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German Pages 220 Year 2018
B EGRIFF UND K ONKRETION Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie
Band 7
Fichtes Geschlossener Handelsstaat Beiträge zur Erschließung eines Anti-Klassikers
Herausgegeben von
Thomas Sören Hoffmann
Duncker & Humblot · Berlin
THOMAS SÖREN HOFFMANN (Hrsg.)
Fichtes Geschlossener Handelsstaat
Begriff und Konkretion Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie
Herausgegeben von Thomas Sören Hoffmann, Hagen Martín Zubiria, Mendoza Wissenschaftlicher Beirat: Mario Jorge de Carvalho (Lissabon), Héctor Alberto Ferreiro (Buenos Aires), Lore Hühn (Freiburg i. Br.), Marco Ivaldo (Neapel), Walter Jaeschke (Bochum), Wolfgang Kersting (Kiel), Jean-François Kervégan (Paris), Hiroshi Kimura (Kobe), Theodoros Penolidis (Thessaloniki), Violetta L. Waibel (Wien)
Band 7
Fichtes Geschlossener Handelsstaat Beiträge zur Erschließung eines Anti-Klassikers
Herausgegeben von
Thomas Sören Hoffmann
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fernuniversität Hagen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH Printed in Germany ISSN 2198-8099 ISBN 978-3-428-15363-3 (Print) ISBN 978-3-428-55363-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85363-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort des Herausgebers Vorwort des Herausgebers Vorwort des Herausgebers
Der vorliegende Band ist einem der „schwierigsten“ Texte Fichtes gewidmet – „schwierig“ nicht in dem Sinne, in dem die theoretische Philosophie Fichtes, zumal in ihren späten Versionen, überhaupt größte Herausforderungen für das philosophisch weniger geübte Denken enthält, wohl aber insofern, als dieser Text quer zu einer ganzen Reihe von meist selbstverständlich geteilten Vorannahmen und Voraussetzungen steht, unter denen Beiträge zur politischen Philosophie in der Neuzeit in der Regel überhaupt nur zur Kenntnis genommen werden. Es leidet zum Beispiel gar keinen Zweifel, daß Fichte mit seiner „Probe einer künftig zu liefernden Politik“ sich nicht gerade in die liberale Tradition seit John Locke stellte oder sonst ein Interesse zeigte, das Individuum möglichst weitgehend gegen staatliche Bevormundungen zu schützen. Zugleich aber ist Fichte, näher besehen, trotz einer anderslautenden Rezeptionslinie, auch nicht einfach ein „Sozialist“ – dies nämlich schon deshalb nicht, weil ihn eine Frage wie die, ob der Privat- oder der Gemeinbesitz am Ende wirtschaftlich sinnvoller, gesamtgesellschaftlich gerechter oder für den einzelnen letztlich ersprießlicher sei, kaum interessiert: Fichte betrachtet die politische Wirklichkeit überhaupt nicht primär unter dem Aspekt von ökonomischen Ordnungsmodellen, sondern alleine vom Rechtsbegriff aus, der entsprechend auch alleine darüber entscheiden soll, was in oeconomicis zu tun und zu lassen ist. Eben darum ist Fichte dann zuletzt auch nicht das, was man heute einen „Wirtschaftsethiker“ nennen würde – gleich zu Beginn des Geschlossenen Handelsstaats versichert er vielmehr, daß auf den folgenden Seiten „von Sittlichkeit, Billigkeit und dergl.“ gar nicht die Rede sei, weil alles vielmehr „auf dem Gebiet der Rechtslehre“1 stehe. Im Ergebnis scheinen wir es so mit einem Text zu tun zu haben, der nicht nur als seiner Tendenz nach „illiberal“ und nur allzu „staatsfromm“ zu bewerten ist, sondern der sich zudem auch bewußt auf die zu seiner Zeit bereits weit verbreiteten Einsichten der ökonomischen Theorie seit Smith nicht einläßt und dann zu allem Überfluß die propagierte Form von Wirtschaftspolitik noch von aller Ethik ablöst. Kann es hier also um etwas anderes als den Versuch gehen, einen bislang ganz unerhörten Etatismus zu begründen, der am Ende unter Rekurs auf das Rechtsprinzip nicht nur die Individuen dem Staat, sondern auch die Staaten untereinander nur entfremden kann?
1 Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik wird im folgenden zitiert nach der Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth u.a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff., dort Bd. I, 7: Werke 1800 – 1801, unter Mitwirkung von Erich Fuchs und Peter K. Schneider hg. von Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988; loc. cit. dort 54.
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Vorwort des Herausgebers
Eine so gestimmte Erwartung wird mit Fichtes Vorschlag zur Neuordnung der sozioökonomischen Welt naturgemäß ihre Schwierigkeiten haben – und diese auch nicht sogleich verlieren, wenn die genauere Lektüre zeigt, daß Fichtes Text überraschend brisante Themen anpackt – etwa die Frage der Verhinderung von Kolonialismus und Ausbeutung fremder Erdteile oder die Frage eines möglichen „Ausverkaufs“ des Staates im Verfolg des Freihandelsmodells; zu erwähnen wäre hier ebenso, daß Fichtes Text durchaus als Gegenüber zu Kants Friedensschrift gelesen werden kann, geht es ihm doch (auch) darum, die Keime für Handelskriege aller Art auszumerzen und damit den Weg zu einer dauerhaft friedlichen Koexistenz der Staaten bzw. Völkermonaden zu ebnen. Freilich werden Aspekte wie diese, die für Fichtes Ansatz erste Sympathien wecken können, erst dann zu einem wirklich offenen Umgang mit Fichtes „schwierigem“ Text führen, wenn konsequent und sy stematisch aufgezeigt werden kann, wie Fichtes durchaus ja auch experimentell gemeinter Vorschlag2 in den Grundbegriffen seiner praktischen Philosophie verankert ist und er darüber hinaus mit Gründen Fragezeichen hinter die erwähnten gemeinhin geteilten Voraussetzungen der Interessenten an politischer Philosophie setzt. Eines der Hauptanliegen des vorliegenden Bandes ist, genau diese Verankerung von Fichtes Geschlossenem Handelsstaat in den Grundbegriffen seiner (praktischen) Philosophie aufzuzeigen und zugleich deutlich zu machen, inwiefern Fichtes „Abweichung“ vom Standarddiskurs zur politischen Ökonomie zumindest nicht leichtfertig erfolgt ist, sondern Gründe auf ihrer Seite hat, die in der aktuellen, aus verschiedenen Anlässen ökonomieskeptischen Situation womöglich erneut an Gewicht gewinnen. An dieser Stelle können dazu nur einige allgemeine Hinweise folgen, die zur erneuten Lektüre und natürlich auch zur ernsthaften Auseinandersetzung mit Fichtes Schrift von 1800 einladen sollen, wozu der vorliegende Band eben auch anregen will. Wir beginnen mit einem kurzen biographischen Hinweis und geben dann eine kurze Übersicht über das, was den Leser dieses Bandes näher erwartet! Nach Fichtes eigenem Bekunden ist Der geschlossene Handesstaat eine erste Frucht der Begegnung seines Verfassers mit dem Geist der preußischen Hauptstadt; er nimmt, wie Fichte an den Verleger Cotta schreibt, „die Debatten über dergleichen Materien“ auf, „denen ich hier in Berlin oft beigewohnt“3 und die offenbar ganz anders ausgerichtet waren als die des transzendental und frühromantisch träumenden Jena, aus dem Fichte als Exulant ja kam. In Berlin ging es nun nicht mehr nur um Grundlegungsfragen der Philosophie, wie Fichte sie von der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre an über die Wissenschaftslehre nova methodo bis in die praktischen Grundlegungsschriften hinein aus mehr oder weniger einem Guß entfaltet hatte; es ging jetzt auch um so profane Dinge wie das Geld, den Markt und den Arbeitsplatz, über die genauere Auskunft zu geben gewöhnlich 2 „Der Verfasser bescheidet sich daher, daß auch dieser Entwurf eine bloße Übung der Schule ohne Erfolg in der wirklichen Welt bleiben möge“, heißt es in der Zueignung des Geschlossenen Handelsstaats an den Minister von Struensee (GA I/7, 44). 3 Fichte: Brief an Johann Friedrich Cotta vom 16. August 1800, GA III/4, 285 f. (cf. GA I/7, 3).
Vorwort des Herausgebers
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nicht gerade zu den Hauptaufgaben des Philosophen gerechnet wird. Freilich war Fichte immer für eine Überraschung gut, so auch hier, in Berlin, wo ihn, wie er an Friedrich Schlegel schreibt, die „Muse“ der „Indignation“ über das Alltagswissen vom Alltäglichen packte und er sich unter ihrer Anleitung anschickte, nunmehr zu zeigen, wie denn eine „notwendige Handels-Verfassung“ aussähe, die sich nicht mehr nur auf Erfahrungswissen und das Herumtappen im Empirischen stützen würde, sondern im Grunde als Fortschreibung des Vernunftrechtsgedankens in das Ökonomische hinein verstanden werden konnte4. Wenn bis heute die Zweifel überwiegen, ob Fichte genau dies gelingen konnte – das Ökonomische nämlich am Kompaß des Vernunftrechts auszurichten und sein Feld mit diesem Kompaß in der Hand auch neu zu vermessen –, dann ändert das nichts daran, daß Fichte schon mit der Frage nach der Rationalisierbarkeit des Ökonomischen auf die Rechtsratio hin ein Problem benannt hat, das um so brisanter ist, je mehr wir inzwischen auch vom Gegenteil, will sagen dem Versuch der Modellierung des Rechts auf die ökonomische Ratio hin, gekostet haben und insofern zumindest wissen, daß es im Umkreis unseres Themas unabhängig von seinen historischen Bezügen immer auch um das systematische Problem einer Rationalitätenkonkurrenz geht. Fichtes Schrift wurde von den Zeitgenossen trotz einer Reihe von Rezensionen und beispielsweise auch der Gegenabhandlung von Ludwig Hestermann mit dem Titel Der offene Handelsstaat, die 1802 in Leipzig und Pforzheim herauskam, in geringerem Maße als etwa die im gleichen Jahr erschienene Abhandlung Die Bestimmung des Menschen wahrgenommen und diskutiert5. Nach diesem (relativen) Desinteresse setzt eine größere inhaltliche Rezeption in der Literatur erst mit dem Jahr 1900 ein; die entsprechende Phase sollte zunächst bis zum Ende der 1930er Jahre reichen6. Eine zweite und bis heute wohl intensivste Phase der Auseinandersetzung fand in den 1970er Jahren statt, kam jedoch ebenfalls bald wieder zum Erliegen7. In der Folgezeit beschränkte sich die Diskussion eher auf sporadisch erscheinende Aufsätze und Lexikonartikel, wobei unter anderem auch der Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1989/90 eine Rolle gespielt haben dürfte. Im englischen Sprachraum hat überraschend in den letzten Jahren ein neues Forschungsinteresse eingesetzt und unter anderem zu einer vollständigen Neuübersetzung des Geschlossenen Handelsstaates im Jahr 2012 geführt8. 4 Fichte: 5 Zur
Brief an Friedrich Schlegel vom 16. August 1800, GA III/4, 284 (cf. GA I/7, 4). ersten Rezeption cf. die verdienstvolle Übersicht im „Vorwort“ der GA I/7, bes.
14 – 36. 6 Vgl. J.G. Fichte-Bibliographie, hg. von Hans Michael Baumgartner und Wilhelm G. Jacobs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1968, 167 ff.; J.G. Fichte-Bibliographie (1968 – 1992/3), hg. v. Sabine Doyé, Amsterdam/Atlanta 1993. 7 Vgl. exemplarisch: Fichte: Ausgewählte Politische Schriften, hg. von Zwi Batscha und Richard Saage, Frankfurt a. M. 1977; Fichte: Der geschlossene Handelsstaat, hg. von Hans Hirsch, Hamburg 1979. 8 J.G. Fichte: The Closed Commercial State, translated and with an interpretive essay by A.C. Adler, New York 2012.
Vorwort des Herausgebers
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Im Sinne einer inhaltlichen Auseinandersetzung ist Fichtes Geschlossener Handelsstaat bereits durch Lorenz von Stein als „der erste große Reflex der französischen sozialistischen Ideen in einem großen deutschen Geist“ bezeichnet worden9. In der Tat wurde der Text, wie schon erwähnt, immer wieder in der Perspektive eines Fichteschen „Sozialismus“ (Marianne Weber) bzw. konkreter (und in der Sache angemessener) einer „Theorie der Planwirtschaft“ (Hans Hirsch) wahrgenommen, ja dann auch als – vielleicht wider Willen – eine der Grundlegungsschriften des modernen Totalitarismus (Johann Braun) identifiziert. Zu Wahrnehmungen dieser Art gibt Fichtes Traktat in der Tat leicht Anlaß, und zwar um so mehr, je mehr man den systematischen Zusammenhang außer acht läßt, in dem er auftritt. Das Bild ändert sich entsprechend, sobald man die Tatsache ernst nimmt, daß Fichte seine Schrift eben als Beitrag zur Natur- oder Vernunftrechtslehre und damit als Teil der Theorie einer „Gemeinschaft freier Vernunftwesen als solcher“10 verstanden hat. In Thesenform gefaßt läßt sich sagen, daß Wirtschaftsphilosophie – auch als „Probe einer künftig zu liefernden Politik“ – bei Fichte den Sinn hat, die Bedingungen der Möglichkeit einer „Gemeinschaft freier Vernunftwesen“ auch angesichts von unabsehbaren Dynamiken des Wirtschaftens zu erhalten, die die Freiheit und Selbständigkeit der Individuen wie der Staaten zuletzt untergraben. Auch angesichts mancher Aporien, denen Fichtes „Ökonomie vom Reißbrett“ im Geschlossenen Handelsstaat nicht entgeht, ist in jedem Fall dieses Ziel des wirtschaftsphilosophischen Denkens Fichtes deutlicher ins Bewußtsein zu heben. In übergreifender Hinsicht schließlich kann Fichtes Handelsstaat auch über die eigene Systementfaltung des Denkers hinaus im Kontext der Rezeption der klassischen Ökonomie innerhalb der nachkantischen Philosophie gelesen werden. Fichte, der sich spätestens seit 1795 mit dem Problem einer „Rationalisierung“ der „Handelsverfassung“ beschäftigt hat, zeigt sich dabei als durchaus selbständiger, provokativer und in jedem Fall auch inspirierender Autor. Seine Ergebnisse sind signifikant andere als etwa diejenigen Hegels, der sich bekanntlich in etwa zeitgleich mit dem Erscheinen des Handelsstaats mit Adam Smith auseinandersetzt. Während Fichte (summarisch gesprochen) die Selbst-Schließung des Ökonomischen zu einem eigenständigen System unterbinden will und dafür eine rechtlich operierende „systemische“ Politik aufbietet, läßt Hegel, von Smiths Entdeckung der systemisch-dialektischen Struktur des Ökonomischen fasziniert, dieses als Subsystem in der Entfaltung der „sittlichen Welt“ zu. In diesem Zusammenhang läßt sich dann in jedem Fall auch die Frage nach dem Ort der Ökonomie im Denken Fichtes oder auch im Kontext der von ihm weiterentwickelten Transzendentalphilosophie stellen. Diese Frage betrifft grundsätzlich das Problem der Ableitbarkeitsgrenzen bzw. der Kontingenz in Beziehung auf den a priori darstellbaren Rahmen vernünftigen Erkennens und Handelns, den das menschliche Wirtschaften immer auch sprengt. Die Ökonomie mag hier zum Testfall für die Stellung von Fichtes radikalisierter 9
Lorenz v. Stein: Die Verwaltungslehre, Teil 7, Stuttgart 1868, 44. Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, GA I/3,
10 Fichte:
383.
Vorwort des Herausgebers
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Transzendentalphilosophie zur Sphäre der Willkürhandlungen und des mundus phaenomenon werden. Zu guter Letzt enthält Fichtes Werk eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für durchaus aktuelle Debatten, so vor allem hinsichtlich der Eigentumstheorie als auch in bezug auf die Wert-, Preis- und Geldlehre; wir nennen dazu nur kurz drei Beispiele. 1. Ein sich unmittelbar aufdrängender Aspekt ist hier das Globalisierungsproblem, das nicht losgelöst von der Dominanz eines bestimmten Rationalitätstyps – des Typs der effizienzorientierten ökonomischen Rationalität – gedacht werden kann und auch nur vor dem Hintergrund der Globalisierung zunächst eines bestimmten Theorietyps des ökonomischen Denkens, der historisch gesehen keineswegs der einzig aufgetretene ist, zu verstehen ist. 2. Denken wir aber weiterhin nur etwa an die neueren Debatten um das geistige Eigentum oder die Information als Ware, die infolge von technologischen Veränderungen zugleich Grenzen des tradierten Eigentums- und Rechtsbegriffs aufscheinen lassen. Hier kann es unter Umständen schon weiterhelfen, mit Fichte die Frage nach dem Wesen des Eigentums neu zu stellen; für Fichte ist das Eigentum, wie wir aus dem Naturrecht wissen, ja nicht mehr vom „ausschließenden Besitz einer Sache“ her gedacht, sondern muß sich von legitimer freier Selbstbetätigung her darstellen lassen – es ist „ein ausschließendes Recht auf eine bestimmte freie Tätigkeit“11. 3. Schließlich kann Fichte als einer der ersten Autoren angesehen werden, die – auf der Basis eines konsequenten monetären Nominalismus – die politische Dimension des Geldes aufgewiesen haben. Finanzmarktkrisen z. B. sind insoweit nicht einfach eine Aufforderung an die Politik, in welchem Sinne auch immer tätig zu werden, sie sind vielmehr selbst politische Krisen, deren normative Dimension der Wahrung von Freiheit und Selbständigkeit der Rechtsgenossen ohne Rekurs auf den Rechtsbegriff nicht gedacht werden kann. Auch hier kann sich genügend Anlaß ergeben, bei Fichte zwar nicht notwendig einfach die Antwort auf alle aktuellen Probleme zu suchen, wohl aber darauf aufmerksam zu werden, daß man dieselben Probleme in ganz unterschiedlichen Horizonten diskutieren und auf diesem Wege dann auch zu neuen Perspektiven auf sie und entsprechenden Lösungen gelangen kann. Der vorliegende Band vereinigt in der Hauptsache die Beiträge zu einer internationalen Fachtagung, die im Fichte-Jahr 2014 unter dem Titel „Fichtes Geschlossener Handelsstaat – Über Ort und Ortlosigkeit der Ökonomie im transzendentalen System“ im Regionalzentrum der Fernuniversität Hagen im Berliner Spreepalais stattgefunden hat. Die Beiträge können dabei insgesamt als Einführung und fortlaufender Kommentar zu Fichtes „Versuch“ gelesen werden. Jacinto Rivera de Rosales ordnet den Text zunächst in Fichtes praktische Philosophie insgesamt ein und stellt dabei auch motivliche Bezüge zum Denken der politischen Philosophie des 11 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 85.
Vorwort des Herausgebers
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18. Jahrhunderts her. Jürgen Stahl gibt ein detailliertes Panorama zu den deutschen ökonomischen Realitäten wie auch zu den theoretischen Möglichkeiten ihrer Deutung und Aufarbeitung in der Entstehungszeit des Geschlossenen Handelsstaats. Douglas Moggach erörtert sodann Fichtes Position zu Aufgabe, Rolle und Machtfülle des Staates vor dem Hintergrund von Debatten, die wiederum bis tief ins 18. Jahrhundert, ja bis auf Leibniz zurückreichen, durch Kant markant erneuert und auch in Fichtes Umfeld fortgeführt wurden. Marco Ivaldo wendet sich darauf dem Begriff und der Erkenntnisform einer „spekulativen Politik“ zu, wie Fichte sie in der „Einleitung“ und im „Ersten Buch“ des Geschlossenen Handelsstaats voraussetzt; ihm folgt Klaus Honraths Darstellung des „Zweiten Buchs“, der „Zeitgeschichte“, die nicht zuletzt um die Frage nach der wirklichen Freiheit kreist. Günter Zöller untersucht sodann das „politische“ „Dritte Buch“, nicht ohne dabei neben der Entfaltung der von Fichte vorgeschlagenen Maßnahmen zur Herbeiführung seines politischen Ideals dieses selbst zu diskutieren und in den größeren Zusammenhang vor allem der Frage nach dem Nationalstaat zu stellen. Der Beitrag von David James ist der systematisch interessanten Frage gewidmet, inwiefern Fichtes Handelsstaat als Beitrag zur Frage der Verteilungsgerechtigkeit gelesen werden kann und welche Probleme er dabei (etwa in Hinsicht auf die Frage nach dem Verhältnis von Gerechtigkeit und Gewalt) allenfalls offenläßt. Der Herausgeber schließlich hat in seinem Beitrag unter anderem zu zeigen versucht, daß und aus welchen Gründen die Logik des Handels nach Fichte nicht ohne weiteres schon die Logik der rationalen Handlung sein kann, darüber hinaus aber auch verschiedene andere Aspekte, die in dem vorliegenden Band an verschiedenen Stellen zur Sprache kommen, nochmals gebündelt. Dank für die Betreuung des Gesamtmanuskripts sowie die Erstellung der Regi ster gebührt Herrn Bryan Planhof MA in Hagen; Dank für die Erarbeitung der Forschungsbibliographie Herrn Dr. Honrath und Herrn Planhof. Zu wünschen bleibt, daß die hier vorgelegte Auseinandersetzung mit Fichtes „schwierigem“ Text diesen nicht nur etwas „leichter“ zu erschließen hilft, sondern auch neue Auseinandersetzungen mit ihm anstoßen kann. Hagen, im Sommer 2017
Thomas Sören Hoffmann
Inhaltsverzeichnis Jacinto Rivera de Rosales Der geschlossene Handelsstaat im Kontext der praktischen Philosophie Fichtes . . . 13 Jürgen Stahl Erfahrungen und Theorien wirtschaftlichen Handelns um 1800 in Deutschland oder die Abwesenheit „marktwirtschaftlicher“ Begrifflichkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Douglas Moggach Freiheit und Vollkommenheit: Fichtes Position in den Kontroversen über Begrenzung und Begründung von staatlichem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Marco Ivaldo Ideen zu einer spekulativen Politik. Aus der Einleitung und dem Ersten Buch („Philosophie“) des Fichteschen Geschlossenen Handelsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Klaus Honrath Der geschlossene Handelsstaat. Zweites Buch: Zeitgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Günter Zöller Von der Nationalökonomie zum ökonomischen Nationalismus. Fichtes Politikkonzeption im Geschlossenen Handelsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 David James Der geschlossene Handelsstaat als Theorie der distributiven Gerechtigkeit mit Blick auf Fichtes Begriff der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Thomas Sören Hoffmann Wirtschaft als System? Fichtes rechtsphilosophische Alternative zu einem neuzeitlichen Dogma .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Gesamtbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Personenregister .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Der geschlossene Handelsstaat im Kontext der praktischen Philosophie Fichtes Jacinto Rivera de Rosales Der geschlossene Handelsstaat im Kontext der praktischen Philosophie Fichtes
I. Die Stellung des Werks Das Werk Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und Probe einer künftig zu liefernden Politik wurde im Jahr 1800 verfaßt. Fichte hatte seine Professur in Jena kurz zuvor, im April 1799, wegen des Atheismusstreits, verloren und in Berlin, also in Preußen sein Asyl gefunden. Darüber berichtet er seiner Frau am 10./11. Oktober 1799: „Es ist dem Könige einige Zeit nach meiner Herkunft und nachdem man mich sehr sorgfältig beobachtet, Vortrag über meinen hiesigen Aufenthalt geschehen. ‚Ist F[ichte] ein so ruhiger Bürger, als aus allem hervorgeht, und so entfernt von gefährlichen Verbindungen, so kann ihm der Aufenthalt in meinen Staaten ruhig verstattet werden. Ist es wahr, daß er mit dem lieben Gotte in Feindseeligkeiten begriffen ist, so mag dies der l. G. mit ihm abmachen; mir thut das nichts‘. Diese Aeusserung hat natürlich Einfluß. Andere Männer am Platz haben geäussert, daß man mich unmöglich aus der Preussischen Monarchie ungebraucht, und unbenutzt lassen könne; daß meine Sache sich nur erst ein wenig verbluten müsse u. dergl“1. Von nun an war Preußen sein eigenes Land und er konnte so seine bürgerliche Erklärung zum Eintritt in diesen Staat abgeben: „ich will in diesem bestimmten Staate, der diese bestimmte Volksmenge, diesen Boden, diese Erwerbsmittel u.s.f. hat, leben“2. Fichte erhielt kein Einkommen mehr von der Universität Jena und hatte deswegen vor, durch private Vorlesungen und Veröffentlichungen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Daraus ist Der geschlossene Handelsstaat im Sommer 1800 in Berlin entstanden. Am 30. August 1800 war das Manuskript schon fertig und Anfang November erschien das Buch. Aber diese Schrift ist auch aufgrund eines anderen inneren und systematischen Bedürfnisses entstanden. Am 16. August 1800 schrieb er seinem Verleger Johann 1
Johann Gottlieb Fichte zitiert nach der Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: Briefe 1799 – 1800, GA III/4, 105 – 106. 2 Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, GA I/3, 440. „Jeder muß für seine Person erklären, daß er mit dieser bestimmten Volksmenge, in ein gemeines Wesen, zur Erhaltung des Rechts zusammentreten wolle“ (Werke 1794 – 1796, GA I/3, 454).
Jacinto Rivera de Rosales
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Friedrich Cotta: „So eben komme ich davon her, eine Idee auszuführen, mit welcher ich seit meiner Bearbeitung des Naturrechts mich trage: die nothwendige Handels-Verfassung eines durchaus rechts- und Vernunftgemäßen Staats aufzustellen: und zu zeigen, wie die wirklichen Staaten zu dieser Verfassung sich erheben können“3. Die neue Veröffentlichung wird von ihm also als Anhang seiner Grundlage des Naturrechts (1796 – 1797), seiner Rechtslehre verstanden, und zwar als „Uebergang von den naturrechtlichen Untersuchungen der Wissenschaftslehre zu den politischen derselben“4, also als ein Teil einer Schrift zur Politik, die er in der Zukunft liefern wollte, für das Gebiet der Wirtschaftspolitik. Fichte möchte so auf die preußischen Politik, insbesondere die Handelspolitik sowie bezüglich der Frage der Einführung des Papiergeldes, Einfluß ausüben. Diese waren die Themen, die in seinem Berliner Umfeld damals viel diskutiert wurden und ihn reizten, „zunächst über diesen Gegenstand meine Idee niederzuschreiben“5. Fichte widmete das Buch dem preußischen Finanzminister Karl August von Struensee, der ihm dafür dankte und sich mit vielen Ideen Fichtes einverstanden erklärte6. Sie wurden freilich nicht in die Wirklichkeit umgesetzt. Es empfiehlt sich, die hier zu besprechende Publikation in die Schaffensperiode von Fichtes Wissenschaftslehre nova methodo (WLnm) stellen, eine Phase, die 1796 begann und 1801 endete; sie ist dabei allerdings unter die angewandten Wissenschaften zu platzieren. Aus der Wissenschaftslehre (WL) als philosophischer Grundlage alles Wissens werden vier besondere Wissenschaften abgeleitet: Natur-, Rechts-, Sitten- und Religionslehre. Sie bilden zusammen mit der WL als solcher die Fünffachheit der Fichteschen Denkmethode. Am Ende der Vorlesungen über die WLnm hat Fichte diese Einteilung seiner Philosophie dargestellt7. Die WL als solche untersucht nur die Hauptbegriffe, und die besonderen Wissenschaften sollen diese Begriffe bis zur Vollständigkeit weiter analysieren. (1.) Die theoretische Philosophie oder die Weltlehre muß lehren, wie die Welt ist – entweder durch bloß mechanische Gesetze der Anziehung und Abstoßung oder durch organische Gesetze. Dann (2.) kommt die praktische Philosophie oder Ethik, die uns allgemein lehrt, wie sich das Individuum nach dem Sittengesetz selbst beschränken muß und wie die Welt durch das Handeln der vernünftigen Wesen gestaltet werden soll. (3.) „Nun ist die Vernunft dargestellt in mehreren Individuen die sich in einer Welt durchkreuzen, soll der Zweck der Vernunft an ihnen erreicht werden, so muß ihre physische Kraft gebrochen und die Freiheit jedes eingeschränkt werden, damit nicht einer des andern Zwecke störe und hintertreibe. Daraus entsteht die Rechtslehre oder Naturrecht. Die Natur dieser Wissenschaft ist sehr lange verkannt worden; sie hält die Mitte zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, sie ist 3 Fichte:
Briefe, GA III/4, 285. Briefe, GA III/4, 286. 5 Fichte: Briefe, GA III/4, 286. Siehe auch den Brief von Fichte an Schiller vom 2. Dezember 1800 (GA III/4, 400). 6 Fichte: Briefe, GA III/4, 353. 7 Fichte: Kollegnachschriften, GA IV/2, 262 – 266 und GA IV/3, 520 – 523. 4 Fichte:
Der geschlossene Handelsstaat im Kontext der praktischen Philosophie Fichtes
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theoretische und praktische Philosophie zugleich. Juristische Welt muß vor der moralischen vorhergehen“8 und sie möglich machen. Sie ist praktisch, weil eine Vereinigung freier Willen und eine rechtliche Verfassung hervorgebracht werden müssen. „Die Aufgabe dieser Lehre ist die: freie Willen sollen in einem gewißen Mechanischen zusammenhang, und Wechselwürkung gefügt werde; nun giebt es so einen Naturmechanismus an sich nicht, er hängt zum theil mit von der Freiheit ab; Würksamkeit der Natur und Vernunft in ihrer Vereinigung bewürken diesen Zustand“9. Dann (4.) kommt die Religionslehre, die eine Ableitung und Erklärung des Postulats ist, daß die Sinnenwelt sich unter den Zweck der Vernunft fügen soll, so wie die Rechtslehre das Postulat der Theorie an die Freiheit untersucht, daß mehrere freie Individuen in einer Ordnung und in ruhigem Verhältnis stehen sollen. Beide können Postulate der Philosophie genannt werden. Es bleibt aber noch eine Wissenschaft übrig: die Ästhetik, die in den Mittelpunkt zwischen der gemeinen und der transzendentalen Ansicht zu stellen und als Weg von jener zu dieser zu sehen ist: „Auf dem gemeinen Gesichtspunct erscheint die Welt als gegeben, auf dem transcendentalen gemacht, (alles in mir) auf dem aesthetischen erscheint sie als gegeben so als ob wir sie gemacht hätten und wie wir selbst sie machen würden“10. Die Naturphilosophie hat Fichte am wenigsten bearbeitet11. Der Rechtslehre ist in dieser Periode der WLnm die Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796 – 1797) gewidmet12, die das Fundament für den Handelsstaat bietet. Das System der Sittenlehre (1798) ist die Darstellung der Moralphilosophie Fichtes in dieser Zeit13. Die Religionslehre erschien im Aufsatz „Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche WeltRegierung“ (1798), der den Atheismusstreit auslöste. Die Ästhetik hat Fichte vor allem in seiner Veröffentlichung Ueber Geist und Buchstabe in der Philosophie (1800) behandelt. Außerhalb dieses Zeitraumes gibt es noch andere Schriften von Fichte, die mit den Themen des Handelsstaats in Verbindung stehen, wie seine Vorlesungen über Die Principien der Gottes-, Sitten-, und Rechtslehre von 180514, Der Patriotismus
8 Fichte:
Kollegnachschriften, GA IV/3, 521. Kollegnachschriften, GA IV/3, 521 – 522. 10 Fichte: Kollegnachschriften, GA IV/3, 522 – 523. Siehe auch Das System der Sittenlehre 1798, § 31 „Über die Pflichten des ästhetischen Künstlers“ (Werke 1798 – 1799, GA I/5, 307 – 309). 11 Interessante Hinweise über die Lebewesen finden wir in seinen Platner-Vorlesungen (Nachgelassene Schriften, GA II/4, 268 f.). Eine Gesamtdarstellung der Naturphilosophie Fichtes findet sich im Buch von Reinhard Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre, Hamburg 1984. 12 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 313 – 460, und GA I/4, 1 – 165. 13 Fichte: SL98, GA I/5, 21 – 317. 14 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/7, 378 – 489. 9 Fichte:
Jacinto Rivera de Rosales
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und sein Gegentheil von 1806/0715, Die Republik der Deutschen von 180716, der 1807 veröffentlichte Artikel Ueber Machiavell als Schriftsteller17, die Sittenlehre18 von 1812, aber vor allem die Rechtslehre19 von 1812 und die Staatslehre von 181320, die einige Punkte seiner Politik und Wirtschaftstheorie darstellen. Auch in seinen Büchern über die Geschichte, wie Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)21 und in den Reden an die deutsche Nation (1808), finden wir wesentliche Gedanken über die Politik, da schon Kant die Geschichte als die Entwicklung und Verwirklichung der Freiheit in der Sphäre der Legalität, in den menschlichen Gesetzen und Institutionen, also in Staaten, begriffen hat. Der geschlossene Handelsstaat bezieht sich auf die Sphäre der Legalität22. Wie Kant hat Fichte auch zwischen Moralität und Legalität, zwischen Recht und Sittlichkeit unterschieden; zu beiden Themen hatte es schon, wie gesagt, Veröffentlichungen gegeben. „Man nennt“, sagt Kant, „die bloße Übereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben die Legalität (Gesetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetz zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben“23. Das Recht verlangt unbedingt die rechtliche Handlung, aber nicht den guten Willen, es genügt, daß dem Gesetz äußerlich gehorcht wird24. Die Moralität führt zur Religion und hat mit der inneren Freiheit zu tun. Die Politik und die Geschichte stehen eher mit der Legalität und dem Recht in Verbindung und beschäftigen sich mit der äußeren Freiheit25. „Das die Anwendung der reinen Rechtslehre auf be15 Fichte:
Nachgelassene Schriften, GA II/9, 395 – 445. Nachgelassene Schriften, GA II/10, 377 – 426. 17 Fichte: Ueber Machiavell als Schriftsteller, GA I/9, 223 – 275. 18 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/13, 307 – 392. 19 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/13, 197 – 300. 20 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/16, 1 – 204. 21 Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, GA I/8, 189 – 396. 22 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 54. 23 Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 219; siehe auch Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 71 – 72. 24 „Ieder will, und hat das Recht zu wollen, daß von der Seite des andern nur diejenigen Handlungen erfolgen, welche erfolgen würde, wenn derselbe einen durchgängig guten Willen hätte; ob dieser Wille nun wirklich da sey, oder nicht, davon ist nicht die Frage. Ieder hat nur auf die Legalität des andern, keinesweges auf seine Moralität Anspruch“ (Naturrecht, GA I/3, 425), „da man sich auf den bloßen guten Willen nicht verlassen kann, noch will“ (Naturrecht, GA I/4, 10). „Denn der gute Wille läßt sich nie gültig für den Gerichtshof des äußern Rechts darthun […]. Auf dem Rechtsgebiete giebt es ja gar kein Mittel, den Menschen zu verbinden, als die Einsicht: was du dem andern thust, sey es böses, oder gutes, das thust du nicht dem andern, sondern dir selbst“ (Naturrecht, GA I/4, 11). 25 „Zeitliches Leben – ein Kampf um Freiheit, sagten wir; ist doppelt zu verstehen: Befreihung von den Naturantrieben – innere Freiheit, die Jeder sich durch sich selbst geben muß. Von der Freiheit Anderer, – äussere Freiheit, die jeder Einzelne in Gemeinschaft mit Allen, durch Uebereinkunft und Erkennung eines Rechtsverhältnisses erwirbt. Diese Verei16 Fichte:
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stimmte vorhandene Staatsverfassungen Vermittelnde heißt Politik […]. Die Politik soll den Weg nachweisen, wie man einen bestimmten Staat zur einzig vernunftmäßigen rechtlichen Verfassung nach und nach hinleiten kann“26. Zum Recht gehört äußerer Zwang, um die Störungen der Freiheit durch Mißhandlungen anderer zu verhindern, aber nicht die Moralität, die aus innerer Freiheit entstehen soll. Der Staat hat dabei die Aufgabe, darauf zu achten, daß auch die unmoralisch handelnden Menschen das Recht und den gemeinsamen Willen beachten, daß sie ebenso ihren äußeren Freiheitsgebrauch so beschränken, daß die freien und rechtlichen Handlungen der Anderen möglich sind und ihre Freiheit grundsätzlich respektiert wird 27. Die Freiheit hat eben die Möglichkeit, sich selbst zu zerstören, gegen sich selbst zu handeln. Es handelt sich hierbei um das moralisch Böse, das auch eine Tat der Freiheit ist28. In der Moralität findet eine Selbstbeschränkung der Freiheit statt, da diese das Böse zwar auch tun kann, dies aber nicht soll und nicht darf; das Sollen oder die Pflicht drückt solche Selbstbeschränkung aus. Für die Legalität ist der äußere Zwang konstitutiv, um die äußere Freiheit aller zu sichern. Die staatliche Regulierung, die der Geschlossene Handelsstaat vorschlägt, ist gegen diese Zerstörung der Freiheit gerichtet; das wird durch das Rechtsgesetz bestimmt. Die Staatskunst hat „durch Zwangsmittel, durch nachtheilige Folgen, die sie aus widerrechtlichen Handlungen entstehen läßt, u.s.w., den willen der Menschen in ihrer Gewalt. Es ist nämlich gar nicht darum zu thun, aus welchem Beweggrunde der Bürger also handelt, wie sie es vorschreibt, sondern wie er handelt. Sie beabsichtigt nur Legalität, keineswegs Moralität“29. Das Recht geht sogar davon aus, daß bei jedem Individuum nur Eigenliebe stattfindet30, und der Staat wird aus dem allgemeinen Misstrauen aufgebaut31, deswegen richtet er ein „Zwanggesetz nigung zur Einführung des Rechtsverhältnisses, das ist, der Freiheit Aller von der Freiheit Aller, des Verhältnisses, wo Alle frei sind, ohne daß eines Einzigen Freiheit durch die aller Uebrigen gestört werden, ist in diesem Zusammenhange der Erkenntniß der Staat“ (Staatslehre, GA II/16, 48). 26 Fichte: Ascetik als Anhang zur Moral, GA II/5, 60. Siehe auch: Handelsstaat, GA I/7, 51. 27 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 387. 28 „Also – sogar das in der Welt, was wir böse nennen, die Folge des Mißbrauchs der Freiheit, ist nur durch ihn“, durch unseren Willen (BM, GA I/6, 299). „Die menschliche Natur ist ursprünglich weder gut noch böse. Sie wird erst eins von beiden durch Freiheit“ (SL, GA I/5, 174). „Es ist wiedersprechend daß dem Ich etwas von außen gegeben werde, denn das kan nicht zum Bewustseyn kommen. Solte sich daher im Menschen eine böse Maxime finden, so ist sie nur einzig und allein aus der Freyheit zu erklären, und das Vernunftwesen kan sich nur allein diese Schuld geben“ (Vorlesung über die Moral SS 1796, GA IV/1, 89). Siehe auch mein Aufsatz „Los dos conceptos del mal moral. De La Religión (1793) de Kant a la Ética (1798) de Fichte“, in: Signos Filosóficos 18 (2007), 9 – 40. 29 Fichte: Ascetik, GA II/5, 61. 30 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 432 – 433. 31 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 47.
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oder Straffsystem“32 ein, um jeden rechtswidrigen Willen zu beseitigen, indem „aus dem Wollen jedes unrechtmäßigen Zwecks nothwendig, und nach einem stets wirksamen Gesetze, das Gegentheil des beabsichtigten erfolge“33, so daß jeder die Erreichung seines Privatzweckes an den gemeinsamen Zweck gebunden sieht und erfährt34. Die Staatserrichtung soll „selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben)“35 dienen, meinte Kant. Trotzdem ist es klar, daß die Vernunft beides will, Legalität und Moralität, und diese höher ist als die erste: „Ich darf gar nicht bloße Legalität beabzwecken, sondern Moralität ist mein Endzweck: und ich kann nicht auf die erstere allein ausgehen ohne auf letztere Verzicht zu thun, welches pflichtwidrig ist“36. Die Legalität bringt äußeren Zwang mit sich, aber nur für die, die sie nicht respektieren, d. h. niemals für moralische Menschen37, die im Grunde genommen die Legalität aus Pflicht erfüllen: „Man kann die Legalität gar nicht wollen, außer um der Moralität willen“38. II. Die Freiheit und der Vertrag Drei Hauptgedanken können uns das Verständnis des Geschlossenen Handelsstaats erschließen. Diese werden wir in drei entsprechenden Paragraphen erörtern. Die erste Grundidee, die der Sphäre des Rechts und also auch dem Geschlossenen Handelsstaat Gestalt gibt, ist die der Freiheit und des dieser entsprechenden Vertrages unter den Menschen als Grundlage der juristischen Gesetze. Wir müssen erstens zwischen den Gesetzen der Natur und denen der Freiheit unterscheiden. Das Rechtsgesetz ist „keineswegs ein mechanisches Naturgesez, sondern ein Gesez für Freiheit“39. Die Freiheit und nicht die Natur ist der Grund aller Rechte und Pflichten, weil nur sie und kein Naturobjekt eine ursprüngliche Realität ist und daher mit Würde und Achtung betrachtet, anerkannt und behandelt werden soll. In der Natur herrscht die Bestimmung durch etwas anderes, das Natürliche wird durch seine Ursache in einer unendlichen Reihe bewirkt. Freiheit bedeutet im Gegenteil Selbstbestimmung; sie muß sich selbst bestimmen, sonst wird sie zerstört. 32 Fichte:
Naturrecht, GA I/3, 423 – 432. Naturrecht, GA I/3, 426. 34 „Ihr Privatzweck, der Zweck ihrer eignen Sicherheit und ihres Wohlseyns, muß an den gemeinsamen Zweck gebunden, und nur durch seine Erreichung zu erreichen seyn“ (Naturrecht, GA I/3, 445). „So wie die moralische Gesinnung Liebe der Pflicht um der Pflicht willen ist, so ist hingegen die politische, Liebe sein selbst um sein selbst willen. […] Diese über alles gehende Liebe für sich selbst, wird in der Hand des Strafgesetzes eben das Mittel, den Bürger zu nöthigen, daß er die Rechte anderer ungekränkt lasse, indem jeder, was er dem andern übels zufügt, sich selbst zufügt“ (Naturrecht, GA I/4, 69). 35 Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, AA VIII, 366. 36 Fichte: SL98, GA I/5, 253. 37 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 427. 38 Fichte: SL98, GA I/5, 261. 39 Fichte: Naturrecht GA I/3, 388. 33 Fichte:
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Diese Autonomie ist eigentlich für das freie Wesen eine Aufgabe oder ein Sollen, sich als frei und nicht als eine bloße Sache zu verwirklichen. Diese Aufgabe drückt sich im Moral- und im Rechtsgesetz aus, aber auch auf den anderen Gebieten unserer Subjektivität, da diese für sich selbst eine Aufgabe und im Grunde genommen eine moralische Aufgabe ist. Nur freie Wesen können Rechte und Pflichten haben, verstehen und erfüllen. Freie Wesen sind die Vernünftigen, da wir uns allein durch den Begriff zur Freiheit erheben. Nur diese Idealität des Denkens, die uns vom tatsächlich Gegebenen befreien kann, läßt uns uns selbst bestimmen und uns dazu entscheiden, verantwortlich für unsere Taten zu sein und nicht durch die Gesetze der Natur rein objektiv determiniert zu werden. Bloß der Begriff kann uns zur Autonomie erheben, der Zweckbegriff40, der uns über das Gegebene hinaushebt, und zwar näherhin der Begriff der Freiheit, der sich im kategorischen Imperativ und im Gesellschaftsvertrag ausdrückt. Der Begriff führt uns (dank der menschlichen Sprache) in den Horizont der Universalität, der Allgemeingültigkeit, der Intersubjektivität und der Gemeinde ein. Die Gesetze, die die unvernünftigen Wesen beherrschen, sind andere als die, die die vernünftigen regieren sollen41. Die Gesetze der Natur sind zwar nicht unabhängig von der transzendentalen Subjektivität, sondern entsprechen deren apriorischen ideellen Handlungen und Formen; dennoch sind sie verschieden von den Gesetzen, die aus dem Willen und seiner vernünftigen Freiheit entstehen. Sie sind jedoch zugleich miteinander eben in ihrem Gegensatz verbunden, weil beides nur dadurch als solches zu Bewußtsein kommen kann, wie Fichte im § 4 der Sittenlehre 1798 gezeigt hat42. Unter den Gesetzen der Freiheit müssen wir zweitens diejenigen der Legalität von denen der Moralität differenzieren, wie oben schon angedeutet wurde. Die Gesetze der Moralität bedürfen weder eines Vertrages unter vernünftigen Wesen, noch müssen sie öffentlich und offiziell verkündet zu werden, um gültig zu sein. Sie sind bloß durch die Seinsweise des Menschen, durch die Freiheit, gegeben und in ihr hinreichend begründet. Sie sind universell, immer und an jedem Ort für die Menschen als freie Wesen gültig, ganz gleich, in welchem bürgerlichen Zustand sie sich befinden. Sie sollen auch in jedem Staat beachtet und als die erste Grundlage des Zusammenlebens berücksichtigt werden. Demgegenüber brauchen die rechtlichen Gesetze einen Vertrag zwischen den Betroffenen, eine gegenseitige freie und ausdrückliche Übereinkunft, damit die Freiheit nicht gebrochen und verletzt wird, weil das Recht äußeren Zwang (durch physische Kraft) nach bestimmten angenommenen Regeln 40 Fichte:
SL98, GA I/5, 28 und 69. Leben und die lebendigen Wesen scheinen auch Selbsttätigkeit und Gefühle zu haben, so dass sie zwischen Natur und Freiheit stehen. Insofern sprechen wir heute von Rechten der Tiere, mindestens in begrenzter Bedeutung – so aber nicht Fichte, für welchen die Tiere bloße chemische Maschinen sind, so dass wir, weil wir die chemischen Gesetze nicht kennen, glauben, sie seien frei und bewusst. Siehe: Platner Vorlesungen, GA II/4, 272 – 273, 276; GA IV/1, 392, 396; Practische Philosophie, GA II/3, 196; Wesen der Thiere, GA II/5, 421, 423. 42 Fichte: SL98, GA I/5, 83 – 88. 41 Das
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mit sich bringt, die akzeptiert werden sollen: „daß die geforderte Uebereinstimmung sich nicht etwa von selbst finde, sondern daß sie auf einen ausdrücklichen in der Sinnenwelt, zu irgend einer Zeit wahrzunehmenden, und nur durch freie Selbstbestimmung möglichen Akt Aller sich gründe“43. Dieser gemeinschaftliche Wille äußert sich zuerst in dem, was wir Verfassung eines Staates oder Verträge zwischen den Staaten nennen. Die Moralität gründet in der Freiheit als ursprünglicher Realität und Tätigkeit, und das Sittengesetz ist ohne Beschränkung immer gültig. Das Recht aber bestimmt seine eigene Sphäre, in der die gegenseitige Annahme der Beschränkung in einer ausdrücklichen Tätigkeit und Äußerung der Freiheit aller Beteiligten stattfindet, die ihre äußeren Handlungen in dieser Weise anordnet, d. i. in einem Vertrag; „so ist seine Gültigkeit für die einzelne Person abermals bedingt dadurch, ob der andere sich demselben [dem Zweck, eine Gemeinschaft zu bilden] unterwerfe“44. Dieser Akt soll dazu tendieren, die Vernunft, also die Seinsweise und die Realität der Freiheit, in der Wirklichkeit der Sinnenwelt, d.i. im Spiel und Zusammenwirken der äußerlichen Freiheit aller zu realisieren. Jeder soll sich in eine Verfassung integrieren, aber diese Verfassung kann die eine oder andere Gestalt haben, d. h. die Verfassung kann verschieden sein. Es ist nicht verpflichtend, diese oder jene konkrete Verfassung zu wählen, vielmehr kann jede Gesellschaft sie anders determinieren, mit anderen konkreten Gesetzen ausgestalten. Ist der einzelne mit der Verfassung und der Mehrheit der Meinungen nicht einverstanden, kann er das Territorium verlassen und eine andere Gemeinschaft wählen45. Aber das Recht ist notwendig, weil der Mensch nur in der Gemeinschaft Mensch wird, aber nicht alle, so auch nicht die große Mehrheit der Menschen, moralisch handeln46. Es ist eine Pflicht jedes Einzelnen, mit seinen Nachbarn durch einen Gesellschaftsvertrag in einen rechtlichen Zustand zu treten, also überall dort, wo ein wechselseitiges Einwirken zwischen freien Wesen geschieht. Wer dazu nicht bereit ist, soll in ein unbewohntes Land ziehen, was zur Zeit Fichtes noch möglich war. Die Idee eines Gesellschaftsvertrages, eines Bürgervertrages oder Staatsvertrages, wie Fichte ihn nennt, ist (obwohl er schon bei Epikur, Lukrez und Cicero erscheint) ein moderner Versuch, legitime politische Macht zu begründen und die Machbefugnis in einem gemeinschaftlichen Willensakt zu rechtfertigen. Man greift nicht mehr auf Gott, auf heroische Taten, auf überlegene Klugheit und Weis43 Fichte:
Naturrecht, GA I/3, 434. Naturrecht, GA I/3, 388. 45 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 443, 453, 455. 46 „Entweder, es findet durchgängige Moralität […]; so hat das Rechtsgesez gar keine Wirkung, es kömmt nicht zum Sprechen, denn was nach demselben geschehen sollte, geschieht ohne dasselbe, und was es verbietet, wird nie gewollt.- Für eine Gattung vollendeter moralischer Wesen giebt es kein Rechtsgesez. Daß der Mensch diese Gattung nicht seyn könne, ist schon daraus klar, weil er zur Moralität erzogen werden, und sich selbst erziehen muß; weil er nicht von Natur moralisch ist, sondern erst durch eigne Arbeit sich dazu machen soll“ (Naturrecht, GA I/3, 432). 44 Fichte:
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heit (Führungsqualitäten), auf Abstammung und Erbfolge oder einfach auf höhere physische Kraft (Krieg oder Eroberung) zurück, um die Macht einer Person über ein Volk oder eine Gemeinschaft zu begründen, sondern man spricht die Souveränität dem Volk zu und sieht in dessen autonomem Willen die ursprüngliche Quelle des Rechtes: „Das Recht, freie Ursache zu seyn und der Begriff eines absoluten Willens sind dasselbe“, sagt Fichte. „Wer die Freiheit des Willens läugnet, der muß consequenter Weise auch die Realität des Rechtsbegriffs läugnen“47. Auf dieser Freiheit aller, die sich als Volk zu einem Staat sammeln, gründet sich das Recht und die rechtmäßige politische Macht. Gegen das Volk zu handeln, heißt Despotismus: „Das [ganze] Volk ist nie Rebell […]; denn das Volk ist in der That, und nach dem Rechte, die höchste Gewalt, über welche keine geht, die die Quelle aller andern Gewalt, und für die Gott allein verantwortlich ist. […] Aber was auf der Erde ist höher, denn das Volk!“48. Die drei modernen Hauptdenker für diese Theorie sind Hobbes, Locke und Rousseau. Fichte folgt dabei wie Kant eher der Rousseauschen Auffassung über den Gesellschaftsvertrag, wo das Grundproblem die Freiheit ist, aber auch das mit ihr verbundene Eigentum49. Für Rousseau entstehen die Ungleichheit und die Ungerechtigkeit unter den Menschen durch ein individuell bestimmtes Eigentum. Das hat er in seiner zweiten Abhandlung: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (1755) im Sinne einer „hypothetischen Geschichte der Regierungen“ beschrieben. Wann hat der Stärkere den Schwachen durch die Gesetze eines ungerechten bürgerlichen Zustandes (status civilis) unterworfen? Im Naturzustande gehörte alles allen, und „[d]er erste, welcher ein Stück Landes umzäunte, es sich in den Sinn kommen ließ zu sagen: Dieses ist mein, und einfältige Leute fand, die es ihm glaubten, der war der wahre Stifter der bürgerlichen Gesellschaft“50. Diese Tat des durch die privaten Individuen bestimmten Eigentums hatte eine ungerechte bürgerliche Anordnung für die Verteidigung desselben zur Folge: Staaten, Gesetze, Richter und Gerichte, Polizei, etc. „Die Gesellschaft und die Gesetze, die auf diesem Wege entstanden oder wenigstens entstehen konnten, legten dem Schwachen noch festere Fesseln an, und gaben dem Reichen neue Macht, zerstörten unsere natürliche Freiheit unwiderruflich, setzten das Gesetz des Eigentums und der Ungleichheit auf ewig fest, verwandelten eine geschickte (adroite) Usurpation in ein unaufhebbares Recht (droit) und unterwarfen das ganze menschliche Geschlecht zum Nutzen einiger Ehrsüchtiger dem Zwang zur Arbeit, der Dienstbarkeit und dem Elend“51. 47 Fichte:
Naturrecht, GA I/3, 409 – 410. Naturrecht, GA I/3, 457. 49 Rousseau und sein Du contrat social wurde in der Tat von Fichte zitiert, wenn er den Staatsbürgervertrag behandelt hat (Naturrecht, GA I/4, 15). 50 Jean-Jacques Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlage der Ungleichheit unter den Menschen, Kap. II, in: ders.: Sozialphilosophische und politische Schriften, München 1981, 93. 51 Op. cit. 107. 48 Fichte:
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Mit diesen Worten fängt Rousseau sein Werk Du Contrat social ou principes du droit politique (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, 1762) an: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten“52. Die Lösung sei eine Neugründung des Zusammenlebens durch einen Gesellschaftsvertrag aller als freier Wesen, der die Freiheit aller Teilnehmer objektiviert. Die Grundidee und der Schlußstein des sanierten und verbesserten Gebäudes ist die Freiheit. Sie ist das Wesen der kennzeichnenden Seinsweise des Menschen, die in der Gesellschaft nicht einmal zerstört, sondern im Gegenteil beachtet, ermöglicht und potenziert werden soll, da nur sie zu einer gerechten Form der Gemeinschaft führt. Die Gesetze und der Staat sollen eben die Freiheit als das Wesen des Geistes objektivieren, dachte Hegel. Auf seine Freiheit zu verzichten, hätte Rousseau hinzugefügt, würde bedeuten, auf seinen menschlichen Charakter, auf die Rechte der Menschheit, sogar auf seine Pflichten zu verzichten. „Ein solcher Verzicht ist unvereinbar mit der Natur des Menschen; wer seinem Willen jegliche Freiheit nimmt, nimmt seinen Handlungen jegliche Sittlichkeit“53. Das Problem ist also das folgende: Wie kann man frei bleiben und trotzdem Gesetzen folgen, ohne welche eine Gesellschaft nicht zu bestehen vermag? Die Lösung liegt erstens in einer bestimmten Vorstellung der Freiheit: „und der Gehorsam gegen das Gesetz, das man sich selbst gegeben hat, ist Freiheit“54. Sie bedeutet nicht Gesetzlosigkeit, Chaos und Unordnung ohne Richtung, sondern den eigenen Gesetzen zu folgen, um sich selbst zu verwirklichen. Diese Gesetze, die die Freiheit oder die freien Wesen für sich selbst im Recht bestimmen, um gerade das Zusammenwirken der Freiheit aller zu ermöglichen, sind der Gesellschaftsvertrag und machen ihn aus. Die Quelle des Rechtes kann nicht die physische Kraft (das Recht des Stärkeren) sein, die als solche keine Moralität enthält, sondern die Freiheit, und deswegen soll das Recht durch eine Tat der Freiheit wie den Gesellschaftsvertrag gestiftet werden. Das ist der Begriff von Autonomie, den auch Kant und Fichte verwenden und der bei ihnen gleichfalls grundlegend ist. Die Freiheit ist für Kant die einzige Realität an sich, die wir a priori durch das moralische Gesetz behaupten können55, sie ist also eine ursprüngliche Tätigkeit und kann deswegen nur sich selbst bestimmen, andernfalls würde sie vernichtet werden; und diese Selbstbestimmung darf nur darauf gerichtet werden, ihre Seinsweise zu achten, zu bewahren und in der Wirklichkeit zu realisieren. So liegt ihre Autonomie ebenso in der Form wie auch in ihrem Inhalt; in der Form, weil sie eine Selbstgesetzgebung ist, und in ihrem Inhalt, weil ihre Absicht auf die Selbstverwirklichung der Freiheit und ihrer Zwecke oder Interessen in der Welt zielt.
52 Jean-Jacques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, in: ders.: Sozialphilosophische und politische Schriften, München 1981, 270. 53 Op. cit. 275. 54 Op. cit. 284. 55 Vgl. Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Vorrede, AA V, 3 – 4.
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Diese Autonomie ist dementsprechend das erste Prinzip der Moralität und der Legalität. Kant stellte sie als oberstes Prinzip der Sittlichkeit auf56: „Die Autonomie des Willens ist das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten: alle Heteronomie der Willkür gründet dagegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Princip derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen“57. In derselben Weise ist die Freiheit für die Legalität und die Gründung oder Anordnung der Gesellschaft der Schlußstein, d.i. das einzige ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende angeborene Recht, das die formale Gleichheit aller vor dem Gesetz fordert58. So schreibt Kant unter anderen gegen Hobbes im Jahr 1793: „Der bürgerliche Zustand also, bloß als rechtlicher Zustand betrachtet, ist auf folgende Principien a priori gegründet: 1. Die Freiheit jedes Gliedes der Societät, als Menschen. 2. Die Gleichheit desselben mit jedem Anderen, als Unterthan. 3. Die Selbstständigkeit jedes Gliedes eines gemeinen Wesens, als Bürgers. Diese Principien sind nicht sowohl Gesetze, die der schon errichtete Staat giebt, sondern nach denen allein eine Staatserrichtung reinen Vernunftprincipien des äußeren Menschenrechts überhaupt gemäß möglich ist“59. Diese gesetzgebende Freiheit aller macht alle vor dem Gesetz gleich, und diese Gleichheit dient als Basis für das ganze soziale System: „statt die natürliche Gleichheit zu zerstören, setzt der Grundvertrag im Gegenteil an die Stelle der physischen Ungleichheit, welche die Natur unter den Menschen hervorbringen konnte, eine moralische und gesetzmäßige Gleichheit“60. Diese Auffassung ging gegen die Privilegien des Adels und der Kirche und war deshalb revolutionär; in der Tat hat Rousseau einen starken Einfluß auf die Französische Revolution ausgeübt. Dies geschieht noch entschiedener bei Fichte, dessen System ihm als System der Freiheit entstanden ist, indem er über die Französische Revolution nachdachte und schrieb61. Das Fundament der Moralität ist auch für ihn die Autonomie und Selbständigkeit des freien Wesens: „Das Princip der Sittlichkeit ist der nothwen56 Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 440. „Die Naturnothwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, daß etwas anderes die wirkende Ursache zur Causalität bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?“ (Op. cit. 446 – 7). 57 Kant: KpV, AA V, 33. 58 Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 237 – 238. 59 Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, AA VIII, 290. 60 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 287. 61 „Mein System ist das erste System der Freiheit […]. Indem ich über ihre [von Frankreich] Revolution schrieb, kamen mir gleichsam zur Belohnung die ersten Winke u. Ahndungen dieses Systems“ (Brief von Fichte an Baggesen von April/Mai 1795; Briefe, GA III/2, 298). „Der Anblick ihrer [von Frankreich] hat mir die Energie mitgetheilt, die ich dazu bedurfte, u. während Untersuchung, u. Verteidigung der Grundsätze, auf die die Französische Revolution aufgebaut ist, haben sich die ersten Grundsätze des Systems in mir zur Klarheit entwikelt“ (300).
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dige Gedanke der Intelligenz, dass sie ihre Freiheit nach dem Begriffe der Selbstständigkeit, schlechthin ohne Ausnahme, bestimmen sollte. […] Der Inhalt dieses Gedankens ist, daß das freie Wesen solle [daß das freie Wesen eine moralische Aufgabe für sich sei]; denn Sollen ist eben der Ausdruck für die Bestimmtheit der Freiheit; daß es seine Freiheit unter ein Gesetz bringen solle; daß dieses Gesetz kein anderes sey, als der Begriff der absoluten Selbstständigkeit (absolute Unbestimmbarkeit durch irgend etwas außer ihm;) endlich, daß dieses Gesetz ohne Ausnahme gelte, weil es die ursprüngliche Bestimmung des freien Wesens enthält“62. „Man hat, gleichfalls sehr treffend, diese Gesetzgebung Autonomie, Selbstgesetzgebung, genannt. […] Sonach ist die ganze moralische Existenz nichts anderes, als eine ununterbrochene Gesetzgebung des vernünftigen Wesens an sich selbst; und wo diese Gesetzgebung aufhört, fängt die Unmoralität an. – Dann, was den Inhalt des Gesetzes anbelangt, wird nichts gefordert, als absolute Selbstständigkeit, absolute Unbestimmbarkeit durch irgend etwas außer dem Ich. Die materielle Bestimmung des Willens nach dem Gesetze wird sonach lediglich aus uns selbst hergenommen; und alle Heteronomie, Entlehnung der Bestimmungsgründe von irgend etwas außer uns, ist geradezu gegen das Gesetz“63. Es ist klar, daß auch beim Recht diese Freiheit, Selbständigkeit und Autonomie der freien Wesen für Fichte walten sollen: „Ich muß das freie Wesen ausser mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d. h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken. Das deducirte Verhältniß zwischen vernünftigen Wesen, daß jedes seine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit der Freiheit des anderen beschränke, unter der Bedingung, daß das erstere die seinige gleichfalls durch die des anderen beschränke, heißt das Rechtsverhältniß; und die jezt aufgestellte Formel ist der Rechtssaz“64. Die Lösung des gesellschaftlichen Problems liegt zweitens im Gesellschaftsvertrag, auch weil Freiheit und Subjektivität sich nicht in den Individuen als solchen und isoliert erschöpfen, sondern sie sind etwas wesentlich Gemeinschaftliches und nur in der Gemeinschaft wirklich zu realisieren. Die moralischen und naturrechtlichen Gesetze, die der Mensch sich selbst autonom gibt, gelten nicht bloß für ein Individuum, sondern für alle, und deswegen bildet sich eine Gemeinschaft. Der Mensch ist in seinem Wesen Gemeinschaft, und wenn er den vernünftigen Gesetzen dieser folgt, folgt er autonom und selbständig seinen eigenen Gesetzen. Das versucht Rousseau mit seinem Begriff der volonté générale (allgemeinen Willen) zu verstehen. Für ihn sagt der Gesellschaftsvertrag im Wesentlichen dies: „Jeder von uns unterstellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft der obersten Leitung des Gemeinwillens (volonté générale), und wir nehmen als Körper jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen auf“65 Das Individuum verliert seine natürliche Freiheit, die von seinen physischen Kräften und Fähigkeiten abhängt, aber gewinnt die moralische Freiheit der Gemeinde, die von der Vernunft 62 Fichte:
SL98, GA I/5, 69 – 70. Op. cit. 67. 64 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 358. 65 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 280 f. 63
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abhängt66. Dieser Akt der Vereinigung erzeugt ein gemeinsames Ich, eine geistige Gesamtperson mit seinem Leben und Willen, einen moralisch-politischen kollektiven Körper, eine öffentliche juristische und moralische Figur: einen Staat. Wir sind also in diesem Sinne die Einheit einer Dualität, wenn wir uns selbst die Gesetze geben, die allgemein gültig sind, und die Gemeinschaft dadurch ermöglichen: Wir sind Gesetzgeber und dem Gesetz Unterworfene; Bürger (citoyens), die an der souveränen Autorität teilhaben, und gleichzeitig den Gesetzen unterworfene Subjekte. Auf diese Weise verbindet sich jeder mit allen anderen, aber trotzdem gehorcht jeder nur sich selbst und bleibt frei. Noch mehr: mit diesem Übergang von Naturzum bürgerlichen Zustand gewinnt das Individuum nicht nur eine größere Macht und Sicherheit, sondern jeder tritt nach Rousseau aus der Sphäre des Instinktes in die der Moralität, der bürgerlichen und moralischen Freiheit ein. Diese Dualität zwischen Gesetzgeber und dem Gesetz Unterworfenem erscheint bei Kant und Fichte als die Dualität zwischen transzendentalem und empirischem Subjekt, eine Dualität, die das ganze Ich bildet. Die Subjektivität ist beides, die erkennende und transzendentale Tätigkeit und das erkannte empirische Subjekt, so daß ich z. B. sagen kann: „Ich bin in diesem Jahr und Ort geboren“, und stelle mich selbst unter die Objekte. Die Quelle der Moralität sowohl als die des Rechtes ist die transzendentale Ebene des Subjekts und zwar die Freiheit und ihre praktische Vernunft, die nicht außerhalb des Subjekts liegen, sondern sein Wesen ausmachen. Dieses Wesen ist individuell als Akt, aber gemeinschaftlich als Form und der Geltung nach. „Mein absolutes Ich“, schreibt Fichte an Jacobi am 30. August 1795, „ist offenbar nicht das Individuum: so haben beleidigte Höflinge und ärgerliche Philosophen mich verklärt, um mir die schändliche Lehre des praktischen Egoismus anzudichten. Aber das Individuum muß aus dem absoluten Ich deduciert werden“67, so wie die Gemeinschaft. Diese intersubjektive Ebene eröffnet das, was Kant das „Reich der Zwecke“, der vernünftigen Wesen, im Gegensatz zum Reich der Natur genannt hat. Die praktische Vernunft ist ein allgemeiner Wille, das, was Rousseau als volonté générale begriffen hat, im Gegensatz zur volonté de tous, die nur eine Nebeneinanderstellung einzelner Willen wäre, die für sich allein wirken, ohne eine moralische und rechtliche Gemeinschaft bilden zu können: „Es besteht oft ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller und dem Gemeinwillen; dieser zieht nur das Gemeininteresse in Betracht, jener das Privatinteresse und ist nur eine Summe von Einzelabsichten“68, sagt Rousseau. Und anschließend gibt er seine Formel: „Zieht man aber von diesen das Mehr und das Weniger ab, das sich gegenseitig aufhebt, so bleibt als Summe der Unterschiede der Gemeinwille“69. Dieser
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Op. cit. 284. Briefe, GA III/2, 392. 68 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 291. 69 Ibidem. Der allgemeine Wille wäre also die Aristotelische Mesotes, die das wirklich gemeinsame Interesse zeigt, „daß es weniger die Zahl der Stimmen ist als das gemeinsame Interesse, das sie vereint, was den Willen allgemein macht: denn in dieser Einrichtung un67 Fichte:
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allgemeine Wille ist der Grund des Gesellschaftsvertrages, der eine rechtliche Gemeinschaft mit Rechten und Pflichten bildet. Hegel hat die Idee des Gesellschaftsvertrages als Legitimitätsgrundes des Staates zurückgewiesen, weil er im Vertrag nur individuelle Willen, d.i. Willkür, sieht, die eine Transaktion vereinbaren. Deswegen begrenzt er die Geltung des Vertrages auf das erste Moment des objektiven Geistes, auf das abstrakte Recht, auf den Vertrag zwischen den Individuen, womit jeder den Anderen als freies Wesen anerkennt70. So fängt auch die Fichtesche Beschreibung des Staatsbürgervertrages an: In seinem ersten Teil, im Eigentumsvertrag, sind nur die Individuen und ihr Privatwille, als Einzelne und für sich bestehende Wesen, da, die sich gegenseitig verpflichten, das Eigentum der Anderen unter der Bedingung nicht anzutasten, daß die Anderen sein ausschließliches Eigentum auch respektieren: jeder will als das Seinige das, was die Anderen nicht wollen dürfen (Trennung)71. Aber in seinem zweiten Teil, dem Schutzvertrag des Eigentums aller gegen jeden Angriff, sind die Individuen gezwungen, über ein bloß durch unser Denken imaginiertes Ganzes hinauszugehen zu einem „reellen Ganzen, das durch die Sache selbst vereinigt wird; nicht bloß Aller, sondern einer Allheit“72, nicht bloße isolierte Nebeneinanderstellung Einzelner, sondern ein Ganzes zu sein. Um einander gegenseitig reell und sicher zu beschützen, können die Individuen nicht auf den guten Willen eines jeden einzelnen rechnen, sondern sie sollen eine durch alle unterstützte schützende Macht errichten. Durch den zu befürchtenden Angriff gegen das Leben und das Eigentum, wovon niemand weiß, wen derselbe zunächst treffen wird, werden alle dasselbe wollen und eine Gemeinde durch reelles Bedürfnis des Schützens als Vereinigungsband bilden (Einheit); „es ist dasjenige, vermittelst dessen Alle in Eins zusammenfliessen; und nicht mehr in einem abstrakten [idealen] Begriffe, als ein compositum, sondern in der That vereinigt sind, als ein totum. So fügt die Natur im Staate wieder zusammen, was sie bei Hervorbringung mehrerer Individuen trennte. Die Vernunft ist Eine, und ihre Darstellung in der Sinnenwelt ist auch nur Eine; die Menschheit ist ein einziges organisirtes, und organisirendes Ganzes der Vernunft. Sie wurde getrennt in mehrere von einander unabhängige Glieder; schon die Naturveranstaltung des Staats hebt diese Unabhängigkeit [für die Selbsterhaltung] vorläufig auf, und verschmelzt einzelne Mengen zu einem Ganzen, bis die Sittlichkeit das ganze Geschlecht in Eins umschaft“73. Hier ist der Wille nicht mehr ein privater, sondern ein seiner Natur nach gemeinsamer Wille. Auf diese Weise kommt es zum dritten Teil des Staatsbürgervertrags, der die beiden ersten erst terwirft sich jeder notwendig den Bedingungen, die er den anderen auferlegt; diese bewundernswerte Übereinstimmung von Interesse und Gerechtigkeit“ (Op. cit. 294). 70 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 75. 71 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 5 – 9. 72 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 13. 73 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 14. „Dieser Vertrag garantiert sich selbst: er hat in sich selbst den zureichenden Grund, daß er gehalten werde, so wie alles Organisirte den vollständigen Grund seines Seyns in sich selbst hat“ (Naturrecht, GA I/4, 18).
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sichert und schützt: dem Vereinigungsvertrag. Dadurch wird das Eigentum eines jeden durch das reelle Ganze des Staats bestätigt, und das Individuum wird ein Teil eines organisierten Ganzen, so daß jeder nur in Verbindung mit den Anderen Bürger sein kann und alle die Staatsgewalt und den eigentlichen Souverän ausmachen. Nur wer seine Pflichten nicht erfüllt, ist Untertan. Der Staatsbürgervertrag ist also für Fichte ein Vertrag zwar des Einzelnen, aber mit dem Staatskörper als Ganzem74. Jeder Teil soll seinen Willen äußern, aber wenn der Einzelne nicht will, kann er mit den Anderen nicht rechtmäßig umgehen, und deswegen soll er das Land verlassen. Der Staat ist „nicht eine willkührliche Erfindung, sondern durch die Natur und Vernunft geboten“75. Der Gesellschaftsvertrag geht auch bei Rousseau nicht einfach von individuellen Willen aus, er ist nicht das reine Ergebnis der individuellen Willen, der volonté de tous, und in der Tat sind nicht alle Individuen mit dem Resultat, d.i. mit der wirklichen Verfassung, auch unmittelbar einverstanden. Darin ist auch die volonté générale, die praktische Vernunft im Spiel, „weil es gerade der a priori gegebene allgemeine Wille (in einem Volk, oder im Verhältniß verschiedener Völker unter einander) ist, der allein, was unter Menschen rechtens ist, bestimmt“, sagt Kant76. Die Sache wird scheitern, wenn Privatwillen sich mit einer überwältigenden Macht einmischen, und diese Verfassung wird bald eine Reform benötigen, „denn der Einzelwille hat seiner Natur nach den Hang zur Bevorzugung, der Gemeinwille den zur Gleichheit“, bemerkt Rousseau77, sie sind wie zwei Momente des Willens. Diese gemeinschaftliche Ebene ist allgemein, aber nicht abstrakt, da sie konstitutiv für jedes Individuum als vernünftiges Wesen ist, so daß seine Bildung und Erziehung darin besteht, daß es die Zwecke der Vernunft als seine eigenen wesentlichen Interessen versteht und in seine Ziele integriert. Sonst wird das Ich sich selbst entfremdet und unverwirklicht bleiben. Diese volonté générale oder praktische Vernunft ist das Staatsoberhaupt (Souverain), und insofern wir in sie einbezogen sind, gehören wir zum gesetzgebenden Oberhaupt. Nach den drei Kantischen Kritiken ist die transzendentale Subjektivität gerade der Grund der strikten Notwendigkeit und Allgemeinheit im Erkennen, im Handeln und im (ästhetischen) Fühlen78. Sogar als organische Wesen sind wir ge-
74 „Der Staatsbürgervertrag ist ein solcher, den jeder Einzelne mit dem reellen Ganzen des sich durch die Verträge mit den Einzelnen bildenden, durch sie sich selbst erhaltenden Staats schließt, und wodurch er mit diesem Ganzen einem Theil seiner Rechte nach zusammenfließt, dafür aber die Rechte der Souverainität erhält“ (Naturrecht, GA I/4, 17 – 18). „Was ist also eigentlich ein Akt der Souveränität? Es ist keine Übereinkunft des Höheren mit dem Niedrigeren, sondern eine Übereinkunft des Körpers mit jedem seiner Glieder“ (Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 294). 75 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 151. 76 Kant: Zum ewigen Frieden, Anhang I, AA VIII, 378. 77 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 288. 78 Siehe z. B. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft B, 3 – 6.
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meinschaftliche Wesen79. In § 3 der GNR zeigt Fichte, daß der Mensch als Vernunftwesen nicht allein, kein isoliertes Individuum ohne wesentliche Beziehung zu den Anderen, sondern nur in Zusammenwirkung mit anderen Vernunftwesen sein kann. Es ist eine Bedingung des Selbstbewußtseins, daß das Ich sich als etwas Bestimmtes, und zwar als ein Ich sieht, weil es sich selbst nur so als solches begreift und ein Ich ist. Aber das kann es nur im Gegensatz mit etwas anderem, und dies muß in doppelter Hinsicht geschehen: Im Gegensatz zu den Objekten ist es ein Ich überhaupt, aber im Gegensatz zu den Anderen ist es ein Individuum. Diese letztere Beschränkung des Ich geschieht durch eine Wechselwirksamkeit mit den Anderen, und zwar als eine durch Begriffe (und Sprache) mitgeteilte Aufforderung zur Selbsttätigkeit, zum Handeln oder Nichthandeln, die die Anderen an das Individuum richten, damit es versteht, daß es etwas tun oder nicht tun soll. „Der Mensch (so alle endliche Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch; […] sollen überhaupt Menschen seyn, so müssen mehrere seyn. […] Der Begriff des Menschen ist sonach gar nicht Begriff eines Einzelnen, denn ein solcher ist undenkbar, sondern der einer Gattung. Die Aufforderung zur freien Selbstthätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, ausserdem würden sie nicht Menschen“80. In diesem Verhältnis der Individuen miteinander sollen alle als freie und vernünftige Wesen anerkannt und behandelt werden; diese Anerkennung und Behandlung geschieht durch die Moralität und die Legalität, durch moralische Gesetze und das Recht. „Der Begriff der Individualität ist aufgezeigter Maßen ein Wechselbegriff, […] ein gemeinschaftlicher Begriff, in welchem zwei Bewußtseyne vereinigt werden in Eins. […] Durch den gegebenen Begriff ist eine Gemeinschaft bestimmt“81. Nur durch Wechselwirkung mit den Anderen kann das Ich ein vernünftiges und freies Wesen werden. Die (theoretische und praktische) Vernunft und die vernünftige Autonomie sind wesentlich gemeinschaftlich und individuell zugleich. Für die Subjektivität ist ebenso wesentlich die freie Gemeinde als das freie Individuum, deswegen auch die Moralität und das Recht, der Gesellschaftsvertrag. III. Die transzendental notwendige Materialität Die zweite Grundidee, die das Verstehen des Geschlossenen Handelsstaats eröffnet und ermöglicht, ist, daß die Freiheit oder das absolute Ich nach Fichte keine Substanz ist, die sich ohne Welt realisieren oder überhaupt sein könnte. Nach dem Vorigen ist uns klar, daß das transzendentale Ich und seine Freiheit kein immanentes Objekt der Natur und ihrer Gesetze ist. Aber es ist auch keine transzendente Substanz, die ohne Welt existieren könnte. Das reine Ich ist eine Tätigkeit, die die Welt erkennen muß, um von sich selbst klare Notiz zu erreichen, die Welt nach ihren Zwecken und Kenntnissen zu verändern und sich selbst nach dem Gesetz 79
Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, §§ 64 – 66. Naturrecht, § 3, GA I/3, 347. 81 Fichte: Naturrecht, § 4, GA I/3, 354. 80 Fichte:
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der Freiheit zu verwirklichen. Die Welt ist ein notwendiges Moment seines Selbstbewußtseins, und so werden sie, seine Existenz und seine Form für das Ich im Fichteschen System abgeleitet. Ohne Welt oder gegebene Materialität gäbe es kein absolutes Ich und keine Freiheit. Das möchte ich in diesem Paragraphen erläutern. Im § 5 der Grundlage wird uns der Grund des Herausgehens des Ich aus sich selbst zur Welt als ein konstitutives Moment des Ich selbst erklärt. Das Ich soll aus sich und für sich selbst sein, aus und für sich selbst setzen, „das Princip des Lebens und des Bewußtseyns lediglich in sich selbst haben“82, um ein Ich zu sein. Das Ich soll also nicht bloß sein, sondern auch auf seine eigene Realität reflektieren, um sich ihrer bewußt zu werden. Aber das Ich kann auf sich selbst nicht reflektieren und kein bestimmtes Bewußtsein von sich als etwas Bestimmtem, und zwar als durch sich selbst gesetzt, erreichen, wenn das Ich keine Endlichkeit in seiner Wirklichkeit erfährt und es etwas anderes wirklich nicht beschränkt, da jedes Bewußtsein von etwas als etwas den Gegensatz zu etwas anderem braucht. „Daß dies geschehe, als Faktum, läßt aus dem Ich sich schlechterdings nicht ableiten, wie mehrmals erinnert worden [und insofern ist das Nicht-Ich ein teilweise unbedingter Grundsatz83]; aber es läßt allerdings sich darthun [aus dem Wesen des Ich selbst ableiten], daß es geschehen müsse, wenn ein wirkliches Bewußtseyn möglich seyn soll“84. Wegen dieses wesentlichen Bedürfnisses des Ich, über sich selbst zu reflektieren und sich als Ich zu fassen, geht es aus sich selbst heraus und öffnet sich zur Welt; aber weil es sich ursprünglich als die ganze gültige Realität setzt, unterhält es ein dynamisches Verhältnis oder praktische Wechselwirkung mit dem ihn Beschränkenden, mit der Welt, als Streben nach Kausalität 85. Ohne die Welt, ohne das Andere, wäre das Ich nicht zustande zu bringen, weil es weder eine transzendente noch eine immanente Sache, sondern eine transzendentale Realität oder Tätigkeit ist. Auch bei Kant gäbe es kein Bewußtsein, keine Apperzeption ohne etwas empirisch Gegebenes; die Kategorie der Realität drückt diese transzendentale Forderung aus, so auch die der Substanz, daß in diesem Gegebenen etwas Dauerhaftes ist, etc. Und auch bei Kant ist die Freiheit keine transzendente Substanz, sondern sie soll sich und ihre Zwecke in der Welt verwirklichen, und gerade das drückt das Sollen aus. Diese Öffnung zur Welt soll nicht in ein späteres Moment einer zeitlichen Reihe der Taten gestellt werden; alle Momente des Fichteschen Systems sind als notwendig für das Selbstbewußtsein des Ich abgeleitet, so daß das Ich nicht sein könnte, wenn eines fehlen würde; alle Momente sind mit einem Schlag da, sagt Fichte mehrmals. Das Ich ist darum von Anfang an zur Welt geöffnet und der transzendentale Grund ist im Ich selbst zu finden, das ist der Vorschlag einer idealistischen Philosophie. 82 Fichte:
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre 1794/95, GA I/2, 406. GWL, GA I/2, 264 – 267. 84 Fichte: GWL, GA I/2, 408. 85 „Iene nothwendige Reflexion des Ich auf sich selbst ist der Grund alles Herausgehens aus sich selbst, und die Forderung, daß es die Unendlichkeit ausfülle, der Grund des Strebens nach Kausalität überhaupt; und beide sind lediglich in dem absoluten Seyn des Ich begründet“ (GWL, GA I/2, 408). 83 Fichte:
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Die WLnm beginnt in ihrem § 1 gleich mit diesem idealen und realen Sichsetzen des Ich, das als intellektuelle Anschauung begriffen wird. Aber schon in § 2 wird gezeigt, daß, um sie als solche zu begreifen, das Ich sie etwas anderem entgegensetzen, also sie beschränken soll. Dieses etwas anderes als die intellektuelle Anschauung ist doppelt. Einerseits ist es das Ich selbst, aber als Vermögen, auch andere Tätigkeit tun zu können, betrachtet und hier wird eine Selbstaffektion stattfinden. Andererseits kommt das Nicht-Ich. Dieses Nicht-Ich wird als flexibler Widerstand erscheinen (§ 5), den es gegen die Tätigkeit oder Wirksamkeit des Ich übt und den das Ich fühlt. Dieser Widerstand wird durch die Tätigkeit des Ich nach und nach überwunden und unsere Grenzen werden dadurch erweitert; nur dank dieser nachgebenden Resistenz der Welt in ihrer Materialität wird sich das Ich seiner Kraft und Wirksamkeit und insofern auch seiner Realität und Freiheit bewußt. Von da an fängt das Objektivieren der Welt durch das Ich an, womit das Ich selbst in seinem Leib objektiviert und unter den Gegenständen als ein notwendiges Moment seines Selbstbewußtseins angeschaut wird und erscheinen kann. Das Ich selbst soll Welt, ein Teil der Welt werden. In seiner Wechselwirkung mit dem Nicht-Ich erscheint das Ich selbst als ein Körper, es identifiziert sich mit einem Körper als es selbst seiend, als die Anschauung von sich und nicht bloß als Werkzeug seiner selbst: „Der transcendentale Begriff des Leibes ist: er ist mein ursprüngliches Wollen, aufgenommen in die Form der äusseren Anschauung. Ich und mein Leib; ich und mein Geist heißt daßelbe. Ich bin mein Leib, in wiefern ich mich anschaue, ich bin mein Geist in wiefern ich mich denke. Eins aber kann ohne das andere nicht sein und dieß ist die Vereinigung des Geistes mit dem Leibe. Resultat: Mit der Reflexion auf das reine Wollen ist Anschauung eines Objekts (meines Leibes) verbunden, von der Wahrnehmung deßelben (des Leibes) geht alle sinnliche Wahrnehmung aus. […] Unser Leib ist die ursprüngliche Darstellung unsres ganzen ursprünglichen Wollens“86. In der GNR, die eine besondere Wissenschaft und nicht die WL als solche ist, geht Fichte nicht bis zum ersten Prinzip seines Systems, bis zur intellektuellen Anschauung wie in der WLnm selbst zurück, sondern nur bis zur Wirksamkeit des Ich, die durch das Recht geregelt werden soll. Das Ich soll sich als tätig setzen. Das Ich ist absolut aber unendlich, absolut in der Quelle, in seiner ursprünglichen Realität, in seiner Forderung, aber endlich in der Wirklichkeit, weil es sonst ohne Gegensatz und deswegen seiner selbst nicht bewußt wäre. Wir sind endliche Vernunftwesen und diese Endlichkeit ist der Preis, den wir zu bezahlen haben, um bewußt zu sein. Dann soll sich das Ich auch als eine bestimmte oder begrenzte freie Tätigkeit verstehen, die Wirksamkeit genannt wird. Wegen dieser Beschränkung erscheint die Welt als das Beschränkende oder Entgegengesetzte und die Wirksamkeit des Ich als auf ein Objekt gerichtet, weil die Selbstbegrenzung zu einer bestimmten Tä86 Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo, Kollegnachschrift K. Chr. Fr. Krause, GA IV/3, 454. Im Artikel „Las diferentes funciones del cuerpo en la Doctrina de la ciencia nova methodo de Fichte“ (in: El vuelo del búho. Estudios sobre filosofía del idealismo, Buenos Aires 2014, 115 – 134) habe ich elf Funktionen des Leibes in der WLnm beschrieben.
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tigkeit auch als Fremdbegrenzung notwendig objektiviert wird, als ein System der vom praktischen Ich unabhängigen Objekte. So öffnet sich das Ich selbst zur Welt, zu einer sinnlich angeschauten Welt, um ein Ich werden zu können. Aber das Ich soll immer frei und aktiv erscheinen, sogar und gerade in seiner Gebundenheit an ein Objekt; das wird durch das freie Bilden eines Begriffes, seines Zweckbegriffes, der sein Wollen ausdrückt und seine Wirksamkeit auf die Objekte leitet. Durch diesen Gegensatz und dieses praktische Ringen, durch die Wechselwirkung mit einer sinnlichen Welt, wird erst das Ich seiner selbst bewußt, kann es sich wahrnehmen. „Wollen und Vorstellen [der Welt] stehen sonach in steter nothwendiger Wechselwirkung, und keines von beiden ist möglich, ohne daß das zweite zugleich sey“87. Das Theoretische oder die Intelligenz geht nicht ohne das Praktische oder das Wollen und umgekehrt; es gibt kein Ich vor dieser Wechselwirkung, denn das Ich ist keine transzendente Substanz: „Durch diese Wechselwirkung zwischen Anschauen und Wollen des Ich wird erst das Ich selbst, und alles, was für das Ich (für die Vernunft) ist, d. h. alles was überhaupt ist, möglich. […] Das Anschauen und Wollen geht dem Ich weder vorher noch nachher, sondern es ist selbst das Ich“88. Das Ich ist seine Tat und sein Produkt; zu denken, das Ich sei erst ein bloßes Vermögen zu handeln, ein Substrat seiner Tätigkeit, ist ein (notwendiges) Produkt unserer Einbildungskraft89. Das Ich ist ursprüngliche Offenheit zur Welt, die ja idealiter (als vom Ich erkannt) durch das Ich entstanden ist; der idealistische Philosoph hat zu erklären, wie die ganze Realität und Wirklichkeit für das Ich sei, und dieses kann nur durch die ideelle Tätigkeit des Ich geschehen, weil nur die ideelle Tätigkeit Erkennen hervorbringen kann. Aber das Ich ist kein Gott, der die Welt ex nihilo erschaffen könnte, nur die Auslegung und den Sinn der Umwandlung der Welt kann es aus sich hervorbringen. In den §§ 5 und 6 der GNR wird noch einmal deduziert, daß es nicht nur eine materielle Welt für das Ich geben muß, damit das Ich Ich wird, sondern das Individuum selbst soll Welt werden und sich einen materiellen Leib als eine Sphäre seiner Freiheit und Mittel seiner Wirksamkeit in der Welt zuschreiben. Er ist der Teil der Welt, der unmittelbar unter seinem Einfluß und der Leitung seiner Zweckbegriffe steht, so daß durch ihn das Ich sich in objektiver und realer Wechselbestimmung mit den anderen Objekten befindet, da Wechselbestimmung eine Kategorie ist, die für die Erscheinungen gültig ist. Das ist eine unter mehreren Rollen, die dem Leib in der WLnm zugeschrieben wird. Für diese Rolle muß der Leib beweglich und artikuliert, aber auch ein organisches Ganzes sein, durch Sinne begabt, die die Welt betrachten und die Gesten, Bewegungen und Worte des Anderen wahrnehmen: So kann das Subjekt die Anderen verstehen und als vernünftige Wesen erkennen. Hier leitet Fichte sogar die transzendentale Notwendigkeit ab, daß es Luft und Licht geben müsse, damit diese höhere Mitteilung zwischen vernünftigen Wesen und so Bewußtsein stattfinde. 87 Fichte:
Naturrecht, § 2, GA I/3, 333.
88 Ibidem. 89 Ibidem.
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Die transzendentale Frage hier ist die, welche sich die jungen Fichteaner im Tübinger Stift gestellt haben: „Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?“90. Diese Fragestellung finden wir auch im Zweiten Hauptstück des Systems der Sittenlehre von 1798: „Deduction der Realität und Anwendbarkeit des Princips der Sittlichkeit“91. Hier, und zwar in den §§ 4 – 9, werden die materiellen Bedingungen für die Realisierung der Freiheit erörtert. Insofern verwandelt sich die Freiheit in ein theoretisches Prinzip für die Untersuchung, wie die Welt sein soll, damit die Verwirklichung der Sittlichkeit möglich sein kann92. „Ein Begriff [hier das Sittengesetz] hat Realität und Anwendbarkeit, heißt: unsre Welt […] wird durch ihn in einer gewissen Rücksicht bestimmt“93. Die sittlichen Ideen stellen uns vor Augen, „was wir thun sollen. Aber wir können nichts thun, ohne ein Object unsrer Thätigkeit in der Sinnenwelt zu haben […], weil ich endlich bin“94. Somit setze ich die Welt der Erscheinung als zufällig und durch meine Freiheit modifizierbar, so daß die Freiheit in einem gewissen Sinne der Grund des Zufälligen in der Welt ist. „Das Princip der Sittlichkeit selbst wäre zugleich ein theoretisches Princip“95 (etwas, was bei Kant nicht der Fall war), da das Denken der Freiheit unmittelbar zufolge der intellektuellen Anschauung geschieht, aber das Denken des Objekts mittelbar ist; folglich ist die Freiheit „unser Vehiculum für die Erkenntniß der Objecte“96 und nicht umgekehrt. Ich kann mich nicht als frei denken, ohne mehrere, durch meine Freiheit mögliche Handlungen zu denken; aber diese Handlungen müssen, wie schon in der GNR erwiesen, wegen meiner Endlichkeit gegen etwas anderes außer mir gerichtet werden. „Es ist daher ein ursprünglich gegebener (d.i. durch das Denken seiner Form nach selbst gesetzter) ins unendliche modificierbarer Stoff außer uns: dasjenige, worauf die Wirksamkeit geht; d. h. was in ihr (der Form nach) verändert wird, und selbst doch bleibt, (der Materie nach). […] Die reelle Wirksamkeit [des Ich] wird durch ihn in der That eingeschränkt, auf das bloße Formiren; ausgeschlossen aber vom Erschaffen oder Vernichten der Materie; und daher kommt ihm selbst, so wie allem die reelle Wirksamkeit beschränkenden, Realität zu“97. So versteht sich das 90
Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, in: G.W.F. Hegel: W1, 234. SL98, GA I/5, 73. 92 „[…] daß unsre Freiheit selbst ein theoretisches Bestimmungsprincip unsrer Welt wäre“ (SL98, GA I/5, 77). 93 Fichte: SL98, GA I/5, 73. 94 Op. cit. 75. 95 Op. cit. 78. „Das Vernunftwesen, welches nach dem vorigen Hauptstücke sich selbst als absolut frei, und selbstständig setzen soll, kann dieses nicht, ohne zugleich auch seine Welt theoretisch auf eine gewisse Weise zu bestimmen. Jenes Denken seiner selbst, und dieses Denken seiner Welt geschehen durch denselben Akt, und sind absolut Ein und eben dasselbe Denken; beides integrirende Theile einer und eben derselben Synthesis. – Die Freiheit ist ein theoretisches Princip“ (Op. cit. 82). 96 Op. cit. 85. 97 Op. cit. 88. 91 Fichte:
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Ich als etwas Verschiedenes aber Verbundenes mit dem Objekte, so wie es laut dem für das Bewußtsein transzendental notwendigen synthetischen Gegensatz sein soll, nicht als wäre das Objekt der Grund meiner Handlung, aber doch die conditio sine qua non (das ist die Pointe, die im nächsten Paragraph im Fall des Eigentums anzuwenden ist). Es ist so, weil ich mich nicht als wollend finden kann, ohne mir eine eigene sinnliche Kausalität und eine physische Fähigkeit zuzuschreiben, die Welt zu verändern und ihren Widerstand allmählich zu überwinden, da nur so das Ich Gegensatz und reale Beschränkung findet, die es im reinen Ich nicht gibt. Dadurch entstehen für das Ich die Zeit, der Raum, die Dauer, das teilbare Mannigfaltige. „Das Ich ist als ein wirkliches zu setzen, lediglich im Gegensatze mit einem NichtIch. Aber es ist für dasselbe ein Nicht-Ich lediglich unter der Bedingung, daß das Ich wirke; und in dieser seiner Wirkung Widerstand fühle; der jedoch überwunden werde, indem außerdem ja nicht wirken würde. Nur vermittelst des Widerstandes wird seine Thätigkeit ein empfindbares, eine Zeit hindurch dauerndes […] Mithin – keine Kausalität auf ein Nicht-Ich: überhaupt kein Ich. […] Nicht das Nicht-Ich wirkt ein auf das Ich, wie man die Sache gewöhnlich angesehen hat, sondern umgekehrt“98. Noch eine andere objektive Begrenzung ist notwendig. Der Widerstand der Welt liegt nicht nur in ihrer Materialität, sondern er findet auch statt, indem die objektive Welt anderen Gesetzen als denen der Freiheit, den Gesetzen der Natur, folgt und die Freiheit sich dem anpassen muß, weil sie nur nach ihnen, nach der eigenen Ordnung der natürlichen Mittel, in der Welt handeln kann. Das zwingt die Freiheit, sich auch mit einem bestimmten Körper zu identifizieren, mit ihrem Leib, und sich seiner unmittelbar zu bedienen, da alle ihre Handlungen von ihm anfangen, die Linien ihrer Tätigkeiten aus ihm heraus zu ziehen sind. Dieser Leib muß deswegen ebenso als ein Produkt der Natur und zwar als ein organisches Produkt erscheinen, nur so kann das Subjekt in aktiver Wechselwirkung mit den Objekten der Welt treten. Das bedeutet, die Natur muß sich selbst durch ihren eigenen Trieb, den Bildungstrieb, organisieren. Dieser Naturtrieb mit effektiver Kausalität ist das, was wir als Naturwesen sind und womit die Freiheit rechnen muß, um Wirksamkeit in der Welt zu besitzen. Dieser Naturtrieb oder Bildungstrieb oder Erhaltungstrieb ist für Fichte der Vermittler zwischen Natur und Ichheit, zwischen Naturmechanismus und Freiheit wegen seiner dynamischen Beschaffenheit; er bildet meine Natur und die Objektivität meines Willens sowie meiner Tätigkeit und wird uns hier auch als ein Teil des Urrechtes erscheinen. Wenn das Ich über diesen seinen Naturtrieb reflektiert und zum Bewußtsein erhebt (das soll es tun, um ein Ich zu werden), entsteht zuerst das Sehnen, ein „Gefühl eines Bedürfnisses, das man selbst nicht kennt. Es fehlt uns, wir wissen nicht woran“99. Dann reflektiere ich über mein Sehnen, bestimme und unterscheide es von anderem Sehnen durch sein Objekt. Dieses durch seinen Gegenstand bestimmte Sehnen heißt Begehren. Alle diese Begehren
98 99
Op. cit. 95. Op. cit. 120.
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bilden das Begehrungsvermögen, das niedere, wie Kant es nennt100. Aber mit der Reflexion haben wir die Sphäre der Natur schon verlassen, und wir sind in die der Freiheit eingetreten. IV. Das Eigentum A. Wir haben als Hauptideen, die die Grundlage des Geschlossenen Handelsstaats bilden, schon die Freiheit, den Gesellschaftsvertrag und die Materialität der Welt vom Stoff bis zum natürlichen organischen Trieb kennengelernt. Die letzte Grundidee, die hier zu erwähnen ist, ist die des Eigentums. Das Eigentum ist ein Teil der Welt, der der Freiheit eines Individuums zur Verfügung steht und dadurch seine Freiheit und sein Leben als organisches Wesen möglich macht. Wer jemandem das Recht auf Eigentum abspricht, macht die Freiheit des Anderen unmöglich. Der Gesellschaftsvertrag soll also jedem sein Eigentum sichern, weil sonst keine Freiheit realisierbar und der Gesellschaftsvertrag ungültig und kraftlos oder leer wäre. Aber weil Fichte denkt, aus der Arbeit solle man seinen Lebensunterhalt verdienen, muß der Staat jedem eine Arbeit schaffen. Deswegen ist die Rechtsordnung wesentlich eine Ordnung der Wirtschaft. Die Grundfrage wurde so gestellt: Wie soll die Welt sein, damit ein freies Wesen sich realisieren kann? Oder noch konkreter: „Wie ist eine Gemeinschaft freier Wesen, als solcher, möglich“101? Der Akzent ist auf die Freiheit gelegt, die Alpha und Omega der geistigen Welt und Quelle der Rechte ist, hier freilich konkreter auf die materiellen Bedingungen ihrer Verwirklichung. Die Realisierung der Freiheit in der Sinnenwelt ist das Urrecht, das einen Platz oder ein Eigentum in dieser Sinnenwelt verlangt. Das Urrecht ist das Recht, das im bloßen Begriffe der Person als solcher liegt und in jeder Gesellschaft gültig sein soll, oder wie Fichte es ausdrückt: Auch wenn keine wirkliche, sondern nur eine mögliche Gesellschaft gesetzt wird. Dieses Urrecht ist „das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu seyn (schlechthin nie bewirktes)“102, der freie und letzte Grund des Begriffs ihrer Wirksamkeit, ihres Zweckbegriffs, zu sein. Da der Leib das Ich in der Sinnenwelt ist, muß er letzte Ursache seiner Bestimmungen oder Bewegungen zur Wirksamkeit sein: „Er muß durch eine äussere Ursache weder in Bewegung gesezt, noch in seiner Bewegung gehemmt; es muß überhaupt gar nicht unmittelbar auf ihn gewirkt werden“103. Weil die Person und ihr Leib Gegenstände der Welt für ihre Zweckbegriffe und Tätigkeiten brauchen, sollen diese Sachen ihr zur Verfügung stehen. Das wäre der Grund alles Eigentumsrechts: „Der mir bekannte, und meinen Zwecken […] unterworfene Theil der Sinnenwelt ist ursprünglich […] mein Eigenthum. Niemand kann auf demselben einfliessen, ohne die Freiheit meiner Wirksamkeit zu hemmen. […] Der lezte Grund des Eigenthums 100
Op. cit. 122. Naturrecht, GA I/3, 383. 102 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 404. 103 Op. cit. 405. 101 Fichte:
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an ein Ding ist sonach die Unterwerfung desselben unter unsre Zwecke“104. Das gilt noch unmittelbarer für den Leib selbst und seine Erhaltung, da die freie Verfügung des Leibes und seine Selbsterhaltung im Leben Bedingungen alles andern Handelns und aller Äußerung der Freiheit sind. Recht und Sklaverei sind gegensätzliche Begriffe105. Dieses Urrecht eines jeden soll aber in einem Maße beschränkt werden, daß es der Freiheit und dem Urrecht der Anderen Platz gibt und ein Zusammenleben freier Wesen möglich macht; dies ist der Satz, der alles Rechtsverhältnis bestimmt. Die Selbstbeschränkung des Einen findet also nur rechtmäßig statt, wenn der Andere seine Freiheit gleichfalls beschränkt, außerdem wäre er rechtlos, so „daß das Gesez wegfalle, und gänzlich unanwendbar sey, wenn dies nicht geschieht“106. Das Rechtverhältnis ist gerade dadurch bedingt – im Gegensatz zur Moralität, die immer und in jedem Fall gültig ist. Eine isolierte Person hätte das Recht, ihre Freiheit so weit auszudehnen, als sie kann und will, „weil der Wille etwas zu besitzen, die erste und oberste Bedingung des Eigenthums ist“107. Aber in der Gemeinschaft muß es noch dazu durch die Anderen gegenseitig anerkannt und beschränkt werden. „Wollte sie die ganze Sinnenwelt ihren Zwecken ausschliessend unterordnen, so könnte die Freiheit des ihr nun wohl bekannten Andern nicht dabei bestehen“108, was nicht sein darf. Jeder soll das durch die Anderen anerkannte Seine haben und erst durch diese gegenseitige Anerkennung und ausdrückliche Deklaration über die bestimmten Objekte, die sie haben, wird der Besitz ein Eigentum von bestimmten Gegenständen. Das tun die Individuen gegenseitig in jedem Staat, wo sie leben, und durch diesen Staat mit den anderen Individuen, die in anderen Staaten sind, die in Frieden mit dem eigenen Land stehen (der Krieg ist kein rechtlicher Zustand109). „Das Recht des ausschliessenden Besitz wird vollendet durch die gegenseitige Anerkennung, ist durch sie bedingt und findet ohne diese Bedingung nicht Statt. Alles Eigenthum gründet sich auf die Vereinigung des Willens mehrerer zu Einem Willen [durch den Vertrag]. Ich bin ausgeschlossen von dem Besitze eines bestimmten Objekts, nicht durch den Willen des andern, sondern lediglich durch meinen eignen freien Willen“110 und zufolge des Rechtsgesetzes – so bleibe ich frei. In dieser gegenseitigen Beschränkung und Anerkennung, im Schutz und in der Deklaration oder Bestimmung des Eigentums jedes Einzelnen, besteht für Fichte der Staatsbürgervertrag. In seiner Formel erscheint zwar nicht unmittelbar das Wort „Freiheit“, aber er ist schon im Begriff des Eigentums da. Eigentum bedeu104
Op. cit. 407 – 408. „Die Wörter Sklaverei und Recht widersprechen einander und heben sich gegenseitig auf.“ (Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 278). 106 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 411; siehe auch: Op. cit. 433. 107 Op. cit. 418. 108 Op. cit. 415. 109 Op. cit. 419. 110 Op. cit. 417. 105
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tet für Fichte nicht einen bloßen Besitz von Gegenständen, sondern hauptsächlich Möglichkeiten wirklicher Handlungen, d.i. „das ausschließende Recht auf Handlungen“111. Das ist das Wesentliche für ein Ich, das Tathandlung ist: „Handeln! Handeln! das ist es, wozu wir da sind“112, rief Fichte seinen Studenten in Jena zu. Unser lebendiger Leib und das Eigentum sind wesentliche Bedingungen der freien Handlungen in der Sinnenwelt, also der Freiheit überhaupt: die Grenzen des Eigentums sind die der äußeren Freiheit. Im Eigentumsvertrag wird jedem Einzelnen ein bestimmter Teil der Sinnenwelt als die ausschließliche Sphäre für die Erhaltung seines Lebens und für seine Freiheit zugeeignet113. Kein Rechtsverhältnis ist möglich ohne die positive Bestimmung einer Sphäre in der Sinnenwelt für den Gebrauch der äußeren Freiheit von jedem, „oder, was dasselbe heißt, ohne Bestimmung des Eigenthums im weitesten Sinne des Worts, inwiefern es nemlich nicht etwa nur den Besiz liegender Gründe, oder drgl., sondern Rechte auf freie Handlungen in der Sinnenwelt überhaupt bezeichnet“114. Es ist der allgemeine Wille des Gesellschaftsvertrages, der das Eigentum begründet und garantiert. Rousseau hatte in seinem ersten Discours die Idee verteidigt, daß die Bestimmung des Eigentums durch Privatwillen der Grund für die Ungleichheit unter den Menschen und die ungerechte Ordnung der Gesellschaft gewesen sei. Darum schlägt er vor, daß die Rechte und das Eigentum durch den Gesellschaftsvertrag begründet und bestimmt werden sollen: „daß sich jedes Mitglied mit all seinen Rechten der Gemeinschaft völlig überantwortet. Denn erstens ist die Bedingung für alle gleich, da sich jeder ganz gibt; und da sie für alle gleich ist, hat keiner Interesse daran, sie für die anderen beschwerlich zu machen“115. Deswegen ist „der Staat […] hinsichtlich seiner Glieder durch den Gesellschaftsvertrag, der im Staat als Grundlage aller Rechte dient, Herr aller ihrer Güter“116. Der allgemeine Wille ist der Grund der Rechte und der Gesellschaftsvertrag ist sein Ausdruck, wo diese Rechte formuliert werden. Nach Fichte hat niemand etwas vor dem Vertrag, und jeder erhält sein Eigentum durch ihn117, da der Vertrag die Sphäre des Eigentums eines jeden bestimmen soll, zuerst die Quantität, erst danach die Qualität als Eigentum und beides durch die Relation oder gegenseitige Wechselbestimmung zwischen allen Eigentümern; so kann er die Freiheit aller gewährleisten.
111 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 54 – 55, 85 – 87. Über die Bestimmung des Gelehrten, GA I/3, 67. 113 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 20. 114 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 8. 115 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 280. 116 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 285. 117 „Nach unsrer Theorie kann keiner bei einem Staatsbürgervertrage etwas zubringen, und es geben [wie bei Rousseau], denn er hat nichts vor diesem Vertrage. Die erste Bedingung, daß er gebe, ist die, daß er bekommen habe. Weit entfernt sonach, daß dieser Vertrag sich mit Geben anfangen sollte, hebt er an vom Erhalten“ (Naturrecht, GA I/4, 15). Siehe auch: Handelsstaat, GA I/7, 88. 112 Fichte:
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Der Staat soll also allen ein Eigentum versichern, damit jeder am Leben bleiben und seine Freiheit verwirklichen kann. Wenn jemand ausgeschlossen wäre und ohne Eigentum bliebe, wäre er darum seiner Freiheit beraubt und außer alles Rechtsverhältnis gesetzt, was ein Unrecht wäre, das kein Staat gestatten kann. Das ist in gewisser Weise bereits die Pointe des Geschlossenen Handelsstaats: „der Arme, es versteht sich, derjenige der den Bürgervertrag mit geschlossen hat, hat ein absolutes Zwangsrecht auf Unterstützung“118. Ferner, weil die rechtliche Quelle des Eigentums nach Fichte die Arbeit (die eigene Tätigkeit) ist (es sind aber auch die Schenkung und das Testament zulässig 119), zieht er gleich den Schluß: „Jedermann soll von seiner Arbeit wirklich leben können“120. Deswegen hat jeder, der in den Staatsbürgervertrag einbezogen ist, den Anspruch, eine Arbeit zu haben, und die Gemeinschaft, d.i. der Staat ist verpflichtet, sie ihm zu verschaffen, sonst wird der Vertrag in Hinsicht auf ihn aufgehoben. Eben darum soll der Staat die Produktion, den Handel und die Wirtschaftstätigkeit so wie die Preise und das Geld kontrollieren, um diese Versicherung des Eigentums und der Arbeit jedes leisten zu können. Das ist besonders wichtig für den Außenhandel, der die innere Produktion ruinieren kann. Darum schlägt Fichte schon im Naturrecht, drei Jahre vor dem Geschlossenen Handelsstaat, vor: „Da der auswärtige Handel ein Volk abhängig macht, und auf die gleichmäßige Fortdauer desselben nicht zu rechnen ist, so wäre jedem Staate zu empfehlen, daß er sich einrichte, um ihn entbehren zu können“121. Nicht nur die europäische Politik der Kolonisierung und Ausbeutung oder Versklavung der übrigen Welt wird zurückgewiesen122, eine Politik, die immer zu Kriegen und Handelskämpfen führt; es wird auch die Idee verteidigt, jeder Staat solle ein für sich bestehendes, geschlossenes Ganzes mit einer überwiegenden Autarkie bilden, weil er nur auf diese Weise seine Pflicht erfüllen könne123: „es sey die Bestimmung des Staats, jedem erst das Seinige zu geben, ihm in sein Eigenthum erst einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen“124. Es genügt also nicht eine formale Ordnung der Gesellschaft, wie ein radikaler Liberalismus denken könnte, weil die Freiheit der Materialität für ihre Verwirklichung bedarf, da sie eine transzendentale Handlung und weder eine transzendente Substanz ist, die auch ohne eine gegebene Welt sein könnte, noch eine allmächtige Tätigkeit, die eine eigene materielle Welt ex nihilo zu schaffen vermöchte. Schon Kant hatte diese transzendentale Forderung einer sinnlichen Welt als für die Aufgabe der Freiheit unentbehrlich erachtet, und daß alle guten Willen fordern würden, daß eine Welt existiert, weil nur darin die moralische Bestimmung verwirklicht 118 Fichte:
Naturrecht, GA I/4, 23. Naturrecht, GA I/4, 56 – 47. 120 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 22. 121 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 39; Reden, GA I/10, 271 – 273. 122 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 44. GGZ, GA I/8, 358. Fel, I/10, 271 – 3. 123 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 95 und 114. 124 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 53. 119 Fichte:
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werden kann. Er hat auch behauptet, daß der eigene Leib nicht veräußert werden kann. Aber in seinem eher liberalen Denken war er in der Absicht der Materialität und der rechtlichen Forderung des Eigentums für jeden nicht so weit wie Fichte gegangen (nur bis zur Einrichtung von Armenhäusern), ohne welche das Recht und die Gleichheit keine Verwirklichung hätten. Die Gleichheit soll und kann nach Rousseau nicht rein formal sein: „Unter schlechten Regierungen ist diese Gleichheit nur scheinbar und vorgetäuscht; sie dient nur dazu, den Armen in seinem Elend und den Reichen in seinem angemaßten Besitz zu erhalten. In Wirklichkeit sind die Gesetze immer denen nützlich, die etwas besitzen, und schaden denen, die nichts haben. Daraus folgt, daß der gesellschaftliche Zustand für die Menschen nur in dem Maße von Vorteil ist, in dem alle etwas und keiner von ihnen zuviel hat“125. Deswegen schlägt er vor: „was den Reichtum betrifft, daß kein Bürger so reich sein sollte, um einen anderen kaufen zu können, und niemand so arm, daß er gezwungen wäre, sich zu verkaufen“126. Eine Idee, die Fichte aufgreift: „In diesem Staate sind Alle Diener des Ganzen, und erhalten dafür ihren gerechten Antheil an den Gütern des Ganzen. Keiner kann sich sonderlich bereichern, aber es kann auch keiner verarmen“127. B. Die Planwirtschaft Fichtes hat infolgedessen einen Einfluß auf die soziali stische Bewegung gehabt, z. B. auf Ferdinand Lassalle, den Begründer des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins im Jahre 1863, der ersten sozialistischen Partei Deutschlands, und durch ihn in Spanien auf den jungen Ortega y Gasset128. Aber auch auf Jean Jaurès, den Anführer der französischen sozialistischen Partei, der im dritten Kapitel seiner Dissertation De primis lineamentis socialismi germanici apud Luthero, Kant et Fichte (1890) auf den „Kollektivismus von Fichte“ in seinem Werk Der geschlossene Handelsstaat zu sprechen kamm129. Marianne Weber bezeichnete in ihrem Buch Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin (Tübigen, 1900, 19252) Fichtes Lehre „als ethischen Sozialismus“, als eine erstrebte „Synthese von Kommunismus und Individualismus“130. Auch die sozialistische Richtung des Neukantianismus von Cohen, Natorp und Vorländer können wir hier in Betracht ziehen. Bei der neuesten spanischen Wahl (20. Dezember 2015) war im Programm einer linken Partei, „Izquierda Unida“ (Vereinigte Linke), die hauptsächlich aus der früheren spanischen kommunistischen Partei stammt, die folgende Idee als ihr Hauptvorhaben bestimmt: Wenn sie gewinnen würde und die Regierung bildete, würde sie eine Arbeit (nach und nach, eine Million Arbeitsstel125 Rousseau:
Gesellschaftsvertrag, 287 (Anmerkung). Gesellschaftsvertrag, 311. 127 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 68. 128 Darüber mein Artikel „Ortega und Fichte – Ein Nationen aufbauender Sozialismus“, in: Fichte-Studien 38 (2013), 179 – 200). 129 Jean Jaurès: Les origines du socialisme allemand, hg. von Lucien Goldmann/ François Maspero, Paris 1959. 130 Marianne Weber: Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin, Tübingen, 1900 (19252), 19. 126 Rousseau:
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len pro Jahr) für die, die keine weder im öffentlichen noch im privaten Sektor haben, verschaffen (Spanien hat jetzt eine Arbeitslosenquote von 17,6 %), da der Staat eine würdige Arbeitsstelle für jeden gewährleisten sollte. Diese Partei akzeptiert die Marktwirtschaft und übernimmt ausdrücklich die Idee des guaranteed word oder der job guarantee von Hyman Minsky, jedoch nur als einen Teil der Volkswirtschaft neben dem Privatunternehmen. Die Idee, daß der Staat und die Gesellschaft sich nicht nur um die formale Gleichheit der Bürger, sondern auch um die materiellen Bedingungen ihres Lebens kümmern sollten, weil sonst das Recht und die Freiheit nicht zu verwirklichen sind, scheint immer noch gültig zu sein, nicht aber vielleicht alle Maßnahmen, die Fichte dafür vorschlägt. Im 20. Jahrhundert wurde die Idee des Wohlfahrtsstaates immer stärker und weithin akzeptiert, wenige aber werden noch eine totale Zentralplanwirtschaft als bestes Mittel empfehlen, um die sozialen Probleme zu lösen. Der Fall der Berliner Mauer zeigte auf der einen Seite, daß der Staat nicht alles kon trollieren und planen sollte, daß dies weder für die Freiheit noch für die Wirtschaft günstig ist. Auf der anderen Seite haben aber der Fall von Lehman Brothers und die folgende Krise bewiesen, daß eine zu schwache öffentliche Regulierung und Überwachung des Handelns, und zwar auf der nationalen und internationalen Ebene, die Lage verschlimmert und uns zwingt, die „Anarchie des Handels“ aufzuheben, wie Fichte es tun möchte131. Es scheint also eine Mischung oder Synthese beider Richtungen, von öffentlicher Kontrolle oder Sorge und privater Initiative oder individueller Bemühungen, das beste Mittel für die Freiheit und die Wirtschaft zu sein, so daß die heute übliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien nicht um Ja oder Nein geht, sondern darum, inwieweit jede Richtung gestärkt werden soll, weil diese Grenze je nach der Situation immer schwingend (oder schwebend, wie die Einbildungskraft) sein wird. Ferner wird heute, in der Zeit der Globalisierung, kaum jemand die Auffassung verteidigen, daß ein Staat juristisch, politisch und wirtschaftlich geschlossen sein soll, außer vielleicht Nordkorea, das uns nicht gerade ein gutes Beispiel liefert. Die Fichtesche Frage war aber richtig: Wie kann man einen wirtschaftlich gerechten Staat in einer Umgebung, die wirtschaftlich ungerecht, anarchisch und feindlich gesonnen ist, errichten? „Es entsteht zu der feindseligen Tendenz, welche ohnedies alle Staaten gegen Alle wegen ihrer Teritorial-Grenzen haben, noch eine neue um das Handels-Interesse; und ein allgemeiner geheimer Handelskrieg“, stellt Fichte mit Recht fest. „[…] Das streitende Handels-Interesse ist oft die wahre Ursache von Kriegen, denen man einen andern Vorwand giebt“132. Wie kann man sich sowohl gegen die reichen Länder, die bessere Produkte liefern, als auch gegen die niedrigen Preise von Gütern der armen Länder, weil ihre Arbeiter manchmal wie Sklaven behandelt werden, schützen? Nur wenn der Staat sich gegen das Ausland auch wirtschaftlich mit verschiedenen Mitteln verteidigt. So denken viele Länder 131 Fichte: 132 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 95. Handelsstaat, GA I/7, 106.
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aus verschiedenen Gründen; auch die Linken, die den neokolonialen Charakter der heutigen Globalisierung kritisieren. Brot und Arbeit für alle Menschen auf der Erde, bleibt das nicht eine moralische und rechtliche Forderung in unserer Welt, in der die Ungleichheit wächst? Fichte freilich hat die kreative Kraft des freien Marktes und der Konkurrenz bzw. des Antagonismus, wie Kant sie nannte133, für die Freiheit und für die Wirtschaft verkannt134, so wie er die des Austausches zwischen den Ländern (er hat vor allem seine negative und räuberische Wirkung in seiner Umgebung gespürt, die es tatsächlich gab und gibt) verkannt hat. Ebenso mag man sagen, daß er die unvermeidliche Korruption, die eine zentrale Macht, wie er sie fordert, unweigerlich mit sich bringt, nicht gesehen hat, wie er umgekehrt die wirtschaftlichen und kulturellen Vorteile ignorierte, die der Tourismus erzeugt (auch mit einigen negativen Effekten, die zu kontrollieren und zu vermeiden sind), der zu Fichtes Zeit freilich mit der Grand Tour der jungen englischen Aristokraten erst ganz am Anfang stand. Eigentlich ist die Vernunft, die im Horizont der Universalität des Begriffes lebt und sich bewegt, kosmopolitisch. Das zeigt schon jede Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die immer von „allen Menschen“ spricht. Die ganze Welt sollte ein gerechtes Ganzes bilden, einbeziehend alle vernünftigen Wesen: Das ist das Ideal der reinen Vernunft oder des absoluten Ich, das über alle Grenze hinaus treibt135. So ist es unmittelbar in der Moralität. Aber die Politik ist gezwungen, auf die empirische und historische Lage jedes Volkes, auf seine Begrenzungen Acht zu haben und nicht ein Ideal unmittelbar realisieren zu wollen, das nicht in unserer Macht liegt, vielmehr aber allmählich eine vernünftige politische Ordnung in der wirklichen Welt klug voranzutreiben versuchen. Solange die Staaten getrennt sind, sollte jeder für sich allein auch wirtschaftlich und nicht nur juridisch abgesondert bleiben, das denkt Fichte136. Das ist der Sinn auch seines Nationalismus in den Reden an die deutsche Nation: Jeder soll mit seiner Nation anfangen, die vernünftige Umwandlung auszuführen, um danach die ganze Welt zu erhellen und zu befreien. Der Nationalismus soll eigentlich ein Mittel, ein Zwischenschritt in der Realisierung des universellen Vernunftreiches in der Welt sein137.
133 Immanuel Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA VIII, 20 – 22. 134 In der Sittenlehre von 1812 läßt Fichte dem Privatunternehmen und Investieren mehr Raum im Interesse des wirtschaftlichen Fortschritts. 135 „Friedrich von Raumer schreibt seinem Bruder Karl 1806: ‚Fichte’s geschlossener Handelsstaat ist nichts – oder Universalstaat; denn nach S. 13 erhalte ich Eigenthum nur durch Verzichtleistung aller. Ist der Handelsstaat geschlossen, d.h. sind andere ausgeschlossen, so werden deren Ansprüche nie aufhören‘“ (Handelsstaat, GA I/7, 26, siehe auch 30). 136 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 95. 137 Mehr in meinem Aufsatz „Nationalisme et cosmopolitisme“, in: Fichte et la politique, Monza 2008, 325 – 345.
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Literatur Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre 1794/95, in: ders.: Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart/Bad Cannstatt 1962 – 2012, GA I/2. – Über die Bestimmung des Gelehrten, GA I/3. – Grundlage des Naturrechts, GA I/3. – Das System der Sittenlehre 1798, GA I/5. – Der geschloßne Handelsstaat, GA I/7. – Ueber das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit, GA I/8. – Ueber Machiavell als Schriftsteller, GA I/9. – Reden an die deutsche Nation, GA I/10. – Practische Philosophie, GA II/3. – Nachgelassene Schriften, GA II/4. – Ascetik als Anhang zur Moral, GA II/5. – Wesen der Thiere, GA II/5. – Nachgelassene Schriften, GA II/7. – Nachgelassene Schriften, GA II/9. – Nachgelassene Schriften, GA II/10. – Nachgelassene Schriften, GA II/13. – Nachgelassene Schriften, GA II/16. – Briefe, GA III/2. – Briefe, GA III/4. – Vorlesung über die Moral SS 1796, GA IV/1. – Kollegnachschriften, GA IV/2. – Kollegnachschriften, GA IV/3. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, in: ders.: Werke, Bd. 1, Frankfurt 1979. Jaurès, Jean: Les origines du socialisme allemand, hg. von Lucien Goldmann/François Maspero, Paris 1959. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (B), in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. III, Berlin 1900 ff. – Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV. – Kritik der practischen Vernunft, AA V. – Kritik der Urteilskraft, AA V. – Metaphysik der Sitten, AA VI. – Über den Gemeinspruch, AA VIII. – Zum ewigen Frieden, AA VIII. – Idee zu einer allgemeinen Geschichte, AA VIII.
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Rosales, Jacinto Rivera de: „Los dos conceptos del mal moral. De La Religión (1793) de Kant a la Ética (1798) de Fichte“, in: Signos Filosóficos 18 (2007), 9 – 40. – „Nationalisme et cosmopolitisme“, in: Fichte et la politique, Monza 2008, 325 – 345. – „Ortega und Fichte – Ein Nationen aufbauender Sozialismus“, in: Fichte-Studien 38 (2013), 179 – 200. – „Las diferentes funciones del cuerpo en la Doctrina de la ciencia nova methodo de Fichte“, in: El vuelo del búho. Estudios sobre filosofía del idealismo, Buenos Aires 2014, 115 – 134. Rousseau, Jean-Jacques: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlage der Ungleichheit unter den Menschen, in: ders.: Sozialphilosophische und politische Schriften, München 1981. – Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, in: ders.: Sozialphilosophische und politische Schriften, München 1981.
Erfahrungen und Theorien wirtschaftlichen Handelns um 1800 in Deutschland oder die Abwesenheit „marktwirtschaftlicher“ Begrifflichkeit Jürgen Stahl Erfahrungen und Theorien wirtschaftlichen Handelns um 1800 in Deutschland oder die Abwesenheit „marktwirtschaftlicher“ Begrifflichkeit Erfahrungen und Theorien wirtschaftlichen Handelns um 1800 in Deutschland
I. Eine Interpretation des Textes von Fichte mit heutigen Begrifflichkeiten, erst recht aus einer dominanten anglo-amerikanischen Ökonomieperspektive und ohne Analyse der historischen Gegebenheiten, führt m.E. zu einer „schiefen“ Perspektive, gar zu falschen Urteilen. Schließlich sind die meisten der uns heute geläufigen Begriffe aus einer gegenüber Deutschland um 1800 völlig gewandelten sozialökonomischen und politischen Daseinsweise erwachsen. Oder anders gesagt: Die ihnen zugrunde liegenden Praxen waren noch nicht in die Wirklichkeit getreten und führten, sofern überhaupt schon in theoretischen Überlegungen präsent, noch eine eher marginale Rolle. Entsprechende Wertungen aus heutiger Sicht, in denen der „Handelsstaat“ und dessen „Nichterfüllung“ zum Beleg für die Kontroverse der Ideen von Planung versus Markt/Freiheit genutzt wird, werden nach meiner Auffassung dem Anliegen des in damaliger Perspektive verfertigten Entwurfs nicht gerecht. Statt dessen scheint es mir bedenkenswert, daß Fichte mit seinen Überlegungen sofort und konsequent aus der kameralistisch eingehegten Gedankenwelt „policeylich“ organisierter, spätabsolutistisch-paternalistischer Herrschaft ausbricht. Er entwarf mit Rousseau und Kant das Bild eines sich selbst organisierenden Gemeinwesens, dessen Zweck ökonomisch darin besteht, ein auskömmliches Leben aller Arbeitenden zu sichern, Armut und Mangel auszuschließen. Statt des aristokratischen Geburtsprinzips ist das bürgerliche Leistungsprinzip gesetzt. Das impliziert, daß ein jeder als ein produktives Mitglied der Gesellschaft agiere. Aus dieser Rolle speist sich die individuelle moralisch-politische wie ökonomisch-soziale Verantwortung und damit die Handlungsfähigkeit in Bezug auf ein soziales Ganzes. Schließlich war es Fichtes Ziel, die Freiheit der Individuen auf der Basis damaliger Erfahrungen und Theorien zu stärken1.
1 In diesem Sinne auch der Einwurf Reinhard Lauths, vgl.: „[Diskussion zu] Hans Hirsch: Fichtes Beitrag zur Theorie der Planwirtschaft und dessen Verhältnis zu seiner praktischen Philosophie“, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, hg. v. Klaus Hammacher, Hamburg 1981, 231.
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Dabei war der Gedanke des vorhersehend-eingreifenden Handelns des aufgeklärten Souveräns in der Kameralistik ausgeformt und praktisch-politisch wie theoretisch in Deutschland herrschend. Dagegen stand die Deutung des „Marktes“ als einer Instanz, welche die scheinbar unabhängig von den sozialen Grundlagen agierenden wirtschaftlichen Akteure in ihrem Wirken vermittelt, zur „Naturbedingung“ bürgerlich-kapitalistischen Handelns erst am Anfang einer sich ausbildenden Theorietradition 2. Die gesellschaftliche Dominanz einer Marktkoordination als Voraussetzung und Bedingung eines solchen Denkens war im deutschen Wirtschaftsraum nur marginal erfahrbar und der zeitgenössischen Wirtschaftspolitik in den deutschen staatlichen Gebilden praktisch fremd3. II. Ohne Zweifel ist Fichtes „Handelsstaat“ Teil einer „intellektuellen Aufregung“, in der das „Phantasma“ „Wirtschaft“ in der Rezeption von Smith’ Wealth of Nation entdeckt wurde4. Doch bleibt in einer solchen vorrangig ideengeschichtlichen Perspektive unaufgedeckt, warum sich mit diesem Diskurs ein neues Feld theoretischer Auseinandersetzung etablierte. Zumal die Intention Fichtes keineswegs darin bestand, sich aus der geschichtlichen Welt zurückzuziehen. Fragt man danach, auf welche sozialpolitischen und ökonomischen Erscheinungen Fichte reagierte und 2 Deshalb halte ich es für unangemessen, die sich mit dem Marktbegriff verbindenden Vorstellungen zur Wertung von Fichtes ökonomietheoretischen Überlegungen heranzuziehen, da dieser erst Anfang der 1930er Jahre in der Freiburger Schule bei Franz Böhm (Der Kampf des Monopolisten gegen den Außenseiter als wettbewerbsrechtliches Problem, Berlin 1933) und dem der historischen Schule nahe stehenden Arthur Spiethoff (Boden und Wohnung in der Marktwirtschaft, insbesondere im Rheinland, Jena 1934, 9) eingeführt wurde. Bedeutungsgleich wurde zunächst der Terminus „Verkehrswirtschaft“ durch Max Weber und später Walter Eucken (Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940, 103 ff.) verwandt. Erst mit dem Theoriemodell des sozialliberalen Staates in den 50er Jahren des 20. Jh. setzten sich die Vorstellungen von der ,Marktwirtschaft‘ als Entgegensetzung zum ,realsozialistischen‘ Planwirtschaftsmodell im transatlantischen Raum durch. 3 Das zeigen zum Beispiel die kameralistisch geprägten Veröffentlichungen der ,Leipziger ökonomischen Societät‘, die wesentlich zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg Sachsens nach dem 7-jährigen Krieg beitrug. (Vgl.: Schöne, Andreas: „Die Leipziger ökonomische Societät“, in: Katharina Middell/Matthias Middell/Ludwig Stockinger (Hg.): Sächsische Aufklärung. Leipzig 2001, 82; Eberhard Schulze: 250 Jahre Leipziger Ökonomische Societät. Der Beitrag der Leipziger ökonomischen Societät und ihrer Mitglieder und Ehrenmitglieder zur Entwicklung von Pflanzenernährung und Düngung von 1764 – 1866, Aachen 2013). 4 Susan Buck-Morss: Hegel und Haiti. Für eine neue Universalgeschichte. Berlin 2011, 16. Zum Unterschied zwischen Merkantilismus als einem „Handelsdiskurs“, in dessen Zentrum die „Außenwirtschaftslehre“ zur Erzielung einer positiven Handelsbilanz steht, und dem stärker „produktionsorientierten“ Kameralismus vgl.: Thomas Simon: Merkantilismus und Kameralismus. Zur Tragfähigkeites des Merkantilismusbegriffs und seiner Abgrenzung zum deutschen „Kameralismus“, in: Moritz Isenmann (Hg.): Merkantilismus. Wiederaufnahme einer Debatte, Stuttgart 2014, 65 – 82.
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in welche Konstellationen er mit seinen Ideen eingreifend wirken (oder zumindest „nützliche und anwendbare Erfindung“ raten) wollte5, so ist es empfehlenswert, sich das kaiserliche Reich um 1790/1800 in seinen Widersprüchen konkreter vor Augen zu führen. Bis 1806 existiert Deutschland noch immer als ein politischer Flickenteppich von 314 Territorien und Städten und 1475 freien Rittertümern. Den Klein- und Kleinststaaten6 mit ihren Sonderinteressen stehen nach der Ersten Teilung Polens 1772 die Großmächte Preußen und Österreich mit ihrem die deutsche Politik bis 1866 prägenden Dualismus zur Seite. Die strikte Trennung der Stände ist mit den damit sich verbindenden Privilegien auch im 1794 eingeführten „Allgemeinen Preußischen Landrecht“ festgeschrieben. Der dünnen städtischen Oberschicht, die ihre „Honoratiorenstellung“ durch „Kastenbildung zu wahren“ sucht7, steht zum einen ein Kleinbürgertum gegenüber, dessen wirtschaftliches Überleben täglich in Frage gestellt ist. Zum anderen existieren die breiten „Unterschichten“, die weder über Eigentum noch ein regelmäßiges Einkommen verfügen und Opfer geringster Lohn- und Preisschwankungen sind. ⅘ der ländlichen Bevölkerung haben in ihren „Kümmerwirtschaften“8 kein Auskommen, die Naturalwirtschaft ist domi5 Fichtes Schrift Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik wird im folgenden zitiert nach der Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth u.a., Stuttgart – Bad Cannstatt 1962 ff., dort Bd. I, 7: Werke 1800 – 1801, unter Mitwirkung von Erich Fuchs und Peter K. Schneider, hg. von Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988, hier: GA I/7, 44. 6 „Kleinstädterei“ wird von Fichte dem Zeitgeist gemäß zur Charakterisierung sich historisch überlebter Positionen gegen Biester genutzt, weil der sich nicht auf die Argumentationshöhe der transzendentalen Philosophie erheben könne, sondern er sich nur seine „Particularia […] zu bekümmern“ suche, „Ignoraz alles ausserkreislichen“, was nicht in seinen Gesichtskreis fällt. (Fichte: Ueber Kleinstädterei, GA II/5, 515/516). 7 Horst Moritz: „Goethes Lebenswelt. Zwischen ‚aufgeklärtem‘ Absolutismus und Restauration“, in: Marina Moritz (Hg.): Goethe trifft den gemeinen Mann. Alltagswahrnehmungen eines Genies. Köln/Weimar/Wien 1999, 25. Die Problemstellung der Ausbildung einer „Neuständischen Gesellschaft“ als „eigenständige historische Figuration zwischen der Krise der altständischen Ordnung und der Formierung der fabrik-industriellen Klassengesellschaft“ trifft für die Gedankenwelt Fichtes nur bedingt zu, insofern sich die protoindustrielle Familienwirtschaft im Erfahrungsumfeld Fichtes bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Strumpfwirkerei in Apolda und Weimar bis 1797, die Luxusgüterproduktion Bertuchs in Weimar) kaum ausgebildet hat. Er reflektierte eher den Gegenpol der noch weitgehend lokal produzierenden Familienbetriebe im sächsisch-thüringischen und preußischen Raum, die durch „wohlfeileren“ ausländischen Konkurrenz bedrängt wurden. Insofern ist ihm auch der „Konsum“ als Faktor der „ökonomisch-kulturellen Integration“ eher suspekt. (Vgl.: Stefan Krätke: VIDRINIA Projekt: http://www.kuwi.europa-uni.de/de/lehrstuhl/kg/neuzeit/ Professurinhaber-/Forschung/index.html Neuständische Gesellschaft im globalen Kontext (1750 – 1830/40). 8 Horst Moritz: „Goethes Lebenswelt“, a. a. O. 119; vgl.: Peter Brandt: An der Schwelle zur Moderne. Deutschland um 1800 (Teil 1), Bonn 1999, 8; zur Situation in Fichtes Heimat
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nierend. Geldvermittelte Warenbeziehungen sind weitgehend auf den städtischen Handel beschränkt, ansonsten eher unentwickelte Ausnahme, wenn Verleger oder Gutsbesitzer über den lokalen Markt hinaus, gar für den Export aktiv werden und Importeure für den Luxusbedarf von nichtlokalen Anbietern Waren einkaufen. Außerordentlich hemmend wirken sich die vielen Zollschranken und das kaum zu übersehende Münz- und Maßsystem aus; jeder Geldwechsel bedeutet praktischen Verlust9. Diverse Hungersnöte infolge von Mißernten und Kriegen (1770/72, 1792/93, 1800/01), ein außerordentliches Bevölkerungswachstum mit seinen komplexen Folgen (1750 ca. 17 Mio. / 1800 ca. 25 Mio. Einwohner) und die Steigerung der Kornpreise bei weitgehend gleicher Produktivität, führen zur Verarmung weiter Bevölkerungsteile. Rund 10 % der Bevölkerung sind Bettler, Vaganten etc.10 Hinzu kommt die angedeutete fortschreitende Verelendung der Unterschichten. Die Reformen von Joseph II. und Friedrich II. sind ebenso Ausdruck für die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe, um die Stabilität des Systems zu sichern wie die in Weimar 1763 erfolgte Festsetzung von Preisen für Lebensmittel, Holz, Licht sowie Löhne, die 1776 eingeführte Almosenkasse zur Armenfürsorge und eines Bettelstatuts oder die 1801 erfolgte Einrichtung eines Arbeitshauses zur Unterstützung bedürftiger Bürger in Jena11. Neben dem Problem der Nahrungsmittelversorgung vgl.: Eberhard Hartstock/Peter Kunze: Die Lausitz zwischen Französischer Revolution und Befreiungskriegen, Bautzen 1979, 8 ff.; Alexander Schunka: „Die Oberlausitz zwischen Prager Frieden und Wiener Kongreß (1635 – 1815)“, in: Joachim Bahlke (Hg.): Geschichte der Oberlausitz, Leipzig 2001, 169 ff.; zu den sozialen Differenzierungen im Gefolge des enormen Bevölkerungswachstums zwischen Bauern und Bandwebern, deren Tätigkeit nicht von Grund und Boden abhängig, nicht zunftgebunden, aber weitgehend auf lokale Bedürfnisbefriedigung gerichtet war, vgl.: Bernd Schöne: Kultur und Lebensweise Lausitzer Bandweber (1750 – 1850), Berlin 1977, 18 ff. 9 Speziell in der Phase, da er seinen Bruder unterstützte, kommen die Probleme zur Sprache. So sandte er Geld an diesen, konnte jedoch die „Laubethaler“ nicht günstig wechseln (vgl. Fichte an Bruder Samuel Gotthelf, 15. Okt. 1798, GA III/3, 151). Und in einem der nächsten Briefe: „Es kann sich kein Mensch vorstellen, welche Noth hier um Gold, Species thlr. [Thaler] und 20 Xer [Kreuzer] ist. Die Louisdors stehen 5 r. 21 g! – Wechsel sind nach Dreßden […] nicht aufzutreiben. […] Ueberhaupt, – plagt mich das Geldschiken bloß um der nicht beizutreibenden Geldsorten willen […]“ (Brief Fichte an Bruder Samuel, 18. Nov 1798, GA III/3, 159). 10 Siehe: Horst Moritz: „Goethes Lebenswelt“, A. a. O. 29; zur demographischen Situation in Jena um 1800 siehe: Klaus Ries: „Zur Jenaer Bevölkerung um 1800. Ein Problem aufriss“, in: Ries, Klaus (Hg.): Zwischen Universität und Stadt. Aspekte demographischer Entwicklung in Jena um 1800 (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte; Bd. 7), Weimar 2004, 7 ff. 11 Eine Armenliste der Stadt Jena von 1786 führt auf: 22 Personen, die „bey der Armenbüchse“ partizipieren; Unterstützung erhalten zudem 107 Personen (Jenaer Stadtarchiv, Sigl BXIVc, Nr. 4, 22 und 60); im September 1787 werden drei Armendiener statt eines Bettelvogts eingestellt (B IVd, 38, 26 R: Publicandum Jena 19. September 1787); 1793 findet sich der „Plan zu einer zu errichtenden Caße für arme und hülfs=bedürftige Bürger“
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gab es gleichsam eine „Energiekrise“, in Gestalt der praktisch nicht ausreichenden wie für viele nicht erschwinglichen Bereitstellung von Brennholz für den privaten und gewerblichen Gebrauch. Zugleich war die mitteldeutsche Region traditioneller Holzlieferant für Holland, England und Nordeuropa. Kurz gesagt: Es war das für jedermann offensichtliche Auseinanderdriften der Gesellschaft, in der die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Armut vegetierte12. Das Gefüge der überlieferten Lebenswelt mit ihren spätabsolutistischen Strukturen zerbrach; die Versorgung der rapide verelendeten Unterschichten stand als Dauerproblem vor dörflichen Gemeinden, Städten und staatlichen Gebilden, während die vermögenden Angehörigen des Adels mit Luxuswaren aus England und Frankreich ihrem Stand Ausdruck verliehen. Das gilt auch für das Herzogtum Sachsen-Weimar, das man sich aus heutiger Perspektive keineswegs idealisiert vorstellen darf. Man nehme nur Goethes Gedicht „Ilmenau am 3. September 1783“ zur Kenntnis, in dem er die von Herzog Carl August betriebene rücksichtslose Auszehrung des Landes anprangerte13. Zudem drangen durch die partielle Verdichtung europäischer Marktbeziehungen „wohlfeilere“ Waren aus anderen europäischen Ländern ein und verdrängten lokale Produzenten. Wie sehr man sich davon betroffen sah, ist daran zu ermessen, daß Preußen 1798 – 1800 nicht der von Großbritannien initiierten Zweiten Koalition beigetreten war, jedoch 1800/01 der „Bewaffneten Neutralität“, in der Rußland, Preußen und Dänemark gemeinsam mit Frankreich gegen die sogenannte „Handelsdespotie“ Englands agierten. Die wirtschaftliche Vormachtstellung Großbritanniens prangerte Hardenberg 1805 derart an, daß er es zum „gefährlichsten Feind des Kontinents“ erklärte14. III. Bedenkt man die wirtschaftspolitischen Umstände jener Zeit, dann sind zunächst Fichtes eigene soziale Erfahrungen bis 1800 an unterschiedlichen Orten in Deutschland und in der Schweiz in Betracht zu ziehen. So war die Zeit bis zu seiner Berufung an die Universität Jena zumeist durch dürftige Mittel, die er un(B XIVd, 10a). Grundsätzlich zur Armut in jener Zeit vgl.: Wilhelm Abel: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland, Göttingen 1986; zur Sozialstruktur in Jena vgl.: Katja Deinhardt: Stapelstadt des Wissens: Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln/Weimar/Wien 2007, 23 ff. 12 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. 1. Bd.: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700 – 1815, München 2006, 193; in Berlin erhielten nach dem 7-jährigen Krieg „nicht selten ein Drittel der Stadtbevölkerung Armenunterstützung“. (Ebd. 197). 13 J.W. Goethe: Ilmenau am 3. September 1783, in: Goethes Werke, hg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, 2. Bd., Weimar 1888, 141 – 147. 14 Zitiert nach: Brendan Simms: „Insulare und kontinentale Politik: Hardenberg und England, 1795 – 1815“, in: Thomas Stamm-Kuhlmann (Hg.): Freier Gebrauch der Kräfte. Eine Bestandsaufnahme der Hardenberg-Forschung, München 2001, 65.
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terstützend erhielt, bestimmt. Fielen diese weg, blieben ihm nur Bettelbriefe15. Die Schriftstellerei schien ihm bei seinen verschiedenen Versuchen, zu einem einträglichen Erwerb oder einer Anstellung zu kommen, die aussichtsreichste Möglichkeit16. Gegen die Raubdrucke, welche die Früchte auch seiner literarischen Arbeit zu schmälern drohten, schrieb er seinen Aufsatz zur „Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“ 1793. Literarisch zu arbeiten und daraus Gewinn für den Lebensunterhalt zu ziehen, war ein Problem, das ihn zeitlebens begleitete. Darüber hinaus machte er 1798/99 kurzzeitig weitere begrenzte wirtschaftliche Erfahrungen, versuchte er doch zusammen mit einem seiner Brüder die heimische Bandweberei voranzubringen17. Das schlug sich im „Handelsstaat“ unter anderem in seinen Überlegungen zur Ablösung der Baumwolle durch heimische Rohstoffe nieder18. Dieser sozialhistorische Erfahrungsraum Fichtes wird gleichsam überdeterminiert durch das Erleben herrschaftlicher „Staatswirtschaft“ in den verschiedenen deutschen Landen wie auch der Schweiz. Dem stehen desweiteren wirtschaftspolitische Erfahrungen der Reformen unter Josef II. in Österreich zu Seite, der den Handel im Innern freigab, ausländische Waren mit hohen Zöllen belegte und die Ausfuhr von Rohstoffen verbot. Zu bedenken sind auch die Erfahrungen der nordamerikanischen Kolonien. Die von Samuel Adams initiierte „Non-Importation Association“ (1768) fand mit der durch den Continental Congress etablierten „Continental Association to pledge nonimportation and nonconsumption of British goods“ (1774) ihre Weiterführung im konsequenten Abschotten gegenüber Großbritannien. Der Erfolg war durchschlagend, nicht nur in dem Sinne, daß der nordamerikanische Markt für englische Waren weitgehend wegbrach und sich die einheimische Produktion und ein darauf basierender Handel etablieren konnte, sondern ebenso im Hinblick auf die daraus resultierenden verschärften politischen Auseinandersetzungen, die mit zum Unabhängigkeitskrieg und zur Konstitution der Vereinigten Staaten führten19. 15 Fichte: Brief an M.J. Rahn 14./15. Mai 1790 (GA III/1, 115): „… keinen einzigen Freund habe ich mehr hier [in Leipzig- JS] gefunden. […] Kurz, ich bin in Verlegenheiten, wie ich noch nie darinne war. Ich sehe nichts vor mir, als Unannehmlichkeiten, Prostitution, Verfall, wenn mir nicht geholfen wird, wenn du mir nicht hilfst …“. 16 Ebd. 114; ähnlich am 20. Juni 1790 an Samuel Gotthelf Fichte (GA III/1, 139 f.). 17 Vgl.: Fichtes Brief an Bruder Samuel, 18. Nov 1798, GA III/3, 158 – 164; hierzu: Jürgen Stahl: „Johann Gottlieb Fichte in Leipzig“, in: Leipziger Blätter 65 (2014), 21. 18 Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 132/133 (Anmerkung). 19 Vgl.: Timothy H. Breen: The Marketplace of Revolution: How Consumer Politics Shaped American Independence, New York 2004, 94 ff. Immanuel Wallerstein: Die große Expansion. Das moderne Weltsystem III. Die Konsolidierung der Weltwirtschaft im langen 18. Jahrhundert, Wien 2004, 328, 338, 360. In der Berlinischen Monatsschrift von 1794, 23. Bd., findet sich neben dem „Erweis, daß die Kolonieen einem Mutterlande nicht soviel Vortheil einbringen, als man gemeiniglich annimmt. Von dem ehemaligen Französischen Finanzminister Turgot. Geschrieben im April 1776.“ (März 1794, 264 – 276) die folgende Veröffentlichung: „Bericht des Staatssekretärs Jefferson über den Handel der Vereinigten Staaten von Nordamerika“, in dem die englischen Restriktionen gegen amerikanische
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In jener Zeit gab es aber auch andere wirtschaftspolitisch veranlaßte Effekte, die in ihrer Widersprüchlichkeit zugleich Alternativen eröffneten. So ergaben sich für kontinental agierende Unternehmer, z. B. für Brockhaus, die Möglichkeit, sich auf dem europäischen Markt frei von Einflüssen der Konkurrenz aus Übersee forciert zu entfalten, als England nach der Kriegserklärung von 1793 begann, den Seehandel Frankreichs zu blockieren 20. Dagegen mußte die sächsische Textilproduktion nicht nur den Wegfall englischer Rohstofflieferungen kompensieren, sondern ebenso den Ausfall der über Spanien abgewickelten Exporte nach Südamerika. Mittelbar gehörte zum „Erfahrungsraum“ auch das Modell einer funktionierenden urchristlich organisierten Gemeinschaft: Die Kolonie der Jesuiten in Paraguay. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine mögliche Kenntnis zu unterstellen ist. In der Berlinischen Monatsschrift (1794) findet sich unter dem Titel Paraguai und Paris ein Bericht über das durch Jesuiten Anfang des 17. Jahrhunderts organisierte und bis Mitte des 18. Jahrhunderts existierende Gemeinwesen21. Wesentlich in dem hier behandelten Zusammenhang scheint mir, daß Informationen zu dessen Organisation, insbesondere zur Gleichheit der Mitglieder, vorgestellt wurden. Wenngleich die daraus resultierende Struktur aus einer konservativen Perspektive in einem negativ konnotierten Zusammenhang betrachtet wurde, so zeigt die Darstellung aber die Präsenz der Paraguayischen Gemeinschaft in Medien an. Foucault sieht in der Paraguayischen Gesellschaft das „außergewöhnlichste Beispiel“ für die Ausbildung eines „Heteropie“-Modells. Diese „stellen alle anderen Räume in Frage […]: entweder wie in den Freudenhäusern […], indem sie eine Illusion schaffen, welche die gesamte übrige Realität als Illusion entlarvt oder indem Waren und Schiffe und die dadurch verursachten Schwierigkeiten dargestellt werden (Mai 1794, 408 – 437). 20 Vgl.: Andreas Platthaus: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt, Berlin 2013, 158. Zur wechselvollen Auswirkung der Blockaden und insbesondere der Kontinentalsperre: „In Italien wiederum, wohin vor allem sächsische Produkte verkauft worden waren, wurde die französische Konkurrenz vom napoleonischen Zollsystem begünstigt, weshalb das Geschäft der sächsischen Lieferanten auch dort zusammenbrach. Und England selbst, dass samt seinen Kolonien ebenfalls ein bedeutender Kunde gewesen war, fiel bis auf den Schmuggel ganz aus.“ (192 f.) „Überraschender Weise ließen die angestrebte Beschlagnahmung aller britischen Güter, Guthaben sowie die Festsetzung aller englischen Bürger auf französisch dominiertem Territorium dann jedoch bestimmte Gewerbezweige Sachsens und speziellen das europäische Handelszentrum Leipzig aufblühen: Durch den Wegfall der bislang technisch überlegenen und somit preisgünstigeren englischen Konkurrenz vor allem in der Textilproduktion konnte in gewerblich bereits weiter entwickelten Regionen, wie es etwa der Raum Chemnitz, aber auch das Umland von Leipzig waren, die Frühindustrialisierung in Gang gebracht werden.“ (194) Zur komplizierten Entwicklung vgl. weiterhin: Roman Töppel: „Die sächsische Wirtschaft, Kriegslasten und die Kontinentalsperre“, in: Oliver Benjamin Hemmerle/Ulrike Brummert (Hg.): Zäsuren und Kontinuitäten im Schatten Napoleons. Eine Annäherung an die Gebiete des heutigen Sachsens und Tschechien zwischen 1805/06 und 1813, Hamburg 2010, 37 – 50, bes. 40). 21 Berlinische Monatsschrift, hg. v. J.E. Biester und F. Gedike, 24 (1794), 81 – 95.
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sie ganz real einen anderen realen Raum schaffen, der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist.“22 Eben auch diese Funktion hatten Anfang des 18. Jahrhunderts Kolonien. Die in ihnen realisierte Ordnung war nicht gleich einem Ideal in unerfüllbare Ferne gesetzt, sondern diente der politischen Regulation beim Aufbau sozialer Systeme, die sich dem Ancien Regime an anderen Orten entzogen, gar entgegensetzen. Foucault sieht neben dem erbrachten wirtschaftlichen Nutzen die mit den Kolonien verbundenen „imaginären Werte“23. Urchristliche Vorstellungen aufnehmend, war in der Kolonie der Jesuiten das gesamte Leben reglementiert: „Es herrschte ein vollkommener Kommunismus, Boden und Vieh gehörten allen gemeinsam. Nur einen kleinen Garten durfte jede Familie besitzen […] Um fünf Uhr morgens weckte die Glocke das Dorf. Sie markiert den Beginn der Arbeit, mittags rief sie die Männer und Frauen, die auf den Feldern arbeiteten, ins Dorf zurück. Um sechs Uhr aß man gemeinsam zu Abend. Und um Mitternacht läutete man die so genannte ‚Eheglocke‘, denn da die Jesuiten wünschten, daß die Kolonisten sich fortpflanzten, ließen sie um Mitternacht leise die Glocke ertönen, damit die Bevölkerung wuchs.“24 Diese Kolonie, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf 400.000 Mitglieder angewachsen war, ist gleichsam ein Beispiel für eine vollkommen geschlossene Gesellschaft. Ihre einzige Verbindung zur Welt war der staatlich monopolisierte Außenhandel. Wenn hier die Darstellung der Kolonie bzw. der Ausführungen von Foucault relativ breit erfolgt, so um zu zeigen, daß die Anknüpfungspunkte Fichtes von vielfältigen, im öffentlichen Bewußtsein präsenten und sich überlagernden Momenten geprägt war. Als Fichte nach Preußen wechselte, trat er in einen Diskussionsraum ein, dessen Pole durch anstehende Reformen in der Hoffnung auf den jungen König Friedrich Wilhelm III. einerseits und das widersprüchliche Verhältnis zu Frankreich anderseits markiert sind 25. In Preußen, das sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wirtschaftlich starken Staat mit leistungsfähiger Landwirtschaft, funktionierendem Handwerk und punktuell leistungsfähigen Manufakturen sowie einem im europäischen Rahmen beachtlichen Handel (trotz der Fülle von Importverboten) entwickelt hatte, vollzog sich eine allmähliche Ablösung der Staatswirtschaft26. Deren 22 Michel Foucault: Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge, Frankfurt a. M. 2005, 19 f. 23 Ebd. 25. 24 Ebd. 20/21. 25 Seit dem 5. August 1796 ist zusätzlich zum Friedensvertrag vom 5. April 1795 ein Neutralitätsvertrag zwischen Frankreich und Preußen geschlossen worden; am 29. Dezember 1796 treten diesem sowohl Kursachsen als auch die thüringischen Herzogtümer bei, womit bis 1805, dem Beginn der kriegerischen Neuordnung Europas, ein Jahrzehnt relativer politischer Ruhe im Verhältnis zu Frankreich und wirtschaftlicher Prosperität einsetzt. 26 Karl Heinrich Kaufhold: Preußische Staatswirtschaft – Konzept und Realität – 1640 – 1806. Zum Gedenken an Wilhelm Treue, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (1994), 59: Wenngleich nicht die Formen der Staatswirtschaft unter Friedrich Wilhelm II.
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eminente Rolle bei der Gewinnung von Land durch Trockenlegung und Rodung, der Durchsetzung des Kartoffelanbaus oder der Bewältigung der „Energiekrise“27 steht außer Frage. Zugleich hatte sich mit der Domänenverpachtung an vorwiegend bürgerliche Pächter in Preußen eine Interessengruppe gebildet, die sich nicht nur um neue agrarische Entwicklungen bemühte, sondern zunehmend auch eigene ökonomische und politische Interessen gegenüber dem alten Erbadel verfocht28. Nach dem Baseler Frieden 1795 waren deshalb Stimmen vernehmbarer geworden, die eine Annäherung an Frankreich suchten bzw. – so Schelling – die „Regeneration“29 Deutschlands als Folge der von den französischen Revolutionsheeren getragenen Expansion der bürgerlichen Republik erhofften oder – wie Fichte – in der Französischen Republik die Macht sahen, welche in Deutschland „eine Revolution durchsetzen“ würde30. Mit der dem französischen Expansionismus entsprechenden Theorie von den „natürlichen Grenzen“31 verbanden sich auf Seiten der Reformer und Demokraten die Ausbildung einer politischen und ökonomischen Raumvorstellung, welche zugleich die Hoffnung auf einen die Reformunfähigkeit des aufgeklärten Absolutismus und der Monarchie überwindenden äußeren Anstoß implizierte32. Das Beispiel hatte man seit April 1795 in Gestalt der linksrheinisich gewandelt hätten, so wurde dennoch insbesondere unter der Führung des V. Departments durch Karl Gustav Struensee von Karlsbach die Verwaltungspraxis „liberaler: Anträge auf Einrichtung oder Verschärfung von Zunftprivilegien wurden grundsätzlich abgelehnt und die Rechtsbestimmungen für das Handwerk gelockert; Subventionen, Privilegien, Monopolrechte für Gewerbebetriebe vermindert oder ganz beseitigt; den ‚Fabrikanten‘ Beschäftigungsverhältnisse mit unzünftigen Arbeitern erlaubt.“ Zugleich wurde in jener Zeit nicht nur der Staatsschatz verbraucht, sondern auch noch 48 Mio. Reichstaler Schulden aufgehäuft (60), was diejenigen bestärkte, die auf umfassende Reformen drängten. 27 Vgl.: Harnisch, Hartmut: „Die Energiekrise des 18. Jahrhunderts als Problem der preußischen Staatswirtschaft. Dargestellt am Beispiel von Berlin und seinem weiteren Umland“, in: Gerhard, Hans-Jürgen (Hg.): Struktur und Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold. Bd. 1. Mittelalter und frühe Neuzeit, Stuttgart 1997, 510. 28 Auch Fichte sah sich nach der Möglichkeit um, ein Gut zu erwerben: So bat er den Bruder: „Beantworte mir doch nach genauer Erkundigung folgende Fragen: Sind bei Euch auf gute Art, und wohlfeil liegende Gründe zu erkaufen: z. B. Bauergüter, die von Hofdien sten frei gemacht werden könnten; oder beträchtliche Stüke von den herrschaftl. Gründen: Wir möchten es, um gewißer Ursachen, gern wißen.“ (Brief an Samuel Gotthelf Fichte, 14. Nov. 1795, GA III/2, 431). 29 F.W.J. Schelling: Brief an den Vater, 19. Mai 1798, in: F.W.J. Schelling: Briefe 1 (Historisch-kritische Ausgabe III/1), hg. von Irmgard Möller u. Walter Schieche, 163 (wobei Schelling hofft, dass diese „Regeneration“ durch „uns selbst und nicht durch die Franzosen geschehe.“ (Ebd.); im Brief vom 3. April 1796 prognostiziert er den Rhein als „die künftige Gränze zweier Hauptheile unsres Europa[…]“ (Ebd. 58). 30 Fichte: Brief an K.L. Reinhold, 22. März 1799, Briefe, GA III/3, 355. 31 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 117 f. 32 Vgl.: Domenico Losurdo: Hegel und das deutsche Erbe. Philosophie und nationale Frage zwischen Revolution und Reaktion, Köln 1989, 208 f. Das eine solche der nationalen Idee zuarbeitende Vorstellung von einem neuen politischen Raum zugleich den bestehen-
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schen Gebiete vor Augen, in dem der Partikularismus ebenso wie überkommene Privilegien unter der Ägide des nachrevolutionären, bürgerlichen Frankreichs aufgebrochen wurden: Hier wandelten sich kurzerhand die Agrarverhältnisse; es fielen grundherrliche Privilegien wie Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt, Jagd- und Fischereirecht, die Zehnten und Fronen. An die Stelle der Zunftordnung trat die Gewerbefreiheit. Die Exemtion von Adel und Klerus wurde durch die Übernahme des französischen Steuersystems beendet. Durch die Einführung des einheitlichen französischen Münz-, Maß- und Gewichtssystems wurde der Boden für eine großräumige Wirtschaft bereitet. Struensee brachte die gleiche Zielstellung für Preußen gegenüber dem französischen Gesandten in der Überzeugung zum Ausdruck: „Die Revolution, welche ihr von unten nach oben gemacht habt, wird sich in Preußen langsam von oben nach unten vollziehen“, so dass es „in wenigen Jahren […] in Preußen keine feudalen Vorrechte mehr geben“ wird33. Hiermit ist auch die Intention angesprochen, warum sich Fichte für wirtschaftspolitische Probleme und darüber reflektierende Theorien interessierte und diese gerade Struensee zueignete. Fichte bekannte, „eine Idee auszuführen, mit welcher“ er sich seit seiner „Bearbeitung des Naturrechts“ trage: „die nothwendige Handels=Verfassung eines durchaus rechts= und Vernunfgemäßen Staats aufzustellen“34. Es gab also eine Problemsituation, die Fichte faktisch den erforderlichen Entwicklungssprung antizipieren ließ, der durch das revolutionäre und später das napoleonische Frankreich von außen auf die staatlichen und sozialen Einrichtungen in Deutschland ausgelöst wurde35. Fichte suchte nicht nur das Bewußtsein über die als hemmend empfunde-
den, strukturell wie geografisch und juristisch verfestigten, auf Lehnsrechten und Exemptionen gegründeten Landesgliederungen innerhalb der Universalmonarchiekonzeption zuwider lief, war offensichtlich. In Der Patriotismus und sein Gegentheil führt Fichte in diesem Sinne aus: „Die Absonderung der Preußen von den übrigen Deutschen ist künstlich […] die Absonderung des Deutschen von den übrigen Europäischen Nationen ist begründet durch die Natur.“ (GA II/9, S. 403). 33 Archives du Ministère des Affaires Étrangères (Paris), Correspondance politique (AMAE, C.P.): Prusse, 225, Otto an Talleyrand, 13 août 1799. Angabe nach: Dominique Bourel: „Zwischen Abwehr und Neutralität. Preußen und die Französische Revolution 1789 bis 1795/1795 bis 1803/06“, in: Otto Büsch, Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Preussen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789, Berlin/New York 1991, 56. 34 Fichte: Brief an Johann Friedrich Cotta, 16. August 1800, Briefe, GA III/4, 285/286. 35 Siehe hierzu Helmut Berding: „Französische Reformpolitik aus revolutionärem Anspruch in später preußischen Gebieten 1794 – 1814“, in: Otto Büsch/Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Preußen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789, A. a. O. 332 f. Empfehlungen für Reformen an die Regierung, waren kein Einzelfall, auch wenn sie publizistisch nicht so wirksam wurden wie Fichtes Handelsstaat. Vgl. z. B.: Justus Gruner: Skizze des jezigen Zustandes des geistlichen Westphalens und einiger Verbesserungsvorschläge zur höheren sittlichen und einträglicheren bürgerlichen Kultur desselben, in: Auf kritischer Wallfahrt zwischen Rhein und Weser. Justus Gruners Schriften in den Umbruchsjahren 1801 – 1803, bearbeitet von Gerd Dethlefs und Jürgen Kloosterhius, Köln/Weimar/Wien 2009, 3 – 116.
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nen Zustände zu schärfen. Er war darüber hinaus bestrebt, eine anwendungsbereite Theorie für eine politische und ökonomische Umwandlung vorzulegen. Politische Überlegungen zur Änderung einer Ordnung sind immer zugleich auch Kritik an der Bestehenden, in diesem Fall der ständisch strukturierten, spätabsolutistischen Ordnung in deutschen Landen in ihrer widersprüchlichen, gar krisenhaften Erscheinung. In dieser waren die Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entfaltung ebenso durch die Willkür des Landesherrn begrenzt wie die politischen Eingriffsmöglichkeiten der Bürger. Anstatt Arbeit und Güter dem Luxus und kriegerischen Machtgerangel kleinstaatlicher Interessen zu opfern, sah Fichte materielle Ressourcen ebenso wie die Arbeit als Mittel der Selbstentwicklung aller Gesellschaftsmitglieder in einem nationalen Rahmen. Ihm ging es primär um das Durchdenken der Möglichkeit einer „vernünftig“ eingerichteten Welt. Hierzu muß die Vernunft alle gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur durchdringen, sondern unter sich begreifen, um sie aus einer neuen Perspektive der Herrschaft „von oben“, nämlich der Vernunft, zu verwalten. In diesem Sinne ging es Fichte um die politische Beherrschung einer proportional ausgewogenen (und damit auch nachhaltigen) Wirtschaft, welche die Individuen hinsichtlich ihres Beitrags fordert und fördert. Individuum und Gemeinschaft sind in ihren Zielen darin nicht in ein sich ausschließendes, sondern gegenseitig sich beförderndes Verhältnis gesetzt, in dem eben nicht einer des anderen Last trage, während der andere dabei weitgehend frei von Verpflichtungen ist. Mit dem Ziel, ideelle Grundlagen für die Formulierung bürgerlich-demokratischer Interessen zu artikulieren, nutzte Fichte nicht zuletzt ein (idealisiertes) Bild von der Antike als Maßstab für die kritische Wertung bestehender Zustände und als Leitbild ihrer Änderung – gleichsam als „Waffe in der aktuellen Auseinandersetzung“.36 IV. In den theoretischen Überlegungen, die der angedeuteten Situation Ausdruck verleihen, stehen sich aufgrund der relativ schnell wechselnden Erfahrungen in der Umbruchs- und Kriegszeit in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts eine Vielzahl konkurrierender, sich wandelnder und überlagernder Ideen gegenüber. Dominant in der politischen Wirksamkeit in Deutschland sind kameralistische Veröffentlichungen nach kleinstaatlichem Zuschnitt. Wenngleich die grundlegenden Werke von Darjes und Justi bereits in den 1750/60er Jahren erschienen, so sind deren Wirkungen im theoretischen Diskurs wie im Versuch, Reformen zur Einnahmenerhöhung und wirtschaftlichen Belebung zu initiieren noch um die Jahrhundertwende von entscheidender Bedeutung37. Hierzu muß man auch die in der politischen Kaste 36 Ernst Günther Schmidt: „Fichtes Griechenlandbild“, in: Erhard Lange (Hg.): Philosophie und Geschichte. Beiträge zur Geschichtsphilosophie der deutschen Klassik (= Collegium Philosophicum Jenense, H. 4), Weimar 1983, 114. 37 In gewisser Weise reflektiert sich bei Fichte noch die Auffassung von der ‚Staatswirtschaft‘ (des Staats als Wirtschaftssubjekt), wenn er vom ‚Handelsstaat‘ spricht und explizit,
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einflußreichen Überlegungen von Friedrich dem Großen in seinem Antimachiavell (1740) zählen, wo er Mandevilles Erwägungen zum Luxus und zur Verschwendung als Beförderer ökonomischer und sozialer Prosperität in dessen Bienenfabel aufnahm und auf die deutschen Verhältnisse konkretisierte: „Die Mehrzahl der kleinen Fürsten […] ruinieren sich dadurch, daß sie im Überschwang ihrer vermeintlichen Größe viel zuviel ausgeben im Verhältnis zu ihren Einkünften; […] sie gehen aus Eitelkeit den Weg ins Elend […] jeder baut sein Versailles, unterhält Mätressen, verfügt über ganze Armeen.“38 Im Unterschied zu den kleinen Höfen machte Friedrich jedoch die Rolle des Luxus sehr wohl für sein „großes“ Land geltend: „Der Luxus, der dem Überfluss entspringt und die Reichtümer durch alle Adern eines Staates zirkulieren lässt macht ein großes Königreich zu einem blühenden Land; er nährt den Fleiß; er vervielfacht die Bedürfnisse der Reichen, um sie gerade durch diese Bedürfnisse mit den Armen zu verbinden.“39 Unter analogen Schriften aus der Perspektive „vormundschaftlicher Regierung“40 sei der Entwurf einer gemeinnützigen Instruction für Diener und Unterthanen in den Herzog lich-Meiningischen Landen (1793) von Herzog Georg I. von Sachsen-Meiningen erwähnt41. Indem darin christliche und aufklärerische Ideen mit den Prinzipien absolutistisch-patriarchaler Herrschaft zu einem Kanon gegenseitiger Pflichten amalgiert werden, manifestiert sich darin der grundsätzliche Unterschied gegenüber Fichtes Herangehen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen und entsprechenden Annotationen, die sich mit den verschiedenen Verwaltungsund Steuermodalitäten in deutschen Landen auseinandersetzen42. Und schließlich sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen von Institutionen wie Personen zu nennen, die sich der Propagierung neuer wirtschaftlicher Methoden – vor allem in der Landwirtschaft – widmen, ohne dabei die gegebenen politischen Verhältnisse als Voraussetzung und Bedingungen wirtschaftlichen Agierens in Frage zu wenn er diesen in seiner ökonomischen Regulierungsfunktion als „Staatswirthschafts-Systeme“ anspricht (Handelsstaat, GA I/7, 105). 38 Friedrich der Große: Der Antimachiavell, Leipzig 1991, 37. 39 Ebd. 55. 40 Johann Friedrich Reichardt: „ Über Schlözers Staatsgelehrtheit nach ihren Hauptteilen im Auszug und Zusammenhang“, in: Deutschland. Eine Zeitschrift, herausgegeben von Johann Friedrich Reichardt, Berlin 1 (1796), Leipzig 1989; Reichardt 1796, 92. 41 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Meiningen; Signatur ZM Nr. 261. 42 Beispielhaft sei auf die Rezension in der Allgemeinen Literaturzeitung H. 15 (17. Jan 1795), Sp. 114 – 118, zu F.W.A. von Ulmenstein: „Versuch einer kurtzen, systematischen und historischen Einleitung in die Lehre des teutschen Staatsrechts von Steuern und Abgaben reichsständischer Unterthanen und dem Steuerrechte der Reichsstände“, Erlangen: Palm 1794, oder auf „Von der Einrichtung des Kameralwesens in Hohenloheschen“ (Berlinische Monatszeitschrift, hg. von Biester, Bd. 26, November 1796, 448 – 455) verwiesen. Eine gewisse Ausnahme bildet die Veröffentlichung „Über die uralte Exemzion des Brandenburgischen Adels von Abgaben“ vom Autor M. (Bd. 27, August 1796, 109 – 126), der darlegt, daß es in der Geschichte keine Freiheit von Abgaben gab, also gegen ständische Privilegien argumentiert! Ansonsten sind ökonomische Themen eher eine Ausnahme.
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stellen43. Die Auseinandersetzung Fichtes im „Handelsstaat“ mit Schmalz, für den Eigentum im „ausschließendem Besiz einer Sache“ und dadurch nur „der Stand der großen Güterbesitzer, oder der Adel […] der .. den Staat bildende Bürger“ sei44, ist beredter Ausdruck für die grundsätzliche politische Differenz. Zur Abgrenzung gegenüber Fichtes „Handelsstaat“ ist m.E. hervorzuheben, daß Planung/Kontrolle in der Kameralistik wesentlich ein die Subjekte verfügendes Herrschaftsinstrument vorstellt, vermittels dessen sich der erstarkende Reformabsolutismus mit dem städtischen Bürgertum verband. Dagegen avancierte bei Fichte die Planung zum Element der Organisation sowohl auf Seiten der Produktion wie der Konsumtion, zur sozialökonomischen Basis der Entfaltung ihrer Individualität und damit der Freiheit aller Bürger eines Gemeinwesens. Die heute virulente Vorstellung eines von den Sozialbeziehungen abstrahierenden „freien Marktes“ existiert für Fichte so wenig wie für die kameralistischen Theoretiker. Seine Empfehlungen richten sich jedoch nicht an eine Pastoralmacht, die Regeln zur Staatslenkung effektiv einzusetzen, wobei die Individuen deren Zielscheibe sind und der gegenüber sie passive Agencien darstellen45. Ihm geht es um eine Regierungskunst, welche die Individuen als ökonomisch und politisch aktive Subjekte konstituiert – ein zutiefst demokratischer, gegen das monarchische Prinzip sich richtender Ansatz. Eben darin besteht auch der Unterschied zu den theoretischen Einlassungen der konservativen „Klopffechter“46 jener Zeit. Diese schreiben die Lösung aller sozialen und ökonomischen Probleme vor allem der göttlichen Bestimmung und der daraus resultierenden Jahrhunderte währenden Erfahrung des Ersten Standes, des Adels zu. V. Sollen Fragen der politischen Verfaßtheit mit der Perspektive der Überwindung des spätfeudalen Partikularismus in den Blick kommen, so war eine gegenüber der Kameralistik gänzlich andere Perspektive einzunehmen, wie sie etwa in der 1787 erschienen Schrift Herders „Ideen zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist“ oder in der 1792 von Dalberg in Erfurt initiierten Verfassungsdiskussion sich niederschlagen. In diesem Zusammenhang ist ebenso die von Kant geltend gemachte „Kultur der Gemütskräfte“, mit der durch sie gestifteten Gesel43 So wird im November 1796 die „Erneuerte Preisaufgabe der Kgl. Märkischen ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam, ‚Wie das Vieh am besten zu halten ist‘“ veröffentlicht, weil es nicht genügend Einsendungen gab. (Berlinische Monatszeitschrift, hg. von Biester, Bd. 27, November 1796, 471). Die in Leipzig seit 1774 ansässige „Societas Jablonoviana“ ist hier ebenso zu nennen wie die „Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften“ in Görlitz, deren Mitglied Fichte war, wobei wirtschaftsrelevante Themen die Ausnahme bildeten. 44 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 85. 45 Vgl.: Michael Foucault: „Die ‚Gouvernementalität‘“, in: Daniel Defert/François Ewald/Jaques Lagrange (Hg.): Analytik der Macht, Frankfurt 2005, 148 ff., bes. 165; Thomas Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Berlin/Hamburg 1997, 170. 46 Fichte an Heinrich Theodor von Schön, 21. April 1792, Briefe, GA III/1, 30.
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ligkeit, welche die Menschen und Völker von der „tierischen Eingeschränktheit unterscheidet“47, zu nennen wie dessen Hochschätzung des „Handelsgeistes“ als friedensstiftende und verbindende Kraft48. In solchen Veröffentlichungen scheint am ehesten der Blick auf die erfolgreiche Handelspolitik Hollands und Englands durch. Nicht minder bewundert wurde aber auch die französische Wirtschaftspolitik unter Turgot mit der Schaffung eines nationalen Marktes durch die Freiheit der Binnenzirkulation bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber dem Ausland durch nationale Zollschranken49. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die von Wilhelm von Humboldt entwickelten Ideen über Staatsverfassung50 , der – weitaus stärker als Fichte – nicht nur die Möglichkeiten, sondern vor allem auch Grenzen staatlichen Handelns gegenüber dem Individuum erörterte. Dabei ist es sicher notwendig, die Ideen Humboldts mit der darin formulierten Rücknahme der paternalistischen Regierungsgewalt dem Fichteschen etatistischen Ansatz gegenüber zu stellen. Aber nicht minder scheint mir heraushebenswert, daß beide sich in ihren Überlegungen Seite an Seite im geistigen Widerstreit zu den „despotischen“ bzw. „monarchischen“51 staatlichen Gewalten befinden. Während das englische, individuell-warenwirtschaftliche Modell von Adam Smith, welches das Individuum als treibende Kraft viel stärker betont, erst mit den deutschen Übersetzungen 1776/78, vor allem aber der von Garve und Dörrien 1794 – 96, zunächst vor allem unter moralphilosophischen Aspekten zum Tragen kommt52, ist Lockes Arbeitswertlehre, vermittelt über deren französische Rezep47
Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, B 262 f. Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, in: Werkausgabe, hg. v. W. Weischedel, Bd. XI, 226; ähnlich äußert sich F. v. Hardenberg, nach dessen Auffassung sich die Kultur auch auf geschichtliche Kräfte stützt: Neben dem Staat das Handelskapital: „Der Handelsgeist ist der Geist der Welt. Er ist der großartige Geist schlechthin. […] Er weckt Länder und Städte – Nationen und Kunstwercke. Er ist der Geist der Kultur – der Vervollkommnung des Menschengeschlechts.“ (F. v. Hardenberg: Werke, Tagebücher u. Briefe (Bd. 2), hg. v. H.-J. Mähl, München 1978, 706). 49 Es bleibt darauf hinzuweisen, daß diese Hochschätzung angesichts der ins Leben getretenen „Unmoralität eines großen Teils der fränkischen Nation“ durchaus auch kritisch reflektiert wurde. (Deutschland. Eine Zeitschrift (Bd. 1), hg. v. J.F. Reichardt, Berlin 1796; ND: hg. v. Gerda Heinrich, Leipzig 1989, 308). 50 W. Humboldt veröffentlichte 1792 in der Berlinischen Monatsschrift den Artikel „Ideen über Staatsverfassung“ durch die neue französische Konstitution veranlaßt. Im gleichen Jahr schrieb er die ausführlicheren Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen nieder. Wenngleich letztere erst 1851 veröffentlicht wurde, kann deren grundsätzlicher Gehalt aufgrund der vielfältigen Kontakte zu den führenden intellektuellen Köpfen jener Zeit in Deutschland wohl als existent in den Diskussionen unterstellt werden. 51 Wilhelm von Humboldt: Brief an Gentz [Vorspann zu: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen.], in: Wilhelm von Humboldt: Individuum und Staatsgewalt, hg. v. Hermann Klenner, Leipzig 1985, 58. 52 In dieser Weise findet Smith auch bei Fichte Beachtung – vgl.: Rez. Gebhard, GA I/1, 21. 48
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tion, wohl als Allgemeingut der Diskussion jener Zeit zu unterstellen53. Dennoch scheint mir bei der Smith-Rezeption durch Fichte dessen Bestimmung des real price besonders hervorhebenswert: „Der wirkliche oder reale Preis aller Dinge, also das, was sie einem Menschen, der sie haben möchte, in Wahrheit kosten, sind die Anstrengung und Mühe, die er zu ihrem Erwerb aufwenden muß. […] Nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Arbeit wurde aller Reichtum dieser Welt letztlich erworben. Und sein Wert ist für die Besitzer, die ihn gegen neue Güter austauschen möchten, genau gleich der Arbeitsmenge, die sich damit kaufen oder über die sie mit seiner Hilfe verfügen können.“54 Diesen Gedankengang nimmt Fichte augenscheinlich mit seinen Überlegungen zum „wahre(n) innere(n) Werth jeder freien Thätigkeit“ als einer zentralen Problemstellung für deren Wertmessung auf: „Maasstab des relativen Werths der Dinge gegen einander, wäre die Zeit, binnen welcher man von ihnen leben könnte.“55 Einen entscheidenden Einfluß auf Fichtes Konzeption im Handelsstaat dürfte dem durch Rousseau formulierten Egalitarismus zuzusprechen sein56. Die grundlegenden Gedanken zeigen sich insbesondere in der Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen57 und dem Artikel „politique economie“ von Rousseau in der Enzyklopädie. Neben den Gedanken, wonach ein wesentlicher Unterschied zwischen „häuslicher“ und „Staatsökonomie“ existiert58 und daß sich für die Staatsökonomie beweisen lasse, „daß jede Vergrö53 Sowohl das Wirken von Christian Jacob Kraus in Königsberg als auch das von Georg Sartorius in Göttingen dürfte sich zunächst wesentlich auf die lokale universitäre Ebene beschränkt haben. Noch 1796 beklagt Satorius: „Daß aber wirklich Smith wenig oder gar keinen Einfluß auf diese Wissenschaft bis jetzt unter uns gehabt hat, davon können die neueren Lehrbücher derselben zeugen; er ist unbekannt oder gänzlich unverstanden geblieben“ (Georg Sartorius: Handbuch der Staatswirthschaft, Berlin 1796, IX. Die systematische Aufnahme der Gedanken von Kraus, des bedeutendsten Smith-Anhängers in jener Zeit, der seit 1791 seine Vorlesungen zu Smith hielt, war erst mit der Herausgabe seiner Werke nach dessen Tode 1808 durch Hans von Auerswald ab 1808 möglich. Auch Lueders Über Nationalindustrie und Staatswirthschaft. Nach Adam Smith bearbeitet, erschien erst 1800 bis 1804, also praktisch nach Fichtes Handelsstaat. 54 Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 1974, 28. 55 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 65/66. 56 Daß Rousseau sehr verschieden gelesen wurde, zeigt sich bei Humboldt, der ihn aufgrund der aufklärerisch-dirigistischen Konzeption gar der kameralistischen „Polizeiwissenschaft“ zur Seite stellt, die „das einzige Verderben“ darin sieht, „dass man nicht jeden einzelnen Untertan überall und wie Rousseau seinen Emile, bis ins Ehebett hinein hofmei stern kann“ (Wilhelm Humboldt: Brief an Gentz, a. a. O. 63). 57 Vgl.: Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, in: ders.: Kulturkritische Schriften (Bd. 1), hg. v. Martin Fontius, Berlin 1989, 185 – 331. 58 Rousseau: „Ökonomie“, in: Manfred Naumann (Hg.): Artikel aus Diderots Enzyklopädie, Leipzig 1972, 334.
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ßerung ihr mehr schadet als nützt“59, ist es die antifeudale Bestimmung des Staates als einem politisch-moralischen Wesen, die bei Fichte auf fruchtbaren Boden fällt: „Der Staatskörper ist also auch ein moralisches Wesen mit einen Willen; und dieser Gemeinwille, der stets auf die Erhaltung und das Wohl des Ganzen und jedes einzelnen Teiles gerichtet ist und die Quelle der Gesetze darstellt, ist für alle Glieder des Staates im Hinblick auf sich selbst und auf den Staat der Maßstab für Recht und Unrecht60. „Das Dilemma zwischen individueller Freiheit und deren Einschränkung durch den Gemeinwillen ist durch Gesetze, welche durch ein Organ des Willens aller formuliert werden, aufzuheben. Um eben den Willen aller, nicht lediglich die dominanten Interessen Einzelner zur Geltung bringen zu können, ist es erforderlich, daß die “natürliche Gleichheit unter den Menschen in ihre Rechte“61 eingesetzt wird. Die Staatsökonomie hat die Verhinderung extremer Besitzunterschiede, also von Reichtum und Armut, als Existenzbedingung des Staates zur Aufgabe: „Durch solche Steuern, welche die Armut erträglicher machen und den Reichtum belasten, muß man der unaufhörlich wachsenden Ungleichheit des Besitzes vorbauen.“62 Gleichsam mit Locke formuliert Rousseau: „Man muss es so einrichten, dass, um Reichtum zu erwerben, die Arbeit stets nötig und niemals vergeblich ist.“63 Gegen die beständige Verarmung setzt Rousseau auf ein statisches Gesellschaftsmodell, das den „unaufhörliche(n) Wechsel in der Standeszugehörigkeit und den Besitzverhältnissen der Bürger“ ebenso ausschließen soll64 wie das Nutzen öffentlicher Finanzen für private Zwecke, sind doch die „Regierenden dessen rechtmäßige Verwalter“, nicht Nutznießer!65 Und entgegen dem physiokratischen Gedankengut formuliert Rousseau zur Sicherung seines Wirtschaftsmodells, daß „der ganze Handel“ in der Hand des Staates liegt: „Die Verteilung der Lebensmittel, des Geldes und der Waren im richtigen Verhältnis […] ist das eigentliche Geheimnis der Finanzverwaltung und die Quelle allen Reichtums[…]“66 [Hervorhebung JS] Beachtenswert scheint dabei, daß nicht nur eine Vielzahl der bei Fichte zum Tragen kommenden Gedanken vorgearbeitet ist. Es ist auch die ambivalente Stoßrichtung, sowohl noch gegen die Überreste feudaler Ausbeutung- und Hörigkeitsverhältnisse als auch und besonders bereits gegen die darüber hinausgegangenen, sich in kapitalistisch Großgrundbesitze transformierende Wirtschaftseinheiten mit der Folge der durch die Pacht erdrückten Kleinbauern und der dadurch erzeugten Landarmut. Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, des Eigentums und der Sozialorganisation hat nach Marianne Weber und Anton Menger vor allem Manfred Buhr die 59
A. a. O. 335 f. A. a. O. 339. 61 A. a. O. 344. 62 A. a. O. 381. 63 A. a. O. 363. 64 A. a. O. 365. 65 A. a. O. 367. 66 A. a. O. 369. 60
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Parallelität von Fichteschen Positionen mit den utopisch-sozialistischen Anschauungen Babeufs herausgearbeitet und gezeigt, daß dessen Ideen in zeitgenössischen deutschen Zeitschriften reflektiert wurden67. Deren Parallelität scheint mir jedoch weniger aus einer unmittelbaren Kenntnis der Ideen Babeufs durch Fichte gespeist, als aus einer analogen Perspektive auf die sich herausgebildete soziale Problemlage. Schließlich waren beide Zeugen eines gravierenden sozialen Umbruchs, den sie in seinen widersprüchlichen Auswirkungen unter Nutzung der gleichen Quelle – vornämlich Rousseau – theoretisch zu bewältigen versuchten. Die bereits in der Literaturzeitung von Salzburg (1801) herausgehobene Besonderheit des Eigentumsbegriffs bei Fichte68 läßt sich ebenfalls bei Rousseau bzw. den Sansculotten vorgearbeitet finden. Im Entwurf für eine neue Erklärung der Menschenrechte vom 24. April 1793 wird das Eigentum der gesellschaftlichen Nützlichkeit untergeordnet, indem Robespierre vorschlägt, Eigentum zu definieren als „das Recht jedes Bürgers auf Nutznießung und freie Verfügungsgewalt über den Teil der Güter, der ihm durch das Gesetz garantiert ist.“ (Art. 7) Daß dabei die Verpflichtung der Gesellschaft, „für den Lebensunterhalt aller ihrer Glieder zu sorgen, indem sie ihnen Arbeit gibt“ bzw. Arbeitsunfähigen „die Existenzmöglichkeit sichert“ (Art. 11) ebenso bestätigt wird wie die Wirtschaftsfreiheit (Art. 4) oder das Recht auf „Bildung“ (Art. 14), sei hier nur der Vollständigkeit halber mit Blick auf Fichtes Entwurf angeführt69. War Eigentum nach den Erklärungen der Menschenrechte sowohl von 1789 (vom Papst als gottlos gebrandmarkt) als auch von 1793 ein unbeschränktes, absolutes Naturrecht, so schränkten es die Sansculotten in ihrem Kampf gegen die Schieber, Spekulanten und Großhändler auf neue Weise ein: Eigentum gründet sich danach allein auf persönliche Arbeit und findet in den übergreifenden Bedürfnissen aller seine Grenzen70. Wenngleich Fichte an Rousseau wie Kant anschließend aus naturrechtlichen Prinzipien sein gesellschaftspoli67 Manfred Buhr: „Geschichte und Gesellschaft als Ort der Bewährung des Menschen: Johann Gottlieb Fichte“, in: ders.: Vernunft – Mensch – Geschichte. Studien zur Entwicklungsgeschichte der klassischen bürgerlichen Philosophie, Berlin 1977, 148 und 251, Anm. 142; vgl.: Walter Markov: „Babeuf in Deutschland“, in: Werner Bahner (Hg.): Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag, Berlin 1961, 61 ff. 68 [Rezension] „Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und Probe einer künftig zu liefernden Politik von Johan Gottlieb Fichte Tübingen bey Cotta, 1801“, in: Literaturzeitung von Salzburg, CXXXIII. u. CXXXIV. Stück, 194. 69 Eigentum als Menschenrecht. Rede Robespierres im Nationalkonvent, 24. April 1793, in: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789 – 1799 (Bd. 2), Leipzig 1982, 383 – 391. 70 Vgl.: Wider die Großunternehmer. Petition der Sektion Bonnet Rouge, 4. Mai 1794, in: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789 – 1799 (Bd. 2), Leipzig 1982, 598 f. Und im Manifest der Gleichen heißt es: „Der Grund und Boden darf kein persönliches Eigentum sein – die Erde gehört niemandem. Wir […] verlangen, daß die Früchte der Erde Gemeineigentum werden – die Früchte gehören allen.“ (Manifest der Gleichen von Sylvian Maréchal, Januar 1796, in: A. a. O. 681.)
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tisches Modell entwickelt, so ist auf die entscheidende Neuerung in seiner Fassung hinzuweisen: Eigentum besteht nicht im rechtmäßigen Innehaben eines äußeren Gegenstandes, sondern wird durch ein „ausschließendes Recht auf eine bestimmte freie Thätigkeit“ des einzelnen konstituiert71. Es ist damit aus einem Naturrecht in ein gesellschaftlich bestimmtes Phänomen transformiert. Aufgabe des Staates ist somit, die Möglichkeit für die freie Tätigkeit, des Lebens aller Menschen in Würde, zu garantieren: „Zu sagen: das wird sich alles schon von selbst geben, jeder wird immer Arbeit, und Brod finden, und es nun auf dieses gute Glück ankommen zu lassen, ist einer durchaus rechtlichen Verfassung nicht anständig.“72 Ist der Staat dazu nicht in der Lage, steht der von Not bedrohte Mensch außerhalb des Systems, „isoliert […] und behält seinen ursprünglichen Rechtsanspruch allenthalben alles zu thun, was er nur will“73, um weiterleben zu können. Fichte orientierte sich – gleich Robespierre – nicht an physiokratischen Allgemeinplätzen, sondern an den konkreten sozialökonomischen Widersprüchen. Als einen geschichtlichen Hintergrund nahm Fichte den erfolgreich agierenden Wohlfahrtausschuß auf, der die gesamte Volkswirtschaft auf dem Höhepunkt der politischen und wirtschaftlichen Krise unter seine Kontrolle nahm und seine Maßnahmen auch den Produzenten und Kaufleuten aufzwang, die sich ihm entgegenstellten. Es ist das Bild einer einheitlichen, starken Regierungsgewalt im Interesse der Sicherung des bürgerlichen Frankreichs gegen die feudale Reaktion, die auch „erstmalig wissenschaftliche Forschung systematisch in den Dienst der Nationalverteidigung“ stellte und hierzu an die bedeutendsten Gelehrten des Landes heran trat74. Der Zeitgenosse Benjamin Constant bemerkte 1804 verächtlich bezüglich Fichtes Handelsstaat und dessen
71 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 85. Auf die früher bereits entwickelten Positionen von W. Petty, J. Locke, F. Quesnay oder Turgot soll hier ebenso nicht näher eingegangen werden wie auf die zeitgleich durch W. Humboldt , C. Th. Dalberg oder G. Forster geäußerten Gedanken zum Zusammenhang von Arbeit und Eigentum. Interessant ist aber, dass W. Humboldt (wie auch Fichte – vgl.: GA I/4, 56 ff.) den Gedanken des durch Arbeit konstituierten Eigentums konsequent hinsichtlich der diesem Grundsatz widerstreitenden Folgen der Disposition über das Vermögen nach dem Tod einer Person, als „eigentlich auf die Trennung aller Gesellschaft hinauslaufenden Herrschsucht des Lehnswesens“ bedenkt. (W. Humboldt: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“, in: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, AA Bd.1, Berlin 1903, 195.) – Ein in der Aufklärung gegen den besitzvererbenden Adel ausgebildeter Gedanke, den hinsichtlich seiner gesellschaftspolitischen Relevanz jüngst Thomas Piketty aufgriff. 72 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 90. Auf den analogen, durch Robespierre in seiner Rede vom 2. Dezember 1792 formulierten Grundsatz sei hier hingewiesen: „Das erste Recht ist jenes auf Existenz. Das erste soziale Gesetz ist folglich jenes, das allen Gliedern der Gesellschaft ihre Existenzmittel garantiert. Alle anderen sind ihm untergeordnet.“ (zitiert nach: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789 – 1799, Bd. 1, 269). 73 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 89. 74 Walter Markov/Albert Sobul: 1789 – Die Große Revolution der Franzosen, Berlin 1989, 324.
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Verhältnis zu Robespierre: „Ce sont des fous qui sìls gouvernaient, recommenceraient Robespierre avec les meilleures intentions du monde.“75 Im Zusammenhang mit der Reflexion auf die Wirtschaftspolitik unter Robespierre sei angemerkt, daß Fichtes Handelsstaat keineswegs deskriptiv verfaßt wurde – also im Sinne, daß er eine bestimmte sozialökonomisch bestehende Situation beschreibend in modellhafter Form empfiehlt, sondern seine Darstellung ist genetisch-konstruktiv. Es ging ihm um die Entfaltung eines systematischen Entstehungszusammenhangs von Politik, Wirtschaft und sozialer Kooperationsfähigkeit. Grundlegend dafür ist die später explizit formulierte Idee, die „gesammte Staatswirthschaft aus Einem gemeinen GrundPrincip zu entwikeln.“76 Hier tritt der mit der genetischen Darstellungsweise verbundene Anspruch hervor, die Erscheinungen durch den Nachweis ihrer Vermittlungsglieder in ihrem Entstehungsund damit Wesenszusammenhang theoretisch zu entwickeln, d. h. zu zeigen, „auf welche Weise […] der gegenwärtige Zustand der Dinge entstanden (ist), und aus welchen Gründen […] die Welt sich gerade so gebildet (hat), wie wir sie vor uns finden“, statt auf der Ebene des Empirismus zu verharren77. VI. Zu den Quellen für Fichtes Überlegungen gehören sicherlich auch die über die zeitgenössische Publizistik bürgerlicher Demokraten78 vermittelten widersprüchlichen Erfahrungen in den 90er Jahren, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Interventionskriege gegen die junge Französischen Republik und deren Wirtschaftspolitik.79 So formte Reichardt 1796 gegen Schlözer nicht nur den Gedanken der 75 Erich Fuchs (Hg.): Fichte im Gespräch, Bd. III, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981, 3 (Sie sind Narren, die mit dem besten Gewissen den Weg Robespierres wieder einschlagen würden, wenn sie an die Macht kämen). 76 Fichte: Ueber StaatsWirthschaft, GA II/6, 5. 77 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 92; vgl. Jean Ch. Merle: Fichte’s economic philosophy and the current debate concerning distributive justice, A. a. O. 261; Merle verweist in diesem Zusammenhang weiterhin auf die Arbeit von Cf. J. Elster: Making sense of Marx, Cambridge 1985. 78 Vgl.: Werner Greiling: Konrad Engelbert Oelsner und Georg Friedrich Rebmann: „Zur Differenzierung von Liberalismus und Demokratismus im Einflußfeld der Französischen Revolution“, in: Erhard Lange (Hg.): Französische Revolution und deutsche Klassik. Beiträge zum 200. Jahrestag (= Collegium philosophicum Jenense, H. 8), Weimar 1989, 154 f. 79 Z. B. von Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich, im April, Mai u. Junius 1790, in: G. Forster’s sämmtliche Schriften, Berlin 1843, 3. Bd., 133, 203 ff., in der er die 1790 erfolgte Gründung der Vereinigten Staaten von Belgien im Ergebnis der Revolution gegen die Habsburger Monarchie als eine Folge politischer, sozialer und insbesondere auch ökonomischer Entwicklungen beschrieb. Oder Rebmanns Begründung des Rechts auf Eigentum (neben dem auf Freiheit und Gleichheit) gegen die „Eingriffe der Tyrannen“, gegen unübersehbare Abgaben und übertriebene
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„bürgerlichen Gesellschaft“, als einem Staat, „welcher nicht bloß die gemeinschaftliche Sicherheit, sondern auch den Wohlstand der einzelnen zum Gegenstande hat“ aus.80 Und er fragte (wie Fichte) gegen die „vormundschaftliche Regierung“, „wo die Herrscher selbst die zur Leitung anderer erforderliche Aufklärung sollten hergenommen haben“.81 An anderer Stelle reflektierte er das Fortdauern der „schrecklichen Teuerung“ aufgrund der durch die Österreicher vorgenommenen Requirierungen. Zudem „gibt Österreich obendrein nur Papier […] Kein Mensch glaubt aber, dass […] es wirklich jemals bezahlt werden.“82 Der massenhaften Verarmung und Verschuldung standen auf der anderen Seite „Gewinner“ gegenüber, die sich haben bereichern können. Der Erfahrung des finanzpolitisch kollabierenden Frankreichs mit der Ausgabe der Assignaten stand die Erfahrung des 1797 in England eingeführten Papiergeldes als sich wertstabil erweisender Währung gegenüber. Beide Aspekte schlugen sich in den Überlegungen zur Rolle des Geldes, dessen Repräsentanz von Werten und woraus sich diese speisen solle, bei den Zeitgenossen von Novalis bis Goethe nieder.83 Mit den aufgezeigten Aspekten der durch den Konvent verantworteten widersprüchlichen Wirtschaftspolitik, vor allem mit der Festsetzung von Höchstpreisen für die wichtigsten Waren (maximum général) und der Gewährleistung der Geldstabilität („Landesgeld“ vs. „Weltgeld“84) als Bedingung eines funktionierenden „gerechten“ Güteraustausches und damit auch entgegen den Konzepten eines subjektiven Wertbegriffs85 setzt sich Fichte im Handelsstaat auseinander.86 Auflagen. (Georg Friedrich Rebmann: Das neue graue Ungeheuer. 9. Stück. (1797), 72, 74; zit. nach: Lamprecht, Oliver: Das Streben nach Demokratie, Volkssouveränität und Menschenrechten in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin 2001, 136. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf A.v. Einsiedel: Ideen (1791 – 97), Berlin 1957, der sich ebenfalls der Wertbestimmung, der Geldfunktion und der gesellschaftlichen Kontrolle des Handels widmet (vgl.: Joachim Höppner: „Zur Problematik des Egalitarismus“, in: DZfPh 23/6 (1975), 811, Anm.). 80 Johann Friedrich Reichardt: „Über Schlözers Staatsgelehrtheit nach ihren Hauptteilen im Auszug und Zusammenhang“, a.a.O. 92. 81 A. a. O. 93. 82 A. a. O. 293. 83 Vgl.: Otmar Issing: „Inflation – Teufelswerk?“, in: Goethe und das Geld. Der Dichter und die moderne Wirtschaft, Frankfurt a. M. 2012, 45 f.; Werner Hamacher: „Faust, Geld“, in: A. a. O. 47 – 51; Friedrich v. Hardenberg: Dialogen, in: HKA II, 662. 84 Fichte: GA I/7, 43. 85 Vgl.: Karl Pribram: Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1992, 226 ff. 86 Vgl. u.a. „Recht auf Arbeit und Pflicht auf Arbeit“ (4. Juli 1793), in: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789 – 1799, Bd. 2, Leipzig 1982, 459 f.; „Macht alle Gleich! Adresse der Sektion Sans-Culottes“ (2. Sept. 1793) mit den entscheidenden Forderungen zum maximum général, in: ebd. 489 – 492 und „Lebensmittel und Macht dem Gesetz!“-Petition der Bürger von Paris (5. Sept. 1793), in: ebd. 492 – 497. Daß die Erfahrungen aus dem Verlauf der Revolution nicht nur vermittelt über die Publizistik in Deutschland
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Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang, daß Fichte mit seinen Gedanken im Handelsstaat die Positionen der Konstituante hinter sich ließ, dagegen die Erfahrungen der Periode unter der Herrschaft des „Wohlfahrtausschusses“ auf dem Höhepunkt der Krise aufnahm, die sind: kein Steuerwahlrecht, keinerlei Privilegien, straffe Marktregulierung (Preisstopp, Beschlagnahmung von Getreidevorräten, Reglementierung des Bankwesens/Zwangskurs der Assignaten (11.4.1793), wodurch sich der sozialökonomische Organismus im nationalen Rahmen als bürgerlicher Staat entfaltet. Bedenkt man diese Vielfalt möglicher Einflüsse, so kann man berechtigt fragen, was Fichtes Handelsstaat gegenüber den im deutschen Sprachraum zeitgleich verfassten theoretischen Arbeiten auszeichnet. Schließlich war die Idee des Schutzes des eigenen Wirtschaftsraumes keine neue und folglich keine auf Fichtes Gedankenwelt begrenzte Besonderheit. Der Gedanke staatlicher Protektion war vielmehr ein generelles Phänomen im 17. und 18. Jahrhundert in Europa. Denn während das Handelskapital nach Freiheit für den Warenverkehr verlangte, forderten Manufakturen und das sich etablierende Handwerkerkapital staatlichen Schutz.87 Dennoch möchte ich Fichtes Entwurf dahingehend würdigen, daß ich in diesem einen außerordentlichen, strategisch angelegten theoretischen Entwurf für ein Gesellschaftsmodell sehe, weil er weder im tradierten Feld kameralistischer Überlegungen verblieb noch sich vordergründig die für deutsche Verhältnisse ungedeckten Erfahrungen Englands und Frankreichs zu eigen machte. Er nahm ihm Lösungen bietenden Denkansätze auf und ging in Ablehnung vor allem konservativer Überlegungen (Say, Müller, Gentz, Rehberg ) in grundsätzlicher Weise darüber hinaus: Der Staat sei als ein Organismus zu begreifen, der die Existenzsicherung des Einzelnen zur Pflicht hat. Er verantwortet dazu die Proportionen ökonomischen Handelns und kann gerade nicht einfach nach hausväterlicher Art (Aristoteles) organisiert werden. Aber so dringend die Problemsituation auch erschien, so wenig konnte der Entwurf Fichtes mit der vorgestellten Sprengung aller überkommenen Strukturen Vorlage für eine tatsächliche Transformation bieten.
erlangbar waren, sondern – freilich zeitlich versetzt – in französischen Quellen nachlesbar waren, zeigt der Bericht über eine „öffentliche Leseanstalt“ in Leipzig, in dem „an politischen Zeitungen 2 englische, 9 französische, darunter auch der Moniteur, 23 deutsche“ Zeitungen waren. (Briefe auf einer Reise durch Sachsen nach Franken, in: Deutschland. Eine Zeitschrift, hg. v. J.F. Reinhard (1796). Eine Auswahl hg. von Gerda Heinrich, Leipzig 1989, 187 f. 87 Gelehrte wie J.J. Becher, Ph.W. Hörnigk, J. Sonnenfels, J.H.G. Justi forderten in Deutschland – gegen die Kameralistik gewandt – eine Entwicklung und Stabilisierung des inneren Marktes, wobei Geld vornehmlich als ein destruktives Element erfaßt wurde. Absolutistische Reglementierungen wurden zunehmend abgelehnt; die private Wirtschaftstätigkeit sollte aber nicht eine Förderung unter dem Gesichtspunkt der Vermehrung der Besteuerung erfahren, sondern der Entwicklung der Produktion, der Verwertung von Kapital. Vgl.: Lehmann, Hermann (Hg.): Grundlinien des ökonomischen Denkens in Deutschland, a. a. O. 186 ff.
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Freilich insistierte Fichte auf eine kollektiv organisierte Erlösung in sozial befriedeter Gemeinschaft; Selbstverwirklichung war ihm kein antikollektiver Sprengstoff. Freiheit war ihm nicht Option des frei sein von etwas und allem, sondern sich frei entscheiden für etwas, aber darin dann auch befangen bleiben im Sinne von verantwortlich ausfüllen. Der vorgestellte soziale Organismus war durch Fichte nicht als Ort demokratischer Willensbildung gezeichnet, sondern die Menschen unterliegen darin der Verfügung des Staates als der zur Wirklichkeit gewordenen Erscheinung des allgemeinen Willens. Der Widerspruch zwischen der Intention auf Selbstorganisation und individuelle Entwicklung einerseits und der dirigistischen Einsetzung in den Berufsstand und dadurch bedingten sozialen Statik war offensichtlich. Fichte suchte einen Koordinationsmechanismus dezentraler und arbeitsteiliger Einzelvorgänge, insbesondere die Art und die Funktionen der Preisbildung und gegenseitigen Anpassung der Akteure vermittels einer zentralen Planung und Organisation/Steuerung zu leisten. Markt als „wirkliche Macht“, nicht nur als lokalem Ort, dem Marktplatz, sondern als Raum-Zeit-Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten, der Realisierung der zeitlich auseinander fallenden Funktionen von Produktion – Distribution – Konsumtion, vermittelt durch die Wandlung der Waren in Geld, mochte Fichte ahnen, jedoch nicht analytisch zu konkretisieren.88 Oder anders gesagt: Für Fichte war Geld unter dem Gesichtspunkt des Tauschmittels von Interesse, nicht aber als konstituierender, weil kapitalbildender Springpunkt der Warenproduktion. Das darf nicht als Vorwurf verstanden werden. Dazu waren die Verhältnisse zu unentwickelt. Fichte suchte das Phänomen Mangel und Überproduktion zu beherrschen – ebenso wie andere Ökonomen –, indem er die im lokalen Markt überschaubaren Strukturen und daraus entspringenden Bedürfnisse dem planvollen, organisierten Handeln unterwirft, um ein Auseinanderfallen der Gesellschaft aufgrund ökonomisch widerstreitender Interessen gar nicht erst entstehen zu lassen. Mit den eingesetzten Ressourcen ist nicht zugunsten einer der beiden oberen Stände bzw. einer damit verbundenen staatlichen Obrigkeit umzugehen, die diese im Luxus und kriegerischen Machtgerangel verschwendet. Fichte wollte dagegen materielle Ressourcen ebenso wie die Arbeit als Mittel der Selbstentwicklung aller Gesellschaftsmitglieder eingesetzt sehen. Nur ist das nicht als antikapitalistisch oder gar protosozialistisch mißzuverstehen, insofern die damit verbundenen Problemstellungen noch gar nicht seinen Denkhorizont betreffen konnten.89 Für Fichte war die Chancengerechtigkeit im Zugriff auf Arbeit wesentlich. Damit ging er über die auf der Ebene der Verteilung verbleibenden Gerechtigkeitsvorstellungen hinaus, indem er zumindest ansatzweise die Einheit 88 Fichtes Gegenargumentation: „Im Ausdruck ‚etwas in Gelde realisiren‘ liegt schon das ganze falsche System. In Gelde läßt sich nichts realisiren, denn das Geld selbst ist nichts reelles. Die Waare ist die wahre Realität, und in ihr wird das Geld realisirt“ (GA I/7, 126). 89 Siehe hierzu : J. Stahl: „Fichtes ‚Handelsstaat‘ im Kontext der Rezeption zeitgenössischen sozialökonomischen Denkens und der Begründung bürgerlich-demokratischer Ideale“, in: Fichte-Studien 43, Amsterdam/New York 2016, 356 – 373.
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von Zirkulation und Arbeit (Produktion) reflektierte. Die zum „Katechismus der neuen Ordnung“90 avancierte Losung „Gleichheit, Freiheit, Sicherheit, Eigentum“91 beinhaltete für ihn keine lediglich zur Wertorientierung herabgesunkenen Kategorien. Vielmehr ist ihm dessen ökonomischer Gehalt nur in Einheit mit politischer Demokratie, oder besser: in einer wirtschaftsdemokratischen Verfaßtheit zu realisieren, in der dadurch zugleich die nationale mit der sozialökonomischen Problematik aufgehoben ist. Man kann Fichtes Gleichheitspostulat durchaus zunächst im christlich-protestantischen Sinne verstehen. Und man kann Fichtes Entwurf auch in Analogie zum Gottesstaat Augustinus setzen, in dem der Mensch vollständig aufgeht. Doch diese strukturelle Analogie bezeichnet nicht die spezifische Qualität, da bei Augustinus die Intention auf einen christlich-feudalen Staat geht, bei Fichte dagegen Ideen für eine bürgerliche Zivilgesellschaft ausgeformt werden. Auf jedem Fall richtete sich Fichtes egalitaristische Position vehement gegen die überkommene Ungleichheit und wird als funktionaler Geist der erst noch geahnten, neuen Ordnung assimiliert. Sicher gilt, daß sein Gesellschaftsmodell nur funktionieren kann, wenn „störende Einflüsse aus dem Ausland unterbunden werden – eine Feststellung, die sich in vielen utopieähnlichen Entwürfen findet.“ Aber: Ist Fichtes Modell deswegen „antiliberal“?92 Dagegen wäre zum einen die Rechtsgrundlage des Fichteschen Handelsstaates anzuführen, die in der freien Entscheidung der Individuen zu dessen Konstitution besteht und nicht in einer staatlichen Verfügung. Zum anderen war die tragende Intention seines planwirtschaftlichen Konzeptes, Raum für die individuelle Entwicklung zu geben, das Individuum aus den ständischen und korporativen Bindungen befreit zu sehen. Dabei ist der von ihm ausgearbeitete Gerechtigkeitsbegriff konstitutiv für sein sozialtheoretisches Denken,93 das er nach der politischen Seite durch Ausgestaltung des Rousseauschen Gedankens der Volkssouveränität und nach der ökonomischen Seite durch die Ausgestaltung des liberalistischen Prinzips, wonach der einzelne seinen Platz in der Gesellschaft durch Leistung selbst bestimmen könne, konkretisierte. Deshalb sehe ich Fichte in einer starken Affinität zum Liberalismus als politisch-juristischer Idee.94 Und 90 Walter Markov/Albert Sobul: 1789 – Die Große Revolution der Franzosen, Berlin 1973, 139. 91 „Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers vom 26.08.1789“, in: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789 – 1799, Bd. 2, 105, Art. 1 und Art. 2. 92 Walter Euchner: „Ideengeschichte des Sozialismus in Deutschland – Teil 1“, in: Helga Grebing (Hg.): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, Essen 2005, 56. 93 Vgl.: J. Stahl: „Le concezioni socioeconomiche di Johann Gottlieb Fichte come banco di prova della filosofia trascendentale“, in: Rinascila della scuola. Nouva Serie. Bimestrale Internazionale di Cultura, Scienza, Educazione, Anno XVI. No. 1, Rom 1992, 3 – 22. 94 Vgl.: Karl Heinrich Kaufhold: „Realgeschichte und ökonomisches Denken. Überlegungen bei der Lektüre von Alfred Bürgin: ‚Zur Soziogenese der politischen Ökonomie. Wirtschaftsgeschichtliche und dogmenhistorische Betrachtungen‘“, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2/1995, 207.
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diese Idee wird nicht durch unentwickelte ökonomische Ideen aufgehoben! Denn was war der Inhalt von Liberalismus am Anfang des 19. Jahrhunderts? „Dem frühen Liberalismus, dem die meisten politischen Artikulationen der Gebildeten zuzurechnen sind, ging es um die Autonomie des Individuums, die durch die Schaffung einer Sphäre gesicherten und gleichen Rechts gewährleistet werden sollte.“95 Dieser Liberalismus ist politisch intendiert und zu dessen korrespondierender ökonomischer Theorie avancierte in Deutschland die von Friedrich List bis ins ausgehende 19. Jahrhundert geprägte deutsche Nationalökonomie.96 Das sich eine solche liberalistische Position gegen die ständischen Beschränkungen richtete, war den Zeitgenossen offensichtlich.97 Dagegen setzten konservative Kritiker gerade nicht auf die Freiheit von korporistischen Zwängen und schon gar nicht auf „Gleichheit“. Adam Heinrich Müller reflektiert in seiner Kritik des Handelsstaats zwar gleichfalls auf Smith, jedoch interpretiert er diesen in einem eigenartigen, rückwärtsgewandten sozialen und vor allem politischen Sinn. Im Zentrum steht bei ihm der mit dem ererbten Bodeneigentum verbundene und von Gottesgnadentum gesegnete Adel sowie die daraus abgeleiteten politischen Rechte. Der von diesem beanspruchte Anteil am gesellschaftlichen Gesamtprodukt wird eben nicht aus der landwirtschaftlichen Arbeit abgeleitet, sondern wesentlich aus der besitzenden Verfügbarkeit.98 Für ihn konstituiert sich der bei Fichte vermißte „Begriff des Kapitals“ aus den von den Vorfahren ererbten Reichtümern: „Nur 95 Peter Brandt: An der Schwelle zur Moderne. Deutschland um 1800, Teil 1, Bonn 1999, 16. Oskar Klein-Hattingen zählt Fichtes Wirken bis 1800 unter ausdrücklichem Einschluß des Handelsstaates zur „Vorgeschichte des deutschen Liberalismus“, wenngleich Fichte da zum „sozialistischen Utopisten“ werde. (Oskar Klein-Hattingen: Geschichte des deutschen Liberalismus, Bd. 1, Berlin 1911, 37. Kriterium für die geschichtliche Darstellung ist „das Individualitätsprinzip“, „das heißt die Lehre: der Staatszweck ist die Förderung des Einzelnen, die Entwicklung und harmonische Ausbildung aller seiner Fähigkeiten zum Vollgenuß des Lebens, wozu alle gleichberechtigt sind“ (45). 96 List forderte in der Tradition der von Alexander Hamilton begründeten amerikanischen Schutzzollbewegung in seinen „Outlines of American Political Economy“ gegen die Konkurrenz aus dem gewerblich führenden England die Einführung von Schutzzöllen. Vgl. hierzu: Arno Friedrichs: Klassische Philosophie und Wirtschaftswissenschaft. Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Geisteslebens im neunzehnten Jahrhundert, Gotha 1913, 251 ff. Gegen eine unvermittelte Gleichsetzung von Fichte und List siehe die Argumentation: Stahl, J.: „Socialno-ekonomitscheskie vozzrenija I.G. Fichte kak osnova konstitutivnogo ponjatija spravedlivosti“, in: Filosofskaja mysl i filosofija jazyka w istorii i sovremennosti. Sbornik nautschnych statej. Vostotschnyj universitet, Perevod: M.A. Puschkarevoj, Redaktirovanie: A.V. Lukjanova, Ufa 2008, 17. 97 [Rez.]: „Neue Theorie des Eigenthums“, in. Eunomia. Eine Zeitschrift des neunzehnten Jahrhunderts. Von einer Gesellschaft von Gelehrten, hg. von Feßler und Rhode, Jg. 1801, 1. Bd., Berlin 1801, 14; [Rez.]: „Der geschloßne Handelsstaat…“, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, 67. Bd. 8. H., 545 (wahrscheinlich von Nicolai). 98 Gegen die „Apostel der Gewerbe-Freyheit“ gewandt , hob Müller den Staat in seiner Besonderheit, „seiner besondern Individualtiät“ hervor, wie er „durch seine ganze Handels-, Kriegs- und Civil-Gesetzgebung oder, was dasselbe heißt, durch seine tausendjährige
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unter der Bedingung, daß einst ärmere Geschlechter lebten, konnten im Laufe der Zeiten reichere, aufblühen; die Gesetze, unter denen der Ahnherr den Saamen dieser glücklicheren Zeiten erwarb, der Wille der Aelteren, unter dem fromme Nachkommen sammelten und weiter pflanzten, bindet billig den glücklichen Enkel: und so hat die Liebe zum Alterthum und seinen Satzungen […] ihren Grund in der Natur, in der Billigkeit und im Recht.“99 Folglich gehen auch die von Fichte geltend gemachten Gedanken der Arbeitswertlehre an ihm vorbei. Aus den hier dargelegten Gründen halte ich auch die von den Herausgebern des Bandes I/7 der Fichteschen Gesamtausgabe getroffene Wertung von Müller etc. als „Vertreter des Wirtschaftsliberalismus“ (Hervorhebung – JS, ganz abgesehen davon, daß Müller sich später gegen Smith aussprach) für nicht zutreffend. In den Rezensionen gegen Fichte, in denen die „Freiheit des Handels“ beschworen wird, ist keineswegs die Rede von der Befreiung der Bauern aus der feudalen Abhängigkeit, gar von Zunft- und Gewerbe- oder Zollfreiheit, einheitlichem Geld, einheitlichen Maßen oder von einer freien, durch allseitige Konkurrenz getragenen wirtschaftlichen Entwicklung. Im Blick ist die überkommene Wirtschaft der Aristokratie, das korporistisch organisierte Handwerk und der sich darauf gründende Handel und folglich privilegierte Stände, einschließlich eines Bürgertums, das seine Vorteile aus der gegebenen Situation zieht.100 VII. Es bleibt weiterhin zu fragen, ob tatsächlich „spätestens um 1800“ in der Literatur schon „ein unruhiges, weltbürgerliches Subjekt und ein ,freihandelndes‘ Wesen“ zu konstatieren sei, „das sich mit unendlichem Streben zum Besitz (Hervorhebung – JS) einer Welt anschickt, die ihm stets fehlen wird.“101 Weder in Bezug auf Fichte, W. Humboldt noch auf Schelling oder den jungen Hegel würde ich eine solche These für angemessen halten. Sicher wird zunehmend ein „weltbürgerliches“ Subjekt von Lessing über Wieland, Schiller und Goethe artikuliert und in seinem erwarteten Wirken literarisch ausgestaltet. Nur das damit schon der „homo oeconomicus“ als neuer Protagonist der Moderne in der literarischen „Diskurs-Gegenwelt“ geformt werde und sich seitdem „angeschickt hat, nichts Geringeres als Individualisirung beschaffen ist“ (Adam Müller: Von der Gewerbefreyheit, in: Adam von Müllers gesammelte Schriften, 1. Bd., München 1839, 109. 99 Adam Müller: „Ueber einen philosophischen Entwurf von Herrn Fichte, betitelt: der geschloßene Handelsstaat“, in: Adam von Müllers gesammelte Schriften, 1. Bd., München 1839, 159 f. 100 Vgl.: Tetsushi Harada: Politische Ökonomie des Idealismus und der Romantik. Korporatismus von Fichte, Müller und Hegel, Berlin 1989, 77 f. J. Marquardt: „‚Der geschloßne Handelsstaat‘ – Zur konservativen Kritik einer aufklärerischen Utopie. Adam Müllers Replik auf Fichte“, in: DZfPh, Jg. 39 (1991) H. 3, 294 ff. 101 Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen, München 2002, 351.
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der Mensch schlechthin zu werden“,102 scheint mir eine zu weit gehende Interpretation der Literatur bis 1800. Und bietet sie tatsächlich ein sozial-ökonomisches Modell, vergleichbar den Überlegungen Quesneys, Smiths oder dem Handelsstaat von Fichte? Inwieweit werden darin physiokratische Allgemeinplätze in ihrer Widersprüchlichkeit zur gesellschaftlichen Wirklichkeit analysiert, werden mögliche neue systemtheoretisch begründete Entwicklungsvorstellungen nicht nur einem poetischen, gar nur aphoristischen Kontext zur Geltung gebracht, sondern in sozialökonomischer Hinsicht systematisch entfaltet? Haben wir als Philosophiehistoriker hier einen verengten Blick? Eine Frage, die ebenso an die Ökonomiehistoriker zu stellen wäre. Vogl konstatiert gar in der „,romantischen Ökonomie‘ um 1800“ eine „grundlegende Transformation ökonomischen Wissens“.103 Im Kern gehe es um die Frage, „wie sich die Dynamik der Ökonomie in einer staatlichen Einheit rekodieren lässt: sei es auf einem Territorium, auf dem – wie in Fichtes Geschlossenem Handelsstaat – die Grenzen souveräner Gewalt mit der Reichweite ökonomischer Operationen koinzidieren; sei es in ständischen Ordnungen, die – wie bei Adam Müller – funktionale Differenzieren in Hierarchien überführen; sei es im Modell einer monarchischen Haushaltung, das – bei Novalis – eine liberalistische Selbstorganisation mit den Strukturen des alten oikos überblendet; oder sei es schließlich – wie bei Wilhelm von Humboldt – im Versuch, die Grenzen von Staatlichkeit selbst zu bestimmen.“104 Die entscheidende Differenz zwischen den genannten (und der romantischen Ökonomie zugeordneten Autoren) liegt nicht allein darin, wie sie jeweils das Problem der (Selbst-)Organisation einer Gesellschaft zu fassen suchen, sondern in ihrer politischen Ausrichtung: in ihrem Eintreten für eine vorsichtige Reform der Adelsherrschaft unter Nutzung des bestehenden christlich-feudalen, sinnstiftenden Symbolvorrats. Oder im Entwerfen einer Alternative, die den mehr oder minder radikalen Bruch mit der alten Gesellschaft beinhaltet und als dessen bestimmende Sozialfigur bei Fichte das bodenständig-arbeitsame Subjekt ausgemacht wird.105 Dessen Unternehmung ist nicht dem „Aventurehandel“ zuzuordnen, „in denen der Kaufmann mit seiner Ware auszog, ohne deren 102
A. a. O. Klappentext; 17: die wesentlichen Transformationen, die sich „im ökonomischen Wissen um 1800 eingestellt haben: die Transformation der alten Kreislaufmodell in Regelkreise, das Auftauchen von autoregulativen Konzepten die Formulierung von Theorien des öffentlichen Kredits. Gerade in der Romantik und in einer ‚romantischen Ökonomie‘ führen diese Modelle zu einer Reform von Steuerungsideen und Semiosen, die dynamische Prozesse in stabile Strukturen übersetzen und die Figur des politischen Körpers nun mit dem Konzept des Organismus abgleichen. Aus dieser Konstellation heraus lässt sich […] eine weitere Wendung beobachten: nämlich die Geburt des ökonomischen Menschen, die Geburt eines begehrenden arbeitenden, produzierenden und konsumierenden Subjekts, dessen Darstellung schließlich bestimmte Grenzen der literarischen Repräsentation selbst hervor treibt“. 103 A. a. O. 282. 104 A. a. O. 282/283. 105 Vgl.: Franco Moretti: Der Bourgeois. Eine Schlüsselfigur der Moderne, Berlin 2014, 50 ff.
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Absatzmöglichkeiten genau zu kennen“;106 aus Sicht Fichtes produziert es für einen fest bestimmten Kreis von Abnehmern, die selbst arbeiten und dadurch ebenfalls von der Kultivierung durch Arbeit umfangen sind. Fichtes Einlassungen zu den sozialpolitischen Gegebenheiten seiner Zeit und seine Ideen für deren politische und sozialökonomische Umgestaltung waren eingebunden in einen weitgefächerten, sich vielfach überlagernden Diskurs. Dieser war wesentlich geprägt von der sich in Konfrontation mit den revolutionären und nachrevolutionären Ereignissen in Frankreich vollziehenden Vertiefung und Radikalisierung der Gesellschaftskritik der europäischen Aufklärung um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Es war dies kein lediglich akademisch geprägter, scheinbar interesseloser Austausch von Gedanken. Es ging vielmehr darum, die politische Gestaltung zu beeinflussen. Den „Anstoß“ für seine jeweiligen Überlegungen bezog Fichte deshalb auch nicht en passant aus den unterschiedlichen Einlassungen anderer Autoren; er brachte sich in diese Diskussion angesichts des gravierenden sozialpolitischen Umbruchs und der damit einhergehenden, unmittelbar spürbaren lebenspraktischen Probleme ein. Wenngleich es eine Reihe von Ähnlichkeiten zu zeitgleich entstandenen Gesellschaftsentwürfen gibt, so ist demgegenüber festzuhalten, daß Fichte die Einheit von individueller und gesellschaftlicher Reproduktion in einem auf Grundeigentum und landwirtschaftlicher Produktion basierenden Gemeinwesen zu konstituieren suchte, daß er in einer Reinterpretation der ständischen Gesellschaft verankerte. Auf dem Boden der frühen Arbeitswertlehre stehend, interpretierte Fichte bestimmte, in vorkapitalistischen Gemeinwesen existierende Formen der Produktion und der Organisation des gesellschaftlichen Verkehrs mit den ihnen eigenen sozialen und moralischen Werten in diesem Sinne. Im Unterschied zu den Denkern des frühen Konservatismus, die bürgerliche Elemente zur Stabilisierung und Reformierung der aristokratischen Herrschaft zu nutzen trachteten, verlieh Fichte den überkommenen Formen einen bürgerlichen Schein und eliminierte gerade deren besondere feudalen Elemente. Fichte stand dabei Phänomenen der aufkommenden kapitalistischen Gesellschaft weitgehend verständnislos gegenüber. Deren immanente Widersprüche wurden als dem sozialen Organismus fremd angesehen und in einer harmonisierenden Gesellschaftskonzeption aufgehoben. Dennoch gehören Fichtes sozialökonomische Auffassungen zu den herausragenden Manifestationen der Eröffnung einer historischen Perspektive, die die ständische Begrenzung überwand und aus der sozialen Partikularität einen umfassenden Anspruch eigener sozialer, ökonomischer und politischer Interessen des aufkommenden deutschen Bürgertums entwickelte. Zugleich gaben sie einer spezifischen Etappe der Rezeption der westeuropäischen Nationalökonomie Ausdruck. Ungeachtet theoretischer Differenzen zur politischen Ökonomie A. Smith’ stand Fichte dabei an der Seite der deutschen Smitheaner. 106 Michael Nerlich: Kritik der Abenteuer-Ideologie. Beitrag zur Erforschung der bürgerlichen Bewußtseinsbildung 1100 – 1750, Teil 1, Berlin 1977, 89.
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Die wirtschaftsleitende Tätigkeit des Staates hat nach Fichte, Kants kategorischen Imperativ aufnehmend, dem Grundprinzip zu folgen: „Die Natur soll immer mehr unter die aufgegebnen Zweke des Menschen gebracht werden.“107 Das „unbewußte“ Wirken ökonomischer Vorgänge mit ihren nicht voraussehbaren, negativen Auswirkungen sei deshalb durch die „Staatswirthschaft, als einer Politik“ aufzuheben.108 Es war Fichtes unbedingter humanistischer Anspruch, daß die wirtschaftliche Tätigkeit sozialen Zielsetzungen, ausgedrückt in moralischen Maximen, zu folgen hat. Weder feudaler Genuß noch Anhäufung von Reichtum, nicht Einzeloder Gruppeninteressen, sondern der „Gesammtzwek der Nation“109 galten ihm als Kriterium einer sozialen Wirtschaftspolitik. Literatur Abel, Wilhelm: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland, Göttingen 1986. Archives du Ministère des Affaires Étrangères (Paris), Correspondance politique (AMAE, C.P.): Prusse, 225, Otto an Talleyrand, 13 août 1799. Batscha, Zwi: Gesellschaft und Staat in der politischen Philosophie Fichtes, Frankfurt a. M. 1970. Berding, Helmut: „Französische Reformpolitik aus revolutionärem Anspruch in später preußischen Gebieten 1794 – 1814“, in: Otto Büsch/Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Preußen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789, Berlin/New York 1991, 331 – 344. Böhm, Franz: Der Kampf des Monopolisten gegen den Außenseiter als wettbewerbsrechtliches Problem, Berlin 1933. Bourel, Dominique: „Zwischen Abwehr und Neutralität. Preußen und die Französische Revolution 1789 bis 1795/1795 bis 1803/06“, in: Otto Büsch/Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Preussen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789, Berlin/New York 1991. 43 – 58. Brandt, Peter: An der Schwelle zur Moderne. Deutschland um 1800. Teil 1, Bonn 1999. Breen, Timothy H.,: The Marketplace of Revolution: How Consumer Politics Shaped Amer ican Independence, New York 2004. Buck-Morss, Susan: Hegel und Haiti. Für eine neue Universalgeschichte, Berlin 2011. Buhr, Manfred: „Geschichte und Gesellschaft als Ort der Bewährung des Menschen: Johann Gottlieb Fichte“, in: Manfred Buhr: Vernunft – Mensch – Geschichte. Studien zur Entwicklungsgeschichte der klassischen bürgerlichen Philosophie, Berlin 1977, 113 – 178. Dalberg, Carl von: Von Erhaltung der Staatsverfassungen, in: ders.: Ausgewählte Schriften, hg. v. Hans-Bernd Spies, Aschaffenburg 1997, 685 – 712. Deinhardt, Katja: Stapelstadt des Wissens: Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln/Weimar/Wien 2007.
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Freiheit und Vollkommenheit Fichtes Position in den Kontroversen über Begründung und Begrenzung von staatlichem Handeln1 Douglas Moggach Freiheit und Vollkommenheit: Fichtes Position in den Kontroversen über Begrenzung und Begründung von staatlichem Handeln
Fichtes Geschlossener Handelsstaat (1800) erscheint im Kontext der polemischen Rezeption von Kants politischem Denken. Und zwar bezieht Fichte eine für ihn bezeichnende Position in den Kontroversen zwischen den Erben des Leibnizschen Perfektionismus einerseits und Vertretern von Kants Ethik andererseits, sowie in den weiteren Auseinandersetzungen unter den Kantianern selber um die angemessene Begründung und Begrenzung politischen Handelns. Kants eigenes politisches Denken mit seinen sorgfältigen Unterscheidungen zwischen Wohlergehen oder Glückseligkeit, Recht oder äußerer Freiheit und Tugend oder Moralität war in einem vielschichtigen Dialog mit älteren, von Leibniz hergeleiteten und insbesondere von Christian Wolff ausgeführten Theorien über moralischen Perfektionismus erarbeitet worden. Kants Denken über die Rolle des Staates läßt unterschiedliche Deutungen zu, von strengem Antiinterventionismus bis zu einer neuen Art von Staatsaktivismus zur Förderung nicht von Glückseligkeit oder von Tugend, sondern von Recht durch die Sicherung der für die Freiheitsausübung nötigen Bedingungen. Dieser Beitrag hat das Ziel, den geistigen Kontext für jene Kantischen Unterscheidungen genauer zu erheben, vorkantische perfektionistische Vorstellungen vom Staat anzusprechen, soweit sie ihre theoretischen Quellen bei Leibniz haben, und Fichtes Anwendung von Kants Freiheitsideen auf die politische Ökonomie damit in Verbindung zu bringen. Fichtes Modell des Staates besonders in seinem Geschlossenen Handelsstaat ist offenkundig interventionistisch und bildet dem Anschein nach Züge von Wolffs aufgeklärtem Despotismus nach, der von Kants Schrift Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793) scharf zurückgewiesen worden war. Dieser Anschein aber täuscht. Fichte bleibt durchaus näher beim Geist von Kants praktischer Philosophie. Die Interventionen, die Fichte rechtfertigt, bezwecken die Förderung 1 Eine frühere Fassung dieses Beitrags ist veröffentlicht worden in: Douglas Moggach: „Freedom and Perfection: German Debates on the State in the Eighteenth Century“, in: Canadian Journal of Political Science, 42/4 (2009), 1003 – 1023, Copyright: Canadian Political Science Association (Association canadienne de Science politique)/Association québécoise de Science politique; hier mit freundlicher Genehmigung vom Verleger, Cambridge University Press, in deutscher Übersetzung wiedergegeben. Der Autor erkennt dankbar die Unterstützung durch den Social Sciences and Humanities Research Council of Canada, sowie durch die University of Ottawa an.
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von Freiheit und bemühen sich um die Beseitigung von Hindernissen, sofern diese von der kontingenten Verteilung von Eigentum oder den Weisen des Strebens nach Wohlstand ausgehen. Fichte übernimmt Kants Unterscheidungen zwischen Glückseligkeit, Recht und Tugend oder moralischer Vervollkommnung, aber macht geltend, daß die Tätigkeit des Strebens nach Wohlstand, wenn sie nicht vernünftig gegliedert wird, die Praktizierung von Recht durch alle entstellen oder unmöglich machen kann. Sein nachkantischer Perfektionismus beruht auf dem Gefüge von Kants praktischer Vernunft. I. Metaphysischer Perfektionismus: Leibniz und das Naturgesetz Die deutschen Auseinandersetzungen, die hier zu erörtern sind, beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Freiheit und Vervollkommnung sowie mit der Rolle des Staates bei der Beförderung entsprechender Ziele2. Die philosophische Tagesordnung steht seit G.W. Leibniz (1646 – 1716) fest. Er entwickelt einen begrifflichen Apparat, der in den späteren Auseinandersetzungen verwendet und herausgefordert wird. Als Antwort auf Leibnizens Innovationen entstehen in den deutschen Territorien des 18. Jahrhunderts zwei Philosophenschulen. Die von Christian Wolff geführte Schule befürwortet eine aktive politische Gestaltung wirtschaftlicher Aktivität mit dem Ziel von Vervollkommnung und Glückseligkeit. Sie unterstützt den Bevormundungsstaat des aufgeklärten Absolutismus. Die andere Schule leitet sich von Kants Überarbeitung der Leibnizschen Begriffe von Spontaneität ab (diese Überarbeitung ist grundlegend)3. Sie betont „Spontaneität“ als das Recht, Kausalität in der äußeren Welt auszuüben, und verteidigt zugleich den Republikanismus, wobei sie die Legitimität des absolutistischen Staates und seine theoretischen Grundlagen bestreitet.4 Die Kantischen Theorien vom Staat unterscheiden sich in der Folge freilich tief voneinander, weil es bei der Begrenzung der Erfordernisse 2 Douglas Moggach: „Schiller, Scots, and Germans: Freedom and Diversity in The Aesthetic Education of Man,“ in: Inquiry 51/1 (2008), 16 – 36. 3 Die Unterschiede in Bedeutung und theoretischem Status gehen so tief, daß Frederick Beiser (in „Schiller as Philosopher: A Reply to My Critics“, in: Inquiry 51/1 (2008), 63 – 78; hier: 66 – 67) es nicht hilfreich findet, die Debatte in dieser Weise zu beschreiben. Es wird hier aber nicht behauptet, derselbe Sinn von Spontaneität sei im Spiel, sondern daß Kant in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Leibniz seinen eigenen Begriff entwickelt. Kant (Kritik der praktischen Vernunft, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. V, Berlin 1900 ff. Im folgenden mit AA abgekürzt und mit Bandangabe in lateinischen Ziffern angegeben, hier: AA V, § 8) bringt Spontaneität mit Freiheit dadurch in Verbindung, daß der Wille nicht durch eine äußere Ursache bestimmt sei. Dies ist von der Leibnizschen Bedeutung einer erforderlichen inneren Kausalität verschieden. Die volle Tragweite dieses Unterschiedes muß anderswo untersucht werden. 4 Michael Rohls: Kantisches Naturrecht und historisches Zivilrecht. Wissenschaft und bürgerliche Freiheit bei Gottlieb Hufeland (1760 – 1817), Baden-Baden 2004, 41 stellt eine Verbindung zwischen Pufendorf, Thomasius und Wolff als Anhängern des mit dem aufgeklärten Absolutismus assoziierten älteren Naturgesetzes her und unterscheidet sie von Kant, den er als Vertreter des neuen politischen Liberalismus sieht.
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einer Rechtsordnung als Grundlage jeder legitimen politischen Intervention bzw. des zulässigen Ausmaßes einer solchen Aktivität sehr umstritten bleibt, wo diese Grenzen gesetzt werden sollten. Leibniz definiert „Spontaneität“ als Tätigkeit und ständige Veränderung des Subjekts (oder der Monade), das seine eigenen inneren Imperative ausführt, die von einem für jedes Selbst spezifischen inneren Entwicklungsgesetz beherrscht werden5. Spontaneität ist die Fähigkeit von Subjekten, die von selbst beginnende Ursache von Veränderung in ihnen selber sowie in der Außenwelt zu sein, sowie diese Veränderungen einzuschätzen und zu bestätigen. Solche sich selbst bestimmenden Subjekte finden ihre Gestalt nicht bloß durch äußere Ursachen wie im Materialismus der Aufklärung bestimmt, vielmehr integrieren sie auf ihre je eigene schöpferische Weise diese Ursachen in ihre Handlungen. Monaden bringen mit ihren spontanen Bewegungen und strukturierenden Tätigkeiten ihre Gehalte zum Ausdruck, wobei sie nach ihrem „vollständigen Begriff“ bzw. ihrer eigenen besonderen Vervollkommnung streben. Jedoch verwirklicht in Leibnizens Metaphysik die Anordnung der Monaden als Ganzes nicht nur die Vervollkommnung von jedem einzelnen Teil, sondern zugleich das größtmögliche Gesamtgut. Von allen denkbaren Anordnungen von Monaden kann nur die bestmögliche wirklich sein, oder bloß solche Bestandteile, deren Koexistenz sich mit dem Prinzip maximaler Vollkommenheit verträgt. Dieses Resultat, die Vervollkommnung der Ordnung im Ganzen, hängt von der Intervention einer göttlichen Vernunft und eines göttlichen Willens ab bzw. von der Unterstellung einer prästabilierten Harmonie6, welche die Koordination beweglicher individueller Substanzen innerhalb einer ihr auferlegten transzendenten Ordnung bewirkt. Kant wird Leibnizens System als Ausdruck rationaler Heteronomie darstellen7, da es die Rechtfertigung moralischen Handelns im Begriff von Vollkommenheit sucht statt in einem moralischen Willen und dessen Handlungsmaximen8. Eine solche Theorie sanktioniert politische Heteronomie, und zwar die Verteidigung eines interventionistischen Absolutismus in den Werken seines Interpreten Christian Wolff (1679 – 1754). Trotz dieser Kritik hat das Leibnizsche Denken mächtige Wirkungen auf das ethische und juridische Denken nach ihm geübt. Er kann als der genuine Initiator des Deutschen Idealismus angesehen werden9. Leibniz stellt das Verhältnis zwischen Freiheit und Gerechtigkeit ins Zentrum seiner Reflexionen zur politischen Philosophie in Weisen, die für diese Tradition paradigmatisch bleiben. In 5 G.W. Leibniz: Monadologie, hg. von J.C. Horn, Würzburg 1996, § 11 – § 13; Leibniz-Thomasius. Correspondance (1663 – 1672), hg. von Richard Bodéus, Paris 1993, 55 – 117. 6 Leibniz: Monadologie, § 78, § 80. 7 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 33 – 42; ders.: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA IV, 441 – 444. 8 Zu jüngster Arbeit auf diesem Gebiet s. Lawrence Jost/Julian Wuerth (Hg.): Perfecting Virtue. New Essays in Kantian Ethics and Virtue Ethics, Cambridge 2015. 9 Ernst Cassirer: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen [1902], Hildesheim 1962, 457 – 58.
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seinem sehr frühen Text Nova Methodus Discendae Docendaeque Jurisprudentiae (1667)10 leitet Leibniz juridische Pflichten aus drei Prinzipien des römischen Rechts her, erneut ausgelegt im Licht seiner entstehenden Philosophie: neminem laedere, suum cuique tribuere, honeste (pie) vivere. Leibniz deutet das erste Prinzip als Regel, die analytisch aus der Vorstellung einer vernünftigen Substanz folgt, die mit dem Vermögen, Zwecken gemäß zu handeln, ausgestattet ist. Dieser Regel entspricht die Pflicht, von der eigenen Freiheit Gebrauch zu machen, ohne die Freiheit anderer zu behindern. Dieses erste Naturgesetzprinzip kann als das Recht auf Spontaneität oder freie, zielsetzende Tätigkeit und auf ständige, vom Selbst gesteuerte Veränderung verstanden werden. Dieses Prinzip ist in der neuesten Literatur als Träger eines Pflichtcharakters statt eines Folgecharakters gedeutet worden, zumindest hinsichtlich seines Rechtfertigungsgrundes, wenn nicht hinsichtlich seiner Motivationskraft11. Das zweite Naturrechtsprinzip, zur Glückseligkeit und Vervollkommnung aller beizutragen, ist für Leibniz ein Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit. Verschiedene Verteilungssysteme von Ehrungen und Eigentum sind erlaubt, aus verschiedenen rationalen Gründen und nie bloß willkürlich. Ihre Strukturen lassen eine gewisse Veränderlichkeit zu, sind aber einer zweifachen Einschränkungen unterworfen: derjenigen des ersten Naturrechtsprinzips, das Recht ihrer Angehörigen auf Spontaneität zu achten, und derjenigen des Erfordernisses der Vervollkommnung, des Beitrags dieser Systeme zu allgemeiner Wohlfahrt und eudaimonia. Das zweite Prinzip impliziert wechselseitige Hilfe, einen höheren und umfassenderen Zweck, der über das Erfordernis, Schaden zu vermeiden, hin ausgeht. Das dritte Prinzip, in der Liebe und Erkenntnis Gottes Fortschritte zu machen, erlegt es Individuen als eine gemeinsame moralische Bestimmung auf, zur Verwirklichung der bestmöglichen Welt beizutragen, die kontinuierliche Veränderung und Entwicklung einbezieht, angetrieben von einem inneren conatus zur Erreichung höherer Ebenen von Vervollkommnung bzw. der Manifestation aller impliziten Eigenschaften in einem harmonischen Ganzen12. Diese drei Prinzipien bleiben in verschiedenen Neugestaltungen im Deutschen Idealismus bis zu Hegel und seiner Schule wirksam13. II. Wolffische Ausarbeitungen In seiner Beschreibung frühneuzeitlicher Belege für die Rolle des Staats bei der Förderung der Produktion und der Ökonomie unterscheidet der Historiker Horst Dreitzel ein neo-aristotelisches Muster, das sich auf eudaimonia oder die Beför10 Wiedergegeben in englischer Übersetzung in Christopher Johns: The Science of Right in Leibniz’s Moral and Political Philosophy, London 2013, 149 – 193, insbesondere § 73-§ 75. 11 Ebd. 53 – 64. 12 Zur Analyse siehe: H.P. Schneider: Justitia universalis, Frankfurt a. M. 1967. 13 Hegels Konzeption von Geschichte kann als die Verwirklichung des dritten Leibnizschen Prinzips gesehen werden, jetzt als Freiheitsgeschichte verstanden, und als die Entfaltung des ersten Prinzips spontaner Freiheit.
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derung des Wohlergehens stützt („bene beateque vivere“), von einem neo-stoischen Muster (er schreibt es Justus Lipsius aus dem 17. Jahrhundert zu), das in der Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit mit viel begrenzteren wirtschaftlichen Zielen gründet. In Christian Wolffs von Leibniz angeregter Ausführung erhält das aristotelische Muster eine Neuformulierung. Dreitzel stellt interventionistische Muster als stadtbürgerlich dar, die typischerweise städtischen Handel und städtische Produktion statt landwirtschaftlicher und feudaler Verhältnisse begünstigen14. Dabei legt er nahe, daß die weniger interventionistischen Mu ster die Interessen von großen, autarken landwirtschaftlichen Gütern zu fördern tendieren15. Dreitzel betont ferner, dass die neo-stoischen Muster einzig ein System von Pflichten gegenüber dem Staat vorschlagen und damit von Kants Vorstellung einer Rechtsordnung weit entfernt sind16. Der von Kant beschriebene Rechtsraum wird eine wichtige Alternative anbieten, und seine Darstellung von Rechten wird zum Standard werden, an dem Charakter und Grenzen staatlicher Intervention gemessen werden können. Bei der Untersuchung der ökonomischen Dimension dieser Auseinandersetzungen sieht Jürgen Backhaus17 den interventionistischen Wohlfahrtsstaat des 18. Jahrhunderts als eine schöpferische Antwort auf den Westfälischen Frieden. Er stellt die Theorie dieses Interventionsprogramms, bekannt als Kameralismus, als eine Alternative zum merkantilistischen System dar, unter bestimmten geschichtlichen Verhältnissen, wo Kolonien fehlen, und wo die Grenzen zwischen den vielen kleinen deutschen Staaten relativ durchlässig sind. Kameralistische Autoren erkennen an, daß in Abwesenheit von ausländischen Quellen zur Bereicherung die ökonomische Entwicklung von der Pflege einheimischer Hilfsquellen und fähiger örtlicher Bevölkerungen abhängt. Sie sind Verfechter eines aufgeklärten (absolutistischen) Staates zur Förderung von Glückseligkeit und materieller Zufriedenheit18. Bei Philosophen wie Christian Wolff schließt die Betonung von Glückseligkeit und Vervollkommnung die Entwicklung von Leistungsfähigkeit ein. Die naturrechtlichen Pflichten, den Körper, den Geist und die Arbeitsbedingungen zu vervollkommnen, können in diesem Kontext und nicht einfach als die Ausflüsse religiöser Begeisterung verstanden werden19. Vervollkommnung ist kein abstrakt moralisches Ideal, sondern findet ihre konkrete Anwendung in staatlicher Intervention und Lenkung ökonomischer Tätigkeiten nach kameralistischem Muster. Die Kantische Kritik 14
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Horst Dreitzel: Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, Mainz 1992,
A. a. O. 49. A. a. O. 49 – 50 und Anmerkung 50; und 116. 17 Jürgen Backhaus: „Subsidiarity as a Constitutional Principle in Environmental Pol icy“, http://arno.unimaas.nl/show.cgi?fid=599, ohne Datumsangabe. 18 Vgl. Keith Tribe: Governing Economy. The Reformation of German Economic Discourse 1750 – 1840, Cambridge 1988. 19 Zu einer gegensätzlichen Sichtweise s. Ian Hunter: Rival Enlightenments. Civil and Metaphysical Philosophy in Early Modern Germany, Cambridge 2001. 16
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wird Theorie und Praxis dieses älteren Perfektionismus umfassen. Doch bei Fichte und anderen schließt Kants Kritik eine neue Art von Perfektionismus nicht aus, der auf die Ausweitung und Konsolidierung der Sphäre des Rechts bzw. der Praxis von Freiheit selber abzielt. Für Christian Wolff, den Systematisierer und Verbreiter von Leibniz, der zu einer dominierenden Stimme in der deutschen Aufklärung wird, ist der Staat dazu da, Vervollkommnung zu fördern 20. Wolffs politisches Denken, das mit Beimischungen aus anderen Quellen, besonders Aristoteles,21 sich primär von Leibniz herleitet, beruht auf einer konsequentialistischen, perfektionistischen Ethik. Sie beruft sich auf die Vorstellung von einer stabilen Menschennatur und auf die Erfordernisse ihres materiellen und intellektuellen Gedeihens22. Der ethische Wert einer Handlung hängt von ihrem Beitrag zur allgemeinen Vervollkommnung von Fähigkeiten ab. Normativ ruft Wolff den Staat auf, durch aktive Intervention für seine Untertanen die Voraussetzungen für ein solches Gedeihen zu schaffen und damit Glückseligkeit zu befördern. Der Staat muß zur Sicherstellung von Vervollkommnung aktiv werden, weil Untertanen selber nicht fähig sind, das Höchstmaß an physischer, intellektueller und geistiger Entwicklung zu erreichen. Dies gilt deshalb, weil Untertanen eine Form der Institutionalisierung für ihre Kooperation benötigen, die der Staat vorsieht, und wichtiger noch, weil der Begriff einer spontanen Handlung selbst umdefiniert wird. Durch den Begriff der Trägheit wandelt Wolff 23 die Leibnizsche Metaphysik in eine Newtonische Richtung ab. Damit ändert sich der Zustand von Spontaneität so, daß Bewegung nicht mehr als völlig bei sich selbst anfangend gedeutet wird. Wolffs Newtonische Anleihen machen das Problem der Trägheit in der Folge zu einem ausschlaggebenden Moment. Das Bedürfnis nach der exogenen Lenkung von Tätigkeit zu Vervollkommnung ist die Basis dafür, daß er sich auf einen interventionistischen, aufgeklärten Absolutismus beruft, und zwar zur Förderung der optimalen Entwicklung der örtlichen Produktionskräfte. Auf diese Weise gestaltet Wolff die grundlegenden Leibnizschen juridischen Prinzipien um. Er spielt das erste damit herunter, daß er Spontaneität mit Trägheit verbindet, womit er dessen innere Verknüpfung mit dem zweiten verliert. 20 Christian Wolff: Institutiones juris naturae et gentium [1754], in: Gesammelte Werke, Bd. 26, hg. von M. Thomann, Hildesheim 1969, § 43, § 106 – 108; ders.: Principes du droit de la nature et des gens, extrait du grand ouvrage latin, par M. Formey, tome premier [1758], Caen 1988, 16, 41. 21 Wolffs Beziehung zum Neo-Aristotelismus und seine Abwandlungen von Leibniz müssen an anderer Stelle untersucht werden. 22 Emanuel Stipperger: Freiheit und Institution bei Christian Wolff (1679 – 1754), Frankfurt 1984; J.B. Schneewind: The Invention of Autonomy, Cambridge 1998, 432 – 44. Wolffs Perfektionismus unterscheidet sich so von nach-Hegelschen Formen, welche die Menschennatur als veränderliches historisches Konstrukt sehen. S. Douglas Moggach: „Post-Kantian Perfectionism“, in: D. Moggach (Hg.): Politics, Religion, and Art. Hegelian Debates, Evans ton/IL 2011, 179 – 200. 23 Christian Wolff: Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur [1723], Gesammelte Werke, Bd. 6, Hildesheim 2010.
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Doch das zweite behält seinen normativen Status als Richtschnur für legitimes Staatshandeln. Es rechtfertigt die Politik des aufgeklärten Absolutismus durch ihren Beitrag zwar nicht zur Freiheit der Untertanen, aber zu deren Vervollkommnung und Glückseligkeit. Wolff postuliert einen vorstaatlichen Naturzustand, in dem die Beziehungen zwischen Subjekten nicht notwendigerweise in Konflikten bestehen, wie bei Hobbes, aber die Abwesenheit stabiler Organisationsformen Personen und Gruppen unfähig bleiben läßt, ihre Handlungen zuverlässig auf ihre eigene und wechselseitige Besserung hin auszurichten24. Individuelle Spontaneität kann hier keinen geordneten Zustand maximaler Vervollkommnung herstellen. Das Naturgesetz erfordert, daß wir uns selber in unserem physischen, intellektuellen und geistigen Sein vervollkommnen und stellt darum den Imperativ auf, den Naturzustand zu verlassen und in eine bürgerliche Gesellschaft einzutreten, die allein eine solche Entwicklung sicherstellen kann. Vervollkommnung erfordert Zusammen-Arbeit, die nicht spontanen Initiativen zu überlassen werden kann 25 (diese sind wirkungslos oder bewirken führungslos das Gegenteil), sondern vom Staat als führender Instanz der bürgerlichen Gesellschaft zu koordinieren ist. Vervollkommnung bringt mit sich die Unterhaltung und Steigerung von Arbeit und ihren Vorbedingungen. Wolff führt angemessene Ernährung an, adäquates Wohnen, Bildung, reine Luft, Wasser und die Erhaltung der Naturreichtümer26. Er tritt für eine bevormundende Regierungsform ein, einen aufgeklärten Absolutismus, dessen Ziel es ist, materiellen und moralischen Fortschritt zu garantieren. Vervollkommnung ist hier mit einem bestimmten materiellen Inhalt erfüllt. In einer Wolffischen bürgerlichen Gesellschaft sind die Grundakteure nicht Individuen mit Rechten, sondern Haushalte, Mischgesellschaften, welche die Familie sowie die Arbeitsbeziehungen von Herr und Diener umfassen. Nach Wolff haben Herren und Diener komplementäre Interessen. Jeder hat eine notwendige Rolle in der Vervollkommnung des Haushalts zu spielen, die von wechselseitigem Vorteil sowie funktional und hierarchisch ausdifferenziert ist27. Während der Historiker
24 Wolff: Institutiones juris naturae et gentium, § 186 – 189; Wolff: Principes du droit de la nature et des gens, extrait du grand ouvrage latin, 88 – 89. John Lockes Theorie bietet einige Ähnlichkeiten mit ihrer Betonung der Steigerung, die auf den Gesellschaftsvertrag folgt; aber mit der Darstellung der Unannehmlichkeiten des Naturzustandes ist Locke mehr mit Problemen der Gesetzgebung und Rechtsprechung als mit dem Imperativ der Vervollkommnung selber beschäftigt. S. z. B., Klaus Fischer: „John Locke in the German Enlightenment: An Interpretation“, in: Journal of the History of Ideas 36 (1975), 431 – 46. 25 Wolff: Institutiones juris naturae et gentium, § 972. 26 Ebd. § 112 – 116; Wolff: Principes du droit de la nature et des gens, extrait du grand ouvrage latin, 32, 36 – 39; ders: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen [1721], Frankfurt 1971, § 224. 27 Wolff: Leben der Menschen, § 168, § 170, § 179, § 182; über die Autoritätsgrenzen des Herrn, § 173.
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Diethelm Klippel28 das Gesinde bei Wolff so behandelt, als ob es sich um effektiv Leibeigene handelte, stellt Wolff es im Sinne von Angestellten dar, die einen Lohnvertrag haben. In einem Haushalt sind die Verhältnisse patriarchalisch, aber nicht in Strenge feudal. Dennoch scheint Wolff die Leibeigenschaft unter bestimmten Bedingungen für legitim zu halten. Dieses Problem bedarf weiterer Studien; Wolffs ausführliche Erörterung von servitus in seinen lateinischen Institutiones 29 beschäftigt sich nicht mit der Leibeigenschaft, sondern mit Rechten zur Verpfändung von Eigentum. Anderswo in Wolffs umfangreichen Schriften würde es den Anschein haben, daß Leibeigenschaft als eine zufällige Beziehung behandelt wird, die aus einem willkürlichen, aber zulässigen Willensakt hervorgeht und in welcher gewisse Grundrechte in wechselseitigem Einverständnis aufgegeben werden30. Klippel verallgemeinert dieses Prinzip mit dem Argument, daß Wolff im Haushalt vollständige Selbstentfremdung von Dienern ihren Herren gegenüber billige. Aber auch eine weniger weitgehende Lesart würde einen schlagenden Gegensatz zu Fichte bilden, für den Arbeit und Freiheit untrennbar sind. Haushalte werden durch den Staat auf höhere Zwecke hin ausgerichtet, auf das telos einer umfassenden Vervollkommnung. Als eine Konsequenz aus Wolffs Syntheseversuch aus Newton und Leibniz, der einen begrenzten Spontaneitätsbegriff impliziert, entsteht für Subjekte die Notwendigkeit, durch eine äußere Ursache aktiviert zu werden. Wolffische Individuen und Gruppen können sich ohne Lenkung von außen nicht selber vervollkommnen. Auch hier sind Wolffs Affinitäten mit Theorie und Praxis des Kameralismus. offensichtlich31. Der Kameralismus ist skeptisch gegenüber dem Erfolg spontaner Anstrengungen ohne Lenkung durch höhere Einsicht32. Wolff teilt diese Sicht, sieht aber die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft auf eine mehr Aristotelische Weise durch den Zusammenschluß der Haushalte auf unterer Ebene strukturiert. Die Haushalte sind eine vom Staat zu formende Materie; aber sie sind nicht völlig formlos, zumal sie bereits in der Verfolgung ihrer eigenen passenden produktiven und reproduktiven Zwecke eine gewisse Form erreicht haben. Der auf einen Vertrag gegründete Staat übernimmt diese höhere Gestaltungsrolle. Herrscher üben väterliche Macht über Untertanen aus, analog zu den Hausherren im Haushalt. Anders als Aristoteles selber hat Wolff keinen Begriff von eigentlich politischer Macht als Macht von gleich über gleich. Das Bedürfnis nach Vervollkommnung, das Subjekte aus dem Naturzustand herausführt, bleibt der Hauptgesichtspunkt bei der Bestimmung von Pflichten und 28 Diethelm Klippel: Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, 37, 41, 198. 29 Wolff: Institutiones juris naturae et gentium, § 708- § 713. 30 Stipperger: Freiheit und Institution, 67 – 73; Knud Haakonssen: „German Natural Law“, in: Mark Goldie/Robert Wokler (Hg.): The Cambridge History of Eighteenth-Century Political Thought, Cambridge 2006, 251 – 90, hier: 274 – 76. s. auch: T.J. Hochstrasser: Natural Law Theories in the Early Enlightenment, Cambridge 2000. 31 Moggach: „Schiller, Scots, and Germans“, a. a. O. 16 – 36. 32 Tribe: Governing Economy, 63 – 65.
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wechselseitigen Rechten, wenn einmal eine bürgerliche Gesellschaft gebildet wird. Die Prinzipien des Naturgesetzes bleiben wirksam durch die Ausrichtung und vielleicht Begrenzung staatlicher Tätigkeiten. Der Disput in der Literatur über die Frage der Begrenzung der Staatstätigkeit bei Wolff ist nicht schlüssig. In seinem Kommentar zu dieser Tradition sieht Klippel33 solche Begrenzungen als illusorisch an, da für ihn der Gesellschaftsvertrag der älteren deutschen Naturrechtstheorien (anders als Locke) nicht einen Bestand von Rechten impliziert, die gegebenenfalls auch gegen den Staat geltend gemacht werden könnten, sondern die vollständige Unterwerfung und Übergabe von Rechten an den Staat. Das Naturgesetz wird so verstanden, daß es eine solche Unterordnung gutheißt, ebenso wie es nach Klippels Lesart die vollständige Unterordnung unter Hausherren im Haushalt legitimiert. Überdies bietet die bürgerliche Gesellschaft über moralische Appelle an die Herrscher hinaus keinen institutionellen Rechtsschutz. Auch hier sind Unterschiede zu Lockes Naturrechtsauffassung evident. In Gegenteil stellt Backhaus Wolff als einen Vorläufer des modernen Verfassungsprinzip der Subsidiarität dar, dem gemäß „politische Richtlinien dort zu befolgen sind, wo deren Ziel erfolgreichst erreicht werden können“34. Hier ergänzt der Staat bloß die Aktivitäten von Haushalten, die so eine Reihe von Grundrechten behalten. Wolff befürwortet dieses Prinzip aus Gründen der Konsequenz mit der Auffassung (z. B. im Hinblick auf Arbeitslose), daß die fiskalischen Interessen des Staates es erfordern, daß er lediglich als Instanz des letzten Mittels dort handelt, wo örtliche und familiäre Wiedergutmachung versagen35. Dieselben konsequentialistischen Überlegungen36 verhindern dann auch einen robusten Rechtsbegriff. Auch wenn die bürgerliche Gesellschaft nicht die vollständige Aufgabe von Rechten nach sich ziehen kann, ist deren Ausübung immer von ihrer Fähigkeit abhängig, Vervollkommnung und Glückseligkeit zu fördern. Eine Berufung auf Glückseligkeit hat immer mehr Gewicht als das Recht. Die grundlegende und begrenzende Rolle des ersten Leibnizschen Prinzips wird damit herabgestuft. Für Wolff ist von fundamentaler Bedeutung das Handlungsresultat, d. h. sein Beitrag zum Wohlergehen im weiten Sinne, und nicht die deontologische Fassung der Tätigkeitsbefugnis, die teilweise bei Leibniz im ersten juridischen Prinzip bestimmend ist. Das Ergebnis ist eine perfektionistische Theorie des aufgeklärten Absolutismus. 33 Diethelm Klippel: „Der liberale Interventionsstaat. Staatszweck und Staatstätigkeit in der deutschen politischen Theorie des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Heiner Lück (Hg.): Recht und Rechtswissenschaft im mitteldeutschen Raum, Köln 1998, 77 – 103; hier 81. 34 Jürgen Backhaus: „Constitutional Causes for Technological Leadership: Why Europe?“, at http://www.independent.org/pdf/working_papers/39_constitutional.pdf, 1999. [hier in Übersetzung]. 35 Wolff: Leben der Menschen, § 383 – § 385; Fichtes Zugang zum Thema Armut wird sich deutlich unterscheiden. 36 Paul Guyer: „Perfection, Autonomy, and Heautonomy: The Path of Reason from Wolff to Kant“, in: Jürgen Stolzenberg (Hg.): Wolff und die europäische Aufklärung: Akten des 1. Internationalen Wolff-Kongresses, Bd. 1, Hildesheim 2007, 299 – 322.
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III. Zwang, Wohlergehen und Vervollkommnung: Kantische Antworten Der Historiker Horst Dreitzel37 beobachtet, daß 1775 in Deutschland die Tendenz bestand, drei Staatsformen voneinander zu unterscheiden, die despotische, die bevormundende oder interventionistische und die republikanische oder gesellschaftliche. Wolffs Staat ist deutlich der bevormundende. Kants Einwand in seinem Aufsatz „Theorie und Praxis“ von 179338 dagegen ist, daß der Vormundschaftsstaat sich prinzipiell nicht vom despotischen unterscheiden läßt, da der Staat damit, daß er Individuen die Zwecke und Mittel ihrer eigenen Glückseligkeit vorzuschreiben suche, illegitim handele und so über seine rechtmäßigen Ziele hinausgehe39. Diesem Staat setzt Kant sein eigenes republikanisches Ideal entgegen, das auf dem Primat des Rechts beruht. Die Begriffe von Spontaneität und Vervollkommnung strukturieren die Auseinandersetzung weiter; aber sie tendiert jetzt dazu, sich auf zwei eng mit einander verbundene Fragen zu konzentrieren: Zur Erfüllung welcher Zwecke können vernünftige Wesen gezwungen werden? Wo sind die eigentlichen Grenzen staatlicher Intervention bei der Förderung von Glückseligkeit? Diese Fragen sprechen die Intention und das Ausmaß legitimer Intervention an. Kants Unterscheidungen zwischen Recht, Wohlergehen und Moralität wurden viele Jahre lang ausgearbeitet40. In den 1780er und frühen 1790er Jahren haben seine Nachfolger in der Erwartung seiner endgültigen Verlautbarungen dazu verschiedene Verknüpfungen von Spontaneität und Vervollkommnung erkundet. Gestützt auf Kants neu veröffentlichte Grundlegung zur Metaphysik der Sitten41 sieht Gottlieb Hufeland (1760 – 1817), daß eines der zentralen Probleme für jede Kantische Rechtstheorie ist, wie Zwang gegenüber vernünftigen Wesen zu rechtfertigen sei42, welche die Kantische Moralität lehrt, immer als Zwecke an sich zu behandeln. Hufeland43 leitet Zwangsbefugnis vom moralischen Gesetz der Vervoll37 Dreitzel:
Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, 102, n. 3. Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis [1793], AA VIII, 290 – 291. 39 Im Jahre 1795 (Zum Ewigen Frieden, AA VIII, 339 – 386, hier: 349 – 354), definiert Kant Despotismus anders, und zwar im Gegensatz zum Republikanertum als die Vereinigung von Exekutive und Legislative in einer Person. Zu jüngster Arbeit an Kant in diesem Zusammenhang s. Sophie Grapotte/Tinca Prunea-Bretonnet (Hg.): Kant et Wolff, Héritage et ruptures, Paris 2011; Reidar Maliks: Kant’s Politics in Context, Oxford 2014; Otfried Höffe (Hg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999; M. Timmons (Hg.): Kant‘s Metaphysics of Morals: Interpretative Essays, Oxford 2002. 40 Robert Pippin: Idealism as Modernism: Hegelian Variations, Cambridge 1997, 59, Anm. 6. 41 Immanuel Kant: Zur Grundlegung der Metaphysik der Sitten [1785], AA IV, 385 – 463. 42 s. Wolfgang Kersting: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Berlin 1984. 43 Gottlieb Hufeland: Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, Leipzig 1785; ders.: Lehrsätze des Naturrechts, Jena 1790; Frankfurt/Leipzig, 17952. 38
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kommnungsfähigkeit ab: Die einzigen legitimen Gründe dafür, vernünftige Wesen zu zwingen, seien, daß solch ein Zwang äußere Hindernisse zur Vervollkommnung beseitige und damit zur einem höheren moralischen Gut beitrage. Hufeland kann diese Lösung teilweise von J.G. Feder herleiten, der eine konsequentialistische Verteidigung von Zwang durch deren Beitrag zur Vervollkommnung betreibt44, ohne dabei Kantische Skrupel hinsichtlich ihrer Zulässigkeit zu haben. Zeitgenössische Rezensenten bestritten Hufelands Konklusion mit der Begründung, daß perfektionistische Argumente mit Kantischen Rechtsbegriffen unvereinbar seien45. Kant selber griff in die Auseinandersetzung46 mit dem Argument ein, Hufelands Begriff von Rechten mache diese zwingend. Kant befürwortete eine flexiblere Position, die, wenngleich in seiner Rezension nur kurz angedeutet, so gesehen werden kann, daß sie Friedrich Schillers späterer Unterscheidung zwischen dem dynamischen Konfliktzustand von Rechten und dem ästhetischen Zustand wechselseitiger Anspruchsharmonisierung47 zugrunde liegt. Als wichtiger früher Verbreiter von Kants Philosophie trägt K.L. Reinhold zu dieser Auseinandersetzung damit bei, daß er gegen Hufeland deutlich zwischen inhaltlichen und formalen Rechtsprinzipien unterscheidet und zeigt, daß eine juridische Ordnung, die mit Kants Prinzipien konsistent ist, nicht auf konsequentialistischen und perfektionistischen Grundlagen beruhen kann48. Reinhold verbindet das Naturrecht mit der Fähigkeit von Individuen, von Freiheit und Spontaneität Gebrauch zu machen. Gewalt könne nur dann gerechtfertigt werden, wenn sie Hindernisse für die Spontaneität anderer aus dem Wege räume, und nicht, weil sie zu moralischer Besserung beitragen würde. In seinem lange erwarteten Werk von 1797, der Metaphysik der Sitten, grenzt Kant den Zwang anders als Hufeland von moralischer Vervollkommnung ab. Letztere wird auf Tugend und Moralität bezogen, wo äußere Zwänge unzulässig sind. Nach Kant ist der Rechtsbereich das System der mit einander verträglichen freien Handlungen in der Außenwelt. Dieses System beruht darauf, daß Subjekte sich gegenseitig Grenzen setzen. Die Handlungen werden dabei als unabhängig von Intentionen und moralischen Folgen angesehen. Rechtszwang bedeutet legitimes wechselseitiges Ausschließen von individuellen Sphären äußerer Kausalität. Er ist eine notwendige Bedingung für die Ausübung solcher Kausalität. Dieser Zwang und damit die Etablierung von rechtlich geschützten Grenzen des Handelns von Individuen werden vom Staat garantiert, weil sie die Idee eines allgemeinen Willens repräsentieren49. Wechselseitige Begrenzung schafft eine Aufteilung der Au44 J.G. Feder: Lehrbuch der praktischen Philosophie, Göttingen 1773; Claudio Cesa: „Diritto naturale e filosofia classica tedesca“, in: L. Fonnesu/B. Henry (Hg.): Diritto naturale e filosofia classica tedesca, Pisa, 2000, 9 – 38; hier 24 – 25. 45 Rohls: Kantisches Naturrecht und historisches Zivilrecht, 41, Anm. 121; 49. 46 Immanuel Kant: „Recension von Gottlieb Hufeland’s Versuch über den Grundsatz des Naturrechts“ [1786], AA VIII, 127 – 30. 47 Moggach: „Schiller, Scots, and Germans“, a. a. O. 16 – 36. 48 K.L. Reinhold: Briefe über die Kantische Philosophie, Jena 1790/1792. 49 Kant: Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 231 – 233.
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ßenwelt dem Rechtsbegriff entsprechend als Bedingung für spontanes Handeln in dieser Welt. Freiheit und nicht Vervollkommnung ist das leitende Prinzip. Eine prästabilierte Harmonie gibt es hier nicht, sondern diese ist das Resultat von vernunftmotiviertem Zwang. Im Gegensatz zu Leibniz verwirft Kant perfektionistische Konklusionen damit, daß er die normativen Implikationen des ersten Leibnizschen juridischen Prinzips spontaner Freiheit begreift, wobei er zugleich diesen Begriff neu konzipiert. Dabei kommt eine Rechtsordnung als Sphäre spontaner und wechselseitig mit einander vereinbarer äußerer Handlungen zustande. Kant definiert den Begriff der Spontaneität in einer komplexen Kritik der Leibnizschen Fassung neu. Kantische Spontaneität ist mit Freiheit verbunden, und zwar nicht in dem Sinne, daß sie wie bei Leibniz einen einzigartigen Inhalt nach außen verlagern würde, sondern in dem Sinne, daß der Wille an keine ihm fremde Ursache gebunden wird. Kant50 bezieht sich auf diese Fähigkeit als negative Freiheit, die Fähigkeit des Willens, von äußeren Ursachen zu abstrahieren oder sie in Auswahl zuzulassen, als handlungsrelevant nach vernünftigen Kriterien. Für Kant sind wir zwar sinnlich affiziert, aber nicht bestimmt51; wir werden auch nicht von einem inneren monadischen Entwicklungsgesetz genötigt. Hierin liegt unsere Spontaneität, unser Vermögen, uns selber Handlungszwecke frei zu setzen. Kants Spontaneität oder Selbstverursachung muß vom Sittengesetz gelenkt werden und damit von der höher stehenden Fähigkeit, sich selber Gesetze zu geben oder autonom zu sein. Aber die Rechtssphäre, die nun von Moralität unterschieden wird, ist der Kampfplatz, auf dem die freie Zwecksetzung eines jeden einzelnen anerkannt und mit derjenigen aller anderen in Einklang gebracht wird. So kommt eine Dreiheit praktischer Vernunft zum Vorschein: Glückseligkeit, Recht und Tugend. Kant teilt das Streben nach Vervollkommnung in zwei Bestandteile auf. Dabei fällt materielle Glückseligkeit unter die Kategorie der empirischen praktischen Vernunft, während moralisch-intellektuelle Vervollkommnung als Sache reiner praktischer Vernunft in der Tugendsphäre Gestalt annimmt, was keinem Zwang unterworfen werden kann. Die Rechtssphäre (sie ist ebenfalls in reiner praktischer Vernunft verwurzelt: es muß Rechte geben, damit Spontaneität anerkannt werden kann, wenngleich wir in besonderen Fällen nicht moralisch dazu motiviert werden müssen, rechtmäßig zu handeln) ist der Kampfplatz, auf dem die Prinzipien, die einzelne Menschen bei der Auswahl ihrer besonderen Handlungszwecke bzw. ihrer Glückseligkeit lenken und begrenzen, ohne daß Vorschriften für diese spezifischen Entscheidungen ausgearbeitet werden könnten. Das Leibnizsche erste Prinzip kommt damit wieder zu vollen Ehren, das zweite Prinzip, dasjenige der Verteilungsgerechtigkeit, ist durchgängig dadurch bedingt, und das dritte Prinzip ist als Reich der Zwecke oder auch individueller und kollektiver Selbstkultivierung wirksam entpolitisiert.
50 Kant: 51
Kritik der praktischen Vernunft, AA V, § 8. Henry Allison: Kant’s Theory of Freedom, Cambridge 1990, 60.
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Kants Rechtsdenken und Opposition gegen perfektionistische Theorien beruhen auf seiner Unterscheidung zwischen empirischer praktischer Vernunft (deren Domäne das Gute im Sinne individuellen Wohlergehens, Glückseligkeit oder Bedürfnisbefriedigung ist) und reiner praktischer Vernunft. Letztere enthält zwei Vermögen, und zwar nicht als bloße Naturattribute, sondern als Weisen der Ausübung vernünftiger Freiheit: das Vermögen des Willens zur Selbstbestimmung (Spontaneität) und sein Vermögen zur Selbstbestimmung durch das Sittengesetz (Autonomie). In der Metaphysik der Sitten liegt die reine praktische Vernunft zwei unterschiedlichen Tätigkeitssphären zugrunde: der Rechtssphäre bzw. dem Recht (der Anpassung an die Bedingungen freier Wirksamkeit für alle Subjekte) und der Sphäre der Moralität, in der volle Autonomie in Kants Sinne ausgeübt werde kann. Im Gegensatz zur perfektionistischen Lesart Kants und im Unterschied zu anderen Republikanismen, die auf Tugend beruhen52, entpolitisiert Kant die Tugenden und verschafft ihnen einen Platz in der Sphäre der Moral als Hilfen oder Motivationen zu moralischem Wollen und Pflichterfüllung. Fichte wird ihm in dieser Hinsicht folgen. Vervollkommnung von Vermögen wird umgeformt in eine individuelle Pflicht sich selber gegenüber in der Sphäre intellektueller Tugenden und wird deutlich von Glückseligkeit als materieller Befriedigung unterschieden, die zum Tätigkeitsfeld der empirischen praktischen Vernunft gehört. Diese Unterscheidung zwischen materieller Befriedigung und moralischer Vervollkommnung sowie die Zuweisung von jedem von beiden zu ihnen angemessenen Handlungssphären lassen den Rechtsbegriff klar hervortreten. Die Rechtssphäre ist der Kampfplatz, auf dem die Prinzipien, alle einzelnen auf der Suche nach ihrer besonderen Glückseligkeit darauf zu begrenzen, ihre Zielwahlen mit einander verträglich zu gestalten, entwickelt werden. Recht ist nicht mehr zufällig hinsichtlich seines Beitrags zur Vervollkommnung wie bei Wolff, sondern erwirbt seinen eigenen kategorialen Status als in reiner praktischer Vernunft gegründet. Politische Verordnung und Zwang sind hier immer den Prinzipien von Spontaneität und Recht untergeordnet. Der Staat kann nicht legitimerweise für uns bestimmen, wie wir zu Glückseligkeit kommen, wenngleich er verhindern muß, daß wir in die Möglichkeit anderer eingreifen, selber in Freiheit tätig zu werden (und, wie wir sehen werden, kann er unser Streben nach materieller Zufriedenstellung erleichtern, ohne es zu bestimmen). Recht beruht nicht auf Nützlichkeit, sondern ist ein Aspekt der Freiheit, der in reiner praktischer Vernunft gründet. Doch bleibt es von Tugend oder dem Guten unterschieden, zumal es lediglich die Außenaspekte des Handelns betrifft und nicht seine Maxime oder sein Motiv. Obwohl der Rechtsbegriff selber ein kategorisches Erfordernis reiner praktischer Vernunft ist, besteht Kant nicht darauf, daß die konkrete Rechtsausübung von ethischen Überlegungen motiviert werde. Kluge Berechnung oder bloß äußere Willfährigkeit ist für rechtsgemäßes Handeln zureichend. 52 Eric Nelson: The Greek Tradition in Republican Thought, Cambridge 2004; J.G.A. Pocock: The Machiavellian Moment, Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975.
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Kants rechtsphilosophisches Republikanertum beruft sich so nicht unmittelbar auf Tugend, wenngleich Tugend zu einer vollständigen Darstellung reiner praktischer Vernunft erforderlich ist53. Rechtsbeziehungen, die äußere Maßnahmen betreffen, verlangen keine innere Willfährigkeit, sondern lediglich eine kluge wechselseitige Teilhabe an der Außenwelt. Doch wie die Moralität gründet die Rechtssphäre in Freiheit und nicht in Nützlichkeit, in reiner und nicht in empirischer praktischer Vernunft. Dies ist eine wesentliche Einsicht, die Fichte weiterentwickeln wird. Ferner, wenn konkrete rechtsbestimmte Handlungen vorsichtig dem Eigennutz dienen, ist der Übergang vom Naturzustand zum bürgerlichen Selbst ein moralisches Gebot. Es handelt sich um eine vernünftige Forderung, deren kategorische Kraft nicht auf Vorteilsberechnungen ruht, sondern eine praktische Notwendigkeit zum Ausdruck bringt (die sich mit Zwang verbindet), damit überhaupt Rechte ausgeübt werden können. Den Naturzustand zu verlassen, ist ein Gebot der Moralität, das ausdrücklich potentiellen Rechtsträgern gegenüber aufgestellt wird: es geht nicht darum, Vollkommenheit zu erreichen, sondern Freiheit auszuüben. Wenn der bürgerliche Zustand nicht erst eingeführt, sondern bewahrt werden soll, kann damit gerechnet werden, daß seine Bewahrung regelmäßige Anpassung und Ausweitung nach sich zieht. Jüngste Forschung hat die Bedeutung von Kants Denken für fortschreitende Gesetzesreformen betont, und zwar im Sinne einer schrittweisen Annäherung an das Vernunftideal. Diese Reformen werden in der Literatur so verstanden, daß sie eine Art von rechtlichem Sollen darstellen. In einigen Lesarten stellen sie wieder ein Maß von Perfektionismus innerhalb seiner eigenen Theorie her54. Diese Position sollte jedoch weder als eine neuerliche Moralisierung der Politik noch als ein Rückfall in den Konsequentialismus verstanden werden; sie ist vielmehr als Fortschritt in der Freiheit zu begreifen. So wird Fichte Kants Position verstehen, und zwar im Sinne der Zur-Pflicht-Machung von Prozessen gesellschaftlichen Schaffens55, wodurch der Bereich des Rechts gesichert und erweitert wird. Die qualitativen Zwecke von Intervention sind Freiheit. Kant selber bietet zwei Gruppen von Gründen für legitime, vom Recht gelenkte staatliche Intervention in die bürgerliche Gesellschaft hinein an: empirische und reine praktische Gründe. Er schließt nicht alle Maßnahmen zur Beförderung von 53 So Kants vertraute Erklärung (Zum Ewigen Frieden, AA VIII, 339 – 386; hier: 366), daß das politische Problem sogar für eine Bevölkerung intelligenter Teufel gelöst werden kann. Zu einer Lesart, die die Wichtigkeit der Selbstbegrenzung betont und damit der Moralität sogar innerhalb von Rechtsbeziehungen, s. Katrin Flikschuh: Kant and Modern Polit ical Philosophy, Cambridge 2000. 54 Zum Imperativ der Erweiterung der Rechtssphäre mit quasi-perfektionistischen Implikationen s. Luca Fonnesu: „Kants praktische Philosophie und die Verwirklichung der Moral“, in: Herta Nagl-Docekal/Rudolf Langthaler (Hg.): Recht-Geschichte-Religion. Die Bedeutung Kants für die Gegenwart, Berlin 2004, 49 – 61; und ebd., Paul Guyer: „Civic Responsibility and the Kantian Social Contract“, 27 – 47. 55 Marc Maesschalck: Droit et création sociale chez Fichte. Une philosophie moderne de l’action politique, Louvain 1996.
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Glückseligkeit prinzipiell aus; er bietet auch zwingende Gründe für staatliches Handeln im Interesse von Freiheit selbst. Wenn Kant in „Theorie und Praxis“ legitime staatliche Interventionsformen erörtert, macht er dies im ersten Sinne als kluge Berechnung von Seiten der Herrscher, die vorsieht, den Staat in seinem empirischen Dasein zu bewahren, und zwar primär im Zusammenhang mit internationalen Rivalitäten. Auch der Kameralismus hatte die Intervention verteidigt, und zwar nicht nur aufgrund des Versagens von Spontaneität, sondern auch im Licht internationaler Konkurrenz unter Bedingungen, unter denen die Nutzung und Maximierung einheimischer Ressourcen das Fundament ökonomischer und militärischer Stärke bilden muß. Hier akzeptiert Kant diese Begründung. So unterstreicht Kant z. B., daß Maßnahmen zur Förderung von Glückseligkeit (nationale Wohlstandssteigerung, Bevölkerungsvermehrung usw.) durch seine Theorie nicht ausgeschaltet werden, sondern daß Glückseligkeit „nicht als Zweck der Errichtung einer bürgerlichen Verfassung [betrachtet werden kann], sondern nur als Mittel, den rechtlichen Zustand vornehmlich gegen äußere Feinde des Volks zu sichern.“56 Der Umfang von Wohlfahrtsmaßnahmen wird hier als eine Frage klugen Urteils dargestellt, das dem Staatsoberhaupt zusteht, das republikanisch als Agent eines postulierten allgemeinen Willens handelt. Ziel des staatlichen Handels ist es nach Kant, „das Volk nicht gleichsam wider seinen Willen glücklich zu machen, sondern nur zu machen, daß es als gemeines Wesen existiere.“57 Kant fügt hinzu: „Dahin gehören gewisse Verbote der Einfuhr, damit sie Erwerbmittel dem Untertanen zum Besten und nicht zum Vorteil der Auswärtigen und Aufmunterung des Fleißes anderer befördert werden, weil der Staat, ohne Wohlhabenheit des Volks, nicht Kräfte genug besitzen würde, auswärtigen Feinden zu widerstehen oder sich selbst als gemeines Wesen zu erhalten.“58
Diese Maßnahmen, die sich empirisch rechtfertigen lassen, werden bald von Fichte als notwendige Garantie für die Rechtspraxis selber systematisiert. Fichte sieht solche politischen Richtlinien als Sache eines Mandats nicht nur aufgrund hypothetischer Überlegungen zur Wohlfahrt, sondern aufgrund von kategorischen Rechtsverfügungen zur Verteidigung eines Arbeitsrechts, wobei Individuen Kausalität, Spontaneität und Freiheit in der Außenwelt ausüben. Mit dieser Übertragung von empirischer auf reine praktische Vernunft folgt Fichtes Geschlossener Handelsstaat anderen Hinweisen, die Kant in der Metaphysik der Sitten gibt. Kants Interventionsvorbehalt in „Theorie und Praxis“ beruht auf vernünftigen Überlegungen, und seine Argumente in der Metaphysik der Sitten sind mit Fichtes Wiedergabe verträglich.59 Hier argumentiert Kant, daß, „wenn ein gewisser Ge56 Kant:
Gemeinspruch, AA 8, 275 – 313, hier: 298. A. a. O. 298 – 299. 58 A. a. O. 299. 59 Alexander Kaufman: Welfare in the Kantian State, Oxford 1999, 28 – 30, zur Aufrechterhaltung eines Rechtszustandes und der empirischen Existenz eines Staates. Bei der 57
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brauch der Freiheit selbst ein Hinderniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d.i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d.i. recht.“60 Wenngleich diese Stelle sich auf Zwang überhaupt als wechselseitiges Sich-Ausschließen unter individuellen Rechtsträgern bezieht, läßt Kants Text eine weitere, nämlich politische, Ausweitung zu. Neben Interventionen zur Bewahrung der empirischen Existenz des Staates sieht er eine Reihe von sachgerechten Interventionen zur Sicherung der Bedingungen zur Ausübung von Freiheit bzw. Recht vor. Diese schließen Sozialhilfe, Bildung, Gesundheitsfürsorge und gesellschaftliche Mobilität ein, sowie die Zugangsmöglichkeit passiver Bürger (Abhängiger oder Angestellter) zum Status aktiver Bürgerschaft (die ökonomische Unabhängigkeit erfordert61. Nach Kantischen Prinzipien mag der Staat unsere Ziele bei unserem Streben nach Glückseligkeit nicht rechtmäßig bestimmen, solange die Verfolgung dieser Ziele nicht die Freiheit anderer einschränkt; doch der Staat als eine Rechtsordnung hat die Pflicht, die Möglichkeit zu jenem Streben für alle zu eröffnen. Interventionen in diesem Geiste sind darauf angelegt, die Rechtswirksamkeit zu fördern und den Platz für Spontanhandlungen offen zu halten. Genau so aber begreift Fichte im Jahre 1800 die Rolle des Staats. IV. Die Grenzen des staatlichen Handelns In den 1790er Jahren setzte ich die Auseinandersetzung zwischen Wolffianern und Kantianern über das Verhältnis von Spontaneität und Vervollkommnung unvermindert fort. Kantianer wie Wilhelm von Humboldt befürworteten die Emanzipation spontaner Energien von politischer Einmischung. Vervollkommnung könne nicht von außen induziert werden. Für Wolffianer wie Karl von Dalbert machte die Verteidigung perfektionistischer Interventionen eine explizitere Thematisierung des Versagens von Spontaneität erforderlich. Fichte spielt auf diese gegensätzlichen Konzeptionen in der Vorrede zu seinem Geschlossenen Handelsstaat an, indem er Kantische Reflexionen aufnimmt und erweitert. Sein Widerspruch gegen Dalberg betrifft die qualitativen Zwecke der Intervention. Hierin stimmt er mit Humboldt überein, greift aber dessen zu restriktive Darstellung des Staates als Rechtsgaranten an. Einführung dieser Unterscheidung behält Kant einen weiten Sinn von Wohlfahrt bei, der beide Fälle umfaßt. 60 Kant: MS, AA VI, 231. Diese Stelle findet sich im Zusammenhang mit Kants allgemeiner Definition von Gewalt. Kaufman (a. a. O. 34) zitiert diese Stelle auch als Ermächtigung zu Interventionen zur Erhaltung und Ausweitung der Kapazität zu freiem Handeln, wenngleich er Fichte nicht behandelt. Manfred Riedel: Between Tradition and Revolution. The Hegelian Transformation of Political Philosophy, übersetzt von W. Wright, Cambridge 1984, 108 – 09, hält jedoch daran fest, daß Kant die Ökonomie als einen bloß technischen Bereich von der praktischen Philosophie ausschließt. 61 Kaufman, a. a. O. 31 – 32.
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Im Sog der Hufelandkontroverse trägt Wilhelm von Humboldt62 eine stringente Kritik perfektionistischer Staatstheorien vor. Humboldts Text über die Grenzen der Staatsintervention wurde teilweise 1792 veröffentlicht, der Rest erschien erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Humboldts Veröffentlichung unterstützt die Rechte zur spontanen Wahl bei dem Verfolg von Wohlergehen, wobei er außerdem argumentiert, individuelle Spontaneität ohne Druck von außen sei der Vervollkommnung, der optimalen Entwicklung der eigenen Vermögen und Kapazitäten, besonders förderlich. Hiermit nimmt er John Stuart Mill vorweg. Vervollkommnung ist ein moralisches Ziel, sie muß aber selbstgesteuert sein. Gegen Wolff und den Kameralismus stellt Humboldt die Behauptung auf, daß Vervollkommnung das Zu-Tage-Treten von Freiheit sei. Mit dieser Argumentation deutet er jedoch Kants Kritik des Wolffischen Perfektionismus so, daß sie einen kategorischen Bann gegen jedwede staatliche Intervention über das zum Schutz von individuellen Rechten und Eigentum erforderliche absolute Minimum hinaus impliziere. Er entwickelt Kants Denken in eine klassisch-liberale Richtung. Für Humboldt impliziert der Rechtsbegriff, daß die Sphäre des Wohlergehens gänzlich individuellen Initiativen zu überlassen sei, und daß ökonomische Ungleichheit nicht der Rechtssphäre zugehöre. Zweifellos gibt es Kantische Gründe für diese Position. Kant behauptet in „Theorie und Praxis“, politische Gleichheit impliziere keine ökonomische Gleichheit63. Aber Humboldts Rechtskantiansmus schöpft die theoretischen Möglichkeiten nicht aus, und Kant selber erklärt 1793 Interventionen jenseits der von Humboldt gesetzten Grenzen für zulässig. Humboldts unvollständiger Text rief sofort Antworten aus verschiedenen Lagern hervor. Eine erste Wolffische Kritik an Humboldt wird wie erwähnt von Karl von Dalberg (1744 – 1817) formuliert, dem letzten Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vor dessen Auflösung. Danach war er Fürstprimas des napoleonischen Rheinbundes64. Trotz entgegengesetzter theoretischer Ausrichtung bildeten Dalberg, Fichte und Humboldt einen Diskussions- und Publikationskreis, der auf Friedrich Schiller während seiner Professur in Jena hin zentriert war65. Es war Schiller, der Humboldts mit Dalbergs Ermutigung niedergeschriebenen Text veröffentlichte. Dalberg veröffentlichte daraufhin eine Widerlegung dieser Prinzipien in einem anonymen Text von 1793 mit dem Titel Von den wahren Grenzen der Wirksamkeit des Staats in Beziehung auf seine Mitglieder. In dieser Erwide62 Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, Berlin 1903. 63 Kant: Gemeinspruch, a. a. O. 290 – 294. 64 Robert Leroux: La théorie du despotisme éclairé chez Karl Theodor Dalberg, Paris 1932; Karl von Beaulieu-Marconnay: Karl von Dalberg und seine Zeit, Band 1, Weimar 1879: 168 – 200; Nicholas Boyle: Goethe. The Poet and the Age, Bd. 2, Oxford 2000, 32 – 33; Martin Völker: Raumphantasien, narrative Ganzheit und Identität. Eine Rekonstruktion des Ästhetischen aus dem Werk und Wirken der Freiherren von Dalberg, Hannover 2006, 57 – 208. 65 Beaulieu-Marconnay, a. a. O. 168 – 80.
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rung auf das neue von Kant inspirierte Rechtsdenken versucht Dalberg, Wolffs Theorie mit Argumenten zu den Spontaneität begrenzenden anthropologischen Faktoren zu stützen, welche die Spontaneität einschränken und es erfordern, daß Vervollkommnung an erster Stelle von politischen Autoritäten gepflegt wird. Mit seiner naturalistischen Beschreibung von Glückseligkeit und ihren Beschränkungen betont Dalberg66 die Untauglichkeit spontaner Akte zum Erreichen des Ziels der Vervollkommnung. Diese Untauglichkeit habe ihre Wurzeln in festliegenden Merkmalen der Menschennatur, ihrer Tendenz träge zu sein und in ihrer Bevorzugung von Vergnügen ohne Anstrengung. Für Dalberg ist das unbeweglich machende Gewicht unmittelbaren privaten Interesses eine anthropologische Konstante, die in den Augen dieses katholischen Prälaten vielleicht auch eine Folge der Erbsünde darstellt. Die Aufgabe des aufgeklärten Staates bestehe darin, die schlafenden Energien seines Volkes zu erwecken und diese Bemühungen auf das gemeinsame Ziel der Glückseligkeit zu lenken, was eine geistige Entwicklung einschließe. Parteiliche Vereinigungen sind einzuschränken67, zumal sie Privatinteressen hegen, die möglicherweise mit dem Gemeinwohl unvereinbar sind. Vielmehr sollte der Staat sich so viel wie möglich auf Bildung statt auf Zwang stützen, um die Ziele allgemeinen Glücks zu erreichen. Trotz Dalbergs Milde sind es Theorien von dieser Wolffischen Art, die Kant in „Theorie und Praxis“ als despotisch darstellt mit ihrem Versuch, einzelnen Menschen die Wege zur Erreichung ihrer eigenen Glückseligkeit vorzuschreiben und dabei Spontaneität und Rechte außer acht zu lassen. Dalberg könnte auch Gegenstand von Fichtes Polemik gegen Theorien sein, die für Seligkeit ebenso wie für weltliches Glück werben. V. Fichtes Geschlossener Handelsstaat und die Freiheit Fichtes Standpunkt ist, daß der Staat primär die Aufgabe habe, für alle seine Angehörigen das Recht auf Arbeit zu sichern, und zwar das Recht, Kausalität in der materiellen Welt auszuüben. Fichte versteht Arbeit als Ausdruck von Spontaneität bzw. reiner praktischer Vernunft. So verbindet er Arbeit mit Freiheit ebenso wie mit Bedürfnisbefriedigung. Dieses Prinzip ist grundlegend für seinen Text von 1796/97, Die Grundlage des Naturrechts, sowie für seinen Geschlossenen Handelsstaat von 1800, den er als Nachtrag zu dieser früheren Arbeit bestimmt. Der spätere Text ist mit Kants Denken in der Metaphysik der Sitten über das Bedürfnis, die Bedingungen für freies Handeln aufrechtzuerhalten, vereinbar, wenngleich er von dieser Prämisse eine in einem hohem Maße geregelte Gesellschaftsordnung ableitet.68 66
Dalbergs Text wird in Leroux, a. a. O. wiedergeben, 45 – 54, hier: 46. 47. 68 S. Isaac Nakhimovsky: The Closed Commercial State. Perpetual Peace and Commercial Society from Rousseau to Fichte, Princeton 2011, insbesondere über Fichtes Verhältnis zu Smith und Rousseau, die frühe Rezeption des Buches und die Frage internationaler Rivalitäten. 67 Ebd.
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In seinen einführenden Bemerkungen69 bestimmt Fichte seinen geschlossenen Handelsstaat als Erwiderung auf zwei unzulängliche Versuche der Definition der Grenzen politischen Handelns, die wir jetzt mit seinem unmittelbaren intellektuellen Kontext in Verbindung bringen können. Fichte stellt die Behauptung auf, perfektionistische Theorien (das Zielen auf Seligkeit eingeschlossen, eine deutliche Bezugnahme auf Dalberg) seien unannehmbar, weil sie die Zwecke politischer Interventionen mißverstehen. Humboldt dagegen irre damit, daß er die Grenzen legitimer staatlicher Tätigkeit viel zu eng ziehe. Die Kritik des Prinzips von mit Wohlergehen begründeten Interventionen sei durchgängig gerechtfertigt (wenngleich solche Interventionen im empirisch existierenden Staat manchmal Vorsichtsmaßnahmen sein können: Fichte definiert Politik als Praxis der In-Beziehung-Setzung des Rechtsbegriffs auf zufällige Umstände). Die Organisationsformen für das Streben nach Wohlergehen können jedoch Rechte durch deren Einschränkung verletzen, und Interventionen zur Korrektur solcher Einschränkungen sind nicht Gegenstand von Humboldts kritischen Erörterungen. Darüber hinaus verteidigen Theorien wie diejenige Humboldts die existierende zufällige Eigentumsverteilung, ohne deren Legitimität zu untersuchen. So ist, abgesehen von Maßnahmen zur Erhaltung des Staates in seiner empirischen Existenz, die politische Intervention legitim, um einen Zustand herbeizuführen, in dem von allen Angehörigen einer politischen Gemeinschaft das Recht praktiziert werden kann. Konsistent mit Fichtes Standpunkt von 179270 unterscheidet sich sein Modell eines geschlossenen Handelsstaats grundlegend von Wolffs und Dalbergs Interventionismus, weil er nicht die Glückseligkeit, sondern die Freiheit seiner Untertanen, d. h. die Bedingungen für die Ausübung der freien Kausalität eines jeden Individuums auf der Welt, erhalten, sowie ein gerechtes Verteilungssystem sichern soll, in dem niemand rechtmäßig im Überfluß leben kann, bevor alle in der Lage sind, sich selber mit dem Notwendigen zu versorgen71. Fichtes Interventionismus nimmt Kenntnis von Kants Kritik des despotischen Staates und erhält die Betonung von Selbstbestimmung und Spontaneität aufrecht. Er überprüft die Bedingungen für die Freiheitsausübung und begreift dabei die Grenzen zwischen Wohlfahrt und Recht neu. Die Rechtsphäre kann ohne Legitimation durch wirtschaftliche Einrichtungen eingeschränkt werden, deren Handlungszwecke nur die Wohlfahrt einzelner ist. Zur Einschränkung kommt es dann, wenn als Resultat von Ungleichheit in der bürgerlichen Gesellschaft einige Per69 Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und Probe einer künftig zu liefernden Politik, in: GA I/7, 37 – 141, hier: 53. 70 Fichte: Schriften zur Revolution, hg. von Bernard Willms, Frankfurt a. M. 1973, 53 – 80. Klippel, a. a. O. 95, unterscheidet ebenfalls Interventionen zur Förderung von Glückseligkeit und Recht; aber er sieht letztere als interventionistischen Liberalismus an. Zur Unterscheidung zwischen liberalen und republikanischen Strömungen, s. Douglas Moggach: The Philosophy and Politics of Bruno Bauer, Cambridge 2003. 71 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 84 – 90.
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sonen des Zugangs zu den Mitteln beraubt werden, in der objektiven Welt tätig zu werden, und ihnen damit Freiheit versagt wird. Trotz seiner problematischen Kontrollen und Regulierungen konzipiert Fichte einen interventionistischen Staat für die Bewahrung der Möglichkeit von freier Kausalität und Spontaneität für alle Untertanen, was mit den Grundprinzipien von Kants Rechtsdenken vereinbar ist. Im Gegensatz zu Humboldt kennzeichnet ihn seine Aufmerksamkeit auf die materiellen Bedingungen von Freiheit als „Linkskantianer“. Nach Fichte stützten deutsches Gemeinrecht und die christliche oikumene ein älteres Weltbürgertum des mittelalterlichen Europas, während die schrittweise Anwendung des römischen Rechtes in den Territorialfürstentümern es deren Oberherrn erlaubte, für sich den Status von Kaisern im eigenen Gebiet zu beanspruchen. Damit trugen sie zu einem System sich gegenseitig ausschließender politischer Einheiten bei, während internationale Beziehungen Anarchie und wachsender Konkurrenz unterlagen. In diesem Zusammenhang kann Der geschlossene Handelsstaat als Fichtes Abhandlung zum ewigen Frieden gelesen werden72. Unter Fichtes Zielen findet sich die Beseitigung der Ursachen destruktiver internationaler Rivalitäten, sofern diese durch das bedingt werden, was David Hume die „jealousy of trade“73 nannte, wo der Handel zum Instrument im Kampf um militärische und politische Hegemonie wird, statt die Volkswohlfahrt zu steigern. Fichtes Text gehört auch in diesen weiteren europäischen Zusammenhang74. Sein Beitrag besteht darin, die Auseinandersetzung auf den Begriff der Spontaneität und seine Voraussetzungen zurückzuführen und zu gründen. Die wirksamsten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Staates in seiner empirischen Existenz sind nicht bloß zufällige kluge Interventionen, sondern sichern die Rechtsordnung selber durch die Anerkennung des Grundrechtes auf Arbeit ab. Fichtes primäre Überlegung bei der Befürwortung von Geschlossenheit ist nicht das Wohlergehen, sondern das Recht. Wie es der Untertitel seines Werks anzeigt, ist der Text ein Nachtrag zur Rechtstheorie und damit eine weitere Spezifizierung und Anwendung der Bedingungen für die Aufrechterhaltung einer Rechtsordnung. Während die Grundlage des Naturrechts75 die Zweckdienlichkeit und Erwünschtheit einer Strategie der Geschlossenheit des Handels und einer Autarkie ankündigt, befürwortet sie diese Lösung nicht schon als definitiv. Um 1800 vertritt Fichte dann kategorischer, daß eine Rechtsordnung eine reine Binnenwirtschaft erforder-
72 Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre. Zweiter Theil oder Angewandtes Naturrecht [1797], GA I/4, 151 – 164; Nakhimovsky, a. a. O. 73 Istvan Hont: The Jealousy of Trade. International Competition and the Nation-State in Historical Perspective, Cambridge/MA 2005. 74 Michael Sonenscher: Sans-Culottes. An Eighteenth-Century Emblem in the French Revolution, Princeton 2008, 129. 75 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 38 f. Zu diesem Buch s. Thomas Sören Hoffmann (Hg.): Das Recht als Form der ‚Gemeinschaft freier Wesen als solcher‘. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, Berlin 2014.
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lich macht. In seiner Untersuchung über die Arbeit und ihre Bedingungen wird zugleich die Kontinuität mit seinem früheren Text deutlich. Wie Fichte es auch im System der Sittenlehre von 179876 vertreten hat, ist Freiheit als Begriffskausalität zu verstehen, d. h. als das subjektive Vermögen des Denkens und Wollens zur Umgestaltung von Objektivität im Lichte von Zwecken. Das Naturrecht und Der geschlossene Handelsstaat konzentrieren sich beide auf Freiheit und Handeln in ihrem rechtlichen Aspekt sowie beim Recht auf die Spontaneität, d. h. auf das Recht darauf, Veränderungen in der Sinnenwelt in Übereinstimmung mit unseren Begriffen und Vorhaben anzufangen und diese Prozesse fruchtbar werden lassen. Arbeit ist die Manifestation von Spontaneität und Freiheit ebenso ein Mittel zu materieller Bedürfnisbefriedigung. Das Recht auf Arbeit ist rekurriert auf ein grundlegendes Rechtsprinzip: auf das Recht, eine Ursache von Veränderung in der materiellen Welt zu sein und als diese Ursache anerkannt zu werden. Die Bedingungen für ein erfolgreiches Handeln nach Zwecken, die in der Theorie festzusetzen und in der Praxis vorzusehen sind, sind dreifach: erstens materiell, wobei es um die persönliche Zuschreibung einer Objektsphäre als der eigenen für die eigene Tätigkeit geht, aber auch um den Zugang zu den dafür erforderlichen Werkzeugen und Materialien, durch welche sich die Tätigkeit überhaupt erst auf die Gegenstände applizieren läßt (was freilich nicht notwendig einen persönlichen Werkzeugbesitz impliziert, wohl aber die Verfügbarkeit von Werkzeugen je nach Erfordernis77); zweitens intersubjektiv, d. h. die Aufteilung der verfügbaren Ressourcen betreffend, um jedem einzelnen die Möglichkeit zu garantieren, von seiner Arbeit leben zu können (d. h. Subjekte sind sich wechselseitig darüber einig, ihre eigene Wirksamkeit so einzuschränken, daß jedem einzelnen eine eigene Sphäre zugeteilt werden kann); drittens epistemisch, wobei es um die maximal mögliche Konsistenz und Vorhersagbarkeit objektiver Prozesse geht, in denen ein jeder seine Arbeit plant, und damit die Reduzierung zufälliger Störungen, sowie die Abwesenheit von Einmischungen in die Tätigkeiten eines jeden von allen anderen. Die Rolle des Staates besteht darin, diese Bedingungen zu schaffen und zu erhalten. Sie besteht nicht darin, wie Humboldt glaubte, einfach die zufällig existierende Eigentumsverteilung aufrechtzuerhalten, sondern zuallererst eine rechtmäßige Verteilung zu sichern, bei der für Fichte sich die Gleichheit bei der Befriedigung der (historisch veränderlichen) Grundbedürfnisse behauptet. Für diesen Zweck hat der Staat die Unverletzlichkeit der individuellen Tätigkeitssphären zu garantieren, sobald dieser Gleichheitszustand erreicht ist. Verfügbare Ressourcen und die Bedürfnisse sind durch vernünftige Planung und Zuweisung im Gleichgewicht zu halten. Das Wachstum der Produktivkräfte durch die Ermunterung der Entwicklung und die Anwendung von Wissenschaft durch den intelligenten Staat ist zu fördern, ein öffentliches Kreditsystem zur Finanzierung von Produktion und Tauschhandel ist zu erstellen. Schließlich ist der Binnenhandel innerhalb der nationalen Grenzen zu or76 Fichte: System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre [1798], GA I/5, 27. 77 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 37 f.
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ganisieren und zu erleichtern. Fichte unterscheidet grundsätzlich zwischen Binnenund Außenhandel. Ersterer ist als ein Mittel zur Verteilung des Nationalprodukts zwischen landwirtschaftlichen und handwerklichen Produzenten eines erkennbaren Quantums legitim und notwendig. Für Fichte ist es streng rational berechenbar. Dagegen ist der Außenhandel unvorhersagbaren Zufällen unterworfen. Fichtes Denken über die Bedeutung und Berechenbarkeit steht hier in einem Zusammenhang mit anderen Vorschlägen des 18. Jahrhunderts, Armut zu reduzieren78. Als Vorbedingung für die Umsetzung dieser Maßnahmen muß der Staat den Außenhandel schrittweise verdrängen und schließlich unterbinden79, politische Richtlinien zum Ersatz von Importen aufstellen und eine nicht konvertierbare Nationalwährung einzuführen (vielleicht nach dem Muster der assignats der Französischen Revolution; die Abschließung der Wirtschaft würde einer Entwertung der Währung zuvorkommen). Als einen anderen vorbereitenden Schritt zu Abschließung der Wirtschaft müßte der Staat seine nationalen Grenzen festsetzen. Doch Fichte meint, dies könne durch friedliches Vorgehen erreicht werden, zumal, wenn erst einmal Hegemoniebestrebungen aufgegeben würden, kein anderer Staat sich durch Konsolidierung bedroht fühlen müsse und Bevölkerungen am Ort ausgeprägte Vorteile wahrnehmen würden80. Bezüglich möglicher Hindernissen für die Ausführung seines Programms nennt Fichte eine Tendenz zur Trägheit bzw. zu einem Nachgeben gegenüber der Naturkausalität (hier stimmt er Dalberg zu), die ironische Distanz und den für die Romantiker seiner Zeit so typischen Mangel an moralischer Ernsthaftigkeit. Diese beiden Perspektiven verneinen, daß Freiheit in einer Anstrengung bestehe. Fichte sieht dagagen seine Vorschläge als Mittel zur Verteidigung der für die Praktizierung von Freiheit nötigen Strukturen und Werte81. Fichte bestreitet, daß sein ‚vernunftgemäßer Staat‘ unter wirtschaftlicher Unterentwicklung leiden oder sich gegen die moderne Welt entscheiden würde82. Er sieht wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der Produktion in überschaubarem Rahmen als nicht schädlich mit seinen Zielen an83. Wenn seine Aufmerksamkeit auf die Entwicklung der örtlichen Produktivkräfte und den Binnenmarkt an den Kameralismus erinnert, so ist er doch von der Idee des Rechtsprimats motiviert, die in deutlichem Widerspruch zu kameralistischer Bevormundung steht. Er koppelt die Intervention von Glückseligkeit und Vervollkommnung los und verbindet sie mit dem Schaffen und Aufrechterhalten einer gerechten Rechtsordnung. Seine Modernität liegt in seinem fortgeschrittenen Verständnis von Selbstbestimmung, wenngleich die Strukturen, durch die hindurch Freiheit zum Ausdruck kommen 78
Gareth Stedman Jones: An End to Poverty? A Historical Debate, London 2004. Handelsstaat, GA I/7, 121 – 135. 80 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 136 ff. 81 Ebd. 510 – 513. 82 Hont, a. a. O. 7 – 8. 83 Guido Pult: „Le modèle de planification de Fichte“, in J.G. Fichte: L’Etat commercial fermé, übers. und hg. von D. Schulthess, Lausanne 1980, 43 – 56. 79 Fichte:
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soll, Überreste aus einer früheren Zeit sind84. Die Funktionen von Aufsicht und Regulierung, die herkömmlich von Zünften und Gilden ausgeübt wurden, sind auf den Staat zu übertragen, der auch Arbeit (durch Anreize) seinen Berechnungen gesellschaftlicher Bedürfnisse entsprechend zu verteilen hat. Der Staat übernimmt ferner noch nie da gewesene Planungs- und Finanzierungsrollen. Dies macht ein äußerst restriktives Überwachungssystem und eine Zentralisierung erforderlich, die zu Fichtes emanzipatorischen Grundansprüchen in Spannung stehen. Trotz seiner problematischen Züge ist Fichtes Theorie aber historisch signifikant; sie hat ihren Platz in republikanischen und sozialistischen Programmen der Revolutionen von 1848 gehabt85. Ihr Zentralgedanke, daß legitime Interventionen die Freiheit und nicht die Glückseligkeit eines jeden sichern, fand eine starke Resonanz unter Zeitgenossen. Fichte selber unterscheidet das Prinzip von seiner Anwendung. Obwohl er glaubt, die institutionellen Vorschriften seien logische Folgen, erkennt er auch (die Notwendigkeit von) Anpassungen an sich ändernde empirische Umstände an. Unter deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts waren, wie wir gesehen haben, Auseinandersetzungen über den Staat durch den Gegensatz zwischen Vervollkommnung und Spontaneität strukturiert. Kantisches Rechtsdenken geht aus einem langen Prozeß der Beschäftigung mit dem Erbe von Leibniz hervor, für den Wolff und seine Schule stehen. Sie besteht wesentlich in der Verteidigung der Spontaneität und der Herleitung von Sphären des Rechtshandelns, die dieses Prinzip berücksichtigen und politische Richtlinien perfektionistischer Zwecke entkleiden. Fichtes System scheint zunächst ein anomaler Rückfall hin zu älteren Interventionsmodellen zu sein; aber auch Fichte verwirft den älteren eudämonistischen Perfektionismus und bestätigt die Kantische Spontaneität. Mit seiner Untersuchung der Bedingungen für die Ausübung von Freiheit ist Fichte ein Verfechter des spezifisch nachkantischen Perfektionismus, dessen Ziel es ist, die Vorbedingungen einer freien Tätigkeit für eine jede Person zu sichern, da sich sonst keine Rechtsordnung behaupten würde. Wie bei Kant ist das Leibnizsche zweite Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit dem ersten Prinzip spontaner Freiheit radikal untergeordnet, und das dritte besteht in der Ausdehnung und Konsolidierung der Bedingungen für ein freies, selbstbestimmtes Tätigsein. Von bleibendem Interesse ist Fichtes Anerkennung der zentralen Rolle von Arbeit und ihre unentwirrbare Verknüpfung mit Spontaneität und Freiheit. Mit der Ausübung von Freiheit durch Arbeit entwickelt Fichte Kant in signifikante neue Richtungen weiter, wobei er seinen grundlegenden Einsichten treu bleibt86. 84 Hegels Analyse der bürgerlichen Gesellschaft ist damit, daß sie auch Armut als entscheidenden Widerspruch zu den modernen Ansprüchen auf universale Freiheit anerkennt, viel reicher als Fichtes (G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Gesammelte Werke, Band 14/1, Berlin 2009, § 182-§ 256; Bernard Bourgeois: Etudes hégéliennes. Raison et decision, Paris 1992, 181 – 205). 85 Dieter Langewiesche: „Republik, konstitutionelle Monarchie und ‚soziale Frage‘: Grundprobleme der deutschen Revolution von 1848/49“, in: Historische Zeitschrift 230/3 (1980), 529 – 547. 86 Der vorliegende Beitrag wurde von Hilmar Lorenz aus dem Englischen übersetzt.
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Ideen zu einer spekulativen Politik Aus der Einleitung und dem Ersten Buch („Philosophie“) des Fichteschen Geschlossenen Handelsstaates1 Marco Ivaldo Ideen zu einer spekulativen Politik. Aus der Einleitung und dem Ersten Buch („Philosophie“) des Fichteschen Geschlossenen Handelsstaates
I. Vorwort Im Geschlossenen Handelsstaat (1800) hat Fichte den Versuch unternommen, die Grundzüge einer ‚spekulativen Politik‘ nach den Prinzipien seiner Philosophie zu liefern. Er untersucht und vertieft das Verhältnis „des spekulativen Politikers zum ausübenden“2 und entwickelt einen Staatsentwurf, der sich insbesondere mit den sozialen und ökonomischen Fragen auseinandersetzt. Das Ergebnis seiner Überlegungen, also sein Staats- und Wirtschaftsprojekt, hielt er durchaus nicht für unrealistisch und (absolut) unausführbar. Obwohl er sich bewußt war, daß sein – wie der Untertitel des Werkes lautet – „philosophischer Entwurf“ und „Probe einer künftig zu liefernden Politik“ mit aller Wahrscheinlichkeit unter den damaligen Verhältnissen Europas unmittelbar unausführbar gewesen wäre, betrachtete er dennoch seine politischen und wirtschaftlichen Vorschläge als geschichtlich angemessen und prinzipiell politisch umsetzbar. Fichte war einerseits der Überzeugung, daß sein spekulativer Systementwurf keine abstrakte Phantasie bzw. bloße Utopie3 war. Er wollte mit ihm eine originelle und haltbare Lösung der wirtschaftlichen und politischen Fragen der Gegenwart 1
Für seine Lektüre und Sprachverbesserungen bin ich Erich Fuchs sehr dankbar. Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, in: ders.: Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart/Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA I/7, 41. 3 Jochen Marquardt macht aber darauf aufmerksam, daß „die Notwendigkeit des Geistes der Utopie für Fichte unbestritten [war]. Utopie ist für ihn eine unverzichtbare Voraussetzung für die praktische Veränderung gegebener Ordnungen“ (Vgl. Jochen Marquardt: „,Der geschloßne Handelsstaat‘ – Zur konservativen Kritik einer aufklärerischen Utopie. Adam Müllers Replik auf Fichte“, in: DZfPh 39/3 (1991), 294 – 303; 296). Der geschlossene Handelsstaat wäre demnach keine bloße Phantasie, sondern vom „Geist der Utopie“ geleitet. Xavier Léon („Le socialisme de Fichte d’apres l’Etat commercial fermé“, in: Revue de Métaphysique et de Morale 22 (1914), 26 – 71;197 – 220) denkt anders: „L’Etat commercial fermé n’est, en dépit des apparences, nullement une utopie, une fantaisie du philosophe, il prétend être la solution originale d’un problème économique donné dans les faits“ (48). „L’Etat commercial 2
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bieten. Im Brief an Cotta vom 16. August 1800 heißt es: „Die Materie [dieses Werkes] hat besonders für den Preussischen Staat, der seit langem das richtige System über HandelsEinschränkung sucht […] ein Zeit-Interesse“4. Er war der Meinung, daß die Idee eines in sich geschlossenen Handelsstaates einer der zeitgenössischen Tendenzen des preußischen Reformdenkens entspräche und daß demzufolge seine politischen und wirtschaftlichen Gedanken geschichtlich aktuell wären. Wie u. a. die Zueignung der Schrift an den Minister Karl August von Struensee, der für die Finanzen und den Handel in Preußen zuständig war5, belegt, wollte Fichte mit seinem Geschlossenen Handelsstaat sachliche Argumente auf den geschichtlich und politisch notwendigen Weg der Reformen in Preußen mitgeben6. Um ein Wort von Reinhard Lauth aufzugreifen, wollte Fichte mit der Veröffentlichung dieses Werkes nicht nur als theoretischer Philosoph, als Wissenschaftslehrer, sondern auch „geschichtsbestimmend“7 auf seine Epoche einwirken8. Andererseits machte der Philosoph daraus keinen Hehl, daß sein Staatsentwurf, um umgesetzt werden zu können, eine totale Änderung der Kolonial- und Ausbeutungspolitik der europäischen Mächte über die übrigen Weltteile verlangt hätte, was realistisch nicht zu erwarten war, eben weil diese (ungerechte) Politik unmittelbare Vorteile für die europäischen Staaten mit sich brachte, auf die letztere nicht zu verzichten willens waren. Fichte war auf der einen Seite davon überzeugt, daß dieses sich nicht „auf Recht und Billigkeit“ gründende Verhältnis der europäischen fermé n’est pas et ne veut pas être une utopie ; c’est la protestation de la conscience morale contre un ordre économique qui est outrage à la moralité et qui doit être modifié“ (32). 4 Fichte: Briefe, GA III/4, 286. 5 Siehe die etwas vorsichtige Rückmeldung des Ministers von Struensee auf Fichtes Zueignung am 9. Nov. 1800: „Ueber den Inhalt der Schrift behalte ich vor, mich mit Ihnen noch fernerhin zu unterreden. Ich habe darin nach meiner Ueberzeugung sehr vieles Gute gefunden, und so viel ich jetzt urtheilen kann, ist darin das Ideal eines Staates vorgestellt, nach welchen zu streben jedem Staatsdiener, der an der Administration Antheil hat, Pflicht sein sollte. Ob dieses Ideal jemals erreicht werden dürfte, daran zweifeln Sie selbst; allein das schadet auch nicht der Vollkommenheit des Werkes. Doch, ich will Ihre Schrift erst nochmals durchlesen, und dann wollen wir Gelegenheit nehmen darüber zu sprechen“ (GA III/4, 353). 6 Vgl. dazu Andreas Verzar: Das autonome Subjekt und der Vernunftstaat. Eine sy stematisch-historische Untersuchung zu Fichtes „Geschlossenem Handelsstaat“ von 1800, Bonn 1979. 7 Vgl. Reinhard Lauth: Vernünftige Durchdringung der Wirklichkeit. Fichte und sein Umkreis, München-Neuried 1994. 8 Nach Marquardt („Der geschloßne Handelsstaat“) steht Fichtes Entwurf „im Kontext der Französischen Revolution und ihrer Nachwirkung“ (294). „Fichtes Schrift darf als eine Reaktion auf die Ereignisse der Jacobinerdiktatur bzw. auf die Französische Revolution insgesamt betrachtet werden. Der Philosoph entwickelt im ‚Geschloßnen Handelsstaat‘, der das ‚Verhältnis des spekulativen Politikers zum ausübenden‘ untersucht, ein in der aufklärerischen Tradition stehendes Staats- und Gesellschaftsmodell; und ist dies ohne Zweifel ein spekulativer Systementwurf“ (296). Vgl. dazu auch: Manfred Buhr: Revolution und Philosophie. Die ursprüngliche Philosophie Johann Gottlieb Fichtes und die Französische Revolution, Berlin 1965.
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Mächte zu den anderen Weltteilen „unmöglich fortdauern konnte“9. Auf der anderen Seite mußte er aber zur Kenntnis nehmen, daß die „bloßen Empiriker“ (die Realpolitiker), gegen die er heftig polemisiert, und eine politische Führungsklasse, welche gerade von diesen unmittelbaren Vorteilen der Ausbeutungspolitik profitierte, die moralische Ungerechtigkeit und auf die Dauer praktische Unhaltbarkeit einer solchen Politik überhaupt nicht wahrnehmen wollten. Aus diesem Bewußtsein der gravierenden Schwierigkeiten, welche der Umsetzung seines Staatsentwurfes im Weg standen bzw. sie hätten behindern können, entsteht die nüchterne Überlegung, der wir am Ende der Zueignung begegnen, nämlich daß der Verfasser sich damit zufrieden geben wollte, „wenn er durch die Bekanntmachung [dieses Werkes] anderen auch nur die Veranlassung geben sollte, über diese Gegenstände tiefer nachzudenken“10. Anderen auch nur die Veranlassung geben, über diese Gegenstände – also: über Politik und Wirtschaft – tiefer nachzudenken: Dieser Rückgriff auf das Nachdenken war für Fichte kein Ausdruck von Resignation der unmittelbaren Unausführbarkeit seiner Vorschläge gegenüber; das Nachdenken konnte nach seiner Auffassung auf die Dauer beträchtliche Auswirkungen selbst in praktisch-politischer Hinsicht erzielen. Denn es war Fichtes feste Überzeugung, bereits seit seinen Jugendjahren und insbesondere seit der Zeit der Revolutionsschriften, daß die entscheidenden Veränderungen in der Politik und der Gesellschaft nur aufgrund von substantiellen Fortschritten gerade auf dem Gebiet des Denkens und des Nachdenkens, der Philosophie also, zu erwarten waren. II. Übersicht Die Aufforderung zu tieferem Nachdenken, die Einladung zum Denken, kann m. E. den Sinn selbst zum Ausdruck bringen, welchen eine aktuelle Lektüre und systematische Erschließung des Geschlossenen Handelsstaates haben könnte. Die historische Rekonstruktion der geschichtlich-philosophischen und -politischen Kontexte des Geschlossenen Handelsstaates bleibt unentbehrlich. Dennoch geht es heute m. E. nicht so sehr darum, festzulegen, ob dieses politische und wirtschaftliche Staatsmodell zu Fichtes Lebzeiten oder in unserer Zeit aktuell bzw. nichtaktuell war oder ist. Ein Gefühl des Abstandes, ja der Nichtaktualität ist nicht zu bestreiten. Diese geschichtlich unübersehbare Distanz kann sich aber hermeneutisch auch anregend und ergiebig auswirken. Es könnte heute noch überhaupt sinnvoll sein, sich mit den Grundsätzen des Geschlossenen Handelsstaates, nicht im Sinne seiner faktisch-technischen Maßnahmen, sondern als Prinzipien einer spekulativen Politik unvoreingenommen auseinander zu setzen und sie kritisch zu bedenken. Diese kritisch-spekulative Aneignung und Erschließung des Geschlossenen Handelsstaates könnte dank seines starken und alternativen Politik- und Staatsbegriffs – und gerade durch seiner (scheinbaren) Unzeitgemäßheit – unser Bewußtsein der politischen und sozialen Fragestellungen positiv herausfordern und produktiv 9 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 43. Handelsstaat, GA I/7, 392.
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erweitern und bereichern. Es würde noch immer darum gehen, im Lichte seiner Grundansichten über die gegenwärtigen Fragestellungen der Rechtsordnung, der Politik und der Wirtschaft „tiefer nachzudenken“. Um zum erwünschten Nachdenken auch nur ein wenig beizutragen, werde ich mich im Folgendem darauf konzentrieren, einige Hauptbegriffe dieser ‚spekulativen Politik‘ zu erschließen, welche sich in der Einleitung und im ersten Buch des Geschlossenen Handelsstaates – das die allgemeine Überschrift „Philosophie“ trägt – finden. Bevor ich aber darauf eingehe, ist es angebracht, eine kurze Übersicht dieses ersten Teils des Werkes zu bieten. Die Einleitung, die für mein Anliegen höchst wichtig und mit der Zueignung an Minister von Struensee inhaltlich eng verbunden ist, behandelt den Begriff der Politik mit Bezug auf die Rechtslehre – dem Untertitel des Buches zufolge präsentiert sich der Staatsentwurf des Geschlossenen Handelsstaates als ein „Anhang zur Rechtslehre“, die Fichte in den Jahren 1796 und 1797 vorgetragen hatte. Das erste Buch ist seinerseits in sieben Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel (Überschrift: „Grundsätze“) werden die Aufgaben des Staates in Bezug auf das Eigentum und auf das Eigentumsrecht dargestellt. Im zweiten Kapitel (Überschrift: „Allgemeine Anwendung“) wird die Stände- und Arbeitsteilung in der Gesellschaft behandelt, eine Teilung, die sich als vonnöten erweist, um die im ersten Kapitel dargelegten Aufgaben des Staates tatsächlich verfolgen zu können. Das dritte Kapitel bespricht das Thema Arbeitsteilung weiter und schildert ihre (positiven) Folgen mit Rücksicht auf das Leben der Individuen und den Wohlstand der Nation. Im vierten Kapitel wird die Klasse der „öffentlichen Beamten“ – also jener Staatsbürger, die die Aufgaben der Regierung, der Erziehung und Lehre und der Verteidigung der Nation zu erfüllen haben – berücksichtigt, so wie die Art und Weise ihrer Finanzierung durch Abgabeneinnahme. Das fünfte Kapitel erörtert Fragen der Erhaltung des ökonomischen Gleichgewichtes (als innerer Maßstab der Herstellung und Aufteilung von Gütern und der ‚Gesundheit‘ des wirtschaftlichen Gesamtsystems verstanden) im Hinblick auf Produktionsänderungen, wie Überschuß oder Mangel an Produkten, die im Gebiet des Ackerbaues stattfinden könnten. Das sechste Kapitel ist der Einführung des Landesgeldes gewidmet, welches entscheidende Voraussetzung der Existenz des geschlossenen Handelsstaates überhaupt ist. Im letzten, siebenten Kapitel wird das Thema des Eigentumsrechts in Hinblick auf dasjenige der wirtschaftlichen „Schließung“ des Staates wiederaufgenommen und erörtert. Dem ersten Buch des Geschlossenen Handelsstaates folgt das zweite, „Zeitgeschichte“ betitelt und in sechs Kapitel gegliedert. Letzterem folgt das dritte Buch, welches die Überschrift „Politik“ trägt und in acht Kapitel eingeteilt ist. III. Politikbegriff Philosophie, Zeitgeschichte, Politik: Eine solche Dreiteilung zeigt, daß die (philosophische) Politik die epistemologische Stellung einer vermittelnden Erkenntnis zwischen Philosophie und Geschichte einnimmt. Diese epistemologische Stellung der Politik gilt es zunächst zu untersuchen11.
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In der Ascetik, 1798 als Anhang zum System der Sittenlehre vorgetragen, charakterisiert Fichte die Politik als „das die Anwendung der reinen Rechtslehre auf bestimmte vorhandene Staatsverfassungen Vermittelnde“12. Die Politik wird somit als „vermittelnde Wissenschaft“ begriffen; sie nimmt eine Stellung in Bezug auf die „philosophische Rechtslehre“ ein, die derjenigen der Aszetik hinsichtlich der „reinen Moral“ analog entspricht. Fichte erklärt, die „reine Wissenschaft“ – im Falle: die philosophische Rechtslehre – betrachte ihre Gegenstände bloß nach apriorischen Grundbegriffen, ohne auf die empirischen, a posteriori eruierbaren Verschiedenheiten Rücksicht zu nehmen. Sie erhebe die Frage, wie freie Wesen als solche miteinander in einem gemeinsamen, physischen und sozialen Raum leben können, ohne der eigenen und fremden Freiheitsphäre Abbruch zu tun, und erörtere diese Frage rein a priori, aus Vernunftgründen. Die politisch bestimmten, kulturell bedingten, geschichtlich kontextuellen Verhältnisse, unter denen die Menschen schon leben und auf welche die apriorischen Rechtbegriffe anzuwenden sind, lasse demnach die reine Wissenschaft außer Betracht, und dies zu Recht, wenn sie streng und konsequent verfahre, wie sie müsse. Wenn es so ist, entsteht aber Fichte zufolge eine „Kluft zwischen Theorie und Praxis oder ihre unmittelbare Anwendung im Leben“. Eine solche Kluft zu überbrücken, ist gerade das Ziel der vermittelnden Wissenschaft, also der Politik, welche eine mittlere Stellung zwischen reiner Wissenschaft und „bloße[r] Erfahrung“ bzw. „Historie“ innehat. Nimmt man die Dreiteilung der Erkenntnisformen in Betracht, die Fichte in der vierten Vorlesung über die Bestimmung des Gelehrten (1794) angeführt hat, der zufolge die Wissensmodi sich in philosophische, philosophisch-historische und (bloß) historische Erkenntnis unterteilen13, so darf man schließen, daß die Politik als vermittelnde Wissenschaft den Status einer philosophisch-historischen Erkenntnis besitzt, weil sie die durch die rein philosophische Rechtslehre erkannten Zwecke auf die „in der Erfahrung gegebenen Gegenstände“ beziehen muß, damit die letzteren als Mittel zur Erreichung der ersteren angesehen und beurteilt werden können. Dem entsprechend hat die Politik– wie es in der Ascetik heißt – die Aufgabe, „den Weg nach[zu]weisen, wie man einen bestimmten Staat zur einzig vernunftmäßigen rechtlichen Verfassung nach und nach hinleiten kann“14. Die Aufgabe der Politik ist daher keine auf einmal abgeschlossene, sondern eine stets offene und im Lichte der bereits erzielten, konkreten Ergebnisse ständig revidierbare Aufgabe. 11
11 Zu Fichtes Politikbegriff vgl. Jean-Christophe Goddard/Jacinto Rivera de Rosales (Hg.): Fichte et la politique, Monza-Mailand 2008; vgl. auch: Klaus Hahn: „Fichtes Politikbegriff“, in: Klaus Hammacher (Hg.): Der Transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 204 – 214; Ives Radrizzani; „Filosofia trascendentale e prassi politica in Fichte“, in: Aldo Masullo/Marco Ivaldo (Hg.): Filosofia trascendentale e destinazione etica. Indagini su Fichte, Mailand 1995, 339 – 362. 12 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA/II 5, 60. 13 Vgl. Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, GA I/3, 52 f. 14 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/5, 60.
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Mit Rücksicht auf ihre vermittelnde Funktion führt Fichte in der Ascetik eine für das Verständnis des Wesens der Politik nach seiner Sicht aufschlußreiche Bemerkung an: Die Politik müsse die genannte Kluft zwischen Theorie und Praxis zu füllen versuchen, „so weit sie […] wissenschaftlich überhaupt gefüllt werden kann“. Selbst wenn sie – wie gerade gesehen – mit der Erfahrung ständig zu tun hat, bleibt die (philosophische) Politik dennoch eine wissenschaftliche Erkenntnis, die als solche nur auf begrifflich bestimmte Objekte eingeht. Sie kann nicht auf das Zufällige und Unbestimmbare in der Erfahrung Rücksicht nehmen, welches als solches, in seiner Faktizität und Einmaligkeit, aus den Grundbegriffen unableitbar bleibt. Dieser Zustand schließt der Beurteilung des Praktikers, also desjenigen, den Fichte im Geschlossenen Handelsstaat den „ausübenden Politiker“ genannt hätte, „ein großes Feld“ auf. Anders gesagt: Der noch immer bestehende Unterschied zwischen reiner bzw. vermittelnder Wissenschaft und Empirie eröffnet den Raum des praktischen Urteils, der als solcher von der Theorie nicht gedeckt werden kann. Das bedeutet aber nicht, daß die Theorie nichts zugunsten der praktischen Beurteilung zu tun hat, denn sie hat – als theoretische und als vermittelnde Wissenschaft, nämlich als Rechtslehre und als Politik – die Beurteilung des ausübenden Politikers „kunstgemäß auszubilden“. Der Politik steht also nicht nur die Aufgabe zu, die faktischen Mittel aufzufinden, welche der Umsetzung der allgemeinen Ziele der vernunftmäßig rechtlichen Verfassung dienen; sie muß auch den Zweck der wissenschaftlichen Bildung der praktisch-politischen Beurteilung aufnehmen und verfolgen. Diese Erörterung des Abstandes zwischen Theorie und Erfahrung, so wie der vermittelnden Rolle, welche die Politik in dieser Sache auszuüben hat, zeichnet auch die Zueignung an Minister von Struensee im Geschlossenen Handelsstaat aus. Gleich zu Beginn nimmt Fichte den Vorwurf der „unmittelbaren Unausführbarkeit“ seiner Vorschläge vorweg, den ich bereits angedeutet habe. Er räumt einerseits ein, der spekulative Politiker könne diesen Vorwurf wohl zugeben, weil seine Gedanken und Vorschriften auf einen von ihm „vorausgesetzten und erdichteten Zustand der Dinge passen“, den der ausübende Politiker nicht vorfindet. Er hält aber andererseits daran fest, daß der Philosoph eine „absolute Unausführbarkeit“ seiner Vorschläge nie zugeben könnte, denn eine solche Annahme würde bedeuten, daß er seine Wissenschaft lediglich „für ein bloßes Spiel“ hält. Statt dessen wird der Philosoph behaupten: „Seine, wenn sie nur reintheoretisch aufgestellt worden, unmittelbar unausführbaren Vorschriften, indem sie in ihrer höchsten Allgemeinheit auf Alles passen, und eben darum auf nichts bestimmtes, müßten für einen gegebnen wirklichen Zustand nur weiter bestimmt werden“15. Nun, diese weitere Bestimmung der allgemeinen Vorschriften bzw. der im reinen Staatsrechte aufgestellten, allgemeinen Regel erfolgt ausgerechnet in der Politik. Als vermittelnde Wissenschaft setzt sich die Politik zum Ziel, den reinen Staatsbegriff, der in der philosophischen Rechtslehre entfaltet wird, auf einen bestimmten, geschichtlichen Zustand anzupassen, oder den allgemeinen Rechts- und Staatsbegriff hinsichtlich der Besonderheit der geschichtlichen Verhältnisse und der faktisch existierenden 15 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 42.
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Staaten weiter zu bestimmen, damit er konkret einwirken könne. Daß die reine Wissenschaft des Rechtes letzten Endes konkret ausführbar und tatsächlich ausgeführt sei, kommt demnach auf die Vermittlung der Politik an. IV. Wissenschaft (und Kunst) der Anwendung In dem soeben genannten Sinne präsentiert sich die Politik als Wissenschaft der Anwendung16 . Wegen ihres wissenschaftlichen Status ist sie „Geschäft des spekulativen Philosophen als solchen“. Es bleibt dennoch – wie es sich bereits aus der Ascetik ergeben hat – dem ausübenden Politiker ein ganz bestimmter Raum, der von der Spekulation überhaupt nicht gedeckt bzw. nicht besetzt werden kann. Es handelt sich um die Aufgabe, jene vom spekulativen Politiker aufgestellte, aber noch immer allgemeine Regel – wie Fichte sich ausdrückt – „auf den besonderen Fall anzuwenden, und für jeden besonderen Fall ein wenig anders anzuwenden“. Der Anwendungsprozess vervollständigt sich somit nicht im Rahmen der Theorie, sondern geht in praktischen Vollzug über. Die Anwendung muß der apriorisch unableitbaren Besonderheit der konkreten Fälle, etwa ,der Einmaligkeit der Gelegenheit‘, ständig offen bleiben und ihnen Rechnung tragen. In einer eher platonischen Hinsicht hebt Fichte in diesem Zusammenhang hervor, spekulativer Philosoph (der Politik) und ausübender Politiker, Theoretiker und Praktiker, seien nicht zwei einander ausschließende Exi stenzformen, sondern können sich in einem und demselben Individuum befinden. In seinem Werk steht Fichte immer für Gegenseitigkeit und Interaktion zwischen Theorie und Praxis – und zwischen spekulativen und ausübenden Politiker. Diese Vorstellung des Politikers, der in sich selbst Normativität und Faktizität, Idealismus und Realismus zu verknüpfen vermag, ist Fichte zufolge dem Typus des „blossen Empiriker[s]“ entgegenzusetzen. Letzterer habe nur „Tatsachen“, „Historie“, keine apriorische „Begriffe“ und keine „Kalküle“ (im Sinne von: keine Deduktionen aus Grundsätzen) inne. Der bloße Empiriker läßt nur das schon Geschehene gelten, er sucht nach der Bestätigung seiner Ansichten allein in den bereits vorhandenen Tatsachen. Eine auf bloße Empirie reduzierte Politik läßt somit dem geschichtlich Neuen keinen Raum übrig. Fichte hebt statt dessen hervor, politische Neuerungen, durch Kunst und Wissenschaft geleitet, werden durchaus gefordert, damit wirkliche Fortschritte in der Geschichte stattfinden können. Er führt aus: „Es liesse sich ihm [dem bloßen Empiriker] gegenüber eine vielleicht lehrreiche historische Untersuchung anstellen über die Frage, ob mehr Uebel in der Welt durch gewagte Neuerungen entstanden sey, oder durch träges Beruhen bei den alten, nicht mehr anwendbaren oder nicht mehr hinlänglichen Maasregeln“17. Um die geforderten Neuerungen aber auch nur „wagen“ zu können, darf der Poli16 Zum Begriff der Anwendung vgl. Reinhard Lauth: Zur Idee der Transzendentalphilosophie, München und Salzburg 1965, 117. Vgl. auch Joachim Widmann: Johann Gottlieb Fichte. Eine Einführung in seine Philosophie, Berlin/New York 1982; Marco Ivaldo: Fichte, Brescia 2014. 17 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 48.
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tiker kein bloßer Empiriker sein; er muß über theoretische und praktische Begriffe verfügen und ein Ideal haben. Der gute Politiker wäre also in Fichtescher Hinsicht ein realistischer Idealist oder ein ethisch motivierter Realist. Die Einleitung zum Geschlossenen Handelsstaat greift diesen Begriff von Politik als Wissenschaft der Anwendung wieder auf. Sie entfaltet ihn insofern weiter, als sie – wie ihr Titel selbst lautet – das „Verhältnis […] des Vernunftstaates zu dem wirklichen und des reinen Staatrechts zur Politik“ erörtert18. Reine Rechtslehre, geschichtlicher Zustand und Politik sind dementsprechend die Pole, zwischen denen sich die Reflexion über das Thema: Geschlossener Handelsstaat zu bewegen hat. Fichte führt zunächst aus, das reine Staatsrecht, welches die philosophische Rechtslehre zu ihrem Gegenstand macht, muß „den Vernunftstaat nach Rechtsbegriffen“ ableiten. Es abstrahiert demnach – wie bereits angedeutet – von allen „vorherige[n] den rechtlichen ähnliche[n] Verhältnisse[n]“, in denen die Menschen schon leben. Die reine Rechtslehre betrachtet die Menschen in einem ideellen Zustande, in dem aber letztere sich nirgends tatsächlich finden. Von diesem ideellen ist nun der faktische Zustand abzuheben, in dem die Menschen überall zusammen leben, und zwar – wie der Verfasser sich ausdrückt – unter einer Verfassung, die „grossentheils nicht nach Begriffen und durch Kunst, sondern durch das Ohngefähr oder die Fürsehung“19 entstanden ist. Gerade in diesem faktischen Zustand findet aber „der wirkliche Staat“ die Menschen vor. Vernunftstaat und wirklicher Staat machen also die zwei Pole aus, welche die Politik (als dritter Pol) ständig zu berücksichtigen hat. Es wäre unvernünftig und würde sogar für das menschliche Zusammenleben schlechtere Folgen zeitigen, den wirklichen Staat im Namen des Idealen zerstören bzw. vernichten zu wollen– denn der wirkliche Staat errichtet trotz allem eine gewisse Sozialordnung; „sein […] wahrer […] Zweck“ besteht jedenfalls darin, aus den Menschen, wie sie sind, „einen Vernunftstaat […] aufzubauen“. Der Spruch fiat justitia pereat mundus gilt in diesem Falle für Fichte überhaupt nicht. Der wirkliche Staat hat vielmehr zur Aufgabe, sich dem Vernunftstaat „allmählich an[zu]nähern“. Er läßt sich als begriffen in der allmählichen Errichtung des Vernunftstaates vorstellen, von einem faktischen Zustand ausgehend. Der Vernunftstaat bildet ja das Ideal des wirklichen Staates; letzterer ist aber Boden und Agens zugleich der Verwirklichung des Idealen. Demzufolge geht es beim wirklichen Staate nicht um die Frage, was rechtens sei, denn diese Frage gehört eigentlich zur Bestimmung des Vernunftstaates und ist Gegenstand der philosophischen Rechtslehre. Im wirklichen Staate geht es vielmehr um die Ausführbarkeit des Idealen, nämlich um die Frage: „Wie viel von dem was Rechtens ist, unter den gegebenen Bedingungen ausführbar sey“20. Nun ist die Antwort auf diese Frage Sache der Politik, welche dem entsprechend als die „Regierungswissenschaft des wirklichen Staats“ zu fassen ist. Als solche – wie wir bereits aus der Ascetik erfahren haben – liegt die Politik in der Mitte zwischen dem gegebenen 18 Fichte: 19 Ebd. 20 Ebd.
Handelsstaat, GA I/7, 51.
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Staate und dem Vernunftstaate: „Sie beschriebe die stete Linie, durch welche der erstere sich in den letzteren verwandelt, und endigte in das reine Staatsrecht“21. Politik ist vermittelnde Wissenschaft und Wissenschaft der Anwendung. In der Grundlage des Naturrechts begegnet man folgendem, sog. „regulativem Satz“, der eine solche Vermittlungsfunktion der Politik deutlich hervorhebt: „Diejenige Wissenschaft, welche es mit einem besondern, durch zufällige Merkmale (empirisch) bestimmten Staate zu thun hat; und betrachtet, wie das [reine] Rechtsgesez in ihm sich am füglichsten realisiren lasse, heißt Politik“22. Politik ist aber – wie Fichte in der Einleitung zum Geschlossenen Handelsstaat erklärt – nicht nur Wissenschaft, sondern auch Kunst, oder – um eine besondere Ausdruckweise Fichtes aufzugreifen – „Vernunftkunst“. Sie hat zur Aufgabe, nicht nur die Schritte zu konzipieren und die ‚Medien‘ der Anwendung des apriorischen Rechts- und Staatsbegriffs auf den empirischen Zustand herauszuarbeiten; sie muß auch die Umgestaltung selbst der Wirklichkeit im Sinne dieser apriorischen Grundsätze vornehmen. Diese Umgestaltung läßt sich als Kunst bzw. Vernunftkunst charakterisieren. Das bedeutet: Die Politik beinhaltet in sich selbst ein unentbehrlich praktisch-poietisches Moment. Aufgrund dieser Überlegungen zum Politikbegriff sind der Einleitung zum Geschlossenen Handelsstaat zufolge die Weichen gestellt, um die Grundzüge einer – wie der Untertitel des Werkes heißt – „künftig zu liefernden Politik“ darzulegen, welche zum Thema habe, unter welchen Gesetzen bzw. Regeln der öffentliche Handelsverkehr innerhalb eines Staates zu bringen sei. Man habe zum einen zu untersuchen, was rechtens sei. Das ergibt den streng philosophischen Teil der Abhandlung (erstes Buch), der die Frage zu beantworten habe, „was in Ansehung des Handelsverkehrs im Vernunftstaate Rechtens sey“23. Nun, die Beantwortung dieser Frage gehört noch nicht strictu sensu zur Politik als Vermittlungswissenschaft; doch liefert sie Grundsätze und entfaltet Hauptbegriffe, welche die Grundlagen für eine vernunftmäßige Politik (Wissenschaft und Kunst) verschaffen. Daher kann dieser Teil des Werkes – nicht zufällig „Philosophie“ betitelt – als gehörend zur Idee selbst einer spekulativen Politik betrachtet werden, falls Politik eine wissenschaftlich normative Dimension haben muß, wie sie soll, wenn sie nicht auf bloße Empirie reduziert werden will. Dank seiner Grundsatzlehre ist dieser Teil des Geschlossenen Handelsstaates für mein Anliegen höchst bedeutend. Zum zweiten hat man Fichte zufolge die Aufgabe, was in den gegenwärtigen, wirklichen Staaten über den öffentlichen Handelsverkehr „Sitte“ sei, zu rekonstruieren. Diese faktische Betrachtung macht den zweiten Teil des Werkes aus, die sog. Zeitgeschichte, welche zur Politik im strengen Sinne auch nicht gehört, obwohl sie eine faktisch unverzichtbare Voraussetzung zur Politik selbst darstellt. Zum dritten kommt die Politik im eigentlichen Sinne vor, die – wie schon gesehen – die Anwendung der spekulativen Grundsätze zu verwirklichen bzw. den Weg zu zeigen hat, wie „der Handelsverkehr 21 Ebd. 22 Fichte: 23 Fichte:
Naturrecht, GA I/4, 80. Handelsstaat, GA I/7, 53.
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eines bestehenden Staates in die von der Vernunft geforderte Verfassung zu bringen sey“24. Eine gute Politik sollte, anders als diejenige des bloßen Empirikers, alle drei Momente – Normativität, Faktizität, Vermittlung – in sich vereinigen. V. Recht und Staat Der geschlossene Handelsstaat wird von Fichte als „Anhang zur Rechtslehre“ verfaßt und derart untertitelt. Ich möchte nun einige Aspekte der letzteren ins Gedächtnis zurückrufen, die uns zur systematischen Erschließung der Grundsätze des ersteren verhelfen können. In seiner 1796/1797 veröffentlichten Rechtslehre (= Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre) hat Fichte – wie wohl bekannt ist – zum einen den Rechtsbegriff aus dem Anerkennungsverhältnis deduziert und in dessen Anwendbarkeit legitimiert; zum anderen hat er ihn auf die intersubjektiven Beziehungen unter den Menschen systematisch angewendet25. Der Verfasser zeigt zunächst, daß das menschliche Individuum zu sich selbst erst dank einer Aufforderung zur Selbstbestimmung durch ein anderes Individuum kommen kann, und daß demnach der Begriff der Individualität ein „Wechselbegriff“ sei26, sofern er von einem Individuum nur in Beziehung auf ein anderes Denken und durch dasselbe gedacht werden kann. An der Grundlage des Rechtsverhältnisses liegt somit nicht ein isoliertes Individuum, sondern eine ursprüngliche Intersubjektivität, der zufolge die Existenz selbst des selbstbewußten Individuums, also der Subjektivität, der freien Stellungnahme zu einer Aufforderung durch den Anderen, d. h. durch eine fremde Subjektivität, zu verdanken ist. Fichte entfaltet hier die Idee einer ‚intersubjektiven Subjektivität‘, die eine seiner bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet der Subjekttheorie darstellt. Sodann macht Fichte deutlich, daß durch diesen Wechselbegriff eine „Gemeinschaft“ bestimmt wird, welche erst mittels der gegenseitigen Anerkennung der betroffenen Individuen gebildet werden kann. Das bringt ein bestimmtes Anerkennungsverhältnis zustande, das Fichte als „Rechtsverhältnis“ bezeichnet und in die Form eines „Rechtssatz[es]“ zum Ausdruck bringt. Es heißt: „Ich muss das freie Wesen ausser mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d. h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit“27 beschränken. Die Anerkennung muß freilich auf den beiden Seiten des Nexus stattfinden: der Eine muß seine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit der Freiheit des Anderen unter der Bedingung beschränken, daß letzterer in Bezug auf die Freiheitssphäre des ersteren dasselbe tue. Das Anerkennungsverhältnis kann nicht asymmetrisch sein, sondern es muß gegen- und wechselseitig erfolgen. Der Rechtsbegriff hat demnach 24 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 113. Fichtes Rechtsphilosophie siehe nun: Thomas Sören Hoffmann (Hg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, Berlin 2014. 26 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 354. 27 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 358. 25 Zu
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die durch Anerkennung gebildete Gemeinschaft freier Wesen zum realen Objekt, indem letztere die objektive Realität des Rechts darstelle und das Recht sich nur in reeller Gemeinschaft verwirklicht. Von diesem Rechtsbegriff ausgehend unternimmt ferner die Grundlage des Naturrechts die Deduktion von dessen „Anwendbarkeit“ und führt seine „systematische Anwendung“ schließlich aus. Letztere erfolgt in drei Schritten: In einem ersten Schritt wird jenes Urrecht behandelt, welches der Person schlechthin zukommt, nämlich ihr absolutes Recht „in der Sinnenwelt nur Ursache […] zu seyn“28; zweitens wird das „Zwangsrecht“ erörtert, und schließlich wird dargestellt, wie Urrecht und Zwangsrecht zu einer Synthese im „Staatsrecht oder Recht in einem Gemeinwesen“ (res-publica) gelangen. Die Synthese des Staatsrechtes bietet ihrerseits die Grundlage der Verwirklichung anderer Rechte an: Nur im Staat und durch ihn, also im Rahmen der res-publica, erhält das Recht seine Effektivität29. Der Auffassung des Naturrechts zufolge – eine Auffassung allerdings, die drei Jahre danach im Geschlossenen Handelsstaat wirksam bleibt – schließt mithin das Rechtsverhältnis in sich den Staat als im apriorischen Gefüge der praktischen Vernunft verwurzelte und vorgeprägte Institution ein. Aus sich heraus fordert das Rechtsgesetz den Staat als seine konkrete Erscheinungsform. Unter Staat ist dabei „status“, Rechtszustand aller, zu verstehen; es bedeutet die Wirklichkeit des angewandten Rechtsbegriffs. Rechtlich leben heißt im Rechtsstaat leben. Die Zugehörigkeit zum Staat erweist sich somit als notwendige Bedingung aller subjektiven Rechte des Individuums. Außerhalb des Staates und ohne dessen autoritative Anerkennung kann niemand ein bestimmtes subjektives Rechts auf solche Weise haben, daß die anderen es von Rechts wegen respektieren müßten30. Darüber hinaus ist es Fichtes feste Überzeugung, die ganz besonders im Geschlossenen Handelsstaat ihren Niederschlag findet, daß solange der Staat Umfang und gegenseitiges Verhältnis der ökonomischen Teilbereiche bzw. Teilkräfte nicht gesetzlich festlegt, weiterhin wirtschaftliche Anarchie herrschen wird, in der ein Überleben nur durch Raub und Übervorteilung des Schwächeren durch die Stärkeren möglich ist31 – wie es bereits hervorgetreten ist. Fichte zufolge ist ein 28 Fichte:
Naturrecht, GA I/3, 404. Vgl. Léon, Xavier: Le socialisme de Fichte, a. a. O. 49: „En effet, la Theorie du Droit enseigne que l’exercice de la libre activité de l’individu dans le monde sensible, son droit primordial, n’est possible que sous la garantie de l’Etat et par la constitution d’un contrat d’association“. 30 Zu dieser Staatsauffassung vgl. Richard Schottky: „Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert (Hobbes-Locke-Rousseau und Fichte) mit einem Beitrag zum Problem der Gewaltenteilung bei Rousseau und Fichte“, in: Fichte-Studien Supplementa, Bd. 6, Amsterdam-Atlanta 1995, 191 ff. Vgl. auch Carla De Pascale: Vivere in società, agire nella storia. Libertà, diritto, storia in Fichte, Milano 2001; Claudio Cesa: Verso l’eticità. Saggi di storia della filosofia, Carla De Pascale/ Luca Fonnesu/Alessandro Savorelli (Hg.), Pisa 2013. 31 Andreas Verzar: Das autonome Subjekt, a. a. O. 41. 29
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geschlossener Handelsstaat auf dem Gebiet der Wirtschaft der Ausdruck selbst eines Staatswesens, das auf der Grundlage des Rechts begründet ist und in welchem die Bürger unter gemeinsamen Gesetzen leben. Staat unter dem Rechtsgesetz und geschlossener Handelsstaat gehören zusammen und sind aufeinander bezogen. Die Charakterisierung des geschlossenen Handelsstaates, die gleich am Anfang des Werkes steht, lautet demnach folgendermaßen: „Den juridischen Staat bildet eine geschlossene Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen, und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter und für einander eingeschränkt, und jeder, der nicht unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Antheil aus jenem Verkehr ausgeschlossen werden. So würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßnen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschloßnen juridischen Staat bildet“32. Dennoch ist der Staat kein Selbstzweck, sondern nur Mittel zur Erreichung des überstaatlichen Zwecks der sittlichen Vervollkommnung des Menschen33. Fichte spricht sich keineswegs für eine steife ‚Verstaatlichung‘ der ganzen menschlichen Verhältnisse, für einen schrankenlosen Etatismus, aus, auch wenn er die unabdingbare Funktion des Staates für das menschliche Leben anerkennt. Letzten Endes hat der Staat für ihn die nur instrumentelle Funktion, dem Einzelnen zur Erfüllung der sittlichen Aufgabe die negative äußere Freiheit und einige materielle Grundbedingungen zu sichern. Das Individuum soll den Staatsvertrag nicht allein deshalb anerkennen, weil er für seine Selbsterhaltung nützlich, sondern auch, weil der Staat ein notwendiges Mittel zur Beförderung des vom Sittengesetz dem menschlichen Handeln vorgeschriebenen idealen Endzwecks ist: der Herrschaft der sittlich-praktischen Vernunft in der erscheinenden Welt. Dadurch bekommt der Staat seine eigene Würde gegenüber dem Einzelnen, er ist nicht mehr nur Instrument zu dessen Lebensfristung und Bedürfnisbefriedigung, sondern auch Instrument zur Realisierung der moralischen Idee schlechthin. VI. Die Aufgabe des Staates In der Bestimmung der Aufgabe des Staates, die Fichte im ersten Kapitel des ersten Buches des Geschlossenen Handelsstaates vornimmt, will er einen mittleren Weg zwischen einer zu weit ausgedehnten und einer zu eng beschränkten Staatsauffassung verfolgen. Der Staat darf ihm zufolge weder „unumschränkter Vormünder der Menschheit“ sein, wie es im absolutistischen Staat der Fall noch war, noch müssen Pflichten und Rechte des Staates zu beschränkt aufgefaßt werden, wie es in den liberalistischen Staatstheorien meistens passiert. Nun, wenn die erste (absolutistische) Auffassung durch den republikanischen Gedanken und 32 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 38. Dazu vgl. Günter Zöller (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, Baden-Baden 2011. Siehe auch: Luca Fonnesu: „L’ideale dell’estinzione dello Stato in Fichte“, in: Rivista di storia della filosofia 2 (1996), 257 – 269. 33
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selbst – so kann man Fichte interpretieren – durch die Französische Revolution zur Genüge widerlegt worden ist, kann in Anbetracht der zweiten Position nicht dasselbe behauptet werden. Daher richtet sich Fichtes Kritik am Anfang des ersten Kapitels vorwiegend gegen eine (für ihn) zu sehr beschränkte Staatsauffassung, der zufolge der Staat nichts mehr zu tun hätte, als jeden Staatsbürger primär in seinen individuellen Rechten und seinem Eigentum zu erhalten und zu schützen. Dieser Staatsidee setzt Fichte eine alternative Auffassung der Aufgabe des Staates entgegen, die er folgendermaßen formuliert: „Es sey die Bestimmung des Staats, jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigenthum erst einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen“34. Wie im zweiten Kapitel des zweiten Buches weiter ausgeführt wird: „Man hat […] die Aufgabe des Staats bis jetzt nur einseitig, und nur halb aufgefaßt, als eine Anstalt, den Bürger in demjenigen Besitzstande, in welchen man ihn findet, durch das Gesetz zu erhalten. Die tiefer liegende Pflicht des Staats, jeden in den ihm zukommenden Besitz erst einzusetzen, hat man übersehen“35. Der Staatsauffassung zufolge, die Fichte im Geschlossenen Handelsstaat vertritt, ist es daher Aufgabe des Staats, jedem Staatsbürger „das Seinige“ zu geben, nämlich das, was ihm von Rechts wegen zukommt. Nun war das entscheidende Moment des überlieferten Begriffs von Gerechtigkeit ( justitia) das Motiv: „Suum cuique tribuere“. Ein Staat also, der – wie Fichte meint – zur Aufgabe hat, „jedem das Seinige (suum) zu geben“, muß den Zweck der Realisierung der Gerechtigkeit verfolgen. Der Staat ist nicht nur für die Freiheit, sondern zugleich für die Gerechtigkeit unter den Menschen verantwortlich. Deswegen muß der Staat nicht nur die individuellen Rechte schützen, wie er allerdings soll, sondern er muß aktiv in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben eingreifen, damit jedem – wie bereits gesagt – „das Seinige“ – sein Recht bzw. seine Rechte – zukomme und ein dynamisches Gleichgewicht zwischen distributiver und kommutativer Gerechtigkeit in der politischen Gemeinschaft zustande komme. Primär ist die Einsetzung des Individuums in sein Recht (suum) durch den Staat, dann kommt der Schutz des errichteten Rechtszustands: Fichtes Grundgedanke bringt damit nicht so sehr eine zeitliche, sondern eine eher logische Folge zutage. Dieser Staatszweck wird aber – nach Fichtes fester Überzeugung – nur dadurch möglich, wenn die Anarchie des Handels ebenso aufgehoben werde, wie man die politische im Rechtsstaat allmählich aufhebt, und der Staat ebenso als Handelsstaat sich schließe, wie er als Rechtsstaat in der eigenen Gesetzgebung geschlossen ist36. Diese Staatsaufgabe wird von Fichte freilich als ein work in progress verstanden, als eine noch immer offene und in der konkreten Realität zu gestaltende Aufgabe: „Es muß die Absicht des durch Kunst der Vernunft sich annähernden wirklichen Staates seyn, jedem allmählich zu dem Seinigen […] zu verhelfen37. 34 Fichte: 35 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7 53. Handelsstaat, GA I/7, 95.
36 Ebd. 37 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 56.
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Eine Weiterbestimmung des „Seinigen“ wird im Geschlossenen Handelsstaat durch Überlegungen zum Eigentumsbegriff durchgeführt, die im ersten Kapitel und dann auch im siebenten Kapitel des ersten Buches stattfinden. Bereits aus der Grundlage des Naturrechts, in der Fichte eine prägnante Behandlung des Themas ‚Eigentum‘ vorgenommen hatte, geht hervor, daß „kein rechtliches Verhältniß […] ohne Bestimmung des Eigenthums im weitesten Sinne des Worts“ denkbar ist, inwiefern dieser Begriff nicht etwa nur oder zunächst den Besitz von Sachen, sondern Rechte auf freie Handlungen in der Sinnenwelt überhaupt bezeichnet38. Eigentum ist bei Fichte primär ein Handlungsbegriff, es bezieht sich zunächst auf Handlungsmöglichkeiten, nicht auf Sachen und deren Besitz. Im siebenten Kapitel des Geschlossenen Handelsstaates führt er aus: „Meines Erachtens ist der Grund irrthum der [der unsrigen] entgegengesetzten Theorie über das Eigenthum, […] daß man das erste ursprüngliche Eigenthum in den ausschließenden Besiz einer Sache setzt. […] Im Gegensatze gegen diese Theorie setzt die unsrige das erste und ursprüngliche Eigenthum, den Grund alles andern, in ein ausschließenden Recht auf eine bestimmte freie Thätigkeit“39. Das Eigentum entsteht als solches nicht durch die individuelle Aneignung einer Sache, sondern durch einen Vertrag in Hinblick auf Handlungsmöglichkeiten bzw. auf die Bestimmung und Beschränkung der Handlungssphäre des Einzelnen. Fichte zeigt, daß die Schließung des Vertrags das Vorhandensein eines Zustandes voraussetzt, in dem stets ein Widerstreit der freien Kräfte in der Sinnenwelt stattfinden kann, wo also „keiner frei“ ist, „keiner kann etwas ausführen“ und „auf die Fortdauer desselben rechnen“40. Diesbezüglich kann ein die Freiheit aller Betroffenen sicherndes Rechtsverhältnis nur dann zustande kommen, wenn jeder seine eigene Handlungssphäre derart einschränkt, daß auch dem anderen eine adäquate Handlungssphäre zukommen könne, auf die Bedingung, daß letzterer dasselbe mit Rücksicht auf den ersteren tue. Das ist der Inhalt des Eigentumsvertrags41. Fichte hebt hervor: Nur dadurch hat jeder „etwas Eigenes, ihm allein und dem anderen keinesweges zukommendes; ein Recht, und ein ausschließendes Recht“42. Und durch einen solchen Vertrag allein und dank der von ihm geregelten „Verzichtlei stung“43 – welche ihrerseits die gegenseitige Anerkennung der Betroffenen voraussetzt – entsteht das Eigentum, also ein ausschließendes Recht auf eine bestimmte Handlungssphäre. Es heißt: „Die Sphäre der freien Handlungen […] wird durch 38 Fichte:
Naturrecht, GA I/4, 8. Handelsstaat, GA I/7, 85. 40 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 54. 41 Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 54 – 55: „Die freie Thätigkeit ist der Sitz des Streits der Kräfte; sie ist sonach der wahre Gegenstand, über welchen die Streiter sich zu vertragen haben, keinesweges aber sind die Sachen dieser Gegenstand des Vertrags“. 42 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 54. 43 Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 54: „Erst durch das Verzichtsleistung aller übrigen auf Etwas, zufolge meines Begehrens es für mich zu behalten, wird es mein Eigenthum. Jene Verzichtleistung Aller, und sie allein, ist mein Rechtsgrund“. 39 Fichte:
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einen Vertrag Aller mit Allen unter die Einzelnen vertheilt, und durch diese Theilung entsteht ein Eigenthum“44. Es liegt nahe, daß es vor dem Vertrag kein echtes Eigentum – als Recht auf eine bestimmte Handlungssphäre bzw. auf bestimmte Handlungsmöglichkeiten – geben kann45. Andererseits macht Fichte deutlich, daß das Zustandekommen des Eigentumsvertrags– welcher seinen Rechtsgrund, „seine rechtlich verbindende Kraft im Vertrage Aller mit Allen“ hat46 –, die Intervention des Staates durchaus benötigt. Denn der Staat allein ist die Macht (potestas), die „eine unbestimmte Menge Menschen zu einem geschlossenen Ganzen, zu einer Allheit vereinigt“47. Ein Vertrag zwischen (nur) zwei Individuen – etwa zwischen mir und meinen nächsten Nachbarn – könnte Fichte zufolge auch ohne Staat bzw. staatliche Vermittlung bestehen; ein solcher Vertrag aber wäre vor dem Eingriff eines Dritten, der den ersten bilateralen Vertrag nicht unterzeichnet hätte, nicht sichergestellt. Erst durch den Staat und seine alle Bürger vereinigende Macht wird also ein „rechtsbeständiges Eigenthum“ letzten Endes begründet, welches für alle Interessenten Rechtsgültigkeit besitze und von allen geachtet werden müsse. Es wurde vorstehend argumentiert, daß der Staat zur Aufgabe hat, jedem das Seinige zu geben: Das bedeutet nach der jetzt dargelegten Eigentumstheorie, daß die Bestimmung des Staates eben darin besteht, jeden Staatsbürger in sein Eigentum, d. h. in sein Recht auf eine eigene Handlungssphäre einzusetzen. Das Eigentum hat Fichte zufolge seinem Wesen nach – d. i. als Recht auf Tätigkeit, nicht primär auf Sachen – eine vorwiegend soziale Funktion. Das Eigentumsrecht ist ja ein Recht, das dem Individuum zukommt, es besteht aber eigentlich im Dienste des Ganzen eines Kollektivkörpers: „In diesem Staate sind Alle Diener des Ganzen, und erhalten dafür ihren gerechten Antheil an den Gütern des Ganzen“48. Vom Geschlossenen Handelsstaat wird nicht eine zunächst individualistische Konzeption des Eigentums angesetzt, zu der dann akzidentell eine Sozialverpflichtung 44 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 55. Das Recht auf Sachen kann nur mittelbar anerkannt werden, d. i. über das Recht auf Handlungen, oder besser: über das Recht, den anderen von einer Tätigkeit auf die eigene Handlungssphäre auszuschließen. Vgl. Handelsstaat, GA I/7, 87 – 88: „Aus allen ergibt sich, daß kein Eigenthumsrecht auf Sachen statt finde, ohne das Recht, alle Menschen von der Thätigkeit auf diese Sache abzuhalten; erst durch die Vermeidung oder Nichtvermeidung dieser fremden Thätigkeit offenbart sich die Beobachtung oder Nichtbeobachtung meines Eigenthumsrechts. Dieses Recht der Ausschließung fremder Thätigkeit sonach ist der wahre Sitz des Eigenthumsrechts auf Sachen. […] Der Grund alles Eigenthumsrechts ist sonach in das Recht, andere von einer gewissen und allein vorbehaltnen freien Thätigkeit auszuschließen, keinesweges aber in einen auszuschließenden Besiz von Objecten zu setzen“. Zum Eigentumsbegriff vgl. Hans Georg von Manz: „Freiheit und Eigentum. Fichtes außermoralischer Begründung des Rechts“, in: Günter Zöller (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck, 27 – 46. 46 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 88. 47 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 54. 48 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 68. 45
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hinzukommt, weil das Eigentum nun einmal faktisch in eine Gesellschaft eingetreten ist, sondern die Sozialität ist für Fichte jedem Recht, so auch dem Eigentumsrecht, immanent-konstitutiv49. Andererseits läßt sich in dieser „Dynamisierung“ des Eigentumsbegriffes, der zufolge das Eigentum als ein Recht auf Tätigkeit, nicht auf Sachen anzusehen ist, ein antifeudalistisches Element erkennen50. Der Eigentumsvertrag bestimmt und reguliert die Teilung der Tätigkeitssphären unter den Individuen. Diese Teilung – durch Vernunft, nicht durch Zufall und Gewalt ausgeführt – ist nötig, damit jedem das Seinige von Rechtswegen zukomme. Nun fällt dieses Seinige nach dem letzten Teil des ersten Kapitels des Geschlossenen Handelsstaates nicht einfach mit dem Recht auf Tätigkeit bzw. auf Arbeit zusammen – wie wir bereits gesehen haben – , sondern es schließt den Zweck selbst dieser Tätigkeit ein. Ein solcher Zweck wird folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Der Zweck aller menschlichen Thätigkeit ist der, leben zu können; und auf diese Möglichkeit zu leben haben alle, die von der Natur in das Leben gestellt wurden, den gleichen Rechtsanspruch. Die Teilung [der jeweiligen Tätigkeitssphären] muss daher zuvörderst gemacht werden, dass alle dabei bestehen können. Leben und leben lassen! Jeder will so angenehm leben, als möglich“51. Das Seinige jedes Individuums ist ja seine Tätigkeit, und eine rechtsbeständige Möglichkeit der Tätigkeit, d. h. das Eigentum, aber es ist nicht nur das. Das Seinige umfaßt auch den Zweck der Arbeit, der von Fichte als „leben zu können“ charakterisiert wird: „Der höchste und allgemeine Zweck aller freien Thätigkeit ist […] der, leben zu können. […] Ohne seine Erreichung würde die Freiheit, und die Fortdauer der Person, gar nicht möglich seyn“52. Eine vernunftgemäße Teilung der Arbeitssphären unter den Individuen steht somit im Dienste der Erreichung des Zwecks der menschlichen Tätigkeit selbst, daß „alle und jeder so angenehm leben können, als es möglich ist“53. Diese teleologische Dimension stellt einen Wesenszug dieser Überlegungen Fichtes zur Aufgabe des Staates dar. Man kann aber sogleich feststellen, daß Fichte hier und auch an anderen Stellen seiner Werke, nicht von bloßem Leben-Können, sondern von einem „angenehmen“ Leben-Können spricht. Der auf dem Gebiet der Rechtslehre und der Staatslehre anzunehmende Zweck aller freien Tätigkeit ist somit die Möglichkeit und – wie Fichte sich äußert – die „Annehmlichkeit“ des Lebens. Nicht nur das bloße Leben, das allerdings von der Staatsgewalt geschützt werden muß, sondern das Wohl49 Vgl. Léon, Xavier: Le socialisme de Fichte, a. a. O. 51: „La seule conception [de la propriété] admissible est celle qui détermine la propriété en fonction non plus de l’individu, mais de la communauté des individus; et elle suppose que le droit de propriété soit défini non plus comme la possession exclusive d’une chose donnée, mais comme l’attribution d’une certaine sphère d’action, comme la condition nécessaire de toute existence dans le monde physique, d’un mot comme la production du travail qui permet à chaque homme de vivre“. 50 Vgl. Verzar, a. a. O. 131. 51 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 55. 52 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 22. 53 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 55.
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leben bzw. das Wohlergehen der Bürger unter Rechtsgesetzen und anhand einer vernunftmäßigen Arbeitsteilung und Wirtschaftsorganisation ist der Zweck des Staatswesens54. Daß der Mensch nicht nur Leben, sondern Wohl-Leben könne, entspricht dessen Würde, wie Fichte an einem Passus des Geschlossenen Handelsstaates prägnant heraushebt: „Es ist nicht ein bloßer frommer Wunsch für die Menschheit, sondern es ist die unerläßliche Foderung ihres Rechts, und ihrer Bestimmung, daß sie so leicht, so frei, so gebietend in die Natur, so ächt menschlich auf der Erde lebe, als es die Natur nur irgend verstattet. Der Mensch soll arbeiten; aber nicht wie ein Lastthier, das unter seine Bürde in den Schlaf sinkt, und nach der Erholung der erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit arbeiten, und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist“55. In der letzten Zeile dieses Passus kommt eine gründliche Überzeugung Fichtes zum Vorschein, nämlich, daß das Leben und Wohlleben ja Zweck des Eigentums als Recht auf freie Tätigkeit, aber nicht Selbstzweck sind; sie sollen – wie das ganze Staatswesen übrigens – im Dienste der sittlichen bzw. sittlich-religiösen Bestimmung des Menschen stehen. VII. Staat und Wirtschaft Die Kapitel 2 bis 6 des ersten Buches des Geschlossenen Handelsstaates lassen sich m. E. insgesamt als „Anwendung“ auf die Wirtschaftsverhältnisse der in der Einleitung und im ersten Kapitel dargelegten Grundsätze bezeichnen. Eine kompetente und ausführliche Erörterung dieses Teils übersteigt jedoch bei weitem meine Kapazitäten. Vorstehend habe ich bereits eine knappe Übersicht über die Inhalte dieser Kapitel angegeben und werde im Folgenden nur auf einige Aspekte derselben eingehen, die das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft betreffen. In einigen von Fichte wahrscheinlich im Sommer 1800 verfaßten Reflexionen Ueber Staatswirthschaft ist folgende Ausführung zu lesen, welche die Gedankenrichtung des zeitgenössischen Geschlossenen Handelsstaates selbst zum Ausdruck bringt: „Das gesammte der Staatswirthschaft aus Einem gemeinen GrundPrincip zu entwikeln – Dies dürfte ohne Zweifel dies seyn: Dahin zu sehen, daß nach der Wahrheit[…] unter der Leitung des NationalVerstandes auch im Verkehr jedweder Zwek bleibe, und keiner zum Mittel irgend eines andern werde“56. Diesem Grundprinzip zufolge soll jeder auch in wirtschaftlichen Verhältnissen – Kantisch ge54 Siehe auch in Grundlage des Naturrechts: „Leben zu können ist das absolute unveräusserliche Eigenthum aller Menschen. Es ist ihm eine gewisse Sphäre der Objekte zugestanden worden ausschliessend für einen gewissen Gebrauch, haben wir gesehen. Aber der letzte Zweck dieses Gebrauchs ist der, leben zu können, Die Erreichung dieses Zwecks ist garantirt; dies ist der Geist des Eigenthumsvertrags. Es ist Grundsaz jeder vernünftigen Staatsverfassung: jedermann soll von seiner Arbeit leben können“ (Naturrecht, GA I/4, 22). 55 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 71. 56 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/6, 5.
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sprochen – Zweck und nicht Mittel eines anderen sein57. Dieser Ansatz verlangt, wie Fichte sich eindeutig äußert, daß „die Staatswirthschaft unter dem Gebiet der moralischen Nothwendigkeit“58 geführt werde. Fichte stellt sich zur Aufgabe, eine solche Leistung zu vollziehen. In einer „Nebenbemerkung“ unterscheidet er zwischen der „Postulation der allgemeinen Freiheit des Handels“ und den „gewöhnlichen Beschränkungen“, welche die feudale „herrschende Willkür“ dem Handelsverkehr aufzudrängen beansprucht. Er bemerkt freilich, daß die allgemeine Freiheit des Handels höher als die feudale Willkür mit ihren unvernünftigen Handelsbeschränkungen steht; er setzt aber hinzu, daß das erste System noch immer darauf ausgeht, „die physische Nothwendigkeit an das Ruder zu setzen“, was Ausbeutung und Wirtschaftskriege nicht zu vermeiden vermag. Fichte spricht sich statt dessen für einen dritten Weg aus, er will „auf moralische Nothwendigkeit, und besonnene Kunst“ ausgehen59 und beabsichtigt, auf dieser Grundlage die ganzen Wirtschaftsverhältnisse von neuem zu gestalten60. Ein Leitgedanke dieser durch den Staat unter sittlichen Grundsätzen geregelten und gesteuerten Wirtschaft heißt: „Das entbehrliche ist überall dem unentbehrlichen, oder schwer zu entbehrenden, nachzusetzen“61. Dadurch plädiert Fichte durchaus nicht für eine ‚Ökonomie der Armut‘, noch will er dem soeben dargestellten Ziel des Wohllebens als Zweck der Arbeitsteilung und der sozialen Organisation entgegenlaufen62. Er besagt nur, daß eine vernunftmäßige Wirtschaftsplanung 57 Vgl. auch das aus diesen Reflexionen Ueber Staatswirthschaft folgende „GrundPrincip“: „Die Natur soll immer mehr unter die aufgegebnen Zweke des Menschen gebracht werden. – In den Bemühungen dahin soll nun jeder selbst als MitZwek, keinesweges bloß als Mittel für den Zweck eines anderen gebraucht werden, d. i. er soll den auf ihn fallenden Theil des Vortheils aus der schon geschehenen Unterjochung der Naturgewalt erhalten“ (Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/6, 7). 58 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/6, 9. 59 Fichte: Nachgelassene Schriften, GA II/6, 7. 60 Vgl. Verzar, a. a. O. 119: „Der Freihandel führt nach den Darlegungen zur Zeitgeschichte, im zweiten Buch des [Geschlossenen Handelsstaates] zu einem verhängnisvollen Kampf zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen Verkäufer und Käufer, der die Zerrüttung der sozialen, ökonomischen und moralischen Verhältnisse und große Ungerechtigkeiten nach sich zieht. Im zwischenstaatlichen Bereich führt er zu einem entsprechenden Konkurrenzkampf, der die Ursache häufiger Wirtschaftskriege ist“. 61 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 60. Siehe Hans Hirsch: „Einleitung“ zu: Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, („Philosophische Bibliothek“), Hamburg 1979: „Mit dem Grundsatz: ‚Das Entbehrliche ist überall dem Unentbehrlichen, oder schwer zu Entbehrenden nachzusetzen‘ spricht er den Leitgedanken jeder wirtschaftlichen Planung aus und nimmt eine Kernaussage der zwei Generationen später entwickelten Grenznutzentheorie vorweg“ (14 – 15). Von Hirsch siehe auch: „Fichtes Beitrag zur Theorie der Planwirtschaft und dessen Verhältnis zu seiner praktischen Philosophie“, in: Klaus Hammacher (Hg.): Der Transzendentale Gedanke, 215 – 233. 62 Man begegnet z. B. folgendem Satz: „In Summa: Das Verschließen des Handelsstaates […] sey keinesweges eine Verzichtleistung und bescheidene Beschränkung auf den engen Kreis der bisherigen Erzeugungen unseres Landes, sondern eine kräftige Zueignung
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„einen Unterschied zu machen [habe], zwischen Bedürfnissen, die wirklich zum Wohlseyn etwas beitragen können, und solchen, die bloß und lediglich auf die Meinung gerechnet sind“63, – wobei dieser Unterschied nicht von den Marktkräften als solchen, sondern erst von der politisch organisierten Gesellschaft festgesetzt werden kann. Damit das allgemeine Recht auf das Wohlleben tatsächlich erzielt werden könne, müssen die nötigen Arbeitstätigkeiten nach einem vernunftmäßigen Wirtschaftsplan geteilt, verteilt und reguliert werden64. Fichte unterscheidet mithin drei Arbeitszweige und dem entsprechend drei Stände – denn die gesellschaftlich konkreten Formen der Tätigkeiten sind die Berufe, unterteilt nach „Ständen“65. Das Recht auf Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, eines Berufs, kommt demnach durch Verträge zwischen den Ständen zustande. Der erste Arbeitszweig, durch den die Menschen ihr Leben erhalten und angenehm machen, ist die Gewinnung der Naturprodukte, welche vom Stand der „Producenten“ ausgeübt wird. Der zweite Zweig hat die weitere Bearbeitung der Naturprodukte zum letzten Zweck und wird von den „Künstlern“ (in der weitesten Bedeutung des Wortes) zustande gebracht. Hinzu kommt ein dritter Stand, der den Tausch zwischen den jeweiligen Produkten der Produzenten und der Künstler zu besorgen hat, nämlich die „Kaufleute“. „Die drei aufgeführten Stände sind – so Fichte – die Grundbestandtheile der Nation“66. Im vierten Kapitel werden aber auch die „öffentlichen Beamten“ in Betracht gezogen, die für Regierung, Erziehung und Lehre, Verteidigung der Nation sorgen und eine wesensnotwendige Rolle für die Existenz des Staates und das Bestehen selbst der wirtschaftlichen Verträge zwischen den drei genannten Ständen ausüben, denn – wie Fichte sich ausdrückt – „allen diesen Verträgen giebt das ausgesprochene Gesetz des Staates äußere Rechtsbeständigkeit, und die Regierung hat auf die Beobachtung derselben zu halten“67. Zwischen den drei Ständen muß ein Vertrag erfolgen, genauer, es muß ein Vertrag zwischen Produzenten und Künstlern stattfinden und ein Vertrag zwischen unsers Antheils von dem, was Gutes und Schönes auf der ganzen Oberfläche der Erde ist, insoweit wir es uns zueignen können; unseres uns gebührenden Antheils“ (Handelsstaat, GA I/7, 116). 63 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 116. 64 Vgl.: „Wer das Recht zum Zwecke hat, der hat es zu dem einzigen Mittel welches zum Zwecke führt. Jedes Volk hat das Recht zu wollen, daß sein Wohlstand sich erhöhe. Dies ist nur dadurch möglich, daß die Arbeitszweige vertheilt werden. Das Volk hat sonach ein Recht dies zu wollen; und diejenige Anstalt, welche zu Erlangung und Erhaltung aller seiner Rechte eingesetzt ist, die Regierung, hat die Pflicht auf sich, zu veranstalten, daß es geschehe“ (Handelsstaat, GA I/7, 72). 65 Über Fichtes Stände-Gesellschaft vgl. Luca Fonnesu: „Diritto, lavoro e ,Stände‘. Il modello di società di J. G. Fichte“, in: Materiali per una storia della cultura giuridica, 15/1 (1985), 51 – 76. 66 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 58. 67 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 60.
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beiden und den Kaufleuten. All diese Verträge haben ein negatives und ein positives Moment: Jeder Stand verzichtet auf etwas und verbindet sich, etwas anderes für das Ganze zu tun. Allgemein formuliert: Jeder Stand verspricht, sich zu enthalten, in das Gebiet und die Arbeitssphäre der anderen einzudringen; zugleich verbindet sich jeder Stand, jeweils so viele Produkte, Fabrikate oder Artikel des Tausches nach den festgesetzten Preisen zu gewinnen bzw. zur Verfügung zu stellen, welche zum Leben und Wohlleben der anderen Zweige der Gesellschaft gefordert werden. Es findet – nach dem Vorbild des Naturrechts – ein Wechselwirkungsverhältnis statt durch negative Ermöglichung der Arbeitssphäre der anderen mittels Selbstbeschränkung und durch positive Ermöglichung des Wohllebens der ganzen Gesellschaft dank dem von jedem Individuum geleisteten Arbeitsbeitrag. Bei Fichte liefert die Rechtsordnung, von der eine der Hauptaufgaben die vertragsgemäße Abgrenzung wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche ist, die Grundlage, auf die sich die Wirtschaftsordnung zu stützen habe. Letztere hat zum Zweck – wie bereits gesehen –, jedem Bürger eine abgegrenzte, besondere Arbeitstätigkeit zuzuweisen und zu garantieren. Der garantierte Tätigkeitsbereich soll zugleich eine Garantie der Lebensmöglichkeit und Lebensannehmlichkeit für alle Beteiligten einschließen. Nun müssen sich die Bürger der Rechtsordnung gemäß diese Garantien gegenseitig leisten. Jeder empfangenen Garantie entspricht demzufolge eine übernommene Verpflichtung: – der Garantie, einen bestimmten Tätigkeitsbereich zu erhalten, entspricht die Pflicht, sich des Eingriffs in die Tätigkeitssphäre der anderen zu enthalten, – der Erfolgsgarantie, die als Abnahmegarantie der Produkte gestaltet ist, entspricht die Pflicht, die Leistungen der anderen vollständig abzunehmen, – der Versorgungsgarantie entspricht endlich die Pflicht, die übernommene Tätigkeit wirksam auszuüben und ihr Ergebnis den anderen zur Verfügung zu stellen. Der Staat muß so weit in das Wirtschaftsleben eingreifen, wie es zur Erreichung der Vollbeschäftigung und eines angemessenen Arbeitsertrages für jeden Bürger notwendig ist. Er hat des weiteren die Rechtspflicht, allen Bürgern, die trotz hinreichendem Arbeitswillen in Not geraten, den normalen Lebensunterhalt durch Unterstützungsleistungen zu sichern. All die genannten Garantien setzen ein planwirtschaftliches System notwendig voraus68, dessen Grundzüge Fichte im bleibenden Teile des ersten Buches seines Werkes ausführlich und sorgfältig darstellt. Es liegt beim Staat und dessen Gesamtplan und nicht etwa beim Marktmechanismus, die Anzahl der Mitglieder jedes Standes zu bestimmen und über Umfang und Richtung der Produktion von Gütern zu entscheiden. Grundlegende Aspekte des von Fichte erarbeiteten Wirtschaftsmodells sind die Festlegung des Warenwertes und die Einsetzung des Landesgeldes. Da der Zweck (= der Sinn) der Arbeit die Möglichkeit und Annehmlichkeit des Lebens ist, ist ihr faktisches Resultat, d. i. das Ding, um so viel mehr wert, denn ein anderes, „als man länger davon leben kann. Der Maasstab des relativen Werthes der Dinge gegen einander, wäre [also] die Zeit, binnen welcher man von ihnen leben 68 Ich schließe mich hierzu den Erklärungen von Hans Hirsch an, „Einleitung“ zu: Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, a. a. O. 14.
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könnte“69. Fichtes Wertlehre orientiert sich demnach am Gebrauchswert; Grundwert wäre – nach den Überlegungen Ueber Staatswirthschaft– das, „was zur Erhaltung des Menschen [überhaupt] dient“70. Für den bestgeeigneten Wertmaßstab wird das allgemeinste und am billigsten erzeugbare Nahrungsmittel, also das Brotkorn, gehalten 71. Fichte konzipiert das Geld als „ein bloßes Zeichen“ des Eigentums. Als solches bezeichnet es „alles nützliche und zweckmäßige im Staate […], ohne doch die geringste Zweckmäßigkeit zu haben“72. Fichte bietet somit nach Hans Hirsch eine der ersten Formulierungen der „Zeichentheorie“ des Geldes an, wobei sein Beitrag in direktem Gegensatz zu den in seiner Zeit herrschenden theoretischen Vorstellungen des „Metallismus“ steht, denen zufolge wesentliche Eigenschaft des Geldes wäre, daß es ebenso wie jede andere Ware seinen Tauschwert im Stoff der umlaufenden Geldstücke selbst verkörpere73. Geld ist hingegen bloß Zeichen, das zwischen Ware und Ware als Medium zu dienen hat. Im Gelde läßt sich nichts realisieren, denn das Geld selbst ist nichts reelles. Die Ware ist statt dessen die wahre Realität, und in ihr wird das Geld realisiert74. Es muß eine durch den Staat geregelte und garantierte Entsprechung zwischen Geld und Waren bestehen: „Die ganze Summe des circulirenden Geldes repräsentirt [im Vernunftstaat] die ganze in dem öffentlichen Verkehr befindliche Summe der Waare“75. Grundbedingung des Bestehens eines geschlossenen Handelsstaates ist die Einsetzung eines Landesgeldes, welches sich auf kein anderes Geld bezieht, und soll in kein anderes Geld umgesetzt werden. Das Landesgeld bezieht sich unmittelbar auf Waren, und wird nur in diesen realisiert. Die ganze Masse des Geldes repräsentiert – und ist wert – die ganze Masse der Waren; und jeder Teil des ersteren ist jeden Teil des Wertes der zweiten wert76. Diese Entsprechung garantiert die Stabilität der Preise, denn so lange das Verhältnis des im Umlaufe befindlichen Warenwertes zu dem im Umlaufe befindlichen Gelde dasselbe bleibt, können die Preise sich nicht ändern77. Was die Preisfestlegung anbelangt, macht Hans Hirsch darauf aufmerksam, daß Fichte von einer anderen Fragestellung als die übliche Preistheorie ausgeht. Während man in dieser fragt, wie Preise sich am Markt tatsächlich bilden, also eine Kausalanalyse unternimmt, fragt Fichte, einer Planwirtschaft angemessen, teleologisch: Wie sollen die Preise vom Staat gesetzt werden?78 69 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 66. Nachgelassene Schriften, GA II/6, 6. 71 Dazu siehe die Ausführungen von Claus Dierksmeier: „Der Staat und die Wirtschaft. Fichtes politische Ökonomik“, in: Günter Zöller (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck, 111 – 132. 72 Fichte: Naturrecht, GA I/4, 41. 73 Hirsch: „Einleitung“, a. a. O. 30 ff. 74 Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 126. 75 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 79 f. 76 Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 97. 77 Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 80. 78 Hirsch: „Einleitung“, a. a. O. 33. 70 Fichte:
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Die Staatsform, die einzig für das Bestehen eines solchen sozialen und wirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen Arbeitsleistungen, Waren und Preisen bürgen kann, ist Fichte zufolge eine solche, welche sich von jedem Einfluß vom Ausland unabhängig macht und die Möglichkeit selber eines solchen Einflusses durchaus abschneidet. Das ist der geschlossene Handelsstaat. Der bereits erwähnten Parallelität zwischen Recht und Wirtschaft zufolge ist also der Vernunftstaat ein ebenso durchaus geschlossener Handelsstaat, als er ein geschlossenes Reich der Gesetze und der Individuen ist79. Bedarf der Staat – z. B. aus Mangel bestimmter Produkte auf seinem Territorium – eines Tauschhandels mit dem Auslande, so hat lediglich die Regierung, nicht die privaten Wirtschaftskräfte (= die einzelnen Mitglieder der Stände), ihn zu führen, „ebenso wie [die Regierung] allein Krieg, und Friede, und Bündnisse zu schließen hat“80. VIII. Schlußbemerkung Fichtes Entwurf des geschlossenen Handelsstaates wurde – wie wohl bekannt ist – aus vielerlei Hinsichten bestritten. Eine ausführliche Behandlung dieser Kritiken würde aber den Rahmen meines Beitrags bei weitem sprengen. Ich möchte mich hier nur darauf beschränken zu erinnern, daß die Einwände grundsätzlich aus zwei Gesichtspunkten herzukommen scheinen. Die Einen betonen, daß Fichtes Projekt mit seiner steifen und minutiösen Reglementierung aller Arbeitstätigkeiten und jedes wirtschaftlichen Unternehmens der individuellen Freiheit keinen Raum mehr läßt bzw. lassen kann. In diesem Sinne würde der Geschlossene Handelsstaat dem Fichteschen Grundansatz selbst, dem Freiheitsgedanken, widersprechen und einem schrankenlosen Etatismus einerseits und einem ebenso schrankenlosen Ökonomismus des Staates andererseits Tür und Tor öffnen81. Die Anderen heben hervor, Fichtes Entwurf sei schon in streng wirtschaftlicher Hinsicht unhaltbar, in ihm gäbe es keine ausreichende ökonomische Fundierung seiner Ansichten und Vorschläge, wie ihm beispielweise bereits 1801 in der Rezension von Adam H. Müller in der „Neuen Berlinischen Monatsschrift“ vorgeworfen wurde82. Die Idee eines geschlossenen Handelsstaates mit seiner zentralisiert dirigierten Privatwirtschaft sei dem Gedanken einer offenen Marktwirtschaft, der die herrschende Tendenz der modernen Ökonomie ausdrückt, diametral entgegengesetzt – was um so 79
Vgl. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 70.
80 Ebd. 81 Vgl. dazu J. Schottky: „Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert“, a. a. O. 219 ff.; vgl. auch: Hans Hirsch: „Einleitung“, a. a. O. 59 ff. 82 Vgl. [Rezension] Adam Müller: Ueber einen philosophischen Entwurf von Hrn. Fichte; betitelt: „Der geschloßne Handelstaat“, in: Neue Berlinische Monatschrift, 6 (1801), 436 – 458; ND in: Erich Fuchs/Wilhelm G. Jacobs/Walter Schieche (Hg.): Fichte in zeitgenössischen Rezensionen, Bd. 3, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, 248 – 260. Zu dieser Buchbesprechung vgl. den bereits erwähnten Aufsatz von Jochen Marquardt: „Der geschloßne Handelsstaat“, a. a. O.
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mehr in einer Epoche von globalisierten Weltmärkten, wie der unsrigen, zu gelten scheint. Beide Kritiken, die ihrerseits in der Literatur verschiedene Varianten und Akzentverschiebungen aufnehmen, sind diskussionswürdig. Ich glaube dennoch, eine solche Auseinandersetzung fiele um so produktivere aus, wenn sie nicht so sehr die einzelnen, technischen Maßnahmen, sondern die spekulative Politik- und Wirtschaftauffassung Fichtes selbst, von der ich in meinem Beitrag einige Grundsätze zu rekonstruieren versucht habe, im Auge behalten wollte. Und die grundlegende Herausforderung dieses Entwurfes wird m. E. von dem Gedanken glücklich ausgedrückt, die Fichte sich in seinen Überlegungen Ueber Staatswirthschaft notiert hat: „Die Staatswirthschaft [sei,] unter dem Gebiet der moralischen Nothwendigkeit“ zu führen (GA II/6, 9). Dieser Vorrang der moralischen Notwendigkeit, des Sittengesetzes, umfaßt u. a., daß die Politik und die Freiheitsinstitutionen – deren Gestalt heute nicht mehr nur auf der nationalen, sondern auf der Weltebene von neuem durchgedacht werden sollte –, ihre Führungs- und Orientierungsrolle der Entfaltung der Markt- und Finanzkräfte gegenüber wirksam und angemessen ausüben müssen. Keine ‚unsichtbare Hand‘ kann diese Rolle der Politik als vermittelnde Wissenschaft und „besonnene Kunst“ – wie Fichte sie nennt – in der menschlichen Gemeinschaft ersetzen. Die Marktwirtschaft selbst ist ihrerseits kein „Ding an sich“, sondern ein komplexes, soziales Gebilde, welches als solches modifizierbar und reformierbar ist und unter dem Gebiet einer moralischen Politik (sowohl von politischem Moralismus als auch von naturalistischem Ökonomismus abgehoben) zu führen ist. Man dürfte letzten Endes nicht vergessen, daß das ganze Projekt Fichtes zum Ziel hat, den Frieden zu stiften und Ausbeutung und Verarmung zu bekämpfen. Literatur Buhr, Manfred: Revolution und Philosophie. Die ursprüngliche Philosophie Johann Gottlieb Fichtes und die Französische Revolution, Berlin 1965. Cesa, Claudio: Verso l’eticità. Saggi di storia della filosofia, De Pascale, Carla/Fonnesu, Luca/Savorelli, Alessandro (Hg.), Pisa 2013. De Pascale, Carla: Vivere in società, agire nella storia. Libertà, diritto, storia in Fichte, Milano 2001. Dierksmeier, Claus: „Der Staat und die Wirtschaft. Fichtes politische Ökonomik“, in: Zöller, Günter (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, Baden-Baden 2011, 11 – 132. Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart/Bad Cannstatt 1962 – 2012. Fonnesu, Luca: „L’ideale dell’estinzione dello Stato in Fichte“, in: Rivista di storia della filosofia 2 (1996), 257 – 269. – „Diritto, lavoro e ,Stände‘. Il modello di società di J. G. Fichte“, in: Materiali per una storia della cultura giuridica, 15.1 (1985), 51 – 76. Fuchs, Erich/Jacobs, Wilhelm G./Schieche, Walter (Hg.): Fichte in zeitgenössischen Rezensionen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, Bd. 3.
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Der geschlossene Handelsstaat Zweites Buch: Zeitgeschichte Klaus Honrath Der geschlossene Handelsstaat. Zweites Buch: Zeitgeschichte
In diesem Beitrag, der das zweite Buch: „Zeitgeschichte“ im Titel trägt, sollen vor allem zwei Aspekte beleuchtet werden. Der erste Aspekt ist die Auffassung von Zeitgeschichte, die Fichte selbst hier entwickelt. Es geht hier also auch um die Sicht Fichtes auf seinen eigenen Standpunkt vor dem Hintergrund der stattfindenden historischen Entwicklung der Praxis und der Theorie des Wirtschaftens. Ich will dabei versuchen, die Plausibilität seiner Gedankenführung vor dem Bewußtsein sich realisierender Freiheitsbedingungen, die immer auch rechtliche und staatliche Institutionen verlangen, deutlich werden zu lassen. Der zweite Aspekt soll die zeitgeschichtliche Einbettung dieses Werkes selber in einen Kontext breiter philosophischer und wirtschaftswissenschaftlicher Überlegungen zeigen, die sich deutlich von der Einseitigkeit der sich zur Herrschaft aufschwingenden klassischen, angelsächsischen Ökonomielehre abheben will. Es ist eben nicht nur Fichte, der kritisch ist gegenüber einem unreflektierten, einseitigen Marktbegriff, der letztlich auch Ausdruck einer Haltung von Verantwortungslosigkeit gegenüber gedachten Automatismen ist. Wenn die Philosophie ihre Zeit zum Gedanken erhebt, dann kann nun deutlich werden, daß das Fichtesche Werk durchaus ein markant philosophischer Beitrag im Ringen um den Stellenwert von Freiheitspotentialen ist1, indem er die Wirklichkeit der Freiheit in objektiven Gemeinschaften wie Staat oder auch Kirche gegen eine bloß individualistische Freiheitsauffassung, die ihre Einseitigkeit immer stärker zum alleinigen Prinzip machen will, festhält. I. Beginnen wir also mit der „Zeitgeschichte“ in Fichtes Werk. Vorangestellt sei eine Vorerinnerung, die Fichte macht: „Vorläufige Erklärung des Titels. Den juridischen Staat bildet eine geschloßne Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter und für einander einge1 Der Handelsstaat ist also nicht auch als Produkt politischer Anbiederung zu verstehen, wie z. B. von Andreas Verzar geäußert: Das autonome Subjekt und der Vernunftstaat, Bonn 1979, 93 f.
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schränkt, und jeder; der nicht unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Antheil an jenem Verkehr ausgeschlossen werden, sie würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßnen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschloßnen juridischen Staat bildet.“2
Es wird hier deutlich, daß Fichte seinen Handelsstaat nicht als ursprüngliche Marktwirtschaft auffaßt, die sich staatlich verfaßt, sondern daß der Handelsstaat dem Begriff eines juridischen Staates, also einer Rechtsgemeinschaft, aus Vernunftgründen entspringt. Der Handelsstaat ist Folge des Rechtsstaates. Der (Rechts-)Staat als Ausdruck institutionalisierter Freiheit bildet den Rahmen und die Vorgabe für die Ökonomie. Die Rolle des Staates ist von vorneherein bei Fichte eine ganz andere als in der liberalen Auffassung, bei der der Staat die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens sichern soll. Wie schon bei Thomas Hobbes ist auch bei Adam Smith und seinen Nachfolgern einschließlich Karl Marx, der den Staat ja auch absterben läßt, nicht der Staat der vorrangige Ort der Freiheit, sondern die entsprechend organisierte Wirtschaft, die auf der Vertragsfreiheit beruht. Für Fichte ist es aber nicht „die Wirtschaft“, die Vorgaben an den Staat macht, ihn sich anpaßt, sondern der Staat schafft sich seine ihm gemäße Wirtschaftsordnung. Damit wird aber auch „die Wirtschaft“ von Fichte ganz anders aufgefaßt, als in der neuen, vor allem angelsächsischen Strömung. Fichte wendet sich, sowohl was die Auffassung vom Staate als auch was die Auffassung des Wirtschaftens ist, gegen eine Auffassung des Menschen, wie sie in der ökonomischen Theorie in den „Robinsonaden“ Ausdruck findet. Der Mensch ist von seiner Natur her eben kein isolierter Einzelner3, der sich erst noch vergesellschaften muß. Der Staat entsteht nicht aufgrund eines Vertrages, sondern er ist als Institution der Freiheit eine notwendige Voraussetzung, damit die Menschen als Menschen leben können4. So treffen die Menschen sich auch nicht als isolierte Einzelne auf dem Markt, sondern die Gemeinschaft der ihre materiellen Lebensbedürfnisse organisierenden Menschen erzeugt diese Institution ihres Verkehrs5. Es ist der Markt als Vermittlung der individuellen, aber auch der gemeinschaftlichen 2
Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, in: ders.: Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA, 1/7, 38. 3 Der aber merkwürdigerweise doch schon über alle, erst in seinem gesellschaftlichen Umgang entwickelten Fähigkeiten verfügen soll. 4 Die Forderung nach Freiheit an sich, ist immer auch die Forderung nach Willkür (vgl. Adam Müller: Elemente der Staatskunst, Jena 1922, 151). Gegen unsere Auffassung, daß der geschlossene Handelsstaat wirklicher Zweck und nicht Mittel der Realisierung von individueller Freiheit ist, vgl. Nico Wallner: Fichte als politischer Denker. Werden und Wesen seiner Gedanken über den Staat, Halle/Saale 1926, 91, 97, 111 ff.). 5 Auch die sog. Frühromantik wendet sich gegen die Einseitigkeit der Orientierung nur auf die materiellen Bedürfnisse. So wendet sich z. B. Friedrich Schlegel (1772 – 1829) gegen das Vorherrschen partikularer weltlicher Interessen, unter die er auch die politischen subsumiert, und bringt dagegen die Individualität in Stellung (vgl. Günter Birtsch: „Aspekte des
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Lebensbedürfnisse des Menschen, der damit in erster Linie qualitativ bestimmt ist und nicht bloß ein Ort des quantitativ berechenbaren Austausches von Gütern. Das quantitative Moment der Bedürfnisbefriedigung darf nicht vernachlässigt werden, aber es ist nicht das alles bestimmende Moment in dieser Hinsicht. Die Institution des Marktes kann nur insofern an der Entfaltung der Freiheit der Menschen mitwirken, wenn sie vom Staat, der selber die Qualität der Freiheit objektiv ausdrückt, reglementiert, d. h. in ihrer schrankenlosen quantitativen Expansion und Kontraktion gerade nicht völlig freigelassen ist. Der Staat realisiert so qualifizierte Freiheit auch mit Hilfe des Marktes. Schon Aristoteles hatte dies als ein Verhältnis von Ökonomie und Chrematistik angesprochen6. Schon den Alten waren die Potentiale, aber auch die Gefahren für die Gemeinschaften nicht unbekannt, im Gegenteil sehr bewußt. Fichte bestreitet so von Anfang an die Vorstellung der Freiheit der Märkte als vorrangiges Medium der Freiheit des Menschen, er sieht in dieser Vorstellung die Gefahr, die sich letztlich als permanenter Angriff auf die Rechtstaatlichkeit im Sinne qualifizierter Freiheit der ursprünglich vergemeinschafteten Subjekte realisieren muß. Wie der juridische Staat die Freiheit seiner Bürger nur garantieren kann, wenn er sie in einer vernünftigen Ordnung begrenzt, so muß dies auch in bezug auf das Wirtschaften gelten. Die Selbstbeschränkung, um überhaupt in Freiheit, d. h. selbstbestimmt leben zu können, wurde schon von Aristoteles deutlich hervorgehoben, der das Ideal der Autarkie für die Poleis forderte. Die liberale Leitvorstellung unbegrenzten Wachstums verwandelt die wirkliche Freiheit der Subjekte im Staat in ihre Untertänigkeit gegenüber einem abstrakten Mechanismus, der von ebenso abstrakten Wertvorstellungen geregelten Marktprozesse. Nicht der organisierte Wille der Gemeinschaft im Staat soll die Verhältnisse des Wirtschaftens bestimmen, auch nicht die Macht der einzelnen Willkür als solcher, sondern der Marktmechanismus soll die Freiheit des Egoismus auf wundersame Weise so organisieren, daß das Wirtschaften zu einem allgemeinen Wohl – was hier allerdings nur auf ein größeres Quantum an materiellen Gütern beschränkt ist – führen soll. Der Fichtesche Standpunkt wendet sich gerade gegen diese abstrakte Vorstellung von Freiheit, die über einen äußeren Mechanismus vermittelt der freien Subjektivität der Individuen und ihrer Gemeinschaft dienen will. Aus diesem grundsätzlichen Standpunkt heraus macht Fichte seinen Entwurf, und wir wollen nun versuchen, uns seine Ausführungen näher anzuschauen. Im ersten Kapitel des zweiten Buches stellt Fichte fest, daß für das Alltagsbewußtsein die Annahme gilt, daß der jeweils bestehende Zustand unabänderlich sei. Der „Nichtdenker“ hält das Zufällige für notwendig. Für den Tagesgebrauch ist diese Haltung auch durchaus angemessen, denn hier ist ja das Vertrauen in eine gewisse Stabilität der Lebensverhältnisse angesprochen. Für den Denker, der tiefere Einsicht verlangt, allerdings stellt sich die Kausalfrage: „auf welche Weise ist denn Freiheitsbegriffs in der deutschen Romantik“, in: Richard Brinkmann (Hg.): Romantik in Deutschland, Stuttgart 1978, 47 – 58, hier: 50 f.). 6 Aristoteles: Politik, 1256b, 1257a.
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der gegenwärtige Zustand der Dinge entstanden, und aus welchen Gründen hat die Welt sich gerade so gebildet, wie wir sie vor uns finden?“ Indem aber die Gründe untersucht werden, findet man das zunächst wie selbstverständlich Gegebene „zuweilen gar wunderlich“7. Im zweiten Kapitel entwickelt Fichte eine Theorie, wie ein in Europa unbeschränkter Handelsraum nach dem Untergang des Imperium Romanum, das ja auch als eine Wirtschaftseinheit zu betrachten ist, neu entstanden ist. Er stellt die These auf: Die Völker des germanisch-christlichen Europas bildeten „Eine Nation“8 unter einem Oberhaupt. Die dazu kommenden Nationen wurden darin über die Religion integriert. Weitere Kennzeichen der damaligen Situation: Es gab kein politisches, abstrakt-rechtliches Band, die Bindungen waren persönlich, nicht durch Gesetze bestimmt. Eben weil sie keine trennenden Staatsverfassungen hatten, fühlten die Menschen sich als eine Nation und überall zu Hause. Sie reisten, trieben Handel und vermischten sich auf dem ganzen Kontinent. Erst durch die Einführung des römischen Rechts kamen eigentlich politische Begriffe und Einrichtungen in Umlauf. Die Völkerschaften wurden durch Staatsverfassungen geschieden. Die Reformation richtete faktisch die bestehende Einheit – das κατά ὅλον – weiter zugrunde. Fichte nimmt in diesem Zusammenhang deutlich Stellung gegen die verbreitete Vertragstheorie: Nicht die isolierten Einzelnen vereinigten sich im Staat, sondern das ursprüngliche Ganze wurde durch die entstehenden Staaten geteilt. Fichte sieht um 1800 „dass ein guter Theil unserer Begriffe und unserer Einrichtungen diesen aufgehobnen Zusammenhang noch immer als fortdauernd vorauszusetzen scheint.“9 Das Handelssystem z. B. spiegelt noch jene Einheit wider. Die unentwickelten Verhältnisse garantierten eine Freiheit der Anarchie, ohne staatliche Berechnung (d. h. ohne staatliche Vorausplanung), also auch ohne weitere Reglementierung, bei der aber jeder sein Auskommen hatte. „War das christliche Europa ein Ganzes, so mußte der Handel der Europäer unter einander frei seyn.“10 Wir müssen diese Handelsfreiheit durchaus als eine ursprüngliche Freiheit mangels politischer Restriktionen auffassen. Es war eine Freiheit, die nicht durch äußerliche Normativierung sich erst etablierte. Natürlich müssen wir bedenken, daß der Handel so frei auch nicht war, wenn Zölle und Stapelrechte die Kaufleute belasteten. Aber worum es Fichte hier geht, ist, auch das Moment aufzuzeigen, daß dabei zwar Abgaben auf den Handel entstanden, aber der Handel selber nicht aus politischen Gründen gelenkt wurde. Wir können auch sagen: Fichte macht darauf aufmerksam, daß eine eigenständige Wirtschaftspolitik sich noch nicht aus dem allgemeinen Staatsganzen herausgearbeitet hatte. Er konstatiert so in der Tat ein Bestehen eines europäischen Gesamtmarktes, der sich auch nach der politischen Zergliederung des Gan7 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 92. Handelsstaat, GA, 1/7, 93. 9 Fichte: Handelsstaat, GA, 1/7, 94. 10 Fichte: Handelsstaat, GA, 1/7, 95. 8 Fichte:
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zen in die entstehenden national dominierten Staaten weiter erhalten habe. Dieser Markt war Widerspiegelung einer europäischen Arbeitsteilung, die großräumig die wirtschaftlich unterscheidbaren Gebiete miteinander verband. „Der Handel war in diesem Zustande durchaus frei, ohne Berechnung, so wie ohne Beschränkung.“11 Dieser Zustand war, auch wenn hier der freie Eingriff der Menschen in die Verhältnisse, Fichte nennt hier das Stichwort „Berechnung“12, noch nicht als solcher bewußt gemacht werden konnte, „durchaus in der Ordnung“.13 Aber mit dem Auftreten der politischen Zergliederung sieht Fichte nun eine Inkonsequenz: „Ist es [das Ganze, K. H.] im Gegentheil in mehrere, unter verschiedenen Regierungen stehende Staatsganze getrennt, so muß es eben so in mehrere durchaus geschlossene Handelsstaaten getrennt werden.“14
Denn im jetzigen Zustand gibt es Mißbräuche und schädliche Folgen, die aus diesem nicht begriffenen Widerspruch, daß die neue staatliche Form nicht mehr zu dem alten wirtschaftlichen Inhalt paßt, gespeist werden. (Von hier aus gäbe es viel zu denken, wenn in unsern Tagen behauptet wird, die alte staatliche Form müsse sich der neuen inhaltlichen Bestimmung des Wirtschaftens anpassen.) Wie immer man dazu stehen mag, die Auffassung vom Staat ist der zentrale Punkt, von dem aus das Verhältnis von Staat und Wirtschaft bestimmt werden muß. Für Fichte zeigt sich ein grundlegender Mangel in diesem Nicht-Begreifen, und dies ist die einseitige Auffassung vom Staat. „Man hat ferner die Aufgabe des Staates bis jetzt nur einseitig und nur halb aufgefaßt, als eine Anstalt, den Bürger in demjenigen Besitzstande, in welchem man ihn findet, durch das Gesetz zu erhalten. Die tiefer liegende Pflicht des Staates, jeden in den ihm zukommenden Besitz erst einzusetzen, hat man übersehen.“15
Auch in diesem Zitat wird ganz deutlich, wie Fichte das Verhältnis von Staat und Wirtschaft mit allen ihren Voraussetzungen auffaßt. Der Staat hat nicht nur die Aufgabe das – wie auch immer zustande gekommene – Eigentum zu schützen, wie es die liberale Vorstellung will. Er soll eben nicht nur die Rahmenbedingungen sichern, ansonsten sich aber aus der Wirtschaft fernhalten. Fichte steht auf einem ganz anderen Standpunkt: Nicht die Wirtschaft reguliert sich selber, etwa durch Smithens „unsichtbare Hand“, sondern der Staat setzt die Bedingungen des Wirtschaftens so, daß die Freiheit der Menschen und er selbst als lebendiger Ausdruck ihres Gemeingeistes größtmögliche Entfaltung erfahren können. Die staatlich verfaßte wirkliche Gemeinschaft, die „geschloßne Menge von Menschen“16, organisiert ihr Wirtschaften aus diesem Standpunkt heraus. Dazu ist aber die Schließung 11 Ebd. 12 Inwieweit im geschlossenen Handelsstaat eigentliche Planwirtschaft betrieben wird, wäre durchaus noch genauer zu befragen. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Fichte: Handelsstaat, GA, 1/7, 38.
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der Handelsstaaten notwendig. „[D]ie Anarchie des Handels [muß] eben so aufgehoben werde[n], wie man die politische allmählich aufhebt“17. Wenn der Staat die organisierte Freiheit seiner Bürger ist, dann muß sich das Wirtschaften unter dieser Organisation einfügen. Die Freiheit der Märkte (die Freiheit der marktenden Menschen) muß sich an dieser Freiheitsinstitution brechen. Fichte erhebt nun einen Vorwurf, der sonst eher gegen ihn selber erhoben wurde, nämlich, daß seine Ansichten rückwärtsgewandt seien. Er schreibt hingegen: „Jene Systeme, welche Freiheit des Handels fodern, jene Ansprüche in der ganzen bekannten Welt kaufen, und Markt halten zu wollen, sind aus der Denkart unserer Voreltern, für welche sie paßten, auf uns überliefert worden; wir haben sie ohne Prüfung angenommen, und sie uns angewöhnt, und es ist nicht ohne Schwierigkeit, andere an ihre Stelle zu setzen.“18
Wie schon angesprochen, sieht Fichte in dem traditionellen Ganzen des Handelsgebietes weniger staatliche Beschränkungen wirksam, sondern es sind vielmehr noch die natürlichen Restriktionen der Transportmöglichkeiten, die dem Handel seine natürlichen Grenzen setzen. Diese natürlichen Hemmnisse abzuarbeiten, war so auch die gerechtfertigte Anstrengung der „Voreltern“. Die Realisierung staatlich garantierter Freiheit, die mit der Regulierung auch der wirtschaftlichen Freiheiten einhergehen muß, stellt neben diese natürlichen Hemmnisse nun auch künstliche, durch den Menschen selber errichtete Hürden der freien Willkürentfaltung. Die Bestreitung der Rechtmäßigkeit dieser neuen Hemmnisse zeigt aber eine unreflektierte Denkart, die quasi unterirdisch weiterhin das Handeln bestimmt. Und so ist das Merkantilsystem, das erste wahrhaft moderne ökonomische System mit seiner Räubermentalität und Kriegen, durch den liberalen Geist, wie er sich zuerst bei den Physiokraten regte, nicht überwunden, sondern eher noch verschärft worden. Fichte geht es darum, der interessierten Gedankenlosigkeit die Maske scheinbarer Freiheit herunterzureißen. Im dritten Kapitel geht Fichte auf die klassisch werdende Leitvorstellung des Wirtschaftens ein, die vor allem mit Adam Smith populär wird. Die Begründung des Geldes durch die Arbeitswertlehre ist für Fichte „nicht hinreichend“19. Nicht nur die Annahme einer objektivierbaren Größe wie die Arbeitszeit kann hier ausschlaggebend sein; vielmehr muß auch der subjektive Nutzen beachtet werden. Der Geldstoff hat einen nominellen, keinen materiellen Wert: „weil der Werth des Weltgeldes gegen die Waare keine andere Garantie hat, als die öffentliche Meinung, ist dieses Verhältniß schwankend und wandelbar, wie diese.“20 Fichte macht hier auf einen zentralen Punkt – und wenn man so will – auf einen grundlegenden Mangel an Einsicht in das Marktgeschehen von seiten der klassi17 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 95.
18 Ebd. 19 Fichte: 20 Ebd.
Handelsstaat, GA, 1/7, 96.
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schen Ökonomie aufmerksam. Wo es dieser um Berechenbarkeit und das Versprechen von Sicherheit im Wirtschaften auf dem Standpunkt isolierter Einzelner geht, betont Fichte, daß diese Annahmen nicht begründet werden können. Die Vorstellung von Gesetzen des Wirtschaftens analog zu der Vorstellung von Naturgesetzen verkennt, daß nur Menschen als Vernunftwesen wirtschaften (im Sinne rationaler Tätigkeit) und so auch das Wirtschaften in einer Sphäre der Freiheit seinen Ort hat. Von unserer Kenntnis der Geschichte der ökonomischen Lehren können wir den Fichteschen Gedanken noch weiter vertiefen und feststellen, daß diese Theorie eine sich selbst tarnende Norm für die Menschen ausspricht. Die Menschen sollen sich in ihrem freien Handeln einem äußerlich aufgestellten Automatismus unterwerfen. Das heißt, ihr freies Handeln soll nicht mehr unter dem Primat der Selbstzweckhaftigkeit des Vernunftwesens gedacht sein, sondern unter dem Primat einer objektiv sein sollenden Marktgesetzgebung. Dadurch wird die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen unterlaufen. Dies soll aber gerade nicht als eine Tat der Menschen erscheinen, die sich selber diese Norm setzen, um ihre sachlichen Verhältnisse oder was dasselbe ist, ihre Verhältnisse sachlich zu reglementieren. Die ursprüngliche Verantwortung der Menschen verschwindet hinter der bloß sachlich sein sollenden Notwendigkeit. Die Freiheit der Menschen besteht dann darin, sich dieser Norm der bloßen Sachlichkeit zu unterwerfen. Aber diese Haltung verbleibt auf dem Stand ganz abstrakter und unwirklicher Freiheit. Der Mensch sieht sich jetzt selber als Sache oder Objekt so aufgefaßter Verhältnisse an. Der Mensch ist nicht mehr wahres Subjekt des Geschehens, sondern Objekt anonymer Mächte. Aber kommen wir zurück zum Geld. Eben weil der Wert des Geldes für Fichte nicht in der auf dieses angewandte Arbeit beruhen kann, sondern nominell zu fassen ist, kann er die Quantitätstheorie des Geldes für sich in Anspruch nehmen (ohne „naiv“ gescholten zu werden, wie es z. B. Marianne Weber tut21). Auf dem Standpunkt der Arbeitswertlehre führt diese Annahme natürlich zu Widersprüchen. Werthaltiges Geld kann sich der Zirkulation entziehen. Hingegen Geld, von dem jeder weiß, daß es nur Zeichen ist, wird in die Funktion, bloßes Zirkulationsmittel zu sein, festgebannt. Unter dieser Prämisse ist es hier plausibel zu sagen: „Die ganze Masse des Geldes repräsentirt, und ist werth die ganze Masse der Waare; und jeder sovielste Theil des ersteren jeden sovielsten Theil des Werthes der zweiten. Es ist ganz gleichgültig, ob, bei bleibender Menge der Waare, eine grössere oder kleinere Menge Geldes im Umlauf sey: und der Reichthum beruht auch hier gar nicht darauf, wieviel Geld, sondern den wievielsten Theil von allem vorhandenen Gelde man habe.“22
Moderne Quantitätstheoretiker wie Milton Friedman (1912 – 2006) wollen diese Theorie dafür einsetzen, ein Mittel zur Beeinflussung der Wirtschaft vorzuschlagen, hier eben die Geldmengenpolitik, um das Preisniveau und damit letztendlich das Wirtschaftswachstum zu steuern. Fichte geht es gerade darum nicht. Denn 21 Marianne Weber: Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin, Tübingen 1900, 57. 22 Fichte: Handelsstaat, GA, 1/7, 97.
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Fichte will ja die Ressourcenverteilung primär nicht über den Markt, sondern über die Institutionen der Gemeinschaft geregelt wissen. Wer über den Markt die Verteilung geregelt wissen möchte und trotzdem das Ziel von Gemeinwohl aufstellt, muß versuchen, unter dem Primat des Marktes indirekt die Verteilung zu beeinflussen. (Dazu wäre natürlich noch einiges mehr auszuführen, dies würde aber den Rahmen dieses Beitrages sprengen.) Die Vorstellung, daß Geld als solches selber werthaltig sei oder sein müsse, führt zur Zersetzung der Gemeinschaft der Menschen, wie schon Platon und Aristoteles wußten. Denn jetzt soll eine Sache in der Verfügung der Einzelnen gegen die „öffentliche Meinung“23 als Vorrang in Stellung gebracht werden. Für ein gelingendes Leben darf Geld als Ausdruck abstrakter Werthaftigkeit nicht zum Zweck des Wirtschaftens werden. Wir kommen im nächsten Kapitel nochmals darauf zu sprechen. Fichte erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß nicht der Arbeitsaufwand des Verkäufers den Käufer interessiert, sondern der Nutzen, den er selber von der Ware erwartet. Hier ist eine Anspielung auf Smith versteckt, denn der hatte ja davon gesprochen, daß das Wohlwollen des Verkäufers außer Betracht bleibe. Die Unzulänglichkeit einer bloß objektiven Wertlehre wird deutlich angesprochen. Nebenbei bemerkt ist es auch diese Konzentration auf die Vorstellung eines objektiv sein sollenden Verhältnisses im Wert, die allen ökonomischen Theorien, die den Primat des Marktes vor der Politik als Realisierung und Schutz des Selbstzweckes des Menschen behaupten, gemeinsam ist. Denn auch die Grenznutzentheorie will ja eine berechenbare Objektivierung der subjektiven Nutzenkalküle erreichen. Das andere Moment dieser Auffassung eines objektiv berechenbaren Wertes (des Geldes), das hinzukommen muß, um eine Wissenschaft von naturwissenschaftlichem Rang zu begründen, ist die Vorstellung der letztlich vollständigen Berechenbarkeit dieser ganzen Sphäre der Freiheit, die auf Verfügbarmachung für die Willkür des Einzelnen hinauslaufen soll. Fichte stellt dagegen fest: Ohne gesetzliche Regelung wird der natürliche Egoismus zu einem Krieg aller gegen alle (Käufer gegen Verkäufer), um möglichst viel Geld (also Verfügung über die Arbeit anderer) in seine Besitz zu bringen und es damit anderen vorzuenthalten. Mit der Entfaltung des Verkehrs und der Bedürfnisse verschärft sich dieser Krieg, der in unentwickelten Verhältnissen noch ohne große Ungerechtigkeiten abging. Jetzt wird daraus schreiendstes Unrecht und Quelle großen Elends. „Kurz, keinem ist für die Fortdauer seines Zustandes bei der Fortdauer seiner Arbeit im mindesten die Gewähr geleistet; denn die Menschen wollen durchaus frei seyn, sich gegenseitig zu Grunde zu richten.“24
Die in diesem System notwendigen Schwankungen der Kaufkraft begleiten den Marktprozeß bzw. sind die Mittel eines ruinösen Verhältnisses, das aus dem unregulierten Markt selbst entspringt. Fichte setzt einem Geld, das seine Menge und 23 Fichte: 24 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 96. Handelsstaat, GA, 1/7, 99.
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seine Kaufkraft selbst aus dem Marktgeschehen bestimmen läßt, sein Landesgeld entgegen. „Das oben beschriebene Landesgeld würde eine ganz andere Garantie haben, indem es Grundgesetz des Staates seyn müßte, sein ausgegebenes Geld auf ewige Zeiten zu demselben Werthe gegen die Waare selbst anzunehmen, und bei diesem Werthe es auch unter den Mitbürgern zu erhalten.“25
Fichte verspricht hiermit eine Stabilität der Kaufkraft, die so auch die einzelnen Gesellschaftsmitglieder in ihrem Lebensunterhalt sichert. Wir brauchen an dieser Stelle nicht darauf einzugehen, ob dieses Versprechen auch wirklich eingehalten werden kann, ob also der Begriff des Geldes als eines umfassenden gesellschaftlichen Verhältnisses bei Fichte nicht auch seine Einseitigkeit haben könnte. Ob er also das Moment der Eigenlogik der Versachlichung als eines Momentes wirklichen freien Lebens seinerseits nicht wieder zu gering achtet. Aber wie dem auch sei: Es geht uns hier vor allem darum, das Anliegen Fichtes deutlich werden zu lassen, das dem freien Spiel der Marktkräfte der politische Gestaltungswille des Staates als Ausdruck organisierter und institutionalisierter Freiheit entgegengestellt wird und entgegengestellt werden muß26. Das Entgegenstellen 27 ist dabei aber nicht das letzte Wort, denn es geht um die Einordnung des Marktes in ein vernünftiges Gesamt des Staatslebens eines Volkes. (Und diese Aufgabe besteht auch heute und vielleicht heute besonders dringlich.) 25 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 97. Es ist in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam zu machen, daß Fichte sein Werk nicht ohne inhaltlichen Grund dem preußischen Staatsminister Karl August v. Struensee widmet. Dieser hatte in seinem Werk Abhandlungen über wichtige Gegenstände der Staatswirtschaft (Berlin 1800) gefragt: „[W]as für ein Recht hat der Staat, mir noch vorzuschreiben, daß ich Hemden aus inländischer Leinwand, Röcke aus inländischem Tuche, Stiefeln aus inländischem Leder tragen soll?“ Er antwortet: „Ich gestehe, daß dies ganze Räsonnement [daß mit Steuern und Zöllen alle Pflichten des Einzelnen abgeleistet seien, K.H.] eine beweisende Kraft hat, wenn ich jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft einzeln betrachte. Sobald ich mir aber vorstelle, daß alle einzelnen Mitglieder der Gesellschaft zusammengenommen ein Ganzes ausmachen, und daß die möglich größte Wohlfahrt dieses Ganzen eigentlich der Gegenstand einer wohlgeordneten Staatsverwaltung ist; so wird auch das Räsonnement anders ausfallen.“ (Bd. 3, 538 f.) Denn dem Staat könne es nicht gleichgültig sein, ob inländische Konsumenten durch ihre „Ausgaben verschiedenen in Frankreich und England wohnenden Familien Unterhalt verschafft, oder ob er dadurch Berliner und Schlesier ernährt“ (540). Gegen diese, auch den Geist des Merkantilismus reflektierenden Ansichten, wurde der Gedanke der freien Konkurrenz z. B. von Leupold Krug (Abriß der Staatsökonomie oder Staatswirthschaftslehre, Berlin 1808) gesetzt, da dieser vor allem die Unmöglichkeit einer genauen Berechnung des Bedarfs durch die Behörden zu bedenken gab (61), zumal „die Regierungen schlechte Kaufleute sind“ (86), und vor allem auch die Tendenz der immer weiteren Ausbreitung der Regierungskontrolle und die Bevormundung der Bürger (87) als Konsequenz zeigte. Krug wendet sich so auch gegen einen geschlossenen Handelsstaat, wie ihn Fichte aus Vernunftgründen entwickelt (17, 118). 27 Vgl. auch: Georg Gottfried Strelin: Versuch einer Geschichte und Literatur der Staatswissenschaft, Erlangen 1827, 173. 26
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Im vierten Kapitel werden die Verhältnisse unter der Leitvorstellung des Merkantilismus angesprochen. Es geht nun um die ökonomischen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten, wie sie im 17. und 18. Jh. historische Realität waren. Bezogen die feudalen Herrscher aus ihren Ländereien ihre Einnahmen, so werden nun die Regierungsaufgaben aus Abgaben von den Bürgern in Weltgeld (also Metallgeld, Gold) bestritten. Die Regierung versucht, soviel Geld wie möglich einzuziehen und behandelt dabei In- und Ausländer gleich. Die Regierung betrachtet die Bürger als Einheit von Abgabenpflichtigen (jetzt bekommt der Begriff Nationalvermögen einen Sinn), die Bürger selber sehen sich aber nicht als Gemeinschaft an. Denn, wie Fichte schon im Zusammenhang mit dem Geld ausführte, „ist jedes Individuum freies und selbständiges Mitglied des Handelsstaates; es läßt sich […] kein gemeinschaftliches Interesse mehrerer ersehen, durch welches diese Mehreren zu einem Körper, zu einem einigen größeren Ganzen im Handelsstaate vereinigt würden. Jeder Einzelne hat durch den Besitz eines Stück Geldes Anspruch auf jede mögliche Waare an allen Orten des großen Handelsstaates, die ein so großer Theil von aller in ihm befindlichen Waare ist, als sein Geld von allem Gelde. Jeder aber ist in diesem Anspruche selbständig: ob irgend ein andrer Geld habe, oder nicht, ist ihm ganz gleichgültig; das seinige erhält in keinem Falle einen höhern oder geringern Werth.“28
Wir finden hier die Begründung, warum die Auffassung von objektiv werthaltigem Geld der Auffassung der in einem Staat atomisierten Bürger korrespondiert. Indem sich die Bürger nicht mehr durch persönliche Beziehungen mit den anderen Bürgern verbunden fühlen, sondern sich alle individuell nur auf das Geld beziehen und erst darüber ihren gesellschaftlichen Charakter herstellen, verabschieden sie sich von gelebter Gemeinschaft und finden sich in abstrakten Verhältnissen wieder, die nur eine Scheinfreiheit übrig lassen. Der Regierung geht es nun nicht mehr um das Wohl der wirklichen Subjekte, ihre wirklichen Bedürfnisse und Zwecke. In deren Negation beginnt das Ausspielen der wirklichen Interessen der Bürger gegeneinander und findet hier seinen Nährboden. Das Interesse der Regierung ist gelenkt auf die bloße Steigerung der Einkommen, weil sie mehr Steuern einnehmen will. Fichte sieht hier aber immerhin doch auch ein positives Moment: „So führet die Natur die Regierungen am eigenen Vortheile über die engen Gränzen hinaus, die sie ihrer Verwaltung setzen, und giebt ihnen durch den Nutzen ein Interesse, das sie schon um des Rechts willen haben sollten.“29
Zumindest indirekt wird die Regierung so auf das materielle Wohl ihrer Bürger gedrängt. Aber diese Handelspolitik des Merkantilismus, die auf Geldüberschüsse zielt, hat Konsequenzen. In einem übernationalen Markt sorgt eine aktive Handelsbilanz zu folgendem Ergebnis:
28 Fichte: 29 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 97. Handelsstaat, GA, 1/7, 100 f.
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„so muß und wird jene reiche Nation ihren periodisch gewonnenen Geld=Überschuß nothwendig wiederum in das Ausland ausgeben, daß sonach die Einnahme dieses Auslandes mit der Ausgabe wiederum in das Gleichgewicht käme. Nur wird der große Unterschied darin liegen, daß die reiche Nation für diesen Überschuß das ihr Entbehrliche eintauscht, und den Ausländer, der für sich kaum seine Nothdurft erschwingen kann, nöthigt, für ihr Vergnügen zu arbeiten: daß sie ihren innern Wohlstand unaufhörlich auf die Kosten des Ausländers, der immer elender wird, erhöhet.“30
Wo der Liberalismus Ausgleich verspricht, sieht Fichte die fortschreitende Verarmung und Entvölkerung der Länder mit negativer Handelsbilanz bei einem freien Markt. Soll aber dieser weiteren Verarmung gegengesteuert werden, dann muß die Regierung die Abgaben der Bürger an den Staat senken, mit der Konsequenz: „die Regierung verliert an Gewalt“31. Die Gesetze des Marktes triumphieren so oder so über den Staat. Heute bekommen wir dazu erneut einen Anschauungsunterricht. Im fünften Kapitel geht Fichte weiter auf die merkantilistischen Vorstellungen ein. Sei die Handelsbilanz aktiv oder passiv, alle Regierungen sind auf den Gewinn von Geldüberschüssen bedacht. Das wirkliche Wohl der Untertanen spielt dabei nur eine zufällige Rolle. Die Regierung richtet ihre „Vorkehrungen mehr auf die Erhaltung oder Erhöhung der zu ziehenden Abgaben, und vermittelst derselben, auf ihre kriegerische Macht gegen andere Staaten […], als auf die Sicherung des Zustandes ihrer Unterthanen.“32
So war auch wirklich das Zeitalter des Merkantilismus das Zeitalter der Handelskriege und der Eroberung von Kolonien. Alle Staaten wollen den Absatz verarbeiteter Güter im Ausland fördern und deren Einfuhr behindern. Alle wollen billige Rohstoffe einführen, aber nicht ausführen. Ebenso werden Transportmonopole erstrebt, man denke an den Krieg Englands gegen Holland. Im sechsten und letzten Kapitel des zweiten Buches wird näher auf den aus dieser Leitvorstellung des Wirtschaftens notwendigen Handelskrieg eingegangen, dem Fichte aber auch eine positive Seite abgewinnt. Denn er kann auch Mittel zur Erreichung der angemessenen Grenzen des zu schließenden Handelsstaates sein. Das Problem aber bleibt auch nach Erreichen der angemessenen Größe des Staates: Auf dem internationalen Markt gibt es keine Sicherheit für die nationalen Produzenten. „Kein Staat, der auf Absatz an das Ausland rechnet, und auf diese Rechnung hin die Industrie im Lande ermuntert, und lenkt, kann seinen Unterthanen die Fortdauer dieses Absatzes sichern.“33
Die Wohlstandsgefährdung durch die Abhängigkeit von auswärtiger Produktion bleibt ebenso akut. Die restriktiven Maßnahmen der Regierung bei Beibehaltung des ansonsten freien Marktes führen zu weiteren Problemen, da die Bürger die 30 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 101 f. Handelsstaat, GA, 1/7, 103. 32 Fichte: Handelsstaat, GA, 1/7, 104. 33 Fichte: Handelsstaat, GA, 1/7, 108. 31 Fichte:
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Vorteile des freien Marktes für sie als für verbürgt halten. Die negativen Konsequenzen des freien Marktes, die zu Einschränkungen der Bürger führen müssen, werden dann als Angriff der Regierung gewertet und führen zur Entfremdung und Aufstand. Die Regierung reagiert mit Unterdrückung. Können wir dies heute nicht irgendwo auf der Welt täglich im Fernsehen betrachten? Ein Fichtescher Gedanke ist hier noch sehr interessant: Es lassen sich zwar Vernunftgründe für eine partielle Einschränkung der Handelsfreiheit anführen: „Nun hat allerdings, der Strenge nach, und im bloßen Vernunftstaate, kein Mensch Anspruch auf einen höhern Wohlstand, als denjenigen, der aus dem Clima, das er bewohnt, und aus der Kultur der Nation, deren Mitglied er ist, erfolgt“34.
Aber dieser vernünftige Grund erscheint den Betroffenen selber als ein ihnen angetanes Unrecht. „Dieses Unrecht, das zwar unvermeidlich ist, und gegen mannigfaltiges anderes Unrecht deckt, dennoch aber der Strenge nach Unrecht bleibt, fühlt dunkel die Nation, wenn sie es auch etwa nicht deutlich aus Gründen entwickeln kann.“35
Die bloß teilweise Einschränkung der Handelsfreiheit hat so nicht nur technische Schwierigkeiten der Durchsetzung, sondern auch das viel bedenklichere Moment des erfahrenen Unrechts an sich. Die vollständige Schließung des Handelsstaates wird so auch vom Recht gefordert. Fichte faßt zusammen: „Kurz, dieses System der unvollständigen Schließung gegen den ausländischen Handel, ohne genaue Berechnung der in den Handel zu bringenden Waare gegen die Bedürfnisse der Nation, leistet nicht, was es soll, und führt neue Übel herbei.“36
Drängt sich hier nicht der Blick in die Gegenwart auf, mit dem einheitlichen EU-Markt, der ganze Volkswirtschaften in den Ruin treibt, den Staaten aber kaum noch gegensteuernde Handlungsmöglichkeiten läßt und dabei Regierungen und Bürger auseinandertreibt? Wenn wir ein Resümee bei der Darstellung der Zeitgeschichte in Fichtes Werk ziehen wollen, dann müssen wir bedenken, daß Fichte in einer Zeit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs steht37. Die quasi naturwüchsigen Wirtschaftsbeziehungen haben durch die Entstehung der neuen Nationalstaaten eine einschneidende Umwandlung erfahren. Der Merkantilismus kann in einer Hinsicht als der Versuch der ökonomischen Stabilisierung der neuen Staatsgebilde verstanden werden. Aber gerade weil sich der Staat hier noch als das Subjekt eines Prozesses versteht, an dessen Ende aber die Autonomie des freien Marktes schon aufleuchtet, scheiden sich in dieser Übergangszeit zwei mögliche Richtun34 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 110.
35 Ebd. 36 Fichte:
Handelsstaat, GA, 1/7, 112. Vgl. hierzu Werner Conze: „Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft“, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 – 1848, hg. von Werner Conze, Stuttgart 19702, 207 – 269. 37
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gen, die als Leitvorstellung des Wirtschaftens in der neuen Zeit hervortreten. Die eine Richtung ist das Freihandelssystem à la Smith und die andere die durch den Staat und auf den Staat beschränkte „Marktwirtschaft“ à la Fichte. Der Merkantilismus selber konnte noch keine systematische, im strengen Sinne wissenschaftliche Untersuchung der Sphäre des Wirtschaftens bereitstellen. Er war mehr eine Wissenschaft der Traktate zu aktuellen politischen und wirtschaftlichen Fragen, wie Edgar Salin (1892 – 1974) bemerkt. Die Überwindung des Merkantilismus durch den Physiokratismus war begleitet von einem Standpunktwechsel: Wo der (alte) Merkantilismus die Staatskasse im Blick hatte, wird im Physiokratismus das Verhältnis der individuell Wirtschaftenden zentral. Von daher kann diese ganze Richtung der Auffassung der menschlichen Gesellschaft als eine von ursprünglichen gesellschaftlichen Atomen für Fichte nicht attraktiv sein, obwohl die neue Lehre mit der Erinnerung an die produktive Kraft der Natur die bloße Konzentration auf das Geld, wie man es etwas überspitzt dem Merkantilismus zuschreibt, wieder mehr auf ein Lebendiges hin öffnete. Aber wie dem auch sei, die Zeit von Fichte ist gekennzeichnet durch ein Ringen der beiden Wege, wobei der eine, der der siegreiche sein wird, in die immer umfassendere Abstraktion menschlichen Umgangs und Lebens führte, während der andere dagegen genau das wirkliche Leben, die menschliche Humanitas, mit ihrem absoluten Recht setzte. Auch wenn diese Richtung, die in Fichte einen prominenten Vertreter fand, heute entweder fast ganz vergessen, oder nur – bestenfalls – als Kuriosität oder aber – schlechterenfalls – als menschenverachtend-reaktionär wahrgenommen ist, so ist doch gerade aufgrund der aktuellen Krisen, die das Gesamt menschlichen Lebens auf dieser Erde betreffen, eine neue Erinnerung der Gedanken über grundsätzliche Probleme, die das Wirtschaften stellt, die durch den Sieg der angelsächsischen Richtung vorläufig entschieden schien, sicherlich hilfreich. Denn beide Standpunkte zeigen Aspekte sich realisierender Freiheit, und hier das vernünftige Verhältnis zu zeigen, kann neue Einsichten hervorbringen. II. Ich möchte so noch auf den zweiten Aspekt des Fichteschen Werkes eingehen, der Fichte gerade als einen Vertreter einer ganzen Denkrichtung besonders in der deutschen Philosophie zeigt und nicht als den in sein System, die Ich-Philosophie, versponnenen Philosophen. Wobei nicht uninteressant ist zu wissen, daß Fichte, wie viele andere, die den bloß individualistischen Standpunkt ablehnen, anfangs durchaus selber diesem Gedanken, sei es politisch oder sei es ökonomisch, anhingen38. Jakob Baxa schreibt in seiner Einführung in die romantische Staatswissenschaft: Fichtes Handelsstaat dürfe 38
Vgl. für Fichte Wallner, a. a. O. 50. Für Baader oder Müller gilt Ähnliches.
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„keineswegs als Wunderkind bestaunt werden […], das zu früh auf die Welt kam, sondern daß es der sozialen auf das Ganze gerichtete Denkweise der Zeit, welche sich mit dem Problem der Gesellschaft eingehend befaßte, völlig entspricht.“39
Diese Denkrichtung des Idealismus, die sich in die Romantik fortsetzt40, unterscheidet sich von ihrem Ansatz her grundlegend von einer Geisteshaltung, die letztlich annimmt, daß nur eine freie Preisgestaltung auf dem Markt auch eine freie Gesellschaft organisieren kann. Für letzteren Standpunkt stehen prominent z. B. Milton Friedman und Friedrich August Hayek (1899 – 1992). Während also diese Richtung behauptet, das Ganze setze sich aus Teilen zusammen oder werde nur von diesem Standpunkt aus verständlich, vertritt die erstere die philosophische traditionelle Auffassung, daß das Ganze seinen Teilen logisch vorausliegen muß. Die eine Auffassung versteht das Wirtschaften und letztlich auch den Menschen vom Tausch bzw. vom Markt her, und gerade deshalb ist die Wert- und Preisbildung für diese so entscheidend41. Die andere Auffassung begreift das Wirtschaften von den sich organisierenden Gemeinschaften her, und so bildet die rechtlich organisierte Gemeinschaft als Ausdruck von Freiheit das Zentrum des Interesses42. Wenn wir diese Unterschiede zugrunde legen, dann zeigt sich auch die Kritik z. B. 39
Jakob Baxa: Einführung in die romantische Staatswissenschaft, Jena 19312, 103. Wieweit sich der Zeitgeist heute von dieser Höhe entfernt hat, zeigt sich u.a. darin, daß die Auffassungen und Hinweise der einschlägigen Autoren heute entweder gar nicht mehr, oder aber vielfach nur noch als vernachlässigbare Kuriosität der religiösen Überspanntheit bzw. reaktionärer Gesinnung wahrgenommen werden. David Baumgardt zeigt auf, wie viele Geister der Zeit sich auf diesem Standpunkt befanden wie z. B. Franz von Baader, Adam Müller, Friedrich Schlegel oder auch Hegel. Vgl. David Baumgardt: Franz von Baader und die philosophische Romantik, Halle 1927, 381. 41 Vgl. Othmar Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf lehrgeschichtlicher Grundlage, 25. durchgesehene Auflage, Heidelberg 1949, 63 f. 42 Als weiteres Beispiel sei hierfür Heinrich Luden genannt. Er spricht das Defizit in der Begründung der Arbeitsteilung und deren Zusammenhang mit dem Tausch bei Adam Smith an (210) und macht darauf aufmerksam, daß bei ungezügelter Arbeitsteilung der Mensch selbst zur „Maschine“ wird und als Arbeiter in „Schmutz“ und „Elend“ verkommt (219 ff.). Auch macht er deutlich, daß, wenn nur die einzelnen ihren Bedürfnissen nachgehen und der Staat nicht koordinierend, harmonisierend eingreift, „die bürgerlichen Verhältnisse […] darüber zu Grunde gehen“ werden (216). „Die Regierung muß daher sorgen, daß der Einzelne, indem er für sich selbst lebt, zugleich für den Staat lebe“, wobei „nie die Freiheit einzelner Unterthanen […] verletzt werden“ darf (ebd.). Die Regierung soll Wissenschaft, Kunst und Religion befördern, damit sich „die Menschlichkeit der Bürger“ „ausleb[en]“ könne (348). Die Regierung muß dabei „dem freien Geiste die freie Bewegung verstatten“ (350). Lesenswert ist auch Ludens Kritik an Smithens Wertlehre (225 ff.). Einen strikt „geschlossene[n] Staat“ im Sinne Fichtes sieht Luden übrigens als „Verirrung“ an (237), aber er plädiert für die „Geschlossenheit der Handwerke“ (285), er sieht auch die Probleme der Abhängigkeit vom auswärtigen Handel (240, 280 ff.) und ist durchaus kein strikter Freihändler (vgl. 331 ff.). Auch für das Verhältnis von „Staats- und Weltgeld“ kann man parallele Auffassungen zu Fichte finden (vgl. 310 ff.). Heinrich Luden: Handbuch der Staatsweisheit oder der Politik. Ein wissenschaftlicher Versuch, Jena 1811. 40
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der Grenznutzenschule an der objektiven Wertlehre doch zuletzt als von dem gleichen Geist getragen, dem Geist, daß ein freier Markt die Gesellschaft am besten in Freiheit organisieren kann. Alle diese Theorien stehen auf dem Standpunkt, daß die Vermittlung von Subjektivität und Objektivität, von Freiheit des einzelnen und Freiheit der Gesellschaft nur durch die Anpassung an die Norm des freien Marktes zu gewährleisten sei. Dies wird bis zu dem Extrem führen, daß alle menschlichen Lebensbereiche dieser Norm unterworfen werden sollen, indem der Mensch im wesentlichen als ein kalkulierender Nutzenmaximierer angesehen wird. Ein markantes Beispiel ist Gary Stanley Becker, der behauptet, „daß der ökonomische Ansatz einen wertvollen, einheitlichen Bezugsrahmen für das Verständnis allen menschlichen Verhaltens bietet“43. Gegenüber dieser grundlegenden Standpunktbestimmung sind die Unterschiede der Theorien in bezug auf die Bewertung der einzelnen Momente der Preisfindung, der Berechnung und der Beeinflussungsmöglichkeiten des Systems überhaupt für unseren Zusammenhang zweitrangig. Wie gesagt, hier treten die Unterschiede in einer Denkrichtung auf, die sich als die einzig mögliche durchgesetzt zu haben scheint. Selbst die marxistisch inspirierte Kritik steht noch auf diesem Boden, auch wenn sich hartnäckig die Meinung hält, sie sei fundamental dagegen eingestellt. Auch wenn Marx die Notwendigkeit der Abschaffung des freien Marktes behauptete, so ging er doch davon aus, daß die Gesetzmäßigkeit der Ökonomie, wie sie die objektive Wertlehre verkündete, das wirkliche Subjekt der geschichtlichen Bewegung sei, zumindest bis zu deren Aufhebung durch das siegreiche Proletariat. Der Staat habe demgegenüber keinen begründeten eigenen Zweck, der sich in der Orientierung an der Idee des Rechts ausdrückt, sondern sei eben nur Unterdrückungsmaschine der jeweils herrschenden Klasse und die Regierung sei der geschäftsführende Ausschuß dieser Klasse, er ist immer nur ein Mittel und kein Selbstzweck oder Subjekt. Nicht der Staat setzt das Wirtschaften als Mittel für seine Zwecke ein, sondern „die Wirtschaft“, d.h für Marx die herrschenden Kapitalisten, bedient sich des Staates für die möglichst reibungslose Ausbeutung. Nicht Autarkie und Selbstbeschränkung durch Freiheit, sondern Wachstum und Beseitigung materieller Knappheiten ist auch hier das Zauberwort und die Verheißung. Die Verkehrung der Mittel-Zweck-Relation in neueren Zeiten drückt sich in zwei Abstraktionen aus: dem abstrakten Recht, das die Menschen nur als gleich-sein-sollende behandelt und dem Markt, auf dem ja auch alles vergleichbar sein soll. Wirklich gelebte Subjektivität verödet sich aber in dieser sich als Norm setzenden Abstraktion. Aber kommen wir zurück aus einer Zeit, die nach Fichte liegt zu der Zeit in der Fichte sein Werk verfaßte. Ich möchte hier vor allem darauf hinweisen, daß die später als klassisch bezeichnete Auffassung des Wirtschaftens und deren me43 Gary Stanley Becker: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, Tübingen 1982, 15. Auch in Georg Simmels Philosophie des Geldes heißt es an einer Stelle, „daß die Mehrzahl der Beziehungen untereinander als Tausch gelten kann; er ist zugleich die reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und Inhalt gewinnen will“ (Frankfurt a. M. 1989, 59).
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taphysische Grundlagen in der Voraussetzung des Menschen als eines ursprünglich vereinzelten Wesens liegen, vor allem bei den deutschen Gelehrten in vielerlei Hinsicht auf Skepsis traf. Wir können an dieser Stelle nicht die Einzelheiten ansprechen, aber die Grundlinien der auf der Tradition der Philosophie beruhenden Haltungen sollen deutlich werden. So will ich hier auch nicht auf die weitere Entfaltung des romantisch genannten, aber doch auch philosophisch interessanten Standpunktes im 19. Jh. eingehen, was an anderer Stelle geschehen soll. Da ist zum einen die Frage nach dem Menschen als eines Einzelwesens oder als eines ursprünglichen Gesellschaftswesens, wie es Aristoteles ausgesprochen hat. Wo die neue Ansicht davon ausgeht, daß die Menschen sich erst zu Gesellschaften und staatlicher Organisation zusammenschließen müssen, was durch einen hypothetischen Vertrag einsichtig gemacht werden könne, also durch irgend einen gemeinsamen Akt aus ihrer ursprünglichen Vereinzelung sich erst befreien oder vielmehr ihre Freiheit aufgeben müssen, um Sicherheit zu erlangen, bleibt die andere Position daran orientiert, daß der Mensch immer schon in Gemeinschaften lebt, weil er von seinem Wesen her daraufhin orientiert ist und sie aus diesem Wesen heraus auch immer schon erzeugt. Das Wirtschaften wird hier als das Bereitstellen von Gütern zur Bedürfnisbefriedigung dieser existierenden Gemeinschaften angesehen, und damit wird der ganze Prozeß vom Ziel her betrachtet44. Dabei wird vom Begriff des Lebens her natürlich kein statisches Modell errichtet, indem sich diese Gemeinschaften als überindividuelle Wesen ebenso verändern, wie auch die einzelnen Subjekte in ihrem Verhältnis sich historisch modifizieren45. Diese Position, die nicht von äußerer oder vorausgesetzter Gesetzmäßigkeit, sondern von subjektiv gelebter Gemeinschaft ausgeht, hat dann weitere Konsequenzen in bezug auf das Verständnis der Sphäre des Wirtschaftens. Gegen eine äußere, formale, objektiv sein sollende Wertlehre, die das Verhältnis der wirtschaftenden Menschen bestimmen soll, wird die subjektive, aber überindividuelle Position gelebter Freiheit in Gemeinschaft zu bedenken gegeben. Natürlich ist auch dieser Position bekannt, daß auf dem Markt gerechnet wird; aber das Rechnen erzeugt nicht die Gemeinschaft, ist nicht Grundlage des Geschehens. Die Grundlage ist der gemeinschaftliche Verkehr. Von daher ist Smith zuzustimmen, wenn er sagt, der Mensch sei ursprünglich auch ein tauschendes Wesen. Aber wenn man den Tausch nur als Ausdruck der Kalkulation (Nutzenkalkulation), damit man keine „Verlustgeschäfte“ macht, und nicht als Ausdruck ursprünglicher Gemeinschaft, also als gemeinschaftsstiftende Gabe auffaßt, entsteht eine Auffassung, die als Norm in der Konsequenz alle freie Subjektivität in der Einzelheit und in der gelebten Gemein44
Vgl. Othmar Spann, a. a. O. 63. Über die Parallelität der Auflösung von politischen und ökonomischen Gemeinschaften vgl. H. Rabe/Red.: „Ökonomie“, in: HWP, Bd. 6, Sp. 1149 – 1153. Erst mit David Ricardo wird auch in der angelsächsischen Auffassung die Wissenschaft der Ökonomie aus ihrem traditionellen Kontext der Politik zu einer reinen Wissenschaft auf naturgesetzlichem Hintergrund herausgelöst. Vgl. K. Lichtblau: „Ökonomie, politische“, in: HWP, Bd. 6, Sp. 1163 – 1173. 45
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schaft zerstört. Denn diese Position leugnet das innere Band der Menschen, das z. B. Kant im Bewußtsein des Sittengesetzes sieht und ohne das eine allgemeine Verbindlichkeit gar nicht gedacht werden kann, zugunsten eines bloß äußerlichen Bandes, dem aber durch seine bloße Äußerlichkeit seine Gewalttätigkeit auf die Stirne geschrieben steht. Diese unterschiedlichen Positionen präzisieren sich in der unterschiedlichen Auffassung des Staates. Soll der Staat Hüter der Wirtschaft sein, die sozusagen das allerursprünglichste Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt ist, und die sich nach objektiv vorgegebenen (Natur-) Gesetzen am besten entwickelt, wenn der Mensch seine eigene Freiheit gegenüber diesen möglichst weit einschränkt, diese „Gesetze“ eben als alternativlos ansieht? Oder ist der Staat, der sich nicht am Wirtschaftswachstum orientiert, sondern an der Idee des Rechts als Ausdruck vernünftiger Freiheit, das Subjekt der Gemeinschaft, die das Wirtschaften als ein Mittel ihrer Freiheit organisiert? So schreibt im Fichteschen Sinne auch Novalis: „Was der Privatmann hat, das hat er vom Staate.“46 Der Staat organisiert „gemeinschaftliche Küchen, gemeinschaftliche Wohngebäude. Polizeiaufsicht der Möblierung und des Hausgeräts. Die ganze Ökonomie im Staate könnte im Großen betrieben werden“47. Novalis (1772 – 1801) macht auch die Unterscheidung von echtem Handelsgeist („Der Handelsgeist ist der Geist der Welt“) und Krämergeist (der „Bastard“) 48. Es dauerte lange, bis die angelsächsische Theorie gegenüber der Tradition die Oberhand gewann49. Aber natürlich hatte sie von Anfang an auch Fürsprecher. Wir nennen hier nur Jacobi (1743 – 1819)50. Letztendlich wurden die diesem Modell widersprechenden Konzepte erst mit dem Faschismus und dem militärischen und ökonomischen Sieg der an der kalkulierbaren Wertlehre orientierten Mächte inklu-
46 Novalis: Fragmente 1798, in: Jakob Baxa (Hg.): Gesellschaft und Staat im Spiegel deutscher Romantik, Jena 1924, 187 f. 47 A. a. O. 189. In dieser Auffassung ist der Staat kein notwendiges Übel, keine äußerliche Zwangsanstalt, wie notwendig bei allen Vertragstheoretikern: „Nur wer nicht im Staate lebt, in dem Sinne, wie man in seiner Geliebten lebt, wird sich über Abgaben beschweren.“ „Das Bedürfnis eines Staates ist das dringendste Bedürfnis eines Menschen.“ (a. a. O. 190). 48 „Der Handelsgeist ist der Geist der Welt. Er ist der großartige Geist schlechthin. Er setzt alles in Bewegung und verbindet alles. Er weckt Länder und Städte, Nationen und Kunstwerke. […] Der historische Handelsgeist, der sklavisch sich nach den gegebenen Bedürfnissen, nach den Umständen der Zeit und des Ortes richtet, ist nur ein Bastard des echten, schaffenden Handelsgeistes.“ (a. a. O. 189). 49 Ob die schleppende Aufnahme der Smithschen Lehre mit der Denkfaulheit des Publikums zu tun hat (vgl. Wilhelm Roscher: Geschichte der National-Oekonomik in Deutschland, München 1874, 601) oder doch auch durch den nicht-individualistischen Standpunkt bedingt ist, sei hier nur erwähnt. 50 Klaus Hammacher und Hans Hirsch haben dessen ökonomische Theorie und Praxis in den Fichte-Studien-Supplementa als Alternative zu Fichtes Planwirtschaft vorgestellt (Die Wirtschaftspolitik des Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, Amsterdam 1993, 8). Für Jacobi ist so auch der Tauschhandel „das eigentlich wahre Band der Gesellschaft“ (60 f.).
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sive der Sowjetunion aus dem Bewußtsein, selbst der Leute vom Fach, verdrängt. Dazu werde ich am Schluß noch eine Bemerkung machen. Ein weiterer Unterschied, auf den hier aufmerksam zu machen ist, der aber an dieser Stelle nicht weiter besprochen werden kann, ist die Stellung des Individuums zum Staat. Ist es staatsunmittelbar, oder soll es noch unterhalb bzw. innerhalb der Staatssphäre vergemeinschaftet sein, um so seine lebendigen Interessen auch wirklich zur Geltung zu bringen? Man denke hier etwa auch an die Hegelschen Korporationen. Ist nicht unsere moderne Auffassung von demokratischen Verhältnissen, wie sie sich in der repräsentativen Demokratie zum Ausdruck bringen, doch sehr stark an den Marktverhältnissen orientiert, die diesem Modell entsprechen? Als Beispiel, daß Fichte durchaus eine einflußreiche Strömung51 in der philosophischen Debatte seiner Zeit repräsentierte, sei noch kurz auf Franz von Baader (1765 – 1841) eingegangen, der explizit die Ansichten Fichtes im Geschloßnen Handelsstaat verteidigt gegen einen Kritiker52. „[I]nnerer Wohlstand und Zufriedenheit […] [ist] nicht anders zu erhalten […], als durch anhaltendes Bestreben der Regierung, das Gleichgewicht zwischen allen Gewerbszweigen soviel nur möglich ungestört und zum möglich größten vereinbaren Vorteil und relativen Wohlstand aller Staatsbürger zu erhalten, d.i., jeden störenden Einfluß abzuhalten, der sowohl durch unrechtliche Übervorteilung eines der Stände über den anderen, als des Ausländers über den Inländer […] jedesmal und notwendig entsteht, wenn man diesen unter dem Namen einer unbedingt freien Konkurrenz (die hier ein Krieg aller ist) die unbedingte Freiheit läßt eben diese Konkurrenz sich einander wechselweise widerrechtlich […] zu beschränken, d.i. einander gegenseitig zugrunde zu richten. Jenes Gleichgewicht kann nun aber ohne Zunftsonderung von dem Staate weder hergestellt, noch erhalten werden […].“53
Nach diesem Referat aus dem Geschloßnen Handelsstaat bescheinigt Baader Fichtes Werk „eine[] Klarheit, zu der sich bisher noch kein staatswissenschaftlicher Schriftsteller erhoben hatte“54. Weiter wendet sich Baader gegen das „passive Verhalten der Regierungen“ angesichts der auseinanderklaffenden sozialen Schere, wie man heute sagen würde55. 51 Z. B. wurde auch Isaac de Pinto relativ breit diskutiert. V. Struensee hat nach Auskunft von Roscher 1776 bereits einige Schriften von ihm übersetzt (Roscher, a. a. O. 580). Pinto vertrat u. a. die Auffassung, daß das Geld in den Händen des Staates (durch „Auflagen“ beschafft) für Investitionen genützt werden könnte, die neues Vermögen hervorbringen, die ohne Belastung der Privatpersonen nicht zustande gekommen wären (vgl. Sammlung von Aufsätzen, die größtenteils wichtige Punkte der Staatswirthschaft betreffen, Liegnitz 1776, FN 53 f.). 52 Franz von Baader: Berichtigung des öffentlichen Urteils über den naturrechtlichen Grund gegen die Aufhebung der Zünfte. (1801), in: Franz von Baaders Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, hg. von Johannes Sauter, Jena 1925. 53 A. a. O. 3 f. 54 A. a. O. 4. 55 A. a. O. 7.
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Diesen letzten Punkt hat Baader in Über das sogenannte Freiheits- oder passive Staatswirtschaftssystem. (1802) vertieft56. Er wendet sich hier auch explizit gegen die Smithsche Inkonsequenz, den Staat von einer aktiven Wirtschaftspolitik abzuhalten57. Das Anliegen einer ganzen Reihe von Denkern, die auf die neuen Herausforderungen einer Wirtschaftstheorie im Horizont der Vorstellung der Menschen als einer Ansammlung abstrakter gesellschaftlicher Atome antwortet, kann in ihrem vernünftigen, menschlichen Gehalt deutlich gemacht werden. Was sich hier ausspricht, ist das Gesamt menschlicher Humanitas gegen die Zumutungen äußerlicher Ansprüche, die gerade weil sie sich nicht auf den Kern menschlicher Freiheit berufen können, diese wirksame Idee darum mit der Verdächtigung der Haltlosigkeit verleumden58. Metaphysisches Denken und seine Tradition werden überhaupt unter Verdacht gestellt. Die Orientierung an Wissen, das nicht – angeblich augenscheinlich – vor den Füssen liegt, soll in seinem Ernst beseitigt werden. Der philosophische – aber nicht nur dieser! – Widerstand gegen diese Zumutung hat sich schon immer geregt. Zu Fichtes Zeiten war er stark und verbreitet. Heute beginnt sich das allgemeine Unbehagen an den Verhältnissen auch wieder philosophisch-spekulativ zu formieren. Eine Tagung mit diesem Thema ist ein Ausweis davon, daß Vergegenwärtigung stattfindet. Vergegenwärtigen wir uns eine Fülle von Gedanken, die ausgesprochen wurden in dem Bewußtsein, für wirklich qualifizierte Freiheit mit einen Weg bahnen zu helfen. Unsere Behauptung ist, daß die Kerngedanken, die sich in der organischen Auffassung des Staates spiegeln, gerade nicht bloß rückwärtsgewandt oder reaktionär sind, sondern in der Erinnerung an die Tradition gerade auch die zukunftweisenden Freiheitsaspekte der sich marktwirtschaftlich organisierenden Gesellschaften offenhalten. Zünfte, Stände oder Korporationen sind auf ihren vernünftigen Gehalt hin deutlich zu machen und nicht aus einem unreflektierten Modernitätsverständnis heraus als an sich reaktionär zu verschreien. Eine Vertiefung dieses Aspektes kleinteiliger gelebter Gemeinschaften ist bestimmt hilfreich. Es gilt systematisch die vergessenen Autoren und ihre Debatten wiederzuentdecken und erneut zugänglich zu machen. Dabei ist auch zu prüfen, ob der Gemeinschaftsgedanke, wenn auch unter dem Primat des Individualismus, nicht doch auch wieder auftaucht, wenn Karl Homann von Korporationen „als Vermittler zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen“ spricht59. Kann hier etwas fruchtbar gemacht wer56 In:
Baaders Schriften, a. a. O. 9 – 21. Handelsstaat, GA, 1/7, 12. 58 Dabei sei auch die andere Strategie nicht vergessen: Die immer wieder neu aufgetischte Behauptung, daß der freie Handel nicht nur allgemeinen Wohlstand, sondern auch eine grundlegende Befriedung der internationalen Beziehungen bringen würde: z. B. Richard Rosecrance: Der neue Handelsstaat. Herausforderungen für Politik und Wirtschaft, Frankfurt a. M. 1987, z. B. 39 f. oder 107. 59 Karl Homann/Andreas Suchanek: Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen 20052, 303. 57 Fichte:
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den? Können z. B. Versicherungen solche Vermittler sein? Wie müßten dann diese Versicherungen, um diese Aufgabe zu erfüllen, organisiert sein? Verbände wie Gewerkschaften sind die Antwort der Individuen darauf, daß sie als bloße Individuen gerade nicht bestehen können. Trotzdem bleibt der Geist oder die Leitvorstellung entscheidend, unter der diese Vereinigungen betrieben werden. Ist es der Geist der Berechnung, des Nutzenkalküls, der den Beitrag immer nur in Relation zum Ertrag sieht? In diesem Geist muß nach einigen Jahren der Versicherung auch ein Versicherungsfall präsentiert werden, weil sich die Ausgabe ja sonst nicht rechnet! Oder ist es der Geist, der sich in der gelebten Gemeinschaft sein Zuhause einrichtet, der seine Beiträge gerne entrichtet, weil er weiß, daß er nur in und durch seine Gemeinschaften sein freies Leben leben kann? Die Frage, ob marktkonforme Vereinigungen die Aufgabe, die die institutionalisierten Korporationen als Vermittler von Individualität und Gemeinschaft zu erfüllen haben, übernehmen können, ob sie überhaupt die moderne Form dieser Aufgabenbewältigung sein können, scheint doch eher negativ beschieden werden zu müssen. Aber die Frage, wie sich einzelne Subjektivität mit ihrer Allgemeinheit angemessen vermitteln kann, ist gerade kein technisch-formales Problem. Das Problem ist ein inhaltliches, denn der freie Selbstentwurf des Menschen beinhaltet zugleich sein Äußerlich-Werden, die Berücksichtigung auch seines sachlichen Momentes, seiner Darstellung als einer Sache, die auch den Bestimmungen äußerlicher Sachen überhaupt unterliegen muß. Die Aufgabe des Vernunftwesens Mensch in der Dialektik von Äußerlichkeit und Innerlichkeit sein inneres Band in der Gemeinschaft der Menschen nicht nur nicht zu verlieren, sondern zu einer deutlichen Darstellung zu bringen, muß durch die vermittelnden Formen auch in der Sphäre des Wirtschaftens darstellbar sein. Der Geist der Formen, liegt diesen immer schon voraus und speist sich zugleich aus ihrer Existenz. Aber der Geist der Formen speist sich ebenso aus dem Gehalt, dem sie seine Gestaltung geben. Der grundlegende Gehalt, auch in der Sphäre der Wirtschaft ist aber der Mensch, der auch als wirtschaftender seine Freiheit zur Darstellung bringen will und muß. Von daher kann der Mensch, will er nicht alle seine Freiheit aufgeben, die in seiner freien Gemeinschaft liegt, nicht gänzlich auf Vermittlungsinstanzen verzichten, er kann nicht wirklich „marktunmittelbar“ werden, wie es die Vorstellung einer vollkommen freien Konkurrenz verlangt. Aber die bloß marktkonformen Vermittlungen, die der Vorstellung der freien Konkurrenz verpflichtet bleiben, können die wirkliche Vermittlung freier Subjektivität als einzelne und zugleich allgemeine nicht dauerhaft stiften. Das erneute Betonen der Wichtigkeit der gemeinsamen Institutionen, die das Recht schützt, Institutionen, die einer äußerlichen Rationalität zugunsten der innerlichen Unverfügbarkeit und Würde freier Subjekte Widerstand leisten, ist in dieser Hinsicht nicht „reaktionär“, obwohl hier eine dialektische Reaktion gegen die Übertreibungen des Individualismus wirksam ist, sondern durchaus angemessen, um das Freiheitswesen Mensch wieder in das Gleichgewicht seiner inneren Würde und seiner äußeren Darstellung zu bringen. Die Abschaffung staatlicher Institutionen zugunsten privater Unternehmen – die Orientierung staatlicher Institutionen an den Zwecken privater Unternehmen hat den gleichen Effekt, ohne
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daß dies sofort auffällt – kann nicht die Antwort auf die Herausforderungen sein, die das Wirtschaften durch seinen Ort in der Sphäre des „objektiven Geistes“ hat. Vielmehr ist aus dem Geist der Freiheit eine Form von Staatlichkeit gefragt, die die Wirtschaft derart reguliert, daß sowohl individuelle Freiheit als auch die gemeinschaftliche Freiheit zugleich und ineinander verwoben das freie Leben der Menschen tragen können. Der vom Staat und seinen Institutionen regulierte Markt soll von seinem Zweck her nicht effektiver sein, sondern menschlicher, er soll den Menschen nicht zum bloßen Mittel seiner Expansion machen, sondern seine Bewegungen dem Puls des freien Menschen anpassen. Fichte und in seiner Nachfolge die sog. Romantische Schule der Wirtschaftswissenschaften haben auf diesen für freie Menschen unverzichtbaren Zweck hingewiesen und dafür gebührt ihnen nicht nur Respekt, sondern auch erneute Beachtung in der wissenschaftlichen Praxis. Es bleibt eine Problematik, die doch auch angesprochen werden muß, dies ist die Vereinnahmung dieser gemeinschaftsorientierten Standpunkte durch aggressive Ideologien. Es hat sich mir nie erschlossen, warum die Berufung „finsterer Mächte“ auf einen Autor, dessen Werk schon alleine dadurch diskreditieren soll. Es liegen auf allen Seiten eben Mißverständnisse vor, die auf ungenügender Aneignung des im Gesamtkontext wirklich Gemeinten beruht. So spricht z. B. Arnold Gehlen von Fichte als Gründer eines nationalen Sozialismus60. Nico Wallner schreibt 1926 vom „vielfachen Mißbrauch“ der mit Fichtes Gedanken zum Staat „recht unbedenklich getrieben wird“61. Auch wenn die Nationalsozialisten gerne den nationalen Freiheitskämpfer Fichte für sich vereinnahmen wollten, ein Blick in sein Werk zeigt doch eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen das Hegemoniestreben. Die Bequemlichkeit der Vermeidung der Auseinandersetzung mit den Begründungen des Denkers, soll die Selbstverständlichkeit der heute herrschenden Position, daß die Gemeinschaft immer schon im Widerspruch zur wirklichen Freiheit der Individuen stehe, zur Voraussetzung machen, die sich gerade nicht mehr selber erst noch rechtfertigen müsse. Wie Fichte ist es allen gegangen, die sich auf die tradierten Freiheiten von gewachsenen Gemeinschaften berufen haben. Indem sie in die Schmuddelecke von Steigbügelhaltern menschenverachtender Regimes gestellt werden, kann eine ganze philosophische Richtung, die nicht in den Zeitgeist der kaltblütigen Menschenverachtung paßt, kaltgestellt werden. Eine mögliche Antwort auf den gefühlten gegenwärtigen Verlust an Menschlichkeit soll so von vorneherein nicht in den Blick kommen. Alle sich auf- und übertürmenden Probleme dieser Leitidee von Wirtschaft und Staat sollen als nur durch marktkonforme „Reformen“, durch noch mehr technokratisches Handhaben heilbar dargestellt werden. Die „Alternativlosigkeit“ dieser Argumentation zeigt zugleich auch die Armseligkeit, auf die der Zeitgeist 60 Arnold Gehlen: „Deutschtum und Christentum bei Fichte“, in: ders.: Philosophische Schriften II, Frankfurt a. M. 1980, 227. Wallner spricht vom „Staatssozialismus“ (in: Nico Wallner: Fichte als politischer Denker. Werden und Wesen seiner Gedanken über den Staat, Halle 1926, 106). 61 A. a. O. 4.
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inzwischen herabgesunken ist. Oder kann dieser Niedergang auch als ein In-sichGehen aufgefaßt werden? Vielleicht noch ein Wort zum Thema der Tagung: „Fichtes Geschlossener Handelsstaat – Über Ort und Ortlosigkeit der Ökonomie im transzendentalen System“
Fichte ging es nach meiner Ansicht darum, im Geschlossenen Handelsstaat das Verhältnis von Idee und Realisierung anzusprechen. Die Ökonomie ist eine bestimmte Sphäre sich aussprechender Freiheit, eine Freiheit, die sich in bezug auf Materialität und quantitatives Denken selbst als eine äußere Norm der Orientierung setzt. Von daher kann man den Ort der Ökonomie im System als den Standpunkt der Auffassung des Menschen und seiner Gemeinschaft als eines sachlichen kennzeichnen. Auf der anderen Seite muß aber gerade dieses Moment der Bestimmtheit, eben weil es aus Freiheit entspringt, sich auch wieder zurücknehmen. Es tritt immer auch aus seinem Ort heraus und strahlt als ein wirklich lebendiges Moment in den ganzen Vollzug menschlichen Lebens in seiner Einzelheit und in seiner Gemeinschaftlichkeit aus. Erst in diesem sich gegenseitigen Bestimmen wird der ganze Gehalt des Verhältnisses deutlich. Letztendlich ist nur von der Einsicht in das System her auch ein Einblick in die Bestimmtheit einzelner Momente, wie es das Wirtschaften ja darstellt, möglich. Der Fichtesche Entwurf eines geschlossenen Handelsstaates sollte hier nicht als leuchtendes Modell für eine vernünftige Betrachtung des Wirtschaftens propagiert werden. Es gibt viele Rückfragen an Fichte. Aber sein Entwurf gibt auf der anderen Seite auch sehr viel zu denken. Seine Anregungen können sehr fruchtbar sein, heutige Schwierigkeiten, die auf unreflektierten Voraussetzungen beruhen, in Richtung auf realisierte Freiheitspotentiale zu überwinden, indem die grundlegenden Fragestellungen erneut aufgeworfen werden. Aufgabe der Philosophie ist das Wachhalten oder die erneute Weckung dieser Horizonte, die ein technischer Wissenschaftsbetrieb immer mehr verdrängt. Eine Philosophie, die sich selber in diesem Betrieb verliert, braucht keiner! Literatur Aristoteles: Politik, Zürich 1955. Baader, Franz von: „Berichtigung des öffentlichen Urteils über den naturrechtlichen Grund gegen die Aufhebung der Zünfte“ (1801), in: Franz von Baaders Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, hg. von Johannes Sauter, Jena 1925. – Über das sogenannte Freiheits- oder passive Staatswirtschaftssystem (1802), a.a.O. Baumgardt, David: Franz von Baader und die philosophische Romantik, Halle 1927. Baxa, Jakob: Einführung in die romantische Staatswissenschaft, Jena 19312 . Birtsch, Günter: „Aspekte des Freiheitsbegriffs in der deutschen Romantik“, in: Brinkmann, Richard (Hg.): Romantik in Deutschland, Stuttgart 1978. Conze, Werner: „Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft“, in: Werner Conze (Hg.): Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 – 1848, Stuttgart 19702.
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Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Gehlen, Arnold: „Deutschtum und Christentum bei Fichte“, in: ders.: Philosophische Schriften II, Frankfurt a. M. 1980. Hammacher, Klaus/Hirsch, Hans: Die Wirtschaftspolitik des Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, Amsterdam 1993. Homann, Karl/Suchanek, Andreas: Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen 20052. Krug, Leupold: Abriß der Staatsökonomie oder Staatswirthschaftslehre, Berlin 1808. Lichtblau, Klaus: „Ökonomie, politische“, in: HWP, Bd. 6, Sp. 1163 – 1173. Luden, Heinrich: Handbuch der Staatsweisheit oder der Politik. Ein wissenschaftlicher Versuch, Jena 1811. Müller, Adam: Elemente der Staatskunst [1890], Jena 1922. Novalis: „Fragmente 1798“, in: Jakob Baxa: Gesellschaft und Staat im Spiegel deutscher Romantik, Jena 1924. Pinto, Isaac de: Sammlung von Aufsätzen, die größtenteils wichtige Punkte der Staatswirthschaft betreffen, Liegnitz 1776. Rabe, H./Red.: „Ökonomie“, in: HWP, Bd. 6, Sp. 1149 – 1153. Roscher, Wilhelm: Geschichte der National-Oekonomik in Deutschland, München 1874. Rosecrance, Richard: Der neue Handelsstaat. Herausforderungen für Politik und Wirtschaft, Frankfurt a. M. 1987. Spann, Othmar: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf lehrgeschichtlicher Grundlage, 25. durchgesehene Auflage, Heidelberg 1949. Strelin, Georg Gottfried: Versuch einer Geschichte und Literatur der Staatswissenschaft, Erlangen 1827. Struensee, Karl August v.: Abhandlungen über wichtige Gegenstände der Staatswirtschaft, Berlin 1800. Verzar, Andreas: Das autonome Subjekt und der Vernunftstaat, Bonn 1979. Wallner, Nico: Fichte als politischer Denker. Werden und Wesen seiner Gedanken über den Staat, Halle/Saale 1926. Weber, Marianne: Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin, Tübingen 1900.
Von der Nationalökonomie zum ökonomischen Nationalismus Fichtes Politikkonzeption im Geschlossenen Handelsstaat Günter Zöller Von der Nationalökonomie zum ökonomischen Nationalismus. Fichtes Politikkonzeption im Geschlossenen Handelsstaat
„The economy, stupid.“ James Carville
Im folgenden wird das „Politik“ betitelte Dritte Buch von Fichtes Schrift Der geschlossene Handelsstaat aus dem Jahr 18001 in einen dreifachen Kontext gestellt: den der politischen Philosophie der Moderne, den von Fichtes politischer Philosophie und den der Schrift, die in diesem Buch kulminiert. Ziel und Zweck der dreifach gestuften Kontextualisierung ist die Verortung von Fichtes politischem Projekt der Elimination des Außenhandels im politischen Diskurs der Moderne. Der erste Abschnitt präsentiert die Grundzüge von Fichtes spekulativer Politik der Schließung des Handelsstaates vor dem Hintergrund der ersten beiden Bücher des Geschlossenen Handelsstaats, die von der Wirtschaftsverfassung des idealen Staates („Vernunftstaat“2) und der wirtschaftlichen Wirklichkeit der modernen europäischen Staaten („Zeitgeschichte“3) handeln. Der zweite Abschnitt erörtert den Status und die Funktion des Nationalismus in Fichtes politischer Philosophie in ihrer historischen und systematischen Spannweite zwischen Revolution und Reform und ihrer durchgängigen Prägung durch die Tradition des Republikanismus. Der dritte Abschnitt behandelt Fichtes ökonomischen Nationalismus im kontrastierenden Vergleich zum wirtschaftlichen Internationalismus und rechtlichen Kosmopolitismus der modernen politischen Philosophie. I. Recht und Geschichte In der älteren und jüngeren Forschungsliteratur wird der Geschlossene Handelsstaat überwiegend als wirtschaftstheoretisches Werk rezipiert4. Im Vordergrund 1 Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, in: ders.: Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart/Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA I/7, 37 – 141. 2 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 51. 3 Fichte: Handelsstaat, GA I/, 91. 4 Siehe z. B., Anthony Curtis Adler: „Interpretive Essay: Fichte’s Monetary History“, in J.G. Fichte: The Closed Commercial State, translated and with an interpretive essay by Anthony Curtis Adler, Albany/NY 2012, 1 – 71.
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stehen in der Regel die Geldtheorie der Schrift („Theorie des Geldes“5), mit ihrer Unterscheidung zwischen einer allgemein handelbaren, auf Edelmetall gestützten Währung („Weltgeld“6) und einer funktional wie extensional eingeschränkten Währung („Landesgeld“7), des weiteren die Ausführungen zum differentiellen Verhältnis von Ware und Preis, vor allem aber die staatlichen Maßnahmen zur umfassenden Kontrolle der Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Waren aller Art. Wo die weitere Perspektive der Schrift in den Blick genommen wird, geht es vor allem um die Auffassung des Eigentums, das Fichte statt in den exklusiven Besitz von Sachen in den frei verfügenden Umgang mit ihnen („freie Handlung“8) setzt. Doch enthält der Geschlossene Handelsstaat nicht nur Fichtes Wirtschaftsphilosophie. Mehr noch: von seiner Gesamtkonzeption und Grundintention her betrachtet ist das Werk keine Abhandlung zu ökonomischen Fragen, sondern ein Beitrag zu einem ganz anderen und viel weiter reichenden Untersuchungsgegenstand – der Philosophie des Rechts und speziell der grundsätzlichen Ausdehnung des Rechts („Anwendung“9) auf das Gebiet der philosophischen Theorie („Wissenschaft“10) vom Leben in der staatsförmigen Gemeinschaft („Politik“11). Die wirtschaftsphilosophischen Theorieteile des Geschlossenen Handelsstaats sind Mittel zu einem Zweck, der über das Wirtschaftliche hinaus im Politischen und speziell im Staatlichen liegt. Auch geht es bei der medialen Integration des Ökonomischen in das Politische, die der Geschlossene Handelsstaat ausführt, nicht um die Ökonomisierung der Politik – etwa nach Art eines sozio-ökonomischen Materialismus, wie er sich später bei Marx findet. Vielmehr unternimmt Fichte gerade umgekehrt die Politisierung der Ökonomie, und dies auf eine Art und Weise, die über die klassische moderne Einsicht in den kategorialen Unterschied von Hauswirtschaft und Volkswirtschaft („National-Wirthschaft“12) hinausgeht und eine tiefgreifende Wandlung im Verhältnis des Staates in seiner jeweiligen Individualität („Nation“13) zur rechtlich gegründeten Verfassung seines Wirtschaftssystem beinhaltet. Die rechtlich-politische Intention und Ambition des Geschlossenen Handelsstaats zeigt sich bereits im Untertitel des Werkes, der die Schrift als „Anhang zur Rechtslehre“14 ankündigt. Sie manifestiert sich sodann im Ansatz des Werkes bei 5 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 78. Handelsstaat, GA I/7, 43, 120. 7 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 43, 120. 8 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 55, 70. 9 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 42. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 103. 13 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 139. 14 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 37. 6 Fichte:
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der vernunftrechtlichen Begründung staatlicher Macht und Ordnung in der Tradition des Naturrechts im Ersten Buch15. Sie erweist sich des weiteren in der rechtlich-politischen Perspektive des Zweiten Buchs auf die Genese des souveränen Territorialstaats in der europäischen Moderne16. Und sie offenbart sich vollends im expliziten Fokus des Dritten Buchs auf der Politik als dem exklusiven Medium für die Um- und Durchsetzung von Vernunft in Geschichte und von Recht in Realität17. Während Fichte mit seinen konkreten Konzeptionen zu Eigentum, Geld und Handel durchaus eigene Wege geht, die egalitäre Experimente aus der radikalen Phase der Französischen Revolution aufnehmen und fortführen sowie späteres sozialistisches Denken antizipieren, steht das rechtlich-politische Kernanliegen des Geschlossenen Handelsstaats noch ganz in der spezifisch modernen, genauer: frühmodernen Tradition der Legitimation von Art und Ausmaß staatlicher Autorität im Rekurs auf die Doppeltradition von Naturrecht (ius naturale) und Gesellschaftsvertrag (pactum sociale). Von Hobbes über Locke und Rousseau bis Kant geht es in der politischen Philosophie der Neuzeit pragmatisch um die Ermöglichung der friedlichen Koexistenz des vergesellschafteten Menschenwesens, juridisch um das wechselseitige Bedingungsverhältnis von Erlaubnis und Erfordernis – von Recht und Pflicht – im Umgang zivilisierter Menschen miteinander und politisch um die Ausübung von Zwang und Gewalt im Namen der gleichen Freiheit aller in ziviler Gesellschaft miteinander Stehenden. Fichte selbst hatte in seiner frühen naturrechtlichen Abhandlung (Grundlage des Naturrechts; 1796/9718) den streng juridischen Grund staatlich-politischer Ordnung herausgearbeitet und insbesondere die vernünftige Verpflichtung auf den rechtlich geregelten Umgang miteinander aus dem Grundcharakter des endlichen Vernunftwesens als solchem („Ich“) hergeleitet19. Im Mittelpunkt des überpositiven, reinen Rechts („Naturrecht“) steht beim frühen Fichte die generell gegebene und rechtlich zu regelnde Freiheit des Menschen in der willentlichen Verfügung über die eigenen Handlungen im Hinblick auf deren leiblich vermittelte Wirkung in einer mit anderen Personen und mit Dingen aller Art geteilten Welt20. Fichtes grundsätzliche Zugehörigkeit zum rechtlich-politischen Diskurs der Moderne zeigt sich auch im theoretischen Status seiner Rechtslehre und in deren prinzipiellem Bezug zur Politik. Anders als die antike Tradition seit Aristoteles, die der praktischen Philosophie einen vom theoretischen Wissen (theoria) 15
Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 53 – 90. Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 91 – 112. 17 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 113 – 141. 18 Siehe Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, GA I/3, 311 – 460 und GA I/4, 3 – 165. 19 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/3, 329 – 388. 20 Siehe dazu Günter Zöller: „Leib, Materie und gemeinsames Wollen als Anwendungsbedingungen des Rechts“, in: Jean-Christophe Merle (Hg.): Fichtes Grundlage des Naturrechts (= Reihe Klassiker auslegen), Berlin 2001, 97 – 111. 16
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verschiedenen Gegenstandsbereich (praxis) und einen Erkenntnischarakter mit minderem Gewißheitsgrad auf der Grundlage von beurteilender Einsicht (phronesis) zugeschrieben hatte, integriert die moderne Philosophie seit Hobbes die praktischen Normen in das Gegenstandsgebiet der neu und universal konzipierten Wissenschaft (science), sei es als einfache Extension der Naturerkenntnis (natural science) in den Bereich der Gesellschaft, sei es als epistemisches Pendant zur Naturwissenschaft (moral science). Fichte potenziert den Szientismus der modernen Sozialphilosophie durch die Rekonzeptionierung der Philosophie als universeller Meta- und Protowissenschaft („Wissenschaftslehre“21), so daß die Rechtslehre als Anwendung der allgemeinen Lehre vom Wissen als solchem auf die Sphäre zwischenmenschlichen Handelns ausgeführt wird. Auch in einem weiteren wichtigen Punkt verbleibt Fichtes frühe Rechtslehre im anti-antiken rechtlich-politischen Denken der Moderne. Bei Aristoteles und seinen Nachfolgern war die politische Philosophie (ta politika) die kontinuierliche Fortsetzung der Ethik (ta ethike), so daß letztere als integraler Teil einer umfassend konzipierten politischen Philosophie fungierte. Das moderne rechtlich-politische Denken trennt – wo nicht prinzipiell, so zumindest tendenziell – das Rechtlich-Politische vom Ethisch-Moralischen und koppelt effektiv die rechtliche Regelung des (äußeren) Handelns von der ethischen Gesetzgebung der (inneren) Gesinnung ab. Fichte frühes Naturrecht radikalisiert die moderne Externalisierung der rechtlichen Relationen durch die Auffassung des Rechts als einer rein theoretischen Aufgabe: der prudentiellen Possibilisierung der möglichen Koexistenz gleich-freier Vernunftsubjekte („Gemeinschaft zwischen freien Wesen als solchen“22)23. Schließlich partizipiert Fichtes frühes Rechtsdenken an der spezifisch modernen Verrechtlichung politischer Verhältnisse. Statt wie das antike politische Denken die Ethik unmittelbar in die Politik übergehen zu lassen und dabei einen generischen Begriff von Handeln (praxis) zugrundezulegen, unterscheidet das moderne Denken – wenn nicht von Anfang an, so doch zunehmend – zwischen der prinzipiellen Privatheit und strukturellen Subjektivität des Ethischen und der Öffentlichkeit und Intersubjektivität des Rechtlichen. Das Politische schließt so nicht mehr unmittelbar an das Ethische an, wird vielmehr vom Ethischen getrennt und dem Rechtlichen zugeordnet – als Anwendung der Regel auf den Fall, des Allgemeinen auf das Besondere, des Grundsätzlichen auf das Gegebene. Das Recht seinerseits erfährt in der (frühen) Moderne eine prinzipielle Politisierung durch die Entwicklung und Etablierung einer speziell auf den Staat im Hinblick auf seinen Ursprung, seine Möglichkeiten und Grenzen ausgerichteten Gestalt von Recht, dem öffentlichen Recht (ius publicum).
21 Siehe dazu Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, GA I/2, 107 – 172. 22 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 320. 23 Siehe Fichte: Naturrecht, GA I/3, 356, 359.
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Auch beim frühen Fichte ist die Politik in engerer, spezifischer Bedeutung Recht-in-Anwendung und deshalb wie dieses prinzipiell von der Ethik getrennt. Doch ändert sich bei Fichte die Einschätzung der Art des Verhältnisses zwischen Recht und Politik. Das frühmoderne juridisch-politische Denken hatte das Recht und die Politik in ein logisches Verhältnis von Subsumption (der Politik unter das Recht) und Applikation (des Rechts auf die Politik) gesetzt und dafür auf das Aristotelische Modell des praktischen Syllogismus zurückgegriffen. So verfährt noch Kant, wenn er etwa das politische Institut der Delegation („repräsentatives System“) als Mittelbegriff in der Schlußfolge vom Rechtsprinzip der allgemeinen Freiheit zur politischen Realität des großflächigen souveränen Staates darstellt24. Bei Fichte wird nun die Vermittlung von rechtlichen Prinzipien und realer Politik nicht mehr als rein logische Relation und als Aufgabe der subsumierenden Urteilskraft aufgefaßt. Vielmehr begreift Fichte – deutlich sichtbar erstmals im Geschlossenen Handelsstaat – den Übergang von Recht zu Politik als geschichtlichen Prozeß, bei dem ein außerhistorischer Zielzustand („Vernunftstaat“25) im zweckmäßigen Gang durch die Geschichte durchgängig angestrebt und schrittweise verwirklicht werden soll. Voraussetzung für die historische Ausprägung der rechtlich gegründeten Politik ist die grundsätzliche Planbarkeit der Geschichte, ihre Gestaltbarkeit durch menschliche Zwecksetzung und Mittelwahl. Für Fichte ist die Geschichte, zumal die politische Geschichte als Geschichte der politischen Verwirklichung von Recht, wesentlich offen und insofern frei – allerdings nicht unverbindlich offen und beliebig frei, sondern offen für freie Gestaltung nach Maßgabe von rechtlich-politischer Vernunft26. Auch äußerlich manifestiert sich Fichtes spezifisch historische und dadurch auch historisch spezifische Konzeption von Politik im argumentativen Aufbau des Geschlossenen Handelsstaats, der in der Abfolge seiner drei Bücher mit der vernunftrechtlichen Bestimmung des Staates im allgemeinen und seiner Wirtschaftsverfassung im besonderen einsetzt („Vernunftstaat“27), zur schematischen Skizze der wirtschaftlich-politischen Verfassung des zeitgenössischen Staates übergeht („Zeitgeschichte“28) und in den Entwurf der in Zukunft („künftig“29) zu liefernden staatlichen Maßnahmen für die Überführung der faktisch-aktuellen Staats- und Gesellschaftseinrichtung in die vernünftig gebotenen rechtlich-politischen Verhältnisse mündet („Politik“30). Aus der alten Anwendung von Recht auf Politik 24 Siehe Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VIII, Berlin 1900ff. Im folgenden mit AA abgekürzt und mit Bandangabe in lateinischen Ziffern angegeben, hier 423 – 430, insbesondere 429. 25 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 51. 26 Siehe dazu Günter Zöller: Fichte lesen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 82 – 86. 27 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 51. 28 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 91. 29 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 37. 30 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 113.
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wird so die gezielte Überführung („Stiftung“31) von geschichtlicher Kontingenz in rein rechtliche Rationalität. Die innovative Integration von Vernunftrecht und Geschichtspolitik bei Fichte ist vorbereitet durch das Aufkommen der Geschichtsphilosophie im 18. Jahrhundert, wie sie exemplarisch von Vico und Herder entwickelt wird. Speziell die Zusammenführung von Recht und Geschichte geht auf Montesquieu zurück. Doch ist die Geschichte bei den früheren Vertretern eines philosophisch-historischen Denkens nicht Gegenstand von frei verfügender Gestaltung, sondern exklusiv auf die Vergangenheit und die Gegenwart bezogen, nicht aber auf die Zukunft, insbesondere nicht auf eine für freie Planung offene Zukunft, wie dies erstmals eigentlich bei Fichte der Fall ist. Noch für Kant ist die Geschichtsphilosophie werkbiographisch wie systematisch von der politischen Philosophie getrennt. Die politische Philosophie Kants zielt nämlich auf die Verrechtlichung aller zivilen und staatlichen Verhältnisse und wendet sich zu diesem Zweck an den vernunftrechtlich verfahrenden Regierenden („der [rechtlich-]moralische Politiker“)32. Dagegen rekurriert die Geschichtsphilosophie Kants für die Annäherung an das doppelt-gestufte Fernziel der rechtlich geregelten staatlichen Gemeinschaft („bürgerliche Gesellschaft“33) und der rechtlich geregelten Staatengemeinschaft („allgemeiner weltbürgerlicher Zustand“34) auf quasi-natürliche, dem Trachten und Handeln der Geschichtssubjekte und Geschichtsakteure unsichtbare und entzogene psycho-soziale Mechanismen und Methoden („ungesellige Geselligkeit“, „Kriege“35). Erst mit Fichte kommt in die politische Philosophie der Geschichte das Junktim von Vernunft und Freiheit – einer Vernunft, die nicht instinktiv und automatisch, sondern frei und willentlich zum Einsatz kommt, und einer Freiheit, die nicht zufällig und arbiträr operiert, sondern im Modus vernünftiger Selbstbestimmung. Die primäre Dimension der politischen Geschichte ist bei Fichte denn auch nicht die ferne Vergangenheit oder die eigene Gegenwart, sondern die allererst anzubahnende Zukunft, die es mit politischen Mitteln nach Maßgabe von Recht aus Vernunft zu gestalten gilt. In dieser Hinsicht erweist sich schon Fichte und nicht erst Feuerbach, auf den die Wendung zurückgeht, als Pionier und Propagator einer „Philosophie der Zukunft“, die in eins auch die Zukunft der Philosophie begründen und gestalten soll36. Für Fichtes Begriff von Politik bedeutet die systematische Zusammenführung von Vernunft, Recht und Geschichte eine aktivistische, interventionistische, transformationelle Konzeption politischen Handelns: Philosophisch begründete Politik 31 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 51. Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, AA VIII, 341 – 386, hier: 372. 33 Immanuel Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA VIII, 15 – 31, hier: 22. 34 Kant, a. a. O. 28. 35 Kant, a. a. O. 20, 24. 36 Siehe dazu Zöller: Fichte lesen, a. a. O. 75 – 101. 32
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gestaltet geschichtliche Wirklichkeit mit den Mitteln des Rechts und im Rekurs auf Vernunft. In der innovatorischen Perspektive von Fichtes politischer Philosophie der Geschichte und der damit gegebenen Geschichtlichkeit politischer Philosophie ist auch das eminent politische und eklatant historische Vorhaben der schrittweisen vollständigen Abschaffung des privaten Außenhandels und der Minimalisierung des staatlichen Außenhandels – die förmliche „Schließung“37 des Staates in wirtschaftlicher Hinsicht – und damit die Errichtung des geschlossenen Handelsstaates zu sehen. II. Patriotismus und Republikanismus Fichte hat die von ihm programmierte und propagierte systematische Abschottung („Schließung“) des Handelsstaates schon zu Beginn der einschlägigen Schrift in Parallele gesetzt zur analogen Abgeschlossenheit des Staates als rechtlicher In stitution („juridischer Staat“38), um dann in der Schrift selbst die fällige Schließung des kommerziellen Staates von der historisch-politischen Situation des juridischen Staates im modernen Europa her zu entwickeln. Durch das Projekt einer strukturellen Assimilation der Wirtschaft an das Recht gehört der Geschlossene Handelsstaat über seine Funktion als auf die Politik angewandter Rechtslehre hinaus in den systematischen Kontext von Fichtes politischer Philosophie, die sein gesamtes Werk durchzieht – von der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution unter dem Gesichtspunkt ihrer öffentlichen Einschätzung im Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution (1793)39 über die Agitation für die radikale Reform der zeitgenössischen Kultur und Gesellschaft in den Reden an die deutsche Nation (1808)40 bis zur Vision einer zwangsfreien Rechtsgemeinschaft Freier und Gleicher in der späten Staatslehre (1813, postum publiziert 1820)41, 42. Speziell politisch und allgemein praktisch ist die Philosophie Fichtes aber nicht nur und nicht erst durch den kritischen Fokus auf bestehende Herrschaftsverhältnisse und deren systematische Kritik. Fichtes Philosophieren ist insgesamt praktisch-politisch orientiert und motiviert durch seine Ausrichtung von Anfang an und 37 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 114. Handelsstaat, GA I/7, 38. 39 Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die Französische Revolution, GA I/1, 203 – 404. 40 Fichte: Reden an die deutsche Nation, GA I/10, 97 – 298. 41 Fichte: Staatslehre, GA II/16, 13 – 204. 42 Zu Fichtes politischem Denken insgesamt und zu seiner Staatsphilosophie insbesondere siehe Günter Zöller (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, Baden-Baden 2011 sowie ders.: „,Liberté, Égalité, Fraternité‘ – ‚Ich‘, ‚Du‘, ‚Wir‘. Fichtes politisches Philosophieren“, erscheint in: Matteo d’Alfonso/Thomas Kisser/Petra Lohmann/Jacinto Riveira de Rosales (Hg.): Mit Fichte philosophieren. Perspektiven seiner Gesamtphilosophie nach 200 Jahren, Fichte-Studien Supplementa, Amsterdam/Boston. 38 Fichte:
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durchweg auf ein gesellschaftliches und gemeinschaftliches Handeln in den Dimensionen von Recht und Moral. Das Wissen samt dessen prinzipieller Erkundung („Wissenschaftslehre“) soll dafür die probaten Mittel und die obligaten Zwecke vorgeben und ist deshalb seinem Zielbegriff nach praktisches Wissen, auch wenn das Wissen als solches und insgesamt, unter Einschluß des praktischen Wissens, in die philosophische Theorie fällt und erst durch das vom Wissen geforderte und geleitete Handeln eigentlich praktisch wird. Während die Rechtsphilosophie bei Fichte noch in der Tradition des neuzeitlichen Naturrechts steht, wie dies auch der Titel seines einschlägigem Hauptwerks Grundlage des Naturrechts anzeigt, und so eine essentiell ahistorische Sicht auf die Normen und Formen rechtlich-staatlicher Ordnung beinhaltet, ist die politische Philosophie bei Fichte durchweg geschichtsbezogen und typischerweise zeitgeschichtlich geprägt. Die Kernkonzepte von Fichtes praktisch-politischer Philosophie entstammen durchweg der vormodernen republikanischen Tradition mit ihrem Fokus auf dem zivilen Zusammenschluß freier und gleicher Vollbürger, wie sie von Rousseau theoretisch und von den Akteuren der Französischen Revolution praktisch erneuert und fortgeführt worden war43. In den republikanischen oder vielmehr neo-republikanischen Kontext von Fichtes politischem Philosophieren gehört auch die Berufung auf die zivischen Grundvokabeln von Volk (populus), Vaterland (patria) und Vaterlandsliebe (Patriotismus). Von ihrem römisch-republikanischen Ursprung her sind dies nicht ethnische und nationale Kategorien, die auf Herkunft und Abstammung abheben. Vielmehr handelt es sich um Konzepte zivilbürgerlicher Gesellschaftlichkeit, die rechtlich-politischen Charakter tragen. Propagandistisch entspricht dem republikanischen Volksverständnis das letzte Element des Dreifachmottos der Französischen Revolution ( fraternité), das die deklarierte Freiheit und Gleichheit der Bürger um die Dimension der Sozialität der emanzipierten und egalisierten Bürger ergänzt. Die primäre Intention der republikanischen Gesellschaftlichkeit ist denn auch nicht extern, nach außen gerichtet, sondern intern, auf den inneren Zusammenhalt des republikanischen Volks in dessen Volksrepublik bezogen. Ursprünglich geht es in der republikanischen Tradition, in der Fichte steht, nicht um die Abgrenzung oder Abschottung gegenüber dem Anderen („Ausland“44) und den Anderen („Ausländer“45). Vielmehr ist die originelle Zielrichtung der republikanisch verfaßten Gesellschaft die Solidität und Solidarität der Zivilbürger unter einander und mit einander. Erst in der bellikosen Konfrontation mit einem aggressiven Ausland – wie erstmals in den Koalitionskriegen zur Bekämpfung der Französischen Revolution –, wird aus der republikanischen Selbstidentifikation der Nation ein exklusiver und elitärer Nationalismus. 43 Zum Republikanismus Fichtes siehe Günter Zöller: Res Publica. Plato’s „Republic“ in Classical German Philosophy, Hongkong 2015, 63 – 96. 44 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 70. 45 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 69.
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In den Kontext eines okkasionell ins Nationale verschärften republikanischen Patriotismus gehört auch Fichtes antinapoleonische Reaktion auf das imperial gewordene Frankreich in den Reden an die deutsche Nation. So wie Fichte schon früh, durchweg und bis zuletzt republikanisch gesinnt war – antimonarchisch und anti-aristokratisch und generell anti-paternalistisch –, ist auch seine Kritik am post-revolutionären und neo-cäsarischen Frankreich unter dem korsischen Politparvenü Zwecknationalismus – eine politisch-pädagogische Strategie zur (Re-)Republikanisierung europäischer Herrschaftsbeziehungen und Gesellschaftsverhältnisse. In Fichtes welthistorischer und internationaler Perspektive auf die europäische Staatenwelt ist der Nationalismus nicht Zweck, sondern Mittel – ein strategisch zweckmäßiges Stadium auf dem Weg zur langfristigen Durchsetzung rechtlich-politischer Freiheit und Gleichheit auf nationaler und internationaler Ebene46. Für die Durchsetzung der rechtlich-politischen Ideale von bürgerlicher Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit und damit für die systematische Abschaffung von Privilegien und einseitigen Abhängigkeiten setzt Fichte durchweg auf Reform statt Revolution, sogar auf Reform von oben47. Unter rechtlichen Regeln kann das Ziel der Politik nicht der gewaltsame Umsturz sein, der gesellschaftliche Ungerechtigkeit in verwandelter Form fortführen würde. Vielmehr geht es Fichte um eine Reformpolitik der Politikreform: im republikanischen Geist soll Politik dem Gemeinwesen (res publica) dienen und nicht Instrument für den Erwerb und Erhalt von gesellschaftlichen Vormachtstellungen sein. Das primäre Vehikel für rechtliche Fortentwicklung und politische Verbesserung sind für Fichte (theoretische) Aufklärung und (praktische) Bildung. Die gezielte Erziehung von Regierenden wie Regierten zur Einsicht in den Sinn und die Geltung von Recht und Gesetz sollen den Weg bahnen für eine freiwillige staatliche Reform und gesellschaftliche Verbesserung, indem zum einen die Regierenden innerlich, geistig republikanisiert und zum anderen die Regierten für verantwortliche Freiheit reif werden. Fichtes politische Philosophie operiert dem entsprechend durch politische Pädagogik, die aber auch, insbesondere in den Reden an die deutsche Nation und zugehörigen Texten aus dem Umfeld der sog. Befreiungskriege gegen das napoleonische Regiment über Europa, Agitation und Propaganda nicht verschmähen. Einschränkend ist allerdings auch festzuhalten, daß der Republikanismus bei Fichte dazu tendiert, die politisch gewollte und gesollte Freiheit auf die bürgerliche Freiheit der gleichen Teilhabe an Recht und Gesetz zu beschränken unter Verzicht auf die Forderung nach politischer Freiheit im eminenten Sinn, die Partizipation an Gesetzgebung und Regierung umfassen würde. Bei Fichte wie schon bei Kant 46 Zum geschichtsphilosophischen Kontext des Nationalismus bei Fichte siehe Günter Zöller: „Politische Hermeneutik. Die philosophische Auslegung der Geschichte in Fichtes Reden an die deutsche Nation“, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik 7 (2008), 219 – 243. 47 Siehe dazu Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die Französische Revolution, GA I/1, 207.
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und der Mehrzahl der frühmodernen Vertreter und Forderer von bürgerlicher Freiheit und Gleichheit ist der Republikanismus sachlich unterschieden und wertend geschieden von Demokratie, die man nur als direkte Demokratie aus dem kurzlebigen gleichnamigen politischen Experiment im Athen des 5. Jahrhundert vor der Zeitrechnung kennt und die deshalb statt mit der Herrschaft von Recht und Gesetz mit chaotischer Pöbelherrschaft assoziiert wird48. Auch für Fichte gehört politische Herrschaft in die Hände von Wissenden und Weisen, die als philosophisch geschulte Amtsträger („öffentliche Beamte“49) für das Volk und zu seinem Besten die Regierung ausüben. Die von Fichte vorgesehene repräsentative Regierungsform basiert somit nicht auf populärer Wahl, sondern auf der sachlichen und persönlichen Qualifikation zum Regierungsamt. In Fichtes politisch-philosophischer Auffassung, die darin an das antike republikanische Denken und dessen frühneuzeitliche Renaissance anschließt, herrschen im gerecht eingerichteten Gemeinwesen nicht die menschliche Willkür und das persönliche Belieben, sondern die guten Gesetze, kurz das Recht. Speziell im Geschlossenen Handelsstaat nimmt Fichtes republikanisch inspirierte politische Philosophie die Züge einer politischen Philosophie der Geschichte, speziell der nachantiken Geschichte Europas an. Den politisch motivierten Übergang von einer durch Außenhandel und internationalen Warenaustausch geprägten Nationalökonomie zum geschlossenen Handelsstaat situiert Fichte in einem gesamteuropäischen Geschichtsverlauf, der vom mittelalterlichen Feudalsystem zur neuzeitlichen Ausbildung zentral regierter Territorialstaaten reicht. Dabei ist es die leitende These von Fichtes politischer Geschichtsauffassung, daß der Ursprung des modernen Staates und damit des modernen Rechts- und Wirtschaftssystems nicht auf dem additiven Zusammenschluß von vorgängigen einzelnen Bestandteilen zu einem resultierenden Ganzen zurückgeht, sondern in der divisiven Auflösung einer vormaligen größeren Einheit in partikulare, fragmentierte Gebilde besteht („Europäische Handels-Republik“50)51. Fichtes politisch-historische Einschätzung der europäischen Staatengeschichte als langfristigem Desintegrationsprozeß der ursprünglichen und umfassenden Einheit des nachantiken Europa („christliches Europa“52) erklärt die modernen souveränen Einzelstaaten zu Zerfallsprodukten einer vorgängigen Ganzheit. Das mittelalterliche Europa erscheint in dieser Ursprungsperspektive als primordiale politische Einheit, die über Nationalitäten hinweg Bestand hatte, um in den emer48 Zum antidemokratischen Staatsverständnis Fichtes siehe Günter Zöller: „,[…] die wahre πολιτεία ist nur im Himmel.‘ Politische Geschichtsphilosophie im Spätwerk Fichtes und Schellings“, in: Schelling Studien 1 (2013) 51 – 71 sowie ders.: „Der Staat und das Reich. Fichtes politische Geschichtsphilosophie“, in: Günter Zöller (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, 189 – 205. 49 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 73. 50 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 124. 51 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 91 – 95. 52 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 92.
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gierenden Nationalismen der frühen Moderne in konkurrierende Einzelstaaten zu zerfallen. Die von Fichte erstmals im Geschlossenen Handelsstaat vorgetragene Vision der ursprünglichen Einheit Europas („Eine Nation“53) kommt auch noch in den Reden an die deutsche Nation zum Tragen,54 wenn Fichte die Einheit der europäischen Staatenrepublik („gemeinsame Nation“55) diesseits von kultureller Spaltung und politischer Entgegensetzung geltend macht. Mit dem historischen Blick auf die europäische Staatenbildung ergänzt Fichte die eigene rechtsphilosophische Sichtweise auf den Staat in der Doppelperspektive von Naturrecht und Gesellschaftsvertrag. Der Staat und seine Wirtschaft erscheinen so nicht als Konstrukt abstrakter Vertragswerke und Gesetzesregelungen, sondern als historisch konstituierte und situierte Gebilde von eigener, geschichtlich gewachsener Dignität. Die zunächst rein rechtliche und im Anschluß daran auch spezifisch wirtschaftliche Selbst- und Eigenständigkeit des modernen Staates ist in dieser Perspektive nicht das Resultat eines artifiziellen Isolationismus. Vielmehr sind der geschlossene Rechtsstaat und der geschlossene Handelsstaat in Fichtes Auffassung Ergebnis eines historischen Prozesses, der vom Ganzen zu den Teilen führt und dies in einem politisch-historischen Vorgang, der ebenso Befreiung wie Verlust beinhaltet – Verlust des vormaligen genuinen europäischen Ordnungszusammenhangs und Befreiung zu individueller Selbstbestimmung der emergierenden Staatsnationen und Nationalstaaten („moderne Staaten“56). Abweichend von der spezifisch juridischen Blickrichtung auf die innere Verfassung und das äußere Verhältnis der modernen Staaten, die Fichte in der eigenen Rechtsphilosophie in Übereinstimmung mit der völkerrechtlichen Tradition von Grotius bis Kant vertritt, führt Fichtes politische Geschichtsphilosophie als politische Philosophie der Geschichte nicht von der nationalen, einzelstaatlichen zur internationalen oder zwischenstaatlichen Ebene von Recht und Politik. Vielmehr sieht der geschichtspolitische Fichte den Entwicklungsgang staatlicher Ordnung, und speziell den Wandlungsverlauf von Recht und Wirtschaft, als Wechsel von der über- und vornationalen Einheit Europas im Zeichen von römisch-katholischem Christentum und neu-römischem Kaisertum zu nationaler Souveränität im Gefolge von Reformation, Glaubenskriegen und Staatsabsolutismus. Die Schließung auch des Handelsstaates erachtet Fichte für nur konsequent nach der bereits erfolgten Schließung des juridisch-politischen Staates in der modernen europäischen Staatenwelt, jener nach Jahrzehnten von europaweiten Religionsund Bürgerkriegen errichteten Staatenordnung, die man nach den Orten des ihr zugrundeliegenden Friedensschlusses, Münster und Osnabrück (Westfälischer Friede), die „Westphalian world“ genannt hat. Doch in Fichtes Einschätzung ist die 53 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 93. Zur Aufnahme der Konzeption des Geschlossenen Handelsstaats in den Reden an die deutsche Nation siehe GA I/10, 272 f. 55 Fichte: Handelsstaat, GA I/10, 168. 56 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 94. 54
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westfälische Staatenwelt politisch wie wirtschaftlich keine eigentliche Friedensordnung, sondern der institutionelle Rahmen für fortgesetzte zwischenstaatliche Kriegsführung – offen so im politischen Rahmen, eher verdeckt so in wirtschaftlicher Hinsicht („allgemeiner geheimer Handelskrieg“57). Mit dem politischen Programm des nationalökonomischen Isolationismus soll, so Fichte, der teils latente, teilte patente Handelskriegszustand ein für allemal beendet werden58. Anders als in den philosophischen Friedensprogrammen seiner Vorgänger, darunter vor allem Rousseau und Kant, mit ihren Plänen der Anbahnung eines fortwährenden Friedensschlusses („ewiger Friede“59) durch völkerrechtlich geregelte internationale Beziehungen („Staatenrecht“, „Völkerstaatsrecht“60) und eine transnationale politische Einheitsbildung („Staatenverein“, „Staatencongreß“61) ist Fichtes wirtschaftspolitischer Friedensplan nicht auf Interaktion angelegt sondern auf Isolation, und nicht auf Kooperation sondern auf Klausur. Der ewige Friede wird so bei Fichte von einem Projekt der Internationalisierung zu einem Vorhaben der Nationalisierung – der Verstaatlichung der wirtschaftlichen Macht nach dem Muster des staatlichen Monopols der politischen Macht. III. Politik und Metapolitik Vor dem doppelten Hintergrund der Darlegung des rechtlichen Rahmens vernünftiger staatlicher Ordnung im Ersten Buch („Philosophie“) des Geschlossenen Handelsstaats und der geschichtlichen Situierung des modernen Staates in dessen Zweitem Buch („Zeitgeschichte“) behandelt das Dritte Buch („Politik“) des Werkes die eigentliche Errichtung des geschlossenen Handelsstaates. Der von Fichte gezielt gewählte Untertitel des Dritten Buches, „Politik“, bezeichnet die theoretische Herleitung und Darlegung der erforderlichen institutionellen Maßnahmen („Maasregel“62), um den existierenden, in wirtschaftlichen Außenbeziehungen stehenden Staat zukzessive und so gut wie vollständig von zwischenstaatlichen Handelsbeziehungen abzukoppeln („Schließung des Handelstaates“63). Die fälligen Maßnahmen zur Überführung des offenen Handelsstaates in den geschlossenen Handelsstaat sind politisch in dem spezifischen Sinn, daß die staatliche Macht den Außenhandel plötzlich und vollständig den privaten Händen entreißt und unter exklusiver staatlicher Aufsicht abwickelt. 57 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 106. Sonderstellung des Geschlossenen Handelsstaats in der politisch-philosophischen Literatur zum „ewigen Frieden“ siehe Isaac Nakhimovsky: The Closed Commercial State. Perpetual Peace and Commercial Society from Rousseau to Fichte, Princeton/NJ 2011. 59 Kant: Zum ewigen Frieden, in: AA VIII, 341 – 386. 60 Kant: Die Metaphysik der Sitten, in: AA VI, 343, 311. 61 Kant, a. a. O. 350. 62 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 120, 127. 63 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 113. 58 Zur
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Doch erstreckt sich die spezifisch politische Dimension der Schließung des Handelsstaates noch weiter und reicht über das engere Unternehmen der Entprivatisierung des Außenhandels hinaus. Zusammen mit dem Außenhandel soll nämlich auch der Binnenhandel umfassender staatlicher Kontrolle unterstellt und so die gesamte Wirtschaft effektiv verstaatlicht werden – von der Warenproduktion über die Preispolitik bis zur Regulierung der Märkte. Im Unterschied zu späteren Ausprägungen von Planwirtschaft umfaßt die von Fichte vorgesehene Verstaatlichung der Wirtschaft allerdings nicht die Abschaffung von Privateigentum qua exklusiver Handlungsbefugnis und auch nicht die Verstaatlichung von Landwirtschafts- und Industriegütern. Verstaatlicht werden soll in Fichtes zuerst sich schließendem und daraufhin geschlossenem Handelsstaat vielmehr der gesellschaftliche Umgang mit Privateigentum und Wirtschaftsgütern. Die Politik der kompletten Verschließung des Handelsstaates ist zugleich die Politik der vollständigen staatlichen Erschließung des Handelsstaates. Die im Titel des Dritten Buches angekündigte „Politik“ ist also primär auf den politischen Vorgang der Schließung des Außenhandels samt der damit verbundenen Arrondierung des Binnenhandels bezogen und im wesentlichen auch darauf beschränkt. Nach Fichtes Verständnis ist der einmal eingerichtete geschlossene Handelsstaat nicht mehr eigentlich Gegenstand von Politik. Denn Politik besteht, nach Fichtes restriktiver Auffassung64, in der schrittweisen Anbahnung des Rechtsstaates unter Bedingungen der Zeitgeschichte. Sobald der rechtlich geforderte geschlossene Handelsstaat („vernunftmäßige Einrichtung des Handels“65) zustande gekommen ist, entfällt das Erfordernis von Politik in dem spezifischen, zeitgeschichtlich bedingten Sinn zugunsten der unvermittelten, metapolitischen Herrschaft von vernünftigem Recht und vernunftrechtlichem Gesetz. Im einzelnen unterscheidet Fichte die folgenden hauptsächlichen politischen Maßnahmen zur Schließung des Handelsstaates: die komplette staatliche Übernahme existierender Außenhandelsbeziehungen66, den schrittweisen Abbau aller Außenhandelsbeziehungen67, die Substitution von vormals importierten ausländischen Waren durch inländisch produzierte Substitute („Verpflanzung ausländischer Industrie in das Land“68), die zunehmende persönliche Verzichtleistung auf importierte Produkte („Entwöhnung der Nation“69), den vollständigen Ersatz von konvertierbarem Geld („Weltgeld“70) durch eine länderspezifische nicht-konvertierbare Währung („Landesgeld“, „das neue Geld“71) und die Fixierung von Güter64
Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 113 f. Handelsstaat, GA I/7, 113. 66 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 120, 128. 67 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 116. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 120. 71 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 120, 122. 65 Fichte:
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und Warenpreisen auf der Basis eines Grundnahrungsmittels („das angenommene Grundmaas alles Werths, die Brodfrucht“72). Zu diesen im engeren Sinne binnenwirtschaftlichen politischen Maßnahmen kommt als außenpolitische Maßnahme in wirtschaftspolitischer Absicht die territoriale Arrondierung des Staates zum Zweck seiner ökonomischen Autarkie („natürliche Grenzen“73). Die von Fichte anvisierten Maßnahmen sind aber nicht nur politisch im eminenten Sinne einer ultimativen Politik zum Zweck der Selbstverabschiedung der zeitgeschichtlich vermittelten Politik zugunsten der präterhistorischen Herrschaft des reinen Rechts. Die einschlägigen Maßnahmen der Politik sind auch politisch im spezifischen Sinne der Politisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse und darüber hinaus der allgemeinen Lebensverhältnisse im endlich geschlossenen Handelsstaat. Die Wirtschaft generell und Produktion und Handel speziell unterliegen einer gesamtgesellschaftlichen Verwandlung, die aus der Sphäre privat initiierten und exekutierten Austauschs („Handelsfreiheit“74) einen genau geregelten Bereich unter strenger staatlicher Aufsicht und Regulierung („die Regulirung des öffentlichen Verkehrs, die Festsetzung der Preise, die Garantie des Zustandes Aller“75) werden läßt. Es ist bezeichnend, daß die für das freie Funktionieren von Warenhandel- und -verkehr etablierte Institution des Austauschs („Märkte“, „Markt“76) in Fichtes Politökonomie kaum Erwähnung und keine Berücksichtigung findet. Die Radikalität der von Fichte propagierten Politik der ökonomischen Schließung des Staates bekundet sich auch in einer Reihe von extremen Einzelmaßnahmen. So soll der Umtausch der konvertiblen in die inkonvertible Währung plötzlich („Ein Schlag“, „in Einem Augenblikke“77) erfolgen und im kompletten Einzug alles zirkulierenden Wertmetallgeldes („Einziehung des Goldes und Silbers“78) bestehen, das der Staat dann für den verbleibenden Austausch mit dem Ausland verwenden soll – darunter die wirtschaftlich angezeigte Anwerbung von Fachkräften und der Import von ausländischer Technologie, die dann kopiert werden soll79. Der in raren Fällen fortgesetzt erforderliche Import von nur im Ausland verfügbaren Produkten („sei es der Wein“) soll dagegen ohne monetäre Vermittlung als vertraglich geregelter Warenaustausch im Rückgriff auf im eigenen Land besonders ertragreich mögliche Produktion („etwa der Anbau des Korns“) ohne Verwendung von Geld („Tauschhandel“) und unter absolutem Ausschluß der Möglichkeit von Profit („von keiner Seite auf Gewinn“) erfolgen80. 72 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 78. Handelsstaat, GA I/7, 117. 74 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 113. 75 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 123. 76 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 99, 108. 77 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 123, 124. 78 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 123. 79 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 132. 80 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 136. 73 Fichte:
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Die prononciert politische Dimension der Schließung des Handelsstaates zeigt sich ferner in dessen Grenz- und Innenpolitik („Polizey“81). Dazu gehört die effektive Unterbindung von Schmuggel („strenge Aufsicht in den Seehäfen, und Grenzstädten“82) und die weitgehende Ausschaltung von Auslandsreisen, die streng beschränkt werden sollen auf einen kleinen Kreis von Experten, die aus wirtschaftlich-politischen Gründen das Ausland aufsuchen („nur der Gelehrte, und der höhere Künstler“83). Zwar sieht Fichte für den geschlossenen Handelsstaat die Möglichkeit der Emigration einzelner Bürger vor84. Doch erwartet er in der auf generelle wirtschaftliche Zufriedenheit ausgerichteten geschlossenen Gesellschaft kaum Abwanderung. Wer den geschlossenen Handelsstaat verlassen möchte, hat – so Fichte – Anspruch auf die ihm bei der Errichtung des geschlossenen Handelsstaates im Zwangsaustausch entzogenen Gelder, aber auch nur auf diese und nicht etwa auf den danach in der neuen Währung erwirtschafteten Besitz85. Überhaupt erwartet Fichte, daß in der ökonomisch saturierten und sekurierten Gesellschaft des geschlossenen Handelsstaates der Aufwand für staatliche Aufsicht und Kon trolle beträchtlich reduzieren sein wird („Leichtigkeit der Staatsverwaltung“86). Auch in außenpolitischer Hinsicht verknüpft Fichte die Errichtung des geschlossenen Handelsstaates mit dem Eintreten von Zufriedenheit und Befriedung. Zunächst aber muß der für die Schließung anstehende Handelsstaat seinen Herrschaftsbereich („Gebiet“87) unter Berücksichtigung geographischer Gegebenheiten („natürliche Grenzen“88) so ausdehnen, daß weitgehende dauerhafte wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet ist. Die militärisch-politische Einverleibung („Occupation“89) zusätzlicher Territorien („neue Provinzen“90) soll dabei auch deren wirtschaftliche Schließung umfassen. Nach erfolgter Arrondierung seines Territoriums soll dann der geschlossene Handelsstaat die eigene außenpolitische Saturiertheit bekanntmachen und fortan auf Expansion und Aggression Verzicht leisten („keinen Eroberungskrieg“91). Dem entsprechend soll auch das Militär reduziert werden können. In der irenischen Schlußperspektive des Geschlossenen Handelstaats ist der Austausch mit dem Ausland frei von Händel und Handel. Nicht Gewaltstreben noch Gewinnsucht bestimmen, Fichte zufolge, die verbleibenden Beziehungen des 81 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 141. Handelsstaat, GA I/7, 131. 83 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 137. 84 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 136 f. 85 Siehe Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 137. 86 Ebd. 87 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 119. 88 Ebd. 89 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 134. 90 Ebd. 91 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 138. 82 Fichte:
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geschlossenen Handelsstaates mit anderen Staaten, sondern der ungehinderte wissenschaftliche Austausch („freiste Mittheilung mit einander“92). Unter Voraussetzung der allgemeinen Überführung offener in geschlossene Handelsstaaten erwartet Fichte sogar einen permanenten globalen Friedenszustand („der ewige Friede zwischen den Völkern“93). Anders als in den völkerrechtlich konzipierten früheren Weltfriedensentwürfen (Rousseau, Kant) basiert der Fichtesche Friede zwischen geschlossenen Handelsstaaten also nicht auf gesetzlich geregelten Außenbeziehungen wirtschaftlicher und politischer Art, sondern auf gegenseitiger wirtschaftlicher und politischer Abschottung, die aus jedem der ökonomisch geschlossenen Staaten eine eigene, sich selbst genügsame, aber auch in sich geschlossene Welt („geschlossene Nation“94) werden lassen. Nach Fichtes Auffassung ist es speziell die monetäre Selbstisolation eines Staates („jene Einführung des Landesgeldes“95) zum Zweck der Errichtung eines geschlossenen Handelsstaates, die den geschlossenen Nationalstaat hervorbringt, den Fichte als Hort und Garanten des Weltfriedens in Aussicht stellt – der sich allerdings schon bald bei Fichte selbst, in den Reden an die deutsche Nation, und erst recht später als ganz und gar nicht so friedvoll erweisen sollte, wie von Fichte im Geschlossenen Handelsstaat vorgestellt. Literatur Adler, Anthony Curtis: „Interpretive Essay: Fichte’s Monetary History“, in: J.G. Fichte: The Closed Commercial State, translated and with an interpretive essay by Anthony Curtis Adler, Albany/NY 2012, 1 – 71. Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Kant, Immanuel Kant: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. Nakhimovsky, Isaac: The Closed Commercial State. Perpetual Peace and Commercial Society from Rousseau to Fichte, Princeton/NJ 2011. Zöller, Günter: „Leib, Materie und gemeinsames Wollen als Anwendungsbedingungen des Rechts“, in: Jean-Christophe Merle (Hg.): Fichtes Grundlage des Naturrechts (= Reihe Klassiker auslegen), Berlin 2001, 97 – 111. – „Politische Hermeneutik. Die philosophische Auslegung der Geschichte in Fichtes Reden an die deutsche Nation“, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik 7 (2008), 219 – 243. – „Der Staat und das Reich. Fichtes politische Geschichtsphilosophie“, in: Günter Zöller (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, Baden-Baden 2011, 189 – 205. 92 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 141.
93 Ebd. 94 Fichte: 95 Ebd.
Handelsstaat, GA I/7, 139.
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– „,… die wahre πολιτεία ist nur im Himmel.‘ Politische Geschichtsphilosophie im Spätwerk Fichtes und Schellings“, in: Schelling Studien 1 (2013), 51 – 71. – Fichte lesen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013. – Res Publica. Plato‘s „Republic“ in Classical German Philosophy, Hongkong 2015. – „,Liberté, Égalité, Fraternité‘ – ‚Ich‘, ‚Du‘, ‚Wir‘. Fichtes politisches Philosophieren“, erscheint in: Matteo d’Alfonso/Thomas Kisser/Petra Lohmann/Jacinto Riveira de Rosales (Hg.): Mit Fichte philosophieren. Perspektiven seiner Gesamtphilosophie nach 200 Jahren, Fichte-Studien Supplementa, Amsterdam/Boston. – (Hg.): Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, Baden-Baden 2011.
Der geschlossene Handelsstaat als Theorie der distributiven Gerechtigkeitmit Blick auf Fichtes Begriff der Politik David James Der geschlossene Handelsstaat als Theorie der distributiven Gerechtigkeit mit Blick auf Fichtes Begriff der Politik
I. Einleitung Johann Gottlieb Fichtes Schrift Der geschlossene Handelsstaat kann als Versuch betrachtet werden, zu bestimmen, was distributive Gerechtigkeit in Theorie und Praxis bedeutet. Von einem grundsätzlichen, theoretischen Gesichtspunkt her betrachtet, geht es in der distributiven Gerechtigkeit um jene Prinzipien gemäß denen bestimmte Güter verteilt werden sollen. Diese Prinzipien bestimmen die Rechtmäßigkeit jeder gegebenen Verteilungsweise. Weiter stellt sich auch die Frage: was sind denn die grundlegenden Güter, mit welchen es die Verteilungsgerechtigkeit zu tun hat? Diese Frage betrifft sowohl die Art der Güter als auch die Menge der Güter, die gemäß den Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit an Individuen und Gesellschaftsgruppen in nationaler und globaler Perspektive verteilt werden sollen. Im Rahmen einer solchen grundsätzlichen Betrachtung stellt sich auch die Frage nach der Reichweite der Verteilungsgerechtigkeit, d. h. die Frage, welche Art von Wesen und wie viele Vertreter dieser Art unter die Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit fallen. Im Folgenden zeige ich, in welcher Weise Der geschlossene Handelsstaat alle diese Fragen behandelt. Der geschlossene Handelsstaat geht von einer grundsätzlichen, theoretischen Ebene in eine Anwendungsebene über, indem er es unternimmt, ein Set von Maßnahmen bzw. Mechanismen festzuhalten, durch die eine gerechte Verteilung von Gütern stattfinden kann. Obwohl ein solcher Übergang von einer grundsätzlichen, theoretischen Ebene zur Anwendungsebene für moderne Theorien der distributiven Gerechtigkeit gar nicht charakteristisch ist, hat Fichte mindestens einen guten Grund dafür, nämlich, daß kein Prinzip sich selbst anwenden kann. Daher kann die Anwendung von Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit als ein notwendiger Bestandteil einer vollständigen Theorie der distributiven Gerechtigkeit betrachtet werden. Fichtes Versuch eine solche Anwendung durchzuführen, stellt ihn vor folgendes Problem: Inwieweit werden die konkreten Anwendungsbedingungen der Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit durch die geschichtliche Situation in Fichtes Zeit begünstigt oder gar erforderlich gemacht. Fichtes Auseinandersetzung mit dieser Frage führt ihn zu einer Betrachtung der Geschichte. Er betrachtet die Geschichte als eine Reihe von Ereignissen, die in Verbindung miteinander die gegenwärtige wirtschaftliche Lage bewirkt haben, auf die Der geschlossene Handelsstaat reagieren soll. Ein weiterer Punkt ist, daß Fichte auch bestimmen muß,
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durch wen bzw. durch welche Institutionen jene wirtschaftlichen Maßnahmen realisiert werden sollen, die er als Anwendungsbedingungen der Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit betrachtet. Nun, dieser Aufsatz soll Folgendes zeigen. Erstens möchte ich zeigen, inwieweit Der geschlossene Handelsstaat als Theorie der distributiven Gerechtigkeit betrachtet werden kann. Zweitens setze ich mich mit der Frage auseinander, ob Fichtes Begriff der Politik zureichend bzw. haltbar ist. Ich werde die These vertreten, daß Fichtes Begriff der Politik unter anderem nicht zureichend bzw. haltbar ist, da er die Bedeutung der Verknüpfung von Politik und Gewalt für seine Theorie der distributiven Gerechtigkeit herunterspielt bzw. nicht explizit thematisiert. Im Gegensatz dazu wird diese Verknüpfung in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts etwa bei Max Weber und Carl Schmitt ausdrücklich bedacht werden. Wenn auch eine explizite Thematisierung der Verknüpfung von Politik und Gewalt im Geschlossenen Handelsstaat fehlt, deutet doch die Art und Weise, wie nach Fichte die Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit anzuwenden sind, auf genau diese Verknüpfung hin. II. Der geschlossene Handelsstaat als Theorie der distributiven Gerechtigkeit Fichte hat bereits in seiner Grundlage des Naturrechts eine Darstellung der reinen Grundsätze des Rechts geliefert, die den Vernunftstaat bestimmen sollen. In diesem Werk unternimmt er eine Deduktion des Rechtbegriffs als der transzendentalen Bedingung der praktischen Form des Selbstbewußtseins einer Person, die als vernünftiges Wesen das Vermögen hat, Zwecke zu setzen und diese handelnd in der Sinnenwelt zu verwirklichen. Er versucht auch zu beweisen, daß eine staatliche Macht eine notwendige Anwendungsbedingung des Rechtsbegriffs ist. Außerdem folgt aus dem Gesellschaftsvertrag, durch den nach Fichte jede rechtlich konstituierte staatliche Macht entstehen soll, daß der Staat sowohl das Recht als auch die Verpflichtung hat, das Eigentum in solcher Weise zu verteilen, daß jeder arbeitsfähige Staatsbürger von seiner eigenen Arbeit leben können soll. An das zuletzt genannte Argument – nämlich daß man von seiner eigenen Arbeit leben können soll – sowie freilich auch an die anderen genannten grundlegenden Überlegungen der Grundlage des Naturrechts knüpft nun Der geschlossene Handelsstaat an. Im Naturzustand, d. h. im Zustand der natürlichen Freiheit, können die Menschen in ihrem Streben nach Ernährung und Annehmlichkeit des Lebens, gleiches Recht auf die Aneignung von Teilen bzw. Objekten der Sinnenwelt beanspruchen. Und weil allen Menschen dieses ursprüngliche Aneignungsrecht zukommt, können diese Teile der Sinnenwelt bzw. Objekte nicht als ausschließliches Eigentum eines einzelnen angesehen werden. Vielmehr hat jeder Mensch ursprünglich das Recht, diese nach Belieben zu beherrschen und zu benützen. In der Grundlage des Naturrechts beschreibt Fichte dieses Rechts der Person wie folgt: „das Recht, ihre Freiheit soweit auszudehnen, als sie kann und will, und, wenn es ihr beliebt, die ganze
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Sinnenwelt für sich in Besitz zu nehmen“1. Dennoch hat sich jeder Mensch mit den anderen über die Begrenzung ihrer Freiheitssphären zu verständigen. Warum? Der Grund dafür ist, daß eine effektive Zweckverwirklichung die Etablierung stabilerer Handlungsbedingungen zur Voraussetzung hat. Diese Handlungsbedingungen sind solcher Art, daß das Individuum die Wirkungen sowohl seiner Handlungen als auch der Handlungen anderer in zuverlässiger Weise vorhersehen kann. Daher ist es erforderlich, die eigene Freiheitssphäre teilweise zu begrenzen, solange die anderen gleichzeitig einer solchen Begrenzung ihrer Freiheitssphäre ebenso zustimmen. Diese Übereinkunft beruht auf einem bedingten, wechselseitigen Verzicht auf das Recht auf eine unbeschränkte bzw. willkürliche Ausdehnung der jeweiligen Freiheitssphäre. In dieser Weise entsteht eine wechselseitige Anerkennung des Rechts des jeweils anderen auf bestimmte Teile bzw. Objekte der Sinnenwelt, wodurch erst eine relativ stabile Wirkungssphäre für jeden etabliert wird. Diese wechselseitige Begrenzung des ursprünglichen Rechts auf alles kann aber nur von beschränkter Wirksamkeit sein, da derjenige, der dieser Übereinkunft nicht zustimmt, nicht verpflichtet wäre, sich an die Bedingungen dieser Übereinkunft zu halten. Nach Fichte kann dieses Problem nur gelöst werden, wenn alle zustimmen, eine staatliche Macht zu etablieren. Diese staatliche Macht muß sowohl mit der Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Zuordnung der jeweiligen Freiheitssphären als auch mit der entsprechenden Zwangsgewalt, die diese Zuordnung sicherstellen soll, ausgestattet sein. Mit anderen Worten: Erst mit der Etablierung einer staatlichen Macht, die von einem gemeinsamen Willen regiert wird, kann gedacht werden, daß die Freiheit des einen unter genau denselben Bedingungen steht wie die Freiheit des anderen. Dies macht es auch erforderlich, daß nicht bloß alle die gleichen Einschränkungen bzw. Belastungen zu tragen haben, sondern es muß zugleich ebenso gelten, daß dadurch alle denselben substantiellen Gewinn im Sinne der staatlichen Sicherung eines Eigentums, von dem jeder leben können soll, erhalten. In Bezug auf denjenigen, der diese Möglichkeit nicht hat, kann auch nicht vorausgesetzt werden, daß er sein ursprüngliches Recht auf alles aufgegeben hat. Vielmehr behält er „seinen ursprünglichen Rechtsanspruch allenthalben alles zu thun, was er nur will“2. Es geht daher nicht einfach um eine zufällige Übereinkunft, sondern eine Übereinkunft, deren Vernünftigkeit grundsätzlich für jeden einsehbar ist. Da die staatliche Macht eine notwendige Anwendungsbedingung des Rechtsbegriffs ist, leugnet Fichte die Möglichkeit von Eigentumsrechten außerhalb des Staates. Obwohl er die Konzeption des Staates als eines bloßen Garanten der persönlichen Rechte und des Eigentums in Prinzip nicht bestreitet, betont er, daß diese Konzeption nur aufrechterhalten werden kann, solange man nicht gleichzeitig 1 Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, in: ders.: Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth u.a., Stuttgart – Bad Cannstatt 1962 ff., Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA I/3, 412. 2 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 89.
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annimmt, daß ein Eigentumsrecht außerhalb des Staates gelten könnte. Vielmehr ist es „die Bestimmung des Staats, jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigenthum erst einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen“3. Fichtes Eigentumsbegriff schließt also die Möglichkeit einer ständig revisionierbaren Güterverteilung – freilich nach Maßgabe der Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit – in sich4. Es stellt sich hier die Frage: Was sind denn diese Prinzipien, die die staatliche Verteilung des Eigentums bestimmen sollen? Wir dürfen mit Blick auf diese Frage nicht vergessen, daß es in Fichtes Theorie des Eigentums letztlich um die Möglichkeitsbedingungen effektiven vernünftigen Handelns geht. Diese Rechte haben keine Gültigkeit an sich, sondern ihre Gültigkeit hängt alleine von ihrem instrumentalen Wert ab, den sie hinsichtlich der Freiheit als Zweck haben. Ohne diese Beziehung auf die Freiheit als Zweck hätten die Eigentumsrechte weder eine wirkliche Bedeutung noch eine wirkliche Rechtfertigung. Daraus folgt nun auch der Gedanke, daß der Verzicht auf das ursprüngliche Recht auf alles in angemessener Weise kompensiert werden muß, nachdem man in den Rechtszustand eingetreten ist. Nach Fichte erfüllt diese Forderung nur diejenige Art und Weise der Verteilung, die es den Menschen ermöglicht, ein Bewußtsein ihrer selbst als freie, vernünftig Handelnde zu erlangen. Es geht daher nicht einfach darum, einige beliebige Eigentumsrechte zu erhalten und garantiert zu bekommen. Vielmehr müssen diese Rechte dem Anspruch genügen, adäquate Mittel zur Ermöglichung freien, vernünftigen Handelns und des Selbstbewußtseins dieser Freiheit zu sein. Die grundlegende Rolle der Selbsttätigkeit im Rahmen der Sinnenwelt erklärt, warum Konflikte unter den Menschen entstehen können und dies ist es, was überhaupt erst eine Theorie des Rechts erforderlich macht. Mit anderen Worten: Konflikte können nur deshalb entstehen, weil es um ein praktisches – im Gegensatz zu einem bloß theoretischen – Verhältnis zur Welt und den in ihr enthaltenen Objekten geht. Fichte hebt dies folgendermaßen hervor: Daß Einer etwas zu eigen bekomme, geschieht nur, um den Streit Mehrerer über dasselbe zu vermitteln. Von dem Eigenthume eines auf einer unzugänglichen Insel isolirt lebenden Menschen, läßt sich gar nicht reden; auf ihn ist dieser Begriff ohne alle Anwendung. Er darf an sich nehmen, so viel er will und vermag. – Wie gerathen denn nun die Mehrern, zwischen welchen durch das Eigenthumsrecht vermittelt werden soll, in Streit, und wo ist denn der eigentliche Sitz ihres Streites? Offenbar gerathen sie nur durch thätige Äusserung ihrer Kraft in Streit.“5 Daraus folgt nach Fichte die Aufgabe für den Staat, die Selbsttätigkeit in Formen bzw. Arten von Tätigkeit einzuteilen und diese sodann den Individuen zuzuteilen. Demgemäß beschreibt er die ursprüngliche und primäre Form des Eigentums als 3 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 53. Zu Fichtes Eigentumsbegriff vgl.: David James: Fichte’s Social and Political Philosophy: Property and Virtue, Cambridge 2011, 21 – 55 und ders.: Rousseau and German Idealism: Freedom, Dependence and Necessity, Cambridge 2013, 109 – 119. 5 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 86 f. 4
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,ein ausschließendes Recht auf eine bestimmte freie Thätigkeit‘, was bedeutet, daß das Eigentumsrecht – in erster Linie und im strengen Sinne verstanden – ein ausschließendes Recht zu einer bestimmten freien Handlung bzw. Tätigkeit in Bezug auf ein Objekt, und erst in zweiter Linie ein Recht auf ein Ding ist6. Daher sind die Eigentumsrechte auf bestimmte Objekte von dem ausschließenden Recht auf eine bestimmte Art freien Handelns abhängig. Mit anderen Worten: Die Verteilung der Eigentumsrechte auf bestimmte Objekte hängt davon ab, ob sie für die wirksame Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sind. Aus dem zuvor Gesagten geht hervor, daß die Güter, die den primären Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit für Fichte ausmachen, die grundlegenden Bedingungen wirksamen vernünftigen Handelns sind. Wie wir bereits wissen, muß diese Verteilung von seiten des Staates auch erfolgen, um den Ausbruch möglicher Konflikte zwischen Individuen, die ihre eigene Zwecke verfolgen, zu verhindern. Diese Güterverteilung dient zunächst schon in ganz basaler Weise einem Zweck, der dem menschlichen Handeln mit zugrunde liegt, nämlich dem Zweck leben zu können. Dies ist freilich nicht so zu verstehen, daß die physische Selbsterhaltung der einzige Zweck und höchste Gegenstand menschlichen Handelns sei. In der Grundlage des Naturrechts macht Fichte deutlich, daß das Überleben-können nur insofern Zweck ist, als es die grundlegendste Bedingung allen weltbezogenen Handelns ist. Er behauptet, daß es nicht bloß um ein Existieren-Wollen rein um seiner selbst willen geht, sondern daß das fortgesetzte Existieren-Wollen immer auf eine bestimmte Weise des Existierens abzielt7. Kurz gesagt: Individuen streben nach der Selbsterhaltung ihres Lebens umwillen von Zwecken, die über das bloße physische Überleben hinausgehen, welches in Ermangelung anderer Zwecke wesentlich sinnlos wäre. So ist zwar physisches Existieren eine Bedingung solcher anderen Zwecke, aber nicht Selbstzweck. Die anderen Zwecke um derentwillen man existiert, können sehr unterschiedlich sein. Unbeschadet dieser Unterschiedlichkeit ist es jedoch so, daß die Verwirklichung dieser Zwecke – ob sie jetzt bloß der Annehmlichkeit des Lebens oder höheren Zwecken dienen – immer Rationalität in einem gewissen Ausmaß involviert, wobei dieses Ausmaß auch sehr unterschiedlich sein kann. Der primäre Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit ist daher, nach Fichte, vernünftiges, zweckgerichtetes Handeln überhaupt sowie die Bedingungen desselben. Die besonderen Güter, die in gleicher Weise verteilt werden sollen, müssen daher so gedacht werden, daß sie mehr als grundlegendes Mittel für das physische Überleben in sich schließen, nämlich alle die materiellen Bedingungen des Bewußtseins solchen Handelns und der effektiven Ausübung jener Tätigkeiten, die für das Überleben nötig sind. Was diese anderen Bedingungen genau in sich schließen, wird nicht vollständig deutlich gemacht. Fichte sagt zwar: „Nach dieser Gleichheit ihres Rechts muß die Theilung gemacht werden, so, daß alle und jeder so angenehm leben können, als es möglich ist, wenn so viele Menschen, als ihrer 6 Fichte: 7 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 85 f. Naturrecht, GA I,3, 408.
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vorhanden sind, in der vorhandenen Wirkungssphäre neben einander bestehen sollen“8. Indes gibt er keine präzise Erklärung von dem, was es bedeutet, so annehmlich wie möglich und gleichzeitig ohne Konflikt mit anderen zu leben. Abgesehen von der bestimmten Tätigkeit, durch die man von seiner eigenen Arbeit leben kann, und von den Mitteln zur effektiven Ausführung dieser Tätigkeit, gehören nach Fichte andere Güter wie Muße zu haben ebenfalls zu den Gegenständen der distributiven Gerechtigkeit. So behauptet er etwa: „Es ist nicht ein bloßer frommer Wunsch für die Menschheit, sondern es ist die unerläßliche Foderung ihres Rechts, und ihrer Bestimmung, daß sie so leicht, so frei, so gebietend über die Natur, so ächt menschlich auf der Erde lebe, als es die Natur nur irgend verstattet. Der Mensch soll arbeiten; aber nicht wie ein Lastthier, das unter seiner Bürde in den Schlaf sinkt, und nach der nothdürftigsten Erholung der erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit arbeiten, und Zeit übrig behalten, seinen Geist, und sein Auge zum Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist.“ 9
Hier haben wir ein Recht auf Arbeit nur unter bestimmten Bedingungen und ein Recht auf Freiheit von der Arbeit für eine ausreichende Zeit. Individuen haben diese beiden Rechte schon aufgrund ihrer Humanität. Fichte will daher konsequenter Weise den Wohlstand eines Staates nicht bloß in Hinblick auf das, was er produziert, sondern auch, und grundsätzlicher, hinsichtlich des jeweiligen Aufwandes, mit welchem die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger produziert werden können. Daraus folgt dann auch, daß der Reichtum einer Nation sich daran bemißt, wieviel Arbeit dazu erforderlich ist. Dieser Gedanke schließt in sich, daß es eine Aufgabe des Staates ist, soviel arbeitsfreie Zeit wie möglich zu sichern. Diese Folgerung finden wir bei Fichte dann in seiner Rechtslehre von 1812, in der die Muße explizit als Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit aufgefaßt wird10. Fichte sagt es zwar nicht, aber aus diesem Gedanken folgt auch, daß für ein angemessenes Ausübenkönnen von Muße ebenfalls bestimmte Objekte erforderlich sind. Die Verteilung der Muße hängt von Faktoren wie einer effizienten Organisation des Arbeitsprozesses sowie der zur Verfügung stehenden Technologie in der Produktion ab. Wenn man davon ausgeht, daß die distributive Gerechtigkeit eine prinzipiengemäße Verteilung von Gütern fordert, stellt sich in Hinblick auf das zuvor Gesagte eine Frage, die eine zentrale Rolle in den Debatten über die distributive Gerechtigkeit spielt: Wie gleich muß diese Verteilung sein? Fichte behauptet, daß „das Vorhandene unter Alle gleich vertheilt werde“11. Was meint aber Fichte näherhin, wenn er von gleicher Verteilung spricht? Einen Hinweis darauf, daß diese Gleichheit von Fichte in einem durchaus buchstäblichen Sinne aufgefaßt wird, finden wir in folgender Passage: „Wenn hundert Ackerbauer beisammen sind, und ein bestimmtes 8 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 55. Handelsstaat, GA I/7, 71. 10 Vgl. dazu James: Rousseau and German Idealism, a. a. O. 207 – 210. 11 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 56. 9 Fichte:
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Stück Boden in ihrer Gewalt haben, so ist freilich aus dem Rechtsgesetze klar, daß dieses Stück in hundert gleiche Theile getheilt, und jedem Ackerbauer einer davon zu eigen gegeben werden müsse“12. Wenn man dies so liest, daß sich Gleichheit schlicht auf die Größe von Grundstücken bezieht, aber diese gleich großen Grundstücke unterschiedlich fruchtbar bzw. nutzbar sind, dann wären die solcherart verteilten Güter hinsichtlich ihrer Qualität gerade nicht gleich. Eine buchstäbliche Interpretation der absolut gleichen Verteilung von Gütern und Ressourcen wird in der Tat nicht durch Fichtes Eigentumstheorie gefordert, die, wie wir gesehen haben, die Grundlage einer jeden gerechten Verteilung von Gütern und Ressourcen liefert. Dies liegt daran, daß es bei der gleichen Güterverteilung in erster Linie nicht einfach um gleiche Objekte geht, sondern um die gleiche Verteilung einer Tätigkeit, von welcher man leben kann. Für die erfolgreiche Ausübung einer bestimmten Tätigkeit mag der Besitz und Gebrauch von mehr Gütern und Ressourcen erforderlich sein als für eine andere Tätigkeit. Somit wird die Menge an jenem Eigentum, die über das hinausgeht, was zur tätigen Selbsterhaltung durch eigene Arbeit erforderlich ist, von dem Bedarf zur effektiven Verrichtung der relevanten Tätigkeit bestimmt. Es ist daher eine Ungleichheit hinsichtlich der Menge an Dingen, die man im Sinne eines exklusiven Benutzungsanspruchs besitzt, möglich. Darüber hinaus hängt die Verteilung der Art der Güter und Ressourcen nach Fichte von der jeweiligen Beschäftigung ab, der eine Person nachgeht; Fichte verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen dem „Ackerbauer“ und dem Philosophen oder Wissenschaftler13. Es scheint, als würde sich für Fichte eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Umfang der Verteilungsgerechtigkeit im Geschlossenen Handelsstaat – also die Frage, welche Art von Wesen und wie viele dieser relevanten Art unter die Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit fallen, sobald diese Prinzipien innerhalb eines gegebenen Staates angewendet werden – durch einen seiner Hauptvorschläge ergeben. Es ist dies der Vorschlag, daß der Staat sich von anderen Staaten dadurch abschließen soll, daß er in keine weiteren Handelsbeziehungen mit diesen eintritt, um ökonomisch tatsächlich unabhängig und vollständig selbständig hinsichtlich der Versorgung der grundlegenden Bedürfnisse seiner Bürger zu werden. Diese Maßnahme sei notwendig um sicherzustellen, daß der Staat das Wirtschaftsleben in einer Weise kontrollieren und regulieren kann, daß jede einzelne Person in der Lage ist, von ihrer Arbeit zu leben und sich anderer Vorzüge wie dem höchstmöglichen Ausmaß an Freiheit von der Arbeit zu erfreuen. Dementsprechend beschreibt Fichte den Staat zunächst in juridischem Sinne und dann in wirtschaftlichem Sinne wie folgt: „[E]ine geschloßne Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen, und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter und für einander eingeschränkt, und jeder, der nicht 12 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 88. Zum Non-Egalitarismus bei Fichte vgl.: James: Fichte’s Social and Political Philosophy, a. a. O. 82 – 85. 13
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unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Antheil an jenem Verkehr ausgeschlossen werden. Sie würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßnen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschloßnen juridischen Staat bildet“14
Somit scheint das kommerzielle Sich-Abschließen des Staates zugleich auch die Reichweite der distributiven Gerechtigkeit auf die Mitglieder dieser geschlossenen rechtlichen und wirtschaftlichen Gemeinschaft zu beschränken. Fichte sagt ganz direkt: „so ist der Vernunftstaat ein eben so durchaus geschloßner Handelsstaat, als er ein geschloßnes Reich der Gesetze und der Individuen ist. Jeder lebendige Mensch ist ein Bürger desselben, oder er ist es nicht“15. Diese Einschränkung der Reichweite der distributiven Gerechtigkeit wird durch jene Bedingungen nötig, unter denen Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit effektiv angewendet werden können – und zu diesen zählt Fichte das wirtschaftliche Sich-Abschließen des Staates. Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen prägt Fichtes Darstellung der Geschichte und der Politik im Geschlossenen Handelsstaat. Ich werde nun seinen Begriff der Politik in den Blick nehmen und dahingehend argumentieren, daß dieser letztlich als unvollständig betrachtet werden muß, da er die potentielle Gewalt herunterspielt, die gerade im Gedanken der Anwendung von Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit enthalten ist – insbesondere wenn diese Prinzipien so radikal sind, wie Fichte sie versteht. Um das Problem zu illustrieren, das ich herausstellen möchte, verweise ich auf eine Stelle der Rede „Sur la subsistance“, die Maximilien Robespierre in der Sitzung des Konvents vom 2. Dezember 1792 hielt. In dieser Stelle wird nämlich – durchaus im Sinne der Fichteschen Forderung16 – das Recht darauf, leben zu können, behauptet. Robespierre betont in dieser Rede, daß das Recht zu leben das grundlegendste unter den unveräußerlichen Rechten sei, weswegen das erste „Gesetz der Gesellschaft“ darin bestünde, die Mittel zur Subsistenz allen Mitgliedern der Gesellschaft zu garantieren. Dann hält er fest: „Sans doute si tous les hommes étoient justes et vertueux; si jamais la cupidité n’étoit tentée de dévorer la substance du peuple; si dociles à la voix de la raison et de la nature, tous les riches se regardoient comme les économes de la société, ou comme les frères du pauvre, on pourroit ne reconnâitre d’autre loi que la liberté la plus illimitée; mais s’il est vrai que l’avarice peut spéculer sur la misère, et la tyrannie elle-même sur le désespoir du peuple; s’il est vrai que toutes les passions déclarent la guerre à l’humanité souffrante, pourquoi les lois ne réprimeroient-elles pas ces abus? Pourquoi n’arrêteroient-elles pas la main homicide du monopoleur, comme celle de l’assassin ordinaire? Pourquoi ne s’occuperoient-elles pas de l’existence du peuple, après s’être si long-tems occupées des jouissances des grands, et de la puissance des despotes?“17 14 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 38. Handelsstaat, GA I/7, 70. 16 Vgl. Manfred Buhr: „Die Philosophie Johann Gottlieb Fichtes und die Französische Revolution“, in: Manfred Buhr und Domenico Losurdo (Hg.): Fichte – die Französische Revolution und das Ideal vom ewigen Frieden, Berlin 1991, 43 – 4. 15 Fichte:
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An dieser Passage möchte ich hauptsächlich hervorheben, daß das Gesetz und seine Anwendung nur aufgrund des moralischen Versagens von Teilen der Menschheit als notwendig angesehen werden. Bestünde die Menschheit aus völlig moralischen Wesen, dann wäre das Gesetz nicht notwendig und wir hätten in der Tat einen Zustand natürlicher Freiheit, in welchem die Individuen jene unveräußerlichen Rechte – wie das Recht der anderen auf die Mittel zur Subsistenz – anerkennen. In der Grundlage des Naturrechts vertritt Fichte deutlich die Auffassung, daß das Recht selbst die Moralität der Menschen nicht voraussetzen kann, was mit „der Voraussetzung eines allgemeinen Egoismus“18 verknüpft ist. 17
In Der geschlossene Handelsstaat vertritt er eine ähnliche Position, wenn er behauptet: „Der auf dem Gebiete der Rechtslehre anzunehmende Zweck aller freien Thätigkeit ist die Möglichkeit und Annehmlichkeit des Lebens“19. Dies impliziert, daß kein Grund zur Annahme besteht, daß sich Individuen um mehr als ihre Selbsterhaltung und den Genuß eines angenehmen Lebens – ihres eigenen und möglicherweise jener anderen, mit welchen sie durch emotionale Bindungen oder eine Form von gemeinsamen Interesse verknüpft sind – kümmern. Da die Anwendung des Gesetzes gemäß den Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit im Sinne Fichtes nicht einen moralisch guten Willen voraussetzen kann, sondern im Gegenteil mit moralischen Verfehlungen wie Gier und Praktiken wie der Monopolisierung grundlegender Lebensmittel zur Preissteigerung konfrontiert sein mag, ist es denkbar, daß ernsthafte Versuche seitens des Staates, Gesetze einzuführen, die diese Prinzipien realisieren, auf deutlichen Widerstand treffen. Robespierre ist in dieser Hinsicht eher optimistisch. Denn dem Einwand, daß die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen undurchführbar seien, entgegnet er schlicht dies, daß diese „aucune difficulté au bon sens et à la bonne foi“ darstellten und weder die Interessen des Handels noch die Eigentumsrechte verletzen würden 20. Was geschieht aber, wenn der gesunde Menschenverstand oder Treu und Glauben oder gar beides fehlt? Diese Frage wird im Fall Fichtes besonders dringlich, da die von ihm in Der geschlossene Handelsstaat vorgeschlagenen Maßnahmen evidentermaßen eine Bedrohung bestimmter Formen des Handels und des Privateigentums darstellen. Zugleich kann aufgrund seiner Trennung des Rechts von der Moralität nicht von der Annahme ausgegangen werden, daß Menschen gewillt sind, in Treu und Glauben zu handeln, d. h. daß sie ihre Privatinteressen unter die Interessen der Gesellschaft als Ganzer unterordnen, zumal wenn sie Nutznießer existierender wirtschaftlicher Verhältnisse sind, und, wie der Monopolist, in der Lage sind, diese Bedingungen zur Profitsteigerung auszunutzen. Fichte hätte von seinen Voraussetzungen her dies als Problem durchaus erkennen können. 17 Maximilien Robespierre: „Sur les subsistances“, in: Œuvres de Maximilien Robespierre, Band IX, hg. von M. Bouloiseau and A. Soboul, Paris 1958, 113 – 4. 18 Fichte: Naturrecht, GA I/3, 433 f. 19 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 65. 20 M. Robespierre, a. a. O. 114.
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III. Fichtes Begriff der Politik Die geschichtlichen Reflexionen, die sich im zweiten Buch von Der geschlossene Handelsstaat finden, werden zusammen mit einer Darstellung der Entstehung der Handelsbeziehungen, die zur Zeit Fichtes zwischen den europäischen Staaten existierten, präsentiert. Diese Darstellung soll bestimmen, inwieweit sich die existierenden Staaten bereits auf dem Weg der wirtschaftlichen Abschließung befinden, d. h. inwieweit sie die fundamentalen Bedingungen derselben erfüllen. Darüber hinaus will Fichte ebenso zeigen, daß diese Handelsbeziehungen von bloß akzidenteller, mithin zufälliger Natur sind – auch wenn viele seiner Zeitgenossen diese für quasi-natürlich und damit als notwendig betrachten. Der Aufweis dessen, daß diese Beziehungen wesentlich kontingent sind, soll Fichte dazu dienen, seinen Lesern die Möglichkeit bewußt zu machen, daß diese durch eine vollständig andere Gestalt von Wirtschaftsbeziehungen ersetzt werden können, nämlich von jenen, die auf den Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit beruhen, die er identifiziert. Zugleich will Fichte zeigen, daß die geschichtlichen Umstände selbst die Abgeschlossenheit der staatlichen Wirtschaft im Sinne einer praktischen Notwendigkeit erforderlich machen. Zuallererst deshalb, weil der sich bereits vollzogene Prozeß der Ausbildung unabhängiger rechtlicher und politischer Gemeinschaften den weiteren Schritt der wirtschaftlichen Abgeschlossenheit dieser Staaten zur logischen Konsequenz hat, und zwar mit dem Ziel, diese in ökonomisch unabhängige und selbständige Einheiten zu verwandeln. Zweitens aufgrund dessen, daß diese wirtschaftliche Abgeschlossenheit des Staates das einzige effektive Mittel zur Überwindung des zwischenstaatlichen Konflikts ist, der mit der Herausbildung der politisch unabhängigen Staaten einherging, zumal eine der Hauptquellen für diesen Konflikt deren wirtschaftliche Rivalität war21. Solcherart nimmt Fichte einerseits den Gedanken der Kontingenz, andererseits den Gedanken der logischen und praktischen Notwendigkeit in Anspruch. Diese Formen von Notwendigkeit schließen jedoch keinerlei geschichtliche Notwendigkeit in dem Sinne in sich, daß Ereignisse oder Sachverhalte, die logisch oder praktisch erforderlich sind, letztendlich im Verlauf der Menschheitsgeschichte auftreten müssen. Es ist vielmehr etwas Zusätzliches erforderlich, um diese Ereignisse oder Sachverhalte herbeizuführen, nämlich Akte des politischen Willens. In dieser Hinsicht können Fichtes geschichtliche Reflexionen nicht isoliert von seinem Begriff der Politik, wie er in Der geschlossene Handelsstaat umrissen wird, betrachtet werden. Ich werde die Auffassung vertreten, daß dieses Verhältnis zwischen Geschichte und diesem Begriff der Politik ein Problem erzeugt, nämlich hinsichtlich der Weise, in der Fichte akzeptiert, daß eine voll ausgebildete Theorie der distributiven Gerechtigkeit eine Darstellung dessen fordert, wie ihre Prinzipien auf existierende Staaten angewendet werden können, wenn auch nur auf einer allgemeinen Ebene. 21 Eine Interpretation von Der geschlossene Handelsstaat, die diesen Aspekt betont, findet sich bei Isaac Nakhimovsky: The Closed Commercial State. Perpetual Peace and Commercial Society from Rousseau to Fichte, Princeton 2011.
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Einerseits akzeptiert Fichte, daß die Anwendung der Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit normalerweise den Einsatz von Zwangsgewalt erforderlich macht und daher mit dem Phänomen der Gewalt verknüpft ist, selbst wenn Gewalt hier als durch ihre Zwecke legitimiert aufgefaßt wird. Zum Beispiel billigt er, daß fixierte Preise nur durch Strafe aufrechterhalten werden können und daß der Staat „verbunden [ist], den aus diesem Gleichgewichte des Verkehrs erfolgenden Zustand allen seinen Bürgern durch Gesez und Zwang zuzusichern“22. Andererseits gibt Fichte manchmal zu bedeuten, daß seine Vorschläge schon deshalb akzeptiert werden könnten, weil die Menschen letztlich einsehen, daß sie ihren eigensten Interessen dienen. Zum Beispiel können zwar durch die staatliche Einführung einer nationalen Währung sowie durch eine Konfiszierung jeglicher Weltwährung in der Form von Gold und Silber von den Bürgern – um sicherzustellen, daß sie nicht in wirtschaftliche Beziehungen mit Fremden eintreten können –, Zweifel, Bedenklichkeiten und Mißtrauen veranlaßt werden. Fichte behauptet, daß diese am effektivsten durch das Faktum des Erfolges dieser Maßnahmen behoben werden können23. Er stellt auch fest, daß Widerstand vermieden werden würde, wenn die Staatsbürger gar keine andere Wahl hätten, außer die neu eingeführte nationale Währung zu gebrauchen: „Es bedarf hiebei keiner Strenge, keines Verbots, keines Strafgesetzes“24. In ähnlicher Weise meint Fichte, daß der Staat schlicht durch die Beseitigung tatsächlicher materieller Not sowie der Angst vor einer etwaigen, in der Zukunft entstehenden Not die Hauptquelle menschlicher Konflikte beseitigen könnte. Die Regierung hat daher unter der Annahme, daß dieses Ziel bereits erreicht ist, „selten zu strafen, selten gehässige Untersuchungen anzustellen“25. Fichte behauptet darüber hinaus: wenn das wirtschaftliche Sich-Abschließen stattfindet, „so ergiebt alles übrige sich gar leicht: und die von nun an zu befolgenden Maasregeln liegen nicht mehr auf dem Gebiete der Politik, sondern auf dem der reinen Rechtslehre“26. Hier klingt es so, als würden Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit sich selbst anwenden – solange nur das wirtschaftliche Sich-Abschließen des Staates gegeben ist – und daß die Politik an ein Ende kommt im Sinne dessen, daß sie nicht mehr notwendig ist. Dieser Akt des Sich-Abschließens, den Fichte für einen wesentlichen politischen Akt im Zusammenhang mit der Anwendung der Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit hält, mag jedoch den Einsatz von Gewalt erforderlich machen. Ich will daher die Art und Weise hinterfragen, in der Fichtes Auffassung von Politik die Herstellung einer ausdrücklichen Verbindung zwischen Politik und Gewalt zu vermeiden scheint. Im dritten Abschnitt des zweiten Teils der Grundlage des Naturrechts heißt es: „[d]iejenige Wissenschaft, welche es mit einem besondern, durch zufällige Merk22 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 69. Handelsstaat, GA I/7, 123. 24 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 124. 25 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 138. 26 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 114. 23 Fichte:
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male (empirisch) bestimmten Staate zu thun hat; und betrachtet, wie das Rechtsgesez in ihm sich am füglichsten realisiren lasse, heißt Politik“27. Diese Auffassung der Politik als einer von der reinen Theorie des Rechts unterschiedenen Wissenschaft wird in der Einleitung zu Der geschlossene Handelsstaat wiederholt, wenn Fichte eine Unterscheidung einzieht zwischen dem Vernunftstaat und dem wirklichen Staat. Während der Vernunftstaat mit der Frage verbunden ist, was recht ist, ist der wirkliche Staat mit der Frage verknüpft, zu welchem Umfang es unter den gegebenen Umständen möglich ist, die Prinzipien, die den Vernunftstaat regieren würden, auf einen einzelnen Staat anzuwenden. Fichte verknüpft dann die Politik selbst mit der „Regierungswissenschaft“ des wirklichen Staats, soweit dies in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Vernunftstaats möglich ist. Mit anderen Worten: Politik ist mit der Ausübung der Urteilskraft befaßt, wenn es darum geht, die Prinzipien des Vernunftstaates auf existierende Bedingungen anzuwenden, und „so läge diese Politik in der Mitte zwischen dem gegebnen Staate und dem Vernunftstaate: sie beschriebe die stete Linie, durch welche der erstere sich in den letztern verwandelt, und endigte in das reine Staatsrecht“28. Wie in der Grundlage des Naturrechts wird Politik auch hier so verstanden, daß sie sich in erster Linie darum dreht, wie die Prinzipien des reinen politischen Rechts auf empirische Staaten angewandt werden können. Eine weitergehende Anleitung bezüglich dieser Ebene der Anwendung wird im Geschlossenen Handelsstaat gegeben, wo Fichte auch ein anderes Charakteristikum seines Begriffs der Politik deutlich macht. Dieses Charakteristikum ist, daß die Sphäre des Politischen ausschließlich jenen Menschen gehört, die bereits mit politischer Macht ausgestattet sind. Der Philosoph kann daher nur eine leitende Funktion in demjenigen politischen Prozeß innehaben, in welchem es darum geht, einen existierenden Staat sukzessiv gemäß der Prinzipien des Vernunftstaates umzugestalten. Solcherart wird vorgesehen, daß der Philosoph und der Staatsmann in einer Weise zusammenarbeiten, die jegliche Form politischer Agitation auf Seiten des Volkes unnötig macht. Vielmehr werden alle Debatten hinsichtlich der Umbildung eines wirklichen Staates in einen vernunftgemäßen Staat ausschließlich auf der Ebene der Regierung und der Gelehrten geführt werden. Die Kombination von existierender politischer Macht und Philosophie erinnert an jene, die Platon als einzige Lösung angesichts der Übel, die schlecht regierte Menschen zu tragen haben, vorsah. Auch wenn Fichte nicht so weit gehen würde zu behaupten, daß es der Philosoph selbst ist, der politische Macht haben sollte oder daß die Machthaber Philosophen werden sollten, kommt er später gleichwohl nahe daran, die zweite Option zu vertreten. Daß Fichte seine Hoffnung zunehmend in einen der zweiten Option ähnlichen Weg setzte, erhellt vor dem Hintergrund der Bedeutung, die er der Erziehung beimißt, was nahelegt, daß er, wie Platon, der Auffassung war, daß eine bestimmte Art von Erziehung erforderlich sei, um Individuen hervorzubringen, die wirklich kompetent sind, politische Autorität aus27 Fichte: 28 Fichte:
Naturrecht, GA I/4, 80. Handelsstaat, GA I/7, 51.
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zuüben. So kommt Fichte in den Vorlesungen, die er über das Wesen des Gelehrten an der Universität Erlangen 1805 hielt und im folgenden Jahr veröffentlichte, auf die Verknüpfung zwischen Philosophie und politischer Autorität zu sprechen, die sein Verständnis von Politik bereits durchdrungen hatte. In der ersten dieser Vorlesungen definiert Fichte den wahren Gelehrten als denjenigen, der durch „die gelehrte Bildung des Zeitalters“29 Wissen um „die göttliche Idee“ erlangt hat oder zumindest danach strebt, dieses zu erlangen. Der Besitz dieses Wissens wird als notwendige Bedingung für das Einwirken-können des Gelehrten auf die Welt angesehen. Dieses kann sich in zweifacher Weise vollziehen: indem auf den Sinn und Geist der anderen eingewirkt wird, um diese für die Aufnahme der Idee vorzubereiten oder in der Gestaltung der Welt in Übereinstimmung mit derselben. In Bezug auf Fichtes Auffassung der Politik ist es wichtig, daß diese Gestaltung der Welt eben in der Formung der Gesetzgebung und der sozialen Verhältnisse „nach der göttlichen Idee des Rechts“30 bestünde. Darüber hinaus behauptet Fichte, daß niemand, der nicht ein wahrer Gelehrter ist, in die Ausrichtung und Ordnung der menschlichen Angelegenheiten eingreifen soll. Dies impliziert, daß dem Philosophen, der Wissen um die göttliche Idee besitzt, eine Schlüsselrolle im politischen Leben zukommt – wenn auch unter Umständen nur eine indirekte, nämlich dieses Wissen anderen mitzuteilen, deren Sinn und Geist er für die Aufnahme dieses Wissens bereitet und emporgehoben hat und die dann danach trachten, nicht nur die gesetzlichen und sozialen, sondern auch die ökonomischen Verhältnisse in Übereinstimmung mit ihrem Wissen um die göttliche Idee der Gerechtigkeit zu gestalten. Daß nach Fichte der Philosoph nur eine indirekte Rolle in den politischen Angelegenheiten spielt, legt eine Passage seiner siebten Vorlesung nahe. Darin unterscheidet er zwischen zwei Gattungen von Gelehrten: einer, deren Ziel das Führen der menschlichen Angelegenheiten ist und einer anderen, den Gelehrten im eigentlichen Sinne, deren Bestimmung darin besteht, das Wissen der göttlichen Idee unter den Menschen zu erhalten, indem sie dieser Idee eine immer klarere und präzisere Form geben. In dieser Passage heißt es, daß nur die erste Gattung der Gelehrten direkt auf die Welt einwirken, solcherart den „unmittelbare[n] Berührungspunkt Gottes mit der Wirklichkeit“ bildend; die Vertreter der zweiten Gattung hingegen seien die „Vermittler zwischen der reinen Geistigkeit des Gedankens in der Gottheit, und der materiellen Kraft und Wirksamkeit, welche dieser Gedanke durch die erstern erhält“ und als solche die „Bildner“ der ersten Gattung der Gelehrten31. Fichte ergänzt, daß niemand der ersten Gattung der Gelehrten angehören könne ohne zuerst der zweiten angehört zu haben. Da in der nächsten Vorlesung die Angehörigen der ersten Gattung als die Regierenden identifiziert werden32, kann diese dahingehend interpretiert werden, daß jedes mit politischer Macht ausgestattete 29 Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit, GA I/8, 65. 30 Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten, GA I/8, 66. 31 Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten, GA I/8, 114. 32 Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten, GA I/8, 118.
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Individuum zuerst Wissen um die göttliche Idee der Gerechtigkeit durch die von der zweiten Klasse der Gelehrten geleitete Erziehung erhalten muß. Die Vertreter der zweiten Klasse der Gelehrten haben nach Fichte eine doppelte Aufgabe: einerseits den Sinn und Geist für die Aufnahme des Wissens um die göttliche Idee vorzubereiten und heranzubilden und andererseits das Hervorbringen dieses Wissens in ausgearbeiteter und deutlicher Gestalt für jene, deren Geist bereits für dessen Aufnahme vorbereitet worden ist. Die erste Form von Aktivität findet nach Fichte „durch mündliche Vorträge der Gelehrten-Erzieher“ statt, die zweite „durch gelehrte Schriften“33. Beide Aktivitäten können kombiniert werden – und wir müssen annehmen, daß sich Fichte, indem er selbst sowohl Universitätsprofessor als auch öffentlicher Redner und Publizist war, selbst als jemanden betrachtete, der beides in seinem Tun vereint. Fichtes Begriff der Politik zusammen mit der Tatsache, daß Der geschlossene Handelsstaat eine Widmung an den Preußischen Handels- und Finanzminister Karl August von Struensee trägt, weisen darauf hin, daß er auch hoffte, durch seine Schriften die Politik beeinflussen zu können, wenngleich die politisch Mächtigen durch philosophische Erziehung zur Aufnahme der göttlichen Idee der Gerechtigkeit vorbereitet gewesen sein mußten. Dieser Begriff der Politik beseitigt jedoch nicht die bestimmte Art der Verknüpfung zwischen Politik und Gewalt, die Fichtes Der geschlossene Handelsstaat wohl enthält aber herunterspielt. Denn jeglicher Versuch der Machthabenden, auf einen existierenden Staat die Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit in Gestalt der von Fichte festgehaltenen distributiven Maßnahmen anzuwenden, mag einen höheren oder niedrigeren Grad an Widerstand erfahren, der – je nach Umfang und Dauerhaftigkeit – die vollständige Anwendung dieser Prinzipien und die Wirksamkeit der zur Anwendung nötigen Maßnahmen untergräbt. Dies ist natürlich möglich im Fall des wirtschaftlichen Sich-Abschließens des Staates, das nach Fichte das Ziel der Politik im geschlossenen Handelsstaat ausmacht. So erkennt Fichte selbst, daß es eine Verbindung zwischen diesem Akt und der Gewalt gibt, wenn er einräumt, daß die Sicherung der „natürlichen“ Grenzen des Staates, die eine notwendige Bedingung des erfolgreichen wirtschaftlichen Sich-Abschließens des Staates ist, zu zumindest kurzfri stigen Kriegen zwischen Staaten führen dürfte34. Er deutet auch andere Gründe an, daß der Einsatz von Gewalt diesen Akt der wirtschaftlichen Abschließung und die damit verknüpften speziellen Maßnahmen fast unumgänglich begleiten muß. Die hier in Frage stehenden Gründe betreffen die Anwendung der Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb eines gegebenen Staates. Fichte charakterisiert das Verteilungsschema, das man normalerweise antrifft, bevor ein Verteilungsschema gemäß den Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit bestimmt wurde, als beruhend auf einer Aufteilung, „welche vor dem Erwachen und der Herrschaft der Vernunft durch Zufall und Gewalt gemacht ist“, in der nicht 33 Fichte: 34 Fichte:
Ueber das Wesen des Gelehrten, GA I/8, 125. Handelsstaat, GA I/7, 118 f.
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jeder das erhält, was rechtlich das Seine ist, „indem andere mehr an sich zogen, als auf ihren Theil kam“35. Wenn man davon ausgeht, daß einige Menschen mehr als den ihnen zustehenden Anteil genommen haben, als sie die Gelegenheit dafür hatten, stellt sich die Frage, ob der Gedanke plausibel ist, daß der Einsatz von Gewalt in einigen Fällen nicht erforderlich sei, um zu verhindern, daß diese Leute an dem, was sie schon haben, weiterhin festhalten und um die von Fichtes Theorie geforderte, potentiell radikale Umverteilung der Güter und Ressourcen zu ermöglichen? Diese Frage ist insbesondere dann angemessen, wenn sich diejenigen, die im Begriff sind, durch eine Neuverteilung der Güter und Ressourcen Verluste hinnehmen zu müssen, zusammenschließen und das, worüber sie schon verfügen, dazu verwenden, die Dienstbarkeit anderer zu erkaufen, um die bestehenden Verhältnisse, die ihnen mehr als anderen zu Gute kommen, zu erhalten und weiterzuführen. Außerdem wird sich unter solchen Leuten wohl die Art von Personen finden, die nach Fichte das, „was strenge Regelmäßigkeit und einen festgeordneten, durchaus gleichförmigen Gang der Dinge beabsichtigt, als eine Beeinträchtigung ihrer natürlichen Freiheit“36 ansehen. Es scheint also etwas in Fichtes Begriff des geschlossenen Handelsstaats zu fehlen, nämlich die explizite Anerkennung der Verbindung zwischen Gewalt und einer Form von Politik, die sich in erster Linie mit der Anwendung von Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit befaßt, die von so radikaler Natur sind, wie Fichte selbst sie bestimmt. Bedeutet das, daß Fichte ausdrücklich hätte einräumen sollen, daß die Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit, die er ansetzt, ohne Gebrauch von Gewalt nicht vollständig anwendbar sind? Und daß sich das politische Urteil daher auch mit dem Streben nach einer Minimierung des Einsatzes von Gewalt auseinanderzusetzen hat? Man könnte dagegen einwenden: Obwohl Der geschlossene Handelsstaat eine Verknüpfung von Verteilungsgerechtigkeit und Gewalt als eines Mittels zur Durchsetzung dieser Form der Gerechtigkeit in sich zu schließen scheint, ist die Verknüpfung keine von strenger Notwendigkeit. Denn man kann sich zumindest eine Situation vorstellen, in der die Individuen bereitwillig den Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit Folge leisten und die Maßnahmen annehmen, die durch die Realisierung dieser Prinzipien gefordert sind, sogar wenn dies die Neuverteilung eines Teils ihres Eigentums zu anderen bedeutet. Trotzdem ist diese Verknüpfung im Falle des Geschlossenen Handelsstaats wohl eine starke. Wenn Fichte erlauben würde, daß so anspruchsvolle Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit wie jene, die er angesetzt hat, aufgrund der Notwendigkeit der Vermeidung von Gewalt nur unvollständig angewendet werden können, dann würde sich die Frage stellen, weshalb das Vermeiden von Gewalt den Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit übergeordnet werden sollte. Das ist aber eine Frage, die Der geschlossene Handelsstaat nicht in den Blick nimmt37. 35 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 56. Handelsstaat, GA I/7, 140. 37 Der vorliegende Beitrag wurde von Max Gottschlich aus dem Englischen übersetzt. 36 Fichte:
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Literatur Buhr, Manfred: „Die Philosophie Johann Gottlieb Fichtes und die Französische Revolu tion“, in: Manfred Buhr und Domenico Losurdo (Hg.): Fichte – die Französische Revolution und das Ideal vom ewigen Frieden, Berlin 1991. Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. James, David: Fichte’s Social and Political Philosophy: Property and Virtue, Cambridge 2011. – Rousseau and German Idealism: Freedom, Dependence and Necessity, Cambridge 2013. Nakhimovsky, Isaac: The Closed Commercial State. Perpetual Peace and Commercial Society from Rousseau to Fichte, Princeton 2011. Robespierre, Maximilien: „Sur les subsistances“, in: Œuvres de Maximilien Robespierre, Band IX, hg. von M. Bouloiseau and A. Soboul, Paris 1958.
Wirtschaft als System? Fichtes rechtsphilosophische Alternative zu einem neuzeitlichen Dogma Thomas Sören Hoffmann Wirtschaft als System? Fichtes rechtsphilosophische Alternative zu einem neuzeitlichen Dogma
„Wer das Recht zum Zwecke hat, der hat es zu dem einzigen Mittel, welches zum Zwecke führt“. Fichte, Der geschlossene Handelsstaat1
I. Wirtschaftsphilosophie im Zeichen des Rechts Fichte, der Wissenschaftslehrer von Profession, ist in allen Phasen seiner Denk entwicklung nicht nur Prinzipientheoretiker, sondern auch entschieden politischer Autor gewesen. Angefangen von den frühen Revolutionsschriften über die Reden an die deutsche Nation bis zu den späten Rechts- und Staatslehren treffen wir in Fichte entsprechend stets den wachen Zeitgenossen und Diagnostiker epochaler Übel, darüber hinaus aber auch den unter Ausnutzung aller Ressourcen der Einbildungskraft politische Ziele vor-bildenden Lehrer, der uns den aus Vernunftgründen zu erreichenden öffentlichen Zustand zusammen mit dem Weg dorthin plastisch vor Augen malt. Der Schritt in die Sphären der politischen Empirie ist bei Fichte dabei niemals nur Beiwerk und Appendix der „eigentlichen“ Philosophie. Fichtes Philosophie ist vielmehr ihrem Gesamtduktus nach Lehre von der Einbildung der Vernunft in die äußere, sinnliche Welt. Sie greift entsprechend aus eigenem Antrieb, so sehr sie zunächst dem Apriori verpflichtet ist, in die dem Wechsel der Zeiten unterworfene Prosa des Alltags ein – nicht unbedingt, um diese, wie es den Romantikern vorgeschwebt haben mag, in gelebte Poesie zu verwandeln, wohl aber, um auch das zeitliche Leben und sein Alltagsgeschäft in einen Horizont zu stellen, der ihm Dimensionen gibt, mit denen das philosophische Interesse beginnt. Fichtes im Jahre 1800 erschienene Abhandlung Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künf1 Fichtes Schrift Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik wird im folgenden zitiert nach der Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth u.a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff., dort Bd. I, 7: Werke 1800 – 1801, unter Mitwirkung von Erich Fuchs und Peter K. Schneider, hg. von Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth, Stuttgart – Bad Cannstatt 1988, zitiert. Das als Motto ausgewählte Zitat findet sich GA I/7, 72.
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tig zu liefernden Politik ist der am meisten ins Detail gehende Versuch unseres Philosophen, Philosophie auf eine empirische Handlungssphäre hin zu entfalten. Die diesem Versuch zugrundeliegende These lautet – wie wir vorgreifend sagen können –, daß der die Sphäre des Wirtschaftshandelns auf Vernunft hin transparent machende Horizont jedenfalls nicht schon durch die Ökonomie und ihre Logik als solche konstituiert sein kann: es gibt bei Fichte keine eigenständige „ökonomische Logik“, noch weniger eine Ökonomie als letztlich sich selbst genügendes, sich selbst erhaltendes, „autopoietisches“ System 2. Ebenso erfolgt die rationale Erschließung des Wirtschaftshandelns nicht vom Standpunkt der Ethik, bei Fichte: der „Sittenlehre“, aus: Fichte ist keineswegs – was unbedingt festzuhalten ist – als früher „Wirtschaftsethiker“ zu verstehen, der die von ihm aufgedeckten mancherlei Unzuträglichkeiten der existierenden ökonomischen Ordnung durch Rückgriff auf das Moralprinzip zu überwinden getrachtet hätte3. Was Fichte statt dessen betreibt, ist die konsequente Erschließung der ökonomischen Sphäre von der Rechtsidee aus – von der Rechtsidee, wie sie seine eigene Rechtslehre – nicht zuletzt in Beziehung auf das ebenso basale wie normative Anerkennungsverhältnis – neu grundgelegt und als notwendig zu habenden Gedanken eines jeden im Bereich des Endlichen frei sein wollenden Vernunftwesens entfaltet hat. Wie schon der Untertitel des Geschlossenen Handelsstaats, der von einem „Anhang zur Rechtslehre“ spricht, klar anzeigt, ist der Fichtesche Ausgangspunkt für eine philosophische Befassung mit der Ökonomie immer das Recht, so daß wir als zunächst gar nicht weiter zu erörternde Grundthese festhalten können: Die allgemeine normative Handlungslogik des ökonomischen Handelns ist die Logik des Rechthandelns im Sinne der Rechtsidee. Diese These ist wichtig genug, impliziert sie doch, daß es bei Fichte einen prinzipiellen (nicht etwa nur optionalen oder „politischen“) Primat des Rechts gegenüber der Ökonomie gibt, woraus unmittelbar die politische Aufgabe folgt, diesen Primat auch praktisch zur Geltung zu bringen, d. h. der Ökonomie das Auge des Rechts einzusetzen. Die primäre Aufgabe einer „spekulativen“ oder rein-rationalen Politik ist es entsprechend, die Rechtsförmigkeit auf das Wirtschaftshan2
Fichte unterscheidet sich, wie wir genauer sehen werden, in diesem Punkt gerade von der „avancierten“ ökonomischen Theorie der eigenen Zeit, die spätestens seit Smith begonnen hatte, Ökonomie eben als sich selbst genügenden Handlungszusammenhang und in diesem Sinne auch als sich selbst organisierendes „System“ zu verstehen. Fichte läßt so denn auch dem „berühmte[n] Schriftsteller“ (Handelsstaat, GA I/7, 96) Adam Smith gegenüber immer Vorsicht walten. Er stellt ihm die Position entgegen, daß das sich selbst überlassene ökonomische Handeln gerade „antisystemisch“ und (vom Rechtsbegriff her gedacht) dissipativ wirksam ist. 3 Fichte eröffnet seine Abhandlung ganz unmißverständlich mit den Worten: „Von Sittlichkeit, Billigkeit und dergl. soll hier nicht geredet werden, denn wir stehen auf dem Gebiet der Rechtslehre“ (Handelsstaat, GA I/7, 54). Das schließt natürlich nicht aus, daß es unter (individual-) ethischem Aspekt nicht konkrete, auf ihre jeweilige Tätigkeit (etwa das Gewerbe) bezogene Pflichten geben könne. In der frühen Sittenlehre laufen diese Pflichten darin zusammen, daß jeder Angehörige auch der „niederen Volksklassen“ „sagen könne: es ist Gottes Wille, was ich thue“ (Sittenlehre, GA I/5, 314).
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deln zu applizieren; das Wirtschaftshandeln wird so am Ende zu einer immanenten Funktion des Systems des Rechts transformiert. Wir werden noch genauer sehen, inwiefern dies bedeutet, daß ökonomisches Handeln jetzt immer auch reflexiv statt nur gegenständlich gerichtet ist, in dieser reflexiven Form seiner Begründung aber Vernunftaffinität besitzt4. Die Defizite, die ein nicht reflexiv auf das Recht bezogenes Wirtschaftshandeln aufweist – nach Fichte das Handeln im Sinne des bisherigen, „offenen“ Handelsstaats –, können dabei in erster Näherung vorab wie folgt zusammengefaßt werden: 1. Es handelt sich um eine der Kontingenz verhaftete und ihr ausgelieferte Praxis, die insoweit immer auch als irrationale Praxis anzusprechen ist. 2. Es handelt sich ebenso um eine die Reziprozität der Rechtsverhältnisse unterlaufende Praxis einseitiger Vorteilsnahme, die Heteronomien aller Art zur Folge hat. 3. Es handelt sich schließlich um eine dem „Objekt“ hörige Praxis, die eine Verdinglichung des menschlichen Selbst- und Fremdverhältnisses zur Folge hat. Diesen drei Leitaspekten bei der Identifizierung herrschender Übel des ökonomischen Handelns entsprechen drei programmatische Leitgedanken, die Fichte im Geschlossenen Handelsstaat diagnostisch und therapeutisch verfolgt: 1. Das ökonomische Handeln besitzt weder von sich aus Transparenz noch stiftet es eine „systemisch“ verfaßte Form der Interaktion zwischen den Subjekten – eine geschlossene, „systemische“ Form muß ihm vielmehr vom Recht her erst gegeben werden. 2. Das sich selbst überlassene ökonomische Handeln in einem „offenen Handelsstaat“ führt über die „Anarchie des Handels“ in der Konsequenz zu Ausbeutung, Kolonialismus und zuletzt zum Ausverkauf des Staates5 als des Garanten des Rechts – die Schließung des Handelsstaates gewährleistet demgegenüber eine strikte Herrschaft des Rechts im Binnen- wie im Außenverhältnis der Rechtsgenossenschaften und etabliert dadurch wirksam wirkliche Freiheit. 3. Der Fixierung auf das Objekt als Objekt, die einem vorkritischen Eigentumsbegriff entspricht, geht ein gegenständliches Verständnis des Geldes als des entscheidenden Mediums ökonomischer Beziehungen parallel – im geschlossenen 4 Das Wirtschaftshandeln ist als Funktion des Rechthandelns über die Koexistenzbedingungen der Freiheit des einen mit der des anderen reflektiert und insofern nicht von einer einseitigen Nutzenvorstellung bzw. Vorteilsnahme her konzipierbar. Wirtschaftspolitik im Sinne Fichtes zielt auf die institutionelle Dimension dieser Rückbindung der Ökonomie an das Recht. Diese Rückbindung wiederum schließt jede Art einer „schlechten Unendlichkeit“ im Wirtschaftshandeln aus, was sich auch auf das Ziel eines um seiner selbst willen angestrebten unbegrenzten Wachstums beziehen läßt. 5 Cf. dazu Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 103: „Noch eine Waare, auf die man kaum hätte fallen sollen: Der Staat verkauft sich selbst, seine Selbständigkeit, er zieht fortdauernd Subsidien, und macht sich dadurch zur Provinz eines anderen Staates, und zum Mittel für jeden beliebigen Zweck desselben“.
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Handelsstaat legt das Geld seine gegenständliche Bedeutung ab und erlangt eine funktionale im Sinne einer konkreten und dynamischen Ausdifferenzierung der Anerkennungsverhältnisse, die die konkrete Rechtsordnung konstituieren. Den Grundgedanken des Geschlossenen Handelsstaats fassen wir an dieser Stelle für unsere weiteren Überlegungen in einer ersten These zusammen: These I: Fichtes Perspektive auf das Ökonomische ergibt sich vom Rechtsbegriff her: das Thema der „spekulativen“ (Wirtschafts-)Politik, wie sie der Geschlossene Handelsstaat entfaltet, ist die Aufgabe der Domestizierung ökonomischer Eigendynamiken und Kontingenzen durch die öffentlich-rechtliche Ordnung der menschlichen Verhältnisse. Fichtes Thema ist insoweit überhaupt der Primat des Rechts als der allgemeinen Form der äußeren Interaktion freier Wesen als solcher und dessen Aufrechterhaltung gegenüber der Logik der Ökonomie. II. Politischer Rationalismus und Exorzismus der Kontingenz Auf welche Weise nun nimmt sich die „spekulative Politik“6, die Fichte entfaltet, der erwähnten Domestizierungsaufgabe an? Von dem ersten der soeben genannten drei Leitaspekte her läßt sich leicht die allgemeine Maßgabe benennen, dem das Einbilden der Vernunft in die Sphäre des ökonomischen Handelns folgen muß: Es geht ganz grundlegend um die Überwindung der Kontingenz bzw. der kontingenten Handlungsmomente, die dem empirischen Wirtschaftshandeln anhaften und es in seiner Rationalität beschränken. Schon Fichtes Verständnis der Französischen Revolution kreiste in diesem Sinne um den Gedanken, daß alle nur tradierten und insoweit kontingenten Konstellationen der Macht durch die rationale Errichtung einer Herrschaft des Rechts zu überwinden seien. Ebenso ist der Begriff des Nation, der ihm vorschwebt, der Begriff eines der rationalen Selbstorganisation fähigen, konkreten sprachlich-logischen Kontinuums, das eben um dieser inneren Kontinuität willen auch vernunftaffin und damit mögliche Darstellung von Vernunft in der Geschichte ist. Der Geschlossene Handelsstaat vertritt, was diese Generalprogrammatik betrifft, nur eine besonders pointierte Gestalt des „politischen Rationalismus“, wie er Fichte vorschwebt. Von den ersten Seiten des Geschlossenen Handelsstaats an erfahren wir, daß es hier um die „Stiftung des Vernunftstaates“ gehe, jedenfalls aber um die Auffindung einer „Kunst“, diesen Staat „allmählich herbeizuführen“7. Diese „Kunst“ verfolgt im Kern immer die eine Maxime: „In der Regierung sowohl als anderwärts muß man alles unter Begriffe bringen, was sich darunter bringen läßt, und aufhören, irgend etwas zu berechnendes dem blinden Zufalle zu überlassen, in Hofnung, daß er es wohl machen werde“8. Umgekehrt, 6 Gleich zu Beginn des Widmungsschreibens verwendet Fichte den Begriff der „spekulativen Politik“ (im Unterschied zur „ausübenden“, Handelsstaat, GA I/7, 41), um die Rolle des Philosophen im Weiterdenken des „reinen Staatsrecht[s]“ (a. a. O. 42) zu charakterisieren. Anders als der „ausübende“ Politiker geht der „spekulative“ von den natur- bzw. vernunftrechtlichen Grundbestimmungen des Rechts und der Rechtsverhältnisse aus. 7 A. a. O. 51.
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so Fichte, ist die „unheilbare Krankheit“ des „Nichtdenker(s)“ die, „das Zufällige für nothwendig zu halten“9. Der Nicht-Denker betrachtet so z. B. eine bloß faktisch etablierte Verfassung der menschlichen Dinge auch schon als ohne weiteres alternativlos; daß es auch andere, gar vernünftigere Verfassungswirklichkeiten geben könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Gegen genau diese Verwechslung des Faktischen mit dem durch Vernunft Gebotenen jedoch denkt die Philosophie an, genau dagegen entwirft sie neue „Gesichte“ und Bilder der Welt, denen auf Dauer die alten nicht standhalten werden. Eine rationale Politik, wie Fichte sie fordert, ist insoweit auch das Unternehmen, aus dem Kontrast zwischen energisch gedachter Möglichkeit und dem je faktisch Wirklichen das wirklich Notwendige einsichtig werden zu lassen. 8
Die grundlegende wirtschaftsphilosophische Bedeutung des Fichteschen „Exorzismus der Kontingenz“ ist unschwer zu erkennen. Fichte distanziert sich hier nämlich von einer traditionsreichen Zuordnung des Ökonomischen zum Bereich der Kontingenz, die von der Antike bis in die Gegenwart nachvollzogen werden kann, wie unser Philosoph sich ebenso von den seit Smith florierenden Modellen einer „Selbstüberwindung“ der Kontingenz im System des ökonomischen Handelns distanziert. Mit Kontingenzen hat es das Ökonomische traditionellerweise in verschiedener Hinsicht zu tun: mit nicht vorhersehbarer Knappheit zum Beispiel oder der Instabilität von Währungen, mit folgenreichen Entscheidungen einzelner Wirtschaftsakteure, etwa der Unternehmer, und schwankenden Präferenzen des Marktes. Im mittelalterlichen Kontext stellte der Umgang mit den „Glücksgütern“ gerade deshalb, weil das Ökonomische uns mit einem Residuum der Kontingenzen konfrontiert, eine besondere Herausforderung für die Tugendübung des einzelnen dar, für den es galt, eben nicht in den Sog der Kontingenzen zu geraten und dann – wie die Habgierigen und die Verschwender in Dantes Hölle – im Heer der gesichts- und namenlosen Masse zu enden10. Die Neuzeit evaluiert demgegenüber nicht nur die Glücksgüter und den Handel, insbesondere den Fernhandel, mit diesen Gütern neu, sie erhebt vielmehr die aktive Teilhabe an der Zirkulation der Glücksgüter selbst zur Tugend11 – so weit, daß am Ende die Akteure des Marktes überhaupt das Bewußtsein besitzen können, das allgemeine Wohl zu fördern, indem sie ihr besonderes besorgen: immerhin eine Position, die auch noch der Ökonomik und Wirtschaftsphilosophie unserer Tage nicht unbekannt ist und deren allgemeiner Sinn darin besteht, eben dem freigesetzten Handeln unter Bedingungen eingeschränkter Gewißheit, d. h. immer auch dem Willkürhandeln, die Würde des 8 Ibd. 9
A. a. O. 91 f. Cf. in Dantes Divina Commedia Inf. VII, 1 – 96 – übrigens ein Abschnitt, der mit der ihn beschließenden Fortuna-Theorie (Vv. 67 – 96) daran erinnert, daß nach mittelalterlicher Auffassung die „Glücksgüter“-Distribution für den Menschen eben wesentlich undurchschaubar war. 11 Für den Kontext cf. Thomas S. Hoffmann: Wirtschaftsphilosophie. Ansätze von der Antike bis heute, Wiesbaden 2009, bes. 148 – 158. 10
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allgemein Bedeutsamen zu verleihen. Ein wenig summarisch gesprochen geht es bei diesem Modell darum, daß die Hypostase des ökonomischen Systems das für uns Kontingente dialektisch in das an sich Notwendige verwandelt, die partikulare Intention als universale, das Faktische als das Rationale darstellend – eine Perspektive mithin, in der ökonomische Klassik, die Philosophie des objektiven Geistes und die Systemtheorie weitgehend übereinkommen. Fichte freilich hat dieser Hypostasierung des ökonomischen Handlungszusammenhangs, hat gerade dieser Perspektive einer Selbsteliminierung der einsichtslosen Willkür und Kontingenz im System des Einsichtslosen und der Kontingenzen keinen Glauben geschenkt. Mehr noch: er hat diese Perspektive für höchst problematisch gehalten, weil das Denken sich hier anschicken könnte, sich von aller Eliminierung der Kontingenz aus Einsicht zu entlasten und statt dessen dem Defaitismus einer vermeinten Vernunft des Wirklichen zu folgen, gegen den Fichtes ganze Philosophie steht12. Wir lassen dann – als Smithianer – „den Markt“ blind erledigen, was wir durchaus sehenden Auges erledigen könnten; wir lassen den Zufall sich durch sich selbst neutralisieren, statt dem Notwendigen und in ihm der Vernunft unsere Stimme zu geben13. Es liegt auf der Hand, daß es hier aus Fichtescher Sicht in letzter Instanz um eine ganz praktische Dimension der Frage ‚Freiheit oder Determination‘, ‚Ich oder NichtIch‘ geht und daß Fichte die Aufgabe der Philosophie unter diesen Umständen nur darin sehen kann, der Freiheit und dem Subjekt soviel Raum wie irgend möglich zu verschaffen – auch, wenn gerade dies manchen Lektüreeindrücken von Fichtes Geschlossenem Handelsstaat widersprechen mag. Es soll in den jetzt folgenden Schritten darum gehen, zu unterstreichen, daß Fichtes Projekt einer rationalen (Wirtschafts-)Politik aus dem Geiste des Rechts, so viele wirkliche oder scheinbare Paradoxien es auch enthalten mag, einen bleibenden Sinn jedenfalls schon darin besitzt, jedweder vorschnellen Neutralisierung der praktischen Vernunft durch den Verweis auf anonyme Dynamiken dadurch zu wehren, daß es uns dazu nötigt, rational stimmige Alternativen zu einem blinden Lauf der Dinge jederzeit in den Blick zu nehmen – auch wenn es dabei zunächst 12 Es
ist ersichtlich, daß an dieser Stelle einer der grundlegenden Dissense zwischen Fichte und Hegel liegt: während Hegel freiheitliche Koordinationsordnungen von Handlungen kennt, die keineswegs eine explizite Bejahung der Ordnung als solcher durch die Handelnden voraussetzen, impliziert „Freiheitlichkeit“ bei Fichte immer subjektive Einholbarkeit bzw. Transparenz nicht nur der Handlung, sondern auch des gegebenen Handlungsrahmens. Fichte kann entsprechend das Ökonomische in letzter Instanz nur handlungstheo retisch erschließen – wir kommen auf diesen Punkt und seine Implikationen unten noch zurück. 13 Fichte hält in diesem Sinne bereits in der „Einleitung“ zum Handelsstaat fest: „In der Regierung eben sowohl als anderwärts muß man alles unter Begriffe bringen, was sich darunter bringen läßt, und aufhören, irgend etwas zu berechnendes dem blinden Zufalle zu überlassen, in der Hofnung, daß er es wohl machen werde“ (Handelsstaat, GA I/7, 51). Die Frage, die hier entstehen muß, ist dann in der Tat die, inwieweit sich das Ökonomische „berechnen“ läßt; Fichte ist hier im Grunde nicht weniger optimistisch, als es die (neo-) klassischen Modellbildner bis hin zur „rational-choice-Theorie“ auch sind.
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nur um rational imaginierte Alternativen gehen mag14. Wir haben bereits gesagt: Fichte malt rationale Möglichkeiten, um im Kontrast zwischen ihnen und dem nur faktisch Wirklichen das Notwendige aufscheinen zu lassen. In diesem Sinne können wir uns ganz unverfänglich auf den Handelsstaat einlassen. Eine zweite These lautet als zweiter Ausgangspunkt für das folgende dabei: These II: Aufgabe aller Wirtschaftspolitik ist es, den Primat der (praktischen) Vernunft gegenüber den Kontingenzen konsequent zur Geltung zu bringen. Nur auf diese Weise lassen sich Freiheit und Selbständigkeit sowohl des Individuums als auch des Staates konkret behaupten. III. Zwischen Sozialismus, Planwirtschaft und juridischer Einsetzung des Individuums in seinen Selbstbesitz Der zweite unserer oben genannten Leitaspekte bezieht sich auf den bei Fichte anzutreffenden Gedanken, daß die Logik des Handels das Rechtsverhältnis unterlaufen und das Individuum entsprechend (auch unversehens) in Unfreiheit setzen kann. Wenn es Sinn und Zweck des Rechts ist, Freiheit auch unter Bedingungen der Empirie zu gewährleisten, dann besteht die Gefahr des ökonomischen Willkürhandelns im Raum der Kontingenzen darin, eben die Ausgestaltung eines Raumes qualifizierter Freiheit, wie das Recht ihn konstituieren muß, unmöglich zu machen. Fichte befürchtet in diesem Sinne, daß die Macht des partikulären Gewinnstrebens und der Märkte, in seiner Sprache: die „Anarchie des Handels“15, die Herrschaft des Rechts und damit die Bedingungen einer individuellen und auch kollektiven Existenz als Subjekt konterkarieren – und zwar auf eine ganz andere Weise konterkarieren, als ein vernunftstaatliches Reglement der individuellen Lebensentwürfe nach Rechtsprinzipien diese tangieren kann; denn – das wäre das Fichtesche Argument – das vernunftstaatliche Reglement ist für das ihm unterworfene Vernunftsubjekt prinzipiell einsehbar, mit seinem Freiheitsbewußtsein vermittelbar, sofern es nur überhaupt ein notwendiges ist, während die Macht der Märkte nur als äußeres Schicksal oder als Willkürhandeln Dritter erlitten werden kann; die Logik des Handels dagegen folgt der Logik eines Naturzustandes, der im Recht „an sich“ überwunden ist und mit dem „ein endloser Krieg Aller im handelnden Publikum gegen Alle“ entsteht, ein „Krieg“, der zudem „heftiger, ungerechter, und in seinen 14 Im Widmungsschreiben des Handelsstaats schränkt Fichte sich gegenüber dem preußischen Minister von Struensee „ausdrücklich und wohlbedacht“ darauf ein, durch „Bekanntmachung“ seiner Gedanken, die man durchaus als „bloße Übung der Schule“ verstehen darf, anderen „Veranlassung“ geben zu wollen, über die Materie „tiefer nachzudenken, und vielleicht auf eine oder die andere […] nützliche und anwendbare Erfindung zu gerathen“ (Handelsstaat, GA I/7, 44). 15 Cf. dazu Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 95. – Eine Brücke von Fichtes Begriff einer „Anarchie des Handels“ zu dem Begriff vor allem einer „Anarchie der Produktion“ im Marxismus versucht Wilhelm Reese-Schäfer: Klassiker der politischen Ideengeschichte: Von Platon bis Marx, 3. Aufl. Berlin/Boston 2016, 227 – 240, zu schlagen.
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Folgen gefährlicher“ wird, „je mehr die Welt sich bevölkert“16. In diesem Sinn wird bei Fichte der Handel zuletzt am Maßstab der Handlung gemessen, wie sie rechtlicher Koexistenz entspräche, und es überrascht dabei kaum, daß er gegenüber diesem Maßstab versagt. Aus dem Spiel der Partikularinteressen entsteht eben keine wie auch immer geartete „Harmonie“, wie Smith und andere sie versprochen hatten; vielmehr ist „keinem […] für die Fortdauer seines Zustandes bei der Fortdauer seiner Arbeit im mindesten die Gewähr geleistet“17; das Spiel der Partikularwillen untergräbt stets aufs neue die Subsistenzgrundlage der einzelnen, für die, insofern sie ihre Freiheit in ihrem Partikularwillen finden wollen, gilt: „die Menschen wollen durchaus frei seyn, sich gegenseitig zu Grunde zu richten“18. Die Therapie, die Fichte auf diese Diagnose antworten läßt, besteht dann darin, den alten, „offenen“ Handelsstaat zu schließen und ihn dabei zur Gänze unter das Rechtsverhältnis zu bringen – darin also, von Staats wegen dafür Sorge zu tragen, daß die Bürger auch ihre ökonomische Willkürfreiheit nur im Rahmen einer die Freiheit des anderen achtenden Rechtsgenossenschaft brauchen, deren Erhalt und Ausbau ihnen allen gemeinsam aufgetragen ist19. Nur in der wirklichen Rechtsgenossenschaft ist grundsätzlich und effektiv ausgeschlossen, daß das Handeln des einen die Erhaltungsbedingungen des anderen aufheben könnte; nur in ihr ist der Vorteil des einen auch der des anderen, nur in ihr auch gibt es ein wahrhaft „gemeinschaftliches Interesse“20, das zugleich eben nicht auf eine faktische Überwältigung des einzelnen durch eine Mehrheit hinausläuft. Dahinter wiederum steht Fichtes Auffassung, daß „der Staat allein“ es ist, „der eine unbestimmte Menge Menschen zu einem geschloßenen Ganzen, zu einer Allheit vereinigt“21. Der „geschlossene 16 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 98. Fichte vertritt dabei ein Verlaufsmodell, das der Sache nach analog zu Platons Argumentation in der Politeia besagt, daß bei einer zunächst „einfachen Lebensweise der Nationen“ der Außenhandel noch „ohne große Ungerechtigkeit und Bedrückung“ abgehen konnte, während sich bei „erhöhten Bedürfnissen“ die Lage rasch „in das schreiendste Unrecht, und eine Quelle großen Elendes“ verwandelt (ibd.). 17 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 99. 18 Ibd. 19 Die erwähnte „Anarchie des Handels“ wird mit all ihren verderblichen Folgen erst überwunden, wenn „der Staat eben so als Handelsstaat sich schließ[t], wie er in seiner Gesetzgebung und seinem Richteramte geschlossen ist“ (GA I/7, 95). 20 Nach Fichte bleiben im (bisherigen) Handelsstaat die Bürger „von einander getrennt […], und ohne gemeinschaftliches Interesse“; verbunden sind sie nur „im Begriffe der Regierung“, die von ihnen Abgaben fordert und aus deren Perspektive sich dann auch das „National-Vermögen“ konstituiert (Handelsstaat, GA 1, 7, 100). 21 A. a. O. 54. Der Staat ist bei Fichte immer der Begriff eines empirisch wirksamen „gemeinsamen Willens“ bzw. eines Willens, „in welchem Privatwille, und gemeinsamer synthetisch vereinigt“ sind (cf. Fichte: Grundlage des Naturrechts § 16, GA I/3, 433); cf. auch Fichtes Vorlesung über die Moral SS 1796, Mitschrift von Otto von Mirbach (Kollegnachschriften, GA IV/1, 1, 119): „wenn Gemeinschaft zwischen freyen Wesen seyn soll, so soll ein Staat errichtet werden“. In der Empirie kann es dabei nur eine Vielfalt von Staaten geben, eben weil die gegebene unmittelbare Mannigfaltigkeit die Form des Empirischen ist.
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Handelsstaat“ ist dann insofern zunächst die Anzeige, daß hier die Vernunfteinheit empirische Realität werden soll. Diese Realität betrifft zum einen (wie wir sagen können) das konkrete Rechtssicherungsrecht gegenüber Rechtserosionen, wie sie nach Fichte immer dann entstehen, wenn die Bürger nicht nur dem juridischen Staat angehören, sondern nach Handel und Wandel auch einem anderen, eben dem („offenen“) Handelsstaat, dessen Grenzen mit denen des juridischen Staats nicht identisch sind. Zum anderen aber impliziert die Schließung die Möglichkeit, nicht nur überhaupt ein gemeinschaftliches Interesse zu artikulieren, sondern nun auch eine Gemeinschaft zu leben, in welcher „Alle Diener des Ganzen“ sind und „dafür ihren gerechten Antheil an den Gütern des Ganzen“ erhalten 22. Der Rechtsgenosse ist so wirklich das, was er ist, dem allgemeinen normativen Grunde nach zwar aus seiner Freiheitsnatur, aber er ist es der empirischen Seite nach zugleich nur erst als freiheitlich auf andere Freiheit bezogenes Subjekt, d. h. im Staat. An dieser Stelle greift Fichtes Satz, daß erst der Staat den Rechtsgenossen in seine Rechte, d. h. seine wirkliche Freiheitsexistenz „einsetzt“. Anders als Locke beispielsweise, der die Aufgabe des Staates nur darin sah, „den Bürger in demjenigen Besizstande, in welchem man ihn findet, durch das Gesez zu erhalten“, und der damit beweist, „die tiefer liegende Pflicht des Staats“ nicht eingesehen zu haben, „jeden in den ihm zukommenden Besitz erst einzusetzen“23, ist bei Fichte von vornherein eine ganz andere „Bestimmung des Staats“ klargestellt: die „Bestimmung“ nämlich, „jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigenthum einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen“24. Der einzelne verdankt sein Selbstsein der juridisch-empirischen Seite nach eben dem Staat, und dieser erhält ihn auch darin gegen alle denkbaren Subversionen, wie sie – nicht zuletzt – vom Handel ausgehen. Daß hier in Europa noch einiges im Argen liegt, macht Fichte an der Tatsache deutlich, daß allenthalben ein Auseinanderfallen von juridischem und Handelsstaat festgestellt werden könne und damit eben ein Hineinragen der „Anarchie des Handels“ in den Vernunftstaat als nicht verwunderlich angesehen werden muß. Die Schließung des Handelsstaates durch den Staat als das existierende Recht ist dann die Etablierung nicht einer willkürlich gezogenen, sondern einer den Rechtsraum klar bezeichnenden Grenze, innerhalb derer der vernünftige Selbsterhalt wie auch der freiheitserhaltende Austausch zwischen den Individuen denkbar ist. Freilich: widerspricht diese hier entfaltete Perspektive nun nicht doch allzu deutlich dem dominierenden Eindruck, den der Geschlossene Handelsstaat bei seinem Leser zurückläßt: dem Eindruck nämlich, daß hier – allenfalls auch im Namen der Freiheit – energische Vorkehrungen zu deren Abschaffung getroffen werden? Und haben wir es bei allen Beteuerungen Fichtes bezüglich des Ausgangspunktes beim Recht nicht doch allenfalls nur mit „Fichtes Fahrplan zum Sozialismus“ zu tun, wie nicht erst in den letzten Jahren gemutmaßt werden 22 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 68. A. a. O. 95. 24 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 53. 23
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konnte25? In der Tat reichen die Versuche, Fichte in die Ahnenreihe der Advokaten des Sozialismus zu stellen, bis tief ins 19. Jahrhundert zurück, und sie sind, wie das Beispiel Brauns zeigt, bis heute nicht abgerissen. Zu den ältesten Vertretern dieser Sicht gehört Lorenz von Stein, der bei Fichte den „erste[n] großen Reflex der französischen sozialistischen Ideen in einem großen deutschen Geist“ 26 finden wollte; ähnliche Einordnungen finden sich ferner bei Moses Hess oder Jean Jaurès27, bis sich durch Marianne Webers einschlägige Arbeit28 die Rede von „Fichtes Sozialismus“ endgültig verfestigt hat. Zwar hat man ebenso mit guten Gründen auch zeigen können, daß Fichte keineswegs etwa umstandslos in der Nachfolge von Babeuf und seinem rigiden Egalitarismus gesehen werden kann 29; dennoch finden sich in Fichtes Text genügend planwirtschaftliche Vorschläge30 wie Überlegungen zu Freiheitsbeschränkungen der einzelnen, die heute – auch im historischen Rückblick auf sich „sozialistisch“ nennende Unternehmungen – bedenklich stimmende Assoziationen hervorrufen können: Reiseverbote zum Beispiel für alle außer den „höheren Künstlern“ und Gelehrten, die nach Fichte ja „zum Besten der Menschheit und des Staates“ reisen 31, erinnern in der Tat eher an eine Zwangskasernierung der Bevölkerung nach Art eines gescheiterten deutschen Staats als an den von Fichte angekündigten Vernunftstaat, der sich das Recht seiner Bürger und überhaupt die Freiheit auf die Fahnen schreibt. Zwar mag man hier – nochmals – in die Waagschale werfen, daß es Fichte im Sinne seiner wirtschaftspolitischen Perspektive immer auch um die Bedingungen der Möglichkeit eines globalen Rechtszustands geht: Denn wenn die Dinge so stehen, 25 Cf. Johann Braun: „Fichtes Fahrplan zum Sozialismus“, in: Thomas S. Hoffmann (Hg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, Berlin 2014, 131 – 140. 26 Lorenz von Stein: Die Verwaltungslehre. Teil 7: Wirtschaftliche Verwaltung, Stuttgart 1868 (ND: Aalen 1975), 44. 27 Cf. Jean Jaurès: Die Ursprünge des Sozialismus in Deutschland. Luther, Kant, Fichte und Hegel (Original: De primis socialismi germanici lineamentis apud Lutherum, Kant, Fichte et Hegel, Diss. Paris 1891), Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1974, 102 f. 28 Cf. Marianne Weber: Fichte‘s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx‘schen Doktrin, Tübingen 1925. 29 David James: Fichte’s Social and Political Philosophy. Property and Virtue, Cambridge 2011, bes. 70 – 82, vergleicht beide Autoren sorgfältig und erkennt gerade im Geschlossenen Handelsstaat Fichtes „gradualistische“ Alternative zu einem revolutionären egalitären Projekt. 30 So gibt es bei Fichte etwa eine über „fünf Jahre“ rechnende Form der „Produktengewinnung“ (Handelsstaat, GA I/7, 76) und der Staat bestimmt „die Anzahl der Bürger, die sich des Ackerbaues überheben“ (a. a. O. 60), also Zugang zu anderen „Ständen“ und Berufszweigen erhalten. 31 Cf. Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 137. Beide Personengruppen sollen vom Staat ausdrücklich ermuntert werden, auf Reisen zu gehen, während es „der müßigen Neugier und Zerstreuungssucht […] nicht länger erlaubt werden“ soll, „ihre Langeweile durch alle Länder herumzutragen“.
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„daß Europa über die übrigen Welttheile im Handel großen Vortheil hat“ und die „Europäischen Staaten“ eben von der „gemeinsamen Ausbeute der übrigen Welt einigen Vortheil“32 ziehen, wenn etwa ein „Streben nach dem Übergewichte im Welthandel“ das „unnatürliche Colonial-System“ hervorbringt33 und hier auf Abhilfe zu sinnen ist, dann klingen die Dinge anders als dort, wo es um Willkürmaßnahmen gegen die einzelnen, ohne daß ein Konnex zur Rechtsidee und ihrer Verwirklichung sichtbar wäre. Allerdings muß man keineswegs jede einzelne Überlegung rechtfertigen wollen, die Fichte in seinem „Entwurf“ einer „spekulativen Politik“ vorträgt, wenn man mit Nachdruck darauf hinweist, daß der Titel „Sozialismus“ für Fichte schon deshalb nicht paßt, weil für ihn die Frage nach Gemein- oder Privateigentum in keiner Weise ins Zentrum seiner Überlegungen führt. Der Grund dafür ist schlicht der, daß nach Fichte gerade in der Logik seines eigenen Projekts nicht ein bestimmtes Modell der Eigentumsverhältnisse über die Ökonomie, das Recht und den Staat entscheidet, sondern umgekehrt das Recht und die Ordnung von Anerkennungsverhältnissen auch über die zu institutionalisierende Form von Ökonomie und Eigentum befindet34. Hinzukommt, daß Fichte Eigentum gerade nicht dinglich, sondern als Ermöglichungsgrund empirischen Selbstvollzugs denkt und das Eigentum auch insoweit nicht unter die Alternative von „gemeinschaftlich“ oder „privat“ fällt. Der Staat als Koordinationsordnung empirischer Selbstvollzüge ist hier weder der Gralshüter der einen noch der anderen Eigentumsform, sondern, wie wir gesehen haben, die Instanz – und das unterscheidet Fichte dann in der Tat von einem im klassischen Sinne „liberalen“ Ansatz in Lockescher Tradition – der Einsetzung und Bewahrung der Bürger in ihren Besitz und ihr Eigentum. Wir kommen auf diesen Punkt sogleich zurück, halten jedoch zunächst als Zwischenergebnis folgende drei Thesen fest: These III: Der überkommene, „offene“ Handelsstaat kann eine Wahrung der Urrechte des Individuums nicht garantieren, er gefährdet ihre Realisierung vielmehr, indem er sie durch Freisetzung nicht rückgebundener Partikularinteressen unterläuft. So unterläuft nicht zuletzt die Logik des (bloßen) Handels die Logik vernünftig-freien Handelns. These IV: Wie für Fichte die Form der menschlichen Koexistenz und des Staates nicht von ökonomischen Kategorien her aufzuschlüsseln ist, sondern die ökono32 Fichte:
Handelsstaat, GA I/7, 44. Handelsstaat, GA I/7, 118. 34 Entsprechend spiegeln Recht und (vernunft-)staatliche Ordnung auch nicht einfach „Produktionsverhältnisse“ wider, wie der Marxismus behauptet hat, sondern umgekehrt spiegeln sich in diesen bestimmte Rechtsbegriffe bzw. Grundüberzeugungen von dem, was „Rechtsgenossenschaft“ ist. Es verwundert insoweit auch nicht, daß Fichte in marxistischen Kontexten zumeist nicht eben bejubelt wurde, und es wird zugleich deutlich, daß der Marxismus jene ökonomistische Grundthese teilt, gegen die Fichte andenkt: daß nämlich das Wirtschaftshandeln aus sich eine übergreifende Vernunftstruktur hervorbringen könnte, daß es „System“ werden und als solches gar der entscheidende Horizont von Handlung und Geschichte sein könnte. 33 Fichte:
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mische Handlungssphäre von Rechtsbegriffen her, vertritt Fichte auch nicht einen „Sozialismus“, für den die Frage nach den Eigentumsverhältnissen grundlegend-kriteriellen Charakter hätte. These V: Fichte vertritt gleichwohl ein rationalistisch-planwirtschaftliches Modell, dessen Sinn und Zweck die Aufrechterhaltung des Rechtsverhältnisses im wirtschaftlichen Verkehr der Rechtsgenossen wie ebenso die freie Selbsterhaltung des (Vernunft-)Staates ist. IV. Individuum und Gemeinschaft bei Fichte Wie konkrete Rechtsbegriffe (im Unterschied zu moralischen Imperativen) bei Fichte überhaupt einen bloß „technisch-praktischen“35 Charakter haben, folgen auch die Maßnahmen, die der Geschlossene Handelsstaat im Sinne der politischen Darstellung der Rechtsidee empfiehlt, zunächst Klugheitsregeln, die als solche allenfalls hypothetische Notwendigkeit besitzen, entsprechend stets revidierbar sind und sich an ihrem jeweiligen Nutzen bezüglich der Realisierung des Rechts messen lassen müssen. Zugleich bedeutet der normative Bezug auf das Recht auf der allgemeinen Ebene, daß die Ordnung, die Fichte hier für das Ökonomische vorschlägt, wie alle Rechtsordnung eine Ordnung im Sinne der Wahrung der Erhaltungsbedingungen freiheitlicher Subjektivität darstellen muß. Noch einmal im Sinne unserer dritten These gewendet: es muß sichergestellt werden, daß menschliches, vernunftbestimmtes Handeln sich eben nicht in der Logik des Handels verliert36; es muß vielmehr erkennbar bleiben, daß jenes – das rationale Handeln – auch die Bedingung der Möglichkeit von diesem – des empirischen Handels als eines dem Menschen und seinem Freisein gedeihlichen – ist. Um so dringlicher stellt sich in diesem Zusammenhang die weitergehende Aufgabe, das Verhältnis von Individuum (als primärem Freiheitsadressaten) und rechtlich organisierter Gemeinschaft (als Form der Freiheitssicherung) auf eine Weise nachzubuchstabieren, die liberale Bedenken bezüglich einer Überwältigung des Individuums durch die staatliche Macht relativieren oder entkräften können: Bedenken, die bei der Frage anknüpfen, worin die Legitimation eines so weitgehenden Verfügens über das Individuum, seine Lebensplanung und Handlungsspielräume, wie im Geschlossenen Handelsstaat nahegelegt, denn bestehen mag. Hierbei ist freilich an erster Stelle daran zu erinnern, daß Fichte das Verhältnis von Individualität und Gemeinschaft, von einzelnem und Staat sehr grundsätzlich gerade nicht im Sinne einer Antipodenschaft oder als polaren Gegensatz denkt, wie im Liberalismus der Fall. Individuation und entsprechend auch Individualität gibt es bei 35 Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, GA I/3, 320. Dies ändert nichts daran, daß die Rechtsidee selbst ein notwendig zu habender, nicht bloß hypothetischer Gedanke ist. 36 Nach Fichte „entstehn durch das Handels-Interesse politische Begriffe, die nicht abentheuerlicher seyn könnten, und aus diesen Begriffen Kriege, deren wahren Grund man nicht verhehlt, sondern ihn offen zur schau trägt“ (Handelsstaat, GA I/7, 107).
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Fichte vielmehr nur zugleich mit der unmittelbaren Anerkennung des anderen, d. h. im Bewußtsein einer ursprünglichen Wechselwirkung der Subjektivitäten als ihrer Ursprungsgemeinschaft; ebenso gibt es Gemeinschaft nur im Sinne eines ebenso unmittelbaren Bewußtseins der Disjunktion derselben in unterschiedene, aufein ander nicht reduzierbare Individuen, die auch keineswegs nur zusammen „die Menschheit“ darstellen, sondern gerade in ihrer Individuation das Vernunft- und Freiheitswesen „Mensch“ sind. Die Frage, die sich angesichts der Thematik und der Thesen des Geschlossenen Handelsstaats stellt, ist insofern – aus Fichtes Sicht – prinzipiell gar nicht die, wie man das Individuum gegen die Ansprüche der Gemeinschaft oder umgekehrt die Gemeinschaft gegen die Gefahren des Atomismus schützen kann. Sie ist aus Fichtescher Sicht vielmehr alleine die, wie eine qualifizierte Freiheitserhaltung zu denken ist, die in ein und demselben Akt die Individuen sich als ihrer selbst bewußte Freiheit entfalten läßt und die Gemeinschaftsexistenz als Realisierung von auf Dauer gestellter Freiheit begreiflich werden läßt. Beide Seiten sind hier durcheinander vermittelt, und es kann insoweit weder einen ab strakten, sich verabsolutierenden Individualismus (wie im liberalen Modell) noch einen auf Eliminierung von Individualität ausgehenden Gemeinschaftsgedanken (wie z. B. im Sozialismus der Fall) geben. Freilich wird die Aufgabe dadurch nur um so anspruchsvoller: wer zeigen will, daß z. B. Reiseverbote im allgemeinen, sprich im Interesse der Realisierung einer umfassenden Rechtsgenossenschaft freier Wesen liegen, muß unmißverständlich zeigen, daß sie gerade auch einer individuellen Freiheitsverwirklichung im Sinne realisierter Rechtsgenossenschaft letztlich mehr entsprechen als eine unumschränkte Lizenz zu Reisen, die ihren Grund in nichts anderem als Willkürimpulsen haben mögen. Wenn wirkliche Staatskunst („Politik“) beides zusammenzudenken und herzustellen vermag – die individuelle wie auch die staatliche Handlungshoheit –, dann ist es – so Fichte – die gegenläufige Tendenz der ökonomischen Handlungslogik, beides auseinanderzureißen. Die mit der Macht eigentlicher praktischer Vernunft konkurrierende Macht, die Fichte hier in den Blick nimmt, ist wiederum die Macht einer verselbständigten ökonomischen Sphäre, die sich – mehr ungesetzlich als eigengesetzlich – gegen das Rechtsgesetz entfaltet: sei es, indem sie von diesem als historisch gegeben angetroffen wird und noch zu transformieren ist, sei es, daß sie sich auch im Rahmen der Herrschaft des Rechts stets aufs Neue zur Geltung bringt. Der „geschlossene“ Handelsstaat versucht unter diesen Bedingungen, die doppelte Gefahr einer Isolierung eines Individuums aus den konkreten Anerkennungsverhältnissen heraus, in denen es Rechtsgenossenschaft lebt, wie ebenso die einer Isolierung der Staatlichkeit, die den Individuen nurmehr als fremde, äußere Macht entgegentritt, zu bannen. Wenn in der ersten Hinsicht das Individuum nur noch als subjektiv handelndes auftritt, erscheint der Staat in der zweiten als nur noch objektive Macht, nicht mehr als der dem individuellen Inneren offenbare Grund jener subjekt-objektiven Einheit, die in der Rechtsgemeinschaft erreicht wird – und die Fichte im (noch) nicht geschlossenen Handelsstaat auseinanderbrechen sieht. Der „offene“ Handelsstaat ist notwendig der Staat, der als äußere Macht neben die subjektive Suche nach Vorteil tritt, diese entweder unterstützend oder sie von außen beschränkend. Der „offe-
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ne“ Handelsstaat, den Fichte als historische Gegebenheit seiner Zeit identifiziert, entspricht insoweit dem „liberalen“ Modell. Der Preis, den das Individuum hier für – um bei unserem Beispiel zu bleiben – seine Reisefreiheit zahlt, könnte dann der sein, daß es im Sinne wahrhafter Rechtsgenossenschaft nirgends zuhause ist. So groß seine Spielräume im Reich der negativen Freiheit sein mögen, so wenig erschließt sich ihm eine erlebbare qualifizierte Freiheit, wie sie nach Fichte nur im Anerkennungsraum des Rechtes im Vollsinn gelebt werden kann. – Wir fassen auch hier das Zwischenergebnis in zwei Thesen zusammen: These VI: Staat und Individuum verhalten sich bei Fichte nicht wie zwei prinzipiell fremde Größen zueinander, sondern sind von einer sich differenzierenden funktionalen Einheit her zu verstehen; insofern widerspricht die Logik einer dem Rechtsbegriff verpflichteten Wirtschaftspolitik keineswegs per se der Logik individueller Selbstbehauptung als freies Vernunftwesen. Im Gegenteil: die Selbsterhaltung des vernünftig-freien Individuums und die Selbsterhaltung des Rechtsstaats sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. These VII: Insofern der Staat das Individuum in seine Wirklichkeit als Rechtsgenosse erst einsetzt, besitzt das Individuum keine „vorstaatlich“ schon vorhandenen Rechte – auch kein solches auf Eigentum, wie es der Liberalismus kennt. Dagegen besitzt das Individuum „Urrechte“, aus deren Wahrung sich die Staatlichkeit grundlegend motiviert und durch deren Realisierung sie sich auch legitimiert. V. Allgemeinheit und Besonderung des Rechts Teilt man Fichtes Ansatz bezüglich eines Primates des Rechts auch gegenüber der Ökonomie, teilt man darüber hinaus auch seine Sicht, daß die Logik des Handels als solche keineswegs zwangsläufig zu einer „systemischen“ Schließung der ökonomischen Handlungssphäre führt, sondern es dazu einer juridisch vermittelten Schließung, sprich der Unterordnung der ökonomischen Handlungssphäre unter die Sphäre des Rechts bedarf, dann ist damit der in Fichtes Sinne „geschlossene Handelsstaat“ doch nur erst dann erreicht, wenn zusätzlich gezeigt werden kann, daß die rechtlich vermittelte „Schließung“ nur von einem besonderen Staat und nicht durch ein wie auch immer zu fassendes universales Recht erfolgen kann. Man mag entsprechend an dieser Stelle an Fichtes Adresse die Frage richten, inwiefern der Rechtsstaat tatsächlich nur als konkret umgrenzter, mithin als Staat besonderen Rechts gedacht werden kann und warum eine „globale“ Rechtsstaatlichkeit hier offenbar nicht vorstellbar ist37. Kann man aus der Universalität der Rechtsidee, die Fichte ja nicht bestreitet, sondern voraussetzt, indem er das Recht transzendentalphilosophisch als notwendig zu habenden Gedanken einführt, nicht ebenso den „Weltrechtsstaat“ folgern, der seiner Extension nach dann per se mit dem Welthandelsstaat zusammenfiele? Und wenn die globale Perspektive hier zu 37 Zu der Spannung zwischen Kants „Kosmopolitismus“ und Fichtes einzelstaatlicher Rechtsverwirklichung, die beide zuletzt der Friedensidee verbunden sind, cf. James, a. a. O. 94 – 111.
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weit greifen sollte: Kann nicht zumindest der „europäische“ offene Handelsstaat, den Fichte vorfindet, als solcher in einen wirklichen Rechtsstaat verwandelt werden, in dessen Raum dann auch der Handel nicht weiter das Rechthandeln unterläuft? Entwürfe in diese Richtung sind uns aus der Kantischen Tradition und ihrer aktuellen Fortschreibung nicht ganz unbekannt38. Bei Fichte freilich kann evidentermaßen nur der besondere Staat als Akteur bei der „Schließung“ eines Rechts- und Wirtschaftsraums auftreten. Was Fichtes explizite und implizite Argumentationen zugunsten der Rechtsbesonderung betrifft, müssen wir uns hier auf drei exemplarische und zusammenfassende Hinweise beschränken, die immerhin ausreichen mögen, die Bedeutung der Grenze für das Recht bzw. den Sinn seiner Selbstbegrenzung besser zu verstehen. 1. Wir erinnern uns in diesem Kontext daran, daß man bereits vor Fichte auf die jeweilige Besonderheit der Rechtsysteme aufmerksam geworden war und dafür, etwa im Zusammenhang der Volksgeisttheorie wie bei Montesquieu, empirische Gründe vortragen konnte. Fichte freilich ist entschieden kein Empiriker, sondern Vernunftrechtler; insoweit müssen bei ihm auch die Gründe für die Notwendigkeit der Besonderung der Rechtsgestaltung prinzipiellere sein. Der allgemeinste hier in Betracht kommende Grund liegt dabei schon in Fichtes frühem Ansatz: wenn Recht die Ordnung der Koordination unterschiedener Freiheiten bzw. endlicher Subjekte in einem gemeinschaftlichen Raum der Anerkennung ist, kann auch der Staat als wirklicher Freiheitsraum nur von der Anerkennung anderer Freiheit, d. h. des anderen Staates gedacht werden. Wirkliches Recht gibt es, eben weil Recht die sich letztlich sinnlich materialisierende Freiheit betrifft, nur in der Pluralität unterschiedener positiver Rechte. 2. Setzen wir sodann beim späteren Fichte an, so ist hier festzuhalten, daß Staatlichkeit als Ausdruck konkreter Rechtlichkeit nicht ohne Bildcharakter im Sinne konkreter, durch Einbildungskraft geleiteter Ausbildung einer Vermittlungsgestalt von Einheit und Vielheit zu denken ist. Fichte hat in diesem Sinne nicht nur die Aufgabe des politischen Denkens als Bilden des Bildes von politischer Einheit verstanden, sondern auch wie kein anderer darauf hingewiesen, daß eine wirkliche Rechtsgemeinschaft schon strukturell immer auf kollektiven Imaginationen beruht, die in ihrer materialen Bestimmtheit selbstverständlich je verschieden ausfallen werden – schon weil das Bild nicht das Eine, sondern das Zweite und damit Mannigfaltige ist. Die Imagination – zum Beispiel die Imagination konkreter gemeinsamer Gefahrenabwehr – sammelt dabei eine jeweils konkrete Menschenmenge unter sich, die sich unter eine ihr entsprechende Verfassung stellt39. In der Vereinigung 38 Wobei freilich ebenfalls nicht ganz unbekannt sein sollte, daß Initiativen in diese Richtung nicht zuletzt von den ökonomischen sog. „global players“ ausgehen, die sich davon eher den Wegfall von Handelshindernissen als die Herstellung eines globalen Primats des Rechts gegenüber der Wirtschaft versprechen. 39 Cf. dazu Thomas S. Hoffmann: „Staat der Freiheit – freier Staat. Deduktion, Imagination und Begriff objektiver Freiheit bei Fichte und Hegel“, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 2 (2004), 221 – 247.
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unter der Verfassung wird entsprechend der Rechtsgedanke überhaupt realisiert, aber zugleich auf eine empirische, raum-zeitlich individuierte Mannigfaltigkeit hin schematisiert und realisiert. Anders als ein abstraktes Natur- oder Vernunftrecht, anders auch als abstrakte Handlungsmodelle wie die der klassischen Ökonomie, leugnet das Fichtesche Rechtsdenken historische Ungleichzeitigkeiten und kulturelle Differenzen nicht, das wirkliche Recht überspringt sie auch nicht einfach, es integriert sie vielmehr; ja, das Recht muß um seiner Rechtlichkeit willen sogar diese Integration leisten, da es Anerkennung als in Raum und Zeit wirklich und wirksam und keineswegs nur als ideelle Wirklichkeit darstellen will40. 3. Ein bereits angesprochenes drittes Moment kommt indes noch hinzu: das Recht wird, anders als die Moral, die bei Fichte ja mit der Gewissensevidenz verbunden ist, erst an seiner Grenze reflexiv, bezieht sich auf sich und weiß sich darin als durch seine eigene Entfaltung in sich begründete Vernunftgestalt. Erst in dieser Reflexivität hat es dann auch die Evidenz, deren es bedarf, um als notwendiges Recht verstanden zu werden. Insofern der „offene Handelsstaat“ der (Reflexions-) Grenze entbehrt, eben darum nur subjektives Handeln kennt, herrscht in ihm auch der Zufall sowie die „liberale“ Freiheit der Menschen, „sich gegenseitig zu Grunde zu richten“41. Dieser Herrschaft der Willkür steuern die besonderen Rechte besonderer Staaten durch Rückbindung an die jeweilige Anerkennungsordnung, für die sie stehen; es ist insoweit gerade die Besonderheit der Rechtsordnungen, die ebenso viele Wellenbrecher in den Globalisierungswellen bedeuten, die ein „offener Handelsstaat“ seinerseits begünstigen muß. Von einem „Weltstaat“ wiederum, der ein wesentlich anonymer Staat ohne Konnex zu gelebter Anerkennung sein muß und für diese vielmehr gefährlich, da er die Abkoppelung von ihr erlaubt, kann eine solche Funktion nicht erwartet werden, schon weil er per definitionem auch die umfaßt, die nicht an einer gegebenen, gelebten Anerkennung partizipieren oder partizipieren wollen – der „Weltstaat“ kann nur ein subjektiver Staat der ihn gerade Lenkenden sein. Damit hängt übrigens auch ein anderer Aspekt zusammen: wenn Fichte die Wirkungen des Handels als „ungerecht“ ansprechen kann42, dann ist auch die Realisierung von Gerechtigkeit an den „geschlossenen“ Rechtskreis gebunden und in einem „offenen“ System nicht denkbar. Wenn Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit Wirklichkeit werden sollen, erfordert dies ein „System“ der interagierenden Größen, zwischen denen die richtigen „Proportionen“ zu finden sind – Fichtes Maßnahmenkatalog zur Errichtung des „geschlossenen Handelsstaats“ argumentiert gerade mit den zu „berechnenden“ Verhältnissen. In einem 40 Das Rechtseinverständnis der Rechtsgenossen muß einen empirisch darstellbaren Konsens umfassen, auch wenn es darin niemals aufgehen kann. Das heißt aber, es muß einen differenten Konsens umfassen, der jeweils für einen eigenen Prägnanzraum im Verständnis von Rechtlichkeit, d.h. für eine differente (z. B. historische) Rechtswirklichkeit steht. 41 Cf. die bereits zitierte Stelle Handelsstaat, GA I/7, 99. 42 Fichte spricht beispielsweise das Problem der Preisspekulation an, bei der es darum geht, „von der Noth des Mitbürgers einen ungerechten Gewinn zu ziehen, welches in einem rechtsgemäßen Staate schlechthin nicht stattfinden soll“ (a. a. O. 63).
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„offenen“ System fällt hier die Berechenbarkeit, fällt die Proportion und damit die Gerechtigkeit weg. In einem „geschlossenen“ – möglichst einem auf „natürliche“ Weise geschlossenen – ist sie möglich. – Wir fassen das Zwischenergebnis wieder um in einer These zusammen: These VIII: Mit dem geschlossenen Handelsstaat, der nur als besonderer Staat gedacht werden kann und mit dem ein auf Dauer gestellter Gleichklang von individuellem und öffentlichem Interesse auftritt, ist ein historisch konkretes Subjekt-Objekt gegeben, in dessen Bereich der ökonomisch-subjektivistische Krieg aller gegen alle beendet ist. Zugleich ist (erst) in seiner Sphäre eine Realisierung von Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit möglich. VI. Das Geld und die Entdinglichung der Dinge im geschlossenen Handelsstaat Es wurde inzwischen wiederholt herausgestellt, daß und warum Fichte grundsätzlich die „klassische“ These von der Wirtschaft oder dem Ökonomischen als einem schon von sich aus geschlossenen Kreislauf oder „System“ nicht teilt43: die Logik des „Handels“ ist immer nur die Logik der subjektiven Vorteilssuche ohne irgend eine innere Obligation zur Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit des zwischenmenschlichen Handelns überhaupt. „Systematizität“ und damit auch Reflexivität ökonomischen Handelns kann, so Fichtes eigene These, nur durch eine rechtlich vermittelte Schließung der ökonomischen Handlungssphäre erzielt werden – Wirtschaft wird (rationales) System nur unter der Herrschaft des Rechts. Damit gerade steht Fichte gegen das weithin geteilte Dogma von der Ökonomie eben als sich selbsttätig schließenden Systems, als eines für sich bestehenden Vermittlungsganzen der Vielheit und Einheit in eine umfassende Einheit hinein. Daß im geschlossenen Handelsstaat nach Fichte das Wirtschaften durchaus in Systemform gedacht werden kann (und muß), läßt sich dabei in besonders nachdrücklicher Weise am Konzept des Geldes zeigen, das Fichte entwickelt hat. Das Geld wird von Fichte insgesamt auf die Rolle der Vermittlung von Einzel- und Gesamtleistung im Wirtschaftssystem reduziert und kann in diesem Sinne z. B. nicht 43 Für die „klassische“, bis in die Gegenwart hinein fortgeschriebene These können wir exemplarisch an das von Niklas Luhmann entfaltete Großpanorama denken, mit dem die Wirtschaft ausdrücklich als nicht nur „autopoietisches“, sondern auch „autonom operierendes“ System ausgerufen wurde (Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1994, 220). Man kann auf der Basis dieses Ansatzes im nächsten Schritt alle menschliche Interaktion als Kommunikation über den Preis verstehen, auch wenn eine solche Kommunikation notwendig „durch einen sehr hohen Informationsverlust gekennzeichnet“ ist (a. a. O. 18). Fichte wird demgegenüber zu denjenigen gehören, die diesen „sehr hohen Informationsverlust“ in der Reduktion der menschlichen Verhältnisse auf die Sprache des Preises nicht zu zahlen bereit sind, bzw. die möglicherweise bezweifeln, daß die Sprache des Preises überhaupt eine aus sich heraus verständliche bzw. für sich alleine stehen könnende Sprache ist. Das Minimum ist hier, daß der Kommunikation über den Preis eine Kommunikation über die Rechte korrespondieren muß.
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mehr der Wertaufbewahrung dienen, wie bei den älteren, „substantialistischen“ Geldbegriffen der Fall. Das Geld wird bei Fichte auch nicht mehr tauschtheoretisch aufgefaßt, sondern funktional bzw. „systemtheoretisch“; es wird als reine Funktion des Wirtschaftens verstanden und entsprechend nicht mehr „dinglich“ bzw. immer auch von seiner Materialität her („realistisch“ wie noch bei Kant) gedacht. Es wird schließlich „symboltheoretisch“ gefaßt, d. h. es wird als Zeichengeld konzipiert, so daß sein „Wesen“, Vermittlung (und nicht „etwas“) zu sein, an ihm selbst auch gesetzt ist und erkannt werden kann; „repräsentirt“ wird dabei in der „ganze[n] Summe des circulirenden Geldes […] die ganze in dem öffentlichen Verkehr befindliche Summe der Waare“44. Sinn und Zweck der Institution des Geldes ist es zuletzt, den „Werth aller Dinge gegen einander, und ihr[en] Preis gegen Geld“45, festzustellen und festzuhalten; auch im Medium des Geldes begegnen so wiederum die Proportionen, in denen die innere Gliederung des Staatswesens sich vollzieht, aber auch Gerechtigkeit realisiert werden kann. Das Geld ist hier alles andere als der „ungerechte Mammon“ der Bibel: es ist eher ein dienstbarer Knecht der Gerechtigkeit, sofern diese in der Errichtung jener Verhältnisses besteht, in denen ein jeder sich selbst erhalten kann, da er in das Recht der Selbsterhaltung schon eingesetzt ist. Daneben kann freilich noch auf einen anderen, wenn man so will die „Psychologie“ des Geldes betreffenden Aspekt aufmerksam gemacht werden: in seiner „entmaterialisierten“, funktionalistisch konzipierten Rolle steht das Geld für die „entdinglichende“ Macht des Rechts bzw. der Freiheit selbst, die sich in der Rechtsordnung zum Ausdruck bringt. So, wie Fichte in der Grundlage des Naturrechts bereits das Eigentum nicht mehr von konkretem Dingbesitz, sondern „vollzugshaft“, von der Ermöglichung konkreter, tätiger Selbsterhaltung her aufgefaßt hatte46, so wird jetzt auch der Gebrauch des Geldes nicht von einer Dingorientierung her gedacht (etwa der Mehrung des eigenen Besitzes an Edelmetallen), sondern als Vollzug eines Rechtsverhältnisses, als gelebtes Recht denkbar. Das Geld entdinglicht insoweit die Weltstellung des es gebrauchenden Subjekts, aber nicht wie im Ökonomismus auf einen objektiven Nihilismus, ein einfaches Verschwinden der Dinge im „Wert“ hin, sondern auf das Recht als Lebensraum bzw. auf sich realisierende Anerkennung hin. In letzter Instanz geht es hier um nicht weniger als um eine erneute Ersetzung von Nicht-Ich durch Ich, um eine Bezwingung des Objekts, 44 Fichte: Handelsstaat, GA I/7, 79 f. – Daß das so verfaßte Geld nur „Landesgeld“ sein kann, „bei welchem es auch nicht einmal in Frage kommt, ob dasselbe im Ausland werde genommen werden“ (a. a. O. 79), ergibt sich aus Fichtes Prämissen von selbst und unterstreicht noch einmal die Tatsache, daß dieses Geld ganz in seiner Funktion der Koordination eines individuellen Vermögens zum Nationalvermögen aufgehen soll. 45 A. a. O. 84. 46 Fichte kommt auf diese Eigentumslehre im Geschlossenen Handelsstaat ausdrücklich zurück; cf. GA I/7, 85 – 90. Zu dieser Lehre selbst cf. Thomas S. Hoffmann: „Eigentum als Selbstbesitz. Zur Aktualität der Fichteschen Eigentumstheorie“, in: ders. (Hg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, Berlin 2014, 113 – 129.
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das der Freiheit äußerlich bleibt, durch diese selbst. – Wir gewinnen aus diesen Überlegungen zwei Thesen: These IX: Die Mediatisierung des Dinglichen findet im selbst nicht dinglichen, sondern symbolischen Medium des Geldes statt, durch das das Dingliche in das System der Rechtverhältnisse gespiegelt und transponiert wird. These X: Erst im sich umfassend selbst erhaltenden Rechtsstaat, dem geschlossenen Handelsstaat, hat generell das dinghafte, kontingente Objekt die Macht verloren, das Subjekt seiner ursprünglichen Freiheitswirklichkeit zu entfremden: der geschlossene Handelsstaat „mediatisiert“ alles Dingliche im Sinne des Freiheitsinteresses. VII. Kritischer Ausblick Die hier vorgetragene Interpretation läuft auf die These hinaus, daß Fichte das politische Prinzip des Exorzismus der Kontingenz für den Bereich der Wirtschaft dadurch exekutiert, daß er die unmittelbar keineswegs systemisch verfaßte Sphäre der bisherigen „Anarchie des Handels“ unter die Systemform des Rechtsbegriffs bringt und damit tendenziell alles, was bis dato einfaches ökonomisches Datum oder Ereignis war, zu einer Funktion der Rechtsvernunft macht. Genau das ist zum Beispiel gemeint, wenn wir uns an den zitierten Satz erinnern, daß der Staat nicht einfach schon gegebenes Eigentum schützt, sondern den Bürger erst in sein Eigentum einsetzt; das ist gemeint, wenn im Geld nicht mehr ein dem Anschein nach selbständiges Objekt, sondern eine Anweisung auf (rechts-) staatliche Zusagen und Anerkennung begegnet. Freilich können in diesem Zusammenhang auch Probleme entstehen, die man mit Fichtes Ansatz eben deshalb haben mag, weil er sich so entschieden dem Exorzismus der Kontingenz und der Verwandlung der Empirie in ein Vernunftsystem verschrieben hat. Wir erinnern uns dazu nur daran, was der für die Debatte ja maßgebliche Rechtsbegriff meinte: es geht beim Recht darum, daß Subjektivität als individuierte Subjektivität, als Subjektivität unter Bedingungen der Endlichkeit, dasein und gedacht werden kann. Darin liegt viel eher als der Auftrag, Kontingenzen aus unserem Blickfeld zu eliminieren, die Einsicht, daß in der Perspektive des Rechts Freiheit immer im Kontext kontingenter Erscheinung zu denken ist – so wie in der Perspektive des Rechts ja auch das Subjekt nicht einfach als sich selber setzendes Ich, sondern zunächst als konkret verleiblichte Freiheit, der tausend Zufallsmerkmale anhängen, auftritt. Eine sich recht verstehende Rechtsvernunft könnte entsprechend viel eher in einer Logik der Anerkennung der Kontingenzen in ihrem Zusammenspiel mit der Vernunft als im Projekt von deren Eliminierung bestehen. Anders gesagt: vielleicht ist das Recht immer dann schon mit der Moral verwechselt, wenn es im Verhältnis zu jedweder Faktizität einen Rechtfertigungsdruck erzeugt. Auch von Fichtes eigener Einsicht in die Notwendigkeit der Besonderung des Rechtsgedankens her liegt diese Vermutung nicht wirklich fern. Von Kant her gedacht stehen wir hier wieder vor der Frage nach der Urteilskraft:
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nach einer Urteilskraft nämlich, die unterscheiden kann zwischen dem, was aus der Rechtskompetenz heraus zu rationalisieren ist, und dem, was in seiner Existenz schlicht anerkannt werden muß, ohne daß sich daran die Vernunft als solche schon etwas vergäbe. In Fichte begegnet uns in dieser Hinsicht immer wieder der streng epistemisch verfahrende, „berechnende“ Politiker, der offen bleibende Spielräume eher schließen als sie der Urteilskraft oder auch der indirekten Beantwortung überantworten will. Wie gesagt könnte darin sogar ein Selbstmißverständnis des Rechtsbegriffs liegen, das zu Bewußtsein zu bringen wäre. Die Alternative zu Fichte würde entsprechend darin bestehen, auch mit Formen der „Kompetenz“ im Umgang mit den Kontingenzen zu „rechnen“, die nicht einfach in der „Berechnung“ oder der Subsumtion bestehen. „Urteilskraft“ schließt etwa ein Wissen um Toleranzen ein, wie sie auch eine Kreativität in der „indirekten“ Reaktion auf Unwägbarkeiten umfaßt, die so nicht „planbar“, geschweige bürokratisierbar sind. Oder kurz: wer die Tatsache ernst nimmt, daß im Recht die praktische Vernunft empirisch wird, tut gut daran, so viel empirische Kompetenz wie möglich in den rechtlichen Handlungskontext zu integrieren, ohne deshalb das Auge zu blenden, daß die Vernunft der Empirie einsetzt. Aber auch, was Fichtes Vorschlag zum Außenhandel und dessen Abstellung betrifft, würde hier analog gelten: wer Fichtes Prämisse vom Primat des Rechts gegenüber der Ökonomie teilt und deshalb mit ihm davon ausgeht, daß das staatlich jeweils existierende Recht sich niemals zum Spielball anonymer ökonomischer Dynamiken machen kann, mag deshalb immer noch äußere Handelsbeziehung zulassen – solange jedenfalls, wie deren Existenz die Selbstbestimmung des eigenen Rechtsraums nicht berührt und jede allenfalls auftretende Irritation auch im Wege einfacher oder indirekter Reaktion ausgeglichen werden kann. Gerade die Tatsache, daß das Empirische nicht umfassend „rationalisierbar“ ist, bedeutet zugleich, daß das Empirische den Vernunfthorizont, in dem es Thema wird, niemals unmittelbar überspielen kann. Die politische „Kunst“, von der Fichte ja durchaus sprechen kann, besteht dann darin, das Empirische im Vernunfthorizont zu dechiffrieren und zur Geltung zu bringen, ohne deshalb die Vernunft als solche empirisch zur Disposition zu stellen. Wesentlich mehr dürfte von einem transzendentalphilosophischen Politikbegriff her hier nicht zu sagen sein – wenig ist das Gesagte jedoch nicht. – Zwei Thesen mögen diese Überlegungen, freilich nicht überhaupt die Würdigung der Fichteschen „spekulativen Politik“, wie der Geschlossene Handelsstaat sie vorgestellt hat, beschließen: These XI: Der wohl wichtigste Einwand gegen Fichtes Ansatz ist ein epistemologischer: die Kontingenzen und Ungewißheiten, auf die sich ökonomisches Handeln als empirisches Handeln einzulassen hat, sind kaum jemals erschöpfend in jene Form von Berechenbarkeit hinein auflösbar, die Fichtes „spekulative Politik“ voraussetzt. Insoweit „weiß“ der Staat stets zu wenig, um jemals ein wahrhaft geschlossenes System ökonomischen Handelns darstellen zu können, und er sollte sich um so weniger jener Kompetenzen begeben, die in spezifisch ökonomischem (Erfahrungs-)Wissen liegen.
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These XII: Die Alternative zu Fichte, die zugleich am Primat des Rechts gegenüber der Ökonomie festhalten will, müßte insoweit eine Rechtsordnung in den Blick nehmen, die ein ihr immanentes „Spiel der Kontingenzen“ zulassen kann, ohne daß damit der Anspruch des Rechts auf Etablierung einer Ordnung der Anerkennung aufgehoben wäre. Die Rechtsordnung muß nicht zwangsläufig alles Wirtschaftsgeschehen unmittelbar regulieren, wenn sie in der Lage ist, sich selbst auch im Wege indirekter Reaktion zu erhalten. Die Grenze dessen, was im Wege der indirekten Reaktion noch toleriert werden kann, definiert zugleich die Grenze der äußeren Handelsfreiheit. Literatur Braun, Johann: „Fichtes Fahrplan zum Sozialismus“, in: Thomas S. Hoffmann (Hg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, Berlin 2014, 131 – 140. Dante: Divina Commedia. Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, in: Gesamtausgabe (GA) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth u.a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff., dort Bd. I/3: Werke 1794 – 1796, unter Mitwirkung von Erich Fuchs und Peter K. Schneider, hg. von Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966. – Sittenlehre, in: Werke 1798 – 1799, GA I/5. – Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik, in: Werke 1800 – 1801, GA I/7. – Vorlesung über die Moral SS 1796. Mitschrift von Otto von Mirbach, in: Kollegnachschriften 1796 – 1798, GA IV/1. James, David: Fichte’s Social and Political Philosophy. Property and Virtue, Cambridge 2011. Jaurès. Jean: Die Ursprünge des Sozialismus in Deutschland. Luther, Kant, Fichte und Hegel (Original: De primis socialismi germanici lineamentis apud Lutherum, Kant, Fichte et Hegel, Diss. Paris 1891), Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1974. Hoffmann, Thomas S.: „Staat der Freiheit – freier Staat. Deduktion, Imagination und Begriff objektiver Freiheit bei Fichte und Hegel“, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 2 (2004), 221 – 247. – Wirtschaftsphilosophie. Ansätze von der Antike bis heute, Wiesbaden 2009. – „Eigentum als Selbstbesitz. Zur Aktualität der Fichteschen Eigentumstheorie“, in: ders. (Hg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, Berlin 2014, 113 – 129. Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1994. Reese-Schäfer, Wilhelm: Klassiker der politischen Ideengeschichte: Von Platon bis Marx, Berlin/Boston 20163. Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Teil 7: Wirtschaftliche Verwaltung, Stuttgart 1868; ND: Aalen 1975. Weber, Marianne: Fichte‘s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx‘schen Doktrin, Tübingen 1925.
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zu Johann Gottlieb Fichtes Schrift Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und Probe einer künftig zu liefernden Politik (1800) 1800 – 1899 Rezensionen Insgesamt vierzehn zeitgenössische Rezensionen im Zeitraum von Dezember 1800 bis März 18031. Abhandlungen Hagens, Caspar von: Philosophische und politische Untersuchung über die Rechtmässigkeit der Zünfte und Polizeitaxen und ihre Wirkungen auf die bürgerliche Gesellschaft mit besonderer Hinsicht auf Fichte’s geschlossenen Handelsstaat, München 1804. Hestermann, Ludwig: Der offene Handelsstaat, ein philosophischer Versuch, Leipzig/ Pforzheim 1802. Lindau, Hans: Joh. Gottl. Fichtes Lehre von Staat und Gesellschaft in ihren Verhältnissen zum neueren Socialismus, Leipzig 1899. [Redaktion von Die Grenzboten]: „J.G. Fichtes geschlossener Handelsstaat“, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Litteratur und Kunst 51.3 (1892) 505 – 513 und 534 – 541. Roscher, Wilhelm: Geschichte der National-Ökonomik in Deutschland, München 1874, 639 – 648. Schmoller, Gustav: „Johann Gottlieb Fichte. Eine Studie aus dem Gebiete der Ethik und der Nationalökonomie“ (1865), in: ders.: Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften, Leipzig 1888, 50 – 84. 1900 – 1945 Baxa, Jakob: „Die Wirtschaftslehre Fichtes auf Grund des ‚Geschlossenen Handelsstaates‘ 1800“, in: ders.: Einführung in die romantische Staatswissenschaft, 2. erw. Auflage, Jena 1931, 102 – 116. Becker, Julius: Das Deutsche Manchestertum. Eine Studie zur Geschichte des wirtschaftspolitischen Individualismus, Karlsruhe i. Br. 1907, 44 – 56. Berger, L.: „Fichtes ‚Geschlossener Handelsstaat‘“, in: Ethische Kultur. Monatsblatt für ethisch-soziale Neugestaltung 42 (1934), 113 – 119, 129 – 132. 1 Vgl. Fichte-Bibliographie, hg. v. Hans Michael Baumgarten und Wilhelm G. Jacobs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1968, 158 f.
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Personenregister Personenregister Personenregister
Adams, Samuel 48 Adler, Anthony Curtis 7, 152, 166, 211 Aristoteles 25, 63, 80 ff., 84, 129, 142, 148, 154 f. Auerswald, Hans von 57, 72 August Carl, Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 47 Augustinus 65 Baader, Franz von 139 f., 144 f., 148, 209 Babeuf, François Noël 59, 73, 194 Baumgardt, David 140, 148 Baxa, Jakob 139 f., 143, 148 f., 207 Becher, Johannes Joachim 63 Becker, Gary Stanley 141, 207 Biester, Johann Erich 45, 49, 54 f., 71 f., 75 Birtsch, Günter 128, 148 Böhm, Franz 44, 70 Braun, Johann 8, 194, 205, 209 Brockhaus, Friedrich Arnold 49 Buhr, Manfred 58 f., 70, 104, 125, 176, 184, 209 f. Cesa, Claudio 87, 100, 113, 125, 209 Constant, Benjamin 60 Conze, Werner 138, 148 Cotta, Johann Friedrich 6, 14, 52, 59, 74, 104 Dalberg, Carl Theodor von 55, 60, 70, 92 – 95, 98, 100 ff. Dante Alighieri 189, 205 Darjes, Joachim Georg 53 De Pascale, Carla 113, 125, 209 Dierksmeier, Claus 123, 125
Einsiedel, Alexander August von 62, 71 Euchner, Walter 65, 71 Eucken, Walter 44, 71 Feuerbach, Ludwig 156 Fichte, Samuel Gotthelf 46, 48, 51 Fonnesu, Luca 87, 90, 100, 113 f., 121, 125 Forster, Georg 60 f., 71 Foucault, Michel 49, 50, 54 f., 71, 73 Friedman, Milton 133, 140 Friedrich II. / der Große 46, 50, 54, 71 Friedrich Wilhelm III. 50 Fuchs, Erich 5, 45, 61, 71, 103, 124 f., 185, 205, 211 Gehlen, Arnold 147, 149 Gentz, Friedrich 56 f., 63, 72 Georg I. Herzog von Sachsen-Meiningen 54, 72 Goddard, Jean-Christoph 107, 126 Goethe, Johann Wolfgang von 45 ff., 62, 67, 71 ff., 93, 100 Grotius, Hugo 161 Gruner, Justus 52, 71 Hahn, Klaus 107, 126 Hamilton, Alexander 66 Hammacher, Klaus 43, 72, 107, 120, 126, 143, 149, 209 ff. Hardenberg, Carl August 47, 74 Hayek, Friedrich August von 140 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 8, 22, 26, 32, 41, 44, 51, 67, 70 f., 73, 80, 82, 86, 92, 99 f., 102, 140, 144, 190, 194, 199, 205, 210 f.
Personenregister Herder, Johann Gottfried 55, 72, 156 Hess, Moses 194 Hestermann, Ludwig 7, 207 Hirsch, Hans 7 f., 43, 72, 120, 122 ff., 126, 143, 149, 210 f. Hobbes, Thomas 21, 23, 83, 113, 126, 128, 153 f., 210 Hoffmann, Thomas Sören 10 f., 96, 101, 112, 126, 185, 189, 194, 199, 202, 205, 211 Homann, Karl 145, 149 Hörnigk, Philipp Wilhelm 63 Hufeland, Gottlieb 78, 86 f., 93, 101 f. Humboldt, Wilhelm von 56 f., 60, 67 f., 72, 92 f., 95 ff., 101 Jacobi, Friedrich Heinrich 25, 143, 149 James, David 10 f., 169, 172, 174 f., 184, 194, 198, 205, 211 Jaurès, Jean 38, 41, 194, 205 Jefferson, Thomas 48, 72 Joseph II. 46 Justi, Johann Heinrich Gottlieb 53, 63, 101 Kant, Immanuel 6 f., 10, 16 ff., 21 ff., 25, 27 ff., 32, 34, 37 f., 40 – 44, 55 f., 59, 70, 72, 77 ff., 81 f., 85 – 96, 99 – 102, 119, 143, 153, 155 f., 159, 161 f., 166, 194, 198 f., 202 f., 205, 209, 211 Krätke, Stefan 45 Kraus, Christian Jacob 57, 72 Krause, Karl Christian Friedrich 30 Krug, Leopold 135, 149 Lauth, Reinhard 5, 13, 15, 41, 43, 45, 71 f., 75, 100, 103 f., 109, 126, 128, 149, 151, 166, 171, 184 f., 205, 209 Leibniz, Gottfried Wilhelm 10, 77 – 82, 84 f., 88, 99 ff. Lèon, Xavier 103, 113, 118, 126, 208 Lessing, Gotthold Ephraim 67 Lichtblau, Klaus 142, 149 List, Friedrich 66, 73
213
Locke, John 5, 21, 56, 58, 60, 83, 85, 100, 113, 126, 153, 193, 195, 210 Luden, Heinrich 140, 149 Lueder, August Ferdinand 57, 73 Luhmann, Niklas 201, 205 Mandeville, Bernard 54 Manz, Hans Georg von 117, 126 Marquardt, Jochen 67, 73, 103 f., 124, 126, 210 Marx, Karl 38, 61, 71, 128, 133, 141, 149, 152, 191, 194 f., 205, 209 Menger, Anton 58 Mill, John Stuart 93 Mirbach, Otto von 192, 205 Montesquieu, Charles de Secondat Baron de 156, 199 Müller, Adam Heinrich 64, 66 ff., 71, 73, 124, 126, 128, 139 f., 149, 210 Nakhimovsky, Isaac 94, 96, 102, 162, 166, 178, 184, 211 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 56, 62, 68, 71, 143, 149 Petty, William 60 Piketty, Thomas 60 Pinto, Isaac de 144, 149 Platon 109, 134, 158, 167, 180, 191 f., 205 Quesnay, François
60, 68
Rabe, Hannah 142, 149 Radrizzani, Ives 107, 126 Rebmann, Georg Friedrich 61 f., 71, 73 Robespierre, Maximilien de 59 ff., 176 f., 184 Roscher, Wilhelm 143 f., 149, 207 Rosecrance, Richard 145, 149 Rousseau, Jean Jacques 21 – 25, 27, 35 f., 38, 42 f., 57 ff., 65, 74, 94, 102, 113, 126, 153, 158, 162, 166, 172, 174, 178, 184, 210 f. Salin, Edgar 139 Sartorius, Georg 57, 74
214
Personenregister
Say, Jean-Baptiste 63 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 51, 67, 74, 160, 167 Schiller, Friedrich von 14, 67, 78, 84, 87, 93, 100, 102 Schlegel, Friedrich von 7, 128, 140 Schlözer, August Ludwig von 54, 61 f., 73 Schmalz, Theodor 55 Schmitt, Carl 170 Schottky, Richard 113, 124, 126, 210 Simmel, Georg 141 Smith, Adam 5, 8, 44, 56 f., 66 – 69, 73 f., 94, 128, 131 f., 134, 139 f., 142 f., 145, 186, 189 f., 192 Sonnenfels, Joseph 63 Spann, Othmar 140, 142, 149 Spiethoff, Arthur 44, 75 Stein, Lorenz von 8, 194, 205 Strelin, Georg Gottfried 135, 149
Struensee, Karl August von 6, 14, 52, 104, 106, 108, 135, 144, 149, 182, 191 Suchanek, Andreas 145, 149 Turgot, Jacques 48, 56, 60, 75 Verzar, Andreas 104, 113, 118, 120, 126 f., 149, 210 Vico, Giambattista 156 Wallner, Nico 128, 139, 147, 149, 209 Weber, Marianne 8, 38, 58, 133, 149, 170, 194, 205, 209 Weber, Max 170 Widmann, Joachim 109, 126 Wieland, Martin 67, 75 Wolff, Christian 77 – 86, 89, 92 – 95, 99 f., 102 Zöller, Günter 10 f., 114, 117, 123, 125 f., 151, 153, 155 – 160, 166, 211
Sachregister Sachregister Sachregister
Anarchie des Handels 39, 115, 132, 187, 191 ff., 203 Aneignungsrecht 170 Anerkennung 28, 35, 96, 99, 112 f., 116, 171, 183, 186, 188, 195, 197 – 200, 202 f. Anerkennungsordnung 200 Anschauung, intellektuelle 30, 32 Anwendung 16, 77, 81, 96 f., 99, 106 f., 107, 109 ff., 113, 119, 152, 154 f., 169, 172, 176, 177, 179, 180, 182 f. Arbeit 20 f., 34, 37 – 40, 48, 50, 53, 57 – 62, 64 ff., 69, 83 f., 94, 96 f., 99, 118 f., 122, 133 f., 170, 174 f., 192, 194, 210 Arbeitswertlehre 56, 67, 69, 132 f. Assignaten 62 f., 98 Ästhetik 15, 27, 87, 93, 102 Atomismus 136, 197 Aufforderung 9, 28, 105, 112 Aufklärung 44, 54, 60, 62, 69, 74 f., 79, 82, 85, 100, 159 Auslandsreisen 165 Außenhandel 37, 50, 98, 151, 157, 160, 162 f., 192, 208 – privater 157 – staatlicher 50, 98, 157, 162 Autarkie 37, 81, 96, 129, 141, 164 Autonomie 19, 22 ff., 28, 66, 82, 85, 89, 100, 102, 138
Egalitarismus 57, 62, 65, 72, 175, 194 Egoismus 129, 177 Eigentum 9, 21, 26 f., 33 – 38, 44, 55, 58 – 61, 69, 78, 80, 84, 93, 95, 97, 106, 115 – 119, 123, 126, 131, 152 f., 163, 170 – 173, 175, 177, 183, 187, 195 f., 198, 202 f., 205, 209 Einbildungskraft 31, 39, 199 Emigration 165 Empiriker 7, 35, 61, 105, 109 f., 112, 199 Ethik 5, 14, 38, 77, 79, 82, 89, 101, 110, 154 f., 186, 207 f. Europa 37, 47, 49 – 52, 63, 69, 85, 96, 100, 103 f., 130 f., 151, 153, 157, 159 ff., 178, 193, 195, 199 – christliches 130, 160 – modernes 151, 153, 157
Beitrag 80, 82 f., 85, 87, 89, 96, 122 f., 146, 157 Besitz 9, 35 f., 38, 58, 67, 97, 115 f., 131, 134, 136, 152, 165, 171, 175, 181, 191, 193, 196, 202, 205 Bild 53, 181, 189, 199, 211 – Bild des Bildes 199
Feudalsystem 160 Französische Revolution (1789) 23, 46, 51 f., 59 – 62, 69 ff., 73, 95 f., 98, 102, 104 f., 115, 125, 153, 157 ff., 176, 184, 188, 209 Freiheit 8 ff., 11, 14 – 25, 28 – 37, 39 ff., 43, 54, 56, 58 f., 61, 63 – 67, 77 – 80,
Bildung 27, 33, 59, 83, 92, 94, 108, 159, 162, 181, 211 Bildungstrieb 33 Binnenhandel 97, 163 Böses 16, 17 Christentum 49 f., 54, 65, 68, 96, 130, 147, 149, 160 f. Colonial-System 187, 195 Delegation 155 Demokratie 51, 53, 55, 61 f., 64 f., 71 f., 75, 144, 160, 211
216
Sachregister
82 ff., 86 – 99, 101 f., 107, 112, 114 – 118, 120, 124 – 135, 138 – 148, 153, 155, 157 – 160, 164, 166 f., 170 ff., 174 f., 177, 181, 183, 187, 190 – 194, 196 – 199, 202 f., 205, 209 f. – bürgerliche 102, 159 – politische 159 – und Natur 19, 33 f., 193 Friede, ewiger 6, 18, 27, 41, 56, 72, 86, 90, 96, 101, 156, 162, 176, 184, 198, 209 Friede, Westfälischer 81, 161 Geld 6, 9, 14, 37, 46, 58, 62 ff., 67, 71 f., 75, 106, 122 f., 132 – 137, 139 ff., 144, 152 f., 163 – 166, 187 f., 201 ff. Gelehrte 36, 41, 60, 63, 66, 74, 107, 142, 165, 180 ff., 194 Gemeinschaftlichkeit 148, 159 Gemeinwesen 43, 49, 55, 69, 113, 159 f. Gerechtigkeit 10 f., 26, 58, 65, 79, 115, 169 f., 181 ff., 200 ff. – distributive 10, 80, 88, 99, 169, 170, 172 – 175, 177 ff., 182 f., 201 Geschichte 11, 16, 21, 40 f., 44, 46, 53 f., 59, 62, 65 f., 70 – 75, 80, 90, 100, 104 ff., 109, 111, 113, 120, 124, 126 f., 133, 135, 138, 143, 149, 151, 153, 155 – 164, 166, 169, 176, 178, 188, 191, 195, 207, 209 ff. – politische 155, 160 f. Geschichtsphilosophie, politische 160 f., 166 f. Geselligkeit, ungesellige 156 Gesellschaft, bürgerliche 21, 62, 83 ff., 90, 95, 99, 135, 156, 158, 207 Gesellschaftsvertrag 19, 20 – 28, 34 ff., 38, 42, 83, 85, 153, 161, 170 Gewalt 10, 17, 21, 27, 52, 56, 59 f., 68, 72, 87, 92, 113 f., 118, 127 f., 137, 143, 153, 161, 170 Gleichheit 23, 27, 38 ff., 49, 58, 61, 65 f., 93, 97, 158 ff., 173 ff., 209 Globalisierung 9, 39 f., 125, 200, 211 Glückseligkeit 77 f., 80 – 83, 85 f., 88 f., 91 f., 94 f., 98 f.
Gotteststaat 65 Grenze/Grenzen 9, 30, 36, 39 f., 51, 56, 59 f., 68, 72, 79, 81, 86 f., 92 f., 95, 97 f., 100 f., 132, 137, 154, 164 f., 182, 193, 199 f., 205 – natürliche 51, 132, 165 f., 182 Grenznutzen 120, 134, 141 Handel 7, 10, 14, 37, 39, 46, 48, 50, 52, 58, 62, 66 f., 72, 81, 91, 96, 104, 114 f., 120, 127, 130 ff., 138, 140, 145, 153, 160, 163 ff., 175, 177, 182, 187, 189, 191 ff., 195 f., 198, 200 f., 203 Handeln 8, 11, 14, 17, 20 f., 27 f., 31, 35 f., 43 f., 56, 63 f., 77, 79 f., 83, 87 ff., 91 f., 94 f., 97, 114, 132 f., 154, 156, 158, 172 f., 177, 186 – 192, 195 ff., 199 ff., 204 Handelsfreiheit 130, 138, 164, 205 Handelskrieg 6, 39, 137, 162 Handelsraum 130 Handelsstaat, offener 7, 162, 187, 192 f., 195, 197, 199 f., 207 Handlung 9 f., 16 f., 19 f., 22, 32 f., 36 f., 43, 79, 82 f., 85, 87 – 90, 92, 95, 116 f., 138, 152 f., 163, 171, 173, 186, 188, 190, 192, 195 – 198, 200 f., 204 Hauswirtschaft 152 Heteropie 49 Historie 7, 9, 40, 43 ff., 48, 54, 68 f., 82 f., 86 f., 96 – 99, 101 f., 104 f., 107, 109, 126 f., 136, 142 f., 151, 155 ff., 159 ff., 194, 197 f., 200 f., 209 f. Ich
17, 24 f., 27 – 36, 40, 139, 153, 157, 167, 190, 202 f. Individuum 5, 8, 14 f., 21, 24 – 28, 31, 34 f., 38 f., 43, 53, 55 f., 65 f., 72, 79 f., 83 f., 86 f., 91 ff., 95, 97, 106, 109, 112 – 118, 122, 124, 128 f., 136, 139, 144 – 147, 152, 161, 169, 171 – 174, 176 f., 180, 182 f., 186, 191, 193, 195 – 198, 201 f., 207 Innenpolitik 165 Internationalismus 39, 91, 94, 96, 101, 137, 145, 151, 159, 160 ff. Intersubjektivität 19, 25, 97, 112, 154
Sachregister Kameralismus 43 f., 53 f., 57, 63, 73 f., 81, 84, 91, 93, 98 Klassik, ökonomische 8, 127, 141, 152, 190, 200 Kolonialismus 6, 40, 104, 187 siehe auch „Colonial-System“ Konkurrenz 7, 40, 45, 49, 53, 66 f., 91, 96, 120, 135, 144, 146, 161, 197 Korporation 65 ff., 71, 144 ff., 210 Kosmopolitismus 40, 96, 151, 156, 198 Krieg 6, 21, 35, 37, 39, 44, 46 – 49, 53, 61, 64, 66, 71, 75, 120, 124, 132, 134, 137, 144, 156, 158 f., 161 f., 165, 182, 191, 196, 201 Kunst 15, 17, 55 f., 108 – 111, 115, 120 f., 125, 128, 140, 143, 149, 165, 188, 194, 197, 204, 207 Leben 13, 16, 19, 22, 25 f., 29, 34 – 37, 39, 43, 45 – 48, 50, 56 – 60, 62, 66, 69, 73 f., 83, 85, 95, 97, 102, 106 f., 110, 113 ff., 118 – 122, 128 f., 131, 134 f., 139, 141 f., 144, 146 ff., 152, 164, 170 – 177, 181, 185, 191 ff., 196, 202, 208 Liberalismus 5, 37 f., 61, 65 ff., 71 f., 78, 85, 95, 101, 114, 128 f., 131 f., 137, 195 – 198, 200 Macht 10, 20 f., 25 ff., 37, 40, 45, 47, 51, 53, 55, 61 f., 64, 71, 79, 84, 104 f., 117, 129, 133, 137, 143, 147, 153, 159, 162, 170 f., 180 ff., 188, 191, 196 f., 202 f. – politische 20 f., 84, 180 f. – wirtschaftliche 162 Markt/Märkte 6, 39 f., 43 f., 46 – 49, 55 f., 63 f., 75, 121 – 125, 127 – 132, 134 – 142, 144 – 147, 163 f., 189, 190 f. Marktwirtschaft 11, 39, 43 f., 75, 124 f., 128, 139, 145 Marxismus 141, 191, 195 Materialität (der Welt) 28 ff., 33 f., 37 f., 148, 202 Mensch 7 f., 16 – 24, 26 ff., 36, 38, 40, 42, 46, 56 – 60, 62, 64 f., 67 f., 70, 72, 74 f., 82 f., 85, 88, 94, 102, 107, 110, 112, 114 f., 117 – 121, 123, 125,
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127 – 134, 138 – 143, 145 – 148, 153 ff., 160, 170 – 181, 183, 187 ff., 192, 194 – 197, 199 ff., 210 Merkantilismus 44, 47, 81, 132, 135 – 139 Metapolitik 162 f. Methode, genetische 61 Militär 91, 96, 143, 165 Moderne 45, 66 ff., 70 – 73, 75, 85, 98 f., 124, 132 f., 144, 146, 151 – 154, 157, 160 ff., 169 Moralität 15 – 20, 22 – 25, 28, 32, 35, 37, 40 – 43, 56, 58, 69 f., 77 – 81, 83, 85 – 90, 93, 98, 100 – 105, 114, 120, 125, 128, 145, 156, 158, 177, 186, 192, 196, 200, 203, 205 Muße 174 Nation 16, 38 – 42, 44, 52, 56 f., 70, 74, 93, 96, 101, 106, 121, 130, 137 f., 143, 152, 157 ff., 161, 163, 166, 174, 185, 188, 192 – geschlossene 166 Nationalismus 11, 39 f., 42, 51, 53, 56, 63, 73, 91, 97 f., 125, 131, 137, 147, 151, 158 f., 161 f., 169, 179 Nationalökonomie 11, 66, 69, 71, 143 f., 149, 151, 162, 207 Nationalstaat 10, 138, 161 f., 166 Naturrecht 8 f., 13 – 21, 23 f., 26 ff., 31, 34 – 37, 41, 52, 59 f., 78, 80 f., 83 – 87, 94, 96 f., 101 f., 107, 111 ff., 116, 118 f., 122 f., 144, 148, 153 f., 158, 161, 166, 170 f., 173, 177, 179 f., 192, 196, 202, 205, 208 Naturzustand 21, 25, 83 f., 90, 170, 191 Neuständische Gesellschaft 45 Nicht-Ich 29, 30, 33, 190, 202 Offenheit des Ich zur Welt 31 Ökonomie 6, 8 f., 11, 43 f., 57, 65 – 69, 71 f., 74, 77, 80, 92, 120, 124, 127 ff., 133, 141 ff., 148 f., 152, 186 ff., 195, 198, 200 f., 204 f., 210 – klassische 8, 127, 200 – romantische 68 Ökonomismus 124 f., 202
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Sachregister
Pädagogik, politische 159 Paraguayische Gesellschaft 49 Patriotismus 15, 52, 55, 72, 157 ff. – republikanischer 159 Perfektionismus 77 f., 82, 85, 87 – 90, 92 f., 95, 99 Pflicht 15 – 20, 22 f., 26 f., 37, 54, 62 f., 80 f., 84, 89 f., 92, 104, 114 f., 121 f., 131, 135 f., 153, 186, 193 Philosophie, politische 6, 151, 154, 156 – 161, 210 – theoretische 5, 14 Physiokraten/Physiokratie 58, 60, 68, 132, 139 Plan/Planung 43, 46, 55, 64, 97 ff., 102, 120 f., 130, 155 f., 162, 196, 210 Planwirtschaft 8, 38 f., 43 f., 65, 72, 120, 122 f., 126, 131, 143, 163, 191, 194, 196, 210 f. Politik 5, 8 – 11, 13 f., 16 f., 37, 39, 44 f., 47, 56, 59, 61 f., 70, 74, 83, 90, 95, 103 – 112, 125, 129 f., 133 f., 136, 140, 142 f., 145, 148 f., 151 – 157, 159, 161 – 165, 169 f., 176, 178 – 183, 185 – 191, 195, 197 f., 204 f., 207 – 210 Politiker 103, 105, 108 ff., 156, 188, 204 Politikreform 159 Praxis 23, 51, 77, 82, 84, 86, 91, 93 ff., 97, 101, 107 ff., 127, 143, 147, 154, 169, 187 Preis/Preistheorie 9, 30, 37, 39, 46, 49, 55, 57, 62 ff., 71, 122 ff., 133, 140, 152, 163 f., 177, 179, 198, 201 f., 208 Preisspekulation 200 Primat des Rechts 86, 98, 186, 188, 198 f., 204 f. Privateigentum 163, 177, 195 Privilegien 23, 45, 51 f., 54, 63, 67, 159 Rational-Choice-Theorie 190 Recht 5, 7, 9, 13, 16 – 28, 30, 34 – 40, 52, 58 – 62, 65 ff., 77 f., 80 – 90, 92 – 97, 99 ff., 104, 107, 109 – 119, 121, 124 ff., 132, 135 f., 139, 141, 143, 146, 151 – 161, 163 f., 166 f., 170 – 174, 176 f., 180 f., 185 – 188, 190 f., 193 – 205, 208 ff.
– römisches 80, 96, 130 Rechtsidee 186, 195 f., 198 Rechtslehre 5, 13 – 16, 45, 59, 74, 86, 95, 101, 106, 107 f., 110, 112, 118, 152 ff., 157, 174, 177, 179, 185 f., 205, 207, 210 Rechtsphilosophie 11, 90, 96, 101, 112, 126, 158, 161, 185, 194, 202, 205 Rechtssicherungsrecht 193 Rechtsstaat 113, 115, 128, 161, 163, 198 f., 203 Rechtszustand 91, 113, 115, 172, 194 Reden an die deutsche Nation 16, 40 f., 157, 159, 161, 166, 185 Reform 27, 46, 48, 50 – 53, 55, 68 ff., 90, 104, 147, 151, 157 Reformation 81, 102, 130, 161 Reformpolitik 52, 70, 159 Reichtum 38, 54, 57 f., 66, 70, 83, 174 Religionslehre 14 f. Renaissance 160 Republikanismus 78, 86, 89 ff., 95, 99, 114, 157 – 160 Revolution 23, 46, 48, 51 f., 59 – 62, 65, 69 ff., 73, 92, 95, 99, 101 f., 104, 115, 125, 151, 153, 157 ff., 176, 184 f., 188, 194, 209, 211 Robinsonade 128 Romantik 67 f., 71, 98, 128 f., 140, 143, 148 f., 185, 210 Sache 8 f., 13, 19, 21, 23, 26 f., 29, 33 f., 55, 88, 91, 108, 110, 116 ff., 133 f., 146, 152, 192 Sehnen 128 Seiniges 26, 37, 115 – 118, 136, 172, 193 Sittenlehre 15 f., 19, 32, 40 f., 97, 107, 186, 205 Sklaverei 35, 39 Sozialismus, 8, 38, 42, 65, 71, 133, 147, 149, 191, 193 ff. Sozialität 118, 158 Sozialphilosophie 154, 209 Staat 5 f., 8, 10, 13 f., 16 f., 19 – 23, 25 ff., 34 – 40, 44, 48, 50, 52 – 56, 58,
Sachregister 60, 62 – 66, 70, 72, 77 f., 80 – 87, 89, 91 – 101, 111 – 115, 117 – 132, 135 – 141, 143 ff., 147 ff., 151 f., 154 f., 157, 160 ff., 164, 166 f., 170 – 180, 182, 187 f., 191 – 205, 207 ff., 211 – juridischer/Rechtsstaat 114, 127 ff., 157, 161, 176, 193, 198 – kommerzieller 157, 176 – moderner 151, 160 ff. Staatsrecht 162 Staatswirtschaft 48, 50 f., 53 f., 57, 61, 70 – 74, 119 f., 123, 125, 135, 144 f., 148 f. Stände 45, 54 f., 58, 64, 67, 73, 106, 121 f., 124 f., 144 f., 194 Subjektivität 19, 24 f., 27 f., 112, 129, 141 f., 146, 154, 196 f., 203 System, autopoietisches 186, 201 Territorialstaat 96, 153, 160, 164 Theorie 5, 8 f., 11, 15, 21, 23, 36, 43 f., 51 ff., 66, 68, 72, 74, 77 ff., 81 – 86, 89 ff., 93 ff., 97, 99 ff., 107 ff., 113, 116, 120, 126 ff., 130, 133 f., 141, 143, 152, 158, 169 f., 172, 178, 180, 183, 186, 189 f., 210 f. Tourismus 40 Tugend 77 f., 87 – 90, 189 Unsichtbare Hand 125, 131 Urrecht 33 ff., 113, 195, 198 Urteilskraft 28, 41, 56, 72, 155, 180, 203 f. Utopie 50, 59, 65 ff., 71, 73, 103 f., 126, 210 Vaterland/Vaterlandsliebe 158 Verkehrswirtschaft 44 Vernunft 14 ff., 18 ff., 22, 24 – 28, 31 f., 40 f., 52 f., 55, 59, 70, 73, 78 f., 88 – 91, 94, 101, 107, 112 – 115, 118, 123, 128, 135, 138, 153, 155 ff., 171, 182, 185 f., 188 – 191, 197, 203 f., 210 – -recht 7 f., 156, 199 f. – -staat 104, 110 f., 123 f., 126 f., 138, 149, 151, 155, 170, 176, 180, 188, 193 f., 196, 210
219
Verteilungsgerechtigkeit 10, 80, 88, 99, 169, 173 – 176, 178, 182 f., 201 Vertrag 18 ff., 26 f., 35 ff., 84, 113, 116 f., 121 f., 124, 126, 128, 130, 142 f., 161, 210 Volk 13, 18, 21, 27, 37, 40, 56, 65, 91, 94, 121, 130, 135, 158, 160, 166, 180, 186 Volkssouveränität 62, 65 Volkswirtschaft 39, 60, 138, 140, 149, 152, 208 Vollkommenheit 11, 77, 79, 90, 104 Volonté générale/volonté de tous 24 f., 27 Wachstum 46, 97, 129, 133, 141, 143, 187 Währung 62, 98, 152, 163 ff., 179, 189 Weltfrieden 166 Welthandel 195, 198 Weltstaat 200 Wert/Wertlehre 9, 50, 57, 62, 65, 69, 82, 98, 122 f., 129, 132 – 136, 140 – 143, 160, 164, 172, 202, 208 Wertmetallgeld 164 Widerstand 16, 30, 33, 145, 177, 179, 182 Willkür 9, 23, 26 f., 53, 80, 120, 128 f., 132, 134, 160, 171, 189 – 193, 197, 200 Wirtschaft 11, 34, 39 f., 44, 49, 52 f., 61 f., 67, 71 f., 75, 98, 105 f., 114, 119 f., 123 ff., 128, 131, 133, 141, 143, 145 ff., 149, 157, 161, 163 f., 178, 185, 199, 201, 203, 205, 211 Wirtschaftsphilosophie 8, 152, 185, 189, 205, 208, 211 Wirtschaftspolitik 5, 14, 44, 47 ff., 52, 56, 61 f., 70, 130, 143, 145, 149, 162, 164, 187, 191, 194, 198, 207, 208 Wohlfahrtsausschuß 60, 63 Wohlleben 119 – 122 Zeitgeschichte 10 f., 106, 111, 120, 127, 138, 151, 155, 158, 162 ff. Zivilbürger 158 Zwang 17 ff., 21, 37, 66, 86 – 90, 92, 94, 113, 153, 171, 179