126 103 631KB
German Pages 161 [162] Year 2011
ERFAHRUNG UND DENKEN Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften
Band 103
Eine Kritik der Wissenschaft aus der Anerkennung der Wahrnehmung als Wissen Von Wedig Kolster
Duncker & Humblot · Berlin
ERFAHRUNG UND DENKEN Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften
Begründet von Kurt Schelldorfer
Herausgeber Dorothea Frede (Hamburg), Volker Gerhardt (Berlin), Otfried Höffe (Tübingen) Bernulf Kanitscheider (Gießen), Oswald Schwemmer (Berlin) und Wilhelm Vossenkuhl (München)
Schriftleitung Volker Gerhardt
Hinweise 1. Der Zweck der Schriften „Erfahrung und Denken“ besteht in der Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der „Philosophie der Wissenschaften“. 2. Unter „Philosophie der Wissenschaften“ wird hier die kritische Untersuchung der Einzelwissenschaften unter dem Gesichtspunkt der Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik (Ontologie, Kosmologie, Anthropologie, Theologie) und Axiologie verstanden. 3. Es gehört zur Hauptaufgabe der Philosophie der Gegenwart, die formalen und materialen Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften zu klären. Daraus sollen sich einerseits das Verhältnis der Philosophie zu den Einzelwissenschaften und andererseits die Grundlage zu einer umfassenden, wissenschaftlich fundierten und philosophisch begründeten Weltanschauung ergeben. Eine solche ist weder aus einzelwissenschaftlicher Erkenntnis allein noch ohne diese möglich.
WEDIG KOLSTER
Eine Kritik der Wissenschaft aus der Anerkennung der Wahrnehmung als Wissen
ERFAHRUNG UND DENKEN Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften
Band 103
Eine Kritik der Wissenschaft aus der Anerkennung der Wahrnehmung als Wissen
Von
Wedig Kolster
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: werksatz · Büro für Typografie und Buchgestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0425-1806 ISBN 978-3-428-13560-8 (Print) ISBN 978-3-428-53560-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83560-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Inhaltsverzeichnis A.
B.
C.
D.
E.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
I.
Konflikte zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . .
7
II.
Inhaltlicher Überblick und Begründungszusammenhang . . . . . . . . . . . . 10
Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung? . . . . . . . . . . . . . 17 I.
Wahrnehmung in Erkenntniskonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
II.
Von der Erschließung unserer Kenntnisse über die Umwelt . . . . . . . . . . 19
III.
Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
IV.
Wahrgenommenes und seine emotionale Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . 35
Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I.
Historisches und Kritisches zur Beschreibung von Wissen . . . . . . . . . . 41
II.
Wissen als Ergebnis aus der Kommunikation des Menschen mit der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
III.
Wissen aus Ergebnissen der Wahrnehmung und der Emotionen . . . . . .
IV.
Wissen aus einer Reflexion des Wahrgenommenen . . . . . . . . . . . . . . . . 52
V.
Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens . .
47
59
Die Wahrnehmung des Einzelnen ist Grundlage des Allgemeinen aus der Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I.
Einzelnes und Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
II.
Das Allgemeine im Erklärungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
III.
Begriffsbildung und Wahrnehmungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . 77 I.
Wissen in der Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
6
F.
G.
H.
Inhaltsverzeichnis II.
Geschichtlichkeit der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
III.
Systematisches in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
IV.
Wahrgenommenes in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
V.
Wissenschaftliche Aussagen als notwendige Bedingung des untersuchten Wahrgenommenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
VI.
Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I.
Willensfreiheit vs. Determination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
II.
Evolution und Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
III.
Relativitätstheorie: Zeitdauer vs. Zeitkontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
IV.
Die Unbestimmtheit des Quantenzustands vs. bestimmter Wirklichkeit . 122
Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I.
Ethik aus Bewertung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
II.
Handeln aus emotionaler Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
III.
Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
IV.
Anwendung der Theorie auf ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
V.
Wertfreiheit der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
A. Einführung I. Konflikte zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung und was aus der Wissenschaft? Wir können einen Gegenstand wahrnehmen und wir können ihn wissenschaftlich untersuchen. Wahrnehmung erfasst einen Gegenstand aus subjektiver Sinnestätigkeit. Ihre Ergebnisse gelten oft als täuschungsanfällig, unzuverlässig und für ein Wissen als ungeeignet. Wissenschaft dagegen beansprucht allgemein begründete objektive Geltung ihrer Aussagen über den Gegenstand. Sie sind nicht subjektiv gefärbt sondern gelten für jedermann; jeder kann ihr Zustandekommen nachvollziehen. Man könnte daraus folgern, dass ein Wissen aus der Wahrnehmung dem aus der Wissenschaft untergeordnet bleibt, weil Wissenschaft verlässlichere Erkenntnis über die Welt erschließt. So wurde es in früheren Vorstellungen von Wissenschaft gesehen. Betrachtet man die Beziehung zwischen Wahrnehmen und Wissenschaft aus der Philosophiegeschichte dann wird deutlich, dass sie unter dem Aspekt eines Wissens unterschiedlich beurteilt wurde. Wahrnehmung hat immer eine wesentliche Rolle in den Erkenntnistheorien gespielt. Meist wurde Wahrnehmen mit Wissenschaft verzahnt gesehen und zwar so dass Wahrnehmung als Voraussetzung der Wissenschaft betrachtet wurde. Einen Vorrang wird der Wissenschaft in der Neuzeit eingeräumt, so z. B. bei Descartes, Hobbes, Fichte und Hegel bis hin zu Kant. Rationale Erkenntnis konstituiert Wissenschaft; Wahrnehmung wird zu ihrer Magd. Hobbes’ Gewissheitsanspruch lässt keinen Raum für eine eigenständige Wahrnehmungswelt. Sinnliche Wahrnehmung liefere Phantasmen, erst ein gedanklicher Akt führe zur Erkenntnis. Erkenntnis der Natur ist ein Verstandesprodukt mit der daraus gefolgerten Vorstellung: „die Natur ist des Irrtums unfähig“ 1. Auch Descartes verfolgt durch seine Methode des Zweifels ein Wissen über die Welt aus rationaler Einsicht; nur diese könne Gewissheit beanspruchen. 2 Für Kant ist Wahrnehmung zwar unverzichtbar, er ordnet sie aber den Vermögen aus Verstand und Vernunft unter.
1 2
Hobbes (1965), S. 26. Descartes, S. 20 ff.
8
A. Einführung
Unserer alltäglichen Erfahrung entsprechend ist die Wahrnehmung wichtig, aber Wissen aus dem Denken – das Fundament der Wissenschaft – gilt als zuverlässiger und wird einer Wahrnehmung vorgezogen. 3 Ein Grund scheint in den Kriterien für ein Wissen zu liegen, die eine Wahrnehmung nicht erfüllen kann wie z. B. Wahrheit, Rechtfertigung aus Gründen und allgemeine Geltung. Es wird zwar gegenwärtig auch über die Möglichkeit unbegrifflichen Wissens diskutiert, das sich in Anschauung und Erfahrung außerhalb des begrifflichen zeige und mit dem Ausdruck des Kennens beschrieben wird; 4 ob Wahrnehmung dazu rechnen kann, wird später untersucht. Eine Sichtweise der Unterordnung der Wahrnehmung unter die Wissenschaft gerät in Konflikte mit neueren Ergebnissen aus der Neurowissenschaft, aus denen sich eine Unterordnung nicht mehr herleiten lässt. Es wird deshalb zu klären sein welche Ergebnisse Wahrnehmung in Bezug auf ihren Gegenstand hervorbringt und wie sie zustande kommen; gleiches wird für die Wissenschaft zu untersuchen sein, um anschließend zu fragen, ob Wahrnehmung beanspruchen kann als eigenständiges Wissen zu gelten ebenso wie es Wissenschaft zukommt. Eigenständigkeit meint hier solche Informationen über die Umwelt hervorzubringen, die sich von denen aus der Reflexion bzw. Wissenschaft nicht nur unterscheiden sondern aus der Wissenschaft nicht gewonnen werden können. Wenn das zutrifft, so könnte man argumentieren, dann könnten sich Wissen aus der Wahrnehmung und der Wissenschaft sinnvoll ergänzen. Ihre voneinander abweichenden Inhalte lassen sich tatsächlich in einigen Fällen sinnvoll zusammenfügen wie z. B. die Angaben über den Ort eines Himmelskörpers, den wir aus der Wahrnehmung beschreiben können, von dem aber die Astronomie zeigt, dass er sich zum Zeitpunkt unserer Beobachtung längst an einem Ort befindet, lediglich die Übermittlungsdauer seiner Lichtsignale ihn noch an einem Ort erscheinen lässt, den er längst verlassen hat. Die wissenschaftliche Erschließung seines Ortes erklärt die Abweichung von seinem wahrgenommenen. Eine Ergänzung reicht in den Fällen nicht aus, in denen ihr je eigenständiges Wissen zu Ungereimtheiten führt wie z. B. in der Willensfreiheit. Neurowissenschaftler präsentieren Ergebnisse, von denen sie meinen zeigen zu können, dass die Willensfreiheit eine Illusion sei und dass unsere Handlungsentscheidungen durch neuronale Prozesse determiniert seien. Unsere Wahrnehmung vermittelt uns dagegen den Eindruck, dass wir sehr wohl über eine Willensfreiheit verfügen. Wingert drückt es salopp aus: „Nichts ohne mein Gehirn.“ „Aber“, so fügt er hinzu, „wie unterscheiden wir diese Feststellung von der problematischeren Behauptung: ‚Nichts anderes als mein Gehirn‘?“. 5 Die Ungereimtheiten sind 3 Searle fragt, ob die Welt restlos für uns in einer Konstruktion aufgeht oder wir auf „brute facts“ stoßen in: Lüdersen, S. 101. 4 Vgl. Adams, S. 116 f.
I. Konflikte zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft
9
unbefriedigend, weil die Ergebnisse aus Wahrnehmung und Wissenschaft nicht zusammenpassen. Konflikte entstehen auch, wenn Wissenschaft aus präparierten Experimenten eine Beschreibung der Wirklichkeit folgert, die als unzutreffend wahrgenommen wird, wie z. B. in der Quantentheorie. Sie beschreibt die Wirklichkeit durch Quantenzustände, die empirisch unbestimmt sind; eine Wahrnehmung dagegen zeigt eine strukturierte Wirklichkeit, die nicht unbestimmt ist (vgl. Giulini). Eine Messsituation für Teilchen wird so präpariert, dass die Bedingungen ihrer Wechselwirkung nicht mehr denen ihres Makroobjektes entsprechen. Aus den Beobachtungen der Quantenzustände eine Beschreibung der Wirklichkeit zu folgern führt zu Ergebnissen, die nicht ihrer Wahrnehmung im Quantenobjekt entsprechen. Lassen sich die Konflikte zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft lösen? Es reicht nicht aus die Eigenständigkeit des Wissens aus der Wahrnehmung im Vergleich zu der aus der Wissenschaft nachzuweisen sondern wichtig ist herauszufinden in welche Beziehung beide Arten des Wissens zueinander stehen. Eine Möglichkeit dazu eröffnet ihre Betrachtung aus der Perspektive, Wissen aus einer Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt zu erschließen. Jeder Mensch kommuniziert mit seiner Umwelt; er verarbeitet die Einflüsse aus ihren Reizen zu einer Information über sie; ob und inwiefern aus der Kommunikation Wissen entsteht, wird zu klären sein. Dieser Zugang zu Wahrnehmung und Wissenschaft wird gewählt, weil jeder Mensch in einer Umwelt lebt, weil die Gegenstände, über die man etwas wissen möchte, zur Umwelt gehören; und Umwelt alles erfasst, was auf Wahrnehmen und Wissenschaft Einfluss ausübt. Umwelt ist hier ein weiter Begriff, der über den üblichen Gebrauch einer Naturbewahrung hinausgeht und alle die Einflüsse erfasst, die sich auf eine Wahrnehmung und dadurch auch auf die Wissenschaft auswirken. In welcher Weise der Einfluss ausgeübt wird, zeigen Ergebnisse aus der Neurowissenschaft. Sie untersucht Wahrnehmungsprozesse aus der Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt. Sie ermöglicht zu betrachten, in welcher Beziehung die Wahrnehmungsergebnisse zu ihrem Gegenstand stehen; sie erlaubt, Wahrnehmungsprozesse von denen aus der Reflexion – der Grundlage der Wissenschaft – zu unterscheiden. Und als mögliche Folge wird zu untersuchen sein, welche ihre jeweils eigentümlichen Erkenntnisse über die Umwelt sind und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Ob sich aus ihrer Beziehung die aufgetretenen Ungereimtheiten lösen lassen, wird zu untersuchen sein. Zusammengefasst behandelt die Untersuchung eine Kritik der Wissenschaft aus der Anerkennung der Wahrnehmung als Wissen. Wenn das Wissen des Wahrgenommenen bestehen bleibt neben seinem Wissen aus der Wissenschaft, 5
Wingert, S. 1.
10
A. Einführung
wie verhalten sich dann beide Arten des Wissens zueinander? Wie lassen sich Probleme aus ihrer Konkurrenz lösen?
II. Inhaltlicher Überblick und Begründungszusammenhang Nach den ersten Überlegungen in der Einführung zu dem Verhältnis von Wahrnehmung und Wissenschaft aus historischer Perspektive wurde der Wahrnehmung gegenüber einer Erkenntnis aus dem Denken keine Eigenständigkeit eingeräumt. Ihre Ergebnisse wurden nur als Beitrag zu einem Wissen betrachtet, das sich vor allem auf andere Vermögen stützte wie Verstand und Vernunft. In dem Kap. B beginnend wird die Wahrnehmung selbst untersucht. Neues Konzept Neue Ergebnisse aus den Neurowissenschaften veranschaulichen die Wahrnehmung als wichtige Quelle des Wissens über die Welt, die mit den bisherigen Vorstellungen ihrer Unterordnung unter die Wissenschaft nicht mehr zusammenpasst. Ein neuer Entwurf erklärt die Möglichkeiten des Wissens über die Welt aus einer Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt. Der Mensch ist in eine Welt hineingeboren und den Reizen seiner individuellen Umwelt ausgesetzt. Die Einflüsse der Umwelt sind unterscheidbar hinsichtlich seiner Bedürfnisse. Er wird Reize, die eine Unterkühlung ergeben, zu vermeiden suchen und die Reize suchen, die ausreichende Wärme wahrzunehmen erlauben. Aus biologischer Perspektive trachtet das Individuum hinsichtlich seiner Selbsterhaltung nach solchen Reizen, die seine Selbstorganisation fördern, und vermeidet umgekehrt diejenigen, die sie behindern. Diese Aussage lässt sich empirisch nachweisen. Ein Subjekt vermeidet Nahrung, die seine Bedürfnisse nicht erfüllt, und sucht die Gemeinschaft, wenn es dem Bedürfnis seines Überlebens entspricht. In den Neurowissenschaften hat das Austauschkonzept eines Subjektes mit seiner Umwelt seinen Niederschlag gefunden. Erforscht werden seit Jahrzehnten die neurobiologischen Grundlagen mentaler Prozesse. Ziel dieser Forschungen ist es, die biologische Basis der geistigen Vorgänge zu verstehen, durch die wir wahrnehmen, vorstellen, handeln, lernen und erinnern. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen die Zusammenhänge zwischen Reiz, Verarbeitung und biologischem Bedürfnis. Sie machen die Beziehungen zwischen den Arten der Reize, ihrer neuronalen Verarbeitung und den daraus hervorgehenden Ergebnissen einer Wahrnehmung und Bewertung sichtbar. Einzelheiten werden in den folgenden Abschnitten behandelt.
II. Inhaltlicher Überblick und Begründungszusammenhang
11
Dem Austauschkonzept des Menschen mit seiner Umwelt folgend wird im Abschnitt B. die Wahrnehmung behandelt und untersucht, unter welchen Bedingungen Ergebnisse aus einer Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt entstehen. Es wird der Frage nachgegangen, was wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung wissen. Zuvor sind aber die Begriffe Umwelt und Kommunikation zu klären. Der Begriff Umwelt ist seit Beginn des 19. Jahrhundert gebräuchlich und geht in seiner naturwissenschaftlichen Verwendung auf Jacob von Uexküll zurück; er drückte damit den modernen Gedanken aus, dass Lebewesen ihre Art spezifische Welt wahrnehmen. Die Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt ist aus biologischer Perspektive für das Überleben und Gedeihen des Individuums unverzichtbar zur Bewältigung von Gefahren, zur Sicherung von Lebensgrundlagen und zur Gestaltung einer Leben schützenden Ordnung. Maturana nennt es „fähig sein, in einer individuellen oder sozialen Situation adäquat zu operieren.“ 6 Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird er von den Konstruktivisten und den Neurowissenschaftlern verwendet; er beschreibt einerseits die Welt als Ergebnis subjektiver Kommunikation, andererseits als Quelle der von den Sinnesorganen aufgenommenen Reize. In letzterem Sinn soll der Begriff hier verwendet werden. Zur Umwelt gehören alle Gegenstände der belebten und unbelebten Natur, materielle wie ideelle, mit denen ein Subjekt in einen Austausch eintritt. 7 Umwelt zeigt sich als Ergebnis subjektiver Verarbeitung von Reizen, ohne die ein Wahrnehmungsergebnis über die Umwelt nicht zustande kommt. Ein Subjekt kann von seiner Umwelt dadurch unterschieden werden, dass ein Wissen über diese nicht in sein Belieben gestellt ist; ein Gegenstand ist nur zu sehen, wenn das Subjekt entsprechende Reize zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort aufnimmt. Inhaltlich erfasst der Begriff Umwelt nicht nur eine sinnlich erfahrbare Wahrnehmung in Raum und Zeit, einschließlich der körperlichen Selbstwahrnehmung des Individuums; zur Umwelt gehören soziale Beziehungen wie z. B. die Auswirkungen einer Gemeinschaft auf ein Individuum und umgekehrt. Es gehören dazu Wahrnehmungen aus der Sprache, aus der Kunst und Geschichte ebenso wie Normen, Regeln und religiöse Bindungen. Umwelt ist der weit gefasste Bereich, der dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Individuum mit Einflüssen aus diesem Bereich kommuniziert. 8 Die Umwelt ist aus der Perspektive eines Individuums vor allem unter zwei Aspekten zu betrachten: 6
Maturana, (1974) S. 84. Rock, (1984), S. 3. 8 Krüger, S. 257 – 293: er spricht von einem kardinalen Unterschied zwischen Welten und Umwelten, wobei er nach einer bestimmten Art von Welterschließung fragt, die die Vielfalt der Umwelten ermöglicht. Unter dem hier behandelten Aspekt einer konstruk7
12
A. Einführung
Was kann ein Individuum über seine Umwelt wissen und wie ist es ihm möglich, in seiner Umwelt erfolgreich zu überleben und zu handeln? Die Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt ist aus biologischer Perspektive für das Überleben und Gedeihen des Individuums unverzichtbar. Wer seinen Feind nicht wahrnimmt, dem droht die Gefahr der Vernichtung. Bei den Menschen führt eine Verarbeitung der Reize der Umwelt zu einem Wissen über die Umwelt. Der Begriff der Kommunikation beschreibt einen Austausch zwischen Subjekt und Umwelt bezogen auf Materie und Energie unter den Bedingungen ihrer Verarbeitung. 9 Die Kommunikation ist nicht nur bestimmt von den Reizen der Umwelt, sondern auch von den phylogenetischen und ontogenetischen Bedingungen. Ein Mensch kann z. B. als Licht nur Reize einer bestimmten elektromagnetischen Wellenlänge wahrnehmen. Umgekehrt kann ein Individuum nur durch ihm eigentümliche Reizaktivitäten wie z. B. durch Töne in begrenzten Bereichen von Wellenlängen auf seine Umwelt einwirken. Es wird sich aus den Ergebnissen der Neurowissenschaften zeigen, dass Wahrnehmung nicht nur wie bisher zu einem Wissen beiträgt sondern eine eigenständige Art des Wissens bildet. Sie als solche zu betrachten entspricht unserem intuitiven Verständnis von Wahrgenommenem. Es erscheint unmittelbar; es bedarf keiner sprachlichen Vermittlung. 10 Es bedarf auch keiner theoretischen Nachprüfung; das Wahrnehmung, die zu einem „phänomenalen Begriff“ führt, wie z. B. Schmerzen haben, bedarf keiner Theorie über Schmerzen, um festzustellen, ob man welche hat. Ergebnisse aus der Wahrnehmung ist Wahrgenommenes. Im Anschluss an die Wahrnehmung werden Ergebnisse aus den Emotionen betrachtet, weil sie ebenfalls aus einer Reizverarbeitung hervorgehen und eine wichtige Rolle für unsere Handlungsentscheidungen spielen. Emotionen sind Gefühle und psychische Zustände, die sich auf körperliche Verfassung, auf Handeln und Verhalten auswirken. Sie sind zwar hinsichtlich dieses Einflusses wiederholt untersucht worden. Als eigenständige und gleichberechtigte Quelle des Wissens waren sie nicht zugelassen. Gefühle sind etwas Subjektives, das aus einem Wissen, das sich an Objektivierbarkeit orientierte, ausgeschlossen blieb. tiven Herausbildung des Wissens über eine Umwelt ist keine Instanz sichtbar, die eine Unterscheidung verschiedener Umwelten erlaubt. 9 Köck (S. 359) unterscheidet zwar Interaktion von Kommunikation, wobei er anders als Maturana Kommunikation an Zeichen und Bedeutungen bindet. In dieser Arbeit soll Kommunikation, ununterschieden von Interaktion, als Austausch eines Subjektes mit seiner Umwelt bezogen auf unterschiedliche Energieformen wie Lichtenergie, mechanische, thermische oder chemische Energie und deren phylogenetisch und ontogenetisch bedingte Reizverarbeitung verstanden werden. 10 Schantz plädiert für eine Unmittelbarkeit der Wahrnehmung als Wissen ohne auf anderes Wissen oder auf Begriffe zurückzugreifen; visuelle Erfahrung sei keineswegs epistemisch wertlos.
II. Inhaltlicher Überblick und Begründungszusammenhang
13
Bevor ein Wissen aus der Wissenschaft betrachtet wird, wird im Kap. C nach den Eigentümlichkeiten und Charakteristika des Wissens aus der Reflexion gefragt, weil es Grundlage der Wissenschaft bildet. Es wird untersucht, ob sich ein Wissen aus nachdenkender Betrachtung von den beiden anderen Arten unterscheiden lässt. Seine Beziehung zum Wahrnehmungswissen zeigt sich vor allem in der Begriffsbildung und den Erklärungszusammenhängen, auf die anschließend im Kap. D eingegangen wird. Wenn sich Ergebnisse aus der Wahrnehmung von denen aus der Reflexion unterscheiden lassen und jeweils charakteristische Eigentümlichkeiten aufweisen, ist es dann noch gerechtfertigt, nur die Ergebnisse aus der Reflexion mit Wissen zu bezeichnen? Es wird im Kap. C gefragt, ob Ergebnisse aus der Wahrnehmung und den Emotionen auch zu einem Wissen gerechnet werden können. Hinweise auf eine Unterscheidung des Wahrnehmungswissens von einem Reflexionswissens finden sich in Erkenntnistheorien des 20. Jahrhunderts wiederholt, so bei den Phänomenalisten Schmitz 11 und Merleau-Ponty 12, bei den Konstruktivisten Maturana 13; Janich 14 und Glasersfeld 15. Letzterer verweist in der Erläuterung des Begriffs „Reflexion“ von Erfahrung im Sinne von Operationen des Geistes weiter zurück auf Locke, Humboldt und Piaget. Er erläutert „Reflexion“ im Sinne von Abstraktion und Verallgemeinerung durch zwei Merkmale: empirisch wiederkehrende Vorkommnisse und eine konstruktive Herausbildung aus Erfahrungselementen 16;beide Merkmale verweisen auf eine Unterscheidung von Wahrnehmungswissen und Reflexionswissen. 17 Auch Strawson 18 unterscheidet unreflektierten Realismus von wissenschaftlichem Realismus. Eine empirische 11
Schmitz, S. 62 u. S. 227. Merleau-Ponty, S. 44. 13 Maturana (1982), S. 54. 14 Janich, (1996), S. 172. 15 Glasersfeld (1996), S. 151 ff. 16 Glasersfeld (1996), S. 156 u. 173. 17 Hegel (1968, S. 375) nennt als Kennzeichen einer Reflexionsphilosophie das Isolieren und Fixieren des Besonderen mittels starrer Verstandesbegriffe, durch welche nie der lebendige Zusammenhang des Ganzen oder das Übergehen des Einen in das Andere erfasst wird; und an anderer Stelle (Hegel 1928, S. 39) beschreibt er die Differenz zwischen Anschauung und Verstand: „Unsre Anschauung hat das Ganze des Gegenstandes vor sich, unsre Reflexion unterscheidet, fasst verschiedene Seiten auf, erkennt eine Mannigfaltigkeit in ihnen und entzweit. Bei diesen Unterschieden hält die Reflexion die Einheit derselben nicht fest, vergisst einmal das Ganze, das andere Mal die Unterschiede und wenn sie Beides vor sich hat, so trennt sie doch von dem Gegenstande die Eigenschaften und stellt Beides so, dass das, worin Beide Eins sind, ein Drittes wird, das von dem Gegenstande und den Eigenschaften verschieden ist.“ 18 Strawson, S. 51. 12
14
A. Einführung
Unterscheidungsmöglichkeit des Reflexionswissens von den anderen beiden Arten des Wissens bieten auch in diesem Fall die Neurowissenschaften. Einen Überblick über die unterschiedlichen Hirnregionen, die an der Hervorbringung eines Wissen beteiligt sind und die erlauben, die drei Wissensarten nach ihren verschiedenen Regionen zu unterscheiden, machen Bild gebende Verfahren deutlich. Sie zeigen, dass z. B. Lesen eines Wortes, Hören eines Wortes, Sprechen eines Wortes und Nachdenken über ein Wort jeweils verschiedene Areale des Gehirns aktivieren. 19 Hier soll der Hinweis auf die Unterscheidungsmerkmale genügen, deren Nachweise bei der Behandlung der einzelnen Wissensarten erläutert werden. Ergebnisse aus den Neurowissenschaften allein können aber kein Wissen begründen, weil ein Übergang von Hirnprozessen zu Bedeutungen ungeklärt ist. Ihr Beitrag in dem Zusammenhang einer Untersuchung des Wissens aus der Wahrnehmung und der Wissenschaft besteht in dem Nachweis, dass Wahrnehmung ein von der Wissenschaft unterschiedenes Wissen hervorbringt, dass ihm eine Eigenständigkeit zukommt ebenso wie einem Wissen aus der Wissenschaft und dass es die Grundlage für Ethik und Wissenschaft bildet. Als Folge aus den bisherigen Untersuchungen ergibt sich ein neuer Begriff des Wissens, der Ergebnisse aus der Wahrnehmung und den Emotionen einbezieht. Das Neue und Wichtige an dieser Einteilung ist, dass Wissen nicht nur die Einsichten aus einer anspruchsvollen Reflexion umfasst, sondern dass diesem bisher im Vordergrund stehenden bereits ein Wissen aus Wahrnehmungsprozessen einer Sinnestätigkeit und ein Emotionswissen vorgelagert ist, dem eine unverzichtbare Bedeutung in der belebten Natur zukommt. Im folgenden Kap. E wird dann aus historischer und systematischer Perspektive gefragt, was unter Wissenschaft zu verstehen ist, welche Kriterien gelten und was ihre Aussagen in Bezug auf ihren Gegenstand charakterisiert. Wissenschaftliche Aussagen über die Umwelt bedürfen einer Rechtfertigung um zu prüfen ob sie allgemein gültig sind. Wenn es gelingt, eine Eigenständigkeit des Wahrgenommenen zu zeigen und wenn Wissenschaft Aussagen über Wahrgenommenes erforscht, wie lassen sich wissenschaftliche Aussagen über ein eigenständiges Wahrnehmungswissen begründen? Sie lassen sich nicht mehr aus einer empirischen Erkenntnistheorie, die von einer abbildbaren Außenwelt ausgeht, rechtfertigen, weil sich im Gehirn kein Bild der Umwelt, sondern nur feuernde Neuronen finden. Auch eine Begründung der Aussagen aus einer Deduktion der Verstandesbegriffe wie bei den Rationalisten ist ungeeignet, weil sie nicht ohne Wahrnehmungswissen auskommt, das sich nicht auf Rationalität reduzieren lässt. 19
Kandel, S. 17.
II. Inhaltlicher Überblick und Begründungszusammenhang
15
Die wissenschaftlichen Aussagen über ein eigenständiges Wahrnehmungswissen lassen sich aber aus einem Konstruktivismus rechtfertigen. Erkenntnistheoretisch handelt es sich um die Begründung eines Wissens aus seiner Herstellung, wie aus den Entwürfen von Hobbes und Vico bekannt ist. Wissen aus den Schritten seiner Herstellung more geometrico zu begründen, war eine verlockende Idee der frühen Neuzeit, weil sie nicht begründbare metaphysische Annahmen über die Natur überflüssig machte. 20 Bei Hobbes und Vico wurde das Wissen durch einen Denkprozess konstruiert, also auf der Reflexionsebene, obgleich Vico bereits von eigenständigen Sinnesqualitäten spricht. 21 Ähnlich wie Hobbes und später auch Vico fragt der moderne Konstruktivist nach den Prozessen, die zum Wissen der Wirklichkeit eines Subjektes führen, allerdings unter Einbeziehung der Sinnesreize. Der Vorteil der Erkenntnistheorie des Konstruktivismus ist also, dass sie ein Wissen über die Welt begründen kann unter Nutzung der Ergebnisse aus den Neurowissenschaften, was anderen Erkenntnistheorien wie der eines Realismus oder des Rationalismus nicht gelingt. Der Konstruktivismus ist geeignet, weil er keine abbildbare Außenwelt voraussetzt und weil er einen Verknüpfungspunkt bildet kann zwischen den neuronalen Prozessen eines herausgebildeten Wahrnehmungswissens und der konstruktiven Begründung der wissenschaftlichen Aussagen. Ein Nachteil des Konstruktivismus ist allerdings, dass er keine Ethik begründen kann. Eine Ethik, die aus ihrem Herstellungsprozess gerechtfertigt würde, könnte jede beliebige sein, von der man zeigt, wie sie zustandekommt; wer zeigt, wie man einen Dritten betrügt, hat durch die Konstruktion einen Betrug erkennbar gemacht, aber noch keine Ethik, keinen Wert und kein ethisches Ziel eines Handelns begründet. Möglich wird aber eine Ethik aus einer konstruktivistischen Begründung, wenn entgegen der Auffassung Radikaler Konstruktivisten eine Außenwelt anerkannt wird, in der der Mensch handelt und auf die sich sein Handeln bezieht. 22 Schließlich ist die Frage zu untersuchen in welcher Beziehung wissenschaftliche Aussagen zur Wahrnehmung des Gegenstands stehen, auf den sich die Aussagen beziehen. Nachdem Klarheit besteht, wie sich Wahrnehmung, Wissen und Wissenschaft beschreiben lassen, wird es möglich, sich der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Wissenschaft zuzuwenden. Untersucht wird die These: wissenschaftliche Aussagen bilden eine notwendige Bedingung der Wahrnehmung, d. h. ihre Beziehung ist die einer logischen Replikation. Wenn das stimmt würde das bedeuten, dass Wissenschaft eine Wahrnehmung nicht ver20
Hobbes (1915), Kap. I. Abs. 8. u. (1965) S. 62. Vico (1979), S. 119. 22 Eine ausführliche Untersuchung zur Unverzichtbarkeit der Außenwelt und eine diesbezügliche Kritik am Radikalen Konstruktivismus finden sich in: Kolster (2003), S. 26 ff. 21
16
A. Einführung
einnahmen kann; dass unterschiedliche wissenschaftliche Aussagen über eine Wahrnehmung möglich sind; dass sich die Konflikte zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft lösen lassen, wenn man bedenkt, dass wissenschaftliche Aussagen immer nur einen Aspekt der Wahrnehmung betrachten; und dass entgegen aller Zweifel Wahrnehmung eine grundlegende Bedeutung für ein Wissen über die Welt einnimmt. Unser Handeln kann die Umwelt verändern. Eine in der Naturwissenschaft auftretende Veränderung der Umwelt ist z. B. die Präparation; entsprechend der Fragestellung über den Untersuchungsgegenstand meint Präparation eine Eliminierung störender Einflüsse auf den Untersuchungsaspekt. In welcher Weise sich Merkmale der Wissenschaft wie Aspekte, Abstraktion und Präparation auf unterschiedliche Ergebnisse zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft auswirken, wird im Kap. F an Hand der oben genannten Beispiele behandelt. Die entstandenen Konflikte werden dadurch gelöst, dass gezeigt wird, dass wissenschaftliche Aussagen eine notwendige Bedingung des Wahrgenommenen bilden. Im Kap. G geht es um die Frage, welche Bedeutung Wahrnehmung für eine Ethik hat. Anhand einer neuen Theorie ethischer Urteilsbildung lässt sich zeigen, dass Wahrnehmung eine unverzichtbare Grundlage einer Ethik bildet, die sich aus einer emotionalen Bewertung der Wahrnehmung begründen lässt. Zugleich lässt sich aus der ethischen Theorie die Frage beantworten ob Wissenschaft wertfrei ist oder nicht. Methode Aus erkenntnistheoretischer Perspektive ist zu fragen, ob Wissenschaft geeignet ist, die Frage nach der Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft zu behandeln; wird dabei nicht Wahrnehmung durch Wissenschaft buchstabiert, so dass ihre Unterscheidung und Trennung verwischt wird? Die Antwort zur Rechtfertigung dieser Methode ist: es bedarf keiner Wissenschaft um wahrnehmen zu können. Wenn in dieser Untersuchung mit Hilfe von Wissenschaft etwas über Wahrnehmung ausgesagt wird, so geht es nicht darum, Wahrnehmung durch eine Theorie zu erklären sondern darum, Bedingungen der Wahrnehmung zu erkennen. Wahrnehmung wird dann nicht von einer Theorie vereinnahmt sondern bleibt unter Sichtbarmachung ihrer Bedingungen ein eigenständiges Geschehen. Die Begründungsgrundlage aus der Kommunikation eines Menschen mit der Umwelt erschließt unterschiedliche Aspekte einer Erkenntnis unserer Wirklichkeit. Es sind die Möglichkeiten einer Bewertung der Umwelt und ein Ethikkonzept, die veröffentlicht wurden. Kontexte aus diesen Untersuchungen werden hier wiederholt soweit es der Begründungszusammenhang für die Untersuchung einer Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft erfordert. Neurowissenschaftliche Ergebnisse werden verwendet, um ihre Auswirkungen auf die Möglichkeit eines Wissens über die Umwelt zu untersuchen.
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung? I. Wahrnehmung in Erkenntniskonzepten Wahrnehmung als Tätigkeit und Ergebnis sinnlicher Erfahrung hat immer eine wesentliche Rolle in den Erkenntnistheorien gespielt, wobei aber das Gewicht ihres Beitrages für eine Erkenntnis sehr unterschiedlich beurteilt wurde. Ohne hier einen vollständigen Überblick über die Ergebnisse und Bedeutung der Wahrnehmung für eine Erkenntnis der Gegenstände geben zu können, lassen sich ein paar charakteristische Vorstellungen aus den unterschiedlichen Entwürfen erkennen. Unstrittig ist, dass die Sinnlichkeit Grundlage der Wahrnehmung ist und deren Ergebnisse zu einer Erfahrung führen können, wobei Erfahrung noch andere geistige Vermögen beansprucht wie z. B. das Gedächtnis. Die Frage ist, ob Wahrnehmung als eigenständiges Wissen anerkannt ist. Philosophiegeschichtlich wurde Wahrnehmung unter Aspekten betrachtet, die sich so zusammenfassen lassen: was vermittelt die sinnliche Aktivität für eine Erkenntnis über die Welt; erschließt Wahrnehmung ein Wissen oder dient sie eher als Voraussetzung einer Erkenntnis der Welt durch den Verstand? Die Antworten vorrangig vertretener Sichtweisen billigen der Wahrnehmung ein Vermögen zu, Eindrücke und Vorstellungen über ihren Gegenstand herauszubilden. Bei den Vorsokratikern gelten ihre Ergebnisse als unwissenschaftlich, als Meinen, 23 und bei Platon als keine Art von Wissen. 24 Aristoteles gestand der Wahrnehmung eine zu „wahrer“ Erkenntnis fähige Kraft zu, aber in einer Stufenordnung der Erkenntnisvermögen der höheren Stufe des Verstandes als notwendige Bedingung untergeordnet. 25 So sehen viele Autoren bis ins ausgehende Mittelalter die Wahrnehmung zwar mit eigener Evidenz 26 ausgestattet, aber untergeordnet einer höheren Erkenntniskraft durch den Verstand. 27 Die Interpretationen verweisen 23
Pythagoras, VS 58 B 15, S. 147. Platon, 38. Kap. 181b8 – 183c8. 25 Aristoteles (1983), Über die Seele, Drittes Buch, 427 ff. 26 Zum Begriff der Evidenz: sie wird hier gebraucht im Sinne das dem Augenschein nach Unbezweifelbare, das durch unmittelbare Anschauung oder Einsicht Erkennbare, hier durch die Wahrnehmung. 27 Thomas von Aquin, I, 1, 9; 12, 12. 24
18
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
auf eine Vorstellung von Erkenntnis, die orientiert ist an einer möglichst vollständigen geistigen Durchdringung ihres Gegenstandes; 28 Wahrnehmung wird zur Magd des Verstandes. Allerdings hat Epikur frühzeitig darauf hingewiesen, dass Wahrnehmung nicht durch Vernunft zu widerlegen sei, also bereits so etwas wie eine Eigenständigkeit anzeigt. Kant ergänzt die relative Eigenständigkeit durch die Einsicht, nur Wahrnehmung und Verstand gemeinsam führten zur Erkenntnis. 29 Wahrnehmungstheorien Um Zusammenhänge zwischen den Sinnesdaten und ihren Bedeutungen zu erkennen, wurde Wahrnehmung zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen und es sind vielfältige Wahrnehmungstheorien entworfen worden. 30 Gegenstand der Erklärungsentwürfe war vor allem die Subjekt-Objekt- Beziehung, wie aus der Wahrnehmung eines Objektes das Wahrgenommene im Subjekt entsteht, wie der Übergang von den Sinnesdaten zu deren Bedeutungen verstanden werden kann. Erklärt wurde er meist aus psychologischen Prozessen. Ein anderes Problem war die Frage wie aus dem Einzelnen der Wahrnehmung ein Allgemeines, ein Begriff hervorgehen kann. Beantwortet wurde sie durch Induktion, d. h. aus der Wiederholung des Einzelnen wird das Allgemeine gefolgert ohne dessen ganz gewiss sein zu können. Bisher wurde der Wahrnehmung keine eigenständige Möglichkeit des Wissens eingeräumt. Erkenntnistheorien Die Frage nach einer Gewissheit des Wissens ebenso wie die Frage nach Zusammenhängen, die eine Wahrnehmung nicht erschließen konnte, führte zu unterschiedlichen Erkenntnistheorien, in denen es nicht mehr nur um die Wahrnehmung sondern um die Beteiligung anderer Erkenntnisvermögen vor allem der Vernunft ging und damit um die Frage welche Bedeutung der Wahrnehmung im Zusammenwirken mit den anderen Erkenntnisvermögen zukam. Unterscheiden lassen sich die Empiristen von den Rationalisten. Die Empiristen setzen eine objektive Welt voraus, deren Erkenntnis aus Erfahrung begründet werden soll. Ergebnisse aus der Wahrnehmung bedürfen aber in diesen Theorien einer geistigen Erschließung, und zwar werden mit Hilfe von Ideen z. B. bei Locke, Berkley und Hume Sinnesdaten erkennbar gemacht. 28
Laplace, VII, P.VI. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A51/B75. 30 Zum Begriff der Wahrnehmung: Kant (KrdrV B 74, 75) spricht von Anschauung, womit er die Fähigkeit meint, Vorstellungen durch Sinnlichkeit zu empfangen, die aber erst mit Hilfe des Verstandes auf den Begriff gebracht werden muss; Strawson (S. 51 f.) hebt die Wahrnehmung in den Rang einer prägenden Möglichkeit des Wissens durch ein Subjekt; er unterscheidet dabei Wahrnehmung phänomenaler Eigenschaften von einer Wahrnehmung durch Theorie. 29
II. Von der Erschließung unserer Kenntnisse über die Umwelt
19
Die Rationalisten, die eine mit Mängeln behaftete und zu Irrtümern führende Wahrnehmung kritisierten, trauten einer Welt aus den Sinnesdaten keine Gewissheit zu; sie strebten nach einem Wissen von der Welt aus erfahrungsunabhängigen Prinzipien, bei dem die Wahrnehmung eine dienende Rolle einnahm. Wahrnehmungsergebnisse bieten das Material, aus dem das Denken Erkenntnis gewinnt. Die Wahrnehmung bleibt dem Denken untergeordnet. Die Rationalisten begründen ihre Erkenntnis aus Vernunft. Hobbes’ Gewissheitsanspruch lässt keinen Raum für eine eigenständige Wahrnehmungswelt. Sinnliche Wahrnehmung liefere Phantasmen, erst ein gedanklicher Akt führe zur Erkenntnis. Erkenntnis der Natur ist ein Verstandesprodukt mit der daraus gefolgerten Vorstellung: „die Natur ist des Irrtums unfähig“ 31. Auch Descartes verfolgt durch seine Methode des Zweifels ein Wissen über die Welt aus rationaler Einsicht; nur diese könne Gewissheit beanspruchen. 32 Eine mittlere Position nahm Vico ein: er hat Kritik an einem Wissen geübt, das sich nur auf rationale Einsicht beschränkt, weil sie Erkenntnismöglichkeiten verenge. Er gesteht den sinnlich anschaulichen Bildern zu, eine Quelle des Wissens zu sein. Er setzt auf eine Topik, die alle Vermögen zu einer Erkenntnis einschließt, besonders die Sinne, aber auch den Allgemeinsinn und ein Vermögen geistreicher Erfindung, das er Ingenium nennt. Mit seiner Erklärung der Sinnestätigkeit hat Vico bereits einen modernen Gedanken ausgedrückt, nämlich dass die Sinnestätigkeit die Sinneseindrücke erzeuge wie z. B. das Sehen die Farben oder das Hören die Töne entstehen lasse. 33 Verwiesen wurde auf diese historische Entwicklung der Erkenntnis um zu zeigen, dass der Wahrnehmung kein eigenständiges Wissen über ihre Gegenstände zugestanden wurde, ein Wissen das keiner Theorie bedarf. Im Folgenden soll aber begründet werden, dass der Wahrnehmung eine Eigenständigkeit des Wissens über die Umwelt zukommt. Geblieben sind aber bis heute die beiden alten Probleme, nämlich die Frage nach einer Außenwelt und der ungeklärte Übergang von Sinnesdaten zu Bedeutungen.
II. Von der Erschließung unserer Kenntnisse über die Umwelt Der Mensch ist in eine Welt hineingeboren und den Einflüssen seiner individuellen Umwelt ausgesetzt. Der Mensch bedarf eines Austausches mit seiner Umwelt zur Selbsterhaltung, für seine Ernährung und Fortpflanzung. Er bedarf 31 32 33
Hobbes (1965), S. 26. Descartes, S. 20 ff. Vico (1979), S. 119.
20
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
auch einer sozialen Kommunikation wie die Beziehung eines Menschen in seiner Familie oder überhaupt in Lebensgemeinschaften, denn zur Umwelt gehört der Dritte ebenso wie die Gemeinschaft. Wenn es Einflüsse aus der Umwelt gibt, wie die Neurowissenschaften nachweisen, und wenn ein Mensch als ein nach Selbsterhaltung strebendes Individuum ist, wie es unserem Menschenbild entspricht und wie ihn die Biologen beschreiben, dann bedarf der Mensch einer Möglichkeit zu bewerten, wie sich die Umwelteinflüsse auf ihn auswirken und wie er den Einflüssen begegnen, wie er handeln und sich verhalten soll. Biologisch lässt sich der einzelne Mensch als ein sich selbst organisierender Organismus betrachten. Maturana hat im Zusammenhang seines biologischen Austauschkonzeptes die Subjekte autopoietische Systeme genannt. Ein autopoietisches System ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich selbst organisieren und erhalten kann. Der Austausch zwischen den Systemen umfasst Materie, Energie, aber auch die Möglichkeit der Selbstorganisation von Wissen durch wechselseitige Stimulierung der Auslotung und Ausweitung der interaktiven Prozesse. 34 Der biologische Begriff des autopoietischen Systems wie auch der in den Neurowissenschaften verwendete Begriff des Subjektes schließt den Menschen ein, der über ein Bewusstsein verfügt, mit seiner Umwelt kommuniziert und der ein bewusstes Erleben sprachlich zum Ausdruck bringen kann. 35 Die Frage nach der Umwelt im Sinne einer Außenwelt zu klären ist im Zusammenhang dieser Untersuchung wichtig, weil davon die Antwort abhängt, ob zwei eigenständige Zugangsweisen zu einer Außenwelt möglich sind, nämlich durch Wahrnehmung und Wissenschaft. Bis in die Neuzeit herrschte die Auffassung vor, es gäbe äußere Gegenstände, die durch „Affektion“ zu Wahrnehmungen führen und ein Abbild des wahrgenommenen Objekts erzeugen. Diese Position einer von der Wahrnehmung unabhängigen Außenwelt vertritt der naive Realismus. 36 Mit dem sich seiner selbst bewusst werdenden Menschen wuchs ein Skeptizismus gegenüber einer außerhalb des Geistes existierenden Welt, die in der Wahrnehmung abgebildet werden könne. Es entstand die Auffassung, dass die Objekte nicht unmittelbar wahrgenommen werden; verdrängt wurde eine Abbildvorstellung zugunsten einer Herausbildung des Gegenstandes, zu der es außer den Sinnen auch des Geistes bedurfte. Wahrnehmung wurde verstanden als subjektiver Zustand 37, auch als Ergebnis von Zeichenmetaphern aus den Sinnesempfindungen, die vom Verstand zur Wahrnehmung gebildet werden. Der Streit um eine Außenwelt war aber nicht entschieden. Es gab die Vorstellung, 34
Maturana (1987a), S. 94 ff. Krüger (2004) hat sich mit dem Subjektbegriff auseinander gesetzt, wie er von Neurowissenschaftlern benutzt wird, vor allem mit der Vorstellung, dass das Gehirn zum Subjekt der Verhaltenssteuerung ernannt wird. 36 Gibson, S. 275 ff. 37 Fichte, AK I/6, S. 218. 35
II. Von der Erschließung unserer Kenntnisse über die Umwelt
21
dass sich Subjekt und Welt wechselseitig konstituieren durch die Wahrnehmung, nämlich so: das Subjekt entwirft sich in der Wahrnehmung die Welt und in der Wahrnehmung der Welt konstituiert sich das Subjekt; dann sind Wahrnehmung und Welt unauflöslich miteinander verwoben; diesem Weg folgen phänomenologische Theorien. 38 Und eine dritte Möglichkeit ergibt sich, wenn man Wahrnehmung als einen Konstruktionsprozess betrachtet, aus dem die wahrgenommene Welt hervorgeht. Weder eine Abbildvorstellung noch eine phänomenologische Erklärung zeigt sich mit neurowissenschaftlichen Befunden verträglich. Dagegen ist eine konstruktivistische Rechtfertigung der Kenntnisse über die Umwelt mit den neurowissenschaftlichen Ergebnissen vereinbar. 39 Allerdings bestreitet die radikale Ausprägung der Konstruktivisten eine Außenwelt. 40 Zunächst sind die Einwände des Radikalen Konstruktivismus zu prüfen, die eine Außenwelt bestreiten, wobei Außenwelt nur ein anderer Begriff für das ist, was hier Umwelt genannt wird. Es sind sowohl philosophische wie auch neurowissenschaftliche Argumente, die von den Konstruktivisten genannt wurden, um die Leugnung einer Außenwelt zu rechtfertigen. Zur philosophischen Perspektive meint Glasersfeld, niemand könne erklären, wie die Sinnesorgane in einer Vermittlerrolle die Einfuhr der ontischen Dinge der Außenwelt in die Innenwelt der Ideen bewerkstelligen könnten; und „niemand wird je imstande sein, die Wahrnehmung eines Gegenstandes mit dem postulierten Gegenstand selbst, der Wahrnehmung verursacht haben soll, zu vergleichen“. Ein Subjekt könne nur auf die Wahrnehmungserkenntnis rekurrieren, die es selbst hervorbringt. 41 Mit der Erforschung neurologischer Vorgänge im Gehirn und im Nervensystem verstärkte sich der Zweifel, wie Gegenstände der Außenwelt in das Gehirn gelangen sollen, wo nur feuernde Neurone zu beobachten seien, und wie anschließend die Ergebnisse der neuronalen Prozesse wieder nach außen heraustreten sollten. 42 Roth hat auf Paradoxien verwiesen, die aus der Annahme einer Außenwelt hervorgehen, wie z. B.: Wenn alle Wahrnehmung im Gehirn entsteht, muss es zwei Welten geben, nämlich eine Welt der Gegenstände außerhalb des Gehirns und eine zweite der Wahrnehmung der Gegenstände in unserem Gehirn. Das entspricht nicht unserem Erleben, denn wir leben nur in einer Welt. 43 Aus der philosophischen wie auch der neurowissenschaftlichen Begründung der Wahrnehmung ergeben sich zwei erkenntnistheoretische Einwände gegen die Leugnung einer Außenwelt; der erste ist: Der Radikale Konstruktivismus 38 39 40 41 42 43
Merleau-Ponty, S. 462. Glasersfeld (1985), S. 12. Roth (1997), S. 21. Glasersfeld (1985), S. 12 u. (1996), S. 69. Vgl. Roth (1997), S. 22: Er beschreibt Paradoxien aus neurobiologischer Sicht. Ebd. S. 21.
22
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
verschließt sich den Zugang zu einer Außenwelt, weil er die Wahrnehmung auf ein Konstruktionsgeschehen reduziert. Möglich bleibt dagegen eine konstruktivistische Rekonstruktion der Außenwelt aus den Reizen der Umwelt, der der Radikale Konstruktivismus aber nicht nachgeht. 44 Es gibt einen zweiten erkenntnistheoretischen Einwand gegen die Ablehnung einer Außenwelt. In einem erdachten Beispiel beschreibt Foerster einen Mann, der von sich behauptet, die einzige Realität zu verkörpern und alles Übrige existiere nur in seiner Vorstellung. Dieser Mann wird aber nicht leugnen können, dass seine Vorstellungswelt von Menschen bevölkert ist, die ihm nicht unähnlich sind. Er muss einräumen, dass diese Menschen ihrerseits darauf bestehen können, sich als die einzige Realität und alles sonst als Produkt ihrer Vorstellungswelt zu betrachten; auch deren Vorstellungswelt wäre dann von Menschen bevölkert, darunter auch von ihm. Foerster meint nun, dass der Mann frei wählen könne, ob nur er sich als Mittelpunkt des Universums betrachte oder auch andere Menschen als Entitäten zulasse, weil weder der solipsistische Standpunkt noch der relative zu beweisen seien. Lehne er den Relativismus ab, sei der Mann Mittelpunkt des Universums, die Wirklichkeit wären seine Produkte. Würde er die Entität des Anderen anerkennen, könnte weder er noch der Andere Mittelpunkt der Welt sein. Es müsse dann ein Drittes geben, nämlich die Beziehung zwischen dem Du und dem Ich. 45 Kann der Mann, wie Foerster meint, wirklich frei wählen? Es könnte sein, dass der Mann einen gewaltbereiten aggressiven Menschen wahrnimmt, der ihn umzubringen droht. Wenn er ihn als eine eigenständige Entität anerkennt, könnte er sich schützen und überleben. Würde er aber nur sich selbst eine Realität zugestehen, bliebe der Andere ein Produkt seiner Vorstellungswelt; das Problem könnte sich dann dadurch lösen, dass der Andere den Mann umbringt und er die Frage nicht mehr stellt. Ein über das Wissen aus einem Konstruktionsprozess hinausgehender Bezug auf eine Welt scheint unverzichtbar zu sein, ob Außenwelt, Umwelt oder Reize genannt. Die Frage ist, welche Aussagen über einen solchen Weltbezug möglich sind. 44
Ralph Schumacher vertritt die These, dass der Konstruktionscharakter unserer Wahrnehmung den Zugang zur Wirklichkeit nicht verstellt, sondern vielmehr erst ermöglicht. Er begründet diese These durch eine Reihe physikalischer Beobachtungen, die zeigen, dass primäre Eigenschaften wie Formen und Entfernungen, wie sie aus den Konstruktionsprozessen unseres Gehirns hervorgehen, mit den realen Eigenschaften von Gegenständen identisch sind. Realität verkörpert bei ihm die konstanten Eigenschaften von Gegenständen, die trotz wechselnder Beleuchtungsverhältnisse oder veränderter Entfernungen vom Gehirn als konstant identifiziert werden und deshalb einer Realität entsprechen. Es reicht hier aus, auf den empirisch begründeten Einwand zu verweisen, dem in diesem epistemischen Begründungszusammenhang nicht weiter nachgegangen wird. 45 Foerster, S. 58.
II. Von der Erschließung unserer Kenntnisse über die Umwelt
23
Bert Brecht hat in einer Parabel, die in seiner Skizze „Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher“ enthalten ist, die Frage nach der Außenwelt in folgendem Dialog zwischen Lehrer und Schüler so gelöst: Lehrer: Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie! Si Fu: Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für uns, nicht ohne uns? Lehrer: Welche Meinung ist die richtige? Si Fu: Es ist keine Entscheidung gefallen. Lehrer: Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen? Si Fu: Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns. Lehrer: Warum blieb die Frage ungelöst? Si Fu: Der Kongreß, der die Entscheidung bringen sollte, fand, wie seit zweihundert Jahren, im Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt. Die Frage hieß: Ist der Gelbe Fluß wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen? Während des Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirge, und der Gelbe Fluß stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern weg. So ist der Beweis, dass die Dinge außer uns, für sich, auch sind, nicht erbracht worden. 46 Zu ergänzen bleibt, dass es neben der Außenwelt auch um eine Innenwelt ging, d. h. Wahrnehmungen aus dem eigenen Körper und des inneren Erlebens. Im Zusammenhang dieser Arbeit kann die Unterscheidung zwischen Außenund Innenwelt außer Acht gelassen werden, weil der strittige Punkt, ob die von der Wahrnehmung hervorgebrachten Gegenstände auch unabhängig von der Wahrnehmung existieren, die Gegenstände der Außen- wie der Innenwelt betrifft. Wenn eine Außenwelt strittig ist, kann es hilfreich sein zu betrachten, wie Wahrnehmung zustande kommt, ob aus ihrer Entstehung eine Erkenntnis über eine Außenwelt hervorgeht. Der Wahrnehmungsprozess wurde in den letzten Jahrzehnten in den Neurowissenschaft untersucht. Grundlage neurowissenschaftlicher Ergebnisse ist die Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt. Untersucht wurden die Prozesse einer Kommunikation bei Menschen und Tieren. Die Kommunikation als Grundlage einer Erforschung der Wahrnehmung der Umwelt zu wählen ist berechtigt, weil sich eine Auseinandersetzung mit ihr nicht nur biologisch als unverzichtbar erwies sondern auch philosophisch als geeignet nach ihrem ontologischen Status zu fragen. 46
Brecht, S. 143.
24
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
Die Umwelt ist aus der Perspektive eines Individuums vor allem unter zwei Aspekten zu betrachten: Was kann ein Individuum über seine Umwelt wissen und wie ist es ihm möglich, in seiner Umwelt erfolgreich zu überleben und zu handeln? Gemeinsames Merkmal der biologischen und der philosophischen Untersuchungen ist eine individuelle Verarbeitung der Informationen aus der Umwelt zu einem individuellen Konstrukt. Es geht darum herauszufinden, ob Wahrnehmung ein eigenständiges Wissen bildet und was sich über Außenwelt nachweisen lässt. Dazu leisten die Neurowissenschaften einen erhellenden Beitrag.
III. Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen Seit Jahrzehnten erforschen die Neurowissenschaften die neuronalen Prozesse aus der Verarbeitung von Umweltreizen. Es geht darum die neurobiologischen Bedingungen zu verstehen, durch die wir wahrnehmen, vorstellen, handeln, lernen und uns erinnern. 47 Der Vorteil der neurowissenschaftlichen Ergebnisse ist, die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt sichtbar zu machen. Die Ergebnisse ermöglichen Zusammenhänge über differenzierte Reizquellen der Umwelt und deren neuronale Verarbeitung im Gehirn zu sehen. Ergebnisse der Neurowissenschaft zeigen wie und welche Kenntnis den Menschen über die Umwelt entsteht. Sie beschreiben die Herausbildung der Wahrnehmungen und der Emotionen aus einer neuronalen Verarbeitung differenzierte Reize der Umwelt. Erkennbar wird dabei ein Zusammenhang zwischen Wahrnehmungen und Emotionen, der, wie sich später zeigen wird, unverzichtbar für Leben und Gedeihen ist. Erkennbar wird auch, dass sich ein Mensch der Verarbeitung der Umweltreize bewusst werden und ihre Ergebnisse nachdenkend betrachten kann. Hinzuweisen ist noch einmal darauf, dass aus neuronalen Verarbeitungen der Umweltreize keine Bedeutungen hervorgehen, sondern die Bedingungen sichtbar werden, aus denen Bedeutungen entstehen können. Die Verdeutlichung der unterschiedlichen Bedingungen in der Verarbeitung der Umweltreize ermöglicht zu erkennen, dass sich Kenntnisse über die Umwelt einteilen lassen in die aus Wahrnehmung, aus Emotionen und aus der Reflexion. Sind die Ergebnisse aus der Wahrnehmung ein eigenständiges Wissen über die Umwelt? Das ist die zentrale Frage um die es jetzt geht. Eigenständigkeit der Wahrnehmung heißt hier, ihre Ergebnisse von denen aus Emotion und Reflexion zu unterscheiden nach eigentümlichen Merkmalen. Die Eigenständigkeit wird aus verschiedenen Aspekten untersucht wie: aus der Entstehung der 47
Vgl. Kandel, Vorwort zur Originalausgabe VIII; zum Vorstellen vgl. Singer (1999), S. 276: ein mit Hilfe der Kernspintomographie hergestelltes Bild zeigt die unterschiedlichen durch wahrnehmen bzw. vorstellen aktivierten Gehirnregionen.
III. Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen
25
Wahrnehmung, aus der Sicht einer Abgrenzung gegen Emotionen und Reflexion einschließlich ihrer Verflechtung und Verbundenheit und aus dem Aspekt: ist Wahrnehmung durch Wissenschaft vollständig erschließbar. Zunächst zur Entstehung der Wahrnehmung. Für das Wahrnehmungsgeschehen sind drei Aspekte bestimmend: die Reizaufnahme und Reizverarbeitung durch die Sinnesorgane, die daraus entstehenden neuronalen Prozesse und die Verarbeitung der Signale an bestimmten Hirnorten. Die Sinnesorgane nehmen in dem Wahrnehmungsprozess eine Mittlerfunktion zwischen Umwelt und Gehirn ein, wobei sich die Umwelt in Reizen zeigt, die in den Sinnesorganen eine Reaktion auslösen und als Signale weitergeleitet werden. 48 Das Gehirn gehört zum Nervensystem als dessen zentraler Teil und ist mit fast jedem Winkel des Körpers verknüpft. Es besteht aus einer Vielzahl von Nervenkörpern und ihren Verbindungen; es ist anatomisch unterteilt in mehrere Regionen mit unterschiedlichen Funktionen. In seinen neuronalen Verschaltungen werden die Reize aus den Sinnesorganen zu Wahrnehmungen verarbeitet. 49 Zwischen Sinnesorganen und Gehirn herrscht eine Arbeitsteilung: Die Sinnesorgane übersetzen die Umweltreize in die Sprache des Gehirns; die Sprache des Gehirns sind neuronale Erregungszustände. Die Sinnesorgane unterscheiden sich durch ihre Fähigkeit, unterschiedliche Energieformen wie Lichtenergie, mechanische, thermische oder chemische Energie aufzunehmen und sie in verschiedene Sinnesmodalitäten umzuwandeln, was ihre Spezialisierung ausmacht 50 und in die einheitliche bioelektrische Sprache des Gehirns umzuformen; sie müssen 48 Mit dem Begriff Reiz werden sensorische Informationen aus der Umwelt bezeichnet, die in verschiedenen Energieformen auftreten. Signale werden die von den Sinnesorganen erzeugten Erregungszustände im Nervensystem genannt; vgl. Roth (1997) S. 92 ff.; Ploog (1999, S. 541) spricht auch bei einer Kommunikation zwischen einem Individuum als Sender und einem als Empfänger von sozialen Signalen. 49 Ausführliche Beschreibungen des Gehirns und seiner Verarbeitungsprozesse finden sich bei Damasio (1997), Roth (1997), Elsner, Singer (1999) und Kandel / Schwartz. 50 Kandel (1996, S. 378 f.) zeigt in einer Übersicht den Zusammenhang von Reiz, Rezeptor und Modalität: Modalität Reiz Rezeptortyp Sehen Licht Photorezeptor Hören Schallwellen Mechanorezeptor Gleichgewicht Kopfbewegung Mechanorezeptor Fühlen mechanisch Mechanorezeptor thermisch Thermorezeptor noxisch Nociceptor chemisch Chemorezeptor Schmecken chemisch Chemorezeptor Riechen chemisch Chemorezeptor
26
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
die Schlüsselmerkmale eines Reizes weitergeben und es muss die sensorische Mitteilung abgestimmt werden, um Unterscheidungskapazitäten zu erreichen. 51 Nicht jeder Reiz kann ein Sinnesorgan aktivieren, sondern nur solche, die innerhalb eines bestimmten Feldes des Sinnesrezeptors liegen. Die rezeptiven Felder begrenzen eine Kommunikation des Gehirns mit der Umwelt, d. h. es werden nur solche Reize zu einer Wahrnehmung verarbeitet, die den Sensibilitäten der rezeptiven Felder genügen. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung hängt vom Bau des Sinnesorgans ab. 52 Da die unterschiedlichen Energieformen der Sinnesorgane in eine „neuronale Einheitssprache“ 53 des Gehirns umgewandelt werden, bleibt zu fragen, wie die Differenzierungen der Umweltinformationen 54 trotz einheitlicher Sprache erhalten bleiben und in der Verarbeitung zu einer Wahrnehmung wirksam werden. Möglich wird die Erhaltung und Weitergabe der Differenzierungen aus den Sinnesorganen durch ihre Verbindung mit bestimmten Gehirnregionen entsprechend einer Topographie des Gehirns. Die Verknüpfungen verlaufen über mehrere voneinander getrennte, parallele Bahnen, wovon jede eine bestimmte Sinnesmodalität weitergibt. 55 Die Signale aktivieren über sensorische Bahnen bestimmte rezeptive Gebiete; die Anordnung der Reize benachbarter rezeptiver Gebiete wird in der Weitergabe bis in die höheren Verarbeitungsebenen im Zentralnervensystem beibehalten. 56 Vereinfacht gesagt wird die differenzierte Ordnung der Reize aus den Sinnenorganen an das Gehirn weitergegeben. Topographie Mit Topographie des Gehirns wird eine Spezialisierung funktionaler Areale des Gehirns auf bestimmte Aufgaben beschrieben. 57 Sie ist ein Prinzip des Verarbeitungsortes und ist verhältnismäßig gut erforscht; dagegen sind die sehr komplexen Prozesse, die in den verschalteten Hirnbereichen während geistiger 51 Kandel / Schwartz, S. 382); zur Umwandlung verschiedener Umweltereignisse in die bioelektrische Sprache des Gehirns vgl. Roth (1987a), S. 232. 52 Roth (1978, S. 70) beschreibt die Unterschiede des visuellen Systems bei Wirbeltieren. 53 Roth (1987a), S. 233. 54 Zum Begriff der Information hat Roth unterschiedliche Theorien ausführlich behandelt. Information beschreibt die Aufnahme von Reizen aus Quellen der Umwelt durch ein Individuum; er vergleicht es mit einem Bild von Sender und Empfänger. Aus neurowissenschaftlicher Perspektive ist es wichtig, zu betonen, dass es dabei um keine Übertragungen von Bedeutungen geht, sondern um Signale aus Reizen der Umwelt. Bedeutungen bringt das Individuum in seinem kognitiven System hervor. Wie aus Signalen Bedeutungen entstehen, ist bisher ungeklärt (Roth, 1997, S. 105 – 108). 55 Kandel / Schwartz (S. 404) beschreiben in einer anschaulichen Übersicht die drei wichtigsten Bahnen des visuellen Systems, von denen jede eine Art von visueller Information übermittelt. 56 Kandel / Schwartz, S. 382 f.; für das visuelle System vgl. ihre Darstellung S. 404.
III. Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen
27
Prozesse stattfinden, weniger gut bekannt. Die Frage nach einem Bewusstsein wie auch die nach dem Zustandekommen von Bedeutungen, von Erinnerung und Lernvorgängen zeigen erst Anfangsergebnisse. 58 Bisher bekannte funktionale Areale in dieser topographischen Ordnung sind: der visuelle Cortex, der auditorische Cortex, ein Areal für Sprachfunktionen; ein Areal für kognitives Verhalten und Bewegungsplanung; ein Areal für Gefühle und Gedächtnis im limbischen Cortex; ein somato-sensorisches Rindenfeld, das der Körperempfindung dient. 59 Als Beweis für das Ortsprinzip des Gehirns zur Erzeugung von Wahrnehmungen haben sich mehrere Methoden erfolgreich gezeigt. Es sind Untersuchungen nach Hirnverletzungen; durch sie wird oft das Gehirn für bestimmte Reize unzugänglich. 60 Es sind Untersuchungen von künstlich erzeugten Wahrnehmungen: Mit Hilfe elektrischer Stimulation kann man Wahrnehmungsinhalte künstlich hervorrufen wie z. B. Farb- und Bewegungshalluzinationen. Versuchspersonen sahen z. B. einfache, meist farbige Gegenstände, die sich in verschiedene Richtungen bewegten, sie hörten nur einfache Laute oder hatten Körperempfindungen wie Jucken und Kribbeln. Allerdings wurden diese Halluzinationen von den Versuchspersonen nicht mit natürlichen Reizzuständen verwechselt. 61 Hirnfunktionen werden durch Abbildbarkeiten mittels unterschiedlicher Verfahren messbar und sichtbar gemacht; eines der bekanntesten ist die PositronenEmissions-Tomographie (PET): Das ist ein Bild gebendes Verfahren, das lokale Veränderungen der Gehirndurchblutung und des Gehirnnährstoffwechsels, die geistige Aktivitäten begleiten, sichtbar macht. 62 Kandel erläutert anhand von 57 Roth (1997, S. 110 f. u. 1987a, S. 234) erläutert wie das Gehirn nach einem topologischen Prinzip die verschiedenen Umweltereignisse in Gestalt unterschiedlicher Energieformen verarbeitet. 58 Roth (2001, S. 188 ff.) diskutiert verschiedenen Hypothesen zu dem Zusammenhang von Hirnprozessen und Bewusstsein; vgl. auch Dörner S. 147 ff. 59 Vgl. Roth (1997), S. 33 ff.; Kandel / Schwartz S. 15 und S. 399: dort findet sich eine sehr ausführliche Darstellung der Areale, die für das Sehen zuständig sind; vgl. auch: Singer (1999), S. 268; Engel / König, S. 164; Frackowiak, S. 169; Friederic, S. 72 f. 60 Damasio (1997, S. 88 ff.) beschreibt Ausfälle der Reizverarbeitung an bestimmten Gehirnorten nach Hirnverletzungen und leitet eine lokales Verarbeitungsprinzip im Gehirn ab. 61 Roth (1987a), S. 233 und (1997) S. 111; Kandel / Schwartz (S. 361) beschreibt die Lokalisierung bestimmter Funktionen anhand von Untersuchungen über beide Hirnhälften, die möglich wurden, nachdem bei Epilepsiepatienten wichtige Verbindungsbahnen durchtrennt worden waren. 62 Vgl. Kandel / Schwartz (1996), S. 17; Roth (1997), S. 224. Zur Beobachtung und Messung von Reaktionen des Gehirns sind unterschiedliche Verfahren entwickelt worden: 1. die Elektroencephalographie, 2. die Magnetencephalographie (vgl. Friederici S. 74); als Bild gebende Verfahren; 3. die Positronen-Emissions-Tomographie und 4. die Kernspintomographie (vgl. Friederici, S. 72 und Fram, S. 54 ff.), deren Vor- und Nachteile die genannten Verfasser behandeln; zu den Methoden Bild gebender Verfahren vgl. Jäncke.
28
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
PET-Aufnahmen, wie visuelle Reize von unterschiedlicher Komplexität die entsprechenden unterschiedlichen Hirngebiete aktivieren; er zeigt auch die im Hirn einer Versuchsperson sichtbar gemachten Aktivitätsmuster, die durch auditorische Stimulationen bei der Versuchsperson, der man eine Geschichte vorlas und ihr die Aufgabe stellte, sich bestimmte Sätze zu merken, entstanden. 63 Wenn die Spezifizierung der Sinnesorgane, die durch die Ausformung unterschiedlicher Sinnesorgane für die Aufnahme verschiedener Energieformen deutlich wird, bis in das Gehirn in Gestalt des Ortsprinzip durchgehalten wird und die Verarbeitung der Sinnesimpulse im Gehirn im Zusammenwirken der Ortszustände zur Konstruktion des Wahrnehmungsobjektes führt, dann lässt sich aus diesem Befund auf differenzierte Reize der Umwelt verweisen, aus denen eine Wahrnehmung herausgebildet wird. Selbst der Einwand, all diese Begrifflichkeiten seien selbst schon Produkte des Gehirns, kann nicht einen empirischen Befund widerlegen, dass es bestimmte Reize der Umwelt sind, die als notwendige Bedingung für eine entsprechende Herausarbeitung des Wahrnehmungswissens unverzichtbar sind. Ähnlich wie die verschiedenen Verarbeitungsorte des Gehirns für differenzierte Informationen aus der Umwelt verweisen die neuronalen Prozesse auf weitergehende Differenzierungen der Informationen aus der Umwelt. Die Verarbeitung der Reize in den verschiedenen Rezeptortypen der Sinnesorgane besteht aus der Umwandlung der unterschiedlichen physikalischen und chemischen Umweltreize in neuroelektrische und neurochemische Signale, die spezifische Reaktionen der Zellen auslösen. 64 Die Verarbeitung der Signale aus den Sinnesorganen leisten in den Hirnregionen die neuronalen Prozesse, d. h. nach dem lokalen Prinzip des Gehirns gibt es neuronale Antworten in den sensorischen Arealen. Je nach Bau und Funktion sind es unterschiedliche Neurone. 65 Die neuronalen Prozesse beschreiben die Vorgänge in den Nervenzellen – den Neuronen – die beitragen, dass aus den Signalen der Sinne Wahrnehmungen hervorgehen. Zur Verarbeitung der sensorischen Informationen in den Neuronen gehört auch eine Programmierung von Reaktionen, die dem Lernen und Gedächtnis dient. 66 Auch wenn Singer meint, das Wissen von der Welt sei in neuronalen Verschaltung der Nervenzellen niedergelegt, bleibt darauf hinzuweisen, dass die Zusammenhänge zwischen neuronalen Prozessen und der Entstehung von Wahrnehmungsobjekten bisher nicht restlos geklärt sind. 67 Es gibt jedoch eine Reihe von 63
Kandel / Schwartz, S. 78 ff. Ausführliche Beschreibungen der neuronalen Vorgänge finden sich bei Roth (1997), S. 92 f., Kandel / Schwartz S. 32, Damasio (1997), S. 52 ff. 65 Roth (1997), S. 103. 66 Kandel / Schwartz, S. 24. 67 Singer (1999), S. 268 u. S. 274. 64
III. Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen
29
Beobachtungsergebnissen, die zum Verständnis der Konstituierung des Wahrnehmungsobjektes beitragen: Es gibt Neurone, die zur Erkennung bestimmter Eigenschaften spezialisiert sind wie man z. B. solche gefunden hat, die an der Erkennung von bestimmten Eigenschaften der Gesichter beteiligt sind; 68 auch Singer berichtet von einzelnen Nervenzellen, die auf bestimmte Konstellationen von Merkmalen der Gesichter spezialisiert sind; diese Gesichterzellen sind Nervenzellen, die selektiv auf Gesichter ansprechen. Beobachtet wurde auch solche, die auf die Erkennung einer Konturorientierung spezialisiert sind. 69 Es hat sich auch gezeigt, dass die vollständige Erkennung nicht einzelne Neurone leisten, sondern Nervenzellenverbände. 70 Singer weist darauf hin, dass nicht für jedes Wahrnehmungsobjekt einschließlich seiner verschiedenen Erscheinungen eine Nervenzelle reserviert wäre; das hätte eine unendliche Anzahl von Nervenzellen zur Folge. Zur Verarbeitung von Informationen aus den Sinnessystemen favorisiert er folgende Hypothese: die Informationen repräsentieren nicht hochspezialisierte einzelne Nervenzellen, sondern eine ganze Gruppe von Zellen, wobei jede Zelle nur Teilmerkmale darstellt wie z. B. Form-, Texturmerkmale, Angaben über Ort, Größe und Lage, die in ihrer Gesamtheit erst eine vollständige Beschreibung des Objektes ergeben. 71 Und Kandel schildert, wie sich in der Verarbeitung der Reize komplizierte Verschaltungsprozesse neuronaler Gruppierungen auf verschiedenen Ebenen auswirken. 72 Ähnlich wie die verschiedene Verarbeitungsorte differenzierter Informationen aus der Umwelt gemäß des topographischen Prinzips im Gehirn verweisen die neuronalen Prozesse auf weitergehende Differenzierungen der Informationen aus der Umwelt. Es sind Eigenschaften der Umweltreize, die Roth einteilt in: die Modalität des Reizes wie ein visueller, auditorischer, somatosensorischer usw. 68
Roth (1997), S. 173. Singer (1999) S. 272; Engel / König (S. 159) beschreiben Reaktionen bestimmter visueller Neurone auf ganz bestimmte Ausprägungen von horizontalen Konturorientierungen; s. auch dazu ihre Skizzen 1 u. 2, S. 161 f.; Roth (1997, S. 137 ff.) diskutiert Modellversuche, die zeigen, welche Leistungen bestimmte Neurone in der Retina und im Tectum unterschieden nach Typen in der Beute-Freund-Erkennung einer Erdkröte leisten. 70 Vgl. Engel / König, S. 167; Roth (1997), S. 172; Singer (1999), S. 272. 71 Singer (1999), S. 272; Roth (1997, S. 148 f) kommt auch zu dem Ergebnis, dass es einzelne Neurone geben mag, die auf bestimmte Merkmale reagieren; dass es aber erst eine Population von Neuronen sei, deren Kombination visuelle Objekte charakterisieren. 72 Kandel / Schwartz, S. 403; Damasio (1997, S. 149) spricht von einer auffallenden Übereinstimmung zwischen der Form des Reizes und der Form der neuronalen Aktivitätsmuster; als Beispiel solcher komplizierten Verschaltungsmuster nennt Singer (2000, S. 195 ff.) das Bewußtsein von Wahrnehmung, für dessen Erklärung er die Iteration in der wiederholten Anwendung durch Repräsentation auf sich selbst anbietet, wobei er solche Areale, die nur bei Wahrnehmung realer Inhalte aktiviert werden, unterscheidet von solchen, die nur bei Vorstellungen wirksam werden. 69
30
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
Reiz; die Qualität, das sind bei visuellen Reizen z. B. Farbe und Helligkeit, bei auditorischen Reizen Lautstärke, Tonhöhe; die Intensität wie dunkel oder hell, laut oder leise, stark oder schwach; und schließlich die Zeitstruktur eines Reizes, ob er kurz oder lang andauert, periodisch oder aperiodisch ist. 73 Es leuchtet ein, von den Modalitäten der Sinneswahrnehmungen auf die Modalitäten der Umweltreize zu schließen, weil letztere die ersteren bestimmen. Hinzuweisen bleibt noch darauf, dass die neuronalen Prozesse nicht von vornherein und endgültig determiniert, sondern durch Lernfähigkeit veränderbar sind. Die Herausbildung neuronaler Verschaltungsmuster im Zusammenhang mit der Entwicklung des kindlichen Gehirns beschreibt Hüther: Die vom assoziativen Cortex generierten Erregungsmuster würden in immer stärkerem Maße zu unseren Abbildern der Außenwelt geformt und stabilisiert. 74 Hinzu kommen soziale Verhältnisse und all das, was sich in onto- und phylogenetischer Entwicklung herausgebildet hat. 75 Jedes Individuum und jede Art bilden ihren Wahrnehmungsgegenstand heraus. Man wird wegen der individuellen Einflüsse nicht auf eine für alle gleichermaßen entstehende Wahrnehmungswelt schließen dürfen; man wird aber dort, wo Wahrnehmungen entstehen, auf Umweltreize hinweisen dürfen, die nicht irgendeine Wahrnehmung ermöglichen, sondern eine den Reizen entsprechende. Wahrnehmung bildet nicht die Umweltereignisse ab, sondern sie ist ein subjektives Konstruktionsergebnis. Sie ist ein schöpferischer Prozess eines Individuums, das Informationen aus der Umwelt verarbeitet. 76 Die Konstruktion des Wahrgenommenen aus einem schöpferischen Prozess umfasst individuelle Einflüsse sowie Einflüsse aus den Umweltreizen; Singer beschreibt diesen Prozess so: Wahrnehmungsphysiologische Untersuchungen zeigen, „dass Wahrnehmung nicht als passive Abbildung von Wirklichkeit verstanden werden darf, sondern als das Ergebnis eines außerordentlich aktiven, konstruktivistischen Prozesses gesehen werden muss, bei dem das Gehirn die Initiative hat. Das Gehirn bildet ständig Hypothesen darüber, wie die Welt sein sollte, und vergleicht die Signale von den Sinnesorganen mit diesen Hypothesen. Finden sich die Voraussetzungen bestätigt, erfolgt Wahrnehmung nach sehr kurzen Verarbeitungszeiten. Treffen sie nicht zu, muss das Gehirn seine Hypothesen korrigieren, was die Reaktionszeit verlängert.“ 77 Gegenüber der Behauptung, alle Wirklichkeit sei ein subjektives Konstrukt, hat sich jetzt gezeigt, dass der Konstruktion etwas vorausgeht: das sind das Gehirn, die Sinnesorgane, der Leib, das autonome Selbst und die Reize. Die Theo73 74 75 76 77
Roth (1997), S. 108. Hüther, S. 111 f. Vgl. Ploog (1989), S. 1 ff.; Singer (1989), S. 45 ff. Roth (1997), S. 125. Singer (2000), S. 200.
III. Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen
31
rien, die Wahrnehmung aus einem Prozess ihres Zustandekommens erklären wie der Radikale Konstruktivismus und die Neurowissenschaften, mussten diese Voraussetzungen zugestehen. Was von den Konstruktivisten und den Neurowissenschaftlern als Zutaten aus der Umwelt, als Widerstand auf der Suche nach einem Wahrnehmungsgegenstand oder als Umweltinformation genannt wurde, kann mit Hilfe der Spezifizierung der Sinnessysteme, aus der Topographie des Gehirns und aus der Spezifizierung der neuronalen Prozesse als Differenzierung der Reize der Umwelt nachgewiesen werden. Ohne dass für alle Sinnessysteme schon eine umfassende Differenzierungsübersicht vorliegt, können aus den inzwischen bekannten Klassifizierungen vor allem des gut erforschten visuellen, aber auch aus dem auditorischen System, differenzierte Reize der Umwelt nachgewiesen werden: im visuellen System für Farbe, Form, Umrisse, Tiefe, Bewegungsgeschwindigkeit und -richtung, räumliche Beziehung, Kontrastgrenzen, Leuchtdichte, Wellenlänge und Gesichtermerkmale; im auditorischen System für Druckwellen unterschiedlicher Frequenzen und räumliche Lokalisierung. Hinzu kommen die Differenzierungen des Tastsinns und seiner Lokalisierungen im Gehirn. Erste Überlegungen zu einer möglichen Verallgemeinerung der Wahrnehmungsergebnisse hatten auf Begriffe wie Konstanz, Gleichheit und Invarianz verwiesen. Die empirische Erfahrung lehrt, dass sich eine Beobachtung unter gleichen Bedingungen wiederholen lässt, für den gleichen wie für einen anderen Beobachter. Es hatte sich gezeigt, dass einer Wahrnehmung wie z. B. dem freien Fall eines Steines etwas zugrunde liegt. Üblicherweise wird eine vorsichtige Annäherung an eine Allgemeingültigkeit der Einzelbeobachtung aus einer Induktion hergeleitet. Eine Rechtfertigung der Konstanz einer Erfahrung bieten jetzt die Reize der Umwelt. Dieses könnte im Verbund mit gleich bleibenden subjektiven Bedingungen als Quelle die Konstanz des Wahrgenommen erklären. Wenn die Wahrnehmung nur von subjektiven Bedingungen abhängig wäre, sich aber ein gleiches Ergebnis bei verschiedenen Beobachtern zeigte, wie sollte das erklärt werden können? Und wie sollte man sich die Wahrnehmung eines Gegenstandes bei einer Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven als denselben erklären können, obgleich jedes Mal ein verändertes Wahrnehmungsergebnis auftritt wie z. B. bei einem Kreis aus einer Schrägsicht die unterschiedlichen Ellipsen; und doch wird er als Kreis erkannt. Auch wechselnde subjektive Bedingungen wie z. B. die Benutzung einer Brille oder Einschränkungen des organischen Sinnesvermögens führen nicht zu prinzipiell anderen Wahrnehmungsergebnissen, vielmehr zu Undeutlichkeiten, die als Undeutlichkeiten bemerkt werden. Sie können doch nur bemerkt werden, weil der Wahrnehmende nicht nur seine subjektiven Bedingungen für maßgeblich hält, sondern darüber hinausgehende Einflüsse der Umwelt einbezieht. Reize der Umwelt sind geeignet, Konstanz zu sichern. 78 78 Mulligan, (S. 137 – 150) erklärt die Invarianz von Wahrnehmungen trotz wechselnder Ausdrucksformen und Anzeichen durch Konstanzphänomene.
32
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
Wie gelingt die Herausbildung eines Wahrnehmungsgegenstandes aus einer Vielzahl serieller oder parallel verlaufender neuronaler Prozesse? In der Sprache einer neurobiologischen Prozessbeschreibung gibt es neuronale Reaktionskonstellationen, die eine Einheit wie z. B. ein Gesicht repräsentieren. Reaktionskonstellationen bedürfen aber einer Quelle. Ein Hinweis auf eine Erklärung einer Einheit könnte aus den Reizquellen der Umwelt kommen: Wo aus einer Quelle gleichzeitig Reize von unterschiedlichen Sinnesorganen wie z. B. durch die Augen und die Ohren aufgenommen werden, wird die Einheit der Quelle selbst zum Grund der Herausbildung des einen Wahrnehmungsgegenstandes aus unterschiedlichen Signalen. Dazu gibt es bisher keine Untersuchungsergebnisse. Vorstellbar sind Forschungen, die diesem Hinweis nachgehen und vielleicht bestätigen. Wahrgenommenes präsentiert sich einerseits als Einheit, wie z. B. ein bestimmter Ton, dem eine Vielzahl von Reizen und Signalen unterschieden nach Modalität, Intensität, Dauer und Lokalisation zugrunde liegen, aus denen das Gehirn unter Zuhilfenahme von Subsystemen und komplizierten Verschaltungen die Einheit der Wahrnehmung errechnet. Roth beschreibt diesen Vorgang so: „Die Komplexität der Umwelt wird ‚vernichtet‘ durch ihre Zerlegung in Erregungszustände von Sinnesrezeptoren. Aus diesen muss das Gehirn wiederum durch eine Vielzahl von Mechanismen die Komplexität der Umwelt, soweit sie für das Überleben relevant ist, erschließen“. 79 Warum entsteht aus der Erschließung der Reize gerade diese Einheit Ton und nicht irgendeine andere? Komplizierter wird die Erschließung der Einheit aus unterschiedlichen Modalitäten und eine aus verschiedenen Modalitäten verbunden mit emotionalen Reizen. Aus dem Versuchsergebnis einer Konditionierung durch eine Reizkombination aus Ton und Schmerz geht hervor, dass nach einigen Wiederholungen der Ton allein genügte, den Ton zugleich als schmerzhaft wahrzunehmen. 80 Es zeigt einerseits die Bedeutung der Lernfähigkeit und des Gedächtnisses, die zu dieser Einheit der Wahrnehmung führten, andererseits entstand diese Einheit aus einer künstlichen Einheit der Reizkombination. Der Einheit der Wahrnehmung lag eine Einheit der Umweltreize zugrunde. Die Testperson hatte nicht die Möglichkeit nur den Ton wahrzunehmen oder nur den Schmerz zu empfinden. Ähnlich zeigte sich bei einer Wahrnehmung eines lachenden Gesichtes, die visuelle, auditive und emotionale Reize vereint, dass sie beeinflusst ist von einer Einheit der Umweltreize, die nicht erlaubt, ein beliebiges Gesicht zu sehen, einen beliebigen Ton zu hören, ein beliebig Anderes zu sehen und eine beliebige Emotion zu empfinden. Die Einheit der Reize umfasst sowohl unterschiedliche Reize der Sinne wie auch deren Ergänzung durch emotionale Reize. Die Reize nehmen Einfluss auf die Einheit der Wahrnehmung nicht nur in der Weise, dass Reize zusammen kombiniert werden, sondern auch dadurch dass überhaupt etwas im 79 80
Roth (1997), S. 115. Kandel / Schwartz, S. 621.
III. Von der Eigenständigkeit des Wahrgenommenen
33
Gehirn zu einer Einheit zusammengesetzt werden kann. Was Wahrnehmung als Einheit eines Wahrnehmungsgegenstandes der Umwelt präsentiert, fällt einem Reflexionswissen als Einheit zu begründen schwer, es sei denn wie hier auf indirekte Weise. Ein Grund dafür könnte der sein, dass sich Wahrnehmung nicht auf Reflexionswissen reduzieren lässt. In der Sprache einer neurobiologischen Prozessbeschreibung gibt es neuronale Reaktionskonstellationen, die eine Einheit wie z. B. ein Gesicht repräsentieren. Reaktionskonstellationen bedürfen aber einer Quelle. Strittig ist in der Beschreibung der Wahrnehmungsprozesse deren Repräsentanz einer Umwelt. Die Strittigkeit erklärt sich aus einem unterschiedlichen Verständnis dessen, was mit Außenwelt gemeint sein könnte: eine strukturierte Welt, die sich in physikalischen Begriffen beschreiben lässt, oder Einflüsse auf einen Wahrnehmungsprozess, aus denen eine Außenwelt herausgebildet wird. Roth betont, dass eine Ausdifferenzierung der Geschehnisse der Außenwelt zwar durch die modalitätsspezifischen Unterschiede deutlich würde; dass aber die unterschiedlichen Empfindungsqualitäten aus Riechen, Sehen, Hören usw. nichts mit den Geschehnissen der Außenwelt zu tun hätten, sondern reine Konstrukte seien. 81 Damasio bestreitet nicht die Realität eines Objektes; aber es gäbe kein Abbild des Objektes, das z. B. im Visuellen Bereich von der Netzhaut an die Sehrinde übermittelt wird. 82 Er nennt es dagegen eine wirksame Lösung der Natur, die Außenwelt durch die Veränderungen zu repräsentieren, die sie im Körper hervorruft. 83 Unstrittig ist, dass es Reize sind, die einen Einfluss auf die Herausbildung der Wahrnehmung ausüben. Man kann aus den neuronalen Prozessen schließen, dass es Differenzierungen der Reizquellen in der Umwelt gibt, die in konstanter Weise auf bestimmte Wahrnehmungsgestaltung Einfluss nehmen. Es lassen sich differenzierte Reizquellen als notwendige Bedingungen für eine Wahrnehmungsgestaltung erweisen. An die Stelle einer in physikalischen Begriffen beschriebenen Außenwelt, die nicht zu erweisen ist, treten die nachgewiesenen differenzierten Reizquellen der Umwelt. Die Wahrnehmungen sind Konstruktionen des Gehirns und gehen aus einem schöpferischen Akt hervor. Eine Außenwelt lässt sich beschreiben als differenzierte Reize, die zwar individuell verarbeitet werden, die aber keine beliebige Wahrnehmung erlauben. Insofern kennzeichnen die Reize einen Gegenstand der Außenwelt, der in der Wahrnehmung durch neuronale Muster hervortritt. Nur indirekt über die Reize können wir auf eine strukturierte Außenwelt rückschließen.
81 82 83
Roth (1997), S. 318. Damasio (2007), S. 233. Damasio (1997), S. 306.
34
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
Was dabei von außen – aus der Umwelt – beigegeben wird und was aus der subjektiven Ausstattung – dem Erkenntnisapparat –, lässt sich aus neurowissenschaftlichen Daten nicht unterscheiden, ebenso wenig deren Mischungsverhältnis. 84 Was sich unterscheiden lässt, ist der Einfluss der Reize als eine notwendige Bedingung für das Wahrnehmungsprodukt. Ohne Reize ist eine Herausbildung der Wahrnehmung nicht möglich, abgesehen von Bildern aus der Erinnerung oder einer Vorstellung, die aber auch auf Wahrnehmungen zurückgehen. In folgenden Beschreibungen des Wahrnehmungsprozesses wird sich außerdem vor allem in der Gesichtererkennung zeigen, dass die Reize differenzierbar sind, d. h., dass es bestimmte Reize sind, die entsprechende Wahrnehmungen ermöglichen. 85 Umwelt zeigt sich als Ergebnis subjektiver Verarbeitung von Reizen, ohne die ein Wahrnehmungsergebnis über die Umwelt nicht zustande kommt. Ein Subjekt kann von seiner Umwelt dadurch unterschieden werden, dass ein Wissen über diese nicht in sein Belieben gestellt ist; ein Gegenstand ist nur zu sehen, wenn das Subjekt entsprechende Reize zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort aufnimmt. Inhaltlich erfasst der Begriff Umwelt eine sinnlich erfahrbare Wahrnehmung in Raum und Zeit, einschließlich der körperlichen Selbstwahrnehmung des Individuums. Eine Wahrnehmung bildet die Umwelt heraus, zu deren Verarbeitung der Reize sie phylogenetisch und ontogenetische in der Lage ist. Es sind die Ergebnisse, die dem sinnlichen Vermögen des einzelnen Lebewesens und dem seiner Gattung herauszubilden möglich sind. Ein Adler sieht besser als ein Mensch und ein farbenblinder weniger als ein gesunder. Zusammenfassung der Wahrnehmung Es bedarf keiner Theorie um wahrnehmen zu können Wahrnehmung ist ein subjektives Konstrukt eines einzelnen Menschen in einer einzelnen Situation. Voraussetzung einer Wahrnehmung sind Reize, die in einem Prozess des Hirns verarbeitet werden. Das Ergebnis ist abhängig von den Reizen und von den Verarbeitungsbedingungen des Menschen. Es gibt eine Konstanz der Ergebnisse sowohl in der Wiederholung eines Wahrnehmungsprozesses als auch in der Verarbeitung der Reize durch andere Menschen. Die Herausbildungsprozesse der Wahrnehmung verweisen auf differenzierte Umweltreize, die einen ersten Hinweis auf die Eigenständigkeit der Wahrnehmung anzeigen. Ei84
Roth (1997), S. 342. Vgl. Kandel / Schwartz, Vorwort zur Originalausgabe VIII; zum Vorstellen vgl. Singer (1999, S. 276): ein mit Hilfe der Kernspintomographie hergestelltes Bild zeigt die unterschiedlichen durch Wahrnehmen bzw. Vorstellen aktivierten Gehirnregionen; der Beitrag der Neurowissenschaften zur Erkenntnis biologischer und erkenntnistheoretischer Konzepte der Kommunikation eines Subjektes mit seiner Umwelt ist ausführlich behandelt in Kolster (2003), S. 17 ff. u. 55 ff.; zu den neurobiologischen Grundlagen, die die Neurowissenschaften erforschen, vgl. Kandel, Vorwort zur Originalausgabe VIII und Singer (1999), S. 276. 85
IV. Wahrgenommenes und seine emotionale Bewertung
35
nes der wesentlichsten Merkmale der Wahrnehmung ist ihr Zusammenhang mit Emotionen und deren unverzichtbare Bewertung der Wahrnehmung für Leben und Erhaltung des Menschen. Aus diesem Merkmal lässt sich eine Ethik aus Emotionen und Vernunft herleiten, die im Kap. G ausführlich behandelt wird.
IV. Wahrgenommenes und seine emotionale Bewertung Wie bei der Wahrnehmung entstehen Emotionen aus einer Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt. Obgleich sie mit dem Thema über Wahrnehmung und Wissenschaft nicht unmittelbar etwas zu tun haben, werden sie hier behandelt. Der Grund dafür ist ihre Beziehung zu Wahrnehmungen. Sie Bewerten die Einflüsse der Umwelt, die zu Wahrnehmungen verarbeitet werden. Die Bewertung ist für Leben und Gedeihen eines Individuums unverzichtbar. 86 Außer den Reizen der Wahrnehmung gibt es emotionale Reize der Umwelt, die von Neurowissenschaften untersucht, nachgewiesen und erschlossen worden sind. Die Verarbeitung emotionaler Reize geschieht im limbischen System; das ist eine subcorticale Region. 87 Es gibt eine zweifache Auswirkung emotionaler Reize: eine körperliche und eine kognitive. Durch das limbische System werden einerseits körperliche Reaktionen des autonomen Nervensystems ausgelöst, andererseits wirken vom limbischen System ausgehende Erregungszustände auf den frontalen und limbischen Cortex ein, die sich auf Verhalten und Handeln auswirken. 88 Die Körperreaktionen wie Schweißausbruch, Erröten oder Herzklopfen sind Reaktionen des autonomen Nervensystems; parallel zu diesen autonomen Reaktionen gibt es – abhängig von der biologischen Ausstattung – eine kognitive Verarbeitung der Reize; z. B. könnte ein Reiz einen körperlichen Erregungszustand wie Herzklopfen hervorrufen und durch ein Bewusstwerden des Reizzustandes im Zusammenhang mit einer Wahrnehmung wie Dunkelheit zu einem Erlebnis von Angst führen. Emotionen sind körperlich erfahrbare Reaktionen und zugleich unter Beteiligung des Gehirns erlebbare Gefühle. Sie bedürfen keiner Theorie, um erfahrbar zu sein. Ploog hat darauf hingewiesen, dass Emotionen für ein Individuum nicht 86 Eine ausführliche Behandlung der Emotionen als Bewertungsinstanz von Wahrnehmungen findet sich in Kolster (2006), S. 54 ff. 87 Vgl. Kandel / Schwartz, S. 725: Das limbische System ist keine regional exakt abgegrenzte Region, sondern besteht aus verschiedenen Teilen u. a. dem Hippocampus, dem Hypothalamus und der für die emotionalen Reaktionen wichtigen Amygdala; vgl. auch Singer (1999), S. 277. 88 Kandel / Schwartz, S. 623; vgl. auch Roth (1997), S. 306; Ploog (1999), S. 543: Er nennt die Amygdala einen Knotenpunkt in der Anatomie der Emotionen.
36
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
erlernbar, sondern angeboren sind; was erlernt und im Gedächtnis gespeichert werden kann, das sind die Gegenstände, Ereignisse, Personen und soziale Konstellationen, die bestimmte Emotionen ausgelöst haben. 89 Emotionen benennen Zustände wie Lust, gehobene Stimmung, Euphorie, Ekstase ebenso wie Unlust, Traurigkeit, Verzweiflung, Depression, Furcht, Angst, Ärger, Feindseligkeit und Gelassenheit bezeichnet. Neben dem Begriff der Emotionen wird auch von Gefühlen, Empfindungen und Gemütsbewegungen gesprochen, bisweilen wird zwischen ihnen unterschieden. Da bisher keine exakte Definition der Emotionen von Neurobiologen vorgelegt worden ist, soll die folgende Beschreibung genügen: Es sind Gefühle und Stimmungen, ausgedrückt in Reaktionen und Verhalten des Körpers und ihrer geistigen Verarbeitung. 90 Das komplizierte Zusammenwirken der Hirnregionen bei autonomen und kognitiven Reaktionen versuchen unterschiedliche Theorien zu erklären: Es gibt diejenigen, die von Reaktionen des autonomen Nervensystems ausgehen, die ihrerseits in kognitiven Prozessen zum Bewusstsein gelangen; 91 einige meinen, dass Emotionen den physikalischen Reaktionen des autonomen Nervensystems vorausgehen, andere verfolgen die Theorie, dass Emotionen aus einem dynamischen Prozess zwischen biologischen und kognitiven Faktoren entstünden. 92 Kandel spricht von einer reziproken Kommunikation der beiden Hirnregionen, des Hypothalamus, der an den Emotionen mitwirkt, und den höheren cortikalen Zentren, die kognitive Leistungen hervorbringen, was bedeutet, dass die Emotionen auf die Kognition Einfluss ausüben. Trotz der Unterschiede in den Erklärungen ist folgender Zusammenhang unstrittig: Sinnesinformationen folgen im Gehirn zwei Wegen: einer führt vom Sinnesorgan zur spezifischen Hirnregion, wo eine Verarbeitung zu Wahrnehmungen stattfindet; ein zweiter Weg führt vom Sinnesorgan in das limbische System, wo einerseits autonome Reize ausgelöst werden und andererseits eine Rückmeldung an die kognitive Region der Sinnesreizverarbeitung erfolgt; durch diese Interaktionen werden emotionale Einflüsse auf die Kognition wirksam, aus der ein bewusstes emotionales Erlebnis entsteht. 93 Ähnlich wie bei den Wahrnehmungen gibt es auch bei den Emotionen unterschiedliche lokale Repräsentationen im Gehirn und spezifische neuronale Entladungsmuster; 94 Lust und Schmerz z. B. – die Grundlagen menschlichen 89
Ploog (1999), S. 548. Damasio (1997 S. 193), beschreibt Gefühle als eine Zusammensetzung aus geistigem Bewertungsprozess und Körperzustand. 91 Vgl. Pöppel (1989), S. 17 ff. 92 Singer (1999), S. 527. 93 Kandel / Schwartz, (S. 620 f.) zeigt eine schematische Übersicht über die Bahnen, die an der Verarbeitung emotionaler Informationen beteiligt sind; Ploog (1999, S. 529) gibt einen Überblick über die Sequenz neuronaler Ereignisse beim mimischen Feedback, der die Verbindung von Neokortex und limbischem System zeigt. 90
IV. Wahrgenommenes und seine emotionale Bewertung
37
Erlebens und Verhaltens – sind an unterschiedlichen Orten lokalisiert. 95 Der Nachweis lokaler Repräsentationen ergibt sich aus medizinischen Befunden, aus operativen Eingriffen, aus Hirnverletzungen, aber auch aus Experimenten mit künstlichen Reizen. Zu den künstlich erzeugten Emotionen zählen Experimente mit elektrischen Stimulationen der Amygdala, durch die sich bei Menschen unterschiedliche Gefühle erzeugen lassen; eine Auflistung von Aussagen der Patienten nach Reizaufnahmen umfasst: Schmerzen, Schwäche, warmes Gefühl, hoffnungsvoll, entspannt, tiefe Gedanken, Vertrauen in die Zukunft (Pöppel 1982, S. 200). Allgemein rufen Läsionen und elektrische Stimulationen der Amygdala mannigfache autonome Reaktionen und emotionale Verhaltensweisen hervor. 96 Trotz mancher Unterscheidungen zwischen den unterschiedlich bezeichneten Zuständen, 97 auf die hier nicht eingegangen werden muss, erscheint es sinnvoll zwischen Emotionen und Trieben zu unterscheiden. 98 Triebe lassen sich als angeborene Grundverfassung für biologische Bedürfnisse bei Lebewesen beschreiben, die eine Empfänglichkeit für entsprechende Reize steigern; Emotionen dagegen als Zustände, die auf Reize zurückgehen. Bei Ploog findet sich diese Unterscheidung; er rechnet beide zu einem primären Motivationssystem und gibt den Emotionen den bestimmenden Vorrang. Als Beispiel nennt er Hunger, der bei Angst vergeht, und Durst, der bei Ekel vor stinkendem Wasser verschwindet. 99 Ob den Emotionen dieser Vorrang zukommt, mag bezweifelt werden. Es gibt Fälle, in denen der Trieb sich überlegen zeigt wie z. B. bei Hunger in einer lebensbedrohenden Lage, in der er den Ekel vor einer Nahrung überlagert. Lassen sich Emotionen so voneinander unterscheiden, dass von ihren differenzierten Ausprägungen her ein Rückschluss auf ihre Quellen in der Umwelt möglich wird? Man findet zunächst Unterscheidungen zwischen fundamentalen primären Emotionen und sekundären; fundamental werden solche bezeichnet, die eine spezifische subjektive Qualität aufweisen und für jede von ihnen wird ein spezifisches neuronales Entladungsmuster angenommen. Es werden unterschiedlich viele fundamentale Emotionen genannt, z. B. eine Zahl von vier: Erwartung, Wut, Angst und Panik; an anderer Stelle sind es acht: Interesse, Überraschung und Freude als positive Emotionen und Ärger, Angst, Scham, Ekel und Wut als negative Emotionen; aus Untersuchungen des psychiatrischen Bereiches werden sieben genannt: Überraschung, Ärger / Wut, Angst, Freude, Traurigkeit, 94
Ploog (1999), S. 533; Kandel / Schwartz, S. 565. Pöppel (1989, S. 22) benennt ein Lustzentrum; ebenso Kandel / Schwartz, S. 622. 96 Kandel / Schwartz, S. 617 f. 97 Kolster (2006), S. 45 ff. 98 Damasio, (S. 162 ff.) sieht Triebe und Instinkte durch angeborene Schaltkreise repräsentiert; die durch sie bewirkten biologischen Verhaltensweisen seien durch zusätzliche Kontrollschichten vor allem bei menschlichen Gesellschaften zu Wandel und Anpassung in der Lage. 99 Ploog (1999), S. 527. 95
38
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
Abscheu und Verachtung; später traten noch Neugier und Anerkennung hinzu. Auf den Einwand, dass sich menschliche Gefühle nicht in den aufgezählten fundamentalen Emotionen erschöpfen, nahm man zusätzlich sekundäre Emotionen an, die aus Mischungen der primären Emotionen hervorgehen. Während Ekman fünfzehn Emotionen unterscheidet: Glück / Vergnügen, Ärger, Verachtung, Zufriedenheit, Ekel, Verlegenheit, Aufgeregtheit, Furcht, Schuldgefühl, Stolz, Erleichterung, Trauer, Befriedigung, Sinneslust und Scham, bezweifelt Ploog, dass eine Einteilung in primäre und sekundäre Emotionen überhaupt dem heutigen neurobiologischen Systemverständnis entspricht. Er hält ein Muster der Verästelung für angemessener, durch das für Emotionen spezifische zerebrale Repräsentanz an einem Ort herausgebildet wird. 100 Diese Auffassung würde für eine große unbeschränkte Vielfalt der Emotionen sprechen, die ein Nebeneinander, eine Überlagerung und Mischungen zulässt. Hinsichtlich ihrer Repräsentanz im Gehirn würde das bedeuten, dass die spezifischen Neuronen ebenfalls nicht einer abgegrenzten Einteilung gegeneinander unterliegen, sondern eine Vielfalt bilden, ähnlich den Wahrnehmungsprozessen, bei denen sich als unwahrscheinlich herausgestellt hat, das jedem Merkmal ein Neuron entspricht. Stattdessen nimmt man Neuronenpopulationen an, die eine Vielfalt von Reizen repräsentieren können. Auch wenn man einerseits keine Zuordnung von Neuronen zu bestimmten Emotionen durchgehend nachweisen kann, wird andererseits nicht bestritten, dass differenzierte Reize ihnen zugeordnete zerebrale Prozesse bewirken, die bestimmte Emotionen repräsentieren. 101 Eine weitergehende Spezifizierung von Emotionen lässt ihre emotionalen Reizquellen deutlich hervortreten, die sich einerseits von den Reizquellen der Wahrnehmung unterscheiden und eigenständige Ergebnisse hervorbringen und andererseits mit den Reizquellen der Wahrnehmung eng verknüpft sind. Am Beispiel des gut erforschten visuellen Systems lässt sich der Zusammenhang von visueller Wahrnehmung und Emotionen zeigen. Als geeignet erweisen sich Ausdrucksbewegungen von Gesichtern, weil sie einen Zusammenhang von Wahrnehmung und emotionalen Prozessen veranschaulichen: Da ist auf Grund eines Reizes ein autonomes emotionales Reaktionsmuster, dem eine mimische Ausdruckweise zugeordnet wird; die mimische Ausdrucksbewegung erzeugt durch Rückkopplung ins Bewusstsein eine subjektive Emotion; und schließlich induziert eine einfühlende Betrachtung unterschiedlicher Gesichtsausdrücke entsprechende Emotionen bei dem Betrachter. 102 Die Beziehung zwischen mimischen Ausdrucksbewegungen und neuronalen Programmen ist so eng, dass sie sich gegenseitig 100
Ploog (1999), S. 533 ff. Damasio (1997, S. 176 f.) erläutert, dass neurobiologische Grundvorgänge partielle Erklärungen für Gefühle liefern können. 102 Ploog (1999, S. 528) beschreibt, wie sich mit der funktionellen Magnetresonanztomographie ein Zusammenhang zwischen subjektiv erlebten Emotionen und mimischen Ausdrucksbewegungen zeigen lässt. 101
IV. Wahrgenommenes und seine emotionale Bewertung
39
erzeugen können: Neuronale Programme aktivieren mimischen Ausdruck und umgekehrt aktivieren Ausdrucksbewegungen das zentral nervöse Erregungsmuster. Ploog folgert aus der Beziehung von Ausdrucksbewegungen und Emotionen, dass in subkortikalen Zentren „emotionsspezifische Programme, unterschiedlich für jede Emotion, lokalisiert“ 103 sind. Allgemeiner ausgedrückt: Für jede Emotion wird ein spezifisches neuronales Entladungsmuster angenommen, das die Emotion ins Bewusstsein bringen kann. 104 Aus diesen Beobachtungen lässt sich erkennen, dass einer spezifischen Emotion ein „Programm“ im subcortikalen Zentrum entspricht und dass die durch diese Programme aktivierten Ausdrucksbewegungen in einem Gesicht durch einfühlende Betrachtung von einem Beobachter nachempfunden werden können. Dem Betrachter eines Gesichtsausdrucks der Furcht steht es nicht frei, diesen als Freude zu erkennen, sondern eben als Furcht. Ein angeblicktes Gesicht wird zur differenzierten Reizquelle der Umwelt sowohl für dessen Wahrnehmung als auch für die Nachempfindung des emotionalen Ausdrucks. 105 Nebeneinander, Überlagerung und Mischung von Emotionen wird an Abbildungen von Gesichtern deutlich, in deren Ausdrucksbewegungen eine oder mehrere Emotionen gleichzeitig repräsentiert sind wie entweder nur Überraschung oder nur Furcht; oder es sind Überraschung durch den Mund und Furcht durch die Augen und Stirn überlagert. 106 Insgesamt ermöglichen die neurowissenschaftlichen Ergebnisse aufschlussreiche Einblicke in den Zusammenhang von Emotionen mit neuronalen Prozessen, der aber längst nicht vollständig erforscht ist. Die Bedeutung des engen Zusammenhangs zwischen Wahrnehmung und Emotionen wird im Folgenden dadurch gezeigt, dass Emotionen Wahrnehmungen bewerten. Bei der Kommunikation von Menschen untereinander übernimmt der Ausdruck von Emotionen häufig die Funktion einer Mitteilung. Ploog spricht dabei von Senden und Erkennen sozialer emotionaler Signale. 107 Ein erster Kontakt nicht sprachlicher Kommunikation zwischen Partnern zeigt sich in dem Angeblickt werden. Die Blickrichtung signalisiert, wer gemeint ist, während der Gesichtsausdruck die Verhaltensbereitschaft des Senders übermittelt. Die Kommunikation erfolgt durch Mimik, Stimme und Körperhaltung.
103
Ploog (1999), S. 528 f. Ploog (1999, S. 533) ebenso wie Kandel / Schwartz (S. 608) verweisen darauf, dass Emotionen durch besondere neuronale Schaltkreise kontrolliert werden. 105 Sartre (1962, S. 338 – 397) erläutert in seiner Analyse des Blicks, dass man am Blick des anderen dessen Subjektivität, die ihn von anderen Körpern im Raum unterscheidet, erkennt. 106 Ploog (1999), S. 534. 107 Ploog (1999), S. 541. 104
40
B. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wahrnehmung?
Wie ist es denkbar, dass der Andere solche Signale versteht? Bei Untersuchungen zum Erkennen sozialer Signale wurde festgestellt, dass z. B. bei schizophrenen Patienten Störungen in der Wahrnehmung emotionaler Gesichtsausdrücke auftraten: Sie konnten den Ärger nicht von Furcht unterscheiden und waren unfähig, den Ausdruck des Abscheus zu erkennen. Die Autoren erwogen, ob bestimmte Emotionen ihnen zugeordnete neuronale Substrate haben, die bei beiden Individuen, die miteinander kommunizieren, auftreten. Neueste Forschungsergebnisse verweisen auf Spiegelneuronen und -systeme, die als Nachahmerzellen beim Verstehen der Gefühle eine Rolle spielen; sie bringen auch die Aktionen anderer nahe, indem sie diese simulieren; sie tun so als ob, bauen eine Brücke zwischen dem Anderen und uns selbst und schaffen eine Verbindung zwischen Beobachten und Handeln. 108 Das nicht sprachliche emotionale Verstehen wird mit Empathie bezeichnet. Empathie drückt die Fähigkeit aus, sich in einen Kommunikationspartner hineinzuversetzen; sie lässt sich beschreiben als Kommunikation eines emotionalen Zustandes. Die Gefühle des anderen kann man dadurch verstehen, dass man selbst solche Gefühle erlebt hat. Obgleich man nie gewiss sein kann, ob die eigene Mitfreude oder Mittrauer der des anderen gleicht, gibt es genetische und neuronale Merkmale, die eine Empathie kennzeichnen und zeigen, dass sie keine beliebige subjektive Konstruktion ist. 109 Emotionen können miteinander konkurrieren und je nach Bewertung der Wahrnehmung eine die andere dominieren. Unentschieden zeigt sich eine Emotion, wie sie in den Redewendungen zum Ausdruck kommt: man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wahrnehmungen und Emotionen vermitteln unterschiedliche Informationen über die Umwelt. Wichtige Informationen aus Emotionen sind z. B. Liebe und Akzeptanz, beide unverzichtbar für soziale Systeme; die Unfähigkeit, Furcht zu empfinden, führt zur Lebensuntüchtigkeit. Emotionen dienen der Erhaltung des Individuums als Mittler zwischen ihm und der Außenwelt. In den emotionalen Prozessen wird der Organismus sowohl über körperinterne Vorgänge als auch über die Bedeutung der aktuellen Außenwelt unterrichtet und bekommt eine Meldung über die Zweckmäßigkeit seines Verhaltens. Es erscheint deshalb aus der Perspektive der Kommunikation eines Menschen mit seiner Umwelt berechtigt, einem Zusammenhang zwischen biologischen Prozessen und Emotionen als Bewertungsinstanz zur Durchsetzung von Lebensinteressen nachzugehen. Eine Entstehung von Emotionen und ihre Bewertungskraft bedürfen keiner Theorie. Sie sind eine auf die Wahrnehmungen bezogene unmittelbare Bewertungsinstanz, die in unserem Zusammenhang auf die Bedeutung der Wahrnehmungen verweisen. 108 109
Singer (2004), S. 1157 – 1162. Vgl. Ploog (1999), S. 540 ff.
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen? I. Historisches und Kritisches zur Beschreibung von Wissen Die Frage, ob aus den Ergebnissen von Wahrnehmungen und Emotionen ein Wissen über die Umwelt entsteht, wird jetzt untersucht. Sie zu beantworten ist wichtig, um die Ergebnisse aus Wahrnehmung und Emotionen mit denen aus der Wissenschaft vergleichen zu können. Aus philosophiegeschichtlicher Perspektive zeigt sich, dass in früheren Entwürfen Wissen von Wahrnehmung zwar unterschieden, dass Wahrnehmung ein wichtiger Beitrag zur Erkenntnis zugestanden wurde und dass sie aber dem Wissen untergeordnet blieb. Strittig blieb in dem Verständnis von Wissen, ob z. B. Subjektives des Betrachters in das Wissen über einen Gegenstand einbezogen wird oder nicht. Vorherrschend ist bis in die Gegenwart eine Tendenz, nach der ein Beobachter von sich selbst und dem Akt der Beobachtung absieht und nur die Dinge um sich herum betrachtet. Schrödinger hat Ende des 20. Jahrhunderts in einer kritischen Betrachtung dieser Entwicklung zur Objektivierung geschrieben: wir schließen das „Subjekt der Erkenntnis aus dem Bereich dessen, was wir an der Natur verstehen wollen, aus. Wir treten mit unserer Person zurück in die Rolle des Zuschauers, der nicht zur Welt gehört, welch letztere eben dadurch zu einer objektiven Welt wird.“ 110 Wo das geschieht, bleibt das wahrnehmende, denkende und fühlende Ich ausgeschlossen; es kann nicht thematisiert werden, weil man meinte, dass es nicht objektivierbar sei. Deshalb blieb unberücksichtigt, was zu einer Natur hinzugehört wie Erleben, Mitgefühl und alles, was eine Bedeutung in Bezug auf das anschauende, wahrnehmende und fühlende Wesen hat; dazu gehören auch sittliche und ästhetische Werte. 111 Schrödinger hat diesen Reduktionismus dadurch zu überwinden versucht, dass er darauf hinwies, dass es nicht nur auf Wahrnehmungselemente und Denkinhalte ankäme, sondern auch auf den Wahrnehmenden und Denkenden.
110 Schrödinger (1989), S. 58; Kather (S. 258) behandelt das Problem der Objektivierung als Methode der Physik aus historischer Perspektive. 111 Schrödinger (1989), S. 96 u. S. 60.
42
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
Obgleich Schrödinger auf die Bedeutung des Subjekts in dem Erkenntnisprozess hingewiesen hat, folgten keine nachhaltigen Veränderungen in der Beschreibung eines Wissens. Keine Rolle spielen bisher Merkmale des Subjektes, die einzelne Situation, in der Wissen herausgebildet wird, und das Emotionale, weil sie den Ansprüchen an das Wissen wie dessen allgemeine Geltung seiner Begriffe und Aussagen, seine Rechtfertigung aus Gründen und ein Bedürfnis nach Wahrheit und Gewissheit vermeintlich nicht genügten. 112 Diese Vorstellung von Wissen zeigt sich in einer jüngsten Debatte, in der es um die Frage ging lässt sich Wissen definieren? Gestritten wurde über die Konzeption von Wissen als „wahre, gerechtfertigte Überzeugung“ 113 Beckermann kritisiert an dem Konzept, dass in der Definition die Bedingungen Wahrheit und Rechtfertigung gemeinsam verwendet würden. Wahrheit als Ziel und Rechtfertigung als Mittel seien in einer Definition miteinander unverträglich. Als Folge der Kritik schlägt Beckermann vor, auf den Wissensbegriff überhaupt zu verzichten und nur von wahrer Meinung bzw. von gerechtfertigter Meinung zu sprechen. 114 Grundmann hat dagegen eingewandt, dass Wissen sehr wohl als ein kohärenter Grundbegriff der Erkenntnistheorie zu retten sei und argumentiert: Wissen können man als nicht-zufällige wahre Meinung beschreiben; eine Rechtfertigung findet sich in dieser Definition nicht mehr. Auf diese Weise ließe sich Wissen als präzisere Formulierung des epistemischen Ziels der Wahrheit verstehen. 115 Auch Hofmann argumentiert für einen Platz des Wissens in der Erkenntnistheorie. Er verweist darauf, dass die Wahrheit garantierende Methode und Wahrheit in einem engen Zusammenhang stünden. Dieser erlaube nicht den Hybridvorwurf, wie ihn Beckermann äußert. 116 Und Williamsen lehnt eine Begriffsanalyse des Wissens überhaupt ab, weil er Wissen als grundlegender annimmt als die Merkmale Überzeugung und Wahrheit, die nicht ausreichten. 117
112 Krobath (S. 201 f. u. S. 221 ff.) referiert sehr ausführlich die Diskussionen um einen Wissensbegriff. Wissen verstanden als gerechtfertigte (mit Gewissheit verbundene) wahre Überzeugung forderte eine Kritik am Merkmal der Gewissheit heraus. An der umfangreichen und sorgfältig referierten Auseinandersetzung vor allem über eine sichere Begründung des Wissens fällt auf, dass sich „Wissen“ durch Reflexionen nicht vollständig umfassend beschreiben lässt. Das mag daran liegen, dass Reflexionen Aspekte betrachten und nicht in der Lage sind, „Wissen“ als wahrnehmbares Phänomen in seiner Vollständigkeit zu erfassen. 113 Jung, S. 1. 114 Beckermann (2001). 115 Grundmann (2002). 116 Hofmann (2002). 117 Williamson (2000).
II. Wissen als Ergebnis aus der Kommunikation des Menschen mit der Umwelt 43
Weder überzeugt der Vorschlag auf den Wissensbegriff zu verzichten, weil er in unserem Sprachgebrauch verwendet und in der Wissenschaft enthalten ist; noch überzeugt der Einwand, auf eine Begriffsanalyse zu verzichten, solange nicht klar ist, welche Kriterien für Wissen gelten um einer beliebigen Verwendung zu entgehen. Am ehesten überzeugt eine Ausweitung des Wissensbegriffs auf nicht propositionale Wissensformen wie zum Beispiel auf praktisches Wissen durch Einbeziehung von körperlichen und situativen Bedingungen. Die Ausweitung erscheint sinnvoll; es bleibt aber vage wie Wissen zustande kommt und was als Wissens gelten soll. 118 Die erwähnten kritischen Argumente zur Definition des Wissensbegriffs sind ein Beispiel, in welche Konflikte eine Wissenschaft – hier die Philosophie – gerät, wenn „Wissen“ – als ein Gegenstand der Wahrnehmung, über den wir reflektieren – auf wissenschaftliche Kriterien reduziert werden soll. Wissen lässt sich wahrnehmen durch die sinnliche Erfassung seiner sprachlichen und praktischen Verwendung, in seinem lebensweltlichen Gebrauch ebenso wie Hinweise auf nichtbegriffliches Wissen; sie bezeichnen, was in Anschauung und Erfahrung außerhalb der Verweisungsfähigkeit von Begriffen bleibt. 119 Ebenso wird eine Möglichkeit des Wissens aus Mythos und Religion in der gegenwärtigen Auseinandersetzung nicht diskutiert, obgleich Hübner gezeigt hat, dass der Mythos eine der Wissenschaft vergleichbare Erklärung der Phänomene leistete. 120 Das Interessante an der strittigen Diskussion ist, dass die Wahrnehmung, auf die sich alles Wissen beruft, keine zentrale Rolle spielt; sie wird zwar erwähnt aber ohne ihr einen elementaren Beitrag zur Beschreibung des Wissens einzuräu men. Welcher Rang kommt aber der Wahrnehmung in einer Erkenntnistheorie zu? Wenn sie als ein eigenständiges Wissen und als Fundament allen Wissens erwiesen werden kann, müssen die strittigen Definitionsentwürfe überdacht werden.
II. Wissen als Ergebnis aus der Kommunikation des Menschen mit der Umwelt Hier wird eine neue Möglichkeit dargestellt Wissen zu charakterisieren und zwar in Bezug auf die Umwelt des Subjektes. In den bisherigen Kritiken wurde Wissen abstrahiert von der Umwelt betrachtet, jetzt dagegen als Ergebnis einer Verarbeitung der Umweltreize, wie es für die Wahrnehmung und die Emotionen dargestellt wurde. Wissen ist eingebettet in eine Beziehung des Subjektes zu seiner Umwelt. Wissen für sich betrachtet abstrahiert von der Einbettung, vom 118 119 120
Jung, S. 9 f. Adams, S. 116. Hübner, Kurt (1985), S. 239 ff.
44
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
Subjekt, von der Umwelt und ihrer Beziehung. Die Frage ist, ob Wissen ohne Berücksichtigung seiner Einbettung nicht zu einer Verengung führt und die Offenheit zu neuen Konzepten verloren geht. Die beschriebene Einbettung ist nicht zu verwechseln mit dem Embodiment Konzept, das in den Kognitionswissenschaften eine Rolle spielt. Nach dieser Denkrichtung ist alles Geistige nur zu verstehen, wenn man es als Produkt einer Wechselbeziehung zwischen Körper und Umwelt sieht. Vorausgesetzt wird die traditionelle Vorstellung einer Trennung von Körper und Geist. Die Trennung überzeugt nicht mehr, seit dem die Neurowissenschaften zeigen, dass jede körperliche Bewegung und jede sinnliche Wahrnehmung auch eines mentalen Prozesses bedürfen. In der Vorstellung einer Einbettung des Wissens in die Subjekt – Umwelt Beziehung wird die Trennung von Körper und Geist aufgehoben, weil der Mensch die Reize der Umwelt körperlich unter Mitwirkung des Geistigen verarbeitet und Wissen hervorbringt. Der Vorteil einer Betrachtung des Wissens aus einer Einbettung in die Beziehung des Subjekts in seine Umwelt ist, die Herausbildung des Wissens als Prozess und die Bedingungen sichtbar zu machen. Es ist ein Wissensbegriff, der in den Kognitionswissenschaften und in den Neurowissenschaften verwendet wird, weil Wissen aus einem Prozess hervorgeht, ähnlich wie in den unterschiedlichen Ausprägungen der konstruktivistischen Theorien. Für die Betrachtung eines Wissens als Ergebnisse aus einem Prozess sind Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften geeignet. Es sind neurobiologischen Prozesse, die in der Kommunikation eines Subjekts mit der Umwelt beobachtet werden können und die Merkmale unterschiedlicher Möglichkeiten erkennen lassen. Zu ihnen gehören die Gegenstände, aus neurowissenschaftlicher Perspektive sind es die Reize der Umwelt, die einem Wissen vorausgehen ebenso wie das Subjekt mit den Möglichkeiten des Wissens durch seine Ausstattung. Ein anderer wesentlicher Vorzug ist, dass ein Wissen seinen Gegenstand nicht verdrängen oder vereinnahmen kann; Wissen kann sich nicht verselbständigen; es bleibt zurückgebunden an seinen Gegenstand. Aus der Perspektive der Einbettung wird Wissen zu einem erweiterten Konzept, das verschiedene Abstufungen ermöglicht wie Wissen des Einzelnen aus der Wahrnehmung und eines Allgemeinen aus der Reflexion. Die unterschiedlichen Möglichkeiten lassen sich durch je eigentümliche Merkmale kennzeichnen. Wissen wird verstanden als das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses eines Subjekts mit seiner Umwelt. Maturana nennt Wissen „fähig sein, in einer individuellen oder sozialen Situation adäquat zu operieren.“ 121 Wissen ist lebensnotwendig, weil es für das Leben und Überleben eines Subjekts in der Welt unverzichtbar ist: zur Bewältigung von Gefahren, zur Sicherung von Lebens121
Maturana (1974), S. 84.
II. Wissen als Ergebnis aus der Kommunikation des Menschen mit der Umwelt 45
grundlagen und zur Gestaltung einer lebensschützenden Ordnung. Das Subjekt nimmt Reize aus seiner Umwelt auf und verarbeitet sie. Können alle Ergebnisse aus dem Verarbeitungsprozess der Umweltreize Wissen genannt werden? Zur Beantwortung der Frage sollen Bedingungen des Wissens von Kriterien unterschieden werden. Bedingungen sind Merkmale, die ein Wissen ermöglichen. Es ist erstens die Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt. Die Kommunikation lässt Wissen aus einem Prozess hervorgehen, d. h. aus nachvollziehbaren Schritten in einer konkreten Situation. Wissen bezieht sich immer auf einen Gegenstand, ansonsten würde das Wort keinen Sinn machen; der Kommunikationsprozess verhindert zu versuchen, Wissen abstrahiert von seinem Gegenstand zu definieren. Bedingungen sind zweitens die biologische Ausstattung des Subjektes. Gezeigt wurde bereits, dass nur solche Reizqualitäten verarbeitet werden können, die den onto- und phylogenetischen Merkmalen des Subjektes entsprechen. Außer den Bedingungen bedarf es der Kriterien, nach denen entschieden werden kann, ob Ergebnisse aus der Kommunikation zu einem Wissen gerechnet werden können. Welche Kriterien aus der Reizverarbeitung lassen sich erkennen, um Informationen über die Umwelt so zu charakterisieren, dass sie als Wissen gelten können? Verlangt wird, dass 1. Ergebnisse nicht beliebig sind, weil sie sich auf Reize beziehen 2. Ergebnisse sich überprüfen lassen, ob sie zutreffen 3. sich der Ergebnisse bewusst werden und sie sprachlich erfassen können. Ergebnisse, die diese Kriterien erfüllen, sollen Wissen genannt werden. Begründung: Es wurde darauf hingewiesen, dass Ergebnisse aus der Kommunikation keine beliebigen sind, weil sie sich auf Reize beziehen. Würde jemand auf Ergebnisse verweisen, die sich nicht auf Reize beziehen, ließe sich das zweite Kriterium nicht erfüllen zu prüfen, ob die Ergebnisse zutreffen oder nicht. Es gibt Ergebnisse aus der Kommunikation, die nicht für alle gelten können wie z. B. ein Erkennen von Liebe im Ausdruck der Augen eines anderen. Wie sollte einem Dritten das Ergebnis zugänglich sein? Wenn das nicht der Fall ist, handelt es sich dann um ein Wissen? Das Kriterium einer Überprüfung gilt für die Erste Person wie für die Dritte. Wenn nur die Erste Person die Liebe erkennt und sich ihrer vergewissern kann durch wiederholtes Hinsehen, so ist das Kriterium einer Überprüfung für die Erste Person erfüllt. Die erkannte Liebe ein Wissen zu nennen erscheint für die Erste Person gerechtfertig. Das Beispiel zeigt, dass das zweite Kriterium nicht verlangt, dass eine Dritte Person
46
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
die Ergebnisse überprüfen kann. Es gibt solche Ergebnisse, die nur von einer Ersten Person überprüfbar sind und von denen nicht verlangt wird, dass sie für alle gelten. Wenn Ergebnisse den Anspruch einer allgemeinen Geltung erheben, müssen sie von jedermann überprüft werden können, ob sie zutreffen oder nicht. Das dritte Kriterium verlangt, dass man sich der Ergebnisse bewusst werden und sie sprachlich erfassen kann. Bewusstsein ist Voraussetzung für eine sprachliche Erfassung der Ergebnisse. Und eine sprachliche Erfassung ist Voraussetzung einer Überprüfung. Nur dann ist es möglich zu prüfen, ob ein Ergebnis zutrifft oder nicht, wenn es eine Erste Person für sich selbst, gegenüber Dritten oder einer Gemeinschaft benennen kann. Im Folgenden wird untersucht, inwiefern alle drei Kriterien geeignet sind, Ergebnisse aus der Wahrnehmung, aus den Emotionen und aus der Reflexion zu überprüfen, ob sie zu einem Wissen gerechnet werden können oder nicht. Kritisches Die Kriterien werden gewählt, um durch ein Wissen zu ermöglichen, eine individuelle und gemeinschaftliche Lebensordnung zu gestalten. Wissen ist lebensnotwendig, weil es für das Leben und Überleben eines Subjekts in der Welt unverzichtbar ist: zur Bewältigung von Gefahren, zur Sicherung von Lebensgrundlagen und zur Gestaltung einer Leben schützenden Ordnung. Es kann im Gedächtnis gespeichert und erinnert werden. Eine Information über die Umwelt mit Wissen zu bezeichnen hat zur Folge, dass so ein Wissen nicht nur auf viele Arten von Lebewesen zutrifft, sondern auch auf ein Reiz-Reaktions-Schema reduziert werden könnte; wieso sollten die Ergebnisse mit Wissen bezeichnet werden? Auf den Einwand lässt sich erwidern, dass Ergebnisse erst dann Wissen genannt werden, wenn sie das dritte Kriterium eines Bewusstseins und einer Sprache erfüllen. Bewusstsein und Sprache schließen ein Reiz-Reaktions-Schema aus, weil sie einem Subjekt ermöglichen sich von den Ergebnissen zu distanzieren. Widersprechen diese Kriterien eines Wissens der von Damasio genannten Bestimmung, der Wissen als das bezeichnet, was in „dispositionellen Repräsentationen“ im Gehirn abgelegt ist? Sie widersprechen einander nicht, weil ein Wissen nach den hier genannten Kriterien vereinbar bleibt mit einer dispositionellen Repräsentation, d. h. mit bestimmten neuronalen Prozessen im Gehirn, ohne die ein Wissen unvorstellbar wäre. Es gibt Ergebnisse, bei denen es fraglich ist von Wissen zu sprechen. Das ist der Fall bei angeborenen Dispositionen neuronaler Zustände wie z. B. für die Erfüllung eines Schutzbedürfnisses. Damasio nennt solche Zustände „angeborenes Wissen“. Solche dispositionellen Repräsentationen könne man sich vorstellen als überlebensnotwendige biologische Regulationen wie beim Stoffwechsel, bei
III. Wissen aus Ergebnissen der Wahrnehmung und der Emotionen
47
Trieben und Instinkten. Es seien Überlebensdispositionen, weil sie Überleben sichern können durch Kampf- oder Fluchtverhalten; sie helfen dem Organismus, Ereignisse hinsichtlich möglicher Auswirkungen als „gut“ oder „schlecht“ einzustufen. Ob es sinnvoll ist angeborene dispositionelle Repräsentationen als Wissen zu bezeichnen, die keines Bewusstseins bedürfen, erscheint nicht überzeugend, weil sie keine Ergebnisse aus einer Kommunikation mit der Umwelt sind. Sie gehören zu einem Vermögen, Umweltreize zu bewerten. 122 Zusammengefasst Wissen bezeichnet die Ergebnisse aus der Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt. Unberücksichtigt bleibt hier, ob es auch bei anderen Lebewesen eine Art Wissen geben kann. Die Ergebnisse bedürfen der Möglichkeit einer Überprüfung. Sie bedürfen eines Bewusstseins und einer sprachlicher Erfassung als Voraussetzung einer Überprüfung. Ergebnisse eines Menschen, die ein Dritter aus einer Kommunikation mit der Umwelt nicht nachvollziehen und überprüfen kann, können nicht den Anspruch einer allgemeinen Geltung erheben; sie bleiben ein individuelles Wissen. Die hier begründete Beschreibung des Wissens führt zu einem ausgeweiteten Verständnis von Wissen. Es kann ein individuelles oder ein allgemeines sein. Es ermöglicht, Wissensmöglichkeiten der Praxis ebenso einzubeziehen wie das aus körperlichem und aus situativem Erleben. Ob die Ergebnisse aus einer Wahrnehmung und aus Emotionen zu einem Wissen gerechnet werden können, hängt von einer Erfüllung der Kriterien ab. Eine Reflexion bildet neben Wahrnehmen und Emotionen den dritten Zugang zur Umwelt. Auch Reflexion kann zur Quelle eines Wissens werden.
III. Wissen aus Ergebnissen der Wahrnehmung und der Emotionen Lässt sich der Begriff des Wissens sinnvoll auf Ergebnisse aus der Wahrnehmung anwenden? Anhand der drei Kriterien wird jetzt geprüft, ob Ergebnisse aus der Wahrnehmung und der emotionalen Bewertung zu einem Wissen rechnen. Die drei Kriterien sind; − Nicht beliebige Ergebnisse aus der Reizverarbeitung − Bewusstsein und sprachliche Erfassung 122
Damasio (1997), S. 150 f.
48
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
− Überprüfung eines Zutreffens der Ergebnisse Nicht beliebige Ergebnisse aus der Reizverarbeitung Da Wahrnehmung aus einem Kommunikationsprozess des Menschen mit seiner Umwelt, d. h. aus einer Reizverarbeitung hervorgeht, bezieht sich das erste Kriterium auf das Ergebnis. Wissen wird nicht abstrahiert von seinen möglichen Gegenständen betrachtet wie es den oben diskutierten Theorien geschieht, sondern ist bezogen auf ein konkretes hervorgebrachtes Ergebnis. Die Bezogenheit auf ein konkretes Ergebnis hat den Vorteil, dass eine Überprüfung möglich wird ohne sich auf strittige methodische und begriffliche Merkmale einlassen zu müssen. Unterschieden von den oben erwähnten Dispositionen wird ein „erworbenes Wissen“, das zwar ebenfalls auf dispositionellen Repräsentationen in Hirnbereichen beruht, die sich aber von den angeborenen unterscheiden lassen. Ein für uns wichtiges Merkmal des „erworbenen Wissens“ ist die Möglichkeit, es im Gedächtnis zu speichern und es für Denken, Planen und kreative Aktivitäten verwenden zu können. 123 „Erworbenes Wissen“ geht aus Reizen der Umwelt hervor und ist deshalb kein beliebiges; es ist verallgemeinerbar in Bezug auf eine Wiederholung des Wahrnehmungsprozesses. An dem schöpferischen Konstruktionsprozess der Wahrnehmung sind sowohl Reize der Umwelt als auch Einflüsse des Individuums und Art der Lebewesen je nach deren Ausstattung wie Art und Bau der Sinnesorgane, der Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems beteiligt; hinzukommen soziale Verhältnisse und all das, was sich in onto- und phylogenetischer Entwicklung herausgebildet hat. Jedes Individuum und jede Art bildet seinen Wahrnehmungsgegenstand heraus. Entgegen der Auffassung, man könne zwischen den Zutaten von außen und denen des Gehirns nicht unterscheiden, haben sich doch Hinweise auf spezifizierte Reize der Umwelt gezeigt, die erfüllt sein müssen, um eine Wahrnehmung hervorzubringen. Roth hat darauf hingewiesen, dass Wahrnehmungen kein willkürliches Produkt und nicht dem subjektiven Willen unterworfen wären. 124 Differenzierte Umweltreize führen zu bestimmten Wahrnehmungen; sie gehen einer Verarbeitung im Gehirn voraus. Sie sind für ein Wahrnehmungswissen eine unverzichtbare Voraussetzung. Bewusstsein und sprachliche Erfassung Während ein Wahrnehmungsprozess zu Ergebnissen führen kann, ohne sich derer bewusst zu werden, wird ein Mensch erst dann sagen können „ich weiß“, 123 124
Damasio (1997), S. 150 f. Roth (1997), S. 125.
III. Wissen aus Ergebnissen der Wahrnehmung und der Emotionen
49
wenn er sich seiner Wahrnehmung oder seines Gefühls bewusst wird und es in der Sprache ausdrückt. Unbewusstes spielt im Bereich angeborener Reaktionen eine Rolle, ist deshalb aber so lange kein Wissen, bis es in kognitiver Verarbeitung bewusst wird. Die Menschen können sich ihrer Wahrnehmungen und emotionalen Bewertungen bewusst werden; das haben die Neurowissenschaften gezeigt. Erst Bewusstsein und sprachliche Erfassung ermöglichen, planvoll nach unseren Bedürfnissen 125 zu handeln, Erfolge und Misserfolge zu bewerten und sie zur Grundlage erfolgreicher Handlungsstrategien werden zu lassen. Ein ReizReaktionsschema aus einem angeborenen Wissen reicht dazu nicht aus. Auch erworbenes Wissen aus der Wahrnehmung und den Emotionen erfüllt das Kriterium eines Bewusstseins und einer sprachlicher Erfassung. Bei den Emotionen verhält es sich ähnlich. Ploog nennt sie ein Signalsystem unabhängig von der Sprache. 126 Aber eine kognitive Verarbeitung der Reize der Umwelt unabhängig von der körperlichen Reaktion erlaubt, sich hervorgerufener Gefühle bewusst zu werden, sie sprachlich zu beschreiben und ihre Auswirkungen zu reflektieren. Einzuschränken ist allerdings, dass emotionale Zustände möglich sind, die sich nur unzureichend sprachlich erfassen lassen wie z. B. Hintergrundstimmungen ebenso wie ihre Quellen, wie z. B. dann, wenn jemand sagt: „Ich weiß nicht genau, warum ich traurig bin“. Wahrnehmungen und Emotionen als Ausdruck der Bewertungsergebnisse von Wahrnehmungen erfüllen das zweite Kriterium eines Wissens, wenn sich ein Mensch ihrer bewusst wird und sie sprachlich erfasst. Überprüfung des Zutreffens Ein Wissen aus der Wahrnehmung wird oft gekennzeichnet als ein unzuverlässiges Wissen im Sinne von Descartes’ Skeptizismus. Wissen aus der Sinneswahrnehmung biete keine Sicherheit vor Täuschungen. Um aber die Ergebnisse aus den Wahrnehmungen und den Emotionen zu einem Wissen rechnen zu können, bedarf es einer Möglichkeit, zu prüfen, ob sie zutreffen oder nicht. Ein Wissen aus der Wahrnehmung erlangen zu können, wird von den Kritikern zwar nicht bestritten, aber beweisbar sei es nur durch Sinneswahrnehmung, was zu einer Zirkularität führe. 127 Auf den ersten Blick mag die Kritik der Zirkularität zutreffen; sie ist aber das Ergebnis einer reflexiven Betrachtung des Wahrnehmungswissens. Wenn Wahrnehmungswissen als ein eigenständiges Wissen über Gegenstände der Umwelt betrachtet wird, entfällt der Zirkel. Um zu 125 Bedürfnisse werden im Rahmen der Kommunikation eines Menschen mit seiner Umwelt hier beschrieben als das Vermögen, die für Leben und Gedeihen förderlichen materiellen und ideellen Güter anzuzeigen und sind Antriebsmoment zu ihrer Erfüllung. 126 Ploog (1980), S. 8. 127 Hofmann (2002).
50
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
prüfen, ob ein Wissen aus der Wahrnehmung zutrifft oder nicht, bedarf es keines reflexiven Beweises, sondern einer Überprüfung durch die Wahrnehmung selbst. Es ist eine sich selbst genügende Instanz des Zutreffens oder Irrtums. Sinnliche Wahrnehmung ist in der Lage, eine eigene Evidenz und Kraft zu entfalten. 128 Den Ergebnissen aus der Kommunikation mit der Umwelt entsprechend bietet sich hier eine Unterscheidung hinsichtlich ihres Geltungsanspruches an: Ergebnisse aus der Wahrnehmung und den Emotionen werden durch eine Gewissheit charakterisiert, weil es unreflektierte unmittelbare Ergebnisse sind; Ergebnisse aus der Reflexion dagegen durch Wahrheit, weil sie auf Aussagen beruhen, die einer Begründung bedürfen. Weder Ergebnisse aus der Wahrnehmung noch die aus Emotionen lassen sich durch eine rationale Prüfung als wahr oder falsch erweisen. Bei Wahrnehmungen hat Schmitz den Wechsel der Gestalt des gleichen Phänomens beschrieben, wie er am Beispiel des Anblicks einer Tonscherbe zeigt, die sich bei näherem Hinsehen als Speckschwarte entpuppt. 129 Bei näherem Hinsehen hat sich das Wahrgenommene verändert. Die Änderung war aber nicht in das Belieben des Subjekts gestellt. Auch Einflüsse aus subjektiven Bedingungen schließen Veränderungen des Wahrgenommenen nicht aus; sie erlauben aber auch kein beliebiges Wahrnehmungsergebnis. Biologische Ausstattung, Erfahrung, Gedächtnis, Lernfähigkeiten usw. können die Gewissheit der Wahrnehmung beeinträchtigen, wie z. B. Farbenblindheit. Wenn aber Farbenblindheit auftritt, lässt sie sich als Mangel bemerken. Ähnlich verhält es sich bei Emotionen, weil ihre Reize der Umwelt ähnlich denen der Wahrnehmung verarbeitet werden und einerseits ähnlichen Täuschungsmöglichkeiten unterliegen, andererseits aber auch auf einen Reiz verweisen, der keine beliebigen Emotionen erlaubt. Der Nonkognitivismus z. B. anerkennt Emotionen als eine Sphäre der Werte, akzeptiert aber nicht ihre Geltung als Urteile, weil sie nicht als wahr oder falsch erweisbar sind. In dieser Kritik zeigt sich, dass keine eigene Wissensbegründung, sondern nur eine aus der Reflexion entliehene zugestanden wurde. Wahrnehmungen und Emotionen genügen einer Evidenz; sie sind eine sich selbst genügende Instanz des Zutreffens oder Irrtums. Um zu prüfen, ob ein Wissen aus der Wahrnehmung zutrifft oder nicht, bedarf es keines reflexiven Beweises sondern einer Überprüfung durch die Wahrnehmung selbst. Emotionale Bewertungen bedürfen keines Beweises ihrer Geltung sondern sie müssen sich zur Erfüllung der Bedürfnisse des Individuums bewähren. Was würde ihr Geltungsanspruch wert sein, wenn sich einem Individuum seine emotionale Bewertung einer Bedrohung nicht bewährt und es deshalb keine erfolg128 129
Schantz (1998). Schmitz (1978), S. 149.
III. Wissen aus Ergebnissen der Wahrnehmung und der Emotionen
51
reiche Handlungsentscheidung trifft. Irrtümer sind nicht ausgeschlossen wie das Beispiel der Speckschwarte oder ein Verkennen bedrohlicher Gefahren zeigt. Aber ein Argument für seine Verlässlichkeit ist das Ergebnis. Hierbei geht es nicht um Wahrheit, sondern um ein Zutreffen des Ergebnisses und bezüglich der emotionalen Bewertung um eine Bewährung für das Leben eines Subjekts in seiner Umwelt. Ein Mensch bedarf der Wahrnehmung und ihre emotionale Bewertung, um z. B. Feinde zu erkennen, um Nahrung zu finden, um sich fortzupflanzen und um sich wohl zu fühlen; verallgemeinert dient es dem Lebewesen zur Orientierung in der Umwelt, zum „Zwecke des biologischen Überlebens“ wie es Roth nennt. 130 Beispiele für ein Wissen aus der Wahrnehmung sind Bilder wie Ultraschallbilder oder die aus Bild gebenden Verfahren zur Sichtbarmachung neuronaler Aktivitäten im Gehirn. Hinter all den Bildern stehen zwar Theorien ihrer Entstehung und Interpretation; aber das Wissen entsteht aus Bildern, die betrachtet werden müssen, um wissen zu können. Wahrnehmungen und Emotionen bedürfen keiner weiteren Kriterien aus einer reflexiven Betrachtung wie z. B. einer Zielsetzung oder Methoden. Einem Emotionswissen wird eher durch eine wissenschaftliche Betrachtung seine unmittelbar präsente Bewertungskraft genommen. „Wo es vernichtend brennt, ist der Notruf kein Gegenstand linguistischer Analyse; und wo er linguistisch bestimmbar wird, brennt es nicht“. 131 Das Wahrnehmungswissen aus den akustischen Signalen erhält erst aus dem bewertenden Emotionswissen der Not seine entscheidende Aussagekraft, die das Gefühl der Angst des Rufers und dessen Hilfsbedürftigkeit ausdrückt und dem Hörer des Notrufs durch Empathie die Angst übermittelt. Wenn dieses Emotionswissen zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung gemacht wird, verliert es seine unmittelbar präsente bewertende Kraft. Eine Reflexion mag den Notruf durch erläuternde, allgemein zutreffende Aussagen erklären können; für einen den Notruf unmittelbar wahrnehmenden Menschen spielen diese Aussagen keine Rolle; für diesen tritt eine Evidenz sinnlicher Wahrnehmung und Emotion hervor. Während ein Reflexionswissen eine Überprüfbarkeit seiner Wahrheit aus Gründen verlangt, ist es bei Wahrnehmungen und Emotionen eine Gewissheit der Bewährung. Wissen aus der Wahrnehmung ist ein subjektives Wissen. Aber nachgewiesene Ergebnisse innerhalb z. B. der Gattung Mensch im Unterschied zu Lebewesen mit anderen Ausstattungen lassen zu, Wahrnehmungsergebnisse aus der Reizverarbeitung als zutreffend oder unzutreffend zu verallgemeinern. Eine Verallgemeinerung emotionaler Bewertungen lässt sich aus dem Kriterium der Bedürfnisse einsehen. 130 131
Roth (1997), S. 86 f. Wucherer-Huldenfeld, S. 57.
52
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
Zusammengefasst Die Ergebnisse aus der Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt lassen sich als Wissen bezeichnen, weil sich der Mensch seiner Wahrnehmungen und seiner emotionalen Bewertungen bewusst werden kann und in der Lage ist, sie sprachlich auszudrücken. Ein Zutreffen lässt sich an ihren Ergebnissen aus der Kommunikation mit der Umwelt nachprüfen. Die Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: − Wissen bezieht sich auf einen Gegenstand hervorgegangen aus Reizen der Umwelt. Der Gegenstand kann durch Wahrnehmung hervorgebracht werden, sich auf Emotionen beziehen oder Gegenstand der Reflexion sein. − Wissen aus der Kommunikation ist ein subjektives, das sich verallgemeinern lässt. − Wissen kann selbst zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden und sich befragen lassen, − Wissen muss überprüfbar sein, ob es zutrifft. − Eine Überprüfung der Wahrnehmungsergebnisse kann durch eine Wiederholung des Wahrnehmungsprozesses der Ersten oder Dritten Person erfolgen. − Es gibt Wissen, das Aspekte seines Gegenstandes vermittelt. − Instanz einer Rechtfertigung des Wissens sind die Reize der Umwelt. − Eine Überprüfung der Ergebnisse setzt voraus, dass man sich ihrer bewusst ist und sie sprachlich erfasst. Als Folge einer Anerkennung der Ergebnisse aus der Wahrnehmung und der emotionalen Bewertung als ein Wissen entfallen nicht nur die oben behandelten Definitionsentwürfe für Wissen, sondern es wird deutlich, dass unterschiedliche Arten des Wissens aus der Reizverarbeitung der Umwelt hervorgehen. Inwiefern Ergebnisse aus der Reflexion die Kriterien eines Wissens erfüllen, wird im folgenden Abschnitt behandelt.
IV. Wissen aus einer Reflexion des Wahrgenommenen Was ist Reflexion? Zu einem Wissen über die Umwelt gehört auch das aus der Reflexion. Aus historischer Sicht wurden mit dem Begriff Reflexion bis in die Gegenwart hinein zwei unterschiedliche Inhalte verbunden: Einmal ist es ein Rückgang auf die menschliche Geistestätigkeit hinsichtlich einer gesicherten Erkenntnis und das andere Mal ist es die nachdenkende Betrachtung eines Erfahrungsgegenstandes. Da es hier um das Wissen eines Menschen über seine Umwelt geht, wird
IV. Wissen aus einer Reflexion des Wahrgenommenen
53
Reflexion als nachdenkende Betrachtung eines Wahrnehmungsgegenstandes verstanden. Es geht dabei um ein forschendes Wissen über diesen. Reflexion ist eine geistige Tätigkeit, die nicht immer dem Willen unterliegt, sondern häufig unabhängig von einem Willensakt stattfindet. Man beobachtet z. B., dass einem Gedanken im Kopf herumgehen und man an etwas denkt, obgleich man es nicht will; man möchte manchmal etwas denken und findet nach kurzer Zeit, dass die Gedanken abschweifen. Reflexion ereignet sich dann wie atmen oder fühlen. Willentlich dagegen kann sie aus vielerlei Motiven entstehen wie z. B. aus Neugierde, um Zusammenhänge herauszufinden; aus Ungewissheit über dasjenige, was man tun soll; oder aus Motiven der Selbsterhaltung in Not und Gefahr. Reflexion setzt ein Vorwissen voraus. Das kann ein Wissen aus der Wahrnehmung, aus den Emotionen oder aus der Reflexion sein. Die Naturwissenschaft betrachtet Wahrnehmungswissen; die Psychiatrie befasst sich u. a. mit den Emotionen; Reflexion kann aber auch das Reflexionswissen selbst zum Gegenstand der Betrachtung machen, wie es z. B. in der Wissenschaftstheorie geschieht. Es ist nicht nur ein Vorwissen erforderlich sondern auch ein Wissen zur Rechtfertigung eines Reflexionsergebnisses wie z. B. eine Bestätigung aus der Wahrnehmung. In den Bild gebenden Verfahren zur Sichtbarmachung neuronaler Prozesse sind es Bilder, die einen Zusammenhang zwischen Sinnesaktivitäten und neuronalen Verarbeitungsbereich zeigen. Während ein Wissen aus der Wahrnehmung und aus den Emotionen unmittelbar präsent ist, distanziert sich ein Subjekt durch eine Reflexion von dem Vorwissen. Erst eine Distanzierung ermöglicht eine Befragung des Gegenstandes aus dem Vorwissen bzw. dessen Betrachtung unter bestimmten Hinsichten. Eine Distanzierung von Handlungsorientierungen aus emotionaler Bewertung erlaubt abzuwägen welcher der Möglichkeiten man folgen möchte. Einzelheiten dazu finden sich im Abschn. G. Aus einer Reflexion kann das Wissen von einem Einzelnen hervorgehen, wie z. B. bei der Frage nach den Ursachen eines bestimmten Ereignisses; oder Reflexion abstrahiert von dem einzelnen Gegenstand insofern als sie nach allgemein gültigen Aussagen fragt, die auf diesen Gegenstand zutreffen, wann und wo er auch immer wiederholt auftritt. Beide Betrachtungen fragen nach Erklärungen und nach Beziehungen zu anderen Wahrnehmungsgegenständen; dabei kann es ein Ziel sein, Wahrnehmungswissen zusammenzuordnen, zu zerlegen, zu präparieren, Zwecken zu unterworfen oder Einzelnes auf seine Wiederholbarkeit in der Wahrnehmung zu prüfen. Die Reflexion bringt der Wahrnehmung unzugängliche Erkenntnisse hervor, deren Ergebnisse sich in Begriffen, Aussagen und Theorien oder in einer Geschichte, die erzählt wird, zeigen. Eine systematische Art der Reflexion nach bestimmten Kriterien findet sich in den Wissenschaften, deren
54
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
wichtigstes Kriterium eine Begründung des Wissens verlangt, ob empirisch oder unter Verweis auf anderes Wissen wie in den Geisteswissenschaften 132. Sind die Ergebnisse aus der Reflexion ein Wissen? Bezieht sich Reflexion immer auf Umweltreize aus einem Kommunikationsprozess? Das ist der Fall, weil Reflexion ein Vorwissen voraussetzt und Vorwissen Ergebnisse aus einem Kommunikationsprozess enthält – entweder aus denen der Wahrnehmung, der emotionalen Bewertung oder aus der Reflexion, die ihrerseits Wahrnehmungswissen enthält. Reflexion über einen Gegenstand ohne Wahrnehmungsgehalt ist leer. Selbst dann wenn Reflexion von einem einzelnen Wahrgenommenen abstrahiert, bleibt eine bestimmte Perspektive des Wahrgenommenen erhalten, nämlich die nach in der Reflexion gefragt wird. Das erste Kriterium ist erfüllt. Reflexion bedarf des Bewusstseins. 133 Eine Reflexion ohne Bewusstsein und sprachliche Erfassung dessen, was man betrachten will und wonach man fragt, macht keinen Sinn. Deshalb ist auch das zweite Kriterium eines Wissens erfüllt. Reflexionswissen bedarf immer der Sprache. Sie ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein Reflexionswissen. Sprache fördert zwar geistige Leistungen, begriffliches Denken und Abstraktion 134, sie lässt aber keine Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen zu, weil sie in beiden Arten des Wissens vorkommt: Im Wahrnehmungswissen wird sie nicht zwingend, aber normalerweise verwendet; im Reflexionswissen dagegen immer. Das zentrale Kriterium für ein Wissen aus der Reflexion und Gegenstand strittiger Auseinandersetzungen ist das einer Rechtfertigung bzw. einer Begründung der Ergebnisse. Reflexionsergebnisse gehen auf ein Urteil zurück, das wahr oder falsch sein kann und einer Rechtfertigung bedarf. Da sich gezeigt hatte, dass sich Reflexionsresultate auf Ergebnisse aus der Kommunikation eines Menschen mit seiner Umwelt beziehen, wird geprüft, ob sich die Rechtfertigung aus den Kommunikationsergebnissen herleiten lässt wie bei der Wahrnehmung und der emotionalen Bewertung? Unterschieden werden empirische Rechtfertigungen einer Aussage von epistemischen Rechtfertigungen. Die empirische Überprüfung geschieht durch Wahr132 Anstelle des Begriffs der Geisteswissenschaften findet sich heute oft der Begriff Kulturwissenschaften, entstanden aus einer Erweiterung der ursprünglichen Geisteswissenschaften um neue Bereiche wie Politische Ökonomie, Politikwissenschaft und Soziologie. 133 Dörner, (S. 147 ff.) beschreibt eine Beziehung zwischen Reflexion und Bewusstsein; er nennt es die Fähigkeit eines Systems, seine eigenen inneren Abläufe zu betrachten und zu bewerten. 134 Maturana (1987, S. 300) meint, Sprache sei die Möglichkeit zur Reflexion; s. auch zur Bedeutung der Sprache Roth (1997, S. 77) und Kandel / Schwartz (1995, S. 649).
IV. Wissen aus einer Reflexion des Wahrgenommenen
55
nehmung; überprüfen lässt sich das Ergebnis aus der Kommunikation mit der Umwelt und das sind hier das experimentelle Ergebnis oder Einflüsse aus den Quellen, auf die sich geisteswissenschaftliche Aussagen stützen. Die epistemische, von einer Erfahrung unabhängige Überprüfung geht von Voraussetzungen aus, die Wahrnehmungswissen enthalten wie z. B. Axiome in der Geometrie oder Semantik einer logischen Sprache. Ein Beispiel ist der Begründungszusammenhang für folgendes Reflexionsergebnis: Ethik lässt sich aus einem Lebensinteresse der Menschen herleiten. Vorausgesetzt wird ein Lebensinteresse. Die epistemische Begründung folgt aus nachprüfbaren Einsichten, die sich aus einem Lebensinteresse ergeben, denen jeder Mensch wird zustimmen können: − Jeder Mensch lebt in seiner Umwelt unter Menschen; wenn er als Eremit lebt, bedarf er keiner Ethik − Handeln anderer Menschen und das eigene Handeln lassen sich bewerten − Wenn er nicht in der Lage wäre Gefahren zu erkennen, könnte er nicht überleben − Unter der Voraussetzung eines Lebensinteresses hat jeder Mensch moralische Bedürfnisse, d. h. er wünscht sich die emotionalen Handlungsbewertungen, die sein Gedeihen fördern − Jeder Mensch verfügt über die Möglichkeit, sein Handeln aus Vernunft zu bedenken, die eigenen Interessen zu verfolgen und Nachteile und Rückwirkungen seines Handelns zu erkennen Eine Überprüfung erfolgt hier aus Einsichten, die sich auf die Bewertung der Umwelt stützen, nämlich die Bewertung des Handelns Dritter und auf die Bewertung von Rückwirkungen des eigenen Handelns auf Dritte. Ergebnisse aus der Reflexion erfüllen alle drei Kriterien eines Wissens durch ihren Bezug auf Umweltreize, durch Bewußtsein und sprachliche Erfassung und durch eine Überprüfung ob es zutrifft oder nicht. Eine Begründung eines Ergebnisses aus der Reflexion stützt sich immer auf ein Allgemeines, das sich auf Wahrnehmung bezieht. 135 Lässt sich ein Wissen aus der Reflexion von dem aus der Wahrnehmung und den Emotionen unterscheiden? Es wurde oben darauf hingewiesen, dass es in gegenwärtigen Erkenntnistheorien dazu Ansätze gibt, so bei dem Realisten Strawson, bei Phänomenologen wie Piaget und Schmitz und bei Konstruktivisten wie Glasersfeld. Letzterer spricht von einer Reflexion der Erfahrung als Operationen des Geistes; er erläutert deren Abstrahierung und Verallgemeinerung durch zwei Merkmale: empirisch wiederkehrende Vorkommnisse und eine konstruktive Herausbildung von Erfahrungselementen. Berücksichtigt man, dass sich Erfahrung 135 Hübner, Kurt (1978, S. 308 ff.) beschreibt den Charakter des Allgemeinen zur Erklärung des Einzelnen sowohl in den Natur- wie in den Geisteswissenschaften.
56
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
auf Wahrnehmungswissen stützt, dann wird hier nicht nur eine Unterscheidung des Wahrnehmungswissens von einem Reflexionswissen deutlich, sondern in dem Konstruktionsprozess auch eine Gegenüberstellung von Einzelnem aus dem Wahrnehmungswissen und Allgemeinem aus der Reflexion. 136 Ähnlich wie Wahrnehmungs- und Emotionswissen lässt sich Reflexionswissen als dritte Möglichkeit eines Wissens über die Umwelt aus den Neurowissenschaften nachweisen. Kandel verweist auf Experimente, die mit Hilfe besonderer Techniken die Hirnbereiche sichtbar machen, die an der Erkennung geschriebener und gesprochener Wörter beteiligt sind. Lesen und Hören, Sprechen und Denken eines Wortes aktivieren jeweils nach Lage und Umfang unterschiedliche Bereiche. Aus Abbildungen nach der PET Methode (Positronen-EmissionsTomographie) 137 treten vier Hirnbereiche deutlich sichtbar hervor, die durch die vier Tätigkeiten Sehen, Hören, Sprechen und Denken eines Wortes aktiviert werden. Kandel erläutert, dass das Lesen eines einzelnen Wortes eine Aktivität im primären visuellen Cortex hervorruft; das Hören aktiviert eine andere Gruppe von Arealen; das Artikulieren eines Wortes zusätzlich das motorische Sprachzentrum; Denkvorgänge wie das Analysieren der Bedeutung eines Wortes aktivieren den frontalen Cortex. Hierzu waren die Versuchspersonen aufgefordert worden, auf das Wort „Gehirn“ mit einem passenden Verb zu antworten. Die Suche nach diesem Wort hat weder etwas zu tun mit Wahrnehmung noch mit Emotion, sondern mit einer nachdenkenden Betrachtung des Wortes „Gehirn“ und darüber, was es vermittelt. Auffallend groß und deutlich unterschieden ist der während des Denkens aktivierte Bereich im frontalen Cortex. 138 Es sind nicht nur unterschiedliche Gehirnorte, sondern auch neuronale Prozesse, durch die ein Wissen aus der Reflexion unterscheidbar wird von einem Wissen aus Wahrnehmung bzw. Emotion. Kandel erläutert am Beispiel der visuellen Wahrnehmung die Abstraktionsfähigkeit auf einer jeweils höheren Stufe der neuronalen Verschaltungen. 139 Köck weist darauf hin, dass das Nervensystem eine Zusammenschaltung organismischer Teilsysteme und dadurch einen Prozess der Bildung übergeordneter Klassen von Interaktionen und damit „die interne Kurzschließung von ursprünglich umweltbedingten und umweltabhän136
Auch Schmitz (S. 62, 227) setzt sich mit dem Phänomen Wahrnehmung auseinander; Unterscheidungen der beiden Arten des Wissens finden sich auch bei Merleau-Ponty (S. 44); bei den Konstruktivisten: Maturana (1982), S. 54; Janich (1996), S. 172; Glasersfeld (1996), S. 153. 137 Das Verfahren misst Veränderungen des regionalen Blutflusses im Gehirn als Funktion kognitiver Prozesse. Es gibt inzwischen modernere Verfahren wie z. B. die Magnetresonanz-Tomographie; sie beruht auf der Anwendung von Radiofrequenzsignalen und Magnetfeldern, die bei einer vorausgegangenen Denkleistung Änderungen im Hirngewebe sichtbar machen; vgl. Frahm, S. 55 ff. 138 Kandel / Schwartz, S. 17, Abb. 1.9 A-D. 139 Ebd. S. 444.
IV. Wissen aus einer Reflexion des Wahrgenommenen
57
gigen Interaktionen: ‚Bewusstsein‘ bzw. ‚Denken‘“ ermögliche 140. Denken und Reflexion werden hier nicht unterschieden. Nachdenkende Betrachtung aktiviert andere neuronale Vernetzungen und andere Areale im Gehirn als Wahrnehmen und Fühlen. 141 Diese neuronalen Prozesse sind aber weder vollständig erforscht, noch erlauben die Ergebnisse, dass geistige Aktivitäten in ihren vielfältigen Ausprägungen wie Vorstellungen haben, erinnern, kombinieren, urteilen, lernen, abstrahieren usw. auf abgegrenzte neuronale Vernetzungen und Areale reduziert werden können. Was sich aber zeigen lässt ist, dass bestimmte Areale z. B. im frontalen Cortex immer dann aktiviert werden, wenn Reflexion stattfindet, und es sind andere neuronale Aktivitäten als beim Wahrnehmen und Fühlen. Warum spielt die Unterscheidung hier eine Rolle? Vor allem, um zu zeigen, dass Wahrnehmen, Fühlen und Reflektieren ein unterschiedliches je eigentümliches Wissen über die Umwelt hervorbringen. Reflektieren über Wahrgenommenes erfasst dessen befragte Aspekte; seine Ergebnisse sind nicht auf die Ergebnisse aus der Wahrnehmung reduzierbar. Wahrnehmen dagegen umfasst die Vielfalt seines Gegenstandes, ohne auf bestimmte Hinsichten eingegrenzt zu sein oder überhaupt vom Einzelnen zu abstrahieren. Emotionales – und das wird im folgenden Abschnitt ausführlich behandelt – bewertet den Wahrnehmungsgegenstand hinsichtlich der Bedürfnisse des Individuums; Reflexion ist also eine dritte von den beiden vorhergehenden verschiedene Information über die Umwelt. 142 Eine Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen ergibt sich nicht nur aus den Hirnprozessen sondern auch aus der Eigentümlichkeit des Gewussten. Ein bekanntes Beispiel findet sich in Augustins Confessiones, wo es heißt: „Quid est ergo tempus? Si nemo ex me quaerat, scio; si quaerenti explicare velim, nescio.“ 143 Das Zitat zeigt nicht nur die zwei Möglichkeiten des Wissens, nämlich das der unreflektierten Wahrnehmung und das andere als Ergebnis einer Frage, die zur Reflexion veranlasst, sondern auch, dass ein Wissen aus der Wahrnehmung nicht so einfach durch Reflexion mit Hilfe von Begriffen zu erfassen ist. Dass Begriffe nicht all das zum Ausdruck bringen können, was die Wahrnehmung präsentiert, ist dasjenige, was Augustins Nichtwissen ausmacht. Wie ein Begriff beschaffen sein muss, um eine Erklärung leisten können und woher man 140
Köck (1987), S. 364. Ausführliche Untersuchungen finden sich bei Kandel / Schwartz, S. 444 und Roth (2001), S. 174 ff.; neueste Ergebnisse der Neurowissenschaften bestätigen eine Unterscheidung zwischen Wahrnehmen und begrifflicher Erkenntnis s. Kiefer (2008) u. Bedny (2008). 142 Eine ausführliche Untersuchung über die Arten des Wissens auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Ergebnisse s. Kolster (2003), S. 55 f. 143 Augustinus, (Confessiones XI. Buch, 14,17, S. 628 f.): Was ist also Zeit; wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht. 141
58
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
überhaupt wissen kann, dass diese und jene Begriffe und Aussagen das Wahrnehmungswissen erklären können, ist von der Wissenschaftstheorie immer wieder untersucht worden. 144 Das aus der Wahrnehmung Gewusste und das aus der Reflexion Gewusste zeigen sich als Verschiedenes, wobei sich Reflexionswissen auf Wahrnehmungswissen stützt. Die Einteilung in die drei Arten des Wissens ist selbst das Ergebnis einer Reflexion. In der Begründung der Einteilung handelt es sich aber um keinen Zirkel, weil die Unterscheidung der Möglichkeiten des Wissens mit Hilfe der Ergebnisse aus den Neurowissenschaften nicht erklärt, sondern die Ergebnisse als notwendige Bedingungen für ein Wissen gezeigt werden. Wenn z. B. ein bestimmter Gehirnort als notwendige Bedingung ausfällt, dann fällt damit die Möglichkeit des entsprechenden Wissens aus. Merkmale des Reflexionswissens Aus einer Reflexion kann entweder das Wissen von einem Einzelnen hervorgehen, wie in den Geisteswissenschaften bei der Frage nach den Ursachen eines bestimmten Ereignisses; oder Reflexion abstrahiert von dem einzelnen Gegenstand fragt nach allgemein gültigen Aussagen, die auf mehrere Einzelgegenstände zutreffen und die Voraussagen erlauben wie in den Naturwissenschaften. Beide Betrachtungen fragen nach Erklärungen und nach Beziehungen zu anderen Wahrnehmungsgegenständen; dabei kann es ein Ziel sein, Wahrnehmungswissen zusammenzuordnen, zu zerlegen, zu präparieren, Zwecken zu unterwerfen oder Einzelnes auf seine Wiederholbarkeit in der Wahrnehmung zu prüfen. Die Reflexion bringt einer Wahrnehmung unzugängliche Erkenntnisse hervor, die sich in Begriffen, Aussagen und Theorien oder in einer Geschichte, die erzählt wird, zeigen. Eine systematische Betrachtung der Reflexion nach bestimmten Kriterien findet sich in den Wissenschaften, die im Abschn. E behandelt werden. Ähnlich wie bei der Reflexion eines Wahrnehmungswissens verhält es sich mit einer Reflexion eines Emotionswissens. Das Vorwissen umfasst Gefühle wie z. B. Angst. Eine Reflexion kann Angst, die in einer bestimmten Situation auftritt, befragen nach Ursachen; sie ermöglicht Handlungsorientierungen, die sich aus der emotionalen Bewertung einer Situation ergeben, nicht blindlings zu folgen, sondern ihre Rückwirkungen zu überlegen wie auch Alternativen zu betrachten. Wer z. B. so starke Flugangst hat, dass er jeden Flug vermeiden möchte, kann durch Überlegungen hinsichtlich der Ursachen dieser Angst und durch eine Abschätzung der mit dem Flug verbundenen Gefahren lernen besser mit ihr umgehen und vielleicht doch einen Flug zu wagen. Anstatt Emotionsergebnisse aus dem Wissen zu verbannen, wie es in einer objektivistisch geprägten Naturwis144
Deppert (1981) untersucht die metaphysischen Annahmen der wissenschaftstheoretischen Entwürfe des logischen Positivismus, des kritischen Rationalismus und des Konstruktivismus.
V. Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens
59
senschaft geschieht, ist ihre Einbeziehung verbunden mit ihrer Reflexion einer Erkenntnis angemessener. 145 Reflexionswissen kann selbst zum Gegenstand einer Reflexion werden, um z. B. ihre Ergebnisse in größere Zusammenhänge einzuordnen oder um nach einer gemeinsamen Erklärung zu suchen wie z. B. zwischen Himmelskörperbewegungen und ihrer Massenanziehung. Es können aber auch umgekehrt zwei allgemeine Aussagen aus Gründen ihrer Unvereinbarkeit zu Reflexionen führen, die nach ihrer Verträglichkeit miteinander suchen, wie z. B. in der Quantenphysik die Diskrepanz zwischen der empirischen Unbestimmtheit eines Quantenzustands und einer empirisch strukturierten wahrgenommenen Wirklichkeit. Eine Reflexion eines Reflexionswissens, die nach dessen Rechtfertigung überhaupt fragt, findet sich in der Wissenschaftstheorie: Wenn man von dem Wissen einer bestimmten historischen Situation abstrahierend fragt, wie man Geschichte wissen kann und wie dieses Wissen zu rechtfertigen ist, entstehen aus solchen Reflexionen erkenntnistheoretische Überlegungen zur Geschichtswissenschaft. Hierher gehören auch Fragen, die entstehen, wenn Denken sich selbst zum Gegenstand des Denkens macht und nach seinen Gesetzmäßigkeiten fragt. Weil sich Reflexion auf einen Gegenstand bezieht, der aus der Wahrnehmung, aus einer Emotion oder aus der Reflexion selbst hervorgeht, finden sich in ihren Ergebnissen Einflüsse aus den Reizen der Umwelt. Das Wahrnehmungswissen, Emotionswissen und Reflexionswissen ergänzen sich hinsichtlich ihres Eigentümlichen, das sie vermitteln. Wahrnehmungswissen eröffnet eine Vielfalt von Merkmalen des Wahrnehmungsgegenstandes. Das Emotionswissen prägt die Aspekte des Erlebens und der Gefühle, die sich auf eine Bewertung des Wahrgenommenen durch das Subjekt auswirken und auf dessen Handeln und Verhalten Einfluss nehmen. Das Reflexionswissen schließlich hebt Aspekte bezüglich des Wahrgenommen hervor, stellt Zusammenhänge mit anderem Wahrgenommen her und führt zu einem entsprechend der Fragestellung spezialisierten Wissen über das Wahrgenommene. Die Bedeutung des Wahrnehmungswissens unter den drei Arten wird im Folgenden behandelt.
V. Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens Aus den vorangegangenen Untersuchungen über die Verarbeitungsprozesse der Reize zu einem Wissen über die Umwelt hatten sich drei unterschiedliche Arten des Wissens und ihre charakteristischen Merkmale ergeben. Das dem 145 Zu einer Kritik an einer Naturwissenschaft, die das Subjektive der Emotionen aus ihrem Erkenntnisideal ausschließt, vgl. Schrödinger (1989), S. 96 u. Kather, S. 266 ff.
60
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
Wahrnehmungswissen Eigentümliche ist die Herausbildung des Wahrnehmungsgegenstandes als unmittelbar präsentes Einzelnes; Wahrnehmung vermittelt eine Vielfalt ihres Gegenstandes ohne Eingrenzung auf bestimmte Aspekte. Das dem Wissen aus Emotionen Eigentümliche ist die Bewertung der Wahrnehmung, die für eine Selbsterhaltung des Individuums unverzichtbar ist. Das Eigentümliche des Reflexionswissens sind allgemein gültige Aussagen und Zusammenhänge von Aussagen über Wahrgenommenes und Emotionen; Reflexionswissen eröffnet Beziehungen zu anderem Wahrnehmungswissen, fördert gegenseitige Einflüsse zutage, erlaubt gezielte Zwecke zu verfolgen und kann Zusammenhänge aufdecken, die einem Wahrnehmungs- und Emotionswissen verborgen bleiben. Der Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen, der dadurch entsteht, dass Wahrnehmungswissen seinen Gegenstand als Ganzes vermittelt, während sich Reflexion Aspekten zuwendet und infolgedessen nicht das Ganze des Wahrnehmungsgegenstandes erfassen kann, zeigt folgendes Beispiel: kommt es einem Forscher bei der Untersuchung eines Gesichtes nur auf dessen physiologische Proportionen für Rassenstudien an, wird er aus dem wahrgenommenen Gesichtsausdrucks nur ausgewählte Aspekte berücksichtigen; seine Aussagen über das Gesicht unterscheiden sich von der Wahrnehmung einer Vielfalt dieses einzelnen Menschen. Ein Emotionswissen zeigt seine Eigenständigkeit durch seine Möglichkeit einer Bewertung von Wahrnehmungen, die von der Wahrnehmung selbst und einer Reflexion nicht geleistet werden können. Damasio berichtet von einer Möglichkeit, den für ein Gefühl charakteristischen Körperzustand, hervorgerufen von dem autonomen Nervensystem, messbar zu machen. Es handelt sich um eine Hautleitfähigkeitsreaktion, wie sie auch bei Lügendetektoren verwendet wird. Sie beruht auf dem Nachweis bestimmter Hautreaktionen, die bei äußeren Reizen als körperliche Merkmale von Emotionen auftreten. 146 Wenn sich ein Körper nach einem Wahrnehmungsinhalt zu verändern beginnt und ein bestimmtes Gefühl eintritt, lässt sich an der Hautoberfläche die Reaktion eines veränderten elektrischen Hautwiderstandes messen, der sich aus einer Flüssigkeitsabsonderung ergibt. Auf einen bestimmten Wahrnehmungsinhalt, z. B. Bilder mit schrecklichen Szenen von körperlichen Schmerzen, lässt sich die emotionale Reaktion des Körpers nachweisen, und zwar von gleicher Intensität bei mehreren Versuchspersonen. Umgekehrt konnten Patienten mit einer Hirnverletzung der Stirnlappen die Bilder zwar beschreiben, zeigten aber keine Hautleitfähigkeitsreaktion; ihnen fehlte die Körperreaktion, hervorgerufen von Gefühlen. Ein Bildinhalt lässt sich wahrnehmen; unabhängig davon lässt sich der Bildinhalt bewerten, was zeigt, dass Informationen aus der Wahrnehmung und deren Bewertung aus Emotionen ein Wissen unterschiedlicher Art ist.
146
Damasio (1997), S. 281 ff.
V. Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens
61
Warum spielt die Unterscheidung hier eine Rolle? Vor allem um zu zeigen, dass Wahrnehmen, Fühlen und Reflektieren ein den drei Arten eigentümliches Wissen über die Umwelt hervorbringen. Das eigentümliche Wissen der drei Arten lässt sich nicht nur inhaltlich voneinander unterscheiden sondern durch seine neuronalen Prozesse, die auf seine Eigenständigkeit hindeuten. Hinsichtlich seiner Eigenständigkeit ist zu klären, ob sich die Arten gegenseitig ergänzen, ob sie miteinander konkurrieren oder ob eine Art die andere vereinnahmen kann. Abhängigkeit Es gibt eine Abhängigkeit der Emotionen von der Wahrnehmung wie das obige Beispiel zeigt. Und es gibt eine Abhängigkeit der Reflexion von der Wahrnehmung. Der Wahrnehmungsgegenstand wird vorausgesetzt. Die Frage z. B.: wie groß ist die Entfernung zu diesem Stern? Sie setzt die Wahrnehmung des Sternes voraus. Eine Antwort geht aber über ein Wahrnehmungswissen hinaus; sie erfordert eine Beziehung zu anderen Wahrnehmungen wie z. B. zu einem Entfernungsmaßstab; dieser mag aus einem Vergleich miteiner anderen Entfernung entnommen werden. Die Herstellung solcher Beziehungen ist eine Leistung, die eine Wahrnehmung nicht leisten kann. Nur Wahrnehmung ist von den beiden anderen Arten unabhängig, was auf ihre grundlegende Bedeutung für ein Wissen über die Umwelt hinweist. Ergänzung Die gemeinsame Grundlage der drei Arten sind die Reize der Umwelt. Die drei Arten treten nicht unvermittelt nebeneinander auf sondern sind in Bezug auf ihren gemeinsamen Gegenstand miteinander verbunden zur Erfüllung der Bedürfnisse des Menschen in seiner Umwelt. Seinen Bedürfnissen des Überlebens und Gedeihens dient die Orientierung aus der Wahrnehmung, deren emotionale Bewertung für ein sinnvolles Handeln und eine Reflexion über den Gegenstand einer Erschließung seiner Zusammenhänge, orientiert an Zwecken aus den Bedürfnissen. Wissen lässt sich als Ergebnis eines Prozesses beschreiben. Das Wissen aus der Wahrnehmung erweist sich als ein unmittelbares zur Orientierung des Subjektes in seiner Umwelt. Das aus den Emotionen ist unverzichtbar für die Bewertung der Wahrnehmungen hinsichtlich eines Handelns und Verhaltens. Da ein Wissen aus nachdenkender Betrachtung Gegenstände der Wahrnehmung oder der Emotionen reflektiert, ist auch hier Wissen aus der Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt Grundlage des Wissens. Eine Ausformung dieses reflektierten Wissens hängt von den Voraussetzungen und Annahmen ab, unter denen die Gegenstände betrachtet werden. Meyer-Abich hat diesen Zusammenhang in Anlehnung an Kant so ausgedrückt: „Vernunft ohne Sinnen- und Gefühlsgehalt ist leer, Sinne und Gefühle
62
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
ohne Vernunft sind blind. Die Vernunft denkt Sinnen- und Gefühlsgegebenes, dieses ist ihr Inhalt; darin kann sie einseitig werden, wenn sie sich nur von verborgenen Gefühlen leiten lässt. [...] Umgekehrt aber sind Sinne und Gefühle bei weitem nicht alles, denn sie müssen von der Vernunft ausgesetzt und bedacht werden.“ 147 Obgleich Sinne, Gefühle und Denken als unterschiedliche und wichtige Quellen des Wissens hier betont werden, erhalten sie in MeyerAbichs Aussage noch keinen selbständigen Rang eines Wissens, auf den es aber ankommt, um die Verarbeitung der Reize aus differenzierten Quellen der Umwelt sichtbar werden zu lassen. Zur Geltung kommt aber in Meyer-Abichs Betrachtung die Zusammengehörigkeit von Wahrnehmung, Fühlen und Denken, um aus ihren Eigentümlichkeiten eine unbeschränkte Kenntnis über die Umwelt zu ermöglichen. Eine gegenseitige Ergänzung der Arten ergibt sich nicht nur aus ihrer gegenseitigen Abhängigkeit sondern aus ihren voneinander abhängigen Leistungen zur Erfüllung der Bedürfnisse des Menschen in seiner Umwelt für Überleben und Gedeihen. Sprache Sprache bedarf der Wahrnehmung. Die für jede Reflexion erforderliche Sprache verweist darauf. Reflexionswissen kann im Unterschied zum Wahrnehmungswissen nicht auf Sprache verzichten. Wie anders sollte man sich aber eine Verständigungsmöglichkeit und eine Konstanz einer Sprache und Begriffsbildung vorstellen können, wenn nicht auf eine für alle Sprachteilnehmer gemeinsame Instanz verwiesen könnte, die im Erlernen einer Sprache eine Rolle spielt; es ist ein Wahrnehmungswissen. Dass Sprache aus neurowissenschaftlicher Perspektive gesehen die verschiedenen sensorischen Bereiche des Gehirns aktiviert, darauf wurde oben hingewiesen. Eine Zuordnung von Bedeutungen zu Wörtern versuchen Sprachtheorien zu erklären, von denen aber keine auf Wahrnehmungsbzw. Emotionswissen wissen verzichten kann. Deutlich wird ein Einfluss der Wahrnehmungen aus den Überlegungen zu einer Begriffsbildung, auf die später noch einmal eingegangen wird. Begriffe bedürfen einer Anschauung, um einen Inhalt vermitteln zu können. Einleuchtend zeigt Kant in seiner Herleitung der synthetischen Urteile apriori diese notwendige Verknüpfung eines Begriffes mit der Anschauung; anderenfalls würde der Begriff leer bleiben. Anschauung ist dabei der Teil, der nicht aus dem Begriff analytisch hergeleitet werden kann sondern der aus der Sinnlichkeit – der Fähigkeit, Vorstellungen von den Gegenständen zu bekommen – hinzukommen muss (KrdrV B16 –17). Das was Kant Sinnlichkeit nannte, ist in der hier verwendeten Beschreibung eines Wahrnehmungswissens enthalten. Die in dieser Untersuchung auf die Neurowissenschaften gestützte Beschreibung der Wahrnehmung macht keinen Unterschied zwischen Erfahrung und Anschauung erfor147
Meyer-Abich, S. 131.
V. Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens
63
derlich, weil ein Wissen aus beiden Begriffen auf Wahrgenommenes zurückgeht, um das es hier geht. Patzig meint, dass man bei der Begriffsbildung nicht auf die Kenntnis von Erfahrungsgegenständen angewiesen sei, wie folgendes Bespiel eines Begriffes zeige: die durchschnittliche Familie hat 1,8 Kinder 148. Allerdings bedarf es aber auch für diesen Begriff einer Wahrnehmungsgrundlage, nämlich die, was der Ausdruck 1,8 vermittelt. Auch in den Theorien der analytischen Sprachphilosophie und des kritischen Rationalismus kommt zum Ausdruck, dass die Sprache als Erkenntnisinstanz unverzichtbar ist und sie dabei nicht auf einen Erfahrungsanteil verzichten kann 149. Ähnliches lässt sich für Emotionen zeigen; Reflexionen z. B. über Angst machen nur Sinn, wenn man mit dem Begriff Angst die entsprechende Empfindung verbinden kann. Aus dem Sprachargument folgt, dass ein Reflexionswissen nicht auf Wahrnehmungs- bzw. auf Emotionswissen verzichten kann. Aspekt des Ganzen Ein Reflexionswissen kann weder die Einheit der Wahrnehmung noch ihre Vollständigkeit entsprechend den Reizen der Umwelt erfassen, aus denen sie entsteht. Was aus unterschiedlichen Modalitäten und aus vielen unterschiedlichen Reizquellen zu einer Vielfalt und Einheit eines Wahrnehmungswissen im Gehirn herausgebildet wird, führt in einer Reflexion zu einem partiellem Wissen des Ganzen, weil sie nur einen Aspektes hervorhebt, während das Wissen aus den anderen Quellen vernachlässigt wird. Kommt es einem Forscher bei der Untersuchung eines Gesichtes nur auf dessen physiologische Proportionen für Rassenstudien an, wird er emotionales Wissen des Gesichtsausdrucks unberücksichtigt lassen und deshalb dieses besondere Gesicht nur unvollständig erkennen. Wahrnehmungswissen ist unverzichtbare Voraussetzung eines wissenschaftlichen Wissens. Da aber wissenschaftliches Wissens wegen seines Reflexionscharakters nur Ausschnitte erfasst, vermitteln beide Arten bezogen auf einen Gegenstand unterschiedliches Wissen, wobei das Wahrnehmungswissen reichhaltiger ist und das Reflexionswissen eine größere Erklärungskraft besitzt. Emotionswissen Einerseits ist Emotionswissen eine eigene Art des Wissens, andererseits hat es sich als eng verknüpft mit dem Wahrnehmungswissen erwiesen. Einen Hinweis auf die enge Verknüpfung der Emotions- und Wahrnehmungsreize ging aus den neuronalen Prozessen hervor, in denen Reize der Wahrnehmung und der Emotion gleichzeitig aber in parallelen neuronalen Verschaltungen der Signale verarbeitet wurden. Aus dem oben geschilderten Experiment der Betrachtung 148 149
Patzig (2000), S. 13 Stegmüller S. 15 ff.
64
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
schrecklicher Bilder und des daraus hervorgegangenen getrennten Wissens aus Wahrnehmung bzw. ihrer emotionalen Bewertung lässt sich auch zeigen, wie eng beide Arten des Wissens miteinander verbunden sind. Die Reize der Wahrnehmung und der Emotionen gingen aus einer Bildbetrachtung hervor, d. h. sie gehen einerseits auf ein gemeinsames Umweltereignis zurück und verweisen andererseits auf getrennte Verarbeitungsorte und auf getrennte Reize und deren Quellen. Klar wird auch, dass es Reizquellen der Umwelt sind. Damasio vermutet, dass Außenwelt durch Veränderung repräsentiert wird, die sie im Körper hervorruft. 150 Wie verhält sich Emotionswissen zu einem Reflexionswissen? Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der Einflussnahme. Die erste und naheliegendste ist gegeben, wenn Emotionswissen zum Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung gemacht wird, wie z. B. in der Erforschung von Trauer oder Empathie. 151 Ein besonderer Fall dieser Möglichkeit tritt ein, wenn dem Emotionswissen durch eine wissenschaftliche Betrachtung seine unmittelbar präsente Bewertungskraft genommen wird wie in dem oben erwähnten Beispiel: „Wo es vernichtend brennt, ist der Notruf kein Gegenstand linguistischer Analyse; und wo er linguistisch bestimmbar wird, brennt es nicht.“ 152 Es bleibt darauf hinzuweisen, dass Emotionen eine Instanz sind, die weder der Vernunft noch dem Verstand zugänglich sind und deshalb von manchem als unkontrollierbar und in Bewertungssituationen als möglichst unzuständig erklärt werden. Ein bestimmtes Gefühl bezeichnen wir ohne zu zweifeln mit Angst oder Freude. Einer Reflexion zugänglich sind aber ihre Ergebnisse und die Folgen in einer Bewertungssituation. Es können Handlungsorientierungen sein, die aus der emotionalen Bewertung einer Wahrnehmung entstehen. Sie zu bedenken ist möglich und wichtig wie später gezeigt wird. Eine zweite Möglichkeit der Einflussnahme zeigt sich dort, wo Emotionswissen als Ergänzung eines Reflexionswissens eine bewertende Rolle spielt. Erinnert wird an das Beispiel der Maus mit einem auf ihrem Rücken gezüchteten menschlichen Ohr. Wenn diese Erkenntnisse einer Organzüchtung durch die bewertenden Gefühle ergänzt werden, könnte sie so etwas wie Abscheu und Ablehnung des Missbrauchs einer Kreatur begleiten. Und was gehört z. B. zu einem Wissen über einen menschlichen Embryo? Sicher ein Wissen aus der Wahrnehmung wie z. B. auf einem Ultraschallbild; ein Emotionswissen des wahrgenommenen Embryos, das Bindung und Achtung bei Nahestehenden hervorruft und sicher auch Erkenntnisse eines Reflexionswissens über Zellteilung und der Reife. Denkbar ist, dass bei der Betrachtung eines Embryos in der Petrischale ein damit verbundenes wissenschaftliches Handeln bewertet wird, besonders dann wenn es um 150 151 152
Damsio (1997), S. 306. Ploog (1999), S. 540 ff. Wucherer-Huldenfeld, S. 57.
V. Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens
65
forschendes Handeln geht wie bei der Entnahme von Stammzellen; dabei spielt nicht der individuelle Embryo eine Rolle sondern es geschieht um der allgemeinen Erkenntnis willen, die vom einzelnen Embryo abstrahiert. Ergebnisse und Handeln aus Reflexionswissen sind einem Wissen aus emotionaler Bewertung ausgesetzt. Vorrang Kommt einem der drei unterschiedlichen Ergebnisse aus der Kommunikation mit der Umwelt ein bevorzugter Rang zu? Man könnte vermuten, dass einem Reflexionswissen ein Vorrang einzuräumen ist, weil die Wissenschaft, die diese Wissensart verkörpert, den Ruf hat, die höchste Einsicht zu vermitteln. Bedenkt man aber, dass ein Reflexionswissen nicht nur ein Wahrnehmungswissen voraussetzt, sondern selbst nur aspekthafte Sichtweisen hervorbringt und vieles wegen der Präparation und Abstraktion nicht zur Geltung kommt, so wird man dem Wahrnehmungswissen eine unverzichtbare Grundlagenbedeutung beimessen müssen, dem Reflexionswissen dagegen eine Bedeutung aus seiner Spezifizierung unter Zwecken. Ergebnisse der Emotionen vermitteln unverzichtbare Bewertungen, aus denen Orientierungen für unser Handeln und Verhalten hervorgehen. Insofern wird man von keiner Wissensart sagen können, dass ihr ein höherer Rang einzuräumen sei als einer anderen. Sie stehen hinsichtlich ihrer jeweils eigentümlichen Bedeutung für unser Leben gleichrangig nebeneinander, wenn auch die Wahrnehmung eine für Emotionen und Reflexion unverzichtbare Grundlage bildet. Vereinnahmung Zwischen Wahrnehmungswissen und Reflexionswissen gibt es drei Möglichkeiten einer Beziehung: Eine ist die Vorstellung, dass Wahrnehmungswissen auf ein Reflexionswissen rückführbar ist. Da Reflexionswissen eines Wahrnehmungswissens bedarf und nicht umgekehrt, kann letzteres nicht auf ersteres zurückgeführt werden; diese Art der Beziehung ist ausgeschlossen. Eine zweite Möglichkeit ist, dass es zwei verschiedene Beschreibungen eines gleichen Ereignisses sind. Dieser Auffassung ist Tye: Zwischen Wissen aus der Wahrnehmung, das er Erlebnis nennt, und dessen neurologischer Beschreibung gäbe es keine Erklärungslücke. Das Wahrnehmungswissen, das zu einem „phänomenalen Begriff“ führe wie z. B. Schmerzen haben, bedürfe keiner Theorie über Schmerzen, um festzustellen, ob man welche hat. Empfindung und Gehirnzustand wären zwei verschiedene Beschreibungen des gleichen Phänomens; ihre Beziehung zueinander ergäbe sich aus einer empirischen Zuordnung: Ein bestimmter Gehirnzustand hätte sich als der beste Kandidat zur Identifikation mit der Empfindung erwiesen. Eine Erklärungslücke zwischen beiden gäbe es nicht. 153 Aber stimmt das? Wahrnehmungswissen, wie z. B. eine Empfindung haben, ist ein unmittelbares Wissen; ein Wissen über den dazugehörigen neuro-
66
C. Sind die Ergebnisse der Wahrnehmung ein Wissen?
nalen Prozess ist ein Reflexionswissen. Woher weiß aber Tye, dass die gefundene neuronale Gesetzmäßigkeit keine Lücke lässt zum Wahrnehmungswissen? Ein Wissen über die neuronale Gesetzmäßigkeit ist erklärendes Reflexionswissen; aus einem vorausgehenden Wahrnehmungswissen wird ein bestimmter Aspekt ausgewählt und gegenüber dem verbleibenden Wahrnehmungswissen hervorgehoben. Insofern kommt im erklärenden Wissen immer nur der befragte Aspekt eines Wahrnehmungswissens zur Geltung. Wenn man nach einem anderen Aspekt fragt oder andere Begrifflichkeiten wählt, kann neues erklärendes Wissen entstehen. Nach einer Erklärungslücke zwischen Wahrnehmungs- und erklärendem Wissen zu fragen, macht keinen Sinn, weil nicht klar ist, woran eine Lücke gemessen werden sollte. Wahrnehmungswissen und erklärendes Wissen sind nicht einfach zwei verschiedene Beschreibungen eines gleichen phänomenalen Ereignisses – wie Tye meint –, sondern die erklärende Theorie setzt die Wahrnehmung voraus. In gleicher Weise lässt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Emotionswissen und Reflexionswissen beantworten, weil Emotionswissen an die Stelle von Wahrnehmungswissen gesetzt zu einem gleichen Ergebnis führt wie zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen. Eine dritte Möglichkeit der Beziehung zwischen Wissen aus der Wahrnehmung und der Reflexion ergibt sich dort, wo Reflexionswissen als naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten formuliert und bewiesen wird: wenn sie als Aussage über ihren Wahrnehmungsgegenstand Geltung beanspruchen, d. h. für alle Exemplare des Wahrnehmungsgegenstandes zutreffen, bilden sie dessen notwendige Bedingung. Wenn sich ein Exemplar finden ließe, dass die Gesetzmäßigkeit nicht erfüllt, wäre entweder die Gesetzmäßigkeit falsch oder das Exemplar müsste als nicht vergleichbar bewertet werden, was wiederum einer Begründung bedarf. Es kann mehrere Gesetzmäßigkeiten als notwendige Bedingung für einen Gegenstand geben wie z. B. beim Menschen Gesetzmäßigkeiten des Blutkreislaufes und die der neuronalen Prozesse. Deutlich wird aus dieser Beziehung, dass eine Gesetzmäßigkeit bestimmte Aspekte des Wahrnehmungsgegenstandes erfasst, aber eben nicht diesen auf die Gesetzmäßigkeit reduziert. Die Beziehung der „notwendigen Bedingung“ spielt eine wichtige Rolle, weil sie klar macht, dass Ergebnisse aus der Reflexion zwar unverzichtbar zutreffen, dass sie aber nicht die Wahrnehmung ersetzen. Der Zusammenhang wird später genauer untersucht und an Beispielen demonstriert. Wahrnehmungs- und Emotionswissen können für sich allein auftreten; eine Beziehung zwischen ihnen ergibt sich, wenn eine Bewertung des Wahrnehmungswissens erfolgt. Ihre Beziehungen zu einem Reflexionswissen erweisen sich als dessen unverzichtbare Grundlage. Ein Reflexionswissen kann sich auf sich selbst 153
Tye, Bd. 108.
V. Die Bedeutung der Wahrnehmung unter den drei Arten des Wissens
67
beziehen wie es bei unterschiedlichen Theorien der Fall ist, die aus einer beide umfassenden erklärt wird. Auch in diesem Fall behält die Wahrnehmung als unverzichtbare Grundlage ihre Bedeutung. Konkurrierend Aus der Beziehung zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen hatten sich ergeben: Reflexion bedarf der Wahrnehmung, aber Wahrnehmung nicht der Wissenschaft. Erinnert wird an Tye’s Beispiele: Man brauche keine wissenschaftliche Theorie über Schmerzen, um festzustellen, ob man welche hat; oder wer noch nie den Geruch eines Stinktiers wahrgenommen hat, dem wird auch eine Theorie nicht beibringen können, wie es riecht. 154 Umgekehrt ist aber Wahrnehmungswissens die Grundlage eines Reflexionswissens. Konkurrieren die Arten miteinander, wenn ihre Ergebnisse unterschiedlichen Bedürfnissen dienen? Das kann der Fall sein, wenn die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen einerseits einem Bedürfnis nach Erkenntnis folgt zu Zwecken medizinischer Heilung von bisher unheilbaren Krankheiten; andererseits die Forschungstätigkeit von vielen Menschen emotional ablehnend bewertet wird, weil sie den Lebensschutz des Embryos verletzt. Erkenntnis aus reflexiver Betrachtung konkurriert mit Wissen aus emotionaler Bewertung. Eine Lösung, wenn sie auf einen Kompromiss in der geltenden Gesetzgebung wie in diesem Fall hinausläuft, wird einer emotionalen Bewertung ausgesetzt bleiben und auf Alternativen drängen wie in diesem Beispiel auf eine Gewinnung von Stammzellen nicht aus Embryonen sondern aus adulten Zellen oder aus künstlicher Herstellung. 155 Zusammenfassung Aus der Kommunikation eines Menschen mit seiner Umwelt entstehen drei eigenständige Arten des Wissens: das aus der Wahrnehmung, aus den Emotionen und aus der Reflexion. Jede der drei Arten bringt ihre eigentümlichen Erkenntnisse über die Umwelt hervor. Ein Vorrang kommt keiner Art zu. Ein Wissen aus der Wahrnehmung ist eng verbunden mit dem aus den Emotionen und es ist Grundlage für ein Wissen aus der Reflexion.
154 155
Tye spricht von phänomenalen Begriffen, die man nur aus der Erfahrung bekommt. Lubbadeh (2009).
D. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist Grundlage des Allgemeinen aus der Reflexion I. Einzelnes und Allgemeines Es hatte sich ergeben, dass zu den Ergebnissen der Kommunikation eines Menschen mit seiner Umwelt auch das Wissen aus der Reflexion gehört. Es geht um ein forschendes Wissen, das gekennzeichnet ist durch eine Unterscheidung von Einzelnem aus der Erfahrung und Allgemeinem aus der Abstrahierung vom Einzelnen. Reflexion geht auf ein Wahrnehmungswissen zurück. Reflexion ohne ein vorausgesetztes Wahrnehmungswissen ist undenkbar, wobei selbst in Begriffen ausgedrückte Ideen leer blieben, wenn sie nichts an Wahrnehmungswissen enthielten. 156 Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird Reflexion beschrieben als nachdenkende Betrachtung eines Gegenstandes aus der Wahrnehmung. Wissen aus der Wahrnehmung präsentiert seinen Gegenstand in einer Vielfalt im Unterschied zu einem Wissen aus der Reflexion, das Zusammenhänge erschließt, die einer Wahrnehmung verborgen bleiben würde. In der Reflexion tritt Einzelnes und Allgemeines auf. Sie ist auf Erkenntnis gerichtet orientiert an einer Frage über den Gegenstand. Es kann die Frage nach einem „was“, einem „wie“, nach einer Eigenschaft oder einer Zugehörigkeit zu einem Allgemeinen sein. Jede solcher Fragen orientiert sich an einem Gewussten wie z. B. in der Frage was ist Gerechtigkeit an einem Gewussten aus einer Verteilung oder einer Ordnung; die Frage „wie ernährt sich die Pflanze“ an gewussten Nährstoffen; die Frage nach einer Eigenschaft setzt diese als gewusst voraus, ebenso die Frage nach einem Allgemeinen wie z. B.: ist dieser Gegenstand ein Metall? In allen Fällen stützt sich Reflexion auf Wahrgenommenes oder Emotionen sowohl in Bezug auf das Einzelne wie auf das Allgemeine. Der Grund dafür ist die Rechtfertigung des Ergebnisses aus der Reflexion aus einem Kommunikationsergebnis mit Wahrnehmung oder den Emotionen wie oben gezeigt. Sprachlich ausgedrückt zielt Reflexion auf ein Prädikat. Das Prädikat kann ein Singuläres sein wie eine bestimmte Person oder ein Allgemeines, das einer Vielheit von Gegenständen zukommt. Ein singuläres wie einen bestimmten Menschen zu erkennen ist zwar auch ein Erkenntnisgewinn; die Beziehung auf 156
Damasio (1997, 152 ff.) verweist darauf, dass Denken oft in Bildern erfolgt.
I. Einzelnes und Allgemeines
69
ein Allgemeines eröffnet dagegen einen Erkenntnisgewinn aus sehr unterschiedlichen Perspektiven, ausgedrückt in den Fragen. Das Allgemeine bedarf im Unterschied zum Wahrgenommenen einer Denkleistung, die aber ohne Wahrnehmungsgehalt leer wäre, weil das Allgemeine eben deshalb ein Allgemeines ist, das einer Vielheit von Besonderem zukommt; das Besondere ist aber nicht nur unverzichtbar für ein Allgemeines sondern enthält das Wahrgenommene, ohne das es kein Besonderes geben könnte. Dabei ist eine seit dem Altertum immer wieder untersuchte Frage: kommt Allgemeinem und Einzelnem ein eigenes Sein und eine je eigene Wirklichkeit zu oder sind Einzelnes und Allgemeines so miteinander verwoben, dass sie sich nur in ihrer Gegenseitigkeit verwirklichen können? Es hat zur Beantwortung viele sehr unterschiedliche Konzeptionen gegeben. Aus der Sicht der Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt lässt sich mindestens so viel sagen: Ein aus der Wahrnehmung hervorgehendes sprachliches Allgemeine lässt sich unterscheiden von dem aus den Emotionen. Unter dem Einfluss der Reize hervorgebrachte Wahrnehmungsergebnisse zeigen eine Konstanz und lassen sich mit einem für alle vergleichbaren Wahrnehmungsgegenstände allgemeinen Ausdruck bezeichnen, ohne dass dem Ausdruck ein eigenes Sein zukommen muss. Dagegen orientieren sich Allgemeinheiten aus einem Emotionswissen an moralischen Bedürfnissen, deren Erfüllung Grundlage für Leben und Gedeihen ist. Diesen Allgemeinheiten kommt ein angeborenes Sein zu wie z. B. Liebe, Gerechtigkeit oder Schutz. 157 Es hatte sich gezeigt: Die Reflexion bringt der Wahrnehmung unzugängliche Erkenntnisse eines Gegenstandes hervor, deren Ergebnisse sich in Begriffen, Aussagen und Theorien oder in einer Geschichte, die erzählt wird, zeigen. Eine systematische Art der Reflexion nach bestimmten Kriterien findet sich in den Wissenschaften, deren wichtigstes Kriterium eine Begründung des Wissens verlangt, ob empirisch oder unter Verweis auf anderes Wissen wie in den Geisteswissenschaften; eine Begründung stützt sich immer auf ein Allgemeines, das auf Wahrnehmung zurückgeht, auch in den Geisteswissenschaften. 158 Ähnlich wie bei der Reflexion eines Wissens aus der Wahrnehmung verhält es sich mit einer Reflexion eines Wissens aus Emotionen. Dort, wo Reflexionswissen nach allgemeinen Erklärungen sucht, abstrahiert es vom Einzelnen aus dem Wahrnehmungswissen. Die Abstraktion ermöglicht, aus bestimmten Hinsichten Zusammenhänge zwischen verschiedenen allgemeinen Aussagen zu bilden und Theorien durch Verknüpfung von Aussagen zu formulieren. Ein Nachteil der Abstraktion zeigt sich dadurch, dass durch die Hervorhebung einer Hinsicht, nach der gefragt wird, andere Merkmale des Gegenstandes aus dem Wahrnehmungswissen weggelassen werden. Wenn man 157
Gethmann behandelt den alten Universalienstreit ausführlich. Hübner, Kurt (1978, S. 308 ff.) beschreibt den Charakter des Allgemeinen zur Erklärung des Einzelnen sowohl in den Natur- wie in den Geisteswissenschaften. 158
70
D. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist Grundlage des Allgemeinen
den Begriff „Rabe“ z. B. durch das Merkmal schwarz festlegt, spielt es keine Rolle, ob ein wahrgenommenes Exemplar jung oder alt, krank oder gesund, männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist. Ein Allgemeines ist zwar in der Lage, ein Einzelnes mit anderem Einzelnen zusammenzuordnen; es ist aber nicht mehr in der Lage, ein Einzelnes in all seinen individuellen einmaligen Ausprägungen zu erfassen. Abstraktion bedeutet, das Einzelne in seiner Individualität zu vernachlässigen zugunsten gemeinsamer Merkmale mit anderen Einzelnen.
II. Das Allgemeine im Erklärungszusammenhang Das Allgemeine ist ein gewusstes Maß, das seinerseits aus Wahrgenommenem herausgebildet ist. Das Allgemeine ist kein beliebiger sprachlicher Ausdruck sondern stellt den Bezug zu einem bewussten Wahrgenommenen her. Wie aber wird ein bestimmtes Allgemeines herausgebildet und wie lässt sich verstehen, dass es auf ein Besonderes zutrifft, d. h. wie lässt sich die Anwendung eines Allgemeinen auf die Wirklichkeit der Welt begründen? Beide Fragen zu klären ist wichtig um zu verstehen was Reflexion und Wahrnehmung verbindet. Die Frage wie ein Allgemeines herausgebildet wird, lässt sich aus seinem Erklärungszusammenhang erkennen. Reflexionswissen ist nicht nur durch die Hinsicht gekennzeichnet, unter der ein Wahrnehmungsgegenstand reflektiert wird sondern auch durch den verwendeten Erklärungszusammenhang. Dieser könnte auch als Weltbild bezeichnet werden, aus dem ein Allgemeines zur Erklärung des Wahrnehmungswissens herausgebildet wird. 159 So ein Erklärungszusammenhang kann aus rationalen Begriffen wie in der Naturwissenschaft bestehen; auf die Besonderheiten dieses Art der Erklärung wird im Kapitel E über wissenschaftliches Wissen eingegangen. Einen anderen Erklärungszusammenhang kann die Kunst bilden. Ein frühes Beispiel dafür ist die Poetik des Aristoteles, in der er ein Allgemeines der Dichtkunst beschreibt und deutet. 160 Die Dichtkunst soll die Wirklichkeit durch allgemeine Handlungen oder Charaktere so nachahmen, damit sie Einsicht in Tugenden oder schicksalhafte Begebenheiten vermitteln könne. Der von einer Poetik vermittelte allgemeine Charakter kann nicht nur Ereignisse deuten sondern eröffnet eine erklärende Perspektive für Naturerfahrung, die einer naturwissenschaftlichen Erklärung unzugänglich sind. 161 159 Cassirer (1987) beschreibt die Abhängigkeit dessen, was man weiß, von symbolischen Formen des Wissens: Mathematik, Sprache, Kunst und Religion sind jeweils nur mögliche Formen der Erkenntnis; so auch die Wissenschaft. 160 Aristoteles (1983), 1448 a. S. 27 ff. 161 Whitehead, S. 93 – 115, bes. 107.
II. Das Allgemeine im Erklärungszusammenhang
71
Auch Malerei deutet Wahrgenommenes und Emotionales aus dem Erleben der Menschen. Picassos Gemälde „Guernica“ reflektiert eindringlich die Verzweiflung über das erlebte Kriegsgeschehen um den Ort Guernica aus dem Jahr 1937. Picassos Hinsicht verkörpert Schrecken, Ohnmacht und Entsetzen aus dem Erlebten, die im Betrachter Emotionen wecken. Ein Künstler nutzt bisweilen Symbole und Metaphern, um das Denken in eine bestimmte Richtung zu lenken. Danto erläutert am Beispiel der Pop Art, wie Kunstwerke Werte repräsentieren, die Menschen etwas bedeuten und nennt z. B. Wärme, Nahrung, Ordnung und Zuverlässigkeit. Kunstwerke sind für ihn symbolische Ausdrucksformen, weil sie ihre Bedeutung verkörpern 162. Die Beispiele zeigen, wie aus bestimmten Hinsichten durch die Reflexionen ein Allgemeines in der Poetik als Charakter, in der Malerei als Gefühle und Werte ausgedrückt wird. Ein anderer Erklärungszusammenhang ist eine Religion. Eine Erklärung der Wahrnehmungen aus Mythen besaß für die Menschen im Altertum eine ähnliche Erklärungskraft wie für uns eine Erklärung aus Begriffen. Hübner zeigt am Beispiel des Denk- und Erfahrungssystems des griechischen Mythos, dass unser auf Begriffsbildung gestütztes wissenschaftliches Erklärungssystem weder rationaler noch vernünftiger genannt werden kann als die Erklärungen, die mythische Göttergeschichten geben. 163 Religionen der Gegenwart bilden für viele Gläubige eine Grundlage der Erklärung und Ausgestaltung von Recht und Staat ebenso wie für Handeln und Verhalten. Diskutiert worden ist immer wieder, wie ein Wissen verfasst sein muss, um als wissenschaftliches Wissen anerkannt zu werden; soll eine über Erfahrung hinausweisende Religion und Metaphysik in einer Wissenschaft zugelassen sein; Thomas Hobbes sagte nein; Vico sagte ja. Neue metaphysische Fragehorizonte veränderten das Wissenschaftsverständnis, wie die Wende vom heliozentrischen zum geozentrischen Weltbild zeigt. Sollen Vermögen wie Phantasie und Einbildungskraft, Begründungselemente wie Ähnlichkeit und Wahrscheinlichkeit anerkannt werden; was soll als Wahrheit gelten und welche Methoden sollen erlaubt sein. Trotz der Veränderungen hat es aber bestimmte Erwartungen gegeben, die ein Wissen in den Wissenschaften erfüllen sollte. Es finden sich auch unterschiedliche Erklärungszusammenhänge miteinander verbunden: sowohl Descartes als auch Leibniz haben z. B. göttliche Allmacht mit rationalen Begriffen zu einem System zusammengefügt. Einstein, der keinen Beweis für den Entwurf seiner Änderung der Raum-Zeitstruktur in der Relativitätstheorie vorlegen konnte, begründete sie theologisch: „Ich glaube an Spi162 Danto (S. 56) hat über die Popart aus den 60er Jahren geschrieben: „Kunstwerke übernehmen die Deutung von Erscheinungen des täglichen Lebens. Die aufgestapelten Suppendosen von Cambell veranschaulichen urmenschliche Werte wie Wärme, Nahrung, Ordnung und Zuverlässigkeit.“ 163 Hübner, Kurt (1985), S. 287 ff.
72
D. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist Grundlage des Allgemeinen
nozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart.“ 164 Bei Vico findet sich eine Verbindung physikalischer Begriffe mit der Dichtkunst: er berichtet aus seinen sprachlichen Untersuchungen, dass die Physik bloße Namen definiere, die eine Poetik zur Vermittlung des Wahrscheinlichen verwendete. 165 Es gibt Beispiele, in denen ein gleicher Wahrnehmungsgegenstand aus unterschiedlichen Zusammenhängen erklärt wird: wie z. B. der Rhein: er wird musikalisch in vielerlei Liedern beschrieben; eine religiöse bzw. mythische Erklärung findet sich bei Hölderlin; und schließlich eine naturwissenschaftliche Erklärung bei Geologen. Reflektiert ist in allen Erklärungszusammenhängen der gleiche Wahrnehmungsgegenstand, dem etwas zugrunde liegt, das über die Wahrnehmung in die unterschiedlichen Erklärungszusammenhänge einfließt und diese mit prägt. Ein historischer Rückblick zeigt, dass Erkenntnis wiederholt unter Beteiligung der Gefühle erklärt worden ist. 166 Scheler hatte in einer Kritik an der überlieferten Auffassung der Gefühle Entwürfe, in denen den Gefühlen eine Erkenntnis gewährende Leistung zugestanden worden war, von solchen unterschieden, die einen Erkenntniszugang zur Welt und zum Sein durch Gefühle leugneten, weil sie bloß Subjektives erschließen. 167 Giambattista Vico rechnet zur ersten Gruppe. Er hat eine Erkenntnis der Natur und Geschichte aus der Entstehung der Sprache untersucht und den Anteil gezeigt, den Emotionen an der Begriffsbildung haben. Er nennt die Ursprünge der Begriffe poetische – im Unterschied zu rational begründeten – weil sie aus der Wahrnehmung der Menschen verbunden mit ihren Empfindungen, Leidenschaften und Affekten wie Angst, Furcht und Bewunderung hervorgegangen seien. 168 Viele Mythen machten deutlich, dass in mythischer Zeit beobachtetes Geschehen einem göttlichen Charakter zugeordnet wurde. Beispielsweise haben die Menschen Blitz und Donner wegen ihres Schreckens vor einer gegenwärtigen Macht mit dem Wirken Jupiters erklärt; der göttliche Charakter des Namens wurde zum phantastischen Allgemeinbegriff. 169 Dieser entstand aus einer Verbundenheit der Wahrnehmung, hier von Blitz und Donner, mit aus dem durch diese hervorgerufenen Gefühle des Schreckens. So ein Urteil ohne Reflexion – wie Vico es nannte – entspringt einem sensus com164
Hoffmann, Banesh (1976), S. 114. Vico (1990), S. 391 ff. u. (1979), S. 43. 166 Bei Roth (2001, S. 257 ff.) findet sich ein philosophiegeschichtlicher Überblick über den Erkenntniswert der Emotionen. 167 Coriando, (S. 17 ff.) hat Schelers Auffassung der Gefühle ausführlich untersucht und sie zum Leitfaden einer Affektenlehre gewählt, die Individuum und Welt durch das Emotionale verbunden sieht. 168 Vico (1990), S. 170 ff. 169 Ebd. S. 176 und S. 209; vgl. auch Hübner, Kurt, (1985): er gibt einen sehr ausführlichen Überblick über die Mythosdeutung. 165
II. Das Allgemeine im Erklärungszusammenhang
73
munis, aus einem allen Menschen gemeinsamen Sinn 170. Vico begründete diese Art der Begriffsbildung aus dem Nachweis eines Gemeinsinns unter Einwirkung der Gefühle, wie er aus den Wortbildungen frühgeschichtlicher Perioden bei allen Völkern in allen Regionen auf gleiche Weise sichtbar hervortrete. Auch wenn die ethnologischen Beweise nicht immer ganz zu überzeugen vermögen, so ist doch Vicos Vorstellung, Gefühle der Menschen in eine Erkenntnis der Welt einzubeziehen, einleuchtend. 171 Die zweite Frage war, wie sich verstehen lässt, dass ein Allgemeines auf ein Besonderes zutrifft, d. h. wie lässt sich die Anwendung eines Allgemeinen auf die Wirklichkeit der Welt begründen? Folgt man der Herausbildung eines Allgemeinen durch seinen Bezug auf Wahrgenommenes aus der Kommunikation, dann lässt sich die Anwendungsfrage auf die Wirklichkeit aus einem Erinnerungsvermögen erklären. Wer einen Raben gesehen und seine Benennung kennengelernt hat, wird ihn wieder erkennen können. Gleiches gilt für die Beschaffenheit einzelner Merkmale. Wer Größe, Farbe und Verhalten kennt, wird überprüfen können, ob es sich um einen Raben handelt. Ein angeborenes Allgemeines, das Grundlage emotionaler Bewertung ist, bedarf keiner Erklärung seiner Anwendung auf die Wirklichkeit, weil dieses Allgemeine Voraussetzung seiner Anwendung, d. h. einer Bewertung ist. Die Anwendung eines Allgemeinen aus einer Verknüpfung von Wahrgenommenem und Emotionen auf die Wirklichkeit lässt sich so erklären: ein Allgemeines aus der Wahrnehmung ist immer, wenn es auftritt, einer emotionalen Bewertung ausgesetzt, die zu einer Konstanz führen kann wie z. B. Blitz und Donner, die wenn sie auftreten Schrecken erzeugen. Damasio hat ein Allgemeines aus Wahrnehmung und Emotionen „Marker“ genannt, die er so beschreibt: Wenn das Wahrgenommene eine Handlungsweise ist, die schon einmal zu einem unerwünschten Ergebnis geführt hat, taucht im Wiederholungsfall eine unangenehme Empfingung im Bauch auf als ein Warnsignal, das sagt: Vorsicht, Gefahr, wenn Du Dich für die Möglichkeit entscheidest, die zu dem Erlebnis geführt hat 172. Zusammengefasst Wahrgenommenes und Reflektiertes sind je eigentümliche Arten des Wissens über die Umwelt. Wahrgenommenes lässt sich nicht auf Denkprozesse reduzieren und umgekehrt Wissen aus den Denkprozessen nicht auf Wahrgenommenes. Das Einzelne Wahrgenommene erlaubt in seiner Vielfalt ein allgemeines Wis170
Vico (1990), S. 93. Vgl. Kolster (1990, S. 100 ff.): dort findet sich eine Betrachtung des sensus communis und ein Verweis auf dessen erste Wurzeln bei Cicero; er hat menschliches Wissen vom sittlich Guten und Schlechten der Natur zugeschrieben, die uns Begriffe der Tugenden und der Laster in den Geist gelegt hätte. (Cicero, De legibus, lib. I, 44f.). 172 Damasio (1997), S. 237ff. 171
74
D. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist Grundlage des Allgemeinen
sen aus der Reflexion z. B. bestimmter Eigenschaften. Eine Unterscheidung der Einzelnen, die unter einem Allgemeinen zusammengeordnet werden, bleibt nach anderen Eigenschaften erhalten.
III. Begriffsbildung und Wahrnehmungsgehalt Das Allgemeine können Begriffe sein. Begriffe sind sprachliche Ausdrücke, deren Erklärungszusammenhang an die Erkenntnisvermögen des Menschen appelliert, durch Wahrnehmen und Denken die Welt zu erkennen. Die Begriffsbildung ist kein autonomer Akt sondern unterliegt historischen Einflüssen. Anfangs blieb eine Begriffsbildung zurückgebunden an transzendente Vorstellungen wie an Platons Ideen in einer überirdischen Ideenwelt, an einen christlichen Schöpfungsgedanken im Mittelalter bei Thomas von Aquin und in einem Übergang von christlicher Schöpfung zu menschlichem Konstrukt in Giambattista Vicos Konstruktivismus. Mit Beginn der Neuzeit begann die Lösung einer Begriffsbildung aus transzendenten Rückbindungen und orientierte sich an einem sich seiner selbst bewusst gewordenen Subjekt wie bei Descartes und Hobbes. Der Erklärungszusammenhang ist herausgelöst aus transzendenten Bindungen; Begriffe als Grundlage einer Erkenntnis der Welt entstanden aus rationalem Herleitungskalkül bei Descartes oder aus empirischer Rechtfertigung der Natur bei Berkley. Es gab auch eine operationalistische Entwicklung, in der der Natur keine Rechtfertigungsinstanz zugestanden wurde sondern sie wurde den rational konstruierten Begriffen unterworfen wie bei Hobbes, für den die Natur eines Irrtums unfähig war. Im 20. Jahrhundert hat es eine Reihe von Versuchen gegeben, eine Begriffsbildung so zu gestalten, dass sie eine Erkenntnis der Welt ermöglichen, die schlüssig und aufeinander so aufbauen, dass eine Inkommensurabilität ihrer Inhalte vermieden wird. Versucht wurde dieses Ziel aus einer differenzierten Entwicklung der drei unterschiedlichen Entwürfe zu erreichen: aus dem Empirismus entstand bei Carnap ein Logischer Positivismus, der die Begriffe aus Klassen bildenden Relationen entwarf. Aus dem Rationalismus entstand ein Kritischer Rationalismus, der eine logische Begriffsbildung durch interpretierte Zeichen definierte wie z. B. bei Popper. Und schließlich fand der Operationalismus seine Fortsetzung in einem Konstruktivismus, der Begriffe durch Handlungsregeln definierte, so Dingler. Deutlich wird aus der skizzierten Entwicklung, dass Begriffe zu keiner Zeit als absolute Instanz verstanden werden konnten, die eine Naturerklärung sicherstellen konnte, sondern sie waren abhängig von historischen Einflüssen. 173 Die 173 Hübner, Kurt (1978, S. 73ff.) hat in seiner „Historischen Theorie der empirischen Wissenschaften“ die Abhängigkeit der Begriffe von bestimmten Annahmen gezeigt.
III. Begriffsbildung und Wahrnehmungsgehalt
75
Begriffsbildung zeigte sich als ein offener Prozess zur Herausbildung von Erklärungsbedürfnissen unter Verwendung bestimmter Voraussetzungen. Gemeinsam ist ihnen prüfen zu können ob ihre Ergebnisse wahr oder falsch sind. Die Rationalitätslücke konnte allerdings keine der Entwurfe überwinden, wie unter gezeigt wird. Begriffe dienen einer Erkenntnis des Wahrgenommenen. Ihr Orientierungsbezug ist Wahrnehmung oder bereits gewusste Begriffe mit deren Wahrnehmungsgehalt. Begriffe ohne Wahrnehmung sind leer und können nichts erklären. Sie bedürfen einer Festlegung um Missverständnisse und Irrtümer zu vermeiden. Ihre Bestimmung ist ein Problem, weil es keine voraussetzungslose Grundlage gibt, aus der sie aufgebaut werden können. Es zeigte sich aber, dass weder ein voraussetzungsloser Anfang gefunden werden konnte, noch historisch bedingte Einflüsse auf Begriffsbildung und Theorien vermeidbar waren. Einer der Hauptgründe dafür ist die erforderliche Umgangssprache um Herleitungskalküle zu beschreiben, die ihrerseits nicht voraussetzungslos festgelegt, sondern selbst schon Interpretation der Natur ist. Ein anderer Grund sind die veränderlichen Vorstellungen über Erkenntniskonzepte und -begründungen unter dem Einfluss historisch sich verändernder Weltbilder, was besonders in Verbindung von Begriffen zu Aussagen zum Ausdruck kommt. Die Begriffsgeschichte betrachtet semantische Entwicklungen des Sprachgebrauchs und einen Wortbedeutungswandel. Worauf es hier ankommt, ist eine Beziehung der Begriffsbildung auf Wahrnehmungswissen. Trotz aller unzulänglichen Versuche einer von historischen Einflüssen unabhängigen in sich schlüssigen Begriffsbildung ist in allen Entwürfen ein unverzichtbarer Wahrnehmungsgehalt erkennbar. Begriffe bedürfen der Wahrnehmung. Gilt das auch für Begriffe der Mathematik, der Logik oder der Philosophie in den Fällen, in denen empirische Erfahrung ausgeschlossen wird, um die notwendige Geltung einer Aussage zu rechtfertigen? Ist z. B. in der Mathematik der Begriff der Geraden frei von Wahrnehmung? Die Gerade wird beschrieben als die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten; verwendet werden die Begriffe: kurz, Verbindung und Punkt. In allen dreien steckt aber Wahrgenommenes: Was sollte man sich unter „kurz“ vorstellen können, wenn man nicht aus einem Vergleich von zwei Gegenständen durch hinsehen bzw. aus dem Gedächtnis einen Ausdehnungsunterschied vor Augen hätte und dadurch den einen als den kürzeren im Vergleich zum anderen sehen oder erinnern könnte. Auch der Begriff der Geraden enthält in seiner Bestimmung Wahrnehmungswissen. Ähnliches gilt für eine Zahl. Wie sollte man sie inhaltlich verstehen können, wenn nicht eine bestimmte Erfahrung mit ihr verbunden wäre. Ein Begriff muss aber, um für eine Erfahrung tauglich zu sein, selbst einen aus der Wahrnehmung stammenden Gehalt haben. Stegmüller erläutert ausführlich den Erfahrungsgehalt in der wissenschaftlichen Begriffsbildung 174. 174
Stegmüller (1970), S. 15 ff.
76
D. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist Grundlage des Allgemeinen
Ähnliche Überlegungen lassen sich für einen philosophischen Begriff wie z. B. den der Vernunft anstellen. Seine unterschiedlichen Bestimmungen wie Einsicht, Denkkraft, Klugheit (Aristoteles), Gesetzmäßigkeiten der Natur (Stoa), Prinzipien der Erkenntnis (Kant) oder Weltprinzip (Hegel) werden von ihren Autoren sprachlich erläutert, interpretiert, kritisiert und angewendet; über eine sprachliche Beschreibung enthält auch er Wahrnehmungswissen. Der hier betonte Bezug einer Begriffsbildung auf Wahrnehmung ist deshalb wichtig, weil herausgefunden werden soll, ob und was ein Wissen aus Begriffen von einem Wissen aus der Wahrnehmung unterscheidet, auf das er sich bezieht. Es hat in der Wissenschaftstheorie dazu zahlreiche Entwürfe gegeben, die zeigen, dass sich Wahrnehmungswissen nicht auf Reflexionswissen reduzieren und dass sich eine Voraussetzungslose rational herleitbare Gewissheit nicht erreichen lässt. Verknüpfungen von Begriffen erschließen Aussagen über Wahrgenommenes. Die Aussagen sind charakterisiert durch die Wahl der Begriffe und durch einen Aspektcharakter des Wissens, der sich aus der Frage an das Wahrgenommene ergibt. In welchem Ausmaß beide Merkmale Ergebnisse der Wissenschaft kennzeichnen, wird jetzt untersucht.
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft? I. Wissen in der Wissenschaft? Nach den Untersuchungen der Arten des Wissens bleibt zu fragen, wie sich ihre Unterschiede auf das auswirken, was wir Wissenschaft nennen. Lässt sich Wissenschaft definieren? Vorschläge einer Definition hat es gegeben wie: „denkende Ordnung der Wirklichkeit“ (Max Weber), „Bemühen um Erkenntnisfortschritt“ (Gerhard Radnitzky), „Streben nach Wahrheit“ (Henri Poincaré), „rationales Problemlösen“ (Karl Popper) oder „methodisch und instrumentell geordnetes Unternehmen, das auf objektive – intersubjektiv gültige – Erkenntnis zielt (Hans Mohr). 175 Ohne eine der Definitionen als eher zutreffend hervorzuheben kennzeichnen alle charakteristische Merkmale eines Wissens in den Wissenschaften, um das es hier geht. Alltagswissen vermittelt Orientierungen in meist unreflektierten Handlungsund Sachzusammenhängen, in die man hineingewachsen ist und die sich im Sinne einer Lebens- und Überlebensorientierung bewährt haben. Wird solches Alltagswissen befragt hinsichtlich seiner Geltung, weitergehender Erklärungen oder hinsichtlich seiner Zusammenhänge entsteht ein Wissen auf einer Metaebene; ist das Ziel eine systematische Untersuchung eines befragten Gegenstandes, führt es zu einem Wissen, das wissenschaftliches Wissen genannt wird. Die systematischen Anforderungen an ein solches Wissen haben sich im Laufe einer historischen Entwicklung verändert. Trotz der Veränderungen hat es aber bestimmte Erwartungen gegeben, die es erfüllen sollte: dazu gehören Erklärungskraft, Gewissheit, Allgemeinheit, insofern es für alle fragenden Subjekte und für alle wiederholt befragten Gegenstände gilt, und dazu gehört, Erklärungen geben und wenn möglich Voraussagen über den Gegenstand machen zu können. Wissenschaftliches Wissen ist selbst – wie auch hier – zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden, zusammengefasst unter dem Begriff der Wissenschaftstheorie. Diskutiert worden ist immer wieder, wie ein Wissen verfasst sein muss, um als wissenschaftliches Wissen anerkannt zu werden; sollen eine über Erfahrung 175 Zu den unterschiedlichen Vorstellungen einer Definition von Wissenschaft vgl. Krobath, S. 224.
78
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
hinausweisende Religion und Metaphysik in einer Wissenschaft zugelassen sein; Thomas Hobbes sagte nein; Giambattista Vico sagte ja. Neue metaphysische Fragehorizonte veränderten das Wissenschaftsverständnis, wie die Wende vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild zeigt. Sollen Vermögen wie Phantasie und Einbildungskraft, Begründungselemente wie Ähnlichkeit und Wahrscheinlichkeit anerkannt werden; was soll als Wahrheit gelten und welche Methoden sollen erlaubt sein. Trotz der Veränderungen hat es aber bestimmte Erwartungen gegeben, die ein Wissen in den Wissenschaften erfüllen sollte. In einem Blick auf die Geschichte der Wissenschaft wird auf diese unterschiedlichen Forderungen an die Wissenschaft eingegangen. Ein zentrales Merkmal wissenschaftlichen Wissens ist die Begründungspflicht seiner Aussagen, die wahr oder falsch sein können. Begründungen sind ihrerseits von bestimmten Merkmalen abhängig: Das ist erstens der Verweis auf die Instanz der Erfahrung; – allerdings bedürfen nicht alle Wissenschaftsbereiche wie z. B. die Mathematik dieser Instanz. Erfahrung beruht auf Wahrnehmungswissen; nicht entschieden ist aber, was man der Erfahrung bezüglich einer Begründung des Wissens überlässt und was nicht; soll z. B. Erfahrung nur im Rahmen ihrer vorausgehenden Begrifflichkeit eine Rolle spielen, wie es die Rationalisten verlangen, oder soll die Erfahrung ihrerseits erst die Herausbildung von Begriffen ermöglichen, wie es z. B. die Empiristen meinten. Unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Erfahrung als Rechtfertigungsinstanz – festgelegt in bestimmten Festsetzungen – haben zu unterschiedlichen Ausprägungen der Wissenschaft geführt. 176 Da ist die Sprache: Sie spielt in der Begriffsbildung und in den Begründungszusammenhängen der Wissenschaft eine zentrale Rolle. Sprache, die jeder Wissenschaft vorausgehen muss, lässt sich vor allem nicht in ihrer Semantik auf einen rationalen Zusammenhang zurückführen, wie es Anhänger der Analytischen Philosophie meinten. In die Sprache geht Wahrnehmungswissen ein, wie jedes Erlernen einer Sprache deutlich macht. Und dieses Wahrnehmungswissen lässt sich nicht in einem vollständig fixierten Sprachkonstrukt erfassen, weil das wiederum Sprache voraussetzt. Der Verweis auf diese wenigen zentralen Aspekte zeigt, dass wissenschaftliches Wissen nicht durch eine stets gleiche Verfasstheit bestimmt ist. Das Begründungsproblem wissenschaftlichen Wissens verweist sowohl hinsichtlich unmittelbarer Begründung durch empirische Rechtfertigung als auch hinsichtlich seiner unverzichtbaren Voraussetzungen aus der Sprache darauf, dass Wissenschaft kein rational zusammenhängendes Unternehmen ist. Wie Wissenschaft auch definiert sein mag, es ist zwar ein rationales Unternehmen, aber nur innerhalb seiner Voraussetzungen. Verändert man die Voraus176
Hübner, Kurt (1978), S. 52, 86 f.
I. Wissen in der Wissenschaft?
79
setzungen, dann entstehen zwischen den von den Voraussetzungen geprägten Wissenschaftssystemen Lücken, so genannte Rationalitätslücken. Wissenschaft ist kein Aussagensystem, in dem die folgenden aus vorhergehenden Aussagen immer hergeleitet werden können, weil wissenschaftliches Wissen durch seine Festsetzungen und durch bestimmte Zweck- und Weltbildvorstellungen geprägt ist, die ihrerseits historischen Entwicklungen unterliegen und keine rationale Rekonstruktion zulassen. Die Rationalitätslücke verweist auf eine Geschichtlichkeit der Wissenschaft. 177 Ein Beispiel sind Einsteins Veränderungen der Begriffe Raum und Zeit in seiner Speziellen Relativitätstheorie; er konnte durch die Veränderung eine Unvereinbarkeit zwischen einer Theorie der Lichtgeschwindigkeit und einer Gleichberechtigung der Trägheitssysteme auflösen. Begriffs- und Theoriebildung unterliegen Veränderungen, die sich aus veränderten Begriffsinhalten erklären lassen. Das Besondere an diesen Veränderungsprozessen der Begriffe und Theorien unter historischen Einflüssen ist ihre mangelnde Herleitungsmöglichkeit aus vorausgegangenen Begriffen und Theorien bezogen auf den gleichen Wahrnehmungsgegenstand. Ein Beispiel bilden Descartes’ Stoßgesetze und deren veränderte Fassung durch Huygens. Descartes’ Begriff der Kraft eines Körpers meint dessen Größe und Oberfläche verbunden mit einer Geschwindigkeit und führt zu seinen Stoßgesetzen, die Huygens widerlegen zu können meinte mit der neuen Begriffsbildung des Impulses, einem Produkt aus Masse und Geschwindigkeit. Es hat viele Bemühungen gegeben, die Rationalitätslücke der Wissenschaften zu überwinden, um sie von dem Makel der Vagheit ihrer Zusammenhänge zu befreien. Interessant ist der Entwurf eines Begründungsfundaments aus sprachlicher Kommunikation, auf das Baumgartner unter Berufung auf Apel und Habermas verweist. 178 Einer Kommunikation – gemeint ist hier die in einer Gesprächssituation – wird die Rolle einer Begründungsinstanz zugewiesen. Ihre Begründung orientiert sich an einem Konsens der Gesprächspartner, sagt aber nichts über das Verhältnis ihrer Aussagen zu dem aus, was ihr Inhalt repräsentiert. Kommunikation bedarf des Wahrnehmungswissens, so wie es später allgemeiner die Radikalen Konstruktivisten aus einer biologischen Kommunikation eines Subjektes mit seiner Umwelt hervorgehend beschrieben haben. Es ist die Frage, ob die Kommunikation eines Subjekts mit seiner Umwelt, wie sie auch die Neurowissenschaft verwendet, ein Fundament zur Überwindung der Rationalitätslücke bilden kann. Es wird zu untersuchen sein, in welcher Weise die aus der Kommunikation begründeten Arten des Wissens eine Wissenschaft prägen und ob sie eine Grundlage bilden können, die einen Begründungszusammenhang innerhalb der Wissenschaft herstellen und eine ihnen gemeinsame Bewertungsinstanz ermöglichen kann. 177 178
Kuhn (1976), S. 19 u. Hübner, Kurt (1978), S. 62. Baumgartner, S. 1760.
80
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
II. Geschichtlichkeit der Wissenschaft Entsprechend den Aussagen über das Reflexionswissen vermittelt Wissenschaft ein Wissen über die Gegenstände aus einer bestimmten Betrachtung. Nicht nur die Wahl der Perspektive auf den Gegenstand sondern auch Vorstellungen darüber, was man unter Wissenschaft versteht und wie sie bestimmt sein soll, kennzeichnen ihr Wissen. Ihre Kriterien sind unter historischen Bedingungen entstanden; das macht ihre Geschichtlichkeit aus. 179 Während sich eine systematische Betrachtung mit den Aspekten einer Struktur der Wissenschaften, mit ihrer Begründbarkeit, ihrem Gewissheitsanspruch und mit ihrer Methodik befasst, wird die Geschichtlichkeit der Wissenschaft dadurch deutlich, dass ihre bereits erwähnte Rationalitätslücke hervortritt. Gemeint ist damit, dass sich physikalische Theorien, die im Laufe der Jahrhunderte entwickelt worden sind, um bestimmte Phänomenen zu beschreiben, nicht nach rationalen Kriterien aus den vorangegangenen Theorien herleiten lassen. Es entstanden neue Vorstellungen über das, was überhaupt als Wissenschaft gelten soll wie z. B. ob Metaphysik und Religion zu einer Wissenschaft gehören? Es waren auch immer wieder neu entstehende Begrifflichkeiten wie z. B. in der Physik die Begriffe Masse, Kraft und Geschwindigkeit. Theorieentwürfe haben sich nicht nur durch veränderte Begrifflichkeiten sondern auch vor dem Hintergrund ihrer sich wandelnden Weltbilder so entwickelt, dass sie miteinander inkommensurabel geworden sind. 180 Unter dem Aspekt der Geschichtlichkeit der Wissenschaft gewinnen die aus einem historischen Umfeld hervorgegangenen Eigentümlichkeiten der Wissenschaft eine eigenständige Prägung und nehmen oft keinen oder nur einen vagen Bezug auf vorausgegangene Entwicklungen. Eine dieser Entwicklungen betrifft die Auseinanderentwicklung der beiden großen Bereiche der Wissenschaft: die Naturwissenschaft und die Geisteswissenschaft; sie hat deshalb eine Bedeutung erlangt, weil sie zu einer tief greifenden Spaltung der Wissenschaft geführt hat. Bei Platon gingen ein Wissen über die Natur und ein Wissen über die Tugend auf ein ihnen gemeinsames Gute zurück: das Wissen von den sichtbaren und den denkbaren Dingen, ob Farbe, Schönheit oder Tugend, wurde durch ihre Teilhabe an der Ideenwelt erklärt und erkennbar wurden sie im Lichte der Idee des Guten. Eine Unterteilung des Wissens in theoretisches und praktisches Wissen machte dagegen Aristoteles. Er hat ein wissenschaftliches Wissen unterschieden von einem Wissen aus Handeln, weil er Gegenstände wissenschaftlicher Erkenntnis, die den Charakter der Notwendigkeit an sich haben – sie sind ungeworden und 179
Hübner, Kurt (1979), S. 193 ff. Hübner, Kurt (1979, Kap. IX) beschreibt die Geschichtlichkeit der Wissenschaft ausführlich aus einer historischen Wissenschaftstherie. 180
II. Geschichtlichkeit der Wissenschaft
81
ewig –, von denen absonderte, die einer Veränderung aus einem Handeln unterliegen. 181 Das Handeln hat er wiederum unterteilt in ein hervorbringendes Handeln (poiesis), dessen Ziel außerhalb der Tätigkeit liegt, und in Handeln (praxis), dessen Ziel das Handeln selber ist. 182 Das letztere kann aus Leidenschaft geschehen oder, wenn es eine Tugend ist, aus der Fähigkeit, sich zu den Leidenschaften zu verhalten, orientiert an erstrebenswerten Kriterien. 183 Worauf es hier ankommt, ist die Unterscheidung zwischen einem wissenschaftlichen Wissen und einer Einsicht in richtiges Handeln. 184 Beide Teile des Wissens entwickeln sich nicht auf getrennten Wegen, sondern bleiben in einer gemeinsamen Grundlage aufeinander bezogen: das ist das Göttliche. Wissenschaftliches Wissen vom Unveränderlichen führt Aristoteles auf den unbewegten Beweger zurück; Gott kommt ununterbrochenes, fortdauerndes und ewiges Leben zu; 185 das Wissen vom Veränderlichen ist die sittliche Einsicht, die sich an dem höchsten Wert einer Glückseligkeit orientiert; Glückseligkeit nennt er das Ziel einer betrachtenden Tätigkeit, die, wenn sie dem Wirken der Gottheit am nächsten kommt, die seligste sein wird. Richtig und wertvoll zu handeln heißt, das zu tun, was den Göttern nahe steht; und wer das tut, dem werden sie es mit Gutem vergelten. 186 Es reicht nicht aus, von den ethischen Werten nur zu wissen, sondern man muss versuchen, sie in die Tat umzusetzen. 187 Theoretisches Wissen und Handeln bleibt im Göttlichen verbunden. Thomas von Aquin hatte Vernunfterkenntnis und Tugendlehre noch aus dem Glauben an den christlichen Gott und dessen Werke miteinander verbunden: das Handeln orientiere sich an der Liebe zu Gott, die eine Vernunfterkenntnis überragt. 188 Im ausgehenden Mittelalter wird dann in der Wissenschaft eine Bewegung deutlich, die schließlich zum Verlust eines Gemeinsamen führt, das wissenschaftliches Wissen und ethische Einsicht verbunden hatte. Einen ersten Schritt in Richtung einer Mathematisierung des Wissens über die Natur unternahm Robert Grosseteste; er hat aus theologischen Motiven mathematische 181 Aristoteles (1969, sechstes Buch) führt die Einteilung zurück auf die Unterteilung der Seele in einen Teil, der als rationales Seelenelement jene Formen des Seienden betrachtet, deren Seinsgrund keine Veränderung zulässt; und in den anderen Teil, mit dem wir veränderliches Sein betrachten. 182 Aristoteles (1969), Erstes Buch 1. 183 Ebd. Zweites Buch, 5. 184 Ebd. Sechstes Buch. 185 Aristoteles, (1970), Met. XII, 1072 b. 186 Aristoteles (1969), Zehntes Buch. 187 Aristoteles (1969, Zehntes Buch, 1179 a 4 – 26) unterscheidet Menschen, die nach Äußerem urteilen und dann glücklich werden, wenn sie ohne reich zu sein das tun, was nach ihrer Anschauung das Edelste ist; ob es dieses ist, entscheidet die Wirklichkeit des Lebens; er unterscheidet sie von den Menschen, die durch ein aktives Leben des Geistes den höchsten Wert des Handelns erkennen, der den Göttern am verwandtesten ist. 188 Thomas, I, II.
82
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
Methoden in die Naturwissenschaft eingeführt: Gott sei Licht und jeder natürliche Körper trage die leuchtende Natur des Himmels an sich: Licht aber verhalte sich nach den Gesetzen der Optik, die durch Linien, Winkel und Figuren angegeben sind. Die Struktur der Welt ist deshalb mathematisch weil lichthaft. 189 Galilei folgte diesem Weg einer Mathematisierung der Natur, die schließlich den christlichen Glauben aus der Wissenschaft verdrängt und zu einem Vorrang einer berechenbaren Naturwissenschaft führt. Galilei wollte sich nicht mehr allein auf Sinneserkenntnis verlassen, weil er überzeugt war, dass die Struktur der Natur eine mathematische sei. Er rückte theoretische Entwürfe in den Vordergrund, deren mathematisch gefasste Aussagen natürliches Geschehen exakter beschreiben; er verwendet z. B. einen erdachten Begriff der gleichförmigen Bewegung, der so nicht erfahrbar, aber in der Lage ist, bestimme Phänomene zu erklären. 190 Die Sinneserkenntnis trat hinter die theoretischen Konzepte zurück und erhielt die nachgeordnete Aufgabe, theoretische Erklärungen durch Beobachtung zu rechtfertigen. Der Charakter des Allgemeinen hatte sich geändert: an die Stelle transzendenter Vorstellungen wie Ideen, Formen und göttliches Wirken traten erdachte Verknüpfungen profaner Begriffe in Gestalt mathematischer Entwürfe. So konnte Galilei sagen, dass das Buch der Natur in der „Sprache der Mathematik“ geschrieben sei. 191 Das Wissen hatte sich sowohl im Charakter des Allgemeinen als auch im Erfahrungsbegriff verändert. Die neue Vorstellung von einer Wissenschaft, die davon ausging, dass die Natur durch ein allgemeines und notwendiges Gesetz bestimmt sei, hat der Erfahrung eine untergeordnete Rolle zugewiesen, nämlich das zu bestätigen, was das mathematische Gedankenexperiment vorgab. Die Erfahrung im aristotelischen Sinn, die von dem sinnlich erfahrbaren Einzelnen ausging, musste hinter ein begriffliches Allgemeines zurücktreten, das nach einer Bestätigung durch die Erfahrung fragte. 192 Eine Fortsetzung dieser Entwicklung findet sich bei Thomas Hobbes, der Naturwissenschaft unter dem Zweck einer Instrumentalisierung betrachtete. Wissenschaft wird zum Instrument einer die Natur beherrschenden Macht, die dem Wohl der Menschen dienen soll. 193 Die Natur wird des Irrtums unfähig weil wissenschaftliches Wissen in den Dienst des Erschaffens gestellt wird. 194 Hobbes hat alles aus der Wissenschaft verbannt, was sich einer Gewissheit verschaffenden rationalen Methode entzieht: das sind Theologie und die Metaphysik. 195 Die Be189 Grosseteste, S. 113 – 123; Mackenzie hat sich mit Grossetestes Charakter des Lichts aus theologischer und physikalischer Perspektive auseinandergesetzt. 190 Galilei (1964), Über Bewegung, S. 187. 191 Galilei (1953), 6, S. 121. 192 Petersen (1996) hat das unterschiedliche Verständnis der Erfahrung bei Aristoteles und Galilei behandelt. 193 Hobbes (1915), I 6. 194 Hobbes (1965), S. 26. 195 Hobbes (1915), I, 8; (965), S. 62.
II. Geschichtlichkeit der Wissenschaft
83
schränkung auf das, was als Wissenschaft gelten soll, kündigt einen neuen Weg der Rationalität an. Aussagen müssen mit dem Verstand für jedermann nachvollziehbar sein. Auch eine Ethik hat Hobbes einem Zweck unterworfen: sie soll ähnlich der Naturwissenschaft als Instrument der Macht dem Wohl der Menschen dienen. 196 Naturwissenschaft und Ethik unterwirft er einem dem Wohle der Menschen dienenden Zweck. Was in diesem Entwurf – wie später auch bei Descartes – ausgeklammert bleibt, hat Vico in seiner Topik kritisch betrachtet und angemahnt: es sind die Phantasie, die Poetik, das Ingenium und ein sensus communis, alles Momente, die helfen könnten, den Reichtum und die Vielgestaltigkeit einer Natur und auch des menschlichen Handelns wissenschaftlich zu erschließen. 197 Aber seine Auffassung setzte sich nicht durch. Die Naturwissenschaft erhielt nicht nur den Vorrang, sondern die Kriterien, die sie als Wissenschaft ausweisen, vor allem das der Rationalität, wurden auch für die ethische Einsicht geltend gemacht. Ein anderes dieser Kriterien war die Beschränkung der Naturwissenschaft auf eine Objektivierung, die im Rahmen des Positivismus des 19. Jahrhunderts besonders von Mach vertreten wurde. Für ihn sind die Elemente des Psychischen und des Physischen die gleichen, die eine Wahrnehmung des Baumes ausmachen; es sind dieselben Elemente, welche das Ich und die Außenwelt erklären. 198 Es erübrigte sich zwischen Subjekt und Objekt zu unterscheiden. Eine andere Möglichkeit zur Erfüllung der Forderung, Wissenschaft müsse objektivieren, war, das Subjekt auszuschließen. Der Beobachter sieht von sich selbst und dem Akt der Beobachtung ab und betrachtet nur die Dinge um sich herum. Schrödinger hat in einer kritischen Betrachtung dieser Entwicklung zur Objektivierung geschrieben: wir schließen das „Subjekt der Erkenntnis aus dem Bereich dessen, was wir an der Natur verstehen wollen, aus. Wir treten mit unserer Person zurück in die Rolle des Zuschauers, der nicht zur Welt gehört, welch letztere eben dadurch zu einer objektiven Welt wird.“ 199 Wo das geschieht, bleibt das wahrnehmende, denkende und fühlende Ich ausgeschlossen; es kann nicht thematisiert werden, weil man meinte, dass es nicht objektivierbar sei. Deshalb blieb unberücksichtigt, was zu einer Natur hinzugehört wie Erleben, Mitgefühl und alles, was eine Bedeutung in Bezug auf das anschauende, wahrnehmende und fühlende Wesen hat; dazu gehören auch sittliche und ästhetische Werte. 200 Schrödinger hat diesen Reduktionismus dadurch zu überwinden versucht, dass er darauf hinwies, dass es nicht nur auf Wahrnehmungselemente und Denkin196
Hobbes (1965), S. 36. Vico (1984), S. 27 ff. 198 Zitiert nach Schrödinger (1989 b) S. 63; vgl. bei Kather, S. 267. 199 Schrödinger (1989a), S. 58; Kather (S. 258) behandelt das Problem der Objektivierung als Methode der Physik aus historischer Perspektive. 200 Schrödinger (1989a), S. 96. 197
84
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
halte ankäme, sondern auch auf den Wahrnehmenden und Denkenden. 201 Allerdings konnte trotz dieser Hinweise nicht gezeigt werden, welchen Ort in einer Systematik der Wissenschaft diese subjektiven Elemente einnehmen. So blieben Schrödingers Forderungen mehr Aufrufe als selbst einer wissenschaftlichen Einsicht zugänglich. Die Entwicklung hat zu einer Naturwissenschaft geführt, deren Anspruch es war, das Nicht-Objektivierbare aus der Wissenschaft auszuschließen. Die Rationalisierung, die Einmaliges ausschloss, und die Objektivierung, die Subjektives verdrängte, hatten zu einer Entwicklung geführt, die eine Wissenschaft bevorzugte, die das Unveränderliche in der Natur betrachtet. Das Veränderliche aus einem Handeln, Verhalten und Erleben der Menschen, von dem nicht erwartet werden kann, dass es einer Naturgesetzmäßigkeit folgt, blieb einer Wissenschaft unzugänglich. Nach ersten Ansätzen durch Vico hat Dilthey Ende des 19. Jahrhunderts dieses Ausgeschlossene einer Wissenschaft zugänglich gemacht. Es ist das Veränderliche aus den Schöpfungen des Geistes wie Kunst, Religion, Geschichte, Politik und Gesellschaft. Für diesen Bereich eines Wissens entstand der Name Geisteswissenschaften, die Dilthey so beschrieben hat: „Das Ganze der Wissenschaften, welche die geschichtlich gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstand haben, ...“ 202. Zu den Merkmalen des Systems der Geisteswissenschaften gehören bestimmte Gegenstände, über die Dilthey sagt: „So sondert er von dem Reiche der Natur ein Reich der Geschichte, in welchem mitten in den Zusammenhang einer objektiven Notwendigkeit, welche Natur ist, Freiheit an unzähligen Punkten dieses Ganzen aufblitzt.“ 203 Dilthey nennt es Freiheit, die zu Veränderlichem der Gegenstände führt. Veränderliches aus menschlichen Handlungen hängt mit einer Bewertung durch das Subjekt zusammen. 204 Es bedurfte einer eigenen neuen Methode, die nicht von einer Notwendigkeit durch Gesetze geprägt ist, sondern das Veränderliche erfassen kann. Es ist eine Methode des Verstehens – die Hermeneutik –, die vor allem von Dilthey in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde und deren Ergebnisse er unter dem Begriff der Geisteswissenschaft zusammenfasste. Sie ermöglichte, alle Lebensbereiche des Menschen zu erklären, die aus dem Handeln, dem Verhalten und Erleben entstehen und die vor allem geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge beschreiben kann. Die Besonderheit der Hermeneutik ist, dass sie Neues aus zuvor Erkanntem erklärt. Das bedeutet, dass sie zwar erklären aber nicht wie in der Naturwissenschaft durch Gesetzmäßigkeiten etwas voraussagen kann. 201
Schrödinger (1989b), S. 60 f. Dilthey, S. 4. 203 Ebd. S. 6. 204 Marquard (1986 S. 104, 107) stellt den gegenwärtigen experimentellen Naturwissenschaften die erzählende Wissenschaften gegenüber. 202
III. Systematisches in der Wissenschaft
85
Das zuvor durch die Rationalisierung ausgeschlossene Subjektive wurde durch Diltheys Entwurf einer Wissenschaft zugänglich gemacht, allerdings mit der Folge, dass Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften wegen der unterschiedlichen Begründungssystematik und Methode sich nicht mehr auf ein gemeinsames erklärendes Allgemeines berufen konnten, was zu einer Kluft zwischen beiden führte. Errungenschaften der Naturwissenschaft einerseits und andererseits eine Wissenschaft der Geschichte, der Kunst und Ethik blieben unvermittelt nebeneinander stehen. Es hat verschiedene Versuche gegeben, die entstandene Kluft zu überwinden. 205 Es ist aber bisher nicht gelungen, naturwissenschaftliche Erklärungen ebenso wie ein Wissen des Einmaligen, des Veränderlichen und eine Ethik aus einer allen gemeinsamen Erkenntnisbegründung herzuleiten. In beiden Wissenschaftsbereichen ist ihre Systematik selbst historisch entstanden; nicht ausgeschlossen ist, dass sie sich unter neuen Erkenntnisperspektiven wiederum verändern könnten. Eine neue Perspektive ist z. B. die Betrachtung des Wissens als das Ergebnis einer Kommunikation eines Subjektes mit seiner Umwelt. Als Folge diese Sichtweise ist nicht einzusehen, dass ein Reflexionswissen über ein Wahrgenommenes nur gemäß den Merkmalen einer Naturwissenschaft oder einer Geisteswissenschaft erfolgt und nicht aus einer Verknüpfung beider Bereiche und ihren unterschiedlichen Möglichkeiten, Wissen über die Umwelt zu erschließen, hervorgehen kann. Ein Beispiel dafür kann sein, wie aus der Betrachtung eines Kindergesichtes und dessen strahlenden Augen Ergebnisse aus beiden Bereichen miteinander verbunden zu sehen: die Prozesse im Sinnesorgan des Auges naturwissenschaftlich betrachtet und das Strahlen der Augen aus der emotionalen Bewertung des Gesichtes. Die Verarbeitung der Umweltreize bildet eine Brücke als Verbindung zwischen beiden Wissenschaftsbereichen. Es ist kein zwingendes Argument hervorgetreten, dass das eine Wissen aus der Naturwissenschaft das andere aus der Geisteswissenschaft ausschließt. Die Betrachtung eines Wahrgenommen mit Hilfe eines abstrahierenden Allgemeinen und ergänzt durch das Wissen des Einmaligen aus der Wahrnehmung bzw. Emotion führt zu vollständigerem Wissen des Wahrgenommenen.
III. Systematisches in der Wissenschaft Mit Systematik der Wissenschaft werden hier Merkmale bezeichnet, die in den geschichtlich unterschiedlichen Konzeptionen unverändert geblieben sind. Es sind Merkmale, die zeigen, dass sich Wissenschaft nicht zu einer Beliebigkeit
205
Kolster (1990), S. 6 – 13.
86
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
entwickelt hat. Sie machen eine Kontinuität der historisch veränderten Entwürfe sichtbar. Systematisches kennzeichnet eine Verfasstheit der Wissenschaft. Aus der historischen Entwicklung hat sich eine unterschiedliche Systematik für die Naturund die Geisteswissenschaft ergeben. Dazu gehören ihre Gegenstände, ihre Begründungsgrundlagen und Methoden. Kennzeichnend für eine Systematik der Naturwissenschaft ist die Gesetzesartigkeit ihrer Aussagen, die Abstrahierung vom Einzelnen, eine Eingrenzung auf Objektivierbares ihrer Gegenstände und bestimmte Methoden, die eine Beziehung zwischen Theorie und Bestätigung der Theorien so herstellen, dass eine allgemeine Geltung ihrer Aussagen erreicht wird. Es gibt ein Bedürfnis, Wissen über Zusammenhänge in der Natur und der Kultur zu erforschen, zu erklären und bestimmte Zwecke zu erreichen. Wissenschaft lässt sich beschreiben als Erfüllung des Bedürfnisses neues Wissen auf der Grundlage eines vorgefundenen Wissens zu erschließen und das neue dem vorhandenen Wissen zuzuordnen. Merkmale eines Wissens sind nicht festgelegt worden sondern haben sich in einer historischen Entwicklung herausgebildet; ihre systematischen Anforderungen an ein solches Wissen haben sich im Laufe einer historischen Entwicklung verändert. In der Wissenschaft werden Erforschung und Erschließung von Zusammenhängen häufig gekennzeichnet durch einen Unterschied von „Erklären“ in den Naturwissenschaften und „Verstehen“ in den Geisteswissenschaften. Hübner zeigt, dass der Unterschied überbrückbar wird durch einen inneren Zusammenhang ihrer Erschließungssystematik; es ist in beiden Bereichen ein Allgemeines; das sind in den Naturwissenschaften Gesetze und in den Geisteswissenschaften Regeln 206. Ziel eines Wissens in den Wissenschaften ist seine Gegenstände zu erklären, Allgemeines – das sind Begriffe, Aussagen und Theorien über Einzelnes – das ist Wahrgenommenes – auszusagen. Wissen ist ein Ergebnis aus Verknüpfung von Begriffen zu Aussagen über einen Gegenstand. Die verwendeten Begriffe sollen möglichst unmissverständlich beschrieben werden; das gilt vor allem für veränderte und neue Begriffsbildungen. Aussagen sind ein Allgemeines, d. h. sie gelten für alle unter dem Aspekt der Aussagen erfassten Individuen. Aus einer Verknüpfung von Aussagen lassen sich Theorien über einen Zusammenhang ihrer Gegenstände bilden. Eine Entwicklung von Theorien ermöglicht nicht immer einen rationalen Zusammenhang, d. h. dass sich z. B. physikalische Theorien nicht nach rationalen Kriterien aus den vorangegangenen Theorien herleiten lassen so, dass eine oben beschriebene Rationalitätslücke entsteht. 207 Aussagen 206 207
Kurt Hübner (1978), S. 304ff. Kuhn, S. 19 u. Hübner, Kurt (1978), S. 62.
III. Systematisches in der Wissenschaft
87
müssen begründet und ihre Ergebnisse für jedermann nachvollziehbar einsehbar sein. Ein zentrales Merkmal wissenschaftlichen Wissens ist die Begründungspflicht seiner Aussagen, die wahr oder falsch sein können. Begründungen sind ihrerseits von bestimmten Merkmalen abhängig: Das ist erstens der Verweis auf die Instanz der Erfahrung; allerdings bedürfen nicht alle Wissenschaftsbereiche wie z. B. die Mathematik dieser Instanz. Erfahrung beruht auf Wahrnehmungswissen; nicht entschieden ist aber, was man der Erfahrung bezüglich einer Begründung des Wissens überlässt und was nicht; soll z. B. Erfahrung nur im Rahmen ihrer vorausgehenden Begrifflichkeit eine Rolle spielen, wie es die Rationalisten verlangen, oder soll die Erfahrung ihrerseits erst die Herausbildung von Begriffen ermöglichen, wie es z. B. die Empiristen meinten. Unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Erfahrung als Rechtfertigungsinstanz – festgelegt in bestimmten Festsetzungen – haben zu unterschiedlichen Ausprägungen der Wissenschaft geführt. 208 Zu dem Begründungsproblem gehört, dass die in den Begründungen verwendeten Begriffe und Aussagen wiederum zu begründen sind bis hin zu einer Frage nach der Letztbegründung, die immer wieder diskutiert worden ist, um den Wissenschaften ein unbezweifelbares Fundament zu verschaffen. 209 Ob eine Letztbegründung möglich sein kann, erscheint aber eher zweifelhaft, weil die unverzichtbaren Elemente, nämlich Wahrnehmung und Sprache nicht ausschließlich rational erfassbar sind. Sprache, die jeder Wissenschaft vorausgehen muss, lässt sich vor allem nicht in ihrer Semantik auf einen rationalen Zusammenhang zurückführen. In die Sprache geht Wahrnehmungswissen ein, auch in eine Wissenschaftssprache, wenn sie von einer Umgangssprache unterschieden wird. Und dieses Wahrnehmungswissen lässt sich nicht in einem vollständig fixierten Sprachkonstrukt erfassen, weil das wiederum Sprache voraussetzt. Gegenstand eines Wissens in den Wissenschaften sind Wahrgenommenes oder Aussagen und Theorien mit ihrem Wahrnehmungsgehalt. Unterscheiden lassen sich die Gegenstände aus der Wahrnehmung, die keiner Beliebigkeit ausgesetzt und über die gesetzmäßige Aussagen möglich sind wie die der Natur, von denen die durch Handeln beliebig sein können, die aus dem Denken und Handeln der Menschen hervorgehen; das sind alle kulturellen Gegenstände wie die der Geisteswissenschaft. Ein Allgemeinheitscharakter kennzeichnet Aussagen über Gegenstände der Natur, die, wenn sie gut bewiesen sind, als Gesetzmäßigkeiten gelten. Ein singulärer Gegenstand wie z. B. eine historische Situation, die geprägt aus menschlichem Denken und Handeln etwas Veränderliches ist, bedarf auch eines Allgemeinen zu ihrer Erschließung wie z. B. bei Gegenständen der 208
Hübner, Kurt (1978), S. 52 u. 86 f. Hösle (1990) S. 142 ff.: er hat die Frage nach einer Letztbegründung historisch aufgearbeitet und den Entwurf einer reflexiven Letztbegründung vorgelegt. 209
88
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
Kultur allgemeiner Regeln. 210 Ihre Ergebnisse haben keinen Gesetzescharakter und erlauben keine Voraussagen. Dieser Unterscheidung der Gegenstände entsprechend haben sich Gegenstandsbereiche und entsprechend eigentümliche Methoden des Erforschens herausgebildet. In den Wissenschaften von den Gegenständen der Natur ist es die empirische und die hermeneutische ist es für die von den veränderlichen Gegenständen menschlichen Denkens und Handelns. Die Besonderheit der Hermeneutik ist, dass sie Neues aus zuvor Erkanntem erklärt. Das bedeutet, dass sie zwar erklären aber nicht wie in der Naturwissenschaft durch Gesetzmäßigkeiten etwas voraussagen kann. Wissen kann selbst zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden, zusammengefasst unter dem Begriff der Wissenschaftstheorie. Es hat in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder Versuche gegeben, die sich weitgehend verselbständigten Wissenschaftsbereiche aus einem gemeinsamen Erkenntniskonzept zusammenzufügen. Einen frühen Versuch hat Giambattista Vico unternommen mit seinem Entwurf einer Erkenntnis aus Erzeugung. Die Gegenstände der Naturwissenschaft ebenso wie die aus dem menschlichen Geist erklärt er aus ihrem Schöpfungsakt, Natur erzeugt von einem göttlichen Schöpfer und Kultur erzeugt aus dem menschlichen Geist, der das, was er erschaffen hat, auch verstehen kann. 211 Auf eine Möglichkeit, die Kluft aus gegenwärtigen Erkenntnissen zu überwinden ist oben hingewiesen worden. Aus erkenntnistheoretischen und methodischen Gründen besteht die oben geschilderte Kluft zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Naturwissenschaften orientieren sich heute vor allem an Zwecken und Machbarkeiten; die Geisteswissenschaften suchen nach Zusammenhängen und einem Verständnis kultureller Ereignisse und die zwischen beiden einzuordnende Gruppe der Sozialwissenschaften, die sich auch auf empirische Methoden stützen, suchen nach Erklärungen und Voraussagen für gesellschaftliche Prozesse. Weitere zentrale Merkmale der Wissenschaft ergeben sich aus ihrer Beziehung zu Ergebnissen aus der Wahrnehmung.
210
Vgl. Hübner, Kurt (1978), S. 308 ff. Vico (1979), S. 35 ff. Diese erkenntnistheoretische Position wurde schon im 18. Jahrhundert von Vico in seinem Axiom des „verum et factum convertuntur“ entwickelt, geriet aber bis zu einer Wiederentdeckung zum 20. Jahrhundert in Vergessenheit. Vgl. Kolster (1990), wo Vicos konstruktivistische Erkenntnistheorie ausführlich behandelt wird. 211
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
89
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft Wie wenig Bedeutung Heisenberg einem Wissen aus der Wahrnehmung beimisst, wird deutlich, wo er Wirklichkeit beschreibt. Er unterscheidet in einem Zugang zur Welt Wirklichkeitsbereiche der klassischen Physik, der Chemie, des organischen Lebens, des Bewusstseins, der Symbole und Gestalt und der schöpferischen Kräfte. Unter einem Bereich der Wirklich, so definiert er, „verstehen wir also eine Gesamtheit von gesetzmäßigen Zusammenhängen“ 212. Wirklichkeit wird hier auf Wissenschaft zurückgeführt, ein eigenständiges Wahrnehmungswissen kommt nicht vor. Ist es berechtigt, in der wissenschaftlichen Beschreibung der Wirklichkeit der Wahrnehmung keinen eigenständigen Ort einzuräumen? Erklärt worden ist bisher, was ein Reflexionswissen leistet und was ein eigenständiges Wahrnehmungswissen vermittelt. Da Reflexionswissen die Grundlage der Wissenschaft ist, geht es jetzt darum herauszufinden welche Eigentümlichkeiten die Wissenschaften kennzeichnen, welche Differenzen es gegenüber dem Wahrnehmungswissen gibt und wie diese sich auswirken. Entsprechend der in diesen Untersuchungen verwendeten Begrifflichkeiten über das Wissen ist zunächst zu klären, in welcher Weise sich die drei Arten des Wissens in den Wissenschaften niederschlagen. Da wissenschaftliches Wissen als Ergebnis aus nachdenkender Betrachtung eines Gegenstandes hervorgeht, gehört es zur Art des Reflexionswissens. 213 Es ist von dessen Merkmalen geprägt; das sind die Einflüsse aus den Reizen der Umwelt, die Eigentümlichkeiten des Gewussten, die Erklärungszusammenhänge, die Abstraktion und eine Differenz zum Wahrnehmungswissen. Aus der Beziehung zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen hatten sich Merkmale ergeben, die auf das wissenschaftliche Wissen übertragbar sind. Wissenschaft bedarf der Wahrnehmung, aber Wahrnehmung nicht der Wissenschaft. Die Reflexion bringt der Wahrnehmung unzugängliche Erkenntnisse eines Gegenstandes hervor, deren Ergebnisse sich in Begriffen, Aussagen und Theorien oder in einer Geschichte, die erzählt wird, zeigen. Aber umgekehrt zeigt Wahrnehmung eine Vielfalt ihres Gegenstandes, Reflexion dagegen Aspekte abhängig von der Frage und gewählten Begriffen. Ähnlich wie bei der Wahrnehmung bedarf ein emotionales Wissen keiner Theorie; umgekehrt erschließt die Reflexion eines emotionalen Wissens Erkenntnisse über Zusammenhänge, die aus der Emotion für sich nicht hervorgehen. Erinnert wird an Tyes Beispiele: Man brauche keine wissenschaftliche Theorie 212
Heisenberg (1962), S. 233; Kather, S. 209. Eine Zuordnung des wissenschaftlichen Wissens zu einem Reflexionswissen wird hier nicht in einem transzendentalen Sinn verstanden, wie es bei Apel geschieht, um aus einer transzendentalen Reflexion eine Letztbegründung herleiten zu können (Apel 1973). 213
90
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
über Schmerzen, um festzustellen, ob man welche hat; oder wer noch nie den Geruch eines Stinktiers wahrgenommen hat, dem wird auch eine Theorie nicht beibringen können, wie es riecht. 214 Es gibt Differenzen zwischen Ergebnissen aus der Wahrnehmung und denen aus der Wissenschaft. Warum ist es wichtig nach der Differenz zu fragen. Wissenschaft beschreibt eine Hervorhebung gefragter Aspekte durch eine nachdenkende Betrachtung. Nicht erfasst werden die Teile des Wahrnehmungsgegenstandes, in die die hervorgehobenen Teile eingebettet sind und mit denen es eine gegenseitige Auswirkung geben mag. Die Differenz kann einerseits eine vertiefte Hervorhebung von befragten Zusammenhängen deutlich machen aber andererseits auf deren fehlende Einbettung und Auswirkungen in der Ganzheit des Wahrnehmungsgegenstandes verweisen. Der Verweis auf die Einbettung eines bestimmten hervorgehobenen Aspektes ist in der Medizin bekannt. Die Erkenntnis eines Zusammenhangs wird immer eingebettet gesehen in die Ganzheit des individuellen Patienten einschließlich möglicher individueller Auswirkungen. Wenn Reflexionswissen systematisch geordnet zur Wissenschaft führt und Wahrnehmungswissen die Grundlage der Wissenschaft bildet, dann ist die Frage, welche Differenzen zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft – ähnlich denen zwischen Wahrnehmung und Reflexion – entstehen und welche systematischen Merkmale der Wissenschaft die Differenzen prägen. Die systematischen Merkmale sind: − − − − − − −
der Aspektcharakter der Wissenschaft, die Reduktion, die Präparation, die Abstraktion wissenschaftlicher Erklärungen, die Objektivierung, die Rolle der Mathematik und das der Wissenschaft Unzugängliche Aspektcharakter
In der allgemeinen Behandlung des Reflexionswissens hatte sich gezeigt, dass Reflexion bestimmte Aspekte zur Geltung bringt, d. h. Aspekte des Wahrnehmungsgegenstandes, auf den sie sich bezieht. Im Unterschied zur Geschichtlichkeit der Wissenschaft ist der Aspektcharakter ein Merkmal, das für alle historisch unterschiedlichen Wissenschaftsausformungen gezeigt werden kann. 215
214 Tye (1999) spricht von phänomenalen Begriffen, die man nur aus der Erfahrung bekommt.
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
91
Der Aspektcharakter wird deutlich in der Fragestellung, die untersucht und beantwortet werden soll. Sie hebt den gefragten Aspekt des Wahrnehmungsgegenstandes hervor und grenzt zugleich ein Wissen über diesen ein. Die Frage selber setzt sich aus bestimmten Begrifflichkeiten zusammen, die den gefragten Aspekt kennzeichnen 216. Der Aspektcharakter gilt sowohl in der Natur- wie in der Geisteswissenschaft; allerdings mit dem oben erwähnten Unterschied, dass die Ergebnisse der Geisteswissenschaften keine Voraussage erlauben. Ein historischer Gegenstand wie z. B. das Römische Reich kann nicht nur aus unterschiedlichen Fragestellungen betrachtet werden, sondern auch innerhalb einer Frage mit Hilfe bestimmter Theorien, die es zu rechtfertigen gilt. Wählt man die Frage nach den Gründen des Untergangs des Römischen Reiches, so sind dazu verschiedenen Theorien entworfen worden, die dieses Phänomen aus unterschiedlichen Annahmen, die den Theorien zugrunde gelegt werden, zu erklären versuchen und den jeweiligen Aspekt ihrer Theorie hervorheben. 217 Eine ähnliche Eingrenzung eines Vorwissens aus der Wahrnehmung tritt auf, wenn zwei Begriffe in einem Reflexionswissen verbunden werden wie z. B. in der Aussage: das Totenkopfäffchen erzeugt piepende Laute. Hier werden zwei verschiedene Allgemeinbegriffe „Totenkopfäffchen“ und „piepende Laute“ miteinander verknüpft; andere Eigentümlichkeiten des Totenkopfäffchens und des Piepens, die in einem Wahrnehmungswissen unmittelbar präsent sind, werden weggelassen wie z. B. das Alter und der Zustand des Äffchens, der Ausdruck der Angst, Lautstärke, Tonhöhe usw. Selbst wenn man versuchte, alle Eigenschaften des Wahrnehmungsgegenstandes zu berücksichtigen, liegt der Zweifel nahe, ob ein Wahrnehmungsgegenstand überhaupt durch eine endliche Anzahl von Hinsichten vollständig erfasst werden könnte. Planck hat es durch seine Metapher des idealen Geistes so ausgedrückt: „Der Einwand, daß dieser ideale Geist selber doch nur ein Produkt unserer Gedanken ist und daß unser denkendes Hirn schließlich auch aus Atomen besteht, die physikalischen Gesetzen gehorchen, vermag einer näheren Prüfung nicht standzuhalten. Denn es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß unsere Gedanken uns ohne weiteres über jedes uns bekannte Naturgesetz hinausführen können und daß wir Zusammenhänge auszumalen vermögen, die mit eigentlicher Physik überhaupt nichts mehr zu tun haben.“ 218 Ein Aspekt ist geprägt von den verwendeten Begriffen und deren Erklärungszusammenhang. Wahrnehmungsgegenstände können aus unterschiedlichen wis215 Ausführlich hat Kather die Aspekthaftigkeit und die Idealisierung der Naturwissenschaft an den Beispielen aus Texten von Whitehead, Schrödinger, Einstein und Heisenberg behandelt. 216 Vgl. Einstein, S. 66. 217 Hübner, Kurt (1978), S. 308 ff., bes. S. 354 ff. 218 Planck (1958), S. 237 f.
92
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
senschaftlichen Theorien erklären erklärt werden wie z. B. die Himmelskörperbewegungen aus der euklidschen Physik oder aus der Relativitätstheorie. Wenn Wahrnehmung nicht auf Wissenschaft reduziert werden kann, gibt es dann eine Möglichkeit ihr Verhältnis zu einander zu beschreiben? Es wird zu prüfen sein, ob sich ihre Differenzen dadurch ausräumen lassen, dass man sie als gegenseitige Ergänzung anerkennt. Das heißt dass den Ergebnissen aus der Wahrnehmung eine gleichrangige Bedeutung eingeräumt wird wie denjenigen aus der Wissenschaft. Zu klären bleibt dann, in welcher Beziehung Wahrnehmung und Wissenschaft zu einander stehen. Auf die Frage wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Ein Beispiel dafür ist der Wahrnehmungsgegenstand Wasser und seine vielen möglichen wissenschaftlichen Betrachtungsweisen. 219 Wasser lässt sich aus physikalischer, aus biologischer, aus chemischer und aus ästhetischer Perspektive betrachten. Es gibt Anomalien beim Wasser, von denen mehr als 60 bekannt sind; eine davon ist, dass Wasser bei vier Grad Celsius seine größte Dichte erreicht. Es gibt 15 verschiedene Formen von Eis. Es gibt Phänomene die wunderbar und viele die wiederholbar sind. Es gibt ein Gedächtnis und ein Vergessen von Ordnungsstrukturen im Wasser, aber auch eine Kommunikation von Tropfen miteinander; nähert sich einem Tropfen Wasser ein zweiter, entstehen eine heftige Dynamik und Turbulenzen. Jeder der Aspekte erschließt ein wissenschaftliches Wissen, aber es sind eben immer nur Aspekte des Phänomens Wasser. Für Kröplin ist das Wasser Anlass auf eine andere Methodik des Erkennens als durch Zweifel zu verweisen; er möchte über das Phänomen vorgehen, über das „SelbstErscheinende“ im positiven Sinne. 220 Erklärendes Wissen geht aus einem Wahrnehmungswissen dadurch hervor, dass ein bestimmter Aspekt ausgewählt und gegenüber dem verbleibenden Wahrnehmungswissen hervorgehoben wird. Insofern kommt im erklärenden Wissen immer nur der befragte Aspekt eines Wahrnehmungswissens zur Geltung. Wenn man nach einem anderen Aspekt fragt oder andere Begrifflichkeiten wählt, kann neues erklärendes Wissen entstehen. Nach dem Umfang einer Erklärungslücke zwischen Wahrnehmungs- und erklärendem Wissen zu fragen, macht keinen Sinn, weil nicht klar ist, woran eine Lücke gemessen werden sollte. Ein Wissen aus Wahrnehmung lässt ein fortschreitendes vielfältiges Erklärungswissen zu, ohne dass dessen Begrenzung absehbar wäre; das Gefühl des Schmerzes führt in obigem Beispiel zu einem erklärenden Wissen neuronaler Prozesse, die weiter untersucht werden könnten, ohne an ein Ende weitere erklärender Erkenntnisse zu gelangen. Es gibt also weiter Unerklärtes, das nach Erklärung verlangt.
219 220
Fischer (2007): Wasser – Ein Universum für sich, SWR2 Wissen (12. März 2007). Kröplin, S. 11.
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
93
Der Aspektcharakter gilt sowohl in der Natur- wie in der Geisteswissenschaft; allerdings mit dem oben erwähnten Unterschied, dass er in den Ergebnissen der Geisteswissenschaften keine Verallgemeinerung erlaubt. Die wissenschaftliche Betrachtung eines Musikstückes erschließt zwar Einsichten mit Hilfe eines Allgemeinen wie z. B. durch Stilmittel. Das Allgemeine erlaubt aber keine Voraussage, ob der Komponist in einem anderen Stück dem gleichen Stilmittel folgt. Reduktion Der Reduktionist möchte Mensch und Natur vollständig durch die Naturwissenschaft beschreiben; d. h. es gibt keine Erfahrungen, die sich nicht wissenschaftlich vollständig erklären lassen. 221 Auch Subjektives wie Gefühlszustände, Gedanken und Erlebnisse ebenso wie Bewusstseinserscheinungen sollen auf physiologische Prozesse rückführbar sein. Kanitscheider, der einen radikalen Reduktionismus vertritt, beschreibt z. B. die Zuneigung zweier Menschen zueinander als ein psychoneurodendokrines Phänomen, bei dem endogene Wirkstoffe auf männlicher wie weiblicher Seite eine Steuerfunktion auf das ausüben, was die Betroffenen als Liebe empfinden. 222 Auf die Frage, warum gerade bei der Begegnung zweier bestimmter Menschen diese physiologischen Prozesse einsetzen und bei anderen nicht, gibt diese Theorie keine Antwort; ebenso wenig darauf, warum bei einer Begegnung dieser physiologische Prozess einsetzt und nicht ein anderer wie Antipathie oder Hass. Es hängt wohl von der augenblicklichen Situation wie von den Individuen ab, ob der eine oder ein anderer Prozess eintritt, ob er immer in der gleichen Weise entsteht, wenn sich die beiden Menschen begegnen oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlicher Weise. Emotionen, die in einer Wahrnehmung während einer Begegnung entstehen und sie begleiten, bewerten die Wahrnehmung des anderen und erst aus diesem Bewertungsergebnis entsteht ein die Emotion der Liebe begleitender physiologischer Prozess. Die Gesetzmäßigkeit des physiologischen Prozesses allein wird die jeweils unterschiedliche Begegnungssituation nicht abbilden können. 223 Liebe lässt sich nicht auf einen chemischen Prozess reduzieren, weil dieser keine hinreichende Bedingung für Liebe ist, denn ungeklärt ist, welcher Prozess es sein soll, ob es ein oder verschiedene verschränkte Prozesse sind. Ein chemischer Prozess ist aber eine notwendige Bedingung für Liebe, wie Damasios Beobachtungen bei Hirnverletzten zeigten; wenn solche Prozesse wegen Verlet-
221
Vgl. zum Reduktionismus: Kather 239 ff.; Ströker (1990) S. 41. Kanitscheider S. 3 ff. 223 Heisenberg (1984/85), Bd. I. S. 276) wendet sich gegen die Vorstellung der Abbildbarkeit der Erkenntnisakte auf Gehirnprozesse, er meint, dass die Gedankenkette auch bei mehrfacher Wiederholung nicht genau der vorausgegangenen Gesamtsituation des Individuums entspricht, wie es bei gleich bleibenden physikalisch / chemischen Gesetzmäßigkeiten zum Ausdruck kommt. 222
94
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
zungen nicht möglich sind, fehlen Emotionen. Die Reduktion auf eine Theorie erfasst nicht das ganze wahrgenommene Phänomen. Einwände gegen einen Reduktionismus sind: eine Theorie erfasst nicht das Subjektive und Individuelle, das eine Naturwissenschaft durch Objektivierung und Rationalisierung ausschließt. Außerdem müsste eine reduktionistische Theorie in der Lage sein, alle möglichen Theorien über die Vielfalt der Aspekte auf eine grundlegende Theorie zurückzuführen; ob das für eine unbegrenzte Vielfalt der Aspekte möglich ist, scheint zweifelhaft. Das Ideal eines Reduktionismus wäre eine Rückführung aller wissenschaftlichen Erkenntnis auf eine grundlegende Wissenschaft. Von ihr würde eine einheitliche Sicht auf die Wirklichkeit erwartet. Das Beispiel des Wassers hat aber gezeigt, dass eine einheitliche wissenschaftliche Sicht auch nur Aspekte des Wahrgenommenen erschließt. Präparation In welchem Umfang Gesetzmäßigkeiten der Physik ein Wahrnehmungswissen der Natur erfassen, erläutert Ludwig anhand des Begriffs der Präparation physikalischer Erkenntnis. Diese sei ein Ergebnis aus dem Zusammenwirken von erdachten, ausgewählten Theorien und Versuchsanordnungen, die in dem Naturgeschehen Bestätigung oder Ablehnung fänden. Sie kommen zustande durch präparierte Systeme; diese sind gekennzeichnet durch die Zielsetzung, Auswahl von Größen, Eliminierung störender Einflüsse und Einschränkungen auf Erfahrungsbereiche. In der Auseinandersetzung über die Frage des Determinismus bzw. Indeterminismus in der Natur zeigt er, dass jede deterministische Theorie wegen der Präparation einen großen indeterministischen Bereich enthält; das sind Entscheidungen über eine Auswahl eines geeigneten Präparierverfahrens und die Auswahl bestimmter aus vielen möglichen Anfangswerten wie z. B. von Ort und Geschwindigkeit in der Newtonschen Mechanik. Eine Wahl der Präparierverfahren bleibt vollkommen unbestimmt und ist weitgehend frei verfügbar. 224 Eine Bestätigung von Gesetzmäßigkeiten durch die Natur ist unstrittig; die Präparation macht aber deutlich, dass Wahrnehmungswissen sich nicht vollständig erfassen lässt. Merkmale einer Präparation der physikalischen Erkenntnis, durch die bestimmt wird, was hervorgehoben und was als störend weggelassen werden soll, hat Hübner systematisiert. Er untersucht die Bedingungen, die in einem Auswahl- und Entscheidungsverfahren festgelegt werden, unter denen eine naturwissenschaftliche Fragestellung untersucht werden soll. Hübner hat diese Bedingungen in einem Kategoriensystem geordnet, mit dessen Hilfe er zeigen kann, dass in den Naturwissenschaften jede aus der Erfahrung gerechtfertigte Erkenntnis an solche Voraussetzungen gebunden ist. Um die experimentellen Ergebnisse in einer allgemeinen Aussage zusammenfassen zu können, sind auch hier Auswahlkriterien 224
Ludwig, S. 60.
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
95
festzulegen wie z. B.: innerhalb welcher Toleranzen Messergebnisse gelten sollen, welche zu vernachlässigen oder wann eine Theorie als widerlegt gelten soll. Die Voraussetzungen lassen sich ändern, die unter ihrer Annahme entstehende experimentelle Erfahrung nicht. 225 Einzelergebnisse wird man nur durch eine Idealisierung zu einer allgemeinen Aussage zusammenfügen und umgekehrt eine Theorie nur durch sie an experimentelle Ergebnisse anpassen können. Eine Idealisierung muss von abweichenden Einzelerscheinungen abstrahieren. 226 Abstraktion Ein weiteres Merkmal der Wissenschaft, das unter dem Aspektcharakter eine Beschränkung des Wahrnehmungswissens zeigt, ist die Abstraktion, die Hervorhebung von Allgemeinen unter Vernachlässigung von Eigenschaften des Einzelnen. Physik untersucht prinzipiell wiederholbare Vorgänge. Heisenberg beschreibt den Vorgang so: „Abstraktion bezeichnet die Möglichkeit, einen Gegenstand oder eine Gruppe von Gegenständen unter einem Gesichtspunktspunkt unter Absehung aller anderen Gegenstandseigenschaften zu betrachten.[...] Da völlige Gleichheit aber in den Erscheinungen praktisch nie vorkommt, entsteht die Gleichartigkeit nur durch den Vorgang der Abstraktion, durch das Herausheben eines Merkmals unter Weglassung aller anderen“. 227 Die Abstraktion erlaubt, zu einer Bestimmung und damit zu einer Erklärung eines Einzelnen durch dessen Zuordnung zu einem Allgemeinen ebenso beizutragen wie Voraussagen zu machen. Die Abstraktion ermöglicht, aus bestimmten Hinsichten Zusammenhänge zwischen unterschiedlichem Allgemeinen herzustellen, darüber Aussagen zu entwerfen und Theorien durch Verknüpfung von Aussagen zu formulieren. Durch eine Abstraktion entstehen zwei Probleme, die in Heisenbergs Zitat anklingen: Es ist erstens die mit der Hervorhebung eines Merkmals verknüpfte Weglassung aller anderen Merkmale aus dem Wahrnehmungswissen. Wenn man den Begriff „Rabe“ z. B. durch das Merkmal schwarz festlegt, spielt es keine Rolle, ob er jung oder alt, krank oder gesund, männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist. Ein Allgemeines ist zwar in der Lage, ein Einzelnes mit anderem Einzelnen zusammenzuordnen; es ist aber nicht mehr in der Lage, ein Einzelnes in all seinen individuellen einmaligen Ausprägungen zu erfassen. Abstraktion bedeutet, das Einzelne in seiner Individualität zu vernachlässigen zugunsten gemeinsamer Merkmale mit anderen Einzelnen. Die Abstraktion eines wissenschaftlichen Wissens kann sich auf zweierlei Weise zeigen. In einer Aussage wie: „Nitrate fördern das Wachstum von Bäumen“ ist der Begriff „Bäume“ eine Verallgemeinerung vieler wahrnehmbarer einzelner Bäume; der Begriff abstrahiert auch von der Vielfalt eines einzelnen 225 226 227
Hübner, Kurt (1978), S. 86 f. Eine ausführliche Betrachtung der Idealisierung findet sich bei Kather (S. 184 f.). Heisenberg (1984/85), S. 303 f.
96
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
Baumes, von vielen seiner singulären Merkmale wie Alter, Wuchs, Sorte usw. Die Aussage bezüglich der Nitrate ist ein bestimmter Aspekt seines Wachstums, der neben vielen anderen zutrifft; sowohl der allgemeine Begriff „Bäume“ wie der Aspekt „Wachstum“ erfassen aus der Vielfalt des wahrgenommenen Baumes bestimmte Merkmale und Hinsichten, alle anderen werden beiseite gelassen. Objektivierung Die oben erwähnte aus einem historischen Prozess hervorgegangene Spaltung der Wissenschaften in Natur- und Geisteswissenschaften geht zurück auf eine Unüberbrückbarkeit zwischen einem durch Rationalisierung und Objektivierung herausgefilterten Wissen und einem Wissen des Einmaligen und Besonderen, das aus einer eigenen Systematik wissenschaftlich zugänglich gemacht wird. Ein anderes dieser Kriterien war die Beschränkung der Naturwissenschaft auf eine Objektivierung, die im Rahmen des Positivismus des 19. Jahrhunderts besonders von Mach vertreten wurde. Für ihn sind die Elemente des Psychischen und des Physischen die gleichen, die eine Wahrnehmung des Baumes ausmachen; es sind dieselben Elemente, welche das Ich und die Außenwelt erklären. 228 Es erübrigte sich zwischen Subjekt und Objekt zu unterscheiden. Eine andere Möglichkeit zur Erfüllung der Forderung, Wissenschaft müsse objektivieren, war, das Subjekt auszuschließen. Der Beobachter sieht von sich selbst und dem Akt der Beobachtung ab und betrachtet nur die Dinge um sich herum. An Schrödingers kritische Betrachtung dieser Entwicklung zur Objektivierung sei noch einmal erinnert: wir schließen das „Subjekt der Erkenntnis aus dem Bereich dessen, was wir an der Natur verstehen wollen, aus. Wir treten mit unserer Person zurück in die Rolle des Zuschauers, der nicht zur Welt gehört, welch letztere eben dadurch zu einer objektiven Welt wird.“ 229 Wo das geschieht, bleibt das wahrnehmende, denkende und fühlende Ich ausgeschlossen; es kann nicht thematisiert werden, weil man meinte, dass es nicht objektivierbar sei. Deshalb blieb unberücksichtigt, was zu einer Natur hinzugehört wie Erleben, Mitgefühl und alles, was eine Bedeutung in Bezug auf das anschauende, wahrnehmende und fühlende Wesen hat; dazu gehören auch sittliche und ästhetische Werte. 230 Objektivierung schließt das Subjekt aus, wie Schrödinger es ausdrückt: das anschauende. wahrnehmende, fühlende Wesen. Selbst wenn man für einen Objektivismus eintritt, ist dann ein subjektives Wahrnehmen ausgeschlossen? Da Wissenschaft auf Wahrnehmung beruht und Wahrnehmung ein subjektiver schöpferischer Akt ist, kann Schrödingers nicht in seiner formulierten Konsequenz stimmen. Was daran aus Sicht des oben behandelten Wissens über die Umwelt 228
Zitiert nach Schrödinger (1989 b) S. 63; vgl. bei Kather, S. 267. Schrödinger (1989a), S. 58; Kather (S. 258) behandelt das Problem der Objektivierung als Methode der Physik aus historischer Perspektive. 230 Schrödinger (1989a), S. 96. 229
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
97
zutrifft, ist der Ausschluss der Emotionen und ihr bewertendes Wissen durch einen Objektivismus. Ein Objektivismus schließt ein subjektives Erleben und Fühlen aus, weil deren Ergebnisse ohne eine Selbstreferenz objektiv, d. h. unter Ausschluss des Subjektes unzugänglich bleiben. Aus der Sicht des Wissens als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses kann durch eine Objektivierung bestenfalls das in den Blick genommen werden, was auf die einem Wissen vorausgehenden Reize der Umwelt zurückgeht. Da dieser Anteil bezogen auf einen Gegenstand sich als untrennbar von dem Anteil des Subjektiven erwiesen hat, wird Objektiviertes nur als dasjenige bezeichnet werden können, auf das als notwendige Bedingung eines Reflexionswissens nicht verzichtet werden kann. Betrachtet z. B. ein Subjekt ein Gesicht, so wird man dasjenige als ein Objektivierbares bezeichnen können, was als Informationen aus den Reizquellen der Umwelt von den einzelnen Subjekten zur Gesichtswahrnehmung verarbeitet wird und ohne die eine Gesichterwahrnehmung nicht zustande kommt. Die Reizquellen sind aber nur Bedingung und kein Ergebnis. Ob das Merkmal des Objektivismus in der gegenwärtigen Wissenschaftskonzeption noch eine entscheidende Rolle spielt, mag aus mehreren Gründen bezweifelt werden. Erstens lassen sich „objektiv“ und „subjektiv“ aus Sicht neuronaler Reizverarbeitung der Umwelt nicht mehr eindeutig trennen. Was an einem Wahrnehmungsergebnis eine Zutat der Reize ist und was eine Zutat des Gehirns ist, lässt sich nicht entscheiden. 231 Zweitens kommt es heute für wissenschaftliche Ergebnisse eher darauf an, nachprüfen zu können ob sie zutreffen, d. h. die Methode ihrer Erreichung offen zu legen. Und schließlich drittens kann heute nicht mehr auf ethische Bewertungen wissenschaftlichen Handelns verzichtet werden. Eine Möglichkeit dazu leisten ethische Orientierungen aus emotionaler Bewertung; das ist ein subjektives Moment, das im Abschnitt G erläutert wird. Die Rolle der Mathematik In der Systematik der Ausformulierung einer Theorie spielt neben der Bestätigung durch Beobachtung die Mathematik eine Rolle. Bojowald nennt sie als Kriterium einer Unterscheidung von Hypothesen und Theorien. 232 Während Hypothesen von einem spekulativen Charakter gekennzeichnet sind, ist der Grad der mathematischen Ausformulierung in der Theorie ausgereifter. Der Ausbau einer Hypothese zu einer Theorie beruht nicht nur auf der Mathematik sondern auf einer systematischen Ordnung einer Vielfalt von Beobachtungen. Komplizierter wird die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft in der Quantenphysik, weil die Quantenobjekte nicht nur mittelbar sondern nur durch Messungen wahrnehmbar sind und weil Beobachter und Objekt nicht von231 232
Roth (1997), S. 358 ff. Bojowald, S. 93 f.
98
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
einander trennbar sind. „Es macht keinen Sinn mehr, das Quantenobjekt als eine Substanz anzusehen, die die anderen Eigenschaften aktuell hat, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt nicht messbar sind. Aus der holistischen Struktur von Quantenobjekten folgt, dass sie nicht gleichzeitig alle prinzipiell messbaren Eigenschaften besitzen, sondern immer nur einige aus einer größeren Zahl von möglichen“ 233. Als Folge hat Heisenberg die Wahrnehmung als Quelle des Wissens vernachlässigt denn er schreibt: „Letzten Endes wird also der Materiebegriff [...] auf Mathematik zurückgeführt. Der innerste Kern alles Stofflichen ist für uns wie für Platon eine Form, nicht irgendein materieller Inhalt“ 234. Die Wahrnehmung eines Quantenobjektes ist zwar durch die unauflösliche Beziehung zum Beobachter etwas in seiner möglichen Vielfalt Unbestimmtes aber deshalb bleiben doch die Reize des Quantenobjektes in einem Wahrnehmungsprozess wirksam. Ohne diesen Prozess könnte es keine Überprüfung seiner mathematischen Beschreibung geben. Das der Wissenschaft Unzugängliche Betrachtet man z. B. sinnliche Wahrnehmung aus der Sicht einer Naturwissenschaft, wie es die Wahrnehmungstheorien tun – dann zeigt sich, dass die Sinneswahrnehmung zwar die Naturwissenschaft als Rechtfertigungsinstanz ermöglicht; dass aber die Naturwissenschaft die Sinneswahrnehmung nur unter Aspekten beschreiben kann. Schrödinger hat diese Differenz so beschrieben: „Es handelt sich um die wunderliche Tatsache, dass einerseits unser gesamtes Wissen über die uns umgebende Welt, ob es nun im Alltagsleben oder durch höchst sorgfältig geplante und mühsame Laboratoriumsversuche erworben ist, ganz und gar auf unmittelbarer Sinnesempfindung beruht, während andererseits dieses Wissen nicht im Stande ist, uns die Beziehungen der Sinnesempfindungen zur Außenwelt zu enthüllen.“ 235. Die Neurowissenschaften haben in ihren Untersuchungen der sinnlichen Wahrnehmung zwar eine Menge Erkenntnisse zutage gefördert, aber es hatte sich auch gezeigt, dass eine Erklärung aus der Perspektive eines neuronalen Prozesses „Wirklichkeit“ und „Realität des Gehirns“ nicht zusammenführen kann. Ungeklärt ist bis heute auch die Frage, ob die Naturwissenschaft geeignet ist, den Übergang von neuronalen Prozessen zu Bedeutungen zu erklären, d. h. ob Bewusstseinsinhalte und Erlebnisse auf neurowissenschaftliche Prozesse rückführbar sind. Kemmerling weist darauf hin, dass wir dann, wenn wir einen Menschen ausschließlich als ein komplexes Zellgebilde betrachten, wir mannigfache Aspekte dessen ausblenden, was zu ihm als Mensch hinzugehört; Abstraktionen sind vernünftig, aber sie sträuben sich dagegen, einen Menschen ausschließlich als 233 234 235
Kater, S. 198f. Kater, S. 198, Heisenberg (1953), S. 397. Schrödinger (1989a), S. 125.
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
99
ein Zellgebilde zu behandeln, weil er dann nicht mehr als ein Mensch behandelt würde. 236 Diese Methode erfasst nur das Allgemeine und nicht das Einmalige und Besondere. Subjektives wie Schönheit der Natur, Bedeutungen und Werte für den Menschen bleiben ihr verschlossen. Ihre Methode erlaubt darüber hinaus nur, das zu erfassen, was quantifizierbar ist wie bestimmte Eigenschaften z. B. Größe, Masse oder Impuls. Erleben, Kreativität oder Zielbestimmtheit der Natur bleibt ihr unzugänglich. 237 Und da die naturwissenschaftliche Methode Einsichten in tatsächliche Zusammenhänge erschließt, kann sie keine Wege eröffnen, von dem was ist, zu dem, was sein soll. 238 Gumbrecht 239 nennt Emergenzen, das seien Phänomene, die sich nicht von einer Theorie erfassen ließen, d. h. von einer Theorie die Vorhersagen erlaubt. Als Beispiel nennt er die Quantenmechanik, die nach einer Unbestimmtheitsrelation keine Vorhersagen über das Verhalten eines Elektrons erlaubt. Einzuwenden ist, dass die Schrödinger-Gleichung, die Grundgleichung der Quantenmechanik, selbst deterministisch ist. 240 Wissenschaftlich unzugänglich ist in der Physik eine Antwort auf die Frage nach dem Warum einer Wahrnehmung. Man kann einen Himmelskörper beschreiben aber nicht erklären, warum es ihn gibt oder warum ist auf der Erde Leben entstanden. Wahrnehmungsgegenstände sind der Naturwissenschaft nur unvollständig, manche gar nicht zugänglich. Schrödingers Beispiel der Betrachtung eines Auges lässt die Unvollständigkeit naturwissenschaftlicher Beschreibung sowohl hinsichtlich der Aspekthaftigkeit als auch hinsichtlich solcher Merkmale deutlich werden, die von der Naturwissenschaft nicht erfasst werden können. Der Physiker betrachtet das Auge als rezeptives Sinnesorgan, das Reize aus dem Lichteinfall aufnimmt und diese in elektrische und chemische Impulse umgewandelt zu entsprechenden Nervenreaktionen im Gehirn führt. An dieser Beschreibung fehlt, dass das Auge nicht nur ein rezeptives Sinnesorgan ist, sondern etwas von ihm ausgeht: Freude oder Trauer, ein Leuchten in Kinderaugen, mit denen ein Kind dich anstrahlt, dem du ein Spielzeug gebracht hast. Die Strahlen, die von den Augen ausgehen, erfasst der Physiker nicht. 241 Die behandelten systematischen Merkmale der Wissenschaft erklären die Differenz zwischen Wahrnehmungswissen und Wissenschaft. Eine andere Frage ist: lässt sich Wissenschaft bewerten? 236
Kemmerling, S. 236. Kather (S. 376 f.) behandelt das enge Verhältnis von Theorie und physikalischer Methode an einem Beispiel Whiteheads. 238 Vgl. Einstein (1979), S. 37 f.; s. auch Whitehead (1984a), S. 227 ff., Kather, S. 374 f. 239 Gumbrecht (2003). 240 Kiefer, Claus (2009), S. 85. 241 Schrödinger (1989), S. 67 f. 237
100
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
Lässt sich Wissenschaft ethisch bewerten? Fragen lässt sich, ob wissenschaftliches Wissen selbst schon Maßstab dessen sei, was wir tun dürfen; in diesem Fall würde das Wissen selbst zum Kriterium seiner Anwendung. Diese Position zeigt sich z. B. bei Naturwissenschaftlern, die ihr Wissen in den Dienst am Menschen stellen, also in allen Anwendungsbereichen der Medizin. Jede gefundene Erkenntnis oder Forschung, die Leiden lindern oder heilen könne, bilde selbst einen ethischen Wert und berechtige und verpflichte zu ihrer Anwendung. Wer könne mit welchem Recht solche Heilungschancen verbieten? Aber stimmt das? Werden nicht unter diesem Zweck an anderer Stelle Ansprüche des Menschen auf Leben und Gesundheit zugleich verletzt, wie z. B. in den Versuchen einer Organzüchtung aus menschlichen Embryonen oder gegenüber Sterbenden, denen Organe entnommen werden sollen? Wenn der Grundsatz eines Vorrangs für Heilungschancen gelten soll, ist entscheidend zu fragen, inwiefern sich Wissenschaften bewerten lassen. In der Wissenschaft tritt zu einem Wissen des Einzelnen aus der Wahrnehmung und dem Wissen aus der Reflexion seiner ausgewählten Aspekte ein Wissen aus den Emotionen, das mit der Wahrnehmung verbunden dessen Bewertung ermöglicht. Wir wirkt sich dieses bewertende Emotionswissen auf das naturwissenschaftliche Reflexionswissen aus? Eine emotionale Bewertung kann das Wissen aus der Wahrnehmung und der Reflexion einfach ergänzen, wie z. B. bei der wahrgenommenen Sonne, die emotional Wohlfühlen und Freude hervorrufen kann und ein naturwissenschaftliches Wissen über ihre Gravitationskräfte oder ihre Spektralanalyse ergänzt. In dem Beispiel der Wahrnehmung eines Menschen kann der naturwissenschaftliche Befund einer Krankheitsveranlagung emotional Sorge und Angst auslösen. Eine andere Möglichkeit der Auswirkung emotionaler Bewertung zeigt sich, wenn das Wahrnehmungswissen naturwissenschaftliches Handeln betrifft. So ein Handeln sucht nach Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhängen und wendet gefundene Gesetzmäßigkeiten an. Forschendes Handeln setzt Wahrgenommenes voraus und greift in dieses dadurch ein, dass es gefragte Aspekte von diesem abstrahiert und präpariert. Forschungshandeln kann sowohl in Bezug auf belebte wie auf unbelebte Natur zu einer emotionalen Bewertung führen. Eine begleitende positive emotionale Bewertung wird Zustimmung erzeugen und eine negative Zweifel an seiner Fortsetzung wecken. Kann sich ein forschendes Handeln der emotionalen Bewertung entziehen? Man kann es vielleicht unterdrücken, ausblenden oder durch Gewohnheit nicht zur Geltung kommen lassen. Ein derartiger Umgang führt erneut zu emotionaler Bewertung. Eine Unterdrückung oder Abstumpfung kann Unbehagen erzeugen und zu Änderungen des Handelns veranlassen. Ausblenden bzw. Unterdrückung lässt sich das Emotionswissen nicht; vielleicht bei den Akteuren, nicht aber bei den miterlebenden Menschen. Am Beispiel der verbrauchenden embryona-
IV. Wahrgenommenes in der Wissenschaft
101
len Stammzellforschung wurde deutlich, dass trotz Befürwortung vieler aktiver Forscher eine aufmerksame Öffentlichkeit die Forschungen zu akzeptieren nicht einfach bereit war. Die Handlungen, bei denen es nicht um die Forschung sondern um die Anwendung gefundener Gesetzmäßigkeiten geht, unterliegen ebenfalls einer emotionalen Bewertung, wobei fraglich bleibt, ob sich Forschung und Anwendung strikt trennen lassen. Im Falle einer Anwendung bereits bekannter Gesetzmäßigkeiten geht es darum, den zuvor aus einem Einzelnen abstrahierten Aspekt, der zur Erforschung einer Gesetzmäßigkeit geführt hat, auf dieses Einzelne anzuwenden. Aus Wahrnehmungs- und Emotionswissen zusammen entsteht Wissen über ein einzelnes Exemplar. Wissenschaftliche Betrachtung als Abstrahierung vom einzelnen Exemplar verallgemeinert eine Erkenntnis und das Individuelle tritt hinter diese zurück. Wird aber bei der Beantwortung der Frage, ob an Embryonen geforscht werden darf, das Individuelle des Embryos aus den anderen Quellen des Wissens nicht einfach außer Acht gelassen, bleibt es fraglich, ob man langfristig gegen die Bewertung aus dem Emotionswissen handeln kann, gegen ein Emotionswissen, das nicht dem Willen hinsichtlich seiner Ausformung unterliegt. Es bleibt dann auch fraglich, ob eine Zerstörung eines individuellen Lebens durch verbrauchende Embryonenforschung gegen eine Hilfe an ein anderes krankes Individuum aufgerechnet werden kann, wie es oft zur Rechtfertigung solcher Forschung geschieht. Betrachtet man die Wissenschaft nicht nur als einen Präparationsprozess sondern ergänzt das Reflexionswissen um das Emotionswissen, das zu einer embryonale Stammzelle hinzugehört, dann folgt, dass ein Forschungshandeln zur Herauspräparation von bestimmtem Gewebe nur dann Bestand haben kann, wenn dieses mit den damit verbundenen Emotionen verträglich bleibt, d. h. wenn das Wegpräparierte nicht das menschliche Leben selber ist. Es ist hier ein Weg entworfen worden, der zu einem vollständigeren Wissen über einen Embryo führt und diesem eher gerecht wird als der, der nur nach verallgemeinerten Aspekten eines Embryos fragt und nicht all das erfassen kann, was ein Wissen aus Wahrnehmung und Emotion über einen Embryo vermittelt, weil nur dieses ihn als Individuum und in seiner Vielfalt zeigen kann. Und wer will behaupten, dass einem Reflexionswissen ein Vorrang vor dem Wahrnehmungs- und Emotionswissen zukomme, um verbrauchende Embryonenforschung rechtfertigen zu können? Ein anderes Beispiel aus der unbelebten Natur ist die Anwendung atomarer Kernkraft zur Energiegewinnung. Ein das Leben angenehm machender hoher Energiebedarf kann auf eine die Umwelt wenig belastende Weise zur Verfügung gestellt werden. Unbehagen erzeugen die mit den Kernreaktoren verbundenen Unfallgefahren und vor allem die Entsorgung des atomaren Mülls, von dem über lange Zeiten Verstrahlungsgefahren ausgehen. Der Abwägungsprozeß führt zu vorläufigen Handlungsentscheidungen wie einer zeitlich befristeten Nutzung, der Abschaltung besondern gefährdeter Atomkraftwerke aber auch zum Bau neuer.
102
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
Die strittige Reflexion geht weiter bis brauchbare Alternativen der Energiegewinnung zur Verfügung stehen. Die emotionale Bewertung nimmt hier nicht Bezug auf einen Gegenstand der Natur, sondern auf ein Handeln im Umgang mit unbelebter Natur. Es ist forschendes Handeln selbst, das man wahrnimmt und emotional bewertet und das nicht wertfrei auf die Ergebnisse seines Reflexionswissen verweisen kann. Die Frage nach der Wertfreiheit der Wissenschaft wird im Abschn. G aus der ethischen Theorie systematisch beantwortet. Folgen In all diesen Überlegungen bleibt zu betonen: Wahrnehmung bedarf keiner Theorie oder Erklärungen. Wer von dem hier dargestellten Zusammenhängen nichts weiß, nimmt trotzdem wahr, denkt und fühlt. In den behandelten Überlegungen soll klargemacht werden, dass ein wissenschaftliches Wissen das ihm vorausgehende Wahrnehmungswissen nicht verdrängt, sondern dass dieses seine eigenständige Geltung behält; und dass Emotionen einen unverzichtbaren Beitrag zum Wissen leisten, der ebenfalls von einem Reflexionswissen nicht verdrängt werden kann. Die wissenschaftliche Betrachtung eines Wahrnehmungswissens geschieht aus unterschiedlicher Perspektive nach unterschiedlicher Systematik. Eine Musik lässt sich nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten, nach physikalischen Schwingungsverhältnisse in harmonischen Klängen untersucht werden; gleichzeitig lässt sie sich aus historischem Aspekt in ihrer Einmaligkeit betrachten. Warum ist Wahrgenommenes Grundlage jeder Wissenschaft? Weil die Geltung einer wissenschaftlichen Aussage auf einer Bestätigung aus der Wahrnehmung beruht, sowohl in den empirischen nachweisen der Naturwissenschaften wie in den hermeneutischen Zusammenhängen aus der Lebenspraxis in den Geisteswissenschaften. Das stabilste Element der Wissenschaft blieb durch alle historisch bedingten Veränderungen hindurch die Wahrnehmung. Sie blieb unverzichtbar wenn auch in ihrer Bedeutung dem Denken meist nachgeordnet. Erst die oben beschriebene Eigenständigkeit des Wahrnehmungswissens wird eine neue Sichtweise eines Wissens in den Wissenschaften eröffnen.
V. Wissenschaftliche Aussagen als notwendige Bedingung
103
V. Wissenschaftliche Aussagen als notwendige Bedingung des untersuchten Wahrgenommenen Wahrnehmungswissen bildet die Grundlage wissenschaftlichen Wissens. Es hatte sich bisher gezeigt, dass Wahrnehmung ebenso wie Wissenschaft ein Wissen über ihren Gegenstand hervorbringen. Wenn beide Arten des Wissens einerseits miteinander verbunden sind und andererseits als jeweils eigenständiges Wissen mit ihren charakteristischen Merkmalen zugleich bestehen, was lässt sich dann über ihr Verhältnis zueinander aussagen. Eine erste Aussage ist: Wahrnehmung ist die Grundlage von Wissenschaft. Wahrgenommenes muss vorausgesetzt werden um ein wissenschaftliches Wissen zu ermöglichen wie im Abschn. C gezeigt wurde. Die Beschreibung reicht noch nicht aus, um die inhaltliche Beziehung beider Arten des Wissens zu beschreiben. Die Frage ist ob logische Beziehungen für eine Beschreibung geeignet sind. Beide Arten des Wissens können jede für sich wahr (W) oder falsch (F) sein. Wenn man beide Wahrheitswerte in ihren möglichen Kombinationen miteinander verbindet, lässt sich aus ihrer Verknüpfung wieder ein Wahrheitswert wahr / falsch aussagen. Deshalb lässt sich fragen: bei welchen Einzelwahrheitswerten der Wahrnehmung bzw. der Wissenschaft ergibt sich ein Gesamtwahrheitswert, der der Begründung des wissenschaftlichen Ergebnis entspricht. Welche Kombination widerspruchsfrei zusammenpasst wird jetzt untersucht. Das Interesse wissenschaftlicher Untersuchungen orientiert sich an zwei unterschiedlichen Zielen nämlich entweder am Erkenntnisgewinn über einen Gegenstand oder an der Herstellung eines Gegenstandes. Im ersten Fall sind es zum Beispiel Einsichten in Ursachen und Gesetzmäßigkeiten; im zweiten Fall z. B. Reproduktionen wie die Synthetische Biologie sie verfolgt. Es ist deshalb zu prüfen ob in beiden Fällen eine logische Beziehung das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem Ergebnis und Wahrgenommenen beschreiben kann. Zunächst wird der erste Fall betrachtet, nämlich das wissenschaftliche Ziel eines Erkenntnisgewinns über den Untersuchungsgegenstand. Wenn es Ergebnisse gibt, ist deren Begründung abhängig vom Untersuchungsgegenstand. Entweder handelt es sich um einen Gegenstand, der nicht durch menschliches Handeln hervorgebracht worden ist, wie er in den Naturwissenschaften betrachtet wird; oder um einen, der aus menschlichem Handeln entstanden ist, den die Geisteswissenschaften betrachten. Unterschieden sind sie durch den Charakter ihrer Ergebnisse, die in den Naturwissenschaften Unveränderlichkeit beanspruchen und in den Geisteswissenschaften veränderlich sein können. Formale Konzepte wie Mathematik können hier außen vor gelassen werden, weil erst ihre Anwendung auf Gegenstände der Natur- oder Geisteswissenschaften zu einem Erkenntnisgewinn führen. In den Geisteswissenschaften sind es Regeln oder Klassifizierungen,
104
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
die sich als notwendige Bedingung für die Erkenntnis eines Gegenstandes beschreiben lassen. Die wissenschaftliche Erschließung eines Bildes, einer Musik oder eines Literaturstückes erfolgt durch ein Allgemeines wie z. B. Stilrichtung, Klassifizierungsmerkmale oder Herstellungsstrukturen. Wenn z. B. bestimmte Gattungsmerkmale eines Dramas nicht gegeben sind, dann ist dieses Stück kein Drama. Die notwendige Bedingung der Merkmale ist für dieses Stück nicht erfüllt. Anders verhält es sich in den Naturwissenschaften. Ihre Ergebnisse lassen sich beweisen und ermöglichen eine Voraussage. Auf ihre Gegenstände der Wahrnehmung lässt sich eine Beschreibung durch eine logische Beziehung so anwenden, dass sie die Auskunft gibt über das Verhältnis von Wahrnehmung und Wissenschaft. Ein einfaches Beispiel ist die wissenschaftliche Aussage, alle Metalle sind magnetisch; dieses Stück Eisen ist Metall, also magnetisch. Der Zusammenhang von Magnetismus und Metall ist experimentell erwiesen; wenn es ein Metall gäbe ohne dass ein Magnetismus vorläge, wäre die Aussage ungültig. Die logische Beziehung angewandt auf die Aussage lautet: nur wenn Magnetismus dann Eisen; die Kombination der Wahrheitswerte ist falsch, wenn es keinen Magnetismus gäbe, es aber ein Eisen ist. In formaler Schreibweise: Magnetismus F
⟵
Eisen W // F
Der Zusammenhang ist experimentell erwiesen, weil dann, wenn ein Metall wahrnehmbar wäre aber kein Magnetismus, die Aussage ungültig wäre. In der logischen Sprache ist es die Kombination der Wahrheitswerte: Wenn die wissenschaftliche Aussage des Magnetismus nicht zutrifft, aber ein Eisen wahrnehmbar, dann ist die Beziehung falsch. Genannt wird die Kombination: Replikation. Formal gesehen sagt die Replikation nichts über die Natur und Ursache des Zusammenhangs zwischen Bedingung und Bedingtem aus; es kommt nur darauf an, dass dann, wenn die Bedingung falsch und das Bedingte wahr ist, die Gesamtaussage falsch sein muss. Der Grund des Zusammenhangs ergibt sich in unserem Fall aus der experimentellen Rechtfertigung, die genau der Replikation entspricht. Es darf nicht der Fall sein, dass experimentell kein Magnetismus nachgewiesen wird, es sich aber um ein Metall handelt. Der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Aussage und Wahrgenommenen wird beschreibbar; das Wahrgenommene behält seine Evidenz. Anders verhält es sich, wenn das Wahrgenommene ein subjektives Erlebnis ist wie eine Willensentscheidung. Es gibt eine wissenschaftlich erwiesene allgemeine Aussage: Eine als frei empfundene Willensentscheidungen steht im Zusammenhang mit einer Zunahme neuronaler Aktivitäten. Es gibt Neurowissenschaftler, die die freie Willensentscheidung für eine Illusion halten und die
VI. Folgerungen
105
Willensentscheidung durch neuronale Prozesse determiniert beschreiben. Der wahrnehmbaren Freiheit wird keine Evidenz zugestanden und durch die Gesetzmäßigkeit der neuronalen Prozesse dominiert. Wenn man der Wahrnehmung eine Eigenständigkeit einräumt, lässt sich zeigen, dass neuronale Aktivitäten eine notwendige Bedingung der freien Willensentscheidung bilden. Ausführlich wird der Zusammenhang zwischen freier Willensentscheidung und neuronalen Prozessen im nächsten Kapitel behandelt. Im Zweiten Fall der Herstellung eines Gegenstandes wird es schwieriger den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft mit Hilfe der logischen Beziehung zu beschreiben. Der Gegenstand wie z. B. eine Stammzelle soll durch Handlungsoperationen hergestellt werden. Die Operationen sollen den Gegenstand nicht nur herstellen; sie nehmen auch Einfluss auf seine Veränderung. Wie können die wissenschaftlichen Handlungsschritte eine notwendige Bedingung dessen sein, das erst hergestellt oder verändert wird? Der Wissenschaftler will diejenigen Handlungsschritte herausfinden, die zur Herstellung des Gegenstandes führen. Er wird versuchen allgemeine Gesetzmäßigkeiten herauszufinden, an denen sich die Herausbildung orientieren kann. Dieses werden notwendige Bedingungen sein, wenn deutlich wird, dass auf sie nicht verzichtet werden kann. Ob aber alle notwendigen Bedingungen erkannt werden können erscheint zweifelhaft, weil die Handlungsschritte aus Wahrnehmungselementen wie „Zutaten“ bestehen, die sich einer vollständigen Erkenntnis entziehen wie oben gezeigt wurde. Das wahrnehmbare Herstellungsprodukt wird nicht in gleichmäßiger Stabilität erreicht werden können, weil eben immer nur Aspekte und nicht alle notwendigen Bedingungen erkannt werden können. Die Veränderlichkeit und Abweichungen vom gewünschten Ziel werden dadurch erklärbar, dass nicht die hinreichenden sondern die notwendigen Bedingungen des Herstellens erkannt werden können. Hinreichend wären Bedingungen dann, wenn das Herstellungsergebnis ein konstantes wäre ohne Veränderungen und Schwankungen zu unterliegen. Die Erzeugung einer Stammzelle aus Eizelle und Sperma gelingt aber nicht bei jedem Handlungsversuch und unterliegt Schwankungen ihrer Entwicklungsfähigkeit. Die erfolgreichen und unverzichtbaren Handlungsschritte sind in dem wissenschaftlichen Herstellungsprozess notwendige Bedingungen.
VI. Folgerungen Die Einsicht, dass Wahrnehmung und Wissenschaft eigenständiges Wissen hervorbringen und dass ihr Verhältnis zu einander durch die logische Beziehung einer notwendigen Bedingung beschreibbar wird, führt zu Folgerungen für das Verständnis einer Erkenntnis von Gegenständen. Eine erste ist: Wahrnehmung ist in der Lage, eine eigene „Evidenz und Kraft zu entfalten“ 242, die keiner wissen-
106
E. Was wissen wir über die Umwelt aus der Wissenschaft?
schaftlichen Vermittlung bedarf. Als weitere Folgerung hat sich ergeben, dass Wissenschaft unsere Umwelt, in der wir leben, nicht vereinnahmen kann, auch wenn sie unverzichtbare Einsichten erschließt. Ein Bestreben z. B. eine Weltformel zu finden, auf die sich unsere wahrnehmbare Welt reduzieren lässt, bleibt eine Illusion; eine Weltformel dagegen aus der Kombination unterschiedlicher Theorien, bleibt denkbar wie z. B. die Vorstellung von einer „Quantengravitation, die Relativitätstheorie und Quantentheorie konsistent vereinigt. 243 Allerdings bedürfen auch solche komplizierten Mathematisierungen einer Bestätigung durch Beobachtung. Bojowald geht noch einen Schritt weiter und erklärt, warum eine Eindeutigkeit einer Theorie zur Beschreibung von Naturphänomenen und die Eindeutigkeit ihrer Lösung nicht miteinander kompatibel sind. Der Grund dafür sei, dass es bei den Theorien wegen ihrer Voraussetzungen unterschiedliche Kandidaten mit dem gleichen Ziel geben könne. Eine Lösung könne nicht eindeutig sein, weil sich aus der Datenfülle möglicher Beobachtungen beliebig viele Eigenschaften berechnen ließen. 244 Wissenschaftliches Wissen kann das Wissen aus der Wahrnehmung auch nicht dominieren. Das zeigt sich deutlich z. B. in der Kunst. Wissenschaftliche Erschließung einer Komposition aus ihren Strukturen und historischer Einbettung ist erhellend, kann aber nicht ein Hören der Komposition und deren Wirkung auf den Zuhörer ersetzen. Das Wahrgenommene – das Subjektive – behält seine Bedeutung auch dann, wenn Objektives und Allgemeines zu seiner Erklärung wichtige Beiträge leistet. Wissenschaftliches Wissen entsteht aus Wahrnehmen und Denken und eben nicht aus Denken allein. Aus der Relativität der Wissenschaft bezogen auf das Fundament der Wahrnehmung lässt sich erklären, warum unterschiedliche konkurrierende Aussagen über einen gleichen Gegenstand möglich sind wie z. B. über historische Ereignisse. Denn der Aspektcharakter erlaubt, unterschiedliche Aspekte über den gleichen Gegenstand herauszubilden. Das zeigt sich auch dort, wo wissenschaftliches Interesse den Zweck verfolgt einen wahrnehmbaren Gegenstand herzustellen. Die Beschreibung durch die logische Beziehung erklärt, dass herstellendes Handeln ihrem Gegenstand keine Stabilität verleihen kann, weil das Wissen aus der Gesetzmäßigkeiten einer Herstellung eine notwendige Bedingung ist, die keine Schwankungen ihres Produktes vermeiden kann. Die Einsicht in das Verhältnis der Wissenschaft als notwendige Bedingung der Wahrnehmung ermöglicht ein Verständnis von Wissenschaft, das ihre große Bedeutung auf eine unvermeidliche Relativität zurückverweist. Die Wissenschaft entkleidet nicht die Wahrnehmung im Sinne einer Reduzierung ihrer Vielfalt auf 242 243 244
Schantz (1998). Kiefer, Claus, S. 11. Bojowald, S. 323 f.
VI. Folgerungen
107
rational beherrschte Zusammenhänge sondern verleiht ihr neue Gewänder durch Einsichten in unbegrenzte notwendige Bedingungen. Der Aspektcharakter der Wissenschaft erlaubt, die eingangs beschriebenen Unverträglichkeiten zwischen Wahrgenommenen und wissenschaftlicher Erkenntnis aufzulösen; es wird im folgenden Abschnitt gezeigt.
F. Beispiele I. Willensfreiheit vs. Determination Das Problem Zwei Zitate beschreiben den Konflikt in der Willensfreiheit: „Die subjektive Freiheit des Wünschens, Planens und Wollens ist eine Illusion“ 245 und „Willensfreiheit ist ein Spezifikum des Menschen“ 246. Ist unser Denken und Handeln determiniert und unser Erleben der Willensfreiheit eine Illusion, wie es manche Neuwissenschaftler zu beweisen versuchen, oder lässt sich zwischen unserem Gehirn, dem Ort neuronaler Prozesse, und dem Ich, das denkt und entscheidet, unterscheiden? In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert hat Benjamin Libet eine Antwort auf die Frage gesucht und ein Experiment entworfen, das vielen Neurowissenschaftlern zum Nachweis geworden ist, dass Willensfreiheit eine Illusion sei. Unsere Handlungsentscheidungen würden von neuronalen Prozessen im Gehirn geprägt und nicht von einem Ich, das sich selbstursächlich für sein Handeln versteht. Der Konflikt hat durch mögliche Auswirkungen auf Ethik und Recht an Bedeutung gewonnen. Kann man einen Straftäter für seine Handlung verantwortlich machen, wenn er sie vollzog ohne Möglichkeit einer Wahl sie zu unterlassen bzw. ihre Folgen zu bedenken. Wenn menschliches Handeln determiniert ist, welchen Sinn macht dann noch eine Ethik, die nach Orientierungen und Sinngehalten des Handelns fragt? Und es bleibt die Frage: warum erleben wir uns frei in einer Entscheidung, wenn wir gar nicht frei sind? Um herauszufinden, ob und wie sich der Konflikt lösen lässt, wird man die Argumente für die Determination bzw. für die Freiheit betrachten und bewerten müssen. Argumente Das Hauptargument für eine Determination der Handlungsentscheidung, auf das sich Neurowissenschaftler stützen, ist das Libet Experiment. Bejamin Libet, ein amerikanischer Neurophysiologe, begann in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts experimentelle Untersuchungen zu der Frage: haben wir einen freien 245 246
Roth (2001), S. 453. Kaiser, S. 265.
I. Willensfreiheit vs. Determination
109
Willen? Er untersuchte die zeitlichen Beziehungen zwischen neuronalen Ereignissen und bewusster Erfahrung. Er fand heraus, dass einer selbst gesteuerten Willenshandlung spezifische elektrische Veränderungen im Gehirn vorausgehen, die man an der Kopfhaut messen kann. Im Gehirn geht dem Willensakt ein neuronaler Prozess – das Bereitschaftspotential – voraus. Der Willensakt wird unbewusst eingeleitet und zwar 500 ms bevor eine Versuchsperson sich ihres Willens bewusst wird. 247 Ein Gehirnprozess leitet die Willensentscheidung ein; die Versuchsperson wird sich erst danach ihrer Handlungsentscheidung bewusst. Das Experiment ist später von anderen Forschergruppen wiederholt worden, die zu gleichen Ergebnissen kamen. Spielt der bewusste Wille für den Vollzug der Handlung noch eine Rolle? Als Antwort fand Libet heraus, dass der bewusste Wille 150 ms vor dem motorischen Handlungsvollzug erscheint; dieses Zeitintervall ermögliche dem Willen, die Fortsetzung des Prozesses durch ein Veto zu stoppen. Der bewusste Wille könne entscheiden, den Prozess zum motorischen Handlungsvollzug zu blockieren, so dass keine motorische Handlung stattfände. 248 Ob dieses bewusste Veto als Ausdruck einer freien Willensentscheidung verstanden werden kann, bleibt ungeklärt; es konnte zwar experimentell gezeigt werden, dass eine geplante Handlung unterdrückt werden kann. Unklar bleibt aber, ob auch diesem Vetoprozess unbewusst neuronale Prozesse vorausgehen. Unabhängig vom Veto ist das Libet-Experiment aus mehreren Gründen kritisiert worden. Untersucht wird eine zeitliche Beziehung zwischen neuronalem Prozess und Bewusstsein der Entscheidung. Eine inhaltliche Entscheidung, etwas zu tun oder nicht zu tun, wird nicht untersucht. In dem Experiment sind die inhaltlichen Entscheidungen vorausgegangen, wie die der Probanten an dem Experiment teilzunehmen ebenso wie die Entscheidung sich bestimmten Regeln zu unterwerfen. Insofern können Ergebnisse des Experiments nicht zu einer allgemeinen Aussage über Willensfreiheit erweitert werden. Ein anderer wesentlicher Kritikpunkt erscheint mir, dass eine nachdenkende Betrachtung der möglichen Entscheidung und Gründe für eine Entscheidung überhaupt keine Rolle spielen; beides sind aber wesentliche Merkmale einer freien Willensentscheidung, weil wir Handlungstendenzen aus Vernunft abwägen können. Ohne Urteile aus Gründen gäbe es kein richtig oder falsch; alle Argumente, alles Wissen der Wissenschaften einschließlich der Neurowissenschaften fielen in sich zusammen. 249 Über das Libet-Experiment hinaus ist die Frage diskutiert worden: wenn die Willenshandlung aus der Dritten-Person-Perspektive nach einem UrsacheWirkungs-Zusammenhang beschrieben wird, wie lässt sich dann die subjektiv 247 248 249
Zur Versuchsanordnung vgl. Libet (2007), S. 160 ff. Libet (2007), S. 177. Kaiser, S. 267.
110
F. Beispiele
erlebte Freiheit einer Entscheidung erklären, also die Erste-Person-Perspektive? Merkmale beider Perspektiven sind hier: Erste-Person-Perspektive Subjektive Selbsterfahrung Selbstwahrnehmung Emotionen Freiheit Moral Wahrnehmung
Dritte-Person-Perspektive Objektive Fremdbeschreibung wissenschaftliche Beschreibung neuronaler Determinismus Ethik Theorie der Wahrnehmung
Wenn es ausreichend wäre, die Willenshandlung nur aus der Ursache neuronaler Prozesse zu erklären, wäre sie determiniert und die subjektive Freiheit bliebe unberücksichtigt. Die Neurowissenschaftler Roth und Singer bevorzugen die Dritte-Person-Perspektive und haben versucht das subjektive Erlebnis der Freiheit in diese Perspektive einzubeziehen. Singer reduziert auch das Subjektive auf die Ursache neuronaler Prozesse, die unser Erlebnis der Freiheit im Unterbewusstsein bestimmten. Weil wir uns dieser Handlungsdeterminanten nicht bewusst wären, würden wir uns als freie Agenten erfahren. 250 Die Erste-PersonPerspektive auf Determinanten im Unterbewusstsein zu reduzieren, würde bedeuten, dass sie determiniert ist. All das, was ein Mensch in seinen Wünschen, Vorstellungen und in der Wahl einer Entscheidung als frei erleben kann, wird zur Illusion, weil sie Wirkungen einer messbaren neuronalen Kausalität sind. Singer hat dafür keine Beweise vorgelegt. Nach meiner Kenntnis sind solche Handlungsdeterminanten im Unterbewusstsein neuronal ungeklärt. Roth hat die Erste-Person-Perspektive durch die Beobachtung des Verhaltens des Akteurs zu objektivieren versucht. Wenn wir Willensfreiheit als beobachtbares Verhalten verstehen, dann wäre es erlaubt beobachtbare Gehirnzustände einem beobachtbaren Verhalten zuzuordnen und der Hirnforscher dürfe sagen, „Es gibt keine Willensfreiheit“ 251. Einzuwenden bleibt: mentale Zustände wie wünschen, wollen, planen haben neuronale Korrelate, aber wir wissen nicht welche; solange das Subjektive neuronal unzugänglich ist, wird man bei einem beobachtbaren Verhalten nicht ausschließen können, dass es Ergebnis eines freien Willens ist. Sind die subjektive und objektive Sichtweise der Willensfreiheit miteinander verträglich, d. h. lassen sich das subjektive Erlebnis der Willensfreiheit und zugleich deren neurobiologische Kausalität begründen? Aus der Perspektive der 250 251
Singer (2004), S. 47. Roth, (2004), S. 81.
I. Willensfreiheit vs. Determination
111
zwei Arten des Wissens – das aus der Wahrnehmung und das aus der Wissenschaft – lässt sich der Konflikt lösen. In der Willensentscheidung lässt sich eine allgemeine Entscheidungssituation von einer präparierten Entscheidungssituation unterscheiden. Die allgemeine Entscheidungssituation kann von einer Ersten Person wahrgenommen werden wie z. B. Einflüsse auf eine Handlungsentscheidung, Handlungsorientierungen, eine Freiheit der Wahl usw. Hier kommt es auf die Wahrnehmung der Freiheit an, d. h. ohne äußere Beeinflussung seiner Willenshandlung, ein Handlungsziel wählen und aus eigener Initiative verfolgen zu können und die Möglichkeit sich von Handlungsoptionen zu distanzieren und sie bewerten zu können; die Erste Person kann so eine Freiheit in einer Entscheidungssituation für sich wahrnehmen, sich frei fühlen. Unstrittig ist auch, dass es einen neuronalen Prozess im Zusammenhang mit einer Willensbildung geben muss, denn gäbe es keinen, wäre der Mensch gemäß medizinischer Todesdefinition tot. Sagen lässt sich, dass neuronale Prozesse eine notwendige Bedingung einer Willensbildung sind, d. h. nur wenn ein neuronaler Prozess stattfindet, gibt es eine Willensbildung; formal ausgedrückt nur wenn
neuronale Prozesse F
dann ⟵
Willensentscheidung W || F
Die notwendige Bedingung ist hier erfüllt, weil der Zusammenhang dann wenn es keine neuronalen Prozesse gibt, eine Willensentscheidung aber gegeben sein soll, falsch ist Wenn ein neuronaler Prozess eine Willensentscheidung determinieren würde, müsste er eine hinreichend Bedingung bilden; formal geschrieben wenn ein
neuronaler Prozess W
dann ⟶
Willensentscheidung F || F
Die hinreichende ist nicht erfüllt, weil es neuronale Prozesse geben kann, ohne dass eine Willensentscheidung stattfindet, z. B. im Schlaf Die wissenschaftliche Betrachtung der Entscheidungssituation wie im Fall des Libet Experiments ergibt wegen dessen Präparation ein anderes Ergebnis. Die Präparation betrifft die Beschränkung der Untersuchung auf den nur zeitlichen Zusammenhang von neuronalen Ereignissen und bewusster Erfahrung. Der Inhalt war den Probanten vorgegeben − nämlich eine Handbewegung auszuführen − ebenso die Entscheidung die Bewegung auszuführen und sie nicht zu verweigern;
112
F. Beispiele
− eine Reflexion zu handeln oder nicht zu handeln auszuschließen − ein begrenztes Zeitfenster für die vorgegebene Entscheidung. Unter den Bedingungen der Präparation war das wissenschaftliche Ergebnis ein Bereitschaftspotential, das der bewussten Erfahrung der Entscheidung vorausgeht. Das Ergebnis zeigt erstens eine qualitative Determination der Willensfreiheit, d. h. es gibt neuronale Muster, die angeboren oder erlernt ein Handeln prägen können, also keiner bewussten Willensentscheidung bedürfen. 252 Unter den Bedingungen einer Präparation ist vorstellbar, dass die Handlungsentscheidung hier neuronal geprägt war. Die Freiheit einer Entscheidung zur Beteiligung am Experiment, einer Wahl sich den Regeln zu unterwerfen oder nicht, und die Möglichkeit einer Abwägung der Entscheidung aus Vernunft waren wegpräpariert. Unter den Bedingungen einer Präparation des Experimentes, die eine Freiheit der Handlungsentscheidung einengt auf eine Reaktion in einem begrenzten Zeitfenster ist es nicht ausgeschlossen, dass durch die Konzentration des Probanten auf die vorgeschriebene Reaktion ein Bereitschaftspotential dem Bewusstsein der Entscheidung vorausgehen kann, ähnlich wie bei angeborenen Reaktionen, die keiner Freiheit bedürfen. Zu unbegründeten Aussagen über die Willensentscheidung führt die Versuchspräparation, wenn sie zu Aussagen über alle Entscheidungssituationen verallgemeinert wird, die nicht präpariert sind. Der weitere Einwand gegen eine deterministische Position der Handlungsentscheidung richtet sich gegen die Sichtweise, ein neuronales Korrelat sei mit einer freien Willensentscheidung unvereinbar, weil letztere von ersterem bestimmt sei. Singer sucht nach neuronalen Korrelaten für das Verhalten von Menschen einschließlich ihrer mentalen und psychischen Phänomene, weil er meint, jeder Gedanke habe ein neuronales Substrat. 253 Dieses ist unbestreitbar, weil ein mentales Geschehen ohne neuronale Konstellation unvorstellbar wäre. Singer geht aber weiter und meint: „Wir tun dies oder jenes, weil diese oder jene Faktoren uns dazu veranlassen. Zu diesen Determinanten zählen natürlich unsere Erfahrungen, unsere Überlegungen, die aber allesamt ein neuronales Korrelat haben“ 254. Nur weil wir die Vielzahl der uns beeinflussenden Parameter nicht überblicken könnten, läge es nahe, unseren Handlungen Absicht zu unterstellen, uns Intentionalität und somit Freiheit zuzuschreiben. Wenn sich die genannten Determinanten unseres Handelns als notwendige Bedingungen erweisen lassen, woher wissen wir ob die Zahl aller nur möglichen Determinanten eine endliche ist, ob nicht weitere Determinanten als notwendige Bedingungen denkbar 252 253 254
Damasio (1997, S. 254 f.) nennt es ein internes Präferenzsystem. Singer (2003), S. 15. Ebd. S. 21.
II. Evolution und Schöpfung
113
sind? Singers Argument erinnert an Laplace der schrieb: „Ein Geist, der für einen gegebenen Augenblick alle Kräfte kennen würde, welche die Natur beleben, und die geistige Lage aller Wesenheiten, aus denen sie besteht, würde in einer und derselben Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und der leichtesten Atome umfassen; nichts wäre ungewiss für ihn und Zukunft und Vergangenheit lägen seinen Augen offen dar“ 255. Heisenberg hat dazu gesagt: „An der scharfen Formulierung des Kausalgesetzes: wenn wir die Gegenwart genau kennen, können wir die Zukunft berechnen, ist nicht der Nachsatz, sondern die Voraussetzung falsch. Wir können die Gegenwart in allen Bestimmungsstücken prinzipiell nicht kennen lernen“ 256. Selbst wenn man annimmt, jeder Entscheidung entspreche ein neuronales Aktivitätsmuster, ist noch nicht die Frage beantwortet, welches individuelle, aus vielen Einflüssen herausgebildete Aktivitätsmuster zum Zuge kommt. Selbst wenn Korrelate die Entscheidung determinieren, ist noch nicht gesagt, wie es zur Bildung der Korrelate kommt. Sie können aus der Lernfähigkeit, aus Erfahrung und aus einer Einsicht aus Gründen hervorgehen. Gerade eine Einsicht aus Gründen könnte zur Herausbildung neuer Korrelate und zu einer veränderten Willensentscheidung führen. Mindestens hat Libets Experiment nicht gezeigt, dass nachdenkende Betrachtungen von neuronalen Aktivitätsmustern determiniert sind, weil sie in diesem Experiment nicht stattgefunden haben. Zusammengefasst ergibt sich folgende Lösung des Konfliktes: − es gibt eine qualitative Determination von Handlungen geprägt von neuronalen Mustern; − neuronale Prozesse und Willensfreiheit bleiben miteinander vereinbar, weil neuronale Prozesse eine notwendige Bedingung der Willensfreiheit bilden; − wahrgenommene Freiheit in einer Entscheidungssituation ist ein Wissen aus eigener Evidenz; Freiheit lässt sich nicht auf die Ergebnisse neurobiologischer Untersuchungen reduzieren, aber eine Willensfreiheit ist ohne die erkannten neurobiologischen Prozesse undenkbar.
II. Evolution und Schöpfung Erfolgreiches Modell und Konflikt Es geht um einen Konflikt zwischen Evolution und Schöpfung. Die Frage ist, ob die Evolutionstheorie eine Entwicklung alles Lebendigen so erklären kann, dass kein Raum für einen Schöpfungsgedanken bleibt. Oder sind unstrittige 255 256
Laplace, VII, P.VI. Heisenberg / Bohr, S. 34.
114
F. Beispiele
Ergebnisse aus der Evolutionstheorie mit einer Erklärung aus einer göttlichen Schöpfung verträglich? Da die Evolutionstheorie den Anspruch erhebt eine wissenschaftliche Erklärung zu sein, die von Befunden einzelner Lebewesen und deren Merkmalen ausgeht, gibt es hier die Beziehung zwischen Wahrnehmung des einzelnen Lebewesens und einer wissenschaftlichen Erklärung ihrer Entwicklung nach der Evolutionstheorie. Lässt sich der Konflikt zwischen beiden Erklärungen aus ihrer Beziehung zu einander lösen? Die Evolutionstheorie ist ein Modell, das auf Charles Darwin zurückgeht. Sie erklärt den Zusammenhang alles Lebendigen aus einem naturgesetzlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Sie kann dann, wenn sich Neues unter den Organismen entwickelt, die Bedingungen angeben unter denen es geschieht: das ist die „Modifikation der Merkmale des vorausgegangenen Lebendigen und die Selektion der Varianten nach dem Kriterium des Überlebensvorteils, orientiert am „Kampf ums Dasein“ 257. Bisher gibt es keinen durchgehenden Nachweis von einer Entstehung erster Lebewesen bis hin zur Entwicklung des Menschen. Aber aus unterschiedlichen Quellen wie paläontologischen Funden und neuesten Forschungen in der Genetik lassen sich evolutionäre Zusammenhänge von Merkmalen und ganzer Lebewesen rekonstruieren. Allerdings lässt sich die Evolutionstheorie erkenntnistheoretisch nicht widerlegen, weil sie von der Existenz eines Lebendigen und bestimmten Merkmalen ausgeht und das voraussetzt, was im Fall der Widerlegung nicht existieren darf. Die Evolutionstheorie kann auch keine Voraussagen machen, weil sie Modifikation und Selektion unter vorherrschenden Umweltbedingungen nicht vorausberechnen kann. Trotz der Einwände ist die Evolutionstheorie ein sehr erfolgreiches Erklärungsmodell, das Zusammenhänge nicht nur in der Biologie beschreibt sondern auch in anderen Bereichen wie z. B. in die Kosmologie, den Sozialwissenschaften und in der Erkenntnistheorie ihre Erklärungskraft bewiesen hat. Aus dem Anspruch, Zusammenhänge alles Lebendigen von seiner Entstehung bis zur gegenwärtigen Entfaltung, vor allem bezogen auf die Abstammung des Menschen erklären zu können, entstand der oben genannte Konflikt zwischen einer Erklärung der Welt aus einer Schöpfung und ihrer wissenschaftlichen Erklärung aus der Evolution, die keines Schöpfers und keines metaphysischen Erklärungsgrundes bedarf. Zugespitzt ist es die Frage: ist der Mensch ein Zufallsprodukt hervorgegangen aus einer stammesgeschichtlichen Evolution vorausgegangener Lebewesen, die wir Tiere nennen; oder ist der Mensch Mitte und Ziel einer Schöpfung wie z. B. als Ebenbild Gottes in christlichem Verständnis? 258 Der Konflikt ist häufig behandelt worden und hat zu sehr unterschiedlichen Lösungskonzepten geführt. Bei den atheistischen Biologen wie z. B. Richard 257
Darwin (1963), S. 98 ff. Auch die anderen großen Religionen – der Islam, die jüdische Religion ebenso wie die östlichen Religionen enthalten einen Schöpfungsmythos; vgl. Kessler, 58 ff. 258
II. Evolution und Schöpfung
115
Dawkins und Volker Sommer tritt er gar nicht auf. Letzterer äußert eine radikale evolutionäre Anthropologie: wir sind Menschenaffen. 259 Beide können nicht zeigen, dass Evolution eine hinreichende Bedingung für die Existenz eines Lebewesens ist, d. h. sie können nicht die Existenz eines Lebewesens allein aus der Evolutionstheorie erklären. Es gibt Biologen, wie z. B. Eva-Marie Engel, die nicht nur einer evolutionären Erklärung des Lebendigen folgen sondern Evolution und Schöpfung für miteinander unverträgliche Erklärungen halten. Sie folgt dem Gedanken eines Zusammenhangs alles Lebendigen auf naturwissenschaftlicher Grundlage ohne metaphysische Annahmen. Sie sieht offenbar keine Möglichkeit, die Entstehung des Menschen aus naturwissenschaftlichen Grundlagen mit einer Vorstellung von seiner Schöpfung für vereinbar zu halten. Ihre Position einer Unverträglichkeit setzt voraus, dass sich die Existenz eines einzelnen wahrgenommenen Lebewesens auf die evolutionäre Theorie reduzieren lässt. Untersucht wird später, ob so eine Reduktion der Entwicklung des Lebendigen auf eine Theorie möglich ist. Dabei geht es nicht um allgemeine paläontologische Argumentationen sondern um die Frage, ob sich die Entwicklung der Welt des Lebendigen auf eine Theorie wie die der Evolution reduzieren lässt, die andere Erklärungen ausschließt. Zu klären ist zuerst ob unser Denkvermögen, auf das sich die Evolutionstheorie stützt, nicht nur selbst aus der Evolution hervorgegangen ist sondern es auch kein unüberwindbares Hindernis zwischen Tier und Mensch bildet. Wenn es der Fall wäre, würde die Evolutionstheorie nicht ausreichen den Übergang vom Tier zum Menschen zu erklären. Aber können Tiere denken? Auch wenn man davon ausgeht, dass Tiere nicht denken können im Sinne von einer Begriffs- und Urteilsbildung, ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Brücke von mentalen Prozessen der Tiere zu denen der Menschen denkbar ist, wenn diese Entwicklung einen Überlebensvorteil bietet. Beobachtungen bei Schimpansen zeigen z. B. den Gebrauch einfacher Werkzeuge bei der Nahrungssuche. 260 Brandt argumentiert, dass Tiere nicht denken können, er zeigt aber wie eine Phylogenese des Urteilens – eine Brücke zwischen Tier und Mensch – denkbar ist. 261 Darwin hielt es nicht für unwahrscheinlich, dass sich aus einfacheren Formen der Abstraktion und des Selbstbewusstseins die höheren der Menschen herausgebildet haben. 262
259 260 261 262
Sommer (2009). Sommer (2009). Brandt, S. 46 ff. Darwin, (2002), S. 98 ff.
116
F. Beispiele
Ungeklärt bleibt, ob mit der Möglichkeit, dass unser Denken aus der Evolution hervorgegangen ist, ein Schöpfungsgedanke schon ausgeschlossen ist; es sei denn Religiosität selbst wird auf eine Evolution zurückgeführt. Wade hat z. B. aus evolutionärer Sicht eine Religiosität als Überlebensvorteil beschrieben. Er meint Religiosität als einen Selektionsvorteil bewerten zu können, weil sie den Zusammenhalt der Gemeinschaft fördere und eine eng verbundene Gemeinschaft von Vorteil sei. 263 Gibt es ein Gen der Religiosität? Das könnte doch nur durch Selbsteinschätzung der Individuen möglich werden, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass trotz eines Vorhandenseins des Gens – wenn es das überhaupt gibt – keine Religiosität bei dem Individuum auftritt so lange nicht erwiesen ist, dass das Gen eine hinreichende Bedingung für Religiosität ist. So ein Nachweis ist kaum vorstellbar. Es gibt vor allem unter den Theologen – das ist heute auch die Einsicht der großen christlichen Kirchen – diejenigen, die die Evolution für eine weitgehend bewiesene Theorie anerkennen und zugleich an eine Schöpfung glauben. Vertreter der christlichen Religion suchen nach einer Verträglichkeit beider Erklärungen. Sind ihre Argumente einer Vereinbarkeit überzeugend? Ein Argument zur Lösung des Konfliktes aus theologischer Sicht ist gekennzeichnet durch die Vorstellung, Evolution sei nicht das oberste Erklärungsparadigma. 264 Der Grund dafür sei, dass Naturwissenschaften die Frage des „Wie“ aber nicht die Frage des „Warum“ beantworten könnten, ebenso nicht die Frage nach einer Sinnhaftigkeit. Die Fragen gingen über eine naturwissenschaftliche Erkenntnis hinaus und eröffneten ein Feld für theologische Erklärung. Stimmt diese Vorstellung einer Ergänzung des Wissens über die Wirklichkeit? Sie ist nicht zwingend, weil auch die Theologie nicht immer die Warum Frage beantworten kann wie z. B.: warum stirbt ein junger Mensch? Warum müssen kleine Kinder unter Krebskrankheiten leiden? Warum bedarf es einer Evolution wenn alle Lebewesen Geschöpfe Gottes sind? Die Theologie verweist auf göttliche Allmacht und einen unerklärlichen göttlichen Willen. Solche Antworten sind weniger Erklärungen als Folgen eines Bekenntnisses zu Gott und einer Vertrauens auf ihn. Für den, der sich bekennt, wird es Trost sein können aber keine Erklärung. Diese Ungeklärtheit löst auch nicht die Unterscheidung zwischen Anfang in Raum und Zeit einer Entwicklung wie in der Evolution beschrieben und Grund als einer Bedingung von allem außerhalb von Zeit, Raum und Materie, der nicht Gegenstand einer naturwissenschaftlichen Theorie sein könne 265. Diesem Gedanken folgt auch Schockenhoff. Er argumentiert für eine Vereinbarkeit von Evolution und Schöpfung so: eine wissenschaftliche Theorie wie die Evolutions263 264 265
Wade (2010). Kessler, S. 43. Rauchhaupt (2009).
II. Evolution und Schöpfung
117
theorie sei eine Zweitursache für die Ausgestaltung der Welt, die das wie erklären kann; die Erklärung, dass eine Welt werden kann als einer Erstursache käme der Schöpfung zu. Der Mensch sei Teil der Natur aber zugleich in seinem Ursprung auf Gott bezogen. Insofern sei er nicht ein beliebiges Zufallsprodukt einer Stammesentwicklung sondern Ziel einer Schöpfung. 266 Reicht diese Brücke zwischen Evolution und Schöpfung für eine gleichzeitige Geltung beider Erklärungen aus? Einerseits ja, weil sie die Evolution nicht für eine hinreichende Erklärung hält. Unklar bleibt aber, ob die Existenz des einzelnen Menschen aus der Zweitursache der Ausgestaltung der Natur erklärbar wird unter der Voraussetzung, dass es Menschen aus einer Erstursache der Schöpfung geben kann. Einerseits ist von einer „Seinsverleihung“ 267 und von Gott, der „Eigensein, Kraft und Aktivität“ 268 verleiht die Rede, andererseits von einer „Freigabe der Geschöpfe in ihr Eigensein“ 269 die Rede und davon dass Gott nicht in Zellen und Organen sondern in Eigendynamik wirke. Es bleibt unklar, ob das einzelne Lebewesen erschaffen worden oder aus evolutionärer Entwicklung herausgebildet worden ist. Denkbar bleibt, dass Evolution und Schöpfung wirksam sind aber wie lässt sich dann die Beziehung zwischen Erst- und Zweitursache verstehen? Die Evolutionstheorie betrachtet einzelne Lebewesen und ihre Merkmale, erklärt aber nicht die Existenz, d. h. ob es gelingt, dass es geboren wird oder nicht. Erklärt wird das Gelingen der Geburt auch nicht aus den Beschreibungen des Grundes bzw. der Erstursache, weil sie ein dass, d. h. Möglichkeit des evolutionären Zusammenhangs aber nicht die Entstehung des Einzelwesens erklären. Sowohl Erst- wie auch Zweitursache beschreiben etwas Allgemeines: die Zweitursache einen allgemeinen Zusammenhang der Lebewesen aus der Evolution und die Erstursache den allgemeinen Grund – die Schöpfung – dass es Menschen geben kann. Beide Ursachen erklären aufeinander bezogen nicht, warum dieses einzelne Lebewesen zur Welt gekommen ist und gedeiht. Trotz einer Evolution und Schöpfung gibt es befruchtete Eizellen, die nicht zu einem Lebewesen gedeihen. Der Einwand, auch jedes Individuum würde aus göttlicher Schöpfung hervorgehen, würde jede weitere Auseinandersetzung zwischen Evolution und Schöpfung überflüssig machen, weil alles aus der Schöpfung erklärt werden könnte. Für nicht religiöse Kritiker bliebe die Evolution als eigenständige Erklärung wirksam und der Konflikt ungelöst. Wenn es gelingt außer einer wissenschaftlichen Erklärung der Evolution die Möglichkeit eines Schöpfungsgeschehens zu zeigen, ließe sich der Konflikt lösen. Diese Möglichkeit soll jetzt betrachtet werden. Es ist eine Lösung des Konfliktes, die sich aus dem Unterschied zwischen einem Wissen aus der Wahr266 267 268 269
Schockenhoff (2009), FRIAS. Kessler, S. 140. Kessler, S. 153. Kessler, S. 132.
118
F. Beispiele
nehmung und dem aus der Wissenschaft erschließen lässt. Gefragt wird nicht ob die Existenz des Einzelwesens aus einer Schöpfung oder aus der Evolution erklärt werden kann sondern es wird gefragt, was nehme ich wahr und was ist naturwissenschaftlich erklärbar. Die Evolutionstheorie geht vom einzelnen wahrgenommenen Lebewesen und dessen Merkmalen aus, beobachtet am Lebendigen, an Fossilien oder auch an DNA Sequenzen. In den stammesgeschichtlichen Untersuchungen steht dem Wissen eines einzelnen Wahrgenommenen ein Wissen aus der verallgemeinerten Evolutionstheorie gegenüber. Es sind zwei verschiedene Quellen des Wissens über ein Lebewesen: die aus seiner Wahrnehmung und die andere aus der wissenschaftlichen Betrachtung von Aspekten, hier aus der Evolutionstheorie. Folgt man dem oben erläuterten Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft dann lässt sich Evolution als eine notwendige Bedingung des wahrgenommenen Einzelwesens beschreiben. Das Einzelwesen lässt sich nicht auf die Evolution reduzieren. Selbst wenn die Evolution die Beschaffenheit z. B. des Menschen hervorgebracht hat, ist damit nicht erklärt, warum für diesen Menschen die Befruchtung seiner Keimzelle Erfolg hatte und er geboren wurde. Wissenschaft präpariert und abstrahiert; das Einzelne kommt nicht vor. So auch in der Evolutionstheorie, die zwar von einem Wahrgenommenen ausgeht, aber in ihrer Verallgemeinerung vom Einzelnen Lebewesen abstrahiert. Daraus ergibt sich, dass die Theorie eine notwendige Bedingung des Lebewesens bildet, für die Entstehung des einzelnen Lebewesens weitere Bedingungen erforderlich sind wie gelingende Befruchtung, erfolgreiche Entwicklung der Keimzelle usw. Wenn Evolution eine notwendige Bedingung für die Existenz dieses Menschen ist, so können und müssen weitere notwendige Bedingungen hinzukommen, damit seine Existenz gelingt. Es gibt viele Elternpaare, die sich ein Kind wünschen, und deren Bemühen um Befruchtung keinen Erfolg hatte. Einerseits lässt sich ein stammesgeschichtlicher Entwicklungsprozess als seine notwendige Bedingung rechtfertigen und andererseits zeigen, dass es andere notwendige Bedingungen geben muss, denn nicht alle befruchteten Eizellen wachsen zu einem Lebewesen heran. Eine weitere notwendige Bedingung könnte eine göttliche Schöpfung für genau diesen Menschen sein. Für das Gelingen der Existenz des Lebewesens ist die Schöpfungskraft Gottes nicht ausgeschlossen und bildet keine Konkurrenz zur Evolution. Eltern beten um die Geburt eines Kindes auch dann, weil sie trotz aller erfolgreichen Befruchtungen nicht sicher sind, dass ein Kind zur Welt kommt. Evolution und Schöpfung schließen sich nicht nur nicht aus sondern sind miteinander verträgliche Erklärung für die Existenz eines Menschen.
III. Relativitätstheorie: Zeitdauer vs. Zeitkontinuität
119
Es gibt eine vor allem in Amerika verbreitete Theorie des Intelligent Design. Es ist eine Theorie, die die Eigenschaften des Lebendigen aus einer intelligenten Ursache zu erklären versucht. Intelligent Design versteht sich als Wissenschaftliche Theorie, wobei viele Kritiker ihre Wissenschaftlichkeit bestreiten. Es muss hier nicht entschieden werden, ob es eine überzeugende Theorie ist. Erwähnt wird sie hier um zu zeigen, dass auch so eine Theorie verträglich sein könnte mit einer Evolution, weil beide Theorien nicht beanspruchen können, dass ihre Erklärungen eine hinreichende Bedingungen des Lebendigen sind. Wenn beide Theorien den Rang einer notwendigen Bedingung des Einzelwesens einnehmen, dann bleibt nur zu prüfen ob sie sich widersprechen. Evolutionstheorie und Designtheorie widersprechen sich nur, wenn man ein Design annimmt, dass eine Evolution ausschließt. Das aber konnte bisher nicht erwiesen werden. Wenn man aber wie oben geschildert einsieht, dass wissenschaftliche Aussagen eine notwendige Bedingung für das Wahrgenommene sind und erkennt dass alle Wissenschaft nur eine Annäherung an das Wissen des Wahrgenommenen sein können, dann lässt sich einsehen, dass über die wissenschaftliche Erklärung aus einer Evolution hinaus Erklärungen zur Existenz des Einzelwesens möglich bleiben. Ein Schöpfungsglaube bleibt möglich ohne in eine Konkurrenz zu einer wissenschaftlichen Erklärung einzutreten. Die Unterscheidung einer Wahrnehmung eines Einzelwesens von seinen notwendigen Bedingungen aus wissenschaftlicher Erkenntnis lässt andere Bedingungen zu wie die seiner individuellen Existenz aus göttlicher Schöpfung. Evolution und religiöse Überzeugung schließen sich nicht aus.
III. Relativitätstheorie: Zeitdauer vs. Zeitkontinuität Konflikt Aus der mathematischen Formulierung der Speziellen Relativitätstheorie – die Raumzeit dargestellt in dem Minkowski-Raum – ergibt sich ein Konflikt zwischen Alterungsergebnissen eines Zwillingspaares aus der Wahrnehmung und ihrer theoretischen Betrachtung nach der Relativitätstheorie. Der Konflikt ist an folgendem Beispiel dargestellt. Einer der Zwillinge rast in einem Raumschiff mit hoher Geschwindigkeit in den Weltraum, kehrt um und rast zur Erden zurück; der andere Zwilling bleibt auf der Erde. Wegen der Zeitdilatation, die auch für physiologische Vorgänge gelte, würde der Raumfahrer zum Zeitpunkt der Rückkehr weniger gealtert sein als sein irdischer Zwilling. 270 Ob das „Zwil270
Kiefer, Claus (2009a), S. 36 ff.
120
F. Beispiele
lingsparadoxon“ zutrifft ist fraglich und soll hier aus einer Wahrnehmung der Zwillinge und einer wissenschaftlichen Betrachtung ihres Alterungsprozesses betrachtet werden. Kiefer argumentiert: nach der Relativitätstheorie hat nur die Raumzeit noch eine absolute Bedeutung, nicht aber Raum und Zeit separat. Aus diesem Grund haben die Zwillinge eine unterschiedliche Eigenzeit. Kiefer versteht deshalb nicht, warum unsere Wahrnehmung der Zwillinge keinen Altersunterschied zulassen sollte, da wir ja nicht von außerhalb der Raumzeit auf die Zwillinge schauen, sondern als lokalisierte Beobachter den einen oder anderen Zwilling (beide nur, wenn sie zusammenkommen) wahrnehmen. Und weiter: das Argument mit dem möglichen Einfluss der Beschleunigung sei im Prinzip berechtigt. Allerdings könne man bei dem Gedankenexperiment insofern davon abstrahieren, als die Beschleunigungsphase beliebig harmlos (mit beliebig kleinen Beschleunigungen) erfolgen könne. Zudem handele es sich bei den Zwillingen (wie bei der Schrödinger-Katze) nur um ein auf die Spitze getriebenes Beispiel; es reiche völlig aus, stattdessen etwa Roboter oder gar nur Elementarteilchen zu betrachten. Bei letzteren habe man den Effekt auch experimentell beobachtet. 271 Auflösung des Konfliktes Der Altersunterschied ergibt sich aus einer Beschreibung der Zeit ausgehend von einer Gleichwertigkeit der Inertialsysteme und Einsteins Annahme einer Konstanz der Lichtgeschwindigkeit; es ist eine theoretische Betrachtung der Zwillinge nach Raum Zeit und Geschwindigkeit. Das Ergebnis einer Zeitdifferenz mag auf den Raumfahrer Zwilling aus der Perspektive der Relativitätstheorie zutreffen; abstrahiert wurde aber von einer Eigenzeit-Konstitution physiologischer Vorgänge wie der Alterung von Zellen bzw. deren Entfaltung in ihrem autopoietischen System; 272 Zellprozesse der Alterung bzw. ihrer Teilungsentfaltung konstituieren eine Eigenzeit, von der nicht gezeigt wurde, dass sie bei einer Beschleunigungsbewegung des Körpers langsamer verläuft. Dauert z. B. die Schwangerschaft einer Frau in einem beschleunigten Raumflug länger als die ihres irdischen Zwillings? Zu prüfen ist, ob sich sowohl für den Raumfahrerzwilling als auch für seinen irdischen Zwilling zwei verschiedene Zeiten ergeben: die eine aus den unterschiedlichen Inertialsystemen und die andere aus ihren eigenen autopoietischen Systemen. Aussagen über eine Zeit hängen davon ab, worauf sie sich beziehen wie hier auf eine Bewegung des Menschen oder auf dessen Eigengesetzlichkeit. Mein Einwand gegen die von Kiefer vertretene These eines durch den Raumflug entstandenen Altersunterschieds der Zwillinge ist: Einsehen lässt sich, dass es unter den Annahmen und Festsetzungen für eine Raumzeit eine unterschied271 272
Kiefer, Claus (2009b). Maturana (1987), S. 94 ff.
III. Relativitätstheorie: Zeitdauer vs. Zeitkontinuität
121
liche Zeitdauer für beide Zwillinge geben kann. Was ich nicht verstehe ist: alle belebten und unbelebten Gegenstände der Natur sind eingebettet in Zeit und Dauer von Himmelskörperbewegungen, atomarer Prozesse bzw. biologischer Entfaltungsbewegungen der Natur, in die wir hineingeboren sind und die sich nach unterschiedlichen Verfahren messen lassen. Eine künstlich herbeigeführte Beschleunigungsbewegung eines Raumfahrers und ihre Berechnung nach der Relativitätstheorie mag zu einem unterschiedlichen Zwillingsalter führen; aber es ist doch eine Messung aus einer theoretischen Perspektive unserer Zeit und Dauer der in die Natur eingebetteten Bewegungen, eines biologischen Entwicklungsprozesses. Wenn eine Raumzeit zu einer unterschiedlichen Dauer des Alterungsprozesses zwei vergleichbarer Zellen führen würde, entsteht doch die Frage nach einer Erklärung der Abhängigkeit der Biologie von der Relativitätstheorie, die unbeantwortet geblieben ist. Sicher sind diese Einwände für einen Physiker nicht sehr professionell formuliert, aber sie drücken einen Konflikt zwischen den Wahrnehmungsergebnissen über die Natur und ihrer theoretischen Erklärung aus. Kiefer hat auf diese Einwände geantwortet: Es ist natürlich eine getroffene Annahme, dass auch biologische Prozesse der Relativitätstheorie genügen. Es ist vorstellbar, dass diese Annahme falsch ist, jedoch gibt es dafür bisher keinen empirischen Hinweis. 273 Wie sollte man sich so einen Hinweis vorstellen? Dieser müsste aus einer theoretischen Perspektive eines Bezugssystems erfolgen. Ob die Dauer eines biologischen Entfaltungsprozesses abhängig ist von dem Inertialsystem, in dem sich der Organismus befindet, ist bisher nicht gezeigt worden. So lange nicht geklärt ist, ob bzw. wie sich die Einflüsse des Raumfluges auf eine Zellalterung des fliegenden Zwillings auswirken könnten, wird man nicht behaupten können, er sei am Ende des Raumfluges jünger oder vielleicht älter als der am Boden gebliebene Zwilling. Aus der abweichenden gemessenen Alterungsdauer des fliegenden Zwillings im Vergleich zu seinem irdischen Zwillingsbruder hat Kiefer den Schluss gezogen, dass sie tatsächlich unterschiedlich alt seien. Lässt sich das Zwillingsparadoxon aus einer Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft lösen? Für einen Zugang zum Alter eines Organismus gibt es zwei Möglichkeiten: erstens aus dem Prozess seiner Zellentfaltung und zweitens aus einer Messung und Zählung von Zeitintervallen. Diese erste Möglichkeit einer Zellentfaltung erschließt die Wahrnehmung und Beobachtung. Sie ist Grundlage für die zweite Möglichkeit einer Messung. Die erste Möglichkeit lässt sich zwar mit der zweiten kombinieren, d. h. nach Zeitintervallen messen; die beobachtete Alterung lässt sich aber nicht auf die gemessenen Zahlen reduzieren. Die zweite Möglichkeit einer Messung bedarf einer 273
Kiefer, Claus (2009b).
122
F. Beispiele
Theorie aus Begrifflichkeiten und Festsetzungen wie und was für die Zählung gelten soll einschließlich äußerer Einflüsse wie sie in Inertialsystemen zum Ausdruck kommen. Wird das Alter jedes Zwillings unter gleichen Bedingungen gemessen wird das Ergebnis gleich sein; wird es unter unterschiedlichen Bedingungen gemessen, wird es verschieden sein. Die wissenschaftliche Messung erfasst einen Aspekt der beobachteten Zellentfaltung, die sich aber nicht wie oben erwähnt auf die Messung reduzieren lässt. Ein Wahrnehmungsergebnis erfasst sowohl den Zwilling auf der Erde und seine biologische Entwicklung als auch die des fliegenden Zwillings. Wissenschaft betrachtet ihre Alterungsdauer unter den Aspekten von Inertialsystemen. Ihre voneinander abweichenden Bedingungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein gemessener Altersunterschied, wie er in diesem Beispiel auftritt, ergibt sich aus den unterschiedlichen Messbedingungen für beide Zwillinge. Aus den unterschiedlichen Ergebnissen ist nicht gezeigt worden, dass ihre biologischen Zellentfaltungsprozesse von unterschiedlicher Dauer sind. Das Wahrnehmungsergebnis des physiologischen Alterungsprozess beider Zwillinge bleibt Grundlage und Voraussetzung der wissenschaftlichen Betrachtung. In wissenschaftlicher Betrachtung wird unter den Bedingungen einer beschleunigten Bewegung von außen betrachtet: die Raum-Zeit wird gestreckt, die Bojowald als Umwandlung von der Zeit in Raum beschreibt. 274 Der biologische Prozess der Alterung beider Zwillinge lässt sich nicht auf Betrachtungen aus der Perspektive der Relativitätstheorie reduzieren.
IV. Die Unbestimmtheit des Quantenzustands vs. bestimmter Wirklichkeit Materie und Licht weisen sowohl Wellen- wie Teilcheneigenschaften auf. Wenn man an einem Elementarteilchen z. B. an einem Elektron, eine Ortsbestimmung durchführt, wird dessen Impulsmessung ausgeschlossen und umgekehrt. Durch die Messung der einen ist eine Messung der anderen Eigenschaft nicht möglich. 275 Beobachtetes und Beobachter bilden eine untrennbare Einheit. Deshalb ergeben sich aus einem Messprozess keine Aussagen über Atome sondern über Atome in einer bestimmten Untersuchungssituation. Beobachtetes und Beobachter stehen in einer Wechselwirkung. Auch wenn Ort und Impuls nicht gleichzeitig nachweisbar sind, werden sie als komplementäre Eigenschaften eines Quantenobjektes betrachtet.
274 275
Bojowald, S. 24 f. Kather, S. 944 f.
IV. Die Unbestimmtheit des Quantenzustands
123
Warum sind Quantenobjekte wie z. B. ein Elektron indeterminiert? Der Zustand eines atomaren Systems kann durch bestimmte Zustandsgrößen beschrieben werden. Die Zustandsgrößen stellen keine Situation in Zeit und Raum dar; es sind nicht Orte und Geschwindigkeiten der Teilchen. Die Größen geben Auskunft mit welcher Wahrscheinlichkeit gewisse Orte und Geschwindigkeiten der Elementarteilchen erwartet werden können und sie geben eine von verschiedenen Möglichkeiten für alle sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften an 276. In der Quantentheorie ist der Zufall eine objektive Kategorie. Der indeterministische Charakter zeigt sich in der Freiheit des Experimentators, Versuchsanordnungen zu wählen und zu entscheiden, welche Eigenschaften bestimmbar und welche unbestimmbar sind. Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation 277 beschreibt diese Erkennbarkeitsbeschränkungen. Ist die Wirklichkeit wegen der quantentheoretischen Unbestimmtheit indeterminiert oder nach unserem Erleben aus der Wahrnehmung determiniert? Die Differenz zwischen Wahrnehmungs- und Reflexionswissen kann bis zu einer Unvereinbarkeit miteinander reichen, wie das Dekohärenzproblem in der Physik zeigt: das Reflexionswissen der Quantenphysik beschreibt die Wirklichkeit durch Quantenzustände, die empirisch unbestimmt sind; ein Wahrnehmungswissen zeigt dagegen eine strukturierte Wirklichkeit, so dass zwischen beiden unentschieden ist, ob die Wirklichkeit bestimmt oder unbestimmt ist. 278 Zur Überwindung der Dekohärenz der Wirklichkeitsbeschreibung sind mehrere Theorien entwickelt worden wie eine Mehrweltentheorie und ein Kollapsmodell, die beide zwar eine Erklärung leisten können, aber dabei von Annahmen ausgehen, die selber erklärungsbedürftig sind. Die Dekohärenz könnte dadurch lösbar werden, dass dem Reflexionswissen der Quantenzustände nicht allein die Beschreibung der Wirklichkeit überlassen wird, sondern man Hinweise zu zeigen versucht, warum unter den präparierten Untersuchungsbedingungen eine andere Wirklichkeitsbeschreibung entsteht als aus dem Wahrnehmungswissen. Erkenntnisse über ein Elektron bilden nicht nur eine notwendige Bedingung des wahrgenommenen materiellen Untersuchungsgegenstandes, sondern das Elektron wird für die Untersuchung herauspräpariert, d. h. ihm wird seine Umgebung und sein Austausch mit dieser wegpräpariert. Wenn ein Quantenobjekt aus seiner Umwelt herausgelöst und einer anderen Umwelt – einem Messprozess – ausgesetzt wird, dann kann es zu abweichenden Ergebnissen aus diesem Kommunikationsprozess – Wechselwirkungsprozess kommen im Vergleich zu seiner unpräparierten Umwelt im Atom. Das Wissen über ein Elektron wird reduziert um dessen Kommunikation mit seiner Umgebung in seinem wahrnehmbaren abgeschlossenen System. Be276 277 278
Kather, S. 199. Ebd. S. 195. Giulini (1996).
124
F. Beispiele
rücksichtigt man die daraus entstehende Differenz zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft, lassen sich die Widersprüche erklären. Die Unbestimmtheit eines Quantenobjektes und die strukturierte Wirklichkeit bleiben miteinander verträglich, wenn man berücksichtigt, dass der indeterminierte Quantenzustand eine notwendige Bedingung der Wirklichkeit ist, aber Wirklichkeit nicht auf den Befund reduziert werden kann.
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik I. Ethik aus Bewertung der Umwelt Ethik gehört zur einer Wissenschaft, weil ihre Konzepte Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen sind. Für eine Ethik aus religiöser Überzeugung muss das nicht zutreffen. Aber gegenwärtig stehen Ethikkonzepte im Vordergrund, die unabhängig von religiösen Bindungen gelten wie z. B. der Utilitarismus, eine Vernunft- oder eine Diskursethik. Eines dieser ethischen Konzepte gründet auf Wahrgenommenen und dessen Bewertung. Es handelt sich um eine Ethik aus Emotionen und Vernunft, deren Vorteil ist gegenwärtige ethische besser lösen zu können als andere Entwürfe. Die Bedeutung der Wahrnehmung für so einen Entwurf wird hier am Beispiel einer Ethik aus Emotionen und Vernunft untersucht. Die Ethik gründet auf einer Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt. Ein Wissen über die Umwelt aus der Wahrnehmung, aus den Emotionen und aus der Reflexion sind ausführlich in den Abschnitten B und C behandelt worden. Wahrnehmungen und Emotionen sind durch ihre unterschiedlichen Informationen über die Umwelt gekennzeichnet. Die alltägliche Erfahrung zeigt, dass Wahrnehmung und Emotionen eng mit einander verknüpft sind; z. B. führt eine Wahrnehmung zur Information: da ist ein Hund; eine damit verbundene Emotion könnte Angst beim Anblick des Hundes auslösen oder auch Freude je nach den Reizen der Umwelt, die mit der Wahrnehmung Hund verbunden sind. Emotionen gehen aus Umweltreizen hervor und bewerten Wahrnehmungen. Die Bewertungen äußern sich in Erlebniszuständen, in körperlichen Reaktionen und in Handlungstendenzen. Die Wahrnehmung des Hundes und dessen emotionale Bewertung „aggressiv“ kann zu körperlichem Schaudern führen, einen Angstzustand hervorrufen und die Tendenz der Flucht erzeugen. Emotionen sind ein Bewertungssystem, das ermöglicht, Einflüsse der Umwelt hinsichtlich des eigenen Wohlbefindens und Gedeihens zu beurteilen. Aus neurowissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass Emotionen unsere Wahrnehmungen bewerten vor allem hinsichtlich einer Selbsterhaltung des Subjekts. Ihnen kommt in der Kommunikation mit der Umwelt die unverzichtbare Aufgabe zu, das Subjekt über die Einflüsse aus der Umwelt zu infor-
126
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
mieren, die einerseits seiner Lebenserhaltung und Entwicklung dienen und die andererseits das Subjekt vor Gefahren schützen. Emotionen ermöglichen, sich ihrer bewusst zu werden und ihre Auswirkungen in Handlungen und Verhalten abzuwägen und Rechnung zu tragen. Ein Überleben ebenso wie eine sinnvolle Zukunftsgestaltung ist ohne Emotionen undenkbar. Diese noch sehr allgemeinen Aussagen lassen sich aus einer Fülle von Experimenten und Untersuchungsergebnissen nachweisen und in einer differenzierten Weise beschreiben. Durch die Emotion erhält der Wahrnehmungsgegenstand eine auf das Subjekt bezogene individuelle Einschätzung. Die Bewertung muss nicht an ein Bewusstsein geknüpft sein, sondern sie kann als „prototypische Verhaltenssequenz“ 279 angeboren sein. Durch die Prozesse der Emotionen wird der Organismus unterrichtet sowohl über körperinterne Vorgänge als auch über die Umwelt, die beide für seine Fitness und für sein Handeln und Verhalten wichtig sind; z. B. werden Gefühle des Anerkanntwerdens, des Geliebtwerdens, des Liebens, des Glücks, des Triumphes und der Macht einen Menschen in seiner Zielsetzung bestärken; dagegen werden die seine Wahrnehmung begleitenden Gefühle der Enttäuschung, der Traurigkeit, der Angst, der Machtlosigkeit, des Ärgers und der Abscheu eine Änderung eines Verhaltens veranlassen. Die Bewertung einer Wahrnehmung erfolgt immer von einem Individuum und bezieht sich auf eine konkrete einzelne Situation. Es gibt unterschiedliche Arten von Bewertungen: Bewerten lassen sich z. B. ein juristischer Fall, eine historische Situation, einzelne Klimabeobachtungen oder die Tragfähigkeit eines Materials. Diese Art von Bewertungen betreffen Reflexionen über empirische Untersuchungen und deren Ergebnisse auf der Grundlage von gewählten Kriterien und ohne Bezug auf das bewertende Individuum selbst. Bei einer anderen Art bezieht sich die Bewertung auf das bewertende Subjekt. Seine Bedürfnisse werden zum Kriterium des Bewertungsergebnisses. Emotionen sind eine Instanz, die weder der Vernunft noch dem Verstand zugänglich sind und deshalb manchem als unkontrollierbar und ungeeignet erscheinen, in Bewertungssituationen eine Rolle zu spielen. Sie sind auch nicht immer begrifflich erfassbar wobei es für ihre körperlichen Reaktionen auch keiner Begriffe bedarf. Dagegen sind emotionale Reize für eine mentale Verarbeitung einem Bewusstsein und einer Begrifflichkeit zugänglich wie z. B., wenn wir ein bestimmtes Gefühl ohne zu zweifeln mit Angst oder Freude bezeichnen. Ein Gefühl kann angeborene Reaktionen auslösen wie Flucht oder Angriff. Durch Konditionierung können emotionale Einflüsse auf ein bestimmtes Verhalten eingeübt werden wie z. B. durch Belohnung oder Strafe. Sich eines Körperzustands als Folge einer Emotion bewusst zu werden und ihn in Beziehung zu einer auslösenden Wahrnehmung zu setzen, ist ein Schritt, der eine Denkleistung erfordert. Erst ein Bewusstwerden der Beziehung zwischen Wahrnehmung und ihre emo279
Ploog (1999), S. 131.
II. Handeln aus emotionaler Bewertung
127
tionalen Bewertung ermöglicht Handlungs- und Verhaltensstrategien, die über den Moment hinaus in die Zukunft gerichtet sind. 280 Wo eine Grenze zwischen Konditionierung und Bewusstwerden der Beziehung verläuft, kann hier nicht entschieden werden. Aber dort, wo sich ein Subjekt seiner Gefühle bewusst wird, gewinnt es Flexibilität für Handeln und Verhalten. Eine Speicherung der bewertenden Informationen aus den Emotionen im Gedächtnis wirkt sich auf eine Beurteilung von Handlungsentscheidungen für die Zukunft aus.
II. Handeln aus emotionaler Bewertung Wenn es Einflüsse aus der Umwelt gibt, wie die Neurowissenschaften nachweisen, und wenn ein Mensch als ein nach Selbsterhaltung strebendes Individuum ist, wie es unserem Menschenbild entspricht und wie ihn die Biologen beschreiben, dann bedarf der Mensch einer Möglichkeit zu bewerten, wie sich die Umwelteinflüsse auf ihn auswirken und wie er den Einflüssen begegnen, wie er handeln und sich verhalten will. Er bedarf einer Möglichkeit zu prüfen, welches Handeln seinen Bedürfnissen entspricht, woran er seine Handlung orientieren kann. Eine Wahrnehmung alleine kann diese Orientierung nicht leisten; aber die Bewertungen aus den Emotionen ermöglichen eine Handlungsorientierung, die der Umweltsituation und den Bedürfnissen des Menschen Rechnung tragen. Erst die Bewertungen der Einflüsse der Umwelt ermöglichen, den Lebensinteressen förderliche Einflüsse zu verfolgen und hinderliche zu vermeiden. Wer nicht in der Lage ist, erfolgreiche Handlungsergebnisse als erfolgreich zu bewerten, ist nicht in der Lage, erfolgreiche Handlungsstrategien für die Zukunft zu entwickeln. Diese Aussagen stützen sich auf umfangreiche neurowissenschaftliche Untersuchungen Hirn verletzter Patienten, die zu keinen Emotionen in der Lage waren. In einem Glücksspielexperiment, in dem Versuchspersonen bei bestimmten Handlungen eine Belohnung bzw. Bestrafung erhielten, zeigte sich, dass gesunde Versuchspersonen durch Überlegung nach kurzer Zeit in der Lage waren, vorteilhaftes bzw. nachteiliges Verhalten vorherzusagen; sie zeigten sich zu einem in die Zukunft gerichteten vorteilhaften Handeln befähigt 281. Dagegen konnten Hirn geschädigte Patienten solche Entscheidungen nicht sinnvoll treffen, weil sie zu keinen Emotionen fähig waren. Eine ähnliche Beobachtung machte Damasio bei dem Hirn geschädigten Patienten Gage, der durch einen Unfall eine schwere Verletzung einer Hirnregion erlitten hatte: An seiner Unfähigkeit zu Emotionen studierte Damasio, welche Auswirkungen daraus folgen: Gage konnte keine sinnvollen Handlungsstrategien für die Zukunft entwickeln. 282 280 281 282
Damasio, S. 185. Damasio, S. 285 ff. Ebd. S. 25 ff.
128
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
Was intuitiv jedem Menschen selbstverständlich ist, nämlich in einer bestimmten Situation ihr möglichst angemessen zu handeln, ist für eine erfolgreiche Lebensgestaltung unverzichtbar. Der Mensch bedarf eines Austausches mit seiner Umwelt zur Selbsterhaltung wie z. B. für seine Ernährung und Fortpflanzung. Er bedarf, wenn er auf soziale Bindung wert legt, wie es wohl in der Regel der Fall ist, auch einer sozialen Kommunikation, nämlich in der Beziehung eines Menschen zu seiner Familie oder überhaupt in Lebensgemeinschaften. Umwelt, dazu gehört der andere und eine Gemeinschaft ebenso wie der Mensch selber, der zur Reizquelle für einen anderen werden kann. Wenn aus Bewertung der Umwelt Handeln entsteht, dann ist es umgekehrt selbst einer Bewertung ausgesetzt, weil es zur Umwelt für Dritte wird. Und wenn sich die Bewertung auf die moralischen Bedürfnisse des Menschen bezieht, dann hat es etwas mit Ethik zu tun, worauf später eingegangen wird. Handeln kann bewusst oder unbewusst geschehen. Zu den unbewussten Weisen gehören Handlungen im Affekt, wobei die Benennung Affekt zum Ausdruck bringt, dass ein Handeln aus einer Gemütsverfassung bzw. Leidenschaft hervorgeht. Es können auch unbewusste Reaktionen sein wie z. B. dort, wo sich Gefahren abzeichnen; Hilferufe vor dem drohenden Ertrinken sind Reaktionen, deren man sich nicht erst bewusst werden muss, um zu reagieren. Bewusste Handlungen sind durch eine Intention, ein Ziel oder einen Zweck gekennzeichnet. Bewusst getroffene Handlungsentscheidungen können das Ergebnis einer kognitiven Auseinandersetzung mit den aus den emotionalen Bewertungen hervorgehenden Handlungstendenzen sein. Der Mensch gewinnt durch das Bewusstwerden der Bewertung Distanz als Voraussetzung einer Handlungsentscheidung; er kann Vor- und Nachteile abwägen, Erfolg oder Misserfolg abzuschätzen versuchen, Erfahrungen und Erlerntes in seine Betrachtung einbeziehen. Er kann sich Ergebnisse und Folgen vorstellen; er kann sich als Voraussetzung seiner Entscheidung mit seinem Handlungsziel und dessen Auswirkungen auf Dritte auseinander setzten. Der moralische Charakter der Emotionen Die bisherigen Ergebnisse aus den neurowissenschaftlichen Untersuchungen haben gezeigt, dass Handlungsorientierungen aus emotionaler Bewertung einer Erfüllung der Bedürfnisse dienen. Der Begriff der Bedürfnisse wird im folgenden Abschnitt ausführlich behandelt. Hier reicht es aus zu sehen, dass emotionale Bewertungen und ihre Handlungstendenzen Ausdruck bestimmter Bedürfnisse sind. Da Moral als eine Auswirkung des Handelns auf Dritte beschrieben werden kann, lässt sich der moralische Charakter der Emotionen aus einer Bewertung des Handelns Dritter nach bestimmten Bedürfnissen erklären. Auf die Bedürfnisse der Dritten Person beziehen sich Bewertungen wie Mitleid und Hilfe ebenso wie Freundschaft, d. h. um des Anderen willen zu handeln;
II. Handeln aus emotionaler Bewertung
129
Liebe verweist auf ein Fundament sozialen Verhaltens; eine Achtung der Ersten Person durch Dritte fördert die Selbstachtung; eine Verletzung der Rechte Dritter ruft Schuldgefühle hervor; Scham verweist auf eine Unterlassung dessen, was man tun sollte; Empathie drückt die Teilnahme an dem Leid des anderen aus; wenn z. B. eine Erste Person die Hilfsbedürftigkeit eines Anderen nachempfindet, in einer Reflexion aber zu dem Entschluss gelangt nicht zu helfen, wird dieser Entschluss wiederum einer emotionalen Bewertung durch die Erste Person selbst oder durch Dritte ausgesetzt sein. Bei der Ersten Person könnte es ein Gefühl der Unzufriedenheit auslösen; bei einem Dritten ein Gefühl der Verachtung oder umgekehrt eine Anerkennung der Ersten Person, wenn selbstlose Hilfe geleistet worden ist. Bar-On berichtet von einem Schergen, der Transporte von Juden in Vernichtungslager zu beaufsichtigen hatte. Eines Tages entdeckt er unter den Gefangenen einen alten Schulkameraden, der ihn erkennt und ihm voll in die Augen blickt. Der Scherge tut nichts zu dessen Rettung. Lebenslang erinnert er sich an diese Unterlassung und quält sich mit Selbstvorwürfen. 283 Auf die Erste Person beziehen sich emotionale Bewertungen wie z. B.: Furcht vor Gefahr, die zur Schutzsuche anregt; Freude über Lob, das eine Selbstachtung fördert; Genugtuung über Anerkennung, die den Selbstwert steigern bzw. umgekehrt Enttäuschung über Misserfolg, die den Selbstwert beeinträchtigen können. Es sind schließlich Bewertungen, die sich auf die Gemeinschaft beziehen. Sie sind gekennzeichnet durch ein Gemeinschaftsgefühl; durch „Treu und Glauben“ als eine rechtliche Institution des Umgangs miteinander; durch einen Gerechtigkeitssinn als Grundlage einer Zusammenarbeit in der Gesellschaft; 284 es sind die Menschenrechte, deren Geltung und Erweiterung weniger vom Sittengesetz und mehr vom „Fortschritt der Gefühle“ abhängen; 285 Liebe und Akzeptanz sind für soziale Systeme unverzichtbar. 286 Zeugnisse vieler Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus belegen, dass die Beobachtung von Erschießungen Unschuldiger und anderer Gräueltaten bei ihnen Entsetzen und Abscheu hervorriefen, die sie zum Widerstand veranlassten, um der Gemeinschaft, des Volkes und des Landes willen. 287 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass moralische Gefühle der Förderung menschlicher Bedürfnisse dienen wie Streben nach Anerkennung, Mitleid und Hilfe, Vermeidung von Schuldgefühlen durch Bruch des Vertrauens oder der Freundschaft. Zu einem moralischen Charakter der Emotionen rechnet auch Liebe zu Tieren und Mitleid mit ihnen in Not ebenso wie Liebe zur Natur und Abneigung gegen bestimmte verletzende Eingriffe. Auch negative Emotionen wie Hass, Neid oder Missgunst verweisen auf eine morali283 284 285 286 287
Bar-On, S. 424 – 443. Rawls, S. 66. Rorty, S. 161 f. Hoffmann, Ursula S. 217. Reich, S. 56 ff.
130
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
sche Perspektive dadurch, dass sich der Betroffene fragen kann, ob die aus ihnen hervorgehenden Handlungstendenzen seinen langfristigen Bedürfnissen dienen. Ein moralischer Charakter der Emotionen kommt auch in allgemeinen Grundsätzen, Normen, Werten und Aussagen über Sinngehalte – wie sie Traditionen und Religionen vermitteln – dadurch zum Ausdruck, dass sie zu unserer Umwelt gehörend aus emotionaler Bewertung akzeptiert oder verworfen werden können. Normen und Werte werden nicht als dem Individuum Übergeordnetes betrachtet sondern als ein Umwelteinfluss, der als allgemeiner Satz Orientierungshilfe leisten kann, wenn er akzeptiert wird. Rückwirkungen aus einer Bewertung des Handelns Grundlage der ethischen Theorie sind die Auswirkungen auf den Menschen aus seiner Einbettung in seine Umwelt; es sind seine Auseinandersetzungen mit den Einflüssen der Umwelt hinsichtlich seiner Bedürfnisse. Da ein Akteur zur Umwelt für Dritte werden kann und umgekehrt der Dritte zur Umwelt für den Akteur, entsteht eine Beziehung gegenseitiger Bewertung. Auswirkungen auf den Akteur hervorgerufen aus der Bewertung eines betroffenen Dritten werden hier Rückwirkungen genannt. Rückwirkungen können sich sowohl auf die Handlungsziele wie auch auf die moralischen Bedürfnisse des Akteurs auswirken. Vernunft Möglich wird die oben erwähnte reflexive Betrachtung einer Handlungstendenz mit Hilfe des Verstandes bzw. der Vernunft. Obgleich es Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen Verstand und Vernunft gibt wie z. B. der Verstand erschließt eine Einsicht aus Gründen und Vernunft eine Einsicht in Sinngehalte, wird hier auf eine Unterscheidung verzichtet, weil es um eine Reflexion geht, an der Verstand und Vernunft beteiligt sein können. Vernunft bzw. Rationalität ist die Fähigkeit zu nachdenkender Betrachtung über Alternativen des Handelns. Vernunft ermöglicht eine Handlungstendenz abzuwägen hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Bedürfnisse Dritter und deren Rückwirkungen. Vernunft kann auch die konkurrierenden Bewertungen eines Handelns, nämlich die Bewertung seines ökonomischen Zieles und seiner moralischen Bewertung gegen- oder miteinander abwägen. Von der Handlungstendenz, die aus der Bewertung einer Wahrnehmung hervorgeht, lässt sich unterscheiden ihre nachdenkende Betrachtung, die zu einem Urteil führt. Eine Urteilsbildung auf der Grundlage emotionaler Bewertung setzt voraus, Emotionen als Quelle des Wissens für Orientierungen des Handelns und Verhaltens zu akzeptieren. Es wurde oben darauf hingewiesen, dass Emotionen oft als störende Einflüsse beurteilt werden; Emotionen, so wird argumentiert, sollten in einen persönlichen Bereich zurückgedrängt bleiben, damit sie nicht auf Irrwege führen. Bevorzugt werden dagegen Vernunft und rationale Begründungs-
II. Handeln aus emotionaler Bewertung
131
strategien, die für jedermann nachvollziehbar sind. Ein Misstrauen gegen Emotionen hängt auch damit zusammen, dass sie etwas Individuelles zum Ausdruck bringen, während von einer Ethik doch objektive Aussagen erwartet werden, die allgemein gültig sind. Die Gründe für eine Zurückdrängung der Emotionen sind bedenkenswert, wenn ihre Bewertungen nicht reflektiert, wenn sie ungeprüft zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden. Ein generelles Misstrauen gegen Emotionen übersieht aber, dass sie als Teil unseres Bewertungssystems in der Kommunikation mit der Umwelt unverzichtbar sind und auf sie alle Orientierungen für langfristige Zielsetzungen zurückgehen. Allgemeiner ausgedrückt: wer nicht fühlt, kann auch nicht vernünftig handeln und entscheiden. Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist es eine kognitive Verarbeitung der Reize, die eine Reflexion ermöglicht und dadurch einen Handlungsspielraum eröffnet. LeDoux unterscheidet nicht zwischen Kognition und Denken. 288 Er nennt eine Reihe von neurowissenschaftlichen Ergebnissen, die Emotion und Kognition als getrennte, miteinander wechselwirkende mentale Funktionen erweisen. 289 Kognition erlaubt zu entscheiden und von der Reaktion überzugehen zur Aktion. In unserem Zusammenhang kommt es weniger darauf an, die Hirnprozesse und -systeme der Reaktionssteuerung zu verstehen als auf Ergebnisse zu verweisen, die die Möglichkeit eröffnen, die Handlungstendenzen aus der emotionalen Bewertung nicht nur auf ein Reaktionsvermögen zu reduzieren, sondern als Handlungsspielraum zu erweisen. Eine kognitive Verarbeitung der Reize der Umwelt und eine nachdenkende Betrachtung eröffnen diesen Spielraum. Reichen rationale Überlegungen aber nicht aus, um eine sinnvolle Handlungsentscheidung zu treffen? Ein Ökonom wie Robert Frank, ein Biologe wie Robert Trivers, ein Psychologe wie Jerome Kagan und schließlich der Neurowissenschaftler Antonio Damasio kamen zum gleichen Ergebnis: Wenn Menschen alle Gefühle abgehen, sind sie rationale Narren. 290 Oft zeigen sich Emotionen einflussreicher auf Entscheidungen als rationale Gründe. Weit in die Zukunft reichende Entscheidungen eines Menschen werden bisweilen wesentlich, manchmal ausschließlich von Emotionen beeinflusst wie z. B. die Auswahl seines Ehepartners oder die Wahl des Berufes. Wenn jemand von einer Vernunftehe spricht, dann verweist er mehr auf rationale Gründe für eine Ehe, vielleicht unter Verzicht auf die fundamentale emotionale Bindung der Liebe. Die Entscheidung für einen bestimmten Beruf trifft mancher sogar gegen rationale Gründe z. B. hinsichtlich späterer Erwerbsaussichten; das ist besonders deutlich bei Künstlern.
288 289 290
LeDoux, S. 27. LeDoux, S. 75. Ridley, S. 204.
132
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
Als Grundlage einer Ethik muss nicht zwischen Emotionen oder Vernunft entschieden werden sondern beide gemeinsam bilden das Fundament der Ethik. Vernunft allein, die sich an allgemeinen Einsichten und Erfahrungen orientiert, abstrahiert vom Einzelfall und kann deshalb oft die ethischen Konflikte nicht lösen. Pascal spricht von den zwei Quellen, aus denen uns Einsichten und Bewertungen möglich sind: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“ 291. Eine Bewertung aus Herz, das ist eine aus Emotionen. Die emotionale Bewertung der Einzelsituation berücksichtigt ihrerseits noch keine allgemeinen Einsichten und Erfahrungen. Deshalb ergänzen Emotionen und Vernunft einander und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens ist es die Handlungsorientierung aus emotionaler Bewertung einer einzelnen Situation, die einer Reflexion aus Vernunft bedarf, um solche Alternativen abzuwägen, die den Bedürfnissen eher dienen. Zweitens ergänzen sich Emotionen und Vernunft, weil Einsichten aus Vernunft wie z. B. allgemeine Sätze, auf die später eingegangen wird, auf einer Akzeptanz aus emotionaler Bewertung beruhen. Ihre gegenseitige Ergänzung als Grundlage einer Ethik ist sinnvoll und unverzichtbar. Wenn sowohl Emotionen wie auch Vernunft Einfluss auf unsere Handlungsentscheidungen ausüben, kommt dann einem von beiden der Vorrang zu? Aus Sicht der Neurowissenschaften betont Roth, dass Emotionen die Vernunft dominieren. Er meint, das sei auch biologisch sinnvoll, weil die Emotionen dafür sorgen, dass wir dasjenige tun, was sich in unserer gesamten Erfahrung bewährt hat, und das lassen, was sich nicht bewährt hat. Manche Autoren trennen nicht die Rationalität von den Emotionen sondern sprechen von einer Rationalität der Emotionen, weil sie zu einer rationalen Organisation des Handelns beitragen. 292 Ohne auf ihren Vorrang zu pochen sind Emotionen für eine ethische Urteilsbildung unverzichtbar. Es geht nicht wie in früheren ethischen Theorien um eine Wahl zwischen Emotionen oder Vernunft als Grundlage sondern um deren Zusammenwirken. Jemand kann z. B. bedenken, ob er für sein Ausscheiden aus dem Vorstand eines Unternehmens den Verlockungen erliegen und eine Abfindung kassieren möchte, die von den eigenen Betriebsangehörigen und der Öffentlichkeit als überhöhte Abzockerei empfunden wird und zu seinem Ansehensverlust führt oder ob er diese Folgen bedenkend sich auf eine moderate Abfindung beschränken möchte, die seine Missachtung in der Öffentlichkeit vermeidet? Vernunft erlaubt, die Rückwirkungen seiner Handlungsalternativen abzuwägen.
291 292
Pascal, S. 174. De Sousa, S. 71 ff.
III. Der Grundsatz
133
III. Der Grundsatz Eine moralische Orientierung des Handelns lässt sich so zusammenfassen: Handeln geht aus emotionaler Bewertung der Umwelt hervor und wird selbst zur Umwelt für Dritte; deshalb ist Handeln eines Akteurs einer doppelten Bewertung ausgesetzt: einer eigenen nach seinen Zielen und einer moralischen Bewertung Dritter. Einbeziehen in die Abwägung seiner Handlungsentscheidung lassen sich die moralischen Bedürfnisse Dritter und deren Rückwirkungen auf die eigenen Bedürfnisse und Ziele. Moralische Bedürfnisse Moral hat damit zu tun, wie Menschen mit einander umgehen, wie sie sich gegenseitig behandeln; aber auch damit wie sich Handeln, das an unterschiedlichen Zielen orientiert ist, auf Dritte auswirkt. Handeln gegenüber anderen Menschen ebenso wie eine Betroffenheit Dritter lassen sich bewerten. Kriterium der Bewertung sind moralische Bedürfnisse der Menschen. Es gibt moralische Bedürfnisse und sie lassen sich einsehen. Die Menschen leben nicht isoliert für sich und interesselos nebeneinander sondern in einem gegenseitigen Miteinander wie in der Familie, im Beruf, in wirtschaftlichen Geschäften, in der Freizeit, im Sport und in vielen anderen Gemeinschaften. Wenn sie aber aufeinander angewiesen zusammenleben, entstehen Erwartungen und Bedürfnisse an den Umgang miteinander. Vorausgesetzt dass alle Menschen vergleichbare Erwartungen an eine Gestaltung ihres Lebens haben wie Freiheit, Unversehrtheit, Würde und Achtung möchte sie jeder vom anderen geachtet erleben. Keiner möchte vom anderen unterdrückt, missachtet, ausgenutzt und nur als Mittel zu Zwecken anderer benutzt werden. Dagegen gibt es positive Erwartungen wie Schutz, Unterstützung, Achtung, Wertschätzung und Anerkennung durch den anderen, ob Arbeitskollege, Familienmitglied, Sportakteur oder Geschäftspartner, aber auch allgemein werden Fairness und Gerechtigkeit erwartet. Sicher gibt es Handeln, das die moralische Bedürfnisse Dritter nicht erfüllt; entscheidend ist aber, ob der Handelnde über eine ausreichende Entscheidungsfreiheit verfügt bzw. mindestens ein Bemühen erkennbar ist, die moralischen Bedürfnisse Dritter in die Entscheidung einzubeziehen. Moral heißt dann, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Bedürfnisse Dritter in die eigenen Überlegungen einer Entscheidung einzubeziehen. Moral betrifft nicht nur die Art des Umgangs zwischen zwei Menschen sondern ebenso den Umgang mit sich selbst. Moral kann auch eine ganze Gruppe oder Gemeinschaft betreffen wie z. B. eine Fußballmannschaft, die sich trotz Überlegenheit des Gegners nicht aufgibt.
134
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
Weil es moralische Bedürfnisse gibt, lässt sich jetzt einsehen, dass es emotionale Bewertungen sind, die anzeigen ob sie erfüllt werden bzw. unerfüllt bleiben? Jeder nimmt den anderen als seine Umwelt wahr und bewertet ihn, so auch ein Dritter den Handelnden, dessen Handeln und Verhalten. Die Bewertung kann aber weder eine Wahrnehmung noch eine nachdenkende Betrachtung der Umwelt leisten, weil weder Wahrnehmung noch Reflexion Bewertungen erfassen. Also bleibt nur die dritte Zugangsmöglichkeit zur Umwelt, die emotionale Bewertung, um die Auswirkung auf die moralischen Bedürfnisse zu erfassen. Aber warum sollte ein Akteur die moralischen Bedürfnisse eines Dritten, gegebenenfalls auch die eigenen berücksichtigen? Es lassen sich drei Gründe dafür nennen: der Akteur berücksichtigt die moralischen Bedürfnisse eines Dritten aus Empathie, d. h. aus einem Verständnis für dessen Betroffenheit; zweitens wegen seiner eigenen moralischen Bedürfnisse, d. h. eine Rücksichtslosigkeit gegenüber Dritten fällt auf den Akteur zurück, er verliert an Achtung und Wertschätzung durch andere; ein dritter Grund zur Berücksichtigung moralischer Bedürfnisse Dritter ist die Einsicht, dass deren Verletzung zu Rückwirkungen auf ihn selbst führen können, weil ein Dritter Gegenmaßnahmen überlegen und treffen könnte wie z. B. Ablehnung weiterer Geschäfte mit dem Akteur. Übertriebene Erwartungen eines Dritten an den Handelnden lassen sich ihrerseits bewerten und als übertriebene erkennen mit der Konsequenz einer Ablehnung. Allgemeine Sätze Ein moralischer Charakter der Emotionen kommt auch in allgemeinen Grundsätzen, Normen, Werten und Aussagen über Sinngehalte – wie sie Traditionen und Religionen vermitteln – dadurch zum Ausdruck, dass sie zu unserer Umwelt gehörend aus emotionaler Bewertung akzeptiert oder verworfen werden können. Normen und Werte werden nicht als dem Individuum Übergeordnetes betrachtet sondern als Umwelteinflüsse, die Orientierungshilfe leisten können, wenn sie akzeptiert werden. Allgemeine Sätze erfüllen in der Umwelt ein Bedürfnis der Menschen, derentwegen sie akzeptiert werden. Das Bedürfnis nach einer Verallgemeinerung von Handlungsorientierungen kommt zum Ausdruck z. B. in einer persönlichen Erfahrung erfolgreicher Entscheidungen bzw. solcher, die zum Misserfolg führten. Erfolgreiche Orientierungen veranlassen zur Wiederholung, von Misserfolg gekennzeichnete zur Vermeidung. Bezogen auf die Gemeinschaft ergibt sich ein Bedürfnis nach allgemeinen Sätzen z. B. des Schutzes oder der gegenseitigen Anerkennung ideeller und materieller Bedürfnisse. So wünschenswert einem Individualisten ein Verzicht auf allgemeine Sätze, die seine Handlungsfreiheit begrenzen, erscheinen mag, so wird er auf Ordnungsregeln und Gesetze in der Gemeinschaft, in die er hineingeboren ist, doch nicht verzichten wollen, um seinen Lebensplänen unbedroht nachgehen zu können. Wenn z. B. eine Verteilung materieller Gewinne aus einem Zusammenwirken einer Gruppe von Menschen zu regeln ist, wird jeder wissen wollen, mit welchem
III. Der Grundsatz
135
Anteil er rechnen kann. Es bedarf deshalb Kriterien, nach denen eine Verteilung verabredet wird; es wird ein allgemeiner Grundsatz über Gerechtigkeit erforderlich. Bei Verstößen gegen die Lebensinteressen anderer lässt sich in ähnlicher Weise aus einem Bedürfnis nach Schutz eine allgemeine Regel für Sanktionen herleiten. Ein allgemeiner Satz kann die Form von Aussagen, Maximen, Glaubensgeboten, von gesellschaftlichen Regeln und von Gesetzen annehmen. Quelle allgemeiner Grundsätze können geistige oder religiöse Traditionen sein, aus denen Tugenden wie Zivilcourage, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Freundschaft hervorgegangen sind; es kann sich um Werte handeln wie Würde des Menschen und Freiheit, die in gesetzlichen Regelungen Eingang gefunden haben; es kann sich auch um Rechte handeln, die aus Annahmen über die Natur des Menschen hergeleitet werden wie körperliche Unversehrtheit und Eigentum. Es können auch politisch ausgeformte Prinzipien sein wie die Grundrechte: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, [...] unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen [...]“ 293. Beispiel eines aus der Not ethischer Konflikte entworfenen allgemeinen Satzes ist ein Prinzip der Nachhaltigkeit, wie es Mieth formuliert: „Man soll Probleme nicht so lösen, dass die Probleme, die durch die Problemlösung entstehen, größer sind als die Probleme, die gelöst werden“ 294. Allgemeine Sätze können selbst dann, wenn sie Gesetz geworden sind, strittig bleiben wie das „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen“ vom 1. Juli 2002. Es ist strittig, weil es Forschung an humanen Stammzellen zulässt, die viele Menschen ablehnen. Allgemeine Sätze können als Werte, Ziele, Sinngehalte oder sogar Normen dann eine Geltung erhalten, wenn sie akzeptiert werden. Denn unabhängig von der Fassung allgemeiner Sätze, ob als Prinzipien, höchste Gebote, Regeln, Ziele, Sinngehalte oder Werte, sind sie als Umwelt wahrgenommen unserer Bewertung ausgesetzt und müssen von den Menschen akzeptiert werden. Können allgemeine Sätze überhaupt allgemein genannt werden, d. h. Verbindlichkeit für alle beanspruchen, wenn sie auf individueller Akzeptanz beruhen? Man könnte denken, dass einer einen Satz akzeptiert und ein anderer nicht. Einwenden gegen diese Vermutung lässt sich, dass Akzeptanz auf einer Bewertung von zweierlei Bedürfnissen beruht: auf dem Bedürfnis eines Einzelnen nach seiner individuellen Lebensgestaltung und auf dem Bedürfnis nach Regeln in der Gemeinschaft. Denn eine Erfüllung individueller Bedürfnisse ist meist abhängig von Regeln, die zwar einen gegenseitigen Verzicht auf unbeschränkte Handlungs293 294
Vereinte Nationen, Charta Präambel. Mieth (2002), S. 435.
136
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
freiheit verlangen aber zugleich die Erfüllung der individuellen Bedürfnisse erst ermöglichen. Einsehen lässt sich deshalb eine allgemeine Akzeptanz von Regeln in Gestalt allgemeiner Sätze oder Normen aus den Bedürfnissen des Einzelnen. Ihren Ausdruck findet eine allgemeine Akzeptanz durch direkte oder indirekte Zustimmung jedes einzelnen Menschen. Ein allgemeiner Satz, der keine Akzeptanz findet, erlangt keine Stabilität seiner Geltung. Betroffene drängen auf Veränderung bis hin zur Revolution. Zu betonen bleibt, dass Akzeptanz nicht aus einer rationalen oder psychologischen Begründung des allgemeinen Satzes folgt, sondern aus dessen emotionaler Bewertung. Erst die Akzeptanz aus subjektiver Bewertung bindet das Individuum, im Unterschied zu einer von einer Akzeptanz unabhängigen Norm, die wegen möglicher innerer Ablehnung zu keiner Stabilität eines ethischen Wertekanons führt. Die Bedeutung einer inneren Akzeptanz wird auch deutlich, wenn jemand einen Vertrag oder einer Regel, denen er zugestimmt hat, aus Eigennutz bricht und als Wortbrüchiger dasteht. Der Einzelfall bleibt entscheidend. Forschner meint zwar, sittliche Gewissheit erfordere eine objektive Interpretation; objektiv hieße, wenn man einem Handlungsziel, einer Handlungsmaxime moralische Eigenschaften zuspreche, die unabhängig davon seien, ob sie von jemandem wahrgenommen werden oder nicht, unabhängig davon auch, welcher Art die emotionalen Reaktionen auf diese Eigenschaften bei ihm oder einer anderen Person seien. 295 Gegen dieses Kriterium objektiver Gewissheit lässt sich einwenden, dass es den Einzelfall außer Acht lässt, in dem eine sittlich objektive Handlungsmaxime eher schaden kann als helfen. Bezugspunkt der ethischen Theorie ist weder eine objektive Norm noch allein das Individuum, sondern das Individuum unter den Einflüssen seiner Umwelt. Diese Beziehung schließt die Gefahr einer Beliebigkeit des ethischen Urteils aus. Zusammenfassung der Begründung der Theorie Die ethische Theorie wurde eingangs so formuliert: weil Handeln aus emotionaler Bewertung der Umwelt hervorgeht und selbst zur Umwelt für Dritte wird, lässt sie sich in dem Grundsatz zusammenfassen: Handeln eines Akteurs ist einer doppelten Bewertung ausgesetzt: einer eigenen nach seinen Zielen und einer moralischen Bewertung Dritter; einbeziehen in die Abwägung seiner Entscheidung lassen sich die moralischen Bedürfnisse Dritter und deren Rückwirkungen auf seine Bedürfnisse und Ziele. Auf einer empirisch bewiesenen Grundlage, die eine Ethik erst ermöglicht, wird ihre allgemeine Geltung zusammenfassend so begründet:
295
Forschner, S. 232 f.
III. Der Grundsatz
137
Entitäten, von denen die Theorie ausgeht, sind der Mensch und seine Umwelt, wobei mit Umwelt die Reize beschrieben werden, aus denen Wahrnehmungen und Emotionen hervorgehen. Empirisch wurde gezeigt, dass der individuellen Herausbildung von Wahrnehmungen Reize als notwendige Bedingung vorausgehen müssen. Ohne Reize gibt es keine Wahrnehmung; auch Erinnerung, Phantasie und Träume gehen auf Umweltreize zurück. Außerdem wurde empirisch erwiesen, dass einerseits Wahrnehmungen und andererseits deren Bewertung durch Emotionen als eigenständiges Wissen über die Umwelt entstehen, weil Reize der Wahrnehmung und der Emotionen getrennt voneinander neuronal verarbeitet werden. Diese Trennung zu sehen ist wichtig um zu erkennen, dass beide Zugangsweisen zur Umwelt eigenständige Ergebnisse über die Umwelt hervorbringen. Ihre Eigenständigkeit ermöglicht eine Theorie emotionaler Bewertung nach Bedürfnissen. Wahrnehmung und ihre emotionale Bewertung sind neurowissenschaftlich nur insoweit erklärt, als sich zeigen lässt, dass ohne bestimmte Reize, ohne ihre neuronale Verarbeitung an bestimmten Gehirnorten keine emotionale Bewertung einer Wahrnehmung möglich ist. Wenn die empirisch begründete Aussage eine notwendige Bedingung für eine emotionale Bewertung und ihre Handlungstendenzen bildet, heißt das für eine Ethik, sie beschreibt die prima facies Bedingung für Überleben und Gedeihen in der Umwelt, ohne die Ethik keinen Sinn macht. Nicht die Ethik wird empirisch begründet sondern die Bedingung einer Möglichkeit von Ethik. Einsehen lassen sich als Folge der Bewertungen die aus ihnen hervorgehenden Handlungstendenzen, die sich an den Bedürfnissen orientieren. Wer keine emotionalen Reize verarbeiten kann, kann nicht ihre Auswirkungen auf die Bedürfnisse und deshalb auch nicht Erfolg oder Misserfolg einer Handlung abschätzen. Ausgehend vom Menschen und seiner Umwelt erfasst der Begriff der Bedürfnisse unverzichtbare Güter, die ein Mensch zu seiner Lebenserhaltung und Lebensgestaltung braucht; ihre Ablehnung würde zur Sinnlosigkeit einer Ethik führen. Moralische Bedürfnisse sind begründet aus der Lage des Menschen in seiner Umwelt, sofern die Umwelt Menschen sind. Sie leben nicht isoliert für sich und interesselos nebeneinander sondern sind auf einander angewiesen. Aus ihrem Umgang miteinander entstehen gegenseitige Erwartungen und Bedürfnisse. Deshalb lässt sich einsehen, dass Handeln als Umwelt für Dritte einer moralischen Bewertung unterliegt, aus der Handlungsorientierungen hervorgehen können, die auf den Handelnden rückwirken. Das Neue an dieser Theorie ist, dass Ethik aus der Kommunikation eines Individuums mit seiner Umwelt hergeleitet wird. Es sind keine von einer Bewertungssituation abstrahierte Normen, denen eine Handlung unterworfen wird, sondern umgekehrt ergibt sich erst aus der Handlungssituation die Orientierung des Handelns. Möglich geworden ist der Bezug einer Handlungsorientierung auf die einzelne Situation durch deren emotionale Bewertung. Die ethische Theorie
138
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
verbindet Vernunft und Emotionen zur Erklärung von Handlungsentscheidungen. Sie ermöglicht die Geltung allgemeiner Grundsätze und Werte. Sie ist offen für Entwürfe und Auswahl allgemeiner Sätze unter der Bedingung ihrer Akzeptanz. Sie kann einen Wertewandel erklären, weil eine Abwägung allgemeiner Sätze und ihre Anwendung nicht einem starren Normenkonzept folgen, sondern einer Bewertung nach Bedürfnissen. Was manche Menschen als einen Werteverfall betrachten, zeigt sich aus emotionaler Bewertung als eine sich langsam durchsetzende Akzeptanz einer Veränderung. Die ethische Theorie fordert kein Sollen, sondern sie beschreibt Handlungsorientierungen unter den Einflüssen der Umwelt, deren Rückwirkungen sich abwägen lassen hinsichtlich einer Erfüllung moralischer Bedürfnisse. Es sind auch andere ethische Konzepte unter der Voraussetzung einer Wahrnehmung als ihre Grundlage nicht ausgeschlossen. Wahrnehmung erweist sich in dieser wissenschaftlichen Untersuchung als unverzichtbare Grundlage einer Ethik.
IV. Anwendung der Theorie auf ein Beispiel Welche Rolle eine Wahrnehmung für die ethische Theorie spielt, lässt sich an einem Beispiel demonstrieren. Es ist das Beispiel eines Laborexperimentes aus der Experimentellen Wirtschaftsforschung. Sie untersucht die Frage: nach welchen Grundsätzen treffen Menschen ökonomische Entscheidungen? Ihre Ergebnisse lassen sich aus der ethischen Theorie erklären. Das Ultimatumspiel Als Beispiel wird das Ultimatumspiel gewählt, weil es ein Basismodell eines Verhandlungsspiels bildet. 296 Grundlage ist die gegenseitige Wahrnehmung und Bewertung der Handlungen zweier Spieler, die mit einander kooperieren. 297 Das experimentelle Design und sein Ergebnis sind folgendes: Spieler 1 gibt an, welchen Anteil eines aufzuteilenden Geldbetrages K er für sich beansprucht. Die Differenz E wird Spieler 2 angeboten. Dieser entscheidet dann, ob er das Angebot annimmt oder nicht. Nimmt er an, wird der Betrag entsprechend der Aufteilung von Spieler 1 ausgezahlt. Nimmt er nicht an, erhalten beide Spieler nichts. Das rationale Entscheidungsverhalten wäre: Die optimale Entscheidung für Spieler 1 ist, nur einen minimalen positiven Betrag E dem Spieler 2 zu überlassen. Spieler 2 wird stets die Alternative bevorzugen, die ihm mehr bringt, 296
Das Beispiel des Ultimatumspiels ist in etwas vereinfachter Form übernommen aus Schoefer, S. 35 f. 297 Ausführlich sind Laborexperimente der Experimentellen Wirtschaftsforschung untersucht worden in Kolster (2008).
IV. Anwendung der Theorie auf ein Beispiel
139
also einen minimalen Betrag E; und den Konflikt wird er nur dann wählen, wenn dieser nichts kostet. Experimentelle Ergebnisse dieses Spiels sind aber andere: die Spieler verhalten sich nicht optimal im Sinne der rationalen spieltheoretisch prognostizierten Lösung. Spieler 1 bietet tatsächlich weit mehr als einen minimalen Betrag dem Spieler 2 an. Die Aufteilung aus vielen experimentellen Versuchsreihen entspricht im Durchschnitt E= 35% für Spieler 2 und K-E = 65% für Spieler 1. Angebote des Spielers 1 unter 20 % des Gesamtbetrages werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,5 zurückgewiesen. Das Ultimatumspiel zeigt, dass die Spieler im realen Leben nicht nach einem nur rationalen Entscheidungskalkül handeln, sondern Rücksicht nehmen auf das, was sie für eine faire und gerechte Aufteilung halten. Spieler 2 wird – auch das kalkuliert Spieler 1 in seine Entscheidung ein – Spieler 1 durch seine Ablehnung des Angebots bestrafen und auf den zu gering offerierten Gewinn verzichten, wenn er den Eindruck hat, dass Spieler 1 zu viel für sich beansprucht. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die emotionalen Bewertungen der wahrgenommenen Umwelt die Menschen befähigen, ihren Lebensinteressen und Bedürfnissen zu folgen. Beide Spieler, so ist zu beobachten, orientieren sich an der Erfüllung beider Bedürfnisse, einerseits an einem materiellen Gewinn und andererseits an einem moralischen Bedürfnis aus dem gegenseitigen Umgang miteinander. Das Moralische wird deutlich im Bedürfnis nach Fairness bzw. Gerechtigkeit. Um Fairnesseinflüsse erklären zu können, sind verschiedene Fairnesstheorien entworfen worden, deren Vertreter entweder Ergebnis orientiert oder intensionsbasiert argumentieren. Ihre Kriterien wie Ungleichheitsaversion oder Freundlichkeitsintension verweisen bereits auf Emotionen und beziehen nicht nur das Ergebnis sondern das Verhalten des Gegenspielers in eine Fairnessbewertung ein. Es sind verschiedene Einzeltheorien, aber es gibt bisher keine allgemeine Fairnesstheorie, die alle Fairnessphänomene erklären könnte. 298 Dagegen macht die ethische Theorie deutlich, dass eine emotionale Bewertung „fair“ bzw. „gerecht“ ebenso wie „unfair“ bzw. „ungerecht“ keiner Theorie bedarf. Eine Bewertung des Teilungsergebnisses oder des Verhaltens des Gegenspielers als fair bzw. gerecht oder ihr Gegenteil kann ohne nachdenkende Betrachtung erfolgen. Eine nachdenkende Betrachtung oder die Verwendung einer Theorie kann das emotionale Bewertungsergebnis vielleicht erläutern oder auch begründen. Beides setzt aber eine emotionale Bewertung voraus. 299 Bezogen auf das Ultimatumspiel haben beide Spieler die Spielregeln ihrer Zusammenarbeit akzeptiert. Es gibt für keinen Spieler einen besonderen Anspruch auf einen größeren oder kleineren Aufteilungsanteil. Die ethische Theorie ermöglicht, das Entscheidungsverhalten beider Spieler zu erklären: beide haben 298
Vgl. Schoefer, S. 43 ff. Der Begriff Fairness drückt in diesem Zusammenhang aus: unter Verzicht auf einen eigenen Vorteil die freiwillige Achtung der Bedürfnisse Dritter. 299
140
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die ihrer eigenen Bewertung und der ihres Mitspielers ausgesetzt sind und zu Handlungstendenzen und Rückwirkungen nach dem Kriterium ökonomischer und moralischer Bedürfnisse führen. Spieler 1
Bewertung der GewinnVerlockung
Handlungstendenz
ökonomische u. moralische Bedürfnisse
faire Aufteilung
geringer Gewinn, Achtung durch Spieler 2 kein Gewinn, Missachtung durch Spieler 2
unfaire Aufteilung
Spieler 2 Akzeptanz
Gewinn, Achtung durch Spieler 1
fair Bewertung
Ablehnung
Gewinneinbuße, Achtungsverlust
der
Akzeptanz
geringer Gewinn, Selbstachtungs-
Ablehnung
Gewinneinbuße, Selbstachtung
Aufteilung
unfair
verlust
Abbildung 1: sie zeigt für beide Spieler die Möglichkeiten ihrer Bewertungen, ihre daraus entstehenden Handlungstendenzen und die Auswirkungen auf eine Erfüllung ihrer ökonomischen und moralischen Bedürfnisse.
Der Verlockung eines möglichen Gewinns könnte Spieler 1 zu einer fairen oder zu einer unfairen Aufteilung veranlassen. Für beide Fälle lassen sich die Rückwirkungen aus der Aufteilung auf die Bedürfniserfüllung betrachten: bei fairer Aufteilung wäre sein Gewinn nicht optimal, wohl aber könnte er mit der Achtung durch Spieler 2 wegen seines fairen Verhaltens rechnen. Aus einer unfairen Aufteilung könnte sich dagegen ergeben, dass er keinen Gewinn erhält, weil Spieler 2 die Aufteilung ablehnt und darüberhinaus müsste er mit einer Missachtung durch Spieler rechnen. Beide Rückwirkungen einer unfairen Aufteilung würden seinen Bedürfnissen nicht genügen. Für Spieler 2 ergeben sich vier Handlungstendenzen: wird er die Aufteilung als fair bewerten, kann er sie akzeptieren oder ablehnen. Akzeptiert er sie, hat er einen Gewinn und die Achtung von Spieler 1, weil er Fairness belohnt. Lehnt er eine faire Aufteilung ab, hat er nicht nur keinen Gewinn sondern erntet auch noch Missachtung von Spieler 1, weil er trotz fairer Aufteilung ablehnt und beide um den Gewinn bringt. Bewertet Spieler 2 die Aufteilung als unfair, ergeben sich wiederum 2 Handlungstendenzen: er könnte die unfaire Aufteilung akzeptieren; die Folge wäre ein geringer Gewinn aber auch ein Verlust an Selbstachtung, weil er sich einem unfairen Diktat von Spieler 1 unterwirft. Lehnt er die unfaire Aufteilung ab, entgeht ihm zwar der geringe Gewinn; er gewinnt
IV. Anwendung der Theorie auf ein Beispiel
141
aber an Selbstachtung und darüber hinaus eine Möglichkeit der Bestrafung des Spieler 1, die einer zukünftigen Unfairness entgegen wirken könnte. Aus einer Abwägung hinsichtlich einer Erfüllung der Bedürfnisse wird das experimentelle Ergebnis plausibel. Es gibt für Spieler 2 eine Fairnessgrenze der Aufteilung unterhalb derer er seine Bedürfnisse nicht erfüllt sieht. Spieler 1 wird, wenn er die Erfüllung seiner materiellen und moralischen Bedürfnisse bedenkt, die Überlegungen von Spieler 2 einbeziehen können und zu einer Aufteilung neigen, die nicht eine Untergrenze unterschreitet. Es geht hier nicht um psychologische Erklärungen, die sich auf empirische Wahrscheinlichkeitsergebnisse stützen sondern um Bewertung der wahrgenommenen Umwelteinflüsse nach Bedürfnissen auf Grundlage eines Zusammenhangs zwischen Reiz und Bewertung. Die Bewertungsergebnisse sind nicht von einer bestimmten Kultur geprägt; Untersuchungen haben gezeigt, dass ein moralisches Bedürfnis wie Fairness in unterschiedlichen Kulturen der Welt bei einer überwiegenden Mehrheit der Menschen zu beobachten ist. 300 Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass ökonomisches Handeln einer doppelten Bewertung ausgesetzt ist, nach ökonomischen und nach moralischen Bedürfnissen. Von der Bedeutung der Wahrnehmung für die Wissenschaft einer Ethik In dem ethischen Entwurf ist Wahrnehmung ein Fundament für die wissenschaftliche Herleitung der Ethik. Es ist eine Wissenschaft, die in ihrem empirischen Teil einen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und ihrer emotionalen Bewertung nach Bedürfnissen erschließt und die in ihrem epistemischen Begründungsteil einen Zusammenhang von Bedürfnissen und Umwelt zeigt, die ohne Wahrnehmung undenkbar sind. Ergebnisse des Zusammenhangs bilden eine notwendige Bedingung für ein ethisches Handeln gegenüber Dritten. Das Handeln lässt sich aber umgekehrt nicht auf einen Zusammenhang mit einer emotionalen Bewertung der wahrgenommenen Handlungssituation reduzieren. Das Beispiel zeigt aus der Perspektive der ethischen Theorie die Unverzichtbarkeit eines Wissens aus der Wahrnehmung.
300 Fehr (S. 57) verweist auf eine groß angelegte anthropologische Studie unter 15 Stammensgesellschaften aus vier Kontinenten über das Verhalten im Ultimatum Spiel. Eines der Ergebnisse war, dass die meisten Menschen überall auf der Welt hohen Wert auf Fairness legen.
142
G. Bedeutung der Wahrnehmung für eine Ethik
V. Wertfreiheit der Wissenschaft Im Anschluss an die ethische Theorie wird jetzt betrachtet, ob sich aus der Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft eine Antwort auf die Frage nach einer Wertfreiheit der Wissenschaft herleiten lässt. Es ist bis heute strittig, ob sich empirische Erkenntnisse auf eine wertfreie Darstellung der Wirklichkeit beziehen. Max Weber, auf den der Werturteilsstreit in den Wissenschaften Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückgeht, hat bereits auf unterschiedliche Werte hingewiesen. Gemeint seien nicht Werte wie z. B. die Auswahl von Forschungsgegenständen, die auch eine Wertung enthielten, sondern eine Bewertung von empirisch begründeten Tatsachen wie erfreulich oder unerfreulich. 301 Gemeint sind ethische Werte, die auf ein Sollen verweisen. Ob sich gegenwärtig eine solche Unterscheidung von Werten in den Wissenschaften aufrechterhalten lässt, mag bezweifelt werden, weil bereits die Auswahl eines Forschungsgegenstandes eine ethische Wirkung entfalten kann. Beispiele dafür sind Ziele, Zwecke und Folgen in der Fortpflanzungsmedizin oder die Forschungen an humanen embryonalen Stammzellen. Entspricht in der Stammzellforschung eine herbeigeführte Tötung der humanen embryonalen Stammzellen unserem Bedürfnis nach Menschenwürde und Lebensschutz? Oder ist es mit einer Achtung behinderter Menschen vereinbar, durch Gen-Anomalie gefährdete Embryonen in der Präimplantationsdiagnostik auszusortieren? Eine andere Frage ist ob eine Argumentation zu Gunsten der Wertfreiheit in den Wirtschaftswissenschaften überzeugen kann, wie sie Kirchgässner vertritt. Da Ökonomie dem Modell des rationalen Nutzenmaximierers folge, dem Modell des homo oeconomicus, der seine Entscheidungen am Eigennutz orientiert, und da auch Moral auf Eigennutz gründe, könne man Moral für unnötig in der Ökonomie erklären. 302 Kirchgässners Argument unterstellt, dass eine Beschreibung einer Moral unabhängig von einem Eigennutzkonzept nicht möglich sei, weil beide – Ökonomie und Moral – nach der Methode einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation diejenige Entscheidung bevorzugten, deren Nutzen größer als die Kosten sind. Am oben behandelten Beispiel aus der Experimentellen Wirtschaftsforschung lässt sich aber zeigen, dass Ökonomie weder nur einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation folgt noch dass sich moralische Aspekte, aus denen Werte hervorgehen, rationalen Erwägungen unterworfen sind. Auch in einer täglichen Erfahrung ist an Beispielen zu sehen, dass eine Bereicherungsmentalität individueller Nutzenmaximierer auf wenig Verständnis und Sympathie bei Dritten stößt, im Gegenteil in der Gesellschaft ein Gefühl der Ungerechtigkeit hervorruft, die nicht akzeptiert wird. 301 302
Zu einer ausführlichen Darstellung des Werturteilstreits s. Krobath, S. 289 ff. Kirchgässner, S. 191.
V. Wertfreiheit der Wissenschaft
143
Die ethische Theorie ermöglicht, ethische Werte in der Wissenschaft von nicht-ethischen zu unterscheiden durch das Kriterium moralischer Bedürfnisse der Menschen. Ethische Werte treten auf, wo wissenschaftliche Tätigkeit bei der Auswahl von Gegenständen, in ihren Methoden, Bedingungen und Folgen Einflüsse auf moralische Bedürfnisse der Menschen ausüben. Die forschende Tätigkeit ist einer moralischen Bewertung nach den Bedürfnissen der Menschen ausgesetzt. Selbst wenn herausgefundene Ursache-Wirkungszusammenhänge keine moralischen Bedürfnisse berühren, können sie in ihrer Anwendung auf Menschen eine moralische Wirkung ausüben. Eine wertfreie deskriptive Aussagen in der Wirtschaftswissenschaft ist z. B.: das Grenzprodukt lässt sich aus den Produktionsfaktoren ermitteln. Hier ist von einer Anwendungssituation abstrahiert. Wird aber diese Aussage in einer Handlungssituation so angewendet, dass durch Dumpinglöhne oder Kinderarbeit ein günstiges Grenzprodukt zu erreichen versucht wird, werden sofort auch moralische Aspekte sichtbar, deren Akzeptanz fragwürdig ist. Die Frage ist nicht, ob sich Wirklichkeit wertfrei abbilden lässt, sondern ob eine emotionale Bewertung naturwissenschaftlichen Handelns moralische Bedürfnisse erfüllt oder nicht. Die moralischen Bewertungen beruhen auf einer emotionalen Bewertung der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung spielt hier eine unverzichtbare Rolle, die durch keine Wissenschaft zu ersetzten ist.
H. Schluss Zunächst gibt es eine kritische Anmerkung zur Methodik. Ist es berechtigt, Überlegungen zum Verhältnis Wahrnehmung und Wissenschaft auf neurowissenschaftliche Ergebnisse zu stützen? Wenn die wissenschaftlichen Aussagen eine notwendige Bedingung des Wissens aus der Wahrnehmung bilden, was können dann neurowissenschaftliche Aussagen für die Untersuchung leisten? Neurowissenschaftliche Ergebnisse dienen zu zeigen, dass Wahrnehmung und Reflexion verschiedene Zugangsweisen zur Umwelt bilden und ein je eigenständiges Wissen hervorbringen. Die Aussage über die neuronalen Prozesse bilden eine notwendige Bedingung einer erlebten Wahrnehmung und einer Reflexion über Wahrgenommenes. Sie beschreiben die Möglichkeit Wissen über die Umwelt zu erlangen ohne das Wissen aus der erlebten Wahrnehmung auf die neurowissenschaftlichen Aussagen zu reduzieren. Die Beziehung der notwendigen Bedingung sagt nur, dass weder Wahrnehmung noch emotionale Bewertung ohne die Möglichkeit der neuronalen Verarbeitung der Umweltreize an bestimmten Gehirnorten stattfinden können; die Verarbeitung bringt noch keine Inhalte hervor. Eine Verwendung neurowissenschaftlicher Ergebnisse zur Untersuchung der Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wissenschaft bleibt methodisch zulässig und führt auch zu keinem Zirkel, weil dadurch inhaltlich nichts über die Beziehung vorausgesetzt wird. Die Beziehung der Wissenschaft zur Wahrnehmung hat über die Lösung der Ungereimtheiten hinaus eine weiterreichende Bedeutung. Das ist die Einsicht, dass Wahrnehmung ein grundlegendes Wissen über die Außenwelt erschließt auf das ein Wissen der Wissenschaft relativiert bleibt. Wissenschaft kann die Welt nicht auf eine Aussage oder Weltformel reduzieren weil immer ein Wissen aus der Wahrnehmung vorausgeht. Heisenbergs Rückführung des materiellen auf Mathematik und des Stofflichen auf eine Form lässt sich nicht einsehen, weil Mathematik ebenso wie die Form als Grundlagen der Erklärung der Welt eines Wahrgenommenen bedürfen. Ethik – eine Wissenschaft zur Erkenntnis allgemein gültiger Handlungsorientierungen, Werten und Sinngehalten – die aus emotionaler Bewertung der Umwelt begründet werden kann, macht deutlich, dass Wahrnehmung eine unverzichtbare Grundlage ist.
Literaturverzeichnis Adams, D.: Unbegrifflichkeit, in: Hist. Wb. Philos., Bd. 11, 2001 Apel, Karl Otto: Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, Frankfurt 1973 Aristoteles: Metaphysik, Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970 – Politik, Übersetzt und herausgegeben von Olaf Gigon. Ungekürzte Ausgabe nach dem Text der zweiten durchgesehenen Auflage in der „Bibliothek der Alten Welt“, Zürich / München, 1973 – Vom Himmel Von der Seele Von der Dichtkunst. Übersetzt, herausgegeben und mit einer Vorbemerkung versehen von Olaf Gigon, München 1983 – Nikomachische Ethik, Übersetzung und Nachwort von Franz Dirlmeier, Anmerkungen von Ernst A. Schmidt, Stuttgart 1969 Augustinus: Confessiones (Bekenntnisse), Lateinisch und Deutsch. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart. Mit einem Vorwort von Ernst Ludwig Grasmück, Frankfurt am Main 1987 Bar-On, D.: Holocaust perpetrators and their children: A paradoxical morality, in: Journal of Humanistic Psychology 29, San Francisco 1989 Baumgartner, Hans Michael: Wissenschaft, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg. von Hermann Krings / Hans Michael Baumgartner / Christoph Wild, Bd. 6, München 1974 Beckermann, Ansgar: Zur Inkohärenz und Irrelevanz des Wissensbegriffs. Plädoyer für eine Agenda in der Erkenntnistheorie, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 55, 2001, S. 571 – 593 Bedny, Marina et al. (2008): Concepts Are More than Percepts: The Case of Action Verbs, in: The Journal of Neuroscience, October 29, 2008 –28(44): 11347 –11353, Washington 2008 Bodden-Heidrich, R. et al: Beginn und Entwicklung des Menschen: Biologisch-medizinische Grundlagen und ärztlich-klinische Aspekte, in: Rager, G. (Hg.) Beginn, Personalität und Würde des Menschen, Freiburg, 1997 Bojowald, Martin: Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums, Frankfurt am Main 2009 Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung – Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, 17. aktualisierte Aufl., Gütersloh, 2002 Brähler, Elmar / Stöbel-Richter, Yve: Die Einstellung der Deutschen zur Reproduktionsmedizin und zur Präimplantationsdiagnostik, Leipzig, 2004
146
Literaturverzeichnis
Brandt, Reinhard: Können Tiere Denken? Ein Beitrag zur Tierphilosophie, Frankfurt am Main 2009 Brecht, Bert: Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher, in: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlev Müller, Stücke, Bd. 9, Berlin / Weimar / Frankfurt 1992 Brennan, Geoffrey / Buchanan, James M.: Die Begründung von Regeln. Konstitutionelle Politische Ökonomie, übers. von Monika Vanberg, mit einer Einleitung hg. von Christian Watrin, Tübingen 1993 (Erstausg. 1985) Buchanan, James M.: The Limits of Liberty. Between Anarchy and Leviathan, University of Chicago Press, Chicago / London; deutsch: Die Grenzen der Freiheit. Zwischen Anarchie und Leviathan (J. C. B. Mohr, Paul Siebeck) Tübingen, 1984 Cassirer, Ernst: Versuch über den Menschen. Einführung in die Philosophie der Kultur, Frankfurt 1990 – Philosophie der symbolischen Formen, Werke Bd. I-III, Darmstadt 1987 –1990 Churchland, Patricia S. / Sejnowski, Terrence J.: Grundlagen zur Neuroinformatik und Neurobiologie. The Computational Brain in deutscher Sprache, Braunschweig / Wiesbaden 1997 Cicero, Marcus Tullius: De legibus, hg., übers. und erl. Von Rainer Nickel, Darmstadt 1994 Coriando, Paola-Ludovika: Affektenlehre und Phänomenologie der Stimmungen. Wege einer Ontologie und Ethik des Emotionalen, Frankfurt am Main 2002 Danto, Arthur C.: Kunst am Ende der Kunst, aus dem Englischen von Chritiane Spelsberg, München 1996 Damasio, Antonio R.: Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, aus dem Englischen von Hainer Kober, (Originalausgabe 1994), München 1997, – Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen, aus dem Englischen von Hainer Kober, (Originalausgabe 2003), Berlin 2007 Darwin, Charles: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei den Menschen und Tieren, Nördlingen 1986 – Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Übersetzung von Carl W. Neumann, Nachwort von Gerhard Heberer, Stuttgart 1963 – Die Abstammung des Menschen, übersetzt von Heinrich Schmidt, mit einer Einführung von Christian Vogel, Stuttgart 2002 De Sousa, Ronald: Moral Emotions, in: Societas Ethica, Ethik und Gefühle, 36. Jahrestagung in Padua / Italien 1999, Aarhus 1999 – The Rationality of Emotion, MIT Press, Bradford 1987 Deppert, Wolfgang: Sonderdruck aus Geburtstagsbuch für Kurt Hübner zum Sechzigsten von Studenten, Schülern, Mitarbeitern, Kiel 1981 Descartes, René: Meditationen. Über die Grundlagen der Philosophie, auf Grund der Ausgaben von Artur Buchenau neu herausgegeben von Lüder Gäbe, durchgesehen von Hans Günter Zekl, Hamburg 1987
Literaturverzeichnis
147
Detel, Wolfgang (2004): Forschungen über Hirn und Geist, in: DZPhil (2004) 6, Berlin 2004, S. 891 – 920 Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, in: Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften, 1. Bd., Stuttgart 1959 Dörner, Dietrich: Bewußtsein und Gehirn in: Norbert Elsner und Gerd Lüer (Hg.), Das Gehirn und sein Geist, Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2000 Einstein, Albert: Aus meinen späten Jahren, Stuttgart 1979 Ekman, Paul: Basic emotions, in: Dagleish, T. / Power, M.J. (Hg.): Handbook of Cognition and Emotion, Wisley Chichester 1999 Elsner, Norbert / Lüer, Gerd (Hg.): Das Gehirn und sein Geist, Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 2000 Engel, Andreas / König, Peter: Das neurobiologische Paradigma. Eine Bestandsaufnahme, in: Der Mensch in der Perspektive der Kognitionswissenschaft, Frankfurt am Main 1998 Engels, Eve-Marie: Vom Kampf ums Überleben und andere Missverständnisse. Charles Darwin und seine Wirkung, in: SWR 2 Aula, Baden-Baden 2009 Fehr, Ernst: „Reziproker Altruismus hält auch die Mafia zusammen“, in: Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Fairness, Kooperation, Demokratie. Die Mathematik des Sozialverhaltens, Heidelberg 2006 Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, in: Fichte, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth u. a., Stuttgart – Bad Cannstadt, 1965, Bd. I / 6 Fischer, Falk: Wasser – Ein Universum für sich, Manuskript zur Sendung SWR2 Wissen (12. März), Baden-Baden 2007 Foerster, Heinz von (Hg.): Das Konstruieren der Wirklichkeit, in: Paul Watzlawik: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus, herausgegeben und kommentiert von Paul Watzlawik, München / Zürich 1994 Forschner, Maximilian: Sittliche Gewissheit, in: Lexikon der Ethik, hg. von Otfried Höffe in Zusammenarbeit mit Maximilian Forschner, Christoph Horn und Wilhelm Vosskuhl, München 2002 Frackowiak, Richard S.J. et al.: Human Brain Function, Second Edition, New York 2004 Fram, Jens: Zur materiellen Organisation menschlichen Denkens: Magnetresonanz-Tomographie des Gehirns, in: Norbert Elsner und Gerd Lüer (Hg.), Das Gehirn und sein Geist, Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 2000 Friederici, Angela D.: Sprache und Gehirn: Zur Neurobiologie der Sprachverarbeitung, in: Norbert Elsner und Gerd Lüer (Hg.), Das Gehirn und sein Geist, Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 2000
148
Literaturverzeichnis
Galilei, Galileo: Il Saggiatore, in: Opere, A cura di Ferdinando Flora, Milano / Napoli 1953 – Unterredungen und Mathematische Demonstrationen über zwei Wissenschaftszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend. Erster bis sechster Tag, Arcefri 6. März 1638, hg. von Arthur von Vettingen, Darmstadt 1964 Gehring, Petra: Es blinkt, es denkt. Die bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaft, in: Philosophische Rundschau, 51. Jahrg. Heft 4, 2004, S. 273 –295 Gethmann, Carl Friederich: „Allgemeinheit“ in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg. von Hermann Krings, Hans Michael Baumgarten und Christoph Wild, München 2003 Gibson, James J: Die Wahrnehmung der visuellen Welt. Aus dem Amerikanischen übertragen von Vera Schumann, Weinheim und Basel, 1973. Giulini, D. / Joos, E. / Kiefer, E. / Kupsch, J. / Stametescu, I.O. / Zeh, H.D.: Decoherence and the appearence of a classical world in quantum theory, Berlin / Heidelberg 1996 Glasersfeld, Ernst von: Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, in: Ernst von Glasersfeld, Einführung in den Konstruktivismus, München 1985 – Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, übersetzt von Wolfram Köck, Frankfurt am Main 1996 Grosseteste, Robert: Metafisica della luce, Introdzione, traduzion e note di Pietro Rossi, Milano 1986 Grundmann, Thomas (2002): Warum wir Wissen als einen wichtigen Begriff der Erkenntnistheorie betrachten sollen – Eine Antwort auf Ansgar Beckermann, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 56, Frankfurt 2002, S. 118 –124 Gumbrecht, Hans Ulrich: Die Emergenz der Emergenz. Was sich nicht von einer Theorie erfassen und vorhersagen lässt: Klassische Grundannahmen über die Produktion von Wissen sind in Bewegung geraten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. 4. 2003, S. 38 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, hg. von Hermann Glöckner, Stuttgart 1928 – Glaube und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität in der Vollständigkeit ihrer Formen. Als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie, in: Gesammelte Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bd. 4, Hamburg 1968, S. 315 – 414 Heisenberg, Werner: Die Abstraktion in der modernen Wissenschaft, in: Gesammelte Werke, Bd. II, Abt C: Allgemeinverständliche Schriften, hg. von W. Blum / H.P. Dürr / H. Rechenberg, München / Zürich 1984/85 – Ordnung der Wirklichkeit, München / Zürich, 1989 Heisenberg, Werner / Bohr, Niels: Die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, Stuttgart 1963
Literaturverzeichnis
149
Helmchen, H. / Henn, F. / Lauter, H. / Satorius N.: Psychiatrie der Gegenwart, Berlin / Heidelberg 1999 Hillebrand, Ingo / Püttmann, Herbert: Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Bonn 2005, (www.drze.de/themen/blickpunkt/includedes/sz) Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, übersetzt von D. Tidow, hg. von P.C. Mayer-Tasch, Reinbek 1965 – Grundzüge der Philosophie, Erster Teil, Lehre vom Körper, in Auswahl übersetzt und herausgegeben von M. Frischeisen-Köhler, Leipzig 1915 Höffe, Otfried (2002): Selbstinteresse, in: Lexikon der Ethik, hg. von Otfried Höffe in Zusammenarbeit mit Maximilian Forschner, Christoph Horn und Wilhelm Vosskuhl, München 2002, S. 227 f. Hoffmann, Banesh: Albert Einstein, Schöpfer und Rebell, unter Mitarbeit von Helen Dukas, Stuttgart 1976 Hoffmann, Peter (1994): Ludwig Beck – Oberhaupt der Verschwörer, in: Klemperer von, Klemens / Syring, Enrico / Zitelmann, Rainer (Hg.): „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli, Frankfurt / M. / Berlin 1993 Hoffmann, Ursula: Autopoiesis als verkörpertes Wissen. Eine Alternative zum Repräsentationskonzept, in: Per Gold (Hg.): Der Mensch in der Perspektive der Kognitionswissenschaft, Frankfurt am Main 1998 Hofmann, Frank (2002): Die Rolle des Wissens und des Wissensbegriffs in der Erkenntnistheorie, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 56, Frankfurt 2002, S. 125 – 131 Hondrich, Karl Otto: Die Divisionen des Papstes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. 4. 2005 Honneth, Axel: Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt / New York, 1995 Horn, Christoph: Bedürfnis, in: Lexikon der Ethik, hg. von Otfried Höffe in Zusammenarbeit mit Maximilian Forschner, Christoph Horn und Wilhelm Vosskuhl, München 2002, S. 19 – 21 – (2002): Situation, in: Lexikon der Ethik, hg. von Otfried Höffe in Zusammenarbeit mit Maximilian Forschner, Christoph Horn und Wilhelm Vosskuhl, München 2002, S. 236f. Hösle, Vittorio: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie. Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik, München 1990 Hubig, Christoph: Langzeitverantwortung im Lichte provisorischer Moral, Stuttgart 1997 – Langzeitverantwortung im Lichte provisorischer Moral, in: Mittelstraß, J. (Hg.): Die Zukunft des Wissens, XVII, Dt. Kongress für Philosophie, Berlin 2000, S. 296 –312 Hübner, Dietmar: Entscheidung und Geschichte. Rationale Prinzipien, narrative Strukturen und ein Streit in der Ökologischen Ethik, Freiburg / München 2001 Hübner, Kurt: Die Wahrheit des Mythos, München 1985
150
Literaturverzeichnis
– Kritik der wissenschaftlichen Vernunft, Freiburg / München 1978 Hüther, Gerald: Die neurobiologische Verankerung von Erfahrung, in: Norbert Elsner und Gerd Lüer (Hg.), Das Gehirn und sein Geist, Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 2000 Jäncke, Lutz: Methoden der Bildgebung in der Psychologie und den kognitiven Neurowissenschaften, Stuttgart 2005 Janich, Peter: Konstruktivismus und Naturerkenntnis. Auf dem Weg zum Kulturalismus, Frankfurt am Main 1996 Jantsch, Erich: Erkenntnistheoretische Aspekte der Selbstorganisation natürlicher Aspekte, in: Siegfried J. Schmidt (Hg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987 Jung, Eva-Maria: Wissen und Praxis – Zur aktuellen Debatte um den Wissensbegriff in der Erkenntnistheorie, Bochum 2008 www.dgphil2008.de/fileadmin/download/ Sektionsbeitraege/05-4_Jung-pdf Kaiser, Gerhard: Warum noch debattieren? Determinismus als Diskurskiller, in: Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, hg. von Christian Geyer, Frankfurt am Main 2004 Kandel, Eric / Schwartz, R. / James, H.: Neurowissenschaften. Eine Einführung, aus dem Englischen, übersetzt von Susanne Benner, Heidelberg / Berlin / Oxford 1996 Kanitscheider, B.: Von der mechanistischen Welt zum kreativen Universum. Zu einem neuen philosophischen Verständnis der Natur, Darmstadt, 1993 Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1968 Kather, Regine: Ordnungen der Wirklichkeit. Die Kritik der philosophischen Kosmologie am mechanistischen Paradigma, in: Spektrum Philosophie, Bd. X, hg. von Arno Baruzzi / Alois Halder / Klaus Mainzer, unter Mitwirkung von Hans Peter Balmer, Severin Müller, Ulrich Weiß, Bd. 10, Ordnungen der Wirklichkeit, Würzburg 1998 Keller, M. / Edelstein, W.: Die Entwicklung eines moralischen Selbst von der Kindheit zur Adoleszens, in: W. Edelstein / G. Nunner-Winkler / G. Noam (Hg.): Moral und Person, Frankfurt am Main 1993 Kemmerling, Andreas: Ich, mein Gehirn und mein Geist: Echte Unterschiede oder falsche Begriffe?, in: Norbert Elsner und Gerd Lüer (Hg.), Das Gehirn und sein Geist, Göttingen 2000 Kessler, Hans: Evolution und Schöpfung in neuer Sicht, Kavelaer 2009 Kiefer, Claus: Der Quantenkosmos. Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum, Frankfurt am Main 2009a – Unveröffentlichte Stellungnahmen zur Kritik an: Der Quantenkosmos, E-Mail vom 14. 10. 2009, 2009b Kiefer, Markus et.al.: The Sound of Concepts: Four Markers for a Link between Auditory and Conceptual Systems, in: The Journal of Neuroscience 19, 2008, 12224 –12230
Literaturverzeichnis
151
Kirchgässner, Gebhard: Homo Oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 2. ergänzte und erweiterte Aufl., Tübingen 2000 Köck, Wolfram K.: Kognition – Semantik – Kommunikation, in: Schmidt, Siegfried J. (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987 Kohlberg, Lawrence: The Psychology of Moral Development. The Nature and Validity of Moral Stages, Essays on Moral Development, Vol. 2, Cambridge 1984 Kolster, Wedig (2003): Wissen und Bewerten. Unterwegs zu einer Ethik der Naturwissenschaften, Freiburg / München 2003 – (2006): Zur Kritik ethischer Urteilsbildung. Emotionen Bewertung Handlungsorientierung, Freiburg / München 2006 – Ethik in der Wirtschaft – Ein Prozess aus Emotionen und Vernunft, Berlin 2008 Kraft, Viktor: Wertbegriffe und Werturteile, in: H. Albert / E. Topitsch (Hg.): Werturteilsstreit, Darmstadt 1979 Kröplin, Bernd (2007): Interview, in: Fischer, Falk (2007): Wasser – Ein Universum für sich, Manuskript zur Sendung SWR2 Wissen, Baden-Baden, 12. März 2007 Krobath, Hermann: Werte. Ein Streifzug durch Philosophie und Wissenschaft, mit einem Vorwort von Hans Albert, Würzburg 2009 Krüger, Hans-Peter: Das Hirn im Kontext exzentrischer Positionen. Zur philosophischen Herausforderung der neurobiologischen Hirnforschung, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 52. Jahrgang, Heft 2, Berlin 2004 Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftliche Revolution, Zweite revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage, Frankfurt am Main 1976 Laplace, Pierre Simon Marquis de: Théorie analytique des probabilité, Œuvre, Paris, 1876 Lau, Christoph / Böschen, Stefan: Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaftsfolgenabschätzung, in: Beck, Ulrich / Bonss, Wolfgang: Die Modernisierung der Moderne, Frankfurt, 2001 LeDoux, Joseph: Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen, aus dem Englischen von Friedrich Griese, München (Erstausg. 1996) 2003 Libet, Benjamin / Gleason, C.A. / Wright, E.W. / Pearl, D.K.: Time of conscious intention to act in relation to onset of cerebral activity (readiness-potential), in: Brain 106, 1983, 623 – 642 – Mind Time. Wie das Gehirn Bewusstsein produziert, Frankfurt am Main 2007 Lubbadeh, Jens: Reprogrammierung. Forscher erschaffen Stammzellen mit Hilfe eines einzigen Gens, in: Spiegel Online Wissenschaft v. 5. 10. 2010 Lüdersen, Klaus: Ändert die Hirnforschung das Strafrecht? in: Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, hg. von Christian Geyer, Frankfurt am Main 2004
152
Literaturverzeichnis
Ludwig, Günther: Ist der Determinismus eine Grundvoraussetzung für die Physik, in: Determinismus – Indeterminismus. Philosophische Aspekte physikalischer Theorienbildung, hg. von Wolfgang Marx, Frankfurt am Main 1990 Maar, Christa / Obrist, Hans Ulrich / Pöppel, Ernst: Weltwissen Wissenswelt. Das globale Netz von Text und Bild, Köln 2000 Mackenzie, Iaim: The Obscurism of Light. A Theological Study into the Nature of Light, with a Translation of Robert Grosseteste’s De Luce by Julian Lock, Norwich 1995 Marquard, Odo: Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaft, in: Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986 Maturana, Humberto R.: Kognition, in: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987 – Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epistemologie, Autorisierte deutsche Fassung von Wolfram K. Köck, Braunschweig / Wiesbaden 1982 – Biologie der Kognition, übersetzt von Wolfram K. Köck / Peter Hejl / Gerhard Roth, Paderborn 1974 Menne, Albert: Einführung in die Logik, München 1981 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologische Wahrnehmung, aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Rudolf Boehm, Berlin 1974 Meyer-Abich, Klaus Michael: Wissenschaft für die Zukunft: Holistisches Denken in ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung, München 1988 Mieth, Dietmar: Was wollen wir können? Ethik im Zeitalter der Bioethik, Freiburg / Basel / Wien 2002 – Kleine Ethikschule, Freiburg 2004 Mulligan, Kevin: Konstanz und Kriterien. Brunswigs Beitrag, in: Kurt R. Fischer / Friedrich Stadler (Hg.), Wahrnehmung und Gegenstandwelt, Wien 1997 Ortland, E.: Wahrnehmung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, 2005 Pascal, Blaise: Über die Religion und andere Gegenstände (Pensées), übertragen und herausgegeben von Ewald Wasmuth, Heidelberg, ausgewählt und eingeleitet von Reinhold Schneider, Frankfurt am Main 1955 Patzig, Günther: Leib und Seele, in: Norbert Elsner und Gerd Lüer (Hg.): Das Gehirn und sein Geist, Göttingen 2000 Petersen, Th.: Aristoteles und Galilei, Unveröffentlichter Habilitationsvortrag v. 25. 11. 1996 Planck, Max: Physikalische Abhandlungen und Vorträge, Bd. III, aus Anlaß seines 100. Geburtstages (23. April 1958) hg. von dem Verband Deutscher Physikalischer Gesellschaften und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., Braunschweig 1958 Platon: Theaitetos, in: Sämtliche Werke, Bd. 4, Nach der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung, herausgegeben von Walter F. Otto / Ernesto Grassi / Gert Plambeck, Reinbek 1967
Literaturverzeichnis
153
Ploog, Detlev (1980): Emotionen als Produkte des limbischen Systems, in: Med.Psych., Bd. 6, Göttingen 1980, S 7 – 19 – Evolutionsbiologie der Emotionen, in: Psychiatrie der Gegenwart, 1, Grundlagen der Psychiatrie, hg. von H. Helmchen / F. Henn / H. Lauter / N. Sartorius, Berlin / Heidelberg 1999 – Zur Evolution des Bewußtseins, in: Ernst Pöppel (Hg.), Gehirn und Bewußtsein, Weinheim 1989 Pöppel, Ernst: Lust und Schmerz. Grundlagen menschlichen Erlebens und Verhaltens, Berlin 1982 – Drei Welten des Wissens – Koordinaten einer Wissenswelt, in: Weltwissen Wissenswelt, hg. von Christa Maar, Hans Ulrich Obrist und Ernst Pöppel, Köln 2000 Pöppel, Ernst (Hg.): Gehirn und Bewußtsein, Weinheim 1989 Pythagoras, in: Die Vorsokratiker I, Milesier, Pythagoreer, Xenophanes, Heraklit, Parmenides, Stuttgart 1983 Rauchhaupt von, Ulf: Darwin an der Schwelle, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 8. 3. 2009 Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, übersetzt von Hermann Vetter, Frankfurt am Main (Erstausgabe 1971) 1975 Rebmann-Sutter, C.: DNA-Horoskope, in: Düwell, M. / Mieth, D. (Hg.): Ethik in der Humangenetik. Neuere Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive, Tübingen 1998 Reich, Ines: Potsdam und der 20. Juli 1944. Auf den Spuren des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Freiburg im Breisgau 1994 Reiter, Johannes: Bioethik und Biokonvention, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament v. 5. 2. 1999. Ridley, Matt: Die Biologie der Tugend. Warum es sich lohnt, gut zu sein, aus dem Englischen von Angelus Johansen und Anne Weiland, Berlin 1996 Rock, Irvin: Wahrnehmung: Vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Martin, Heidelberg 1984 Rorty, Richard: Menschenrechte, Rationalität und Gefühl, in: Shute, Stephen und Hurley, Susan (Hg.): Die Idee der Menschenrechte, aus dem Englischen von Michael Bischoff, Frankfurt am Main 1996 Roth, Gerhard: Worüber dürfen Hirnforscher reden- und in welcher Weise? in: Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, hg. von Christian Geyer, Frankfurt am Main 2004 – Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt am Main 2001 – Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Frankfurt am Main 1997
154
Literaturverzeichnis
– Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit, in: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987a – Autopoiese und Kognition. Die Theorie H.R. Maturanas und die Notwendigkeit ihrer Weiterentwicklung, in: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987b – Die Bedeutung der biologischen Wahrnehmungsforschung für die philosophische Erkenntnistheorie, in: Peter M. Hejl / Wolfram Köck / Gerhard Roth, Wahrnehmung und Kommunikation, Frankfurt am Main 1978 Sartre, Jean-Paul: Skizze einer Theorie der Emotionen, in: Transparenz des Ego, Reinbek 1997 – Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Reinbek b. Hamburg 1962 Schantz, Richard (1998): Was ist sinnliche Wahrnehmung? in: Logos, Neue Folge, Bd. 5 Tübingen 1998 Scheurig, Bodo: Henning von Tresckow. Eine Biographie, Oldenburg / Hamburg 1973 Schmitz, Hermann: Die Wahrnehmung, (System der Philosophie, Dritter Band: Der Raum, fünfter Teil: Die Wahrnehmung), Bonn 1978 Schockenhoff, Eberhard: Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg 2007 – Schöpfungsglaube und Evolution. Zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft, in: FRIAS Evolution. Karrieren eines wissenschaftlichen Paradigmas, Freiburg 2009, www.frias.uni-freiburg.de Schoefer, Martin: Ökonomik – Experimentelle Wirtschaftsforschung – Wirtschaftsethik, Münster 2005 Schöler, Hans R. (2005): Das Potenzial von Stammzellen. Eine Bestandsaufnahme, in: Knoepffler, Nikolaus / Schipanski, Dagmar / Sorgner, Stefan Lorenz: Humanbiotechnologie als gesellschaftliche Herausforderung, Freiburg / München 2005 Schönrich, Gerhard: Wissen und Werte, Paderborn 2009 Schopenhauer, Arthur: Preisschrift über die Grundlagen der Moral, in: Die beiden Grundprobleme der Ethik. Behandelt in zwei akademischen Preisschriften, Text nach der historisch-kritischen Ausgabe von Arthur Hübscher, Wiesbaden 1972, hg. von Angela Hübscher, Zürich 1977 Schröder, Bernd: Ökonomische Perspektiven der Stammzellforschung in Deutschland, in: Hauskeller, Christine: Humane Stammzellen – Therapeutische Optionen, ökonomische Perspektiven, mediale Vermittlung, Lengerich 2002 Schrödinger, Erwin: Geist und Materie, Zürich 1989a – Mein Leben, meine Weltsicht, Zürich 1989b – Gesammelte Abhandlungen, Bd. 4, Allgemeinwissenschaftliche und populäre Aufsätze, Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Braunschweig Wiesbaden 1984
Literaturverzeichnis
155
Schumacher, Ralph: Das Gehirn und seine Welt – Wahrnehmen und Erkennen als Konstruktionsprozesse, in: Manuskript zur Sendung SWR 2 Aula, vom 6. 6. 2004 Singer, Wolf: Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung. Zwei konfliktträchtige Erkenntnisquellen, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 52. Jahrgang, Heft 2, Berlin 2004 – Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung, Frankfurt am Main 2003 – Vom Gehirn zum Bewußtsein, in: Elsner, Norbert und Lüer, Gerd (Hg.), Das Gehirn und sein Geist, Göttingen 2000 – Das Bild im Kopf – ein Paradigmawechsel, in: Detlev Ganten (Hg.), Gene, Neurone, Quits & Co. Unsere Welten der Information, Stuttgart / Heidelberg 1999 – Zur Selbstorganisation kognitiver Strukturen, in: Ernst Pöppel (Hg.), Gehirn und Bewußtsein, Weinheim 1989 Sommer, Volker: Wir sind Menschenaffen. Plädoyer für eine radikale evolutionäre Anthropologie, in: FRIAS Evolution. Karrieren eines wissenschaftlichen Paradigmas, Freiburg 2009, www.frias.uni-freiburg.de Stegmüller, Wolfgang (1970): Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. II, Studienausgabe A. Erfahrung, Festsetzung, Hypothese und Einfachheit in der wissenschaftlichen Begriffs- und Theorienbildung, Berlin / Heidelberg / New York 1970 Strawson, Peter J.: Skeptizismus und Naturalismus, aus dem Englischen übersetzt von M. N. Istase und Renata Soskey, Frankfurt am Main 1987 Ströker, Elisabeth: Zur Frage des Determinismus in der Wissenschaftstheorie, in: Determinismus – Indeterminismus. Philosophische Aspekte physikalischer Theorienbildung, hg. von Wolfgang Marx, Frankfurt am Main 1990 Thomas von Aquin: Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Heiligen Thomas von Aquin, deutsch wiedergegeben von Dr. Ceslam Maria Schneider, Regensburg o.J. Tye, Michael: Phenomenal Consciousness: The Explanatory Gap as a Cognitive Illusion, in: Mind, Bd. 108, Oxford United Press 1999 Vereinte Nationen: Charta der Vereinten Nationen, hg. von Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. Bonn / San Franzisco, 1945 Vico, Giambattista: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, übersetzt (nach der dritten Auflage von 1744) von Vittorio Hösle und Christoph Jermann und mit Textverweisen von Christoph Jermann. Mit einer Einleitung ‚Vico und die Idee der Kulturwissenschaft‘ von Vittorio Hösle, Hamburg 1990 – Liber metaphysikus. (De antiquissima Italorum sapientia liber primus, 1710, Risposte 1711, 1712, aus dem Lateinischen und Italienischen ins Deutsche übertragen von Stephan Otto und Helmut Viechtbauer, mit einer Einleitung von Stephan Otto, München 1979 – De nostri temporis studiorum ratione. Vom Wesen und Weg der geistigen Bildung, Lateinisch-Deutsche Ausgabe, Darmstadt 1984
156
Literaturverzeichnis
Wade, Nicholas: „The Faith Instinct“. Hevolved and Why it Endures, New York 2009, (Katja Gelinsky: Rezension in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. 3. 2010) Whitehead, Alfred North: Wissenschaft und moderne Welt, Frankfurt am Main, 1984 Williamson, Stanley, J.: Knowledge and its Limits, Oxford Universitiy Press 2000 Wingert, Lutz: Wer deutet die Welt? Ein Streitgespräch zwischen dem Philosophen Lutz Wingert und dem Hirnforscher Wolf Singer über den freien Willen, das moderne Menschenbild und das gestörte Verhältnis zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, in: Zeit Online 2000 http://www.zeit.de/2000/50/200050_wingert_singer.xml Wucherer-Huldenfeld, Augustinus Karl: Ursprüngliche Erfahrung und personales Sein, Bd. 1, Ausgewählte philosophische Studien I., Anthropologie – Freud – Religionskritik, Wien / Köln / Weimar 1994
Personenregister Adams, D. 8, 117 Aristoteles 15, 57f., 70, 75, 81 Augustinus, Aurelius 58 Bar-On, D. 129 Baumgartner, Hans Michael 80 Beckermann, Ansgar 42 Bedny, Marina 57 Berkeley, George 74 Bojowald, Martin 100, 106, 122 Brandt, Reinhard 116 Brecht, Bert 23 Buchanan, James M. 146 Cassirer, Ernst 70 Cicero, Marcus Tullius 73, 146 Coriando, Paola-Ludovika 72 Damasio, Antonio R. 23, 34, 36f., 60, 64, 68, 112, 127, 131 Danto, Arthur C. 71 Darwin, Charles 114, 116 Deppert, Wolfgang 58 Descartes, René 7, 74, 79 Dilthey, Wilhelm 84 Dörner, Dietrich 54 Einstein, Albert 72, 79, 91, 101 Ekman, Paul 38 Elsner, Norbert 23 Engel, Andreas 115 Fehr, Ernst 141 Fichte, Johann Gottlieb 7, 20 Fischer, Falk 92
Foerster, Heinz von 22 Forschner, Maximilian 136 Frackowiak, Richard S.J. 27 Fram, Jens 56 Friederici, Angela D. 52 Galilei, Galileo 82 Gethmann, Carl Friederich 69 Gibson, James J. 20 Giulini. D. 9, 123 Glasersfeld, Ernst von 13, 21, 56 Grosseteste, Robert 82 Grundmann, Thomas 42 Gumbrecht, Hans Ulrich 101 Hegel, Georg Wilhelm Friederich 7, 13, 75 Heisenberg Werner 89, 95, 113, 144 Hobbes, Thomas 7, 15, 19, 74, 78, 83 Hoffmann, Banesh 72 Hofmann, Frank 41, 49 Hösle, Vittorio 87 Hübner, Kurt 43, 55, 69, 71, 75, 78, 80, 87, 91, 95 Hüther, Gerald 30 Janich, Peter 13, 58 Jung, Eva-Marie 43 Kaiser, Gerhard 108f. Kandel, Eric 14, 20ff., 33, 35ff., 54, 56f., 63 Kanitscheider, B. 93 Kant, Immanuel 7, 18, 75
158
Personenregister
Kather, Regine 42, 59, 83, 89, 91, 93, 95f., 100f., 123 Kemmerling, Andreas 101 Kessler, Hans 115f. Kiefer, Claus 102, 106, 120 Kiefer, Markus 57 Kirchgässner, Gebhard 142 Köck, Wolfram 12, 57 Kolster, Wedig 35, 37 Krobath, Hermann 42, 77, 142 Kröplin, Bernd 92 Krüger, hans-Peter 20 Kuhn, Thomas S. 87 Laplace, Piere Simon Marquis de 18, 113 LeDoux, Joseph 131 Libet, Benjamin 117f. Lubbadeh, Jens 67 Lüdersen, Klaus 8 Ludwig, Günther 94 Mach, Ernst 83, 96 Mackenzie, Iaim 82 Marquard, Odo 84 Maturana, Humberto R. 10, 12f., 20, 44, 54, 56, 121 Merleau-Ponty, Maurice 13, 21 Meyer-Abich, Klaus Michael 62 Mieth, Dietmar 135 Mulligan, Kevin 32 Pascal, Blaise 132 Petersen, Th. 82 Picasso, Pablo 71 Planck, Max 91 Platon 74, 80 Ploog, Detlev 23, 36ff., 49, 126
Pöppel, Ernst 36f. Pythagoras 17 Rauchhaupt, Ulf von 117 Rawls, John 129 Reich, Ines 129 Rorty, Richard 129 Roth, Gerhrd 21, 23ff., 32, 51, 54, 62, 72, 108, 110, 132 Sartre, Jean-Paul 39 Schantz, Richard 50, 106 Schmitz, Hermann 13, 50, 56 Schockenhoff, Eberhard 117 Schoefer, Martin 138 Schönrich, Gerhard 45 Schrödinger, Erwin 41f., 59, 83f., 94, 96, 101 Schumacher, Ralph 22 Searle, John Rogers 8 Singer, Wolf 23f., 35f., 40, 63, 110, 112 Sommer, Volker 115 Stegmüller, Wolgang 63 Strawson, Peter J. 13, 18 Ströker, Elisabeth 93 Thomas von Aquin 74, 82 Tye, Michael 66, 90 Vereinte Nationen 135 Vico, Giambattista 15, 72f., 74, 79, 83 Wade, Nicholas 116 Whitehead, Alfred North 71, 101 Williamson, Stanley 42 Wingert, Lutz 8 Wucherer-Huldenfeld, Augustinus Karl 51
Sachregister Abstraktion 91 Allgemeine 69f., 95 Angeborenes Wissen 46 Arten des Wissens 59ff. Autopoietisches System 20
Konditionierung 62 Konstanz 31f., 58 Konstruktivismus 14f., 21 Kriterien des Wissens 45 Kritischer Rationalismus 58
Begriffe 75ff. Bildgebende Verfahren 14
Laborexperimente 138 Letztbegründung 87 Limbische System 37 Logik 58
Dispositionelle Repräsentation 46 Einheit der Wahrnehmung 32f. Elektron 102 Emergenz 101 Emotion 12, 35ff. Emotionale Bewertung 35, 41 Empathie 40 Epistemische Rechtfertigung 55 Erst-, Zweitursache 117 Erworbenes Wissen 46 Ethik 55, 136, 143 Evidenz 14, 50f. Evolutionstheorie 114 Fairness 139 Hautleitfähigkeitsreaktion 60f. Hermeneutik 85 Hintergrundstimmung 49 Intelligenz Design 119 Invarianz 31f. Kommunikation 11f. Kommunikationsprozess 45
Mensch 10 Moral 133 Moralische Bedürfnisse 133 Moralischer Charakter 129 Neurobiologisch 10 Neurowissenschaft 8, 10f., 24 Nonkognitivismus 50 Objektivierung 96 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 56 Präparation 93 Quantenphysik 59, 100 Rationalität 132 Rationalitätslücke 75, 79 Reduktion 93 Schöpfung 114 Ultimatumspiel 138 Umwelt 10, 11f.
160 Unbestimmtheitsrelation 102 Universalienstreit 69 Vernunft 130 Wahrnehmung 12, 24ff., 35ff. Wasser 92
Sachregister Wertfreiheit 141ff. Willensfreiheit 8, 108ff. Wissen 41ff. Wissenschaft, Merkmale 90 Wissenschaftstheorie 77, 89 Zeitdilation 120