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German Pages 190 Year 2018
Peter Remmers Film als Wissensform
Berlin Studies in Knowledge Research
Edited by Günter Abel and James Conant
Volume 14
Peter Remmers
Film als Wissensform Eine philosophische Untersuchung der Wahrnehmung filmischer Bewegungsbilder
Series Editors Prof. Dr. Günter Abel Technische Universität Berlin Institut für Philosophie Straße des 17. Juni 135 10623 Berlin Germany e-mail: [email protected] Prof. Dr. James Conant The University of Chicago Dept. of Philosophy 1115 E. 58th Street Chicago IL 60637 USA e-mail: [email protected]
ISBN 978-3-11-059766-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-060050-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-059889-6 Library of Congress Control Number: 2018950710 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the Internet at http://dnb.dnb.de. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com.
Vorwort Die Motivation für dieses Buch verdankt sich meiner ursprünglich noch unklaren Überzeugung, dass die künstlerischen, informativen und unterhaltenden Momente der Filmerfahrung eine spezifische erkenntnismäßige Grundlage haben, die in den bisher vorliegenden ästhetischen, epistemologischen oder medienphilosophischen Untersuchungen zum Film nicht explizit und systematisch geklärt ist. Insbesondere die vielfältigen Tendenzen sowohl des Realismus und auch der Illusionsauffassung des Films scheinen mir an den zentralen epistemischen Eigenschaften der Filmerfahrung vorbei zu zielen. Darüber hinaus verspürte ich eine gewisse Unzufriedenheit mit den (häufig impliziten) Paradigmen, an denen sich sowohl die Filmphilosophie als auch die Bildtheorie weitgehend orientieren: Wenn es um Filme geht, dann zumeist um fotografische, narrative und fiktionale Darstellungen mit mehr oder weniger künstlerischem Anspruch; wenn es um Bilder geht, dann zumeist um das statische Tafelbild. Die Vielfalt der Phänomene, die man unter dem Begriff des filmischen Bewegungsbildes fassen kann, wird durch diese Paradigmen auf eine Weise gefiltert, die aus Sicht einer systematischen Theoriebildung verengt ist. Das zeigt sich nicht zuletzt dann, wenn eine epistemische Dimension gesucht wird, die allen filmbildlichen Phänomenen eigentümlich ist. Mit der vorliegenden Untersuchung schlage ich daher eine systematische Konzeptualisierung einiger erkenntnismäßiger Elemente von Filmerfahrungen im Allgemeinen vor, die den spezifischen Erfahrungen, die man mit bestimmten Filmen und Bewegungsbildarten macht, vorgeordnet ist. Kurz und knapp kann die hier dargelegte und argumentativ begründete Position folgendermaßen zusammengefasst werden: Das Wissen, das sich in der Wahrnehmung filmischer Bewegungsbilder konstituiert, besteht der Form nach in der Bekanntschaft mit den spezifisch filmisch präsenten Objekten. Im Rahmen der einschlägigen epistemologischen Kategorisierung ist die entsprechende Wissensform nicht-propositional zu nennen, weil Bekanntschaft nicht auf Sachverhalte, sondern auf Objekte gerichtet ist. Zugleich ist Bekanntschaft in einem bestimmten Sinne nicht-begrifflich, weil sie der Wahrnehmung entspringt und dabei nicht notwendig in sprachliche Bestimmungen oder kategoriale Merkmale zerfällt. Es geht bei der Wahrnehmung filmischer Bewegungsbilder also nicht um die Wissensform des propositionalen Wissens, die für die Epistemologie paradigmatisch ist und die sich an Konzeptionen wahrer, gerechtfertigter Überzeugungen orientiert. Auch geht es nicht in erster Linie um begriffliches Wissen im Sinne sprachlicher Fähigkeiten, oder aber, wenn man den Bereich des Begrifflichen über den Bereich des Sprachlichen hinaus ausdehnen möchte, im Sinne von Fähigkeiten zum kategorisierenden (Wieder‐)Erkennen von Objekten. Die Konhttps://doi.org/10.1515/9783110600506-001
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zeption einer Bekanntschaft mit ‚Filmobjekten‘ dreht sich vielmehr um eine wahrnehmungsorientierte Bezugnahme auf Objekte, die durch die Gegebenheitsweise der filmbildlichen Präsentation geformt und konstituiert werden. Kategorisierung, sprachliche Bestimmung und Urteil sind im filmischen Bewegungsbild noch ‚im Fluss‘, ungefestigt und formbar; die Wissensform der Bekanntschaft, vermittelt durch spezifisch filmische Weisen der Präsentation, bildet somit erst die Grundlage für begriffliche und propositionale Wissensformen. Bei der Vorbereitung dieser zentralen Thesen hat es sich als notwendig erwiesen, zunächst eine philosophisch angemessene Bestimmung des filmischen Bewegungsbildes zu erarbeiten. Denn weder der abstrakte Begriff des Mediums noch der paradigmatische Begriff des Bildes, wie er in den Bildwissenschaften häufig zugrunde gelegt wird, konnten zur Klärung der vermuteten epistemischen Leistungen des Films beitragen. Zugleich bedurfte es einer Konzeption der Wahrnehmung, die die filmischen Phänomene nicht auf begriffliche, propositionale und empiristisch-konstruktivistische Merkmale reduziert. Den entscheidenden Impuls für eine entsprechende Ergänzung und Bereicherung der theoretischen Grundlagen verdanke ich der Phänomenologie, genauer der Phänomenologie der Wahrnehmung nach Maurice Merleau-Ponty und der phänomenologischen Bildtheorie nach Edmund Husserl und Lambert Wiesing. Allerdings konnte ich mich nur am Rande auf neuere Arbeiten aus der Phänomenologie des Films berufen, denn in den entsprechenden Arbeiten stehen bisher kaum epistemologische Fragen im Vordergrund, während insbesondere die leiblich-existenziellen Aspekte der Filmerfahrung untersucht werden. Die größte Nähe der vorliegenden Arbeit zu einem phänomenologischen Text über den Film besteht zu Merleau-Pontys kurzem Vortrag „Das Kino und die neue Psychologie“. Viele der zentralen Gedanken meiner Untersuchung verweisen im Hintergrund auf diesen Text. Ein Problem, auf das ich früh im Arbeitsprozess und vor allem auch im Rahmen einer ersten Lehrveranstaltung zur Philosophie des Films gestoßen bin, ist der Mangel an methodischen Werkzeugen und methodologischen Überlegungen in der Philosophie des Films. In der neueren Forschung wird dieser Mangel besonders in der Debatte um die philosophischen Möglichkeiten des Films deutlich. Fragen wie „Können Filme philosophieren?“, d. h. können Filmwerke aus sich selbst heraus einen Beitrag zur philosophischen Forschung leisten, so dass deren Leistung mit derjenigen philosophischer Texte vergleichbar sei, weisen meines Erachtens auf eine Leerstelle in der Reflexion hin. Diese Leerstelle wurde durch die vorliegenden Antworten auf die notorische Frage der Filmtheorie „Was ist Film?“ offenbar noch nicht geschlossen. Einschlägige Beiträge, die man ‚analytisch‘ nennen würde und die in der Tradition der kognitivistischen filmtheoretischen Positionierungen der 80er Jahre stehen – beispielsweise von Gre-
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gory Currie, Noël Carroll und Berys Gaut – gehen zwar wichtige Schritte, insbesondere in Richtung einer kritischen Klärung von Grundannahmen und -begriffen der klassischen Filmtheorie und der zeitgenössischen Filmwissenschaften. Diese sehr verdienstvollen Beiträge zum methodischen Rahmen reichen meines Erachtens aber nicht aus, um eine starke Konzeption von erkenntnismäßigen Aspekten des filmischen Bewegungsbildes zu erarbeiten. Das liegt insbesondere daran, dass der Film im theoretischen Rahmen der ‚orthodoxen‘ Epistemologie überhaupt nicht als interessantes Phänomen auftritt bzw. auftreten kann. Wenn Wahrnehmung im Dienste des Wissens als ‚wahre, gerechtfertigte Überzeugung‘ steht und alle anderen Aspekte der Wahrnehmung daher als nicht-epistemisch (beispielsweise als ästhetisch) gelten, dann bleibt kein Raum für eine andere Wissensform. Die Rolle der Wahrnehmung und der Bildlichkeit muss daher aus einem phänomenologischen Blickwinkel erörtert werden, um die methodisch grundlegenden Fragen „Was ist Film?“, „Was nehmen wir im Film wahr?“ und schließlich: „Was erkennen wir im Film?“ zu beantworten. Erst die Antworten auf diese Fragen stellen die methodischen Mittel für die Untersuchung von potenziell philosophischen Leistungen des Films bereit. Bei meinen Darstellungen dieses in gewissen Hinsichten abweichenden Ansatzes bin ich in Diskussionen gelegentlich auf Irritation und Ablehnung gestoßen, wenn ich von epistemischen Eigenschaften und Leistungen filmischer Bewegungsbilder gesprochen habe. Die paradigmatischen Themen und Begrifflichkeiten der Epistemologie, wie man sie etwa in einschlägigen Einführungstexten finden kann, tauchen in der vorliegenden Untersuchung kaum oder gar nicht auf. Es geht nicht um Fragen der Wahrheit, ja noch nicht einmal um Aussagen, Schlüsse und Argumentationen, sondern vielmehr um Bilder und Objekte der Wahrnehmung. Doch trotz dieses Fehlens möchte ich aus bestimmten Gründen am Grundgedanken einer epistemologischen Charakterisierung der Untersuchung festhalten. Die hier vorgelegte Konzeption ist zwar keine Epistemologie im allgemein anerkannten Sinne. Sie folgt vielmehr der Idee einer ‚erweiterten Epistemologie‘, in der andere Wissensformen neben der propositionalen zu ihrem Recht kommen. Auf Ablehnungen eines solchen Ansatzes möchte ich in aller Kürze nur das Folgende erwidern: Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, eine Epistemologie des Films zu konzipieren. Zunächst können die Aussagen thematisiert werden, zu denen der Film Anlass gibt. So kann ein Film beispielsweise als Anstoß für eine bestimmte Argumentation interpretiert werden. Diese Art, die „Erkenntnis“ eines Films zu thematisieren, entspricht voll und ganz dem Schema der allseits anerkannten Erkenntnistheorie – allerdings rückt dann der Film als bloßer Erkenntnisanlass gewissermaßen in die Peripherie des systematischen Interesses. Eine zweite, alternative Möglichkeit für eine epistemologische Untersuchung des Films sehe ich darin, dass die epistemische Qualität der
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Objekte thematisiert wird, die sich uns im Zuge der Wahrnehmung des Films präsentieren. Epistemische Qualität erhalten diese Objekte der Filmwahrnehmung u. a. dadurch, dass sie als Bedingungen für die Möglichkeit von Deutungen fungieren – Deutungen, die normalerweise durchaus in Form von anknüpfenden Aussagen auftreten. Doch die Bedingungen für derartige Deutungen in der Wahrnehmung sind nicht selbst schon sprachlich, propositional oder begrifflich strukturiert, was nicht zuletzt an der Unterbestimmtheit der Deutungen im Angesicht der wahrgenommenen Objekte deutlich wird. Die folgende Untersuchung ist folglich in erster Linie der (erweiterten) philosophischen Epistemologie zuzuordnen. Warum aber nicht ebenso der Phänomenologie, der Wahrnehmungsphilosophie oder der Bildtheorie? Dafür gibt es sachliche, aber auch strategische Gründe. Aus allen drei Bereichen werden Erkenntnisse und Positionen zurate gezogen; allerdings werden zumindest für die Phänomenologie und die Wahrnehmungsphilosophie keine neuen Erkenntnisse aus der Anwendung auf filmische Bewegungsbilder gezogen. Etwas anders sieht es für die Bildtheorie aus, die sich bisher stark am Paradigma des statischen Bildes orientiert hat. Tatsächlich zielen meine Argumentationen in die Richtung einer Erweiterung der Bildtheorie, zumal der Bildbegriff im Angesicht von Phänomenen wie dem Film nicht mehr nur auf das beschränkt werden sollte, was rein visuell und ‚auf einen Blick‘ (simultan) präsent ist. Doch diese bildtheoretischen Schlussfolgerungen verbleiben im Dienste der epistemologischen Ausgangsfrage. Es geht in letzter Konsequenz nicht nur um die grundsätzliche Frage, was für eine Art Bild der Film ist, sondern gerade auch um die Frage, was wir in welcher Form im filmischen Bewegungsbild spezifisch erkennen können. In diesem Zusammenhang müssen grundsätzliche Überlegungen zur Rolle der Wahrnehmung in der Bildbetrachtung, zur nicht-propositionalen Struktur von bildlichen Präsentationen und zur Verwendung von filmischen Bewegungsbildern in epistemischen Praktiken angestellt werden. Neben den angesprochenen Debatten in der Philosophie des Films finden sich natürlich auch zahlreiche filmphilosophische Arbeiten, die weit außerhalb des eng gesteckten Rahmens argumentativ-analytischer Begriffsbildungen liegen. Das dort zugrundeliegende Forschungsziel erfüllt sich inhaltlich in reichhaltigen Beiträgen zum Filmmedium und zur Bedeutung konkreter Film(kunst)werke. Diese Tendenz der Philosophie des Films, die übrigens im deutschsprachigen Bereich eng mit der Medienphilosophie korreliert, entwickelt ihre Thesen häufig aus der Interpretation des konkreten Materials heraus, indem aus interdisziplinären Theoriebezügen heraus auf Erkenntnisse mit kulturwissenschaftlichem Anspruch hingearbeitet wird. Anspruchsvolle und voraussetzungsreiche Reflexionen dieser Art sind allerdings nicht oder bestenfalls vereinzelt auf die Klärung systematischer Fragen und Thesen aus. Vielmehr spürt man gelegentlich eine
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gewisse Skepsis an systematischen philosophischen Untersuchungen des Films, die in der Folge häufig in den Kontext der älteren klassischen Filmtheorie oder neuerer analytisch-blutleerer Abstraktionen eingeordnet werden. Entsprechende Weichenstellungen ergeben sich schon aus dem methodischen Ansatz, indem das konkrete Material als leitender Ausgangpunkt dient. Ein am Grundsätzlichen orientiertes philosophisches Interesse an epistemologischen Fragen kann vor diesem Hintergrund nicht befriedigt werden. Diese übergreifende Darstellung der Forschungslage ist natürlich sehr grob vereinfacht und etwas polemisch; es soll damit keine echte Kritik formuliert werden, sondern vielmehr der Eindruck einer Forschungslücke geschildert werden, der mich zu meinem Ansatz verleitet hat. Die vorliegende Untersuchung verfährt daher hauptsächlich konzeptionell, d. h. die epistemischen Merkmale werden nicht ausschließlich ex negativo in kritischen Argumentationen gegen kognitivistische, konstruktivistische und propositionalistische Positionen begründet, sondern in Überlegungen ermittelt, die sich auf hoher Allgemeinheitsstufe an den Phänomenen orientieren. Methodisch stehen begriffliche Unterscheidungen und Abgrenzungen im Vordergrund, mit dem Ziel einer für die Philosophie typischen Analyse des gewohnt Selbstverständlichen. Damit unterscheidet sich die methodische Zielsetzung von den weit gefassten Ansätzen im genannten Feld der Philosophie des Films, in denen es häufig nicht so sehr um die begrifflich-phänomenologischen Grundlagen geht, sondern vielmehr um Probleme an den ‚äußeren Rändern‘ der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung. Im Rahmen eines filmtheoretischen Interesses finden sich darüber hinaus aber auch kritische Argumentationen gegen Positionen zum (ontologischen) Status der Objekte der bildlichen und filmischen Wahrnehmung, namentlich gegen Variationen des Realismus und des Illusionismus. Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät I der Technischen Universität Berlin unter dem Titel „Epistemologie des filmischen Bewegungsbildes. Film als Wissensform“ als Dissertation angenommen und am 16. März 2017 verteidigt. Betreuer und Gutachter waren Prof. Dr. Günter Abel und Prof. Dr. Christoph Asmuth. Bei ihnen möchte ich mich zuallererst bedanken für ihre freundliche, geduldige und weitreichende Unterstützung. Nur durch den Austausch mit vielen Kollegen und Freunden konnte das Buchprojekt gelingen. Für Diskussionen, Inspiration und Kritik danke ich Teresa Pedro, Thomas Gil, Stefan Tolksdorf, Astrid Wagner, Martina Plümacher, Christian Möckel, den Teilnehmern der Cassirer-Arbeitsgruppe an der TU Berlin, Claudio Roller, Simon Gabriel Neuffer, Boris Goesl, Eva Schneider, Lutz Fricke, Philipp Heßeler, Lidia Gasperoni, Ute Feldmann, Jan Kromminga, Quentin Landenne, Andreas Jacke, Ulrich Seeberg, Lars Leeten, Anja Schwennsen, Tatjana Sheplyakova, Dimtri Liebsch, Patrick Chinone, Hadi Faizi, Helmut Heit, Elisabeth Simon,
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Martin Klaus Günther, Cem Kömürcü und Gudrun Altfeld. Für ihre nicht auf die fachlichen Dinge beschränkte Unterstützung während der Zeit der Entstehung der Dissertation möchte ich mich nachdrücklich bedanken bei Brandon Woolf, Gerhard Rammer, Friedrich Steinle, Karin Pelte, Carolin Philipp, Marcela Knapp, Helge Haack, Maxwell Flaum, Benjamin Kiesewetter und dem Team von Jonas & der Wolf. Meinen Eltern möchte ich für ihre bedingungslose Unterstützung danken. Schließlich widme ich die Arbeit meiner Frau Kurda und meiner Tochter Kijan, ohne die ich das Projekt vermutlich nie erfolgreich zur Publikationsreife gebracht hätte.
Inhalt . . . . . .
Einleitung 1 Was ist Film? 4 Film als Bild 8 Was heißt ‚Epistemologie des Films‘? 11 15 Zum Verhältnis von Ästhetik und Epistemologie Filmische Darstellung als Enthüllung: Malcolm Turveys Doubting Vision 18 Bemerkungen zur Terminologie 27
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Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts 29 34 Was ist ein Bild? Bildlichkeit zwischen Zeichenpraxis und Wahrnehmung 36 Bilder als Zeichen 37 41 Bilder in der Wahrnehmung Artifizielle Präsenz als Merkmal der Bildwahrnehmung 44 Film und Illusion 1: Bildlichkeit und reale Präsenz 48 49 Bilder, die mit der Realität verwechselt werden Bildlichkeit und Fiktionalität 52
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Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton 54 54 Was ist ein filmisches Bewegungsbild? Film und Illusion 2: Bildobjekt und Bewegung im Film 61 Partielle und projektive Illusion 65 Ist die Wahrnehmung eines Objekts im Bild eine Illusion? 67 Ästhetische Illusion 71 Der Ton im filmischen Bewegungsbild 73 Sprache im Film 79
Epistemologische Untersuchungen: Bekanntschaft mit Filmobjekten 82 Aussagenwissen und Bekanntschaft 83 Der ‚Propositionalismus‘ 85 Die Gegenstände der Bekanntschaft 89 Vom statischen Bildobjekt zum dynamischen Filmobjekt Bekanntschaft mit Filmobjekten als nicht-begriffliche Wissensform 93
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Inhalt
Direkte Wahrnehmung und die zeitlichen Eigenschaften der 98 Filmobjekte Dynamische Aspekte der filmischen Präsentation 102 Mit Bildern das Abgebildete zeigen: Spielarten des Realismus 111 113 Zeigen als Exemplifikation Epistemologische Funktionen der Fotografie 118 119 Bilder und die Irrtumsfähigkeit propositionalen Wissens Die Verwendung der Fotografie zum Beleg von Sachverhalten 123 127 Fotografie als Mittel der Gestaltung des Bildträgers Fotografie als Werkzeug der Dokumentation 129 Film und Illusion 3: Fotografie als getreue Abbildung 132 133 ‚Objektivität‘ der Fotografie? Transparenz und faktive fotografische Wahrnehmung 137 Fiktionale Illusion und repräsentative Suggestion 142
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Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis 144 Film und Subjekt 148 150 Das Subjektive im Film Erlebnisse mit Filmobjekten präsentieren 153 Erlebnisse durch Filmaspekte präsentieren 156 Film als Philosophie: Argumentation, Reflexion, Klärung? Was sind ‚philosophische‘ Filme? 159 Philosophische Rede und Begriff 161 Die Philosophie und das Konkrete 163
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis Sachregister Personenregister
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1 Einleitung Erkenntnisprozesse spielen in der Filmerfahrung eine zentrale Rolle – auch wenn Filme typischerweise zum Zweck der Unterhaltung oder mit ästhetischen Ansprüchen angeschaut werden. So werden manche Filme beispielsweise als ‚interessant‘, ‚tiefgründig‘, ‚aufschlussreich‘ oder ‚lehrreich‘ beurteilt. Diese Charakterisierungen weisen darauf hin, dass mit Filmen nicht nur Entdeckungen gemacht werden können, sondern dass Filme auch Einblicke ermöglichen, die zu Einsichten oder sogar zu regelrechten Erkenntnissen beitragen. Abgesehen davon, dass bestimmte Filme über Sachverhalte informieren können, geht der Anspruch in der Zuschauererfahrung häufig tiefer: Man hat den Eindruck, dass das Anschauen eines Films den Zuschauern etwas vermittelt, was sich von bloßem Tatsachenwissen abhebt. Mit der Filmerfahrung werden also spezifische epistemische Leistungen verbunden.¹ Für eine erste Annäherung können die Begriffe der Entdeckung, des Einblicks und der Einsicht als Leitfaden dienen. Die Rede davon, dass man in einem Film etwas entdeckt, also etwas erstmals wahrnimmt und kennenlernt, ist in einer bestimmten Hinsicht trivial. Denn man kann in Filmen – und allgemein in Bildern – Dinge wahrnehmen, die man sonst nie gesehen hat und unabhängig von der bildlichen Darstellung wohl auch nie sehen würde oder könnte, seien es historische Aufnahmen, einmalige Ereignisse, Bilder aus fremden und unzugänglichen Gegenden oder auch aus einer Nähe, die kaum ein Betrachter tatsächlich einnehmen könnte. Doch über die Entdeckung von Neuem und dem Zuschauer bisher Unbekanntem hinaus gibt es auch gewissermaßen ‚tiefere‘ Erkenntnisse, die Filmen ähnlich wie der Literatur oder dem Theater zugeschrieben werden: Von Darstellungen und Reflexionen schwieriger Probleme bis hin zur Vermittlung ‚neuer Perspektiven‘ findet man in Filmen eine große Vielfalt an Auseinandersetzungen, die Ansprüche auf eine besondere Erkenntnisweise erheben. Damit ist sicherlich nicht (oder zumindest nicht nur) die Vermittlung von Informationen gemeint, sondern vielmehr eine umfassendere Erfahrung, die durch eine ‚Vertiefung‘ in bestimmte Darstellungen die Zuschauer sinnlich affiziert. Was Filme hier versprechen sind Einblicke, Einsichten oder auch eine Art ‚Enthüllung der
Vgl. eine Formulierung, die der Komplexität dieses Umstands gerecht zu werden versucht: „film worlds possess, and are capable of conveying, two distinct, if also often overlapping, forms of knowledge and enlightenment, as pertaining, respectively, to ‚life‘ and to ‚cinema‘ (i. e., as art). Such truth, as a product of both film form and content, and at once revealed (or ‚disclosed‘) and interpreted, is claimed to be a major aspect of a cinematic work’s interest and value, both cognitive and aesthetic.“ (Yacavone 2015, S. xxv). https://doi.org/10.1515/9783110600506-002
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Wirklichkeit‘ – Vorgänge, die im Rahmen einer Konzeption filmischen Zeigens erfasst werden können. Dabei geht es nicht in erster Linie um Filme, die ganz offensichtlich und ausdrücklich mit dem Ziel der Kommunikation von Wissensbeständen produziert und gezeigt werden, etwa indem eine Dozentin bei ihrer Vorlesung gefilmt wird, sondern vielmehr um ein weites Spektrum filmischer Darstellungen, von Fiktionen über Dokumentarfilme bis hin zum Kunstfilm. In diesen Darstellungen ist die Filmerfahrung nicht nur als Informationsübermittlung, als Unterhaltung, als Meinungsäußerung, als politischer oder sozialer Appell zu betrachten. Mit der Filmwahrnehmung werden offenbar epistemische Qualitäten verbunden, die allerdings nicht unmittelbar als solche deutlich hervortreten. Während der konkreten Wahrnehmung von Filmen, also in der vertrauten Zuschauersituation im Kino, vor dem Fernseher oder dem Computerbildschirm, werden die epistemischen Qualitäten wohl nur selten als solche erfasst und reflektiert. Epistemische Aspekte verbleiben insofern im Impliziten, sie sind (noch) unverstanden, wenn sie nicht sogar angesichts der vorherrschenden Zwecke der Unterhaltung oder des künstlerischen Ausdrucks geleugnet werden. Denn die umfassenden Charakterisierungen von Filmen als Kunstwerke, Kommunikationsmedien oder Lehrmittel verdecken häufig die Frage nach Art und Status einer allgemeinen Wissensform der Filmerfahrung. Explizit beschrieben finden sich filmische ‚Erkenntnisse‘ dagegen häufig in der anspruchsvollen Filmkritik, besonders deutlich aber in philosophischen Interpretationen von Filmen, mit denen sich inzwischen ein selbständiger und vielfältiger Zweig der philosophischen Literatur herausgebildet hat. In einigen dieser Beiträge zur anspruchsvollen Filminterpretation und -reflexion zeigt sich übrigens, dass prinzipiell auch Filme, die auf den ersten Blick nur ‚unterhalten wollen‘, in philosophisch-epistemischer Hinsicht interessant und wertvoll sein können.² Auch in der Theorie finden sich kaum Antworten auf die Frage, von welcher Art die epistemischen Leistungen des Films sind. Insbesondere der epistemologische Status der Wahrnehmung von Filmen ist bisher weitgehend ungeklärt. Es gibt noch keine systematisch orientierte Beschreibung und Begründung der Wissensform der Filmerfahrung. Zwar wird Filmen (als Bildern) durchaus gelegentlich die Möglichkeit von Evidenzerfahrungen und entsprechenden Wahrheitsansprüchen eingeräumt;³ es gibt aber noch keine umfangreiche epistemologische Untersuchung, die diese Möglichkeit begründet und erklärt. In der
Vgl. u. a.: Cavell 1981, Cavell 1996, Cavell 2004, Carroll/Choi 2006, Mulhall 2008, Carel/Tuck 2011 sowie die Publikationen der Zeitschrift Film-Philosophy unter www.film-philosophy.com. Vgl. z. B. Schwarte 2015.
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vorliegenden Arbeit soll ein erster Schritt in diese Richtung unternommen werden, indem nach spezifischen Eigenschaften der Filmwahrnehmung gefragt und ihr epistemologischer Status untersucht wird. Ausgangspunkt der epistemologischen Untersuchung ist die Wissensform der Bekanntschaft. Sie steht in einem engen Zusammenhang zur Wahrnehmung, denn Wahrnehmung stiftet Bekanntschaft. Zugleich ist Bekanntschaft immer Bekanntschaft mit etwas, sie ist also immer auf Objekte bezogen. Dagegen wird Bekanntschaft nicht von der Übereinstimmung einer Darstellung mit den bestehenden Sachverhalten her gedacht: Denn ob das, womit man durch die Wahrnehmung bekannt wird, in einer Repräsentations- oder Abbildungsbeziehung zu etwas anderem steht, ist zunächst nicht entscheidend. Das gilt insbesondere für die Filmerfahrung, in der die Beziehung des Wahrgenommenen zu etwas Anderem (wie einer ‚außerfilmischen Realität‘) entweder nachgeordnet oder vorausgesetzt ist – ersteres ist charakteristisch für fiktionale Filme, letzteres für nichtfiktionale Filme. Ich vertrete in dieser Hinsicht die These, dass das epistemische Interesse an der Filmerfahrung nicht unmittelbar auf das Verhältnis zwischen dem Film und etwas von ihm Abgebildeten gerichtet ist, sondern zuerst darauf, was in einem Film gegenwärtig ist. Bei der Untersuchung der Bekanntschaft mit Filmen kommt es daher in erster Linie auf die Objekte der Wahrnehmung selbst an, und erst daran anschließend auf die Handlungen, Verhaltensweisen und Aussagen, die an die Bekanntschaft mit diesen Objekten anknüpfen. Diese Zusammenhänge und das Verständnis der damit verbundenen epistemologischen Phänomene sind leitend für die vorliegende Untersuchung. Mit der Konzentration auf den Film wird der Gegenstandsbereich der Untersuchung auf eine spezifische Art der Bilder eingeschränkt, womit an eine breite theoretische Debatte angeknüpft werden kann: Denn Filme sind Bilder, und die Bekanntschaft mit Bildern erklärt sich daraus, was Bilder sind, welche Art der Wahrnehmung mit ihnen verbunden ist und wie sie schließlich in Beziehung zu etwas Anderem gesetzt werden. Diese Fragen verdienen daher besondere Aufmerksamkeit. Es zeigt sich allerdings, dass der bildliche Status des Films in verschiedenen Hinsichten theoretisch noch ungeklärt ist, was sich nicht zuletzt an einigen Paradoxien zeigt, die geradezu hypnotisierend auf Filmtheorie und Filmphilosophie gewirkt haben. Insbesondere Fragen nach dem Illusionscharakter, nach der Rolle des Filmtons und nach dem Status der Fotografie müssen daher geklärt und eindeutig beantwortet werden. Getragen wird die Untersuchung filmischen Wissens also von einer übergeordneten Konzeption bildlichen Wissens, die sich auf Beiträge zur Bildtheorie
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sowie zur Epistemologie ästhetischer und künstlerischer Darstellungen beruft.⁴ Nelson Goodman beispielsweise betont nicht nur einen kreativen „Verstehensfortschritt“ in der Kunst,⁵ sondern sieht im Wissen sogar den höchsten Zweck aller Kunst: „Der primäre Zweck“ liegt in der „Erkenntnis an und für sich“ („cognition in and for itself“) (Goodman 1976, S. 258). Im Anschluss an diese Position Goodmans und unter Einbezug von Günter Abels Philosophie der Wissensformen⁶ möchte ich für die weiterführende These argumentieren, dass mit filmischen Bewegungsbildern bestimmte epistemische Praktiken verbunden sind. Diese Praktiken sind uns vertraut und erscheinen uns ganz selbstverständlich, aber ihre Strukturen und Wechselspiele sind noch nicht explizit beschrieben und begründet. Ich werde in diesem Sinne dafür argumentieren, dass sich die spezifisch filmische Bekanntschaft in bestimmten Arten des Zeigens manifestiert. In den folgenden Kapiteln der Einleitung möchte ich zunächst den Gegenstandsbereich bestimmen, der im weiteren Verlauf der Untersuchung unter dem Begriff des Films gefasst wird (Kapitel 1.1), insbesondere im Hinblick auf dessen Bildcharakter (Kapitel 1.2). In Kapitel 1.3 grenze ich die Idee einer ‚Epistemologie des filmischen Bewegungsbildes‘ von verwandten Ansätzen ab und erläutere die Fragestellung genauer. In diesen Zusammenhang gehören auch einige Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Epistemologe und den Zielen einer philosophischen (Film‐)Ästhetik (Kapitel 1.4). Schließlich wird die in der klassischen Filmtheorie entwickelte Idee einer filmischen Enthüllung diskutiert (Kapitel 1.5). Dies geschieht vor dem Hintergrund einer filmphilosophischen Untersuchung von Malcolm Turvey, der die klassisch-filmtheoretische Idee der Enthüllung klar identifiziert und – mit Argumenten, die sich an Wittgensteins Ausführungen zum Skeptizismus anlehnen – kritisiert hat.
1.1 Was ist Film? Was meinen wir, wenn wir im Folgenden von ‚Filmen‘ sprechen? Eine Untersuchung mit epistemologischer Ausrichtung könnte sich zunächst an formalen Eigenschaften des Films bzw. des Filmmediums orientieren. Was ist damit gemeint? Man könnte beispielsweise auf die Idee kommen, filmische Phänomene im Sinne der klassischen analytischen Philosophie auf den Begriff des Films zurückführen. Vgl. z. B. Abel 2004c, Kieran/Lopes 2007, Kieran 2009, Kieran 2011 und Ferran 2013. „[A] major thesis of this book is that the arts must be taken no less seriously than the sciences as modes of discovery, creation, and enlargement of knowledge in the broad sense of advancement of the understanding […].“ Goodman 1978, S. 102; vgl. auch Abel 1999c. Vgl. Abel 2012a.
1.1 Was ist Film?
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Eine derartige Analyse liefe auf die formale Bestimmung von notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Vorliegen eines Filmphänomens hinaus. Noël Carroll hat den Versuch unternommen, den Film als Medium in diesem Sinne zu definieren, erreicht aber lediglich einige sehr abstrakte Bestimmungen, die für eine epistemologische Untersuchung zu allgemein und nicht weiterführend sind.⁷ Denn wenn wir danach fragen, was uns als Zuschauern bei der Wahrnehmung von Filmen konkret gegeben ist, dann helfen uns Überlegungen zur begrifflichen Kategorisierung des Films im Vergleich zu anderen Dingen nicht weiter. Eine Alternative zu einer Orientierung an abstrakten Merkmalen des Filmbegriffs bestünde dagegen in einer materialen Kategorisierung, die sich auf konkrete Filmgenres, historische Filminhalte oder einzelne Filmwerke bezieht. Dafür gibt es gerade auch in der philosophisch-filmtheoretischen Literatur einige Beispiele. Doch die theoretischen Ansprüche der Epistemologie können auch in diesem Rahmen nicht erfüllt werden, denn hier fehlt es wiederum an Allgemeinheit. Wir werden von der Betrachtung bestimmter Filmphänomene wohl kaum zu den epistemologischen Merkmalen filmischer Phänomene überhaupt gelangen. Es stellt sich also die Frage: Wie ist die Grenze zwischen Form und Inhalt filmischer Phänomene zu ziehen, um die epistemologischen Aspekte in den Blick zu bekommen? Im Überblick über den Gegenstandsbereich der Philosophie des Films eröffnen sich grundsätzlich verschiedene Wege für eine Unterscheidung zwischen filmischer Form und filmischem Inhalt. Häufig orientiert sich die Thematisierung des Films am ‚Primat‘ der Narration. Mit dieser Ausrichtung ist zugleich eine implizite Festlegung auf bestimmte vorherrschende Filmtraditionen verbunden. Film wird „als ein narratives Medium verstanden und nicht etwa als Medium der reinen Sichtbarkeit (wie in der Avantgarde), als Medium der piktorialen Darstellung oder als Medium der Bewegung und Zeit auf einer immanenten Ebene.“ (Elsaesser/Hagener 2013, S. 113 f.). Doch man kann sich schnell davon überzeugen, dass eine ausschließliche Orientierung an der Narration viele Filmphänomene ausblendet – nicht nur nicht-narrative Filme, sondern auch diejenigen Momente und Szenen in narrativen Filmen, die nicht unmittelbar im Dienste der Erzählung stehen.⁸ Das Primat der Narration erweist sich somit als Engführung. Die anderen beiden im obigen Zitat genannten Auffassungen – von Film als Medium der piktorialen Darstellung oder als Medium der Bewegung und Zeit – sind beispielsweise in den Ansätzen von Gregory Currie⁹ und Gilles Deleuze¹⁰ zu Vgl. Carroll 2005. Vgl. zu diesen Momenten Zechner 2013. Vgl. Currie 1995. Vgl. Deleuze 1981, Deleuze 1996.
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finden. Sie beanspruchen, die Phänomene des Films auf einer allgemeineren und weniger selektiven Ebene zu fassen. Die narrativen Ausgestaltungen von Filmen können dann als Spezialfälle bestimmt werden, genauer als bildliche Narrationen (Currie) oder als Realisierungen von (metaphysischen) Bewegungs- und Zeitformen (Deleuze). Die Möglichkeit und Ausgestaltung filmischer Narrationen wird in diesen Ansätzen also aus den allgemeineren Eigenschaften der Bildlichkeit und der zeitlichen Form des Films abgeleitet. An eine gleichartige Ordnung möchte ich auch im Folgenden anknüpfen, ohne allerdings die spezifische Bestimmung filmischer Narration eigens zu thematisieren.¹¹ Es wird sich schließlich zeigen, dass die Orientierung an Merkmalen wie dem Bildcharakter, der Konzeption einer zeitlichen Form und bestimmten filmisch-epistemischen Praktiken einen zwar zunächst sehr allgemein gehaltenen, aber zugleich inhaltlich reichhaltigen Untersuchungsansatz ermöglicht. Im Folgenden wird daher unter dem Begriff des Films eine bestimmte Bildart verstanden, die eine zeitliche Form aufweist und kraft dieser Form einen Wahrnehmungsprozess mit bestimmten Eigenschaften veranlasst. Unter dem Begriff der zeitlichen Form können Eigenschaften wie Bewegung und Dauer gefasst werden – offenbar wesentliche Merkmale des Films. Es gibt zwar auch seltene Beispiele für Filme, in denen sich nichts bewegt (etwa Filme, die nur aus einem oder mehreren Standbildern bestehen), wodurch Bewegung als notwendige Bedingung für Film ausgeschlossen ist; dennoch haben auch diese Filme eine Dauer, und Bewegung spielt zumindest noch als erwartete eine Rolle.¹² Doch auch vor dem Hintergrund dieser näheren Bestimmungen findet sich heute eine nahezu unüberschaubare Vielfalt an Filmphänomenen, die in ihren epistemologischen Funktionen stark variieren können. Ein zu abstrakter Filmbegriff, wie er sich aus einer begrifflichen Analyse ergibt, kann hier (wie gesagt) keine Orientierung schaffen; Bestimmungen der bildlichen und zeitlichen Form des Films können dagegen als erste Ausgangspunkte dienen. Weitere Hinweise ergeben sich aus der folgenden Ordnung geläufiger Filmphänomene. Die Einteilung folgt Kriterien, die zumindest auf den ersten Blick epistemologisch relevant erscheinen. Selbstverständlich erlaubt die kaum zu überblickende Mannigfaltigkeit der Filmphänomene keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber eine klare Einteilung erlaubt trotz aller Vorläufigkeit einen ersten systematischen Zugriff. ‒ Gegenständliche und nichtgegenständliche Filme Filme sind überwiegend gegenständliche Bilder, d. h. sie präsentieren hinreichend deutlich erkennbare Objekte. Ausnahmen finden sich in einigen
Vgl. zur Narration im Film die umfassende und lehrreiche Studie von Kuhn 2011. Vgl. die Argumentation in Danto 1999. In Kapitel 3 werde ich näher auf diesen Punkt eingehen.
1.1 Was ist Film?
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Experimentalfilmen sowie im Kontext einzelner Szenen in ansonsten gegenständlich abbildenden Filmen, in denen zeitweise unklar oder unbestimmt sein mag, ob etwas und was genau zu sehen ist. Fotografische und nichtfotografische Filme Für viele Filme ist es charakteristisch, dass sie fotografisch erzeugt sind. Ihnen kommen daher all diejenigen besonderen Eigenschaften zu, die die Fotografie als spezifische Abbildungstechnik auszeichnen. Dokumentarische Filme sind notwendig fotografisch. Mit der Fotografie sind in der Film- und Bildtheorie seit ihrer Entstehung starke epistemologische Ansprüche verbunden worden, auf die ich auch im Verlauf der vorliegenden Arbeit näher eingehen werde (vgl. Kapitel 5.2 und 5.3). Zeitlich lineare und zeitlich nicht-lineare Bewegungsbilder (z. B. interaktive Filme) Normalerweise besteht die Einheit eines Films in einer fest umgrenzten Dauer mit Anfang und Ende. Daneben besteht aber auch die technische Möglichkeit, den Film zu unterbrechen, beliebig zu wiederholen oder gezielt an andere Stellen zu springen. Insbesondere interaktive Szenarien sind als zeitlich nicht-lineare Bewegungsbilder anzusprechen. Größere filmische Einheiten sind also nicht notwendig auf eine sukzessive Struktur festgelegt; allerdings ist jedes filmische Bewegungsbild auf eine minimale Einheit der Dauer angewiesen – andernfalls würde es sich nicht um ein Bewegungsbild handeln. Narrative und nichtnarrative Filme Im Hinblick auf die Narration liegt die Besonderheit des Films darin, dass hauptsächlich mittels Bewegungsbildern erzählt werden kann. Narration beruht auf der filmischen Darstellung von Sachverhalten, während in nichtnarrativen Filmen die Darstellung von Sachverhalten gegenüber der bloßen Präsentation des Wahrzunehmenden in den Hintergrund tritt. Fiktionale und nicht-fiktionale Filme Nicht-fiktionale Filme präsentieren reale Personen, Dinge und Ereignisse, während fiktionale Filme fiktive Personen, Dinge und Ereignisse präsentieren. Die Grenze zwischen diesen Bereichen ist naturgemäß alles andere als klar; genaue Zuordnungen hängen davon ab, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion gezogen wird. Darüber hinaus gibt es Mischformen und Grenzfälle, in denen die Unterscheidung zwischen beiden Bereichen unbestimmt oder unmöglich ist. Unter den nicht-fiktionalen Filmen müssen im Übrigen dokumentarische und ‚nachstellende‘ Filme unterschieden werden. In nachstellenden Filmen wird ein Ereignis, eine Person, ein Ort oder ein Zeitraum ‚re-inszeniert‘, d. h. mit einer Inszenierung wird ein Bezug zu realen Entitäten hergestellt. Dagegen kann im Dokumen-
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tarfilm nicht von Inszenierung im engeren Sinne gesprochen werden; in gewisser Hinsicht ist die filmisch-fotografische Aufnahme hier ‚bei‘ den realen Personen und Ereignissen, die abgebildet werden. Diese Unterscheidung wird in Kapitel 5.2.4 näher erörtert. Live-Übertragungen und Aufnahmen Seit der Entwicklung des Fernsehens und der entsprechenden Übertragungstechniken ist eine Übertragung von Bewegungsbildern ohne nennenswerten Zeitversatz möglich. Demgegenüber beruht die ältere Filmtechnik auf der zeitlichen (und technisch notwendigen) Trennung von Aufnahme und Wiedergabe.
Diese und weitere denkbare Einteilungen in verschiedene Filmarten können als Ausgangspunkte für eine geordnete Untersuchung der jeweiligen epistemischen Potenziale dienen. Es ist daher gelegentlich sinnvoll, vor dem Hintergrund dieser Ordnung auf entsprechende Prototypen zu verweisen, um die Anwendung der theoretischen Überlegungen einzugrenzen und zu vereinfachen.¹³ Denn es ist beispielsweise anzunehmen, dass wir es im Zusammenhang z. B. von Dokumentarfilmen mit anderen Wissensansprüchen zu tun haben werden als bei rein fiktionalen Filmen. Fiktion und Dokument sind dabei nur zwei Extreme, zwischen denen verschiedene Abstufungen und Mischformen denkbar sind. Ähnlich weitreichende Differenzen dürften sich für fotografische und nicht-fotografische oder auch für gegenständliche und nicht-gegenständliche Filme ergeben.
1.2 Film als Bild Filme sind Bilder. Filme werden als ‚bewegte Bilder‘ oder ‚Bewegungsbilder‘ beschrieben; im Englischen spricht man von ‚moving images‘ oder ‚motion pictures‘ (kurz: ‚movies‘ oder auch einfach nur ‚pictures‘).¹⁴ Es ist daher naheliegend, Film als Gegenstand der Bildtheorie zu behandeln. Allerdings ist das bisher nur vergleichsweise selten unternommen worden. Aus diesem Grund ist die Untersu-
Zum Nutzen von filmischen Prototypen vgl. Liebsch 2013, S. 120. Eine weitere Bedeutung der Wendung moving pictures kann in der Anspielung auf die „bewegende“ Wirkung eines Films auf den Zuschauer gesehen werden. Sie findet sich z. B. bei Hopkins 2010. – Der Begriff ‚Kino‘, den man u. a. im Sinne einer spezifischen ‚Wahrnehmungsanordnung‘ (Dispositiv), als Kunstform oder auch als Institution deuten kann, ist für einen umfassenden Bezug auf die zeitgenössische Vielfalt der Filmphänomene zu eng. Aus dieser Enge erklärt sich auch das aktuell diskutierte Konzept der „post-kinematographischen Epoche“ (vgl. z. B. Casetti 2010).
1.2 Film als Bild
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chung der „zahlreichen Dimensionen des filmischen Bewegungsbildes in Orientierung an bildwissenschaftlichen Fragestellungen […] als dringendes Forschungsdesiderat zu sehen, da im aktuellen Diskurs der bildwissenschaftlichen Forschung vor allem das statische Bild im Zentrum des Interesses steht, während dem Bewegtbild bzw. dem Film bisher nur wenig Aufmerksamkeit zugekommen ist.“ (Borschtschow/Grabbe/Rupert-Kruse 2013, S. 2). Bildtheorie und Bildwissenschaften orientieren sich zumeist an der Untersuchung statischer Bilder – Filme als Bewegungsbilder weichen somit von den paradigmatischen Gegenständen der Bildwissenschaften ab.¹⁵ In bestimmten Hinsichten herrscht daher noch immer Unklarheit darüber, wie das Filmthema an die etablierten bildwissenschaftlichen Ansätze anschließen kann. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer grundlegenden Reflexion über den Begriff des filmischen Bewegungsbildes und über dessen Differenzen zum allgemeinen Begriff des (statischen) Bildes. Die fehlende bildtheoretische Perspektive auf Bewegungsbilder lässt sich in manchen Fällen auf die Annahme zurückführen, dass es sich beim Bewegungsbild nur um eine spezielle Bildart neben anderen handelt, dem Film also kein systematischer Eigenwert für eine allgemeine Bildtheorie zukommt. Beschäftigt man sich theoretisch mit Bildern im Allgemeinen, also etwa mit dem Merkmal der Bildlichkeit überhaupt, so erscheint das Bewegungsbild lediglich als besondere Art der Gattung ‚Bild‘.¹⁶ Bewegung ist einfach nur die differentia specifica, durch die Bewegungsbilder gegenüber anderen Bildarten bestimmt sind. Aus dieser allgemeinen Perspektive geraten die bildtheoretischen Besonderheiten des Films nicht mehr in den Blick. Das Bewegungsbild könnte so z. B. auf eine Abfolge statischer Einzelbilder zurückgeführt werden, deren Status im Rahmen der allgemeinen Bildtheorie bereits geklärt ist. Andererseits kann das filmische Bewegungsbild aber auch im Vergleich zum statischen Bild erklärungsbedürftig erscheinen. So werden Bewegungsbilder gelegentlich als Abweichung von einer strikt an statischen Bildern orientierten Bildlichkeit gedeutet, beispielsweise weil Bilder sich normalerweise eben nicht bewegen¹⁷ oder weil hier wahrnehmungs Vgl. Koebner/Meder 2006, Borschtschow/Grabbe/Rupert-Kruse 2013 und Liebsch/Grabbe/ Rupert-Kruse 2014. Vgl. Klaus Sachs-Hombachs Position, der der Bewegtbildform des Films keine besondere systematische Bedeutung zuspricht, „insofern Film nur ein spezielles Bildmedium unter anderen (etwa neben der Fotografie) darstellt.“ (Sachs-Hombach 2006, S. 164). Vgl. die Überlegung von Joachim Paech: „Was ist ein Bewegungsbild? Eigentlich dürfte die Antwort auf diese Frage nicht besonders schwer fallen, wenn wir Bewegungsbild als einfache Koppelung von Bild und Bewegung verstehen. Wir verfügen über ein praktisches Alltagsverständnis im Umgang mit Bildern und erfahren Bewegung am eigenen Körper als unser vitales Verhältnis zur Welt. Aber wie kommt beides, Bild und Bewegung, zusammen, wenn Bewegung eine Eigenschaft von Bildern sein und Bilder sogar unser vitales Verhältnis zur Welt abbilden und
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psychologische Effekte ins Spiel kommen, die untypisch für ‚reine‘ Bilder sind. Aus dieser Perspektive erscheinen Bewegungsbilder als nicht ganz vollwertige Bilder. – Einstellungen wie diese erlauben zwar weiterhin Untersuchungen zum Bewegungsbild als besondere Bildart in ‚Einzeluntersuchungen‘, es wird aber keine systematische Relevanz für den Bildbegriff und für eine allgemeine Bildtheorie erwartet. Dagegen ist aber beispielsweise in wahrnehmungspsychologischen Beiträgen auch eine entgegengesetzte Erklärungsrichtung vorgeschlagen worden: Anstatt Bewegung und Zeitlichkeit von Bewegungsbildern als zusätzliche oder abweichende Bildeigenschaften aufzufassen, können umgekehrt statische Bilder aufgrund ihrer Unbewegtheit und ihrer ‚Starre‘ als erklärungsbedürftiges Phänomen erscheinen. Diese Position ist beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage nach der Bildwahrnehmung von dem Psychologen James J. Gibson eingenommen worden. Gibson ordnet statische Bilder als wahrnehmungspsychologischen Sonderfall ein, da im Normalfall (d. h. unabhängig von Bildern) immer Bewegung wahrgenommen wird, während „festgesetzte“ („arrested“) Bilder eine ganz ungewöhnliche und künstliche Art der Wahrnehmung erzeugen: „The motion picture is more like natural vision than the still picture, for the latter is an arrested image.“ (Gibson 1986, S. 267) – „[T]he arrested optic array is an unusual case of the changing array; it is obtained in a frozen world by an observer who holds still and uses only one eye.“ (Gibson 1986, S. 293). Diese Perspektive ist allerdings theoretisch nicht zwingend, zumal sie einer psychologischen Theoriebildung entspringt und keinen Ausgangspunkt für die begrifflichen Bestimmungen der entsprechenden Bildarten bilden muss. In Kapitel 3 werde ich Phänomene des filmischen Bewegungsbilds über den paradigmatischen Ausgangspunkt des statischen Bildes hinaus in den Blick nehmen und entsprechend bestimmen. Das gelingt vor dem Hintergrund einer Bildtheorie, die der zeitlichen Form von Bildern gerecht werden kann und die nicht auf statische Eigenschaften von Bildern eingeschränkt ist, konkret: im Rahmen der phänomenologischen Bildtheorie nach Edmund Husserl und Lambert Wiesing. Nur so können die Phänomene des Films in all ihrer Reichhaltigkeit als vollwertige bildliche Einheiten aufgefasst werden, so dass daran anschließend epistemologische Fragen angemessen adressiert werden können. Die wesentlichen bildtheoretischen Grundlagen werden in Kapitel 2 dargelegt.
wiedergeben sollen?“ (Paech 2006, S. 92). Paech geht hier von einer sachhaltigen Trennung von Bild und Bewegung aus, deren „Koppelung“ im filmischen Bewegungsbild dann problematisch bzw. erklärungsbedürftig erscheint.
1.3 Was heißt ‚Epistemologie des Films‘?
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1.3 Was heißt ‚Epistemologie des Films‘? Grundsätzlich können zwei Richtungen für epistemologische Untersuchungen eingeschlagen werden, mit denen jeweils verschiedene Zusammenhänge erklärt werden: Einerseits können die Voraussetzungen dafür untersucht werden, dass wir etwas (oft wie selbstverständlich) verstehen, begrifflich fassen oder wissen können. Andererseits kann nach der Bedeutung von Erkenntnisprozessen gefragt werden, wodurch insbesondere die Form des erlangten Wissens im Zentrum des Interesses steht. Die hier eingeschlagene Richtung für eine ‚Epistemologie des filmischen Bewegungsbildes‘ folgt dem letzteren Modell. Aus diesem Grund sind die hier erörterten Fragen nach den epistemischen Leistungen des Films zu unterscheiden von dem Interesse daran, wie wir wissen können, dass etwas ein Film ist. Die letztere Frage bildet in der Filmtheorie häufig den Hintergrund der Frage nach dem Filmbegriff bzw. danach, was Film ist. ¹⁸ Ebenso ist die Frage auszugrenzen, wie es zu erklären ist, dass wir Filme verstehen. ¹⁹ Zu beiden Fragestellungen liegen viele filmtheoretische und filmphilosophische Arbeiten vor, die sich auf eine flüssige und problemlose Praxis des Filmverstehens beziehen und u. a. auf deren philosophische Klärung abzielen. Mit diesen Zielen wird dann eine Richtung für eine epistemologische Untersuchung des Films eingeschlagen, die auf eine Erörterung der Voraussetzungen für die Erfassung und das Verständnis filmischer Phänomene abzielt. Die grundsätzliche Frage lautet dann: „Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um Filme als solche erkennen und verstehen zu können?“ So wird beispielsweise nach den Fähigkeiten und Dispositionen gefragt, die die Auffassung von etwas als Film bestimmen.²⁰ Daneben kann das Verstehen dessen, was in Filmen abgebildet ist, auf ein zugrundeliegendes Vorverständnis und auf bestimmte kognitive Prozesse zurückgeführt werden, mit dem Ziel, Filme in einen umfassenderen Erfahrungszusammenhang einzuordnen. Hier wären beispielsweise Konzeptionen impliziten Wissens zum Zuge zu bringen. Themen aus diesem Problemkomplex sind im Kontext der kognitivistischen Filmtheorie ausführlich bearbeitet worden. Die im Folgenden eingeschlagene Richtung für eine epistemologische Untersuchung zielt hingegen darauf ab, die epistemologischen Konsequenzen zu bestimmen, die sich aus der Wahrnehmung und dem Verständnis filmischer Phänomene ergeben. Aus diesem Interesse ergeben sich beispielsweise folgende Fragen: Von welchen Arten sind die Erkenntnisse, die man durch das Anschauen
Vgl. z. B. Carroll 1996 und Andrew 2010. Vgl. z. B. Bordwell 1985, Branigan 1992 und Wilson 2011. Vgl. Danto 1999 und Carroll 2005.
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von Filmen erlangt? Wie können die diversen Erkenntnisleistungen von Filmen beschrieben, erklärt und begründet werden? Welchen epistemischen Zugang zur Welt eröffnen filmische Bewegungsbilder? Worin liegt der epistemologische Unterschied zwischen der Lektüre eines Romans und dem Anschauen von dessen Verfilmung? Wie unterscheidet sich das Wissen, das Zuschauer aus fiktionalen Filmen ziehen, von den Erkenntnissen, die durch nicht-fiktionale Filme (wie z. B. Dokumentationen) vermittelt werden? Fragen dieser Art sollen in der vorliegenden Untersuchung beantwortet werden. Ausgangspunkt ist die These, dass der Film bestimmte epistemische Ansprüche erfüllt, weil er ein zeitlich geformtes Bild ist. Als Bilder ermöglichen Filme dem Zuschauer folglich, etwas Bestimmtes wahrzunehmen und zu erfahren. Der Vorgang des ‚wahrnehmbar und erfahrbar Machens‘ ist eine spezifische Funktion von Bildern, die im Folgenden durchgängig unter dem Begriff der Präsentation gefasst wird. Präsentiert werden mithin Objekte (im weitesten Sinne). Was aber konkret in einem Film wahrgenommen wird, bestimmt sich weitgehend dadurch, wie Filme etwas präsentieren und darstellen. Hier kommen die besonderen Möglichkeiten filmischer Darstellung ins Spiel. So ist das in Filmen Wahrgenommene nicht auf das rein Visuelle zu reduzieren: Insbesondere der zeitliche Rhythmus der Einstellungen in der Montage und der Filmton führen zu einer einheitlichen Wahrnehmung des filmischen Bildes, in der verschiedene Sinnesmodalitäten konstitutiv integriert sind. Die intentionalen Objekte der Filmwahrnehmung sind daher nicht nur visuell konstituiert, sondern haben eine zeitliche und über das Visuelle hinausgehende sinnliche Form (vgl. Kapitel 3). Darüber hinaus sind nicht nur die filmisch präsentierten Objekte von zeitlichdynamischer Art, sondern auch die Art und Weise, wie die Objekte im Film präsentiert werden. Diese Art und Weise der Präsentation bezeichne ich im Folgenden als den Aspekt des filmischen Bildes. Gemeint ist damit beispielsweise die Ansicht eines Objekts aus einer bestimmten Kamera-Perspektive oder in einem bestimmten Schnittkontext. Mittels dynamischer Filmaspekte kann die Aufmerksamkeit des Zuschauers gelenkt und ihr Bezug auf die wahrgenommenen Objekte gewissermaßen selbst geformt und ‚entwickelt‘ werden. Man nimmt daher im Film nicht nur Objekte wahr, sondern man kann darüber hinaus auch wahrnehmen, wie sich die filmische Präsentation und Darstellung auf ihre Objekte bezieht. Diese beiden Punkte – die zeitliche Form der filmischen Objekte und die Dynamik der Aspekte – bestimmen schließlich eine eigene Form filmischen Zeigens (vgl. Kapitel 6). Die mit dem Anschauen von Bildern und Filmen primär verbundene epistemische Leistung besteht dann in der Erzeugung einer Art der Bekanntschaft, die sich auf die in Filmen präsentierten intentionalen Objekte der Wahrnehmung bezieht. Der Begriff der Bekanntschaft bezeichnet hier eine spezifische Wis-
1.3 Was heißt ‚Epistemologie des Films‘?
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sensform; er stützt sich auf eine Konzeption bildlichen Wissens, die sich auf die nicht-propositionalen Eigenschaften von Bildern konzentriert. Bekanntschaft ist insofern eine nicht-propositionale Wissensform.²¹ Allerdings wird Wissen als Gegenstand der zeitgenössischen Erkenntnistheorie überwiegend in propositionaler Form thematisiert. Diese Auslassung nicht-propositionaler Wissensformen hat systematische Gründe. Aus der Sicht einiger Autoren ist eine eigenständige Untersuchung nicht-propositionaler Wissensformen unnötig, da diese Wissensformen für grundsätzlich reduzierbar auf propositionales Wissen gehalten werden.²² Kritischer noch gestaltet sich die Auffassung, dass es so etwas wie nichtpropositionales Wissen gar nicht gibt, weil es keine hinreichende begriffliche Analyse derartiger Wissensformen zu geben scheint. Diese erkenntnistheoretische Einschränkung auf propositionales Wissen wird besonders in der Ästhetik kritisch diskutiert, denn obwohl die Bedeutung propositionaler Formen in einigen Künsten gegenüber anderen Darstellungsformen eher untergeordnet zu sein scheint, wird diesen Feldern der Ästhetik eine starke epistemologische Relevanz zugeschrieben.²³ Das Fehlen einer klaren Konzeption nicht-propositionaler Wissensformen wird hier durchaus als theoretischer Mangel empfunden. Für die Annahme einer im filmischen Zeigen manifestierten nicht-propositionalen Wissensform der Bekanntschaft muss daher zunächst im Rahmen einer epistemologischen Konzeption argumentiert werden. Diese Argumentation stützt sich auf die grundsätzliche Verschiedenheit der Beschreibung von der Wahrnehmung eines Objekts. Im Rahmen einer begrifflichen Analyse können verschiedene Beschreibungen aufeinander bezogen und zurückgeführt werden; aber eine Wahrnehmung kann nicht vollständig auf eine Beschreibung des Wahrgenommenen zurückgeführt oder damit identifiziert werden. Auf der Grundlage dieser Differenz kann eine Konzeption einer nicht-propositionalen bildlichen Wissensform erarbeitet werden, die sich an einem weiten Wissensbegriff orientiert (vgl. Kapitel 4).²⁴ Auf der Basis der Bekanntschaft mit dem im Film Präsenten wird nun in bestimmten Fällen ein Zusammenhang zur ‚außerfilmischen‘ Wirklichkeit her-
Christiane Voss hat einen ähnlich ausgerichteten Vorschlag für eine spezifische nicht-propositionale Wissensform in der Filmerfahrung vorgelegt, der allerdings im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit 1. an einen starken und komplexen Begriff der ästhetischen Illusion, 2. an die leibphänomenologische Filmtheorie Vivian Sobchacks und 3. an Michael Polanyis Konzeption des tacit knowledge anknüpft; vgl. Voss 2006 und Voss 2013. Zur ästhetischen Illusion vgl. Kapitel 3.2.3. Vgl. u. a. Schnädelbach 2008 und Stanley 2011. Vgl. z. B. Kieran/Lopes 2007, Ferran 2013 und Mersch 2014. Zur Unterscheidung zwischen engem und weitem Sinn von Wissen vgl. Abel 2012a.
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gestellt. Das, was in (Film‐)Bildern präsentiert wird und was den Gehalt der Bekanntschaft ausmacht, wird dann auf etwas bezogen, was nicht im (Film‐)Bild enthalten ist: das Abgebildete. Die im Folgenden zu begründende These lautet entsprechend: Die Beziehung zwischen Bild und Abgebildetem ist eine von Zuschauern eigens hergestellte; sie ist der bildlichen Präsentation nachgeordnet und besteht in einer Zeichenbeziehung.²⁵ Einem Realismus, der eine ‚intrinsische‘ Beziehung zwischen Bild und Abgebildetem annimmt, wird hiermit eine klare Absage erteilt. Allerdings soll die Kritik am Realismus nicht so weit gehen, dass die Möglichkeit einer Beziehung zwischen Film und Welt geleugnet wird; in bestimmten epistemischen Kontexten können entsprechende eingespielte Zeichenund Interpretationspraktiken analysiert und eingeordnet werden. Das gilt insbesondere für den Fall der fotografischen Bilder. Auch das ‚in Beziehung setzen‘ von Film und Wirklichkeit erfolgt schließlich in Prozessen des Zeigens (hier: des exemplifizierenden Zeigens; vgl. Kapitel 5). Schließlich können in Filmen hochgradig konkrete Situationen präsentiert und komplexe, lebensweltlich tief verankerte Zusammenhänge dargestellt werden. Die in dieser Weise prozesshaft konstruierten Ereignisse, Konstellationen, Gefühlszustände etc. eröffnen Möglichkeiten zum Einsatz von Kompetenzen, wie sie insbesondere in der Philosophie (aber auch in Moralpsychologie, Politik, Anthropologie und verwandten Bereichen) entwickelt und eingebracht werden. Hier eröffnet sich ein Spielraum der filmischen Enthüllung, in dem die ursprünglich ungetrennte und erst in der Reflexion als getrennt erscheinende Einheit von (abstrakter) Philosophie und (konkreter) Lebenswelt deutlich und im Filmbild anschaulich wird (vgl. Kapitel 6). Zusammenfassend können nicht-propositionale filmische Wissensprozesse auf drei Ebenen identifiziert werden: 1. In bildlichen Präsentationen und Darstellungen von Objekten und Sachverhalten; 2. in der exemplifizierenden ‚Anwendung‘ der präsentierten und dargestellten Objekte und Sachverhalte auf eine von der Präsentation verschiedene Wirklichkeit; 3. in der ‚Verbildlichung‘ von nicht-gegenständlichen und nicht-begrifflichen Dynamiken und Zusammenhängen, die beispielsweise philosophische Kompetenzen herausfordern. Diese drei Varianten filmischen Wissens werden jeweils in den Kapiteln 4, 5 und 6 untersucht und begründet.
Diese Bezugnahme des bildlichen Gehalts kann als Repräsentation bezeichnet werden; den Begriff der Repräsentation will ich in dieser Arbeit aber vermeiden, weil ich ihn für theoretisch ‚verbraucht‘ und (leider) missverständlich halte.
1.4 Zum Verhältnis von Ästhetik und Epistemologie
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1.4 Zum Verhältnis von Ästhetik und Epistemologie Nicht auf die Kunst kommt es an! Also nicht nur eine neue Kunst hat sich hier entwickelt. Sondern, was viel wichtiger ist – eine menschliche Fähigkeit als Möglichkeit und Basis dieser Kunst überhaupt! (Balázs 2001b, S. 12).
Das Paradigma der klassischen Filmtheorie sowie des filmästhetischen und filmphilosophischen Diskurses liegt im Bereich von fotografischen, fiktionalen und narrativen Filmen mit künstlerischem Anspruch: dem ‚Kino‘. Die Bezugnahme auf den Film als Kunst erscheint im Angesicht der zeitgenössischen Vielfalt der filmischen Phänomene allerdings verengt. Zwar gibt es eine lebendige und äußerst spannende Filmkunst, aber ein wichtiger Teil der aktuellen filmischen Phänomene ist kaum noch dem Kino mit Kunstcharakter zuzuordnen, sondern findet sich vielmehr u. a. im Fernsehen, im Internet oder gar im Telefon (!). Filmphänomene sind heute so tief im Alltag verwurzelt, dass sie die Kunstwelt nicht zuletzt hinsichtlich Verbreitung und Relevanz weit überschreiten. Es wäre daher kaum fruchtbar, die mannigfaltigen Filmphänomene in ihren zahlreichen Kontexten und mit ihren komplexen Funktionen allein auf das künstlerische Moment festzulegen. Sicherlich kann es auch in einigen ganz alltäglichen Verwendungen von Bewegungsbildern manche Berührungspunkte zu künstlerischen Dimensionen geben (je nach Kunstauffassung) – aber man kann nicht leugnen, dass neben künstlerischen auch viele andere Aspekte ins Spiel kommen. Während der Anspruch der vorliegenden Untersuchung über den Bereich der künstlerischen Filmphänomene hinausgeht, muss allerdings immer berücksichtigt werden, dass sich die meisten Texte der Filmtheorie, der Filmästhetik und der Philosophie des Films ausschließlich auf filmische Kunstwerke beziehen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass in ästhetischen Diskursen häufig eine epistemologische Dimension des Ästhetischen angenommen und untersucht wird. Allerdings findet sich auf der anderen Seite auch häufig eine vernünftige Skepsis gegenüber vermeintlichen Erkenntnisansprüchen der Kunst und in diesem Zusammenhang auch des Films. Wenn Ästhetik und Filmtheorie den Film in erster Linie als Kunst auffassen, und Kunst mehr oder weniger strikt von Erkenntnis getrennt wird, dann erscheint eine ‚Epistemologie des filmischen Bewegungsbildes‘ hier verdächtig. So stellt Gertrud Koch fest: „Es liegt nicht an der Kunst, gut oder glücklich zu machen oder Wissen oder Informationen weiterzugeben, obwohl all dies nicht ausgeschlossen ist, nur daß es nicht dem Ästhetischen der Kunst sich verdankt, sondern eben ihren kognitiven oder ethischen Aspekten.“ (Koch 2003, S. 162). Diese Unterscheidung zwischen ästhetischen Anteilen und kognitiven bzw. ethischen Anteilen geht auf die Annahme der Autonomie des Ästhetischen zurück. Kunst hat dieser Auffassung zufolge primär
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keine anderen Zwecke zu erfüllen als die eigenen. Als Gegenstand hat ein Kunstwerk zwar viele Eigenschaften, die es zu verschiedenen Zwecken geeignet erscheinen lassen, so etwa zur Wissens- und Informationsvermittlung. Allerdings qualifizieren ausschließlich die ästhetischen Eigenschaften einen Gegenstand als Kunstwerk. Auch wenn eine Einschränkung auf Kunstwerke vor dem Hintergrund der Vielfalt filmischer Phänomene unangemessen erscheinen mag, so entsteht dennoch auch der Epistemologie des Films ein Problem, wenn ästhetische und epistemische Leistungen strikt unabhängig voneinander sind. Und selbst dann, wenn man sich nicht mehr nur auf Kunstwerke und die Filmkunst beschränken möchte, ist der Unterhaltungswert von Filmen nicht gering zu schätzen. Auch mit diesem wird aber aus theoretischer Perspektive nur ungern ein Erkenntniswert verbunden. Der Autonomie des Ästhetischen steht Nelson Goodmans radikale Auffassung zum Ästhetischen entgegen: „The primary purpose is cognition in and for itself“ – der primäre Zweck des Ästhetischen besteht in „Erkenntnis an und für sich“ (Goodman 1976, S. 258). In einer strikten und in Teilen polemischen Argumentation per Ausschlussverfahren disqualifiziert Goodman alle anderen Bereiche, an denen der Wert des Ästhetischen gemessen werden könnte. Auch instrumentelle epistemische Zielvorstellungen wie z. B. handwerkliche Übung oder ‚Denksport‘ schließt Goodman für das Ästhetische aus – daher die Charakterisierung „an und für sich“: Es geht um Erkenntnis um der Erkenntnis willen. An Goodmans Position anschließend haben u. a. Catherine Z. Elgin, Günter Abel und Astrid Wagner die Argumentation für einen epistemischen Wert des Ästhetischen weiter ausgebaut.²⁶ Ich schließe mich dieser Tendenz an und gehe nicht von einer prinzipiellen Verschiedenheit zwischen kognitiven und ästhetischen Eigenschaften aus. Denn der Anspruch auf ‚Autonomie‘ des Ästhetischen kann nicht zu einer ultimativen und absoluten Abgrenzung von anderen (insbesondere epistemischen) Bereichen führen. Wenn Erkenntnis auch vordergründig nicht Ziel und Zweck von Filmen ist – insbesondere dort nicht, wo vom Film als Kunst oder Unterhaltung die Rede ist –, so ist damit keineswegs ausgeschlossen, dass epistemische Leistungen eine Grundlage und Voraussetzung für die Erfüllung ästhetische Zwecke bilden, während ein Unterhaltungswert im Dienste impliziter epistemischer Zwecke stehen kann. Etwas kann dann ästhetisch wertvoll, unterhaltsam und anregend sein, weil es interessant (in einem epistemischen Sinne) ist. Das Ästhetische kann – auch in der Kunst – im Dienste eines übergeordneten epistemischen Anspruchs stehen oder aber von diesem abhängen. Diese Wech-
Vgl. Goodman/Elgin 1988, Abel 1999d und Wagner 2008.
1.4 Zum Verhältnis von Ästhetik und Epistemologie
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selwirkungen sprechen gegen eine allzu scharfe Abgrenzung der verschiedenen Bereiche. Doch selbst unter der Annahme eines umgekehrten Verhältnisses, wenn also in bestimmten Fällen die epistemischen Aspekte eines Films einem übergeordneten künstlerischen Zweck unterworfen sind (und auch das kann der Gedanke der Autonomie der Kunst oder des Ästhetischen ausdrücken)²⁷ – auch unter dieser Annahme liegt es nicht fern, dass erst die Erkenntnisaspekte eine ‚ernste‘ ästhetische Erfahrung ermöglichen. So, wie in der Wissenschaft eine ‚ästhetische‘ Form der Erkenntnis das gewonnene Wissen veredeln mag, so könnte in der Kunst die epistemische Form der Erfahrung den ästhetischen Wert stiften. Und das Ästhetische wird vermutlich kaum ganz ohne den Dienst des Epistemischen auskommen, selbst dann nicht, wenn man die Kunst ausschließlich unter dem Aspekt der Schönheit betrachtet – unter der Voraussetzung, dass man sie nicht zur bloßen Geschmacksache herabsetzen will. Die Autonomie des Films als Kunst würde schließlich von epistemologischen Funktionen nur dann eingeschränkt werden, wenn die ästhetischen Eigenschaften des Films im Rahmen einer epistemischen Verwendung völlig bedeutungslos würden. Sofern aber kein derart auf Erkenntnis reduzierter Zweck vorausgesetzt wird, schließen sich ästhetische Autonomie und Erkennntnisfunktion nicht aus. Diese Vereinbarkeit setzt allerdings auch voraus, dass ‚Ästhetik‘ nicht mehr im engen Sinne als Kunstphilosophie verstanden wird. Vielmehr muss Ästhetik in Rückbezug auf die frühere Bedeutung Aisthesis als sinnliche Erkenntnis aufgefasst werden, die zwar traditionell den Künsten nahesteht, aber nicht auf diesen Bereich beschränkt ist. Andererseits muss aber auch der Begriff der Erkenntnis erweitert werden. Denn wenn es lediglich um ‚Faktenwissen‘ geht, also um die Kenntnis von Tatsachen, dann ist nicht ersichtlich, was das Ästhetische hier zu leisten hätte. Es muss eine anspruchsvollere Konzeption von Erkenntnis ins Spiel gebracht werden. In einer entsprechend erweiterten Epistemologie treffen sich schließlich die Ansprüche von Erkenntnis und Ästhetik, was im Verlauf der Arbeit gerade am Beispiel des Films deutlich werden soll. In Kapitel 6 wird schließlich eine Leistung des filmischen Bewegungsbildes konzipiert, die ebenso ästhetisch wie epistemisch ist: Es wird dort um die aktive Formung eines ‚Blicks auf die Welt‘ gehen, also um die Bedingungen für die Auswahl der Objekte und Eigenschaften, die sich dem Betrachter in der Wahrnehmung überhaupt präsentieren.Verwandtschaft zur Kunst kommt hier ins Spiel,
Vgl. Kant, der in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft großen Wert darauf legt, die Zielvorstellung der „Regelmäßigkeit“ für die Beurteilung des Schönen zu relativieren, da im Ästhetischen „der Verstand der Einbildungskraft, und nicht diese jenem zu Diensten ist“ (Kant 2009, B 71).
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sofern Selbstverständlichkeiten der Wahrnehmung und des Denkens aufgebrochen und neu konfiguriert werden; Verwandtschaft zum Wissen ergibt sich daraus, dass Wahrnehmen und Denken weiterhin auf die Welt gerichtet bleiben, die sich allerdings nicht mehr in einer eindeutig bestimmbaren Form aus einfach gegebenen Tatsachen zusammensetzt. Die Arbeit an diesem ‚Weltbild‘ kann als philosophische Kernfunktion des filmischen Bewegungsbildes identifiziert werden. Hier treffen sich Ästhetik und Epistemologie: Denn der Blick des Betrachters ist epistemisch, weil auf die Welt gerichtet, und zugleich ästhetisch, weil nicht begrifflich vorgeformt und nicht auf eindeutige Urteile über Tatsachen gerichtet.
1.5 Filmische Darstellung als Enthüllung: Malcolm Turveys Doubting Vision Die Vorstellung, dass filmischen Bewegungsbildern eine besondere epistemische Kraft innewohnt, geht der Erfindung des Films weit voraus. Nicht nur setzt sich die Debatte um die epistemischen Leistungen der Fotografie in der Filmtheorie fort; auch der Möglichkeit, Bewegung in Bildern zu reproduzieren und wahrnehmbar zu machen, wurde bereits früh eine besondere Bedeutung zugemessen.²⁸ In diesem Zusammenhang findet sich seit der klassischen Filmtheorie ein Gedanke, in dem sich die epistemischen Leistungen des Films bündeln: Die Idee, dass der Film die Wirklichkeit enthüllen kann, dass also der Film Dinge und Eigenschaften erst wahrnehmbar macht, die unabhängig von der filmischen Aufnahme und Reproduktion unsichtbar oder verdeckt waren. Der Film kann in diesem Sinne etwas aufdecken oder zu erkennen geben. Die mit dieser Idee verbundenen Ansprüche lassen sich nicht auf bestimmte Richtungen der klassischen Filmtheorie festlegen, sondern werden bis heute immer wieder über inhaltliche und terminologische Differenzen hinweg in der ein oder anderen Form vertreten.²⁹ Die mit dem Enthüllungsgedanken verbundene Auffassung folgt demnach nicht der üblichen filmtheoretischen Kategorisierung in realistische und formalistische Tendenzen – in beiden Richtungen finden sich Bekenntnisse zur filmischen Enthüllung. Ein historischer und kritischer Überblick zur Entwicklung der Enthüllungskonzeption liegt mit Malcolm Turveys Studie Doubting Vision von 2008 vor. Im Rahmen einer ausführlichen Interpretation klassischer Texte identifiziert, erörtert und kritisiert Turvey darin die Konzeption einer spezifisch filmischen Enthüllung
Vgl. Lessing 2007. Vgl. zuletzt Yacavone 2015.
1.5 Filmische Darstellung als Enthüllung: Malcolm Turveys Doubting Vision
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(Turvey 2008).³⁰ Ihm zufolge zeichnet sich der Enthüllungsgedanke durch einen expliziten epistemischen Anspruch an die technischen und ästhetischen Möglichkeiten des Films aus. Es wird davon ausgegangen, dass die filmischen Techniken und Darstellungsmöglichkeiten etwas an Objekten, Eigenschaften, Ereignissen und Sachverhalten in der Welt sichtbar machen können, was vor der Erfindung des Films und unabhängig von dessen ästhetischer Verwendung unsichtbar war. Die Funktion der Kamera wird in Anlehnung an andere technische Hilfsmittel des Sehens interpretiert; insofern wird ihr eine ähnlich bahnbrechende Möglichkeit zur Erweiterung des Sichtfeldes zugeschrieben wie etwa dem Mikroskop und dem Teleskop. Die am Enthüllungs-Gedanken orientierte filmtheoretische Tendenz weist Turvey insbesondere in den Schriften von Jean Epstein, Dziga Vertov, Béla Balázs und Siegfried Kracauer nach. Er identifiziert verwandte Ideen aber auch in Werken der zeitgenössischen Filmtheorie, beispielsweise bei Gilles Deleuze. Gemäß Turveys Interpretation der klassischen Autoren werden in Filmen u. a. Zeitverhältnisse (Epstein), soziale Beziehungen (Vertov), das innere mentale Leben (Balázs) sowie Eigenschaften der physischen Welt (Kracauer) enthüllt. Dabei unterscheidet Turvey „naturalistische“ und „kulturalistische“ Begründungen dafür, dass diese Dinge unabhängig von der filmischen Darstellung unsichtbar bleiben müssen. Aus naturalistischer Perspektive liegen die Gründe für die Unsichtbarkeit der jeweiligen Eigenschaften in den natürlichen Bedingungen der Wahrnehmung. So behauptet beispielsweise Epstein, dass der Film Zeitlichkeit als solche sichtbar mache – etwas, was wir normalerweise (und übrigens auch in anderen Künsten) aufgrund von natürlichen Beschränkungen des Auges nicht sehen könnten. Kulturalistisch orientierte Autoren machen dagegen die Kultur der modernen Welt für eine ‚Verhüllung‘ der jeweiligen Eigenschaften verantwortlich. So heißt es bei Balázs, dass uns die Großaufnahme eines Gesichts einen inneren Zustand wie etwa ein Gefühl in seiner reinen Form zeigen kann, ohne auf abstrahierende Begriffe angewiesen zu sein – ein Zugang, der Balázs zufolge durch die Dominanz der Schriftkultur der Moderne lange Zeit verdrängt wurde und zu einer Art Verkümmerung der Wahrnehmungsfähigkeiten geführt hat. Diese kunst- und kulturhistorischen Diagnosen verleiten Turvey zur philosophischen Kritik, indem er den Anspruch des Enthüllungsgedankens auf das Sehen von eigentlich Unsichtbarem wörtlich nimmt. Die anscheinend paradoxe Formulierung ergibt sich aus der Auffassung, dass uns die filmische Technik erst
Bei Turvey wird die mit der Idee der Enthüllung verbundene Position als „revelationism“ bezeichnet, also mit der gegenüber dem Enthüllungsbegriff stärkeren Bedeutung von „Offenbarung“ aufgeladen.
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richtig sehen lasse, denn daraus muss geschlossen werden, dass das menschliche Auge ohne die Technik des Films eben nicht richtig sehen könnte. Folglich vertreten die genannten Filmtheoretiker einen radikalen Skeptizismus in Bezug auf das Sehen: Es gibt ihnen zufolge Dinge in der Welt, die bisher oder spätestens in der Moderne verborgen, verhüllt und unzugänglich waren. Erst die filmische Technik lüfte den Schleier und zeige uns die wahre Welt – die Wirklichkeit, wie sie tatsächlich ist. Turvey führt den Enthüllungsgedanken also auf einen radikalen visuellen Skeptizismus zurück. Es wird von einer prinzipiellen Unmöglichkeit der Wahrnehmung ausgegangen, die dann durch die technische Errungenschaft des Films überwunden werden kann. In diesem Sinne mache erst der Film Unsichtbares sichtbar; der Film wäre das Werkzeug für die Überwindung des visuellen Skeptizismus. Vor dem Hintergrund dieser epistemologischen Positionierung führt Turvey den zugrundeliegenden visuellen Skeptizismus auf begriffliche Verwirrungen zurück, die durch philosophische Klärungen der filmtheoretischen Begriffe behoben werden können. Methodisch bezieht sich Turvey dabei in erster Linie auf Wittgensteins Spätphilosophie. Neben verbreiteten Kategorienfehlern im Sinne Gilbert Ryles³¹ ist es vor allem der Begriff des Sehens, der nach Turvey im visuellen Skeptizismus missverstanden wird. Denn alle Fälle, in denen wir etwas nicht richtig sehen oder einer visuellen Täuschung unterliegen, setzen schon voraus, dass wir prinzipiell richtig sehen können. Wäre das nicht der Fall, dann würde die Verwendung des Begriffs ‚Sehen‘ gar nicht funktionieren. Das menschliche Auge muss im Großen und Ganzen zuverlässig sehen, sonst könnten wir nicht sinnvoll von ‚Sehen‘ sprechen – und in der Folge wäre auch die Rede von visuellen Täuschungen von vornherein sinnlos. Die Tatsache, dass wir uns gelegentlich täuschen (also etwas zu sehen glauben, was tatsächlich anders ist), schließt ein grundsätzliches Gelingen des Sehvorgangs nicht aus, sondern setzt es sogar voraus. Die Fähigkeit zu sehen wird nicht durch den Film erst ‚erzeugt‘. Turvey geht einige Beispiele durch, an denen zwei begriffliche Fehler deutlich werden: Erstens ist einiges von dem, was aus Sicht der Skeptizisten angeblich im Film sichtbar gemacht wird, etwas, was aus begrifflichen Gründen nicht gesehen wird – auch nicht im Film. So verhält es sich etwa mit Epsteins Anspruch, dass der Film die Zeit sichtbar machen kann: But the dimension of time is not something that we can only see part of, because it is not a thing at all, unlike, say, the spatial dimensions of an object, such as its length or width. This is why we cannot point to its parts or adjust our position to see parts of it better. It is therefore nonsensical to accuse the human eye of failing to see the fourth dimension of time, as Ep-
Vgl. Ryle 1969.
1.5 Filmische Darstellung als Enthüllung: Malcolm Turveys Doubting Vision
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stein does, and equally nonsensical to argue that the cinema is capable of revealing it. (Turvey 2008, S. 54)
Dasselbe gilt für Vertovs Anspruch, soziale Verhältnisse sichtbar zu machen: Time and social relations are good examples of the first type of truth about reality found in the revelationist tradition. These relations are things that the eye cannot intelligibly be accused of failing to see because they are not the sort of things that can be seen. (Turvey 2008, S. 59)
Zweitens wird für Dinge eine filmische Enthüllung beansprucht, die aus begrifflichen Gründen gar nicht unsichtbar sind, also auch unabhängig von der filmischen Darstellung gesehen werden können. Im ungünstigsten Fall werden sie unabhängig von der filmischen Darstellung einfach nur faktisch nicht gesehen, etwa weil sie nicht beachtet werden. Beispiele hierfür sind Gefühle und Familienähnlichkeiten, die sowohl im Film als auch außerhalb filmischer Darstellungen gesehen werden können: Emotion and family resemblance, which are found in Epstein’s film theory, are examples of the second: things that it is logically and empirically possible for human beings to see unaided. (Turvey 2008, S. 59)
Visuelle Technologien wie Kamera, Mikroskop und Teleskop überschreiten schließlich nicht die Grenzen des Sichtbaren, sondern erweitern sie lediglich: If it is true that vision is on the whole reliable, then such technologies, while more powerful than the eye in certain respects, do not escape the limitations of human perception. Instead, they extend our already existing capacity to see and know the world around us. (Turvey 2008, S. 113)
Turvey verwirft daher den Enthüllungsgedanken der klassischen Filmtheoretiker, weil er auf einem philosophisch unhaltbaren visuellen Skeptizismus beruht. Der Anspruch auf eine filmische Enthüllung der Wirklichkeit rennt gegen die sinnlogischen Grenzen unseres Sprachgebrauchs an. Im Folgenden möchte ich auf Einzelheiten von Turveys (relativ schematischer) Interpretation der klassischen Filmtheoretiker nicht weiter eingehen, sondern lediglich drei grundsätzliche Kritikpunkte nennen, die zu einer Rehabilitation und Revision des Enthüllungskonzepts in Bezug auf den Film führen können. Turvey führt die Idee der Enthüllung im Wesentlichen auf eine unhaltbare skeptizistische Haltung zurück. Dieser Skeptizismus wird wiederum mit ver-
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1 Einleitung
schiedenen Strömungen ‚schlechter‘ Metaphysik in Verbindung gebracht.³² Doch selbst, wenn man Turveys Pauschalkritik gegenüber der Philosophie vor und neben Wittgenstein anerkennt, kann seine Kritik an der Enthüllung nicht überzeugen.³³ Es wird sich daher als lohnend erweisen, den Grundgedanken der Enthüllung neu zu untersuchen. 1. Nach Turvey hängt der Enthüllungsgedanke von der Unmöglichkeit ab, das Enthüllte außerhalb des Films zu sehen; es geht um die Enthüllung des strikt Unsichtbaren im Film. Daher die Rede vom radikalen visuellen Skeptizismus, der eine philosophische Reaktion herausfordert. Die klassischen Filmtheoretiker werden damit auf eine philosophische Position festgelegt, die sie Turvey zufolge allerdings gar nicht einnehmen müssten, um dem Film besondere epistemische Möglichkeiten einzuräumen. Eine Erweiterung der Wahrnehmung, wie sie durch visuelle Hilfsmittel erreicht wird, ist demzufolge nicht als Sichtbarmachung von Unsichtbarem zu deuten, sondern als empirische Erweiterung des Sichtfeldes. Die besonderen Leistungen in der bildlichen Darstellung sind dann in den technischen Möglichkeiten der empirischen Erweiterung des Wahrnehmungsfeldes zu sehen, wie es beispielsweise mit Zeitlupe, Zeitraffer, Mini-Kameras oder Makro-Objektiven möglich ist. Der Anspruch auf Erweiterung des sichtbaren Bereichs ist Turvey zufolge sinnvoll – der Anspruch auf echte Enthüllung dagegen nicht. Doch selbst, wenn der von Turvey unterstellte radikale Skeptizismus in manchen übertrieben optimistischen Formulierungen der klassischen Filmtheoretiker durchscheinen mag, so ist eine kohärente Enthüllungs-Position nicht auf einen derartigen philosophischen Skeptizismus angewiesen. Denn es muss lediglich davon ausgegangen werden, dass die besonderen filmischen
Vgl. Turvey 2008, S. 99 – 110. In methodischer Hinsicht ist an Turveys Kritik problematisch, was ich seine ‚dogmatische‘ Wittgenstein-Interpretation nennen möchte. Turvey geht davon aus, dass die Sprache und insbesondere theoretisch einschlägige Begriffe wie der des Sehens in ihrer Verwendung bestimmten Regeln und Kriterien der Richtigkeit folgen; werden diese Regeln nicht beachtet, so ergeben sich daraus philosophische Missverständnisse und handfester Unsinn. Diese Regeln der Sprache sind zugleich nichts Verborgenes, was sich nur durch wissenschaftliche Untersuchungen ermitteln lässt; vielmehr sind sie öffentlich und allgemein bekannt, wenn auch nicht explizit. Sie zeigen sich in der gelingenden Verwendung der Sprache. – Nun tut Turvey aber so, als könnte man die Regeln der Sprachspiele einfach auflisten und so den Unsinn vom Sinnvollen abscheiden. Das ist aber ein methodischer Ansatz, den Wittgenstein selbst absichtlich nicht verfolgt. Vielmehr versucht Wittgenstein an Beispielen und in angedeuteten Gesprächen eben zu zeigen, was mit bestimmten Redeweisen nicht stimmt. Wenn er davon ausgegangen wäre, dass die Regeln der Sprachverwendung einfach ausformuliert, aufgelistet und in sinnkritischer Absicht angewendet werden könnten – dann würden sich seine Schriften völlig anders lesen. Vgl. dazu Abel 1999c.
1.5 Filmische Darstellung als Enthüllung: Malcolm Turveys Doubting Vision
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Mittel der Aufmerksamkeitslenkung in der filmischen Erfahrung einen ZeigeVorgang realisieren, mit dem auf etwas Interessantes hingewiesen wird. Wie Turvey zu behaupten, dass man das so Gezeigte prinzipiell auch unter ‚normalen‘ Umständen sehen könnte, verfehlt insofern den entscheidenden Punkt: Dass man die Sache unter normalen Umständen eben faktisch nicht so sieht. Das genügt als Defizit den Ansprüchen der Enthüllung; eine prinzipielle (oder gar logische) Unsichtbarkeit muss hier gar nicht behauptet und verteidigt werden.³⁴ Das filmische Zeigen ist damit aber nicht auf eine bloße Erweiterung des Sichtfeldes zu reduzieren – das entspräche dem Modell einer empirischen Entdeckung, aber keiner spezifisch filmischen Erkenntnisweise. Die Durchbrechung der Gewohnheit und die Aufmerksamkeit auf faktisch Ungesehenes ist eher als Veränderung oder ‚Vertiefung‘ der Sichtweise zu bezeichnen. Was das genau bedeuten kann, soll im Verlauf der vorliegenden Untersuchung geklärt werden. Daneben gibt es natürlich einen nahezu trivialen Sinn, in dem das, was im Film wahrgenommen wird, grundsätzlich nicht außerhalb des Films wahrgenommen wird: Denn Filme sind Bilder, und das in Bildern Wahrgenommene unterscheidet sich genau dadurch von Dingen, die nicht in Bildern wahrgenommen werden, dass ersteres bildlich dargestellt ist, letztere aber nicht. Turveys Behauptung, dass das, was man im Film sieht, prinzipiell auch außerhalb des Films gesehen werden könnte, identifiziert das im Film Wahrgenommene mit dem außerhalb des Films Wahrnehmbaren. Doch diese Identifikation ist alles andere als selbstverständlich. Selbst wenn man Turvey zugesteht, dass beides aufgrund derselben Wahrnehmungsfähigkeiten erkannt wird,³⁵ so handelt es sich alleine dadurch noch nicht um genau dasselbe. Indem Turvey aber die Enthüllungsposition auf eine These zu den allgemeinen Wahrnehmungsfähigkeiten reduziert, verliert er die Unterschiede zwischen Bild und Nicht-Bild aus dem Blick. Es gilt dagegen, genau diesen Unterschied hervorzuheben – zwischen dem, was im filmischen Bild wahrgenommen wird und dem, was nicht in einem filmischen Bild wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang bleibt erst zu klären, inwiefern sich eine bildliche Darstellung und eine nicht-bildliche Wahrnehmung auf ‚dasselbe‘
Im Übrigen kann angenommen werden, dass sich manche der von Turvey untersuchten Autoren nicht in erster Linie auf „Unsichtbares“ in der außerfilmischen Wahrnehmung überhaupt beziehen, sondern vielmehr auf etwas in statischen Bildern und Fotografien nicht Darstellbares. Es ging also zunächst auch um einen Vergleich des Films mit verschiedenen anderen Darstellungsformen: Im Film wird beispielsweise „enthüllt“, was in der unbewegten Fotografie (noch) nicht sichtbar sein konnte. Vgl. Carroll 2008, S. 108 – 114.
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1 Einleitung
Objekt beziehen. In der vorliegenden Untersuchung werde ich dafür argumentieren, dass eine Beziehung (oder gar eine Identität) zwischen den beiden Bereichen nicht schon im und mit dem Bild selbst gegeben ist. Sie wird vom Zuschauer erst hergestellt. Insofern kann die Beziehung zwischen bildlich und nicht-bildlich Wahrgenommenem nur in bestimmten Fällen als Abbildung bezeichnet werden kann. In Bezug auf die Idee der Enthüllung kann man daher festhalten: In Bildern nehmen wir zunächst immer etwas wahr, was es außerhalb des Bildes in dieser Form gar nicht gibt. Turveys Kritik setzt voraus, dass die kategoriale Grenze zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren eine scharfe und eindeutige ist, weil sie der Unterscheidung von Sinnlichem und Nicht-Sinnlichem (‚Intellektuellem‘) entspricht. Es gibt demnach Eigenschaften, von denen sinnvoll gesagt werden kann, dass sie gesehen werden bzw. sichtbar sind. Von bestimmten anderen Eigenschaften kann dies dagegen nicht sinnvoll gesagt werden, weil diese Eigenschaften nicht visuell erfasst, sondern auf andere Art erkannt werden. Diese prinzipielle Unterscheidung lässt Turvey übersehen was es eigentlich bedeutet, dass Film eine zeitliche Form hat. Zwar spielt in seinen Überlegungen zur Enthüllung die Tatsache eine zentrale Rolle, dass etwas zunächst verdeckt bleibt, was dann zu einem späteren Zeitpunkt im Film sichtbar gemacht und in diesem Sinne enthüllt wird. Doch das Schema: ‚Zuerst war es so, dann ist es so‘ lässt keinen Raum für die Vorstellung von Eigenschaften, die nur in einem zeitlichen Verlauf als solche wahrnehmbar sind. Maurice Merleau-Ponty weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Film als zeitliche Form keine „Summe von Bildern“ ist, denn dann würde die Relevanz der Zeitlichkeit des Films vollständig darin Ausdruck finden, dass zum Zeitpunkt t1 etwas anderes der Fall ist als zum Zeitpunkt t2. ³⁶ Einer solchen gewissermaßen statischen Vorstellung zufolge erschlösse sich der Sinn eines jeden einzelnen Momentbildes im Film aus sich selbst heraus, während die Beziehungen zwischen den einzelnen aufeinanderfolgenden und für sich sinnvollen Bildern von den Zuschauern ‚mental konstruiert‘ würden. Entgegen dieser Auffassung bezieht Merleau-Ponty die Zeitlichkeit des Films auch auf den Sinn jedes Bildabschnitts im Film: „Der Sinn eines Bildes hängt also von denen ab, die ihm im Film vorangehen, und ihre Aufeinanderfolge schafft eine neue Realität, die nicht die schlichte Summe der verwendeten Bestandteile ist.“ (Merleau-Ponty 2000, S. 74.). Dadurch wird der von Turvey in den Vordergrund gerückte Bereich des Sichtbaren neben der zugestandenen ‚empirischen‘ Erweiterung auch hinsichtlich des ‚Sinnhori-
Vgl. Merleau-Ponty 2000, S. 74.
1.5 Filmische Darstellung als Enthüllung: Malcolm Turveys Doubting Vision
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zonts‘ erweitert – eben dadurch, dass Filme eine zeitliche Form haben. So kommen Eigenschaften ins Spiel, die sich nicht mehr eindeutig oder ausschließlich dem visuellen Bereich zuordnen, beispielsweise Eindrücke, die durch eine bestimmte Art der Montage vermittelt werden, oder auch narrative Entwicklungen. Derartige Wahrnehmungen des filmischen Bewegungsbildes vollziehen sich in der Zeit. Hier ist die Annahme sinnvoll, dass man Eigenschaften dieser Art nicht unmittelbar ‚sieht‘, zumindest nicht in demselben Sinne, in dem Farben oder Umrisse gesehen werden – und dennoch wäre es sicherlich nicht verkehrt davon zu sprechen, dass man diese Eigenschaften im Film wahrnimmt. Welche Konsequenzen können wir also aus Turveys Darstellung ziehen? Seine Interpretation klassischer Autoren der Filmtheorie weist grundsätzlich in die richtige Richtung, weil er filmtheoretische Positionen auf ihren epistemologischen Gehalt hin untersucht. Dabei leitet ihn eine kritische Einstellung gegenüber der Position des radikalen visuellen Skeptizismus. Allerdings überschätzt Turvey die Abhängigkeit des Enthüllungsgedankens von diesem philosophischen Skeptizismus, so dass die epistemischen Leistungen des Films ganz unabhängig von den filmtheoretischen Positionen aus dem Blick geraten. Am Ende von Doubting Vision formuliert Turvey allerdings zwei Aufgaben, die für die weitere Richtung der vorliegenden Untersuchung ausschlaggebend sind. Da ist zunächst die Frage nach dem spezifischen Wissen, das uns der Film liefern kann (allerdings mit der Einschränkung auf Film als Kunst, die im Folgenden nicht beibehalten werden muss): Taking film as an art seriously involves clarifying what sort of knowledge it gives us, what sort of ‚truths about reality‘ it can reveal, rather than assimilating these truths to those of science or philosophy. (Turvey 2008, S. 130)
Turvey fordert hier eine Untersuchung des spezifischen Wissens, das uns der Film geben kann, ohne dieses Wissen an wissenschaftliche und philosophische Standards anzugleichen. Um diese Forderung zu verstehen, muss der zweite Teil von Turveys Zitat genauer betrachtet werden. Denn Turvey fragt, von welcher Art die Wahrheiten über die Realität sind, die die Filmkunst aufdecken kann. Diese Formulierung spiegelt offenbar ein bestimmtes Verständnis von Wissen wider: Wissen besteht aus „Wahrheiten über die Realität“. Das von Turvey gesuchte Wissen ist damit offensichtlich ein propositionales Wissen, denn Wahrheit ist eine Eigenschaft von Aussagen. Das ist insofern konsequent, als Wissen immer Wahrheit impliziert. Aber wie können Filme Wahrheiten aufdecken? Wahrheit ist eine Eigenschaft von Aussagen, wohingegen ein Film keine Aussage ist, zumal er
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1 Einleitung
keine (ausschließlich) sprachliche Form hat.³⁷ Turveys Anspruch muss daher so gedeutet werden, dass das Anschauen eines Films in irgendeiner Weise zu der Möglichkeit beiträgt, Aussagen mit Wahrheitsanspruch zu formulieren. Aber ist das die spezifische Form des Wissens, die uns ein Film geben kann? In Kapitel 4 werde ich in diesem Sinne die epistemologischen Verhältnisse zwischen Bild, Film und Sprache näher untersuchen. Darüber hinaus soll im Folgenden auch Turveys Forderung nach einer Klärung dessen, was wir im Film eigentlich sehen, aufgegriffen werden. Das bedeutet: Es muss untersucht werden, was die ‚Objekte der Filmwahrnehmung‘ sind – eine Klärung, die sich als notwendig erweist und überfällig ist: One thing that has struck me again and again when writing this book is that, even though the cinema is widely considered to be a visual art and theorizing about its visual properties has been going on for almost a century, film theorists are woefully confused about what it is we actually see when we watch films. The study of film badly needs philosophy to clarify precisely what it makes sense to say that a film viewer sees, in addition to close empirical study of the way films actually engage and artfully manipulate our sense of sight. (Turvey 2008, S. 130)
Die Bestimmung der Objekte der Filmwahrnehmung ist also ein theoretisches Bedürfnis der Filmtheorie, da von dieser Bestimmung ausgehend die Möglichkeiten und Grenzen epistemologischer Spielräume abgesteckt werden können. Auf dieser Grundlage kann schließlich auch die Idee der Enthüllung sinnkritisch reformuliert werden, und zwar im Anschluss an eine bildtheoretische Konzeption filmischen Zeigens, dessen besondere epistemische Leistungen auf der zeitlichen Form des Films basieren. Mit dieser Konzeption können dem Gedanken einer ‚Enthüllung der Wirklichkeit‘ dann auf verschiedenen Ebenen kohärente Bedeutungen zugeordnet werden, die in den Kapiteln 4 und 6 näher erörtert werden. So kann beispielsweise mit filmischen Bewegungsbildern etwas gezeigt werden, was bisher noch keine geläufige anschauliche oder auch begriffliche Form hat, woraus eine Wissenskonzeption resultiert, die nicht von einer ‚gegebenen‘ Realität ausgeht (vgl. Kapitel 6). Stattdessen knüpft die filmische Wissensform auf verschie-
Vgl. Carroll 2008 und Gaut 2010. Nun kann man durchaus in gewissem Sinne einigen Filmen sinnvoll unterstellen, dass sie eine Art Aussage haben, z. B. eine ‚message‘ kommunizieren wollen, ein ‚statement‘ machen oder eine versichernde Einstellung (etwa durch entsprechende Kommentare) einnehmen. Aber es wäre verwegen, diese Art von Aussagen ohne weiteres als ‚Aufdeckung einer Wahrheit‘ zu bezeichnen, handelt es sich doch bestenfalls um Behauptungen oder Aufforderungen, das Gezeigte für eine wahrheitsgetreue Abbildung zu halten. – Es bleibt hier zunächst offen, welche Rolle Aussagen zukommt, die im Film geäußert werden, etwa durch eine Person im Film oder durch einen Kommentar; vgl. zu dieser Frage Kapitel 3.4.
1.6 Bemerkungen zur Terminologie
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denen Ebenen an Fähigkeiten und Kompetenzen an, die sowohl das im Film Wahrgenommene als auch dessen Beziehung zur außerfilmischen Realität bestimmen.
1.6 Bemerkungen zur Terminologie Zum Abschluss der Einleitung möchte ich ein paar Bemerkungen zur Terminologie und zur Rolle von Film-Beispielen anfügen, um eventuelle Missverständnisse auszuräumen. ‒ Die Begriffe ‚Film‘ und ‚filmisches Bewegungsbild‘ verwende ich durchgehend synonym. Damit soll keine Bevorzugung der analogen Filmtechnik ausgedrückt werden, die mit dem Begriff ‚Film‘ verbunden ist (im Sinne der Filmrolle, auf der sich die Einzelbilder befinden). Die meisten Ausführungen gelten gleichermaßen für die Techniken Video und Digitalfilm sowie für alle anderen technischen Realisierungen dessen, was allgemein mit dem Begriff ‚Film‘ angesprochen wird. ‒ Der in Bezug auf den Film normalerweise verwendete Begriff des Sehens wird in der Arbeit konsequent durch den Begriff der Wahrnehmung ersetzt bzw. erweitert. Dahinter steht die Auffassung, dass der Film im Verhältnis zu statischen Bildern nicht nur gesehen, sondern wesentlich auch mit anderen Sinnen wahrgenommen wird. Der Begriff der Wahrnehmung wird also auch deswegen verwendet, um die Einheit der Sinne in der Filmwahrnehmung zu betonen. ‒ In Bildern steht die Präsentation von Objekten in einem Verhältnis zur Darstellung von Sachverhalten, das sich von den entsprechenden Verhältnissen in sprachlichen Aussagen unterscheidet. Terminologisch werde ich daher durchgehend die Präsentation von Objekten von der Darstellung von Sachverhalten unterscheiden. Damit wird der Argumentation in den Kapiteln 4.1 und 4.2 Rechnung getragen. ‒ Ich veranschauliche meine Gedanken und Argumentationen nicht an FilmBeispielen. Das wird an einigen Stellen vermutlich als Mangel empfunden werden, hat aber im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste Grund ist von strategischer Art: Filmtheoretische und filmphilosophische Untersuchungen vertiefen sich gelegentlich in Beispiele, die von systematischen Interessen durchaus ablenken können. In der Konkretheit einer Filminterpretation oder eines close reading treten Aspekte und Zusammenhänge hervor, die für sich genommen interessant und wichtig sind, aber nicht unbedingt einen Beitrag zu einer systematischen Konzeption leisten. Um Verwirrungen und Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, habe ich bewusst darauf verzichtet, Beispiele als
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1 Einleitung
Belege für die angeführten Punkte aufzubereiten. Ich hoffe, dass die Ausführungen trotzdem verständlich bleiben und dass die Untersuchung in Kombination mit den Filmerfahrungen des Lesers die Einbildungskraft anregt. Der zweite Grund für den weitgehenden Verzicht auf Beispiele folgt einer systematischen Überlegung: In den folgenden Untersuchungen geht es um die Bedingungen, die sinnvolle epistemische Verwendungen von Filmen in der Philosophie überhaupt erst ermöglichen. Es soll also aus methodologischer Perspektive deutlich werden, wie und warum Filme einen Beitrag zur philosophischen Arbeit leisten können. Sollte sich diese Argumentation aber selbst zu sehr auf verschiedene Film-Beispiele stützen, dann würde der zu klärende Aspekt bereits implizit vorausgesetzt. Mit anderen Worten: Ich gehe davon aus, dass die Rolle von filmischen Bewegungsbildern in Erkenntnisprozessen noch weitgehend ungeklärt ist; unter dieser Voraussetzung können Filme aber nicht wie selbstverständlich zur Klärung dieses Punktes eingesetzt werden. Der erste Schritt der Untersuchung besteht darin, mit Mitteln der Bildtheorie etwas Klarheit in den Begriff des filmischen Bewegungsbildes zu bringen. Der bildliche Status des Films ist zu klären, zumal sich in dieser Hinsicht einige Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem bildtheoretischen Paradigma des statischen Bildes ergeben. Diesem Schritt widmet sich das folgende Kapitel. Ziel der Annäherung an den Begriff und die Struktur des filmischen Bewegungsbildes ist die Bestimmung der spezifisch filmischen Bildobjekte bzw. der ‚Filmobjekte‘ sowie der dynamischen Bildaspekte.
2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts Dass Filme in einem engen Verhältnis zu Bildern stehen, wird nicht bezweifelt. Man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Film eine Art Bild ist, denn Filme werden als ‚bewegte Bilder‘ oder ‚Bewegungsbilder‘ angesprochen. Dabei stellt sich aber die Frage, wie das Verhältnis von Film und Bild genau zu explizieren ist und welche (insbesondere epistemologische) Bedeutung dem Bildcharakter des Films zukommt. So ist beispielsweise strittig, ob Filme ausschließlich als Bilder zu charakterisieren sind, oder ob sie Eigenschaften aufweisen, die über den Bereich des Bildlichen wesentlich hinausgehen. Wenn letzteres zutrifft, dann sind Filme ihrem Wesen nach ‚mehr‘ als (nur) Bilder. Natürlich wird die Auffassung des Films als Bildart stark vom zugrunde gelegten Bildbegriff abhängen. Betrachtet man unbewegte und rein visuelle Bilder als paradigmatisch für den Bildbegriff, so ist damit eine Vorentscheidung getroffen, mit der charakteristische Eigenschaften des Films aus dem Bereich des Bildlichen ausklammert werden. So findet sich in Bezug auf den Bildcharakter des Films etwa die Auffassung, dass Filme zwar bestimmte Eigenschaften mit Bildern teilen, aber darüber hinaus auch Eigenschaften besitzen, durch die sie sich von ‚reinen‘ Bildern unterscheiden und abheben. Diese filmischen Eigenschaften stützen daher die Vermutung, dass Filme aus Bildern und etwas Anderem ‚zusammengesetzt‘ sind. Im Paradigma des unbewegten Bildes werden beispielsweise die Eigenschaften der Bewegung und der Zeitlichkeit problematisch, weil sich diese Eigenschaften nicht aus der Untersuchung unbewegter Einzelbilder extrapolieren lassen. Außerdem erscheint der Filmton als nicht-bildliche Eigenschaft, sofern man den Anteil des Bildlichen am Film auf das rein Visuelle beschränkt. Tonfilme erscheinen dann als Verbindungen von rein visuell erfassbaren Bewegungsbildern mit nicht-visuellen Eigenschaften.¹ Eine derartige Auffassung findet sich beispielsweise bei Klaus Sachs-Hombach, der den Film als „hybrides“ Medium bezeichnet und damit eine ursprüngliche und sachhaltige Trennung von bildlichen und nicht-bildlichen Elementen im Film annimmt. Die über das Visuelle hinausgehenden Elemente werden als bildfremd aus der en-
Das gilt zunächst nur für den Tonfilm. Stummfilme werfen hinsichtlich der begleitenden Klangereignisse (wie beispielsweise Begleitmusik, ein begleitender Vortrag oder unwillkürliche Geräusche) eigene Probleme auf. https://doi.org/10.1515/9783110600506-003
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
geren bildtheoretischen Untersuchung herausgehalten, so dass das Bildliche am hybriden Medium Film nur noch als ein Element neben anderen erscheint.² Eine andere Position, die den Film vom Bild abgrenzt, drückt sich in der Auffassung aus, dass sich Filme zwar aus Bildern zusammensetzen, dass aber bestimmte Eigenschaften der filmischen Abbildungsbeziehung und der Filmerfahrung eine besondere Wirkung entfalten, die Filme grundsätzlich von ‚reinen‘ Bildern unterscheidet. Ein bekanntes Beispiel für eine Position mit dieser Tendenz findet sich in der Auffassung des Films als wahrnehmungsveränderndes Medium. Die Tatsache, dass der Film nicht einfach nur etwas Wahrnehmbares präsentiert (wie Bilder dies tun), sondern die Wahrnehmung selbst ‚verändert‘, spreche so für eine radikale Verschiedenheit von Film und Bild.³ Auch würde mit der Kamera als filmischem Aufnahmeinstrument der Bereich der Wahrnehmung nicht (nur) erweitert, sondern qualitativ verändert. So schreibt Dieter Mersch im Kontext seiner Darstellung der Position Walter Benjamins: „Keineswegs bedeuten nämlich die neuen optischen Errungenschaften eine Erweiterung der Wahrnehmung nach dem Prinzip ihrer Optimierung, als ob die Kamera das Sichtbare nur besser, weiter, größer oder schneller darstelle […], vielmehr enthüllen sie anders.“ (Mersch 2013, S. 69). Insbesondere die intensive Art des immersiven Erlebens in der Filmerfahrung und die damit verbundene Konstellation von Nähe und Distanz scheinen grundlegend verschieden von der distanzierten und kontemplativen Situation der (traditionellen) Bildbetrachtung zu sein, woraus auf eine tiefe Differenz von Film und Bild geschlossen wird. Die von Benjamin konstatierte „Chockwirkung des Films“ (Benjamin 2007, S. 44) ist Dieter Mersch zufolge „weniger dem Inhalt als vielmehr der Streuung der Reize geschuldet, die das
Vgl. Klaus Sachs-Hombachs Reflexion über die Rolle des Films in der Bildtheorie: „[D]er Bildaspekt [trifft] natürlich nur auf einen Teil des Films zu, denn Film erschöpft sich ja nicht in der visuellen Darstellung. Der Filmbegriff […] ist weiter [als der Bildbegriff], insofern Film ein überaus komplexes Zeichensystem bildet, das auf jeden Fall Sprache, Bild und Ton umfasst. […] Eine angemessene filmwissenschaftliche Analyse muss daher in besonderer Weise den Zusammenhang der akustischen und narrativen Ebene mit den bildhaften Elementen verständlich machen können.“ (Sachs-Hombach 2006, S. 164). Zugleich fasst Sachs-Hombach allerdings den Filmbegriff enger als den Bildbegriff, „insofern Film nur ein spezielles Bildmedium unter anderen (etwa neben der Fotografie) darstellt.“ (Ebd.) – Grabbe und Rupert-Kruse sprechen in diesem Zusammenhang von der „Multimodalität“ des Films (Borschtschow/Grabbe/Rupert-Kruse 2013, S. 3); vgl. Grabbe/Rupert-Kruse 2013. Vgl. Benjamin 2007. Die Charakterisierung des Films als „Gegenstand der Wahrnehmung“ kann daher zweifelhaft erscheinen, wenn man etwa die These vertritt, dass die Wahrnehmung selbst durch den Film verändert wird, also nicht von einer Beziehung zwischen zwei unveränderlichen Polen gesprochen werden kann. Auf diesen Punkt hat mich Pellegrino Favuzzi aufmerksam gemacht.
2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
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Stakkato der Bilder in Projektile verwandelt, die auf den Zuschauer zielen: Geschosse, die dem Auge nichts zu sehen geben, sondern es attackieren.“ (Mersch 2013, S. 70; vgl. auch Benjamin 2007, S. 43). Es liegt dieser Position zufolge nahe, dass der Film nicht mehr als Bild im überlieferten Sinne aufzufassen ist – einerseits, weil Filme nicht in erster Linie etwas präsentieren oder wahrnehmbar machen, sondern weil sie die Wahrnehmung selbst verändern; andererseits, weil Filme nicht mehr auf kontemplative Betrachtung, sondern auf eine bestimmte Wirkung abzielen. Darauf ist zunächst zu erwidern, dass die unterstellte Veränderung der Wahrnehmung durchaus mit dem Bildbegriff vereinbar ist. Eine entsprechende qualitative Differenz läuft nicht unbedingt den bildlichen Eigenschaften des Films zuwider. Denn selbst wenn die veränderte ästhetische Wirkung des Films nicht mehr unmittelbar von dem abhängen sollte, was im Film präsent ist, so ist daraus doch keineswegs zu schließen, dass tatsächlich nichts mehr im Film präsent ist. Zwar mag sich der Charakter des Kunstwerks (im Anschluss an Benjamin) u. a. mit dem Film radikal verändern, indem etwa die kontemplative Betrachtung keinen allgemeinen Maßstab mehr bildet; dennoch wäre es doch offenbar übertrieben, die bildliche Präsentation im Film für unwesentlich zu erklären. Außerdem ist nicht klar, warum eine Erweiterung des Bildbegriffs zur Erklärung der besonderen Eigenschaften des Films ausgeschlossen sein sollte. Alleine die (zweifelhafte) Tatsache, dass der Inhalt gegenüber der Wirkung in den Hintergrund tritt, zeigt noch nicht, dass diese Wirkungen nicht als solche eines Bildes zu erklären sind. Umgekehrt ist beispielsweise die kontemplative Wirkung kein Wesensmerkmal statischer Bilder, mit dem eine Grenze des Bildlichen markiert wäre. Und schließlich ist es sicherlich zu weit gegriffen, Benjamins Diagnose der „Chockwirkung“ auf alle Genres und ästhetischen Entwicklungen des Films zu verallgemeinern – das ist schon historisch kaum zu rechtfertigen. Im Folgenden wird daher ein Bildbegriff erarbeitet, auf dessen Grundlage nicht nur die Eigenschaft der Bewegung, sondern auch andere Wahrnehmungsmodalitäten und die besonderen Erlebniseigenschaften des Films einbezogen werden können.⁴ Dahinter steht die Überzeugung, dass der Film in entschei-
Das fordern auch Lars C. Grabbe und Patrick Rupert-Kruse: „Konstitutiv für einen modernen Bildbegriff ist […], dass er sowohl statische als auch dynamische Bewegtbildtypen beinhaltet.“ (Grabbe/Rupert-Kruse 2013, S. 24). – Es muss allerdings klar gesagt werden, dass mit der Thematisierung von Film als Bild bereits eine bestimmte Vorentscheidung in Bezug auf den Bildbegriff getroffen ist: Bilder werden grundsätzlich als Gegenstände der Wahrnehmung betrachtet. Das ist auch die herrschende Auffassung in weiten Teilen der bildtheoretischen Forschung. Es muss allerdings bedacht werden, dass ein solcher Bildbegriff in mancherlei Hinsicht verengt erscheinen kann. Auch wenn man den weiten und heterogenen Bereich der Dinge betrachtet, die
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
denden Hinsichten als vollständige bildliche Darstellung aufzufassen ist.⁵ Diese Auffassung des filmischen Bewegungsbildes orientiert sich an der Einheitlichkeit der Filmerfahrung und der Objekte, die in dieser Erfahrung wahrgenommen werden. Die Grenze zwischen bildlichen und nicht-bildlichen Eigenschaften wird so beispielsweise nicht durch die Unterscheidung zwischen Visuellem und Nicht-Visuellem markiert. Nicht-visuelle Eigenschaften wie Ton und Sprache, aber auch Bedeutungsebenen, die im Bild direkt erkannt, allerdings nicht im engeren Sinne ‚gesehen‘ werden, sind dann zum filmischen Bild zu zählen. Zugleich droht hier keine Gefahr einer übermäßigen ‚Entgrenzung‘ des Bildbegriffs, denn es werden lediglich die Einschränkungen aufgehoben, die sich aus einer einseitigen Orientierung am Paradigma der statischen Bilder ergeben. Der Bildbegriff bleibt somit klar und eindeutig bestimmt. Aus dieser theoretischen Perspektive ist es nicht schlüssig, im Film ganz allgemein einen Komplex aus verschiedenen, eigentlich unabhängigen Elementen oder ‚Medien‘ zu sehen. Denn in der Filmerfahrung hat man es normalerweise mit der Wahrnehmung einer Einheit zu tun, in der diese Elemente nicht voneinander getrennt werden können, ohne die wahrgenommenen Objekte selbst wesentlich zu verändern. Bestimmte Ausnahmen von dieser ‚ungeteilten‘ Wahrnehmung sind zwar durchaus möglich, bleiben aber dennoch auf die bildliche Einheitlichkeit des Films bezogen. Eine Beschreibung, die zunächst die rein visuelle Ebene der bewegten Bilder für sich, also beispielsweise getrennt von der auditiven Ebene, betrachtet, und erst darauf aufbauend die Modifikationen und Wechselwirkungen bestimmt, die durch die auditive Ebene eingeführt werden, vermag die Struktur der Wahrnehmung und des Wahrgenommenen nicht angemessen wiederzugeben. Der Eindruck von getrennten ‚Medien‘, die im Film erst (synthetisch) zusammenkommen, ergibt sich nur aus einer theoretischen Beschreibungs- und Erklärungsperspektive, in der relativ scharf abgegrenzte Bereiche vorausgesetzt werden. Zwar mag die Eigenständigkeit der entsprechenden Elemente in vielen Bereichen deutlich und sogar zwingend erscheinen (etwa im Hinblick auf die verschiedenen technischen Realisierungen) – im Angesicht der Phänomene der Filmwahrnehmung ist deren Trennung allerdings reduktionistisch. Zur Begründung kann an die phänomenologische Kritik am Sensualismus
unter dem Begriff des Bildes gefasst werden, so fällt auf, dass Bilder nicht notwendig Gegenstände der Wahrnehmung sein müssen – vgl. z. B.Vorstellungsbilder, Sprachbilder,Vorbilder u. ä. Dennoch möchte ich an diesem eingeschränkten Bildbegriff festhalten, zumal er in Bezug auf den Film (als Gegenstand der Wahrnehmung) angemessen ist. Darüber hinaus vertrete ich die These, dass es nur ein einziges im engeren Sinne filmisches Mittel gibt, mit dem eine Ebene jenseits des Bildes eröffnet werden kann: Die Sprache in ihrer Rolle als Kommentar über den Film (vgl. Kapitel 3.4).
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angeknüpft werden, die sich gegen eine grundlegende Zergliederung eines Wahrnehmungsphänomens in seine verschiedenen Sinnesmodalitäten wendet.⁶ Film kann insofern als Bildkomplex aufgefasst werden, der zwar in analytischer Hinsicht aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt erscheint, in der konkreten Wahrnehmung aber als ‚Gesamtbild‘ auftritt. Es stellt sich dann die Frage, warum die einheitsstiftenden Merkmale der Filmwahrnehmung ausgerechnet als bildliche Phänomene gefasst werden sollten. Warum soll man nicht einfach den Film als Ganzheit betrachten, an denen das Bildliche nur einen Anteil hat? Ein Argument für eine umfassende bildliche Auffassung des Films ergibt sich aus der Perspektive einer hinreichend allgemeinen phänomenologischen Bildtheorie, denn dort wird sich zeigen, dass die Einheit der intentionalen Objekte der Wahrnehmung in statischen und filmischen Bildern gleichartig ist. Aus diesem Grund ist eine grundsätzliche Kontinuität zwischen Bild- und Filmwahrnehmung anzunehmen. Darüber hinaus können mit der Orientierung an der phänomenologischen Bildstruktur begriffliche Paradoxien des Filmbegriffs geklärt werden. Zuletzt wird sich aber an der heuristischen Leistungsfähigkeit der bildlichen Konzeption zeigen, dass der Film zumindest in seinen epistemologisch relevanten Eigenschaften grundsätzlich der ‚Logik‘ des Bildlichen folgt. Damit wird eine robuste filmtheoretische Perspektive eröffnet, aus der heraus einige der epistemologischen Annahmen und Ansprüche der filmphilosophischen Debatten geklärt und eingelöst werden können. Zum Überblick über die folgenden Schritte: Zunächst kläre ich einige bildtheoretische Voraussetzungen, die eine Bestimmung des filmischen Bewegungsbildes vorbereiten. In Kapitel 2.1 rekonstruiere ich zu diesem Zweck den phänomenologischen Bildbegriff im Anschluss an Edmund Husserl und Lambert Wiesing. Auszeichnende Merkmale von Bildern sind die „artifizielle Präsenz“ und die damit einhergehenden Bestimmungen eines intentionalen Bildobjekts in der Wahrnehmung. Spezifisch für filmische Bewegungsbilder ist zuallererst ihre zeitliche Form, mit der in bestimmten Hinsichten auch die Beschränkung des Bildlichen auf das Visuelle aufgehoben wird. Die Frage lautet daher nicht, wie in der Philosophie des Films gelegentlich zu vernehmen: „Was sehen wir im Film?“ – sondern vielmehr: „Was nehmen wir im Film wahr?“ (im Sinne von: „Was ist uns in der Filmwahrnehmung präsent?“). Daran anknüpfend werden in Kapitel 3 einige Probleme diskutiert, die sich für die Untersuchung des Films im bildtheoretischen Paradigma des statischen Bildes ergeben. Ein Konzept, das häufig mit dem Film und der Filmerfahrung in Verbindung gebracht wird, ist das der Illusion. Hier könnte man nun eine Schnittmenge zur
Vgl. Merleau-Ponty 2000, Merleau-Ponty 1965 und die Einleitung von Cassirer 2010.
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
Erkenntnistheorie vermuten, zumal Illusionsphänomenen in diesem Bereich oft eine Schlüsselrolle zugeschrieben wird. Die Hervorhebung der Illusion folgt damit der Annahme, dass Erkenntnisprozesse besonders deutlich im Kontrast zu ihrem Misslingen erklärt werden können. Eine notorische Auffassung zur Illusion im Film geht davon aus, dass die Bildobjekte in der Filmerfahrung für real präsent gehalten werden; in Kapitel 2.2 zeige ich dagegen, dass das nicht der Fall ist, zumal sich Bildbewusstsein und Illusion gegenseitig ausschließen. Einige ähnlich gelagerte Fragen, die u. a. auf den illusionären Status der filmischen Bewegungswahrnehmung abzielen, werden in Kapitel 3.1 diskutiert. In diesem Zusammenhang wird es um diejenige Auffassung von filmischer und bildlicher Illusion gehen, der zufolge es sich bei der Erfassung von Bildobjekten (und damit auch der besonderen Eigenschaft der filmischen Bewegung) selbst schon um eine Täuschung handelt. In Kapitel 3.2 untersuche ich schließlich, ob und wie auch einige auditive Eigenschaften die Objekte des (Ton‐)Films mitbestimmen oder zu den Bildaspekten beitragen. Daran knüpfen sich in Kapitel 3.3 Bemerkungen zur Rolle der Sprache im Film an.
2.1 Was ist ein Bild? Der Zusammenhang von Film und Bild kann nur vor dem Hintergrund einer hinreichend allgemeinen Bildtheorie geklärt werden. Die folgenden Überlegungen sollen daher zu einer bildtheoretischen Orientierung beitragen. Zu diesem Zweck sind zunächst einige Voraussetzungen zum Bildbegriff zu klären, hier im Rahmen eines phänomenologischen Ansatzes, der die Merkmale der Bildlichkeit im Ausgang von der bildlichen Wahrnehmung beschreibt. Diese Orientierung an der Wahrnehmung wird im Folgenden noch genauer begründet, sie mag aber bereits auf den ersten Blick durchaus passend erscheinen, zumal die Wahrnehmung für das filmische Bewegungsbild offensichtlich eine zentrale Rolle spielt. Zugleich beschränkt sich der Ansatz nicht auf Bilder der (Film‐)Kunst – dadurch würde der Gegenstandsbereich unzulässig verengt, gerade wenn es um den Film gehen soll. Am Beginn steht eine grundsätzliche Unterscheidung verschiedener Bildebenen, die von Edmund Husserls bildtheoretischen Ausführungen geprägt ist. Es geht um die Unterscheidung zwischen physischem Bild, Bildobjekt und Abgebildetem bzw. Bildsujet. Das physische Bild (auch Bildträger genannt) ist der als Bild bezeichnete materielle Gegenstand. Zur Veranschaulichung beziehe ich mich auf das Beispiel einer Fotografie von Alfred Hitchcock. Hier ist das physisch
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vorliegende bedruckte Fotopapier der Bildträger.⁷ Dieses physische Bild kann man z. B. an die Wand hängen, zerschneiden oder auch verkaufen. Dasselbe kann man hingegen nicht mit dem Bildobjekt tun. Das Bildobjekt ist als intentionales Objekt der Wahrnehmung im Bild präsent. Es ist „kein realer Gegenstand; das Bildobjekt ist ausschließlich das Objekt, welches beschrieben wird, wenn jemand sagt, was er auf einem Bildträger zu sehen meint […].“ (Wiesing 2005, S. 30). In der Fotografie von Alfred Hitchcock ist Hitchcock eben das Bildobjekt, da er im Bild zu sehen ist. Von Bildträger und Bildobjekt muss dann das Abgebildete (oder Bildsujet) unterschieden werden; es ist das, worauf das Bildobjekt verweist. Es kann sich dabei beispielsweise um einen Gegenstand handeln, der als Vorlage für die Bildproduktion gedient hat, und der dann mit dem Bild gezeigt werden kann. In der Fotografie ist das häufig der Fall; so ist beispielsweise die reale Person Alfred Hitchcock, wie sie vor der Kamera stand, dasjenige, was von der Fotografie abgebildet wird. Das Abgebildete ist allerdings strikt vom Bildobjekt zu unterscheiden, weil eben das, was im Bild wahrgenommen wird, nicht dasselbe ist wie das, was von dem Bild abgebildet wird. Am Beispiel: Alfred Hitchcock ist als Bildobjekt im Bild zu sehen, aber er verweilt nicht als reale Person im Bild. Die reale Person Alfred Hitchcock ist nicht das Bildobjekt, sondern das Abgebildete. Zu der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Bildträger, Bildobjekt und Abgebildetem kann schließlich eine vierte Ebene hinzugezählt werden, die insbesondere im Kontext des Films eine zentrale Rolle spielen wird: Der Bildaspekt. Ein Bildaspekt ist die Art und Weise, wie ein Bildobjekt präsentiert oder ‚gegeben‘ wird; durch den Aspekt werden daher nicht unmittelbar Eigenschaften bestimmt, die dem Bildobjekt selbst zukommen, sondern vielmehr Eigenschaften, die der ‚Sichtweise‘ oder der ‚Art und Weise der Gegebenheit‘ des Bildobjekts zukommen.⁸ Eine Präsentation von Bildobjekten beinhaltet immer auch Aspekte der Präsentation. Beispielsweise ist die Perspektive ein Aspekt des Bildes, ebenso der Bildausschnitt und in bestimmten Fällen auch die Farbgebung – nämlich dort, wo Zu den Schwierigkeiten, die sich bei der Anwendung des Begriffs des Bildträgers auf den Film ergeben vgl. Kapitel 3. Vgl. zur Konzeption des Bildaspekts Lopes 1996, S. 117– 127. Nach Lopes gehen Aspekte notwendigerweise mit bildlichen Objektdarstellungen einher: „Pictorial content is aspectually structured. No picture’s content consists solely in the properties it represents its subject as having or not having.“ (Lopes 1996, S. 124). Ein Aspekt besteht immer aus „Festlegungen und Nicht-Festlegungen“ („commitments and non-commitments“), wobei die Festlegungen und Nicht-Festlegungen nicht auf räumliche Verhältnisse beschränkt sind: „Aspects should not be regarded as purely spatial. Commitments to texture and colour properties can impose explicit non-commitments. […] It is clear that pictures are committal and explicitly non-committal in a multiplicity of ways, regarding a variety of different kinds of properties.“ (Lopes 1996, S. 121 u. 124).
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
durch sie nicht die Farben des Objekts bestimmt werden. Ein Aspekt der Hitchcock-Fotografie kann beispielsweise darin bestehen, dass Hitchcock im Profil zu sehen ist; ein weiterer darin, dass er in schwarz-weiß dargestellt ist. Viele weitere Bildaspekte sind denkbar.
2.1.1 Bildlichkeit zwischen Zeichenpraxis und Wahrnehmung Eine bildtheoretische Anschlussfrage lautet nun: Geht Bildlichkeit im Kern auf Wahrnehmungs- oder auf Zeichenprozesse zurück? An dieser Frage entzündet sich eine bildtheoretische Debatte, in der sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüberstehen: Die zeichentheoretische und die wahrnehmungstheoretische Auffassung des Bildes. Beide Positionen versuchen die grundsätzlichen Fragen der Bildtheorie jeweils mit Verweis auf Zeichen- oder auf Wahrnehmungsprozesse zu beantworten. Darüber hinaus verfolgen beide Ansätze in gewisser Hinsicht eine analoge Strategie: Das Bildobjekt wird jeweils in Abhängigkeit vom Abgebildeten oder aber vom Bildträger erklärt und bestimmt. In zeichentheoretischen Ansätzen wird Bildlichkeit in Anlehnung an Praktiken gedeutet, in denen Bilder als Zeichen auf etwas Abgebildetes bezogen und folglich in eine Zeichenrelation versetzt werden. Bildlichkeit besteht in dem spezifischen Zeichenverhältnis eines Bildes zum Abgebildeten. Bilder sind somit besondere Zeichen, weil sie als Zeichen verwendet und einem bestimmten Zeichensystem entsprechend interpretiert werden.⁹ Im Rahmen von wahrnehmungstheoretischen Ansätzen wird hingegen dafür argumentiert, dass Bildlichkeit durch eine spezifische Art der Wahrnehmung konstituiert ist. Bildlichkeit geht darauf zurück, dass ein Objekt in einem materiellen Gegenstand wahrgenommen und erkannt wird – nämlich im physischen Bildträger. Erst diese besondere bildliche Wahrnehmung bestimmt daher einen Gegenstand als Bild. Mit den folgenden Bemerkungen soll die Debatte zwischen wahrnehmungsund zeichenorientierten Positionen nicht erschöpfend erörtert und erst recht nicht entschieden werden. Beide Ansätze entfalten meines Erachtens ihre Vorzüge und Nachteile nur in bestimmten Hinsichten. Für eine genauere Erörterung müssten verschiedene Wahrnehmungs- und Zeichenkonzeptionen differenziert und beurteilt werden, wodurch sich die Debatte unübersichtlich verzweigt. Eine derartige Darstellung ist für die Fragestellung dieser Arbeit allerdings gar nicht notwen-
Die bahnbrechende Arbeit zur zeichentheoretischen Bestimmung des Bildes ist Goodman 1976. Für einen kompakten Überblick über Goodmans Position, diverse Kritiken und Erwiderungen vgl. Scholz 2004.
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dig.¹⁰ Es geht im Folgenden lediglich darum, Unklarheiten zu vermeiden, die sich auf eine bildtheoretische Konzeption des Films auswirken können; darüber hinaus werden aber auch Zugriffspunkte für eine epistemologische Untersuchung der speziellen Bildart filmischer Bewegungsbilder vorbereitet. In diesem Sinne möchte ich zunächst kurz begründen, warum der zeichentheoretische Ansatz für eine epistemologische Bestimmung des filmischen Bewegungsbildes ungeeignet erscheint. Vor dem Hintergrund des Interesses am Film werde ich mich daher hauptsächlich am wahrnehmungstheoretischen Ansatz orientieren, weil mit diesem Ansatz die spezifischen Eigenarten des Films gegenüber anderen Bildarten begrifflich differenziert und verdeutlicht werden können. Zeichenaspekte kommen dann in einem weiterführenden Schritt allerdings wieder ins Spiel, wenn die Möglichkeiten für ein epistemisches Zeigen mit filmischen Bewegungsbildern diskutiert werden.
2.1.2. Bilder als Zeichen Aus der Perspektive eines epistemologischen Interesses ist die bildtheoretische Orientierung an der Relation von Zeichen und Bezeichnetem in mindestens zwei Hinsichten problematisch. 1. Zunächst kann die besondere Bedeutung, die der Abbildungsbeziehung in zeichentheoretischen Ansätzen zugeschrieben wird, in die Irre führen, wenn nach epistemologischen Funktionen von Bildern gefragt wird. Denn Bilder, die etwas abbilden, sind aus der zeichentheoretischen Perspektive die pa Im Übrigen erscheint mir die Erörterung von zeichentheoretischen und wahrnehmungstheoretischen Ansätzen für einen wirklich allgemeinen Bildbegriff nicht entscheidend zu sein. Denn weder die strukturellen Eigenschaften zwischen Bildträger, Bildobjekt und Abgebildetem, noch die Wahrnehmung des Bildobjekts (im Sinne des Bildbewusstseins) sind hinreichend für eine allgemeine Bestimmung von Bildlichkeit. Einer umfassenderen Position zufolge wird das Bild wesentlich als eine besonders geartete Bestimmung von Objekten aufgefasst. Christoph Asmuth hat daher die Bestimmung des Dargestellten im Bild konsequent als Negation im Sinn von Nichtsein gefasst (genauer: als konkrete Negation), im Anschluss an Spinoza: Omnis determinatio est negatio. „Das Bild ist gerade und genau das nicht, was es abbildet. Das ist seine spezifische Funktion: genau nicht das Abgebildete zu sein.“ (Asmuth 2011, S. 123). Dadurch unterscheiden sich Bilder grundsätzlich von Zeichen, die zwar auch nicht das Bezeichnete sind, aber nicht an ihrer konkreten Form erkennen lassen, was sie bestimmen. – Der mit dieser Konzeption verbundene allgemeine Bildbegriff umfasst im Übrigen nicht nur wahrnehmbare Bilder, zumal das Kriterium für Bildlichkeit unabhängig von der Wahrnehmung expliziert wird. Die Tatsache, dass etwas ein Bild ist, wird so nicht nur auf die Wahrnehmung eines materiellen Objekts als Bild zurückgeführt. Ob etwas ein Bild ist oder nicht wird vielmehr durch eine ideelle Setzung bestimmt. Vgl. auch Jonas 1963.
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radigmatischen Fälle. Der Begriff des Bildes wird grundsätzlich mit der Abbildungsfunktion verbunden, deren „Kern“ die Bezeichnung (Denotation) von etwas ist, was es gibt.¹¹ Bilder, auf denen etwas zu sehen ist, was nicht existiert, bilden dagegen nichts ab. Sie sind Zeichen ohne Bezeichnetes. Fiktionale Bilder, aber auch prospektive und andere Bilder, die (noch) nichts denotieren, werden folglich im Modus der Privation gedacht – ihnen fehlt etwas, sie sind gewissermaßen unvollständige und ‚leere‘ Zeichen – „Nulldenotationen“. Man kann sich in diesem Zusammenhang durchaus fragen, ob Zeichen, die nichts bezeichnen, noch Zeichen sind. Doch selbst wenn man diese Charakterisierung anerkennt, drängt sich der Eindruck auf, als müssten beispielsweise fiktionale Bilder vom abbildenden Bezug her konzipiert werden – auch wenn sich dieser Bezug dann als nichtig herausstellt. Mit anderen Worten: auch fiktionale oder ‚leere‘ Bilder müssen sich auf eine (denotierende) Zeichenbeziehung zurückführen lassen, auch wenn diese nicht ‚aktuell‘ ist und nur Teile des Bildes betrifft.¹² Diese Charakterisierung erweist sich spätestens dann als irreführend, wenn es um Fragen nach dem epistemologischen Status von Bildern geht. Denn die zeichentheoretische Auffassung legt es nahe, dass die epistemische Leistung von Bildern (also auch beispielsweise von fiktionalen Bildern) generell auf die Abbildung bzw. Denotation von Existierendem zurückzuführen sind. Unter dieser Voraussetzung liegt etwa die Annahme eines ‚Realitätsgehalts‘ aller Bilder nahe; der epistemologische Ausgangspunkt für bildliches Wissens könnte folglich darin gesehen werden, dass sich Bilder grundsätzlich auf die Realität beziehen (in fiktionalen Bildern dann allerdings nur über weite Umwege). Diese Annahme ist allerdings einseitig, denn im Verlauf der vorliegenden Untersuchung wird sich zeigen, dass ein bildlicher Realitätsbezug nur in ganz bestimmten epis-
„Denotation is the core of representation.“ (Goodman 1976, S. 5). Zwar hält Goodman fest: „[A] picture does not imply that there is such a thing as is pictured (…)“ (Goodman 1976, S. 226). Trotzdem sind Bilder abhängig von einer Konjunktion mit denotierenden Elementen: „The rule for correlating symbols with denotata may result in no assignment of any actual denotata to any symbols, so that the field of reference is null; but elements become representations only in conjunction with some such correlation actual or in principle.“ (Goodman 1976, S. 228., Hervorhebung P.R.) Es wird also eine „Korrelation“ zwischen Bildern und einem ‚tatsächlich‘ Abgebildeten vorausgesetzt – wenn auch möglicherweise nur „prinzipieller“ Art und nur bei einzelnen „Bildelementen“. Scholz spricht in diesem Zusammenhang von einer „virtuellen“ Korrelation (Scholz 2004, S. 135). Was es genau bedeutet, dass eine Korrelation von prinzipieller oder virtueller Art ist, bleibt allerdings offen. Zumindest für die Kohärenz von Goodmans Position ist dieser Punkt auch deswegen problematisch, weil Goodman jeden theoretischen Bezug auf den Bereich des Möglichen grundsätzlich vermeiden möchte (vgl. Goodman 1983).
2.1 Was ist ein Bild?
2.
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temologischen Verwendungen von Bildern eine Rolle spielt (vgl. Kapitel 5). Auch wenn es bestimmte Fälle gibt, in denen die Denotation von Existierendem epistemisch relevant wird, so gilt das nicht für alle epistemischen Verwendungsweisen von Bildern. Vielmehr werden Bilder, die nach der zeichentheoretischen Auffassung ‚leere‘ Denotationen sind, also z. B. fiktionale Bilder, in der Wahrnehmung nicht unbedingt auf eine „prinzipielle“ oder „virtuelle“ Korrelation mit Existierendem festgelegt – sie können dagegen in anderer Hinsicht durchaus epistemisch relevant werden.¹³ Das epistemologische Interesse an Bildern legt es daher nahe, die Verhältnisse umgekehrt zu betrachten: Bilder, die tatsächlich Existierendes abbilden, sind Sonderfälle. Denn diese denotierende Zeichenbeziehung spielt nur in bestimmten, eng umgrenzten Fällen eine Rolle – sie tritt zum Bild gewissermaßen erst hinzu. Die denotierende Bezugnahme eines Bildes auf ein Abgebildetes ist damit zwar eine prinzipielle Möglichkeit von Bildern, die aber erst auf der Bildlichkeit im Allgemeinen aufsetzt und ihr nachgeordnet ist. Typisch sind insofern Bilder, bei denen der denotierende Bezug nicht oder noch nicht hergestellt ist, oder auch Bilder, bei denen dieser Bezug unbestimmt, offen oder unbekannt ist. Durch diese Umkehrung der Begründungsrichtung ergibt sich auch eine neue, aus epistemologischer Perspektive ergiebigere Fragestellung: Wie ist es möglich, dass man mit Bildern auf etwas Existierendes Bezug nehmen kann? Diese Frage ist im Gegensatz zur zeichentheoretischen Einstellung nicht irreführend, weil sie keinerlei Notwendigkeit einer denotierenden Bezugnahme impliziert. Man kann also Bilder als Abbildungen verwenden, man muss es aber nicht. Andere epistemologische Möglichkeiten bleiben offen. Darüber hinaus wird hier etwas hinterfragt, was in der zeichentheoretischen Auffassung als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Denn die grundsätzliche Voraussetzung denotativer Beziehungen von Bildern mag unmittelbar einleuchtend und vertraut erscheinen – geklärt ist sie damit noch nicht. Doch aus der zeichentheoretischen Perspektive kann ohne Weiteres zugestanden werden, dass Bilder, die tatsächlich Existierendes abbilden, nicht in der Mehrheit sind. Die eigentlich entscheidenden Merkmale von Bildern werden schließlich erst durch eine Analyse des bildlichen Zeichensystems deutlich. Eine systematische Analyse bezieht sich in erster Linie auf syntak-
Um es vorweg zu nehmen: Bilder ermöglichen die Bekanntschaft mit und die Bezugnahme auf Objekte(n), ganz unabhängig davon, ob diese Objekte (oder Teile von ihnen) außerhalb des Bildes existieren oder nicht. Denn es genügt zunächst einmal, dass diese Objekte in Bildern erfasst werden. Die unabhängig von der Denotation gegebenen epistemologischen Möglichkeiten von (filmischen) Bildern werden in den Kapiteln 4 und 6 dargestellt und erörtert.
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tische und semantische Merkmale, die im Rahmen einer bestimmten Verwendung ein Repräsentationssystem auszeichnen. So können formale Unterschiede zwischen den ‚großen‘ Systemen der bildlichen und der sprachlichen Repräsentation aufgezeigt werden, während zugleich Unterschiede zwischen ‚Subsystemen‘ bildlicher Darstellung erklärbar werden (z. B. zwischen Diagrammen und Gemälden). Anhand bestimmter syntaktischer und semantischer Kriterien werden also nicht nur verschiedene Bildarten differenziert, sondern auch die grundsätzlichen formalen Unterschiede zwischen Bildern und Sprache geklärt.¹⁴ Die damit verbundene hohe Ebene der Allgemeinheit bietet im Vergleich zu vielen anderen Ansätzen im Übrigen den Vorteil, dass beispielsweise auch nicht-gegenständliche Bilder zum Bereich der bildlichen Phänomene gezählt werden können. Die systematische Perspektive, die von der zeichentheoretischen Ausrichtung eingenommen wird, ist für einen epistemologischen Ansatz allerdings wenig hilfreich, weil die entsprechenden Differenzierungen zu allgemein sind. Der zeichentheoretische Ansatz und die damit verbundene Konzeption eines Zeichensystems stellt noch nicht die theoretischen Mittel bereit, mit denen epistemologische Fragen in Bezug auf Bilder im Allgemeinen sowie auf bestimmte Bildarten gestellt und beantwortet werden können.¹⁵ Das liegt in erster Linie daran, dass die Rolle der Wahrnehmung vernachlässigt wird. Die spezifischen Eigenschaften der Wahrnehmung und die durch sie konstituierten Unterschiede in bildlichen Darstellungen fallen gewissermaßen durch das Raster symboltheoretischer Analysen. Mit der Thematisierung der Wahrnehmung entfaltet sich aber ein Raum von Differenzierungen, in dem reichhaltigere epistemologische Aussagen zu erwarten sind. Beispielsweise arbeiten zeichentheoretische Ansätze weder mit der Unterscheidung zwischen Bildträger und Bildobjekt, noch mit dem Konzept intentionaler Objekte der Bildwahrnehmung. Es wird vielmehr einfach vorausgesetzt, dass in Bildern Objekte erkannt werden. Eigenschaften von Bildobjekten unterscheiden sich daher aus zeichentheoretischer Perspektive nicht grundsätzlich von Eigenschaften des materiellen Bildträgers – beide treten in Zeichenpraktiken auf, und nur darauf kommt es in diesem Ansatz an. Der Ansatz muss daher ergänzt werden um Bereiche, um die Autoren wie Nelson Goodman (allerdings absichtlich) einen Bogen machen.
Vgl. Goodman 1976, Kap. IV und V; Kulvicki 2014, Kap. 5. Nelson Goodman stellt im Zusammenhang mit Bildern der Kunst epistemologische Fragen, hat aber keinen expliziten Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen vorgelegt.
2.1 Was ist ein Bild?
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2.1.3. Bilder in der Wahrnehmung An diesen Punkten setzt die bildtheoretische Orientierung an der Wahrnehmung an. Hier zeigt sich zunächst: Das Erkennen von Objekten in Bildern ist kein Zeichenprozess, sondern ein Wahrnehmungsprozess. Damit wird eine theoretische Leerstelle des zeichentheoretischen Ansatzes geschlossen, zumal die Wahrnehmung der Zeichenfunktion vorgeordnet ist: „[D]as Sehen dessen, was als Zeichen dient, ist nicht selbst ein Zeichenprozess, sondern ein optisches Phänomen.“ (Wiesing 2005, S. 53). Aber obwohl Bildwahrnehmung selbst kein Zeichenprozess ist, ist die Verwendung von Bildern als Zeichen dadurch nicht ausgeschlossen. Bilder werden insofern nicht nur wahrgenommen, sondern auch verwendet, um auf etwas anderes Bezug zu nehmen oder um etwas zu zeigen. Mit dem Begriff des Bildobjekts kann folglich die oben kritisierte Konzentration auf die Denotation von Bildern oder Bildelementen in einen umfassenderen Kontext eingeordnet werden, indem die abbildende Bezugnahme des Bildes erst in einem zweiten Schritt zu der Wahrnehmung des Bildobjekts hinzutritt. Wahrnehmungs- und zeichentheoretische Ansätze ergänzen sich hier, wobei die entsprechende Differenzierung wichtig ist: Während die Wahrnehmung des Bildobjekts aus dem Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt in der Wahrnehmung hervorgeht, ist die Bezugnahme des Bildobjekts auf das Abgebildete als Zeichenverhältnis zu deuten. Unter Voraussetzung dieser deutlichen Zuordnungen können grundsätzliche Missverständnisse vermieden werden. So ist aus Sicht eines phänomenologischen Ansatzes die Wahrnehmung eines Bildobjekts völlig unabhängig von der Auffassung des Bildes als Abbildung von etwas, das außerhalb des Bildes liegt. Die Frage, wie man erkennt, dass Alfred Hitchcock in einer Fotografie abgebildet ist, zielt auf etwas ganz Anderes ab als die Frage, wie man erkennt, dass es sich bei der Fotografie um eine Abbildung der realen Person Alfred Hitchcock handelt. Beide Erkenntnisleistungen müssen analytisch voneinander unterschieden werden. Die Bestimmung des Bildobjekts ist also nicht so zu verstehen, als würde damit zugleich einem Abgebildeten eine Menge an Eigenschaften zugeschrieben. Die Bestimmung von Eigenschaften des Abgebildeten auf der Basis der Wahrnehmung des Bildobjekts setzt vielmehr bestimmte Verwendungen von Bildern voraus, die ich in Bezug auf den Film noch erörtern werde (vgl. Kapitel 5). Man kann diesen Punkt zur Verdeutlichung noch radikalisieren: Selbst dann, wenn es keine Praxis der abbildenden Verwendung von Bildern gäbe, wenn es also über-
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haupt keine Abbildungen gäbe, könnte es trotzdem Bildobjekte und somit Bilder geben.¹⁶ Wie funktioniert die Wahrnehmung von Bildobjekten? Bei der Beantwortung dieser Frage stehen sich zwei Erklärungsansätze für die Wahrnehmung im Allgemeinen gegenüber: Einerseits kognitivistisch-konstruktivistische Modelle einer abgeleiteten Wahrnehmung von Objekten; zweitens das phänomenologische Modell einer direkten Wahrnehmung von Objekten. Kognitivistisch-konstruktivistischen Positionen zufolge sind dem Betrachter unmittelbar nur elementare sinnliche Empfindungen gegeben, die für sich genommen noch keinerlei Bedeutung haben. Erst eine kognitive Verarbeitung dieser Empfindungen erzeugt dann ein (Bild‐)Objekt, das somit eine mentale Konstruktion ist. Modelle dieser Art kommen in der Bild- und Filmtheorie häufig zum Zuge. Man kann daraus beispielsweise die ontologische Konsequenz ziehen, dass es die Objekte der Wahrnehmung ‚eigentlich‘ gar nicht gibt; sie wären stattdessen als mentale Konstruktionen anzusehen, die auf der Basis von elementaren Empfindungen vom Verstand abgeleitet und auf die Welt projiziert werden (vgl. Kapitel 3.2.2). Die Phänomenologie der Wahrnehmung erwächst zunächst aus einer Kritik an der kognitivistisch-konstruktivistischen Position. So schreibt Ernst Cassirer in Bezug auf den verwandten Sensualismus: Für [die sensualistische Grundansicht], die alle Objektivität im ‚einfachen‘ Eindruck beschlossen sein lässt, besteht alle Verknüpfung in nichts anderem als in der bloßen Zusammenfassung, in der ‚Assoziation‘ der Eindrücke. […] Die Inhalte, die man miteinander in Assoziation treten lässt, bleiben, so eng sie sich auch verknüpfen und so innig sie miteinander ‚verschmelzen‘ mögen, doch ihrem Sinn und Ursprung nach trennbare Inhalte. […] Gerade dieses Verhältnis des ‚Teils‘ zum ‚Ganzen‘ ist es jedoch, was in den echten Synthesen des Bewusstseins prinzipiell überwunden ist. In ihnen entsteht das Ganze nicht erst aus seinen Teilen, sondern es konstituiert dieselben und gibt ihnen ihre wesentliche Bedeutung. (Cassirer 2010, S. 36)
Aus der Perspektive der Phänomenologie ist die Wahrnehmung vielmehr als ganzheitliche Gestaltbildung zu betrachten, in der die Sinnhaftigkeit der Phänomene kein Ergebnis rationaler Prozesse, sondern Teil der wahrgenommenen Welt ist.Wir können in diesem Sinne sagen, dass Objekte – und auch Bildobjekte – direkt wahrgenommen werden, d. h. sie werden nicht erst aus Elementen konstruiert oder erschlossen. Daraus folgt insbesondere, dass viele vermeintlich subjektiv gefärbte Eindrücke tatsächlich den Objekten in der Wahrnehmung zukommen: „Ein Bild als Bild zu betrachten, setzt einen über die bloße Bildlichkeit hinausgehenden Verwendungszusammenhang gar nicht voraus.“ (Asmuth 2011, S. 134).
2.1 Was ist ein Bild?
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Gefühle und intentionale Einstellungen erscheinen dann nicht mehr als bloß introspektive Gegebenheiten, die wir auf die Gegenstände unserer Wahrnehmung projizieren, wenn wir von einer ‚traurigen Melodie‘, einem ‚widerlichen Farbton‘ oder einer ‚eleganten Bewegung‘ sprechen, sondern auf ‚innere Charaktere der Gegenstände‘ gegründet. Die Gegenstände selber, als Wahrnehmungsgegenstände, nicht als Konstruktionen aus Empfindungsdaten oder Qualitäten, verfügen in dieser Perspektive über eigene phänomenale Charaktere, die nicht nur mit unserem begrifflichen Denken, sondern auch mit Kontext, Situation, kulturellem Hintergrund, menschlichem Handeln, Fühlen und Wollen unauflösbar verwoben sind. (Wagner 2008, S. 90)
Diese Auffassung der Wahrnehmung, mit der eine ganzheitliche Auffassung von Objekten und Eigenschaften abseits von empiristischen und rationalistischen Reduktionen verbunden ist, steht in der Tradition von Immanuel Kant, Edmund Husserl, Ernst Cassirer, Maurice Merleau-Ponty und auch Nelson Goodman.¹⁷ Sie kann im Übrigen besonders deutlich und anschaulich am Beispiel des Films fruchtbar gemacht werden. Die folgende Konzentration auf die Wahrnehmung in ihrer speziellen Beziehung zum Bild und zum Film ist stets vor diesem Hintergrund zu verstehen. Eine konstruktivistische Erklärung der Wahrnehmung kann allerdings aus der Perspektive der empirischen Psychologie der Wahrnehmung sinnvoll erscheinen; es wäre dann allerdings ein Fehler, die wissenschaftliche Beschreibung unvermittelt mit der Struktur der Wahrnehmungsphänomene gleichzusetzen: Wahrnehmungsprozesse sind keine inferentiellen Vorgänge. Sie sind nicht so zu verstehen, als liege zunächst ein bestimmter Input an Daten vor, auf der Basis von dessen Evidenz dann regelgeleitet und schlußfolgernd dazu übergegangen wird, ein Objekt, ein Ereignis oder eine Person, sagen wir: Onkel Paul, wahrzunehmen und das entsprechende visuelle Erlebnis zu haben. Wenn man etwas wahrnimmt, wird nicht von einem auf etwas anderes geschlossen. Vielmehr wird, im Beispiel: Onkel Paul, direkt wahrgenommen. (Abel 2004c, S. 357)
Es ist also davon auszugehen, dass das Bildobjekt nicht aus den physischen Bildelementen konstruiert, hergeleitet oder auf andere Art erschlossen wird. Bildwahrnehmung besteht demzufolge nicht aus einem kognitiven oder konstruktivistischen Prozess, in dem die (primäre) Wahrnehmung der physischen Eigenschaften des Bildes die (sekundäre) Wahrnehmung des Bildobjekts erst begründet. Das liegt zunächst einfach daran, dass diese Eigenschaften offenbar so verschieden sind, dass aus einer kognitiven Ableitung oder Konstruktion unzählige Ungereimtheiten entspringen würden. Denn wenn die Beschaffenheit des
Goodman betont diesen Charakter der Wahrnehmung beispielsweise in der Auseinandersetzung mit Ergebnissen der Wahrnehmungspsychologie (vgl. Goodman 1978b).
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Bildobjekts aus den Elementen des Bildträgers abgeleitet oder konstruiert wäre, dann müssten beispielweise Bleistiftstriche, Farbflächen oder Schraffierungen in der kognitiven Verarbeitung zu etwas zusammengesetzt werden, was nichts mit diesen Elementen gemeinsam hat – wie beispielsweise solide Holzbalken, züngelnde Flammen oder ein liebevoller Gesichtsausdruck. Für die phänomenologische Auffassung der Bildwahrnehmung ist es dagegen charakteristisch, dass in Bildern etwas als etwas anderes wahrgenommen wird.¹⁸ Wir sehen die materiellen Eigenschaften des Bildträgers in der Bildwahrnehmung nicht mehr nur als das, was sie sind, sondern wir sehen sie zugleich auch als etwas ganz anderes. Die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen den physischen Bildelementen und den intentionalen Objekten wird in dieser Auffassung der Bildwahrnehmung nicht aufgehoben.
2.1.4 Artifizielle Präsenz als Merkmal der Bildwahrnehmung Doch was ist nun das Besondere an der Bildwahrnehmung, dass daraus Bildlichkeit schlechthin entspringt? Lambert Wiesing hat in klarer und überzeugender Weise einen phänomenologischen Bildbegriff im Anschluss an die Phänomenologie Edmund Husserls erarbeitet, der einen Ansatzpunkt für die Bestimmung des Bildlichen in Bezug auf die Wahrnehmung liefert.¹⁹ Der Prozess der Bildwahrnehmung ist zunächst als spezifische Wahrnehmung von Objekten in einem physischen Bildträger zu erklären. Diese Art der Wahrnehmung hat Richard Wollheim als „Sehen-in“ bezeichnet.²⁰ Die so in einem Bild wahrgenommenen Objekte haben als Bildobjekte einen besonderen Status, der sie von dem Status des physischen Bildes wesentlich unterscheidet: Sie sind die intentionalen Objekte der Wahrnehmung, auf die sich unsere Aufmerksamkeit bei der Bildbetrachtung richtet. Das Bildobjekt ist folglich dadurch bestimmt, wie es im Bild wahrgenommen wird: „Man sieht etwas anderes, wenn man anders sieht, und dies gilt uneingeschränkt auch für den Fall, daß man auf ein Bild schaut. Wie bei jeder Wahrnehmung so sind auch bei der Bildwahrnehmung die Zugangsart und der Sachgehalt unauflöslich miteinander verschränkt: Das Was-man-auf-demBild-sieht korreliert mit dem Wie-man-auf-das-Bild-schaut.“ (Wiesing 2000, S. 61). Man kann also offenbar auf verschiedene Weisen auf ein Bild schauen – und wird jeweils etwas anderes darin wahrnehmen: Entweder nur einen materiellen Ge-
Vgl. Asmuth 2006 und Asmuth 2011. Vgl. Wiesing 1997, Wiesing 2000, Wiesing 2005 und Wiesing 2013. Vgl. Wollheim 1982.
2.1 Was ist ein Bild?
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genstand, den man z. B. an die Wand hängen oder verkaufen kann, oder ein Bildobjekt, also z. B. eine Person, ein Pferd oder ein Hochhaus. Die Bildproduktion orientiert sich bei der Gestaltung des Bildträgers üblicherweise daran, wie sich das Bildobjekt bei der Betrachtung des Bildes darstellt.²¹ Die Wahrnehmung eines Objekts in einem Bild zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass Bildobjekt und physisches Bild zugleich wahrgenommen werden. Diese gleichzeitige Wahrnehmung zweier Ebenen des Bildes unterscheidet das ‚Sehen-in‘ des Bildobjekts von der Auffassung, der zufolge die Wahrnehmung von Objekten in Bildern mit einer Art „Aspektwechsel“ zu erklären ist.²² Ein Aspektwechsel liegt vor, wenn wir etwas nur entweder als eine Sache oder als eine andere Sache wahrnehmen können. Beides zugleich geht nicht. In Bezug auf die Bildwahrnehmung erscheint die Annahme eines Aspektwechsels zunächst plausibel, weil man Bilder grundsätzlich auf zwei verschiedene Weisen betrachten kann: entweder als physischen Gegenstand oder als Präsentation eines Bildobjekts. Man kann in der Wahrnehmung offenbar bewusst zwischen diesen beiden Aspekten des Bildes wechseln. Diese Deutung erscheint naheliegend, gerade weil die physischen Eigenschaften des Bildes und die Eigenschaften des Bildobjekts offensichtlich grundverschieden sind. Außerdem kann das Phänomen, dass man etwas als etwas anderes sieht, genau durch die Konzeption des Aspektwechsels erklärt werden. Doch nach Husserl liegt der Fall bei Bildern tatsächlich anders: Wenn ein Bildobjekt in einem physischen Bild wahrgenommen wird, dann werden die verschiedenen Ebenen nicht abwechselnd wahrgenommen, sondern zugleich. Sie treten zueinander in einen Widerstreit. ²³ Ein Aspektwechsel ist zwar möglich, denn ein Betrachter kann schließlich das Bildobjekt ausblenden und nur auf das Material des Bildes schauen; wenn man aber das Bildobjekt als solches wahrnimmt, dann blendet man dabei nicht das physische Bild aus, sondern man sieht Bildobjekt und physisches Bild gleichzeitig und einander widerstreitend. Dieser Punkt führt zu einem wesentlichen Merkmal des Bildobjekts, das Wiesing mit dem Konzept der artifiziellen Präsenz beschreibt.²⁴ Mit „Präsenz“ ist hier zunächst ganz buchstäblich die zeitliche und räumliche Anwesenheit oder Gegenwart von etwas gemeint. Die Besonderheit von Bildern liegt darin, dass mit ihnen nicht nur das Bild als physisches Objekt präsent ist, sondern zugleich auch das Bildobjekt – dieses allerdings nicht als physisches Objekt, sondern als Objekt
Abweichungen von dieser Orientierung sind denkbar, bewegen sich aber im Grenzbereich zum Bildlichen, etwa wenn die Grenze zwischen Bildern mit und ohne Bildobjekt (reflexiv) dargestellt wird. Vgl. Gombrich 1984, S. 188. Vgl. Wiesing 2000, S. 48 – 59. Vgl. Wiesing 2005.
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
der Wahrnehmung. Die Bezeichnung „artifiziell“ charakterisiert die Präsenz des Bildobjekts in ontologischer Hinsicht. Das bedeutet zweierlei: Erstens wird damit auf den intentionalen Charakter des Bildobjekts hingewiesen. Bilder sind zwar nicht immer menschengemacht – es gibt auch Spiegelbilder oder Schattenumrisse, die als ‚natürliche‘ Bilder gedeutet werden können. Aber die Bildobjekte, die in diesen Bildern wahrgenommen werden, sind weder physische Dinge, noch Dinge, die auf natürliche Weise entstanden sein können. Bildobjekte sind intentionale Objekte der Wahrnehmung, die insofern immer ‚künstlich‘ sind, als sie nur von Menschen als solche wahrgenommen und hergestellt werden.²⁵ Was die sogenannten natürlichen Bilder auszeichnet, ist die natürliche Entstehung des physischen Bildträgers, beispielsweise aus kausalen Prozessen. Aber das Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt ist keine natürliche oder physikalische Relation, sondern eine intentionale Beziehung.²⁶ Das wahrgenommene Bildobjekt unterscheidet sich dadurch grundsätzlich vom physischen Bildträger. Zweitens wird mit der Charakterisierung des Bildes als ‚artifizielle Präsenz‘ auf das eigenartige ontologische Verhältnis zwischen dem Bildobjekt und dem Abgebildetem hingewiesen. Denn das Bildobjekt ist zwar präsent, aber es ist natürlich ‚nur im Bild‘ und nicht ‚wirklich‘ anwesend. Wenn ich beispielsweise eine Fotografie von Alfred Hitchcock betrachte, dann sehe ich Alfred Hitchcock. In diesem Sinne ist Alfred Hitchcock als Bildobjekt präsent, er ist als Objekt der Wahrnehmung ‚anwesend‘. Zugleich ist Alfred Hitchcock aber natürlich nicht als reale Person anwesend – im Gegenteil: als reale Person ist Alfred Hitchcock gerade abwesend, nicht präsent, nicht da. Als Bildobjekt steht Hitchcock gewissermaßen zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, er ist zugleich anwesend und Vgl. Jonas 1963. Manche an der Wahrnehmung orientierte Bildtheoretiker zählen natürliche Phänomene wie Spiegelungen aus diesem Grund nicht zu den Bildern „im engen Sinne“, weil sie nicht artifiziell sind (vgl. Sachs-Hombach 2005, S. 13). Bildobjekte können als intentionale Objekte nicht aus natürlichen Prozessen hervorgehen. Es bereitet in diesem Zusammenhang allerdings keine Schwierigkeiten, unter ‚natürlichen‘ Bildern solche Bilder zu verstehen, bei denen der materielle Bildträger auf natürliche Weise entstanden ist. – Es gilt aber zu beachten, dass natürliche Bilder nicht notwendig auch natürliche Zeichen sind: „Der Unterschied zwischen natürlichen und nichtnatürlichen Zeichen ist unabhängig von demjenigen zwischen Naturding und Artefakt. […] Nicht darauf kommt es an, ob die Gegenstände, an denen die Zeichen auftreten, natürliche sind, sondern darauf, ob die der Zeichenbeziehung zugrunde liegende Relation eine natürliche ist.“ (Scholz 2004, S. 96). Der Zeichenstatus, der die Abbildungsbeziehung bestimmt, ist von der Verwendung abhängig, also grundsätzlich nicht-natürlich; natürliche Zeichen sind insofern nicht Zeichen, die auf natürliche Weise entstehen, sondern Zeichen, bei deren Verwendung auf natürliche Relation Bezug genommen wird. In diesem Sinne können Fotografien als natürliche Zeichen aufgefasst werden (vgl. allerdings die Eingangsbemerkung in Kapitel 5). Vgl. auch Wiesing, der Zeichen funktional, Bilder dagegen substantiell deutet (Wiesing 2005, S. 58 ff.).
2.1 Was ist ein Bild?
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abwesend und hat damit einen eigentümlich künstlichen – eben artifiziellen – Status. Daraus erklären sich auch einige der bekannten Bezeichnungen des im Bild Dargestellten als ‚abwesende Anwesenheit‘ oder ‚nichtseiendes Sein‘. Beide Seiten des artifiziellen Charakters führen dazu, dass das Bildobjekt einen ontologischen Sonderstatus im Vergleich zu physischen Dingen hat. Es ist „herausgehoben aus dem Kausalverkehr der Dinge“ (Jonas 1963, S. 32); es entfaltet keine Wirkungen, verändert sich nicht, altert nicht; es befindet sich nicht im selben Raum und in derselben Zeit wie der Betrachter oder das Abgebildete. In einer kleinen Zeichnung kann man riesige Hochhäuser sehen, in einem jahrhundertealten Gemälde kann ein Kind im Arm seiner Mutter liegen, in einer statischen Fotografie kann ein Zug in rasender Geschwindigkeit zu sehen sein. All diese Dinge werden als etwas wahrgenommen, was sie – in zweifacher Hinsicht – nicht sind. Die Rede von artifizieller Präsenz in der Wahrnehmung geht somit auf einen besonderen Status des Bildobjekts zurück, der den Kern des Bildlichen ausmacht. Welchen Nutzen bringt die artifizielle Präsenz des Bildobjekts? Ihr kaum zu überschätzender Vorteil liegt darin, dass auf die reale Anwesenheit von Objekten verzichtet werden kann, während zugleich einige der wahrnehmbaren Eigenschaften dieser Objekte zur Verfügung stehen. Man mag an unzählige ästhetische, praktische und spielerische Verwendungen denken – epistemische Funktionen liegen hier besonders nahe: Denn wir können uns mit Bildern auf Objektbestimmungen beziehen, ohne der Objekte selber zu bedürfen; wir können so alles Mögliche über ein Objekt aus einem Bild lernen, ohne dem Objekt vielleicht jemals wirklich zu begegnen oder gar begegnen zu können. Die bildliche Darstellung kann für Zwecke verwendet werden, in denen die Erscheinung von etwas genügt, auch wenn die erscheinenden Objekte selbst nicht da sind. Die Konzeption der artifiziellen Präsenz eröffnet im Übrigen einen methodischen Spielraum nicht nur zur Abgrenzung verschiedener Bildarten voneinander, sondern darüber hinaus auch zur Bestimmung von Unterschieden zwischen Bildern und anderen Darstellungsphänomenen, indem verschiedene Arten der Präsenz differenziert werden. So ist beispielsweise in der Fotografie im Vergleich zu anderen Bildern eine besondere Art der (artifiziellen) Präsenz gesehen worden;²⁷ ebenso könnte die artifizielle Präsenz von Bildobjekten beispielsweise von einer Art der ‚inszenierten‘ Präsenz in Theater und Performance abgegrenzt werden.
Vgl. z. B. Cavell 1979, S. 19 – 20 und Sobchack 1992, S. 59 – 62.
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
2.2 Film und Illusion 1: Bildlichkeit und reale Präsenz Der Film wird häufig mit dem Konzept der Illusion in Verbindung gebracht. Die Frage, in welcher Beziehung filmische Phänomene und illusionäre Wahrnehmungen zueinander stehen, hat die Filmtheorie lange und intensiv beschäftigt. An Konzeptionen der Illusion knüpfen schon die klassischen Filmtheorien von Hugo Münsterberg und Rudolf Arnheim an; auch in weiten Teilen der zeitgenössischen Filmtheorie spielen Illusionen eine wichtige Rolle.²⁸ In der vorliegenden Untersuchung ist eine Klärung der Verhältnisse zwischen Film, Bild und Illusion von besonderem Interesse, zumal Phänomenen der Illusion häufig eine zentrale Rolle in der Epistemologie verliehen wird. In mehreren Exkursen möchte ich allerdings dafür argumentieren, dass das Konzept der Illusion nicht den Wert für die Erklärung filmischer Bewegungsbilder hat, der ihm häufig zugeschrieben wird. Es wird sich im Verlauf der Argumentation zeigen, dass einige der vorgebrachten Illusions-Annahmen entweder nicht spezifisch für den Film gelten, oder aber einer systematischen Erörterung nicht standhalten. Daneben soll aber auch gezeigt werden, dass und an welcher Stelle punktuelle Täuschungsmöglichkeiten im filmischen Bewegungsbild durchaus eine Rolle spielen. Für einen Überblick über die relativ unübersichtlichen Verhältnisse sind zunächst einige Klärungen zum Illusionsbegriff und Differenzierungen der damit verbundenen Phänomene notwendig. Grundlegend ist etwa die Unterscheidung zwischen kognitiven und perzeptiven Illusionen. Kognitive Illusionen sind falsche Überzeugungen über das Wahrgenommene.²⁹ Wenn ich beispielsweise davon überzeugt bin, dass sich vor mir im Halbdunkel eine Schlange befindet, wobei das, was ich wahrnehme, in Wirklichkeit aber nur ein Stück von einem Seil ist, dann liegt eine kognitive Illusion vor. Genaueres Hinsehen kann mich eines Besseren belehren – kognitive Illusionen können also durch Wahrnehmung korrigiert werden. Eine perzeptive Illusion liegt dann vor, wenn etwas anders erscheint, als es ist – unabhängig von den Überzeugungen, die sich auf die Erscheinung beziehen. Das Prinzip der perzeptiven Illusion kann an dem berühmten Beispiel des geknickten Stocks im Wasser veranschaulicht werden: Ein Gegenstand erscheint sinnlich in einer bestimmten Gestalt, die aber zugleich nicht als die ‚richtige‘ Gestalt anerkannt wird und insofern über die tatsächlichen Verhältnisse täuscht. Es ergibt sich also im Falle einer perzeptiven Illusion immer eine Diskrepanz zwischen dem Gegenstand wie er sinnlich erscheint und wie er Vgl. Münsterberg 1916, Arnheim 2002 und Koch 2016. „The central cases of cognitive illusion occur when we see something—a horse, a shadow, or a coil of rope, for example—and take it to be something it is not, such as a cow, a person, or a snake.“ (Fish 2009, S. 165).
2.2 Film und Illusion 1: Bildlichkeit und reale Präsenz
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wirklich ist (d. h. wie er erscheinen würde, wenn die Umstände nicht vorlägen, die zu der Täuschung führen). Die Besonderheit von perzeptiven Illusionen besteht darin, dass das Wissen von der richtigen Erscheinung den täuschenden sinnlichen Eindruck nicht verändert. Wir sehen z. B. den Stock im Wasser geknickt, auch wenn wir wissen, dass er eigentlich gerade ist. Der sinnliche Eindruck, dass der Stock geknickt ist, bleibt bestehen, obwohl diese Erscheinung als optische Täuschung bekannt ist.³⁰ In Bezug auf die Bildlichkeit des Films sind hauptsächlich zwei Arten der perzeptiven Illusion thematisiert worden.³¹ Bei dem im Folgenden diskutierten Phänomen handelt es sich um den Eindruck, dass das Leinwandgeschehen ein reales Geschehen ist. Von dieser Auffassung ist die Annahme zu unterscheiden, dass die Wahrnehmung eines Bildobjekts im Allgemeinen und der filmischen Bewegung im Besonderen Illusionen sind. Diese Positionen werden in Kapitel 3.2 untersucht.
2.2.1 Bilder, die mit der Realität verwechselt werden Erzeugen Filme den Eindruck, dass das in ihnen Wahrgenommene wirklich anwesend ist? In der technischen Terminologie der vorangegangenen Ausführungen können wir diese Frage auch so formulieren: Kann man sich darin täuschen, dass die Präsenz wahrgenommener Objekte nur artifiziell ist? Dies wäre der Fall, wenn man ein Objekt wahrnimmt, aber zugleich nicht den Eindruck hat, dass dieses Objekt nur in einem Bild wahrgenommen wird.³² So hält man bei der Betrachtung eines trompe l’œil die Bildobjekte für real präsente Objekte. In der Filmtheorie, genauer: in einer psychologischen Untersuchung der Filmwahrnehmung hat Albert Michotte van den Berck 1948 dieses Phänomen unter dem Begriff des „Realitätscharakters“ beschrieben (Michotte van den Berck 2003). Eine Perfektionierung dieser Art der Illusion scheint auch eine Zielvorstellung für neue technische Entwicklungen und filmische Errungenschaften zu sein: „Die perfekte
Vgl. auch die Erklärung von John Searle: In einer perzeptiven Illusion steht „der Gehalt der Überzeugungen im Widerspruch zum Gehalt des visuellen Erlebnisses“; wir haben „auch dann, wenn die Überzeugungen stärker wiegen als das visuelle Erlebnis, dennoch den ursprünglichen intentionalen Gehalt des visuellen Erlebnisses […].“ (Searle 2001, S. 80 f.) Eine systematische Ausarbeitung zum Verhältnis von Film und Illusion findet sich in Allen 1995. Der umgekehrte Fall ist ebenso zumindest denkbar: Man könnte etwa der Illusion unterliegen, dass etwas nur in einem Bild präsent ist, während das vermeintliche Bildobjekt aber tatsächlich real anwesend ist.
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
Illusion ist ein heimlicher Traum der Kinoindustrie – und ein Werbemagnet für Realitätsflüchtige.“ (Asmuth 2011, S. 133). Man kann dagegen einfach feststellen: Eine entsprechende Täuschung findet normalerweise nicht statt. Das Anschauen eines Films löst nicht die Überzeugung aus, dass das Wahrgenommene real präsent ist. Die Zuschauer wissen, dass es ‚nur‘ ein Film ist.³³ Die artifizielle Präsenz der im Bild wahrgenommenen Objekte führt nicht zu einer kognitiven Illusion. Dasselbe gilt für die entsprechende perzeptive Illusion: Ein artifiziell präsentes Objekt erscheint normalerweise nicht so, wie als wäre es real präsent. Noël Carroll stellt in Bezug auf den Film fest: „It is almost always possible to perceive the difference between a motion picture image of a person and the living, breathing being.“ (Carroll 2008). Das hat im Übrigen nichts mit besonderen filmischen Eigenschaften zu tun, es liegt einfach daran, dass Filme Bilder sind – und Bilder sind keine Illusionen. Selbst die seltenen Fälle, in denen ein Bildobjekt ausnahmsweise für ein reales Objekt (oder umgekehrt) gehalten wird, führen nicht zu einer Annäherung von Bildwahrnehmung und Illusion: Denn genau in dem Moment, in dem ein Bild als Bild erkannt wird, wird es nicht mehr mit einem real anwesenden Gegenstand ‚verwechselt‘. Ein Bild erscheint nie zugleich als Bild und als Illusion einer realen Präsenz. Aber warum nicht? Eine bildtheoretische Antwort auf diese Frage liefert die phänomenologische Position Husserls. Illusion ist demnach nicht nur kein Kriterium für Bildbewusstsein, sondern läuft ihm geradezu entgegen. Es gilt: Insofern etwas eine Illusion ist, wird es nicht als Bild aufgefasst. Zwar gibt es Fälle von Bildern, die mit optischen Täuschungen arbeiten; Bildlichkeit ist im Allgemeinen aber weder auf Illusion angewiesen, noch ist die Illusionserzeugung eine spezifisch bildliche Errungenschaft. Vielmehr setzt das Bewusstsein von etwas als Bild voraus, dass der artifizielle Charakter der Präsenz des Bildobjekts wahrgenommen wird.³⁴ In Kapitel 2.1.4 wurde bereits erläutert, dass Bildwahrnehmung aus phänomenologischer Perspektive auf einem ‚Widerstreit‘ zwischen der Wahrnehmung des physischen Bildes und der Wahrnehmung des Bildobjekts beruht. Das Bildobjekt und einige der physischen Eigenschaften des Bildes werden zugleich wahrgenommen; man sieht daher das Bildobjekt im physischen Bild, und insofern sieht man auch, dass das Bildobjekt nur im physischen Bild ist. Man ist sich bei der
Bei der berühmten Geschichte aus der Entstehungszeit des Films, in der die Zuschauer aus Angst vor dem herannahenden Zug aus dem Kino geflüchtet sind, scheint es sich übrigens um einen Mythos zu handeln; vgl. Loiperdinger 2004. Der Unterschied zwischen Filmbild und Realität wurde also offenbar schon immer wahrgenommen. „Bildlichkeit ist erst dort, wo die Als-Struktur des Bildes realisiert wird. […] Ohne Als-Struktur keine Bilder.“ (Asmuth 2011, S. 132).
2.2 Film und Illusion 1: Bildlichkeit und reale Präsenz
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Betrachtung eines Bildes also darüber bewusst, dass es sich um ein Bild handelt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ebenen eines Bildes entspricht einem Unterschied in der Wahrnehmung, und aus der Wahrnehmung dieses Unterschieds entspringt das Bewusstsein dafür, dass das Bildobjekt nur artifiziell und nicht real präsent ist. Die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung des Bildobjekts und der widerstreitenden Eigenschaften des Bildes führt zu einem Kriterium für die Unterscheidung des Bildbewusstseins von der illusionären Wahrnehmung. Denn die Differenz zwischen dem materiellen und dem artifiziellen Aspekt eines Bildes ist grundsätzlich wahrnehmbar. Ich nehme das Bildobjekt wahr und ich nehme etwas wahr, was nicht zur realen Präsenz des Bildobjekts passt. Dabei handelt es sich um einen Widerstreit von Eigenschaften, der in der Wahrnehmung auftritt.³⁵ Bei perzeptiven Illusionen verhält es sich anders. Zwar gibt es auch hier einen Widerspruch zwischen dem, was wahrgenommen wird und dem, was für real gehalten wird. Dieser Widerspruch ist aber nicht in der Wahrnehmung gegeben, sondern er besteht zwischen der Wahrnehmung und dem Wissen darum, dass das Wahrgenommene in Wirklichkeit anders ist, als es wahrgenommen wird. „Es ist der Widerstreit, mit dem Husserl das Bildbewusstsein von einer Illusion unterscheidet: Denn für Husserl ist bei einer optischen Illusion – im Gegensatz zum Fall der Bildwahrnehmung – der Widerstreit nicht der Wahrnehmung immanent; man sieht eben nicht, dass das, was man sieht, nicht real ist. Das Bewusstsein der Nichtigkeit des Gesehenen entsteht ausschließlich, indem man von der Illusion weiß“ (Wiesing 2013, S. 63). Wie erklären sich aus dieser Argumentation heraus Bilder, die den Betrachter tatsächlich täuschen, indem sie nicht als Bild erscheinen, so dass das im Bild Wahrgenommene tatsächlich für real gehalten wird? Auf entsprechende Eindrücke wurde bereits am Beispiel des trompe l’œil hingewiesen. In diesen Fällen kann (zumindest unmittelbar) nicht wahrgenommen werden, dass es sich um Bilder handelt. Es stellt sich kein Bildbewusstsein ein. Daraus ergibt sich offenbar dann ein Problem, wenn man das Bildbewusstsein in der Wahrnehmung zum alleinigen Kriterium für Bildlichkeit erklärt. Denn es wäre sicherlich problematisch, den Bildbegriff selbst von der gelingenden Wahrnehmung von Bildern abhängig zu machen: Etwas wäre folglich nur dann ein Bild, wenn es als ein solches erkannt wird – sonst aber nicht. Eine rein wahrnehmungstheoretische Begründung des Bildbegriffs könnte täuschende Bilder nicht durchgehend als Bilder bestimmen, was offenbar nicht plausibel ist. Dagegen gibt es beispielsweise Bildphänomene, die zunächst täuschen, bei denen aber eine Art ‚Lerneffekt‘ in der Wahrnehmung stattfinden kann, so dass der einmal erkannte Bildcharakter zu einem ‚gefestig-
Vgl. auch Wiesing 2013, Kap. II.1.
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2 Bildtheoretische Grundlagen: Die artifizielle Präsenz des Bildobjekts
ten‘ Bildbewusstsein in der Wahrnehmung führt. Grundsätzlich sollte daher zwischen Bildbewusstsein und Bildbegriff unterschieden werden: Etwas kann auch dann ein Bild sein, wenn es nicht oder zumindest nicht durchgängig als solches wahrgenommen wird, wenn also das Bildbewusstsein fehlt oder lückenhaft ist.³⁶ In der Filmwahrnehmung ist das Bildbewusstsein aber durchgehend vorhanden, so dass hier im Allgemeinen keine Illusion am Werk ist. Das liegt mindestens schon daran, dass die physischen Eigenschaften des filmischen Bewegungsbildes immer als solche wahrgenommen werden. Niemand ‚vergisst‘ im Kino, dass das im Film Wahrgenommene nicht real ist – einfach, weil man dessen Irrealität selbst wahrnimmt. Der Film wird durchgehend als artifiziell präsent wahrgenommen.
2.2.2 Bildlichkeit und Fiktionalität An dieser Stelle ist eine terminologische Bemerkung angebracht. Grundsätzlich muss die Auffassung der Bildobjekte als artifiziell präsent von dem ontologischen Status der Abbildung unterschieden werden, d. h. von dem fiktionalen oder nichtfiktionalen Status eines Bildes.³⁷ Eine Verwirrung kann daraus entstehen, dass in Bildern offenbar etwas präsent ist, was zugleich aber nicht real präsent ist, sondern nur artifiziell. Dieses Verhältnis von Anwesenheit und Abwesenheit könnte nun in Analogie zur Struktur fiktionaler Darstellung gedeutet werden, welche sich ja auf ganz ähnliche Weise durch die Nicht-Existenz des Dargestellten auszeichnet. Bildlichkeit könnte aus dieser Perspektive als besondere Form der Fiktionalität erscheinen, weil die bildliche Präsenz der Darstellung in einem analogen Verhältnis zur Nicht-Existenz des fiktional Dargestellten steht. In diesem Sinne wären alle Bilder zunächst fiktional. Doch diese Auffassung ist verkehrt. Der Sachverhalt, dass die Präsenz des Bildobjekts artifiziell ist, ist nicht zu verwechseln mit dem Sachverhalt, dass kein Abgebildetes existiert. Der Begriff „artifiziell“ charakterisiert das Bildobjekt, während mit der Bezeichnung „fiktiv“ etwas über das Abgebildete ausgesagt wird
Vgl. Kulvicki 2014, S. 43. Die Tatsache, dass Bildlichkeit in keinem notwendigen Zusammenhang zu Fiktionalität steht, wird gelegentlich übersehen. Beispielsweise identifiziert Matthias Händler in einer kritischen Diskussion von Wiesings Bildtheorie den ontologischen Status des Bildobjekts mit dem Status der Fiktionalität (Händler 2011). Wiesing legt eine derartige Gleichsetzung allerdings durchaus nahe, wenn er schreibt: „Die Nicht-Realität des Bildobjekts ist nicht die einer Illusion, sondern die eines Fiktums […].“ (Wiesing 2013, S. 64).
2.2 Film und Illusion 1: Bildlichkeit und reale Präsenz
53
(genauer: über das Verhältnis von Bildobjekt und Abgebildetem). Daher sind nicht alle Bilder notwendig fiktional; es gibt fiktionale und nicht-fiktionale Bilder, genauso wie es fiktionale und nicht-fiktionale Beschreibungen gibt. Ein Bild ist nicht-fiktional, wenn mit ihm etwas abgebildet wird. Der fiktionale Status eines Bildes geht hingegen darauf zurück, dass in der Verwendung des Bildobjekts eine unmittelbar abbildende Beziehung ausgeschlossen wird. Isoliert betrachtet ist das Bildobjekt nicht fiktiv, denn es ist ja präsent; als fiktiv zu bezeichnen ist das Bildobjekt nur dann, wenn ihm keine Möglichkeit für eine abbildende Bezugnahme auf etwas außerhalb des Bildes eingeräumt wird. Mit anderen Worten: Die ‚anwesende Abwesenheit‘ des Bildobjekts entspricht nicht der fiktionalen Darstellung von Nichtexistentem. Darüber hinaus kann ein Bild unter bestimmten Umständen auch weder fiktional noch nicht-fiktional sein – nämlich dann, wenn die Bildobjekte nur für sich betrachtet werden und wenn die Abbildungsbeziehung unbestimmt ist, d. h. weder hergestellt noch ausgeschlossen wird. Wenn im Rahmen der Bildverwendung also gar keine Urteile über die Existenz eines Abgebildeten gefällt werden (auch nicht implizit), dann haben die entsprechenden Bildobjekte keinen fiktiven oder nicht-fiktiven Status. Solange also die abbildende Bezugnahme für die Betrachtung eines Bildes keine Rolle spielt, sind die Objekte der Darstellung gewissermaßen ontologisch unbestimmt. Nicht-fiktiv oder fiktiv wären sie nur, wenn sie in Beziehung zu einem Abgebildeten gesetzt werden bzw. wenn ihre Verwendung in einer Abbildungsfunktion ausgeschlossen wird.
3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton Die Einordnung von Filmen als Bilder orientiert sich in erster Linie an der Wahrnehmung, genauer: an der Wahrnehmung der im Film (artifiziell) präsenten Objekte und ihrer Bestimmungen. Denn ein Bildbegriff, der sich in Bezug auf die Bildobjekte an deren Bestimmung in der Wahrnehmung und an deren Charakterisierung als artifiziell präsent orientiert, ist einerseits weit genug, um den Bereich möglicher Bildphänomene nicht auf statische und ausschließlich visuelle Darstellungen einzuschränken. Statischen Bildern kommt damit keine paradigmatische Rolle zu, da die Eigenschaft der Bewegung die artifizielle Präsenz der Objekte nicht berührt.¹ Zugleich ist der phänomenologische Bildbegriff nicht auf die Eigenschaft der Sichtbarkeit festgelegt, so dass die Möglichkeit nicht-visueller bildlicher Eigenschaften eingeräumt werden kann (es wird im Detail noch zu zeigen sein, was das bedeutet). Andererseits ist dieser Bildbegriff eng genug, um zwischen Bildern und Zeichen im engeren Sinne zu differenzieren und um in der spezifisch wahrnehmungsmäßigen Bestimmung des Bildobjekts eine charakteristische Leistung bestimmter Bildarten zu sehen.
3.1 Was ist ein filmisches Bewegungsbild? Wenn statische Bilder und Bewegungsbilder sich darin gleichen, dass in ihnen artifiziell präsente Bildobjekte wahrgenommen werden – worin unterscheiden sie sich dann? Was steckt in dem Begriff ‚Bewegungsbild‘ und welche Rolle spielt die Bewegung im Bild? Nicht jeder Film stellt in jedem Moment etwas dar, was sich bewegt. In der filmtheoretischen Literatur finden sich in diesem Zusammenhang Verweise auf Filme, in denen (zumindest fast) überhaupt keine Bewegung vorkommt, z. B. La jetée von Chris Marker oder Blue von Derek Jarman. Arthur Danto
Ein filmtheoretischer Einwand gegen diese Behauptung findet sich übrigens bei Christian Metz, der dem Merkmal der Bewegung im Film „wirkliche Präsenz“ zuschreibt – im Gegensatz zu den meisten anderen Merkmalen (filmischer) Bilder (Metz 1972, S. 28). Metz zieht aus dieser Annahme einer wirklichen Präsenz der Bewegung im Film die Konsequenz, dass der Film nicht auf reine Bildlichkeit beschränkt ist: „Das ‚Geheimnis‘ des Kinos besteht auch darin, in die Irrealität des Bildes die Realität der Bewegung hineinzutragen […]“ (Metz 1972, S. 35). Diese Schlussfolgerung beruht allerdings auf der Annahme, dass Bildlichkeit ein Illusionsphänomen ist. Aus der Perspektive der dargestellten phänomenologischen Bildtheorie stellt sich Bewegung hingegen als bildliches Merkmal dar; vgl. zu diesem Punkt auch die folgenden Überlegungen sowie Kapitel 4.2. https://doi.org/10.1515/9783110600506-004
3.1 Was ist ein filmisches Bewegungsbild?
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stellt hierzu fest: „Moving pictures are just that: pictures that move, not simply (or necessarily at all) pictures of moving things.“ (Danto 1999, S. 224). Zwar sind Bewegungsbilder nicht immer auch Bilder von sich bewegenden Dingen; was meint Danto aber mit „Bildern, die sich bewegen“? Nun, es mag einzelne Einstellungen in einem Film geben, in denen gerade keine Bewegung vorkommt, bis hin zu ganzen Filmen, die nur Unbewegtes präsentieren. Aber im Gegensatz zu statischen Bildern ist Bewegung im Falle des Films nicht nur (häufig) eine Eigenschaft des präsentierten Bildobjekts, sondern darüber hinaus auch der Präsentationsweise. So kann in statischen Bildern grundsätzlich durchaus sichtbar sein, dass sich die Bildobjekte bewegen (bzw. genauer: dass sie sich bewegen ‚sollen‘). Wir können beispielsweise in einer Fotografie erkennen, dass sich ein Flugzeug mit hoher Geschwindigkeit auf eine Landebahn zubewegt. Nur in Bewegungsbildern können hingegen die Bewegungen von Objekten auch selbst wahrgenommen werden – nur dort ist Bewegung auch im Bild präsent: „In any case, with the movies, we do not just see that things move, we see them moving, and this is because the pictures themselves move, the way the pictures themselves must be colored when we would correctly describe ourselves as seeing the colors of what they show.“ (Danto 1999, S. 227). Damit ist eine einfache Klärung des Unterschieds zwischen statischen Bildern und Bewegungsbildern gegeben: Bewegungsbilder präsentieren Bewegung, weil sie selbst beweglich sind, während statische Bilder Bewegung nicht präsentieren, sondern nur darstellen können, weil sie unbeweglich sind. Kurz: Statische Bilder stellen Bewegung dar, während Bewegungsbilder Bewegung präsentieren. In beiden Bildarten kann theoretisch dasselbe Bildobjekt vorkommen, es wird aber jeweils unterschiedlich wahrgenommen: in Bewegung oder als Bewegung. Dieser Unterschied in der Art und Weise der Darstellung und der Wahrnehmung ist der Schlüssel zum Verständnis der spezifischen Merkmale des Films. Der von Danto markierte Unterschied zwischen dargestellten und präsentierten Eigenschaften erklärt eine grundsätzliche Verschiedenheit zwischen den Bildarten hinsichtlich der Eigenschaft der Bewegung. Allerdings erscheint eine generelle Fixierung auf Bewegung im Angesicht des Filmphänomens insgesamt zu eng. Thematisiert man Bewegung im Sinne von Ortsveränderung, dann geraten zwar Bildbewegungen oder sich bewegende Bildobjekte in den Blick. Andere Eigenschaften des Bewegungsbildes wie beispielsweise seine Dauer oder die Tatsache, dass es einen Anfang und ein Ende hat, werden vom Merkmalsbereich der Bewegung allerdings nicht unmittelbar berührt. Schließlich haben aber auch Filme ohne Bewegung einen Anfang, ein Ende und eine Dauer. Eine übertriebene Treue zum überlieferten und umgangssprachlichen Begriffsgebrauch (moving picture, Bewegungsbild etc.) lenkt von diesen Eigenschaften ab – der Begriff ‚Bewegungsbild‘ erscheint aus diesem Grund verengt, weil damit alleine die Be-
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3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton
wegung in den Vordergrund gerückt wird.² Doch welche Eigenschaft ist stattdessen hervorzuheben? Voraussetzung für Bewegung ist Zeit. Der Begriff der ‚Bewegung‘ kann daher im Hinblick auf den Film durch den – grundlegenderen – Begriff der zeitlichen Form erläutert werden.³ Der Vorteil des Begriffs der ‚zeitlichen Form‘ liegt darin, dass er nicht nur Bewegung unter sich fasst, sondern auch Elemente wie Dauer (z. B. der Einstellungen), Rhythmus, Veränderung und den Ton mit allen seinen Facetten wie Sprache, Geräusch und Musik. Was bedeutet es aber für den Begriff des Bildes, dass sich Bewegungsbilder durch eine zeitliche Form auszeichnen? Ist die zeitliche Form des Films überhaupt zum Bereich des Bildlichen zu zählen? Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, das Verhältnis von Bildlichkeit und zeitlicher Form zu deuten: 1. Der Film ist eine zeitliche Form, die das Verhältnis der einzelnen Bilder untereinander bestimmt; Film ist dann selbst kein Bild, sondern ‚gestaltet‘ bzw. formt den Zusammenhang zwischen einzelnen Bildern in der Zeit.⁴ 2. Die andere Option lautet: Ein Film ist ein Bild mit zeitlicher Form; die zeitliche Form ist also eine Eigenschaft des Bildes selbst. 1. Die erste Option führt zu dem begrifflichen Problem, dass die Einheit der in zeitliche Form gebrachten Bilder unbestimmt bleibt. Es drängt sich hier geradezu die Frage auf: Wie viele Bilder sind eigentlich ein Film?⁵ Hier muss
Ein Grund für die Fixierung auf die Eigenschaft der Bewegung liegt sicherlich auch darin, dass mit der filmischen Reproduktion von Bewegung scheinbar eine bestimmte Paradoxie der Wahrnehmung verbunden ist. Vgl. dazu Kapitel 3.2. Vgl. Merleau-Ponty 2000, S. 74: „Sagen wir zunächst, daß ein Film nicht eine Summe von Bildern ist, sondern eine zeitliche Form.“ Vgl. z. B. Roman Ingarden, der in Bezug auf den Film die Position vertritt, dass Film aufgrund seiner zeitlichen Form nicht nur Bild ist, sondern vielmehr ein „Bildvorgang“ (Ingarden 2005, S. 53). Die damit verbundene Unklarheit drückt sich schon rein sprachlich am Übergang vom Singular „Bild“ zum Plural „bewegte Bilder“ aus. Diese sprachliche Unklarheit fällt auch Grabbe und Rupert-Kruse negativ auf, obwohl sie den grammatischen Singular daraufhin nicht aufgeben: „Deutet man den Begriff des Filmbildes in einem ersten Versuch im grammatischen Singular, eben als ein Bild, so zeigt sich dieser Versuch lediglich als statisches Unterfangen, welches dem dynamischen Charakter des filmischen Bewegungsbildes nicht gerecht werden kann.“ (Grabbe/ Rupert-Kruse 2013, S. 24). Zumindest im Deutschen bleibt unbestimmt, ob ein ganzer Film, eine Szene oder eine einzige zusammenhängende Einstellung gemeint ist, wenn von einem „bewegten Bild“ im Singular gesprochen wird. Im Englischen wird dagegen umgangssprachlich von (einem) motion picture in Bezug auf ein ganzes Filmwerk gesprochen (nicht aber auf ein einzelnes bewegtes Bild im Film bezogen). Im Deutschen wird für den terminologischen Singular daher oft die wörtliche Entsprechung „Bewegungsbild“ verwendet, die auch in der vorliegenden Untersuchung konsequent übernommen wird.
3.1 Was ist ein filmisches Bewegungsbild?
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eine klare Vorstellung von einzelnen Standbildern vorliegen, die im Film in eine zeitliche Form gebracht werden. Der Gedanke an die Einzelbilder auf dem (analogen) Filmstreifen liegt nahe. Diese Einzelbilder scheinen kein Anfang und kein Ende zu haben, sondern nur eine räumliche Begrenzung (was allerdings insofern ungenau ist, als auch die Einzelbilder auf dem Filmstreifen nur für eine bestimmte, nicht eigens wahrnehmbare Dauer projiziert werden). Der Film wäre demnach die zeitliche Form, die den statischen Einzelbildern auf dem Filmträger in der Projektion gegeben wird. Und diese Annahme könnte sich ja durchaus auf die technischen Gegebenheiten des klassischen Filmstreifens berufen, so dass die Einzelbilder auf dem Filmstreifen als materielle Bildträger angesprochen werden könnten.⁶ Ein ‚Filmbild‘ wäre folglich ein Einzelbild auf dem Filmstreifen. Die Charakterisierung des Films als Bewegungsbild kann also so (miss)verstanden werden, dass sich die Formulierung ‚bewegte Bilder‘ auf den Bildträger bezieht, d. h. auf die Einzelbilder, die im Projektor bewegt werden. Gertrud Koch schließt sich explizit dieser Auffassung an: „Filme unterscheiden sich von anderen Bildern vor allem dadurch, dass wir sie als Bilder von Bewegungen sehen (zum Beispiel Fahrten, Gänge etc.), die in analogen Produktions- und Projektionsverfahren auch selber bewegt werden (zum Beispiel werden sie durch den Projektor mit einer Geschwindigkeit von vierundzwanzig Bildern pro Sekunde transportiert, und während der Aufnahme wird der Film ebenfalls durch die Kamera transportiert).“ (Koch 2016, S. 34). Hier haben wir ein explizites Bekenntnis zu der Annahme, dass die zeitliche Form den statischen Bildern im Prozess der Aufnahme und der Projektion verliehen wird, und zwar durch die Bewegung des Bildträgers und der Kamera. Doch diese Deutung des filmischen Bewegungsbildes ist verkehrt, denn normalerweise ist die Verwendung des Ausdrucks ‚bewegte Bilder‘ nicht auf den Bildträger eingeschränkt. Man spricht normalerweise von Bewegungsbildern im Sinne der wahrgenommenen bildlichen Darstellung und meint nicht ausschließlich die technischen bzw. materiellen Voraussetzungen für diese Darstellung. Eine Bezugnahme auf die Bewegung des Filmstreifens in der Kamera und im Projektor ist daher völlig ungeeignet, um einen Zusammenhang zum wahrgenommenen Bild herzustellen. Die Tatsache, dass im
Damit könnte auch der Übergang vom Singular ‚Bild‘ zum Plural ‚bewegte Bilder‘ erklärt werden: Er beruht auf der impliziten Annahme, dass mit der Wendung ‚bewegte Bilder‘ eigentlich die Einzelbilder auf dem Filmstreifen gemeint sind. Vgl. z. B. eine Anmerkung von Oliver Scholz, die das nahezulegen scheint: „Wer – wie viele heute – mehrere Stunden vor einem Bildschirmmedium zubringt, lässt Hunderttausende Bilder an sich vorbei (oder in sich hinein?) fließen.“ (Scholz 2004, S. 3).
58
2.
3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton
Prozess der technischen Projektion Bewegung vorkommt (und sei es auch die Bewegung des Bildträgers), erzeugt keinen bildbegrifflichen Sinn. Darüber hinaus kommt im Rahmen der heute paradigmatischen digitalen Technik zur Projektion von Bewegungsbildern überhaupt keine relevante mechanische Bewegung vor, woraus sich auch Kochs Einschränkung auf den analogen Film erklärt. Die Vorstellung einer Bewegung von Einzelbildern wird hier vollends abstrakt. Die zeitliche Form wird folglich nicht durch die Übertragung einer materiellen Bewegung auf die Bilder des Films geschaffen. Aus diesen verwirrenden Punkten kann man schließen, dass offenbar die Zeitlichkeit – als Dauer begrenzt durch Anfang und Ende – zum Bild gezählt werden sollte. Die Auffassung, dass die zeitliche Form eine Eigenschaft des Bildes selbst ist, wirft allerdings ebenfalls ein Problem auf, das allerdings lösbar ist. Die Schwierigkeit ergibt sich offenbar daraus, dass ein Bewegungsbild unter dieser Voraussetzung zusätzlich zur räumlichen Begrenzung des Bildrahmens noch eine zeitliche Begrenzung hat, also einen Anfang und ein Ende. Daher ist je nach Zusammenhang zu klären, wo ein Bewegungsbild anfängt und wo es aufhört. Ist das Bewegungsbild eine einzelne Einstellung, eine längere Szene mit mehreren Schnitten, oder gar der ganze Film? Das wären Beispiele für naheliegende formale Eingrenzungen des Bewegungsbildes, die allerdings zugleich auch willkürlich wirken; andere sind möglich und vielleicht auch notwendig.⁷ Es kann beispielsweise von der Einheit des Werks ausgegangen werden, wodurch ein einzelnes Bewegungsbild einem ganzen Filmwerk entspräche. In der Umgangssprache spricht man allerdings nicht davon, dass man ‚ein‘ Bewegungsbild im Kino gesehen hat (im Unterschied zum Sprachgebrauch im Englischen). Insgesamt ergibt sich aus diesen Zusammenhängen das Problem, welche Einheit eigentlich als ‚bewegte Bilder‘ oder als ‚Bewegungsbild‘ angesprochen wird. Auch hier verkomplizieren sich also die Verhältnisse, denn schon bei statischen Bildern hängen Grenzen und Individuierung nicht alleine vom materiellen Bildträger, sondern vom Inhalt ab: „Obviously what individuates pictures is a matter of their content rather than their physical substratum.“ (Lopes 1996, S. 125).
An diesen Überlegungen wird auch eine Unklarheit im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Film und dem Begriff des materiellen Bildträgers deutlich. Denn während man bei Gemälden oder Drucken von einem Bildträger sprechen kann, der
Vgl. Gilles Deleuze, der das Bewegungsbild völlig anders und übrigens nur als eine von mehreren Arten des filmischen Bildes konzipiert – man kann unterstellen: durchaus auch aufgrund der Probleme, die hier aufgeworfen werden (Deleuze 1981 und 1996).
3.1 Was ist ein filmisches Bewegungsbild?
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eine Verbindung zwischen den Verwendungen eines physischen Objekts und der Wahrnehmung eines intentionalen Bildobjekts herstellt, so ist diese Verbindung im Falle des Films offenbar anders geartet. Ein analoger Film kann als Filmrolle erworben, ins Regal gestellt oder im Projektor abgespielt werden; mithin sind die Einzelbilder auf der Filmrolle die materiellen Bildträger. Doch im Gegensatz zu den typischen statischen Bildern, bei denen der Bildträger immer auch ein Gegenstand der Wahrnehmung ist (oder zumindest sein kann), nimmt man in der Zuschauersituation den filmischen Bildträger nicht als solchen wahr. Die Filmrolle ist nicht zu sehen, auch nicht die auf ihr befindlichen Einzelbilder also solche. Überhaupt bleibt den Zuschauern der überwiegende Teil der technischen Reproduktion des Bildes verborgen – in der klassischen Kino-Situation also u. a. der Filmprojektor. In der filmtheoretischen Literatur spricht man daher vom unsichtbaren Apparat, womit die gesamte technische und zugleich ideologische Einrichtung der filmischen Bildproduktion angesprochen wird.⁸ Der eigentliche Bildträger (also etwa die Filmrolle) erfüllt seine Funktion nur im Zusammenhang mit dem gesamten Apparat, zu dessen Voraussetzungen es gehört, dass er vor dem Zuschauer weitgehend versteckt ist. – Auch die Leinwand oder der Bildschirm selbst können nicht als ‚Bildträger‘ des filmischen Bewegungsbildes bezeichnet werden, wenn damit an die Funktion der Leinwand z. B. bei Gemälden angeknüpft werden soll.⁹ Die Zuschauer schauen zwar ‚auf die Leinwand‘ und sehen auch wenigstens den Rahmen von Leinwand oder Bildschirm beim Anschauen von Filmen, aber das Verhältnis der physischen Eigenschaften der Leinwand zum Bildobjekt ist in der Filmsituation ein ganz anderes als bei der Betrachtung von statischen Bildern.¹⁰ Von der Filmrolle und den darauf befindlichen Einzelbildern als Bildträgern muss daher das physische Bild als Gegenstand der Wahrnehmung unterschieden werden. Das filmische Bewegungsbild erscheint auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm – nur das Leinwand- bzw. Bildschirmgeschehen kann als physisch
Vgl. für einen Überblick über Apparatus-Theorien Teil 3 in Rosen 1986. Vgl. auch Stanley Cavell, der im Zusammenhang eines Vergleichs zwischen (analogem) Film und Malerei feststellt: „The screen is not a support, not like a canvas; there is nothing to support, that way. It holds a projection, as light as light.“ (Cavell 1979, S. 24). Der Begriff der Leinwand (engl. screen) nimmt bei Cavell dennoch eine Schlüsselposition ein, die ihm auch generell in der Filmtheorie zukommt. Vgl. u. a. Elsaesser/Hagener 2013, Kap. 2. Physisch erscheint auf der Leinwand oder im Bildschirm Licht, und zwar in einem bestimmten Sinne: Der materielle Bildträger ist im Falle des klassischen Filmstreifens transparent, so dass Licht durch ihn hindurch scheinen kann und entsprechend gefärbt und geformt wird. Der Prozess der ‚Formung‘ des Lichts funktioniert daher grundsätzlich anders als beispielsweise bei Gemälden und Fotografien auf Papier, deren Bildträger nicht transparent sind. Aus diesem Grund sieht Birgit Recki den Film in direkter Verwandtschaft zur Kunst der Glasmalerei (vgl. Recki 1999).
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vorliegendes Bild angesprochen werden. Es existiert nur während der Projektion und setzt sich zusammen aus Licht, Farben und Formen sowie aus den Klängen und Geräuschen, die aus den Lautsprechern erklingen. Diese Verhältnisse verändern sich nochmals, wenn man die heute zum Standard gewordene digitale Filmtechnik berücksichtigt. Hier macht der Begriff des materiellen Bildträgers überhaupt keinen Sinn mehr; der materielle Aspekt tritt hier vollständig in den Hintergrund. Die multiple physische Realisierung und Speicherung von Informationen mit dem Ziel der Reproduktion eines Bildes ist nur noch technisches Mittel. Von einem materiellen Bildträger kann bestenfalls noch im Falle von digitalen Fotografien gesprochen werden, sofern sie auf Fotopapier gedruckt sind; bei digitalen Bewegungsbildern hat dieser Begriff dagegen seine Funktion gänzlich verloren. Was bleibt, sind bloße Daten und das Ereignis des physischen Bildes, projiziert auf Leinwand oder Bildschirm und bestehend aus Licht, Umrissen, Farben, Geräuschen und Tönen. Hier liegt der gemeinsame Nenner von analoger und digitaler Filmtechnik: Die Prozesse der Produktion, der Speicherung, der Wiedergabe und der Projektion mögen in beiden Techniken grundsätzlich verschieden sein – doch am Ende entsteht immer ein Bild auf einer Leinwand oder auf einem Bildschirm. Das Leinwand- oder Bildschirmbild ist der gemeinsame Maßstab beider Techniken. Das ‚Materielle‘ ist in diesen Prozessen nur noch technisches Mittel, übernimmt aber kaum mehr die Funktion, die dem materiellen Bildträger in der Bildtheorie zukommt. Die Bezugnahme auf das physische Bild kann im Übrigen die wichtigsten Funktionen erfüllen, die mit dem Begriff des Bildträgers in Bezug auf statische Bilder verbunden sind. Auch im filmischen Bewegungsbild gibt es eine ‚Dualität‘ der bildlichen Wahrnehmung. Farbe, Textur, Größe und andere Eigenschaften können jederzeit als physische Eigenschaften des Bildes vom Bildobjekt und von dessen Eigenschaften unterschieden werden. Auch hier entsteht ein ‚Widerstreit‘ in der Wahrnehmung, der die Präsenz der Filmobjekte artifiziell (und nie ‚real‘) erscheinen lässt (vgl. Kapitel 2.1.4). Künstliche Farben, Schwarz-weiße Ansichten, weichgezeichnete Großaufnahmen von Gesichtern oder überzeichnete Farben sind Eigenschaften, die dem physischen Bild zugeordnet und Gegenstand von Interpretation und Beurteilung werden können. Der Verweis auf das physische Bild kann somit eine wichtige systematische Funktion erfüllen – ganz unabhängig von der technischen Rolle eines materiellen Bildträgers: als Grundlage, über die sich verschiedene Betrachter auch dann noch einig werden können, wenn über das Bildobjekt (noch) keine Einigkeit besteht. Es kann daher für die Sichtbarkeit eines Bildobjekts und seiner Eigenschaften argumentiert werden, indem ein Zusammenhang zu den physischen Gegebenheiten des Bildes hergestellt wird. Aus diesem Grund interessiert sich beispielsweise Joachim Paech für das Bewegungsbild in seiner physischen Erscheinung: Ihm „geht es darum, das kinema-
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tographische Bewegungsbild (wie jedes beliebige Gemälde an der Wand im Museum) dort zu beschreiben, wo es erscheint, auf der Leinwand des Kinos (zum Beispiel) und nicht erst dort, wo es vermeintlich gesehen wird, im Auge des Betrachters.“ (Paech 2006, S. 93). Im Falle des analogen Films kann man sich mit gewissen Einschränkungen auch auf den Filmstreifen und auf dessen Einzelbilder als Bildträger beziehen; generell wird man aber die Erscheinung auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm und deren Eigenschaften vorziehen – wenn man sich darüber im Klaren ist, dass damit lediglich das physische Bild in den Blick gerät und nicht die Bildobjekte und deren Eigenschaften wie beispielsweise deren Bewegung.
3.2 Film und Illusion 2: Bildobjekt und Bewegung im Film Auch wenn die Begrifflichkeit des Bewegungsbildes in entscheidenden Hinsichten nicht auf die materiellen Einzelbilder des analogen Filmstreifens zu beziehen ist, stellt sich dennoch die Frage: Wie verhalten sich die (statischen) Einzelbilder des Films zum Bewegungsbild? Denn die im Film wahrgenommene Bewegung besteht eigentlich aus statischen Elementen – unbewegten Einzelbildern oder Bildteilen –, die technisch so angeordnet und bewegt werden, dass durch die Ausnutzung wahrnehmungspsychologischer Effekte der Eindruck von Bewegung entsteht. Daraus ergibt sich allerdings eine Unklarheit: Die Bewegung, die dem filmischen Bewegungsbild doch seinen Namen gibt, scheint gerade keine physikalisch beschreibbare Eigenschaft dessen zu sein, was sich auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm befindet. Der Grund dafür liegt darin, dass eigentlich nur einzelne unbewegte Bilder auf die Leinwand projiziert werden, die allerdings in einer so hohen Frequenz aufeinander folgen, dass der Wahrnehmungseindruck von Bewegung entsteht. Wenn man sich also ausschließlich auf die im strengen Sinne physischen Eigenschaften des Leinwand- oder Bildschirmgeschehens bezieht, dann kann man eigentlich gar nicht von einem Bewegungsbild sprechen, da Bewegung auf dieser Beschreibungsebene gar keine Eigenschaft der Bilder ist. Denn auf der rein physischen Ebene gibt es keine Bewegung auf der Leinwand – bestenfalls kann das aufeinanderfolgende Erscheinen der Einzelbilder und die kurze Dunkelheit dazwischen als eine Art der (diskreten) Veränderung aufgefasst werden, die aber gerade nicht der wahrgenommenen (kontinuierlichen) Bewegung entspricht. Eine Fixierung auf ‚Vorgänge, die sich mit physikalischen Begriffen beschreiben lassen‘¹¹ schließt also gerade eine entscheidende Eigenschaft
Vgl. Paech 2006, S. 92. Paech fordert die Beschreibung des kinematographischen Bewe-
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filmischer Bilder aus: die Bewegung. Bewegung lässt sich als Eigenschaft dessen beschreiben, was zur Zeit der Aufnahme vor der Kamera stand, oder auch als im Film wahrgenommene Eigenschaft – aber nicht als Eigenschaft des physischen Bildes, das auf die Leinwand projiziert wird. Aus diesem Status der Bewegung im Film ist die Konsequenz gezogen worden, dass das Bewegungsbild im Unterschied zum statischen Bild ein „imaginäres Vorstellungsbild“ ist. So schreibt Gertrud Koch: „Bilder lassen sich für den Film in zwei Ordnungen bringen: Es gibt die stehenden Bilder, ‚frames‘, ‚stills‘, ‚Stehkader‘, jene einzelnen Fotografien also, die erst während ihres Transports durch den Projektionsapparat als bewegte gesehen werden. Bewegungsbilder und Standbilder stehen in einem paradoxen Verhältnis zueinander: Während das faktische Einzelbild als solches nicht mehr mit bloßem Auge sichtbar ist, wenn der Film läuft, muss umgekehrt das Bewegungsbild als ein imaginäres Vorstellungsbild gedacht werden, dass sich als solches im mentalen Prozess der Wahrnehmung konstituiert.“ (Koch 2006, S. 345). Unter dieser Voraussetzung, die an das in Kapitel 2.1.3 erläuterte kognitivistisch-konstruktivistische Modell anknüpft, ergibt sich im Vergleich zu materiell fixierten (weil unbewegten) Bildern ein ganz anderer ontologischer Status für das Bewegungsbild: Das Bewegungsbild existiert dieser Auffassung zufolge nur mental, zumal der Wahrnehmung von Bewegung keine reale Bewegung im physischen Bild entspricht. Aus dem (nach Koch) „paradoxen Verhältnis“, dass die „stehenden Einzelbilder“ als solche auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm nicht sichtbar sind, während die wahrgenommene Bewegung physikalisch auf der Leinwand nicht vorhanden ist, wird dann auf einen illusionären Charakter der filmischen Bewegung geschlossen. Dieser Schluss wird durch die in Kapitel 2.2 beschriebene Logik des Illusionsbegriffs nahegelegt: „Illusionen gibt es nur dann, wenn Phänomene als Erscheinungen von etwas anderem behandelt werden und wenn bekannt ist, wie dieses andere wirklich und eigentlich ist. Von Illusionen lässt sich in der Tat nur dann sinnvoll sprechen, wenn man nicht davor zurückschreckt, das problematische Wort eigentlich zu verwenden; wenn man bereit ist, wie ein Kommissar die Phä-
gungsbildes „dort […], wo es erscheint, auf der Leinwand des Kinos (zum Beispiel)“, geht aber nicht auf das Problem ein, dass die Bewegung ja gerade dort nicht vorhanden ist. Er vertritt dagegen eine realistische Auffassung der Bewegung: „[E]s handelt sich um Erscheinungen unserer modernen Medienrealität, die nicht erst gesehen werden müssen, damit es sie gibt, sondern die es gibt, damit sie gesehen werden können.“ – „Das kinematographische Bewegungsbild ist technisch-apparativ generiert und tritt in einer genau definierten dispositiven Struktur in Erscheinung, die erstens einen Film und zweitens dessen Projektion auf drittens eine Fläche voraussetzt, wo sich das Bewegungsbild als Ergebnis einer technisch-apparativen Disposition manifestiert.“ (Ebd.) – Die Wahrnehmung spielt bei Paech folglich keine Rolle.
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nomene unter Verdacht zu stellen, nämlich unter den Verdacht, dass sie eigentlich anders sind, als sie zu sein scheinen“ (Wiesing 2013, S. 59). Das Wissen darum, dass „eigentlich“ nur (statische) Einzelbilder in schneller Abfolge zu sehen sind, verändert nun in keiner Weise die Wahrnehmung von Bewegung im Film. Daher wird Bewegungswahrnehmung im Film als (perzeptive) Illusion gedeutet. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen physischem Bild und Bildobjekt stellen sich die Verhältnisse allerdings anders dar. Der Eindruck von Bewegung kann nur dann als Illusion gelten, wenn das physische Bild der Maßstab für das Wahrzunehmende ist. Wenn aber die Wahrnehmung auf das Bildobjekt gerichtet ist (wie es auch tatsächlich normalerweise der Fall ist), dann wird die Bewegung als Eigenschaft des Bildobjekts wahrgenommen. Und diese Wahrnehmung ist keine Illusion, weil das Bildobjekt keine Illusion ist. Die Alternative zur Annahme einer illusionären Bewegung besteht also darin, Bewegung als Eigenschaft der intentionalen Objekte der Wahrnehmung aufzufassen. Paradox wäre Bewegung im Film nur dann, wenn sie als Eigenschaft des physischen Bildes auf der Leinwand aufgefasst würde. Doch es ist generell nicht sinnvoll, die Eigenschaften der wahrgenommenen Bildobjekte als Eigenschaften des physischen Bildes zu deuten. In dieser Hinsicht verhält sich die filmische Bewegungswahrnehmung nicht grundsätzlich anders als die Wahrnehmung beispielsweise von Räumlichkeit und Tiefe auf einem flachen Bildträger. Auch diese Eigenschaften des wahrgenommenen Bildes müssten paradox erscheinen, wenn das zweidimensionale Bild als Maßstab eingeführt würde. An dieser Analogie wird im Übrigen deutlich, dass es sich bei vermeintlich illusionären Wahrnehmungseindrücken dieser Art nicht um spezifische Eigenarten des Films handelt. Auch statische Bilder rufen ähnlich gelagerte Eindrücke mit spezifischen Mitteln hervor, etwa in zentralperspektivischen Darstellungen. Die Wahrnehmung weicht von der rein physikalischen Beschreibung des Bildes ab. Kehren wir noch für einen Moment zur Entgegensetzung von filmischer Bewegungswahrnehmung und statischen Einzelbildern zurück. Muss man nicht wenigstens im Hinblick auf dieses Verhältnis von einem illusionären Charakter der Bewegung sprechen? Die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Bewegungswahrnehmung in Bezug auf das physische Bild um eine Illusion handelt oder nicht, ist letztendlich eine Sache der Wahrnehmungspsychologie. So kann aus der Tatsache, dass die technische Grundlage für die Reproduktion von Bewegung in der Wahrnehmung aus einer Menge Einzelbildern auf einem Filmstreifen oder auf der Leinwand besteht, geschlossen werden, dass es sich bei der Bewegung im filmischen Bild um eine optische Illusion handelt.¹² Daher kann die
Vgl. die Unterscheidung zwischen physikalischen und optischen Illusionen (Fish 2009,
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im Film wahrgenommene Bewegung in Bezug auf den physischen Bildträger psychologisch durchaus als Illusion beschrieben werden. Ein Kriterium für den Illusionscharakter könnte etwa darin bestehen, dass die Prinzipien, mit denen ‚künstlich‘ reproduzierte Wahrnehmungen erklärt werden können, von denjenigen Prinzipien abweichen, mit denen die normale Wahrnehmung erklärt wird. Dieser Punkt kann anhand von Gregory Curries kognitivistischer Kritik an der illusionären Auffassung der filmischen Bewegungswahrnehmung verdeutlicht werden. Currie argumentiert dafür, dass Bewegung im Film tatsächlich real sei, weshalb deren Wahrnehmung keine Illusion sein kann.¹³ Zur Begründung stellt er u. a. eine Analogie zur Wahrnehmung von Farben her, sofern sie als sekundäre Qualitäten gelten; einen ähnlichen Vergleich zieht Currie zur Wahrnehmung von Tonaufnahmen. Farben im Sinne sekundärer Qualitäten gelten als real, obwohl ihre qualitativen Bestimmungen ausschließlich in der Wahrnehmung und nicht in physikalischen Beschreibungen gegeben sind. In einem analogen Verhältnis steht Currie zufolge die Bewegung im Film zu ihrer Wahrnehmung, weshalb auch die Bewegung im Film als real gelten muss. Doch diese Begründung Curries ist für sich genommen nicht ausreichend, um einen realen Status der Bewegung im Film zu begründen. Darüber hinaus wäre zu zeigen, dass die filmische Bewegungswahrnehmung im Prinzip genauso wie die Wahrnehmung von ‚echter‘ Bewegung funktioniert. Denn technische Reproduktionen von Farben und Klängen gelten als ‚reale‘ Farben und Klänge, weil die entsprechenden Wahrnehmungen (in gewissen Grenzen) durch dieselben Prinzipien erklärt werden, durch die auch Wahrnehmungen von nicht-reproduzierten Farben und Klängen erklärt werden. Ob dagegen die Bewegungswahrnehmung im Film anhand derselben Prinzipien erklärt werden kann wie die Wahrnehmung von ‚echter‘ Bewegung, ist in der Forschung nicht eindeutig entschieden.¹⁴ Es liegt insofern durchaus Nahe, die in der Filmtechnik reproduzierte Bewegungswahrnehmung nicht im Sinne von sekundären Qualitäten zu deuten, denn ihre psy-
S. 147 ff.): Der geknickte Stock ist eine physikalische Illusion, weil es eine physikalische Erklärung dafür gibt, nämlich die Brechung der Lichtstrahlen beim Übergang von einem Medium in ein anderes; diese Illusionen können fotografiert werden, wie Fish (2009, S. 149) bemerkt. Perspektivische Täuschungen, die Müller-Lyer-Illusion und ähnliche Phänomene sind dagegen optische Täuschungen, die nicht alleine durch physikalische Eigenschaften der wahrgenommenen Gegenstände erklärt werden können, da die Bedingungen der Wahrnehmung in die Erklärung einbezogen werden müssen. Vgl. Currie 1995, S. 34– 42. Vgl. zu dieser Frage der wahrnehmungspsychologischen Forschung den Abschnitt „Recent Findings“ in Anderson/Anderson 1993 sowie Bruce/Green/Georgeson 2003.
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chologische Erklärung könnte auf Prinzipien verweisen, die von der Erklärung normaler Bewegungswahrnehmung abweichen.¹⁵ Sofern wir allerdings die Bewegung als Eigenschaft des Bildobjekts wahrnehmen, ist es falsch und irreführend, von einer Illusion zu sprechen. Denn in diesem Fall beziehen wir uns nicht auf das physische Bild auf der Leinwand oder auf die Einzelbilder, die physisch auf dem Filmstreifen oder digital codiert auf dem Datenträger vorliegen, sondern auf die intentionalen Objekte der Wahrnehmung. Die artifiziell präsenten Objekte im Film bewegen sich, genau wie der filmische Raum eine Tiefe hat und die Objekte im Bild ein Volumen haben, obwohl diese Eigenschaften nicht den Eigenschaften des physischen Bildes entsprechen.
3.2.1 Partielle und projektive Illusion Das diskutierte Problem der Bewegung im filmischen Bewegungsbild ist ein Spezialfall einer allgemeineren Problematik, die die Wahrnehmung von Bildobjekten überhaupt betrifft. Denn die wahrgenommenen Eigenschaften der Bildobjekte stehen natürlich in überwältigend vielen Hinsichten den Eigenschaften des physischen Bildes entgegen. Wenn nach der Konstitution des Bildobjekts gefragt wird, dann wird eine Erklärung dafür gesucht, „wie die Wahrnehmung einer materiellen Sache ein bestimmtes intentionales Bewußtsein erzeugt – und das heißt, es geht darum, wie aus Vorgängen, die sich mit physikalischen Begriffen beschreiben lassen, Phänomene werden, die keine physikalische Eigenschaften haben.“ (Wiesing 2005, S. 52). In welcher Beziehung stehen die Eigenschaften, die der physischen Realisierung des Bildes zuzuschreiben sind, zu dem Bildobjekt und dessen Eigenschaften? Eine filmtheoretische Antwort auf diese Frage hat Rudolf Arnheim in seinem Buch Film als Kunst von 1932 vorgelegt.
Gertrud Koch geht dagegen von einer gleichartigen Erklärung sowohl der filmischen als auch der normalen Bewegungswahrnehmung aus und zieht daraus den umgekehrten Schluss: Dass nämlich auch die normale Bewegungswahrnehmung von illusionärer Art sei. „Ob die stationären Bilder auf unserer Netzhaut von Objekten in der Umwelt kommen oder von der Leinwand, ist dabei unerheblich. Bewegung sehen wir immer nur als Schein einer Bewegung, die wir aus den rhythmisierten Netzhautbildern entnehmen.“ (Koch 2016, S. 38). Daraus soll allerdings kein Skeptizismus folgen, sondern vielmehr ein Grund für das „konstruktive Moment der Erzeugung von Schein“ (ebd.). Problematisch daran ist die begriffliche Einebnung der Unterscheidung zwischen illusionärer und nicht-illusionärer Bewegungswahrnehmung; wenn es keine nicht-illusionäre Bewegungswahrnehmung gibt, dann leistet die Charakterisierung als ‚illusionär‘ nichts mehr (sofern man nicht von einem wissenschaftlichen Realismus ausgeht, in dessen Rahmen die ‚normale‘ Wahrnehmung durchgängig diskreditiert wird).
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Arnheim erläutert dort, wie aus der Wahrnehmung des Films im Kino die spezifischen Eindrücke bestimmter Objekte und Eigenschaften entstehen. In diesem Zusammenhang führt Arnhein die Konzeption der sogenannten „partiellen Illusion“ ein. Damit meint Arnheim eine ‚vervollständigende‘ Wahrnehmung von Gegenständen in Wahrnehmungssituationen, die von normalen Verhältnissen offensichtlich verschieden sind.¹⁶ Bestimmte Unterschiede zwischen filmischer Darstellung und nicht-filmischer Umgebung werden eindeutig als solche wahrgenommen; aber trotz dieser Wahrnehmung der Unterschiede werden die dargestellten Gegenstände in gewisser Hinsicht als ‚vollständige‘ aufgefasst. So unterliegen Zuschauer beispielsweise der perspektivischen Illusion von Tiefe und allgemein von räumlichen Relationen, die nicht mit der Tatsache der flachen Leinwand zu vereinbaren ist. Außerdem – und das ist für Arnheim der entscheidende Punkt – blenden die Zuschauer durchgehend wahrnehmbare ‚fehlerhafte‘ bzw. störende Elemente erfolgreich aus, wie z. B. die offene „vierte Wand“ im Theater. In eine ganz ähnliche Richtung zielt Richard Allens Konzept einer ‚projektiven Illusion‘. Wenn sich diese Art der Illusion in der Filmerfahrung einstellt, werden die dargestellten Ereignisse und Sachverhalte nicht als inszeniert (staged) und in Szene gesetzt wahrgenommen, sondern gewissermaßen „von innen“, als Teil einer vollständigen (wenn auch fiktiven) Welt. Die Grenze der Leinwand wird im Rahmen der projektiven Illusion zur Grenze eines imaginären Sichtfelds, hinter dem die fiktive Welt weitergeht. Dieser Eindruck wird Allen zufolge u. a. durch die Bewegung der Objekte und der Kamera sowie durch den Filmton unterstützt. Nur dank der projektiven Illusion gibt es ein ‚Off‘, also einen Bereich der räumlichen und (im narrativen Film) zeitlichen Ausdehnung, der über das unmittelbar bildlich Wahrnehmbare hinausgeht. Obwohl bei den Zuschauern ein klares Medienbewusstsein, d. h. ein Bewusstsein für den bildlichen und eventuell fiktionalen Status des Films besteht, erweitert die projektive Illusion das Wahrgenommene zur Größenordnung einer imaginären durchgängig realisierten Welt. Arnheims partielle Illusion und Allens projektive Illusion unterscheiden sich von der Illusion als „wissensresistentes Wahrnehmungsbewusstsein“ (Wiesing 2013, S. 56), wie sie zum Beispiel im Hinblick auf die filmische Bewegungswahrnehmung in ihrer Beziehung zum physischen Bild anzunehmen ist. Denn in einer partiellen Illusion hat man Arnheim zufolge „zu einem gewissen Grade den Eindruck wirklichen Lebens“, obwohl dieser Eindruck zugleich sichtbar reduziert ist, da „der Film seiner Naturhaftigkeit aufs Glücklichste entkleidet“ ist (Arnheim 2002, S. 38 f.). Ebenso führt uns die projektive Illusion nach Allen über die
Vgl. Arnheim 2002, S. 37– 41.
3.2 Film und Illusion 2: Bildobjekt und Bewegung im Film
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Grenzen des unmittelbar Wahrgenommenen hinaus zur Erfahrung einer vollständig realisierten Welt – und das bei vollem Bild- bzw. Medienbewusstsein: „You perceive a fully realized though fictional world that has all the perceptual immediacy of our own; you experience the film as a projective illusion.“ (Allen 1995, S. 107). Paradox formuliert lautet die Quintessenz aus diesen Konzeptionen: Man nimmt mehr wahr, als man wahrnimmt. Doch was die genannten Autoren beschreiben, ist nichts anderes als die Konstitution von Bild- und Filmobjekten in der Wahrnehmung: Diese haben radikal andere Eigenschaften als das physische Bild – sie werden unter anderem mit einer räumlichen und zeitlichen Ausdehnung wahrgenommen, die in keinem rationalen Verhältnis zur Ausdehnung der Leinwand und der Länge des Films stehen. Doch dann stellt sich die Frage: Ist die Konstitution des Bildobjekts in der Wahrnehmung selbst eine Illusion?
3.2.2 Ist die Wahrnehmung eines Objekts im Bild eine Illusion? Aus der Interpretation des Bildobjekts als Illusion folgt, dass es in einem Bild nur Formen und Farben gibt; es gibt dagegen keine Bildobjekte, geschweige denn Personen, Handlungen, fiktive Welten oder ähnliches. Die Wahrnehmung von Bildobjekten ist dieser Auffassung zufolge selbst schon illusionär – unabhängig davon, ob das Bildobjekt nun mit einem realen Objekt verwechselt wird oder nicht.¹⁷ Es geht hier also nicht um die Frage, ob das, was im Bild wahrgenommen wird, als real präsent oder als artifiziell präsent wahrgenommen wird, sondern vielmehr um die Frage, ob der Eindruck eines präsenten Objekts selbst eine Täuschung ist. Bilder könnten schließlich auch nur den Anschein einer Anwesenheit von Bildobjekten erwecken, denn eigentlich ist ja nur das physische Bild anwesend. Aus dieser Annahme ergibt sich eine strukturelle Identität zwischen Bild und Illusion.¹⁸ Im Kern geht es hier also um die Frage nach der intentionalen ‚Realität‘ des Bildobjekts: Gibt es Bildobjekte tatsächlich, oder scheint es nur so, als wären in Bildern Objekte präsent?
Es ist diese Art von Illusion, die Ernst H. Gombrich als zentral für die Bildtheorie betrachtet (vgl. Gombrich 1984, S. 188). In der Phänomenologie des Films hat Allan Casebier für einen „realen“ ontologischen Status filmischer Bildobjekte im hier erläuterten Sinne argumentiert (Casebier 1991). Casebiers Ziel besteht darin, die philosophische Filmtheorie an Husserls phänomenologische Bildtheorie anzuschließen. Allerdings beziehen sich die meisten Bemerkungen Casebiers auf ‚statische‘ Kategorien, die keinen spezifischen Zusammenhang zum Film aufweisen.
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Diese Auffassung des Bildobjekts als Illusionsprodukt ist eine implizite Konsequenz aus dem in Kapitel 2.1.3 erläuterten kognitivistisch-konstruktivistischen Modell der Wahrnehmung, demzufolge auf einem Bild doch ‚eigentlich‘ nur Farben, Linien, Kontraste und dergleichen gegeben sind, aber keine Objekte (geschweige denn Bildobjekte, die zu allem Überfluss auch noch den physischen Eigenschaften des Bildes widerstreiten). Der Verweis auf die artifizielle Präsenz des Bildobjekts und auf den Widerstreit zwischen der Wahrnehmung von Bildobjekt und physischem Bild scheint diese Illusionsauffassung nicht zu widerlegen. Die entsprechenden Erläuterungen aus Kapitel 2.2.1 zeigen lediglich, dass wir Bildobjekte und real präsente Objekte bereits in der Wahrnehmung klar unterscheiden können. Offen bleibt aber, ob es gute Gründe für die Annahme gibt, dass es das, was wir in Bildern wahrnehmen, in irgendeinem überzeugenden Sinne tatsächlich gibt. Anders gefragt: Ist der Umstand, dass wir in der Wahrnehmung von Bildern noch etwas anderes als das eigentlich reale physische Bild sehen, eine vom Bildschöpfer gezielt ausgenutzte Täuschung? Wenn man diese Frage bejaht, dann leugnet man die intentionale Realität von Bildobjekten. Diese Position könnte man als bildtheoretischen Skeptizismus bezeichnen; es wäre eine spezielle Variante des radikalen wahrnehmungstheoretischen Skeptizismus, der die Realität aller Objekte der Wahrnehmung leugnet. Denn in letzter Konsequenz kann die erläuterte Auffassung auch auf die Wahrnehmung von Objekten im Allgemeinen übertragen werden: ‚Eigentlich‘ gibt es überhaupt nur Farben, Umrisse, Kontraste – aber keine Objekte, die lediglich Konstruktionen der Wahrnehmung und entsprechender kognitiver Verarbeitungen sind.¹⁹ Wäre das Erkennen von Objekten in Bildern eine solche Illusion, dann wäre uns in der Wahrnehmung von Bildobjekten nicht das gegeben, was wir als eigentlich real anerkennen. Bildwahrnehmung wäre folglich eine Art fehlgeleitete Ausübung der entsprechenden Wahrnehmungsfähigkeiten – eine eigenartige Mutation unseres Wahrnehmungsapparates, die in der Bildproduktion ausgenutzt wird. Doch diese skeptizistische Position wird den Verhältnissen der Bildwahrnehmung nicht gerecht. Ähnlich wie der Begriff der Täuschung im radikalen Skeptizismus nur vor dem Hintergrund gelingender Wahrnehmung sinnvoll ist, sollte auch Bildwahrnehmung im Normalfall als gelingende Manifestation der allgemeinen Fähigkeiten zur Objekterkenntnis gelten.²⁰ Schließlich werden Objekte in Bildern aufgrund derselben Fähigkeiten erkannt, die das Erkennen von Objekten überhaupt ermöglichen: „When we see a picture, including a moving
Vgl. in diesem Zusammenhang Strawson 2002. Vgl. zu diesem Punkt Malcolm Turveys Kritik am radikalen Skeptizismus in Kapitel 1.5.
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picture […], the same recognitional processes are thrown in gear as when we see that kind of thing ‚in the wild.‘“²¹ Die Wahrnehmung von Bildobjekten ist insofern keine tiefgreifende Abweichung von den normalen Verhältnissen. Zwar sind die Objekte, die in Bildern wahrgenommen werden, von ganz besonderer Art – sie sind im Gegensatz zu anderen Objekten artifiziell präsent; doch diesen einzigartigen Status haben sie gerade deshalb, weil die Wahrnehmung hier so funktioniert, wie sie funktionieren soll. Von einer misslingenden Ausübung der Wahrnehmungsfähigkeiten sollte bei Bildern beispielsweise dann gesprochen werden, wenn Bildobjekte fälschlicherweise für reale Objekte gehalten werden. Hier hat man es mit einer Täuschung zu tun, zugleich würde damit aber das Bildbewusstsein aussetzen, wie in Kapitel 2.2 erläutert. Die Betrachter erkennen normalerweise Objekte in Bildern als Bildobjekte, nicht als reale Objekte. Es gibt daher keinen Grund, die Wahrnehmung von Objekten in Bildern zu diskreditieren, denn hier manifestieren sich erfolgreich die allgemeinen Wahrnehmungsfähigkeiten der Objekterkenntnis. Entscheidend für eine angemessene Charakterisierung der Wahrnehmungsfähigkeiten ist im Übrigen die Abkehr von kognitivistisch-konstruktivistischen Modellen der Wahrnehmung, die ihren Ausgangspunkt von den ‚gegebenen sinnlichen Daten‘ des physischen Bildes nehmen. Mit einer derartigen analytischreduktionistischen Einstellung sind paradoxe Verhältnisse zwischen physischer Beschreibung und Wahrnehmung bereits vorprogrammiert. Illusionsphänomene ergeben sich so schon aus den vorausgesetzten Annahmen, nicht erst aus der Betrachtung der Phänomene. Die phänomenologische Auffassung der Wahrnehmung kann dagegen ‚Erweiterungen‘ der Bildobjekte über das (scheinbar) nur bruchstückhaft sinnlich Gegebene hinaus angemessen erklären, ohne sie auf Illusionen zu reduzieren. Die Bildobjekte der Wahrnehmung sind genau so präsent, wie sie wahrgenommen werden – aus der vermeintlichen Diskrepanz von sinnlich zugänglichen ‚Daten‘ und dem tatsächlichen Wahrnehmungseindruck ergibt sich keine Paradoxie. Nicht der intentionale Status der Bildobjekte ist fragwürdig und ‚illusionär‘, sondern umgekehrt: Die Reduzierung der Wahrnehmungsgrundlage
Carroll 2008, S. 109. Die Auslassung im Zitat („…of something with which we are already familiar…“) verdankt sich dem Umstand, dass Carroll eine prinzipielle Vertrautheit mit den im Film erkannten Objekten voraussetzt, was mir bei weitem zu stark erscheint. – Generell werden in Carrolls Argumentation einige Punkte vermischt, die es zu differenzieren gilt: Beispielsweise diskutiert er die Position, dass die Wahrnehmung von Objekten in Bildern auf die allgemeinen Fähigkeiten der Objekterkenntnis zurückgehen vor dem Hintergrund der Frage danach, ob die Wahrnehmungsfähigkeiten „natürlich“ sind oder erlernt werden müssen. Eine differenziertere Diskussion des Zusammenhangs von Wahrnehmungsfähigkeiten und (Bild‐)Objekterkenntnis findet sich in Scholz 2004.
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auf die sinnlichen Konstruktionselemente, wie sie in kognitivistisch-konstruktivistisch orientierten Beschreibungen angenommen wird, ist eine Abstraktion, die sich aus sehr speziellen und fragwürdigen Voraussetzungen ergibt.²² In Bezug auf die Wahrnehmungsfähigkeiten kann schließlich auch ein Unterschied zwischen der Wahrnehmung des Bildobjekts und der Bewegungswahrnehmung im Film markiert werden. Denn ob die letztere im Unterschied zur ersteren in Bezug auf das physische Bild (!) als Illusion bezeichnet werden kann, ist eine Frage der wahrnehmungspsychologischen Erklärung (s.o.). Es könnte sich herausstellen, dass sich die wahrnehmungspsychologische Erklärung der filmischen Bewegungswahrnehmung auf besondere Effekte berufen muss, die für die Erklärung der normalen Bewegungswahrnehmung keine Rolle spielen. Wenn die Fähigkeit zur Bewegungswahrnehmung im Film folglich nicht der allgemeinen Fähigkeit der Bewegungswahrnehmung entsprechen sollte, dann handelt es sich um eine Illusion. Die Wahrnehmung von Objekten im Bild kann hingegen als Manifestation allgemeiner Wahrnehmungsfähigkeiten angesehen werden. Daher liegt es durchaus nahe, den Vorgang der filmischen Bewegungswahrnehmung in Bezug auf das physische Bild als Illusion zu bezeichnen, während die Wahrnehmung von Objekten und ihren Eigenschaften in Bildern keine Illusion ist. Zwischen den Polen der Wahrnehmung und der Illusion gibt es übrigens noch eine weitere Möglichkeit, die Auffassung des Bildobjekts im Bild zu charakterisieren: als Einbildung oder Imagination. Eine Einbildung ist keine perzeptive Illusion, weil sie nicht aus einer fehlgeleiteten Wahrnehmung hervorgeht; sie ist überhaupt keine Wahrnehmung, sondern ein aktives Produkt der Vorstellung. Die Charakterisierung einer Vorstellung als ‚imaginär‘ entspricht zugleich auch ihrer Lokalisierung ‚außerhalb‘ der Wahrnehmung. Ich kann mir absichtlich einbilden, dass ich jetzt gerade schwerelos im All schwebe; dabei handelt es sich weder um eine Illusion, noch um eine Wahrnehmung. Die Auffassung des Bildobjekts als Produkt der Einbildung entspricht der bildtheoretischen Position von Jean-Paul Sartre. Sartre wendet sich damit gegen Husserls Position, der die Auffassung des Bildobjekts als Wahrnehmung erklärt. Doch Sartres Deutung kann nicht erklären, wie und warum sich verschiedene Betrachter dasselbe Bildobjekt einbilden. Die Phänomenologie im Anschluss an Husserl spricht dem Bildobjekt dagegen ein objektives Dasein zu, d. h. das Bildobjekt ist im Bild und nicht nur im Geiste des Betrachters – auch wenn es unter den Bedingungen der Wahrnehmung steht. Das
Es ist übrigens gerade Rudolf Arnheim, der in vielen seiner Schriften die phänomenologischen Einflüsse auf die Wahrnehmungspsychologie aufgenommen und gestärkt hat. In diesem Zusammenhang erweist sich seine Terminologie der ‚partiellen Illusion‘ im Angesicht seiner (späteren) kunst- und wahrnehmungspsychologischen Reflexionen als nicht mehr konsequent.
3.2 Film und Illusion 2: Bildobjekt und Bewegung im Film
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intentionale Objekt der Film- und Bildwahrnehmung ist nicht weniger real als die physikalische Realität. „In der Wahrnehmung“ bedeutet daher nicht dasselbe wie „nur in der Vorstellung“: letzteres bezeichnet einen Mangel, eine unselbständige und unwirkliche Einbildung. Die Bildobjekte werden als intentionale Objekte der Wahrnehmung dagegen wirklich wahrgenommen und sind in diesem Sinne auch wirklich.²³ Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Eindruck von Bewegung im Film kann als Illusion gedeutet werden (abhängig von der psychologischen Erklärung), sofern man ihn auf das physische Bild bezieht. Diese Illusion hat aber keine Konsequenzen für den bildlichen Status des Films. Denn selbst wenn der Bewegungseindruck in Bezug auf das physische Bild als Illusion zu beschreiben ist, so folgt daraus nicht, dass die Auffassung von Bewegung als Eigenschaft des Bildobjekts eine Illusion ist.²⁴ Die Wahrnehmungsillusion ist hier lediglich ein technisches Mittel zur Konstitution von Eigenschaften des Bildobjekts. Dies ist möglich und nicht ungewöhnlich, sofern man einsieht, dass tatsächlich Objekte in Bildern präsent sind. Die ‚intentionale Realität‘ der Bildobjekte kann wiederum dadurch erklärt werden, dass bei der Wahrnehmung von Objekten in Bildern dieselben umfassenden Fähigkeiten der Objekterkenntnis zum Zuge kommen wie bei der Wahrnehmung von Objekten überhaupt. Die Wahrnehmung von Bildobjekten ist folglich keine Illusion und keine Einbildung, sondern sie ist objektiv. Dennoch – und dieser Punkt ist von großer Bedeutung für die Bildtheorie – unterscheiden sich Bildobjekte grundsätzlich von denjenigen realen Objekten, die unter bestimmten Umständen von den Bildobjekten abgebildet werden. Der reale Status der Bildobjekte gleicht sie in keiner Weise dem realen Abgebildeten an.
3.2.3 Ästhetische Illusion In diesen Zusammenhang sind ein paar Worte zum Begriff der ästhetischen Illusion angebracht, an dem sich u. a. die filmtheoretischen Arbeiten von Gertrud Koch und Christiane Voss orientieren. Die umfassende Konzeption einer ästhetischen Illusion nach Koch und Voss liegt eigentlich außerhalb des Gegenstandsbereichs der vorliegenden Untersuchung, denn sie wird als kunstphilosophisches Thema ausdrücklich in Abgrenzung von den verschiedenen Konzeptionen epistemischer Illusion entwickelt. Während Illusionen epistemischer Art auf der Differenz zwischen Schein und Sein beruhen, geht es im Feld des
Vgl. Wiesing 2000, S. 43 – 59. Vgl. Lopes 1998, S. 345.
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3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton
Ästhetischen um die Dialektik von Schein und Erscheinung, deren illusionärer Status keine Brechung von Wahrheits- oder Wissensansprüchen impliziert: „Die ästhetische Illusion ist im Gegensatz zur epistemischen kein Phänomen der Täuschung, sondern des Erscheinens. In ihr geht es nicht um die Verhüllung von Sachverhalten, sondern darum, etwas zur Erscheinung zu bringen: das ästhetische Objekt.“ (Koch 2016, S. 9). Doch diese Charakterisierung Kochs passt durchaus in den vorliegenden Kontext der hier dargelegten Argumentation, denn auch hier steht u. a. die Realität ästhetischer Objekte in Frage – analog zum vermeintlich irrealen ‚Schein‘ der Objekte der Wahrnehmung in der Bildbetrachtung. Die Ausgrenzung epistemologischer Skeptizismen durch die Betonung der Autonomie des Ästhetischen gelingt insofern nicht ganz, zumal epistemische Illusionsphänomene in vielerlei Hinsicht eine Grundlage für ästhetische Leistungen bilden. So findet Koch zufolge die Illusionsbildung im Film „sowohl auf der basalen Ebene der Bewegungserzeugung und -wahrnehmung statt wie auch auf der komplexen Ebene einer kohärenten Schließung des Wahrgenommenen zu einem deutbaren Gefüge.“ (Koch 2016, S. 21). In dieser Formulierung wird der Anschluss an die wahrnehmungspsychologische Frage nach der Bewegung im Film sowie an die oben dargestellten Konzeptionen der partiellen und der projektiven Illusionen deutlich. Entscheidend für den spezifisch ästhetischen Charakter der Illusion ist darüber hinaus allerdings auch deren reflexiver Charakter: „Das Illusionsbild ist ein reflexives Bild.“ So wird die Illusion nicht zuletzt im Film immer auch thematisch: Zum Beispiel als Element der Erzählung, als Exemplifikation medialer Eigenschaften oder als Verweis auf die Wechselwirkungen verschiedener Künste untereinander. Es geht daher in einigen der film-künstlerischen Phänomene und Theoriestücke, die Koch in ihren Arbeiten untersucht und analysiert, um eine positive Herausbildung der Illusion als konzentrierter Schnittpunkt der ästhetischen Entwicklungen, die der epistemologischen Negativfigur der Täuschung entgegengehalten wird. Die ästhetische Illusion ist daher nicht auf die bildliche Präsentation von Bildobjekten in einem physischen Bildträger eingeschränkt, sondern sie akzentuiert das übergreifende Merkmal einer konstruktiven Kraft der Hervorbringung ästhetischer Objekte. Diese Figur ist beispielsweise bei der Vergegenwärtigung von Vergangenem in der Fotografie oder eben bei der Erzeugung von autonomen Welten in Filmen zu beobachten. Kochs Konzeption zeigt als Ganze die Relevanz und – so könnte man sagen – Wirklichkeit illusionärer Phänomene auf, die als solche trotz und entgegen der oben ausgeführten klärenden Kritik an epistemologischen Illusionskonzeptionen der Filmwahrnehmung hervorgehoben werden. Illusionen verschiedener Art dienen dann gewissermaßen als künstlerisches Material, in dem sich die „Doppelbödigkeit“ vielfältiger Weltverhältnisse spiegelt. Philosophische Analysen, die
3.3 Der Ton im filmischen Bewegungsbild
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den Anspruch auf ‚illusionäre‘ Bild- und Filmwahrnehmung kritisieren, können der Kunst dieses Material sicherlich nicht streitig machen, auch wenn entsprechende Klärungen zumindest für die anknüpfenden Diskurse interessant und wünschenswert sein dürften. In Bezug auf den Film entgeht Koch übrigens der Gefahr, dass das ästhetische Erscheinen als bloß subjektives und damit irreales Moment der Erfahrung abgewertet werden könnte, und zwar einerseits durch die Kritik des (in analytischen Ansätzen üblichen) einseitigen Maßstabs einer vorfilmischen Realität, andererseits durch die Betonung des reflexiven Moments, das die scheinbare Nichtigkeit des Erscheinens im Subjektiven aufhebt. Für die vorliegende Frage nach dem illusionären Charakter der Bildwahrnehmung ist die erste, kritisch ausgerichtete Wendung von Bedeutung, während die reflexiven Bewegungen hier nicht näher betrachtet werden – zumal es um die begriffliche bzw. ontologische Ordnung der intentionalen Objekte der Wahrnehmung geht, die sich gewissermaßen noch ‚unterhalb‘ der Schwelle des künstlerisch-ästhetischen Bereichs befinden.
3.3 Der Ton im filmischen Bewegungsbild Ein Tonfilm ist kein Stummfilm, der mit Tönen und Worten ausgeschmückt wird, die lediglich dazu bestimmt wären, die kinematographische Illusion zu vervollständigen. Das Band zwischen Ton und Bild ist viel enger, und das Bild wird durch die Nachbarschaft des Tons transformiert. (Merleau-Ponty 2000, S. 76)
Im Tonfilm finden sich neben den rein visuellen Bewegungsbildern und der Schrift ebenso konstitutiv auch gesprochene Sprache, Ton und Musik. Das daraus resultierende Problem für Bildtheorie und Bildwissenschaft bringen Julian Hanich und Malte Hagener prägnant auf den Punkt: „Will die Disziplin der Bildwissenschaft den Film in die große Klasse der Bilder aufnehmen und dabei nicht hinter den aktuellen Stand der Filmtheorie zurückfallen, darf sie nicht allein Bildwissenschaft bleiben.“ Stattdessen müsse sie „immer zugleich auch Sound Studies betreiben“ (Hanich/Hagener 2014, S. 233). Hinter diesem Hinweis auf die Notwendigkeit eines interdisziplinären Zugangs steht die Annahme, dass der Tonfilm aus Elementen besteht, die getrennten Sinnesmodalitäten angehören. Ihre Untersuchung wird daher zwischen den jeweils zuständigen Disziplinen aufgeteilt. Zugleich wird diese Trennung aber als unbefriedigend empfunden, was zu paradoxen Formulierungen veranlasst. Das Problem geht auf die Annahme zurück, dass Bildlichkeit ausschließlich dem Bereich des Sichtbaren zukommt, also nur visuelle Eigenschaften zum Bild zählen. So bezeichnet Lambert Wiesing das Bildobjekt (im Anschluss an Konrad
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3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton
Fiedler) als „reine Sichtbarkeit“ oder „Nursichtbares“ (Wiesing 2005, S. 31 f., vgl. auch S. 69 f.). Diese Charakterisierung begründet er damit, dass die artifizielle Präsenz eines Bildobjekts aus der Isolierung der visuellen Eigenschaften eines Objekts von dessen „materieller Substanz“ entsteht: „Die Sichtbarkeit einer bildlich dargestellten Sache hängt nicht einer Substanz an, welche auch durch andere Sinne wahrgenommen werden könnte. Die Implikation von Präsenz und Substantialität löst sich im Bild auf. Das, was man auf dem Bild sieht, hat keine materielle Substanz. […] Die reine Sichtbarkeit entsteht durch Isolation einer anhängenden Sichtbarkeit und genau so baut sich die entkörperlichte Sichtbarkeit von etwas ohne Anwesenheit auf.“ (Wiesing 2005, S. 32). Die Abwesenheit der „materiellen Substanz“ des Bildobjekts wird hier dadurch erklärt, dass sie nicht durch andere Sinne wahrgenommen werden kann. Das Bildobjekt ist folglich ‚nur sichtbar‘: Es besteht aus reiner Sichtbarkeit – sonst nichts. Diese Charakterisierung passt nun offenbar nicht mehr auf das filmische Bewegungsbild, denn hier können wir die artifiziell präsenten Objekte zumindest auch hören. Wie ist die auditive Wahrnehmung in Bezug auf das filmische Bewegungsbild einzuordnen? – Die Annahme, dass ausschließlich das Sichtbare das Bild zu einem Bild macht, kann sich auf Unterschiede in der Umgangsweise mit auditiven Reproduktionen im Vergleich zu (visuellen) Bildern berufen. So lässt sich beispielsweise der Widerstreit von Bildobjekt und Bildträger nicht analog auf den Bereich von Tonaufnahmen übertragen, wie Stanley Cavell feststellt: [O]n the whole we would be hard put to find it false or paradoxical to say, listening to a record, „That’s an English horn“; there is no trace of temptation to add (as it were, to oneself), „But I know it’s really only a recording.“ (Cavell 1979, S. 18)
Während man bei einer Fotografie von Alfred Hitchcock die Aussage „Das ist Hitchcock“ implizit auf die Aussage einschränkt, dass es sich natürlich nur um ein Bild von Hitchcock handelt, erscheint Cavell zufolge eine ähnliche Einschränkung in Bezug auf Tonaufnahmen nicht geläufig. Diese Beobachtung spielte schon in der Zeit des Übergangs vom Stummfilm zum Tonfilm eine argumentative Rolle. So fasst Rudolf Arnheim den Punkt, den Cavell anspricht, vor dem Hintergrund der Frage nach dem ästhetischen Wert des Tons im Film folgendermaßen zusammen: Ein Argument nämlich war es vor allen andern, das in sehr eleganter Form zu beweisen schien, der von den Technikern eroberte Ton sei ästhetisch unverwendbar. Man sagte nämlich: Das auf die Leinwand geworfene Bild ist Schein; Scheinmenschen öffnen da den Mund – die Stimme aber, die aus diesem Mund dringen soll und die der Lautsprecher produziert, ist nicht Schein sondern eine wirkliche Stimme. Denn von Tönen kann es keine
3.3 Der Ton im filmischen Bewegungsbild
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Scheinbilder geben! Schein und Wirklichkeit aber können sich niemals zu einem geschlossenen Kunstwerk zusammenfinden. (Arnheim 2002, S. 220)
Ähnlich formuliert es Balázs unter der Überschrift „Der Ton wird nicht dargestellt“: Denn auf der Leinwand erscheint wohl das Bild des Schauspielers, aber nicht das Bild seiner Stimme, sondern die Stimme selbst. Diese ist nicht dargestellt, sondern wieder hergestellt. Sie kann etwas verändert klingen, sie hat aber dieselbe Realität. (Balázs 2001b, S. 123)
Doch warum ist ein aus dem Lautsprecher ertönender Klang eine „wirkliche Stimme“? Cavell sieht einen Grund für den nicht-bildlichen Charakter von Tonaufnahmen darin, dass hörbare Äußerungen von Objekten häufig ganz selbstverständlich von der (sichtbaren und räumlichen) Anwesenheit dieser Objekte getrennt sind – ganz unabhängig davon, ob es sich um eine Reproduktion des Hörbaren handelt oder nicht. Es entspricht völlig der Gewohnheit, dass wir einen auditiven Zugang zu Objekten haben, die nicht ‚bei uns‘, d. h. nicht präsent sind. Dasselbe gilt aber nicht für den Bereich des Sichtbaren. Sichtbarkeit ohne (räumliche) Anwesenheit ist überhaupt nur in Bezug auf Bilder (oder Träume) denkbar: Is the difference between auditory and visual transcription a function of the fact that we are fully accustomed to hearing things that are invisible, not present to us, not present with us? We would be in trouble if we weren’t so accustomed, because it is the nature of hearing that what is heard comes from someplace, whereas what you can see you can look at. It is why sounds are warnings, or calls; it is why our access to another world is normally through voices from it; and why a man can be spoken to by God and survive, but not if he sees God, in which case he is no longer in this world.Whereas we are not accustomed to seeing things that are invisible, or not present to us, not present with us; or we are not accustomed to acknowledging that we do (except for dreams). Yet this seems, ontologically, to be what is happening when we look at a photograph: we see things that are not present. (Cavell 1979, S. 18)
Während wir also in Fotografien (und man sollte ergänzen: in allen Bildern) auf ungewöhnliche Weise Dinge sehen, die nicht da sind, ist es keinesfalls ungewöhnlich, etwas zu hören, was entfernt, also nicht da ist. Aus diesem Grund kann das Konzept der artifiziellen Präsenz nicht unmittelbar auf den Bereich des Hörbaren angewandt werden. Zum Aufzeigen der artifiziellen Präsenz visueller Bilder genügt es, auf die Präsenz eines Objekts zu verweisen, das zugleich auf eine bestimmte Art abwesend oder nicht ‚real‘ anwesend ist. Für den Bereich des Hörbaren ist eine solche Abwesenheit dagegen prinzipiell auch unabhängig von einer Abbildung denkbar. Cavell verfolgt diesen Unterschied in Bezug auf das
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Verhältnis von Klängen (sounds) und ‚Sichten‘ (sights) oder Ansichten (views) weiter: We said that the record reproduces its sound, but we cannot say that a photograph reproduces a sight (or a look, or an appearance). […] A sight is an object […]; and what you see, when you sight something, is an object—anyway, not the sight of an object. […] What is missing is not a word, but, so to speak, something in nature—the fact that objects don’t make sights, or have sights. I feel like saying: Objects are too close to their sights to give them up for reproducing; in order to reproduce the sights they (as it were) make, you have to reproduce them—make a mold, or take an impression. (Cavell 1979, S. 19 – 20)
Während Klänge Äußerungen eines Objekts sind – Objekte machen Geräusche – wird das Aussehen eines Objekts nicht wie dessen Äußerung aufgefasst, sondern vielmehr als das Objekt selbst. Folglich erscheint eine visuell-bildliche Reproduktion des Aussehens zugleich wie eine Reproduktion des Objekts selbst. Dieser Zusammenhang ist es, der Bildobjekte ermöglicht, während es dagegen keine ‚auditiven Objekte‘ mit vergleichbarem Status gibt. Rudolf Arnheim stellt in diesem Zusammenhang fest: „Licht gibt uns ‚die Dinge selbst‘, während Schall uns nur (permanente oder gelegentliche) Äußerungen der Dinge gibt.“ (Arnheim 2002, S. 204). Der Ton konstituiert keine (Bild‐)Objekte, sondern bestimmt nur deren Eigenschaften. Selbst, wenn wir ein Geräusch hören und damit die Vorstellung eines Objekts verbinden, schließen wir dabei gewissermaßen auf die Ursache des Geräuschs. Somit kann der Ton Objekte implizieren, bis hin zu dem Grenzphänomen, dass der Zuschauer auf der Basis der auditiven Erfahrung etwas im Bild wahrzunehmen glaubt, was tatsächlich visuell nicht im Film enthalten ist. Dennoch entstehen daraus keine intentionalen Objekte der Wahrnehmung, sondern nur Äußerungen von solchen Objekten. Es folgt, dass nur das Visuelle allgemein konstitutiv für Objekte ist, während Objekte in ihrer artifiziellen Präsenz das entscheidende Element des Bildlichen sind. Dem Visuellen kommt demnach eine grundlegende Funktion im Film zu. Der Grund für die Annahme, dass auditive Eigenschaften keine bildlichen Eigenschaften sein können, liegt also schlussendlich darin, dass visuelle Eigenschaften zur Konstitution von Objekten beitragen, während auditive Eigenschaften nur Eigenschaften dieser Objekte bestimmen (vergleichbar mit der Eigenschaft der Bewegung). ²⁵
In mindestens einer Hinsicht gilt diese Feststellung aber meiner Meinung nach nicht uneingeschränkt: Die menschliche Stimme kann eine Art artifizieller Präsenz von Personen konstituieren.Wäre das nicht so, könnte es keine Hörspiele geben. Ob das stimmt und was der Grund dafür ist müsste allerdings ausführlich untersucht werden, was im vorliegenden Zusammenhang zu weit führen würde.
3.3 Der Ton im filmischen Bewegungsbild
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Zählt daher ausschließlich das Visuelle zum Bildobjekt? Das wäre der Fall, wenn das Auditive das rein sichtbare Bildobjekt bestenfalls ergänzen oder äußerlich modifizieren würde – ähnlich wie beispielsweise durch äußere Kontexte die Bedeutung eines Bildes modifiziert wird, während der wesentliche (rein sichtbare) Gehalt des Bildes identisch bleibt.²⁶ Doch es ist natürlich nicht nur dasjenige zum Bild zu zählen, was Bildobjekte konstituiert, sondern auch das, was die Eigenschaften der Bildobjekte konstituiert. Selbst wenn artifizielle Präsenz sich ausschließlich auf visuell konstituierte Objekte bezieht und daher Bildlichkeit wesentlich durch die visuelle Erscheinungsweise der Objekte bestimmt ist, so sind doch zugleich die Objekte nicht von ihren Eigenschaften zu trennen. Denn die sichtbaren Objekte und ihre klanglichen Äußerungen werden als Einheit wahrgenommen, sofern das Auditive als Eigenschaft der Objekte auftritt. Entscheidend ist: Das Bildobjekt ist wie jedes andere Objekt nicht in jeder Hinsicht unabhängig von seinen Eigenschaften; es kann im äußersten Falle sogar durch sie ‚transformiert‘ werden. Die Geräusche, die ein Objekt macht, beeinflussen, mit welchen Eigenschaften wir dieses Objekt wahrnehmen; der Klang einer Stimme hat einen Einfluss darauf, wie wir die sprechende Person wahrnehmen – und schließlich auch darauf, wer diese Person ist. Durch den Ton im Film werden nicht nur Eigenschaften zu den immer gleichbleibenden Bildobjekten hinzugefügt, sondern es entstehen neue Objekte, die ohne ihre Geräusche und Stimmen ganz andere wären.²⁷ Entsprechend fällt auch schon Béla Balázs’ Forderung am Übergang vom Stumm- zum Tonfilm aus: Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hans Wulffs Diskussion der Schwarzbilder im Film, in der die Fixierung auf die Visualität des Bildbegriffs zur Paradoxie führt: „Schwarz ist noch kein Bild, obwohl wir die Stimmen schon hören; und Schwarz kann doch Bild sein, wenn es zeigt, dass man gerade nichts sehen kann.“ (Wulff 2013, S. 6). Auch die Einheit der Wahrnehmung von Visuellem und Auditivem im Film und die damit verbundene Bestimmung des im Bild Präsenten ist als Illusion bezeichnet worden: „[…] audiovisual illusion, an illusion located first and foremost in the heart of the most important of relations between sound and image […]: what we shall call added value. By added value I mean the expressive and informative value with which a sound enriches a given image so as to create the definite impression, in the immediate or remembered experience one has of it, that this information or expression ‚naturally‘ comes from what is seen, and is already contained in the image itself.“ (Chion 1994, S. 5). Die ‚audiovisuelle‘ Illusion besteht also darin, dass die auditiven Bestimmungen der Bildobjekts fälschlicherweise dem rein Visuellen zugeschrieben werden. Unabhängig von der Illusions-Terminologie vertritt Michel Chion im Übrigen eine Position, an die meine Bemerkungen gut anschließen können: „The fact that there is no soundtrack means you cannot study a film’s sound independently of the image – nor, consequently, can you do the contrary: you cannot study a film’s ‚image‘ by itself.“ Chion 2009, S. xi.Vgl. neben Chions Position auch Kulvicki 2006 und Abell 2009.
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3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton
Die Forderung ist, eine neue Sphäre des Erlebens zu erschließen. Wir verlangen noch keine technische Vollendung der Darstellung, aber bereits den neuen Gegenstand der Darstellung. […] [E]ine neue Entdeckung in der Kunst ent-deckt etwas, was bislang ver-deckt gewesen ist. Verdeckt vor unseren Augen. Oder vor unseren Ohren. (Balázs 2001b, S. 114)
Ein Bildobjekt besteht folglich nicht nur aus den visuellen Bestimmungen, die ihm seinen bildlichen Status verleihen, sondern aus den vielfältigen und komplexen Bestimmungen, die es zu diesem konkreten Objekt machen. In diesem Sinne tragen auditive Eigenschaften zwar nicht unmittelbar zum bildlichen Status der Objekte bei, bestimmen aber die konkreten Eigenschaften der Objekte. Darüber hinaus belässt der Ton den bildlichen Kern nicht so, wie er im stummen, rein Sichtbaren wäre, sondern bringt Bildobjekte eigener Art hervor – in Wechselwirkung mit dem Visuellen. Es findet eine Transformation des Bildobjekts statt. Eine theoretische Trennung auditiver Eigenschaften von den konkreten Bildobjekten entlang dem Kriterium der Bildlichkeit wäre daher künstlich. Doch die Möglichkeiten des Filmtons beschränken sich bei Weitem nicht darauf, Eigenschaften von Filmobjekten zu präsentieren. Vielmehr können mit Geräuschen, Klangqualitäten und insbesondere mit (nicht-diegetischer) Musik auch Aspekte der Präsentation realisiert werden, die den Sinn des Bildes bestimmen. Gerade mit dem Ton können effektiv beispielsweise Stimmungen, Gefühlsqualitäten und Spannung erzeugt werden, so dass die Bildobjekte auf eine ganz bestimmte Art und Weise erscheinen. All diese Eigenschaften kommen dann nicht unmittelbar den Bildobjekten zu, sondern bestimmen die Aspekte, unter denen die Bildobjekte wahrgenommen werden.²⁸ Zusammenfassend kann mit guten Gründen davon ausgegangen werden, dass im filmischen Bewegungsbild auch auditive Eigenschaften zum Bereich des Bildlichen zu zählen sind. Eine Trennung in bildliche und nicht-bildliche Eigenschaften von Bildobjekten ist lediglich dort angebracht, wo es um den Status der Bildlichkeit geht, also um die Eigenschaft der artifiziellen Präsenz der Bildobjekte. Dieser Status wird in der visuellen Wahrnehmung hergestellt. Doch das filmische Bildobjekt als Gegenstand der Wahrnehmung zerfällt nicht in visuellbildliche und auditive nicht-bildliche Eigenschaften. Denn wenn es um die konkreten Bildobjekte und ihre Wahrnehmung im Film geht, gehen auditive und vi-
Vgl. zum Filmaspekt insbesondere Kapitel 4.3. Zu berücksichtigen ist beispielsweise, dass der Ton als Filmaspekt einen ungleich stärkeren Beitrag zum Eindruck der Immersion (im Sinne eines ‚Eintauchens‘ in die filmische Welt) zu leisten scheint, als es das rein visuelle Bild tut. Näher zu untersuchen wäre etwa die Hypothese, dass die Empfindung einer intensiven ‚Nähe‘ in bestimmten Filmerfahrungen auf eine besondere Leistung des Auditiven zurückgeht.
3.4 Sprache im Film
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suelle Eigenschaften eine Einheit ein und konstituieren gemeinsam neue Objekte, die sich grundsätzlich von rein sichtbaren Bildobjekten unterscheiden.
3.4 Sprache im Film In ihrer sinnlichen Erscheinungsform als Schrift oder Gesprochenes kann Sprache im Film zunächst im Hinblick auf die Bestimmung von Bildobjekten betrachtet werden. Aus dieser Perspektive sind grundsätzlich drei objektbestimmende Funktionen zu unterscheiden, von denen allerdings nur die ersten beiden zum Bereich des Bildlichen zu zählen sind: 1. Personen im Film sprechen, so dass ihr Sprechen eine (diegetische) Handlung dieser Personen ist. In diesem Sinne gibt es im Film sprechende Bildobjekte. 2. Ein Sprecher beschreibt bestimmte Elemente des Bildes. Ein Beispiel für diese Funktion wäre ein Erzähler, der Kontexte und Vorgeschichte des Bildgeschehens mitteilt. Die Person des Erzählers muss nicht notwendig außerhalb des Films stehen, ist aber im Moment des Sprechens nicht visuell im Bild oder im Off verortet. 3. Schließlich kann über den Filmton hinaus ein ‚extra-diegetischer‘ Text zum Bild vorliegen, der den Film kommentiert. Kommentare dieser Art können den Film beispielsweise interpretieren, kritisieren oder über Entstehungszusammenhänge des Films berichten. Während Sprache in der ersten Funktion die Bildobjekte näher bestimmt, indem direkte Äußerungen von Bildobjekten zugleich Handlungen und Eigenschaften dieser Bildobjekte bestimmen, werden in der zweiten Funktion Bildaspekte durch sprachliche Beschreibungen erzeugt. Die wahrgenommenen Bildobjekte werden durch Schrift oder Gesprochenes kontextualisiert und erscheinen so auf eine bestimmte Art und Weise. In diesen beiden Funktionen bestimmen sprachliche Äußerungen die Bildobjekte und ihre Wahrnehmung und sind aufgrund dieser Beziehung zum Bild zu zählen. In der dritten, das Bild kommentierenden Funktion ist die Sprache allerdings nicht mehr (oder nur bedingt) zum filmischen Bild zu rechnen. Denn hier besteht die Funktion der Sprache nicht mehr in der Bestimmung der Objekte und der Aspekte der Präsentation, sondern vielmehr in einem Kommentar über das Bild. Beispielsweise kann ein voice-over-Kommentar einen expliziten Bezug zwischen Bildobjekt und Abgebildetem herstellen (ähnlich Titeln und einleitenden schriftlichen Anmerkungen). Oder es wird ein Kontext hergestellt, der den Bildobjekten, ihren Eigenschaften und den Bildaspekten eine bestimmte Deutung verleiht, die nicht mehr in der einheitlichen Kontinuität des artifiziell Präsenten auftritt. Diese Funktion hat im Bereich der statischen Bilder ihre Entsprechung in der Bildunterschrift oder in einem dem Bild beiliegenden Text. Zwar mag der Text
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3 Filmtheoretische Erweiterungen: Bewegung, Zeit und Ton
dem Bild für immer anhängen – aber er ist kein Teil des Bildes, sondern eine Ergänzung, ein bildfremder Kontext. Die genannten Funktionen dürften in Filmen häufig nur schwierig auseinanderzuhalten zu sein. Ihre Unterscheidung verdankt sich den verschiedenen Ebenen der Bestimmung von Bildobjekten: Bestimmungen der Eigenschaften der Bildobjekte, Bestimmungen der Warnehmungsweise durch Aspekte der Präsentation und schließlich die Bezugnahme auf das Bild aus einer Außenperspektive. Doch mit diesen Bemerkungen ist das Phänomen der Sprache in Bild und Film noch nicht im Kern berührt. Während Sprechen und Schreiben Handlungen von Bildobjekten sein können, so spielt doch offensichtlich die Bedeutung der sprachlichen Äußerungen als nicht-bildliches Element in das Bild hinein. Hier wird eine Grenze der Wahrnehmung überschritten: Zwar nehmen wir Sprechstimmen und Schriftzeichen wahr, aber die Semantik von Worten und Sätzen ist selbst kein Gegenstand der Wahrnehmung. Umgekehrt können in sprachlichen Äußerungen unmittelbar Sachverhalte ausgedrückt werden, während die Wahrnehmungen von Sachverhalten über die direkte Auffassung der präsentierten Objekte in Bildern hinausgeht. Das Element der Sprache tritt also aus wahrnehmungstheoretischer Perspektive aus dem bildlichen Zusammenhang im engeren Sinne heraus. Im Unterschied zum Filmton im Allgemeinen, der immer noch in enger Beziehung zur Wahrnehmung und insbesondere zu den Objekten der Filmwahrnehmung steht, kann die semantische Ebene sprachlicher Äußerungen nicht mehr zum Bild gezählt werden.²⁹ Diese Grenze zwischen Wahrnehmung und Sprache hat in der Frühzeit des Ton- und Sprechfilms bei einigen Filmtheoretikern zu einem „Gefühl des Unbehagens“ gesorgt: Es herrscht „der Eindruck, daß da etwas nicht in Ordnung sei; daß da etwas vorgeführt werde, was wegen innerer Widersprüche lebensunfähig bleiben müsse. […] Die beiden Elemente, deren Wettstreit der Sprechfilm zu keiner Einheit zu zwingen weiß, sind offensichtlich das Bild und das Wort.“ (Arnheim 2004, S. 377 f.). Dennoch sind diese scheinbar heterogenen Bereiche (nach manchen Anfangsschwierigkeiten) eine fruchtbare Einheit miteinander eingegangen. Eine typische genre-prägende Rolle der Sprache im Film findet sich beispielsweise im Genre des ‚Sprechfilms‘ (Talkie). Hier dominiert die dramatische Funktion der Sprache über die bildlichen Elemente im engeren Sinne. Insgesamt eröffnen Bild
Es könnte scheinen, dass ein zeichentheoretischer Bildbegriff weniger bzw. keine Schwierigkeiten mit einer ‚bildinternen‘ Auffassung von Sprache hat, zumal in diesem Rahmen bildliche Elemente wie sprachliche Äußerungen als Zeichen gelten. Doch die vermeintliche Gleichartigkeit von Sprache und Wahrnehmung im Bild muss viel eher problematisch erscheinen, zumal der Unterschied zwischen bildlichen und sprachlichen Zeichen im Nachhinein wieder eingezogen und begründet werden muss.
3.4 Sprache im Film
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und Sprache im Film einen komplexen Spielraum für Wechselwirkungen und Durchdringungen, in dem ganz verschiedene Funktionen, Anreicherungen und Beeinflussungen möglich werden. Eine detaillierte Klärung der Verhältnisse von Bildwahrnehmung und sprachlicher Bedeutung im Film muss von einer konkreten Theorie sprachlicher Bedeutung ausgehen. Für das Ziel der vorliegenden Untersuchung, die epistemologische Spezifik filmischer Bewegungsbilder herauszustellen, ist diese Klärung glücklicherweise nicht notwendig. Entscheidend ist für die folgenden Überlegungen lediglich die besondere Möglichkeit sprachlicher Aussagen,Wissen von Sachverhalten zu vermitteln. Allgemein ist zunächst anzunehmen, dass der epistemische Zweck einer filmischen Präsentation nicht (bzw. nicht alleine) im sprachlichen Ausdruck von Tatsachenwissen in Aussagen zu suchen ist. Es ergibt sich folglich ein Kontrast zwischen zwei verschiedenen Wissensformen: Dem sprachlich vermittelten Wissen und einer Kenntnis, die direkt durch die Wahrnehmung erzeugt wird. Es stellt sich dann die grundsätzliche epistemologische Frage: Worin unterscheidet sich das Wissen, das durch sprachliche Bedeutungen (Aussagen, Beschreibungen) vermittelt wird, in formaler Hinsicht von der Kenntnis, die im engeren Sinne durch Bilder und Filme konstituiert wird?
4 Epistemologische Untersuchungen: Bekanntschaft mit Filmobjekten Von dem, der die Zeichnung als dies Tier sieht, werde ich mir manches andere erwarten, als von dem, der nur weiß, was sie darstellen soll. (Wittgenstein 2009, Abschnitt xi, Nr. 196)
Für ein angemessenes Verständnis der epistemologischen Leistungen des filmischen Bewegungsbildes muss zunächst eine allgemeine Perspektive auf die epistemologischen Möglichkeiten von Bildern überhaupt entwickelt werden. Ausgehend von einer Konzeption bildlicher Erkenntnis kann dann auf die Spezifika filmischer Erkenntnis hingewiesen werden. Denn es soll schließlich nicht nur gezeigt werden, dass der Film als spezifische Bildart an den epistemischen Möglichkeiten von Bildern notwendig teilhat, sondern es sollen auch die epistemologischen Besonderheiten des filmischen Bewegungsbildes gegenüber anderen Bildarten deutlich werden. Ausgangspunkt für die Erörterung der epistemischen Möglichkeiten des Bildlichen ist die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen einer propositionalen und einer nicht-propositionalen Wissensform, wie sie insbesondere in Debatten um den ‚kognitiven Wert‘ von Kunst diskutiert wird.¹ Aus der Begrifflichkeit lässt sich unmittelbar schließen, dass sich propositionales Wissen in sprachlichen Aussagen manifestiert, wohingegen Manifestationen nicht-propositionalen Wissens wesentlich nicht der Form von Aussagen entsprechen. Der Begriff des Wissens ist folglich im Hinblick auf nicht-propositionale Wissensformen in einem weiten Sinne zu fassen, der neben dem Tatsachenwissen auch epistemische Leistungen umfasst, die man im Alltag und in der orthodoxen analytischen Erkenntnistheorie nicht unbedingt mit dem Wort ‚Wissen‘ bezeichnen würde.² Epistemische Leistungen, die als nicht-propositionale Wissensformen bezeichnet werden, sind z. B. praktische Fähigkeiten, Kompetenzen und – in Bezug auf Bilder besonders relevant – Bekanntschaft. Im Folgenden werden in kontrastierenden Vergleichen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede propositionaler und nicht-propositionaler Wissensformen erörtert, mit dem Ziel einer kohärenten Konzeption bildlichen und filmischen Wissens. Zu diesem Zweck erläutere ich in einem ersten Schritt den übergreifenden Rahmen, in dem die Differenzen der verschiedenen Wissensformen verdeutlicht werden können: Wissen ist allgemein eine Disposition, die sich auf
Vgl. z. B. Kieran 2009 und Ferran 2013. Das gilt zumindest für den deutschen Sprachgebrauch. Beim englischen Begriff „knowledge“ liegen die Verhältnisse etwas anders. https://doi.org/10.1515/9783110600506-005
4.1 Aussagenwissen und Bekanntschaft
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verschiedene Weisen manifestiert. Auf der Grundlage einiger formaler Merkmale von Wissensmanifestationen kann dann die Unterscheidung zwischen propositionalen und nicht-propositionalen Wissensformen expliziert werden. Daraus ergibt sich eine spezifisch nicht-propositionale Wissensform, die sich in der Wahrnehmung von Bildern konstituiert und die ich als Bekanntschaft mit Bildobjekten bezeichne. Diese Bekanntschaft unterscheidet sich von propositionalem Wissen durch drei Merkmale: 1. Bekanntschaft mit Bildobjekten kann nicht wie das Wissen von Sachverhalten in Aussagen mitgeteilt werden kann; 2. Objekte werden in Bildern direkt präsentiert, wohingegen Objekte in Aussagen durch die Feststellung von Sachverhalten bestimmt werden. 3. Ein weiteres unterscheidendes Merkmal wird in Kapitel 5.2.1 im Zusammenhang mit den epistemischen Möglichkeiten der Fotografie erörtert: das Merkmal der Irrtumsfähigkeit, das der Bekanntschaft im Gegensatz zum Aussagenwissen fehlt. Im Kontext der epistemischen Disposition der Bekanntschaft mit Bildobjekten ist mithin die begriffliche Fähigkeit des Bildverstehens (im Sinne eines begrifflichen (Wieder‐)Erkennens der Bildobjekte) von der Bekanntschaft mit konkreten Bildobjekten in der Wahrnehmung zu unterscheiden. Letztere sind im Film hinreichend durch die spezifisch filmischen Mittel der Darstellung bestimmt, so dass sie in Abgrenzung von Bildobjekten als Filmobjekte bezeichnet werden können.
4.1 Aussagenwissen und Bekanntschaft Wissen ist eine besondere Disposition von Personen, die sich auf verschiedene Weisen manifestiert. Eine Überzeugung haben, etwas wissen, Erfahrung in Bezug auf etwas haben – alle diese Zuschreibungen sind von dispositionaler Art. Eine Wissensdisposition ist allgemein gesprochen also ein Vermögen, das etwa in Form von Fähigkeiten, Kompetenzen, Einstellungen oder Verhaltenstendenzen vorliegt. Der Modalität nach handelt es sich bei Dispositionen um Möglichkeiten, die unter bestimmten Umständen verwirklicht werden. Das jeweilige Ereignis, zu dem eine Disposition vorliegt, kann als Manifestation oder Äußerung dieser Disposition bezeichnet werden. Dispositionen manifestieren oder äußern sich auf unterschiedliche Weise, etwa in sprachlichen Ausdrücken, Handlungen und Verhaltensweisen. Was spricht dafür, Wissen in dieser Weise allgemein als Disposition oder Vermögen aufzufassen? Zunächst einmal die Tatsache, dass Wissen etwas ist, was man besitzt – ‚Wissen‘ ist eben ein Dispositionswort.³ Wissen kann daher auch
Vgl. Schnädelbach 2008, S. 31.
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4 Epistemologische Untersuchungen: Bekanntschaft mit Filmobjekten
dann sinnvoll zugeschrieben werden, wenn das wissende Subjekt es gerade nicht (oder sogar niemals) manifestiert. Das gilt für Wissen ebenso wie für andere epistemische Ausdrücke, z. B. ‚Überzeugung‘ oder ‚Meinung‘. Der Begriff ‚Erkenntnis‘ wird dagegen häufig als Erfolgswort gebraucht, wie z. B. in den Sätzen „Wir haben erkannt, dass p“ oder „Ich kann nicht erkennen, dass q“. In diesem Zusammenhang bezeichnet ‚Erkenntnis‘ auch den Prozess der Wissensaneignung, z. B. in der Aussage „Wir erkennen nach und nach, dass p“.⁴ Zugleich umgeht die dispositionale Erklärung die problematische Auffassung, dass ein bestimmter Wissensgehalt irgendwo (z. B. ‚mental‘) permanent vorliegt – obwohl man in gewisser Hinsicht von ‚Wissensbesitz‘ spricht. Vorliegen müssen nur entsprechende Fähigkeiten. Der Besitz von Wissen wird so auch nicht in ein privates ‚Inneres‘ verlegt (etwa im Sinne eines ‚mentalen Zustands‘), sondern Wissen ist eine dispositionale Eigenschaft von Personen. Schließlich sind passende Manifestationen von Wissensdispositionen nicht auf ganz bestimmte Handlungen, Verhaltensweisen oder sprachliche Formulierungen festgelegt, sondern Wissen kann durch verschiedene Handlungen, Verhaltensweisen oder Sätze manifestiert werden. Aus epistemologischer Perspektive können folglich verschiedenartige Manifestationen in Bezug auf einen bestimmten Wissensgehalt als äquivalent gelten. Propositionales Wissen ist Aussagenwissen. Es wird einer Person S zugeschrieben nach dem Muster „S weiß, dass p“. Das bedeutet: S weiß, dass das, was in der Proposition p ausgesagt wird, der Fall ist. Gemäß der ‚klassischen‘ Definition des Wissensbegriffs gelten für dieses Wissen drei notwendige Bedingungen: 1. S muss p für wahr halten; 2. p muss wahr sein; 3. p muss gerechtfertigt sein. Im Gegensatz zu bloßen Überzeugungen und Meinungen, die ebenfalls Dispositionen sind, also unter bestimmten Umständen zur Äußerung passender Aussagen oder zur Ausführung passender Handlungen führen, muss Wissen mit der Möglichkeit verbunden sein, die Äußerungen und Handlungen zu rechtfertigen. ⁵ Das unterscheidet (zumindest propositionale) Wissensansprüche von anderen Dispositionen: Wissen ist nicht einfach nur die Fähigkeit zur Feststellung von Sachverhalten, sondern umfasst darüber hinaus die Möglichkeit zur Begründung dieser Feststellungen. Je nach Deutung sind die genannten Bedingungen zu-
Das Wort ‚Erkenntnis‘ ist aber so flexibel, dass es auch Besitz anzeigen kann, wenn etwa gesagt wird „Wir verfügen über Erkenntnisse“. Das Wort ‚Wissen‘ ist dagegen auf Besitz festgelegt. Tatsächlich sind die Verhältnisse zwischen Überzeugung, Meinung, Glauben und Wissen offenbar komplizierter, da Überzeugungen, Meinungen oder Glauben bei fehlendem Rechtfertigungsvermögen zu anderen Manifestationen führen können (etwa aufgrund von Zweifeln), so dass das Verhältnis der Bedingungen kein additives sein kann. Auf diese Problematik kann und muss hier aber nicht weiter eingegangen werden.
4.1 Aussagenwissen und Bekanntschaft
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sammengenommen zwar vermutlich nicht hinreichend, es herrscht aber in der Erkenntnistheorie weitgehend Einigkeit darüber, dass dies die Minimalbedingungen für propositionales Wissen sind.⁶ Aussagen sind folglich die paradigmatischen und namensgebenden Manifestationen propositionalen Wissens: Die Disposition zu wissen, dass p, manifestiert sich beispielsweise in Sätzen wie „Ich weiß, dass p“, wobei p gerechtfertigt und wahr sein muss. Wie können nun auf der Grundlage des dispositionalen Charakters von Wissen nicht-propositionale Wissensformen erklärt werden? Propositionales Wissen manifestiert sich in Aussagen, in Handlungen oder Verhaltensweisen, die durch die Zuschreibung entsprechender Überzeugungen erklärt werden können. Nicht-propositionale Wissensformen manifestieren sich dagegen in Handlungen und Verhaltensweisen, deren zugrundeliegende Disposition nicht (alleine) durch Aussagen bestimmbar, die aber trotzdem als epistemische Leistungen anerkannt sind. Diese Anerkennung zeigt sich an entsprechenden Zuschreibungen. Geläufige Dispositionen dieser Art sind z. B. praktische Fähigkeiten und Kompetenzen. Doch welchen Status haben nicht-propositionale Wissensformen dieser Art in der Erkenntnistheorie?
4.1.1 Der ‚Propositionalismus‘ Aus Sicht der orthodoxen analytischen Erkenntnistheorie sind die paradigmatischen Manifestationen von Wissens-Dispositionen Aussagen, die mindestens die genannten Standardbedingungen für Wissen erfüllen, also wahre, gerechtfertigte Überzeugungen ausdrücken. Die Erkenntnistheorie beschränkt sich insofern in weiten Teilen auf die Untersuchung von propositionalem Wissen mit dieser Form. Und das mit gutem Grund: Diese Wissensform ist einer methodisch kontrollierten und klaren philosophischen Analyse zugänglich. Zwar geraten neben dem propositionalen Wissen immer stärker auch nicht direkt in Sätzen geäußerte praktische Wissensformen in den Blick der Forschung (unter dem Stichwort des knowing how),⁷ aber die paradigmatische Form ist noch immer das Wissen, das sich in Form von Aussagen analysieren lässt. Dieses Paradigma der zeitgenössischen Erkenntnistheorie mündet schließlich vielfach in der Überzeugung, dass Wissensansprüche prinzipiell immer in der beschriebenen Weise auf Aussagen bezogen sind. Herbert Schnädelbach bezeichnet diese Annahme als „Propositi-
Vgl. Platons Theätet und Russell 1912, Kap. XIII. Vgl. Bengson/Moffett 2011 und Abel 2012b.
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onalitätsthese“.⁸ Wissen drückt sich dieser These zufolge grundsätzlich in Aussagen aus, die Sachverhalte feststellen – oder es lässt sich mindestens auf derartige Aussagen zurückführen. Ein zentraler Konflikt, der die Erkenntnistheorie von einer ‚erweiterten‘ Epistemologie trennt, dreht sich um die Frage, ob die Propositionalitätsthese gilt, ob sich also in letzter Konsequenz alle Wissensansprüche (zumindest theoretisch) auf eine propositionale Form zurückführen lassen, d. h. vollständig in Aussagenform erfasst werden können. Diese Frage steht in einem gewissem Zusammenhang zu der Frage, ob alle Wissensformen grundsätzlich einem empiristischen Modell entsprechen, oder ob es auch sinnvoll sein kann, bestimmte, nicht direkt auf Sachverhalte bezogene Äußerungen und Tätigkeiten als Wissensformen aufzufassen. Man beachte hierbei: Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Frage, ob ein bestimmtes Wissenssubjekt sich tatsächlich über entsprechende Wissensdispositionen bewusst ist oder überhaupt über die Fähigkeit verfügt, sie in Worte zu fassen. Vielmehr geht es um die prinzipielle Möglichkeit, den ‚Inhalt‘ einer Wissensform vollständig auf Aussagen zurückzuführen – unabhängig davon, ob ein empirisches Wissenssubjekt das selbst tut oder tun könnte. Vertreter der Propositionalitätsthese halten diese Möglichkeit einer propositionalen Analyse für ein notwendiges Merkmal aller Wissensansprüche. Gegner der Propositionalitätsthese gehen dagegen davon aus, dass es epistemische Dispositionen gibt, die sich nicht vollständig durch die Analyse von Überzeugungen in Aussagenform bestimmen lassen. Vertreter von Konzeptionen nicht-propositionaler Wissensformen argumentieren daher für die Kohärenz und die Aktualität nicht-propositionaler Wissenskonzeptionen, indem sie beispielhaft auf typische Phänomene hinweisen, in denen eine analytische Rückführung der zum Zuge kommenden Fähigkeiten auf Aussagen unmöglich oder geradezu absurd erscheint. Eine gründliche Argumentation für die entsprechenden Konzeptionen muss allerdings über die Mobilisierung von Intuitionen hinaus auch gute Gründe für die Unmöglichkeit einer ‚Propositionalisierung‘ angeben. Schließlich müssen die spezifischen Differenzen nicht-propositionaler Wissensformen kohärent konzipiert werden. Wie können (Bewegungs‐)Bilder vor dem Hintergrund dieser epistemologischen Positionierungen ins Spiel kommen? Bilder sind in der Philosophie Gegenstand u. a. von Ästhetik, Kunst- und Medienphilosophie; epistemologische Fragestellungen sind den Interessen dieser Forschungsgebiete normalerweise beioder untergeordnet. Weil bildliche Darstellung nicht dasselbe sind wie sprachli-
„‚Wissen‘ [erfordert] grammatisch immer die Ergänzung durch ein ‚… daß p‘“, und das ist grundlegend „für alle epistemischen Ausdrücke“ (Schnädelbach 2008, S. 33).
4.1 Aussagenwissen und Bekanntschaft
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che Darstellungen, Beschreibungen oder Aussagen, erscheinen Bild-Phänomene nicht als unmittelbare Gegenstände der zeitgenössischen Erkenntnistheorie. Natürlich kann man auf sprachliche Beschreibungen oder auf die ‚Aussagen‘ von Bildern verweisen und damit verbundene Wissensansprüche thematisieren; damit ist aber normalerweise nicht die Auffassung verbunden, dass ein Bild analytisch auf eine sprachliche Beschreibung zurückgeführt werden kann.⁹ Aber warum sollte sich eine ‚Epistemologie der Bilder‘ nicht einfach auf die Untersuchung von sprachlichen Beschreibungen von Bildern beschränken? Erkenntnisse aus Bildern oder Filmen stützen sich doch offenbar auf Analysen oder Interpretationen, also auf Texte, die Bilder und Filme erkenntnismäßig aufbereiten. Derartige sprachliche Äußerungen können Bilder allerdings normalerweise nicht ersetzen (bestenfalls ‚übersetzen‘), und die mit ihnen verbundenen Wissensansprüche sind von der Art, dass sie sich an dem analysierten oder interpretierten Bild bestätigen lassen müssen. Analysen oder Interpretationen drücken also bestenfalls ein Wissen über den Film aus, ohne notwendig damit den Anspruch zu verbinden, die Wissensform der bildlichen Darstellung zu explizieren. Ebenfalls problematisch ist die Rede von der ‚Aussage‘ eines Bildes oder eines Films, also von demjenigen, was ein Bild seinen Zuschauern ‚sagen‘ will. Die damit verbundene Idee findet sich besonders im Zusammenhang von Filmen mit narrativer Form. Sie impliziert, dass ein Bild in letzter Konsequenz eine besonders elaborierte Weise ist, Sätze zu äußern. Es ist allerdings zweifelhaft, ob ein Bild oder ein Film derart mit einer Aussage identifiziert werden kann; im Übrigen treten ‚filmische‘ Aussagen normalerweise eher als Behauptungen oder Statements auf, mit denen kein starker Wissensanspruch verbunden ist. Wie in Kapitel 3.4 erörtert, ist der Film eine Bildart, in der die Sprache spätestens seit dem Tonfilm eine zentrale Rolle spielt. Aus diesem Grund könnte es naheliegend erscheinen, sprachliche Aussagen, die in einem Film vorkommen, als ‚propositionalen Gehalt‘ dieses Films zu betrachten. Folglich können in einem Film Überzeugungen mit Wissensanspruch geäußert werden, so dass Wissen in Form von wahren gerechtfertigten Überzeugungen natürlich auch in filmischen Bewegungsbildern vorkommt. Ein Beispiel wäre ein gefilmter Vortrag einer Wissenschaftlerin, die die neuesten Erkenntnisse ihres Fachs mitteilt. Doch dieser Anspruch an den Film wirkt theoretisch konstruiert; er dürfte an dem vorbeigehen, was an Filmen spezifisch interessiert. Unter der Voraussetzung, dass Filme nicht nur zur Informationsvermittlung, sondern als bildliche Präsentationen Die Rede von einer „Bild-“ oder „Filmsprache“ und die gelegentlich damit verbundene Position, der zufolge beispielsweise der Film als eine Sprache zu betrachten ist, lässt sich auf bestimmte Annahmen zur strukturellen Ähnlichkeit zwischen Bild und Sprache zurückführen, womit allerdings keine Identität behauptet wird.
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verwendet werden, bildet das in einem Film sprachlich Ausgesagte immer nur einen Teil des gesamten Films neben den anderen bildlichen Eigenschaften. Abbildungen von Schrift oder Wiedergabe von Gesprochenem im Film sind demnach Teile bildlicher Darstellungen, in denen etwas sprachlich ausgedrückt wird. Selbst wenn im Extremfall beispielsweise ein Film ausschließlich aus Sätzen bestünde, dann dürfte der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungsform dieser Sätze (also etwa der Schrift oder der Sprechweise) eine über die Aussage hinausgehende Bedeutung zukommen – sofern man davon ausgeht, dass die Darstellungsform nicht völlig grundlos gewählt wurde, also nicht einfach austauschbar ist (was etwa in Fällen reiner Informationsvermittlung vorkommt, wenn z. B. lediglich die neuesten Nachrichten von einem Sprecher vorgelesen werden). Filmische Bewegungsbilder weichen vom paradigmatischen Gegenstandsbereich der Erkenntnistheorie also in erster Annäherung dadurch ab, dass ihre Form der Präsentation und Darstellung im Ganzen nicht der Form von Aussagen entspricht. Kurz gesagt: Bilder sind keine propositionalen Formen, sie lassen sich nicht wie Sätze analysieren. Trotzdem ‚enthalten‘ sie gewissermaßen Gegenstände, Ereignisse, Personen, Sachverhalte, Kontexte usw. und können daher als nicht-propositionale Präsentations-, Darstellungs- und Ausdrucksformen betrachtet werden. Die Anwendung des paradigmatischen erkenntnistheoretischen Wissenskonzepts auf Bilder wird unter diesen Voraussetzungen problematisch. Die Epistemologie ist daher zu erweitern, um neben dem propositionalen Wissen auch andere, ergänzende und nicht-propositionale Wissensformen in den Fokus des theoretischen Interesses zu rücken.¹⁰ Da Bilder also nicht-sprachliche Darstellungen sind, muss bildliches Wissen als nicht-propositionale Wissensform konzipiert werden. Diese Strategie soll allerdings nicht darauf hinauslaufen, Bewegungsbilder als strikt anti-sprachlich oder der Sprache unzugänglich aufzufassen. Eine solche Konsequenz wäre übertrieben, weil ‚nicht-sprachlich‘ nicht gleichbedeutend ist mit ‚nicht Gegenstand sprachlicher Aussagen‘. Eine ausschließende Entgegensetzung von Bild und Sprache wäre irreführend, zumal damit auch eine völlige Unmöglichkeit des Sprechens über bildliche Wissensformen angedeutet würde. Nicht-propositionale Wissensformen bezögen sich unter dieser Voraussetzung auf etwas, „was sich nicht (aus)sagen lässt“; es müsste über die Grenzen der Sprache hinausweisen, wodurch es nicht zuletzt aus sprachphilosophischer Perspektive suspekt erschiene. Denn man ist hier mit dem Problem konfrontiert, dass die Annahme eines der Sprache unzugänglichen Bereichs auf eine ‚mystifizierende‘ Kluft zwischen dem Sagbaren und etwas Nicht-Sagbarem hinausläuft. Insofern bürdet die
Vgl. Abel/Conant 2012.
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Annahme einer Grenze sprachlicher Aussagbarkeit den Verteidigern von Konzeptionen nicht-propositionaler Wissensformen erhebliche Argumentationslasten auf: Es müssen vor diesem Hintergrund nicht nur eindeutige und irreduzible Phänomene nicht-propositionaler Wissensformen aufgezeigt werden, sondern es wäre darüber hinaus auch noch die ‚Unsagbarkeit‘ des Inhalts zu diesen Wissensformen eigens zu begründen. Eine solche Forderung ist aber philosophisch zweifelhaft. Sicherlich gibt es viele Dinge, die keine Aussagen sind, aber es scheint zugleich nichts zu geben, worüber man nicht sprechen kann. Wenn etwas als Darstellungs- und Ausdrucksform auftritt, dann wird das jeweils Dargestellte und Ausgedrückte immer auch in Worten fassbar sein, sei es durch Beschreibung oder z. B. in ästhetischen Beurteilungen. Doch hier gilt es zu unterscheiden: Diese kritische Positionierung ist nicht gleichbedeutend mit der Annahme, dass das bildlich Dargestellte in sprachliche Beschreibungen so übersetzt werden kann, dass die Unterschiede zwischen bildlicher und sprachlicher Darstellung plötzlich entfallen. Denn: Bildliche Darstellung ist keine propositionale Einstellung und Bildobjekte sind als Objekte der Wahrnehmung keine propositionalen Gehalte. Auch wenn das bildliche Dargestellte zum Gegenstand von Sprache wird, verwandeln sich Bildobjekte nicht unter der Hand in Sachverhalte. Auch ohne die Annahme einer Entgegensetzung zweier unüberbrückbarer Bereiche muss grundsätzlich an der Verschiedenheit von Bild und Sprache festgehalten werden, selbst wenn im Falle des Films normalerweise beides zusammenkommt. Denn auf die Unterschiede zwischen bildlichen Darstellungen und sprachlichen Aussagen kommt es an – insbesondere in epistemologischen Untersuchungen. Nur auf der Grundlage dieser Unterschiede kann die Differenz zwischen den jeweiligen Wissensformen bestimmt werden. Nicht-propositionale Wissensformen sind folglich als Dispositionen aufzufassen, deren Manifestationen sich in bestimmten Hinsichten von der Manifestation propositionalen Wissens unterscheidet.
4.1.2 Die Gegenstände der Bekanntschaft Die für Bilder charakteristische nicht-propositionale Wissensform ist die Bekanntschaft, die aus der Wahrnehmung eines Bildobjekts entspringt. Bei der Bekanntschaft handelt es sich um eine Disposition, die sich beispielsweise in Aussagen über das Wahrgenommene, im Wiedererkennen der bekannten Objekte und in Zeigehandlungen manifestieren kann. Nicht alles, was wahrgenommen wird, ist Gegenstand der Bekanntschaft, denn nicht alles Wahrgenommene ist zugleich auch Gegenstand des epistemischen Interesses. In Bildbetrachtung und Filmerfahrung geht es in erster Linie um Bekanntschaft mit bestimmten Objekten,
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die spezifisch für die jeweilige bildliche Darstellungsform sind und insofern interessant erscheinen. Daran schließen sich Fragen an: Inwiefern ist Bekanntschaft eine nicht-propositionale Wissensform? Warum kann Bekanntschaft mit Bildern nicht auf Aussagen über Bilder zurückgeführt werden? Welche Eigenschaften von Bekanntschaft machen eine propositionale Analyse unmöglich? In welches Verhältnis treten bildliche Darstellungen und sprachliche Aussagen hier? Eine Schlüsselfunktion propositionalen Wissens besteht darin, dass der propositionale ‚Gehalt‘ von Wissen – der gewusste Sachverhalt – in Aussagen ‚vergegenständlicht‘ wird. Das liegt daran, dass Aussagen Sachverhalte feststellen und somit gewissermaßen als ‚Objektivierungen‘ von Sachverhalten verwendet werden können. Aus diesem Grund ist das Wissen von Sachverhalten an kein bestimmtes Subjekt gebunden und kann in Aussagen festgehalten, mitgeteilt und verarbeitet werden. Propositionales Wissen kann daher objektivierbares Wissen genannt werden, weil es in (subjektunabhängigen) Aussagen hinreichend bestimmt ist.¹¹ Die Manifestation propositionalen Wissens in Aussagen drückt insofern den Gehalt aus, auf den die entsprechende Disposition gerichtet ist.¹² Wie ist in dieser Hinsicht die Bekanntschaft mit Bildern zu deuten? Einige Hinweise für die Konzeption von Bekanntschaft ergeben sich aus einem Vergleich zwischen propositionalem Wissen und nicht-propositionalen praktischen Kompetenzen. Praktische Kompetenzen basieren auf Erfahrung und Übung; sie manifestieren sich in Handlungen und Tätigkeiten. Aus diesen Manifestationen lässt sich der ‚Gehalt‘ der entsprechenden Wissensdisposition prinzipiell nicht mit voller Bestimmtheit ermitteln. Weder drückt sich der Gehalt praktischer Kompetenzen vollständig und eindeutig in den manifestierenden Handlungen aus, noch kann er hinreichend in Aussagen vergegenständlicht und entsprechend mitgeteilt werden. Die entsprechenden praktischen Dispositionen werden „niemals so in einer Aussage präsent, wie Wissen vom propositionalen Typ in einer Aussage präsent wird.“ (Wieland 1982, S. 231). Von einer Handlung, in der sich ein Erfahrungswissen manifestiert, kann man folglich nicht behaupten, dass sie das
Vgl. Wieland 1982, S. 228. Das gilt übrigens nicht unbedingt für die Manifestation von propositionalem Wissen in Verhaltensweisen und Handlungen. In diesen Fällen kann zwar unter Umständen auf den Gehalt der Wissensdisposition geschlossen werden, aber er ist nicht auf dieselbe Weise in Verhaltensweisen und Handlungen gegeben, wie er in Aussagen vergegenständlicht ist. Ich kann beispielsweise Vermutungen darüber anstellen, über welches propositionale Wissen eine Person verfügt, die an einer roten Ampel stehenbleibt und darauf wartet, dass die Ampel grün wird – aber der Gehalt des Wissens muss in dieser Situation von mir aus der Verhaltensweise rekonstruiert werden, zumal er mir mit der Beobachtung der Verhaltensweise noch nicht gegeben ist. Wissensdispositionen sind daher in Handlungen und Verhaltensweisen unterbestimmt.
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entsprechende Wissen ‚angibt‘ oder ‚mitteilt‘ – so wie sich der Gehalt von propositionalem Wissen in Aussagen angeben und mitteilen lässt. Natürlich kann man über Erfahrungswissen und Kompetenzen durchaus auch sprechen und sich auf vielerlei Weise austauschen, aber mittels Aussagen, die Sachverhalte festhalten, können praktische Fähigkeiten und Kompetenzen nicht unmittelbar mitgeteilt werden, denn Kompetenzen bzw. kompetente Tätigkeiten richten sich nicht auf Sachverhalte. Praktisches Erfahrungswissen ist daher im Gegensatz zu propositionalem Wissen nicht objektivierbar. Es ist zu einem gewissen Grade an ein Subjekt gebunden; vermitteln lässt es sich nur durch Lernprozesse, die neben ‚Lehrsätzen‘ (mindestens) auch Übung, Kreativität und Erfahrung umfassen. Feststellungen tragen zur didaktischen Vermittlung entsprechender praktischer Fähigkeiten bei, indem sie beispielsweise etwas beschreiben oder einen Zusammenhang verständlich, einsichtig und klar machen; sie sind allerdings zur Vermittlung von Kompetenzen nicht hinreichend, sondern vielmehr eingebettet in einen umfassenderen Übungsprozess, in dem Nachvollziehbarkeit, Geschicklichkeit und schließlich Kompetenzen erzeugt werden. Ähnliches gilt für die Bekanntschaft: Keine von der Wahrnehmung unabhängige Manifestation der Bekanntschaft kann ihren ‚Gehalt‘ vermitteln. Bekanntschaft ist daher in dieser Hinsicht praktischen Kompetenzen ähnlich – beide Wissensformen sind nicht-propositional, weil ihr Gehalt nicht (alleine) in Aussagen bestimmt werden kann. Denn der Gehalt der Bekanntschaft kann nur durch die entsprechende Wahrnehmung der bekannten Objekte vermittelt werden. Die Disposition der Bekanntschaft unterscheidet sich allerdings auch von praktischen Kompetenzen, weil sie nicht subjektgebunden ist: Bekanntschaft kann mittels einer Verwendung von Bildern bzw. Bildobjekten vermittelt werden, nämlich dadurch, dass mit Bildern das Bekannte gezeigt wird. Bilder können daher als ‚Objektivierungen‘ des Gehalts von Bekanntschaft aufgefasst werden. Das Zeigen mit Bildern ist somit eine Manifestation von Bekanntschaft, in der nicht-propositionaler Wahrnehmungsgehalt einer anderen Person zugänglich gemacht wird. Dieser Gehalt kann ausschließlich im Rahmen von zeigenden Verwendungen und nicht durch sprachliche Beschreibungen vollständig vermittelt werden. Was folgt daraus für die epistemologische Untersuchung des Films? Um den Gehalt der Bekanntschaft epistemologisch dingfest zu machen, muss untersucht werden, worin der spezifische Gegenstand der Bekanntschaft sich von anderen Gegenständen unterscheidet. Und die Gegenstände, mit denen man durch Bilder bekannt wird, sind die Bildobjekte. Daran schließt sich die Frage an, inwiefern die Filmwahrnehmung ihre Objekte anders konstituiert, als es in der Wahrnehmung von statischen Bildern geschieht. Um also eine klare Vorstellung von der Be-
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kanntschaft mit dem Film zu ermitteln, müssen die spezifischen Objekte des filmischen Bewegungsbildes bestimmt werden.
4.2 Vom statischen Bildobjekt zum dynamischen Filmobjekt Malcolm Turvey hält am Ende seiner Untersuchung Doubting Vision fest: „[F]ilm theorists are woefully confused about what it is we actually see when we watch films“ (Turvey 2008, S. 130) – in der Filmtheorie herrscht Verwirrung darüber, was wir in Filmen eigentlich sehen. Es stellt sich also die Frage, was wir eigentlich wahrnehmen, wenn wir Filme anschauen, und das heißt: was die spezifischen intentionalen Objekte der filmischen Wahrnehmung sind. Worauf richtet sich die Aufmerksamkeit und das Erkenntnisinteresse des Zuschauers? Gefragt wird also nach dem, was im filmischen Bewegungsbild präsent ist, was uns als Zuschauern in der Wahrnehmung von Filmen ‚entgegentritt‘ oder ‚begegnet‘ und was uns unterhält oder beschäftigt, indem wir es wahrnehmen. Diese Fragestellung zielt folglich auf eine eingrenzende Bestimmung der Objekte der Filmwahrnehmung ab, die in Abgrenzung von den Bildobjekten statischer Bilder als Filmobjekte bezeichnet werden.¹³ Turveys Diagnose einer filmtheoretischen Verwirrung ist zunächst in einer Hinsicht zuzustimmen, die mit den irreführenden Selbstverständlichkeiten einer realistischen Einstellung in der Filmtheorie zu tun hat. Denn aus einer realistisch orientierten Perspektive wird häufig ganz selbstverständlich vorausgesetzt, welche Objekte in einem (fotografischen) Film abgebildet sind und was die Zuschauer sehen: nämlich einfach das, was zum Zeitpunkt der Filmaufnahme vor der Kamera war. Die daran anschließende Frage „Was sehen wir im Film?“, die von einigen Autoren formuliert und untersucht worden ist, wird dann auf Probleme der Fiktion, der (bildlichen) Bedeutung und der fotografischen Transparenz bezogen.¹⁴ So stellt sich beispielsweise die Frage, auf welche Weise fiktive Objekte von den Bild- bzw. Filmobjekten denotiert, exemplifiziert oder verkörpert werden. Im Wesentlichen wird also darüber verhandelt, inwiefern Zuschauer in einem fiktionalen fotografischen Film Schauspieler oder in einem Dokumentarfilm ‚real existierende‘ Gegenstände und Personen sehen und ob man durch fotografische Aufnahmen ‚hindurch‘ bestimmte Dinge und Ereignisse sieht. Doch diese theoretischen Beschreibungen beschränken sich häufig auf den fotografischen Film
Vgl.Wiesing: Der Film kann „ein dynamisches intentionales Bildobjekt zeigen“ (Wiesing 2005, S. 114). Vgl. Allen 2001, Hopkins 2008 und Wilson 2011.
4.2 Vom statischen Bildobjekt zum dynamischen Filmobjekt
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und stützen sich auf die keineswegs notwendige Annahme einer Beziehung zwischen Bild- bzw. Filmobjekten und einem (fotografisch) Abgebildeten.¹⁵ Wie ich in der Einleitung und in Kapitel 2 bereits deutlich gemacht habe, setzt die vorliegende Untersuchung anders an. Die intentionalen Objekte der Bild- und Filmwahrnehmung werden nicht vom Abgebildeten her bestimmt, sondern ausgehend von der Wahrnehmung einer bildlichen Präsentation. Das Abgebildete wird zunächst ausgeklammert. Denn bevor Fragen nach der Beziehung zwischen Filmobjekt und Abgebildetem beantwortet werden können, muss zunächst geklärt werden, was Filmobjekte ganz unabhängig von der Abbildungsbeziehung spezifisch auszeichnet. Eine ‚realistische‘ Identifikation des Bild- und Filmobjekts mit dem Abgebildeten überspringt aus dieser Perspektive einige entscheidende Punkte, die zwar selbstverständlich erscheinen mögen, aber klärungsbedürftig sind. Die Frage nach den Filmobjekten habe ich gerade charakterisiert als Frage nach dem, was im filmischen Bewegungsbild präsent ist, was uns als Zuschauern in der Wahrnehmung von Filmen ‚entgegentritt‘ oder ‚begegnet‘ und was uns unterhält oder beschäftigt, indem wir es im Film wahrnehmen. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass diese Frage nicht notwendig darauf abzielt, worum es in einem Film geht, wovon ein Film handelt oder was ein Film ‚sagen‘ will. Thema, Handlung oder ‚Aussage‘ eines Films können Gegenstände von deutenden Interpretationen sein, die in Kritik, Filmanalyse oder Erzähltheorie hervorgehoben werden. Diese Ebenen gehen aber häufig und in bestimmten Hinsichten über die Filmwahrnehmung hinaus. Zwar wird es bei Betrachtungen dieser Art Überschneidungen geben, zumal die Filmobjekte in ihnen eine Rolle spielen und zu ihnen beitragen. Aber die Frage nach den Objekten der Wahrnehmung ist gewissermaßen grundsätzlicher: Die Objekte, die wir in Filmen wahrnehmen, können Elemente dessen sein, worum es in einem Film geht, wovon er handelt und was er sagen will; es ist aber immer möglich, dass in Filmen auch einiges wahrgenommen wird, was sich nicht in das Thema, die Handlung oder eine ‚Aussage‘ eines Films einordnen lässt.
4.2.1 Bekanntschaft mit Filmobjekten als nicht-begriffliche Wissensform Ein erster klärender Schritt ergibt sich bereits aus der Unterscheidung zwischen Bild- und Filmobjekten. Denn hier stellt sich die Frage: Inwiefern sind Bild- und Filmobjekte nicht prinzipiell dieselben Objekte, die nur jeweils auf verschiedene
Vgl. zum filmtheoretischen Realismus die Erörterungen in den Kapitel 5.
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4 Epistemologische Untersuchungen: Bekanntschaft mit Filmobjekten
Weisen präsentiert, dargestellt und folglich wahrgenommen werden? Sind Film und statisches Bild nicht einfach nur zwei verschiedene Arten, jeweils dasselbe darzustellen? Es könnte sich insofern beispielsweise folgendermaßen verhalten: Auf einer statischen Fotografie, die einer bestimmten Filmszene entnommen ist, erkenne ich Alfred Hitchcock. In der entsprechenden Filmszene, in der Hitchcock von rechts nach links durchs Bild läuft, erkenne ich ebenfalls Alfred Hitchcock. Handelt es sich bei dem jeweils in Bild und Film Wahrgenommenen nicht um dasselbe Objekt? Im Folgenden möchte ich für eine Differenz zwischen beiden Objekten argumentieren, indem ich eine Alternative zu ihrer Gleichsetzung in der Auffassung einer begrifflich orientierten Wahrnehmungsweise darstelle. Um beim Beispiel zu bleiben: Unstrittig ist, dass mit den beiden HitchcockBildern auf dieselbe abgebildete Person verwiesen wird, und zwar auf die reale Person Alfred Hitchcock. Klammert man den Bezug auf das Abgebildete jedoch aus, ergibt sich ein Unterschied, der bereits in Kapitel 3.1 genauer beschrieben wurde: Im statischen Bild können wir erkennen, dass Hitchcock offenbar von rechts nach links läuft; im filmischen Bild sehen wir aber darüber hinaus Hitchcock von rechts nach links laufen. Die Eigenschaft der Bewegung, auf die uns das statische Bild nur hinweist, ist im Bewegungsbild präsent und wahrnehmbar. Zunächst markieren also bestimmte Eigenschaften der im Bild präsenten Objekte den Unterschied zwischen den beiden Bildarten. Allgemein ist festzuhalten: Während in statischen Bildern wahrgenommen wird, dass ein Objekt sich bewegt, wird in filmischen Bewegungsbildern ein sich bewegendes Objekt wahrgenommen. Der Unterschied zwischen Bild- und Filmobjekten wird also bestimmt anhand der Differenz zwischen der Wahrnehmung, dass eine Eigenschaft einem Objekt zukommt und der Wahrnehmung des Objekts mit dieser Eigenschaft. Doch das ist nicht alles. Würde der Sinn der verschiedenen Präsentationsformen nur darin liegen, dass dieselben Eigenschaften von ansonsten gleichen Objekten jeweils verschieden zugänglich und ‚gegeben‘ sind, dann wären die Unterschiede zwischen statischen und Bewegungsbildern kaum von epistemologischen Interesse. Denn im Beispiel wäre es ja jeweils dasselbe Objekt – Hitchcock –, das grundsätzlich mit denselben Eigenschaften zu erkennen ist, nur dass im statischen Bild die Eigenschaften der Bewegung ‚angezeigt‘ werden, während sie im Bewegungsbild direkt sichtbar sind. Eine derartig engführende Auffassung identischer Bild- und Filmobjekte wird durch die in der Bild- und Filmtheorie diskutierte Frage nach dem Bildverstehen suggeriert.¹⁶ Der Begriff des Verstehens von Bildern meint in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, in Bildern Objekte von derselben Art zu erkennen, wie wir
Vgl. Scholz 2004, S. 163 – 188.
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sie auch außerhalb von Bildern erkennen. Daran knüpft die Frage an, wie dieses Erkennen bzw.Wiedererkennen möglich ist. Eine überzeugende Antwort auf diese Frage verweist darauf, dass Wahrnehmung grundsätzlich begrifflich strukturiert ist, woraus sich Objekterkenntnis im Allgemeinen und speziell auch in Bildern erklärt. Das Bildverstehen kann insofern als Manifestation begrifflicher Fähigkeiten in der Wahrnehmung beschrieben werden: Verfügt man über den Begriff eines bestimmten Objekts, so kann man Bilder und andere Darstellungen verstehen, in denen dieses Objekt vorkommt. Im Hintergrund dieser Auffassung steht allerdings die Vorstellung einer ‚statischen‘ Objekterkenntnis, der zufolge mit verschiedenen, aber begrifflich äquivalenten Darstellungsmitteln und Beschreibungsarten auf dieselben Objekte Bezug genommen wird. Dabei wird von verschiedenen Weisen der Gegebenheit der Objekte abstrahiert. Die darstellenden Mittel sind dieser Deutung zufolge weitgehend austauschbar; abweichende ‚ästhetische‘ Eigenschaften der filmischen Darstellung erscheinen im Angesicht der weitgehend flüssig gelingenden Objekterkenntnis irrelevant und fallen gewissermaßen aus der Betrachtung heraus. Aus dieser Einstellung resultiert eine Art theoretische Blindheit für die spezifische Besonderheit filmischer Darstellung im Vergleich zu statischen Bildern, aber auch im Vergleich zu sprachlichen Beschreibungen. In einer methodischen Bestimmung von Filmobjekten soll es deshalb nicht nur darum gehen, dass wir in verschiedenen Bildarten jeweils dieselben (in diesem Sinne ‚allgemeinen‘) Objekte erkennen.Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass im Bewegungsbild spezifisch filmische Objekte wahrnehmbar werden. Diese filmischen Objekte wären im statischen Bild gar nicht oder nur als ganz andersartige Objekte wahrnehmbar. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Art und Weise des Dargestellten keineswegs unabhängig ist von der Art und Weise der Darstellung. Es wäre daher irreführend und einseitig, die filmische Darstellung ausschließlich nach dem Modell einer rein begrifflichen Erkenntnis aufzufassen. Die filmischen Mittel der Darstellung würden dann nur wie Verweise auf allgemeine Objekte funktionieren, die in genau derselben Art und Weise auch unabhängig von der spezifisch filmischen Darstellung vorgestellt werden könnten – etwa weil sie begrifflich bereits erfasst sind.¹⁷ Damit würde die Spezifität der filmischen Darstellung von vornherein ausgeklammert: Die Objekte der Darstellung entsprächen aus dieser Perspektive einem begrifflichen Gehalt, der gewissermaßen der gemeinsame Nenner aller Objektdarstellungen und -beschreibungen wäre. Derartige
Diese Auffassung entspräche Carrolls These der „recognitional prompts“ in Carroll 2008, S. 108 – 114.
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im Film wahrgenommene und begrifflich strukturierte Objekte könnten unter dieser Voraussetzung verlustlos einfach durch eine Beschreibung ersetzt werden. Es soll hier allerdings um einen methodischen Zugriff auf die Objekte der filmischen Wahrnehmung in ihrer Konkretheit gehen. Zur Abgrenzung von den begrifflichen Fähigkeiten, die in der Wahrnehmung zum Zuge kommen, soll daher auf eine Zweideutigkeit des Begriffs der Bekanntschaft hingewiesen werden. Versteht man Bekanntschaft in einem weiten Sinne, dann ist sie mit der Fähigkeit zum begrifflichen Erkennen und Wiedererkennen durchaus identisch. Denn offenbar kann ein Objekt nur dann erkannt oder wiedererkannt werden, wenn das Objekt eben bekannt ist. Diese Deutung wird durch die Annahme nahegelegt, dass die ‚Erfüllungsgegenstände‘ der Bekanntschaft und der begrifflichen Fähigkeit zur Objekterkenntnis gleich sind: Es handelt sich jeweils um die gleichen Objekte – die bekannten (d. h. begrifflich erfassten) Objekte werden (wieder‐)erkannt. Doch während sich das Bildverstehen dadurch auszeichnet, dass in verschiedenen Bildern jeweils die gleichen Objekte erkannt und wiedererkannt werden, zielt Bekanntschaft im engeren Sinne gerade auf diejenigen Eigenschaften der Objekte ab, die durch die Verschiedenheit von Bildern und Bildarten entstehen. Die mit diesem Sinn von Bekanntschaft verbundene Disposition ist daher im Vergleich zu den begrifflich strukturierten Wahrnehmungsfähigkeiten enger zu fassen: Sie ist kein begrifflich-vereinheitlichendes Vermögen, sondern vielmehr ein perzeptivunterscheidendes. Im Gegensatz zur allgemeinen Fähigkeit der Objekterkenntnis ist Bekanntschaft eine Disposition, die sich auf spezifische Merkmale der Präsentation bezieht. Ihre Objekte sind erst auf der Grundlage dieser spezifischen Merkmale bestimmt. In der vorliegenden Untersuchung steht somit ein anderes Interesse am Wiedererkennen von Objekten im Vordergrund: Die Erzeugung von Bekanntschaft mit Bildobjekten, die durch die darstellungsspezifische Wahrnehmung bestimmt sind. Denn erst in diesem Zusammenhang werden die besonderen, gezielt ausgewählten und produzierten Eigenschaften von Bild- und Filmobjekten relevant. So können in Bildern Objekte oder Eigenschaften von Objekten entwickelt und wahrnehmbar gemacht werden, die sonst nicht, kaum oder nur unter ganz anderen Aspekten wahrgenommen werden. Diese Objekte dürften zwar in ihren kategorialen Grundzügen aufgrund von begrifflich strukturierten Wahrnehmungsfähigkeiten (wieder‐)erkannt werden (in Kompatibilität mit dem Wiedererkennungsansatz). Sie sind aber in ihrer Konkretheit reichhaltiger, so dass aus der Bekanntschaft mit ihnen ein Mehrwert für die Erkenntnis entspringt. Mit Bildern können so Objekte erst ‚bekannt gemacht‘ werden, die von den begrifflichen Fähigkeiten bestenfalls ganz allgemein bestimmt sind. Bekanntschaft kann sich im Anschluss zwar auch im Wiedererkennen der jeweils bekannten Objekte manifestieren, erschöpft sich aber nicht darin und kann sich im besonderen Falle
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von Bildern auf eine Art manifestieren, in der die Gegebenheitsweise bestimmend ist. Mit dem Konzept des Filmobjekts verbinde ich daher nicht die Frage: „Wie kommt es, dass wir in Filmen dieselben Objekte wahrnehmen, die uns auch außerhalb der Filmerfahrung begegnen?“ Vielmehr soll es um das gehen, was die Objekte, die wir in Filmen wahrnehmen, von Objekten, die uns in anderen Bildern und außerhalb aller Bilderfahrung begegnen, unterscheidet. Berücksichtigt man, dass der Film eine zeitliche Form hat, dann ist damit auf eine spezifische Formung der Objekte verwiesen, die nicht einfach nur einem ‚Abrufen‘ begrifflich vorliegender und vorgefertigter Objekte entspricht. Aus diesem Grund reicht die Feststellung nicht aus, dass wir in Filmen Personen, Dinge, Ereignisse, Handlungen und Sachverhalte wahrnehmen. Auch eine Aufzählung, die auf Individuen („Charles Foster Kane“, „Luke Skywalker“, „Steve Jobs“), allgemeine Objekte (wie „eine Frau“, „eine Stadt“, „ein außerirdisches Wesen“, „schnelle Autos“) und ‚symbolische‘ Bedeutungen („Die deutsche Seele, symbolisiert von einem Vampir“, „Der Kampf zwischen Gut und Böse“) verweist, hilft hier nicht weiter.¹⁸ Mit derartigen Aufzählungen und Kategorisierungen ist nicht viel erreicht; benötigt wird vielmehr ein methodischer Zugriff auf die Spezifität der Filmobjekte. Im Rahmen der Bekanntschaft mit konkreten Filmobjekten ist außerdem immer auch der Bild- bzw. Filmaspekt der bildlichen Präsentation von Bedeutung (vgl. Kapitel 4.3). Auch hier wird deutlich: Die Bedeutung des Bildaspekts würde radikal in den Hintergrund rücken, wenn die bildliche Darstellung lediglich Anlass zur Manifestation von begrifflichem Erkennen und Wiedererkennen wäre. Denn das Erkennen und Wiedererkennen der Bildobjekte erfolgt gerade unabhängig vom Aspekt – um zu funktionieren, muss gerade davon abstrahiert werden. Das Objekt wird schließlich trotz der jeweils verschiedenen Gegebenheitsweisen erkannt. Beschränkt man sich also bei einer epistemologischen Betrachtung von Bildern auf die Frage nach den Fähigkeiten der Erkenntnis von Objekten im Allgemeinen, dann kann dem Bildaspekt keine epistemologische Rolle zugeordnet werden. Die hier konzipierte Bekanntschaft mit einem Bildobjekt kann dagegen den Aspekt miteinbeziehen. Die Konsequenz aus diesen Überlegungen lautet also: Statische Bildobjekte und dynamische Filmobjekte sind als Gegenstände der Bekanntschaft grundsätzlich verschieden voneinander, sofern man sie nicht auf einen begrifflich geteilten Kern reduziert. Mit den Darstellungsmitteln des Films werden somit spezifische Objekte der Wahrnehmung bestimmt, die nur oberflächlich mit den
Vgl. in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen verschiedenen Darstellungshandlungen in Scholz 2004, S. 151– 154.
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Bildobjekten statischer Bilder identisch zu sein scheinen. Die Frage, was wir in Filmen wahrnehmen, steht folglich in einem engen Zusammenhang zu der Frage, wie wir filmische Bewegungsbilder wahrnehmen: Wie werden Objekte im Film konstituiert?
4.2.2 Direkte Wahrnehmung und die zeitlichen Eigenschaften der Filmobjekte Ein entscheidender Unterschied zwischen propositionalem Wissen und der Wissensform der Bekanntschaft geht auf die Form des Gewussten zurück. Propositionales Wissen ist grundsätzlich auf Sachverhalte bezogen, denn in Aussagen werden Sachverhalte festgestellt. Objekte werden in sprachlichen Aussagen durch die Feststellung von Sachverhalten in Urteilen bestimmt; auf diese Art werden Objekten beispielsweise Eigenschaften oder Funktionen zugeschrieben. Urteilsmäßige Objektbestimmung erfolgt also in der Richtung vom Sachverhalt zum Objekt. Auch in Bildern sind Sachverhalte erkennbar, da Bilder Sachverhalte darstellen; aber im Gegensatz zu Aussagen präsentieren Bilder Objekte, ohne deren Bestimmungen aus Urteilen über Sachverhalte abzuleiten. Insofern ist im Bild die Objektbestimmung von den dargestellten Sachverhalten abgelöst; die Präsentation eines Objekts in einem Bild ist nicht von der Darstellung eines Sachverhalts abhängig. Folglich sind Objektbestimmungen in Aussagen von Objektbestimmungen in der Wahrnehmung zu unterscheiden: Während die Bestimmung von Objekten mittels Aussagen als Feststellung von Sachverhalten auftritt, sind in Bildern Objekte alleine durch ihre Präsentation bestimmt. Das entspricht den Verhältnissen in der Wahrnehmung im Allgemeinen: Man nimmt nicht ‚zuerst‘ einen Sachverhalt wahr und bestimmt daran anschließend die wahrgenommenen Objekte, sondern man nimmt einfach Objekte wahr. Mit dieser Auffassung folge ich Maurice Merleau-Ponty, der gegen die Vorstellung einer kognitiven Leitung der Wahrnehmung argumentiert: „Wahrnehmung ist nicht den Synthesen des Urteils, der Akte oder der Prädikation zu assimilieren.“ (Merleau-Ponty 1965, S. 6). Entsprechend können Objekte in bildlichen Präsentationen unabhängig von den dargestellten Sachverhalten wahrgenommen werden. Im Extremfall bedeutet das: Selbst wenn Objekte klar und deutlich erkennbar sein mögen, kann zugleich der Sachverhalt, der gewissermaßen ihrer ‚Zusammensetzung‘ entspricht, unbestimmt oder nicht eindeutig erscheinen. In diesem Sinne kann von einer direkten Wahrnehmung der Bild- und Filmobjekte gesprochen werden. ‚Direkt‘ bedeutet hier: nicht abgeleitet aus Sachverhalten, ohne Urteil oder implizite Schlussfolgerung. Diese Charakterisierung der Wahrnehmung ergänzt die Abkehr von kognitivistisch-konstruktivistischen Modellen der Wahrnehmung, wie sie in Kapitel 2.1.3 beschrieben wurden. Zur Erin-
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nerung: Der phänomenologische Ansatz geht nicht davon aus, dass die Wahrnehmung von unmittelbar gegebenen elementaren sinnlichen Eigenschaften wie Farben und Formen kognitiv zur Objektwahrnehmung zusammengesetzt werden; vielmehr werden die Objekte unmittelbar und einheitlich als solche wahrgenommen. In der phänomenologischen Kritik wird nun aber nicht nur der primäre Status elementarer Sinnesdaten abgelehnt, sondern auch das Primat der Propositionen und Sachverhalte über die Wahrnehmung: Wahrnehmungen funktionieren nicht wie Urteile als Feststellungen von Sachverhalten, aus denen dann in einem zweiten Schritt erst die Objekte und ihre Eigenschaften erschlossen werden; vielmehr sind die Objekte in ihrer vollen Bestimmtheit primär in der Wahrnehmung gegeben, und erst daran anknüpfend werden Sachverhalte in Wahrnehmungsurteilen erfasst: Merleau-Ponty macht […] deutlich, dass Urteilen und Wahrnehmen zu unterscheiden sind, dass der Akt des Sehens, Hörens und Fühlens nicht mit dem Wahrnehmungsurteil gleichgesetzt werden kann. […] Fasst man die Wahrnehmung als Urteil auf, so der Einwand von Merleau-Ponty, geht die konstitutive Leistung des Wahrnehmungsaktes gerade verloren. (Wagner 2008, S. 91)
Aus diesem Zusammenhang entspringt der epistemologische Unterschied zwischen der Wahrnehmung, dass etwas der Fall ist und der Wahrnehmung von etwas. Erstere ist propositionale Wahrnehmung von Sachverhalten, letztere direkte Objektwahrnehmung. Aus dieser Unterscheidung entspringt schließlich die Differenz zwischen statischen Bildobjekten und den dynamischen Bildobjekten des Films – den Filmobjekten. In Bezug auf die Eigenschaft der Bewegung ist in Kapitel 3.1 deutlich geworden: In Filmen nehmen wir nicht nur wahr, dass sich etwas bewegt – wie wir es auch in statischen Bildern sehen könnten –, sondern wir nehmen auch die Bewegung selbst wahr. Dieses Verhältnis ist nun auf alle Objekte und Eigenschaften auszuweiten, die sich wesentlich in einem zeitlichen Prozess entfalten. Denn die zeitliche Form des Films ermöglicht nicht nur die bildliche Präsentation von Bewegung, sondern darüber hinaus auch von Ereignissen, Prozessen, Veränderungen und Entwicklungen als solchen. Beispielsweise können Ereignisse als Ereignisse, Handlungen als Handlungen und Prozesse als Prozesse präsentiert werden. Charakteristisch für Filmobjekte sind folglich die zeitlichen Eigenschaften, die an statischen Bildobjekten zwar angezeigt, aber nicht selbst wahrgenommen werden können. In diesem Sinne kann man davon sprechen, dass Filmobjekte gegenüber statischen Bildobjekten in der zeitlichen Dimension ‚er-
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weitert‘ sind, weil die Präsentation von Eigenschaften von einem Zeitpunkt zu einem Zeitabschnitt ‚ausgedehnt‘ wird.¹⁹ Die Tragweite dieser Erweiterung wird deutlich, wenn man sie auf die konkrete Vielfalt der filmischen Inhalte bezieht. In Filmen kommen Menschen vor; sie bewegen sich nicht nur, sondern sie verhalten sich, sprechen und handeln. All diese Vorgänge und Tätigkeiten sind zeitlich strukturiert; sie können als zeitlich strukturierte im Film abgebildet werden. Insofern ist es zugleich trivial wie erstaunlich, dass überhaupt nur im Film Handlungen und Verhaltensweisen als solche bildlich präsentiert werden können. In statischen Bildern wird man dagegen immer nur Andeutungen von Handlungen, Verhaltensweisen und Prozessen finden, während der tatsächliche Vollzug (und insbesondere dessen Dauer) unsichtbar bleibt. Aus epistemologischer Perspektive erscheint das filmische Bewegungsbild folglich als Erweiterung der Tendenz, die schon die Bekanntschaft mit dem statischen Bild von einer Kenntnis durch sprachliche Beschreibung unterscheidet: In sprachlichen Beschreibungen erfahren wir, dass ein Objekt bestimmte Eigenschaften hat, während wir in statischen Bildern die visuellen und nicht-zeitlichen Eigenschaften eines Objekts direkt sehen; in filmischen Bewegungsbildern nehmen wir darüber hinaus direkt zeitliche Eigenschaften wahr, von denen wir in statischen Bildern bestenfalls sehen konnten, dass sie den abgebildeten Objekten zukommen. Derselbe Unterschied zeigt sich in Bezug auf die Bildaspekte der Darstellung, beispielsweise im Hinblick auf die zeitliche Abfolge zweier Ereignisse: Während wir durch eine Beschreibung erfahren können, dass ein Ereignis auf ein anderes folgt, und aus der räumlichen Ordnung zweier statischer Bilder schließen können, dass das Ereignis in dem zweiten Bild auf das Ereignis in dem ersten Bild folgt – können wir im filmischen Bewegungsbild die zeitliche Abfolge beider Ereignisse direkt sehen. Auch der dynamische Aspekt bzw. die Gegebenheitsweise der präsentierten Objekte kann folglich in Bildern direkt wahrgenommen werden. Eine weitere Konsequenz aus der zeitlichen Form des Films ergibt sich daraus, dass die präsentierten Bildeigenschaften über den Bereich des Sichtbaren hinausweisen: Es kommt eine andere Ebene des Sinns ins Spiel. Denn man kann zwar die Bewegung eines Objekts sehen, aber zeitliche Formen zeichnen sich nicht notwendig durch Sichtbarkeit aus. Melodien, Spannungsbögen, Veränderungen und geistige Entwicklungen sind zeitliche Formen; sie werden im Prozess erfahren, nicht aber in einem Moment gesehen. Für den Film kann man sagen, Vgl. auch André Bazin: „Der Film hält den Gegenstand nicht mehr nur in einem Augenblick fest, wie der Bernstein den intakten Körper von Insekten aus einer fernen Zeit; er befreit die Barockkunst von ihrem Starrkrampf. Zum ersten Mal ist das Bild der Dinge auch das ihrer Dauer, es ist gleichsam die Mumie ihrer Veränderung.“ (Bazin 2004a, S. 39).
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dass zwar die Bewegung des Bildausschnitts, die Folge von Bildern in der Montage o. ä. sichtbar sind, dass aber zeitliche Eigenschaften dieser sichtbaren Bildvorgänge wie Dauer und Rhythmus selbst nicht in jeder Hinsicht ‚sichtbar‘ genannt werden können. Ein visueller Rhythmus ergibt sich aus dem sichtbaren Bildvorgang (z. B. in der Montage) und wird beim Betrachten der Bilder wahrgenommen oder mitvollzogen – aber man ist nicht darauf festgelegt zu sagen, dass man den Rhythmus selbst ‚sieht‘. Dieser Umstand führt zu einer Auflösung der Unklarheit, die Malcolm Turvey irritiert hat. Wir erinnern uns: Für Turvey drückt sich die Unklarheit über die Objekte der Filmwahrnehmung hauptsächlich darin aus, dass dem Film die Möglichkeit zugeschrieben wird, nicht-visuelle Eigenschaften sichtbar zu machen (vgl. Kapitel 1.5). Das erschien Turvey paradox und unsinnig: nicht-visuelle Eigenschaften können als solche prinzipiell nicht gesehen werden. Doch die Feststellung, dass der Film eine zeitliche Form hat, führt zu einem fast schon trivialen Sinn der Rede von ‚nicht-visuellen‘ Eigenschaften. Eine Dauer ist nicht (nur) etwas Visuelles; ein Rhythmus muss – selbst, wenn er ein visueller Rhythmus ist – nicht nur gesehen, sondern auch mitvollzogen, man könnte auch sagen: gefühlt werden. Die Fixierung auf Eigenschaften wie Farben, Umrisse, Helligkeit und Gestalten, die gewissermaßen in einem Augenblick visuell erfasst werden, verbleibt im Paradigma des statischen Bildes; zeitliche Prozesse wie Bewegungen, Entwicklungen und Bildfolgen müssen im Unterschied zu jenen Eigenschaften ‚abgewartet‘ und mitvollzogen werden. Selbst, wenn eine Bewegung mit dem Auge wahrgenommen wird, ist die Dauer dieser Bewegung sicherlich nicht etwas, was selbst nur gesehen wird. Ausgangspunkt für diese Erweiterungen der intentionalen Objekte der Filmwahrnehmung über die statischen Bildobjekte hinaus ist die Orientierung an einer Gestalt, die als Einheit wahrgenommen wird. Merleau-Ponty spricht in diesem Zusammenhang von der „melodischen Einheit des Films“ (Merleau-Ponty 2000, S. 74). Denn Filmobjekte sind zeitlich strukturiert und zeichnen sich aus durch Dauer, Bewegung, Veränderung, Verhalten, Handlung und (im Tonfilm) auditive Eigenschaften. Nur in (nachgeordneter) analytischer Einstellung erscheinen diese Eigenschaften der Filmobjekte als ‚zusammengesetzt‘ oder als ‚Summe‘ – aus ‚Einzelbildern‘, ‚Momenten‘, visuellen und auditiven Eigenschaften usw. So werden normalerweise visuelle und auditive Eigenschaften eines Filmobjekts nicht in einer gewissermaßen äußerlichen Beziehung zueinander stehen, wie wenn einem (visuellen) Bild eine auditive Eigenschaft hinzugefügt würde. In Kapitel 6 werde ich schließlich dafür argumentieren, dass durch die Erweiterung der bildlichen Elemente über den Bereich des Visuellen hinaus schließlich nicht nur weitere sinnliche Bereiche wie etwa Hörbares und Fühlbares, sondern auch Gegenstände
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des ‚Denkens‘ und der philosophischen Auseinandersetzung in gewisser Hinsicht zum filmischen Bewegungsbild zu zählen sind. Es sind besonders die zeitlichen Eigenschaften der Filmobjekte, die in der Beurteilung eines Films ‚interessant‘ erscheinen können. Denn bei dieser Beurteilung muss es nicht unbedingt darum gehen, dass man etwas über den Film hinaus erfährt, etwa so, wie eine neue Information interessant sein kann. Vielmehr können Handlungsabläufe, Prozesse, Veränderungen, ja vielleicht auch bloße Bewegungen interessant wirken, weil sie als solche zum Gegenstand der Betrachtung werden. Diese Erscheinungen können natürlich auch beschrieben, vorgestellt oder in statischen Bildern abgebildet werden. Aber im filmischen Bewegungsbild können Objekte wie Handlungen, Entstehungsprozesse, Entwicklungen oder Empfindungen in ihrer zeitlichen Struktur bildlich präsentiert und zu Gegenständen der Bekanntschaft werden – und das ist eine epistemische Besonderheit des filmischen Bewegungsbildes. Der Einwand Turveys, dass diese Dinge ‚prinzipiell‘ natürlich auch außerhalb des filmischen Bildes wahrnehmbar sind, trifft den entscheidenden Punkt nicht: Denn es geht nicht nur um eine theoretisch mögliche Wahrnehmung, sondern um die faktische Wahrnehmung dieser Erscheinungen im Film. Darüber hinaus unterscheiden sich Objekte und Eigenschaften in (filmischen) Bildern immer dadurch grundsätzlich von ‚realen‘ Objekten und Eigenschaften, dass sie im Bild sind; die Annahme, dass das im Bild präsente Objekt in einer Beziehung steht (oder gar identisch ist) mit dem außerhalb des Bildes Wahrgenommenen, verweist schon auf wesentlich komplexere Zusammenhänge, die über die primäre Bekanntschaft mit den Filmobjekten hinausgehen.
4.3 Dynamische Aspekte der filmischen Präsentation Nicht nur die zeitlichen Eigenschaften der Filmobjekte markieren eine epistemologische Differenz zu statischen Bildern. Darüber hinaus führt auch die Dynamisierung des Bildaspekts im Film zu einer komplexen Erweiterung des Wahrnehmungsfeldes. In Kapitel 2.1 habe ich bereits erläutert, dass eine bildliche Präsentation eines Objekts immer auch Eigenschaften aufweist, die nicht dem präsentierten Objekt zuzuschreiben sind. Man kann in diesem Zusammenhang von den Darstellungseigenschaften, von der ‚Gegebenheitsweise‘ der Bildobjekte oder von dem Aspekt des Bildes sprechen. Ein geläufiges Beispiel für einen Bildaspekt ist die Perspektive, aus der ein Objekt in einem Bild präsentiert wird. Die Perspektive ist keine Eigenschaft des Objekts selbst, sondern vielmehr eine Eigenschaft der Darstellung des Objekts, oder, wie man in Bezug auf den Film sagt: der Einstellung. Jede bildliche Präsentation von Objekten erfolgt notwendig
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unter einem derartigen Aspekt: Die Möglichkeiten für die Wahl einer Einstellung mögen nahezu unbegrenzt sein – es ist aber unmöglich, ein Objekt in einem Bild ohne Einstellung darzustellen. Es geht also in Bildern grundsätzlich nicht nur um die Bestimmung dessen, was präsentiert oder dargestellt wird, sondern besonders auch darum, wie bzw. unter welchem Aspekt Objekte präsentiert und Sachverhalte dargestellt sind.²⁰ Klassische filmische Mittel, mit denen Bildaspekte konstituiert werden, sind Kamerabewegung, Schnitt, Einstellung und Farbgebung. Die Bewegung der Kamera kann beispielsweise Bewegungen präsentieren, die nicht den Bildobjekten, sondern vielmehr dem Modus der Bildpräsentation zuzuschreiben sind. Nicht nur das Filmobjekt wird somit dynamisch, sondern auch die Beziehung zwischen bildlicher Präsentation und dem bildlich Präsentierten, wodurch auch die Beziehung der Zuschauerinnen zum Filmobjekt in vielerlei Hinsicht komplexer wird. Es können allgemein drei epistemologisch relevante Arten unterschieden werden, in denen der Bildaspekt auftritt und die im Film jeweils mit spezifischen Konsequenzen umgesetzt werden: 1. Transparenz, 2. deutlich wahrnehmbare Mitbestimmung des Filmobjektes und 3. Objektivierung einer Präsentations- und Darstellungsweise. 1. Wenn das präsentierte Objekt so im Vordergrund der bildlichen Präsentation steht, dass der Aspekt, unter dem es präsentiert wird, gar nicht eigens auffällt, ist der Bildaspekt transparent. In diesem Szenario geht es hauptsächlich darum, das Objekt so darzustellen, dass dessen relevante Eigenschaften problemlos und flüssig wahrgenommen werden. Das Ziel dieser Darstellungsweise besteht in einer möglichst klaren und einfachen Präsentation des Filmobjekts, so dass beispielsweise bestimmte Sachverhalte unmittelbar und eindeutig erkannt werden.²¹ Der transparente Bildaspekt ist paradigmatisch für das klassische HollywoodKino. Die Transparenz täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Art und Weise der bildlichen Präsentation immer auch den Sinn des Bild- und Filmobjekts In dieser Hinsicht verhält sich die bildliche Darstellung übrigens analog zu Aussagen, denn es kann jeweils derselbe Sachverhalt auf unzählige verschiedene Weisen ausgedrückt werden. So kann beispielsweise mit einer bestimmten Formulierung zusätzlich zur bloßen Feststellung auch eine Wertung ausgedrückt werden. – Ein weitreichender Anteil des Bildaspekts kann unter dem Begriff des Stils gefasst werden: „[D]er Stil [kann] als die Verwirklichung einer Sichtweise auf eine Sache angesehen werden.“ (Wiesing 2005, S. 56). Diese Art der Transparenz ist im Übrigen nicht zu verwechseln mit einem Mangel an Bildbewusstsein (vgl. Kapitel 2.2) oder mit der Transparenz der fotografischen Abbildung (vgl. Kapitel 5.3). In der gegenwärtigen Überlegung geht es lediglich darum, dass Darstellungseigenschaften wie Perspektive, Farbgebung, Kamerabewegung und Schnitt nicht unbedingt bewusst wahrgenommen oder zum Gegenstand der Betrachtung werden.
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mitbestimmt. So wird beispielsweise die Wahl der Einstellung nur selten als solche hervorgehoben; dennoch bestimmt sie sehr effektiv, was der Zuschauer mit dem Filmobjekt verbindet. Der Zuschauer ist sich dieser Wirkung der Einstellung normalerweise nicht bewusst. Rudolf Arnheim beschreibt zur Veranschaulichung dieses Punkts eine Szene aus einem Film von Charles Chaplin, in der der Protagonist von hinten gefilmt wird, wie er über die Reling eines Schiffes gebeugt ist. Die Szene suggeriert Seekrankheit; tatsächlich sieht man aber in der nächsten Einstellung, dass der Protagonist nur seine Angelschnur eingeholt hat: „Der Grundgedanke einer solchen Filmszene lautet nicht mehr: ein Mann tut dies und das, z. B. er angelt oder er erbricht sich – sondern: ein Mann tut dies und das, und dabei schaut ihm der Beobachter von einem ganz bestimmten Ort aus zu!“ (Arnheim 2002, S. 51). Hier wird der Zuschauer durch die Wahl der Einstellung getäuscht – dennoch erscheint die Einstellung nicht künstlich und wird flüssig verstanden. Grundsätzlich findet immer eine Bestimmung des Objektkontexts durch die Bildaspekte statt, die aber im Falle gelingender Transparenz nicht als solche wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang wird häufig von der unbewussten ‚Wirkung‘ des filmischen Bildes auf die Zuschauerinnen gesprochen. Es kann in diesem Zusammenhang allerdings irreführend sein, die wahrgenommenen Eigenschaften als ‚subjektive Eindrücke‘ alleine den Zuschauerinnen zuzuschreiben und nicht der Gegebenheitsweise des Filmobjekts, wie es durch den Aspekt bestimmt ist. Mit der Wechselwirkung von Aspekt und Objekt im Film kommt eine besondere Möglichkeit der dynamischen Bildbestimmung ins Spiel. Das berühmteste filmtheoretische Beispiel für die Rolle des dynamischen Aspekts in der Filmwahrnehmung ist der Kuleshov-Effekt. Der Effekt zeigt, dass unter bestimmten Umständen die ‚Bedeutung‘ des in einem filmischen Bild Wahrgenommenen von den unmittelbar vorangehenden Bildern bestimmt wird: […] by editing the same close-up of the actor Mosjoukine together with three different reverse-angle shots (of a plate of soup, a dead woman in a coffin, and a child playing), [Lev Kuleshov] discovered that the spectator’s impression of the actor’s performance seemed to change accordingly (i. e. from a portrayal of hunger, to sorrow, to tender affection). The conclusion that Kuleshov and his students drew from such experiments is that the meaning of events on film is not in the elements of profilmic reality depicted (i. e. Mosjoukine’s face or a dead woman) but is rather a function of how those elements are edited together (i.e. Mosjoukine’s face + dead woman in a coffin = ‘sorrow’). (Guynn 2011, 245 f.)
Der Kuleshov-Effekt zeigt also, dass die Abfolge der Szenen das Filmobjekt einer einzelnen Szene bestimmt: Der immer gleiche Gesichtsausdruck wird jeweils als ein anderer gesehen, je nach Schnitt-Zusammenhang und Dauer der Einstellung. Hier wird durch die zeitlichen Eigenschaften des Bildes ein ‚Aspekt-Wechsel‘
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realisiert, der zugleich das Objekt der Wahrnehmung verändert. Die Verhältnisse sind analog zum berühmten Aspekt-Wechsel des ‚Hasen-Enten-Kopfs‘:²² In diesem Bild ist entweder ein Hase oder eine Ente sichtbar, wobei der Aspektwechsel willkürlich herbeigeführt werden kann.
Der Hasen-Enten-Kopf.
Die Gegebenheitsweise trägt hier zur Bestimmung des wahrgenommenen Objekts bei; es bleibt nicht mehr der (‚statisch‘) abgebildete Gegenstand unabhängig von seiner Gegebenheitsweise in der Wahrnehmung, sondern beide Seiten verschmelzen miteinander – zu einem Objekt mit einem bestimmten Sinn. Der Kontext der Bildordnung führt zu verschiedenen Bestimmungen dessen, was in den jeweils einzelnen Szenen und Einstellungen wahrgenommen wird: „Der Sinn eines Bildes hängt also von denen ab, die ihm im Film vorangehen, und ihre Aufeinanderfolge schafft eine neue Realität, die nicht die schlichte Summe der verwendeten Bestandteile ist.“ (Merleau-Ponty 2000, S. 74). Ein anderes Beispiel: Man kann eine Person in Großaufnahme filmen, wodurch sie uns auf eine bestimmte Weise erscheint; in größerer Distanz wäre ihre Erscheinung aber ganz anders. Die Person ist aus beiden Abständen dieselbe, nur die Einstellung variiert eben. Aber – und das ist etwas Besonderes – die Erscheinung der Person in der filmischen Einstellung kann uns zugleich etwas an der Person zeigen, was sich in einem nicht-filmischen, ‚neutralen‘ und transparenten Verweis auf sie so nicht zeigen würde. Wenn ich irgendwo stehe und auf jemanden zeige, dann sieht man die Person zwar auch aus einer bestimmten Perspektive und aus einer bestimmten Vgl. zur Geschichte dieser Abbildung Brugger 1999. In der Philosophie ist dieses Bild hauptsächlich durch Wittgenstein bekannt geworden, vgl. Wittgenstein 2009, S. 204.
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Entfernung, aber der Perspektive und der Entfernung wird nicht unbedingt eine besondere Bedeutung zugemessen. Im Bild ist das aber anders: Hier bestimmen Perspektive, Einstellung und Distanz auch die Bedeutung des Gesehenen. Sehen wir eine Person in einer Großaufnahme oder gefolgt von einem bestimmten anderen Bild, dann können diese Verhältnisse eine Bedeutung entfalten, die sie außerhalb des Bildes so nicht hätten. In diesem Zusammenhang ergibt sich ein weiterer Sinn, in dem Filmobjekte im Vergleich zu statischen Bildobjekten als ‚erweitert‘ bezeichnet werden können. Die Aufmerksamkeit wird von den Filmobjekten hin zu Bedeutungsspielräumen gelenkt, die sich aus zeitlichen Entwicklungen heraus ergeben. Bereits bei der Charakterisierung des filmischen Bewegungsbildes als zeitliche Form in Kapitel 3.1 hat sich gezeigt, dass die Wahrnehmung zeitlicher Formen nicht ausschließlich dem visuellen Bereich zuzuschreiben ist. So nehmen wir in einer Filmszene nicht nur deren visuelle Eigenschaften wahr, sondern unter anderem auch ihre Dauer. Maurice Merleau-Ponty spricht in diesem Zusammenhang von Metrum und Rhythmus eines Films – Eigenschaften, die beispielsweise durch die Filmschnitte bestimmt sein können.²³ Dasselbe gilt für die Filmobjekte: Wir nehmen nicht nur deren Aussehen wahr, sondern auch beispielsweise ihre Bewegung, ihre Veränderung, den Rhythmus ihrer Bewegung und ihre prozessualen Eigenschaften. Hier werden – ähnlich wie in der Musik – nicht nur einzelne für sich stehende Elemente visuell registriert und als ‚Summe‘ der aufeinanderfolgenden visuell erscheinenden Momente ‚kognitiv konstruiert‘. Vielmehr werden einheitliche Gestalten wahrgenommen, deren Zusammenhang aus einer zeitlichen Struktur heraus entsteht. Darüber hinaus kann nicht nur die Bildfolge, sondern auch z. B. die Dauer der Einstellung bestimmen, als was das Bildobjekt wahrgenommen wird. Aus diesen Punkten folgt, dass die Filmobjekte im Unterschied zu den statischen Bildobjekten nicht mehr uneingeschränkt visuell bestimmt sind.²⁴ 2. Im Gegensatz zur unmerklichen Formung der Wahrnehmung durch transparente Aspekte kann die Bestimmung der Bild- und Filmobjekte aber auch offen erkennbar und deutlich hervorgehoben sein. Dabei wird dem Zuschauer bewusst, dass und wie der Bildaspekt die Wahrnehmung des Filmobjekts bestimmt. Die
Vgl. Merleau-Ponty 2000, S. 74 f. Man beachte, dass diese Charakterisierung der zeitlichen Eigenschaften der Filmobjekte nicht notwendig auf metaphorische Eigenschaften hinausläuft. Im metaphorischen Sinne kann auch ein statisches Bild beispielsweise traurig oder eine statische Linie schwungvoll sein; vgl. Goodman 1976, Kap. II. Es ist nicht dieser Sinn, in dem man von einer ‚langsamen Einstellung‘ oder einem ‚ausgewogenen Schnitt-Rhythmus‘ spricht, denn die Eigenschaften ‚langsam‘ oder ‚ausgewogen‘ sind buchstäbliche Eigenschaften des filmischen Bewegungsbildes.
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entsprechenden Mittel können beispielsweise verfremdend wirken. Beispiele für filmische Umsetzungen sind ungewöhnliche Kameraperspektiven, aufdringliche musikalische Untermalung, schnelle und verwirrende Schnitte, ungewöhnliche Farbgebung und verzerrte Ansichten. In diesen Fällen steht das Objekt zwar noch im Vordergrund der Darstellung, die Darstellungseigenschaften werden aber so deutlich gemacht, dass ihr Einfluss auf den Sinn des Bildes offensichtlich wird. Beispielsweise wird der bildlichen Objektbestimmung durch eine bestimmte Perspektive eine reflektierte ‚Einstellung‘ (im Sinne einer Haltung) zum Präsentierten mitgegeben: „Die Merkwürdigkeit und Ungewohntheit dieser Ansicht wirkt wie eine geistreiche Auffassung – (‚einer Sache eine neue Seite abgewinnen‘) –, sie holt, rein bildmäßig, aus einem bekannten Alltagsgegenstand Unbekanntes heraus.“ (Arnheim 2002, S. 53; vgl. auch Kap. II und III). Darüber hinaus erscheint die Wahl eines Aspekts im Film nicht mehr nur als Notwendigkeit der bildlichen Darstellung, die gut oder schlecht im Hinblick auf die Charakterisierung des Bildobjekts ausfallen kann. Vielmehr kann mit filmischen Mitteln wie der Kameraführung, der Montage oder dem Filmton ein Verhältnis zum Filmobjekt erzeugt werden, das sich gewissermaßen ‚zwischen‘ die sonst transparente Beziehung des Zuschauers zum präsentierten Objekt schiebt. So werden reflexive Ebenen in das filmische Bewegungsbild eingezogen: Einerseits wird die reflektierte Einflussnahme des Filmemachers auf die Gestaltung der Filmobjekte in den Vordergrund der Aufmerksamkeit gerückt. Andererseits wird dem Zuschauer ein Bewusstsein über das Verhältnis seiner eigenen Wahrnehmung zur filmischen Darstellung vermittelt. Das ‚Wie‘ der Bedeutungsbestimmung rückt durch den Bild- und Filmaspekt selbst in den Bereich der Wahrnehmung. 3. Schließlich können die Aspekte selbst zum Objekt der Wahrnehmung werden, während die Filmobjekte in den Hintergrund der Aufmerksamkeit rücken. In diesem Sinne werden ‚Sichtweisen‘ selbst sichtbar gemacht bzw. präsentiert. Es kommt dann nicht mehr so sehr darauf an, welches Objekt eigentlich im Bild präsentiert wird, sondern darauf, wie sich die Präsentation gestaltet. Man schaut nicht mehr darauf, wie Objekte aussehen bzw. welche Eigenschaften sie haben, sondern in erster Linie auf die Art und Weise, wie sie präsentiert und dargestellt werden. Von einigen Autoren der phänomenologischen Bild- und Filmtheorie wird in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass mit der filmischen Präsentation der Bildobjekte zugleich eine Wahrnehmungsweise dieser Objekte im Bild präsentiert wird.²⁵ Mit bildlichen und filmischen Mitteln kann der Vorgang der Wahrnehmung gewissermaßen nachgebildet werden; das Bild zeigt dann
Vgl. Wiesing 2000, Kap. IV.
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nicht (nur) Objekte, sondern die Wahrnehmungsweise dieser Objekte. Das ist etwas, was man unabhängig von Bildern normalerweise nicht wahrnimmt – es ist transparent. Denn im Normalfall ist man sich zwar der Objekte der Wahrnehmung bewusst, aber nicht der Art und Weise, wie man Objekte wahrnimmt. Man nimmt immer etwas auf eine bestimmte Weise wahr, aber man nimmt dabei nicht die bestimmte Weise selbst wahr. Im Bild kann dagegen neben dem „Was“ auch das „Wie“ zum Objekt gemacht werden. Bilder können als Werkzeug dienen, mit dem die Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Wahrnehmung gelenkt wird. Lambert Wiesing beschreibt diesen Punkt im Rahmen einer Interpretation der bildtheoretischen Position Merleau-Pontys so: Der Mensch bedarf des Bildes, welches die Ordnungen der Sichtbarkeit selbst sichtbar werden läßt, denn nur so kann er sich darüber aufklären, was es heißt, im Medium seiner Sinne eine Erfahrung zu machen. Denn wenn Bilder und Wahrnehmungen auch gemeinsam haben, daß sie ihren Bezugsgegenstand stilisieren, so unterscheiden sie sich eben doch darin, daß diese Stilisierung ausschließlich im Bild sichtbar ist. […] Bei einem Bild kann man nicht nur sehen, was es zeigt, sondern immer auch wie es zeigt, was es zeigt. (Wiesing 2000, S. 72)
In Bildern und Filmen können demnach nicht nur Objekte präsentiert, sondern es kann auch eine ‚Objektivierung‘ von Merkmalen der Wahrnehmung selbst realisiert werden: Wahrnehmung wird zum Objekt der Wahrnehmung.²⁶ Die Kamera und ihre Bewegung im Film nimmt in dieser Hinsicht eine besondere Rolle ein. Ein klassisches Beispiel dafür ist die subjektive Kameraeinstellung. Hier wird deutlich, dass nicht nur Objekte dargestellt werden, sondern dass die Präsentation dieser Objekte Eigenschaften aufweist, die sie als Wahrnehmung einer Person im Film auszeichnen.²⁷ Allein aus den Bewegungen der Kamera und dem Kontext des so Präsentierten kann deutlich werden, dass jetzt nicht mehr nur etwas präsentiert wird, sondern dass die Weise der Präsentation (als Wahrnehmungsweise) selbst präsentiert wird. Im Film rückt bereits mit der Bewegung der Kamera das Verhältnis der Präsentation zu den präsentierten Objekten in den Vordergrund. Denn eine Kamerabewegung lässt deutlich hervortreten, dass hier etwas in den Fokus der Aufmerksamkeit (oder auch von ihm weg) gerückt wird. Im statischen Bild dagegen ist (und bleibt) etwas im Fokus der Aufmerksamkeit; aus dem Bild selbst heraus wird der Bildausschnitt (die ‚Einstellung‘) nicht unbedingt auf diese Weise thematisch. Arthur Danto stellt in diesem Zusammenhang fest:
Vgl. auch Vivian Sobchacks Bezugnahme auf eine Formulierung Merleau-Pontys: „What else is a film if not ‚an expression of experience by experience‘?“ (Sobchack 1992, S. 3). Vgl. Conant 2009.
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In that case a film achieves something spectacular, for it does not merely show what it shows, but it shows the fact that the thing shown is shown; it gives us not merely an object but a perception of that object, a world and a way of seeing that world at once, the artist’s mode of vision being as importantly in the work as what it is a vision of. (Danto 1999, S. 231)
Die Art und Weise der jeweils eigenen Wahrnehmung ist normalerweise transparent, also nicht bewusst – man sieht nicht, wie man etwas sieht; sie ist ausschließlich in einem Bild wahrnehmbar, so dass dieser Vorgang als eine weitere Art der bildlichen und filmischen Enthüllung gedeutet werden kann: Nicht nur, daß ein anderer nicht sehen kann, wie jemand sieht. Die eigenen Wahrnehmungen geben sich dem Wahrnehmenden derart objektiv, daß sie ihre Machart verbergen. […] Das Bild kann zeigen, wie die Wahrnehmung des Menschen in ihrer unumgänglichen stilistischen Verfassung aussieht und aussehen kann. […] Das Bild wird zu einer Art Potenzierung: Der schon in der Gestaltung der Wahrnehmung selbst enthaltene Ausdruck einer individuellen Person wird im Bild nochmals ausgedrückt […] (Wiesing 2000, S. 73 f.).
Die Präsentation eines Erlebnisses durch dynamische Aspekte stellt eine weitere charakteristische Möglichkeit filmischer Enthüllung dar, denn es wird etwas normalerweise Unsichtbares im Bild sichtbar gemacht, also enthüllt. Es ist auch hier nicht so, dass die Art und Weise der Wahrnehmung einer Sache außerhalb eines Bildes prinzipiell oder gar logisch nicht wahrnehmbar ist, wie Malcolm Turvey es am Enthüllungsgedanken kritisiert (vgl. Kapitel 1.5). Vielmehr wird die Aufmerksamkeit normalerweise nicht auf diesen Aspekt der Wahrnehmung gerichtet, und es kann einigen Menschen durchaus schwerfallen oder gar (empirisch) unmöglich sein, die eigene Weise der Wahrnehmung so wahrzunehmen, wie sie in einem Bild wahrnehmbar werden kann. In diesem Sinne kann der Film daher als Enthüllung funktionieren. Doch die Präsentation der Wahrnehmungsweise einer Person oder des Filmemachers ist nur ein sehr spezieller Fall, der beispielsweise im Falle der subjektiven Kamera nur gelegentlich eingesetzt wird und klare Grenzen aufweist.²⁸ Die Deutung des Aspekts als Wahrnehmungsweise sollte daher nicht leitend für dessen Verständnis sein. Hier könnte sich sogar ein Missverständnis einstellen: Die Analogie zwischen Filmaspekt und ‚normaler‘ menschlicher Wahrnehmung könnte zu einer anthropomorphisierenden Interpretation der Filmkamera verleiten. Diese Deutung ist insofern irreführend, als dadurch eine mögliche Differenzierung zwischen der Wahrnehmung einer Person im Bild und der ‚Wahrnehmung‘ der Kamera erschwert oder ausgeschlossen wird. Es kann mit dem Aspekt Zur filmphilosophischen Bedeutung der subjektiven Kamera und ihrer Grenzen vgl. Conant 2009.
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allerdings auch ganz allgemein der ‚Modus des Gegebenseins‘ als solcher präsentiert werden; dieser Modus muss nicht in jedem Fall als Modus einer Wahrnehmung gedeutet werden. Man sollte daher neutraler formulieren: Die Aspekte der Darstellung können selbst zur Darstellung gelangen, so dass sie in gewisser Weise präsentiert werden. Es werden demnach in Filmen nicht nur Filmobjekte präsentiert, sondern es eröffnet sich auch die Möglichkeit, die Aspekte dieser Präsentation zu ‚vergegenständlichen‘. Dadurch werden neben den Objekten auch Erscheinungsweisen in Bildern festgehalten. Der hier markierte Unterschied zwischen filmischen Bewegungsbildern und statischen Bildern ist übrigens darauf zurück zu führen, dass mit den dynamischen Aspekten der Kamerabewegung, der Einstellungsvariation und des Schnitts eine (scheinbar) selbständig zeigende Instanz eingeführt wird. Während bei statischen Bildern die Wahl der Perspektive klar dem Bildschöpfer zugeschrieben wird, kann der Kameraperspektive im Film ein eigener Charakter zukommen, der sie als Wahrnehmungssubjekt erscheinen lässt. Daraus lassen sich einige Konsequenzen ziehen, auf die ich im Zusammenhang mit der Diskussion filmischen Zeigens in Kapitel 6 zurückkomme.
5 Mit Bildern das Abgebildete zeigen: Spielarten des Realismus Die Wahrnehmung von Objekten und insbesondere von Bild- und Filmobjekten stiftet Bekanntschaft. Bekanntschaft ist kein Wissen von Sachverhalten, sondern eine nicht-propositionale Kenntnis von Objekten. Als Disposition ist sie von den allgemeinen Wahrnehmungsfähigkeiten zu unterscheiden, die eine begriffliche Erkenntnis der Objekte ermöglichen. Für eine nähere Untersuchung von Bekanntschaft als epistemischer Disposition ist eine Orientierung an ihren Manifestationen unumgänglich. Es muss daher erläutert werden, wie sich Bekanntschaft als Form des Wissens in filmischen Bewegungsbildern und in entsprechenden filmischen Praktiken manifestiert. In Kapitel 4.1.2 habe ich darauf hingewiesen, dass der ‚Gehalt‘ der Bekanntschaft mit Bildobjekten in seiner vollen Bestimmtheit nur im Bild selbst zu finden ist. Manifestationen der bildlichen bzw. filmischen Bekanntschaft finden sich also in Vorgängen und Handlungen, in denen die Bild- und Filmobjekte selbst eine entscheidende Funktion ausüben. Im Folgenden geht es daher um Praktiken, die sich deutlich und irreduzibel auf Filmobjekte beziehen: Um Praktiken des Zeigens. Zeigen wird hier als epistemische Praxis mit Bildern aufgefasst, in der sich auf verschiedene Weisen die Gehalte bildlicher Bekanntschaft manifestieren: Filme zeigen etwas – und mit Filmen wird etwas gezeigt. Das scheint eine triviale Selbstverständlichkeit zu sein – und doch muss hier differenziert werden, denn es gibt viele Arten und Weisen des Zeigens, die in verschiedenen Zusammenhängen relevant werden.¹ Ausgehend von allgemeinen begrifflichen Bemerkungen werden daher im Folgenden drei Arten des Zeigens untersucht, die sich im und mit dem Film als Manifestationen von Bekanntschaft auszeichnen. Die Unterscheidung der drei Zeige-Arten orientiert sich an verschiedenen epistemologischen Funktionen: 1. Die erste Bedeutung des Zeigens entspricht einer geläufigen Verwendung von Bildern im Allgemeinen: Mit Bildern wird etwas gezeigt, indem ein Bildobjekt dazu verwendet wird, einer anderen Person das Abgebildete zu zeigen. Bei diesem Vorgang handelt es sich um exemplifizierendes Zeigen. Die Bekanntschaft mit Bildobjekten manifestiert sich hier über das bloße Wiedererkennen der Objekte hinaus in einer Praxis des Zeigens, in der eine Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem hergestellt wird.² Eine besondere Form
Vgl. zum Begriff des Zeigens den Überblick in Abel 1999c. Vgl. Wiesing 2013. https://doi.org/10.1515/9783110600506-006
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2.
3.
5 Mit Bildern das Abgebildete zeigen: Spielarten des Realismus
dieser Zeigepraxis besteht darin, das Abgebildete als dasjenige zu zeigen, was das physische Bild und in der Folge auch das Bildobjekt bei dessen Entstehung bestimmt hat. Das Bildobjekt ist in diesen Fällen vom Abgebildeten bestimmt. Dies ist die typische Form einer realistischen Abbildung. In diesem Zusammenhang ergibt sich ein besonderer Klärungsbedarf in Bezug auf das filmtheoretische Paradigma des fotografischen Films. Diese Punkte werden in den Kapiteln 5.1– 5.3 näher untersucht. Eine andere Art des Zeigens ergibt sich aus der zeitlichen Form des Films: Anhand von dynamischen Mitteln der Präsentation kann die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf bestimmte Objekte gelenkt werden. Diese Möglichkeit für einen Zeigeprozess ist in statischen Bildern nicht gegeben. Während statische Bilder bestimmte Objekte und Eigenschaften präsentieren, können Filme bestimmte Objekte und Eigenschaften in einem zeitlichen Vorgang zeigen, indem sie per Aufmerksamkeitslenkung aus der Menge des Wahrnehmbaren hervorgehoben werden. Mit dieser Beschreibung kann an die Bemerkungen zum dynamischen Aspekt aus Kapitel 4.3 angeknüpft werden. In diesem Zeigevorgang wird das Filmobjekt unabhängig vom Abgebildeten thematisch. Dem Film wird in dieser Hinsicht nicht der epistemische Zweck zugeschrieben, etwas anderes als das Filmobjekt zu zeigen. Ein ‚Modell‘ kann bei der Bildproduktion eine Rolle gespielt haben, es ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Abgebildeten – ein solches muss bei der hier angesprochenen Verwendung des Bildes nicht vorkommen. Diese Einstellung ist beispielsweise charakteristisch für fiktionale Darstellungen. Die dynamischen Qualitäten des filmischen Zeigens werden in Kapitel 6 erörtert. Schließlich gibt es Fälle, in denen im Zeigeprozess eine Beziehung zu einem Abgebildeten hergestellt wird, das aber unabhängig von der filmischen Darstellung noch völlig unbestimmt und unbekannt ist. Das Abgebildete wird hier erst durch die Wahrnehmung des Bildobjekts bestimmt und erkannt. In diesem Fall kann in gewissem Sinne von einer bildlichen Enthüllung gesprochen werden: Das Abgebildete (oder zumindest etwas daran) wird durch die Wahrnehmung des Filmobjekts enthüllt. Das Bildobjekt und das Abgebildete liegen in gewisser Hinsicht gar nicht getrennt voneinander vor; die Bestimmung des Bildobjekts ist daher zugleich eine Bestimmung des Abgebildeten. An dieser Beschreibung soll deutlich werden, wie auf der Basis von Zeigevorgängen mit Bildern (neue) Eigenschaften eines Abgebildeten erkannt werden können. Das Bildobjekt wird (in epistemologischer Hinsicht) nicht durch das Abgebildete bestimmt, sondern das Abgebildete wird umgekehrt durch das Bildobjekt bestimmt. Beispiele für diese Zeigeprozesse finden sich in der filmischen Präsentation von subjektiven Gefühlen und Erlebnissen sowie in philosophischen Film-
5.1 Zeigen als Exemplifikation
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erfahrungen, in denen sich das Verhältnis des philosophischen Denkens zu seinen konkreten Realisierungen zeigt. So werden Filme zu naheliegenden Anwendungsgebieten philosophischer Kompetenzen, zumal in diesem Zusammenhang bestimmte Verbindungen zwischen konkreten Filmobjekten und (scheinbar) abstrakten philosophischen Themen aufgezeigt und ‚enthüllt‘ werden. – Die Idee einer derartigen filmischen Enthüllung wird in Kapitel 6 erläutert. Es bleibt noch der Hinweis darauf, dass ich mit der folgenden Konzentration auf epistemische Praktiken des filmischen Zeigens nicht behaupten möchte, Zeigen sei die einzige epistemische Funktion von Bildern. Mindestens am Beispiel der Fotografie können auch andere epistemische Praktiken ausgemacht werden, von denen einige in Kapitel 5.2 erläutert werden. Insgesamt beansprucht die Untersuchung aber keine Vollständigkeit, wenn es um die epistemologischen Aspekte von Bildern und Filmen geht.
5.1 Zeigen als Exemplifikation In jeder epistemologischen Untersuchung des Films drängt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer filmischen Bezugnahme zur Realität auf. Sowohl der Enthüllungsgedanke, aber auch andere epistemische Ansprüche können in diesem Zusammenhang so gedeutet werden, dass das, was gezeigt, enthüllt oder auf andere Art erkannt wird, die Realität ist. Allerdings ist die Debatte um einen besonderen ‚Realismus‘ von Abbildungen (nicht nur) in der Filmtheorie weit verzweigt und ziemlich verstrickt.³ Die Orientierung an einer prinzipiell realistischen filmischen Abbildung kann zu Positionen in einem weiten Spektrum führen: Von einem naiven Realismus der „naturgetreuen Abbildung“ bis hin zur anspruchsvollen Auffassung, dass ein realistischer Film erst dann seinen eigentlichen Zweck erfüllt, wenn die Fähigkeiten des Filmemachers, „im Buch der Natur zu lesen“, in dem Filmwerk angemessen realisiert sind (Kracauer 2005, S. 20). Die meisten realistischen Positionen in der Filmtheorie beziehen sich allerdings auf die fotografische Basis des Films. Denn gerade für die Technik des fotografischen Films erscheint die Vorstellung einer realistischen Abbildung Vgl. u. a. Williams 1980 und Giralt 2010. – Es dürfte zwar aus dem Kontext ersichtlich sein, aber es soll trotzdem explizit auf die wichtige Unterscheidung zwischen dem Realismus des Films und dem Realismus im Film hingewiesen werden: Ersterer bezeichnet eine Position zum (ontologischen) Ursprung der Objekte der Filmwahrnehmung, letzterer bezeichnet dagegen eine stilistische Kategorie, die relativ unabhängig von der ontologischen Position ist. Vgl. Kirsten 2013.
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5 Mit Bildern das Abgebildete zeigen: Spielarten des Realismus
vielen Filmtheoretikern unmittelbar plausibel. Die Begründungen für diese Plausibilität berufen sich hauptsächlich auf die kausale Entstehung der fotografischen Abbildung sowie auf den starken Realitätseindruck, der mit der Filmwahrnehmung einhergeht.⁴ So behauptet beispielsweise André Bazin in einem seiner einflussreichsten Texte in Bezug auf das fotografische Bild: „Das ästhetische Wirkungsvermögen der Fotografie liegt in der Enthüllung des Wirklichen.“ (Bazin 2004a, S. 39). In der Konsequenz fordert Bazin eine realistische Filmkunst, in der „das Bild vor allem zählt, weil es die Realität enthüllt, nicht weil es ihr etwas hinzufügt.“ (Bazin 2004b, S. 94).⁵ Zur Klärung und Beurteilung realistischer Ansprüche und ihrer Aussichten gehe ich zunächst auf die Praxis des Zeigens ein, in der eine Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem hergestellt wird. In diesem Zusammenhang kann die Reichweite des filmtheoretischen Realismus eingeschränkt, zugleich aber auch dessen prinzipielle Möglichkeit positiv hervorgehoben werden. Erst vor dem Hintergrund dieser Praxis des Zeigens werden die epistemologischen Verhältnisse der fotografischen Abbildung geklärt. In diesem Zusammenhang werde ich drei Verwendungsweisen identifizieren, an denen die Besonderheiten eines epistemischen Zeigens mit Fotografien deutlich werden (vgl. Kapitel 5.2.2– 5.2.4). Zunächst also zu denjenigen epistemologischen Möglichkeiten von Bildern, aus denen die weiteren realistischen Bestimmungen deutlich werden. Lambert Wiesing hat in seinem Buch Sehen lassen von 2013 den Begriff des Zeigens hinsichtlich seiner bildtheoretischen Bedeutung kritisch untersucht. Er macht einen Begriff des Zeigens stark, der in praktischen Kontexten geläufig und üblich ist: Mit Bildern wird das Abgebildete gezeigt. Zeigen ist in diesem Sinne ein kommunikativer Akt zwischen zwei Personen, die ein Bild entsprechend verwenden. Das Bildobjekt, also das, womit man bekannt wird, wenn man das Bild betrachtet, dient in diesem Szenario als Mittel des Zeigens. Im Zeigen wird eine Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem hergestellt, und zwar so, dass das Bildobjekt Eigenschaften präsentiert, die auch dem Abgebildeten zukommen. In diesem Fall funktionieren Bilder folglich als Zeichen im engeren Sinne, konkret: als exemplifizierende Zeichen. Diese spezifisch zeigende Zeichenfunktion ist auf die Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem eingeschränkt und von eingespielten Zeichen- und Interpretationsprozessen bestimmt.⁶ Sie ist folglich nicht völlig beliebig, sondern durch die ‚Eignung‘ des Bildobjekts zum Zeigen des Abgebildeten bestimmt: Abhängig von seinen Eigenschaften kann ein Bildobjekt Vgl. aber die Zurückweisung eines in diesem Sinne illusionären Status des Films in Kapitel 2.2. Die Frage, ob die enthüllende Kraft des Films zu einer Zäsur in der Ästhetik führt (wie es u. a. Balázs, Kracauer und auch Bazin beansprucht haben), soll hier nicht weiter diskutiert werden. Vgl. Abel 2004c und Abel 1999c.
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besser oder schlechter für einen bestimmten Zeigevorgang geeignet sein – analog zum Gebrauch eines Werkzeugs.⁷ Die Grenzen werden durch die Merkmale der Exemplifikation gezogen: Zum Zeigen geeignet ist ein Bildobjekt dann, wenn es Eigenschaften hat, die auch das Abgebildete hat. Die Auswahl der geeigneten Eigenschaften richtet sich dann danach, was am Abgebildeten gezeigt werden soll. Aus diesem Ansatz lassen sich klare Kriterien für realistische Bildtheorien ableiten. Die Annahme des bildtheoretischen Realismus, dass eine ‚natürliche‘ oder eine anderweitig ‚wirklichkeitstreue‘ Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem vorliegt, wird auf das handelnde In-Beziehung-Setzen durch Personen verwiesen. Erst im Rahmen einer bestimmten Interpretationspraxis kommt die Abbildungsbeziehung zustande. Die abbildende Bezugnahme auf Gegenstände ist in diesem Sinne keine Eigenschaft der Bilder selbst, da jede Abbildung von einer entsprechenden Verwendung eines Bildes abhängt und auf einer Zeichen- und Interpretationspraxis beruht. Während also die Beziehung zwischen Bildträger und Bildobjekt eine ‚intrinsische‘ Beziehung ist, bei der die Wahrnehmung eine zentrale Rolle spielt, so ist der Realitätsbezug von Bildern abhängig von einer den Bildern äußerlichen Verwendung. Dadurch wird aber keine relativistische Beliebigkeit oder Konvention eingeführt, sondern auf die Eignung des Bildes zur Verwendung in Zeigehandlungen verwiesen. Der zeigende Gebrauch von Bildern hängt also durchaus auch von der Beschaffenheit des Bildobjekts ab, weil darin eine (bessere oder schlechtere) Eignung für (exemplifizierende) Zeigehandlungen angelegt ist. Bilder zeigen folglich nicht von selbst, sondern werden zum Zeigen verwendet. Daraus folgt, dass der Realitätsbezug nicht im filmischen Bewegungsbild ‚enthalten‘ ist. Aber das, was im Film präsent ist, kann auf etwas außerhalb des Films bezogen werden. Realitätsbezug ist folglich etwas, was Zuschauer herstellen (allerdings nicht unbedingt bewusst oder absichtlich), indem sie filmische Bewegungsbilder in Beziehung zur Realität setzen.⁸ Das gilt ebenso für die Fotografie und den fotografischen Film: Auch fotografische Filme nehmen nicht ‚von sich aus‘ Bezug auf die Realität, wie gelegentlich angenommen wird – übrigens auch dann nicht, wenn fotografische Bilder dokumentierend verwendet werden,
Mit der Feststellung, dass Bildobjekte in kommunikativen Zusammenhängen zum Zeigen verwendet werden, ist keinesfalls die Behauptung verbunden, dass Bilder als Zeichen allgemein Werkzeuge (z. B. der Erkenntnis) wären. Der Werkzeugcharakter des Bildobjekts wird im vorliegenden Kontext ausschließlich als Analogie gebraucht, um anschaulich zu machen, dass und inwiefern die Verwendung nicht beliebig ist. Vgl. Wiesing 2013, S. 109: „[E]in Bild zeigt keinesfalls für sich selbst, sondern muss zum Zeigen gebracht werden.“
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5 Mit Bildern das Abgebildete zeigen: Spielarten des Realismus
wie noch zu zeigen sein wird. Mit Bildern fotografischer und anderer Art kann man so beispielsweise jemandem zeigen, wie etwas aussieht. Darüber hinaus können Filme im Rahmen von symbolischen Deutungen und Reflexionen in Verbindung zu realen Situationen und Sachverhalten gebracht werden. Auch in diesen Fällen ist von einer zeigenden Bezugnahme auf die Realität auszugehen. Aufgrund dieser Bezugnahme ist ‚die‘ Realität, wie sie mit dem (bzw. durch den) Film erscheint, dann beispielsweise eine von dem Film abgebildete, kommentierte, enthüllte oder weitergesponnene Realität. Doch die Verbindung zur Realität ist eben auch den fotografischen Bewegungsbildern nicht immanent. Diese Deutung realistischer Positionen weist darauf hin, dass mit ihnen eine weitreichende, aber keineswegs zwingende Voraussetzung verbunden ist. Denn um ein Bildobjekt auf etwas anderes beziehen zu können, muss dieses Andere unabhängig und getrennt vom Bildobjekt gegeben sein. Es wird also offenbar im Voraus zwischen Bildobjekt und Abgebildetem unterschieden, wodurch beide zu Relata der abbildenden Bezugnahme werden können. Diese oft nur implizite Voraussetzung ist keineswegs selbstverständlich. Einerseits gibt es grundsätzlich viele Arten von Bildern, zu denen überhaupt kein Abgebildetes außerhalb des Bildes existiert – typischerweise gilt dies für fiktionale Bilder, aber auch für prospektive Bilder, Entwürfe etc. Andererseits können in Bildern auch Dinge vorkommen, die zwar in eine Abbildungsbeziehung versetzt werden, bei denen aber das Abgebildete unabhängig von der bildlichen Präsentation noch unbestimmt, unbekannt oder unzugänglich ist. In diesen Fällen gibt es keinen gegebenen und eindeutigen ‚Maßstab‘ für die Abbildungsbeziehung. Das Abgebildete ist in diesem Sinne nicht ohne das Bild ‚gegeben‘. Derartige Konstellationen kann man nicht unter dem Begriff des bildlichen Realismus einordnen. Daraus folgt, dass Bildlichkeit für sich genommen der realistischen Auffassung von Abbildung vorgeordnet ist. Es gibt „einen Primat des Bildes vor der Faktizität der Dinge.“⁹ Trotz dieser Einschränkungen kann aber natürlich in vielen
Asmuth 2011, S. 149. In diesem Sinne kann man sagen: „Erst das Bild erzeugt allererst den Gegenstand als abgebildeten.“ (Asmuth 2011, S. 148). – Problematisch wird die realistische Auffassung der Abbildung besonders dann, wenn sie als Grundlage von Bildlichkeit überhaupt oder auch nur von fotografischer Abbildung angesehen wird. Denn unter dieser Voraussetzung stellt sich die Richtung des Prozesses, in dem sich die Objekte der Filmwahrnehmung konstituieren, verkehrt herum dar: Es wird angenommen, dass der ontologische Abbildungsprozess der gegebenen Realität zuerst und unabhängig von der Wahrnehmung erfolgt, während der Prozess der Wahrnehmung sich erst auf die fertige Abbildung bezieht. Die gegebene Realität wird so beispielsweise als Maßstab für die fotografische Abbildung angenommen. Dagegen muss aber davon ausgegangen werden, dass schon der Prozess der ‚Reproduktion‘, der sich kausale Prozesse zunutze macht, unter den Bedingungen der Wahrnehmung erfolgt. Und nicht nur das: Schon die Interpretation des kausalen Vorgangs als Reproduktion setzt voraus, dass im Bild schließlich
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Fällen sinnvoll davon ausgegangen werden, dass Bildobjekt und Abgebildetes getrennt voneinander vorliegen. Unter diesen Voraussetzungen können wir leicht einsehen, auf welche Weise die Präsentation von Filmobjekten im filmischen Bewegungsbild zu einem Wissen von der Wirklichkeit führen kann. Denn dieser Prozess des Wissens besteht aus zwei Schritten: 1. Objekte, Eigenschaften und Sachverhalte werden präsentiert; 2. Die präsentierten Objekte, Eigenschaften und Sachverhalte werden auf etwas außerhalb des Bildes bezogen; mit ihnen wird etwas gezeigt, was daraufhin als das Abgebildete gilt. Die zeigende Verbindung zwischen Bild und Abgebildetem kann so geläufig, selbstverständlich, flüssig und unreflektiert vor sich gehen, dass sie kaum als aktive Herstellung einer Beziehung wahrgenommen wird. Hier stellt sich eine Art der Illusion ein – nämlich die Illusion, dass das Abgebildete dem Bildobjekt vorgeordnet ist. Man ist sich nicht bewusst darüber, dass man die Bezugnahme der Darstellung auf etwas Anderes selbst herstellt, wobei eingespielte Praktiken oder Suggestionen im Bild diese Illusion unterstützen können. Die zeigende Bezugnahme kann aber auch bewusst interpretierend im Sinne von deutend, reflektierend, hypothetisch, explizit und absichtlich erfolgen. Zusammenfassend ist festzuhalten: Ein Bildobjekt erfüllt eine bestimmte epistemologische Funktion, wenn es zeigend verwendet wird, wenn es also in eine bestimmte Beziehung zu etwas außerhalb des Bildes gebracht wird. Wiesing spricht in Bezug auf die Regeln, die eine Bezugnahme des Bildobjekts auf ein Abgebildetes anleiten, vom „Sinn“ eines Bildes (Wiesing 2005, S. 62 ff.). Es folgt: Die Beziehung zwischen filmischem Bild und Abgebildetem ist eine Zeichenbeziehung, die im Vorgang des Zeigens per Exemplifikation realisiert wird. Allerdings beruht die Möglichkeit des Zeigens auf der Interpretation des Bildes als potentiell exemplifizierend, d. h. als zum Zeigen des jeweiligen Objekts geeignet. Zur Vertiefung dieser gemäßigt-realistischen Konzeption möchte ich Grenzen und Möglichkeiten der fotografischen Abbildung erörtern, um Unklarheiten und Missverständnisse auszuräumen. Denn keine Technik hat die Bild- und Filmtheorie so hypnotisiert und verwirrt wie die Fotografie, indem sie als ontologischer und epistemologischer Dreh- und Angelpunkt des bildlichen Realitätsbezugs auftritt – ein Gedanke, der die Rolle der Fotografie einerseits überschätzt, andererseits ihre handfesten Möglichkeiten nicht befriedigend erklärt.
genau das wahrgenommen wird, was wahrgenommen werden soll – bzw. etwas, was als Reproduktion einer unabhängig existierenden Realität aufgefasst werden kann.
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5 Mit Bildern das Abgebildete zeigen: Spielarten des Realismus
5.2 Epistemologische Funktionen der Fotografie Die Fotografie ist für die Epistemologie des filmischen Bewegungsbildes von besonderem Interesse, zumal sie bis heute die paradigmatische Bildtechnik des Films ist. Der Unterschied zwischen fotografischen und nicht-fotografischen Bildern lässt sich auf die Art ihrer Entstehung zurückführen. Ein fotografisches Bild entsteht, indem von einem Gegenstand reflektiertes Licht ein lichtempfindliches Material beeinflusst; eine Kamera ist ein technischer Apparat, mit dem dieser kausale Zusammenhang zur Gestaltung eines Bildträgers ausgenutzt wird. Die Lichtreflexion eines Gegenstandes wird so zur Ursache für das Aussehen des Bildträgers. Ein Anspruch auf eine spezifische epistemische Leistung des fotografischen Films kann sich auf diese kausale Relation stützen. Fotografien werden daher auch als indexikalische Zeichen oder ‚Spuren‘ des Abgebildeten aufgefasst, indem der zugrundeliegende kausale Prozess mit der Beziehung zwischen Bild und Abgebildetem in Verbindung gebracht wird. In diesem Zusammenhang ist eine klärende Bemerkung zu indexikalischen und ‚natürlichen‘ Zeichen hilfreich. Denn aus der kausalen Beziehung zwischen den Lichtreflexionen eines Gegenstandes und dem fotografischen Bild wird gelegentlich der Schluss gezogen, dass es sich bei Fotografien um natürliche Zeichen handelt.¹⁰ Aber der Begriff des natürlichen Zeichens ist nicht so zu verstehen, als wäre die Bedeutung dieser Zeichen von Natur aus gegeben. Denn ausnahmslos jedes Zeichen ist bedeutsam nur aufgrund einer Verwendung, d. h. einer Interpretation – es gibt keine Zeichen ohne Zeichenpraxis. Es gibt daher keine ‚natürlichen Bedeutungen‘ unabhängig von Zeichenverwendungen. Aber man kann durchaus sinnvoll von natürlichen Zeichen sprechen, wenn man darunter die Bezugnahme auf natürliche Prozesse versteht, die als Grundlage für eine Zeichenbeziehung verwendet werden. Diese Zeichenbeziehung wird daher passend ‚indexikalisch‘ genannt. Im Falle der Fotografie kann der Bildträger als indexikalisches Zeichen für den verursachenden Gegenstand verwendet werden. Eine derartige Zeichenverwendung stützt sich auf den kausalen Zusammenhang zwischen Lichtreflexion und Gestaltung des Bildträgers. Der kausale Zusammenhang konstituiert für sich genommen noch keine Zeichenbeziehung; wenn aber die kausale Wirkung als Zeichen für eine ihrer Ursachen verwendet wird, dann wird im Falle der Fotografie der Bildträger zum indexikalischen Zeichen für „[D]ie Diskussion über Spuren im Allgemeinen und über Fotografien im Besonderen [ist] von der Meinung geprägt […], dass man es hier in beiden Fällen gleichermaßen mit den so genannten natürlichen Zeichen zu tun hat, das heißt mit Zeichen, die einzig und allein aufgrund ihrer physikalischen Entstehungsgeschichte eine besondere Bedeutung haben.“ Wiesing 2013, S. 198. Vgl. auch die dort anschließende Diskussion bis S. 212.
5.2 Epistemologische Funktionen der Fotografie
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den fotografierten Gegenstand. Die Verwendung der Fotografie als indexikalisches Zeichen verdankt sich folglich einer Interpretationspraxis und geht somit über die rein physikalisch-kausalen Zusammenhänge hinaus. Die fotografische Abbildung ist schon in diesem Sinne nicht mehr nur ‚natürlich‘ zu nennen, sondern verdankt sich einer Einstellung, die den Umgang mit der Fotografie von der technischen Konstruktion einer Kamera bis hin zu komplexen künstlerischen Praktiken bestimmt. Insbesondere ermöglicht die erläuterte Interpretationspraxis epistemologische Zugriffe auf die Fotografie, die sie in bestimmten Hinsichten von nicht-fotografischen, ‚handgemachten‘ Bildern abheben. Im Folgenden werden drei spezifische epistemologische Funktionen der fotografischen Abbildung diskutiert: Zunächst die Möglichkeit, mit Fotografien Sachverhalte zu belegen, die allerdings nur einen relativ begrenzten Anwendungsbereich hat – zumindest im Vergleich zu dem Stellenwert, der dieser epistemischen Leistung in der bild- und filmtheoretischen Literatur beigelegt wird. Daneben wird die Fotografie ganz einfach als Technik zur Gestaltung eines Bildträgeres verwendet – einerseits, weil die Verwendung dieser Bildtechnik praktische Vorteile bringt, andererseits, weil mit fotografischen Bildern bestimmte ästhetische Möglichkeiten verbunden sind. Eine weitere epistemische Verwendung der Fotografie besteht in der Dokumentation, einer zeigenden Verwendung, die sich auf bestimmte Eigenschaften der fotografischen Bildgestaltung stützt, aber übrigens von der belegenden Verwendung zu unterscheiden ist.
5.2.1 Bilder und die Irrtumsfähigkeit propositionalen Wissens Eine spezifische epistemische Möglichkeit filmisch-fotografischer Abbildung besteht offenbar darin, sie als Beleg für Tatsachen zu verwenden. Die Kausalität der fotografischen Abbildung erklärt den Umgang mit bestimmten fotografischen Bildern und Filmen, die als Indizien für das Bestehen von Sachverhalten dienen – man denke an Überwachungsvideos oder an Fotografien, die in einem Gerichtsprozess die Schuld eines Angeklagten belegen sollen. Die Beispiele, in denen fotografische Bilder als Indizien für Tatsachen verwendet werden, verdecken allerdings den Umstand, dass alleine mit den in einem Bild wahrgenommenen Bildobjekten nicht gezeigt werden kann, dass etwas der Fall ist.¹¹ Bilder aller Art verhalten sich in diesem Punkt anders als Aussagen, denn Bilder können zwar Sachverhalte darstellen, aber nicht feststellen. Denn bildliches Zeigen ist ein Vorgang, der sich auf Objekte und Eigenschaften bezieht, aber nicht auf die
Vgl. Wiesing 2013, S. 137 f.
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Existenz von Objekten und Eigenschaften. Dasselbe gilt für bildliche Darstellungen von Sachverhalten: Man kann Bilder zum Zeigen – und damit zum Vermitteln von Bekanntschaft – verwenden, aber man kann Bilder (und damit auch Fotografien) nicht wie Aussagen zum Feststellen von Sachverhalten verwenden. Warum ist das so? Die Antwort auf diese Frage verweist auf einen grundlegenden Unterschied zwischen Bildern und Aussagen – und damit übrigens auch zwischen nichtpropositionaler Bekanntschaft und dem propositionalen Wissen von Sachverhalten. Denn propositionales Wissen drückt sich in Aussagen aus. Zu jeder Aussage kann per Negation eine entgegengesetzte Aussage gebildet werden. Aussagen sind nun entweder wahr oder falsch; wenn eine Aussage wahr ist, dann ist ihre Negation falsch – und umgekehrt. Erst diese Entgegensetzung von wahren und falschen Aussagen ermöglicht den Irrtum als Gegenteil des Wissens: „Die Alternative zu einem bestimmten propositionalen Wissen besteht deshalb nicht in der schlichten Abwesenheit dieses Wissens, sondern im Irrtum, nämlich in der Meinung, das Gegenteil von dem sei der Fall, was in Wirklichkeit der Fall ist.“ (Wieland 1982, S. 229). Nichtwissen kann folglich zwei verschiedene Formen annehmen: Entweder weiß man etwas nicht in dem Sinne, dass man gar keinen Anspruch auf Wissen erhebt; oder man vertritt einen Wissensanspruch, der sich tatsächlich als falsch herausstellt, d. h. man irrt sich. Ein Irrtum besteht darin, das Unwahre für wahr zu halten. Die Eigenschaft von Wissen, im Irrtum ein Gegenteil zu haben, ist dessen Bivalenz. An der Eigenschaft der Bivalenz wird besonders deutlich, welche Rolle die Aussageform für Wissensansprüche spielt. Denn nur Aussagen ermöglichen aufgrund der Möglichkeit ihrer Negation die Entgegensetzung von Wissen und Irrtum, entsprechend der Entgegensetzung von wahren und falschen Aussagen. Nicht-propositionale Wissensformen sind dagegen grundsätzlich nicht bivalent, weil sie nicht vollständig durch Aussagen bestimmbar sind. Eine klare Formulierung für diesen Zusammenhang findet sich bei Bertrand Russell, der das (nichtpropositionale) „Wissen durch Bekanntschaft“ (knowledge by acquaintance) vom „Wissen von Wahrheiten“ (knowledge of truths) unterscheidet: Our knowledge of truths, unlike our knowledge of things, has an opposite, namely error. So far as things are concerned, we may know them or not know them, but there is no positive state of mind which can be described as erroneous knowledge of things, so long, at any rate, as we confine ourselves to knowledge by acquaintance. Whatever we are acquainted with must be something; we may draw wrong inferences from our acquaintance, but the acquaintance itself cannot be deceptive. Thus there is no dualism as regards acquaintance. But as regards knowledge of truths, there is a dualism. We may believe what is false as well as what is true. (Russell 1912, S. 186)
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Einem Ausdruck von Wissen, zu dem keine Negation gebildet werden kann (der also nicht bivalent ist), kann folglich auch kein Irrtum gegenüber gestellt werden. Bekanntschaft, Fähigkeit oder Kompetenz liegt entweder vor oder sie liegt nicht vor; ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen drückt sich beispielsweise in bestimmten Handlungen oder Verhaltensweisen aus. Wenn die Bekanntschaft, Fähigkeit oder Kompetenz aber nicht vorliegt, dann gibt es keine weitere Unterscheidung zwischen Irrtum und fehlendem Wissensanspruch.¹² Mit der Eigenschaft der Bivalenz kann nun ein klarer Unterschied zwischen der Feststellung von Sachverhalten in Aussagen und der Darstellung von Sachverhalten in Bildern erklärt werden: Im Gegensatz zu Aussagen mit Wissensanspruch sind Bilder nicht bivalent. Bildliche Darstellungen können Sachverhalte darstellen, aber im Gegensatz zu Aussagen können sie nicht die Negation eines Sachverhalts darstellen. Diese Möglichkeit ist sprachlichen Aussagen vorbehalten, wie Noël Carroll hinsichtlich des Verhältnisses von Sprache und Film festhält: „[I]f negation is a natural part of language, then film cannot be a normal specimen of language, since it would appear to lack the means to say ‚no‘ in its putative vocabulary. Showing a picture of Napoleon is scarcely the equivalent of saying that ‚Napoleon is not tall.‘“ (Carroll 2008, S. 105). Wenn also bildliche Darstellungen als Teil einer epistemischen Praxis fungieren, dann kann die entsprechende Wissensform nicht bivalent sein, weil es in bildlichen Darstellungen im Gegensatz zu sprachlichen Aussagen kein Mittel zur Negation von Sachverhalten gibt.¹³ Daraus ergibt sich ein wichtiger Hinweis für die ‚Wahrheitsfähigkeit‘ von bildlichen Darstellungen: Aus der fehlenden Bivalenz folgt, dass Bilder im Unterschied zu Propositionen nicht darstellen können, dass der dargestellte Sachverhalt besteht – sie können keine Sachverhalte feststellen.¹⁴ Wenn Bilder als Belege für das Bestehen eines Sachverhalts verwendet werden, so muss diese Verwendung (wenigstens implizit) von Aussagen begleitet werden, die eine ent-
Für den Fall praktischer Fähigkeiten gilt daher: Zwar garantiert der Besitz einer Fähigkeit nicht unbedingt, dass die Ausübung dieser Fähigkeit notwendig gelingt, denn die Ausübung einer Fähigkeit kann aufgrund von äußeren Umständen misslingen. Dieses Misslingen entspricht aber nicht dem, was wir Irrtum nennen – im Gegenteil: Während der Irrtum zur Aberkennung des Wissensanspruchs führen muss, führt ein Misslingen der Ausübung einer Fähigkeit nicht zwangsläufig zur Aberkennung dieser Fähigkeit. Man spricht folglich bei der Ausübung einer Fähigkeit oder einer Kompetenz nicht von einem Irrtum, sondern von einem Fehlschlag, wenn die Ausübung misslingt. Vgl. auch Danto 1982, S. 19. Vgl. Wiesing 2013, S. 137: „Mit einem Bild lässt sich – das steht a priori fest – niemals zeigen, dass etwas real ist.“ – Vgl. auch Wittgensteins Tractatus: „2.223 Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen. 2.224 Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch ist.“ (Wittgenstein 1987).
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sprechende Feststellung auf das Bild anwenden. Während Aussagen also die Funktion zukommt, das Bestehen von Sachverhalten zu behaupten, können Bilder für sich genommen diese Funktion nicht erfüllen. Bilder können daher keine selbständigen Manifestationen propositionalen Wissens sein. In Bildern kann ein entsprechender Gehalt dargestellt werden, indem die entsprechenden Sachverhalte dargestellt werden; aber mit Bildern kann nicht festgestellt werden, dass der dargestellte Sachverhalt besteht oder nicht besteht. Bilder können aus diesem Grund nicht-propositionale Darstellungen genannt werden, weil ihnen (unabhängig von hinzutretenden Aussagen) die entsprechende propositionale Einstellung fehlt: Die Einstellung des ‚Fürwahrhaltens‘ kann im Bild nicht unmittelbar realisiert werden. Daher können Bilder nicht ‚von sich aus‘ wahr oder falsch sein. Das Fürwahrhalten kann nur von außen an ein Bild herangetragen werden, beispielsweise durch sprachliche Aussagen über das Bild, durch die ein Zusammenhang zu einem Abgebildeten hergestellt wird. Dadurch wird die Bivalenz gewissermaßen auf einer anderen Ebene als der bildlichen ergänzt. Aber inwiefern kann eine bildliche Darstellung dann als Grundlage von Wissen bezeichnet werden? – Zunächst ist die Kenntnis von Bildern als Bekanntschaft aufzufassen. In diesem Zusammenhang kann auf die Möglichkeit zum exemplifizierenden Zeigen verwiesen werden. Darüber hinaus können Bilder als Grundlage für propositionales Wissens dienen, obwohl sie nicht-propositionale Darstellungen sind. Denn die Bekanntschaft mit Bildern ermöglicht Aussagen über die Bildobjekte. So können beispielsweise die Bildobjekte beschrieben werden oder die Sachverhalte, die im Bild dargestellt sind, festgestellt werden. Die Aussagen, mit denen die Bildobjekte beschrieben oder die dargestellten Sachverhalte festgestellt werden, können dann natürlich wahr oder falsch sein; in diesem Sinne ist das propositionale Wissen, dass sich auf das Bild bezieht, bivalent und irrtumsfähig. Doch daraus folgt nicht, dass die bildliche Darstellung selbst wahr oder falsch ist, oder dass die Bekanntschaft mit den Bildobjekten bivalent oder irrtumsfähig ist. Denn Bekanntschaft kann nicht ‚falsch‘ sein – sie liegt entweder vor oder sie liegt nicht vor. Es gilt also, auch in diesem Sinne zwischen dem propositionalen Wissen, dass sich auf Bilder bezieht, und der (nicht-propositionalen) Bekanntschaft mit Bildobjekten zu unterscheiden. Doch in einer bestimmten Hinsicht erscheint es unplausibel, die Bekanntschaft mit Bildern für nicht bivalent und nicht irrtumsfähig zu halten: Denn bei der Betrachtung eines Bildes erfährt man ja nicht nur etwas über die Objekte im Bild, sondern gerade auch etwas über die Objekte, von denen das Bild eine Abbildung ist – also über das Abgebildete. Das exemplifizierende Zeigen des Abgebildeten mit dem Bildobjekt scheint in diesem Sinne irrtumsfähig zu sein. Ein Beispiel: Wie sieht der Pariser Eiffelturm aus? Ich kann es herausfinden, indem
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ich mir z. B. René Clairs Film La tour von 1928 anschaue. Aber hier ist doch ganz offensichtlich eine Art Irrtum möglich, denn die Bekanntschaft mit dem Bildobjekt könnte doch von völlig anderer Art sein als die Bekanntschaft mit dem Abgebildeten. Es könnte sich herausstellen, dass ich bei der Besichtigung des realen Eiffelturms enttäuscht werde, weil er ganz anders aussieht als im Film. Hat der Film hier also nicht einen Irrtum erzeugt? Darauf ist zu erwidern, dass der Schluss von der Bekanntschaft mit dem Bildobjekt auf die Bekanntschaft mit dem Abgebildeten ein Schluss ist, der selbst mit einem propositionalen Gehalt auftritt. Denn hier liegt die Annahme von Bildobjekt und Abgebildetem als zwei getrennten Entitäten zugrunde, die in einem ‚wahren‘ oder ‚falschen‘ Verhältnis zu einander stehen – genauer: in einem treuen oder verfälschenden Verhältnis. In diesem Sinne können Bilder dann zum Irrtum führen: Das Wissen, dass es sich ‚wirklich‘ so verhält wie im Bild präsentiert, kann sich als falsch herausstellen. Dieses Wissen geht aber über die reine Bekanntschaft mit dem Bildobjekt hinaus. Das exemplifizierende Zeigen ist demnach ebenso mit einer begleitenden Interpretationspraxis verbunden, in der eine Feststellung von Sachverhalten impliziert ist. Doch was bedeutet das für die eingangs erwähnte epistemologische Funktion der Fotografie, Sachverhalte zu belegen?
5.2.2 Die Verwendung der Fotografie zum Beleg von Sachverhalten Aus den bisherigen Bemerkungen folgt, dass man auch mit Fotografien unmittelbar keine Sachverhalte feststellen kann.¹⁵ Dennoch werden Fotografien zum Beleg von Sachverhalten verwendet. Dabei handelt es sich doch offenbar um ein bildlich gestiftetes propositionales Wissen, das über die bloße Exemplifikation des Abgebildeten hinaus geht. Aber inwiefern können bildliche Darstellungen propositionale Wissensansprüche von belegender Art begründen? Der scheinbare Widerspruch kann nur vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Bildträger, Bildobjekt und Abgebildetem aufgelöst werden. Denn die Verwendung einer Fotografie als Index, also zum Zeigen, dass ein Sachverhalt besteht, ist eine Verwendung, die sich in erster Linie auf die kausale Geschichte des Bildträgers bezieht. Wird folglich ein fotografisches Bild zum Beleg eines Sachverhalts
Dagegen betrachtet beispielsweise Robert Hopkins die fotografische Abbildungsbeziehung als nicht nur potenziell wahrheitsfähige, sondern darüber hinaus wahrheitsgarantierende Abbildung (vgl. Hopkins 2012). Das bedeutet, dass die Wahrheit von Aussagen garantiert ist, die auf Grundlage der Wahrnehmung einer Fotografie gefällt werden: Die fotografische Abbildung ermöglicht nach Hopkins faktive (d. h. wahrheitsgarantierende) Erfahrungen der abgebildeten Sachverhalte. Vgl. zur Kritik an dieser Position Kapitel 5.3.2.
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verwendet, dann ist die kausale Geschichte des Bildträgers eine notwendige Bedingung für diese epistemische Funktion. Eine Fotografie kann daher als Beleg für das Bestehen eines Sachverhalts (wie die Existenz einer Sache) verwendet werden, indem „man nachweist, dass der fotografische Bildträger so existiert und aussieht, weil es diese Sache wirklich als Ursache des Fototrägers gab.“ (Wiesing 2013, S. 137). In Bildern und Filmen, mit denen die Existenz des Abgebildeten belegt werden soll, fungieren die jeweiligen Bildträger insofern als ‚Spuren‘. Die kausale Geschichte des Bildträgers ist aber nicht hinreichend, wenn es um eine spezifisch bildliche epistemische Leistung geht. Denn prinzipiell kann natürlich jeder beliebige Sachverhalt, der einen Schluss auf eine bestimmte Ursache erlaubt, als indexikalisches Zeichen und entsprechend als Beleg für bestimmte ursächliche Sachverhalte verwendet werden. Wäre das alles, was in dieser epistemischen Verwendung der Fotografie zählt, dann würde die Tatsache, dass es sich bei ihr um ein Bild handelt, keine besondere Rolle spielen. Die Fotografie würde sich auch durch die Möglichkeit, aus ihr kausale Schlüsse zu ziehen, nicht von anderen Bildarten unterscheiden. Denn ich kann beispielsweise von einem Gemälde auf dessen Ursache schließen, etwa auf einen bestimmten Pinselstrich mit einer bestimmten Farbe, welche sich vielleicht aus Pigmenten zusammensetzt, die einer bestimmten geographischen Region entstammen. Damit ist nichts Spezifisches zum bildlichen Charakter des Gemäldes gesagt. Denn um die belegende epistemische Funktion als Bild zu erfüllen, muss nicht nur die genannte Kausalrelation, sondern vielmehr ein Zusammenhang zwischen dem fotografischen Bildträger, dem Bildobjekt und dem Abgebildeten bestehen. Dieser Zusammenhang wird erst durch die Wahrnehmung gestiftet. Natürlich ist das Bildobjekt nicht unabhängig vom Bildträger. Entscheidend ist aber, dass das Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt selbst keine kausale Relation ist, sondern vielmehr eine intentionale Beziehung, die durch die Wahrnehmung bestimmt ist. Das Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt wäre nur dann kausal, wenn die Wahrnehmung selbst kausal funktionieren würde. Das kann schon deswegen nicht richtig sein, weil die Wahrnehmung von Bildobjekten keine Relation zwischen zwei physischen ‚Dingen‘ ist. Das physische Bild ist ein physisches Ding, aber nicht das Bildobjekt. Nicht der kausale Prozess der Fotografie erzeugt also Bildobjekte, sondern erst die Wahrnehmung. Dieser Punkt kann besonders deutlich veranschaulicht werden, wenn man sich die neueren Techniken der digitalen Bilderkennung vor Augen führt. Würde durch den kausalen Prozess der Fotografie schon das Bildobjekt bestimmt, dann wäre damit zugleich eine technische Identifikation von Objekten in Bildern möglich. Eine automatische bildliche Objekterkennung wäre mit der Fotografie längst realisiert. Das ist aber nicht der Fall. Mit der fotografischen Gestaltung des Bildträgers war nie eine gleichursprüngliche Konstitution von Bildobjekten durch physikalische
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Prozesse verbunden. Erst in den langsam perfektionierten digitalen Techniken der Bilderkennung wird die intentionale Beziehung zwischen Bildobjekt und Bildträger mittels funktionaler Operationen nachgebildet. Selbst hier handelt es sich streng genommen also nicht um eine technische Realisierung intentionaler Beziehungen, sondern bestenfalls um deren Simulation.¹⁶ Erst auf der Ebene der Wahrnehmung werden in Bildern und Fotografien Objekte und Sachverhalte identifiziert, die dann anschließend auf ein Abgebildetes bezogen werden können. Die Steuerung aller technischen Eingriffe in den fotografischen Abbildungsprozess orientiert sich zunächst immer am Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt, und erst über dieses Verhältnis wird (indirekt) das Verhältnis zwischen Abgebildetem und Bildträger beeinflusst. Alleine durch die kausale Beziehung, die man sich im fotografischen Prozess technisch zunutze macht, werden dagegen keine Objekte und Sachverhalte individuiert – weder Bildobjekte, noch Abgebildetes. Denn unabhängig von der Wahrnehmung des Fotografen, von der fotografischen Technik (die sich an bestimmten Prinzipien der Wahrnehmung orientiert) und von der Wahrnehmung des Bildobjekts liegen Objekte und Sachverhalte nicht wohlgeordnet und deutlich differenziert vor. Es ist daher ohne Rücksicht auf die Wahrnehmung unmöglich anzugeben, für welches Objekt und für welchen Sachverhalt die Fotografie einen bildlichen Beleg liefern soll. Insofern bleibt die so prominente ‚Realität‘, die jenseits der Darstellung liegt, in der Fotografie zunächst (rein technisch) völlig unbestimmt. Gegeben ist die Darstellung und die Wahrnehmung dieser Darstellung, ohne einen ‚Schluss‘ oder eine andere Art von Bezugnahme auf etwas der Darstellung Vorausgehendes. Die hier erörterte epistemische Leistung von Fotografien beruht also nicht alleine auf einem kausalen Prozess, sondern ist prinzipiell abhängig von der Wahrnehmung und von der anknüpfenden In-Beziehung-Setzung von Bildobjekt und Abgebildetem. Damit Fotografien also als Bilder die Rolle epistemischer Belege erfüllen, müssen Bildträger, Bildobjekt und Abgebildetes so in Beziehung zueinander gesetzt werden, dass das Abgebildete mit einer bestimmten Ursache für die Entstehung des Bildträgers identifiziert werden kann. Die Gestaltung des Bildträgers mit der Kamera muss daher so gesteuert werden, dass ein entsprechendes Bildobjekt aus der fotografischen Aufnahme entsteht. Schließlich muss noch das Bildobjekt so auf ein Abgebildetes bezogen werden, dass dieses Abgebildete auch als Ursache für den Bildträger erscheint. Somit beruht auch die Annahme, dass das Abgebildete, das vom Bildobjekt gezeigt wird, zugleich die Ursache für die Gestaltung des Bildträgers ist, auf einer impliziten Auswahl. Denn es gibt natür-
Vgl. Dennett 1987.
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lich eine prinzipiell unbegrenzte Kausalkette, deren Glieder Ursachen für die Gestaltung des Bildträgers sind. Dass als Ursache für die Gestaltung des Bildträgers ausgerechnet das abgebildete Objekt ausgewählt wird, verdankt sich einer Interpretationspraxis, zu der prinzipiell auch Alternativen denkbar sind.¹⁷ Die Auswahl erscheint völlig selbstverständlich, variiert aber tatsächlich auch mit verschiedenen Verwendungsweisen. Beispielsweise kann mit der Fotografie eines Gebäudes gezeigt werden, dass dieses Gebäude an einer bestimmten Straßenecke steht; mit derselben Fotografie könnte das Gebäude aber auch als Werk eines bestimmten Architekturbüros abgebildet werden, so dass es als Beleg für dessen (ursächliche) Fähigkeiten und Absichten gilt. Sowohl das Gebäude an der Straßenecke als auch das Architekturbüro können als Ursachen dafür gelten, dass die Fotografie genau so aussieht, wie sie aussieht. Es hängt somit vom Verwendungskontext ab, welche der unzähligen Ursachen der Fotografie als das Abgebildete gilt. Diese und andere Anforderungen an eine belegende Funktion der Fotografie sind durchaus anspruchsvoll und komplex; sie werden aber dennoch normalerweise implizit erfüllt und erscheinen völlig selbstverständlich. Das liegt natürlich auch daran, dass der Zusammenhang von Bildträger und Bildobjekt nicht völlig beliebig ist und insofern auch im Rahmen der technischen Umsetzung in einem gewissen Bereich festgelegt und normiert wird. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Fotografische Abbildungen können auf eine Weise zum Beleg der abgebildeten Sachverhalte oder der Existenz des Abgebildeten verwendet werden, wie dies mit nicht-fotografischen Abbildungen nicht möglich ist. Auf der rein technischen Seite des Abbildungsprozesses bleibt allerdings unbestimmt, auf was bzw. auf welche kausalen Ursachen man mit einem fotografischen Bildobjekt tatsächlich verweisen kann. Die kausalen Bedingungen werden dabei vom fotografischen Bildträger erfüllt, bevor die bildlichen Zuordnungen einsetzen. Letztere sind abhängig von der Wahrnehmung und der Verwendung der Fotografie, nicht aber von der kausalen Relation, die alleine auf die Gestaltung des Bildträgers einwirkt. Durch die belegende Verwendungsweise der Fotografie und des fotografischen Films wird also eine bestimmte epistemische Möglichkeit eröffnet; mithin kann dadurch eine bestimmte Filmart hinsichtlich ihres Zwecks eingegrenzt werden, zu der beispielsweise Überwachungsvideos zählen.¹⁸ Es sollte zu guter Letzt aus den Überlegungen deutlich werden, dass die belegende epistemische Leistung nicht-fiktionaler fotografischer Filme keine paradigmatische Rolle einnimmt, ja nicht einmal be-
Vgl. zu diesem Punkt Wiesing 2013, S. 137. Allerdings ergeben sich aus der belegenden Verwendung der Fotografie auch neue Möglichkeiten zur Täuschung; darauf gehe ich in Kapitel 5.3 genauer ein.
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sonders häufig vorkommt. Denn ob ein fotografischer Film als Beleg verwendet wird, hängt zuallererst von den epistemischen Interessen ab. Tatsächlich spiegelt sich jedoch in den geläufigsten Verwendungen fotografischer Filme gar kein Interesse an Tatsachenbelegen wider. Auch nicht-fiktionale Filme wie beispielsweise Dokumentarfilme werden nicht notwendig mit diesem Interesse produziert und angeschaut. Deren epistemische Leistungen müssen also eigens erörtert werden.
5.2.3 Fotografie als Mittel der Gestaltung des Bildträgers Unabhängig von belegenden Verwendungsweisen kann der kausale Prozess der fotografischen Bilderzeugung ganz allgemein als Mittel zur Bildgestaltung verwendet werden. Diese Verwendung bietet sich aus verschiedenen Gründen an. Neben praktischen Erwägungen können natürlich die ästhetischen Eigenschaften der Fotografie hier ausschlaggebend sein. Diese ästhetischen Eigenschaften sind bedingt durch die Technik der Bildgestaltung – hier also durch den kausalen Prozess der Gestaltung des Bildträgers. Mit der fotografischen Technik können somit Bildobjekte und Aspekte auf einzigartige Art und Weise gestaltet werden. Daraus folgt aber keinesfalls, dass es einen Zusammenhang zwischen den ästhetischen Eigenschaften der Fotografie und der oben erläuterten Verwendung des fotografischen Bildträgers als Beleg von Sachverhalten gibt. In der belegenden Verwendung der Fotografie dient der kausale Prozess der Bilderzeugung dem zeigenden Verweis auf eine Ursache. Die ästhetischen Eigenschaften des Bildes sind im Zusammenhang dieser epistemischen Verwendung irrelevant, sofern mit hinreichender Sicherheit von einem kausalen Verhältnis ausgegangen werden kann und die entsprechenden Beziehungen zwischen Bildträger, Bildobjekt und Abgebildetem hergestellt werden. Ästhetisch motivierte Verwendung und belegende Verwendung der Fotografie sind folglich analytisch streng voneinander zu unterscheiden – auch wenn sie nicht immer getrennt vorliegen mögen: In einigen Fällen wird man neben der Fotografie als Mittel zur Gestaltung des Bildträgers auch eine implizite oder explizite Bezugnahme auf die Möglichkeit der belegenden Verwendung antreffen. So eröffnen sich mit der Fotografie interessante künstlerische Möglichkeit zur Reflexion von Wirklichkeitsbezügen. Beispielsweise kann die Tatsache, dass mit dem fotografischen Film prinzipiell die Möglichkeit verbunden ist, ihn als Spur aufzufassen, bewusst zum Thema eines Films gemacht werden. Mit der Entscheidung für die Fotografie als Mittel zur Gestaltung des Bildträgers aus ästhetischen Gründen kann aber auch eine epistemische Funktion verbunden werden, die in keinem Zusammenhang zur belegenden Verwendung
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steht. Beispielsweise kann ein fiktionaler Film epistemisch relevant werden, indem er die Zuschauer mit bestimmten Filmobjekten bekannt macht. Fotografische Filmobjekte werden normalerweise ganz anders aussehen als nicht-fotografische Filmobjekte. Hier kann an die Bemerkungen aus Kapitel 4.2 angeknüpft werden: Wir machen in fotografischen Filmen offenbar Bekanntschaft mit andersartigen Objekten als in nicht-fotografischen Filmen. Die fotografische Technik kann also auch einfach deswegen verwendet werden, um den Zuschauern Filmobjekte von bestimmter Art zu präsentieren. Neben diesen ästhetischen und spezifisch epistemischen Gründen für die Verwendung der Fotografie gibt es allerdings auch praktische Erwägungen, die theoretisch bedeutsame Konsequenzen haben können. Zunächst zählen hier sicherlich die ökonomischen Faktoren, die für die Produktion eines fotografischen Films im Vergleich zu einem animierten oder computergenerierten Film mit vergleichbaren ästhetischen Eigenschaften sprechen. Doch es ergibt sich auch ein Unterschied in der Arbeitsweise der Bildobjekterzeugung: Bei den meisten nichtfotografischen Bildern kann man wohl davon ausgehen, dass die Gestaltung des Bildträgers sich mehr oder weniger gezielt an den Eigenschaften orientiert, die für das Bildobjekt konstitutiv sind. Eine Vorstellung des Bildobjekts bestimmt die Handlungen, mit denen der Bildträger gestaltet wird. Das Bildobjekt ist so der Maßstab für die Gestaltung des Bildträgers. In der Fotografie liegen die Verhältnisse etwas anders: Die Gestaltung des fotografischen Bildträgers ist hier weitgehend automatisiert; dem Bildproduzenten bieten sich nur noch bestimmte Parameter zur Steuerung der Bildträgergestaltung. Das führt dazu, dass Fotografen grundsätzlich kaum noch Handlungen ausführen müssen, die sich direkt auf den Bildträger und dessen Form beziehen – im äußersten Falle geht es nur noch um einen Knopfdruck. Ein Fotograf setzt sich mit dem Bildträger daher nicht mehr auf dieselbe Weise auseinander, wie ein Maler oder ein Zeichner dies tun muss. Denn dadurch, dass die manuelle Gestaltung des Bildträgers in den Hintergrund rückt, erhält das Motiv – also die Vorlage für die Erzeugung des Bildobjekts – mehr Aufmerksamkeit: Es scheint, als könnte das Bildobjekt direkt bearbeitet werden (ohne Umweg über den Bildträger), indem das Motiv und dessen Verhältnis zur Kamera gestaltet wird. Daraus resultiert eine völlig umgekehrte Orientierung des Vorgangs im Vergleich zur ‚manuellen‘ Bilderzeugung: Es werden die Motive selbst, also reale Objekte gestaltet, um Bilder zu gestalten.¹⁹ Daraus resultieren offensichtlich weitreichende Konsequenzen für die Möglichkeiten zur Präsentation von fotografischen Bild- und Filmobjekten.
Man beachte bei dieser Beschreibung, dass das Motiv grundsätzlich nicht mit dem Abgebildeten zu verwechseln ist. Das Motiv kann, aber muss nicht das Abgebildete sein.
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5.2.4 Fotografie als Werkzeug der Dokumentation Das Feld der nicht-fiktionalen Filme wird nicht alleine durch Dokumentarfilme ausgefüllt. Daneben finden sich u. a. nachstellende Filme, wie sie beispielsweise in Rekonstruktionen von Begebenheiten oder im Genre des biographischen Films (Biopic) zu finden sind. Es handelt sich dabei um Filme, die sich auf reale Personen, Objekte und Ereignisse beziehen und diese nachstellen. So sind z. B. die TV-Interviews des britischen Journalisten David Frost mit dem ehemaligen USPräsidenten Richard Nixon historische Dokumente, während der Film Frost/Nixon von 2008 Nachstellungen dieser Interviews mit Schauspielern enthält. Die Nachstellung ist keine Dokumentation, aber sie ist ebenso wie eine Dokumentation nicht-fiktional, weil sie reale Personen, Orte und Ereignisse abbildet (obwohl sich eine Nachstellung natürlich einige Freiheiten erlauben kann). In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, wie zwischen den verschiedenen Arten nicht-fiktionaler Filme differenziert werden kann. Denn offensichtlich macht es epistemologisch einen deutlichen Unterschied, ob es sich bei einem Film um eine Dokumentation eines Ereignisses oder um eine Nachstellung dieses Ereignisses handelt.²⁰ Ein Verweis auf die Realität der abgebildeten Objekte hilft hier nicht weiter, weil damit die spezifischen Differenzen zwischen beiden Arten nicht-fiktionaler Filme nicht erfasst werden.²¹ Eine (irreführende) Antwort könnte sich darauf berufen, dass die Verhältnisse zwischen Abbildung und Abgebildetem in nachstellenden Filmen etwas anders liegen als in Dokumentationen: Während das Filmobjekt einer Dokumentation direkt auf ein abgebildetes reales Objekt bezogen wird, wird das Filmobjekt eines nachstellenden Films zunächst auf ein nachstellendes Objekt bezogen (z. B. auf eine schauspielende Person), das dann in einem zweiten Schritt auf das abgebildete reale Objekt bezogen wird. Dieser Deutung zufolge erscheint die Abbildung eines Objekts in der Nachstellung als vermittelt, weil zwischen Filmobjekt und abgebildetes Objekt ein weiteres Objekt rückt, wohingegen die Abbildung eines Objekts im Dokumentarfilm unmittelbar wäre. – Aber in dieser Charakterisierung sind die exemplifizierenden Eigenschaften nachstellender Filme noch nicht berücksichtigt. Denn wenn alleine die Vermittlung der Abbildung zählt, dann könnte man eine reale Person auch mit einem Holzklotz nachstellen, der die reale Person symbolisiert. Die Umwege der Abbildung genügen hier offenbar nicht, um die Nachstellung in ihrem Unterschied zur Dokumentation zu erfassen.
Es gibt unzählige Filme, in denen diese Grenze zwischen dokumentarischer und nachstellender Form bewusst überschritten und reflektiert wird. Vgl. Currie 1995, S. 14– 16.
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Denn Nachstellung bedeutet in Filmen immer auch, dass bestimmte Eigenschaften des Abgebildeten nachgestellt werden. Dabei muss es sich nicht unbedingt um das Aussehen handeln, aber es muss Merkmale geben, durch die sich nachstellende von bloß symbolischen Darstellungen abgrenzen. Exemplifikation ist notwendig für den nachstellenden Charakter. Dasselbe gilt allerdings auf für Dokumentationen. Die Frage nach dem prinzipiellen Unterschied zwischen dokumentarischen und nachstellenden Filmen bleibt also auch im Hinblick auf die Exemplifikation zunächst unbeantwortet. Auch die Umstände der Produktion spielen für die epistemologische Unterscheidung beider Filmarten keine entscheidende Rolle. Denn man könnte beispielsweise auf die praktische Begrenzung der Aspekte hinweisen, unter denen die Objekte jeweils präsentiert werden können. Bei der Produktion von nachstellenden Filmen können die Aspekte gezielt ausgewählt werden, um bestimmte Eigenschaften der Objekte hervorzuheben oder überhaupt erst wahrnehmbar zu machen. Im Dokumentarfilm ist das nur eingeschränkt möglich. Die Einstellung kann in gewissen Spielräumen gewählt werden, und besonders in der nachträglichen Arbeit an der Montage gibt es keinen nennenswerten Unterschied mehr; aber das gefilmte Ereignis kann nicht mehr wiederholt werden oder ein zweites Mal aus einer anderen Perspektive oder mit anderen Eigenschaften festgehalten werden. Man könnte daraus schließen, dass man mit einem nachstellenden Film Eigenschaften exemplifizieren kann, die in einer Dokumentation aus praktischen Gründen nicht einzufangen sind. Doch der Verweis auf die Möglichkeiten, die durch praktische Einschränkungen festgelegt sind, spielen keine Rolle für die Frage, was den Dokumentarfilm von seinem nachstellenden Gegenstück unterscheidet, zumal diese Unterscheidung alleine von den kontingenten Produktionsbedingungen abhängig gemacht würde. Als theoretisches Kriterium taugt dieser Verweis nicht. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Unterschieds findet sich in dem Umstand, dass dokumentarische Filme offenbar auf fotografische Abbildung festgelegt sind. Die Technik der fotografischen Abbildung wird in Dokumentationen nicht nur aus rein ästhetischen Gründen, d. h. nicht nur als Mittel zur Gestaltung des Bildes verwendet. Denn: Nicht-fotografische Abbildungen können offenbar nicht auf dieselbe Weise dokumentieren wie fotografische Abbildungen es können. Ein Interview kann kein filmisches Dokument sein, wenn es nicht fotografisch aufgezeichnet ist. Die Darstellung eines historischen Ereignisses im Zeichentrickfilm oder per Computeranimation kann insofern kein Dokument, sondern nur eine Nachstellung sein. Welches Merkmal der Fotografie ermöglicht also die Dokumentation? Zunächst könnte es scheinen, dass die Möglichkeit filmischer Dokumentation auf die kausale Relation zwischen fotografischem Bild und dem Abgebildeten
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zurückzuführen ist. Doch hier muss differenziert werden: Die Verwendung eines fotografischen Bildes als Dokument unterscheidet sich von der Verwendung des fotografischen Bildträgers als Beleg. Das epistemische Interesse an Dokumentarfilmen richtet sich normalerweise nicht auf den fotografischen Beleg dafür, dass die abgebildeten Personen, Gegenstände, Ereignisse und Sachverhalte tatsächlich existieren. In den meisten Fällen ist schon bekannt, dass die im Dokumentarfilm dargestellten Sachverhalte bestehen und dass das Präsentierte tatsächlich existiert. Das wird oft sogar vorausgesetzt, so dass das filmische Dokument offenbar nicht als Beleg benötigt und behandelt wird. Eine gleichwertige belegende Funktion könnte im Übrigen auch mit anderen, nicht-bildlichen Mitteln umgesetzt werden. Die epistemische Bedeutung des Dokumentarfilms geht folglich nicht auf die Verwendung der Fotografie als Beleg von Sachverhalten zurück. Ein filmisches Dokument dient nicht notwendig zur Bildung eines Urteils über das Bestehen eines Sachverhalts. Das epistemische Interesse kann sich bei einem Dokument offenbar auch auf etwas ganz anderes richten: Etwas Bestimmtes soll im Dokumentarfilm wahrnehmbar werden, und zwar etwas, was in einem nachstellenden Film so nicht wahrnehmbar wäre. Es geht daher nicht in erster Linie darum, einen Sachverhalt als Tatsache auszuzeichnen. Vielmehr sollen bestimmte Eigenschaften des Abgebildeten wahrnehmbar gemacht werden. Welche Eigenschaften könnten das aber sein? Die Antwort lautet: Im Gegensatz zu nachstellenden Filmen und Fotografien exemplifizieren dokumentarische Filme und Fotografien den Ort und den konkreten Zeitabschnitt ihrer Entstehung.²² Fiktionale und nachstellende Filme tun dies nicht – sie können den vorgeblichen Ort und Zeitpunkt ihrer Entstehung bestenfalls symbolisieren. Sie können zwar alle möglichen anderen Eigenschaften der Orte und der Ereignisse exemplifizieren – aber nicht die Eigenschaft des Dargestellten, an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit stattzufinden. Dadurch unterscheidet sich eine Dokumentation von einem nachstellenden Film, selbst wenn beide in der Wahrnehmung absolut gleich erscheinen würden – etwa dann, wenn eine Nachstellung perfekt gelingen sollte: Die Eigenschaft, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort entstanden zu sein, kann einer Nachstellung nicht verliehen werden. Dieses Kriterium für den dokumentarischen Charakter beruft sich weder auf Tatsachenurteile, noch auf Urteile über die (längst vorausgesetzte) Realität der abgebildeten Objekte. Auch Maßstäbe der Objektivität oder der ‚Wiedergabetreue‘ Das gleiche gilt für die statische Fotografie, wo man statt von einem Zeitabschnitt von einem Zeitpunkt sprechen kann, dessen Ausdehnung der Belichtungszeit entspricht. Vgl. Gertrud Kochs Feststellung einer „Ko-Präsenz von Fotografen und Fotografiertem“, die sie allerdings als Voraussetzung für einen Wahrheitswert von fotografischen Bildern auffasst (Koch 2016, S. 17).
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spielen hier keine Rolle. Eine Dokumentation kann hochgradig irreführend sein, während eine Nachstellung die Verhältnisse getreu und gewissenhaft darstellen kann – beides ist durch die fotografische Technik nicht ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist aber, dass ein nachstellender Film mit der Dokumentation die Eigenschaft teilt, an demselben Ort und zur selben Zeit aufgenommen worden zu sein.²³ Es ist diese Eigenschaft, aus der sich die epistemischen Leistungen der Dokumentation erklären – woraus sich übrigens auch eine weitere Täuschungsmöglichkeit ergibt.
5.3 Film und Illusion 3: Fotografie als getreue Abbildung In filmtheoretischen Beiträgen findet man häufig die Tendenz, das fotografische Bild als wesentlich ‚realistisch‘ oder ‚die Realität abbildend‘ zu beurteilen. Handelt es sich dabei um eine Illusion? Zunächst ist diese Annahme von den Auffassungen filmischer Illusion zu unterscheiden, die in den Kapiteln 2.2 und 3.2 diskutiert wurden.Weder geht es hier um den Status des Bildobjekts im Verhältnis zum physischen Bild, noch läuft die Beurteilung eines Bildes als getreue Abbildung auf eine Verwechslung des Bildobjekts mit einem real präsenten Objekt hinaus. Der Realismus des fotografischen Bildes kann zu einer weiteren Art der Illusion führen, die das Verhältnis von Bildobjekt und Abgebildetem betrifft. Es handelt sich dabei um eine kognitive Illusion, die darin besteht, dass die Fotografie für eine prinzipiell ‚objektive‘, ‚transparente‘ oder ‚wahrhaftige‘ Abbildung gehalten wird. Mit anderen Worten: Es wird davon ausgegangen, dass die Fotografie das Abgebildete getreu wiedergibt, dass das fotografische Bildobjekt notwendig mit dem Abgebildeten übereinstimmt oder dass die Fotografie ‚faktive‘ Wahrnehmungen ermöglicht. So drängt sich die Vorstellung von der Fotografie als einer besonderen Bildart auf, mit der einzigartige epistemische Leistungen erzielt werden können – vor allem im Vergleich zu nicht-fotografischen Bildern.
Aus diesem Umstand ist ersichtlich, dass dem filmischen Schnitt im Dokumentarfilm eine heikle Rolle zukommt. Denn ein Schnitt von einer Einstellung auf eine andere entspricht einer Diskontinuität hinsichtlich Ort und Zeit; daher müssen die im Dokumentarfilm exemplifizierten Orte und Zeiten auf einen bestimmten Bereich erweitert werden und können über den gesamten Film hinweg nicht auf die Orte und Zeiten der einzelnen Einstellungen beschränkt werden. Der Rahmen dieser Erweiterung kann nur aus dem Kontext ersichtlich werden.
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5.3.1 ‚Objektivität‘ der Fotografie? Häufig wird der entscheidende Unterschied zwischen fotografischer und handgemachter Bildproduktion darin gesehen, dass ein technischer Prozess den manuellen Vorgang ablöst. Dieser Umstand hat zu der Auffassung beigetragen, dass mit der Fotografie eine neue Art der Objektivität in den Prozess der Bildproduktion eindringt, wobei ‚objektiv‘ hier als Gegenbegriff zu ‚subjektiv‘ im Sinne von ‚subjektbestimmt‘ zu verstehen ist. Denn, so die Annahme, mit der Fotografie wird das bildproduzierende Subjekt als ‚Mittler‘ zwischen Bild und Abgebildetem durch einen technischen Vorgang ersetzt. Das Subjekt unterbricht dadurch nicht mehr die Kausalkette zwischen Bild und Abgebildetem. So werden bestimmte mit dem Subjekt verbundene Unberechenbarkeiten ausgeschlossen: Waren nicht-fotografische, d. h. manuell erzeugte Bilder immer abhängig von der Wahrnehmung, den Überzeugungen, den bildnerischen Fähigkeiten und den Absichten des Bilderzeugers, so scheint die Fotografie weitgehend unabhängig von all diesen Faktoren zu sein.²⁴ Der Einfluss selektiver Wahrnehmung, falscher Überzeugungen und suggestiven Ausdrucks wird mit technischen Mitteln ausgeschlossen. Fotografie stellt sich dieser Beschreibung zufolge als Technik zur Produktion objektiver Bilder dar, weil die mangelhaften oder unberechenbaren Fähigkeiten des Subjekts keinen wesentlichen Anteil am Prozess der Bilderzeugung mehr haben.²⁵ Der Einfluss des Bildschöpfers beschränkt sich auf die Entscheidungen zur Auswahl und Gestaltung des Motivs, zur Einstellung, zum Zeitpunkt der Aufnahme und zu diversen Feineinstellungen. Für ein strikt empiristisches Erkenntnisinteresse könnten nicht-fotografische Bilder daher immer mangelhaft erscheinen, weil sie aufgrund ihres subjektiv vermittelten Ursprungs bestenfalls eine unklare Mischung aus variierenden Fähigkeiten und getreuer Abbildung sein können. Mit der Fotografie scheint dann erstmals eine von subjektiven Einschränkungen und Absichten unabhängige Abbildung denkbar. In diesem Sinne wurde die Leistung der Fotografie gegenüber der manuellen Bildschöpfung wiederum als Enthüllung charakterisiert: Endlich kann die Ansicht der Gegenstände unabhängig von den Einflüssen ihrer subjektiven Erscheinung abgebildet werden, wodurch die Dinge in ihrem unberührten
Vgl. André Bazins Urteil im Vergleich der Fotografie mit der Malerei: „Denn so geschickt ein Maler auch sein mochte, sein Werk blieb doch immer mit der Hypothek einer unvermeidlichen Subjektivität belastet. Ein Zweifel lag auf dem Bild, weil ein Mensch es geschaffen hatte.“ (Bazin 2004a, S. 36). „Die Eigenheit der Photographie im Unterschied zur Malerei besteht also darin, daß sie ihrem Wesen nach objektiv ist. So heißt denn auch die Linsenkombination, die bei der Photographie das menschliche Auge ersetzt, treffend ‚Objektiv‘.“ (Bazin 2004a, S. 36 f.).
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und reinen Wesen sichtbar werden.²⁶ Diese Auffassung geht aus einer skeptizistischen Einstellung zur Wahrnehmung, zur Einbildungskraft und zur Fähigkeit manueller Bildherstellung hervor. Dabei geht es noch nicht einmal um die Absicht des Bildschöpfers (die ja durchaus auf neutrale Wahrhaftigkeit abzielen kann), sondern um den Ausschluss des subjektiven Fürwahrhaltens und der subjektiven Einfärbungen des Gesehenen aus der Bildproduktion. Die Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeiten des Subjekts werden im Vergleich zur mechanischen Abbildungstechnik als unangemessen beurteilt, woraus eine unberechenbare ‚Untreue‘ gegenüber den abgebildeten Gegenständen resultiert. Der Ausschluss des Subjekts aus der Bildproduktion und die mechanische Determinierung des Bildinhalts durch das Objekt macht die fotografische Abbildung dagegen objektiv. Die Kehrseite dieser Position ist der Verlust dessen, was am subjektiven Ausdruck in Bildern geschätzt wurde, weil es als Wesen des Kunstbildes galt. So beruht auch die historische Debatte um die künstlerischen Möglichkeiten der Fotografie und des fotografischen Films auf der Idee einer objektiven fotografischen Abbildung und auf der mit dieser Idee verbundenen Gegenüberstellung von objektiven und subjektiven Bildern.²⁷ Denn der in Bildern verwirklichte künstlerische Ausdruck ist einer verbreiteten ästhetischen Position zufolge eine Funktion des künstlerisch motivierten Subjekts. Wenn dieses Subjekt nun aus dem Prozess der Bilderzeugung ausgeschlossen wird, so folgt gemäß der Annahme, dass Fotografie keine Kunst sein kann. Kann die Auffassung der Fotografie als objektive Abbildung überzeugen? Es kommt darauf an, wie der Begriff der ‚Objektivität‘ gedeutet wird. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass hier mit dem Prädikat ‚objektiv‘ offenbar ein epistemischer Wert ausgedrückt wird, der im Zusammenhang mit einer bestimmten epistemischen Verwendung von Bildern steht. Denn es geht um das exemplifizierende Zeigen des Abgebildeten mit dem Bildobjekt. Ein Bild ist gut für diese epistemische Verwendung geeignet, wenn das Bildobjekt das Abgebildete so exemplifiziert, dass die erwünschten Eigenschaften darin wahrnehmbar sind. Entscheidend für den epistemischen Wert eines Bildes ist also dessen Eignung zur
Vgl. die bereits genannte Formel von Bazin: „Das ästhetische Wirkungsvermögen der Fotografie liegt in der Enthüllung des Wirklichen.“ (Bazin 2004a, S. 39). Ich nenne diese Debatte historisch, weil sie heute nicht mehr geführt wird; niemand zweifelt heute mehr an den künstlerischen Möglichkeiten der Fotografie. Vgl. zu einigen systematischen Argumenten Carroll 2008, Kap. 1 und Gaut 2010, Kap. 1. Allerdings könnte heute durchaus eine ähnliche Debatte im Bereich des Films geführt werden, denn der überwältigende Unterhaltungsanspruch des Films scheint gelegentlich durchaus zu der Annahme zu führen, dass Filme keine Kunst sind, sondern nur Unterhaltung und Zerstreuung bringen und letztlich zum Eskapismus führen.
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Exemplifikation des Abgebildeten. Es ist im Übrigen begrifflich klarer, diese Eignung des Bildes zum Zeigen des Abgebildeten als ‚Abbildungstreue‘ zu bezeichnen; mit dem Begriff der ‚Objektivität‘ können neben der Abbildungstreue dagegen auch andere Bedeutungen verbunden werden (siehe unten). Jedes Kriterium der Abbildungstreue muss sich allerdings darauf beziehen, was im Bild eigentlich wahrgenommen und auf ein Abgebildetes bezogen wird. Ob eine Abbildung getreu ist hängt daher davon ab, auf welche Objekte und Eigenschaften sich das Erkenntnisinteresse richtet. Denn erst vor dem Hintergrund der epistemisch interessierenden Objekte kann das Verhältnis zwischen Bildobjekt und Abgebildetem bewertet werden. Abbildungstreue ist insofern davon abhängig, was in einem Bild wahrgenommen werden soll. Eine schlechte Fotografie bringt insofern sicherlich weniger Erkenntnisgewinn als eine gute Zeichnung. Aus diesem Grund kann ein handgemachtes Bild in vielerlei Hinsicht ‚treuer‘ abbilden als eine Fotografie – nämlich dann, wenn es die interessierenden Objekte deutlicher und besser darstellt als eine Fotografie. Man kann dann vielleicht trotzdem urteilen, dass das fotografierte Aussehen dem ‚realen‘ Aussehen entspricht – wenn das Entscheidende allerdings nicht zu sehen ist, bringt das wenig. Dagegen kann eine nicht-fotografische Abbildung – auch wenn sie in Bezug auf bestimmte Eigenschaften vielleicht Abstriche macht – die relevanten Eigenschaften unter Umständen viel besser hervorheben. – Doch es ist natürlich eine triviale Feststellung, dass das Erkenntnisinteresse nicht im fotografischen Bild selbst enthalten sein kann, sondern erst vom Fotografen und/oder vom Betrachter an das Bild herangetragen wird. Den Verfechtern einer objektiven Fotografie ist in diesem Sinne nicht entgegenzuhalten, dass es Fälle geben kann, in denen ein Betrachter vielleicht etwas ganz anderes zeigen will als das, was in einer gegebenen Fotografie nun gerade zu sehen ist. Ob ein Bild diesem Interesse genügt, hängt nicht vom fotografischen Prozess selbst ab, sondern von den Umständen der Aufnahme und der Bildbetrachtung. Das eigentliche Problem für die Position der fotografischen Abbildungstreue liegt woanders: Nämlich in der Annahme, dass der technische Prozess der Fotografie die Objekte der Wahrnehmung bestimmt. Das ist aber nicht der Fall: Ergebnis des technischen Prozesses ist der fotografische Bildträger, in dem ein Betrachter dann ein Bildobjekt wahrnimmt. Der kausale Prozess, in dem der Bildträger erzeugt wird, beruht auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Dasselbe gilt aber nicht für die Wahrnehmung von Bildobjekten. Die Fotografie bestimmt als rein technischer Prozess weder die Bildobjekte, noch den Bezug auf das Abgebildete. Der Einfluss der Kausalität bleibt auf den fotografischen Bildträger
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beschränkt und betrifft nicht unmittelbar das Bildobjekt.²⁸ Der fotografische Bildträger und das Bildobjekt stehen in keiner kausalen Relation zueinander, sondern vielmehr in einer intentionalen Beziehung, die (im Prozess der Bilderzeugung) vom Fotografen bestimmt wird. Die Erzeugung der Bildobjekte, die in einem fotografischen Bildträger sichtbar sind, erfolgt nicht ‚automatisch‘ oder rein ‚technisch‘, sondern verdankt sich Subjekten: zunächst den Handlungen des Fotografen und schließlich auch den Wahrnehmungen des Betrachters.²⁹ Der Vorgang der fotografischen Bilderzeugung muss entgegen der oben dargestellten ‚automatistischen‘ Auffassung vielmehr folgendermaßen beschrieben werde: Ein Fotograf (also ein Subjekt) erzeugt ein Bildobjekt, indem er sich einen kausalen Prozess zur Gestaltung des Bildträgers zunutze macht. Es macht dagegen keinen Sinn zu behaupten, dass die Bildobjekte in einem technisch eingerichteten physikalischen Prozess entstehen (was so nur für den Bildträger stimmt), denn Bildobjekte sind als intentionale Objekte der Wahrnehmung selbst keine physikalischen Objekte, die als Wirkungen einer Ursache auftreten. Es folgt also: Abbildungstreue ist auch in der Fotografie keine Eigenschaft eines technischen Werkzeugs, sondern vielmehr die Leistung eines Subjekts. In der dargestellten Auffassung der Fotografie als objektive Abbildung wird folglich ein irreführender Schluss von den technischen Eigenschaften der Fotografie auf deren epistemische Leistung gezogen. Die epistemische Eignung eines Bildes zum Zeigen des Bildobjekts verdankt sich dem Fotografen, also einem wahrnehmenden Subjekt, das nur aufgrund seiner Wahrnehmungsfähigkeiten überhaupt in der Lage ist, die gewünschten Bildobjekte zu erzeugen. Die fotografische Technik ist ein reines Werkzeug, das erst durch entsprechende Verwendungen eine bestimmte epistemische Funktion erfüllt. Damit soll allerdings nicht geleugnet werden, dass sich fotografische Bildobjekte stark von den Bildobjekten in nicht-fotografischen Bildern unterscheiden. In diesem Zusammenhang fallen auch die jeweiligen Weisen der Bilderzeugung sehr verschieden aus. Insbesondere gibt es in beiden Prozessen der Bilderzeugung bestimmte Einschränkungen, die durch die jeweils gewählte Technik zur Gestaltung des Bildträgers gesetzt sind. So kann ein Fotograf sich nicht oder nur in sehr engen Grenzen dazu entscheiden, ein fotografiertes Pferd wie einen Menschen aussehen zu lassen – eine Transformation, die bei handgemachten Bildern zum Bereich des Möglichen zu zählen ist. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Fotograf das fotografische Bildobjekt nicht erzeugt, eben weil es ‚automatisch‘ auf Vgl. Phillips 2009. Dieser Umstand hat Roger Scruton wohl dazu geführt, der Fotografie die „repräsentationale Kraft“ abzusprechen: „[P]hotography is [not] capable of representing anything.“ (Scruton 1981, S. 577).
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dem Bildträger erscheint; denn der Fotograf alleine entscheidet, ob und (in Grenzen) wie ein intentionales Objekt der Wahrnehmung auf einem Bildträger erscheint. In diesem Sinne formt er das Bildobjekt. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass der Fotografie in einer ganz anderen Hinsicht durchaus ein objektivierender Zug zugeschrieben werden kann. Denn in der fotografischen Technik wird der Abbildungsprozess gemäß bestimmten Standards ‚vereinheitlicht‘ und bildet daher einen allgemein bekannten Maßstab, der durchaus eine Beziehung zwischen Bildträger, Bildobjekt und Abgebildetem anleitet. Der technische Prozess der Fotografie wird auf der Konstruktionsseite der Kameras bewusst so gestaltet, dass die Erzeugung fotografischer Bildobjekte möglichst einfach und zuverlässig gelingt. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass fotografische Bildobjekte per Knopfdruck vollautomatisch erzeugt werden können – die subjektiv-konstruktive Leistung fällt in diesen Fällen fast ausschließlich auf die Seite des wahrnehmenden Betrachters. Die Fotografie suggeriert demnach – nicht zuletzt aufgrund ihrer technischen Eigenschaften – eine geläufige und flüssig funktionierende Praxis, die sich auch der einfachen Handhabbarkeit und der allgemeinen Verfügbarkeit fotografischer Kameras verdankt. Man kann diese Tendenz noch stärker ausdeuten: Über den technischen Prozess wird ein bestimmtes Abbildungsideal ‚verobjektiviert‘, d. h. allgemeingültig gemacht. Durch die Umsetzung in einem technischen Apparat können die daraus resultierenden Bilder somit (in gewissen Grenzen) festlegen, was als objektive Ansicht gilt. Einige Fotografien scheinen genau dies zu leisten: Egal, ob die Fotografie nun zu Beweiszwecken, als Schnappschuss zur Erinnerung oder als künstlerisches Werk gemacht wurde – unabhängig von Produktionsabsichten und Verwendungszusammenhang liefert sie eine bestimmte Ansicht ihres Motivs, die technischen Normen entspricht und zugleich Normen setzt. Es entfallen die Fragen, was eigentlich das Abgebildete ist oder welches seine charakteristische Ansicht ist, weil die technischen Bedingungen der Fotografie darüber (zumindest mit‐)entscheiden. So wird die Idee einer objektiven Abbildung mit der Fotografie als technisch normiertem Verfahren realisiert. Diese Deutung von ‚Objektivität‘ entspricht aber nicht derjenigen einer getreuen Abbildung, die alleine von den fotografierten Objekten geprägt ist. Die Überzeugung einer prinzipiellen Abbildungstreue der Fotografie ist daher als kognitive Illusion zu bezeichnen.
5.3.2 Transparenz und faktive fotografische Wahrnehmung Die kognitive Illusion der Abbildungstreue findet ihren theoretischen Ausdruck in der Position, der zufolge das fotografische Bild transparent ist. Mit dieser Position
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ist die Überzeugung verbunden, dass ein Betrachter durch eine Fotografie die abgebildeten Objekte selbst sieht. Dagegen habe ich argumentiert, dass in der Fotografie tatsächlich nur das Bildobjekt zu sehen ist, das vom Betrachter in Beziehung zu einem abgebildeten Objekt außerhalb des Bildes gesetzt wird. Fotografien sind meiner Argumentation zufolge nicht transparent. Eine systematische Argumentation zur Transparenz der fotografischen Abbildung hat Kendall Walton entwickelt. Walton vertritt einen starken Realismus in Bezug auf die Objekte, die in der Fotografie abgebildet und wahrgenommen werden: In fotografischen Abbildungen sehen wir die abgebildeten Objekte selbst. ³⁰ Das, was ein Betrachter in einer Fotografie sieht, ist das Abgebildete, eben das, was vor der Kamera war, als das Foto aufgenommen wurde. Wenn wir eine Fotografie einer Person sehen, dann sehen wir diese Person nicht (oder nicht nur) als Person im Bild, sondern als abgebildete Person durch das Bild. In der Terminologie der Phänomenologie des Bildes lautet die Grundthese des TransparenzAnsatzes also: Das Objekt der Wahrnehmung fotografischer Bilder steht mit dem Abgebildeten in einer Identitätsbeziehung.³¹ Diese transparente Beziehung zwischen dem fotografischen Bild und dem Abgebildetem wird mit einer kausalen Auffassung der Wahrnehmung begründet. Die angenommene Kausalität der Wahrnehmung wird in der fotografischen Technik nachgeahmt, um Transparenz zu ermöglichen: Wenn das Bildobjekt eine Ursache für das Seherlebnis ist, und in der Fotografie das Abgebildete eine Ursache für das Bildobjekt ist, dann ist das Abgebildete die Ursache für unser Seherlebnis. Das folgt aus der Transitivität der Kausalrelation. Wir können daher durch das Bild hindurch direkt (wenn auch Vgl. Walton 1984. Genauer: Walton vertritt einen ontologischen Realismus, denn er geht davon aus, dass eine ontologische Verbindung zwischen dem wahrgenommenen Bildobjekt und dem Abgebildetem besteht. Ein epistemologischer Realismus fasst dagegen die Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem so auf, dass die Wahrnehmung des Bildobjekts eine „faktive“ (wahrheitsgarantierende) Wahrnehmung des Abgebildeten garantiert (s.u.). Walton arbeitet nicht mit der Unterscheidung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem. Das zeigt sich beispielsweise an seinem Versuch, den Satz „The photographic image is the object itself“ zu interpretieren – ein Satz, der auf der Basis einer verbreiteten englischen Übersetzung André Bazin zugeschrieben wird, der im französischen Original so aber nicht zu finden ist (was übrigens zu einer fehlgeleiteten Rezeption von Bazins Position im englischen Sprachraum geführt hat): „Bazin’s claim that the photographic image is identical with the object photographed is no isolated anomaly. […] Perhaps we shouldn’t interpret Bazin’s words literally. But there is no readily apparent nonliteral reading of them on which they are even plausible.“ (Walton 184, S. 249). Dagegen ermöglicht die Unterscheidung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem eine einfache und plausible Deutung: Das in einem fotografischen Bild wahrgenommene Objekt ist mit dem abgebildeten Objekt identisch. Entgegen aller vermeintlichen Paradoxien kann die Position Bazins folglich zwanglos so interpretiert werden, dass sie Überschneidungen zum TransparenzAnsatz von Walton aufweist.
5.3 Film und Illusion 3: Fotografie als getreue Abbildung
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nicht unmittelbar) die abgebildeten Gegenstände sehen. Walton stützt sich hier auf eine Analogie zwischen der Fotografie und optischen Hilfsmitteln oder Prothesen wie z. B. Teleskopen, Mikroskopen und Brillen.³² Eine mit dem Transparenz-Ansatz verwandte Position hat Robert Hopkins ausgearbeitet. Er nimmt eine realistische Einstellung in Bezug auf die Fotografie ein, vertritt allerdings im Gegensatz zu Walton keinen ontologischen, sondern einen epistemologischen Realismus. In diesem Sinne werden Fotografien als besondere Quellen des Wissens beurteilt. Denn Fotografien ermöglichen Hopkins zufolge faktive Wahrnehmungen (bzw. Erfahrungen, experiences), d. h. die Sachverhalte, die in Fotografien wahrgenommen werden, entsprechen notwendig den fotografisch abgebildeten Tatsachen: Like other pictures, traditional photographs support pictorial experience—we see things in them. But unlike our experience of other pictures, our experience of photographs is factive: it is guaranteed to reflect the facts.What we see in traditional photographs is, of necessity, true to how things were when the photograph was taken. (Hopkins 2012, S. 710)
Der hauptsächliche Unterschied zwischen Walton und Hopkins liegt darin, dass sich Waltons Auffassung von Transparenz auf die Wahrnehmung von Objekten bezieht, während Hopkins die Wahrnehmung von Sachverhalten im Auge hat. Dadurch ist Hopkins nicht auf die Annahme einer transparenten Beziehung zwischen Bildobjekt und Abgebildetem festgelegt. Er interpretiert die Relation zwischen den im Bild wahrgenommenen Sachverhalten und den abgebildeten Sachverhalten stattdessen als Wahrheitsfunktion: Fotografien ermöglichen faktive Wahrnehmungen des Abgebildeten, so dass wahre Aussagen über das fotografische Bildobjekt notwendig auch wahre Aussagen über das Abgebildete sind. Hopkins hält Fotografien also nicht für transparent, sondern nur für wahrheitsgarantierend.³³ Diese wahrheitsgarantierende Funktion ist das Ergebnis einer Normierung: Die fotografische Technik ist mit dem Ziel entwickelt und kontinuierlich verfeinert worden, um mit ihr faktive Wahrnehmung zu ermöglichen. Es könnte scheinen, dass sich die Ansprüche auf Transparenz und faktive Wahrnehmung aus den in Kapitel 5.2.2 und 5.2.4 beschriebenen epistemologischen Verwendungen der Fotografie ableiten. Aber das ist nicht der Fall. Denn die Verwendungen der Fotografie als Beleg oder Dokument gehen nicht auf eine quasi-automatische und rein technisch realisierte Übereinstimmung von Bildursache und Abgebildetem zurück. Walton und Hopkins gehen von einer solchen Übereinstimmung aus. Das bedeutet: Die Auffassungen der Fotografie als trans Vgl. Walton 1984, S. 251 ff. Vgl. Hopkins 2012, 712 f.
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parent oder faktiv sind darauf festgelegt, dass das, was in einer Fotografie wahrgenommen wird, notwendig mit einer bestimmten Ursache der Bildgestaltung in relevanter Hinsicht übereinstimmt – und zwar aufgrund einer kausalen Relation bzw. einer technischen Normierung. In Kapitel 5.2 habe ich bereits dafür argumentiert, dass man nicht von einer notwendigen oder ‚automatischen‘ Beziehung zwischen fotografischem Bildobjekt und dem Abgebildeten ausgehen kann. Ebenso gibt es keine automatische oder der Kausalität analoge Beziehung zwischen Bildträger und Bildobjekt; das Bildobjekt ist als Objekt der Wahrnehmung vielmehr ein intentionales Objekt. Daher beruhen die Annahmen von Transparenz und Faktivität der fotografischen Abbildung auf einer Verwirrung bezüglich der Verhältnisse zwischen Bildträger, Abgebildetem und Bildobjekt. Wird diese Verwirrung aufgelöst, wird auch die kognitive Illusion durchschaut. Denn die kausale Bestimmung des Bildträgers, die Wahrnehmung des Bildobjekts im physischen Bild und die Bezugnahme des Bildobjekts auf das Abgebildete sind Vorgänge, zwischen denen keine notwendigen, über alle möglichen Fotografien konstanten Beziehungen bestehen. Im Transparenz-Ansatz wird angenommen, dass der fotografierte Gegenstand und das fotografische Bildobjekt hinreichend identisch sind. Das ist aber nicht der Fall: Der fotografierte Gegenstand bzw. das Motiv ist eine Ursache (von vielen) für die Gestaltung des fotografischen Bildträgers. Die Wahrnehmung des Bildobjekts im Bildträger ist dagegen keine kausale Relation, sondern eine intentionale Beziehung. Ebenso ist die Bezugnahme des Bildobjekts auf ein Abgebildetes kein natürlicher oder wahrheitsgarantierender Prozess. Der Anspruch auf fotografische Transparenz oder faktive fotografische Wahrnehmung wird also zweimal gebrochen: Einmal in der intentionalen Wahrnehmungsbeziehung von Bildträger und Bildobjekt, ein zweites Mal in der Zeichenbeziehung von Bildobjekt und Abgebildetem. Nur wenn es dazu kommt, dass Fotografien entsprechend wahrgenommen und als Zeichen verwendet werden, kann von Transparenz oder von wahrheitsgarantierenden Aussagen über das Abgebildete gesprochen werden. Beides wird aber weder rein physikalisch noch durch technische Normierung erreicht, sondern nur im Rahmen einer Wahrnehmungs- und Interpretationspraxis der Fotografie. Das Problem der realistischen Positionen geht im Kern darauf zurück, dass von fertig vorliegenden, wohlunterschiedenen und individuierten Objekten und Sachverhalten ausgegangen wird, die durch die gezielt entwickelte fotografische Technik abgebildet und in wahrheitsgarantierender Weise dargestellt werden können. Die fotografische Abbildung reproduziert Realität demnach als etwas Gegebenes. Die in der Fotografie wahrgenommenen und abgebildeten Objekte scheinen dann ganz unabhängig davon zu sein, ob und wie genau sie wahrgenommen und auf etwas bezogen werden. Umgekehrt wird für die fotografische
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Abbildung beansprucht, in allen relevanten Hinsichten abhängig von dem abgebildeten Ausschnitt der gegebenen Realität zu sein. Doch es gibt keine Garantie dafür, dass die Objekte oder Sachverhalte, die ein Betrachter im Bild sieht, unabhängig vom Bild als solche identifiziert und wahrgenommen würden. Im Extremfall sind sogar widersprüchliche Auffassungen denkbar: Wir könnten im Bild etwas wahrnehmen, was wir ohne Bild faktisch ganz anders oder auch gar nicht wahrnehmen würden. Auch die technische Normierung hilft hier nur bedingt weiter: Die Abbildung von Sachverhalten kann zwar zum Ziel der fotografischen Technik erkoren werden, aber die Technik bezieht sich selbst nicht auf Sachverhalte, um sie dann abzubilden – denn Technik bezieht sich zunächst überhaupt nicht anders als physikalisch. Das gilt übrigens noch weniger für die ‚traditionelle‘ Fotografie, auf die Hopkins seinen Ansatz einschränkt, als für die digitalen fotografischen Techniken: Denn in letzteren wird tatsächlich zunehmend eine Art technischer Bezugnahme auf Objekte ‚simuliert‘, beispielsweise indem suggeriert wird, dass eine Kamera etwa Gesichter ‚erkennen‘ kann. Tatsächlich erkennt die digitale Kamera genauso wenig Gesichter wie die fotochemische Substanz auf dem fotografischen Bildträger – allerdings kann die optische Information mittels funktionaler Algorithmen und maschinellem Lernen für eine Verarbeitung von dem, was wir als Gesichter erkennen, optimiert werden. Zusammenfassend kann die Frage beantwortet werden: Ist die Überzeugung, dass ein fotografischer Film prinzipiell eine getreue, transparente oder wahrheitsgarantierende Abbildung der Realität ist, eine Illusion? Die Antwort lautet: Ja, es handelt sich um eine kognitive Illusion, die aber verschwindet, wenn man sich die Verhältnisse klar macht oder einfach nur einige einschlägige Erfahrungen mit Fotografien und Filmen macht. Insofern handelt es sich nicht um eine notwendige Illusion, die Fotografie und Film zu Medien der Lüge macht – es sei denn, man geht von beständig naiven, unreflektierten und lernresistenten Zuschauerinnen aus. Das Durchschauen dieser Illusion darf aber umgekehrt nicht dazu führen, die Vorstellung einer ‚getreuen‘ Abbildung überhaupt zu verwerfen. Es wäre falsch, aus der Argumentation gegen eine notwendige Abbildungstreue der Fotografie zu schließen, dass kein Bild jemals eine treue Abbildung sein kann. Unter der Voraussetzung konkreter epistemischer Zwecke, die eine Verwendung der Fotografie anleiten, kann eine Fotografie belegende, dokumentierende und getreu exemplifizierende Funktionen sehr gut erfüllen, so dass es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein kann, eine Abbildung hinreichend ‚transparent‘ zu nennen. Diese Funktionen werden aber nicht notwendig von allen Fotografien überhaupt erfüllt; es hängt (trotz der fotografischen Kausalrelation) immer von der Verwendung und von den epistemischen Zielen ab, ob und wie eine Fotografie etwas zeigt, belegt und dokumentiert – oder den Betrachter täuscht.
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5.3.3 Fiktionale Illusion und repräsentative Suggestion Schließlich soll noch auf eine relativ unproblematische Art der fotografischen Täuschung hingewiesen werden, die an die belegende und dokumentierende Verwendung der Fotografie anschließt (vgl. Kapitel 5.2.2 und 5.2.4).Wenn derartige Verwendungen der Fotografie durch einen Kommentar, durch den Kontext oder durch bestimmte Darstellungsmittel nahegelegt werden, dann wird damit ein belegender oder dokumentierender Anspruch eingeführt. Es wird also implizit oder explizit behauptet, dass das Bild so aussieht wie es aussieht, weil der Bildträger aus einem kausalen Zusammenhang hervorgeht, der auf das Abgebildete schließen lässt. Zugleich wird mit diesem Anspruch aber eine spezifisch fotografische Möglichkeit der Täuschung eingeführt, indem gefälschte Belege oder Dokumente produziert werden. Ein Beispiel für eine derartige Täuschung kann etwa darin bestehen, dass eine inszenierte fiktionale Darstellung für eine nichtfiktionale Darstellung gehalten wird. In diesem Fall handelt es sich um eine fiktionale Illusion, die im Anschluss an Richard Allen als „reproduktive Illusion“ (reproductive illusion) bezeichnet werden kann (Allen 1995, S. 90 – 96). In diesem Sinne kann ein Film den Zuschauer täuschen, indem er ihm Sachverhalte als Tatsachen präsentiert – vor dem Hintergrund einer entsprechenden Verwendung des fotografischen Bildes. Das Phänomen der reproduktiven Illusion ist auf fotografische Bilder eingeschränkt, denn die Täuschung ist nur dann möglich, wenn ein Bild als ‚wahrheitsfähig‘ verwendet wird. Die besondere Art der fotografischen Wahrheitsfähigkeit verdankt sich der Bezugnahme auf einen kausalen Zusammenhang, aus dem der Bildträger hervorgeht; auf der Basis der entsprechenden Verwendung fotografischer Bilder ist daher auch eine spezifisch fotografische Lüge möglich. Allerdings möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass die belegende Verwendung der Fotografie nur eine von mehreren Möglichkeiten ist; fotografische Bilder müssen nicht notwendig auf diese Weise verwendet werden. Es liegt sogar die Vermutung nahe, dass die belegende Verwendung im Vergleich zu anderen Verwendungsarten relativ selten vorkommt. Ein weiteres, mit der Illusion getreuer Abbildung zusammenhängendes Problem kann sich schließlich dann ergeben, wenn bestimmte Filmobjekte als beispielhafte Exemplare aufgefasst werden. Das Problem entsteht, wenn mit einer exemplarischen Darstellung zeigend auf etwas Bezug genommen wird, was unabhängig von der bildlichen Darstellung nicht klar bestimmt ist. Der Vergleich zwischen Darstellung und Dargestelltem wird hier problematisch. Daher kann nur schwer oder gar nicht beurteilt werden, ob die Darstellung als exemplarische Abbildung angemessen ist. Leicht fällt es dagegen, die von der Darstellung vermittelte Vorstellung anzunehmen und gewissermaßen als ‚Leitbild‘ für das Ab-
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gebildete zu verwenden. Das kann beispielsweise dann unangemessen wirken, wenn mit einer Darstellung ‚ein schlechtes Bild‘ auf etwas geworfen wird; man kennt es aus Zusammenhängen, in denen eine negative oder positive Darstellung von Personen, Personengruppen oder Gruppenmerkmalen als repräsentativ und allgemeingültig aufgefasst wird. Dabei ergibt sich schon hier ein Problem mit dem Maßstab, der an die Darstellung angelegt wird: es handelt sich normalerweise nicht um ‚objektive‘ und unstrittige Sachverhalte, auf die man sich einfach zeigend beziehen kann oder die man mit der bildlichen Darstellung vergleichen könnte. Der Maßstab für die Beurteilung, ob eine bildliche Darstellung eine angemessene Repräsentation ist, liegt häufig nicht klar und deutlich vor. Doch durch den fehlenden außerbildlichen Maßstab gewinnt die bildliche Darstellung gerade eine besondere Bedeutung. Denn im Bild konzentrieren sich offenbar Eigenschaften in einer Einheit, die als solche unabhängig von der bildlichen Darstellung nur schwer oder gar nicht zugänglich ist. Ein besonderes Beispiel dafür ist die in besonderem Maße mit dem Film verbundene Darstellung von subjektiven Erlebnissen. Dieser Punkt wird im folgenden Kapitel im Rahmen einer Konzeption filmischen Zeigens erörtert, die sich nicht mehr am Modell des Realismus orientiert.
6 Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis [D]er Film will nichts bedeuten außer sich selbst. (Merleau-Ponty 2000, S. 79)
Bisher wurde eine Praxis des Zeigens erörtert und gegenüber einigen anderen epistemischen Verwendungen abgegrenzt, die sich auf die Zeichenfunktion der Exemplifikation beruft. Die klärenden Bemerkungen führten zu einer gemäßigten Auffassung eines bildlichen Realismus, in dem eine Beziehung zwischen Bild und Abgebildetem hergestellt wird. Über diese spezifische Konzeption des Zeigens hinaus beschreibt Lambert Wiesing einen alternativen Gebrauch des Begriffs des Zeigens, der nicht an die zuvor erläuterte Verwendung anknüpft, sondern eher (bild‐)theoretisch relevant ist. Diesem Gebrauch zufolge zeigt der Bildträger das Bildobjekt: Man kann von so etwas wie einer wahrnehmungstheoretischen Standardinterpretation des bildlichen Zeigens sprechen, die sich mehr oder weniger explizit in diversen Bildtheorien […] nachweisen lässt. Der Begriff des Zeigens wird stets verwendet, um die Beziehung zwischen dem Bildträger und dem Bildobjekt zu beschreiben. Bildliches Zeigen wird als eine vom Bildträger erbrachte Leistung verstanden. (Wiesing 2013, S. 73, vgl. auch S. 27 u. S. 126 – 127)
Diese Verwendung des Zeigebegriffs spiegelt sich z. B. wider in der (bild‐)theoretisch aufgeladenen Formulierung „Das Zeigen der Bilder“.¹ Wiesing argumentiert allerdings breit gegen diese gewissermaßen künstliche Verwendung des Zeige-Begriffs. Er bezeichnet die konstitutive Beziehung zwischen Bildträger und Bildobjekt terminologisch konsequenter als „sichtbar machen“: ein Bildträger macht ein Bildobjekt sichtbar, oder, sprachlich genauer: Mit der Gestaltung eines Bildträgers wird ein Bildobjekt sichtbar gemacht. Für diesen Vorgang eignet sich gerade der Begriff der Präsentation. Mit einem Bild werden Bildobjekte präsentiert. Wiesing plädiert dafür, den Begriff des Zeigens von den Begriffen der Darstellung und der Präsentation abzugrenzen. Unter dieser Voraussetzung ist nicht alles, was auf einem Bild dargestellt und präsentiert wird, damit auch schon gezeigt.²
Vgl. Boehm 2010. Eine ähnlich gelagerte Differenzierung schlägt auch Goodman vor, in dem er die Exemplifikation von Eigenschaften von bloßem Besitz von Eigenschaften unterscheidet; vgl. Goodman 1976, S. 53. Wiesing schränkt seine Differenzierung allerdings auf Funktionen des Bildobjekts ein. Vgl. auch Remmers 2015. https://doi.org/10.1515/9783110600506-007
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Der Hintergrund dieser begrifflichen Begrenzung des Zeigebegriffs ist die Kritik an Redeweisen, denen zufolge Bilder etwas tun, also selbst handeln. Zeigen ist grundsätzlich eine Handlung, also etwas, was Personen tun, und es ist Wiesing zufolge ein Kategorienfehler, diese Handlung einem Bild, d. h. einem Artefakt zuzuschreiben.³ Aussagen wie die, dass ein bestimmtes Bild etwas zeigt, sind also nicht wörtlich zu nehmen, wie als zeige das Bild von sich aus etwas. Zeigen ist dagegen als kommunikativer Akt aufzufassen, der nicht etwa zwischen dem Bild und einem Betrachter stattfindet, sondern zwischen zwei Personen: Einer Person, die etwas zeigt und einer anderen Person, der etwas gezeigt wird. Damit wird der Begriff des Zeigens philosophisch ‚entschärft‘, zumal das Zeigen abhängig gemacht wird von den Intentionen einer zeigenden Person sowie von Kontexten, die dem Bild im engeren Sinne äußerlich sind. Das Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt verdient zwar ein besonderes bildtheoretisches Interesse, aber es besteht Wiesing zufolge nicht in einer Zeige-Beziehung – außer, wenn man den Begriff des Zeigens 1. abweichend von der praktisch gebräuchlichen Verwendung konzipiert, in der es um das Verhältnis von Bildobjekt und Abgebildetem geht, und 2. anthropomorphisierend als Handlung von Gegenständen interpretiert.⁴ Wiesings Kritik an der Rede vom Zeigen in der Bildtheorie ist durchaus überzeugend – in Bezug auf statische Bilder. Allerdings stellt sich die von Wiesing kritisierte Auffassung des Zeigens als äußerst passend heraus, um die zeitlichentwickelnde Präsentation der Filmobjekte begrifflich zu fassen. Denn Wiesings Analyse des Zeige-Vorgangs legt es nahe, die Präsentation von Filmobjekten als Realisierung von Zeige-Vorgängen zu begreifen, und zwar auf eine Weise, wie es nicht für die Präsentation von Bildobjekten in statischen Bildern gilt. ‚Filmisches Zeigen‘ ist in diesem Sinne ein bestimmter dynamischer Aspekt des filmischen Bildes: Die Filmobjekte werden auf zeigende Weise präsentiert. Diese Charakterisierung geht auf die Merkmale des Zeigens zurück, die Wiesing vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen ‚Zeigen‘ und ‚Präsentieren‘ folgenderma-
Vgl.Wiesing 2013, S. 42– 45.Vgl. auch S. 46: „Es hängt von der Verwendung des Bildes ab, was es jeweils zeigt.“ – „Die Verwendung von ‚zeigen‘ im Sinne von ‚sichtbar machen‘ würde zur Folge haben, dass jeder Gegenstand, der auf einem Bild gesehen werden kann, auch schon gezeigt worden wäre – und das würde wiederum der Kategorie des Zeigens jede Besonderheit und Schärfe nehmen.“ (ebd., S. 48). Eine analoge Verwirrung kann übrigens in Bezug auf den Wissensbegriff auftreten: Denn Wissen ist auch etwas, was man nur Personen, nicht aber Dingen zuschreiben kann. Sätze wie „Das Bild zeigt die Königin von England“ sind Ellipsen, ähnlich wie „Das Buch enthält eine Menge Wissen“ elliptisch zu deuten ist. Gemeint ist mit ersterem Satz: „Ich zeige Dir mit dem Bild die Königin von England“ (nach Wiesing), und mit letzterem: „Durch die Lektüre dieses Buchs kann man sich eine Menge Wissen aneignen“. Zur Möglichkeit einer entsprechend ‚unpersönlichen‘ Verwendung des Wissensbegriffs vgl. Hyman 1999.
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ßen beschreibt: „In der Tat ist jedem Akt des Zeigens stets eine bestimmte zeitliche Struktur inhärent […].“ (Wiesing 2013, S. 26). Und weiter: „Das Entscheidende ist stets, dass das Gezeigte in [der konfrontierenden] Art des Zeigens selbst der räumlich-dynamische Faktor ist. Das Gezeigte wird so bewegt, platziert, inszeniert und vorgeführt, dass es jemandem unweigerlich in seinen vorhandenen Blick fällt – ja fallen muss […].“ (Wiesing 2013, S. 22). Zentral für das Zeigen ist folglich dessen Funktion der Aufmerksamkeitslenkung, die Wiesing für die Abgrenzung des Zeigens vom (allgemeineren) Präsentieren ins Spiel bringt: Der Begriff der Aufmerksamkeit hilft, um diese Besonderheit des Zeigens genauer zu beschreiben. Denn es lässt sich sagen: Derjenige, der etwas zeigt, muss die Aufmerksamkeit von jemand anderem beabsichtigt auf etwas lenken, und ausschließlich das, was aufgrund der gelenkten Aufmerksamkeit gesehen wird, ist von jemandem gezeigt worden. (Wiesing 2013, S. 20)
In diesen Textstellen springt die Parallele zwischen der zeitlichen Struktur von Zeigeprozessen und der zeitlichen Form des Films deutlich ins Auge. Denn während mit den Mitteln des statischen Bildes offenbar nicht die Aufmerksamkeit in einem Prozess (im buchstäblichen Sinne) aktiv von einem Bildteil auf einen anderen gelenkt werden kann, ist genau das in Filmen möglich und üblich. Mit der kontinuierlichen Veränderung des Bildausschnitts durch Kamerabewegung, Vergrößerung oder Verkleinerung, Schnitt und Bewegung der Bildobjekte wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Objekte, Eigenschaften und Aspekte gelenkt. Diese filmischen Möglichkeiten zur Aufmerksamkeitslenkung beschreibt Noël Carroll unter dem Begriff des „attention management“: „Motion picture makers communicate to spectators by controlling their attention.“ (Carroll 2008, S. 122). Im Anschluss an diese Besonderheit kann der begriffliche Unterschied zwischen „Präsentieren“ und „Zeigen“ beibehalten werden, indem statisches Präsentieren von filmischem Zeigen abgegrenzt wird. Ersteres bezieht sich dann auf Eigenschaften, die gleichermaßen in statischen Bildern wahrnehmbar gemacht werden könnten, während letzteres auf Eigenschaften bezogen wird, die im Rahmen eines zeitlichen Vorgangs wahrnehmbar gemacht werden, also durch einen bestimmten dynamischen Aspekt des filmischen Bildes. Man kann also sagen: Bestimmte Eigenschaften der filmischen Präsentation können als Zeigevorgänge interpretiert werden, und zwar auf eine Weise, wie es in statischen Bildern nicht möglich ist. Auch der Wendung des ‚sich Zeigens‘ kann in Bezug auf Bilder mit zeitlichen Formen eine sinnvolle Bedeutung abgewonnen werden. Auf statische Bilder angewandt macht es offenbar wenig Sinn zu sagen, dass Bilder „sich zeigen“ – denn statische Bilder tun im eigentlichen Sinne nichts, was von der Präsentation des in ihnen Sichtbaren unterschieden wäre. Die entsprechende Redeweise, auf die man
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in der Bildtheorie gelegentlich stößt, vermenschlicht Bilder, indem sie ihnen Handlungen zuschreibt. Es gibt aber auch einen Sprachgebrauch, den Wiesing unterschlägt und bei dem offenbar kein anthropomorphisierender Kategorienfehler vorliegt. Man sagt etwa: „Es zeigt sich, dass…“, ähnlich etwa den Wendungen „es hat sich herausgestellt, dass…“ oder „Es hat sich ergeben, dass…“. So hat eine Formulierung wie „Es zeigt sich, dass…“ etwa in Inhaltsangaben von Erzählungen ihren guten und richtigen Sinn. Auch Umschreibungen von Beweisführungen (etwa in der Mathematik) könnten Wendungen wie „Es zeigt sich schließlich…“ enthalten. Allen diesen Formulierungen ist gemeinsam, dass sie auf einen zeitlichen Vorgang hinweisen, in dem sich etwas entwickelt, d. h. in dem etwas wahrnehmbar wird – und das ist sicherlich charakteristisch für filmische Vorgänge. Schließlich kann Wiesings Kritik an der Rede von ‚handelnden‘ Bildern im Unterschied zu statischen Bildern relativiert werden. Bilder handeln nicht, insofern zeigen sie auch nichts; wie sieht es aber mit den Bildobjekten aus? In statischen Bildern handeln die Bildobjekte sicherlich nicht, sie können bestenfalls als Handelnde dargestellt werden. Wir sehen im Bild beispielsweise einen Handwerker bei seiner Tätigkeit; in diesem Sinne können wir sagen, dass der Handelnde etwas tut, also eine Handlung abgebildet ist. Nun ermöglicht der Film aufgrund seiner zeitlichen Form nicht nur die Wahrnehmung, dass eine Person im Bild eine bestimmte Handlung ausführt, sondern darüber hinaus die Wahrnehmung dieser Handlung selbst. In diesem Sinne handeln Personen im Film, während sie in statischen Bildern nur als Handelnde dargestellt werden. Dadurch ändert sich natürlich nichts an der Unterscheidung zwischen Handlungen im Bild und vermeintlich ‚handelnden‘ Bildern. Die Differenzierung zwischen dem „wahrnehmen, dass p“ und dem „x wahrnehmen“ führt für sich genommen nicht dazu, dass der Film selbst zur handelnden Entität wird. Doch es kommt eine weitere Möglichkeit ins Spiel. Denn in Bildern kann natürlich auch die spezifische Handlung des Zeigens selbst abgebildet werden: Eine Person im Bild zeigt beispielsweise mit dem Finger auf etwas, sie zeigt also einer Person im Film – oder auch den Zuschauerinnen – etwas. In einem Film kann eine Person nun ein Bild oder einen Film (im Film) genau so zeigen, dass das, was die Zuschauer im Film wahrnehmen, zugleich etwas ist, was im Film von einer Person gezeigt wird. Hier überschneidet sich das von einer Person im Film Gezeigte mit dem, was der Film präsentiert. Die Person im Film, deren Tätigkeit selbst präsentiert wird, zeigt etwas – auf eine Weise, in der das Präsentierte und das Gezeigte ununterscheidbar werden. Dieses Verhältnis führt dazu, dass die filmbildliche Präsentation zugleich ein Zeigen sein kann. Streng genommen zeigt zwar auch hier das Bild selbst nicht (d. h. es handelt nicht), aber es kann durchaus sein, dass das bildlich Präsentierte zugleich auch etwas (von einer Bild-Person) Gezeigtes ist. Diese Möglichkeit er-
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öffnet sich durch die zeitliche Form des filmischen Bildes, denn die zeitliche Form eröffnet erst den Kontext, in dem das Präsentierte zugleich ein Gezeigtes sein kann.
6.1 Film und Subjekt Auch in der Filmtheorie findet sich eine anthropomorphisierende Deutung des filmischen Bewegungsbildes, die eine große Ähnlichkeit zur von Wiesing als „Bildmythologie“ kritisierten Tendenz in der Bildtheorie aufweist (Wiesing 2013, S. 78 – 105): Das filmische Bewegungsbild wird als Subjekt, als Bewusstsein oder als Leib aufgefasst; ihm werden Handlungen, personale Eigenschaften und Weltzugänge zugeschrieben, und zwar mit Begründungen, die spezifisch für Filme gelten. Neben den offenbar handlungsähnlichen Zeigeprozessen, die im Film realisiert werden können, spielt hier auch die in Kapitel 4.3 diskutierte Objektivierung von Aspekten und die damit verbundene Darstellung von Wahrnehmungsweisen eine wichtige Rolle. Diese Phänomene haben Filmtheoretiker zur Idee von einer Art ‚Kamerabewusstsein‘ oder eines ‚Selbstbewusstseins‘ der filmischen Darstellung verleitet. So äußert sich beispielsweise Arthur Danto: I think the chief innovation of the moving camera is to make the mode of recording part of the record, which in turn thrusts the art of cinema into the image in a singularly intimate way. […] Film becomes in a way its own subject; the consciousness that it is film is what the consciousness is of. […] Perhaps films are like consciousness is, as described by Sartre, with two distinct, but inseparable, dimensions: consciousness of something as its intentional object, and a kind of non-thetic consciousness of the consciousness itself – and it is with reference to the latter that the intermittent reminders of the cinematic processes as such are to be appreciated. (Danto 1999, S.229 – 231)
Durch die dynamischen und als eigene Objekte in den Vordergrund tretenden Bildaspekte wird dem Film eine selbstreflexive Dimension verliehen, indem sich nicht nur eine bildliche Präsentation, sondern darüber hinaus ein ‚selbstbewusstes‘ Zeigen andeutet. Daraus wird die Konsequenz gezogen, dass der bildliche Aspekt als ‚Weise des Gegebenseins‘ im Film in eine Analogie zur Intentionalität des Bewusstseins übergeht. Schon 1915 hat Hugo Münsterberg die Auffassung vertreten, dass im filmischen Bewegungsbild etwas präsent wird, was uns normalerweise nicht als solches entgegentritt und was erst recht nicht als solches wahrnehmbar ist: nämlich Bewusstsein.⁵ Denn es werden nicht einfach nur Objekte präsentiert, sondern auch eine ‚Einstellung‘ oder Haltung zu den Vgl. Münsterberg 1916.
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präsentierten Objekten. So kann nach Münsterberg etwa eine Filmszene als Erinnerung, als Traum oder als Wunschvorstellung einer Person präsentiert werden – wobei diese Modi der Präsentation nicht selbst als sichtbare Teile des Bildes auftreten, sondern erst durch den zeitlichen Verlauf der bildlichen Entwicklung bewusst gemacht – gezeigt – werden. Die Abbildung bzw. ‚Verkörperung‘ von Bewusstseinsfunktionen wird also durch eine besondere Kombination von dynamischem Aspekt und Filmobjekt erreicht. Insofern könnte man beispielsweise die von Münsterberg angeführte Bewusstseinsfunktion des Erinnerns kommentieren: Wir sehen nicht nur, dass sich eine Person an etwas erinnert, sondern wir sehen sie sich an etwas erinnern. ⁶ So wird die filmische Darstellung selbst als Wahrnehmung oder als Erlebnis aufgefasst, so dass die Zuschauerinnen nicht nur Bild- und Filmobjekte, sondern auch Wahrnehmung wahrnehmen und Erlebnisse erleben. An diese und ähnliche Ideen der klassischen Filmtheorie anknüpfend finden sich in der Filmphilosophie einige erstaunlich explizite Auffassungen zum Film als Subjekt. Vivian Sobchack geht so weit, dem Film einen eigenen Leib zuzuschreiben, mit der Begründung, dass der Film Intentionalität verkörpert.⁷ Die filmische Bedeutungskonstitution besteht nach Sobchack nicht nur in der Präsentation eines bestimmten Objekts (des Filmobjekts), sondern auch im (filmischen) Akt des Sehens bzw. der Wahrnehmung (act of vision), der der Wahrnehmung des Zuschauers ‚vorausgeht‘ und ihr gegenübertritt.⁸ Daniel Frampton hebt dagegen mit dem Neologismus „filmind“ auf ein entkörpertes „Filmbewusstsein“ ab, das nicht nur dem Zuschauer etwas zeigt, sondern sogar selbst denkt. ⁹ Zwischen diesen vergleichsweise radikalen Positionen und Wiesings analytisch orientierter Kritik der Bildmythologie spannt sich ein weites Feld auf, das sich zu einem eigenen Problemkomplex der philosophischen Filmtheorie verdichtet. Ich möchte diese Problemkonstellation um eine Konzeption bereichern, der zufolge filmische Bewegungsbilder zwar keine Subjekte mit Wahrnehmungsbewusstsein sind, in der aber deutlich wird, wie der Film eine besondere Bezug An dieser Stelle könnte man offenbar nicht sinnvoll einwenden, dass der Vorgang „sich an etwas Erinnern“ gar nicht so aussieht, wie er mit den filmischen Mitteln (beispielsweise mit Rückblenden) dargestellt wird; bestenfalls kann man annehmen, dass der Vorgang des Erinnerns überhaupt nichts Visuelles ist und daher überhaupt nicht „aussieht“ (wenn man davon absieht, dass bestimmte wahrnehmbare Verhaltensweisen mit dem Vorgang der Erinnerung verknüpft sind). Doch diesem Einwand zum Trotz kann die filmische Darstellung als angemessenes und passendes Bild dafür anerkannt werden – auch wenn es keinen offensichtlichen visuellen Maßstab für diese Darstellung gibt. Vgl. Sobchack 1992 und Sobchack 2004; vgl. zur Kritik Liebsch 2013. Vgl. Sobchack 1992, S. 56. Vgl. Frampton 2006.
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nahme auf das notorisch schwer fassbare Subjektive ermöglicht. Einerseits möchte ich also die Intentionalität beim Zuschauer belassen, weil die Intentionalität der Präsentations- und Darstellungsbeziehung eigentlich die Intentionalität der Wahrnehmung ist; andernfalls wäre von intrinsischen Präsentations- und Abbildungsbeziehungen (filmischer) Bilder auszugehen – ein Gedanke, gegen den ich in den vorangegangenen Kapiteln argumentiert habe. Andererseits sind die mit der zeitlichen Form des Films verbundenen Mittel zur Aufmerksamkeitslenkung, zur dynamischen Aspektierung und zur Objektivierung der Wahrnehmung nicht gering zu schätzen (besonders, wenn man diese Mittel mit statischen Bildern vergleicht), denn sie eröffnen die Möglichkeit, subjektiven Eigenschaften eine (‚bildlich-objektive‘) Erscheinung zu geben.
6.1.1 Das Subjektive im Film Die Besonderheiten des filmischen Zeigens bestehen darin, dass Film als zeitliche Form zeitliche Eigenschaften präsentiert, dynamische Bildaspekte realisiert und damit die Aufmerksamkeit lenkt. Im Vergleich zu statischen Bildern kann dem Film folglich eine enthüllende Kraft zugeschrieben werden: Mit Filmen wird etwas wahrnehmbar gemacht, was in statischen Bildern so nicht wahrgenommen werden kann. Doch neben dieser Bedeutung von Enthüllung kann eine weitere, anspruchsvollere Konzeption eingeführt werden: Filmische Enthüllung besteht in diesem Sinne darin, dass Filmobjekte von solcher Art gezeigt werden, die unabhängig von ihrer Präsenz im Film kaum oder gar nicht zum Gegenstand der Betrachtung würden. Hier geht es nicht mehr um den Vergleich verschiedener Präsentations- und Darstellungsformen, sondern um ein besonderes Verhältnis von Filmobjekt und Abgebildetem. Die epistemologische Bedeutung dieses Verhältnisses geht daraus hervor, dass das Abgebildete in gewisser Hinsicht unbestimmt ist. Das bedeutet, dass es keinen vom Bild unabhängigen Maßstab gibt, an dem sich die Identifikation und die Wahrnehmung des Abgebildeten orientieren könnte. Eine derartige Enthüllung des Abgebildeten tritt als Zeigeprozess auf, in dem das Abgebildete überhaupt erst bestimmt wird. Man könnte auch sagen: Etwas wird veranschaulicht, ‚ins Bild gesetzt‘ oder ‚verbildlicht‘. Als Zuschauer findet man ein Phänomen im Bild vor, das man zuvor vielleicht bestenfalls sprachlich beschreiben konnte, aber es fehlte die passende Anschauung dieses Phänomens. In Bildern und insbesondere in Filmen kann sie gegeben werden. Um welche Phänomene geht es? Eine beispielhafte Möglichkeit der Verbildlichung betrifft das Subjekt und das ganze Feld, das durch den Bereich des Subjektiven aufgespannt wird. Damit sind keine empirischen Subjekte gemeint, deren (auch wahrnehmbare) Bestimmung z. B. als Individuen relativ geläufig ist. Zu-
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nächst ist ‚subjektiv‘ schlicht als Gegenteil von ‚objektiv‘ zu verstehen: Das Subjektive ist all das, was uns prinzipiell nicht als Objekt entgegentritt. Es ist diese Bedeutung, in der das Subjektive als philosophisches Rätsel auftritt. Denn wenn das Subjektive definiert ist als dasjenige, was prinzipiell kein Objekt ist und sein kann, dann scheint das Subjektive jedem epistemischen Zugang entzogen zu sein.¹⁰ In diesem Sinne geht es um subjektive Zustände, Prozesse und Verhältnisse. Gefühle wie Angst oder schwindelartige Orientierungslosigkeit, Erlebnisse, ein tragisches Schicksal, existenzielle Leidenschaften wie Liebe oder Rache, seelische Grundkonflikte: Für Phänomene dieser Art gibt es keine ‚objektiv‘ gegebenen Sachverhalte, an denen sie eindeutig und vollständig bestimmt werden könnten. Das bedeutet nicht, dass sie nicht bekannt sind und an Verhaltensweisen nicht erkennbar wären; es bedeutet vielmehr, das die Bedeutung des Subjektiven nicht hinreichend durch die Feststellung von Sachverhalten oder durch die Beobachtung von Verhaltensweisen bestimmt ist. Es gibt keine Objekte oder Sachverhalte, die einen klaren und deutlichen Maßstab zum Verständnis liefern könnten, sondern bestenfalls Vergleichsfälle. Das liegt daran, dass es sich hier eben nicht um ‚Dinge‘ oder Sachverhalte handelt. Ein grundsätzlicher ‚Abgleich mit den Tatsachen‘ ist nicht möglich. Die Wissenschaft, die sich dem Phänomenbereich des Subjektiven am nächsten wähnt, ist die Psychologie. Es ist daher konsequent, dass einer der frühesten explizit filmtheoretischen Beiträge von einem Psychologen stammt: Schon 1915 beschreibt Hugo Münsterberg die Möglichkeit des Kinos, Bewusstseinszustände abzubilden, die sonst bestenfalls im „psychologischen Labor“ zugänglich sind.¹¹ Entsprechend schreibt Maurice Merleau-Ponty dann auch 1947: „Für das Kino sind Schwindel, Freude, Schmerz, Liebe, Hass Verhaltensweisen wie für die moderne Psychologie.“ (Merleau-Ponty 2000, S. 80). Denn mit dem Film wird diesem ganzen Bereich ein Bild gegeben. Das Subjektive wird in dieser Hinsicht also schließlich doch zum ‚Objekt‘ der Wahrnehmung gemacht – aber eben zu einem Objekt mit zeitlicher Form, also über die Präsentation von zeitlichen Eigenschaften, dynamischen Aspekten und Zeigeprozessen. In diesem Sinne wird hier wiederum etwas enthüllt, was unabhängig von der filmischen Darstellung ‚unsichtbar‘ war: Denn wir hatten vor dem Film noch keine Bilder von bestimmten Phänomenen des Subjektiven, wie wir es beispielsweise in einer Großaufnahme eines Gesichtsausdrucks haben, die als solche erst in einem zeitlichen Verlauf gegeben ist.
Vgl. Nagel 1974. In diesem berühmten Aufsatz wird das Problem allerdings mystifiziert und nicht geklärt. Vgl. Münsterberg 1916.
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6 Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis
Wie unterscheidet sich diese Art der zeigenden Enthüllung von dem Vorgang, in dem einfach auf etwas aufmerksam gemacht wird? Wenn die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird, dann geht man implizit davon aus, dass der Gegenstand der Aufmerksamkeit nur aus zufälligen Gründen noch nicht beachtet wurde. Das enthüllende Zeigen funktioniert aber anders: Zwar bezieht sich das Filmobjekt auch auf etwas Abgebildetes, also auf etwas, was nicht nur im Bild lokalisiert wird; aber zugleich ist das, worauf es sich bezieht, kein ‚Ding‘, das unabhängig ‚gegeben‘ ist und als Vergleichsobjekt für das Bildobjekt dienen kann. Mit Bildern werden Dinge und Eigenschaften verfügbar gemacht, auf die ohne diese und ähnlich Werkzeuge nicht oder zumindest nicht so einfach Bezug genommen werden kann. Wir können uns mit dem Film in gewisser Hinsicht Bilder machen von Dingen, die (zunächst) eigentlich keine anschauliche Form haben. Im Übrigen ist der Bereich des Subjektiven längst nicht das einzige Feld, auf dem einem Unanschaulichen ein (filmisches) Bild gegeben werden kann. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Konstellation liegt etwa mit den Dokumentarfilmen von Frederick Wiseman vor, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gesellschaftliche Institutionen zu filmen. Institutionen, wie sie in High School (1968), Public Housing (1997) oder State Legislature (2007) zu sehen sind, könnten nicht in statischen Bildern erfasst werden – sofern es mehr als nur Anzeichen sein sollen. Funktionen, Orte, Entwicklungen, Menschen, Unterhaltungen, Handlungen, Verhaltensweisen und viele weitere Aspekte machen Institutionen aus und können nur in einer einheitlichen zeitlichen Form präsentiert werden. Zugleich fehlt der Maßstab, an dem das Verhältnis zwischen filmischem Bild und Abgebildetem eindeutig bestimmt werden könnte – wenn man von subjektiven Erfahrungen der Beteiligten absieht, die im Vergleich zum Bild aber punktuell und beliebig bleiben. Beurteilt und verglichen werden können die im Film präsentierten Institutionen daher nicht unmittelbar mit dem von ihnen Abgebildeten, sondern die Filme stehen für sich und zeigen Zusammenhänge, die aus sich selbst heraus epistemisch interessant sein können: Wir erhalten eben im wörtlichen Sinne ein (neues) Bild einer Institution. Die weiteren Möglichkeiten für diese Art des enthüllenden Zeigens können hier nicht im Detail erörtert oder auch nur aufgezählt werden. Im Folgenden werden stellvertretend zwei Beispiele für filmische Präsentationsweisen betrachtet, in denen Zuschauern ein subjektiver Zustand, konkret: das Erlebnis des Schwindels, zugänglich gemacht werden.
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6.1.2 Erlebnisse mit Filmobjekten präsentieren Auf eine erste Möglichkeit der filmischen Enthüllung des Subjektiven haben Béla Balázs und Maurice Merleau-Ponty hingewiesen. Gefühle, Empfindungen, Eindrücke, Erlebnisqualitäten und Geisteszustände können im Film einfach als solche durch die Präsentation entsprechender Verhaltensweisen, Gesten, Gebärden und Mienenspiele gezeigt werden. So bemerkt Merleau-Ponty: Das Kino zeigt uns nicht, wie es der Roman lange Zeit getan hat, die Gedanken des Menschen, es zeigt uns sein Benehmen oder sein Verhalten, es bietet uns unmittelbar diese besondere Weise des Zur-Welt-Seins, die Dinge und die Anderen zu behandeln, die für uns in den Gesten, dem Blick, dem Mienenspiel sichtbar ist und die offensichtlich jede uns bekannte Person definiert. Wenn uns das Kino eine Person zeigen will, der schwindelig ist, wird es nicht versuchen müssen, die innere Landschaft des Schwindels wiederzugeben, wie es Daquin in Premier de Cordée und Malraux in Sierra de Teruel tun wollten. Wir werden den Schwindel viel besser empfinden, indem wir ihn von außen sehen, indem wir diesen aus dem Gleichgewicht geratenen Körper betrachten, der sich an einer Steilklippe dreht, oder diesen schwankenden Gang, der versucht ist, sich man weiß nicht auf welchen Umsturz des Raums einzustellen. (Merleau-Ponty 2000, S. 80)
Merleau-Ponty bezieht sich auf den Schwindel, also auf ein Gefühl, das noch sehr körperlich erscheint, zugleich aber klar an eine subjektive Erlebnisperspektive gebunden ist – und, wie sich spätestens mit Hitchcocks Vertigo zeigen wird, auch eine existenzielle Dimension erhalten kann. Die Möglichkeit des Films, den Schwindel darzustellen, besteht zunächst einfach darin, Bewegungen und Verhalten einer Person zu präsentieren, der schwindelig ist. Das wird im Film möglich, weil Bewegungen und Verhaltensweisen als solche präsentiert werden. Die Präsentation ermöglicht hier eine Art Einfühlung.¹² Merleau-Ponty behauptet, dass die Zuschauer durch die Wahrnehmung der Bewegungen, Reaktionen und Verhaltensweisen dieser Person den Schwindel „viel besser empfinden“, als es mit einer ‚Wiedergabe‘ der „inneren Landschaft des Schwindels“ möglich wäre. Dabei geht es nicht nur um einen praktischen Vorteil der technischen Realisierung. Das eigentliche Problem besteht vielmehr darin, dass völlig unklar ist, wie eine Wahrnehmung – und damit eine bildliche Präsentation – einer „inneren Landschaft“ überhaupt anschaulich aussehen könnte. Denn schon die Bezugnahme auf ein Inneres schließt ja schon jede Wahrnehmung aus, die ja gewissermaßen ‚auf Äußeres‘ schaut. Man könnte wohl bestenfalls bildliche Konvention einführen, die den Zuschauern Hinweise auf das Erlebnis ‚Schwindel‘ geben – das wäre allerdings nicht das Erlebnis des Schwindels selbst.
Vgl. zur reichhaltigen Diskussion der Empathie im Film Hagener/Ferran 2017.
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6 Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis
Aber das ist nicht alles – das Problem sitzt noch viel tiefer. Denn an MerleauPontys Beispiel schimmert deutlich seine Idee einer phänomenologischen Philosophie in ihrer Anwendung auf den Film hervor. Alleine die Vorstellung eines mentalen ‚Inneren‘, die sich auch in der Rede von mentalen Zuständen, privaten Bedeutungen und subjektiven Empfindung ausdrückt, ist radikal irreführend. Man kann Merleau-Pontys Kritik an dieser Vorstellung auch in Analogie zu Wittgensteins berühmtem Beispiel der Zahnschmerzen erläutern: „Niemand außer mir kann wissen, ob mir schwindelig ist“ – man will erwidern: Doch, denn man kann es dir ansehen! Die mit dieser Auffassung verbundene und für die wissenschaftliche Psychologie wohl weitgehend uneingelöste Vision MerleauPontys wird in der folgenden Formulierung deutlich, in der die Anknüpfungsmöglichkeiten der filmischen Darstellung bereits anklingen: Die Psychologie hat erst an dem Tage begonnen sich zu entwickeln, als sie darauf verzichtet hat, zwischen Körper und Geist zu unterscheiden, und als sie die beiden korrelativen Methoden der Innenschau und der physiologischen Psychologie aufgegeben hat. Man lehrte uns nichts über die Emotionen, solange man sich darauf beschränkte, die Geschwindigkeit des Atems oder die der Herzschläge bei Zornanfällen zu messen – und man lehrte uns ebenfalls nichts über den Zorn, als man versuchte, die qualitative und unbeschreibliche Nuance des erlebten Zorns wiederzugeben. Die Psychologie des Zorns zu entwickeln heißt zu versuchen, den Sinn des Zorns zu bestimmen, heißt sich zu fragen, was seine Funktion in einem menschlichen Leben ist und wozu er gewissermaßen dient. […] Da die Emotion nun einmal keine psychische und innere Tatsache ist, sondern eine Veränderung unserer Beziehungen zum Anderen und zur Welt, die unserer Körperhaltung ablesbar ist, braucht man nicht zu sagen, daß allein die Zeichen des Zorns oder der Liebe dem fremden Betrachter gezeigt werden und daß der Andere indirekt und durch seine Interpretation dieser Zeichen angesprochen wird. Man muß sagen, daß der Andere mir evidentermaßen als Verhalten gegeben ist. (Merleau-Ponty 2000, S. 72)
Diese Position läuft daher nicht auf eine Leugnung des Subjektiven hinaus, denn das wäre Behaviorismus im Sinne einer Verneinung des ‚Inneren‘ zugunsten des ‚Äußeren‘. Im Gegenteil: Gefühle, Leidenschaften und Gedanken sind Eigenschaften eines Subjekts, aber sie sind keine geheimen und unsichtbaren Dinge im Geiste, sondern ganz offen wahrnehmbar – sie sind öffentlich. Allerdings sind sie nicht in bloßen Beschreibungen, Zeichen oder Andeutungen gegeben. Das Subjektive tritt nicht in Form von Sachverhalten auf. Vielmehr zeigt es sich in der „Veränderung unserer Beziehungen zum Anderen und zur Welt“ – eine Dynamik, deren Abbildung einer zeitlichen Form bedarf. Mit der Annahme einer öffentlichen Gefühlswelt soll natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass man seine Gefühle verstecken kann, dass man schauspielen und Andere über die eigenen Überzeugungen täuschen kann. Doch gerade im Film wird deutlich, dass auch diese Tätigkeiten als solche wahrnehmbar ge-
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macht werden können – wenn beispielsweise im Film ein Schauspieler von einem Schauspieler dargestellt wird. Im besten Fall können wir dann wahrnehmen, wie jemand nicht nur eine fiktive Person, sondern darüber hinaus eine Schauspielerin spielt, die gerade etwas inszeniert. Béla Balàzs hat ein sehr passendes Beispiel in aller Deutlichkeit beschrieben: Ein Meisterstück der Asta Nielsen vor vielen Jahren: Sie soll in einem Film aus intriganten Gründen einen Mann verführen. Sie heuchelt Liebe und spielt Komödie mit sehr überzeugenden Mienen. Doch während dieser Szene verliebt sie sich wirklich in den Mann. Ihre Gebärden (dieselben), ihre Mienen (dieselben) werden allmählich aufrichtig. Sie macht genau dasselbe wie vorhin, und es ist nicht zu sehen, woran es doch zu sehen ist, daß sie jetzt anders meint. Aber es wird noch komplizierter. Sie merkt, daß ihr Spießgeselle sie hinter dem Vorhang beobachtet. Nun muß sie diesem glaubhaft machen, daß sie nur Komödie spielt, wie sie vorhin dem anderen glaubhaft machen wollte, daß sie aufrichtig war. Die doppelte Bedeutung ihres Mienenspiels hat sich umgekehrt. Auch jetzt spielt sie Komödie, auch jetzt ist ihr Ausdruck unecht. Bloß ist diesmal das Unechte unecht geworden. Jetzt lügt sie es, daß sie lügt. Und das alles ist wahrnehmbar, ohne daß zu sehen wäre, wie und was sich in ihren Mienen geändert hat. (Balázs 2001b, S. 19 f.)
Im filmischen Bewegungsbild sind also Körperbewegungen, Mienenspiel, Gefühlsregungen und Verhaltensweisen auf eine Weise wahrnehmbar, die subjektiven Eigenschaften ein Bild gibt. Die Erscheinung der so ins Bild gesetzten subjektiven Ausdrückesind den Zuschauern zwar nicht unbedingt neu; sie als solche zu erkennen, setzt sicherlich einen gewissen Grad an Vertrautheit mit ihnen voraus. Aber das ist nicht notwendig der Fall. Einerseits können auch sehr außergewöhnliche und nicht alltägliche Gefühle und Erlebnisse durch die Bekanntschaft mit ihrer Präsentation im Film erlernt werden. Balázs hat in diesem Sinne an eine kulturübergreifende Filmsprache geglaubt: „[G]erade die Filmkunst [scheint uns] eine Erlösung von dem babelschen Fluch zu versprechen. Denn auf der Leinwand der Kinos aller Länder entwickelt sich jetzt die erste internationale Sprache: die der Mienen und Gebärden.“ (Balázs 2001a, S. 22). Andererseits werden die von den Filmobjekten abgebildeten Phänomene in der Lebenswelt normalerweise nicht angeschaut oder betrachtet, d. h. sie werden nicht zum Gegenstand der Wahrnehmung, zumal sie ganz selbstverständlich und flüssig verstanden werden.¹³ Es besteht normalerweise weder Anlass noch Gelegenheit, die
Mit den Begriffen ‚Anschauen‘ und ‚betrachten‘ möchte ich hier übrigens keinen starken Sinn von (ästhetischer) Kontemplation verbunden wissen. Es geht alleine um den Vorgang, sich etwas zum Gegenstand von Wahrnehmung und Erfahrung zu machen.
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in Filmen präsentierten subjektiven Zustände außerhalb des Films betrachtend wahrzunehmen – außer natürlich, wenn man durch Filme gerade dazu angeregt wird. Merleau-Ponty bemerkt in diesem Sinne: Wie wir […] gesehen haben, bedeutet ein Film so wie ein Ding bedeutet: Beide sprechen nicht mit einem abgetrennten Verstand, sondern wenden sich an unsere Fähigkeit, die Welt oder die Menschen stillschweigend zu entziffern und mit ihnen zu koexistieren. Es ist wahr, im alltäglichen Leben verlieren wir diesen ästhetischen Wert geringfügiger Wahrnehmungsgegenstände aus den Augen. Und ebenso wahr ist, dass die wahrgenommene Form in Wirklichkeit niemals vollkommen ist, es gibt immer Unruhe, unsaubere Stellen und gleichsam ein Übermaß an Stoff. Das kinematographische Drama hat gewissermaßen einen dichteren Kern als die Dramen des wirklichen Lebens, es ereignet sich in einer exakteren als der wirklichen Welt. (Merleau-Ponty 2000, S. 79)
6.1.3 Erlebnisse durch Filmaspekte präsentieren Neben der von Merleau-Ponty angeregten Möglichkeit findet sich noch eine andere Art und Weise, subjektive Zustände im Film zu präsentieren. Denn ein Film präsentiert nicht nur die gefilmten Ereignisse, Personen und Verhaltensweisen, sondern verfügt immer auch über Aspekte der Präsentation, mit denen eine Einstellung oder eine ‚Haltung‘ zum Präsentierten darstellt werden kann. Mit diesen Mitteln kann schließlich auch eine Wahrnehmungsweise präsentiert werden (vgl. Kapitel 4.3). Daran anknüpfend können in Filmen über bestimmte Kombinationen von Bildaspekt und Bildobjekt Erlebnisse präsentiert und damit objektiviert werden. Ein Erlebnis – normalerweise zum Bereich des Subjektiven zu zählen – kann insofern im Film zu einem Objekt der Wahrnehmung werden. So kann nicht nur die Bedeutung eines Gefühls im Verhalten anschaulich werden, wie es Merleau-Ponty beschrieben hat, sondern die Erlebnisqualitäten selbst können zum Gegenstand der Betrachtung werden (ein Vorgang, den MerleauPonty übrigens für nicht besonders charakteristisch hält, vgl. Merleau-Ponty 2000, S. 80). Lambert Wiesing wählt zur beispielhaften Beschreibung dieses Vorgangs an einer Filmszene zufälligerweise dasselbe Gefühl, das auch MerleauPonty genannt hat: den Schwindel. Alfred Hitchcock ist in dem Film Vertigo mit dem Problem konfrontiert, darstellen zu wollen, wie eine Person sieht, der aufgrund ihrer Höhenangst schwindelig wird. Er löst dieses Problem, indem er in den entsprechenden Szenen ein Treppenhaus zeigt, das sich in einer ganz eigenwilligen Art und Weise in sich verzieht und verschwimmt. Hitchcock verwendet in diesen Sequenzen die Bilder nicht, um einen Gegenstand zu zeigen – das Treppenhaus ist für das, was er zeigen will, gleichgültig –, sondern um zu zeigen, wie etwas Gesehenes sich verändert, wenn dem Sehenden schwindelig wird. Er verweist mittels des Bildes auf einen außergewöhnlichen Zustand einer Person und stellt für diesen Zweck zwischen der Dar-
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stellungsform des Bildes und der Sichtweise einer Person eine bildliche Korrespondenzrelation her […]. (Wiesing 2000, S. 96)
Hitchcock macht hier also keinen Gegenstand wahrnehmbar, sondern einen ‚Gemütszustand‘, der durch die Art und Weise der Präsentation selbst zum Objekt der Wahrnehmung wird. Im Gegensatz zur Darstellung per Verhaltensweisen, Ausdrucksbewegungen und Weltverhältnissen, die an eine Beziehung zur Welt anknüpfen, wird hier ein völlig neues Bild entworfen, das aber zugleich als veranschaulichende ‚Objektivierung‘ eines subjektiven Gefühls verstanden werden kann. Im Übrigen darf aus dieser Möglichkeit allerdings nicht geschlossen werden, dass jeder Film und jede Szene ein Erlebnis oder eine Erfahrung als solche präsentiert – selbst wenn eine enge Wechselwirkung von Bildaspekt und Bildobjekt vorliegen mag. Alleine dieser Punkt spricht gegen eine Auffassung des Films als Subjekt oder als Leib, denn die filmischen Modi des Erlebnisses, der Wahrnehmung oder der Körperlichkeit sind spezielle Darstellungsweisen, auf die der Film nicht beschränkt ist. Im Gegenteil: Man wird im Normalfall immer auch transparente Objektpräsentationen in Filmen finden, die nicht als Objektivierungen von etwas Subjektivem zu deuten sind. Schließlich will ich noch darauf hinweisen, dass mit der filmbildlichen Darstellung von Erlebnissen nicht die aus der Philosophie des Geistes bekannte Redeweise davon zu verbinden ist, „wie es ist, in einem bestimmten Zustand zu sein.“ Denn diese Redeweise impliziert gerade, dass es etwas gibt, ein Objekt oder gar einen Sachverhalt, der dem „es“ entspricht, und der das „wie es ist“ eindeutig festlegt. Hier wird an ein Erfüllungskriterium gedacht, das es so nicht gibt. Der Film vermittelt kein Erlebniswissen in diesem Sinne, sofern darunter eine übereinstimmende Abbildung eines Erlebnisses verstanden wird, welches als eindeutiger Maßstab zu betrachten wäre.Vielmehr erzeugt der Film hier ein Bild eines Erlebnisses, das nicht mit einem objektiven Ding oder einem Sachverhalt verglichen werden kann und nur dadurch Gültigkeit hätte – sofern es von den Zuschauern verstanden wird, was hier eine Frage des filmischen Zusammenhangs und der zeitlichen Entwicklung des Bildes ist. Der Vorgang ähnelt insgesamt mehr der Bildung von Metaphern als einer ‚repräsentationalen‘ Abbildungs- und Erfüllungsbeziehung. Das filmische Bewegungsbild wird zum Maßstab für etwas, was aufgrund seines Wesens bisher keinen Maßstab hatte.
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6 Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis
6.2 Film als Philosophie: Argumentation, Reflexion, Klärung? Auf der anderen Seite mag man inzwischen durchaus die Frage stellen, ob denn bei so viel Bildlichkeit nicht die Gefahr bestehe, daß das Denken, das sich nicht in Bildern, sondern in Begriffen und Urteilen bewegt, auf der Strecke zu bleiben droht? (Abel 2004b, S. 118)
Kann ein Film einen eigenständigen Beitrag zur Philosophie leisten? Eine in der Philosophie des Films viel diskutierte These lautet: „Films do philosophy.“ (Wartenberg 2011, S. 18). Diese These besagt, dass Filme in einem bestimmten, nicht-trivialen Sinne philosophische Inhalte ausdrücken und reflektieren können. Das tun sie demnach nicht nur, indem sie beispielsweise einen philosophischen Vortrag oder Zitate von Philosophen abbilden. Vielmehr beansprucht die These, dass Filme darüber hinaus selbst ‚philosophisch‘ sein können, indem sie beispielsweise reflektierende, argumentative oder klärende Elemente enthalten. So hat z. B. Stephen Mulhall im Anschluss an die filmphilosophischen Schriften Stanley Cavells philosophische Interpretationen mehrteiliger Hollywood-Produktionen vorgelegt, an denen er den Anspruch auf echte philosophische Arbeit im Modus des Films zu begründen versucht.¹⁴ Daneben gibt es einige filmtheoretische Argumentationen, in denen die prinzipielle Möglichkeit von Philosophie in Form von Film hervorgehoben wird – etwa, indem Filme Möglichkeiten durchspielen, Gedankenexperimente entwerfen oder einfach bestimmte Thesen vertreten.¹⁵ Die Behauptung, dass Filme selbst philosophieren, ist offenbar nicht wörtlich zu nehmen, zumal nur Menschen im eigentlichen Sinne etwas tun können.¹⁶ Außerdem kommen hier die Differenzen zwischen Bild und Sprache ins Spiel, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln erläutert wurden: Philosophie spielt sich im Bereich der Sprache ab, philosophische Tätigkeit ist also philosophische Rede, sei es in Gesprächen, Vorträgen oder Texten. Doch hier könnte man natürlich auf die philosophischen Inhalte verweisen, die auf verschiedene Weise ausgedrückt und dargestellt werden können. Auf einer formalen Ebene scheint die Sache dann keine Schwierigkeiten zu bereiten: Wie andere symbolische Formen können Filme offenbar alles Mögliche ausdrücken, so auch philosophische Inhalte. Am einfachsten lässt sich das am Merkmal der Selbstreflexivität zeigen: Filme exemplifizieren nicht nur Eigenschaften ihres jeweiligen Inhalts (der Erzählung, der
Vgl. Mulhall 2008, Cavell 1979, Cavell 1981, Cavell 1996 und Cavell 2004. Vgl. z. B. Wartenberg 2007 und Carroll 2012. Allerdings vertritt beispielsweise Daniel Frampton diese These in ihrer wörtlichen Interpretation, zumal er dem Film ein Bewusstsein und eine Subjektivität zuschreibt (vgl. Frampton 2006). Siehe auch die Diskussion der Auffassung von Film als Subjekt in Kapitel 6.1.
6.2 Film als Philosophie: Argumentation, Reflexion, Klärung?
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Charaktere etc.), sondern sie können auch auf ihre eigenen bildlichen Eigenschaften Bezug nehmen und diese reflektieren. So kann ein Film beispielsweise darauf aufmerksam machen, dass es sich bei ihm um einen Film handelt. Und auf metaphorischer Ebene kann auch noch auf ganz andere, komplexe und philosophisch anspruchsvolle Eigenschaften verwiesen werden. Doch reicht das aus, um dem Film eine philosophische Fähigkeit zuzuschreiben? Ist diese Charakterisierung überhaupt spezifisch? Muss die Unterscheidung verschiedener Wissensformen nicht darauf hinauslaufen, dass Sprache und Bilder nicht ohne weiteres denselben epistemischen Gehalt aufweisen? Welche Auswirkungen hätten philosophierende Filme für die gängige Praxis der Philosophie? Es besteht offenbar Klärungsbedarf. Im Folgenden möchte ich einige Ansätze für weitere Untersuchungen der genannten These skizzieren, die ich als ‚Film-als-Philosophie-These‘ abkürzen werde.
6.2.1 Was sind ‚philosophische‘ Filme? Die Argumentationen für oder gegen die Film-als-Philosophie-These berufen sich einerseits auf Bestimmungen dessen, was es heißt, einen Film zu erfahren und Philosophie zu betreiben. Andererseits bedienen sie sich an reichhaltigen FilmBeispielen, die die Plausibilität der These belegen sollen. Es geht bei der Film-alsPhilosophie-These also um Filme, die ‚philosophisch‘ genannt werden können. Das gilt sicherlich nur für eine sehr begrenzte Auswahl an Filmen, ebenso wie nicht alle filmischen Bewegungsbilder zum Bereich der Kunst zu zählen sind. In der Folge stellt sich die Frage, welche Filme aus welchen Gründen philosophisch zu nennen sind – eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist, denn es ist keinesfalls selbstverständlich, dass es sich um besonders intellektuelle Filme oder ausschließlich dem (für sich genommen schon problematischen) Genre ‚Arthouse‘ zuzurechnende Filme handeln muss. Cavell und an ihn anknüpfend Stephen Mulhall haben Filme des klassischen Hollywood und neuere Blockbuster-Filme als philosophisch charakterisiert und diese Entscheidungen jeweils ausführlich begründet. Doch abgesehen von der Schwierigkeit, die Klasse der philosophischen Filme eindeutig zu bestimmen, stellt sich natürlich die Frage, was einen Film wesentlich philosophisch macht, welche Eigenschaft es also ist, die der Klasse ihr Prinzip verleiht. Hier ergeben sich ebenfalls Probleme, denn vorauszusetzen ist offenbar eine handfeste, überzeugende und anerkannte Bestimmung von Philosophie, so dass darauf aufbauend etwas als ‚philosophisch‘ oder ‚Philosophisches leistend‘ charakterisiert werden könnte. Aber es gibt keine einheitliche Bestimmung der Philosophie, zumindest dann nicht, wenn man sich nicht im Voraus auf eine
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6 Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis
bestimmte Auffassung festlegt, die in bestimmten Traditionen oder Schulen Ausdruck findet. Was aber wird im Angesicht einer ‚Definition‘ aus den in der Geschichte der Philosophie von dieser Vorstellung abweichenden Auffassungen? – Statt einer allgemeinen und übergreifenden Charakterisierung von Filmen als ‚philosophisch‘ könnten natürlich bestimmte Filme auch einer passenden philosophischen Schule zugeordnet werden. So könnten bestimmte Film beispielsweise als existenzialistisch oder post-strukturalistisch bezeichnet werden. Doch das ist etwas, was von Vertretern der ‚Film-als-Philosophie-These‘ durchaus abgelehnt wird, bedeutet es doch, einem Film eine ihm äußerliche philosophische Position oder Interpretation ‚überzustülpen‘, auf die dann im Film nur noch verweisend Bezug genommen wird. Gerade das soll aber nicht gemeint sein mit der Idee, ein Film sei selbst philosophisch. Die Beziehung zwischen Film und Philosophie soll ‚intrinsisch‘ sein und nicht äußerlich.¹⁷ Eine Idee, die den Zwang zur relativ beliebigen Festlegung auf eine bestimmte philosophische Schule zu umgehen versucht, besteht darin, ein gemeinsames Merkmal aller (oder wenigstens fast aller) philosophischen Traditionen und Schulen zu finden, das sie vereint und somit das philosophische Merkmal schlechthin bildet. Thomas Wartenberg beispielsweise fasst Philosophie als grundsätzlich argumentierende Tätigkeit auf, indem verschiedene Gründe für und wider philosophische Positionen in Bezug auf existenziell tiefgreifende Probleme vorgebracht werden.¹⁸ Der argumentierende Charakter ist ein naheliegendes Merkmal, das die Philosophie scheinbar von dogmatischen Auffassungen unterscheidet. Wenn man allerdings unter ‚Argumentieren‘ eine Tätigkeit versteht, die logischen Prinzipien oder wenigstens dem Satz des Widerspruchs verpflichtet ist, dann wird man hiermit z. B. der postmodernen Kritik am Logozentrismus nicht gerecht. Und selbst, wenn man diese Seiten des Denkens in das argumentative Paradigma ein- oder ausschließt – der Nachweis, dass philosophische Filme argumentativ strukturiert sind, dürfte wohl in den wenigsten Fällen gelingen. Die argumentative Auswertung eines Films wird wohl immer eine Leistung des philosophischen Interpreten sein. Nun ist die Frage „Was ist Philosophie?“ offenbar selbst eine philosophische Frage, ein Umstand, der auf ein anderes Merkmal philosophischer Tätigkeit hinweist: In der Philosophie wird häufig der Status der philosophischen Tätigkeit reflektiert, indem gefragt wird, was sie ist. Selbstreflexion wäre folglich ein wesentlicher Vorgang in der Philosophie. So fasst etwa Cavell das Philosophische am
Vgl. z. B. Mulhall 2008, S. 7 f. Vgl. Wartenberg 2007.
6.2 Film als Philosophie: Argumentation, Reflexion, Klärung?
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Film als sein selbstreflektierendes Moment auf.¹⁹ Aber Selbstreflexion als formales Modell genügt noch nicht, denn man kann leicht Beispiele finden, in denen eine Art Selbstreflexion stattfindet, die aber nicht philosophisch und vielleicht in keiner Hinsicht besonders anspruchsvoll ist. So kann Selbstreflexion auch zur leeren Geste werden. Man denke etwa an die symbolische Verwendung von Spiegeln im Film oder an einen Film im Film – damit kann ein Film zwar ausdrücken, dass auf einer inhaltlichen Ebene ein ‚Bewusstsein‘ darüber besteht, dass der Film ‚nur ein Film‘ ist, aber dieser Vorgang gibt einem Film noch keinen philosophischen Gehalt. Es muss daher darüber nachgedacht werden, was denn Selbstreflexion im philosophischen Sinne ist, und inwiefern eine filmische Darstellung diesen Modus der philosophischen Selbstreflexion realisieren kann.
6.2.2 Philosophische Rede und Begriff Im Widerspruch zur Philosophie-als-Film-These springen einige Unterschiede zwischen filmischer Darstellung und philosophischer Rede ins Auge. Philosophische Arbeit konstituiert sich im Modus der Rede, also sprachlich, während der Film zwar auch sprachliche Elemente enthält, im Wesentlichen aber eine bildliche Präsentations- und Darstellungsweise ist. Die Kritik am philosophischen Charakter des Films lässt sich daher ganz allgemein aus den Gründen ableiten, die gegen einen unvermittelten Beitrag von Bildern zur Philosophie (verstanden als begriffliche Klärung) sprechen: In einem Bereich […], in dem es um Konzepte und Theorien geht, haben Bilder nichts zu sagen. Sie mögen andere Bereiche des Lebens bereichern, andere Formen des Nachdenkens erfüllen, ihnen sinnliche und körperliche Präsenz geben, wenn es aber um Begriffe geht, können sie nichts ausrichten, schlimmer: sie können die Sache nur verwirren oder aufblähen bis zur völligen Formlosigkeit. Einen Universalanspruch der Bilder gibt es nicht. Das zeigt sich schnell, wenn man sieht, wie stark Bilder auf Texte, auf Sprache überhaupt angewiesen sind. Erst die hinzutretende sprachliche Information ermöglicht Einordnung oder Täuschung. Ohne die Sprache bleiben viele Bilder ohne Aussage, bestenfalls semantisch unterbestimmt, schlimmstenfalls allen Vorurteilen und Ressentiments ausgeliefert. (Asmuth 2011, S. 12)
Hier könnte man zunächst erwidern, dass die Sprache gerade im Film eine Sonderrolle einnimmt, da sie in vielen Fällen zum Bild zu zählen ist, indem beispielsweise die im Film präsentierten Personen selbst sprechen. Sprache tritt nicht nur zum Bild hinzu, sondern sie ist im Bild selbst enthalten. Dadurch Vgl. z. B. Cavell 1979, besonders S. 118 – 133.
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übertragen sich insbesondere einige philosophische Potenziale der dramatischen Darstellung auf den Film. Doch ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht – wir haben bereits festgehalten, dass die zum Bild gehörige Sprache dem Film noch keine propositionale Wissensform verleiht, während der sprachliche Kommentar über den Film gerade nicht mehr zum Bild zu zählen ist (vgl. Kapitel 3.4). Nicht zuletzt wird man feststellen, dass in Filmen nur selten überhaupt ‚philosophisch‘ gesprochen wird – es geht normalerweise nicht um Konzepte und Theorien. Allerdings stellt sich umgekehrt auch die Frage, ob die sprachlich-philosophische Tätigkeit ausschließlich aus Feststellungen, Beschreibungen und Argumentationen besteht. Meines Erachtens geht es in der philosophischen Rede ultimativ nicht um die Feststellung von Sachverhalten, trotz ihrer Aussagenform. Philosophie unterscheidet sich in dieser Hinsicht grundsätzlich von empirischen Wissenschaften: Letztere zielen auf eine Feststellung und Beschreibung dessen ab, was der Fall ist, während die Philosophie – so könnte man sagen – mehr an Fragen der Sichtweise interessiert ist. Zeichentheoretisch gesprochen: Die Exemplifikations- und Ausdrucksebene spielt eine größere Rolle bei der Vermittlung und Erzeugung der jeweiligen philosophischen Inhalte als die ‚bloße‘ Beschreibung (im Sinne einer Denotation). Es geht dann nicht mehr nur darum, was eigentlich der Fall ist – was wahr und was falsch ist – sondern vielmehr darum, was überhaupt als Kandidat für Wahres oder Falsches infrage kommt und ‚in den Blick‘ gerät. Daraus erklärt sich auch die Bedeutung der Begriffsklärung in der Philosophie: Deren Ziel besteht nicht nur in vernünftigen und allgemeinverbindlichen Festlegungen, sondern vielmehr in der Klärung von Bedeutungen, mit denen der Spielraum für Objektbestimmungen und mögliche Sachverhalte überhaupt erst aufgezeigt und abgesteckt wird. In dieser Hinsicht nähert sich die Philosophie dem Film an, der auch mehr zeigt als beschreibt. Daraus ergibt sich ein erster Hinweis auf eine Gemeinsamkeit zwischen Philosophie und filmischem Bewegungsbild: Ebenso wie philosophische Tätigkeit in letzter Konsequenz nicht auf eine Feststellung von Tatsachen, d. h. auf Wahrheit im engeren Sinne abzielt, geht es bei der Bekanntschaft mit dem Film nicht immer darum, bestehende Sachverhalte darzustellen oder die Realität getreu abzubilden. Scheint sich die philosophische Rede dem Film in dieser Hinsicht anzunähern (wenn auch nur durch Ausschluss derselben Funktion), ergibt sich in einer anderen Hinsicht wiederum ein Kontrast: Im Zuge philosophischer Arbeit werden Probleme, Fragen und Phänomene benannt, auf den Begriff gebracht, geklärt und beschrieben. Das Ziel ist nicht (nur) eine Darstellung, sondern Klarheit in der Darstellung. Hier spielen Argumentationen ihre entscheidende Rolle. Es geht ultimativ um die Klärung von begrifflichen Verhältnissen. Doch selbst wenn dies gelingt, dann kann dennoch weiterhin ein bestimmter Mangel in der gewonnenen philosophischen Perspektive verspürt werden: In rein begrifflichen Erörterungen
6.2 Film als Philosophie: Argumentation, Reflexion, Klärung?
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drückt sich nicht zugleich die Verbindung zwischen dem Begrifflichen und der Erscheinung aus. Klarheit in der Philosophie hat daher noch nicht unbedingt einen klaren Blick auf die Phänomene zur Folge, die mir ganz konkret hier und heute begegnen. Wenn in Überlegungen abstrahiert wird, kann genau dieser Zusammenhang zwischen einem genau beschriebenen philosophischen Gedanken und den konkreten Phänomenen sogar verdeckt oder verdunkelt werden. Genau an dieser Stelle hat Merleau-Ponty eine Aufgabe des Films gesehen: „Das Kino ist nun auf bemerkenswerte Weise fähig, die Verbindung von Geist und Körper, von Geist und Welt und den Ausdruck des einen im anderen hervortreten zu lassen.“ Merleau-Ponty zufolge geht es darum, „das Band zwischen Subjekt und den Anderen sehen zu lassen, anstatt es zu erklären, wie es die Klassiker [der Philosophie] durch ein paar Rückgriffe auf den absoluten Geist taten.“ (Merleau-Ponty 2000, S. 81).
6.2.3 Die Philosophie und das Konkrete Insofern kann man nicht nur sagen: Ein Film präsentiert uns bestimmte Objekte, bestimmte Weisen der Präsentation und damit auch Wahrnehmungen und Erlebnisse – sondern darüber hinaus: Ein Film kann uns den Zusammenhang erkennen lassen zwischen den präsentierten Objekten und dem Denken. Damit zeigen Filme schließlich etwas, was besonders in der (in dieser Hinsicht abstrakten) philosophischen Rede normalerweise fehlt, nämlich deren Beziehung zur konkreten Erscheinung, zur Lebenswelt und zum persönlichen Erlebnis. Dieser Zusammenhang ist sicherlich kein einfacher, denn die hier zum Zuge kommende Abbildungsbeziehung ist eine besondere. Es geht nicht darum, wie etwas aussieht, was auch unabhängig von der bildlichen Darstellung vorliegt; es geht auch nicht um begriffliche, beispielhafte oder begründende Funktionen. Vielmehr kann ein filmisches Bewegungsbild einer philosophischen Äußerung ihre konkrete Bedeutung geben – nicht als etwas, auf das die Äußerung verweist oder was gewissermaßen ‚hinter ihr‘ steht, sondern als etwas, was in ihr steckt. Denn es ist nichts Geistiges hinter den Filmen zu suchen, was unabhängig von ihren audio-visuell präsentierten Gehalten gegeben wäre und von den sinnlichen Reizen nur abgerufen würde; andererseits ist es auch nicht das bloße sinnlich gegebene Material, das durch Assoziation oder Konstruktion irgendwelche geistigen Gehalte erschafft, ohne über sich hinauszugehen: „Im Kino hat weder das Wort noch die Musik den Zweck, den Bildern Ideen bzw. Gefühle beizulegen. Das Ganze sagt uns etwas sehr Bestimmtes, das weder ein Gedanke noch Anrufung von Lebensgefühlen ist.“ (Merleau-Ponty 2000, S. 77). Wie die Beziehung zwischen der philosophischen Rede und der anschaulichen Darstellung im Bild je-
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6 Filmisches Zeigen: Erlebniswissen und philosophische Erkenntnis
weils aussieht, kann allerdings nicht durch ein allgemeines Prinzip oder durch eine abstrakte Struktur der Abbildungsbeziehung erläutert werden. An Anlehnung an Wittgenstein könnte man sagen: Die Beziehung zeigt sich in der philosophischen Rede oder in der bildlichen Darstellung, aber sie wird darin nicht ausgesagt.²⁰ Im Film können philosophische Konzepte gewissermaßen geerdet werden, indem sie in konkreten Situationen und Ereignissen realisiert und anschaulich werden. Es sind die Erscheinungen, die das filmische Bewegungsbild präsentiert, die die philosophischen Erkenntnisse – nicht ergänzen oder mit Beispielen belegen, sondern vielmehr ausfüllen. Cavell spricht in Bezug auf den Film von einer ‚Umstülpung der epistemologischen Richtung‘: „Film turns our epistemological convictions inside out: reality is known before its appearances are known.“ (Cavell 1979, S. 185). In sprachlichen Äußerungen der Philosophie ist dieser Zusammenhang (noch) nicht unbedingt gegeben – zwar kann sich grundsätzlich jeder ‚ein Bild machen‘ von dem, was in der philosophischen Rede vorkommt, aber das ist weder eine einfache Aufgabe, noch ist es hinreichend für die Fähigkeit einer Bezugnahme auf Konkretes. In diesem Sinne kann von einem Sichtbarmachen von eigentlich theoretischen oder ideellen Kategorien und Konzepten gesprochen werden: Sie sind in Texten normalerweise (wie in der Philosophie häufig) nur implizit sichtbar und erfahrbar – man behilft sich z. B. oft mit simplen und immer wiederkehrenden Beispielen, die aber die Blutarmut der Überlegungen nur selten überbrücken können. Dagegen verfällt man leicht ins Abstrakte, wenn die Begriffe und Erklärungen unklar bleiben. Im Film ist eine ähnliche Sackgasse zwar auch wiederum möglich, aber nur in der anderen Richtung: Ein Film kann im Konkreten schwelgen und sich so um die Ausfüllung eines philosophischen Zusammenhangs herumdrücken. Wenn ein Film es aber schafft, über Filmobjekte, Aspekte und Kommentare das Philosophische gewissermaßen direkt (d. h. nicht ‚symbolisch‘ im bloßen Verweis) wahrnehmbar zu machen, dann leistet er einen echten Beitrag zur philosophischen Tätigkeit. Der Film kann folglich zusammenbringen, was zusammengehört, was aber in der Philosophie häufig getrennt erscheint: Philosophisches Denken und konkrete Kontexte. Was bringt das? Wenn das Ziel philosophischer Arbeit in einer Art Veränderung der Sichtweise hin zu mehr Klarheit besteht (analog einem As-
Wittgenstein vertritt allerdings insbesondere im Tractatus eine Auffassung von Philosophie, die nicht zu der hier beschriebenen Idee passt. Vgl. aber seine Bemerkungen zur Form eines Bildes, die es selbst nicht abbildet: „2.171 Das Bild kann jede Wirklichkeit abbilden, deren Form es hat. […] 2.172 Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.“ (Wittgenstein 1987).
6.2 Film als Philosophie: Argumentation, Reflexion, Klärung?
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pektwechsel) – inwiefern leistet der Film etwas Analoges mit vergleichbaren Mitteln? Denn es kann im Film offensichtlich nicht in erster Linie um begriffliche Klarheit gehen.²¹ Vielmehr könnte man das Ziel als ganzheitliche oder vollständige Sichtweise bezeichnen. In der filmischen Darstellung wird ein Anwendungsbereich für philosophische Kompetenzen geschaffen, in dem sich das Denken zur Konkretion bekennen muss. Das mag auf Kosten der begrifflichen Schärfe erfolgen – auf einer anderen Ebene ist es ein Gewinn, denn es versperrt den Ausweg (oder gar die Flucht) in begriffliche Untiefen, die den Blick auf die konkrete Welt (und insbesondere auf die Einheit der philosophierenden Zuschauerinnen mit ihr) verstellen können. Verändern die Bedingungen spezifisch filmischer Wahrnehmung dann einige unserer Einstellungen, Interpretationen und Überzeugungen, die philosophischen Charakter haben? Die Antwort muss lauten: Ja, in gewisser Hinsicht. Allerdings nicht so, wie man sich das gelegentlich in Bezug auf philosophische Dispute vorstellt, in denen eine Position gegen ihre Kontrahenten verteidigt und (im Idealfall) eindeutig ‚bewiesen‘ werden kann. Vielmehr können wir im Film Bekanntschaft mit Objekten, und das heißt auch: mit Gefühlen, Erlebnissen und existenziellen Situationen machen, die überhaupt erst ein angemessenes und umfassendes Bild von der Welt geben. In dieser Hinsicht erfüllt der Film eine Forderung der zeitgenössischen Philosophie – zumindest sieht Merleau-Ponty das so. Denn auch die (phänomenologische) Philosophie besteht „nicht darin […], Vorstellungen an die Kette zu legen, sondern darin, die Durchdringung von Bewußtsein und Welt, sein Engagement in einem Körper, seine Koexistenz mit den Anderen zu beschreiben, und […] dieses Thema [ist] im höchsten Grade kinematographisch“ (MerleauPonty 2000, S. 81). Oder, mit anderen Worten: Es geht nicht mehr um die gewissermaßen statische Darstellung und Begründung einer Idee, sondern um ihr Werden: Der Sinn des Films ist mit seinem Rhythmus verschmolzen, wie der Sinn einer Geste der Geste unmittelbar ablesbar ist, und der Film will nichts bedeuten außer sich selbst. Die Idee ist hier in ihren Geburtszustand zurückversetzt, sie taucht auf aus der zeitlichen Struktur des Films wie in einem Tableau aus der Koexistenz seiner Teile. Das Glück der Kunst ist zu zeigen, wie etwas eine Bedeutung anzunehmen beginnt, und zwar nicht durch Anspielung auf bereits entwickelte und erworbene Ideen, sondern durch die zeitliche oder räumliche Anordnung der Elemente. (Merleau-Ponty 2000, S. 79.)
Diesen Einwand verdanke ich Ulrich Seeberg.
7 Schlussbemerkung Ich habe mit dieser Arbeit den Versuch unternommen, der zeitlichen Form des filmischen Bewegungsbildes gerecht zu werden. Aus der Perspektive der Bildtheorie und im Paradigma des statischen Bildes konnte dieser Form bisher keine gebührende Aufmerksamkeit verliehen werden. Es sollte aber deutlich geworden sein, dass insbesondere bei der Frage nach der epistemologischen Bedeutung des Films die zeitliche Form der Präsentation entscheidend ist. Der epistemologische Begriff der Bekanntschaft hebt dann aus dem weiten Feld der Wahrnehmung dasjenige heraus, was am Film spezifisch interessiert: die besonderen Filmobjekte und die dynamischen Aspekte – sie sind Gegenstände des epistemischen Interesses, die mit einer Beschaffenheit und einer Bedeutung auftreten, die in statischen Bildern nicht zu realisieren wäre. Und diese besonderen Objekte der filmischen Wahrnehmung – Veränderungen, Verhaltensweisen, Wahrnehmungen und Erlebnisse als solche – ermöglichen dann wiederum besondere Weisen des Zeigens: In einem realistischen Sinne als exemplifizierende Abbildung oder in einem spezifisch filmischen Sinne als zeigende Aufmerksamkeitslenkung, aus der heraus Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge erst wahrnehmbar werden. Der Anspruch der vorliegenden Konzeption soll abschließend noch einmal verdeutlicht werden: Es geht mir darum, noch vor der Unterscheidung zwischen epistemischen und ästhetischen Leistungen einen Zugang zum filmischen Bild zu eröffnen, der das Besondere der filmischen Darstellung und deren Mittel begrifflich fassbar macht. Wo in Filmen neue, bisher ungekannte und in diesem Sinne kreative Bedeutungen geschaffen werden, mag man von einer künstlerischen Leistung sprechen. Zunächst kommt es mir aber darauf an, das spezifische Bedeutungspotenzial des Films überhaupt kenntlich zu machen, so dass die Art der in der Wahrnehmung bestimmten Objekte und deren ‚Formung‘ durch die Filmaspekte hervortreten. Feuilletonistische Ausspielungen von ‚realistischen‘ und ‚künstlerischen‘ Ansprüchen des Films sollen damit im Voraus ausgeschlossen werden. Denn wenn man sich einmal darüber im Klaren ist, was man in einem Film eigentlich wahrnimmt und wie ein Film es macht, dass ich in einem Moment scheinbar mehr wahrnehme, als im Bild zu sehen ist – dann stellt sich nicht mehr die Frage nach der ‚abgebildeten Realität‘ oder nach dem ‚künstlerischen Gehalt‘. Vielmehr steht das im Film Präsentierte zunächst für sich; weder handelt es sich um eine bloße Abbildung von etwas vor-filmisch Gegebenen, noch ist die filmische Objektbestimmung auf ein künstlerisches Moment zurückzuführen. Filme können dann in verschiedene Kontexte eintreten, die nicht alleine durch die filmische Technik, aber auch nicht durch die vermeintlich abgelichtete Realität oder die affizierenden Wirkungen der filmischen Mittel festgelegt sind. Es https://doi.org/10.1515/9783110600506-008
7 Schlussbemerkung
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ergibt sich ein weiter Spielraum. Wir können einen fotografischen Film als Beleg für einen Sachverhalt verwenden, aber wir können ihn auch als Bild von etwas begreifen, das uns unabhängig von der bildlichen Darstellung nicht präsent wäre. Schließlich ergeben sich spezifische Möglichkeiten des theoretischen Umgangs mit Filmen, die meines Erachtens noch bei weitem nicht ausgeschöpft sind – nicht zuletzt aufgrund der erörterten bisherigen Unklarheiten in Bild- und Filmtheorie. Die im letzten Kapitel angedachte Verwendung von Filmen in der philosophischen Arbeit kann als Hinweis auf eine Entwicklung in diese Richtung gedeutet werden. Schließlich kann auf der hier erarbeiteten Grundlage eine ausführlichere Behandlung der filmischen Narration anschließen. Es stellen sich Anschlussfragen an das Verhältnis von Filmobjekten und Filmaspekten zu all den narrativen und dramatischen Formen, die für die Filmgeschichte so überaus prägend sind. Ich kann an dieser Stelle nur meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass sich die spezifisch filmischen Mittel der Narration als Funktionen der Filmobjekte und der dynamischen Aspekte erläutern lassen. Darüber hinaus sehe ich allerdings den eigentlichen Zweck der filmischen Narration auf derselben Ebene wie die Zwecke, die mit der Präsentation von Filmobjekten überhaupt verfolgt werden: In letzter Konsequenz geht es um die Präsentation von Objekten der Bekanntschaft. Folglich dient die filmische Präsentation und Darstellung nicht der übergeordneten narrativen Struktur, sondern umgekehrt: Die narrative Struktur ist selbst nur ein Mittel, um die konkreten Filmobjekte in einer prozesshaften Entwicklung zu bestimmen. Das bedeutet: Es geht letztendlich auch in erzählenden Filmen um die Bekanntschaft mit Personen in einer bestimmten Umwelt, in bestimmten Situationen, mit bestimmten Gefühlen, Konflikten und vielleicht mit (ganz leiblichen) Schwindelzuständen. Das ist es, was uns epistemisch an Filmen interessiert – im Angesicht dieses Interesses erscheinen selbst Hochspannung und Gefühlstiefe einer unterhaltsamen Geschichte als bloße Mittel zur Erkenntnis.
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Sachregister Abgebildetes / Bildsujet 3, 14, 34 – 39, 41, 46 f., 52 f., 71, 79, 93 f., 105, 111 – 142, 144 f., 150, 152, 155, 166 Ästhetik 4, 13, 15 – 18, 71 – 73, 86, 114 Aspekt-Wechsel 45, 104 f. Auge 19 f., 31, 61 f., 78, 101, 124, 133, 139, 146, 156, 161
Farbe 25, 36, 60, 64, 67 f., 99, 101, 124 Fiktionalität 7, 38 f., 52 f., 92, 112, 142 f. Filmobjekt 28, 60, 67, 78, 82 f., 92 – 113, 117, 128 f., 142, 145, 149 – 155, 164, 166 f. Fotografie 3, 7, 9, 18, 23, 30, 34 – 36, 41, 46 f., 55, 59 f., 62, 72, 74 f., 83, 94, 113 – 115, 117 – 120, 123 – 142
Bekanntschaft 3 f., 13 f., 39, 82 f., 89 – 93, 96 – 98, 100, 102, 111, 120 – 123, 128, 155, 162, 165 – 167 Bildaspekt 28, 30, 34 – 36, 79, 97, 100, 102 – 110, 148, 150, 156 f. Bildbewusstsein 34, 37, 50 – 52, 69, 103 Bildobjekt 28 f., 33 – 37, 40 – 47, 49 – 55, 59 – 61, 63, 65, 67 – 74, 76 – 80, 83, 89, 91 f., 96 – 99, 101 – 103, 106 f., 111 f., 114 – 117, 119, 122 – 128, 132, 134 – 140, 144 – 147, 152, 156 f. Bildtheorie 3, 7, 9 f., 28, 30, 33 f., 36, 52, 54, 60, 67, 71, 73, 115, 144 f., 147 f., 166 Bildträger / physisches Bild 34 – 37, 40 f., 43 – 46, 50, 57 – 72, 74, 112, 115, 118 f., 123 – 128, 131 f., 135 – 137, 140 – 142, 144 f. Bivalenz 120 – 122
Gefühl 19, 21, 43, 80, 112, 151, 153 – 157, 163, 165, 167 Gesicht 19, 141 Großaufnahme 19, 60, 105 f., 151
Direkte Wahrnehmung 42, 80, 98 – 102 Disposition 11, 62, 82 – 86, 89 – 91, 96, 111 Dokumentarfilm 2, 7 f., 92, 127, 129 – 132, 152 Einfühlung / Empathie 153 Einstellung 10, 12, 25 f., 39, 43, 55 f., 58, 69, 83, 89, 92, 95, 101 – 110, 112, 119, 122, 130, 132 – 134, 139, 148, 156, 165 Epistemologie 4 f., 11 – 18, 48, 82 – 110, 118 – 127 Enthüllung 1, 4, 14, 18 – 27, 109, 112 – 114, 133 f., 150, 152 f. Erlebnis 31, 49, 109, 112, 138, 143 – 157 Exemplifikation 72, 113, 115, 117, 123, 130, 135, 144, 162 https://doi.org/10.1515/9783110600506-010
Hören
74 – 77, 99
Illusion 33 f., 48 – 52, 61 – 73, 77, 117, 132, 141 f. – ästhetische Illusion 13, 71 f. – kognitive Illusion 48, 50, 132, 137, 140 f. – Müller-Lyer-Illusion 64 – optische Illusion 51, 63 – partielle Illusion 66, 70 – perzeptive Illusion 48 – 51, 70 – physikalische Illusion 64 – projektive Illusion 65 f., 72 – reproduktive Illusion 142 Irrtum 120 f., 123 Kamera 12, 19, 21 f., 30, 35, 57, 62, 66, 92, 103, 107 – 110, 118 f., 125, 128, 137 f., 141 Kamerabewegung 103, 108, 110, 146 Kausalität 46 f., 114, 116, 118 f., 123 – 127, 130, 133, 135 f., 138, 140 – 142 Kino 2, 8, 15, 50, 52, 54, 58 f., 61, 66, 103, 151, 153, 155, 163 Kognitivismus 11, 42, 62, 64, 68 – 70, 98 Konstruktivismus 42 f., 62, 68 – 70, 98 Kuleshov-Effekt 104 Lebenswelt 14, 155, 163 Licht 59 f., 76, 118 Metaphysik
22
176
Sachregister
Mikroskop 19, 21, 139 Montage 12, 25, 101, 107, 130 Motiv 128, 133, 137, 140 Narration
5 – 7, 15, 25, 66, 87, 167
Objektiv 22, 70 f., 109, 131 – 137, 143, 150 f., 157 Objektivierung 90 f., 103, 108, 137, 148, 150, 156 f. Perspektive (visuell) 1, 9 f., 12, 16, 19, 28, 32 f., 35, 37, 39 f., 42 f., 50, 52, 54, 79 f., 82, 84, 88, 92 f., 95, 100, 102 f., 105 – 107, 110, 130, 162, 166 Philosophie 4 f., 14 f., 22, 28, 33, 86, 105, 154, 157 – 165 – Philosophie-als-Film-These 159 – 161 Präsentation 7, 12 – 14, 27, 31, 35, 45, 55, 72, 78 – 81, 87 f., 93 f., 96 – 110, 112, 116 f., 128, 144 – 157, 161, 163, 166 f. Präsenz 45 – 47, 49 f., 52, 54, 60, 74 f., 131, 150, 161 – artifizielle Präsenz 29, 33, 44 – 47, 50, 54, 68, 74 – 78 – reale Präsenz 48, 50 f. Psychologie 9 f., 14, 43, 49, 61, 63 f., 70 – 72, 151, 154 Realismus 14, 65, 93, 111, 113 – 116, 132, 138 f., 143 f. Repräsentation 3, 14, 40, 136, 142 f., 157 Schatten 46 Schnitt 58, 103 f., 106 f., 110, 132, 146 Sehen 1, 7, 9, 19 f., 22 f., 26 f., 31 – 33, 35 f., 38, 41, 44 f., 47, 49, 54, 57, 59, 63, 65, 68, 75, 77, 92, 94, 99 f., 108 f., 114, 135, 138 f., 147, 149, 152 f., 155, 163, 166 Skeptizismus 4, 20 – 23, 25, 65, 68 Spiegel 161
Sprache 22, 26, 30, 32, 34, 40, 56, 73, 79 – 81, 87 – 89, 121, 155, 158 f., 161 f. Spur 118, 124, 127 Stil 103 Subjekt 84, 90 f., 133 f., 136, 148 – 150, 154, 157 f., 163 Technik 19 f., 27, 60, 113, 117, 119, 124, 127, 130, 133, 136, 141, 166 – digitale Technik 58, 125 – fotografische Technik 125, 127 f., 132, 136 – 141 Teleskop 19, 21, 139 Transparenz 59, 92, 103 – 109, 132, 137 – 141 Trompe-l’œil 49, 51 Welt
12, 18 – 20, 42, 66 f., 72, 78, 148, 153 f. 156, 163, 165 – Weltbild 18, 165 – Weltverhältnis 10, 14, 72, 157 Wissensform 2 – 4, 13 f., 27, 81 – 92, 98, 121, 159 – nicht-begriffliche Wissensform 14, 93 – 98 – nicht-propositionale Wissensform 13 f., 82 f., 85 f., 88 – 90, 111, 120 – propositionale Wissensform 13, 25, 82 – 91, 98 f., 119 – 123, 162 Zeichen 14, 36 – 41, 46, 54, 80, 114 f., 118, 140, 154 – indexikalisches Zeichen 118 f., 123 f. – natürliches Zeichen 46, 118 f. Zeigen 2, 4, 6, 13 f., 19, 22 f., 26, 33, 37 f., 41, 48, 54, 64, 68, 91 f., 105, 109 – 117, 119 – 123, 134 – 136, 143 – 148, 150, 152 f., 156, 158, 163, 165 f. Zeitlupe 22 Zeitraffer 22 Zeitverhältnis 7, 19 – 21
Personenregister Abel, Günter 4, 14, 16, 22, 43, 85, 88, 111, 114, 158 Allen, Richard 49, 66 f., 92, 142, 147 Arnheim, Rudolf 48, 65 f., 70, 74 – 76, 80, 104, 107 Asmuth, Christoph 37, 42, 44, 50, 116, 161
Hopkins, Robert 8, 92, 123, 139, 141 Husserl, Edmund 10, 33 f., 43 – 45, 50 f., 67, 70 Ingarden, Roman
56
Balázs, Béla 15, 19, 75, 77 f., 114, 153, 155 Bazin, André 100, 114, 133 f., 138 Benjamin, Walter 30 f.
Kant, Immanuel 17, 43 Koch, Gertrud 15 f., 48, 57 f., 62, 65, 71 – 73, 131 Kracauer, Siegfried 19, 113 f. Kuleshov, Lev 104
Carroll, Noël 2, 5, 11, 23, 26, 50, 69, 95, 121, 134, 146, 158 Casebier, Allan 67 Cassirer, Ernst 33, 42 f. Cavell, Stanley 2, 47, 59, 74 – 76, 158 – 161, 164 Chaplin, Charles 104 Chion, Michel 77 Clair, René 123 Currie, Gregory 5 f., 64, 129
Merleau-Ponty, Maurice 24, 33, 43, 56, 73, 98 f., 101, 105 f., 108, 144, 151, 153 f., 156, 163, 165 Mersch, Dieter 13, 30 f. Metz, Christian 54 Michotte van den Berck, Albert 49 Mulhall, Stephen 2, 158 – 160 Münsterberg, Hugo 48, 148 f., 151
Danto, Arthur C. 6, 11, 54 f., 108 f., 121, 148 Deleuze, Gilles 5 f., 19, 58 Elgin, Catherine Z. 16 Epstein, Jean 19 – 21 Favuzzi, Pellegrino 30 Fiedler, Konrad 74 Frampton, Daniel 149, 158 Gaut, Berys 26, 134 Gibson, James J. 10 Gombrich, Ernst H. 45, 67 Goodman, Nelson 4, 16, 36, 38, 40, 43, 144 Grabbe, Lars C. 9, 30 f., 56 Hagener, Malte 5, 59, 73, 153 Händler, Matthias 52 Hanich, Julian 73 Hitchcock, Alfred 34 – 36, 41, 46, 74, 94, 153, 156 f. https://doi.org/10.1515/9783110600506-011
Paech, Joachim 9 f., 60 – 62 Polanyi, Michael 13 Recki, Birgit 59 Rupert-Kruse, Patrick Ryle, Gilbert 20
9, 30 f., 56
Sachs-Hombach, Klaus 9, 29 f., 46 Sartre, Jean-Paul 70, 148 Schnädelbach, Herbert 13, 83, 85 f. Scholz, Oliver 36, 38, 46, 57, 69, 94, 97 Scruton, Roger 136 Searle, John 49 Seeberg, Ulrich 165 Sobchack, Vivian 13, 47, 108, 149 Spinoza, Baruch de 37 Turvey, Malcolm 109
4, 18 – 26, 68, 92, 101 f.,
Vertov, Dziga 19, 21 Voss, Christiane 13, 71
178
Personenregister
Wagner, Astrid 16, 43, 99 Walton, Kendall 138 f. Wiesing, Lambert 10, 33, 35, 41, 44 – 46, 51 f., 63, 65 f., 71, 73 f., 92, 108 f., 111, 114 f., 117 – 119, 121, 124, 126, 144 – 149, 156 f.
Wiseman, Frederick 152 Wittgenstein, Ludwig 4, 20, 22, 82, 105, 121, 154, 164 Wulff, Hans 77