μηκέτι πρὸς τὸ πολεμεῖν ἀποκνοῦντος. 116 Vgl. Zos. 5,39 die Folgen der Blockade Ostias/Portus. 117 Vgl. Zos. 5,40,3. 118 Zos. 6,11,2: Εἰς τοσοῦτόν τε ἦλϑεν ἡ πόλις στενοχωρίας ὥστε ἐλπίσαντας καὶ ἀνϑρωπίνων ἅπτεσϑαι σωμάτων τοιαύτην φωνὴν ἐν τῇ ἱπποδρομίᾳ ἀφιέναι pretium inpone carni humanae, „τοῦτοδέ ἐστιν ὅρισον τῷ ἀντρωπ ίνῳ κρέει τιμήν. Paschoud, Bd. III, 1989, 271 setzt die Begebenheit im Sommer 410 an.

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Spitze ausdrückt, ist doch recht substanziell. Das gesamte römische Ordnungsdenken wird pervertiert und dies in einer Szenerie, die für gewöhnlich die kulturelle und zivilisatorische Großleistung Roms aufzeigt, nämlich bei den prunkvollen spectacula. Entscheidend ist der Gedanke, dass der Kaiser (bzw. sein Stadtpräfekt) als Quelle allen Rechts und Garant der Ordnung direkt aufgefordert wird, die Menschenfresserei und den Preis für das entsprechende Fleisch zu regeln. Der Topos der Anthropophagie wird als Spottbild verwendet, das zum einen den moralischen Verfall der Stadtrömer vor Augen führt und zum anderen in der Retrospektive das vermeintlich abgewirtschaftete, mittel- und machtlose weströmische Kaisertum bloßstellt. Dies zielt auf die Überlegenheit der Nea Roma Konstantinopel ab. Zugleich schreibt Zosimos hier auch als überzeugter Anhänger der alten Kulte, der die Vernachlässigung der Götter als Ursache für den desolaten Zustand der römischen Herrschaft ansah und entsprechend ein Eigeninteresse daran hatte, den Niedergang und Fall Roms aufs Dramatischste auszuschmücken.119 Neben dem Bestreben, den nimbus der Stadt Rom und der Stadtrömer zu zerstören, spielt hier abermals auch der Strafgedanke eine Rolle. Entsprechend wird von Zosimos die Markerfunktion des Kannibalismustopos weitestgehend minimiert. Der Topos wird zweimal verwendet, womit er an Bedeutung verliert. Außerdem handelt es sich in beiden Fällen nur um die Wiedergabe einer Befürchtung. Ob sich diese erfüllte, wird hier offengelassen. Zugleich findet sich auch hier eine Möglichkeit, den Kannibalismus als Metapher der Sitten- und Sozialkritik zu interpretieren und mit beschriebenen Handlungen assoziativ in Verbindung zu setzen. So prangert Zosimos im selben Abschnitt den Wucher und das Zurückhalten von Vorräten an,120 an anderer Stelle auch den Egoismus der Senatoren, die lieber anstelle ihres Vermögens an die altehrwürdigen Tempelschätze gingen, um die Forderungen Alarichs zu begleichen.121 Am Ende sind sich die Römer selbst die schlimmsten Feinde und zerfleischen sich gegenseitig. Das Kannibalismusmotiv versinnbildlicht so gleichermaßen den inneren Zerfall des (stadt)römischen Gemeinwesens, womit sich dies insgesamt in ein stark dystopisches Weltbild einordnet. In beiden Fällen geht es nicht allein um die Grausamkeit des Krieges oder das Markieren einer außergewöhnlichen Gewaltzeit, sondern eben auch um das Sichtbarmachen des selbstverschuldeten inneren Verfalls und Verendens eines Ideals, das des alten Roms, seines Ruhms und seiner Größe.

119 Vgl. i. B. Zos. 5,41. 120 Vgl. Zos. 6,11,1. 121 Vgl. Zos. 5,41,7–12.

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Verratsmotiv.123 Aus Mitleid mit den Römern, „die an Hunger und anderen Drangsalen dahinstarben und sich gegenseitig auch schon aufzehrten“,124 habe eine Aristokratin namens Proba125 die Porta Salaria126 öffnen lassen. Zusammen mit der Anekdote vom hühnerzüchtenden Honorius, der sich nur um seinen Hahn Roma sorgte,127 greift Prokop ein Erinnerungsbild auf, welches die Unfähigkeit der weströmischen Kaiser, die Eigenschuld der Senatsaristokratie und das schändliche Verhalten der Stadtrömer, deutlich macht. Auch hier zeigt sich also ein Bemühen, den Ruhm und die Größe Roms zu negieren und das alte caput mundi als den ‚kranken Mann am Tiber‘ darzustellen, der ohne oströmische Hilfe nicht mehr lebensfähig war. Dies hat sowohl nach 410 seine politische Relevanz und spiegelt die überbordende Dominanz Konstantinopels wider als auch besonders unter Justinian, der die Rückeroberung des Westens anvisierte und in Teilen realisieren konnte. Insofern ist hier die Anwendung des Kannibalismustopos politisch motiviert. Im Werk des Prokop dient der Topos der Anthropophagie aber auch als Marker für eine außergewöhnliche Gewaltzeit, die das Jahr 410 noch mal besonders hervorhebt, denn für die Belagerungen Roms durch Witichis und Totila in den Jahren 537/538 und 545/546 n. Chr. setzt Prokop das Motiv erstaunlicherweise nicht ein, obgleich gerade hier der Überlebenskampf in der Hungersnot besonders drastisch geschildert wird.128 Dies zeigt uns, dass auch noch im 6. Jahrhundert der Notkannibalismus keineswegs zum standardisierten Beschreibungsrepertoire von Belagerungen und Kriegszeiten gehörte. Für das exemplum Rom trifft dies im Besonderen zu. Im Unterschied zu Zosimos scheint Prokop außerdem Skrupel zu haben, das Volk von Rom zu Kannibalen werden zu lassen.129 Er distanziert sich sprachlich von den Gerüchten zum Jahr 410 und dupliziert den Vorgang auch nicht für die Belagerungen Roms in den Gotenkriegen.130

123 Eine andere Variante des Verratsmotivs findet sich in Prok. BV 1,2,22–24, wonach 300 Sklaven, die Alarich den Senatoren zum Geschenk gemacht hatte, die Tore geöffnet haben sollen; auch Soz. 9,9,2 spricht allgemein von Verrat. 124 Prok. BV 1,2,27 (Übers. Veh 1971): […] οἰκτεῖραι μὲν λιμῷ τε καὶ τῇ ἄλλῃ κακοπαθείᾳ διαφθειρομένους Ῥωμαίους, οἵ γε καὶ ἀλλήλων ἤδη ἐγεύοντο: […]. 125 Gemeint könnte hier sein Anicia Faltonia Proba: PLRE 1, 731f. (Proba 3). Dahinter steht vermutlich Kritik an den Aniciern, die sich auch bei Zosimos finden lässt: Zos. 6,7,4 (hier die Verweigerungshaltung gegenüber Attalus); vgl. auch Matthews 1975, 297–300. 126 Vgl. Prok. BV 1,2,22. 127 Vgl. Prok. BV 1,2,25f. Zur Anekdote und ihrer Interpretation vgl. Engels 2009, 118–129. 128 Vgl. i. B. Prok. BG 3,17,9–20 (a. 545/546): hier der Verzehr von Tierkadavern, Brennnesseln und den eigenen Exkrementen. Vgl. hierzu Klein 2016, 660f. und Stathakopoulos 2011, 38f. Zu den Spezifika in der Darstellung der Gotenkriege bei Prokop vgl. Whately 2016, 158–196. 129 Zum Verhältnis Prokops zu Rom und seine Hochachtung gegenüber den Stadtrömern, ihrer Stadt und Erinnerungskultur vgl. Muth 2006, 438f. 130 Vgl. Prok. BV 1,2,27: τίνες δε [...] φασίν; so auch die Einschätzung Zwierlein 2004, 460. Der Notkannibalismus (Teknophagie) wird für die Belagerung 545/546 allerdings von Datius und Paulus Diaconus überliefert; vgl. Klein 2016, 660.

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Für andere Kriegsschauplätze nutzt Prokop das Kannibalismusmotiv aber durchaus, um die Kriege Konstantinopels ins Epische zu übersteigern.131 Bilder extremster Gewalt waren schon in der homerischen Dichtung ein wichtiger Baustein der epischen Erzählung.132 Das Schreckensbild des Kannibalismus stellt so bei Prokop ein episierendes Narrativ dar, welches den kriegerischen Konflikt zum universalen Entscheidungskampf zwischen dem Cháos und dem Kósmos hochstilisiert und den irreversiblen Zusammenbruch der Zivilisation, Ordnung und Humanität markiert. Dies ausgerechnet für das alte caput mundi Rom nach 410 wiederholt anzunehmen, war für Prokop offenbar schwer vorstellbar. Auch wenn Rom hier ausgenommen ist, so wird dennoch Italien in den Gotenkriegen Justinians am Ende zum Land der Kannibalen und entfernt sich damit von der zivilisierten Oikuméne.133 Prokop zeigt damit für das einstige Kerngebiet der römischen Herrschaft einen dramatischen Dehumanisierungs- und Dezivilisierungsprozess an. Italien wird endgültig zur Peripherie herabgestuft. Die Reintegration in das von Konstantinopel aus Beherrscher (Rest-)Imperium scheitert.134 Versuch einer Bilanz: Die Anthropophagie als Marker für Gewaltzeiten? Die Frage, ob es tatsächlich zu Kannibalismus in Sagunt und Rom gekommen war, ist nicht so entscheidend und war auch nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Tatsächlich ist es nicht vollkommen ausgeschlossen, in äußerster Not zu solch einem Mittel zu greifen. Jedoch lässt sich der Wahrheitsgehalt auf Grundlage der Quellen, die mit zum Teil erheblichem zeitlichem Abstand und in räumlicher Ferne zum Geschehen verfasst wurden, unmöglich prüfen.135 Es war dagegen wesentlich wichtiger und auch ergiebiger, zu klären, wieso die antiken Autoren dieses drastische Gewaltbild überhaupt überliefert haben und welche Intentionen sie damit verfolgten. Dabei wurde klar, dass es im Fall Sagunt und Rom nicht um das Festhalten und Erinnern von historischen Fakten geht, sondern um die Ausdeutung und Einordnung dieser Ereignisse im Kontext des eigenen Weltverstehens. Das Kannibalismusmotiv ist hierbei ein wirkungsvolles Instrument der Ereignisdeutung 131 Vgl. Prok. BG 3,16,1 für Placentia; Prok. BG 2,20 für Urbibentus; Prok. BP 1,9,21–23 für Amida (auch überliefert durch Josua Stylites (Jos. Styl. 76f.) und Ps.-Zacharias (Ps.-Zach. 7,4f.)); zu Amida und den Quellen vgl. Whately 2016, 72–74, 102f., 109f.; Meier 2009, 207– 211 und Luther 1997, 188f. 132 Zur episierenden Darstellung Prokops in Anlehnung an die Ilias vgl. Whately 2016, 158–196, bes. 181. Zu extremen Gewaltbildern in der Ilias vgl. Zimmermann 2013, 98–107. 133 Vgl. Prok. BG 2,20,2 und BG 3,16,1. Zwischen 536 und 552 wird Rom fünfmal eingenommen (536, 546, 547, 550 und 552), zum Teil nach monatelanger Belagerung und Hungersnot. 134 Bedingt vor allem durch die enormen Kriegsschäden (Zerstörung der Aquädukte Roms; vgl. Prok. BG 1,19) und den infolgedessen eintretenden Bevölkerungsschwund. Zu den Gotenkriegen und seinen Folgen vgl. aktuell Meier 2019, 799–851. 135 Gerade in diesem Fall führt die Forderung von Zerjadtke, den potenziellen Realitätsgehalt zu prüfen und einzukalkulieren, dass der Topos auch auf einen wahren Kern zurückgehen kann, nicht weiter; vgl. Zerjadtke 2020, 139f.; hier i. B. auch die Analyse zur antiken Historiographie von Free 2020, 27–37.

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und Leserlenkung. Es rückt das Geschehen, die Zeit und seine Akteure in ein ganz bestimmtes Licht, und zwar in ein äußerst düsteres, geradezu apokalyptisches. Der Topos der Anthropophagie kennzeichnet dabei zunächst als besonders wirkungsvoller Erinnerungsmarker eine außergewöhnliche Gewaltzeit. Anhand der antiken Darstellungen zur Belagerung und der Einnahme von Sagunt und Rom ließ sich dies verdeutlichen. Das Bild der Menschenfresserei als Erinnerungsmarker einzusetzen, ist allerdings bis in die Spätantike umstritten geblieben. Die antiken Autoren nutzen zwar den Topos, um durch das außerordentliche Schreckensbild ihre Darstellung ins Epische zu übersteigern und einen besonders emotionsgeladenen Akzent für das Erinnern zu setzen, der durch den Schockeffekt und natürlichen Ekel- und Abscheuimpuls wirkt. Gleichwohl distanzieren sich die meisten Autoren von der Vorstellung, die Stadtrömer oder Saguntiner seien tatsächlich zu Kannibalen geworden, und weisen die Nachrichten dezidiert als Gerüchte und Spekulationen aus oder belassen es bei Andeutungen. Denn die Vorstellung, dass in der höchsten Not die Zivilisation, Ordnung und Humanität versagen könnte, die politische und soziale Gemeinschaft zerfällt und Nachbarn einander fressen oder gar Mütter ihre Kinder verschlingen, ist im Sinne des antiken Welt- und Ordnungsdenken mehr als nur ein außerordentliches Gewaltbild. Es verdeutlicht die virulente Gefahr, dass das durch die Ethnographie und Mythographie determinierte dichotome Weltbild, in welchem das Cháos von der zivilisierten Oikuméne beständig ferngehalten wird, kollabieren könnte. Am Fallbeispiel Sagunt ließ sich aufzeigen, wie der Topos der Anthropophagie, der sich im Narrativ erst in der Kaiserzeit sukzessive durchsetzte, zu einer radikalen Umkodierung des Erinnerungsbilds führte. Statt der rühmenswerten Fides Saguntina, die den Verteidigungskampf der Saguntiner zum nachahmungswürdigen bonum exemplum stilisierte, wurde vorrangig an die entmenschlichende Brutalität und Schrecklichkeit dieses Kriegs erinnert. Mit dem Topos der Anthropophagie wurde das Motiv der ira/rabies, das schon im Bild des parricidium angelegt war, ins negativste Extrem gesteigert. Damit war eine Identifikation mit dem ursprünglich vorbildlich agierenden Saguntinern nicht mehr möglich. Das exemplum Sagunt erhielt in der Kaiserzeit dafür eine neue Funktion: es führte nun den Wert der Pax Romana vor Augen, indem der extreme Schrecken und das Cháos vergangener Kriegszeiten maximal betont wurden. Ein Sonderfall für die Anwendung des Kannibalismustopos stellte die Belagerungen und Einnahme Roms 409/410 dar, denn hier kollidiert die kosmologische Bedeutung des caput mundi mit der Urangst vor dem hereinbrechenden Cháos, die sich mit dem Bild des Kannibalismus verbindet. Dabei ließ sich feststellen, dass die antiken Autoren mit der Nutzung des Kannibalismustopos religiöse oder politische Interessen verfolgten. Zum einen lagen dem Bild der kannibalischen Stadtrömer eschatologische Vorstellungen und Erwartungen zugrunde, zum anderen das Bestreben, die Inferiorität des alten Roms gegenüber Konstantinopel herauszustellen und die Dekonstruktion des Rommythos voranzutreiben. Passend dazu verbindet sich das Kannibalismusmotiv auf der Metaebene offenbar auch mit einer scharfen Sozial- und Sittenkritik, die auf das

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politische Fehlhandeln der Stadtrömer, die Hýbris des Senats und die Impotenz des westlichen Kaisertums abzielte. Gerade am Beispiel von Sagunt und vor allem Rom wurde deutlich, dass das Kannibalismusmotiv aus dem Cluster der tropischen Kriegs- und Gewaltbilder136 deutlich heraussticht. Das Motiv des Kannibalismus ist verankert im mythologischethnographischen Gedächtnis und ist ein zentrales konstituierendes Element für das dichotome Weltdenken der Antike. Hierbei exemplifiziert in geradezu epischer Weise das Kannibalismusmotiv den universalen Urkampf zwischen dem Cháos und dem Kósmos. Die Anthropophagie ist somit nicht einfach nur eine Gedankenfigur, die durch den Schrecken des Tabubruchs als besonderer Erinnerungsmarker wirkt. Das Motiv kann überdies in einem religiös, politisch, ideologisch oder identitär geprägten Diskurs ein wirkmächtiges Mittel für die Neukodierung der Erinnerung und des Weltverstehens sein.

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VI CAPTA! Institutionalisierte Gewalt im Zuge von Plünderungsprozessen der römischen Kaiserzeit Florian Wieninger Einleitung1 Ungeachtet ihrer Komplexität lassen sich moderne Klassifizierungen militärischer Auseinandersetzungen im Kern noch immer auf die maßgebliche Definition des preußischen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz zurückführen: „Krieg ist […] ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“2 Bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte werden demnach als intentionale Gewaltphänomene verstanden, wodurch den verschiedenen Formen der Kriegsgewalt eine grundsätzliche ‚Sinnhaftigkeit‘ im Kontext einer übergeordneten militärisch-politischen Logik attribuiert wird.3 Die Motive der Gewaltausübung reichen dabei vom (ir)rationalen Bedürfnis nach Sicherheit und Verteidigung, über innenpolitische, ökonomische und ideologisch-religiöse Faktoren, bis hin zu juristisch begründeten oder emotional determinierten Strafmaßnahmen und militärischem Pragmatismus.4 Besonders deutlich wird die Intentionalität der Grausamkeit der römischen Kriegführung in der bekannten, von Tacitus konstruierten Rede des caledonischen Heerführers Calgacus: Hier werden die römischen Expansionsbestrebungen als Raub- und Vernichtungskriege charakterisiert, deren Ergebnis nur Verwüstung und kein Friede sei.5 Die physische Vernichtung des Feindes und die Okkupation seines Landes werden in den Kontext der Sicherung der pax Romana – des Siegfriedens aus römischer Perspektive6 – und der materiellen Bereicherung gestellt.

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2 3 4 5 6

Das Thema dieses Beitrags steht im Kontext des Dissertationsprojekts „Kriegsbeute in der römischen Kaiserzeit. Die wirtschaftlichen Facetten römischer Kriege und ihre sozioökonomischen Folgen“, für dessen Förderung ich mich ausdrücklich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes bedanken möchte. Clausewitz 1980, 191f. So sieht etwa Harald Welzer Krieg als „ein[en] Handlungsrahmen, der die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung eines überindividuellen Zwecks vorsieht und fordert“, vgl. Welzer 2013, 33. Hierzu auch: Jäger/Beckmann 2011, 218–222. Vgl. Herberg-Rothe 2003, 91–95; Neitzel 2010, 49; Kuchler 2013, 125–134. Vgl. Tac. Ag. 30,3f. Vgl. R. Gest. div. Aug. 13: „parta victoriis pax“; Goldsworthy 2016, 168–185; Stoll 2019, 179– 181 mit Anm. 408.

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Ähnliche Vorstellungen finden sich auch in den Etymologiae Isidor von Sevillas wieder. Obwohl dieses Werk erst im ersten Drittel des 7. Jh. n. Chr. entstand, sind viele der darin dargelegten Erläuterungen und Positionen inhaltlich von klassischen lateinischen Autoren übernommen oder abgeleitet.7 Dies gilt mit relativer Sicherheit auch für die in ihrer universellen Radikalität wenig zu einem christlichen Bischof passende Ansicht, dass sich der Erfolg einer militärischen Kampagne allgemein durch zwei Kriterien bemessen lässt: Entweder gelingt die physische Vernichtung des feindlichen Gemeinwesens oder dessen völlige Ausplünderung.8 Derartige Äußerungen richten den Fokus darauf, dass in der antiken Kriegführung das Schicksal eines Volkes nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern vor allem auch durch den Ausgang von Belagerungen entschieden wurde.9 Städte besaßen nicht nur aufgrund ihrer verkehrsgeographischen oder topographischen Gunstlage eine signifikante militärische Bedeutung. Vielmehr ermöglichte die Einnahme von Zentralorten, die durch ihre herausgehobene Stellung im regionalen Siedlungsgeflecht den primären wirtschaftlichen, sozio-kulturellen sowie religiösen Bezugspunkt und das politisch-administrative Zentrum darstellten, die Herrschaftsausübung über das gesamte Umland.10 Ferner konzentrierte sich der Großteil der materiell wertvollen Kriegsbeute in den Städten, da nicht nur die dortigen Einwohner tendenziell wohlhabender waren als die in Subsistenz lebende Landbevölkerung, sondern die Lokalbevölkerung zudem bei feindlichen Einfällen mit ihrem wertvollsten Eigentum dorthin flüchtete.11 Daher stellen Stadteroberungen auch einen wiederkehrenden Betrachtungsgegenstand in den Altertumswissenschaften dar. Der Fokus der meisten Forschungsarbeiten, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, liegt jedoch auf den poliorketischen Aspekten, während dagegen die Gewaltakte, die mit Plünderungsprozessen einhergehen, bisher kaum eingehender hinsichtlich ihrer strukturellen Abläufe und Intentionen untersucht wurden.12 Eine Ausnahme bildet hierbei ein besonders in der englischsprachigen Forschung häufig rezipierter Aufsatz von Adam Ziolkowski aus dem Jahr 1993, der sich mit dem Phänomen römischer Städteplünderungen auseinandersetzt. Die Plünderung einer Stadt (direptio) wird dabei als ein unkoordiniertes Gewaltszenario 7 8 9

Zu Entstehungszeitraum und Quellen der Etymologiae, vgl. Elfassi 2020, 248f., 265–269. Vgl. Isid. Orig. 18,2,1. Zur Rolle von Städten in der antiken Kriegführung: vgl. Armstrong/Trundle 2019, 6–8; Davies 2006, 25–34. 10 Vgl. Kolb 1984, 261–269. 11 Im von Dexipp wiedergegebenen Brief des Decius an die von den Goten bedrohte Stadt Marcianopolis wendet sich der Kaiser explizit auch an jene, deren Wohnsitz eigentlich im Umland lag und die angesichts der Situation nun in der Stadt Zuflucht suchten, vgl. Dexipp. F 23,9 [Martin]. Auch Tacitus erwähnt, dass sich im Vorfeld der Belagerung Jerusalems 70 n. Chr. dort Flüchtlinge aus ganz Judäa eingefunden hätten, vgl. Tac. Hist. 5,12,2. Für weitere Beispiele, vgl. J. BJ 3,141; Caes. Gal. 2,13,1f. 12 Vgl. hierzu auch den knappen Forschungsüberblick zu Belagerungen im Altertum bei Armstrong/Trundle 2019, 8f.; zur römischen Belagerungskriegführung, vgl.: Levithan 2013; Davies 2006; Peterson 2013.

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verstanden, in dem eine individuell agierende Soldateska willkürlich und uneingeschränkt über die Besiegten herfällt. Ziolkowski kommt ferner zu dem Schluss, dass römische Plünderungen im Wesentlichen unstrukturierte Vorgänge darstellten, deren Kernelement ein völliger Kontrollverlust der militärischen Führung war.13 Ein systematisches Vorgehen der römischen Truppen, wie es der griechische Historiograph Polybios anhand der Erstürmung von Carthago Nova (209 v. Chr.) skizziert14, lehnt er dagegen kategorisch ab und betont stattdessen: „An ‚orderly‘ sacking is a misunderstanding; […].“15 Kurioserweise geht Ziolkowski dabei aber von lediglich zwei „exhaustive accounts“16 römischer Stadtplünderungen aus – eine eindeutig fehlerhafte Grundannahme!17 Mehr noch liegt seiner Studie allgemein eine auf die republikanische Zeit fokussierte, durchaus selektive Untersuchung der historiographischen Quellenzeugnisse zugrunde, die die Kaiserzeit pauschal ausklammert.18 Angesichts dieser Umstände sollen im Folgenden römische Plünderungsprozesse der Kaiserzeit unabhängig von den Prämissen Ziolkowskis untersucht und dessen Darstellung dadurch auch kritisch hinterfragt werden. Hierfür sind zunächst einige methodisch-theoretische Vorüberlegungen hinsichtlich der Ausprägung und der Formen militärischer Gewalt in der römischen Antike sowie die Thematisierung der allgemeinen Quellenproblematik nötig, ehe im Anschluss die normative Regulierung, die Struktur und die Intentionen der mit römischen Plünderungsprozessen einhergehenden Gewaltakte analysiert werden können. Klassifizierung militärischer Gewalt in Plünderungsprozessen Eine Kernproblematik der Gewaltforschung besteht nicht nur im interdisziplinären Bereich darin, einen definitorischen Zugang zum Untersuchungsgegenstand zu finden. Insbesondere hinsichtlich der Frage nach den Grenzen der Anwendbarkeit des Gewaltterminus herrscht selbst in den einzelnen Fachdisziplinen durchaus Uneinigkeit.19 Daher ist zunächst das wesentliche Begriffsverständnis, das den Ausführungen dieses Beitrags zugrunde liegt, zu klären. 13 14 15 16 17

Vgl. Ziolkowski 1993, 80–90; für ein aktuelles Rezeptionsbeispiel, vgl. Baker 2021, 40. Vgl. Plb. 10,15,1–17,15. Ziolkowski 1993, 90. Ziolkowski 1993, 69. Neben den bereits angesprochenen Ausführungen des Polybios wird von Ziolkowski nur die Schilderung der Verheerung Cremonas (69 n. Chr., Tac. Hist. 3,32,1–33,2) in den Historien des Tacitus als ausführlicher Bericht angesehen. Die extensiven und für die Erfassung der Thematik nicht minder wichtigen Ausführungen des Flavius Josephus über die Erstürmung von Iotapata (67 n. Chr., J. BJ 3,316–339) und die Eroberung der Jerusalemer Oberstadt (70 n. Chr., J. BJ 6,392–419) werden dagegen ebenso vollständig ignoriert wie beispielsweise die Plünderung von Herakleia Pontike im 3. Mithridatischen Krieg (70 v. Chr., Memn. 35,4–8 [Jonnes]). 18 Einzig die Plünderung Cremonas findet Beachtung, vgl. Ziolkowski 1993, 71f. 19 Vgl. Dietl 2014, VII; Christ/Gudehus 2013, 2–4; Riess 2016, 1.

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Grundsätzlich wird (militärische) Gewalt als eine intentionale Handlung verstanden, in deren Zuge eine Gruppe von Akteuren einer Zielgruppe absichtlich physischen oder psychischen Schaden zufügt.20 Die altertumswissenschaftliche Forschung beschäftigt sich hauptsächlich mit dem politischen Kontext, den soziokulturellen Rahmenbedingungen und den Auswirkungen von Kriegsgewalt, sowohl auf die kämpfenden Individuen als auch auf die kriegführenden Gesellschaften.21 Dagegen werden die Abläufe und Intentionen kriegsspezifischer Gewalthandlungen nur vereinzelt in den Blick genommen, weshalb eingehendere methodisch-theoretische Zugänge zur strukturellen Analyse dieser Gewaltphänomene auch im Hinblick auf die römische Antike noch immer fehlen. Um sich der Materie also fundiert annähern zu können, bedarf es eines Blickes über die Grenzen der eigenen Fachdisziplin hinaus. In der Militärgeschichtsforschung zur Neuzeit, in der die Auseinandersetzung mit Gewaltformen im Krieg stärker verankert ist22, liegt durch den Klassifizierungsansatz von Daniel Hohrath und Sönke Neitzel ein flexibles Theoriemodell vor, das eine Systematisierung von sog. Kriegsgreueln erlaubt.23 Dabei werden grundsätzlich drei Kategorien unterschieden: Als intentionale Gewaltakte werden bewusst durchgeführte Normenübertretungen verstanden, die auf Befehl der militärischen Führung ausgeführt werden und die sich dadurch grundlegend von situativen Gewaltexzessen unterscheiden, die im Wesentlichen aus dem Kontrollverlust der militärischen Entscheidungsträger hervorgehen.24 Bei der dritten Form von Kriegsgreueln handelt es sich um strukturell bedingte Geschehnisse, d.h. Gewalthandlungen die primär durch externe Einflussfaktoren initiiert oder katalysiert wurden.25 Insbesondere das Verständnis des grundlegenden Terminus „Kriegsgreuel“ als Verstöße gegen zeitgenössische Normen zur Einhegung und Kontrolle der Kriegsgewalt stößt jedoch im Bereich der Altertumswissenschaften auf ein elementares Problem26: Der Krieg in der Antike war schrankenlos.27 In der antiken Kriegführung wurden grundsätzlich alle Teile der Bevölkerung unabhängig von Geschlecht und Alter als Kombattanten gesehen und die Gewaltausübung in militärischen Konflikten unterlag lediglich einer rudimentären normativen Regulierung.28 Nach römischem ius belli ist in einem regulären Krieg überhaupt 20 Dieses spezifische Begriffsverständnis basiert auf den grundlegenden Überlegungen zum Gewaltbegriff bei: Christ/Gudehus 2013, 5–7, 10f.; Dietl 2014, VII–X; Imbusch 2002, 34–42, 45– 47. Zur grundsätzlichen Intentionalität bzw. Funktionalität von Gewalthandlungen im Krieg, vgl. Hohrath/Neitzel 2008, 9. 21 Vgl. Gilhaus 2017, 9–18; Stoll 2020, 299–301; Stoll/Meier 2016, 4–7. 22 Hierzu vgl.: Kühne/Ziemann 2000, 39–46; Nowosadtko 2002, 192–199. 23 Für die Anwendungsmöglichkeiten dieses Ansatzes, vgl. etwa: Nyenhuis 2021. 24 Vgl. Hohrath/Neitzel 2008, 12. 25 Vgl. Hohrath/Neitzel 2008, 14. 26 Unter Kriegsgreueln werden dabei allgemein Handlungen verstanden, die gegen zeitgenössische Normen zur Einhegung und Kontrolle der Kriegsgewalt verstoßen, vgl. Hohrath/Neitzel 2008, 11. 27 Vgl. Ziegler 1998, 46. 28 Vgl. Stoll 2020, 294; Rüpke 1999, 83.

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nur eine Form der Gewaltanwendung gegenüber Feinden illegitim: die Tötung von dediti.29 Diese geringe Ausprägung gewalteinhegender Normen führt dazu, dass der Aspekt der Irregularität bzw. Illegitimität militärischer Gewalt außerhalb faktischer Kampfhandlungen in seiner Bedeutung als konstituierender Faktor für das überepochal orientierte Modell zumindest im Hinblick auf die antiken Verhältnisse überdacht werden muss.30 Zudem legt die kausal determinierte Kategorisierung anhand der Ursachen und Urheber eine prinzipielle Übertragbarkeit des Modells auf alle Formen militärischer Gewalt nahe, zumal die geringe Trennschärfe der Systematik, die auch etwaige kategorielle Überlagerungen und Übergänge zulässt, der inhärenten Dynamik militärischer Gewaltszenarien vollauf gerecht wird.31 Modifiziert man das Modell von Hohrath und Neitzel nun diesen Überlegungen folgend, so lässt es sich in dieser erweiterten Form ohne grundsätzliche Obstruktionen auf die Verhältnisse der antiken Kriegführung übertragen. Während das Verständnis strukturell bedingter Gewalt durch die Modifikationen kaum beeinflusst wird, erscheint im Hinblick auf die beiden anderen Kategorien eine definitorische Rekalibrierung sinnvoll: Unter intentionaler Gewalt werden in der Folge koordinierte und somit auch strukturierte Gewaltakte verstanden, die auf Grundlage eines Befehls oder im Zuge der Ausführung eintrainierter Schemata ausgeführt werden.32 Situative Gewalthandlungen dagegen resultieren aus der intrinsischen Motivation einzelner Soldaten(-gruppen) und stellen Taten dar, die entweder von der militärischen Führung toleriert bzw. ignoriert werden oder tatsächlich als Ergebnis eines Kontrollverlustes angesehen werden können. Quellenproblematik Nimmt man die Quellenlage in den Blick, so wird schnell klar, warum sich die Rekonstruktion des Ablaufs von Städteplünderungen oftmals problematisch gestaltet: Sofern die gewaltsame Erstürmung einer Stadt im archäologischen Befund überhaupt festgestellt werden kann, gelingt dies nur über die Resultate des

29 Die Hinrichtung von dediti wird durch die antiken Autoren äußerst negativ beurteilt: Während etwa von der ἀπιστία (App. Hisp. 60f.) oder perfidia (Suet. Gal. 3,2; V. Max. 9,6,2) der verantwortlichen Feldherren die Rede ist, spricht Sallust im Hinblick auf die Tötung der wehrfähigen Bevölkerung Capsas nach Annahme ihrer deditio (107 v. Chr.) dezidiert von einem „facinus contra ius belli“, vgl. Sal. Jug. 91,4–7. 30 Vgl. Hohrath/Neitzel 2008, 11–18. 31 Zur Dynamik der Gewalt in militärischen Konflikten, vgl. Kuchler 2013, 327–335; Nowosadtko 2002, 193f. 32 Hiermit korrespondiert auch Roths Ansatz, Gewalthandlungen in antiken Konflikten als „matter of command and control“ zu verstehen, vgl. Roth 2020, 253f.

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Gewaltausübung wird zwar bisweilen durch Gruppen- oder Individualschicksale greifbar, ohne literarische Vergleichsquellen lassen sich diese Funde jedoch kaum in das Gesamtbild der Ereignisse einordnen.34 Die strukturellen Abläufe bleiben daher im archäologischen Spektrum weitgehend im Dunkeln.35 Auch im Kontext der römischen Staatspropaganda finden die Geschehnisse im Zuge von Stadteroberungen kaum Beachtung. Am konkretesten wird die Thematik noch von den Reliefdarstellungen römischer Siegesmonumente aufgegriffen. Die Bandbreite reicht dabei von rein allegorischen Darstellungen poliorketischer Kontexte (wie im Falle des westlichen Innenreliefs der Porte Noir in Besançon 36), über die schematische Darstellung von Belagerungsverläufen37 bis hin zu einem ausgestalteten visuellen Narrativ wie es sich für die Eroberung von Sarmizegetusa (106 n. Chr.) auf der Traianssäule findet.38 Am detailreichsten wird die Gewalt, die mit der Plünderung von Siedlungen einhergeht, jedoch auf der Marcussäule greifbar (Szenen 20 u. 46): Im Kontext militärischer Strafaktionen im Barbaricum werden nicht nur die Kampfhandlungen mit den Verteidigern, sondern auch die Gefangennahme der Einwohner und die Brandschatzung der Häuser dargestellt.39 Die Intention bei allen genannten Beispielen liegt klar in der Illustration der tugendhaften Tatkraft und Sieghaftigkeit des Kaisers sowie der militärischen Überlegenheit Roms, sodass die dargestellten Gewaltakte in letzter Konsequenz lediglich als formbare Details eines übergeordneten Narratives zu verstehen sind, die im Zuge der künstlerischen Gestaltung nicht nur vereinfacht, sondern auch symbolhaft abstrahiert oder stereotyp wiedergegeben werden.40 Die epigraphischen Zeugnisse beschränken sich – sofern überhaupt das Schicksal einzelner Städte angesprochenen wird – auf die bloße Nennung der Eroberung, zumeist wird aber nur auf militärische Siege über ganze Völkerschaften oder Regionen Bezug genommen.41 Somit verbleibt als einziger konsistenter Quellenbestand für die Rekonstruktion des Ablaufs von gewaltsamen Städteeroberungen die historiographische Überlieferung.

34 Vgl. Fischer 2013, 33–40; Becker 2013, 47–50, 54–64; Meyer/Siebert/Alt 2013, 72–80. 35 Vgl. Echeverría 2019, 328f; Levithan 2019, 287f.; Roth 2020, 248. 36 Dort findet sich eine allegorische Darstellung der Einnahme Ktesiphons 166 n. Chr. wieder, vgl. Blonce 2013, 9–12; Walter 1985, Pl. LX. 37 Dies gilt vor allem für die Darstellung von Stadteroberungen auf dem Severusbogen in Rom, vgl. Lusnia 2006, 276–284. 38 Vgl. Lepper/Frere 1988, 163–171 mit Pl. LXXXII–XCV (= Szenen cxi – cxxvi). 39 Vgl. Griebel 2013, 201f. Auch die Szenen 7, 18, 71, 98 und 102 zeigen die Zerstörung von Dörfern, wenn auch mit weniger (erhaltenen) Details, vgl. hierzu die Beschreibungen und Abbildungen bei: Griebel 2013, 232–234, 238 (Szene 7), 253, 255f. (Szene 18), 258f., 261 (Szene 20), 302f., 305, 310 (Szene 46), 349, 353 (Szene 71), 393, 396f. (Szene 98), 399f., 402f. (Szene 102). 40 Vgl. Gilliver 2007, 123f.; Griebel 2013, 189–203; Zanker 1998, 53–62, 68–77; Lusnia 2006, 290–296; Hölscher 2019, 287–334. 41 Vgl. etwa die Inschrift der Siegesstele des C. Cornelius Gallus (ILS III 8995 = Pfeiffer 2020, Nr. 44): „[…] V urbium expugnator, Bore[se]\os, Copti, Ceramices, Diospoleos Meg[ales, Op]hieu […]“, vgl. Pfeiffer 2020, 237–239. Dagegen nennen die Res Gestae (R. Gest. div. Aug.

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Quellenbestand für die Rekonstruktion des Ablaufs von gewaltsamen Städteeroberungen die historiographische Überlieferung. Die Problematik dieses Umstandes zeigt jedoch der berühmte Rhetoriker Quintilian auf. In seiner Institutio Oratoria illustriert er anhand der Schilderung von Städteeroberungen als paradigmatischem Beispiel die Wirkmächtigkeit der inhaltlichen Ausschmückung von Reden. Quintilian fordert dabei freimütig dazu auf, die Vorgänge bildhaft mit fiktiven Details auszugestalten, um durch die Lebendigkeit der Ausführungen dezidiert Empathie beim Zielpublikum zu erzeugen. Als Regulativ, um die Glaubwürdigkeit dieses inhaltlichen Konstrukts zu erhalten, empfiehlt Quintilian, auf stereotype Elemente zurückzugreifen.42 Daher verwundert es kaum, dass die Beschreibungen von Städteeroberungen in der antiken Literatur oftmals von Topoi geradezu durchsetzt sind.43 Auch auf einen zweiten problematischen Aspekt der Quellenlage weist Quintilian hin, indem er ausführt, dass man bereits durch die bloße Nennung emblematischer Begriffe – direptio, eversio oder das Motiv der urbs (vi) capta – im Grunde alles erfasst, was ein solches Schicksal der gewaltsamen Eroberung einer Stadt mit sich bringt.44 Für die zeitgenössischen römischen Adressaten waren derartige Wendungen klar mit bestimmten Vorstellungen von Ereignisketten und Gewaltszenarien assoziierbar, sodass eine ausführliche Darlegung obsolet wird – sofern sie nicht ausdrücklich der Darstellungsabsicht des Autors folgt. Mögliche Motive sind neben atypischen Verläufen vor allem Bedeutungszuschreibungen in einem übergeordneten Kontext oder Narrativ.45 Beide Aspekte treffen auf die vielleicht ausführlichste Schilderung in der lateinischen Literatur der Kaiserzeit zu: die Einnahme und Plünderung Cremonas 69 n. Chr.46 Diese Episode nimmt in den Historien des Tacitus nicht nur als trauriger Höhepunkt des Konfliktes zwischen Vespasian und Vitellius eine prominente Schlüsselrolle ein, sondern sie stellt auch die erste gewaltsam erzwungene Einnahme einer Stadt auf italischem Boden seit dem Perusinischen Krieg (41/40 v. Chr.) dar. Mehr noch wird das tragische Schicksal Cremonas zum Fanal militärischer Disziplinlosigkeit und chaotischer Gewaltexzesse im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Ausnahmezustandes des bellum civile stilisiert.47 Daher lassen sich aus diesem dramatischen Sonderfall, der auch bereits in der antiken

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Vgl. Quint. Inst. 8,3,67–70. Vgl. Gilliver 2007, 123; Paul 1982, 144–155. Vgl. Quint. Inst. 8,3,67; so aber auch: Tac. Ann. 16,16,2. Paradigmatisch hierfür: Liv. 38,43,9. Vgl. Ziolkowski 1993, 69; Rohmann 2011, 155–163; Zimmermann 2009, 190–192. Vgl. Tac. Hist. 3,32,1–33,2. Die Gewaltexzesse lassen sich aber nicht nur im Kontext der Normenauflösung des Bürgerkrieges verstehen, sondern auch als Resultat des Versagens der militärischen Führung, vgl. Flaig 2019, 462–469. Auch im Falle Perusias wird die exzessive Grausamkeit der Bürgerkriegssituation betont, vgl. hierzu: Suet. Aug. 15; Vell. 2,74,4; Sen. Cl. 1,11,1; D.C. 48,14,3–5; Kienast 1999, 44–46; Bringmann 2012, 72–77.

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Wahrnehmung als solcher verstanden wurde48, kaum allgemeingültige Aussagen für andere Stadteroberungen ableiten. Weitaus aufschlussreicher für die Strukturen und Dynamiken römischer Plünderungsprozesse sind dagegen Passagen aus dem Geschichtswerk des Polybios und dem Bellum Iudaicum des Flavius Josephus. Trotz der zeitlichen Distanz, die zwischen ihnen liegt, ähneln sich ihre Hintergründe in essentiellen Punkten: Beide Historiographen entstammten einem wenig romanisierten Milieu und verfassten ihre Werke für eine ähnlich sozialisierte Adressatengruppe, weshalb spezifische Aspekte der römischen Kriegführung relativ detailliert und teilweise auch explikatorisch geschildert werden.49 Zudem heben sie sich von anderen Autoren dadurch ab, dass sie die Erstürmung und Plünderung einer Stadt durch römische Truppen tatsächlich mit eigenen Augen gesehen haben. Während Polybios als Vertrauter des Scipio Aemilianus die Eroberung Karthagos (146 v. Chr.) persönlich miterlebte50, wurde Josephus nicht nur im Gefolge des Titus Zeuge der Belagerung Jerusalems (70 n. Chr.), sondern er kannte als Stadtkommandant von Iotapata, das 67 n. Chr. von den Römern gestürmt worden war, auch die Perspektive der betroffenen Gegenseite. Letztlich war beiden Geschichtsschreibern gemein, dass ihre Nah- und Abhängigkeitsverhältnisse zu politischen Akteuren und ihre persönliche Haltung gegenüber dem Imperium Romanum eine eindeutig prorömisch gefärbte Darstellungsweise zur Folge hatten, die sich im Falle des Josephus auch durch die Rezeption und Multiplikation flavischer Propagandainhalte äußerte.51 Struktur und normative Regulierung römischer Plünderungsprozesse Das Siegerrecht als legitimierender Faktor der Gewalthandlungen in Plünderungsprozessen Die Freimütigkeit, mit der insbesondere diese beiden Autoren die Grausamkeit der römischen Kriegführung schildern, sagt bereits viel über das grundsätzliche Legitimitätsverständnis von militärischen Gewalthandlungen in der römischen Gesellschaft aus.52 Dennoch gibt es aber vereinzelt auch Stimmen, die die überbordende Gewalt verurteilen.

48 Das Schicksal Cremonas scheint reichsweit äußerst negativ aufgenommen worden zu sein (Tac. Hist. 3,61,3) und Cassius Dio sieht darin in der Retrospektive sogar eine der schlimmsten Katastrophen der römischen Geschichte, vgl. D.C. 64,15,1. 49 Vgl. J. BJ 1,1–4; Plb. 1,1,4–6; Wiesehöfer 2013, 59–63. 50 Vgl. Walbank 1972, 6–25, 71–84; Walbank 1977, 140–145. 51 Vgl. Feldman 1984, 779–787; Edmonson 2005, 1–8; Augoustakis 2016, 389; Kemezis 2016, 463–465; Cotton/Eck 2005, 37–45; Barclay 2005, 319–321; Gruen 2011, 149–161; Linder 2011, 167–170. 52 Vgl. Gilliver 1996, 219–230.

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Das deutlichste Beispiel hierfür dürfte wohl Senecas Generalkritik am Phänomen Krieg sein. Der Philosoph erkennt dabei zwar die prinzipielle staatsrechtliche Rechtfertigung der Kriegführung an, jedoch lehnt er vom moralischen Standpunkt aus die Kriege Roms als von grenzenloser Grausamkeit und Habgier geprägte Schreckenstaten ab und verurteilt die gesellschaftliche Glorifizierung des damit einhergehenden „ruhmreiche(n) Verbrechen(s) des ‚Völkermordes’ (occisarum gentium gloriosum scelus)“.53 Derartige moralisierende Überlegungen im philosophischen Bereich hatten jedoch auf die politische und militärische Praxis keinen wesentlichen Einfluss. 54 Geradezu paradigmatisch hierfür sind die in der Herrschaftszeit des Philosophenkaisers Marcus Aurelius (161–180 n. Chr.) mit entschlossener Härte geführten Feldzüge, die keinerlei Indikatoren für eine Moderation der Kriegsgewalt aufweisen.55 So wurde etwa die Doppelstadt Seleukia-Ktesiphon im Partherfeldzug des Lucius Verus mit unverminderter Grausamkeit geplündert.56 Mehr noch wird in Bezug auf die Markomannenkriege die Brutalität der römischen Kriegführung in der Staatspropaganda geradezu verbrämt: Die auf der Marcussäule dargestellten Massentötungen von Unbewaffneten (Szene 68) sowie von männlichen und weiblichen Kriegsgefangenen (Szene 61 u. 97) werden als gerechtfertigte Strafmaßnahmen in den Kontext der Wiederaufrichtung der Ordnung und Sicherheit der Grenzprovinzen gerückt.57 Nach römischem Verständnis waren die eigenen Kriege letztlich immer sakral und juristisch legitimierte Verteidigungs- oder Vergeltungshandlungen, denen eine Form der Schädigung des römischen Volkes oder seiner Verbündeten vorangegangen war.58 Dieses Konzept des bellum iustum besaß für den Principat von Beginn an eine zentrale Bedeutung, die Augustus auch in seinen Res Gestae festhielt: Die von ihm aufgerichtete Reichs- und Friedensordnung wird als Resultat der militärischen Erfolge in ausschließlich gerechten Kriegen stilisiert.59 Dadurch 53 Die Legitimierung besteht laut Seneca darin, dass die Grausamkeiten im Sinne der Staatsräson erfolgen, was sie zwar politisch, jedoch nicht moralisch rechtfertigt, vgl. Sen. Ep. 95,30. 54 Das gilt nicht nur für Seneca, sondern auch für die Lehren anderer Philosophen. So wurden die panhellenistisch motivierten Aufrufe von Platon und Aristoteles, dass Griechen einander nicht mehr versklaven sollten, ebenso offen rezipiert wie in der Praxis ignoriert, vgl. Pl. R. 5,469bf.; Arist. Pol. 1255a 22–33; X. HG 1,6,14f.; Plb. 9,39,1–3; Volkmann 1990, 73–75. So versklavte etwa Alexander III. – im Widerspruch zu den Doktrinen seines Lehrers – 335 v. Chr. als Strafmaßnahme die Einwohnerschaft Thebens, vgl. Arr. An. 1,8,8–9,10. 55 Vgl. Speidel 2017, 70–74. In seiner Innenpolitik und Selbstdarstellung ließ sich Marcus Aurelius aber durchaus von philosophischen Standpunkten beeinflussen, vgl. Horst 2013, 171–175, 203–205. 56 Vgl. D.C. 71,2,3; SHA Ver. 8,2–4. 57 Vgl. Griebel 2013, 331, 334, 338 (Szene 61); 343, 345f., 352 (Szene 68); 389, 392, 396 (Szene 97). 58 Vgl. Cic. Off. 1,36; Cic. Rep. 3,23; Liebs 2009, 305–310; Albert 1980, 12–25, 126–128; Rüpke 1990, 97–109, 117–122; Wieninger 2020, 230f.; Mantovani 1990, 25–49. Für die breite Rezeption der bellum iustum Ideologie im Denken der Kaiserzeit, vgl. Onos. 4,1–4; Dexipp. F 25,6 u. F 28,12 [Martin]. 59 Vgl. R. Gest. div. Aug. 13 u. 26. So auch: Suet. Aug. 21,1f.

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reklamierte Augustus für sich und alle seine Nachfolger die universelle Deutungshoheit über die Legitimität militärischer Gewalt.60 Beispielhaft hierfür ist der Inhalt der Antwortrede, die Aurelian im Jahr 271 n. Chr. als Reaktion auf ein Friedensgesuch der in einer Feldschlacht besiegten Iuthungen gehalten haben soll: Die Iuthungen hätten durch ihren unprovozierten (und ohne Kriegserklärung erfolgten) Einfall in das Imperium ein Unrecht begangen, das durch den römischen Sieg bestraft wurde – aus Sicht des Kaisers jedoch noch nicht ausreichend. Erst mit einer Strafexpedition über die Donau und der Verwüstung des iuthungischen Siedlungsraumes wäre das notwendige Maß an Vergeltung erfüllt, weshalb Aurelian das Friedensangebot ablehnte.61 Das im Konzept des bellum iustum abstrakt angelegte Verständnis von Plünderungshandlungen als legitime Form der gewaltsamen Einforderung von materiellen Kompensationsleistungen lässt sich auch konkret im Rechtsverständnis der Kaiserzeit fassen. Aus den Institutionen des Gaius geht hervor, dass das Siegerrecht als juristisch unanfechtbarste Legitimationsform des Eigentumserwerbs verstanden wurde.62 Diese Auffassung, der zufolge Kriegsbeute zum rechtmäßigen Eigentum des Siegers wird, findet sich entsprechend auch im Zuge der Rechtfertigung der Versklavung von Kriegsgefangenen wieder.63 Somit wird im juristischen Diskurs der Kaiserzeit dezidiert ein im Siegerrecht begründeter Anspruch auf die Ausplünderung und Versklavung des Feindes postuliert – ein gegenüber modernen Vorstellungen völlig konträres Rechtsverständnis.64 Welche Rolle diese rechtstheoretischen Maximen im militärischen Denken spielten, zeigt im Besonderen eine bei Vegetius mittelbar tradierte Kriegslist, die mit einiger Sicherheit aus der verlorenen Taktika Frontins übernommen wurde.65 Konkret wird dazu geraten, im Falle eines unklaren Kampfausgangs durch eindeutige akustische Signale, Freudengeschrei und ostentatives Plündern des Schlachtfeldes den Sieg für sich zu beanspruchen.66 Aber nicht nur in dieser Passage werden Sieg und rechtmäßiges Plündern in Relation zueinander gesetzt. Vielmehr findet sich bei den militärischen Fachschriftstellern allgemein eine ausgeprägte Dichotomie in der Bewertung von Plünderungshandlungen: Nach einem militärischen Erfolg werden diese Akte ausschließlich positiv als Einforderung des legitimen Siegeslohns beurteilt, 60 In republikanischer Zeit lag diese Deutungshoheit beim Senat, vgl. Wieninger 2020, 230. 61 Vgl. Dexipp F 28,8–14 [Martin]. Selbst wenn man die Authentizität der Rede grundsätzlich in Frage stellte, so spiegeln sich in ihr inhaltlich doch die Kriegsvorstellungen der 2. Hälfte des 3. Jh. n. Chr. und die darin manifestierte Verankerung des Konzepts des bellum iustum eindrucksvoll wider, denn der Autor des Fragments - Dexipp von Athen - war ein Zeitgenosse Aurelians, vgl. Martin 2006, 172 mit Anm. 13; zu Dexipp, seinen Tendenzen und der Einordnung der Rede Aurelians, vgl. Martin 2006, 30–41, 161–178, 195–209. 62 Vgl. Gaius Inst. 4,16. Im griechischen Kulturraum existierten korrespondierende Rechtsvorstellungen, vgl. X. Cyr. 7,5,73. 63 Vgl. Dig. 1,5,4,1; 1,5,5,1. 64 Verwiesen sei hier nur auf Art. 28, 46, 47 und 55 der Haager Landkriegsordnung (2. Fassung von 1907). 65 Vgl. Schenk 1930, 58. 66 Vgl. Vegetius Epitoma Rei Militaris 3,25,1–4.

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während Plünderungen, die vor Ende einer Schlacht, auf dem Marsch oder ohne klare Anordnung im Feindesland erfolgen, als Resultate einer für das Heer gefährlichen Leichtsinnigkeit oder aber noch kritischer als Verstöße gegen die Heeresdisziplin gesehen werden.67 Somit lässt sich festhalten, dass militärischer Erfolg und die Ausplünderung des besiegten Feindes in der römischen Vorstellungswelt im Grunde untrennbar miteinander verbunden waren. Sowohl im juristischen als auch im militärtheoretischen Verständnis legitimierte die Feststellung des Sieges den rechtmäßigen Beuteerwerb, weshalb Plünderungshandlungen im Kontext der Ausübung des Siegerrechts – mit allen damit einhergehenden Gewalttaten – als legitime Akte der Kriegführung verstanden wurden. Das Siegerrecht und die urbs vi capta Die universelle Dimension des Siegerrechts fasst Sallust in Bezug auf die urbs capta treffend zusammen: Capta urbe nihil fit relicui victis!68 Dem Sieger kam eine unbeschränkte Verfügungsgewalt zu, die alle Teile der feindlichen Bevölkerung einschloss.69 Dennoch waren im ius gentium zwei Institute verankert, die die Gewaltausübung einhegten. Zum einen war dies die Sklaverei, die der Jurist Florentinus als Gnadenakt römischer Feldherren stilisiert.70 Im Kern wird das Leben der Besiegten durch dieses ‚humanitäre‘ Institut der antiken Kriegführung aber nur deshalb geschont, weil sie einen ökonomischen Wert für den Sieger besitzen.71 Zum anderen bot die formelle Kapitulation (deditio) für die Belagerten einen Ausweg. Begleitet von symbolischen Unterwerfungsgesten und durch ein spezifisches Spruchformular formalisiert unterwarfen sich die Besiegten mit all ihrem Besitz ‚freiwillig‘ der römischen Verfügungsgewalt, wofür im Gegenzug ihr Leben verschont wurde.72 Alle darüberhinausgehenden Zugeständ-

67 Vgl. Vegetius Epitoma Rei Militaris 3,10,7; 3,11,6; 3,25,9 vs. 3,25,1–4; Fron. Str. 1,5,3; 1,5,12; 1,6,1 u. 3; 2,1,6; 2,5,9f.; 2,5,13; 2,5,19; 4,1,9; 4,5,8 vs. Fron. Str. 1,11,2; 1,11,19; 2,4,4; 2,5,2f. u. 8 u. 21; 3,17,6; Polyaen. 1,28,1; 3,9,46 u. 55; 8,25,1 vs. Polyaen. 2,1,10; 3,9,60; 4,3,6; 8,23,29. 68 Sal. Cat. 52,4. 69 S. Anm. 27 u. 28. 70 „Servi ex eo appellati sunt, quod imperatores captivos vendere ac per hoc servare nec occidere solent“, Dig. 1,5,4,2; Ziegler 1998, 53f. 71 Vgl. Herrmann-Otto 2017, 62–74; ähnlich auch: Ducrey 2004, 10; Volkmann 1990, 90f.; zur ökonomischen Motivation der Versklavung von Kriegsgefangenen, vgl. z.B. Fron. Str. 3,5,3; Rüpke 1999, 87–92; Weiler 2010, 133–143. 72 Vgl. Plb. 36,4,1–3; de Libero 2002, 18–20. Da die Besiegten lediglich die Fragen des römischen Feldherrn bejahen mussten, war das Spruchformular, wie es bei Livius (1,38,2) und auf der tabula Alcantarensis (AE 1984, 495 Z. 2–4, 8f.) tradiert ist, kulturunabhängig (gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers) anwendbar, vgl. Nörr 1989, 16–18; Grotkamp 2009, 50–54.

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dessen multifaktoriell beeinflusster, situationsspezifischer Bereitschaft zur Selbstbeschränkung ab.73 Die Crux an der deditio ist jedoch, dass sie nicht nur angeboten, sondern auch angenommen werden musste.74 Römische Feldherren verweigerten daher bisweilen bewusst die Annahme, um sich ihre Handlungsfreiheit zu erhalten.75 Besonders das Beispiel der Stadt Uspe ist in diesem Kontext aussagekräftig. Diese Stadt der Siracer wurde im Jahr 49 n. Chr. von einem Truppenkonglomerat unter römischem Oberbefehl belagert und nachdem bereits der erste Angriff den Fall der Stadt erahnen ließ, boten die Einwohner ihre Kapitulation an.76 Der römische Anführer Julius Aquila lehnte die deditio der Stadt jedoch unter folgender Begründung ab: Da es grausam sei, dediti zu töten, werde er lieber die Stadt stürmen und ihre Bevölkerung „belli […] iure“ niedermachen lassen.77 Damit war das Schicksal Uspes besiegelt. Die folgende Einnahme der Stadt resultierte in einem Massaker, dem die gesamte Bevölkerung zum Opfer fiel.78

Dieses drastische Beispiel zeigt, welche extremen Konsequenzen die Bevölkerung einer gewaltsam eroberten Stadt nach dem ius belli zu erwarten hatte. Jegliche Moderation der Gewaltanwendung durch den Sieger war letztlich freiwillig – und folgte daher auch einer klaren Motivation. Es zeigt sich also, dass in der römischen Kriegführung nicht nur die Anwendung von Gewalt, sondern auch der Verzicht auf gewaltsame Handlungen grundsätzlich von bestimmten Intentionen geprägt war. Struktur der Stadtplünderung Ehe aber diese Motive in den Blick genommen werden können, muss noch die Frage nach der Existenz einer Systematik römischer Plünderungen aufgeworfen werden. Den Ausgangspunkt hierfür bietet die Schilderung der Einnahme Carthago Novas 209 v. Chr., anhand derer Polybios den schematischen Ablauf römischer 73 Anders als von Nörr (vgl. Nörr 1989, 87, 90–93, 135, 155) postuliert, stellte die Freiheit der dediti keine zweite Garantie dar, denn es lassen sich durchaus Beispiele für die Versklavung von dediti finden: So wurden nach der deditio von Panormus (254 v. Chr.) etwa 13 000 der 27 000 Einwohner versklavt, vgl. D.S. 23,18,4f.; Volkmann 1990, 112f.; Welwei 2000, 67, 77. Ferner legt Appians Notiz, wonach Männer, Frauen und Kinder von Kolende 98 v. Chr. in die Sklaverei verkauft wurden, eine Beendigung dieser Belagerung durch eine deditio nahe, vgl. App. Hisp. 99. Für weitere Beispiele der republikanischen Zeit, vgl. Dmitriev 2011, 260. Auch in Tacitus Schilderung der Verhandlungen um das Schicksal Uspes wird lediglich die Massentötung von dediti als illegitimer Kriegsakt verurteilt, während ihre Versklavung dagegen eine legitime Handlungsoption darstellt, s. Anm. 77f. 74 Die überlieferten Teile des Dedtionsformulars zeigen dies klar auf, vgl.: Liv. 1,38,2; Plb. 36,4,2–3; AE 1984, 495, Z. 3f. 75 So etwa auch Scipio Africanus auf seinem Feldzug in Nordafrika (203/202 v. Chr.), vgl. Plb. 15,4,2; Nörr 1989, 86; Welwei 2000, 126. 76 Laut Tacitus brachte lediglich der Einbruch der Nacht den Einwohnern eine Kampfpause ein, vgl. Tac. Ann. 12,16,2; Volkmann 1990, 89f. 77 Vgl. Tac. Ann. 12,17,1; Grotkamp 2009, 102–104. 78 Vgl. Tac. Ann. 12,17,2f.

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Städteeroberungen exemplifiziert.79 Dabei geht der Historiograph von einer bipartiten Grundstruktur aus: Während der initialen Phase der Erstürmung der Stadt werden ohne Unterschied alle Einwohner, denen die eindringenden römischen Truppen begegnen, schonungslos niedergemetzelt.80 Die Zäsur hin zur zweiten Phase markiert dann der über ein spezifisches Signal an die Truppen kommunizierte Plünderungsbefehl des Feldherrn, in dessen Folge die überlebenden Einwohner gefangen genommen werden und die faktische Plünderung der Stadt einsetzt.81 Zudem ist darauf hinzuweisen, dass dabei nur ein Teil des Heeres an der Erstürmung und Plünderung der Stadt teilnimmt, während der andere außerhalb der Mauern in Reserve gehalten wird, um den Vorgang abzusichern.82 Diese Aufgabenteilung ist laut Polybios deshalb möglich, da die Römer die Kriegsbeute sammelten und den Erlös aus ihrem Verkauf gerecht unter den Heeresangehörigen aufteilten – sowohl Wach- als auch Sturmeinheiten erhielten ihren Anteil.83 Polybios skizziert durch seine Darlegung dieses römischen „Kriegsbrauchs“ (ἔθος)84 zwar ein universelles Schema, jedoch muss dessen Allgemeingültigkeit für die kaiserzeitliche Kriegführung angesichts einer Zeitdifferenz von etwa 150 Jahren, in denen sich die römische Heeresstruktur radikal gewandelt hatte, grundsätzlich hinterfragt werden. Die Gegenprüfung des Modells für die Kaiserzeit führt zunächst zu der bereits behandelten, auf Frontin basierenden Vegetiusstelle zurück.85 Isoliert man die hier wiedergegebenen Einzelschritte des schematischen Ablaufs einer Feldschlacht und ordnet diese in chronologisch-kausaler Reihenfolge an, so ergibt sich folgendes Grundschema: Die Kampfhandlungen werden so lange in Formation fortgeführt, bis der Feldherr den Sieg feststellt und diese Entscheidung durch akustische Signalgebung an die Truppen kommuniziert wird. Auf dieses Siegessignal hin, das durch entsprechendes Jubelgeschrei multipliziert wird, beginnen die Soldaten dann damit, sich aus der Formation zu lösen und das Schlachtfeld zu plündern.86 Sofort wird klar, dass nicht nur das prinzipielle zweiphasige Grundschema, sondern auch die einzelnen Strukturelemente bei Vegetius und Polybios identisch sind. Aber auch in der kaiserzeitlichen Historiographie lassen sich Darstellungen von Städteplünderungen finden, die eine strukturelle Kongruenz mit diesem Modell auf-

79 Dies entspricht Polybios Konzept der pragmatischen Geschichtsschreibung, die die Frage nach den rationalen Ursachen (αἰτίαι) politischer oder auch militärischer Entwicklungen in den Fokus stellt, vgl. Plb. 11,19a,1. 80 Vgl. Plb. 10,15,1–7. 81 Vgl. Plb. 10,15,4; 10,15,8–16,1; 10,17,6–15. 82 Vgl. Plb. 10,16,2f. u. 8. 83 Vgl. Plb. 10,16,1–9. 84 Plb. 10,15,4. 85 Aufgrund der engen Verbindung zu Frontin besitzt diese Passage eine hohe Normativität. Frontin kannte als Feldherr der Flavier die römische Militärpraxis und Traian verlieh seinen militärischen Fachwerken durch öffentliche Belobigung de facto kaiserliche Autorität, vgl. Vegetius Epitoma Rei Militaris 2,3,7; Wheeler 1988, 12f. 86 Vgl. Vegetius Epitoma Rei Militaris 3,25,1–3; 3,14,8–13 (zum Kampf in Formation).

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Septimius Severus aus den knappen Beschreibungen bei Cassius Dio87 und Herodian88 immerhin ein in den wesentlichen Strukturelementen übereinstimmender Hergang der Ereignisse ableiten lässt, bestätigt insbesondere der ausführliche Zeitzeugenbericht der Erstürmung und Plünderung der Jerusalemer Oberstadt (70 n. Chr.) bei Flavius Josephus, der sich in allen wesentlichen Punkten mit dem polybianischen Verlaufsschema deckt89, dessen grundsätzliche Übertragbarkeit auf die Kriegführung der römischen Kaiserzeit. Die Annahme, dass es sich bei der Darstellung des Polybios allgemein um ein authentisches Grundschema handelt, wird ferner dadurch gestützt, dass sich Einzelaspekte auch andernorts in der antiken Literatur wiederfinden. So besitzt der von ihm geschilderte römische Modus der Beuteverteilung eine exakte Entsprechung beim späthellenistischen Lokalhistoriographen Memnon von Herakleia, der diesen in seiner Darstellung der Eroberung von Herakleia Pontike durch römische Truppen im Jahr 70 v. Chr. erwähnt und auch darüber hinaus in der Struktur der Ereignisse dem polybianischen Muster folgt.90 Dagegen kann die funktionale Aufteilung in Wach- und Plünderungseinheiten als allgemeine Grundkonstante der militärischen Organisation von Plünderungsprozessen im römischen Heer überhaupt angesehen werden.91 Die in der Strategemliteratur breit manifestierte Vorstellung einer grundsätzlichen Steuerbarkeit von Plünderungshandlungen korrespondiert mit Konventionen der römischen Heeresdisziplin (disciplina militaris). Ausgehend von der augusteischen Zeit finden sich Regularien wieder, deren normativer Anspruch darin bestand, dass das Verlassen der Schlachtordnung drastisch zu bestrafen war.92 Dass darunter wohl nicht nur Fahnenflucht, sondern bereits das Ausscheren aus der Kampfformation zum Plündern verstanden wurde, geht explizit aus der Definition des Geltungsbereiches einer entsprechenden Vorschrift im frühbyzantinischen Strategikon des Maurikios hervor.93 Durch das Ende der Kampfhandlungen wird diese Obstruktion aufgehoben, sodass wiederum die Feststellung des Sieges erst die Plünderungshandlungen legitimiert.94 Darüber hinaus war in der römischen Kriegführung die Plünderung einer Stadt in letzter Konsequenz immer ein befohlener 87 88 89 90

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Vgl. D.C. 76,9,4. Vgl. Hdn. 3,9,11. Vgl. J. BJ 6,404–419. Vgl. Memn. 35,4–6 [Jonnes]. Dies widerlegt insbesondere die Behauptung Ziolkowskis, dass es sich bei dem von Polybios geschilderten Modus um eine singuläre Überlieferung handelt, vgl. Ziolkowski 1993, 80. Bei Frontin wird zudem der normative Anspruch formuliert, dass die Beute gleichmäßig (aequaliter) an die Soldaten zu verteilen ist, was im Kern auch den Gedanken des Polybios widerspiegelt, vgl. Fron. Str. 4,1,45. Ähnlich auch: Isid. Orig. 5,7,2 u. 18,2,8; Amm. Marc. 24,4,26. Vgl. Tac. Hist. 3,15,2; Caes. Civ. 1,55,1; Onos. 10,7f.; Maurikios Strat. 9,3. Vgl. Suet. Aug. 24,2; J. BJ 3,102–105; Fron. Str. 4,1,21; Tac. Ann. 3,20,1–21,1; Jung 1982, 977–987; Wierschowski 1997, 140f.; Stoll 2019, 358–365. Vgl. Maurikios Strat. 1,8,(16); 7,A,14; ähnlich zudem: Fron. Str. 4,1,38 und insb.: Tac. Ann. 14,36,3. Selbst im chaotischen Kontext der Straßenkämpfe im Zuge der Einnahme Roms 69 n. Chr. durch das flavische Heer wurde diese strikte, militärisch logische Trennung von Kampf- und

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Kriegführung die Plünderung einer Stadt in letzter Konsequenz immer ein befohlener Akt.95 Der Beschluss über ihr Schicksal wurde bereits im Vorfeld durch den Feldherrn gefällt, idealiter in einem deliberativen Entscheidungsprozess. Somit stand bei der Erstürmung im Regelfall bereits fest, dass die Stadt geplündert werden soll, weshalb die folgenden Plünderungs- und Gewalthandlungen entweder der Intention der militärischen Führung entsprachen oder ihr zumindest nicht entgegenstanden.96 Daher lässt sich für alle römischen Städteplünderungen auch ein weiteres Element postulieren: ein konstituierender Grundsatzbefehl. Dieser wird bei Polybios in seiner ‚gewöhnlichen‘ Form beschrieben: Es sollen keine Gefangenen genommen und nicht geplündert werden, ehe das (akustische97) Signal hierzu gegeben wird.98 Erstaunlich ist, dass sich diese Version auch bei Flavius Josephus wiederfindet, der eine entsprechende Order des Titus zur Einstellung der universellen Gewalt und die damit einhergehende Anordnung zur Versklavung der übrigen Einwohnerschaft explizit überliefert, woraus sich im Prinzip derselbe Grundsatzbefehl schlussfolgern lässt – es dürfte sich also tatsächlich um eine konventionelle Standardform handeln.99 Wie bei allen prozessualen Modellbildungen werden die Ablaufschritte bei Polybios trennscharf und vereinfacht dargestellt – sie geben also lediglich das übergeordnete Grundschema der Realität einer römischen Stadteroberung wieder. Aufgrund von Fehleinschätzungen einzelner Centurionen, deviantem Verhalten von Soldatengruppen oder Spezifika des Kampfverlaufs konnte es aber durchaus zu punktuellen Abweichungen auf der Mikroebene kommen, die sich vor allem in dynamischeren Übergängen zwischen den beiden Phasen widerspiegeln.100 Je nach Intensität dieser Friktionen verlief daher jede Plünderung im Detail unterschiedlich nah am militärischen Grundschema, was jedoch nicht die allgemeine Existenz einer

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Bedriacum lösen die siegreichen flavischen Truppen ihre Schlachtformation erst zur Verfolgung der en masse fliehenden Feinde auf und plündern auch erst dann die Gefallenen aus, vgl. Tac. Hist. 3,22,1–25,3. Als normative Aussage findet sich dieses Verbot der Plünderung einer eroberten Stadt ohne expliziten Befehl bei Frontin wieder, vgl. Fron. Str. 4,1,38; kursorisch zur Interdependenz von römischer Heeresdisziplin und systematischer Plünderungspraxis auch: Roth 2020, 254. Siehe hierzu etwa: Tac. Ann. 12,17,1; Sal. Jug. 62,3–6; Caes. Gal. 2,32,1–3; J. BJ 3,98f.; Wieninger 2020, 218f.; Puschmann 2020, 79–86, 92–95. Laut Frontin begleiteten aeneatores die Sturmeinheiten und akustische Signale spielten bei der Koordinierung der Stadterstürmung eine zentrale Rolle, vgl. Fron. Str. 3,9,3 u. 5; Onos. 42,17. Vgl. Plb. 10,15,4; Baker 2021, 38. Lediglich wer mit Waffen aufgegriffen wurde oder Widerstand leistete, sollte noch getötet werden, vgl. J. BJ 6,414f.; vgl. hierzu auch die Überlegungen Onasanders: Onos. 42,18–22. Insbesondere wenn sich der Kampf von der Straße in die Häuser verlagerte, ist grundsätzlich anzunehmen, dass zwar dem Grundsatzbefehl entsprechend keine Gefangenen gemacht, aber doch wertvolle Beutestücke nicht liegengelassen wurden – diese Konstellation beschreibt beispielsweise Flavius Josephus für die Schlussphase der Kampfhandlungen um die Jerusalemer Oberstadt, vgl. J. BJ 6,404–407.

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strukturellen und inhaltlichen Kongruenzen in den angeführten Beispielen belegen dagegen vielmehr ihre prinzipielle Anwendung in der römischen Militärpraxis. Dieses Verständnis, wonach römische Stadtplünderungen im Grundsatz strukturierte und bis zu einem gewissen Grad auch steuerbare Prozesse waren, lässt vermuten, dass auch viele der dabei verübten Gewalthandlungen nicht nur intentional waren, sondern sogar eine grundlegende militärische Funktionalität besaßen. Funktionen von Gewalt im Zuge der gewaltsamen Eroberung einer Stadt Die Erstürmung als intentionales Gewaltphänomen Sobald die Verteidigung der Belagerten an den Mauern durchbrochen war und eine signifikante Anzahl römischer Soldaten über einen Mauerabschnitt, eine Bresche oder die Tore in die Stadt eindringen konnte, begann mit der Erstürmung der letzte und zugleich grausamste Schritt der Belagerung, in dessen Verlauf der organisatorische Mikrokosmos der Belagerungsgesellschaft und die Stadtverteidigung endgültig kollabierten.102 Dieser Zusammenbruch erfasste jedoch nicht ad hoc das ganze Stadtgebiet und bei weitem nicht alle Einwohner fügten sich kampflos in ihr unvermeidliches Schicksal. Während die einen die eindringenden Feinde von den Dächern herab bewarfen, kämpften andere in den Straßen gegen die Angreifer oder verteidigten ihre Häuser.103 Dieses Szenario des Häuser- und Straßenkampfes (sog. Urban Warfare), stellt eine militärische Problemsituation für den Belagerer dar. Es besteht die Gefahr, dass die Angriffstruppen in Gassen, Hinterhöfen und Gebäuden in Kampfhandlungen verstrickt werden und sich so völlig zersplittern. Sofern es den Belagerten dann irgendwie gelingt, sich zu organisieren und sich an neuralgischen Punkten der Stadtverteidigung zu verschanzen, erwarten den Angreifer hohe Verluste.104 Insbesondere Vegetius betont diese enorme Gefahr und ergänzt ein

Art der Reaktion auf diese Umstände bestimmen letztlich die Differenz zwischen geplantem Verlauf und Realität der Kampfhandlungen, vgl. Clausewitz 1980, 261–266; Beckmann 2011, 101f., 163–165. 102 Vgl. Levithan 2019, 290f. 103 Das berühmteste Opfer dieser Form des Straßenkampfes dürfte König Pyrrhus von Epirus sein, der 272 v. Chr. in den Straßen von Argos fiel – getroffen von einem Dachziegel, den eine alte Frau von einem Gebäude herabgeschleudert hatte, vgl. Plut. Pyrrh. 34,1f. Plastisch schildert Josephus den Straßenkampf in Japha (67 n. Chr.), vgl. J. BJ 3,300–306. 104 Vgl. Vegetius Epitoma Rei Militaris 4,25,1–6. So kam es etwa im Zuge der militärischen Einnahme Roms durch die flavischen Streitkräfte 69 n. Chr. dazu, dass sich Truppen des Vitellius in den castra praetoria verschanzten und dort verbissen bis zum Tod kämpften, vgl. Tac. Hist. 3,84,1–3; auch einzelne Türme konnten als befestigte Rückzugspunkte dienen, vgl. J. BJ 3, 332–334.

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wichtiges Detail: In der Verzweiflung des Straßenkampfes tragen alle Einwohner unabhängig von Geschlecht und Alter aktiv zum Widerstand bei.105 Die römischen Angriffstruppen agierten also nicht gegen an den Kampfhandlungen unbeteiligte Zivilisten, sondern gegen eine universelle städtische Verteidigungsgemeinschaft, weshalb der extremen Gewalt im Zuge der Erstürmung der Stadt eine militärische Funktion zugeschrieben werden kann.106 Konkret bestand diese laut Polybios in der Entfaltung einer Schockwirkung (κατάπληξις)107 auf die Verteidiger, in deren Reihen durch die römische Grausamkeit Panik ausgelöst werden sollte – es handelte sich also um eine Maßnahme im Kontext der psychologischen Kriegführung.108 Zudem fällt die Dynamik in den Beschreibungen römischer Stadterstürmungen auf: Bei Polybios zeigt sich dieses narrative Element im zielstrebigen, auf die Sicherung neuralgischer Punkte der Stadt bedachten Vorstoß der hineinstürmenden Truppen.109 Bei Memnon, der berichtet, dass das römische Heer in die Stadt ‚einströmte‘110, und Josephus, der schildert dass die milites geradezu von den Mauern in die Jerusalemer Oberstadt ‚herabströmten‘111, tritt dieser dynamische Aspekt wiederum noch deutlicher hervor. Am aussagekräftigsten ist jedoch mit Sicherheit der im Augenzeugenbericht der Einnahme Iotapatas wiedergegebene Eindruck, dass die Verteidiger von den römischen Truppen einfach ‚weggespült‘ worden seien.112 Der bei den antiken Autoren mit einer Flutwelle assoziierte impetus113 der in die Stadt eindringenden römischen Truppen überrannte schlichtweg jeglichen ad hoc organisierten Widerstandsversuch. Die Feinde wurden entweder niedergemetzelt oder in Panik vor der Angriffskolonne hergetrieben – das Resultat war eine sich rasch steigernde Unordnung bei den überrumpelten und im Regelfall über das Stadtgebiet verteilten Verteidigern, die sich dadurch weder organisiert

105 Vgl. Vegetius Epitoma Rei Militaris 4,25,3; zum verzweifelten Kampfeswillen von Feinden in ausweglosen Situationen: Vegetius Epitoma Rei Militaris 3,21,1–6; so auch: Fron. Str. 2,6,2– 9; Onos. 42,18–22 u. 38,3f.; Tac. Hist. 3,84,2; aber auch: Verg. A. 2,354. Im Hinblick auf die Belagerung Jerusalems erwähnt Tacitus nicht nur, dass alle, die dazu körperlich in der Lage waren – ungeachtet ihres Alters oder ihres Geschlechts – unter Waffen standen, sondern auch dass Männer wie Frauen gleichermaßen verbissen Widerstand leisteten, vgl. Tac. Hist. 5,13,3. Zur logistischen und vor allem auch aktiven militärischen Einbindung von Frauen in die antike Stadtverteidigung, vgl. App. Hann. 29; Martinez Morales 2019, 150–162; Stoll 2008, 25–35. 106 Zur grundsätzlichen Intentionalität dieser Gewaltphase, vgl. auch: Roth 2020, 242f. 107 Plb. 10,15,5. 108 Zur psychologischen Dimension des Belagerungskrieges, vgl. Levithan 2013, 57–60. 109 Vgl. Plb. 10,14,12–15,7. 110 Memnon spricht nicht nur das „εἰσχεόμενον τὸν Ῥωμαικὸν στρατὸν“ an, das gleichsam über die Mauern und ein Tor in die Stadt eindrang, sondern er beschreibt auch die Schockwirkung auf die Verteidiger, vgl. Memn. 35, 4–6 [Jonnes]. 111 Vgl. J. BJ 6,403. 112 Vgl. J. BJ 3,329f.; Josephus überlebte das Gemetzel nur, weil er sich in eine Zisterne retten konnte, vgl. J. BJ 3,340f. 113 Amm. Marc. 24,4,25.

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sammeln noch verschanzen konnten.114 Dieses durch die Dynamik des Vorgangs sowie durch die extreme physische und psychische Gewalt beim Feind verursachte Chaos war die wirksamste römische Waffe, um schnell die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Sobald die wichtigsten Punkte der Stadt gesichert waren, war der Kampf entschieden und von einer Zerstreuung der Truppen zum Plündern ging keine wesentliche Gefahr mehr aus.115 Unabhängig davon fungierten Emotionen wie Hass, Frustration über den Belagerungsverlauf oder Rachemotive sicherlich als Katalysatoren dieser Gewaltphase.116 Dass jedoch der militärischen Funktion eine elementare Rolle zufiel, zeigt der Blick auf ein besonderes Fallbeispiel. Im Jahr 57 v. Chr. hatten die Atuatuker trotz ihrer vorangegangenen deditio wenig erfolgreich das römische Heerlager überfallen und als Vergeltung für dieses (aus römischer Perspektive) heimtückische Verhalten ließ Caesar tags darauf ihren Zentralort stürmen. Als die Einwohner sich aber scheinbar ostentativ apathisch verhielten und jeglichen Widerstand unterließen, fehlte der konstituierende Faktor für die exzessive Gewaltausübung. Die erstaunten römischen Soldaten verzichteten daher auf das übliche Gemetzel und nahmen die Einwohner gefangen. Letztlich ließ sich der römische Rachewunsch dann mit ökonomischer Zweckrationalität verbinden: Caesar verkaufte das gesamte Gemeinwesen – 53 000 Menschen – in die Sklaverei.117 Die Plünderung der Stadt – situative Gewalt im intentionalen Rahmen Im unmittelbaren Anschluss an die militärische Sicherung der Stadt erfolgte dann ihre Ausplünderung. Wie bereits angesprochen, war dieser Prozess durch einen entsprechenden Befehl reguliert, der im Regelfall die Versklavung der Überlebenden vorsah – sofern sie keinen bewaffneten Widerstand leisteten.118 Davon abweichend konnte aber auch die Hinrichtung aller Wehrfähigen119 oder noch drastischer die physische Vernichtung des gesamten Gemeinwesens vom Feldherrn angeordnet werden.120 Diese Plünderungsphase war von der universalen Ausübung des Siegerrechts gegenüber den Besiegten geprägt und die damit einhergehenden

114 Als paradigmatisches Beispiel für diesen Ereignisablauf sei hier nochmals auf die Einnahme Iotapatas verwiesen, vgl. J. BJ 3,323–336; vgl. auch: Amm. Marc. 24,4,25. 115 Vgl. Gilliver 2007, 152f.; Baker 2021, 39. 116 Vgl. z.B. J. BJ 3,29; Memn. 35,5 [Jonnes]; Levithan 2013, 214f., 222f. 117 Vgl. Caes. Gal. 2,32,4–33,7. 118 S. Anm. 99. 119 Vgl. J. BJ 3,336–339; s. auch: Anm. 57. 120 Neben der Behandlung von Uspe, ist hier insbesondere der Grundsatzbefehl des Septimius Severus zu nennen, mit dem er seine Truppen im Jahre 211 n. Chr. zum Vergeltungsschlag gegen die Mäaten und Caledonier aussandte. Dabei handelte es sich de facto um einen Vernichtungsbefehl, denn im Rahmen des Feldzuges sollten keine Gefangenen gemacht werden, vgl. D.C. 77,15,1f. Für weitere derart brutale Rachefeldzüge, vgl.: D.C. 67,4,6; Tac. Ann. 1,50,4–51,1.

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Inhomogenität hinsichtlich ihrer Urheber, Motive und Intentionen auf, weshalb eine differenzierte Betrachtung nötig ist. Die Exekution der feindlichen Führungselite erscheint im Nachgang der Eroberung einer Stadt ein gängiger, wenngleich nicht alternativloser Vorgang gewesen zu sein.121 Während beispielsweise etliche führende Akteure des jüdischen Aufstandes nach der Einnahme Jerusalems sofort hingerichtet wurden und man auch den aus dem belagerten Sarmizegetusa geflohenen Dakerkönig Decebalus regelrecht zu Tode hetzte, wurden dagegen viele andere Herrscher in den Triumphzügen als Testimonien des Sieges mitgeführt und erst im Anschluss daran exekutiert oder anderweitig behandelt.122 Neben dem evidenten Sanktionscharakter, der besonders bei Rädelsführern von Aufständen zu Tage tritt123, spielte die Eliminierung der feindlichen Führungsriege auch zur Abschreckung oder – sofern das Gemeinwesen insgesamt fortbestand – zu dessen nachhaltiger militärischer Schwächung eine Rolle.124 Für die Tötung der waffenfähigen männlichen Bevölkerung lassen sich insgesamt vergleichbare Motive postulieren. Während diese Schritte eindeutig von militärischen Entscheidungsträgern befohlene Gewalthandlungen darstellten, erscheint die Tötung von Alten und Schwachen als multikausaler Akt. Diese Gruppe wird in den Quellen als ‚wertlos‘ für den Sieger bezeichnet, denn sie ließ sich weder in die Sklaverei verkaufen noch anderweitig ökonomisch ausbeuten oder propagandistisch instrumentalisieren.125 Daher besaß diese spezifische Gruppe auch keinen rudimentären Schutz durch das völkerrechtliche Institut der Sklaverei und war demnach völlig gegenüber der Gewalt der Sieger ungeschützt. Die Massentötung von Alten und Schwachen scheint deshalb eine etablierte Praxis der antiken Kriegführung überhaupt gewesen zu sein, denn es finden sich nicht nur Belege hierfür im Zuge römischer Militäraktionen126, sondern beispielsweise auch Goten127 und Sasaniden128 agierten äußerst gewaltsam gegen diese Gruppen. Dabei scheint dieser wehrlose Bevölkerungsteil regelhaft auch das Opfer situativer Gewalthandlungen geworden zu sein. Während Josephus berichtet, dass die Gewalt gegen diese Gruppe erfolgte, obwohl sie nicht explizit von Titus befohlen worden war129, erwähnt Tacitus zwar keine Tötungen, jedoch die Misshandlung und Verspottung der betagten 121 Vgl. Goldsworthy 1996, 94; zur Tötung von Kriegsgefangenen, vgl. auch: Baker 2021, 46–50. 122 Vgl. J. BJ 6,417; Lepper/Frere 1988, 176f. mit Pl. CIV–CVI (= Szenen cxlii–cxlv); D.C. 68,14,3; AE 1969/70, 583; Strobel 2019, 332–337 mit Anm. 41; Östenberg 2009, 131–135, 160–163. 123 Trotz deditio wurden etwa die Dekurionen von Perusia (40 v. Chr.) und die Führungsriege von Byzantion exekutiert (196 n. Chr.), vgl. Suet. Aug. 15; Vell. 2,74,4; D.C. 48,14,3f; 75,14,1. 124 Vgl. Goldsworthy 2007, 91. 125 Vgl. Tac. Hist. 3,33,1; J. BJ 6,415; Dexipp. F 24,10 [Martin]. Die im Triumphzug präsentierten Gefangenen sollten die Bedeutung des römischen Sieges visualisieren, weshalb sie entweder nach physischer Konstitution oder ihrem sozialen Status gezielt ausgewählt wurden, vgl. Östenberg 2009, 128–130, 138–141, 146–148, 152–156. 126 Vgl. J. BJ 3,133 u. 336 u. 539; 6, 415; App. Gall. fr. 11; Rüpke 1999, 85. 127 Vgl. Dexipp. F 24,10 [Martin]. 128 Vgl. Amm. Marc. 19,6,2. 129 Vgl. J. BJ 6,415.

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keine Tötungen, jedoch die Misshandlung und Verspottung der betagten Einwohnerschaft als perfiden Zeitvertreib der Cremona plündernden Soldaten.130 Auch strukturelle Einflüsse, insbesondere die Härte der Belagerung, scheinen einen Einfluss gespielt zu haben, denn vor allem auch darin unterscheiden sich die beiden genannten Beispiele grundlegend.131 Die angeführten Faktoren korrespondieren dahingehend, dass die unvermeidliche Gewalt gegen die Besiegten kanalisiert und gegen eine durch mangelnden Schutz definierte Opfergruppe gelenkt wurde, die für den Sieger keinen ökonomischen Wert besaß und somit der Wut der Soldaten überlassen werden konnte. Auch wenn das Leben der anderen Bevölkerungsteile durch die Sklaverei bewahrt wurde, so galt dies nicht für ihre körperliche Unversehrtheit. Neben allgemeinen physischen Misshandlungen ist als Massenphänomen insbesondere sexuelle Gewalt anzusprechen. Im Zuge des Plünderungsprozesses wurden Gefangene beiderlei Geschlechts von römischen Soldaten vergewaltigt.132 Diese Gewalthandlungen stellten Akte der Triebbefriedigung dar, denen ein Rachemotiv, d.h. entweder eine systematische oder individuelle Vergeltungsintention, zugrunde lag.133 Sexuelle Gewalt wurde – und wird tragischerweise noch immer – in militärischen Konflikten als „instrument of domestication“134 eingesetzt, als Akt physischer und psychischer Gewalt um die Besiegten zu brechen und zu erniedrigen.135 Insbesondere Diodor beschreibt im Zuge seiner im 1. Jh. v. Chr. verfassten Schilderung der Plünderung Selinunts durch die Karthager (409 v. Chr.) verstörend eindringlich die Anwendung von sexueller Gewalt als Mittel zur psychisch-moralischen Destabilisierung der Betroffenen im Vorfeld ihrer Versklavung.136 Auch wenn Tacitus Vergewaltigungen im Kontext von Plünderungen als intrinsisch motivierte situative Gewalthandlungen individuell agierender Soldaten (-gruppen) darstellt137, so lässt sich doch aufgrund der allgemeinen Akzeptanz und fehlenden Regulierung eine zumindest passive Förderung und somit eindeutige 130 Vgl. Tac. Hist. 3,33,1. 131 Cremona wurde nur einige Stunden, Jerusalem dagegen verlustreich mehrere Monate belagert. Die Tatsache, dass es sich bei den Einwohnern Cremonas um römische Bürger handelte, scheint dagegen für die marodierenden Soldaten kaum von Bedeutung gewesen zu sein, wie der Versuch zeigt, diese in die Sklaverei zu verkaufen, vgl. Tac. Hist. 3,34,2; Rollinger 2018, 101; Levithan 2013, 148–169. 132 Vgl. Tac. Hist. 3,33,1; Tac. Ann. 14,35,1. Obwohl sexuelle Gewalt eine Konstante des Grauens antiker Kriege darstellte, wurde sie in der Historiographie weitgehend marginalisiert, vgl. Gaca 2011, 75; zur breiteren Thematisierung in anderen Literaturgattungen, vgl. etwa: Feichtinger 2018; zu sexueller Gewalt im Kontext antiker Stadteroberungen, vgl. auch: Martinez Morales 2019, 163–165. 133 Vgl. Gaca 2011, 84–87. Diese Verbindung von emotional aufgeladenen Racheintentionen und sexueller Gewalt wird selbst in Friedenszeiten greifbar: In einem Brief (Ende 1./Anfang 2. Jh. n. Chr.) schildert der Soldat Panouris seine Wut darüber, dass ihn eine für sexuelle Leistungen gepachtete Sklavin verschmäht und ausgenutzt habe. Aus Rache dafür vergewaltigte er sie, vgl. O. Krok. II 214. 134 Card 1996, 6. 135 Vgl. Card 1996, 6–11; Seifert 1996, 39–41; Gaca 2011, 86; Heineman 2011, 6–11. 136 Vgl. D. S. 13,58,1–2. 137 Vgl. Tac. Hist. 3,33,1; Ziolkowski 1993, 72f., 86f.

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Förderung und somit eindeutige Instrumentalisierung sexueller Gewalt in analoger Funktion auch für die römische Kriegführung annehmen.138 Fasst man diese Einzelaspekte zusammen, so ergibt sich das Bild einer durch Regulative und deren Fehlen gesteuerten Entladung des Gewaltpotentials der Sieger: Die Mordlust der rachsüchtigen Soldateska wird auf bestimmte durch politische Motive, fehlende ökonomische Bedeutung oder anhaltenden Widerstandswillen definierte Zielgruppen abgelenkt. Die damit einhergehende Einhegung tödlicher Gewalt gegen die restliche Einwohnerschaft spiegelt den auch in der entsprechenden Befehlsgebung manifestierten Willen der militärischen Führung wider, dem Staat möglichst viele Gefangene (captivi) als Kriegsbeute zu sichern.139 Aber auch die exzessive Anwendung anderer Formen situativer Gewalt erfolgte grundsätzlich in einem intentionalen Rahmen, denn das grausame Schreckensszenario, das in der Plünderungsphase über die Besiegten hereinbrach, wurde nicht durch einen endogenen Zusammenbruch der Heeresdisziplin, sondern de facto per Befehl ausgelöst. Die militärische Führung nahm die damit einhergehende Willkür vielmehr durch mangelnde Regulierung der Gewalt bewusst in Kauf und setzte das entfesselte Chaos gezielt als Terrorinstrument zur Unterdrückung der Besiegten ein.140 Die Symbolwirkung der Behandlung einer eingenommenen Stadt Im Zuge der Analyse des Plünderungsprozesses hat sich letztlich entweder die faktische Anordnung oder aber die eindeutige Billigung durch die militärische Führung als konstituierender Faktor aller Gewalthandlungen gezeigt. Dieses Faktum führt abschließend zu der Frage, welche Motive und Wirkungsabsichten sich auf der politisch-militärischen Makroebene als Determinanten der Gewaltanwendung feststellen lassen. Dem ideologischen Leitmotiv der römischen Kriegführung folgend, lässt sich die gewalttätige Behandlung der Einwohnerschaft zunächst universell als Strafmaßnahme für die Notwendigkeit einer Belagerung und den bis zuletzt geleisteten Widerstand verstehen.141 Während etwa Sueton den maßvollen Charakter der augusteischen Machtpolitik unter anderem damit begründet, dass der erste Princeps sich an feindlichen Gemeinwesen mit keiner härteren Bestrafung (poena) als ihrer Versklavung gerächt habe 142, führt Josephus die von Vespasian angeord-

138 Vgl. hierzu auch: Rollinger 2018, 94f., 102–116. 139 Kriegsgefangene waren Staatsbeute, vgl. Plb. 11,3,1f.; Fron. Str. 3,5,3; J. BJ 6,417–419; Suet. Aug. 21,2; Dig. 1,5,4,2; Wickham 2014, 17–22. 140 Vgl. Mattern 1999, 118–121; Baker 2021, 59f., 74f. 141 Vgl. Levithan 2019, 286; Botermann 1987, 20–26. 142 Vgl. Suet. Aug. 21,2. Dieses Verständnis der Sklaverei als Strafkonzept findet sich auch bei Polybios und Cicero wieder; vgl. Cic. Rep. 3,24f. (= August. C. D. 19,21); Plb. 2,58,8–12; Dumont 1983, 121–123.

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Vergeltungslogik zurück, indem er den entschlossenen Widerstand der Stadt als Hauptgrund dafür anführt.143 Eine derartige monokausale Erklärung greift jedoch insbesondere in den Fällen zu kurz, in denen Extremformen militärischer Gewalt zur Anwendung kamen. Dieser Umstand führt zum Fallbeispiel der gewaltsamen Einnahme Uspes zurück. Dem römischen Kommandeur Julius Aquila stand insgesamt nur eine verhältnismäßig kleine Streitmacht – nur einige römische Kohorten und Truppen der Verbündeten Aorser und Bosporaner – für den Feldzug zur Verfügung, sodass weder die Stationierung einer Garnison noch die Abstellung von Einheiten zur Bewachung einer größeren Anzahl an Kriegsgefangenen in Frage kam.144 Auch wenn Tacitus diese militärischen Motive in den Mittelpunkt stellt, so muss doch auch der politische Kontext des Konfliktes mit den Siracern allein schon deshalb miteinbezogen werden, da die überschaubare römische Truppenstärke unmittelbar daraus resultierte: Der siracische König Zorsines hatte seinen Angriffskrieg erst begonnen, als die Römer einen Großteil ihres zur Intervention in die Thronstreitigkeiten des Bosporanischen Reiches entsandten Expeditionsheeres bereits wieder vom Kimerischen Bosporus abgezogen hatten. Vergeltung dürfte also definitiv eine weitere Triebfeder der Gewalt gewesen sein.145 Eine weitere Deutungsebene ergibt sich zudem, wenn man die Wirkung des Aktes miteinbezieht. Angesichts der limitierten Ressourcen war ein langwieriger und weiträumig geführter Feldzug für die römische Seite ausgeschlossen.146 An Uspe, das den Römern als erster siracischer Zentralort in die Hände fiel, wurde daher ein Exempel mit einer Signalwirkung für die übrigen Zentren der Region statuiert: Wer Widerstand leistet, hat keine Gnade zu erwarten. Diese Abschreckungsbotschaft war zudem mit der impliziten Aufforderung zur kampflosen Kapitulation verbunden. Der unmittelbare Effekt dieses grausamen kommunikativen Symbolaktes auf die Moral der Siracer war laut Tacitus verheerend: Die Nachricht vom dramatischen Schicksal Uspes löste nicht nur Panik in den Nachbarsiedlungen aus, sondern sie führte auch dazu, dass Zorsines sich ohne weiteren Widerstand Rom unterwarf.147 Derartige Handlungen finden sich aber beispielsweise auch im Zuge von Corbulos Armenienfeldzug (58/59 n. Chr.) wieder. Kurz nach Beginn der Kampfhandlungen kapitulierten mehrere befestigte Ortschaften als direkte Konsequenz des schonungslosen Umgangs mit den Garnisonen dreier armenischer Grenzfestungen, die infolge eines koordinierten römischen Angriffs an nur einem Tag gestürmt worden waren.148 Drohgebärden erforderten jedoch nicht zwingend eine derart martialische Machtdemonstration, sondern sie konnten auch durch spezifischere gewaltsame Symbolakte erfolgen. Als etwa Tigranocerta im späteren Verlauf des angesprochenen Konfliktes mit der deditio zögerte, ließ Corbulo den Kopf eines 143 144 145 146 147 148

Vgl. J. BJ 3,176–180 u. 340 u. 346; zum Strafmotiv auch: Tac. Ann. 14,33,2. Vgl. Tac. Ann. 12,15,1–17,1; Gilliver 2007, 140. Vgl. Tac. Ann. 12,15,2; Istvánovits/Kulcsár 2017, 117–120. Zu den Widrigkeiten des unerschlossenen Operationsgebietes, vgl. Tac. Ann. 12,20,1f. Vgl. Tac. Ann. 12,17,2f. Vgl. Tac. Ann. 13,39,1–6; Drinkwater 2019, 131–136.

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armenischen Magnaten in die Stadt katapultieren und diese wenig subtile Botschaft führte zur sofortigen Kapitulation der Stadt.149 Eine ähnlich unmissverständliche Kapitulationsaufforderung ließ Septimius Severus 194 n. Chr. den Einwohnern des belagerten Byzantion übermitteln, indem er befahl, den Kopf seines getöteten Rivalen Pescennius Niger gut sichtbar vor den Stadtmauern aufzupfählen.150 Eine verbale Variante dieser Form der psychologischen Kriegführung findet sich im propagandistisch aufgeladenen Bürgerkriegskontext der Belagerung Perusias (41/40 v. Chr.) wieder. Die octavianischen Truppen verwendeten Schleuderbleie, deren Inschrift den feindlichen Anführern – Frau und Bruder des Marcus Antonius – die Vergewaltigung im Falle der Erstürmung der Stadt androhte.151 Römische Feldherren konnten aber nicht nur exemplarische Grausamkeit an den Tag legen, sondern sie waren im Gegenzug immer wieder auch zu exzeptioneller Milde in der Lage. Der bewusste Verzicht auf Strafmaßnahmen folgte dabei jedoch keiner humanitären Motivation, sondern ebenfalls einer konsequenten propagandistischen Logik: Die Großmütigkeit gegenüber einer eingenommenen Stadt sollte den Nachbarstädten als Kapitulationsanreiz dienen, um so mühsame Belagerungen nach Möglichkeit zu vermeiden.152 Das wohl erfolgreichste Beispiel für diese Strategie ist der Feldzug Aurelians gegen das sog. Palmyrenische Teilreich im Jahr 272 n. Chr. Das schwerste Hindernis auf dem Marsch in den Osten war die am Zugang zur Kilikischen Pforte gelegene kappadokische Stadt Tyana, die ihre Tore vor dem kaiserlichen Heer verschlossen hielt und sich auf eine Belagerung einstellte.153 Aurelian gelang es jedoch überraschenderweise, diese strategisch wichtige Stadt im Handstreich zu nehmen und er entschied sich – entgegen erster Impulse – letztlich dafür, trotz ihres Widerstandes auf eine angemessene Bestrafung der Einwohner zu verzichten.154 Diese demonstrativ an den Tag gelegte clementia erwies sich als entscheidender propagandistischer Coup, denn in der Folge ging entlang des weiteren Vormarsches

149 Vgl. Fron. Str. 2,9,5; zur Kapitulation Tigranocertas (ohne Erläuterung der Kopf-Episode): Tac. Ann. 14,24,3f. 150 Vgl. D.C. 75,8,3. Auch die Massenkreuzigung von Kriegsgefangenen in Blickweite der Mauern von Jerusalem folgte der Logik, die Unterwerfung des Feindes durch ostentative Grausamkeit zu erzwingen, vgl. J. BJ 5,449–451; Goldsworthy 2007, 97. Visuelle Gewalt wurde aber auch von den Feinden Roms als kommunikatives Instrument der psychologischen Kriegführung eingesetzt: Als die Einwohner von Philippopolis den Belagerungsdamm der Goten zum Einsturz gebracht hatten, rächten sich diese wiederum laut Dexipp dadurch, dass sie zu dessen Wiederaufbau auch Leichen hingerichteter römischer Kriegsgefangener verwendeten. Diese visuelle Drohgeste blieb jedoch letztlich erfolglos, vgl. Dexipp. F 24,9–11 [Martin]. 151 CIL XI 6721 Nr. 14: „L. A(ntoni) calve (et) Fulvia, culum pan(dite)“; vgl. Hallett 1977, 151– 164. 152 Vgl. Onos. 38,1–3; V. Max. 5,1,5f.; de Libero 2002, 22; Kern 1999, 323f. 153 Vgl. Berges/Nollé 2000, 9–18. 154 Vgl. SHA Aurelian. 22,4–24,9. Clementia gegenüber besiegten Feinden stellte auch eine Kerntugend eines ‚guten‘ Kaisers nach augusteischem Vorbild dar, vgl. AE 1952, 165; Hölscher 2019, 259–266, 283–287.

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eine Stadt nach der anderen kampflos zu Aurelian über und selbst Antiochia leistete keinen Widerstand.155 Das dargelegte Verständnis von Gewalt als Kommunikationsmittel eröffnet neue Deutungsperspektiven156: Aufgrund ihrer unvermeidbaren Außenwirkung lässt sich die Behandlung der Bevölkerung einer eroberten Stadt immer auch als ein zumindest unwillentlicher, im Hinblick auf die römische Kriegführung aber im Regelfall beabsichtigter Kommunikationsakt zwischen den Eroberern und Adressaten außerhalb des Kreises der physisch Betroffenen (andere Städte/ein Herrscher) verstehen, der zwingend eine Form der Reaktion provozierte – sei es nun die Verhärtung des feindlichen Widerstandswillens oder dessen Zusammenbruch.157 Eine ähnliche kommunikative Bedeutung besaßen auch die symbolischen Gewalt–handlungen, die im Rahmen der psychologischen Kriegführung direkt an die Belagerten adressiert waren. Die Instrumentalisierung von exemplarischer Gewalt und Gewaltverzicht folgte dabei im Grunde derselben militärisch-politischen Absicht: Logistisch aufwendige und zeitraubende Belagerungen sollten vermieden und zugleich Druck auf die politische Führung des Feindes ausgeübt werden, um diese in jedem Fall unter Zugzwang zu setzen und idealiter zur Unterwerfung zu bewegen.158 Schlussfazit: Extreme Gewalt als Institut der römischen Kriegführung Mit der Erstürmung einer Stadt entfaltete sich eine Dimension der Gewalt, die sich aus den Quellen nicht mehr in ihrer Gänze nachvollziehen lässt. Dieser Umstand scheint jedoch nur zum Teil der Überlieferungssituation geschuldet zu sein. Ein Ende des 5. Jh. n. Chr. in Briefform verfasster Augenzeugenbericht eines belagerungsartigen Aufstandsszenarios im ägyptischen Lykopolis legt nahe, dass es selbst den Betroffenen schwerfiel, ihre Erlebnisse in Worte zu fassen. Genaugenommen lässt die zerfahrene Schilderung der Eindrücke nur einen Aspekt wirklich greifbar werden: das Trauma eines Überlebenden.159 Die Unübersichtlichkeit, die Dynamik und die Pluralität der Gewalthandlungen im Zuge der Erstürmung einer Stadt führen beim modernen Betrachter unweigerlich zu einer Assoziation des Szenarios mit Chaos, Disziplinlosigkeit und 155 Vgl. SHA Aurelian. 25,1; Zos. 1,50,2; 1,51,1–52,1; Hartmann 2008, 368f. 156 Zu Gewalt als nonverbaler Kommunikationsform, vgl. Dietl 2014, XI; Braun/Herberichs 2005, 17f.; Baecker 1996, 100–102. 157 Zur Ambiguität der Gewaltwirkung, vgl. Goldsworthy 2007, 92. 158 Die Belagerung von Städten oder Festungen, die aufgrund einer spezifischen topographischen Gunstlage, starker Befestigungsanlagen oder schwieriger klimatischer Bedingungen besonders gut geschützt waren, stellte wegen der damit verbundenen strategischen und logistischen Herausforderungen immer ein großes militärisches Wagnis dar. Aber selbst die Belagerung weniger geschützter Ortschaften war mit Zeitaufwand und Verlusten in den eigenen Reihen verbunden, vgl. Davies 2019, 18–33; Gilliver 2007, 149f., 152; Baker 2021, 72–74; Levithan 2013, 207f., 223. 159 Vgl. P. Oxy. XVI 1873; Reinard/Rollinger 2020, 182–198.

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Kontrollverlust. Jedoch ist dabei zu bedenken, dass die beiden letztgenannten Aspekte keine universal gültigen Konstanten, sondern kultur- und zeitspezifische Faktoren darstellen.160 Aus moderner Perspektive geht das gewaltsame Ausplündern des Feindes alternativlos entweder mit einem Zusammenbruch der militärischen Ordnung oder aber deviantem Verhalten einher, denn diese Handlungen werden durch das heutige Völkerrecht nicht nur völlig delegitimiert, sondern als Kriegsverbrechen kriminalisiert.161 Wie in diesem Beitrag dargelegt, steht eine Übertragung dieser modernen Vorstellungen auf die Antike jedoch den normativen Gegebenheiten der römischen Kriegführung diametral entgegen, denn das Siegerrecht legitimierte neben dem Beuteerwerb auch jede Form von Gewalt gegenüber den Besiegten, sofern sich der Sieger keine freiwillige Selbstbeschränkung auferlegte. Diese breite Akzeptanz von Gewalthandlungen erlaubte grundsätzlich nicht nur deren situative Instrumentalisierung, sondern mehr noch ihre taktische Rationalisierung und feste Institutionalisierung in der römischen Kriegführung – ein Prozess, der sich in der strukturellen Ordnung römischer Stadteroberungen widerspiegelt. Die Entfesselung der Gewalt resultierte in letzter Konsequenz immer aus dem Urteil des Feldherrn, das dieser gestützt auf den Feldherrnrat im Vorfeld der Erstürmung der Stadt über die Besiegten gefällt hatte. Dabei mussten in einem idealiter deliberativen Entscheidungsprozess nicht nur Kosten und Nutzen der Gewalt gegen die Bevölkerung abgewogen, sondern auch die konsekutive Außenwirkung der Handlungen bedacht werden – nicht umsonst nennt Tacitus ratio und consilium als essenzielle Kriterien militärischen Entscheidens.162 Der Grundsatz, der hierbei wohl am häufigsten zur Moderation letaler Gewalt führte, findet sich bei Horaz: „Wenn du einen Gefangenen verkaufen kannst, töte ihn nicht!“163

Literatur Albert, S., Bellum Iustum. Die Theorie des „gerechten Krieges“ und ihre praktische Bedeutung für die auswärtigen Auseinandersetzungen Roms in republikanischer Zeit. Frankfurter Althistorische Studien 10, Kallmünz 1980. Armstrong, J. / Trundle, M., Sieges in the Mediterranean World, in: J. Armstrong, M. Trundle (Eds.), Brill’s Companion to Sieges in the Ancient Mediterranean. Brill’s Companions in Classical Studies 3, Leiden – Boston 2019, 1–17. Augoustakis, A., Literary Culture, in: A. Zissos (Ed.), A Companion to the Flavian Age of Imperial Rome, Malden – Oxford – Chichester 2016, 376–391. Baecker, D., Gewalt im System, Soziale Welt 47, 1, 1996, 92–109. Baker, G., Spare No One. Mass Violence in Roman Warfare, Lanham – Boulder – New York – London 2021.

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Vgl. Hohrath/Neitzel 2008, 10f. Vgl. Fink 2008, 43–51. Tac. Hist. 3,20,2; so auch für die republikanische Zeit: Baker 2021, 84–86. Hor. Ep. 1,16,69.

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RESPONDING TO “PECULIAR TACTICS” Mass Violence in the Jugurthine and Lusitanian Wars Gabriel Baker The legions of the Roman Republic marched from Spain to Asia Minor and beyond in the third and second centuries BC, sweeping all before them and rapidly bringing the Mediterranean under Rome’s sway. In recounting this dazzling military success, ancient and modern historians are often drawn to the decisive clashes that defined the era.1 And understandably so: as Michael Taylor points out, the wars of this period were “punctuated by a set of unusually decisive Roman victories in set-piece battles (e.g. Ilipa, Zama, Cynoscephalae, Magnesia and Pydna)... The Roman army’s ability to defeat and substantially destroy opposing forces ultimately proved the indispensable prerequisite of Roman expansionism.”2 Many Roman commanders were moreover inclined to seek battle, and Latin and Greek texts generally associate Roman triumphs with great battlefield victories over challenging foes.3 In the mid- to late second century BC, however, Rome’s titanic struggles with Carthage and the Hellenistic kingdoms were largely finished. In their place, the Romans fought a series of desultory wars against second-rate powers and tribal peoples on the edges of their Mediterranean empire. Despite the Republic’s overwhelming advantages in such contests, the legions frequently found themselves unable to score quick, sweeping battlefield victories as they had in the past. In this chapter, I examine two such conflicts, the Jugurthine War (112–105 BC) and the Lusitanian War (155–138 BC). As I show, in both wars the Romans faced enemies who could successfully fight set-piece battles, but were also skilled in ambush, hitand-fade, and avoidance tactics; moreover, the Numidians and Lusitanians used these tactics to deny decisive victories to Roman generals. Repeated Roman failure to strike meaningful blows against foes like Jugurtha and Viriathus led to political backlash back home as conflicts dragged on for years. Frustration mounted. And so, when Roman commanders were unable to subdue the enemy on the battlefield, they adopted increasingly brutal tactics: they targeted and destroyed towns and 1 2 3

As noted in e.g., Sabin 2007, 399: “Historians both ancient and modern have felt the dramatic power of these set-piece contests, and have accorded them special attention in their works.” Taylor 2014, 303. Similarly, Hitchner 2013, 433; Goldsworthy 2019, 56. For the relative rarity of pitched battles, and the importance of other kinds of military action in ancient warfare, see Rawlings 2013, 538; Levithan 2020, 139–148. Roman aggression and willingness to seek battle: Lendon 2005, 200–208; Goldsworthy 2000, 62; e.g., Plb. 3.70.7–8. The triumph and battlefield success: Val. Max. 2.8 init.1; D.S. 36.14.1; Gell. NA 5.6.21. On the triumph and triumphal discourse, see Clark 2014; Beard 2007; Pittenger 2008.

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they adopted increasingly brutal tactics: they targeted and destroyed towns and villages, massacred and enslaved whole communities, executed and mutilated prisoners, and devastated the countryside. I argue that these repeated applications of mass violence were not simply an expression of Roman anger and frustration (though anger and frustration certainly played their part).4 Rather, when they could not defeat rival military forces in the field, Roman generals targeted populations, settlements, and prisoners as a deliberate military strategy and as a direct response to the particular tactics of their enemies. By attacking the populations and communities that supported their foes, they sought to undermine the enemy’s ability to wage war, force a climactic battlefield engagement, or eliminate challenges altogether. Ultimately, however, these strategies produced mixed results, and do not seem to have contributed significantly to Roman victory in either conflict. The Jugurthine War During the war against Jugurtha, the Romans confronted a foe who fought in a perplexingly fluid manner, and whose expert use of terrain facilitated ambushes and hit-and-fade tactics. Classical authors from Polybius to Caesar remarked upon the peculiar fighting style of Numidian cavalry, who continually attacked and retreated in the face of the enemy. For instance, Polybius writes that “the Numidians easily scattered and retreated” from Roman and Italian cavalry at the Battle of the Trebia, “but afterwards wheeled round and attacked with great daring – these being their peculiar tactics [to machēs idiom]”.5 Similarly, at Cannae, the Numidians attacked the Roman cavalry opposing them but would not meet them in close combat; and so “[t]he Numidians… neither gained any great advantage nor suffered any serious loss owing to their peculiar mode of fighting [tēn idiotēta tēs machēs], but they kept the enemy’s cavalry out of action by drawing them off and attacking them from all sides at once.”6 At the Battle of Carmo, too, Appian says the Numidians dashed towards Scipio’s army, discharged their javelins, retreated, then repeated the process, inflicting constant pain until the Romans were able to drive them off.7 And Caesar also describes how the Numidians dodged around the Romans: “When our cohorts advanced at a run from the line, the Numidians would flee before their 4

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I define “mass violence” as widespread physical violence against groups of noncombatants (those who are unarmed or not actively defending themselves) or against communities (their inhabitant populations as well as their physical dwellings and urban structures). This is an adaptation of the definition proffered by Gerlach 2010, 1. Plb. 3.72.9 (tr. Paton, emphasis added): τοὺς Νομάδας ἀποχωρεῖν μὲν εὐχερῶς καὶ σποράδην, ἐπικεῖσθαι δὲ πάλιν ἐκ μεταβολῆς τολμηρῶς καὶ θρασέως: τὸ γὰρ τῆς Νομαδικῆς μάχης ἴδιόν ἐστι τοῦτο. cf. Liv. 22.15.8 Plb. 3.116.5 (tr. Paton, emphasis added): οἱ δὲ Νομάδες ἀπὸ τοῦ δεξιοῦ κέρατος προσπίπτοντες τοῖς ὑπεναντίοις ἱππεῦσι τοῖς ἐπὶ τῶν εὐωνύμων τεταγμένοις μέγα μὲν οὔτ᾽ ἐποίουν οὐδὲν οὔτ᾽ ἔπασχον διὰ τὴν ἰδιότητα τῆς μάχης, ἀπράκτους γε μὴν τοὺς πολεμίους παρεσκεύαζον, περισπῶντες καὶ πανταχόθεν προσπίπτοντες. App. Hisp. 25. cf. Herod. 7.9.6.

Responding to “Peculiar Tactics”

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attack at full speed, and then circle around and cut our men off from the line when they were going back to their formations.”8 The Numidians’ ability to swarm their enemies from multiple directions, scatter in the face of attacks, and wheel around to renew the onslaught was clearly regarded as remarkable by ancient Greek and Roman authors. Numidian horsemen also used irregular tactics, often utilizing local terrain to that end. In some accounts, Numidian leaders like Masinissa and Jugurtha collect small bodies of cavalry and launch hit-and-run raids against their foes.9 Thus Sallust describes Jugurtha’s campaign against the consul Metellus: However, [Jugurtha] adopted the plan which seemed best under the circumstances and ordered the greater part of the army to remain where it was, while he himself followed Metellus with a select body of cavalry. Making his way at night and through by-paths he suddenly fell upon the Roman stragglers when they least expected it; the greater number of them were killed before they could arm themselves, many were taken, not one escaped unscathed. Before aid could be sent from the camp, the Numidians, as they had been ordered, scattered to the nearest hills.10

Indeed, Jugurtha regularly led his soldiers in ambushes of Roman forces as the latter passed through North Africa, using his knowledge of the landscape to take his army through “wooded places and side-paths” (per saltuosa loca et tramites) and to make unexpected assaults on the enemy’s line of march and encampments.11 Hannibal also regularly employed his Numidian troops in ambushes on and off the battlefield during the Second Punic War, given their skill in such maneuvers.12 By that same token, the Numidians’ swiftness and command of terrain allowed them to escape in a pinch. During the Jugurthine War, Sallust writes, Jugurtha’s men would flee when the Romans got the upper hand, keeping their casualties to a minimum and preventing the sort of one-sided massacres that punctuated many battlefield routs in antiquity.13 In some cases the Numidians fled to rough terrain that was difficult for the Romans to traverse. Sallust also describes Jugurtha fleeing through desolate parts of the Numidian landscape to escape (and avoid confrontation with) the Romans or to prosecute his campaign from the relative safety of the desert.14 Similarly, during his war with the rival Numidian prince Syphax, Masinissa reportedly escaped from a battlefield defeat and fled to the 8 9 10

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Caes. BCiv. 2.41 (tr. Damon): Cum cohortes ex acie procucurrissent, Numidae integri celeritate impetum nostrorum effugiebant rursusque ad ordines suos se recipientes circumibant et ab acie excludebant. cf. Sall. Iug. 50.6, 97.4–5, 101.3; Tac. Ann. 3.21. Tac. Ann. 3.74; App. Pun. 11; Oros. 5.15.9. Sall. Iug. 54.9–10 (tr. Rolfe): Tamen ex copia quod optumum videbatur consilium capit, exercitum plerumque in eisdem locis opperiri iubet, ipse cum delectis equitibus Metellum sequitur, nocturnis et aviis itineribus ignoratus Romanos palantis repente aggreditur. Eorum plerique inermes cadunt, multi capiuntur, nemo omnium intactus profugit, et Numidae, prius quam ex castris subveniretur, sicuti iussi erant, in proxumos collis discedunt. Here and throughout, I use J.C. Rolfe’s translation of the Bellum Jugurthinum. Sall. Iug. 38.1–6, 48.2–53.8, 58.1, 59.2, 97.3–4. Plb. 3.74.1, 8.26.4–6, 10.32.3; Liv. 21.55.9; 25.17.3, 27.26.10–11. Sall. Iug. 53.3, 54.4, 56.6. cf. Plb. 9.7.5. Casualties normally inflicted on a routed army: Krentz 1985, 13–20; Sabin 2000, 5–6; Koon 2011, 88–93. Sall. Iug. 50.6, 54.3, 74.1, 75.1, 87.4.

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mountains with some supporters. From the mountains, he led a campaign of night raids, ambushes, and surprise attacks against both his Numidian and Carthaginian enemies.15 These Numidian tactics explicitly contribute to Roman failure and frustration in ancient narratives of the Jugurthine War. As Sallust tells it, the consul for 110 BC, Spurius Postumius Albinus, sailed to Africa to try “in any possible way to bring the war to an end before the elections.”16 However, Jugurtha quickly thwarted those plans, largely by avoiding battle and continually attacking and retreating. Eventually, after failing to achieve anything, Albinus left to hold the elections and left his brother Aulus Postumius Albinus in charge of the army in North Africa. Aulus was also eager to strike a great blow against the enemy. Jugurtha, however, feigned retreat through difficult terrain, drawing the Roman army into “remote regions” (abditas regiones) – where he led the overeager general into an ambush and overran the Roman camp, forcing Aulus to accept a humiliating treaty and march under the yoke.17 Quintus Caecilius Metellus, consul in 109 BC, was also foiled by Jugurtha’s irregular tactics. After he had retrained and disciplined the army, Sallust writes, the Roman general marched through the heart of Numidia, where many of the inhabitants surrendered and accepted Roman garrisons rather than fight. For his part, Jugurtha tried to open negotiations, but Metellus was noncommittal – and as more Numidian towns surrendered to the Romans, Jugurtha eventually decided to ambush the Roman army near the Muthul River. Ultimately Metellus’ army prevailed in the ensuing battle, but the victory was not decisive: most of the Numidians escaped unscathed due to their lighter equipment and familiarity with the terrain.18 After the Battle of the Muthul, as Metellus ravaged the Numidian countryside, Jugurtha took a select group of cavalrymen and stealthily stalked the Roman army by night, through obscure paths, and along the hills. The Numidian king launched quick ambushes on stragglers, attacked the rear of the Roman column, poisoned water sources and fodder, and scattered to nearby hills whenever the Romans counterattacked.19 Sallust is explicit that these hit-and-run tactics prevented the Romans from achieving anything significant and denied them opportunities for battle. In his words, Jugurtha “neither gave battle nor let the enemy rest, but merely prevented 15 Liv. 29.31.7–12; App. Pun. 11–12. 16 Sall. Iug. 36.1: statim ipse profectus, uti ante comitia… quovis modo bellum conficeret. The first consul sent to confront Jugurtha, one Lucius Calpurnius Bestia, ended up negotiating terms that were highly favorable to the Numidian king, and bribery may have been involved: Sall. Iug. 27.1–35.10; Liv. Per. 64; Flor. 1.36.7; Eutr. 4.26.1. However, Bestia’s successors took a more aggressive approach, and each met with a string of failures and indecisive results on the battlefield. 17 Sall. Iug. 36.2–38.10. Similar, though more truncated, reports are found in Oros. 5.15.6; Liv. Per. 64; Flor. 1.36.9; Eutr. 4.26. 18 Sall. Iug. 46.5–53.8; Liv. Per. 65; Eutr. 4.27; Oros. 5.15.7; Vell. Pat. 2.11.2. Numidian speed, etc.: Sall. Iug. 53.3, 54.4. cf. 74.3; App. Hisp. 27; Str. 17.3.7; Liv. 35.11.7–11. 19 Sall. Iug. 54.9–10, 55.8.

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them from carrying out their plans,” and “the Roman general began to realize that he was being exhausted by the strategy of his opponent, who gave him no chance for battle.”20 And while Metellus besieged the important city of Zama in a last-ditch effort to provoke a standing fight, Jugurtha launched ambushes throughout the attempted siege and the Roman assaults failed. Metellus again realized that “Jugurtha would not fight except from ambush or on his own ground,” so he withdrew to winter quarters, where he tried and failed to negotiate for Jugurtha’s surrender.21 Though he was prorogued for 108 BC, Metellus was still unable to strike a decisive blow. Even when he maneuvered Jugurtha into another battle – and routed the Numidian army – Sallust says that Numidian mobility mitigated the damage: “the Romans captured a considerable number of standards and arms, but few prisoners; for in almost all their battles the Numidians depend more upon speed of foot than on arms.”22 Jugurtha spent much of that year and the next winter on the run, frequently fleeing to the desert when hard pressed and, by keeping out of Metellus’ hands, preventing a conclusive Roman victory.23 Metellus’ successor, Marius, was also unable to win a decisive battle. Upon Marius’ arrival in North Africa in 107 BC, Jugurtha withdrew to “difficult terrain” (locos difficilis) and launched raids on the territory of Rome’s allies. In response, Sallust tells us, Marius made several attacks on Jugurtha’s forces near the town of Cirta. But once again Jugurtha fled from the aggressive Romans and there was no significant victory.24 Marius came to much the same conclusion as Metellus, realizing that “such exploits merely brought him glory, but did not tend to finish the war.” 25 Even after Jugurtha had gained the support of King Bocchus of Mauretania, and the two launched full-scale attacks on Marius’ army, their tactics emphasized surprise, mobility, and retreat in the face of the enemy – and prevented any sweeping Roman success. When the two kings launched a surprise attack on the Romans late in 106 BC, their cavalrymen fell on the Romans “not in order or with any plan of battle but in swarms,” attacking from all sides and forcing the legions to take refuge on two nearby hills.26 Orosius describes much the same engagement, adding that the Romans were constantly showered with javelins and prevented from coming to close quarters or fleeing:

20 Sall. Iug. 55.8–56.1: neque proelium facere neque otium pati, tantum modo hostem ab incepto retinere. Romanus imperator ubi se dolis fatigari videt neque ab hoste copiam pugnandi fieri. cf. 54.5–7. 21 Sall. Iug. 61.1: neque Iugurtham nisi ex insidiis aut suo loco pugnam facere. Zama: Sall. Iug. 56.1–61.1. cf. Flor. 1.36.11. Negotiations in the winter of 109/8: Sall. Iug. 61.4–62.9. cf. Oros. 5.15.7; Dio fr. 89.1. 22 Sall. Iug. 74.3: Romani signorum et armorum aliquanto numero, hostium paucorum potiti; nam ferme Numidis in omnibus proeliis magis pedes quam arma tuta sunt. 23 Sall. Iug. 75.1–76.1, 80.1. 24 Sall. Iug. 87.4, 88.3. Chronology: Paul 1984. 25 Sall. Iug. 88.4: Quae postquam gloriosa modo neque belli patrandi cognovit. 26 Sall. Iug. 97.4: non acie neque ullo more proeli sed catervatim.

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Gabriel Baker It was useless for a soldier to rush against the enemy with drawn sword, for he would be driven back by darts hurled from a distance; the infantrymen could not flee, since the cavalry, which had completely hemmed them in, could swiftly overtake them. 27

Marius was able to break out the following day, scattering the Numidians and Mauretanians, but a few days later Jugurtha and Bocchus attacked the Roman column a second time. Here too, the kings’ forces appeared suddenly and attacked from all sides, although the Romans drove them off. Sallust claims that these two engagements inflicted heavy casualties on the Numidian and Mauretanian armies, but in the end Marius won not because of a great battle, but by negotiating with Bocchus for Jugurtha’s surrender.28 Throughout the conflict, the inability to defeat Jugurtha elicited frustration and anxiety in Rome. For example, a swell of popular outrage led to the rejection of Bestia’s and Aulus’ treaties with the Numidian king.29 Aulus’ humiliating defeat struck the city with “fear and grief,” as well as anger that the commander “had sought safety by disgrace rather than by combat.”30 Further, tribunes instituted special hearings and trials to investigate the conduct of Roman commanders and other individuals who were accused of accepting Jugurtha’s bribes.31 And while there is enormous controversy about why Marius recruited soldiers from the capite censi – a debate beyond the scope of this chapter – it is possible that military service in Numidia had become unpopular among the traditional class of assidui.32 Sallust suggests as much, and reports a tradition that Marius recruited poorer Romans because there was a “lack of good men” (inopia bonorum).33 Additionally according to Sallust, the tribunes prevented the consul Albinus from bringing fresh forces to Africa after the defeat of his brother Aulus. 34 These recruitment problems and tribunician interventions have clear parallels to the earlier wars in Spain, where a grinding fight against intractable foes made military service unpopular, and tribunes intervened in recruitment and accused commanders of misconduct.35 Perhaps in the Jugurthine War, too, the unpopularity of the conflict led to a shortage of volunteers, prompting Marius’ ad hoc decision to accept volunteers from the poorest census class.

27 Oros. 5.15.13 (tr. Raymond): erumpere in hostem quamvis stricto miles gladio non valebat, eminus enim iaculis repellebatur; fugere non poterant, undique enim velocior ad persequendum eques incluserat. 28 Sall. Iug. 99.1–113.6; Plut. Sull. 3.1–3, Mar. 10.3–6; D.S. 34.39; App. Num. 4–5; Dio fr. 89.5– 6; Vell. Pat. 2.12.1. 29 Sall. Iug. 39.3; Liv. Per. 64; Flor. 1.36.8; Eutr. 4.26. 30 Sall. Iug. 39.1–2: metus atque maeror civitatem invasere… Aulo omnes infesti… quod armatus dedecore potius quam manu salutem quaesiverat. cf. Flor. 1.36.9; Vell. Pat. 2.11.2; App. Num. 2. 31 Sall. Iug. 30.1–35.10, 40.1–5; Liv. Per. 64; Cic. De or. 2.283, Brut. 127–128; Oros. 5.15.5. 32 For Marius’ motive in recruiting the capite censi, the so-called Marian Reforms, see e.g., Cadiou 2018; Keppie 1998, 61–63; Rich 1983; Brunt 1971. 33 Sall. Iug. 86.3. cf. Plut. Mar. 9. 1; Val. Max. 2.3.1; Gell. NA 15.10.14–16. 34 Sall. Iug. 39.4. 35 Plb. 35.4.1–14; Liv. Per. 48–49; App. Hisp. 49. For the wars in Spain, see below.

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In any case, popular dissatisfaction with the Jugurthine War, and with the repeated failures of Roman commanders, is clear in our sources. This rising frustration ratcheted up the political pressure for Roman generals who were expected to end the conflict.36 Indeed, in Sallust’s version of events, a sense of impatience and urgency motivates at least some Roman commanders. Albinus, as we have seen, rushed to Africa and tried “in any possible way to bring the war to an end before the elections.” During his first year of command, Metellus learned that the Roman people looked forward to his success in Numidia, whereas previously they “had been in fear and anxiety as to the outcome of the war.” As a result of this renewed pressure, Metellus “strove the harder for victory, [and] hastened matters in every way” to defeat the Numidians.37 For his part, Marius reportedly moved quickly to load ships and set sail for Africa after his election.38 It is in this context – an inability to score decisive victories against Jugurtha, growing frustration back in Rome, and urgency to achieve something – that Metellus adopted a new strategy after the Battle of Muthul. As Sallust puts it, when Metellus saw that the king was still full of confidence, and that a war was being renewed which could be carried on only as his opponent chose, he realized that his struggle with the enemy was an unequal one, since defeat cost them less than victory did his own men. He accordingly decided that he must conduct the campaign, not by pitched battles, but in another fashion. He therefore marched into the most fertile parts of Numidia, laid waste the country, captured and burned many strongholds and towns which had been hurriedly fortified or left without defenders, ordered the death of all the adults and gave everything else to his soldiers as booty. 39

As Metellus prosecuted this scorched earth campaign, Sallust adds, “fire did more than plundering to devastate the land.”40 This widespread devastation left a deep impression in our Latin sources. Livy says that Metellus “devastated all of Numidia,” and Orosius claims that Jugurtha “saw his Numidia ravaged and himself powerless to defend it.”41 Florus writes that Metellus was “not content with laying waste the fields and villages,” so “he attacked the principal cities of Numidia,” making an attempt on Zama and sacking Thala.42 36 Clark 2014, 188–195. 37 Sall. Iug. 55.2–3: civitas trepida antea et sollicita de belli eventu laeta agere… Igitur eo intentior ad victoriam niti, omnibus modis festinare. 38 Sall. Iug. 86.1. 39 Sall. Iug. 54.5–6: Metellus ubi videt regis etiam tum animum ferocem esse, bellum renovari, quod nisi ex illius lubidine geri non posset, praeterea iniquum certamen sibi cum hostibus, minore detrimento illos vinci quam suos vincere, statuit non proeliis neque in acie sed alio more bellum gerundum. Itaque in loca Numidiae opulentissuma pergit, agros vastat, multa castella et oppida temere munita aut sine praesidio capit incenditque, puberes interficiiubet, alia omnia militum praedam esse. 40 Sall. Iug. 55.5: Sed igni magis quam praeda ager vastabatur. 41 Liv. Per. 65 (tr. Schlesinger): totamque Numidiam vastavit; Oros. 5.15.7 (tr. Raymond): vidit praesente se et vastari Numidiam suam et non posse defendi. 42 Flor. 1.36.11 (tr. Forster): Agrorum atque vicorum populatione non contentus in ipsa Numidiae capita impetum fecit; et Zamam quidem frustra adsiluit, ceterum Thalam, gravem armis thensaurisque regiis, diripuit. cf. Sall. Iug. 76.2–6.

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When Marius was unable to strike a quick and decisive blow, he adopted a similar strategy. Realizing that his attacks on Jugurtha’s army were not bringing about decisive results, he decided “to invest one after the other the cities which by reason of their garrison or their situation were most serviceable to the enemy and most detrimental to his own success.”43 Sallust provides few details about this campaign, although he does describe Marius’ assault on the important city of Capsa. As he tells it, the inhabitants of Capsa tried to surrender when the Romans appeared outside their walls; nonetheless, Marius massacred the adult males, enslaved the rest, and burned the city to the ground.44 He continued this campaign of devastation through late 106, capturing and burning other towns in eastern Numidia.45 In sum, both Metellus and Marius shifted strategies when they could not defeat Jugurtha on the battlefield, focusing their attacks on Numidian cities and populations and meting out massive violence in the process. Before discussing their motives for their shift in strategy, it is worth examining a parallel development in the mid-second century Lusitanian War. The Lusitanian War In the Lusitanian War, the Romans faced formidable warriors whose manner of fighting made them particularly challenging foes. Several classical authors highlight Lusitanian tactics and distinguish their fighting style from other Spanish peoples. Strabo, for example, contrasts the Lusitanians from other tribes, asserting that they were “the greatest of the Iberian peoples, most frequently fought by the Romans”; he additionally stresses the Lusitanian tendency towards mobility, writing that they are “skilled at ambush, good at scouting, swift, nimble, and adept at maneuvering.”46 Diodorus distinguishes Lusitanian warfare from that of the Celtiberians, stating that the Lusitanians are inferior in close combat, but on the other hand they expertly hurl their barbed javelins, and “they are agile and lightly-armed, [and] they readily flee and give chase.”47 Ancient descriptions of Viriathus’ tactics persist in this theme. With his Lusitanian warriors, Viriathus sets ambushes and harasses Roman forces with barrages of rapid attacks, and retreats just as quickly when pressed.48 Lusitanian capabilities were amplified by other advantages, including their masterful use of cavalry and terrain. Strabo writes that the Lusitanians trained their swift horses to traverse mountains and follow commands, and mingled 43 Sall. Iug. 88.4: statuit urbis, quae viris aut loco pro hostibus et advorsum se opportunissumae erant, singulas circumvenire. 44 Sall. Iug. 91.7. 45 Sall. Iug. 92.3–4; Syme 1964, 145–146. 46 Str. 3.3.3: μέγιστον τῶν Ἰβηρικῶν ἐθνῶν καὶ πλείστοις χρόνοις ὑπὸ Ῥωμαίων πολεμηθέν; 3.3.6: ἐνεδρευτικοὺς ἐξερευνητικοὺς ὀξεῖς κούφους εὐεξελίκτους (my translations). cf. Sall. fr. 1.114; D.S. 5.34.4; Dio 37.53.1. 47 D.S. 5.34.5 (my translation): εὐκίνητοι δ᾽ ὄντες καὶ κοῦφοι ῥᾳδίως καὶ φεύγουσι καὶ διώκουσι. 48 e.g., App. Hisp. 62–68; Frontin. Str. 2.5.7; possibly Oros. 5.4.5–6. Neighboring peoples in the west and north of Spain are described using similar tactics: Dio 54.25; App. Hisp. 71–73.

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and mingled cavalry with their infantry in battle.49 Appian also describes Lusitanian horsemen harassing the legions with rapid attacks and retreats, then melting into mountainous terrain where Roman horses were incapable of crossing.50 It was precisely because of their mode of fighting, Diodorus says, that it was so difficult for the Romans to conquer the Lusitanians: For using as they do light arms and being altogether nimble and swift, they are a most difficult people for other men to subdue. And, speaking generally, they consider the fastnesses and crags of the mountains to be their native land and to these places, which large and heavily equipped armies find hard to traverse, they flee for refuge. 51

To this can be added Dyson’s point that “[g]eography favored the Lusitanians,” since “[t]heir own terrain was rugged, and they could attack outward from a variety of directions along a long, exposed frontier.”52 This would have amplified the effectiveness of Lusitanian tactics and made them even more difficult to subdue by force, as they darted into Rome’s Spanish provinces and speedily returned to their own territory when pressed. In our narratives of the Lusitanian War, the Lusitanians’ use of mobility, ambush, and terrain provide key advantages against Rome. Thus, we are told, four Roman armies were defeated between 155 to 151 BC.53 In 153, for instance, the praetor Lucius Mummius met and initially routed a Lusitanian army, but “when Mummius pursued [them] in a disorderly fashion, [the Lusitanians] turned and killed about six thousand.”54 Servius Sulpicius Galba met a similar fate in 151. After force-marching his army to confront the enemy, he immediately drew up his forces for battle, though his army was exhausted. He was fortunate in routing the enemy, but pursued them as they fled in a way which revealed his lack of experience in warfare. As the pursuit was weak and disorderly as a result of tiredness, the barbarians, seeing that they were scattered and pausing in groups for a rest, regrouped and attacked, killing some seven thousand. 55

These parallel episodes are not just criticisms of Roman incompetence, nor are they generic set pieces meant to spice up battle descriptions. Rather, these snapshots hint at the special features of Lusitanian warfare – their tendency to “flee and give chase,” as Diodorus puts it – and tactics that Viriathus would employ repeatedly. 49 Str. 3.4.15; cf. Just. Epit. 44.3. 50 App. Hisp. 62. 51 Diod. 5.34.6–7 (tr. Oldfather): κούφοις γὰρ χρώμενοι καθοπλισμοῖς καὶ παντελῶς ὄντες εὐκίνητοι καὶ ὀξεῖς δυσχειρότατοι τοῖς ἄλλοις εἰσί. καθόλου δὲ τὰς ἐν τοῖς ὄρεσι δυσχωρίας καὶ τραχύτητας ἡγούμενοι πατρίδας εἶναι, εἰς ταύτας καταφεύγουσι, δυσδιεξόδους οὔσας μεγάλοις καὶ βαρέσι στρατοπέδοις. cf. Dio 37.52.3; Plut. Sert. 12.5; Grünewald 2004, 38. 52 Dyson 1985, 204. 53 App. Hisp. 56–58; D.S. 31.42.1; Liv. Per. 46–48; Oros. 4.21.3. 54 App. Hisp. 56: Μουμμίου δ᾽ αὐτὸν ἀτάκτως διώκοντος ἐπιστραφεὶς ἔκτεινεν ἐς ἐννακισχιλίους. Here and throughout, I use J.S. Richardson’s translation of the Spanish Wars. 55 App. Hisp. 58: εὐθὺς ἐς μάχην ἐξέτασσε, κατάκοπον τὸν στρατὸν ἔχων. τρεψάμενος δ᾽ εὐτυχῶς τοὺς πολεμίους, ἐπέκειτο φεύγουσιν ἀπειροπολέμως. ὅθεν ἀσθενοῦς αὐτῷ καὶ ἀσυντάκτου τῆς διώξεως οὔσης διὰ κόπον, οἱ βάρβαροι κατιδόντες αὐτοὺς διεσπασμένους τε καὶ ἀναπαυομένους κατὰ μέρη συνελθόντες ἐπέθεντο, καὶ κτείνουσιν ἐς ἑπτακισχιλίους.

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Indeed, Viriathus expertly led his Lusitanian armies in ambushes and hit-andrun raids, as well as set piece battles, vanquishing at least five Roman armies and killing thousands of legionary and allied troops. Viriathus first comes to the attention of our sources in 147 BC, when he and a Lusitanian raiding party were trapped by the praetor Gaius Vetilius. According to Appian, the Lusitanians (acting on Viriathus’ instructions) scattered in all directions with orders to rendezvous at a town called Tribola, while Viriathus and a thousand horsemen stayed behind to face the much larger Roman force. Vetilius was left with the hard choice of dividing his own soldiers to pursue the fugitives or attacking this small group of cavalrymen. He chose the latter, throwing his legions against Viriathus and his outnumbered companions. But the swift Lusitanian riders did not meet the Roman attack; instead they “ran away and then stopped and attacked, and so used up that day and the whole of the next running around the same battlefield.”56 The Romans were unable to come to grips with the mobile Lusitanians, and Viriathus and his followers slipped away that night. When Vetilius realized that he had lost his quarry, he pursued them and fell right into an ambush. Attacking on both sides, the Lusitanians killed or captured 4,000 Romans, while 6,000 fled.57 Over the next several years Viriathus enjoyed a string of further successes. For long periods, his Lusitanian army moved through Roman territory, plundering and extorting tribute from provincial communities. He also garrisoned some towns and gained support from others, further undermining Roman control of the region.58 Viriathus’s success encouraged the Celtiberians to renew their conflict with Rome, while the neighboring Callaeci and other peoples began to raid the Roman province, too.59 The Romans, for their part, repeatedly sent forces against the Lusitanians just as they had before, but frequently fell into ambushes or suffered from hit-and-run attacks. For example, in a battle with Gaius Plautius, Viriathus “pretended to flee” (hypekrinato pheugein) only to turn on the unsuspecting Romans and cut them down.60 Frontinus narrates a similar incident in which Viriathus “pretended to flee from Roman cavalry, and led them to a place full of very deep holes” where they subsequently fell and were slain.61 Much the same took place when the consul Fabius Maximus Servilianus met the Lusitanians in battle: again, the Romans seemed to rout the enemy, and again, Viriathus’ men turned on the pursuers, killing 3,000 56 App. Hisp. 62: ὑποφεύγων καὶ πάλιν ἱστάμενος καὶ ἐπιών, ἐκείνην τε τὴν ἡμέραν ἐν τῷ αὐτῷ πεδίῳ καὶ τὴν ἐπιοῦσαν ὅλην διέτριψε περιθέων. 57 App. Hisp. 61–63. cf. D.S. 33.1.3; Liv. Per. 52; Oros. 5.4.2; Frontin. Str. 2.13.4. 58 For the wavering allegiance of Roman allies, see Harris 1989, 136–37; D.S. 33.7.5–6. 59 Celtiberians: App. Hisp. 66, 76. Callaeci: App. Hisp. 70–73; Oros. 5.5.12. Other sources for Viriathus’ military activity: D.S. 33.1.1–5, 33.2.1, 33.19–21; Liv. Per. 52, 54; Oros. 5.4; Dio fr. 73, 75, 78; Flor. 1.33.15–17; [Aur. Vict.] De vir. ill. 71. 60 App. Hisp. 64; cf. Hisp. 67. 61 Frontin. Str. 2.5.7 (my translation): cedere se Romanis equitibus simulans usque ad locum voraginosum et praealtum eos perduxit. Note that Frontinus mistakenly identifies Viriathus as a “leader of the Celtiberians,” while correctly identifying him as “leader of the Lusitanians” at 2.13.4. cf. Frontin. Str. 3.10.6.

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3,000 and driving the rest back to their camp. Afterwards Viriathus continually harassed Servilianus’ forces: “attacking frequently at night or in the heat of the day and making use of any moment at which he might not be expected, [he] harassed the enemy with light armed men and rapid horses, until he forced Servilianus back to Itucca.”62 The Roman commander was unable to withstand the cascade of attacks and withdrew his army to the town Itucca for refuge. Sometime afterwards, Viriathus defeated Servilianus in battle a second time and subsequently trapped his army, compelling the Romans to surrender on terms favorable to the Lusitanian leader and his followers.63 The Lusitanians were not invincible, but Roman successes did little to change the overall climate of failure. Battlefield and diplomatic successes are reported for the 150s, but these did not end Lusitanian raids.64 And Viriathus eluded death or capture despite occasional Roman victories.65 Indeed, when hard pressed or short of supplies, he retreated to mountainous terrain in Lusitania, in some cases mauling Roman armies that decided to pursue. In other cases, when he felt battle was unwise, he used his knowledge of the landscape to escape larger Roman forces.66 The Romans only gained the upper hand after the consul Q. Servilius Caepio bribed some Lusitanians to murder Viriathus in his tent.67 As in the Jugurthine War, it was not a momentous and decisive battle that precipitated Roman victory, but underhanded bribery and deception.68 The Romans’ sense of frustration and failure in the Lusitanian War was exacerbated by an equally messy war with the Celtiberian Arevacae, which likewise saw numerous Roman defeats and a lack of quick resolution.69 Polybius summarizes Roman attitudes by describing the Spanish conflict as a “fiery war” (pyrinos polemos) with no end in sight.70 The war was fiery, Frank Walbank contends, “both in its violence and because it spread like fire and kept breaking out anew when it seemed to have been put out.”71 And as the “fire” spread, the larger Roman population reportedly grew tired of the wars in Spain, and military service there became unpopular. Roman commanders reportedly had trouble filling the ranks of the le-

62 App. Hisp. 67: ὁ δὲ Οὐρίατθος ἢ νυκτὸς ἢ καύματος ὥρᾳ θαμινὰ ἐπιών, καὶ οὔ τινα καιρὸν ἀδόκητον ἐκλείπων, ψιλοῖς ἀνδράσι καὶ ἵπποις ταχυτάτοις ἠνώχλει τοῖς πολεμίοις μέχρι τὸν Σερουιλιανὸν ἐς Ἰτύκκην ἀναστῆσαι. 63 App. Hisp. 69. Treaty with Viriathus: Liv. Per. 54; Epit. Oxyrh. 54; D.S. 33.1.3; Obseq. 23; [Aur. Vict.] De vir. ill. 71. 64 App. Hisp. 57–68. 65 Cic. Off. 2.11, Brut. 21.84; App. Hisp. 65. 66 App. Hisp. 64, 66, 68, 70; Oros. 5.4.5–6. 67 Assassination of Viriathus: D.S. 33.21; 33.1.4; App. Hisp. 74; Liv. Per. 54; Vell. Pat. 2.1.3; Val. Max. 9.6.4; Flor. 1.33.17; Eutr. 4.16; [Aur. Vict.] De vir. ill. 71; Oros. 5.4.14. 68 Discussion at Clark 2014, 158–59. 69 For the simultaneously-occurring Celtiberian Wars, see esp. App. Hisp. 44–55, 76–80. 70 Polyb. 35.1.2–6. 71 Walbank 1979, 641.

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valorous enemies.72 Some soldiers deserted.73 We also hear of tribunes intervening repeatedly in military affairs, imprisoning the consuls in 151 for conducting the levy too harshly, attempting to bring Galba to trial in 149 for massacring and enslaving some surrendered Lusitanians (see below), bringing the praetor Gaius Plautius to trial in 145 for mismanaging his campaign against Viriathus, and impeding the departure of the consul Servilius Caepio in 140.74 All of this points towards acute public dissatisfaction.75 The Senate’s general attitude towards the Spanish wars also hardened, with some taking an increasingly uncompromising position. This attitude was on display in 152, when the senate rejected the Arevacae’s proposal to renew an earlier treaty and insisted on complete surrender (deditio) as the only acceptable end to the war.76 Polybius characterizes the views hard-line senators as follows: “They supposed that if this enemy were vanquished, all others would submit to their authority, but that if the enemy could avert their present peril, not only would the Arevacae be encouraged to resist, but all the other tribes also.”77 With the loss of so much of Polybius, we have no evidence of similar discussions concerning the war with the Lusitanians; yet given the Romans’ poor performance in that theater, senatorial attitudes were likely similar. In the Lusitanian War, as in the Jugurthine War, the Romans were unable to score decisive victories against an enemy who used mobility, ambush, and feigned flight to great effect. Lusitanian tactics played on the aggression of Roman armies and denied Roman commanders the battlefield victories that they craved. Meanwhile, Rome was rocked with frustration and anxiety as Viriathus and other Lusitanian leaders outright destroyed several Roman armies. And in this war too, when they were unable to defeat the Lusitanians on the battlefield, Roman commanders used increasingly violent methods: massacre and mass enslavement, widespread devastation, and the execution and mutilation of prisoners. The first incident of mass violence was committed by Sulpicius Galba in 150 BC, about five years after the beginning of large-scale Lusitanian raids. After his defeat in 151, the Senate decided to renew Galba’s command, giving him more time but also raising the political pressure to achieve an enduring victory within his remaining year of command.78 He and the consul Licinius Lucullus, who was also operating in Spain, led a two-pronged invasion of Lusitanian territory, attacking 72 Plb. 35.4.4–6; Liv. Per. 48; Oros. 4.21.1; Val. Max. 3.2.6. 73 Liv. Per. 55; Frontin. Str. 4.1.20. 74 Consuls imprisoned: Liv. Per. 48; cf. App. Hisp. 49. Galba: Liv. 39.40.12, Per. 49; Val. Max. 8.1.2; Gell. NA 1.12.17; Cic. Brut. 23.89–90; De or. 1.227–8; Mur. 59; Quint. 2.15.8. Plautius: D.S. 33.2.1. Caepio: Liv. Per. 54. 75 Rich 1983, 317–18; Clark 2014, 135–37, 151–57. 76 Plb. 35.2–3; App. Hisp. 49. Discussion in Richardson 1986, 141–44. 77 Plb. 35.3.9 (tr. Paton): κρατηθέντων μὲν γὰρ τῶν ἐχθρῶν πάντας ὑπέλαβον σφίσι ποιήσειν τὸ προσταττόμενον, ἀποστρεψαμένων δὲ τὸν ἐνεστῶτα φόβον οὐ μόνον Ἀραυάκας καταθαρρήσειν, ἀλλὰ καὶ τοὺς ἄλλους ἅπαντας. 78 For his prorogation, see Rosenstein 1990, 200; Richardson 2000, 153. Suet. Galb. 3.2 describes him as Hispaniam ex praetura optinentem. For the Roman practice of proroguing defeated commanders, see Clark 2014.

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communities along the Tagus (modern Tajo) river.79 Galba and Lucullus adopted a different approach relative to previous Roman campaigns. In the campaigns between 155 and 151, most Roman generals – including Galba – had marched out to confront Lusitanian forces on the battlefield, probably hoping to achieve a stunning victory and drive them from the Roman province. In contrast, Galba and Lucullus aimed their swords at Lusitanian populations. First, Appian says, they crossed the frontier and systematically ravaged Lusitanian territory “area by area” (katà méros epórthei).80 In the face of this systematic devastation, three Lusitanian population groups living on the southern side of the Tagus sent envoys to Galba. These envoys offered to surrender and requested to renew an earlier treaty they had made with Rome.81 Initially, it appears, Galba agreed to the truce and accepted the Lusitanians’ unconditional surrender, or deditio. Then he promised to resettle these Lusitanians on separate tracts of rich farmland. The Lusitanians went along with this, and our sources suggest that about 30,000 people picked up their communities and gathered separately in three prearranged locations.82 As they gathered at their three different rendezvous points, Galba (and his soldiers) went to the first group and asked them to lay down their weapons. Next, Galba’s soldiers seem to have herded the Lusitanians together, separated the men of military age from the rest of the populace, and encircled the now-helpless crowd. At a signal, the Roman troops butchered the unarmed males. When the dust settled, Galba enslaved the survivors and moved on to the second and third groups to repeat the process.83 Galba’s massacre was the most famous incident of mass violence in the Lusitanian War, but it was not an isolated incident. Like Galba, other commanders resorted to brutal tactics when they could not defeat the Lusitanians in the field; and 79 App. Hisp. 59; Oros. 4.21.10. 80 App. Hisp. 59. Appian uses the verb porthein to describe the devastation, which indicates the ravaging of farmland. This likely would include the burning of rural villages and assaults on local inhabitants. For porthein, see Hanson 1998, 187–88. Roman raids on enemy territory: Plb. 1.29.5–7; Tac. Ann. 1.51. 81 App. Hisp. 59. Val. Max. 9.6.2 says “three civitates” approached Galba in surrender, while Appian has Galba dealing with three different groups of Lusitanians. South of the Tagus: Oros. 4.21.10. 82 Deditio in Roman warfare: Plb. 20.10; Liv. 1.38.1–2; Baker 2013, 111–16, with sources. Other resettlements in Spain: Richardson 1996, 75–76. Thousands of Lusitanians: Suet. Galb. 3.2 (30,000 killed); Val. Max. 9.6.2 (8,000 Lusitanian men killed); App. Hisp. 61 (about 10,000 survivors). It may be that Galba killed 8,000 men out of a total population of 30,000, and Suetonius garbled the figures. Since even medium-sized oppida in Spain seldom had more than two or three thousand inhabitants (Quesada Sanz et al 2014, 265), the sources indicate that the populations of several hamlets, villages, and towns evacuated their homes to answer Galba’s summons. 83 Galba’s massacre is described in several sources: App. Hisp. 59–60; Cic. Brut. 23.89; Val. Max. 8.1abs.2; 9.6.2; Oros. 4.21.10; Liv. Per. 49; Suet. Galb. 3.2. cf. App. Hisp. 100, which describes a similar massacre undertaken by Titus Didius. In narrating Didius’s massacre, Appian was perhaps deliberately recalling Galba’s more famous massacre. The same similarity was noticed by García Riaza 2002, 106 n.343. For a more detailed analysis of this massacre, see Baker 2020, 184–89.

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while surviving accounts of the war are spotty, two other commanders stand out. First, as we have seen, Viriathus defeated the consul Fabius Maximus Servilianus in battle, shortly after the latter arrived in Further Spain in 142. Afterwards the Lusitanian warlord used his light troops and cavalry to harass the Roman army with constant ambushes, before escaping across the frontier into Lusitania. Servilianus failed to overtake him, but attacked and sacked at least eight Spanish towns that had sided with Viriathus. From these communities he took 10,000 prisoners, beheading five hundred and selling the rest as slaves. Additionally, he was defeated by another Lusitanian army, but managed to counterattack and compel their surrender; he received them, but cut off the hands of all the surviving warriors.84 After the murder of Viriathus and surrender of his army, the consul Decimus Junius Brutus led mop-up operations against the Lusitanians and neighboring Callaeci that had supported Viriathus or raided Roman territory. From the beginning, Brutus pointedly refused to chase the raiders throughout the countryside, “thinking it difficult to catch up with men who moved rapidly from place to place, as bandits do, disgraceful to fail to catch them and to conquer them a matter of no great glory.”85 Instead of seeking battle, he focused his efforts entirely on enemy settlements, destroying several communities and their inhabitants. He reportedly accepted the surrender of some populations, but these were forcibly relocated.86 In sum, Galba and Servilianus began their commands after several Roman generals had failed to suppress the Lusitanians via battle, diplomacy, or other methods. And when both commanders were unable to defeat the enemy in the field, they changed strategies, devastating the landscape, sacking towns, and killing, enslaving, or mutilating prisoners. For his part, Brutus had apparently learned from his predecessors’ failures and decided not to seek battle at all. From the beginning, his campaign targeted enemy populations as a matter of course.

Explaining Mass Violence in the Jugurthine and Lusitanian Wars The Romans’ turn to mass violence in the Jugurthine and Lusitanian Wars is best understood in light of the Numidians’ and Lusitanians’ tactics, which presented serious challenges for Roman commanders. The Numidians used their swift cavalry to swarm rival armies from multiple directions, showering them with javelins and rapidly retreating. Jugurtha, a talented general, used his fast horsemen to harass and ambush Roman forces, to launch hit-and-fade attacks, and to escape through rough 84 App. Hisp. 68; Val. Max. 2.7.11; Oros. 5.4.12; Frontin. Str. 4.1.42; Liv. Per. 53. For possible archaeological evidence of Servilianus’ devastations, see Quesada Sanz et al 2014. 85 App. Hisp. 71: Σέξτος δὲ Ἰούνιος Βροῦτος ἐπὶ ταῦτα πεμφθεὶς ἀπέγνω μὲν αὐτὰ διώκειν διὰ χώρας μακρᾶς, ὅσην ὁ Τάγος τε καὶ Λήθης καὶ Δόριος καὶ Βαίτις ποταμοὶ ναυσίποροι περιέχουσιν, ὀξέως, οἷα δὴ λῃστήρια, μεθισταμένους δυσεργὲς ἡγούμενος εἶναι καταλαβεῖν, καὶ αἰσχρὸν οὐ καταλαβόντι, καὶ νικήσαντι τὸ ἔργον οὐ λαμπρόν. 86 App. Hisp. 71–73; Val. Max. 6.4.ext.1; Liv. Per. 55–56; Str. 3.3.5; D.S. 33.26.1–2; Oros. 5.5.12; Vell. Pat. 2.5.1. See also Curchin 1991, 38; Silva 2013, esp. chapter 8.

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terrain when pressed on the battlefield. Similarly, Viriathus pestered Roman forces with surprise assaults and rapid withdrawals, set masterful traps for his enemies, and won several set-piece encounters to boot. Lusitanian forces often retreated in the face of the legions, only to lead them into ambushes. At times, Lusitanian armies escaped through the mountainous landscape, avoiding confrontation or capture. While their fighting styles were not identical, both the Numidians and Lusitanians played on the aggression of Roman generals and denied them opportunities to score decisive wins worthy of fama and gloria. Still, as Fernando Quesada Sanz rightly argues, we must approach classical descriptions of ancient Iberian warfare with caution, laden as they are with stereotyping and the ideological need to depict the enemy as mere bandits fighting in an unmanly, barbarian fashion.87 The same point surely applies to the Numidians. Moreover, François Cadiou and Adrian Goldsworthy have shown that the Romans themselves were fully able and willing to fight in a more irregular manner, and they were ready to respond in kind to enemies who used such tactics.88 In my view, however, there are several reasons to accept the texts’ basic picture of Numidian and Lusitanian tactics, especially their use of irregular warfare. First, these ancient narratives are supremely unflattering to the Romans. Again and again, they describe Roman commanders falling into traps or getting outwitted by their supposedly “barbarian” opponents.89 Given that ancient authors were generally sympathetic to the Roman perspective, it is unlikely that they invented these unflattering details; it is clear that Greek and Latin authors could not sweep these embarrassing defeats under the rug.90 In addition, the sources are constantly accusing the Lusitanians of banditry and accusing the Numidians of treachery or cowardice.91 These accusations are a red flag, particularly when placed alongside the record of Roman failure and public outrage. By insisting that the enemy’s manner of fighting was somehow illegitimate, the repeated slanders provide cover for repeated (and embarrassing) Roman failures. (Or as Cadiou puts it, the Romans are ‘quick to denounce others vigorously for what they themselves cheerfully practice.’92) These accusations also reflect the anxiety and frustration the Romans felt when they

87 E.g. Fernando Quesada-Sanz 2011, 2002. cf. Sánchez Moreno 2002, 157. 88 Cadiou 2013; Goldsworthy 1996, 78, 94. 89 Numidians as “barbarians”: Sall. Iug. 98.2, 98.6, 101.7, 102.2; Liv. 29.23.4–6; Caes. BCiv. 2.38.4; Cic. Att. 11.6.2; Tac. Ann. 3.21, 4.25. Lusitanians as “barbarians”: App. Hisp. 56–58, 60, 67, 75; Val. Max. 9.6.2. 90 Like Taylor 2014/2015, 105 n.11, I assume that “despite their biases and agendas, [ancient historians] were also earnest and for the most part able chroniclers of historical fact”. See also Lendon 2009; Bosworth 2003. 91 Lusitanians as robbers/bandits: App. Hisp. 59, 68, 71; D.S. 5.34.6–7, 33.1.2–5; Dio fr. 73.1; Flor. 1.33.15; Plut. Sert. 14.1; Oros. 5.4.1. Numidians as treacherous/fickle: Sall. Iug. 46.3, 46.6, 48.1, 56.5, 61.3, 61.5, 66.2, 74.1, 91.7, 108.3; Liv. 25.41.4, 28.17.6, 28.42.7, 28.44.5, 29.23.6; App. Pun. 14. Numidians as quick to flee, cowardly: Plb. 1.74.7; Tac. Ann. 24.1; Sall. Iug. 52.2, 52.6, 54.4, 56.6, 58.3, 74.3. 92 Cadiou 2013, 144: “Grecs et des Romains, d’une part, qui sont prompts à dénoncer vigoureusement chez les autres ce qu’ils pratiquent eux-mêmes allègrement.”

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felt when they could not defeat “barbarians.”93 To reiterate, the Lusitanians and Numidians were quite able to fight the Romans in head-on battles. And they were not unique in their use of ambush, harassment, feigned flight, and other such stratagems. Yet they were uniquely successful in using these methods against the Romans, at least for a time. Thus, I would argue that Appian, Sallust, and the rest tell us something very important about these wars. Namely, the Romans fought enemies who thwarted their victory in drawn-out conflicts. Failure to win on the field of battle engendered finger-pointing and outrage back in Rome, putting additional pressure on Roman commanders to achieve a lasting victory. And when Roman commanders failed to subdue the Numidians and Lusitanians on the battlefield, they sought another way to attack and harm their foes. They assaulted enemy settlements and populations, with massacres, enslavements, and widespread devastation following.94 This shift in behavior, from seeking battle to pursuing a strategy of mass violence, was a direct response to both the Romans’ inability to win on the battlefield and the tactics used by the Numidians and Lusitanians. As noted above, when he was unable to strike a decisive blow at the Muthul River, Metellus decided to conduct the war “not by pitched battles, but in another fashion.” And so he devastated the cities and fields of Numidia as a policy “of calculated terror and destruction” (in G.M. Paul’s words) that would deprive Jugurtha of supporters, bases, and resources. 95 As one of Jugurtha’s confidants tells him in Sallust’s narrative, “his country had been ravaged, many of his subjects killed or taken prisoner, and the resources of the kingdom drained” as a result of Metellus’ depredations.96 When Jugurtha responded by harassing the legions with hit-and-run attacks and ambushes, preventing the Romans from making any headway, Metellus tried to provoke Jugurtha into fighting a battle at the time and place of his choosing.97 When 93 Similarly, Williams 2017, 31: “If we read ancient sources with this interpretation of banditry as guerilla warfare in mind, then their claims of bandits reflect not only a justification for usurping control over the territory but also a slur against any indigenous resistance to Roman imperialism. Resistance, because it took the form of guerilla warfare rather than large field engagements between armies, was mere brigandage in the Roman moral imagination. It was thus made illegitimate.” Similarly, Kraus 1999, 224: “Deceit and skill are often viewed as opposing characteristics in Roman military ethics”. cf. Grünewald 2004, 37–38. 94 We should take these descriptions of Roman violence seriously. On the one hand, there is no question that mass violence was an important feature of Roman warfare; see Baker 2020. On the other hand, our texts often elicit some discomfort—even outrage—when reporting the brutal tactics of Roman commanders (e.g., Sall. Iug. 91.7; App. Hisp. 60; Oros. 4.21.10). Once again, these comments do not cast Roman generals in a flattering light, and these negative accounts suggest that ancient authors and their audiences at least believed these stories of violence were true. The ruthlessness of the Romans could not be excised from the narrative, but it could be the target of moral indignation. 95 Sall. Iug. 54.6–10, 55.7, 61.1, 62.1, 66.1, 74.1. “calculated terror”: Paul 1984, 154. Similarly, Comber and Balmaceda 2009, 228; Koestermann 1971, 217; Parker 2001, 117; Kern 1999, 338, Cadiou 2013, 135. 96 Sall. Iug. 62.1. 97 cf. Hoyos 2017, 2: “By attacking towns and strongholds in eastern Numidia, he aimed to deprive Jugurtha of territory and resources and force him to battle.”

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choosing.97 When he attacked the city of Zama, for example, he reasoned that “Jugurtha would come to the aid of his subjects in distress and that a battle would be fought in that place.”98 Sallust gives Marius similar motives, writing that the novus homo sought to strip Jugurtha of support and undermine his ability to wage war. Realizing that he could not end the war by attacking Jugurtha directly, Marius decided to invest one after the other the cities which by reason of their garrison or their situation were most serviceable to the enemy and most detrimental to his own success. In that way he thought that Jugurtha would either be deprived of his defences, if he made no opposition, or would be forced to fight. 99

Similarly, he destroyed Capsa, killing the men and enslaving the women and children, “because the place was of advantage to Jugurtha and difficult of access for us, while the people were fickle and untrustworthy and had previously shown themselves amenable neither to kindness nor to fear.”100 The sense of growing frustration in Rome, coupled with the impatience of Rome’s generals, also probably encouraged Metellus and Marius to escalate their use of violence so that Jugurtha would fight or surrender. A similar dynamic played out in the Lusitanian War. When Galba returned to Rome, he was forced to defend his killing and enslavement of the Lusitanians after their deditio. In a speech before the Roman people, he asserted that he massacred the Lusitanians when “he had discovered they had sacrificed a horse and a man according to their custom and planned to attack his army under cover of the truce.”101 Galba’s claim that the massacre was preemptive rings of after-the-fact justification, but it probably gets us close to his ruthless logic. After all, Galba’s campaign took place in the midst of critical Roman failures in Spain. Lusitanian warriors had defeated no less than four Roman armies between 155 and 151. In that space of time, they had ranged across Further Spain with virtual impunity, plundering Rome’s allies and emboldening other raiders to try their luck. The Lusitanian way of war, which emphasized ambush, flight, and mobility, made them especially difficult to subdue and robbed Roman generals of the battlefield victories 97 cf. Hoyos 2017, 2: “By attacking towns and strongholds in eastern Numidia, he aimed to deprive Jugurtha of territory and resources and force him to battle.” 98 Sall. Iug. 56.1: Iugurtham laborantibus suis auxilio venturum ibique proelium fore. See also Iug. 54.7–8. 99 Sall. Iug. 88.4, tr. Rolfe: statuit urbis, quae viris aut loco pro hostibus et advorsum se opportunissumae erant, singulas circumvenire; ita Iugurtham aut praesidiis nudatum, si ea pateretur, aut proelio certaturum. 100 Sall. Iug. 91.7: quia locus Iugurthae opportunus, nobis aditu difficilis, genus hominum mobile, infidum, ante neque benificio neque metu coercitum. 101 Liv. Per. 49 (tr. Schlesinger): quod compertum habuerit, equo atque homine suo ritu immolatis per speciem pacis adoriri exercitum suum in animo habuisse. Livy (and his epitamator) are very likely reporting an actual argument made by Galba, given Cato’s contemporary response: “But they say that [the Lusitanians] wished to revolt. At this moment I wish that I had an outstanding knowledge of pontifical law; for that reason should I now be taken as a pontifex? If I wish to have an excellent command of augury, would anyone on that account take me as an augur?” (Cato fr. 105; tr. Cornell). For Lusitanian rituals, cf. García Riaza 2002, 106–13; Str. 3.3.6; Plb. 12.4b.2–3.

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they sought. And even Roman victories and treaties did not bring an end to Lusitanian incursions into Further Spain. Meanwhile, the Senate had adopted an uncompromising attitude towards its Spanish foes and the public had grown weary of the seemingly endless fighting in Spain. Galba would have been expected to achieve a lasting victory when he arrived in his province, not only for the benefit of Rome’s strategic interests, but also for the sake of his own political prospects.102 Acting under these political and military concerns, it is entirely plausible that Galba decided the Lusitanians could not be trusted to keep the peace, or that they would attack again in the future and strip his victory of relevance. Rather than run that risk, he instead assaulted the populations he deemed responsible for the raids. When they were under his control, when their warriors could not flee to the mountains, and when they could not simply renew the war at the earliest opportunity, he destroyed them. However brutal his logic, massacring the recalcitrant tribes might finally end the war, to his credit, when other approaches had failed to achieve anything. On that same note, Servilianus’ executions, enslavements, and mutilations aimed to terrorize the Lusitanians and their allies into submission, stripping Viriathus of supporters. According to Appian, Servilianus targeted populations that had gone over to Viriathus, suggesting that he sought to make an example of these communities and frighten others.103 As Valerius Maximus writes, he was anxious to crush and undermine the ferocious spirit of that nation. He was very kind by nature, but he forced himself to put aside his merciful character for the time being and to adopt a harsh and severe policy […] By cutting off the hands of rebels from their bodies and throwing them on the ground that was covered with their blood, he proved to the others that they should not dare to do likewise. 104

Brutus, meanwhile, bypassed Lusitanian armies entirely and assaulted their communities directly. He hoped to draw the raiders back to their homes where they could not so easily melt away or spring a trap: He turned against their towns, in the expectation that he would be able to inflict punishment on them, that there would be much profit in it for the army and that the bandits would scatter each to his own homeland when it was in danger. With these notions in mind, he plundered

102 The military successes of praetors, in Spain and elsewhere, were an important springboard towards the consulship, a dynamic of which Galba was certainly aware and from which he hoped to benefit. See Waller 2011, 29; Rich 2012, 85. Thus Rubinsohn 1981, 187: “[i]t was but a short step for the governors to confuse their personal wishes for gain or glory with the needs of the Roman state, especially under circumstances in which no control of their actions was possible.” 103 For the Romans’ use of terrorism in the Spanish wars, see Marco Simón 2016, 222–47. cf. Van Wees 2010. 104 Val. Max. 2.7.11 (tr. Walker): ferocissimae gentis animos contundere et debilitare cupiens mansuetissimum ingenium suum ad tempus deposita clementia severiore uti severitate coegit… rebelles itaque manus a corporibus suis distractae inque cruentato solo sparsae ceteris ne idem committere auderent documento fuerunt.

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everything he came across, the women fighting and dying alongside the men and not uttering a cry, even in the midst of the slaughter.105

For Appian, Brutus’ sought to punish the enemy, while compelling Lusitanian warriors to come to the defense of their homes; presumably he hoped to force a battle, much like Metellus and Marius tried to force Jugurtha to come to the defense of Numidian towns. As a final point, some historians have equated the Lusitanian and Numidian fighting-styles with guerrilla warfare,106 and this comparison can also help us understand the brutal strategies of Metellus, Marius, Galba, Servilianus, and Brutus. The analogy is far from perfect, not least because both the Numidians and Lusitanians were quite capable of fighting conventional battles. However, like the Numidians and Lusitanians, modern guerrillas have used ambush, feigned flight, and hit-and-run attacks against hostile armies, and rely heavily upon their mobility to set traps, avoid battle, and frustrate opposing forces.107 Moreover, according to several scholars of modern war and violence, military forces often resort to ruthless attacks upon population groups and noncombatants when they cannot defeat guerrillas and insurgents.108 As Valentino, Huth, and Balch-Lindsay put it, guerrilla forces seek to avoid decisive engagements with opposing forces, opting instead to wage a protracted campaign of hit-and-run attacks. As a result, counterinsurgent forces often choose to target the guerrillas’ base of support in the population. This kind of counterinsurgency strategy can lead to the intentional killing of massive numbers of civilians… We argue that mass killing in

105 App. Hisp. 71: ἐς δὲ τὰς πόλεις αὐτῶν ἐτράπετο, δίκην τε λήψεσθαι προσδοκῶν, καὶ τῇ στρατιᾷ πολὺ κέρδος περιέσεσθαι, καὶ τοὺς λῃστὰς ἐς ἑκάστην ὡς πατρίδα κινδυνεύουσαν διαλυθήσεσθαι. ὁ μὲν δὴ ταῦτ̓ ἐνθυμούμενος ἐδῄου τὰ ἐν ποσὶν ἅπαντα, συμμαχομένων τοῖς ἀνδράσι τῶν γυναικῶν καὶ συναναιρουμένων, καὶ οὔ τινα φωνὴν οὐδ᾽ ἐν ταῖς σφαγαῖς ἀφιεισῶν. 106 Lusitanians: Williams 2017, 31; Grünewald 2004, 35–40; García y Bellido 1945, 589; Almagro-Gorbea and Lorrio, 2002, 78, 80, 93, 100; Gundel 1961, 224; Simon 1962, 90. Numidians: Cadiou 2013; Paul 1984, 94; Grünewald 2004, 48–55; Comber and Balmaceda 2009, 229; Sampson 2010, 90; Kern 1999, 338; Kraus 1999, 236. 107 For a definition of guerrilla warfare, see e.g., Downes 2007a, 423: “Guerrilla wars are conflicts in which a rebel force, rather than fighting pitched battles in the open, avoids its more powerful opponent’s main forces and engages in hit-and-run operations, attacking when an advantage presents itself and melting away into the wilderness or the surrounding civilian population when reinforcements or superior firepower are brought to bear.” Downes also notes that guerrilla fighters may engage in conventional battles as well, “as the Viet Minh did in Indochina in the early 1950s against France.” Additional definitions at Arreguín-Toft 2001, 104; Valentino, Huth, and Balch-Lindsay 2004, 383–84; Pape 1996, 30. For guerillas’ need to fight conventional battles, see Roy and Saha 2016, 7. 108 For counterguerrilla/counterinsurgency warfare and mass violence, see Valentino, Huth, and Balch-Lindsay 2004; Valentino 2004, 196–233; Downes 2007; 2008, 156–77; Sullivan 2012; Fjelde and Hultman 2014; Lyall 2009; Plakoudas 2015; Arreguín-Toft 2001, 102, 109. Additionally, some scholars argue that costly, drawn-out wars of attrition can incentivize mass violence strategies, as belligerents become more desperate to achieve victory: see e.g., Downes 2006, 2007b, 2008; Valentino, Huth, and Croco 2006; Arreguín-Toft 2001, 105–106.

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Gabriel Baker guerrilla warfare usually emerges out of frustration with conventional tactics in an effort to stave off defeat.109 Unlike guerrilla forces themselves… civilian support infrastructure is largely immobile and nearly impossible to conceal. As such, civilian populations offer an obvious target for counterinsurgent operations.110

These attacks may take the form of “selective terror” designed to intimidate populations so that they will not support enemy forces, but mass violence may also be used to eliminate perceived threats entirely.111 Similarly, according to Downes, military forces may use mass violence as a form of deterrence and coercion against guerrillas. Thus, violence is designed to “deter the population from providing aid and comfort to the enemy… [C]ivilian victimization in guerrilla wars – like punishment strategies in conventional wars – follows the logic of terrorism: violence is used to influence the behavior of some target group, in this case civilians who are potential supporters of insurgents or status quo incumbents.”112 In some cases, Downes argues, widespread violence and devastation also aims to undermine the enemy’s ability to wage war, depriving them of support and supplies. In his words, military forces “sometimes dispense with selective uses of force entirely and try to separate the insurgents physically from their base of support in the population. In this scenario, incumbents either kill or relocate large numbers of civilians in order to make it physically impossible for insurgents to obtain food, shelter, recruits, or intelligence from the people.”113 Without support, the insurgents are then easier to confront and destroy. These scholars, it must be said, examine warfare between modern insurgents and regimes; they deal with entirely different historical circumstances than the ancient wars discussed in this chapter. Yet there is a common thread here, given that Numidian and Lusitanian armies often employed irregular tactics and frustrated the Romans’ ability to fight and win decisive engagements. More importantly, there is a similar motive and logic for using mass violence. Judging from the ancient sources, Roman armies attacked enemy towns and populations “out of frustration with conventional tactics,” and chose to target the enemy’s “base of support in the population,” which offered “an obvious target.” Further, our sources claim, Roman commanders wanted to undermine the enemy’s ability to wage war, and even wanted to eliminate the enemy threat entirely. While comparative evidence always requires caution, this parallel suggests that Metellus, Marius, Galba, Servilianus, and Brutus used mass violence as a strategic response to the enemy’s irregular methods. And even if we discard the modern comparison, the ancient evidence indicates that Roman commanders massacred, enslaved, and destroyed as an answer to the enemy’s “peculiar tactics.” 109 110 111 112 113

Valentino, Huth, and Balch-Lindsay 2004, 376–77. Similarly, Downes 2008, 156–77. Valentino, Huth, and Balch-Lindsay 2004, 384–85. See also Sullivan 2012. Downes 2007a, 424, 432. Similarly, Downes 2006, 163 n.41, 164 n.42, 169; 2008, 156–77. Downes 2008, 158; 2007a, 434–35. See also Arreguín-Toft 2001, 101–102, 109; Lyall 2009; Pape 1996, 31; Fjelde and Hultman 2014.

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Whatever their motives, the Romans’ use of mass violence produced mixed results and does not seem to have contributed meaningfully to Roman victory. While Metellus and Marius were able to deny Jugurtha access to strongholds and supporters, the Numidian king managed to maintain the fight for several years. On more than one occasion, moreover, he found allies who reinforced him and his war effort.114 The war only ended after the Romans negotiated with Bocchus for Jugurtha’s capture. Similarly, Galba’s massacre seems to have led to a lull in Lusitanian raiding, but it did not stop the raids entirely, and Viriathus’ great war of resistance followed a few years later. Servilianus’ executions, enslavements, sackings, and mutilations did nothing to stop the Lusitanian warleader. The Lusitanian army broke up and surrendered only after the murder of Viriathus. Brutus may have had more success with his scorched earth campaign, but as Jessica Clark notes, the sources are spotty for his command, and it is difficult to say how much he really achieved.115 Finally, mass violence was probably counterproductive in some of these cases, generating resentment and stiffening the enemy’s resolve. In fact, some ancient writers claim that Viriathus was a survivor of Galba’s massacre, and that the killings contributed directly to his rise. According to Appian, Viriathus used Galba’s bad faith as a rallying cry for his countrymen.116 Despite the literary embellishment that surrounds the Lusitanian leader, there can be little doubt that Galba’s atrocity left a bitter memory throughout Lusitania – and certainly it did not end the Lusitanian war against Rome. Conclusion The sources for the Numidian and Lusitanian War tell broadly similar stories. A series of Roman commanders marched against enemy forces in hopes of fighting a decisive clash. However, the Lusitanians and Numidians thwarted these plans, leading the Romans into ambushes, harassing them with hit-and-fade attacks, and using local terrain to escape or avoid unfavorable engagements. The Romans scored some battlefield and diplomatic victories, but these were indecisive. Political backlash in Rome, after repeated defeats and failures, put additional pressure on Roman generals, who turned their swords against enemy towns and populations when they could not win by other means. By using mass violence, they hoped to force the Numidians and Lusitanians to come to the defense of their communities and fight on Roman terms. Failing that, their ruthless attacks could deprive the enemy of resources with which to wage war – terrorizing their supporters into submission or destroying important assets – or eliminate threats altogether. In the end, these strategies were at best partly successful, and they were probably counterproductive, engendering bitterness and stiffening the resolve of Rome’s

114 Sall. Iug. 80.1–6, 81.1–4, 97.1–4. 115 Clark 2014, 159–63. 116 App. Hisp. 60–61; Val. Max. 9.6.2; Suet. Galb. 3.2; Oros. 4.21.10

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enemies. Roman commanders might use mass violence as a cudgel against their foes, but mass violence was not a guarantor of Roman victory.

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„UBIQUE PAVOR ET PLURIMA MORTIS IMAGO“ Genozid in der römischen Antike1 Christina Kecht Gewalt-Mythos. Die Geburt Roms aus Genozid und Gewaltmigration „Grausame Trauer herrscht allenthalben, Entsetzen und Tod in vielen Gestalten“2 – so die Übersetzung des Titelzitats aus Vergils Aeneis. Wir stehen hiermit am mythischen Beginn römischer Geschichte. Diese beruht, so die These des Beitrags, auf einem Genozid: Troia ist bereits bis auf die Grundfesten zerstört, der Kampf längst entschieden. Dennoch befiehlt Agamemnon seinem Bruder: „O Menelaos, du Weichling [...]. Keiner davon entfliehe dem jähen Verderben, keiner nun unserem Arm, auch nicht im Schoße das Knäblein, welches die Schwangere trägt, auch das nicht! Alles zugleich nun sterbe, was Ilios nährt, hinweggerafft und vernichtet!“3 Die Bevölkerung der Stadt wird getötet, einschließlich der ungeborenen Kinder, verschleppt, zur Flucht gezwungen. Unter den Überlebenden befindet sich auch Aeneas, mythischer Stammvater Roms. Eine Charakterisierung der Vorgänge als Genozid wirft grundlegende Probleme auf: Sie stützt sich auf einen Kunstbegriff der Moderne, geschaffen vom polnisch-jüdischen Juristen Raphael Lemkin. Unter dem Eindruck der Gewalttaten der jungtürkischen Regierung gegen die Armenier,4 geschärft durch die nationalsozialistische Verfolgung insbesondere der Juden, schälte sich die Kombination von

1 2 3

4

Der Aufsatz bildet einen Teilbereich eines größeren, an der Universität Passau angesiedelten und sich in Arbeit befindenden Dissertationsvorhabens ab, welches sich Gewaltphänomenen über das römische Schlachtfeld hinaus verschrieben hat. Verg. Aen. 2,268–269 (übers. v. N. Holzberg). Hom. Il. 6,55–60 (übers. v. H. Rupé): ‚ὦ πέπον ὦ Μενέλαε, τί ἢ δὲ σὺ κήδεαι οὕτως / ἀνδρῶν; ἦ σοὶ ἄριστα πεποίηται κατὰ οἶκον / πρὸς Τρώων; τῶν μή τις ὑπεκφύγοι αἰπὺν ὄλεθρον / χεῖράς θ᾽ ἡμετέρας, μηδ᾽ ὅν τινα γαστέρι μήτηρ / κοῦρον ἐόντα φέροι, μηδ᾽ ὃς φύγοι, ἀλλ᾽ ἅμα πάντες / Ἰλίου ἐξαπολοίατ᾽ ἀκήδεστοι καὶ ἄφαντοι‘. Daneben waren sämtliche weitere, kleinere Gruppierungen anatolischer und kaukasischer Christen sowie schiitische Araber betroffen, besonders Assyrer, Griechen, Slawen und Jesiden (Holslag 2018, 26; Travis 2016, 153–156). Die ethnische Identität der Armenier scheint im Übrigen wichtiger im Selbstverständnis zu sein als die religiöse – auch wenn Religion stets eine große Rolle spielt: Holslag 2018, 38–39, 78.

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Kombination von griechisch τὸ γένος – „Geschlecht, Stamm, Volk“5 – und lateinisch caedere für „töten“ heraus.6 Bis heute fehlt eine einheitliche Definition, die meisten jedoch orientieren sich an Artikel II der sogenannten UN-Genozid-Konvention:7 „In the present Convention, genocide means any of the following acts committed with intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group, as such: (a) Killing members of the group; (b) Causing serious bodily or mental harm to members of the group; (c) Deliberately inflicting on the group conditions of life calculated to bring about its physical destruction in whole or in part; (d) Imposing measures intended to prevent births within the group; (e) Forcibly transferring children of the group to another group.“ 5

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Weiterhin auch: Geburt, Abstammung, Herkunft, Sprössling, Kind, Nachkommenschaft, Rasse, (Menschen-)Geschlecht, Menschenalter, Sippschaft, Verwandtschaft, Familie, Völkerstamm, Nation, Abteilung von Bürgern, Corporation, Gattung, Art, Wesen, Ursprung, Abkunft, Adel, Vaterland, u.v.m.: Benselers Wörterbuch 1981, 149; Pape 1954, 483–484; Passow 1970, 548; Liddell – Scott 1986, 344 jew. s.v. γένος. Caedere meint überdies u.a.: hauen, schlagen, prügeln, schänden, fällen, niederhauen, erschlagen, morden, schlachten, opfern (Georges 1902, 330 s.v. caedo). Lemkin 1944. In diesem Werk ist der Bezug zum nationalsozialistischen Deutschland und verbündeter Regierungen im Vordergrund und allgegenwärtig. Dementsprechend tief verknüpft ist die Wortschöpfung Genozid mit dem Holocaust. Zur Person Lemkins sowie der mit ihm verbundenen Begriffsentwicklung Adediji 2018, 367–368; Barth 2006, 8–9 (zu diesem Autor sei allgemein gesagt, dass die Zusammenschau der Genozidforschung einigermaßen geglückt ist – sofern nicht seine persönliche Meinung durchschimmert, gerade auch zur meist ungenau verwendeten Definition von Genozid. In den Fallbeispielen reduziert er die Vorgänge in nahezu monokausaler Sicht. Größtes methodisches Manko ist die indirekte Zitation, ohne einzelne Quellen jemals direkt zu verwenden); Demirdjian 2016a, 3; Edling 2016, 9; Holslag 2018, 107 mit Anm. 16; Kebranian 2016, 243–244; Nabti 2016, 124; Schabas 2009, 29, 43; Travis 2016, 155. Γένος versteht Lemkin „in group-oriented terms” nach Herder (Benvenuto 2015, 29; vgl. Moses 2013, 22–23). Art. II der am 09.12.1948 einstimmig als Resolution 260 A (III) Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (CPPCG) beschlossenen und am 12.01.1951 in Kraft getretenen Konvention, vgl. z.B. Adediji 2018, 368; Askin 2003, 315–317; Edling 2016, 9–10; Holslag 2018, 106–107; Jahn 2008, 86; Moses 2013, 38; Nabti 2016, 126; deutsch kurz UNVölkermordkonvention (hier vielmehr UN-Genozid-Konvention) oder amtlich Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes betitelt. Letztlich ist der UN-Beschluss ins deutsche Völkerstrafgesetzbuch (§ 6 VStGB) übernommen, vgl. Barth 2006, 14–15; Bezelgues – Hofmann 2006, 242. Sämtliche Weiterentwicklungen im (inter)nationalen Recht seien hier auf folgende Schlagworte verkürzt: Das Römische Statut zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs und das Abschlussdokument des UN-Gipfeltreffens 2005 zur Ausweitung der Mandate des Sonderberaters für Genozidprävention und Massenverbrechen ergänzen die UN-Genozid-Deklaration verbindlich um die drei Prinzipien der Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen. Damit werden die oben aufgezählten Aspekte des Genozids offiziell unter Crimes Against Humanity geführt. Sämtliche weitere Dokumente, insbesondere die Gutachten zu Gerichtsverfahren verschiedener Fälle angeklagter Genozide und Kriegsverbrechen schärfen in der Folge die Begrifflichkeiten.

„Ubique pavor et plurima mortis imago“

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Entscheidend dabei ist erstens die Unterstellung einer präzisen Absicht, nicht allein die „geglückte“ Durchführung. Zweitens eine definierte Gruppe, die allerdings nicht als Ganzes betroffen sein muss. Drittens neben dem Töten (im wörtlichen Sinne des deutschen Pendants Völkermord) umfasst der Artikel ebenso viertens physische wie psychische Schädigung einzelner oder mehrerer Mitglieder der Gemeinschaft. Damit fällt letztlich jedes zielgerichtete Vorgehen gegen eine Gruppe darunter, welches deren Identität,8 deren Kultur betrifft. Dies beinhaltet weiterhin fünftens das Verhindern von Geburten – etwa durch Sterilisation oder erzwungene Abtreibung – und sechstens die Verschleppung speziell von Kindern. Der Terminus Genozid wurde in der Moderne geprägt, beziehungsweise wird vom modernen Leser (unbewusst) in der heutigen Bedeutung gelesen und rezipiert – noch dazu häufig in einer verkürzten Form, welche R. J. Rummel9 als „common meaning“ bezeichnet hat: Die allgemeine Öffentlichkeit sieht darin den blutigen Aspekt des Massenmordes. Wissenschaft und Medien wiederum vermischen diese Sichtweise mit der „legal meaning“ der UN-Definition und kreieren so ein Potpourri an Einzelbegrifflichkeiten – im Sinne einer „general meaning“ laut Rummel. Die unscharfe Verwendung soll hier vermieden werden, gleichzeitig aber auch das Zurechtschneiden und Verbiegen antiker literarischer Quellen, auf welchen diese Ausführung beruht. Namentlich sind dies insbesondere die Berichte Caesars über den Gallienkrieg, Tacitus’ annales sowie die res gestae des Ammianus Marcellinus. Diese Auswahl soll einen geographisch und zeitlich möglichst weitfassenden Bogen spannen, um mögliche Parallelen und Besonderheiten aufzuzeigen. Dabei zeichnet sich ab, dass eine derartige Übertragung des Konzepts auf die römische Antike keinesfalls ein abstraktes Konstrukt ist, bei dem versucht wird, moderne Modewörter in verzerrter Retrospektive zwangsweise überzustülpen: Mit einigen Modifikationen lassen sich in der (allgemein sowohl als zu weit als auch zu eng kritisierten10) UN-Konvention 8

Inwiefern, beziehungsweise unter welcher Definition, „Identität“ als Beschreibung für die antiken Verhältnisse passend ist, muss im Laufe der Forschungsarbeit geprüft werden. Der deutschsprachige Diskurs um diesen Begriff muss aufgrund seiner Dimension hier ausgeklammert werden. Vor allem die angelsächsische Forschung zeigt allerdings, dass der Ausdruck nicht übergangen werden kann und im Gegenteil häufig gewinnbringend ist (Burke 2008; Burke – Stets 2009; ebenso auch van Wees 2013, 244). Erschwert wird dies allerdings durch die Überlieferung: Verschiedene Identitäts- und damit auch Realitätskonstrukte, wie wir sie heute greifen, stammen aus einer einzigen Feder, nämlich in der Regel der eines römischen Schriftstellers. Nur selten können sie durch mehr oder minder objektive Zeugnisse wie archäologischen (Be-)Funden oder nicht-römischem Quellengut justiert werden. Was dadurch immerhin greifbar wird, ist die Wahrnehmung, die Beurteilung und die Kommunikation aus Sicht des Autors – und damit auch der Täter- oder Opferseite. „Identität“ ist somit hier keineswegs als Schlüssel-, sondern als Argumentationsbegriff und Hilfestellung komplexer Zugehörigkeitsgefühle und Zuordnungen von außen zu verstehen. 9 Rummel 2003, bes. 29–39, vgl. seine Website (https://www.hawaii.edu/powerkills/GENOCIDE.HTM#, zul. aufgerufen am 26.07.2021). Weiterhin Rummel 1994, 1–10. 10 Die Leistung der Konvention ist, die unantastbare Souveränität eines Staates infrage zu stellen, um Verbrechen besonderen Ausmaßes international ächten zu können. So bahnbrechend die Einigung in politischer Hinsicht ist – Vielen geht sie nicht weit genug. Weder definiert die Konvention explizit und allgemeingültig, was Genozid sei, noch verurteilt sie dementsprechend

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bereits theoretische Anknüpfungspunkte für die Antike finden. Davon ausgehend können Analyseraster entwickelt werden, wobei von der Methodik zeitgenössischer Forschung entscheidend profitiert wird. Zunächst müssen die modernen Kategorien „national“ und „rassisch“ aus obiger Definition gestrichen werden. Sie sollen durch eine weitergefasste Determination der Betroffenen im Sinne der Identität ersetzt werden: Eine Gruppe, die sich als zusammengehörig fühlt oder von außen so gesehen wird. Weiterhin kann sich nach Logik des UN-Artikels der letzte Punkt nicht allein auf „children“ beziehen. Denn, so das weitere Argument dieses Beitrags, jede Verschleppung, jede erzwungene Migration – in der Folge auch Gewaltmigration genannt – führt doch mindestens zu einem „mental harm“, wie er unter b) aufgeführt ist. Damit ist auch die genannte Flucht des Aeneas eben wegen seiner Zugehörigkeit zur Bevölkerung Troias eine Gewaltmigration, die unter Genozid zu fassen wäre. In Anlehnung an die UN-Konvention (und damit an das geistige Erbe Lemkins) wird folglich Genozid angesehen als Planung, Versuch oder Durchführung der Schädigung einer Gruppe, die sich einerseits als Einheit fühlt oder so gesehen wird und andererseits gewissermaßen hilflos, zumindest nicht-militärisch ist. Das heißt: Es geht nicht um das Aufeinandertreffen zweier bewaffneter Armeen, die sich sozusagen legitim kämpfend mehr oder weniger auf Augenhöhe begegnen. Es geht, ganz im Sinne einer erweiterten Militärgeschichte,11 um das Geschehen über die Schlacht hinaus, um die Beteiligten am Rande. Konvention explizit und allgemeingültig, was Genozid sei, noch verurteilt sie dementsprechend die spezifisch kulturelle Seite dessen. Die Dynamiken und Prozesse des Vorgangs weichen einer statischen Darstellung in dieser Formulierung. Die subjektive und aus diplomatischen Umständen erfolgte Eingrenzung der Gruppen schließt andere (politische, kulturelle, soziale, ökonomische, etc.) davon aus. Der Ausschluss politischer Gruppen hat sich in erster Linie aus der Situation der Entstehung der UN-Konvention ergeben: Alle Mitgliedsstaaten mussten von der Formulierung überzeugt werden. Weitere Argumente finden sich in Anm. 64. Gleichzeitig sind die Artikel recht offen formuliert: Jede Beeinträchtigung der Integrität einer Gruppe kann auch ohne das allgemein akzeptierte Element des Massenmordes als Genozid gewertet werden. Folglich konzentriert man sich vielmehr auf die Kategorisierung der Verbrechen als auf deren Bestrafung und Bekämpfung. Einzeldiskussionen betreffen beispielsweise die Verschleppung von Kindern: So wird dies etwa bezüglich der Aborigines nicht als Genozid gewertet. Zu einzelnen Aspekten des Absatzes Adediji 2018, 366, 374; Barth 2006, 19–26 (er bezeichnet im Übrigen auf Seite 29 speziell die Formulierung „in whole or in part“ als problematisch. Dem muss widersprochen werden: allzu schwer nachweisbar wäre ein Genozid dann, wenn eine Zerstörung „in whole“ nicht gelingt – und dies wird in den seltensten Fällen vollständig möglich sein. Wie groß muss denn der Teil der vom Genozid betroffenen Gruppe sein, um als Opfer dessen anerkannt zu werden?); Demirdjian 2016b, 135; Edling 2016, 9–10; Förster – Hirschfeld 1999, 7–8; Harff 1987, 44–45; Hinton 2002, 3–4; Holslag 2018; Holslag 2016, 256–261; Jahn 2008, 86–87; Kebranian 2016, 244–245; Kuper 1981, 24–27; Robertson 2016, 69; Travis 2016, 151; Üngör 2016, 11–12. 11 Die Forschung rund um das Thema bewaffneter Konflikte beginnt ab dem ausgehenden Jahrhundert sich zu formieren. Im Sinne einer Kriegsgeschichte steht hier das Militär in seiner Zusammensetzung nach Personal und Material, insbesondere jedoch die militärische Elite im Mittelpunkt des Interesses. Schlachten werden als Operationsgeschichte analysiert: Führung, Strategie und Taktik, am Rande auch Logistik beziehungsweise Mobilisierung von Ressourcen werden beleuchtet. Ziel ist eine applikatorische, eine handlungsorientierte Untersuchung von

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Genozidale Analysestrukturen. Rahmenbedingungen, Prozesse, AkteurInnen und Folgen Jene Schädigung einer Gruppe wird von einer Zentralmacht angeordnet und/oder organisiert beziehungsweise geduldet. Während die meisten Ansätze vom Staat als drahtziehenden Akteur ausgehen, sei hier dezidiert die flexiblere Formulierung der Zentralmacht als „high-level perpetrator“12 hervorgehoben: Erstens soll dadurch die moderne Lesart eines Nationalstaates umschifft werden, zweitens sind somit sämtliche weitere Herrschaftsformen wie Warlords, terroristische Vereinigungen oder mafiöse Strukturen miteingeschlossen. Militärische und paramilitärische Strukturen können als „mid-level“Instrumente der Ausübung fungieren. Die hinter der Zentralmacht stehenden Personen fügen auf unterster ausführender Ebene („low-level“) schließlich intendiert in systematischer Vorgehensweise auf mentale wie körperliche Art und Weise Schaden zu, bis hin zur Vernichtung aller oder eines Teils der Individuen Offizieren für (zukünftige) Offiziere: Kriegsgeschichte als Teil der militärischen Ausbildung und Lehre. Eine Ausnahmeerscheinung ist in jener Zeit der bis heute einflussreiche preußische Generalmajor Carl von Clausewitz (1780–1831), welcher den Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ begreift (Clausewitz 2008, 1,1,24). Sein Erbe treten einzelne Historiker auch im 20. Jahrhundert häufig gegen Widerstand ihrer Zunftgenossen an, bis sich mit dem Nationalsozialismus erneut die Sicht auf Militärgeschichte wandelt: Die gesamte Geschichtswissenschaft wird in den Dienst der kulturellen Militarisierung der Gesellschaft gestellt. Sie ist Teil der weitergefassten Ideologie unter der Schirmherrschaft des „Wehrgedankens“ und als solche richtet sie sich propagandistisch gefärbt an die gesamte „Volksgemeinschaft“. Dementsprechend spricht man hier von einer Wehrgeschichte. Ohne dass mit Ende des Zweiten Weltkrieges ein abrupter Bruch festzustellen wäre, schält sich mit neu erstarktem Interesse am Sujet dank einiger Kriegsjubiläen und einem Generationenwechsel eine erweiterte Militärgeschichte unter dem Einfluss und unter Einbezug verwandter Subdisziplinen heraus. Beginnend mit der angelsächsischen Forschung, welche über das Kernthema hinaus zunehmend den Kriegsalltag in Verbindung mit literatur- und geschichtswissenschaftlichen Perspektiven und der Rezeption kulturanthropologischer wie psychohistorischer Ansätze untersucht, stellt sich auch in anderen Ländern ein Wandel ein: Die Militärgeschichte in ihrer wissenschaftlichen Erweiterung ist angekommen im Feld der Allgemeinen Geschichtswissenschaft. Zuvorderst werden sozialhistorische, in einem zweiten großen Schritt insbesondere kulturgeschichtliche Methoden und Theorien implementiert, im Grunde kann allerdings jede passende Disziplin, welche sich mit Krieg und Militär im weitesten Sinne befasst, einbezogen werden. Vor allem das Geschehen über die eigentliche Schlacht hinaus soll im Fokus stehen. Umfassende Schilderungen zu erweiterter Militärgeschichte sowie New Military History (welche in der Entwicklung unterschiedlich, im inhaltlichen Kern als grundsätzlich synonym betrachtet werden) besonders in den Sammelbänden von Brice – Roberts 2011, Hughes – Philpott 2006 und Kühne – Ziemann 2000. 12 Ambos 2009, 846; Holslag 2018, 149–150. „High-/top-level perpetrators“ meint die planende oberste Ebene, die Elite aus PolitikerInnen, Intellektuellen und ranghohen Militärs. Sie schaffen die Grundlagen zur Sanktionierung genozidaler Gewalt. Diese werden umgewandelt in Gesetze und Infrastruktur, wiederum eingeführt, umgesetzt und überwacht durch die „mid-level perpetrators“, also Bürokraten, Wirtschaftsbosse, Propaganda verbreitende Personen wie ErzieherInnen etc. Auf unterster Ebene sorgen die ausführenden AkteurInnen für den Vollzug der Gewalt. Die Frage, ob diese lediglich Befehle befolgen oder ob ihnen eine aktive Mittäterschaft bescheinigt werden kann, soll hier nur gestellt, nicht aber beantwortet werden.

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einer Zielgruppe. Maßnahmen wie die Verhinderung von Geburten oder aber die Übertragung jedweder Mitglieder (nicht allein der Kinder!) derer sind Mittel oder Folge dieses Vorgangs. Stärkung der gemeinsamen Identifikationsgrundlage der dominierenden Gesellschaft auf Kosten einer schwächeren, das sogenannte Othering, ist Ausgangspunkt und Folge der Klassifizierung, Diskriminierung und Dehumanisierung einer als Bedrohung empfundenen Gruppe.13 Äußerst schwierig ist dabei die Abtrennung vom eigentlichen Kampfgeschehen und dessen „Kollateralschäden“, insbesondere wenn man hinsichtlich der Antike von einem schrankenlosen Krieg14 ausgeht. Modern gesprochen kämen sonst Kriegsverbrechen oder Crimes Against Humanity zum Zuge. Womöglich sind die Übergänge zu fließend, um eine Unterscheidung vornehmen zu können15 – ohne hier weitere Untersuchungen vorwegzunehmen, ist es an dieser Stelle dennoch lohnenswert, vor der Gefahr des Anachronismus zu warnen. Trotzdem scheint der eingenommene Blickwinkel vorteilhaft, da die Genozidforschung der Zeitgeschichte, auf welche sich diese Arbeit stützt, maßgebende Untersuchungsstrukturen und Analyseraster legt: Der Anthropologe Anthonie Holslag unterscheidet bezüglich der Herangehensweise an Genozid grob drei Ansätze:16 Historische (auch juristische, politische, soziologische) Wissenschaften analysieren die historischen, politischen, ökonomischen Umstände. In der (sozialen) Psychologie, Psychoanalyse, mitunter auch der Soziologie steht die innere Entwicklung der Gewaltspirale im Vordergrund. Die Anthropologie wiederum sucht nach dem Symbolismus sowie der Transformation der täglichen Gewalt in Genozid, sie betrachtet den Mikrokosmos von Täter und Opfer. Sicherlich hat jede Herangehensweise ihre Berechtigung, ohne Allgemeingültigkeit zu besitzen. Im Gegenteil: die Ansätze ergänzen sich hervorragend. Gewalt ist nie monokausal. Bevor sie jedoch in genozidaler Form eskaliert, muss ein Blick auf die Vorgeschichte, auf die jeweiligen Umstände insbesondere in politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Hinsicht geworfen werden. Daraus ergibt sich ein

13 Für Anthonie Holslag als Anthropologen ist die Quintessenz eines Genozids eine „battle for identity […,] to a large extent[...] ritualized and therefore embedded with meaning. […] The aim is not repression or subordination of a specific group, rather the aim is the complete destruction of an identity in all its forms. Therefore, genocide is the destruction of an identity (political, cultural, social, ethical, racial, economic and so on) in all aspects” (Holslag 2018, 110–111, 122, Hervorhebungen im Original). Zur Begriffsentwicklung und den Bedeutungsebenen des Othering Brons 2015. 14 Ziegler 1998, 46. 15 Die weiteren Untersuchungen der Verfasserin werden zeigen, ob (und falls ja: in welcher Lesart) hinsichtlich der Römischen Kaiserzeit und Spätantike nicht vielmehr von genozidaler Kriegführung zu sprechen ist. An dieser Stelle sei ein Dank auszusprechen für die hilfreichen Anregungen meiner Kolleg:innen, insbesondere auch von Florian Wieninger, dessen Beitrag in diesem Band auch thematisch die Diskussion um Gewaltphänomene über die eigentliche Schlacht hinaus bereichert. 16 Holslag 2018, 108–118.

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vorherrschenden alltäglichen, strukturellen Gewalt18. Dies kann den Nährboden für weitere Zuspitzung legen, zumal es auf politische Krisen19 trifft, auf allgemeine Unsicherheit und Instabilität, womöglich verbunden mit ideologischem Kampf. Krieg kann hier Auslöser und Katalysator sein, häufig auch als Verschleierungstaktik längst gehegter Pläne fungieren. Die Entwicklungen sind zu keinem Zeitpunkt unumkehrbar: Ist das System resilient genug oder schreitet eine vierte Entität (neben den eigentlichen klassischen Akteuren Täter, Opfer, bystander20) als Retter ein, so kann die Eskalation unterbrochen werden. Gelingt dies jedoch weder in der Anfangsphase noch im weiteren Verlauf einer sich zunehmend hochschraubenden Gewaltspirale21, mag dies zu Genozid führen – sofern die Gewalt ausgeübt wird mit der Intention der Zerstörung 18 Zur Begriffsprägung der strukturellen Gewalt – einer Form allgemeiner, indirekter Gewalt, welche staatlichen oder gesellschaftlichen Strukturen innewohnt, ohne einen personalen Akteur benennen zu können – Galtung 1969. 19 Ohne die Komplexität des Krisenbegriffes zu ignorieren, sei hier lediglich kurz konstatiert, dass darunter alles verstanden wird, was als solche empfunden wird. Der Begriff „bedrohte Ordnungen“, wie ihn der Tübinger Sonderforschungsbereich 923 verwendet, ist natürlich bedeutend elaborierter. 20 Diese Dreieckkonstellation wird auch bei kleindimensionalen Gewaltdelikten, wie etwa Mord, herangezogen. Bystander bezieht dabei durchaus je nach Definition auch Helfer mit ein. Der Begriff per se nennt dies allerdings nicht explizit, er suggeriert eine passive Haltung unbeteiligter Zuschauer. Diese sind einerseits innerhalb der eigenen Gesellschaft, andererseits vor allem darüber hinaus zu finden: umgebende Staaten oder die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes, (nichtstaatliche) Organisationen oder Institutionen – beziehungsweise in antiker Sprechart Völker, Eliten benachbarter Städte, lokale Machthaber, religiöse Autoritäten. Das Bild erscheint durch diese Namengebung sehr starr und vernachlässigt scheinbar sämtliche Grauzonen und Schattierungen dazwischen: Überläufer, Kollaborationen, Mitläufer, Widerstand – all dies ist schwer einer Seite zuzuordnen. Weiterhin kann diese dritte Gruppe auch in dem Sinne durchaus stärker vom Täter ausgehend involviert sein, dass mit der ausgeübten genozidalen Gewalt eine Mahnung an sie ausgesprochen werden soll. Alternativ können sie eben freilich durchaus aus religiösen, moralischen, politischen, ökonomischen Gründen mahnen oder einschreiten und dann explizit so benannt als Retter in das System der Akteure eingebunden werden, mehr in Richtung Täter oder Opfer wirken. Weitergedacht sind sie in langfristiger Perspektive unter Umständen Auffangbecken der Folgekonsequenzen wie Migrationen, Verschiebung des Machtgefüges, Umschichtung ökonomischer Ressourcen und Netzwerke, etc. Die Bezeichnung bystander sei an dieser Stelle dennoch genannt, weil sie in klassischen Einteilungen so aufgeführt ist – „non-perpetrator/non-victim population“ mag treffender sein (so als Synonym bei Cole – Ehrenreich 2005, basierend auf Hilberg 1992). Mit diesen Erweiterungen und Differenzierungen werden die auf den ersten Blick (wenn auch durchaus nicht so gemeinten) starren Dreiecksschablonen sichtbar aufgebrochen. 21 Dem Bild einer sich hochschraubenden Gewaltspirale sei hier der Vortritt gewährt vor scheinbar wenig dynamischen Stufenmodellen, die kategorische Abfolgen zwar in genauerer Ausführung explizit verneinen, aber dennoch suggerieren. Beispielhaft genannt seien hier lediglich das Zehn-Stufen-Modell von G. H. Stanton (in der aktuellen Version auf der Homepage: https://www.genocidewatch.com/tenstages, zul. aufgerufen am 26.07.2021) und die sich stärker auf die Gewaltabfolge per se konzentrierenden Schritte bei Zwaan 2001, 204: Ersterer macht folgende, sich teils überschneidende und idealisierte Schritte aus: Classification, Symbolization, Discrimination, Dehumanization, Organization, Polarization, Preparation, Persecution, Extermination und Denial. Der Großteil beschreibt hierbei vorbereitende Maßnahmen,

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dies zu Genozid führen – sofern die Gewalt ausgeübt wird mit der Intention der Zerstörung eines Kollektivs und dadurch symbolische Bedeutung gewinnt. Der Zeitraum dieses Umschwungs ist dabei, falls in den Quellen fassbar, von besonderem Interesse. Im Zuge der zunehmend radikaleren Maßnahmen kommen im Wesentlichen zwei Ströme zum Tragen: auf der einen Seite die systematische, von der Zentralmacht geplante Gewalt, welche die zunehmende kulturelle wie physische Vernichtung gezielt anstrebt. Sie verbreitet und verfestigt die ideologischen Grundlagen und fasst sie in konkrete Gesetze, Worte und Taten. Auf der anderen Seite muss stets mit den individuellen Handlungsspielräumen und -entscheidungen gerechnet werden. Diese Art der Gewalt, ausgehend vom Einzelnen an der ausführenden Basis, muss nicht rational planend erfolgen; individuelle Emotionen sind hier von größerer Bedeutung, ebenso Überzeugungen, Erinnerungen und Erfahrungen, persönliche Verletzungen oder die Möglichkeit, ungehindert Macht auszuüben. Der Blutrausch ist ein nicht zu unterschätzendes, obgleich schwer fassbares Moment, nicht zuletzt auch die Eskalation durch die Gruppendynamik. Innerhalb dieses Rahmens finden die genannten Einzelprozesse in einer bestimmten strukturellen, fast rituellen Logik statt, ohne zumindest zeitlich voneinander abgetrennt oder in stets gleichbleibendem Umfang angenommen zu werden: erstens vorbereitende Maßnahmen; zweitens die Kernbestandteile des Genozids, also Folter, Enteignung, erzwungene Migration, Verfolgung und Auslöschung; drittens als letzten Schritt die Leugnung, erweiterbar um Vergessen und Verdrängen, um hier sowohl Opfer- als auch Täterperspektive zu vereinen. Letzteres, die Verarbeitung, zieht sich bisweilen über Jahrhunderte hinweg. Zu jedem Zeitpunkt wird auf verschiedene Ebenen eingewirkt: politische, soziale, gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche, biologische, religiöse wie persönlich-mentale Wirkungsebenen können ausgemacht werden – auf Seiten der Täter, Opfer, den Grauzonen dazwischen, weiteren Bevölkerungsgruppen innerhalb der betroffenen Gesellschaft sowie Entitäten unterschiedlicher Zusammensetzung und diversen Ausmaßes in der Umgebung und weit darüber hinaus, ob direkt oder indirekt betroffen. Genozid in der Römischen Antike (?) Ein kurzer Einblick in Quellen und Forschung Mit der geschilderten Herangehensweise kann die zeitgenössische Genozidforschung samt angrenzender Wissenschaftsbereiche auch einen Beitrag zum Verständnis antiker Kriegsführung leisten: Im Sinne der New Military History wird die Aufmerksamkeit auf (mehr oder weniger) hilflose Beteiligte am Rande des Krieges gerichtet. Erste zaghafte Versuche wurden bereits unternommen, das Maßnahmen, während Letzterer sich beschränkt auf „identification of the persecuted group, segregation or isolation of the persecuted, expropriation of possessions, concentration and elimination“ (englische Übersetzung von Zwaan nach Holslag 2018, 110).

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Konzept des Genozids auf die Antike anzuwenden: Allen voran bejaht Hans van Wees in zwei Artikeln eine derartige Übertragung zwar grundsätzlich,22 bezieht sich dabei allerdings überwiegend auf die griechische Welt und beschränkt den Tatbestand zudem auf die völlige Vernichtung von Städten. Für die Römische Republik wird beispielsweise die Zerstörung Karthagos durchaus als Völkermord anerkannt,23 wie schon Kaiser Iulian – hier durch die Feder des Ammianus Marcellinus – anklingen lässt: Unsere Vorfahren brauchten mehrere Menschenalter, bis alle mit der Wurzel ausgerottet waren, die ihnen Unruhe bereiteten. In schwierigen und langwierigen Kriegen wurde Karthago bezwungen, aber unser berühmter Heerführer fürchtete, es könne seinen Sieg überleben. Von Grund auf zerstörte Scipio Numantia nach einer langen und wechselvollen Belagerung. Rom vernichtete Fidenae, damit seiner Macht kein Nebenbuhler erwachsen konnte, und unterjochte die Falisker und Veii. Und die alten Geschichtsbücher haben es schwer, uns zuverlässig glauben zu machen, daß diese Staaten einstmals bedeutend waren.24

Doch auch die weiteren Beispiele beschränken sich auf die Republik. Das weite Feld der Folgezeit ist hingegen kaum behandelt und bietet weitreichende Perspektiven. Dementsprechend lautet die hier zugrunde gelegte These: Genozid findet in der Vormoderne statt25, auch (und vielleicht gerade?) in der Römischen Kaiserzeit und Spätantike und ebenso abseits von Städtebelagerungen (obwohl deren Rolle als Keimzelle von Genozid und Gewaltmigrationen damit keineswegs 22 Van Wees 2016; van Wees 2013. Colwill 2017 verfolgt insgesamt überzeugende Ansätze und nennt explizit, was er als Genozid, dessen Teilbereiche, Unterarten und Methoden begreift – nämlich insbesondere auch Massenversklavungen, die von vielen anderen beiseitegeschoben oder nur am Rande erwähnt werden. Er beschränkt sich dabei allerdings ebenfalls auf die Mittlere Republik und grundsätzlich auf Städteeroberungen. Leider lässt er einen tiefergehenden Einblick in die Analysemethoden vermissen und bezieht einseitig Zerstörungen durch Römer in seine Untersuchung mit ein. Nico Roymans (bes. Roymans 2019) argumentiert, gestützt auf archäologische (Be-)Funde, für Caesars Genozid im äußersten Norden Galliens, namentlich insbesondere an den Eburonen sowie Usipetern und Tenctherern. Dahingegen geht Lavan 2020, welcher in seinem kurzen Artikel ebenfalls viele Argumente des vorliegenden Beitrags vorbringt, anders als van Wees, Colwill und Roymans weiter bis zum Principat. Er wiederum konzentriert sich auf die Repräsentation der Gewalt in der römischen Kultur, verwendet aber allzu vorsichtig, ja vermeidet nahezu den Begriff des Genozids. 23 Kiernan 2007; van Wees 2013, 253. 24 Amm. 23,5,20 (übers. v. W. Seyfarth): Plures absumptae sunt maioribus nostris aetates, ut interirent radicitus quae vexabant. devicta est perplexo et diuturno Marte Carthago, sed eam dux inclytus timuit superesse victoriae. Evertit funditus Numantiam Scipio post multiplices casus obsidionis emensos. Fidenas ne imperio subcrescerent aemulae, Roma subvertit, et Faliscos ita oppressit et Veios, ut suadere nobis laboret monumentorum veterum fides, ut has civitates aliquando valuisse credamus’. 25 Als Gegner dieser Aussage sei hier stellvertretend allein Barth 2006, 33–34 genannt: Erst ab dem 20. Jahrhundert gäbe es Völkermorde, die er der deutschen Entsprechung wörtlich nimmt. Die zuvor getätigten Ausrottungsversuche ganzer Völker hätten ohne gezielte, ideologisch gefärbte Vernichtungsabsicht stattgefunden. So ließe beispielsweise die Ausrottung der Ureinwohner der Karibik durch die Spanier keine Intention erkennen. Auch den englisch-amerikanischen Kriegen gegen die indigene Bevökerung Nordamerikas liege keine staatlich initiierte allgemeine Vernichtungsabsicht zugrunde. Hier gesteht er maximal den Begriff der ethnischen Säuberungen zu.

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gemindert werden soll). Die drei genannten, wenn auch tendenziösen Hauptquellen – Caesar, Tacitus und Ammianus Marcellinus – sollen hier bei aller gebotenen Vorsicht in der Quellenkritik einen ersten, knappen Einblick liefern und andeuten, dass eine derartige Argumentation über zeitliche und territoriale Grenzen hinweg keinesfalls abwegig ist. Schon in den zarten Anfängen des baldigen Principats liefert Caesar ausreichend Beispiele für Genozid in allen Facetten und auf allen Seiten, auf blutige wie unblutige Weise. Im Zuge eines erneuten Aufstands der Gallier „eilten die Carnuten[...] nach Cenabum und ermordeten die römischen Bürger, die sich dort als Geschäftsleute niedergelassen hatten[...]. Ihr Hab und Gut plünderten sie.“26 Auf dem Gebiet des heutigen Orléans geben Cotuatus und Conconnetodumnus bewusst den Befehl, Mord an Römern zu verüben, eben weil sie Römer sind; noch dazu: vornehmlich Bürger und Geschäftsleute, die zugegebenermaßen kurze Notiz besagt nichts über Soldaten, die sich wehren könnten. Drei Jahrhunderte später geht Iulian, noch als Caesar, gegen die Alamannen, „Barbaren, die sich diesseits des Rheins angesiedelt hatten“27, an den Rheininseln vor und „sandte [...] Leichtbewaffnete [...] aus. Sie [...] gelangten [...] auf eine nahe Insel. An Land gegangen, schlachteten sie, ohne einen Unterschied zwischen den Geschlechtern und Lebensaltern zu machen, Männer und Frauen wie Vieh ab.“28 Hier taucht im Übrigen ein beliebtes, symbolträchtiges Motiv auf, welches als Teil der Dehumanisierung gilt (davon abgesehen aber auch schlicht eine eindringliche rhetorische Metapher liefert): Es ist nicht mehr von Menschen die Rede, sondern von Tieren oder Gegenständen.29 Das Blutbad findet zwar im Zuge eines Krieges statt, aber es handelt sich nach dieser Beschreibung nicht um eine „gerechte“ Schlacht. Es ist ein Hinterhalt, auch gegen Frauen gerichtet, definitiv nicht auf Augenhöhe. Eine Charakterisierung als Genozid wäre so zumindest plausibel – aber dies muss im Einzelfall untersucht und, wo möglich, durch nicht-römische und 26 Caes. Gal. 7,3,1 (übers. v. G. Dorminger): Ubi ea dies venit, Carnutes Cotuato et Conconnetodumno ducibus, desperatis hominibus, Cenabum signo dato concurrunt civesque Romanos, qui negotiandi causa ibi constiterant, [...] interficiunt bonaque eorum diripiunt – von seinen eigenen grausamen Taten ganz zu schweigen. Gerade gegen Caesar gibt es viele erdrückende Beweise für Genozid an verschiedenen Gruppen, hier soll zunächst der explizite Mord an Römern im Vordergrund stehen. 27 Amm. 16,11,8 (übers. v. W. Seyfarth): […] barbari, qui domicilia fixere cis Rhenum. 28 Amm. 16,11,9 (übers. v. W. Seyfarth): [...] hortatus auxiliares velites cum Bainobaude Cornutorum tribuno misit, facinus memorabile si iuvisset fors patraturos, qui nunc incedendo per brevia aliquotiens scutis in modum alveorum subpositis nando ad insulam venere propinquam egressique promiscue virile et muliebre secus sine aetatis ullo discrimine trucidabant ut pecudes. 29 Viele Gewaltakte ähneln beispielsweise dem Schlachten oder Opfern von Tieren, oder es werden gruppenspezifische Eigenheiten aufgegriffen, etwa wenn armenische Nonnen wie ihr Herr gekreuzigt werden. Die grausamen, durchaus zielgerichteten Rituale werden dabei immer wieder öffentlich zur Schau gestellt, um die Unterlegenheit der Opfergruppe zu betonen, sie zu entpersonalisieren und somit zu Marionetten zu machen. Gleichzeitig wird eine Warnung an alle ZeugInnen dessen kommuniziert: Holslag 2018, 110–111, 165, 170 zu den Ritualen und Symbolen.

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dokumentarische Quellen ergänzt werden. An dieser Stelle müssen wir uns mit der Deutungshoheit des Schriftstellers begnügen. Meist essentiell ist somit die Frage: Ist das Vorgehen Teil der Schlacht? Oder kann man mit einiger Sicherheit schon von deren Nachgang jenseits normativer, moralisch akzeptierter Gewaltanwendung sprechen, wie hier erneut unter Iulian, nun aber während seines Perserkrieges: Amida wurde bereits durch die Sasaniden erobert, die Feinde geschlagen, „[u]nterdessen herrschten Tod und Plünderung in der zerstörten Stadt. [...] Die Leute von jenseits des Tigris wurden mit besonderem Eifer aufgespürt und alle ohne Rücksicht auf ihre Stellung, ob hoch oder niedrig, bis auf den letzten Mann niedergemacht.“30 Es mag aus strategischen Gründen sinnvoll erscheinen, möglichst niemanden zurückzulassen, aber: die Schlacht um Amida ist gewonnen, versprengt Fliehende einer bestimmten Gruppe werden gezielt aufgespürt. Und somit gilt auch hier: je nach Interpretation der Geschehnisse könnte man von Genozid sprechen. Genozid findet häufig im Zuge einer Schlacht statt: Nicht nur im Nachhinein, wie möglicherweise in Amida, sondern ebenso im Voraus, bisweilen jedoch auch gänzlich unabhängig davon – man denke an den Holocaust. Tacitus’ Schilderung von Britannien unter der Herrschaft Neros bietet ein antikes Beispiel mit vielen Varianten, welches gleichzeitig die fließenden Übergänge verdeutlicht. Genozid kann Krieg auslösen, vom Krieg ausgelöst werden oder im Krieg stattfinden: Der König der Icener, Prasutagus, [...] hatte den Kaiser und seine beiden eigenen Töchter als Erben eingesetzt in der Meinung, durch solche Ergebenheit werde sein Reich und sein Haus vor Übergriffen bewahrt sein. Aber das Gegenteil davon trat ein, und zwar so weitgehend, daß das Reich von Zenturionen, sein Haus von Sklaven, als sei beides erobert, verwüstet wurde. Gleich zu Beginn wurden seine Gattin Boudicca mißhandelt und seine Töchter geschändet; alle vornehmen Icener wurden[...] von ihren ererbten Gütern vertrieben, und die Verwandten des Königs behandelte man wie Sklaven. Infolge dieser Schmach und aus Furcht vor noch drückenderen Maßnahmen[...] griffen sie zu den Waffen [...]. Der erbitterte Haß galt den Veteranen: denn diese, die jüngst in der Kolonie Camulodunum angesiedelt worden waren, vertrieben die Einwohner aus ihren Häusern und verjagten sie von den Feldern, wobei sie sie Kriegsgefangene und Sklaven nannten.31

30 Amm. 19,9,2 (übers. v. W. Seyfarth): Inter haec tamen funera direptionesque civitatis excisae Aeliano comite et tribunis, quorum efficacia diu defensa sunt moenia stragesque multiplicatae Persarum, patibulis sceleste suffixis Iacobus et Caesius numerarii apparitionis magistri equitum aliique protectores post terga vinctis manibus ducebantur, Transtigritanis, qui sollicita quaerebantur industria, nullo infimi summique discrimine ad unum omnibus contruncatis. 31 Tac. Ann. 14,31 (übers. v. E. Heller): Rex Icenorum Prasutagus […] Caesarem heredem duasque filias scripserat, tali obsequio ratus regnumque et domum suam procul iniuria fore. Quod contra vertit, adeo ut regnum per centuriones, domus per servos velut capta vastarentur. Iam primum uxor eius Boudicca verberibus adfecta et filiae stupro violatae sunt; praecipui quique Icenorum, quasi cunctam regionem muneri accepissent, avitis bonis exuuntur, et propinqui regis inter mancipia habebantur. Qua contumelia et metu graviorum, quando in formam provinciae cesserant, rapiunt arma, commotis ad rebellationem Trinovantibus et qui alii nondum servitio fracti resumere libertatem occultis coniurationibus pepigerant, acerrimo in veteranos odio. Quippe in coloniam Camulodunum recens deducti pellebant domibus, exturbabant agris, captivos, servos appellando […].

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Um den Tempel des divus Claudius (und teils auch: aufgrund dessen und des kostenaufwändigen Kultes für einen vergöttlichten römischen Kaiser) entflammt ein heftiger Kampf gegen die aufständischen Stämme, den die blauäugige römische Schutzmannschaft so nicht vorgesehen hatte und deshalb weder Graben oder Wall vor der Kolonie [gezogen] noch [...] die alten Leute und die Frauen weg[gebracht hatte], so daß die junge Mannschaft allein zurückgeblieben wäre: gleichwie mitten im Frieden unbesorgt, ließen sie sich von der Menge der Barbaren umzingeln. Die übrigen Teile der Stadt wurden natürlich beim ersten Angriff geplündert oder angezündet. 32

Der Krieg steigert sich, der Heerführer Suetonius lässt Londinium hinter sich und damit die dortige Bevölkerung ohne Schutz zurück: Auch durch den Jammer und die Tränen der ihn um Hilfe anflehenden Bewohner ließ er sich nicht davon abbringen, das Zeichen zum Aufbruch zu geben und nur Leute mitzunehmen, die er in den Heereszug einreihen konnte: wen dagegen sein wehrloses Geschlecht, Altersschwäche oder die Annehmlichkeit des Ortes zurückhielt, der wurde vom Feind niedergemacht. Dasselbe Unheil widerfuhr der Stadt Verulamium, weil die Barbaren die Kastelle und Stützpunkte unbeachtet ließen und auf das militärische Versorgungslager, das sehr ergiebig für Plünderer und von Verteidigern ungeschützt war, voller Freude auf Beute und der Strapazen überdrüssig losgingen. Daß an die 70.000 römische Bürger und Bundesgenossen in den erwähnten Orten umgekommen sind, ist Tatsache. Denn die Britannier machten oder verkauften keine Gefangenen noch trieben sie sonst einen im Krieg üblichen Handel, vielmehr mordeten und hängten, verbrannten und kreuzigten sie in aller Eile, gleich als wüßten sie, daß sie die Todesstrafe zur Vergeltung erleiden würden, jedoch erst nach inzwischen vorweg geübter Rache.33

Der „Tatsache“ von 70.000 Getöteten wird nur bedingt zu trauen sein, die schiere Masse wird dennoch deutlich. Letztlich unterliegt Boudicca gegen den Heerführer Suetonius, kann nicht mehr für „den Verlust der Freiheit, die körperlichen Mißhandlungen, die Schändung ihrer Töchter Rache nehmen [...]. Und die Soldaten schonten nicht einmal die Frauen bei ihrem Morden“34 – allerdings hier: die an der Schlacht teilnehmenden, somit durchaus wehrfähigen Frauen. „[D]as Gebiet aller Völkerschaften, die sich unzuverlässig oder feindlich gezeigt hatten, [wurde] mit 32 Tac. Ann. 14,32 (übers. v. E. Heller): [...] neque fossam aut vallum praeduxerunt, neque motis senibus et feminis iuventus sola restitit: quasi media pace incauti multitudine barbarorum circumveniuntur. Et cetera quidem impetu direpta aut incensa sunt. 33 Tac. Ann. 14,33 (übers. v. E. Heller): Neque fletu et lacrimis auxilium eius orantium flexus est, quin daret profectionis signum et comitantes in partem agminis acciperet: si quos imbellis sexus aut fessa aetas vel loci dulcedo attinuerat, ab hoste oppressi sunt. Eadem clades municipio Verulamio fuit, quia barbari omissis castellis praesidiisque militare [horre]um, quod uberrimum spoliant[i] et defendentibus intutum, laeti praeda et laborum segnes petebant. Ad septuaginta milia civium et sociorum iis, quae memoravi, locis cecidisse constitit. Neque enim capere aut venundare aliudve quod belli commercium, sed caedes patibula, ignes cruces, tamquam reddituri supplicium, at praerepta interim ultione, festinabant. 34 Tac. Ann. 14,35. 37 (übers. v. E. Heller): Boudicca [...], ut quamque nationem accesserat, [...], sed tunc non ut tantis maioribus ortam regnum et opes, verum ut unam e vulgo libertatem amissam, confectum verberibus corpus, contrectatam filiarum pudicitiam ulcisci. […] et miles ne mulierum quidem neci temperabat.

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Feuer und Schwert verwüstet.“35 Auch das, die systematische Zerstörung der Lebensgrundlage, kann Genozid (wenn man so will: Ökozid36) sein. Abgesehen davon bietet Tacitus hier eine Bandbreite weiterer Spielarten: körperliche wie mentale, namentlich besonders sexuelle Gewalt kommen zum Tragen, hilflose Bürger und amici, Frauen, Alte, Schwache werden großflächig abgeschlachtet und ganze Siedlungen laut Überlieferung dem Erdboden gleichgemacht. Sprachgewalt und genozidale Rhetorik Der Autor liefert hier eine außergewöhnlich ausführliche Beschreibung, welche ausreichend Platz lässt für wechselnde Blickwinkel und damit in gewisser Weise indirekt auf beiden Seiten um Verständnis wirbt37. Meist liegen nur kurze, häufig rhetorisch überspitzte Randnotizen vor, die noch tiefergehender hinterfragt werden müssen. Wenn etwa Constantius II. vorgeworfen wird, „[d]urch seine Schuld wurden im Übermaß unsere [die römischen, Anm. C. K.] Heere hingeschlachtet, zuweilen Heeresabteilungen gefangengenommen, Städte zerstört, Festungen uns entrissen oder dem Erdboden gleichgemacht[...]“38 – Wer weiß hier schon, was im Detail mit der Bevölkerung geschieht? Auch wenn Tacitus zur Schlacht gegen Arminius schreibt, „Germanicus [...] rief den Soldaten zu, sie sollten weitermachen mit dem Morden: man brauche keine Gefangenen, allein die Vernichtung des Stammes werde dem Krieg ein Ende machen“39 – so wird die Vernichtung des 35 Tac. Ann. 14,38 (übers. v. E. Heller): Cohortes alaeque novis hibernaculis locatae, quodque nationum ambiguum aut adversum fuerat, igni atque ferro vastatum. 36 Je nach Bedeutungszusammenhang kann Ökozid verschiedene Vorgänge benennen. Hier sei er nach Heinsohn 1998, 272 s.v. Ökozid in obiger Definition als Zerstörung der Lebensgrundlage zu verstehen. Broswimmer 2002, bes. 41–44 bezieht sich beispielsweise mehr auf die ökologischen, weniger auf die ökonomischen Auswirkungen, behält aber immerhin einen breiten historischen Blickwinkel auf das Thema und bezieht auch die römische Antike (in aller Kürze) mit ein. 37 Tacitus stellt damit keinesfalls das römische Selbstverständnis der Expansionspolitik auf den Kopf. Aber diese Stellen bieten eine erste kleine Bühne für eine Erklärung, warum die britischen Völker so handeln, und damit ebenso für eine Kritik an römischer Zivilisationspolitik. Stärker forciert wird dies in einer Reihe sogenannter Barbarenreden: Auswärtige Fürsten verfechten darin ihre Institutionen, Bräuche, die Unverletztheit ihrer Familie und über allem ihre Freiheit, welche Rom selbst scheinbar abhandengekommen ist. In den meisten dieser Passagen konnte kein Römer anwesend gewesen sein, konnte kaum ausreichend Information für die römischen Schriftsteller vorliegen, um eine annähernd wörtliche Wiedergabe leisten zu können. Anders verhält es sich beispielsweise beim Vortrag des britischen Kleinkönigs Caratacus vor Claudius in Rom (Tac. Ann. 12,37: Habui equos viros, arma opes: quid mirum si haec invitus amisi? Nam si vos omnibus imperitare vultis, sequitur ut omnes servitutem accipiant?; zu den Barbarenreden Suerbaum 2015, 239–247). 38 Amm. 25,4,24 (übers. v. W. Seyfarth): Unde caesi ad internecionem exercitus nostri, capti militares aliquotiens numeri, urbes excisae, rapta munimenta vel diruta. 39 Tac. Ann. 2,21 (übers. v. E. Heller): Et Germanicus quo magis adgnosceretur detraxerat tegimen capitii orabatque insisterent caedibus: nil opus captivis, solam internicionem gentis finem bello fore.

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Stammes kaum wörtlich zu nehmen sein: Militärische Vernichtung ja, völlige Auslöschung auch der Frauen, Kinder und Alten hier: nein. Es ist eine Anstachelung auf dem Schlachtfeld, noch dazu durch die Feder des Geschichtsschreibers. Hier interessieren mehr Wahrnehmung, Deutung und Narrative extremer kollektiver Gewalt auf literarischer Ebene. Eine derart propagandistisch ausgeschmückte Nachricht physischer Vernichtung sei nach van Wees mit dem Schlagwort „genozidale Rhetorik“ betitelt. Darunter fällt auch oben genanntes Prahlen Iulians, seine Vorfahren hätten „alle mit der Wurzel ausgerottet [...], die ihnen Unruhe bereiteten.“40 Etwas wörtlicher dürfte man folgende Nachricht des Ammianus Marcellinus zur Zeit des Valentinian, Valens und Gratian nehmen: [W]eit und breit trieben sich die schlimmsten Räuber, die Maratokuprenen, herum. [...] Als sie jedoch reichlich mit der Beute von vielen Menschen versehen waren [...], wurden sie überwältigt und kamen bis auf den letzten Mann um; mit ihnen zusammen wurden auch ihre kleinen Kinder vernichtet, damit sie nicht nach dem Beispiel ihrer Eltern heranwachsen sollten. Zerstört wurden auch ihre Häuser, die sie [...] prachtvoll erbaut hatten.41

Es interessiert hierbei nicht, ob wirklich jeder einzelne Angehörige der ansonsten unbekannten Maratokuprenen42 vernichtet worden ist. Die offenkundige Absicht, einerseits aus Rache, andererseits zum langfristigen Selbstschutz selbst die Kinder, damit die biologische Zukunft zu töten, und zudem die Häuser als Symbole des Reichtums der „Räuber“ zu verheeren, spricht vergleichsweise deutlich für sich. Genozidale Begriffsdifferenzierungen oder totum pro parte? Grundsätzlich ist Genozid folglich nahezu alles, was eine Gruppe gezielt schädigt. Zur besseren Unterscheidung von Einzelmaßnahmen und -aspekten haben die Wissenschaften deshalb in den vergangenen Jahrzehnten sämtliche weitere Wortschöpfungen mit caedere hervorgebracht. R. J. Rummel etwa hat, um den blutigen Teil hervorzuheben, staatlichen Massenmord als Demozid benannt.43 Da-

40 Amm. 23,5,20 (übers. v. W. Seyfarth), vgl. Anm. 24. Van Wees 2013, 240. 41 Amm. 28,2,11. 14 (übers. v. W. Seyfarth): At procul, tamquam horum similia agitantibus furiis per omne latus, Maratocupreni grassatores acerrimi vagabantur. [...] Verum cum exuviis referti multorum, rapiendi dulcedine nihil praetermitterent, intercepti imperiali motu, oppressi interiere omnes ad unum, eorumque suboles parva etiam tum, ne ad parentum exempla subcresceret, pari sorte deleta est, et lares versi, quos ambitiose luctuosis aliorum dispendiis construxerunt. 42 E. Honigmann nimmt im RE-Eintrag die Auslöschung für wörtlich: Er beschreibt die Maratocupreni als „Bewohner eines Dorfes bei Apameia in Syrien, die um das J. 369 n. Chr. so wie einst die Sicarier in Palästina oder im Mittelalter die Assassinen wegen ihrer Meuchelmorde und Raubüberfälle weit und breit gefürchtet waren, bis sie schließlich auf kaiserlichen Befehl sämtlich mit aller Nachkommenschaft ausgerottet und ihre Schlupfwinkel von Grund aus [sic!] zerstört wurden“ (Honigmann 1930, Sp. 1435–1436 s.v. Maratocupreni). 43 Rummel 2003; Rummel 1994.

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Zerstörung kultureller Marker44 zur Schwächung oder Zerstörung einer Zielgruppe – so etwa gewissermaßen auch der eben erwähnten Häuser der Maratokuprenen. Die kulturelle Identität45 umfasst überdies gruppenspezifische Normen und Werte, Sitten, Bräuche und Traditionen. Somit sind auch Geschichte respektive deren Überlieferung sowie die Erinnerungskultur bezüglich bestimmter Ereignisse Teil dessen, ferner Sprache, Schrift, Kunst in allen Formen inklusive Tracht und Tanz, zudem Institutionen, Religionen und Gesetze.46 Cultural genocide ist dabei jedoch nicht zwangsläufig identisch mit Ethnozid, ebenso wie sich auch Kultur und Ethnie nicht gänzlich überschneiden. „Ethnie“ bezeichnet zunächst eine in sozialem Verband zusammengeschlossene Personengruppe, die sich bewusst ist, derselben Kultur anzugehören und sich von anderen durch eigene, gemeinsame Sitten, Bräuche, Institutionen, Sprache, Abstammung und Geschichte unterscheidet. Während sich cultural genocide als übergeordneter Begriff auf die Symbole und kulturellen Artefakte bezieht, geht Ethnozid noch darüber hinaus, indem er auf die Auslöschung von Kultur, Sprache, Religion und/oder traditioneller Wirtschafts- oder Herrschaftsform die kulturellen Eigenheiten durch erzwungene Assimilation47 abzielt. Ebenso zählen die bewusste Spaltung von Familien und Verbänden oder aber eine dauerhafte Verhinderung der

44 Marker oder Merkmale meinen letztlich nicht immer eindeutig bestimmbare kulturelle Symbole oder Artefakte: „Symbols are cultural representations that give meaning and direction to an individual. The strength of symbols […] is that they are ambiguous; they […] give a sense of unity and continuity (the so-called emic point of view). However, they are open for several interpretations, and in the worst case, for manipulation […]. Symbols are always used in a space of non-communication. The definitions of symbols may alter due to circumstances, situations and settings” – so aus anthropologischer Sicht Holslag 2018, 236, Hervorhebungen im Original. Er verweist u.a. auf den Anthropologen V. Turner (Turner 1974), welcher wiederum in Rückgriff auf S. C. Pepper (Pepper 1970, 38–39) unterscheidet zwischen „root metaphors/basic analogies“ als Grundlage menschlicher Wahrnehmung und Interpretation sowie „core symbols“. Holslag verknüpft diese Grundsätze mit der Identität: Innerhalb der „root metaphors“ findet die persönliche Konstruktion von Identitäten und Erfahrungen statt. Ethnische Identität ist ein „core symbol that guides other symbols and other narratives and even other more superficial identities“ (Holslag 2018, 237–238) – zumindest in seiner Untersuchung zu den Armeniern: In seinen Gesprächen betonen sie in erster Linie ihre ethnische Zugehörigkeit zur Gruppe der Armenier und sehen sich erst an zweiter Stelle als Arzt, Lehrer, Christ, Amerikaner, etc. 45 „Kultur“ umschreibt dabei materielle wie immaterielle Güter einer Gruppe in sämtlichen Ausprägungen. Keineswegs soll dabei eine kulturelle Homogenität assoziiert werden. Die Einzelaspekte dienen jedoch als Anhaltspunkte, das Wesen einer Gruppe auch über die Jahrtausende hinweg annähernd verstehen zu können. Edling 2016, 15–16, 26 merkt hierzu (ohne weitere Ausführungen) an: Nicht jede Zerstörung eines Teils der Kultur ist automatisch cultural genocide. Der enge Bezug zur Gruppe ist m.E. jedoch ausschlaggebend. Allgemein zeigen die von Edling behandelten Fallbeispiele, wie uneindeutig der Tatbestand des cultural genocide in Abgrenzung zum Genozid meist ist. Er fordert deshalb eine weitere Spezifizierung der Kategorien (Edling 2016, 26–28). 46 Edling 2016; Michael-Titus 1976. 47 Berry unterscheidet vier Formen der Akkulturation: Marginalisierung, Assimilation, Integration, Segregation (Berry – Sam 1997, bes. 296–298 m. Abb. 8–2).

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Rückkehr in die Heimat zu Instrumenten von cultural genocide und Ethnozid, obgleich dies unabhängig von physischer Schädigung der Individuen geschieht.48 Der heutige Leser mag dabei spontan an das Schicksal beispielsweise der Uiguren denken, für die Antike drängen sich die Bilder des Titusbogen auf: Nach Zerstörung des Jerusalemer Tempel werden die symbolträchtigen religiösen Artefakte entfernt und im Triumphzug zur Schau gestellt. Die großteils erfolgte Schleifung der Mauern scheint nur bedingt Wirkung gezeigt zu haben: Infolge des Bar-Kochba-Aufstands fühlt man sich offenbar zu drastischeren Maßnahmen genötigt, selbst der Name der Hauptstadt soll als ein Ankerpunkt des jüdischen Selbstverständnisses und Zusammenhalts von den Karten und aus den Gedächtnissen gestrichen werden. Jerusalem wird als Colonia Aelia Capitolina wiederaufgebaut, aus der Provinz Iudaea geht Syria Palaestina hervor. Nun ist es endgültig: Iudaea capta est49. Obwohl es immer wieder zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung kommt, darf das römische Vorgehen hier aber keinesfalls als gezielte Vernichtung der Juden, noch dazu aufgrund ihrer Religion gedeutet werden. Jahrelange Kämpfe haben die Parteien zermürbt und darauf soll hier wenigstens ein Teil des sicherlich nicht monokausal erklärbaren besonders harten und tiefgreifenden Vorgehens zurückgeführt werden: Es gilt, eine große Schmach zu tilgen, die eine relativ kleine Widerstandsgruppe der scheinbar übermächtigen Weltmacht über so lange Zeit hinweg zugefügt hat. Ziel ist es, mögliche Unruheherde nachhaltig auszumerzen – schon Karthago belehrte Rom, dass eine allzu schnelle Erholung nach einem Krieg auch weiterhin eine Gefahr darstellt, bis klar wird: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam50. Über genaue Gründe kann hier wie bei anderen möglichen Vorfällen von Genozid, auch im Sinne von Völkermord bis zur völligen physischen Vernichtung, ohnehin nur spekuliert werden. Neben der Rache (eines jeden Einzelnen wie auch der in der planenden Zentralmacht repräsentierten Gemeinschaft)51 können weiter-

48 Schon Lemkin 1944, 79 Anm. 1 schlägt den Begriff Ethnozid vor, allerdings als Synonym zu Genozid. Weiterhin Benvenuto 2015; Chalk – Jonassohn 1990, 23; Cuelenaere – Rabasa 2018; Edling 2016; Heinsohn 1998, 128 s.v. Ethnozid; Thomas 2000. 49 Vgl. allein die mit der entsprechenden Revers-Legende geprägten Münzen Vespasians aus Rom: RIC 2,1 (Vespasian) Nr. 59; 81; 134; 159; 161; 163–169; 233–236; 271; 303–308; 375– 376; 422; 445; 457; 495; 562; 626. Überdies zu Jerusalem und Iudaea Bieberstein 1998, Sp. 907–910 s.v. Jerusalem, nachexilische Zeit; Pahlitzsch 2000, Sp. 161–162 s.v. Palaestina, römische und byzantinische Zeit. 50 So der sprichwörtlich gewordene Ausdruck (Bayer 1993, 59 Nr. 259) in Ableitung etwa von Flor. Epit. 1,31,4 (Cato inexpiabili odio delendam esse Carthaginem), Plin. Nat. 15,20 ([...] cum clamaret omni senatu Carthaginem delendam) oder Plut. Cat. Ma. 27 (als einziger, wenn auch natürlich viel später überlieferter wörtlicher Ausruf Catos: Δοκεῖ δέ μοι καὶ Καρχηδόνα μὴ εἶναι). 51 Allerdings, so Travis 2016, 150–153 bezüglich des Massakers von Srebrenica im Zuge des bosnischen Bürgerkrieges: „[M]otive is not determinative of intent“. Rache und persönliche Bitterkeit (mit den Begriffen „revenge, vengeance, vendetta, rancor“ immer wieder aufs Neue umschrieben) spielen für ihn wie auch im entsprechenden Gerichtsprozess dennoch eine bedeutende Rolle. Die Begriffsproblematik um „intent“ wird bei Ambos 2009 erläutert.

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strategische Überlegungen dahinterstehen52. Die Bewahrung oder (Wieder-)Herstellung der eigenen Autorität und Legitimation sowie Sicherheit nach außen ist durchweg bedeutsam. Dies greift auch, wenn zur Ablenkung innerer Zwistigkeiten und zur Erhöhung der Akzeptanz sämtliche Aufmerksamkeit und Ressourcen auf Kriegsschauplätze oder auf den Kampf gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gelenkt werden, wenn die Abschreckung von Nachahmern angestrebt wird. Oder wenn aus strategischen Gründen etwa die Bevölkerung einer Stadt getötet wird, weil für deren Bewachung nicht genügend Kapazitäten vorhanden sind. Die inneren Dynamiken und Prozesse der Gewaltspirale stellen ein eigenes Thema dar. Aufkochende, wie auch immer geartete Emotionen in Verbindung mit (anerzogenen, erworbenen, radikalisierten) Ideologien und Überzeugungen, persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen, Habgier oder ökonomischer Druck, Machtdemonstration, Rache, Gruppenzwang, Angst vor Bestrafung und überhandnehmender Blutrausch lassen unter Umständen die Befehlshaber die Kontrolle verlieren: „Killing is the ultimate power [...]. By killing, they show their supreme dominance over the physical body, social body, the national body, and the geographic body.”53 Spannend ist hierbei besonders die Frage nach der individuellen Verantwortung gegenüber kollektiver Gewalt in einem System voller Befehlsund Hierarchiestrukturen sowie der Unterdrückung54. Sie sei hier schlicht in den Raum gestellt, ohne an dieser Stelle beantwortet zu werden. Vor allem ökonomisch gesehen gibt es jedoch weitaus attraktivere Alternativen zur Auslöschung gesamter Völkerschaften und Siedlungen: Kriegsgefangene winken mit Lösegeld, der Verkauf von SklavenInnen bringt weitere Einnahmen, deren Arbeitskraft bleibt erhalten. Langfristig ebenso lohnenswert kann dadurch erfolgter Know-how-Transfer55 sein. Verzichtet man auf das Niederbrennen einer 52 Zweitausend Jahre später im sogenannten Dritten Reich liegen der massenhaften Vernichtung verschiedenster Menschengruppen vielfältige Motivationen zugrunde. Bei der Ausschaltung politischer Gegner stehen nahezu rationale Gründe der Gefahrenabwehr dahinter. Diese sind mehr oder weniger berechtigt, schwierig wird es, wenn sich ideologische Überzeugungen daruntermischen, etwa bezüglich des angeblichen Verrates der Juden am deutschen Volk. Rassistische Gründe im Sinne der modernen Lesart dieses Begriffs und eng verknüpft mit dem Nationalstaat seien hier für die Antike ausgeklammert. 53 Holslag 2018, 170, vgl. auch 171. Für ihn gilt dieses Solidieren der Wahrnehmung des kategorischen Ichs nicht allein für das Töten, sondern auch für vorausgehende gewaltsame Maßnahmen: „Each step of the violence solidifies a layer of identity in the minds of the perpetrators“. Holslag 2018, 123–124 auch zu weiteren, davor genannten Einzelaspekten mit Beispielen. 54 Hierzu etwa Sahyouni 2016, bes. 319 oder Askin 2003, passim, bes. 320, 326–327 mit interessanten Einsichten zur strafrechtlichen Beurteilung und Verurteilung der führenden Köpfe in den Prozessen bezüglich der Völkermorde in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien. Juristisch und moralisch gesehen mag es einen Unterschied machen, ob lediglich Befehle befolgt wurden oder eine eigene Motivation hinter den Taten steht. Die Feinheiten einer aktiven Mittäterschaft (insbesondere auf zweiter und dritter Ebene nach Ambos 2009) können sicherlich allein schon aufgrund der Quellenlage für die Antike in der Regel nur am Rande berücksichtigt werden. Allerdings darf auch nicht vergessen werden, dass Genozid per se nie spontan ausbricht, sondern systematisch, geplant und intendiert ist. 55 Das heißt: Wissen und Können einer Person bleiben erhalten (darunter auch: deren Kultur, Religion, etc.), bei Translokation wird dieses am neuen Standort angewandt und idealerweise

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erfolgter Know-how-Transfer55 sein. Verzichtet man auf das Niederbrennen einer Stadt, kann man darin gelagerte Nahrungsmittel sowie weitere materielle Beutestücke erhalten, aber weiter gedacht auch Sozial- und Handelsnetzwerke. Caesar befiehlt beispielsweise nach den Erfolgen gegen die Stämme nördlich der Alpen [d]en Helvetiern, Tulingern, Latobikern und Raurikern [...], in ihr verlassenes Land wieder zurückzukehren. [...D]ie Allobroger[...] ließ er die eingeäscherten Städte und Dörfer wieder aufbauen. Dies tat er vor allem deswegen, weil er nicht wollte, daß das von den Helvetiern verlassene Gebiet unbewohnt bleibe, damit nicht etwa die rechtsrheinischen Germanen wegen der Fruchtbarkeit des Landes aus ihrem Gebiet in das der Helvetier übersiedelten.56

Er wirkt hier ganz bewusst einem Machtvakuum durch Entsiedlung entgegen, was unkontrollierbare Konsequenzen hätte. Gerade Caesar ist es zudem auch, der nicht zuletzt die gewährte clementia bei Verzicht auf ein allzu blutiges Ende propagandistisch auszuschlachten weiß. Demnach wird Genozid in seiner absolut tödlichen Bedeutung wohl grundsätzlich vielmehr Ausnahme statt Regel sein. In seiner unblutigen Form, gerade auch als Gewaltmigration, dürfte er wesentlich häufiger anzutreffen sein57.

55 Das heißt: Wissen und Können einer Person bleiben erhalten (darunter auch: deren Kultur, Religion, etc.), bei Translokation wird dieses am neuen Standort angewandt und idealerweise weitergegeben – Man denke nur an Polybios, welcher als einer der Deportierten nach dem Dritten Makedonischen Krieg zum Erzieher der Söhne des L. Aemilius Paullus wird. Oder Flavius Iosephus, Gegner, Gefangener, Freigelassener der Flavier – ganz zu schweigen von all den Handwerkern, SklavenInnen, etc., die weniger offensichtliche Spuren in der Geschichte hinterlassen. Wissen und dessen Übertragung wird dabei in einem sehr breiten Kontext verstanden, wie bei Althoff – Berrens – Pommerening 2019, 14 definiert: „We[...] take concepts expressed in words [...], symbols [...], phrases, metaphors [...] and rituals [...] into account. Besides, certain practices of arts or crafts, ways of systematization [...], categorization, classification, etc. in our view fall under the term ‘knowledge’ as well as overarching complex ideas or concepts about certain features of reality (e.g. the moon) or only imagined realities (e.g. the end of the world in fire). […] The common assumption [...] is that knowledge is handed down in traditions and is transferred between cultures. This presupposes that knowledge is stored in some form (mostly spoken or written words, but also monuments, pictures, rituals, etc.), because otherwise a transfer would not be possible. [...] Two main intentions seem to be relevant: first, to store knowledge for individual purposes [...], and, second, to offer knowledge for transfer – from one person to another, for the future, or for other groups and cultures.“ Demnach kann man beispielsweise im Falle des Polybios sowohl eine synchrone horizontale (Arkadien – Römisches Reich) als auch eine synchrone vertikale (Lehrer – Schüler) Verlagerung von Wissen sehen – gleichzeitig aber auch eine diachrone vertikale Weitergabe, indem moderne LeserInnen über zweitausend Jahre später seine Werke in die Hand nehmen. 56 Caes. Gal. 1,28,3–4 (übers. v. G. Dorminger): Helvetios, Talingos, Latobicos, in fines suos, unde erant profecti, reverti iussit et, quod omnibus frugibus amissis domi nihil erat, quo famem tolerarent, Allobrogibus imperavit, ut iis frumenti copiam facerent; ipsos oppida vicosque, quos incenderant, restituere iussit. Id ea maxime ratione fecit, quod noluit eum locum, unde Helvetii discesserant, vacare, ne propter bonitatem agrorum Germani, qui trans Rhenum incolunt, suis finibus in Helvetiorum fines transirent et finitimi Galliae provinciae Allobrogibusque essent. 57 So im Grunde auch van Wees 2013, bes. 252.

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Diese Relativierung soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch systematischer (Massen-)Mord in der römischen Antike stattgefunden hat. Häufig geht man dabei differenziert vor, so etwa als die Goten unter Valens Thrakien überrennen: Alles verheerten die Barbaren, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht zu nehmen, mit Totschlag und gewaltigen Bränden. Säuglinge wurden den Müttern von der Brust gerissen und getötet, die Mütter selbst geraubt und Frauen zu Witwen gemacht, vor ihren Augen die Männer erschlagen. Waffenfähige und gerade herangewachsene Knaben wurden über die Leichen der Eltern hinweg fortgeschleppt. Unter Klagen, sie hätten lange genug gelebt, wurden viele ältere Männer nach dem Verlust ihrer Habe mit schönen Frauen, die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt, unter Tränen über die in Asche liegende Heimat landflüchtig hinweggeführt.58

Allein in dieser kurzen Passage wird rhetorisch beeindruckend zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschieden, zuvorderst auch nach Geschlecht. Gender ist selbstverständlich sehr viel weiter aufzufassen als die schlichte Unterscheidung in „männlich – weiblich“. In den vorliegenden Quellen zu Gewalt über die Schlacht hinaus scheint jedoch zunächst stets vereinfacht und ohne genauere Differenzierung von Männern und Frauen die Rede zu sein. Werden Einzelne oder Mehrere aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht Opfer von Genozid (Stichwort: gender-related crimes), so kann man dies speziell als Genderzid deklarieren.59 Die neuere Forschung fasst darunter genozidale Maßnahmen in ihrer blutigen Variante, jedoch auch gegen die weitere symbolische Bedeutung von Gender als Familienbande und Identifikationsobjekt gerichtet. Man trifft die Opfer gezielt in ihrer Familienfunktion, der von den Tätern wahrgenommenen Rolle im Reproduktionsprozess. Beim sexuellen Missbrauch von Frauen vor den Augen ihrer Väter, Männer, Brüder und Söhne geht es weniger um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, Gewaltphantasien oder zumindest in der spontanen Situation das Ziel langfristiger Vermehrung des eigenen Volkes, wie es bei systematischen Vergewaltigungen zum Tragen kommt. In erster Linie dient der Vorgang der Machtdemonstration und Erniedrigung der anwesenden Männer, die als „Eigentümer“ und Beschützer versagen. Eine Entjungferung hat über die Zeiten und Kulturkreise hinweg weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen und deren

58 Amm. 31,6,7–8 (übers. v. W. Seyfarth): Sine distantia enim aetatis vel sexus caedibus incendiorumque magnitudine cuncta flagrabant, abstractisque ab ipso uberum suctu parvulis et necatis raptae sunt matres et viduatae maritis coniuges ante oculos caesis, et puberes adultique pueri per parentum cadavera tracti sunt. Senes denique multi, ad satietatem vixisse clamantes, post amissas opes cum speciosis feminis, manibus post terga contortis, defletisque gentilium favillis aedium ducebantur extorres. 59 Zu den Einzelaspekten von Gender-, Gyno- und Androzid allgemein oder bezogen auf konkrete Fallbeispiele wurde folgende Literatur herangezogen: allen voran Ambos 2011; Askin 2003; Nabti 2016, weiterhin Barth 2006; Demirdjian 2016b, 134, 138–141; Holslag 2018, 166–168, 219–220; Lavan 2020; Robertson 2016, 70–74; Travis 2016, 151–152; van Wees 2013, 244– 245.

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Familien, unter Umständen aber auch weiter gedacht für die lokale Gemeinschaft und bisweilen die Gesellschaft als Ganzes. Sind gezielt weibliche Föten, Mädchen oder Frauen betroffen, so ist dies Gynobeziehungsweise Femizid. Auch dieser kann selbstverständlich, häufig nach Trennung von männlichen Gruppenmitgliedern, am Kollektiv ausgeübt werden. Durch Tötung (schwangerer) Frauen (und/oder gegebenenfalls deren ungeborenen Kindern) erfolgt zugleich ein Angriff auf die geistige wie insbesondere biologische Zukunft einer spezifischen Gruppe. Deren Vermehrung wird eingeschränkt, während bei (Massen-)Vergewaltigung60 mit dem Ziel der erzwungenen Schwangerschaft die Vermehrung des Täters angestrebt wird. Hiermit soll letztlich die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung beeinflusst werden, was sowohl durch Zwangsbefruchtung als auch mit durch physische wie psychische Mittel erzwungener Mutterschaft erreicht wird, also der Nötigung zur Austragung der Schwangerschaft. Ebenso zählen Verkrüppelung (etwa: Abschneiden der Brüste), Belästigung und Zwangssterilisation61 in dieser Untersuchung unter Femizid, weiterhin die (un)wissentliche Übertragung von Geschlechtskrankheiten, Erniedrigung, sexuelle Sklaverei,62 Zwangsprostitution und -heirat. Die systematische Schädigung oder Vernichtung männlicher Bevölkerungsteile und Föten hingegen ist Androzid. Der Angriff gilt den Oberhäuptern von ganzen Stämmen und einzelnen Familien zur Zerstörung familiärer, religiöser, sozialer und institutioneller Strukturen. (Potentielle) (para)militärische Widerstandsgruppen, welche sich vordergründig aus dieser Bevölkerungsschicht rekrutieren, werden vorsichtshalber vorweg oder nach erfolgter Bedrohung der TäterInnen eliminiert. Die Erfahrung, aber auch die Beobachtung sexueller Gewalt jeglicher genannter 60 Grundsätzlich soll in dieser Arbeit Vergewaltigung jede ohne ausdrückliche, von einer Person frei getroffenen Zustimmung erfolgte sexuelle Handlung umfassen – fraglich ist, ob die Feinheiten in den antiken Quellen zur Sprache kommen. Gruppenvergewaltigung meint dabei die Täterschaft Mehrerer gegenüber eines oder mehrerer Opfer, Massenvergewaltigung das übergreifende System, das heißt, wenn sämtliche Täter und Täterinnen (planmäßig) möglichst viele Opfer sexuell missbrauchen. Letztere tritt meist in Verbindung mit gewaltsamen Konflikten auf; der Bosnische Bürgerkrieg und Ruanda sind nur zwei Beispiele von vielen. 1974 beschrieben die Krankenpflegerin Ann C. Wolbert Burgess und Soziologin Lynda Lytle Holmstrom die psychosomatischen Folgen von Vergewaltigung als Rape Trauma Syndrome (RTS: Burgess – Holmstrom 1974). Neben den körperlich-mentalen Auswirkungen sei an dieser Stelle allerdings auch auf die daraus entstehende Problematik der Glaubwürdigkeit von Aussagen traumatisierter Zeugen hingewiesen (so auch Askin 2003, 330–331; Nabti 2016, 124). 61 Zwangssterilisation ist die Verhinderung der biologischen Reproduktionsfähigkeit entgegen medizinischer Gründe und entgegen dem ausdrücklichen Willen der Betroffenen: Ambos 2011, 294. 62 Zu den juristischen Merkmalen – in erster Linie Ausübung eines Eigentumsrechts und Autonomieverlust des Opfers einhergehend mit sexuellen Handlungen – Ambos 2011, 292–293 und Askin 2003, 333, 338–340, ebenso zu den Merkmalen von Zwangsheirat als Unterkategorie sexueller Sklaverei im Sierra Leone-Sondertribunal, bevor diese als eigenständiges Verbrechen geführt wurde. Im sogenannten Kunarac-Urteil 2001 wurde erstmals Anklage wegen sexuellen Missbrauchs in Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschheit erhoben. Juristische Details zur Zwangsprostitution bei Ambos 2011, 293. Für die Antike wird jedoch sexuelle Sklaverei von größerer Bedeutung sein.

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Die Erfahrung, aber auch die Beobachtung sexueller Gewalt jeglicher genannter Form (mit Ausnahme der erzwungenen Schwangerschaft und Mutterschaft) wird geschlechtsübergreifend zur sofortigen wie langfristigen Schädigung eingesetzt. Speziell bei Maßnahmen wie Zwangskastration, aber auch reiner physischer Vernichtung wird weiterhin die Reproduktion der Opfergesellschaft eingeschränkt. Sexuelle Gewalt in kriegerischen Konflikten ist stets präsent, aber offenbar häufiger bei ethnisch motivierten Verbrechen63; auch die Antike stellt keineswegs eine Ausnahme dar, wie weitere Beiträge dieses Bandes zeigen. In verkürzter Form finden sich Anklänge an diesen umfassenden Bedeutungshorizont ebenso in obiger Quellenstelle: Mütter werden geraubt, Männer erschlagen, Waffenfähige und heranwachsende Knaben fortgeschleppt, die Älteren zusammen mit jungen Frauen hinweggeführt – Genderzid in Form von Tod und Gewaltmigration. Die den Müttern weggerissenen Säuglinge werden ermordet – wiederum konkret benennbar als Infantizid, Kindesmord, im privaten Umkreis oder eben wie hier am Kollektiv. Nimmt man zudem die „in Asche liegende Heimat“ wörtlich, wäre dies womöglich Ökozid, die Zerstörung der Lebensgrundlage, wie in Boudiccas Britannien. Man könnte mit unzähligen weiteren verwandten Kunstbegriffen zur Beschreibung von Einzelaspekten fortfahren, die für die Antike als mehr (Politizid64) oder

63 Ambos 2011, 292; Askin 2003, 297–298; Holslag 2018, 166–167; Nabti 2016, bes. 118–119, 129. 64 Da, wie erwähnt, in der UN-Konvention aus interessenspolitischen wie definitorischen Gründen politische Gemeinschaften bewusst nicht berücksichtigt wurden, schälte sich eine weitere Wortschöpfung heraus: Die beabsichtigte Schädigung bis hin zum Mord bestimmter politischer (in der Regel: oppositioneller) Fraktionen und einzelner Mitglieder derer ist Politizid (allzu häufig wird er allerdings auf den Massenmord beschränkt). Diese Vereinigungen müssen (in theoretischer Hinsicht) nicht unbedingt dem besonderen Schutz der Staatengemeinschaft unterstehen: Nicht jede Form politischer Gewalt ist illegal oder unmoralisch. Ein blutiger Freiheitskampf muss unterschieden werden können vom eigentlichen Politizid; auch ist nicht jede politische Organisation gleich schützenswert – schließlich sind ebenso die SA, Khmer Rouge, etc. als politische Organisationen charakterisierbar, und noch dazu keineswegs so hilflos und schützenswert wie die vom („Lehrbuch“-)Genozid betroffenen Gruppen, auch da sie doch in der Regel gewisse Machtmittel mobilisieren können. Zudem würden unzählige Propagandaschlachten ermöglicht werden. Letztlich ist die Teilhaberschaft einer solchen Vereinigung individuelle Entscheidung (während man etwa die Zugehörigkeit zu einer Ethnie durch Geburt nicht beeinflussen kann). Überdies dürften beispielsweise gewaltsame Umsturzversuche demokratisch gewählter Regierungen (je nach Sichtweise) nur schwerlich berechtigterweise als durch internationales Recht schützenswert eingestuft werden. Hierzu Barth 2006, 26–30, wieder einmal ohne direkte Zitation; Harff 1987, bes. 41, 44–45; Holslag 2018, 107; Jahn 2008, 86–87. Proskriptionen und Majestätsprozesse wären für die Antike potentielle Beispiele von Politizid.

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(Politizid64) oder weniger sinnvoll (Ethnische Säuberungen,65 Ethnosuizid,66 Linguizid, Ökonomizid, Soziozid, Judeozid, u.v.m.67) eingestuft werden. Letztlich ist 64 Da, wie erwähnt, in der UN-Konvention aus interessenspolitischen wie definitorischen Gründen politische Gemeinschaften bewusst nicht berücksichtigt wurden, schälte sich eine weitere Wortschöpfung heraus: Die beabsichtigte Schädigung bis hin zum Mord bestimmter politischer (in der Regel: oppositioneller) Fraktionen und einzelner Mitglieder derer ist Politizid (allzu häufig wird er allerdings auf den Massenmord beschränkt). Diese Vereinigungen müssen (in theoretischer Hinsicht) nicht unbedingt dem besonderen Schutz der Staatengemeinschaft unterstehen: Nicht jede Form politischer Gewalt ist illegal oder unmoralisch. Ein blutiger Freiheitskampf muss unterschieden werden können vom eigentlichen Politizid; auch ist nicht jede politische Organisation gleich schützenswert – schließlich sind ebenso die SA, Khmer Rouge, etc. als politische Organisationen charakterisierbar, und noch dazu keineswegs so hilflos und schützenswert wie die vom („Lehrbuch“-)Genozid betroffenen Gruppen, auch da sie doch in der Regel gewisse Machtmittel mobilisieren können. Zudem würden unzählige Propagandaschlachten ermöglicht werden. Letztlich ist die Teilhaberschaft einer solchen Vereinigung individuelle Entscheidung (während man etwa die Zugehörigkeit zu einer Ethnie durch Geburt nicht beeinflussen kann). Überdies dürften beispielsweise gewaltsame Umsturzversuche demokratisch gewählter Regierungen (je nach Sichtweise) nur schwerlich berechtigterweise als durch internationales Recht schützenswert eingestuft werden. Hierzu Barth 2006, 26–30, wieder einmal ohne direkte Zitation; Harff 1987, bes. 41, 44–45; Holslag 2018, 107; Jahn 2008, 86–87. Proskriptionen und Majestätsprozesse wären für die Antike potentielle Beispiele von Politizid. 65 Ethnische Säuberungen/ethnic(al) cleansing meint die Vertreibung einer Personengruppe aus einem bestimmten Gebiet aus rassischen, religiösen, politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Gründen, meist in Verbindung mit Gewaltanwendung. Zweck ist die ethnische Homogenität eines bestimmten Landstriches (Wörterbuch Politik 2005, 99). Es existiert keine Verankerung als eigenständiges, international anwendbares Gesetz und dementsprechend ebenfalls keine einheitliche Definition. Im Zwischenbericht einer Expertenkommission des UN Security Council zur Untersuchung der Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien wird ethnic cleansing erstmals bezeichnet als „rendering an area ethnically homogeneous by using force or intimidation to remove persons of given groups from the area. [...] Those practices [to achieve this goal, Anm. C. K.] constitute crimes against humanity and can be assimilated to specific war crimes. Furthermore, such acts could also fall within the meaning of the Genocide Convention“ (S/25274 § 55–56 vom 09. Februar 1993; die offizielle Bestätigung dessen folgt am 27. Mai 1994 im Abschlussbericht: „[T]he Commission confirms its earlier view that ‚ethnic cleansing‘ is a purposeful policy designed by one ethnic or religious group to remove by violent and terrorinspiring means the civilian population of another ethnic or religious group from certain geographic areas” (S/1994/674 § 130)). Diese Kategorie kann sich von Genozid im letztlichen Ziel unterscheiden, wenn keine Zerstörung der Gemeinschaft intendiert ist. Da allerdings jede erzwungene Migration, wie oben behauptet und im weiteren Verlauf des Dissertationsvorhabens argumentiert, mindestens mit mentalen Schäden einhergehen dürfte, wird die Bezeichnung des ethnical cleansing als eigene Kategorie nach dieser Definition obsolet. 66 Cuelenaere – Rabasa 2018 stellen in einem Artikel über die Kolonialisierung der Anden den Ausdruck Ethnosuizid vor. Gemeint ist damit die (durchaus unbeabsichtigte) Teilhabe an der Zerstörung der eigenen Kultur. Wesentliche Bestandteile seien die Missionierung (mit dem Ziel der Annihilierung einer Kultur) sowie pädagogische Programme (gegebenenfalls mit unbeabsichtigten zerstörerischen Effekten durch den automatischen Verfall in bestimmte Denkstrukturen und dem Austausch eines Bündels an Gewohnheiten gegen ein anderes). Ethnosuizid ist sozusagen das Gegenstück von Ethnogenese. Kein Ethnozid ohne Ethnosuizid – so die an einer Stelle aufgestellte, jedoch nie wirklich behandelte These. All dies scheint in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zunächst einmal müsste sich die entsprechende Gruppe selbst als einer

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ist alles: Genozid. Und das Resultat bleibt stets: „Ubique pavor et plurima mortis imago.“68 Zusammenführung Mit der Begriffsschöpfung ‚Genozid’ war es Raphael Lemkin möglich, ein Verbrechen zu benennen, das die Schädigung ganzer Gruppen zum Ziel hat. Lange vor dem 20. Jahrhundert lässt sich dies durchaus ebenso für die römische Antike postulieren, wie dieser Beitrag anhand von chronologisch wie geographisch verstreuten Beispielen aufgezeigt hat: Von Caesars Eroberungszügen in Gallien über Boudiccas Britannien bis an die Ränder des spätantiken Imperium Romanum zeugen die Quellenausschnitte von Massengewalt gegen bestimmte Gruppierungen, welche als Genozid gewertet werden kann. Davon ausgeklammert werden muss hingegen die völlige Vernichtung als rhetorisches Mittel der Anstachelung und Überhöhung. Hinzu kommen vielfältige, nicht zuletzt sozio-ökonomische Gründe, die gegen die Auslöschung ganzer Bevölkerungsteile sprechen. Bei aller nachweisbaren Grausamkeit der römischen Antike im dezidiert blutigen Sinne: Noch häufiger wird dementsprechend die Zersplitterung der Gemeinschaft durch andere Mittel zu erwarten sein.

mehrfacher Hinsicht problematisch. Zunächst einmal müsste sich die entsprechende Gruppe selbst als einer gemeinsamen Ethnie zugehörig definieren. Bezüglich des Gegensatzpaares Ethnosuizid und Ethnogenese ließe sich speziell anmerken, dass dies sicherlich für die Wortbedeutung an sich, nicht jedoch für den Inhalt, die Ursachen, die Täterschaft, den Prozess als bewussten oder unbewussten Akt, usw. gilt. Für die vorliegende Arbeit erscheint der Terminus (bei aller grundsätzlichen Berechtigung) als zu detailversessen, gleichzeitig nicht scharf genug formuliert, insgesamt impraktikabel und schlichtweg nicht notwendig. 67 Wortschöpfungen mit dem Suffix -zid von caedere sind nicht gerade selten: Ist speziell von einem Angriff auf ein Schlüsselelement der Identität, nämlich der Sprache die Rede, unterscheidet man weiterhin den Linguizid: Der bewussten Unterdrückung beziehungsweise Ausrottung einer Sprache. Soziozid meint im kommunistischen Sinne den sozialen Klassenmord. Mit Mentizid sind seelische Folter oder Gehirnwäsche gemeint. Judeozid kommt nur selten als Synonym zu Shoah oder Holocaust vor, beziehungsweise grundsätzlich der systematischen Ermordung von Juden. All diese zählen letztlich zum übergeordneten Genozid. Ökonomizid wiederum ist die Tötung aufgrund des Eigentums (so Heinsohn 1998, 271 s.v. Ökonomizid; vgl. Barth 2006, 28, 50). Dies allerdings hinterfragt lediglich das Motiv. Grundsätzlich trifft es aber die Individuen per se, nicht unbedingt als Mitglieder einer bestimmten Gruppe, mit der sie sich identifizieren. Sehen sie sich wiederum als Teilhabende einer elitären, vermögenden Schicht, ließe sich darüber streiten. Auch wenn man selbst den Vorgang der Plünderung, falls mit gezieltem Töten des ursprünglichen Besitzers beziehungsweise Eigentümers einhergehend, als solchen sehen könnte: Für diese Arbeit ist dies nachrangig. 68 Verg. Aen. 2,268–269.

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SCHLUSSWORT UND AUSBLICK Gewalt als emotionale Konstante Justine Diemke Was viele Beiträge bei all ihrer Pluralität verbindet, ist die Emotion, die den Gewaltakt, ob als Antrieb, Reaktion oder als rhetorisches Mittel, umgibt. Um die facettenreichen Beiträge sinnvoll zu bündeln, werde ich bei der abschließenden Zusammenfassung ausgewählte Beiträge verstärkt unter einer emotionsgeschichtlichen Perspektive betrachten. Die Beiträge werden hierbei nicht nach Reihenfolge, sondern nach bestimmten Themenbereichen geordnet behandelt. Baker thematisiert in seinem Beitrag ein wichtiges Phänomen der römischen Kriegsführung, den Umgang mit ausweglosen Kampfsituationen, die ihre Gründe in der speziellen Kampfweise und Taktik der Feinde haben und den römischen Sieg konterkarieren. Wie Baker überzeugend zeigen kann, wird Gewaltexzessen in solchen Fällen ein großer Freiraum eingeräumt. Die genozidale Gewalt verliert damit ihren spontanen und willkürlichen Charakter. Da eine Profilierung auf dem Schlachtfeld ausblieb, musste der Militärführer, der durch den lang anhaltenden Konflikt seinen Legitimationsanspruch und Ruf gefährdet sah, auf andere gewalttätigere Strategien zurückgreifen, um einen Erfolg sicherzustellen. Bei der Entgrenzung der Gewalt ist auch den Emotionen ein großer Stellenwert einzuräumen. Der Feldherr weiß die Frustration der Soldaten auszunutzen, um die Gewaltexzesse als Befehl zu erteilen. Diese Frustration der Soldaten findet ihr Ventil im besonders brutalen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung. An der Stelle erscheint es sinnvoll, die spezifische Gewaltsituation aus einer soziologischen Warte zu beleuchten. Collins zufolge erfüllt der Guerillakrieg die besten Voraussetzungen für die Entwicklung einer forward panic. Auch im Jugurthinischen und Lusitanischen Krieg sehen sich die Römer der Guerillataktik der Feinde ausgesetzt, die den Krieg nicht nur in die Länge zieht, sondern durch unvorhersehbare Handlungen, wie Hinterhalte, Nachtangriffe, plötzliche Flankenangriffe, Vorstöße und anschließende Rückzüge zur Vermeidung einer vollen Konfrontation peu à peu zu Frustration, Angst und Anspannung unter den römischen Soldaten führt. Bei den Emotionen, die während der forward panic evoziert werden, handelt es sich nach Collins um Zorn in seiner extremen Form,1 durch den ein aggressives Verhalten herbeigeführt wird und der nur sehr langsam abklingt. Eine maßgebliche Rolle spielt wieder der temporale Aspekt, da die Persistenz des Konflikts die emotionale Spannung der Soldaten dezidiert steigern konnte. 1

Collins 2011, 142.

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Doch militärische Gewalt bleibt nicht allein an ein situationsbedingtes Momentum gebunden. Wieninger und Baker legen dar, dass militärische Gewalt kein Produkt unkontrollierter und spontaner Handlungen ist, sondern an die Intention des Feldherrn gebunden ist, was einen strukturellen Vorgang des Gewaltprozesses nahelegt.2 Die Gewalt folgt damit einer inneren Logik und wird gezielt gegen ausgewählte Gruppen, die als ökonomisch wertlos betrachtet werden, gelenkt. Obwohl die Gewalthandlungen einem (in)direkten Befehl folgen, bleiben sie emotionsgesteuert. Gerade Belagerungen stellten einen emotionalen Ausnahmezustand dar, da beide Kriegsparteien Emotionen wie Angst oder Frustration lange Zeit ausgesetzt waren. Auch hier lässt sich Collins’ Konzept mutatis mutandis auf die Antike übertragen: Die aufgeheizten Emotionen entladen sich in Gewalt, die sich gegen die Zivilbevölkerung richtet. Doch auch hier handelt es sich um keine unkontrollierte Raserei; die römischen Soldaten massakrieren nicht willkürlich alle Bewohner, die ihnen über den Weg laufen. Die Wut ist zielgerichtet, indem sie gegen bestimmte Gruppen verübt wird, die für den Belagerer keinen ökonomischen Wert besaßen. Diese Gewalthandlungen sind an den Befehl des Militärführers gebunden, der den Gewaltausbruch steuert, während die emotionale Spannung als mögliche Voraussetzung für die Gewalthandlung gelten darf.3 Diese enge Verbindung zwischen Emotion und Gewaltexzessen wird besonders dann sichtbar, wenn die Soldaten ohne Befehl des Feldherrn, wie etwa aus Rache und Hass, die Zivilbevölkerung massakrieren. So referiert Livius über die Eroberung von Iliturgi im Jahre 206 v. Chr. durch die Römer: Nun zeigte sich, dass die Stadt aus Wut (ira) und Hass (odio) angegriffen wurde. Niemand dachte daran, Gefangene oder Beute zu machen, obwohl alles zum Plündern offenstand. Sie massakrierten Unbewaffnete mit Bewaffneten, Frauen in gleicher Weise wie Männer; die grausame Wut (caedem ira) ging bis zum Mord an Kleinkindern.4

In solchen Fällen verlieren ökonomische und wirtschaftliche Intentionen ihre Gültigkeit, indem sie den Gewaltakt auf die alleinige Befriedigung der Rachelust verlagern. Die ira ist die entscheidende Triebkraft für die Gewalt, die der Feldherr Scipio nicht einmal zu unterbinden versucht. Eine Abwendung von exzessiver Gewalt erfolgte häufig dann, wenn der Gewaltakt mit einem hohen Risiko eigener Verluste einherging. Im Zweiten Samnitenkrieg müssen die römischen Soldaten von der Vernichtung des feindlichen Heerlagers aus Rache am verhassten Feind abgehalten werden, da die Samniten im Besitz römischer Geiseln waren (Liv. 9,14). Doch auch die ausgebliebene Entladung aufgestauter Gefühle konnte schließlich in 2 3 4

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Gabriel Baker, der in seiner Studie zeigen kann, dass die Massengewalt in der römischen Republik einem stark organisierten Ablauf unterliegt; siehe Baker 2021. Nach Collins sind die Emotionen sogar das sine qua non für die Kriegsgräuel, siehe Collin 2011, 156. Liv. 28.20: tum vero apparuit ab ira et ab odio urbem oppugnatam esse. nemo capiendi vivos, nemo patentibus ad direptionem omnibus praedae memor est; trucidant inermes iuxta atque armatos, feminas pariter ac viros; usque ad infantium caedem ira crudelis pervenit. Eigene Übersetzung.

Schlusswort und Ausblick

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Gewalt umschlagen, wenn die kontrollierten Gefühle der Soldaten zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund enttäuschter Erwartungen von Neuem entfacht und gegen andere Personen wie etwa den Feldherrn umgelenkt wurden. So muss sich der Feldherr Camillus von seinen enttäuschten Soldaten, die auf den gehofften Plünderungszug verzichten müssen, mehreren Vorwürfen und einem ausgeprägten Zorn gegen seine Person aussetzen (τὸν δὲ Κάμιλλον δι᾽ ὀργῆς εἶχον: Plut. Cam. 11), was schließlich in seiner Verbannung mündet. Dass ein derartiger Bedarf einer Emotionsauslebung das Gewaltpotenzial und die Form der Gewalt dezidiert beeinflusst, ist zweifelsohne ein Faktum. Um die Entwicklung einer solchen Affektlabilität, die zur Gewalt beisteuert, besser nachzuvollziehen, bedarf es einer genauen Untersuchung situativer, temporaler, räumlicher sowie sozialer Umstände, unter denen der Gewaltakt stattfindet. Wie vielfältig die Gründe für den Einsatz genozidaler Gewalt letztlich sind, bei der unter anderem auch strategische Überlegungen überwiegen konnten, kann Christina Kecht in ihrem definitorischen Beitrag zum Genozid zeigen. Troy Wilkinson erschließt in seinem Beitrag nicht nur einen für uns neuen Gewaltraum, sondern erweitert den Blick auf die Grenzen des römischen Imperiums, indem er die Gefahren der östlichen Wüste Ägyptens beleuchtet. Die Gewalt, die hier von Räubern, Piraten oder barbaroi ausgeht, richtet sich nicht allein gegen Händler oder Reisende, sondern auch gegen Frauen und Kinder, wie die Ostraka attestieren (O. Krok. 87). Gewalt gegen Frauen ist auch Untersuchungsgegenstand von Löbckes Beitrag. In seiner Untersuchung wirft er neues Licht auf die sexuelle Gewalt, die sowohl im griechischen als auch römischen Raum verharmlost wird und damit eine bestimmte Legitimierung erfährt. Die Verharmlosung beginnt bereits in der Mythologie, in der zahlreiche Vergewaltigungsmythen den Gewaltakt nicht nur bagatellisieren, sondern zu einer verzerrten Wahrnehmung der Gewalt beim antiken Rezipienten beitrugen. Wie Löbcke an einer Vergewaltigungsszene in Terenz’ Eunuch, in der das Gemälde von der Vergewaltigung der Danae beschrieben wird, zeigen kann, erhält die Gewalttat mit Zeus als göttliche Leitfigur eine gewisse Rechtfertigung. Mit weiteren Anspielungen auf den Lucretia-Mythos oder eingebauten Wortgefechten wird die sexuelle Gewalt in den Komödien und im Roman verharmlost und auf diese Weise verkannt sowie akzeptabel gemacht. Eine nähere Untersuchung dieser sexuellen Gewaltdiskurse, insbesondere der sozialen Funktion von Vergewaltigungsmythen, die u. U. Skripte zur Ausübung sexueller Gewalt darstellen, wäre aus einer soziologischen Warte aufschlussreich. Eine Rechtfertigung erhält die Gewalt auch in Wagners Beitrag, in dem die mangelnde Affektbändigung ein hervorstechendes Charakteristikum des Barbaren darstellt. Wie Wagner darlegt, werden sowohl die belagerten Saguntiner, deren Zorn zur Selbstzerstörung führt, als auch die Punier, die in Zorn und Raserei die Bewohner massakrieren, von der ira/rabies ergriffen. Die Affektlabilität beider Kriegsparteien, durch die die Gewalt entfesselt wird, erzeugt nicht nur ein schauriges Kriegsbild, sondern akzentuiert das grausame Verhalten der Punier, die sogar die Saguntiner in den Wahnsinn führen. Diese Verantwortungsverschiebung entlastet die Saguntiner in der Narration, deren verzweifelte Situation stattdessen

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Mitleid auslöst. Die Raserei soll nicht zuletzt das Bedrohungspotential, das von den Puniern ausgeht, unterstreichen, wodurch die römische Intervention einen rechtfertigenden Charakter erhält. Ob ein Ereignis später erinnert wird oder sogar Platz im kollektiven Gedächtnis findet, hängt zu einem erheblichen Teil von dem Grad der Emotionalität des Ereignisses ab. Dies erklärt, warum der Emotionalisierung und Dramatisierung des Ereignisses in der Historiographie, die durch Installierung bestimmter Motive wie dem des Kannibalismus erreicht werden, eine bedeutende Rolle zukommt. Diese emotionalen Erinnerungsmarker lassen sich auch bei den Sinneserfahrungen beobachten, die bewusst in die Erzählungen implementiert werden. Durch den Einbau besonders prägender Geräuschkulissen sollen beim Rezipienten bestimmte Emotionen evoziert und Erinnerungen ausgelöst werden. Während in der Historiographie Emotionen wie ira und furor zum Barbarentopos gehören, werden in epischen Erzählungen auch Helden von ihnen beherrscht. Angelberger plädiert in ihrem Beitrag für eine positive Lesart der Gewalt im 12. Buch der Aeneis. Besondere Relevanz erhalten die ira und der furor des Aeneas, die beide, als direkte Achillesreminiszenz, die entscheidende Triebkraft für die Ermordung von Turnus sind. Obwohl die ira im Sinne eines gerechten Zorns auch positiv konnotiert wird, kann die ira des Aeneas ebenfalls als versteckte Kritik an Augustus, wie es in der Forschung häufig formuliert wird, gelesen werden. An die augusteische Epoche anknüpfend, beschäftigt sich Jens Fischer in seinem Beitrag mit dem Sibyllenorakel. Den Ausgangspunkt von Fischers Überlegungen bildet die These, dass das positive Bild der cumaischen Gesänge in der 4. Ekloge Vergils dem augusteischen Friedensprogramm geschuldet bleibt. Auffallend ist, wie häufig die antiken Autoren in Verbindung zu den Orakelsprüchen emotionale Termini, explizit negativer Art, gebrauchen. Die Emotionen unterstreichen die kollektive Reaktion der römischen Bevölkerung auf derartige Prodigien, die nicht nur Furcht (δεῖμα, App. BC 1. 83) hervorrufen, sondern einen furchterregenden Charakter haben (ἐπίφοβος) und kummervolle Unglücke (tristis, Cic. Div. 1. 18) prophezeien. Die emotionale Dynamik der Orakelsprüche kommt besonders in Krisensituationen zum Tragen, indem diese Sprüche dann zusätzliche Unsicherheit schüren. Um die Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung zu wahren, werden die Orakelsprüche und damit auch die Kommunikation zwischen der Gemeinschaft und den Göttern durch Augustus unter staatliche Kontrolle gebracht. Aufschlussreich wäre eine nähere Untersuchung der politischen Instrumentalisierung derartiger Orakel, gerade aufgrund ihres emotionalen Impetus sowie auch im Hinblick auf ihre Zensierung, wie am Beispiel von Augustus gezeigt wird. Während Augustus der Bevölkerung durch das erzwungene Verstummen der unheilvollen Gesänge der Sibylle die Angst nimmt, schürt er sie in seiner eigenen Entourage. Coert stellt in seiner Untersuchung zum Freundschaftsentzug eine andere Facette der Gewalt vor, die eine Schädigung des Opfers auf psychischer Ebene zum Ziel hat. Die renuntiatio amicitiae offenbart eine risikobehaftete Seite der amicitia Caesaris, die trotz ihrer Privilegien in ein gefährliches Machtkalkül

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des Princeps umschlagen konnte. Die sozialen Folgen des Freundschaftsentzuges waren gravierend und führten in beiden vorgestellten Präzedenzfällen zum Freitod der Geschädigten. Diese emotionale Gewalt erfolgt nicht durch einen verbalen Sprechakt, sondern in Form einer zurückweisenden Handlung, die den Betroffenen durch eine symbolische Geste für geächtet erklärt. Diese emotionale/symbolische Gewalt wird durch ihren unsichtbaren Habitus für den Princeps besonders attraktiv, um den Ausbau persönlicher Netzwerke und Machtstellungen einzelner Akteure zu unterbinden und auf diese Weise Ambitionen der nobiles besser kontrollieren zu können. Konträr zu den beiden Suiziden steht das propagierte Bild des fürsorglichen Princeps, der als Trostspender für seine amici fungiert. Als der Senator Gallus Terrinius sich aufgrund einer Erblindung das Leben nehmen möchte, schafft ihm Augustus neuen Lebensmut, obwohl Gallus nicht einmal seiner engsten Entourage angehört (Suet. Aug. 53: consolando revocavit ad vitam).5 Demnach steht es noch aus, die emotionalen Strategien näher zu untersuchen, derer sich der Kaiser zum Vertrauensaufbau sowie als Instrument der Einschüchterung bediente. Die Beiträge in diesem Sammelband machen deutlich, wie fruchtbar die Einbindung neuer Perspektiven und Forschungsrichtungen in das Forschungsfeld der antiken Gewaltforschung ist. Gleichzeitig zeigen sie deutlich die Desiderate der antiken Gewaltforschung auf, die es künftig zu beheben gilt, darunter auch das hier aufgezeigte Wechselspiel zwischen Gewalt und Emotion. Lässt man die Zusammenschau Revue passieren, fällt auf, wie überaus präsent der Konnex von Gewalt und Emotion noch heute ist, ob nun aufgestaute Emotionen und Frustration im Krieg als entscheidende Triebkraft für Gewaltexzesse oder die Manipulation von Emotionen durch einen Herrscher als Machtinstrument zur Einschüchterung seiner Entourage, wie wir es gerade im Osten beobachten können.

Literatur Collins, R., Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie, Hamburg 2011. Baker, G., Spare No One: Mass Violence in Roman Warfare, London 2021.

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Der philosophische Trostzuspruch führte unter bestimmten Umständen, wie bei einer Krankheit, seltener zu einem Gesinnungswandel, weswegen Augustus’ heilenden Worte eine bestimmte Akzentsetzung erfahren.

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AUTORENVERZEICHNIS Katharina Angelberger ist zurzeit Lehrbeauftragte und Doktorandin am Seminar für Klassische Philologie der Universität Heidelberg. Sie studierte Latinistik und Romanistik an der Ruprecht-Karls-Universität und Gräzistik an der École Normale Supérieure de Lyon. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Interpretation poetischer Werke der augusteischen Zeit. In ihrer Dissertation zum Thema Politik und Poetologie des Raums. Interpretationen zum vierten Elegienbuch des Properz wendet sie sich der Darstellung und Konzeption poetischer Räume zu. Im Zentrum stehen dabei neben der Untersuchung einer Ästhetik und Ontologie des Raums auch Beobachtungen zu seiner materiellen Beschaffenheit wie zu seiner Gefährdung durch ein wie immer geartetes Außen. Dr. Gabriel Baker ist zurzeit Lehrbeauftragter an der University of Chicago Laboratory Schools. Er studierte Alte Geschichte an der Truman State University sowie University of Iowa, wo er 2016 im Fach Alte Geschichte mit einer Arbeit zur Massengewalt in der römischen Kriegsführung (Spare No One: Destroying Communities in Roman Warfare, third and second centuries BCE) promoviert wurde. In seinem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigt er sich mit den unterschiedlichen Reaktionen auf die Massengewalt von Seiten des Staates. Jean Coert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen. In seinen Forschungen zur Alten Geschichte konzentriert er sich auf den Zeitraum der späten Republik und des frühen Prinzipats und untersucht die Wechselbeziehungen zwischen der Kaiserfamilie, der Nobilität und sog. Klientelkönigen, welchen er in seinen zentralen Publikationen eine neue systemische Rolle als kaiserlichen Eliten im Imperium Romanum zuspricht. Überdies beschäftigt er sich mit der Antikenrezeption in digitalen Medien. Justine Diemke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Alte Geschichte an der Universität Hamburg. Sie studierte an der Universität Hamburg Geschichte und Klassische Archäologie. Nach ihrem Studium erhielt sie ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes für einen Forschungsaufenthalt an der Universität Oxford. Derzeit promoviert sie an der Universität Hamburg zu dem Thema Depressionen in der Antike. Neben ihrem Dissertationsprojekt forscht sie im Rahmen eines Drittmittelprojektes zu

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Duftstoffen in der Antike. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen ebenso die sensory studies, Emotionen sowie die antike Gewaltforschung. Dr. Jens Fischer studierte Alte Geschichte, Klassische Philologie und Klassische Archäologie an den Universitäten Halle-Wittenberg, Exeter und Heidelberg. Gegenwärtig ist er Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam. Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen auf der antiken Divination sowie der Religion und Kultur der römischen Republik und des augusteischen Prinzipats. In seiner im Juni 2022 veröffentlichten Dissertation beschäftigt er sich mit der Rolle sibyllinischer Orakel und des Gottes Apollon während des ersten vorchristlichen Jahrhunderts. Christina Kecht studierte Historische Kulturwissenschaften und Geschichte an der Universität Passau. Nach Zwischenstationen in Wissenschaft, Lehre und Kulturvermittlung an ihrer Heimatuniversität, verschiedenen Museen sowie am Deutschen Historischen Institut in Rom war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Archäologischen Institut, Abteilung Rom tätig und leistet freiwillige Redaktionsarbeit für das Online-Publikationsformat Portal Militärgeschichte. Mit der Promotionsförderung des Cusanuswerkes forscht sie derzeit zu militärhistorischen Aspekten insbesondere der römischen Antike mit weiteren Schwerpunkten auf Wirtschafts-, Sozial- und Religions- ebenso wie Provinzialgeschichte. Konrad Löbcke ist Doktorand an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Zentrum seiner Dissertation (Arbeitstitel: „Telling Comedy. The Narrative Representation of Theatrical Elements in Petronius’ Satyrica“) steht zum einen das Identifizieren von Elementen der griechisch-römischen Komödie in Petrons Satyrica, zum anderen die narratologische Analyse von Petrons ‚bühnenhafter‘ Erzähltechnik. Zu seinen Forschungsinteressen zählen zudem die römische Satire sowie literarische Darstellungen der römischen spectacula in der Spätantike. Dr. Hendrik A. Wagner ist wissenschaftlicher Mittarbeiter an der Abteilung für Alte Geschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er studierte Altertumswissenschaften, Grundlagen des Christentums und Klassische Archäologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo er 2018 im Fach Alte Geschichte mit einer Arbeit zur spätantiken Senatsaristokratie promoviert wurde. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen neben der spätantiken Elitenforschung die Erinnerungs-, Topos- und Gewaltforschung, und zwar in einer diachronen Betrachtungsweise, die die gesamte Zeitspanne der Antike abdeckt. Aktuell konzentriert sich seine Forschung auf die Funktion und die Bedeutung des Anthropophagiemotivs im Kontext des kulturellen Gedächtnisses, Weltverstehens und der Identitätsbildung in der Antike. Florian Wieninger promoviert als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes an der Universität Passau zum Thema „Kriegsbeute in der römischen Kaiserzeit. Die wirtschaftlichen Facetten römischer Kriege und ihre

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sozioökonomischen Folgen.“ Darüber hinaus liegen seine Forschungsschwerpunkte im Bereich der Militär-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der römischen Antike. Troy Wilkinson ist Doktorand an der University of Wales Trinity Saint David. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im staatlichen Engagement in der östlichen Wüste und am Roten Meer während der ptolemäischen und römischen Zeit sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen des kontinentübergreifenden Handels auf die Mittelmeerwelt.

Dem facettenreichen Phänomen der antiken Gewalt nähern sich zehn Beiträge deutsch- und englischsprachiger Autoren aus verschiedenen Perspektiven an. Die Texte basieren auf Vorträgen einer interdisziplinären Tagung zur antiken Gewalt, die im Wintersemester 2020 an der Universität Hamburg stattfand. Die Einleitung gibt einen konzisen Überblick über die unterschiedlichen „turns“ (emotional, sensory, temporal und spatial turn) mit gleichzeitiger Prüfung ihrer Anschlussfähigkeit an die Gewaltforschung. Das Spektrum der Einzelbei-

ISBN 978-3-515-13431-6

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träge reicht von grundlegenden definitorischen Bestimmungen von Gewalt, über die Herausarbeitung neuer Topoi bis hin zu Einbindung von Teildisziplinen wie den Gender-Studies und der Militärforschung. Zudem wird ein Bogen gespannt von bislang wenig oder noch nicht beachteten Gewalträumen wie der arabischen Wüste bis hin zu vernachlässigten Formen der Gewalt, wie psychischer/verbaler Gewalt. Der militärischen Gewalt und dem Gewaltverhalten von Soldaten widmen sich die letzten Beiträge dieses Bandes.

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