Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag am 24. August 2020 9783110666243, 9783110665659

This festschrift is dedicated to Prof. Klaus J. Hopt on his 80th birthday. A team of renowned corporate lawyers pays hom

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German Pages 1610 Year 2020

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Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag am 24. August 2020
 9783110666243, 9783110665659

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I Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag

II

III

Festschrift für KLAUS J. HOPT zum 80. Geburtstag am 24. August 2020 herausgegeben von

Stefan Grundmann Hanno Merkt Peter O. Mülbert sowie

Harald Baum Katharina Pistor Andreas M. Fleckner Markus Roth Jan von Hein Heike Schweitzer Thomas von Hippel Felix Steffek Christoph Kumpan Marina Wellenhofer Patrick C. Leyens

De Gruyter

IV

ISBN 978-3-11-066565-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-066624-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-066574-1 Library of Congress Control Number: 2020933836 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz/Datenkonvertierung: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com

Vorwort

V

Vorwort Vorwort

Vorwort Am 24. August 2020 feiert Klaus J. Hopt seinen 80. Geburtstag. Wir, seine Schülerinnen und Schüler, möchten dies zum Anlass nehmen, ihn erneut mit einer Festschrift zu ehren. Klaus J. Hopt ist nach seiner Emeritierung nicht untätig geblieben, sondern erfreut sich und uns weiterhin mit einer erstaunlichen Schaffenskraft. Ausdruck seiner unverminderten Präsenz sind zahlreiche nationale und internationale Beiträge, aber auch eine ungebrochene Reise- und Vortragstätigkeit. Seit dem 70. Geburtstag hat Klaus J. Hopt eine beeindruckende Anzahl umfangreicher Kommentierungen verfasst, Sammelbände herausgegeben und Aufsätze publiziert, dies auch gemeinsam mit nationalen und internationalen Kollegen sowie seinen Schülerinnen und Schülern. Genannt seien hier nur verschiedene Auflagen des Kurzkommentars zum Handelsgesetzbuch (35.–39. Auflage), das Handelsvertreterrecht (5. und 6. Auflage) sowie die 4. Auflage des Vertrags- und Formularbuches, die Kommentierung der Vorstandshaftung und des Aufsichtsrats im Großkommentar zum Aktiengesetz, letztere auch als Sonderausgabe Der Aufsichtsrat: Aktienrecht und Corporate Governance. International sind bei Oxford University Press sowie Cambridge University Presse von Klaus Hopt mit herausgegebene Sammelbände zur Financial Regulation and Supervision, zur Comparative Corporate Governance sowie zu Corporate Boards in Law and Practice erschienen, weiter die Max Planck Encyclopedia of European Private Law und ein Band zur Mediation. Von seiner ungestillten Neugier zeugen weitere neue Themen wie das Schuldverschreibungsrecht und durch die internationale Entwicklung neu akzentuierte Themen wie die Corporate Governance von Banken und Versicherungen. Hinzu tritt eine Vielzahl von Fachbeiträgen in deutschen und internationalen Fachzeitschriften, auch im American Journal of Comparative Law. Die vorliegende Festschrift ist Ausdruck des Dankes sowie der Wertschätzung nicht nur seiner Schülerinnen und Schüler, die mit Klaus J. Hopt auch über seine Emeritierung hinaus äußerst fruchtbar zusammenarbeiten konnten und die weiterhin von seinem Rat und seiner Erfahrung profitieren. Mitgewirkt haben auch zahlreiche Autorinnen und Autoren, die Klaus J. Hopt seit langen Jahren verbunden sind, die aber auch ganz aktuell mit ihm bei gemeinsamen Veröffentlichungen zusammengearbeitet haben und zusammenarbeiten. Zu seinem 80. Geburtstag wünschen die Herausgeberinnen und Herausgeber dem Jubilar weiterhin gute Gesundheit und viel Schaffenskraft in

VI

Vorwort

Deutschland, in Europa und in der Welt. Und nicht zuletzt: Wir wünschen ihm glückliche Jahre und viele, viele gemeinsame Stunden, mit uns, den Autoren und vor allem mit seiner lieben Frau. Stefan Grundmann Hanno Merkt Peter O. Mülbert sowie Harald Baum Andreas M. Fleckner Jan von Hein Thomas von Hippel Christoph Kumpan Patrick C. Leyens Katharina Pistor Markus Roth Heike Schweitzer Felix Steffek Marina Wellenhofer

neue Seite!

Vorwort

Die Herausgeber danken für großzügige finanzielle Unterstützung bei der Herstellung dieser Festschrift: Bundesverband deutscher Banken e.V. Freshfields Bruckhaus Deringer SZA Schilling Zutt Anschütz WM – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

VII

VIII

Vorwort

Bearbeiterverzeichnis Bearbeiterverzeichnis Bearbeiterverzeichnis

Klaus J. Hopt zum 24. August 2020 JOHANNES ADOLFF CAROLIN ALTHOFF YEŞIM M. ATAMER GREGOR BACHMANN HARALD BAUM WALTER BAYER JENS-HINRICH BINDER HANS-JOACHIM BÖCKING PETRA BUCK-HEEB MATTHIAS CASPER PAUL L. DAVIES KATRIN DECKERT RUI PEREIRA DIAS WALTER DORALT SUSAN EMMENEGGER ANDREAS ENGERT GUIDO FERRARINI TIMO FEST ANDREAS MARTIN FLECKNER HOLGER FLEISCHER STEFAN GRUNDMANN BARBARA GRUNEWALD MATHIAS HABERSACK PHILIPP HACKER STEPHAN HARBARTH ALEXANDER HELLGARDT ACHIM HERFS THORSTEN HÖCHE PETER HOMMELHOFF JÖRN AXEL KÄMMERER SUSANNE KALSS LARS KLÖHN JENS KOCH JOHANNES KÖNDGEN INGO KOLLER

LUTZ KRÄMER HARTMUT KRAUSE CHRISTOPH KUMPAN THILO KUNTZ KATJA LANGENBUCHER DIETER LEUERING PATRICK C. LEYENS JAN LIEDER HEINZ-PETER MANSEL HANNO MERKT FLORIAN MÖSLEIN NIAMH MOLONEY FALK MYLICH ULRICH NOACK PETER NOBEL HARTMUT OETKER KNUT BENJAMIN PIßLER DÖRTE POELZIG STEFAN PRIGGE JOCHEM REICHERT MORITZ RENNER KARL RIESENHUBER WOLF-GEORG RINGE MARKUS ROTH WULF-HENNING ROTH LUCIENNE SCHLÜRMANN JESSICA SCHMIDT RALPH SCHMITT WOLFGANG SCHÖN ULRICH G. SCHROETER CHRISTOPH H. SEIBT GERALD SPINDLER FELIX STEFFEK JOACHIM TEBBEN CHRISTOPH TEICHMANN

IX

X GUNTHER TEUBNER JENNIFER TRINKS TOBIAS TRÖGER DIMITRIS TZOUGANATOS RÜDIGER VEIL DIRK A. VERSE EBERHARD VETTER JOCHEN VETTER JAN VON HEIN

Bearbeiterverzeichnis

BIRGIT WEITEMEYER MARINA WELLENHOFER MARC-PHILIPPE WELLER HARTMUT WICKE CHRISTINE WINDBICHLER MARTIN WINNER EDDY WYMEERSCH DIRK ZETZSCHE

Inhaltsverzeichnis

XI

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V IX

YEŞIM M. ATAMER Nutzungsersatz und Modellwechsel bei Ersatzlieferung nach UN-Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

GREGOR BACHMANN Compliance: Das WpHG als Vorreiter und Opfer einer Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

HARALD BAUM Internationale Trends als gesellschaftsrechtliche Reformimpulsgeber? – Aktuelle Entwicklungen der Corporate Governance in Japan – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

WALTER BAYER Der unwirksame Verzicht oder Vergleich „soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist“ (oder auch: Wie ein irrtümlicher BGH-Rechtssatz das Licht der Welt erblickte und Karriere machte) . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

JENS-HINRICH BINDER Der Wirtschaftsprüfer: tragende Säule der Banken-Governance? . .

59

HANS-JOACHIM BÖCKING UND CAROLIN ALTHOFF Corporate Social Responsibility als Instrument guter Corporate Governance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

PETRA BUCK-HEEB Der Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bei Eilentscheidungen und der Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . .

101

XII

Inhaltsverzeichnis

MATTHIAS CASPER Zahlungen ohne Einsatz einer starken Kundenauthentifizierung und der Haftungsausschluss nach § 675v Abs. 4 BGB – neues Ungemach an der Schnittstelle von Aufsichtsrecht und Bürgerlichem Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117

PAUL L. DAVIES The UK Stewardship Code 2010–2020 From Saving the Company to Saving the Planet? . . . . . . . . . . . .

131

KATRIN DECKERT Die Anerkennung des Unternehmensinteresses und Einführung der raison d’être von Gesellschaften im französischen Recht: tiefgreifende Reform oder politische Ansage?. . . . . . . . . . . . . . .

151

RUI PEREIRA DIAS Multiple directorship and knowledge attribution . . . . . . . . . . . .

163

WALTER DORALT Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

SUSAN EMMENEGGER Corporate Governance von Banken: Fokus USA . . . . . . . . . . . .

189

ANDREAS ENGERT How (not) to administer a liability rule – the German appraisal procedure for corporate restructurings . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211

GUIDO FERRARINI Inside information in protracted processes and the MAR review . .

223

TIMO FEST Zur Haftung für Fairness Opinions gegenüber Aktionären und anderen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

ANDREAS MARTIN FLECKNER Anlegermitverschulden vor dem Bankensenat Eine quantitative juristische Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

HOLGER FLEISCHER UND JENNIFER TRINKS Administrateur Provisoire – Provisional Director – Notgeschäftsführer: Möglichkeiten und Grenzen gerichtlicher Überwindung von Blockadesituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279

Inhaltsverzeichnis

XIII

STEFAN GRUNDMANN Interessenwahrungs- und Hyper-Interessenwahrungspflicht als Leitmaxime des Bankvertragsrechts Grundlagen, Praxisausprägungen, Bedeutung für ihre Wirkung im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301

BARBARA GRUNEWALD Rechtmäßiges Alternativverhalten – gibt es Besonderheiten im Gesellschaftsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325

MATHIAS HABERSACK Aufsichtsratsvergütung nach ARUG II . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

PHILIPP HACKER Digitale Marktordnung durch Urheber- und Datenschutzrecht. . .

351

STEPHAN HARBARTH Compliance und Einheit der Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . .

381

ALEXANDER HELLGARDT Wider die Legalitätspflicht im Kapitalgesellschaftsrecht . . . . . . . .

403

ACHIM HERFS Put Up or Shut Up – Zum Umgang mit Übernahmegerüchten im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

425

THORSTEN HÖCHE Geldwäscheprävention 2.0 – ein Plädoyer. . . . . . . . . . . . . . . . .

449

PETER HOMMELHOFF Vorstandsbezüge und gesteuertes Organverhalten . . . . . . . . . . .

467

JÖRN AXEL KÄMMERER Die geplante Europäische Einlagenversicherung (EDIS): Statische Vorgaben des Primärrechts und der unionalen Regulierungsprogrammatik für eine „dritte Säule“ der Bankenunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

481

SUSANNE KALSS Der unfreiwillige Verlust von Stifterrechten in der österreichischen Privatstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

XIV

Inhaltsverzeichnis

LARS KLÖHN Kursrelevanz und Aufdeckungswahrscheinlichkeit Zu dem Merkmal „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ in Art. 7 Abs. 1 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

513

JENS KOCH Das Gebot informationeller Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . .

525

JOHANNES KÖNDGEN Das SEPA-Rulebook als Rechtsquelle des Europäischen Zahlungsdiensterechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

539

INGO KOLLER Bestmögliche Interessenwahrung bei der nicht-unabhängigen Anlageberatung nach dem WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

563

LUTZ KRÄMER „Nach fest kommt ab“ – Zur Kursrelevanz von Zwischenschritten, verständigen und irrationalen Anlegern (Zugleich eine kurze Zeitreise vom Beginn des Deutschen Kapitalmarktrechts zur Europäischen Regulierung) . . . . . . . . . .

585

HARTMUT KRAUSE Fragen über Fragen zur angemessenen Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten . . . . . . . . . . . . .

599

CHRISTOPH KUMPAN D&O-Versicherung und aktienrechtliche Zuständigkeit im Spannungsfeld von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . .

631

THILO KUNTZ Regulierungsstrategien zur Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen im Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

653

JOHANNES ADOLFF UND KATJA LANGENBUCHER Kapitalmarktunion und marktindizierte Aktionärsrechte . . . . . . .

675

DIETER LEUERING Die variable Größe des Aufsichtsrats einer Genossenschaft . . . . . .

695

PATRICK C. LEYENS Der UK Stewardship Code 2020 – Hintergründe, Konzeption und Berichtspflichten im Vergleich zu §§ 134a bis 134c AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

709

Inhaltsverzeichnis

XV

JAN LIEDER Haftungsfragen bei Immobilientransaktionen unter Beteiligung von Kapitalverwaltungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

735

HEINZ-PETER MANSEL Vertrags- und Deliktsgerichtsstand der Prüferhaftung bei squeezeout-bedingten Drittklagen gegen Sachverständige . . . . . . . . . . .

761

HANNO MERKT Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht rechtsvergleichend . . . . .

775

FLORIAN MÖSLEIN Corporate Digital Responsibility: Eine aktienrechtliche Skizze . . .

805

NIAMH MOLONEY Reflections on ESMA at a Cross-roads . . . . . . . . . . . . . . . . . .

825

FALK MYLICH Bilanzielle Voraussetzungen und Folgen beim Erwerb von Anteilen an der herrschenden Kapitalgesellschaft durch die abhängige Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .

841

ULRICH NOACK UND DIRK ZETZSCHE Vom Aktienbankrecht zum Aktienintermediärsrecht . . . . . . . . .

863

PETER NOBEL Zur Corporate Governance von Banken . . . . . . . . . . . . . . . . .

881

HARTMUT OETKER Aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht und Geschäftsgeheimnisgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

901

KNUT BENJAMIN PIßLER Der Partnerschaftsvertrag im Entwurf des chinesischen Zivilgesetzbuches: Vollendung des unvollständigen Mosaiks des Personengesellschaftsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

923

DÖRTE POELZIG Marktmissbrauchsrecht und Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . .

943

STEFAN PRIGGE Das Genossenschaftsmodell des FC St. Pauli – eine erste Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

959

XVI

Inhaltsverzeichnis

JOCHEM REICHERT Entscheidungsbefugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

973

MORITZ RENNER Die rechtsmissbräuchliche Kündigung im Kredit- und Anleiherecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

993

KARL RIESENHUBER Die Transparenzrichtlinie 2019/1152 Grund-Rechtsakt für das Arbeitsrecht der digitalen Wirtschaft . . . 1009 WOLF-GEORG RINGE Interne und externe Corporate Governance bei Banken . . . . . . . . 1037 MARKUS ROTH Die Information des Kontrollorgans im Spiegel internationaler Corporate Governance-Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1053 WULF-HENNING ROTH Internationale Zuständigkeit und private enforcement in Wettbewerbsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071 JESSICA SCHMIDT Company Law Package: Collateral Damage – ausgewählte Zweifelsfragen und Redaktionsfehler – . . . . . . . . . 1097 RALPH SCHMITT Die Kaufpreisherabsetzung im Wege des Schadensersatzes bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten . . . . . . . . . 1111 WOLFGANG SCHÖN Governance und Compliance in Wissenschaftsorganisationen . . . . 1127 ULRICH G. SCHROETER Risikoberichterstattung in der „nichtfinanziellen Erklärung“: Maßstab, Adressaten und gewährleistungsrechtliche Publizitätshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1155 CHRISTOPH H. SEIBT Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen . . . 1171

Inhaltsverzeichnis

XVII

GERALD SPINDLER Der Kodex-Gedanke: selbstregulierendes Steuerungsmittel statt Satzungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1205

FELIX STEFFEK Enforcing Bank Loans in the European Union A Comparative and Leximetric Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . .

1219

JOACHIM TEBBEN Registerpublizität nach der Digitalisierungsrichtlinie: Die Handelsregisterbekanntmachung ist tot, es lebe § 15 HGB! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1237

CHRISTOPH TEICHMANN Mitbestimmungsschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen – Zugleich ein Rückblick auf die Beratungen der „Informal Company Law Expert Group“ (2014–2018) . . . . . . . .

1255

GUNTHER TEUBNER Corporate Codes in den Varieties of Capitalism Wie die Unterschiede von Produktionsregimes die rechtliche Durchsetzung von Unternehmenscodes beeinflussen . . . . . . . . .

1273

TOBIAS TRÖGER Investorenschutz à l’ancienne – Bemerkung zur Regelung von Related Party Transactions im ARUG II . . . . . . . . . . . . . .

1289

DIMITRIS TZOUGANATOS Horizontal Shareholding and EU Competition Law . . . . . . . . . .

1303

RÜDIGER VEIL Transparenz über nachhaltige Investments und Nachhaltigkeitsrisiken – ist die europäische Gesetzgebung zu kurz gesprungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1321

DIRK A. VERSE Interessenkonflikte im „Related Party“-Ausschuss . . . . . . . . . . .

1335

EBERHARD VETTER Aufsichtsratsbudget. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1363

XVIII

Inhaltsverzeichnis

JOCHEN VETTER Überlegungen zur Auslegung aufgezwungener Gesetze – Dargestellt am Beispiel der Regelungen zu Related Party Transactions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1383 JAN VON HEIN Grenzen der Rechtswahl bei derivativen Geschäften zwischen inländischen Vertragsparteien (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO) . . . . . . . 1405 BIRGIT WEITEMEYER Unternehmen in Verantwortungseigentum? Zur Zulässigkeit der Selbstbeschränkung und Unveräußerlichkeit im Stiftungs- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1419 MARINA WELLENHOFER Die Teilungsversteigerung von Ehegattenimmobilien. . . . . . . . . . 1433 MARC-PHILIPPE WELLER UND LUCIENNE SCHLÜRMANN Wegfall der rechtlichen Geschäftsgrundlage – Eine neue Fallgruppe des § 313 BGB am Beispiel des Brexit . . . . . 1449 HARTMUT WICKE Europäisch-nationale Mischnormen – eine Herausforderung für Gesetzgebung und Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1465 CHRISTINE WINDBICHLER Objektive organbezogene Besetzungsregeln für den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1479 MARTIN WINNER Die Übernahme-Richtlinie und der Mindestpreis des Pflichtangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1491 EDDY WYMEERSCH Systemic risk in non-financial companies . . . . . . . . . . . . . . . . . 1507 Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . 1541 Betreute Habilitationen/Dissertationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1559 Schriftenverzeichnis (List of Publications) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1569 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1589

Nutzungsersatz und Modellwechsel bei Ersatzlieferung nach UN-Kaufrecht

1

Nutzungsersatz und Modellwechsel bei Ersatzlieferung nach UN-Kaufrecht Yeşim M. Atamer

Nutzungsersatz und Modellwechsel bei Ersatzlieferung nach UN-Kaufrecht YEŞIM M. ATAMER

I. Einleitung Die Diskussion um das Recht auf Ersatzlieferung im Kaufvertrag ist in der EU und besonders in Deutschland schon seit längerem im Fluss. Die EuGH-Entscheidungen zum Nutzungswertersatz1 sowie zur Allokation der Aus- und Einbaukosten bei Ersatzlieferungen2 in Business-to-Consumer (B2C) Verträgen waren wichtige Auslöser. Mit dem Ausbruch des „VWDieselskandals“ ist dieser Rechtsbehelf nun wieder stark im Rampenlicht. Diesmal beschäftigt die Gerichte die Frage, ob die Käuferin das Recht hat, auf Ersatzlieferung zu bestehen, falls der Verkäufer nur noch mit einem neueren Fahrzeugmodell nacherfüllen kann. Der Bundesgerichtshof hat in einem ausnahmsweise veröffentlichten Hinweisbeschluss entschieden, dass prinzipiell ein solcher Anspruch gegeben ist, solange nach dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien und dem Vertragszweck die konkrete Leistung als austauschbar angesehen werden kann.3 Ob die Käuferin für dieses „Upgrade“ etwas zahlen muss, steht wenigstens für Business-to-Business (B2B) Kaufverträge noch offen. Ziel dieses Beitrages ist es, sich mit einigen dieser Fragen im Rahmen des UN-Kaufrechts auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, ob für B2B und B2C Kaufverträge unterschiedliche Wertungen gelten sollten.4 1

C-404/06, Quelle AG v Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, 17. April 2008, ECLI:EU:C:2008:231. 2 C-65/09 Gebr. Weber GmbH v Jürgen Wittmer and Case 87/09 Ingrid Putz v Medianess Electronics GmbH, 16. Juni 2011, ECLI:EU:C:2011:396. 3 BGH, Hinweisbeschluss vom 8.1.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133. Vgl. auch OLG Stuttgart, 29.7.2019, WM 2019, 2085; OLG Hamburg, 15.7.2019, BeckRS 2019, 16548. 4 Vgl. zum Ganzen im Detail ATAMER, Replacement of Non-Conforming Goods ‚Free of Charge‘ – Is There a Need to Differentiate Between B2B and B2C Sales Contracts?, Uniform Law Review 24/1 (2020), 1–26. Für die Übersetzung der relevanten Abschnitte aus dem Englischen danke ich Meret Lüdi, BLaw, Hilfsassistentin am zivilistischen Seminar der Universität Bern.

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Yeşim M. Atamer

II. Nutzungsersatz bei Ersatzlieferung Falls die vom Verkäufer gelieferte Sache nach einiger Zeit Mängel aufzeigt und dies eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt,5 so hat die Käuferin gemäß Art. 46 Abs. 2 CISG das Recht, Ersatzlieferung zu verlangen. Die Käuferin wird jedoch regelmäßig die Sache bis zur Rückgabe genutzt haben. Die erste Frage, der nachgegangen werden soll, ist jene, ob die Käuferin nach dem CISG verpflichtet ist, für die zwischenzeitlich erfolgte Benutzung Ausgleich zu leisten. 1. Systematik und Inhalt der relevanten Bestimmungen Der V. Abschnitt des CISG umfasst die Artikel 81–84 und trägt die Überschrift „Wirkungen der Aufhebung“. Obgleich der parallele Abschnitt im ULIS (Art. 78–81) sich wirklich nur auf die Aufhebung des Vertrages konzentrierte, stimmt diese Überschrift für das CISG nicht mehr ganz. Die Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des CISG zog es nämlich damals vor, in diesem Rahmen auch das Rückabwicklungsverhältnis bei der Ersatzlieferung zu regeln, da ja teilweise ähnliche Interessen der beteiligten Parteien wie bei einer Vertragsauflösung vorliegen würden.6 So wurde das Wort „Ersatzlieferung“ hier und dort hinzugefügt, ohne jedoch eine vollständige Abstimmung mit den jeweiligen Bestimmungen vorzunehmen. Der Abschnitt lässt bis heute Raum zur Diskussion, insbesondere in Bezug auf die Rückerstattung von Gebrauchsvorteilen bei einer Ersatzlieferung. Artikel 82 Abs. 1 CISG bestimmt den Grundsatz, dass die Käuferin nur Ersatzlieferung verlangen (bzw. den Vertrag auflösen) kann, wenn sie in der Lage ist, die vertragswidrige Ware wesentlich in dem Zustand zurückzugeben, in dem sie sie erhalten hat.7 Doch in den in Absatz 2 aufgezählten Ausnahmesituationen kann auch dann eine Ersatzlieferung verlangt werden, wenn die Sache im ganzen oder teilweise untergegangen ist. Das sind die Fälle in denen (i) die Unmöglichkeit nicht durch die Käuferin verursacht worden ist; (ii) die Ware bei der Untersuchung gemäß Art. 38 untergegan-

5 Vgl. zur Frage, wann eine mangelhafte Lieferung eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, SCHWENZER/BEIMEL, Replacement and Repair of Non-Conforming Goods under the CISG, IHR 2017, 185, 187. 6 Vgl. HONNOLD, Documentary History of the Uniform Law for International Sales, 1989, S. 188 f. 7 Zur besseren Lesbarkeit wird dieser Teil von Art. 82 CISG im Text nicht wiederholt. Wenn von der Pflicht, die „Ware zurückzugeben“, die Rede ist, wird gemeint, dass die Ware „wesentlich in dem Zustand, in dem die Käuferin sie erhalten hat“ zurückgegeben werden muss.

Nutzungsersatz und Modellwechsel bei Ersatzlieferung nach UN-Kaufrecht

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gen ist; oder (iii) die Käuferin die Ware verkauft oder verbraucht oder verändert hat, bevor sie die Vertragswidrigkeit hätte entdecken müssen. Artikel 84 CISG wiederum regelt den Ausgleich im Falle der Rückabwicklung wegen Vertragsauflösung sowie Ersatzlieferung, ohne dass konkret ausgedrückt wird, welcher Absatz auf welchen Fall Anwendung findet. Gemäß Absatz 1 hat der Verkäufer, der den Kaufpreis zurückerstatten muss, zusätzlich dazu Zinsen vom Zahlungstag an zu begleichen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Absatz bei einer Ersatzlieferung nicht zur Anwendung kommen kann, da der Vertrag weiterhin Bestand hat und der Kaufpreis beim Verkäufer verbleibt.8 Artikel 84 Abs. 2 CISG hingegen behandelt die Käuferpflichten bei der Rückabwicklung. Die Käuferin schuldet dem Verkäufer „den Gegenwert aller Vorteile, die er aus der Ware oder einem Teil der Ware gezogen hat“, falls sie die Ware ganz oder teilweise zurückgeben muss (lit. a). Art. 84 Abs. 2, lit. b unterstreicht, dass die Käuferin, der es unmöglich geworden ist, die Ware zurückzugeben, die aber von den Ausnahmen in Art. 82 Abs. 2 Gebrauch macht und den Vertrag aufhebt oder eine Ersatzlieferung verlangt, auch der gleichen Regel unterliegt und alle erlangten Vorteile an den Verkäufer abtreten muss. Auf dem ersten Blick fällt sofort auf, dass in Art. 84 die Ersatzlieferung nur einmal explizit erwähnt wird und dies im Rahmen der Vergütungspflicht nach Absatz 2 lit. b. Warum konkret in Abs. 2 lit. a eine Aussage fehlt, geht aus der Entstehungsgeschichte nicht hervor. Wie diese Bestimmung ausgelegt werden muss, wurde bis heute wenig erörtert und die wenigen Aussagen bleiben auch relativ wage.

2. Rechtspolitische Argumente gegen einen Nutzungsersatz bei Ersatzlieferungen Ob die Käuferin, die aus der Nutzung der mangelhaften Sache bis zur Rückgabe gezogenen Vermögensvorteile zu ersetzen hat, ist für B2C Kaufverträge in der EU heute weitgehend gelöst. In der Grundsatzentscheidung Quelle verwarf der EuGH die Bereicherungsargumente u.a. mit folgender Begründung9: „Wenn der Verkäufer ein vertragswidriges Verbrauchsgut liefert, erfüllt er die Verpflichtung, die er im Kaufvertrag eingegangen ist, nicht ordnungsgemäß und muss daher die Folgen dieser Schlechterfüllung tragen. Der Verbraucher, der seinerseits den Kaufpreis gezahlt und damit seine vertragliche Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt hat, wird durch die Erlan8 FOUNTOULAKIS, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Komm. z. UN-Kaufrecht (CISG), 7. Aufl., 2019, Art. 84 Rdn. 7. 9 Siehe oben Fn. 1.

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gung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhält lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen.“10 Der deutsche Gesetzgeber hatte diese Vorgabe in § 474 Abs. 2 (heute § 475 Abs. 3) BGB umgesetzt.11 Er hat sich jedoch dafür entschieden, diese Regel nur für B2C-Kaufverträge einzuführen. Im B2B-Kauf bleibt die Käuferin bis heute dazu verpflichtet, die bis zur Rücksendung der mangelhaften Ware erzielten Nutzungsvorteile zu erstatten.12 In der Literatur wurde diese Wahl teilweise kritisiert, da es keine zwingenden Gründe für eine Unterscheidung zwischen B2C und B2B gibt.13 Es gibt tatsächlich mehrere Gründe, die gegen eine solche Rückerstattung von Leistungen sprechen, welche sowohl für B2B- als auch für B2CVerträge gelten. Einer der gewichtigsten Gründe ist sicherlich, dass der Verkäufer anders als im Falle der Vertragsauflösung, Vorteile wie Zinsen, die er aus dem bei Fälligkeit gezahlten Kaufpreis gezogen hat, nicht zurückgeben muss. D.h. dass der Verkäufer den Nutzungsersatz für das Geld sowie für die mangelhaft gelieferte Ware erhält. Dies führt zu einem Ungleichgewicht zugunsten des Verkäufers, der eigentlich den Vertrag verletzt und die Ersatzlieferung verursacht hat.14 Zum anderen wird die Käuferin fast gezwungen, eine zweite Zahlung für Waren zu leisten, die sie vielleicht nur für zwei Jahre verwenden wollte.15 Wenn zum Beispiel eine Serie von Handys nach 18 Monaten ausfällt und die gewerbliche Käuferin Ersatzlieferung verlangt, müsste sie wahrscheinlich mehr als ein Drittel des Kaufpreises als Nutzungsersatz bezahlen, da die durchschnittliche Lebensdauer von Handys etwa vier Jahre beträgt. Diese Berechnung setzt jedoch voraus, dass die Käuferin die Ersatztelefone auch

10 Die neue Richtlinie (EU) 2019/771 vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG hat nun in Art. 14 Abs. 4 diese Entscheidung umgesetzt. Demnach ist der Verbraucher „(…) nicht verpflichtet, für die normale Verwendung der ersetzten Waren in der Zeit vor ihrer Ersetzung zu zahlen.“ 11 BGBl. 2008 I 2399, 2400. 12 WESTERMANN, Münchener Komm. z. BGB, 8. Aufl., 2019, § 439 BGB Rdn. 24. 13 Vgl. zu den verschiedenen Argumenten in der deutschen Lehre TILLKORN, Der Nutzungsersatz im Kaufrecht, 2013, S. 56 ff. Die unterschiedliche Handhabung von B2B Verträgen befürwortend WAGNER, Der Verbrauchsgüterkauf in den Händen des EuGH: Überzogener Verbraucherschutz oder ökonomische Rationalität? ZEuP 2016, 87, 114. 14 So zum deutschen Recht GSELL, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, JZ 2009, 522, 525; TILLKORN, aaO (Fn.13), S. 62 ff.; WOITKEWITSCH, Nutzungsersatzanspruch bei Ersatzlieferung?, VuR 2005, 2. 15 Siehe TILLKORN, aaO (Fn. 13), S. 96 ff.

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für weitere zwei Jahre nutzen möchte, was oft nicht zutrifft.16 Wie bei vielen anderen elektronischen Gütern werden neue Versionen mit neuen Spezifikationen in wesentlich kürzeren Zeiträumen gekauft. Die Argumentation, dass bei B2B-Geschäften die Ersatzlieferung zu einer längeren Gesamtnutzungsdauer führt, da sich diese anders als in B2C-Geschäften nicht an verschiedenen Moden, sondern an der technischen Lebensdauer der Güter orientiert,17 überzeugt nicht in seiner Allgemeinheit.18 Hinzu kommt, dass nationale Rechtsordnungen oft keine Bestimmung dazu beinhalten, ob der Käuferin für Mängel, die die ersetzte Ware später aufweisen könnte, eine zusätzliche zweijährige Verjährungsfrist zur Verfügung steht oder nicht. Nach deutschem Recht z.B. wird die Frage der „Kettenverjährung“ weiterhin diskutiert und der Bundesgerichtshof hat bis heute nicht darüber entschieden.19 Würde also die ersetzte Ware der verbleibenden Verjährungsfrist für die ursprünglich gelieferte mangelhafte Ware (im Handybeispiel 6 Monate) unterliegen, wäre die Käuferin gezwungen, die gleiche Ware ein zweites Mal zu bezahlen, ohne einen Anspruch in der zusätzlichen Nutzungsdauer zu haben. Ein anderes Argument gegen den Nutzungsersatz, was insbesondere für nationale Rechtsordnungen von Relevanz sein kann, ist die Möglichkeit des Verkäufers, die ersetzten Waren zu einem tieferen Preis weiterzuverkaufen, falls eine Reparatur möglich ist. Das bedeutet, dass er den normalen Kaufpreis zuzüglich des Wertersatzes für die Nutzung und auch noch den Gebrauchtwarenpreis für die gleiche Ware erhalten könnte. Im UN-Kaufrecht entfällt dieses Argument jedoch, da gemäß Art. 46 Abs. 2 CISG ein Anspruch auf Ersatzlieferung nur gegeben ist, falls die Vertragsverletzung wesentlich ist, d.h. die Sache nicht mehr repariert werden kann. Solange die Möglichkeit einer Reparatur gegeben ist, wird oft keine wesentliche Vertragsverletzung vorliegen und somit auch keine Ersatzlieferung verlangt werden können.20 16 Vgl. eine Studie aus den USA, in der die Austauschzykluslänge von Smartphones in 2019 als 2,83 Jahre für Verbraucherinnen und 2,51 Jahre für Unternehmen angegeben ist. Diese Zahl wird für Verbraucherinnen auf 2,74 Jahre und für Unternehmen auf 2,43 im Jahr 2023 geschätzt, abrufbar unter: (zuletzt besucht am 29. Dezember 2019). 17 WAGNER, ZEuP 2016, 114. 18 So schon GSELL, Nutzungsentschädigung bei kaufrechtlicher Nacherfüllung?, NJW 2003, 1969 f. 19 Siehe zu dieser Diskussion TILLKORN, aaO (Fn. 13), S. 88 ff.; WESTERMANN, aaO (Fn. 12) § 438 BGB Rdn. 4; OECHSLER, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl., 2017, Rdn. 461. 20 Nur wenn die Käuferin an der rechtzeitigen Lieferung auch ein besonderes Interesse hat, wird eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegen. Doch in diesen Fällen ist es auch unwahrscheinlich, dass die Käuferin noch auf die Ersatzlieferung warten möchte. Stattdessen wird sie es oft vorziehen, den Vertrag aufzuheben. Vgl. SCHWENZER/BEIMEL, IHR 2017, 187.

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3. Korrekte Auslegung von Art. 84, Abs. 2 CISG Es ist interessant zu sehen, dass die CISG-Kommentare einen Anspruch des Verkäufers auf Rückerstattung von Vorteilen nach Art. 84 Abs. 2 lit. a CISG bei der Ersatzlieferung fast einstimmig ablehnen.21 Die Pflicht der Käuferin zur Rückerstattung der Vorteile gilt als Gegenstück zur Zinspflicht des Verkäufers.22 Da im Falle einer Ersatzlieferung keine Zinsansprüche geltend gemacht werden können, sollte die Käuferin auch nicht für die Nutzung der Ware haften. Anders als im Falle der Aufhebung hält die Ersatzlieferung den Vertrag aufrecht, so dass das Recht der Käuferin, von der Ware zu profitieren, nicht ungerechtfertigt ist.23 Da die Verfasser des CISG wissentlich darauf verzichtet haben, in Abs. 2 lit. a einen Verweis auf die Ersatzlieferung aufzunehmen, ist es sicherlich die überzeugendere Vorgehensweise, jeden Anspruch auf Rückerstattung von Vorteilen auszuschließen, wenn die mangelhafte Ware tatsächlich zurückgegeben wird.24 Artikel 84 Abs. 2 lit. b CISG verweist jedoch ausdrücklich auf das Recht auf Ersatzlieferung und verpflichtet die Käuferin, alle „Vorteile, die [sie] aus der Ware“ gezogen hat zurückzuerstatten, wenn es ihr unmöglich ist, die Ware zurückzugeben, aber sie dennoch das Recht hat, gemäß Art. 82 Abs. 2 CISG Ersatzlieferung zu verlangen. Wie sollte diese Bestimmung im Lichte

21 Vgl. z.B. BRIDGE, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG), 2. Aufl., 2018, Art. 84 CISG Rdn. 17; MAGNUS, Wiener UN-Kaufrecht (CISG), Staudingers Komm. z. BGB, 2018, Art. 46 CISG Rdn. 48 und Art. 84 CISG Rdn. 20; BRUNNER/SANTSCHI, in: Brunner/Gottlieb, Commentary on the UN Sales Law (CISG), 2019, Art. 84 CISG Rdn. 7; WEBER, in: Honsell, Komm. z. UN-Kaufrecht, 2. Aufl., 2010, Art. 84 CISG Rdn. 12; SCHLECHTRIEM/ SCHROETER, Internationales UN-Kaufrecht, 6. Aufl., 2016, Rdn. 781; FERRARI, in: Ferrari u.a., Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO, CISG, CMR, FactÜ, Komm., 3. Aufl., 2018, Art. 84 CISG Rdn. 12; MANKOWSKI, in: Mankowski, Commercial Law, 2019, Art. 84 CISG Rdn. 12; HUBER, Münchener Komm. z. BGB, 8 Aufl., 2019, Art. 84 CISG Rdn. 11. 22 BRIDGE, aaO (Fn. 21), Art. 84 CISG Rdn. 17. 23 HUBER, aaO (Fn. 21), Art. 84 CISG Rdn. 11. 24 Die in der Lehre vertretene Ansicht (vgl. z.B. FOUNTOULAKIS, aaO (Fn. 8), Art. 84 CISG Rdn. 7), dass in den Fällen, die unter Art. 84 Abs. 2 lit. a CISG fallen nur in den seltensten Fällen Vorteile aus den fehlerhaften Waren hervorgehen, die die Käuferin zu verantworten hat, scheint nicht ganz der Realität zu entsprechen. Wie bereits aus den obigen Praxisbeispielen hervorgeht, kann eine defekte Maschine z.B. 23,5 Monate lang einwandfrei funktionieren, bevor sich die Mängel zeigen. Hat die Käuferin das Recht, Ersatz zu verlangen, da die Ware nicht repariert werden kann, ist die Frage, ob die Vorteile aus der Nutzung dieser Maschine für 23,5 Monate vom Verkäufer geltend gemacht werden können, auch nach dem CISG zu stellen. Unter diesen Umständen ist die Frage zu beantworten, ob die Käuferin z.B. den Mietpreis der gleichen Maschine für 23,5 Monate zu erstatten hat.

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der oben genannten Argumente, die gegen einen Nutzungsersatz sprechen, ausgelegt werden? Die Entstehungsgeschichte und die Art und Weise, wie die Ersatzlieferung den bereits bestehenden Bestimmungen über die Rückerstattung im Falle der Vertragsaufhebung beigefügt wurde, scheinen darauf hinzudeuten, dass die Verfasser sich besonders Gedanken um Fälle gemacht haben, in denen die vertragswidrige Ware nicht mehr zurückgegeben werden konnte.25 Deswegen war der erste Schritt, in Art. 82 Abs. 1 CISG die Ersatzlieferung ebenso wie die Aufhebung des Vertrages auf Fälle zu beschränken, in denen die Ware zurückgegeben werden kann. Die in Art. 82 Abs. 2 CISG genannten Ausnahmen von dieser Beschränkung sollten aber auch im Falle einer Ersatzlieferung gelten. Daher war in Art. 84 Abs. 2 lit. b CISG darauf hinzuweisen, dass die Käuferin zumindest alle Vorteile schuldet, die sie aus der (untergegangenen) Ware gezogen hat. Vorteile aus der Verwendung der Ware sollten jedoch nicht unter Abs. 2 lit. b fallen, da diese nicht zu erstatten sind, auch wenn die Käuferin die mangelhafte Ware tatsächlich zurückgeben kann.26 Es wäre nicht sinnvoll, die Käuferin für solche Nutzungsvorteile haftbar zu machen, nur weil die mangelhafte Ware nicht mehr zurückgegeben werden kann. Welche Vorteile sind es dann genau, für die die Käuferin gemäß Art. 84 Abs. 2 lit. b CISG einstehen muss? Die in Art. 82 Abs. 2 CISG genannten Ausnahmen weisen eigentlich schon den Weg: Die erste Ausnahme in lit. a betrifft Fälle, in denen die Rückgabe der mangelhaften Ware für die Käuferin unmöglich wurde, ohne dass die Unmöglichkeit auf ihrer Handlung oder Unterlassung beruht. Sollte die Käuferin jedoch eine Versicherungszahlung und/oder Schadensersatz von einem für den Verlust verantwortlichen Dritten erhalten haben, muss diese Leistung an den Verkäufer weitergegeben werden (commodum ex re). Dies stellt einen Ersatz für die verlorene Ware dar, den der Verkäufer beanspruchen kann. Diesen Betrag der Käuferin zu überlassen und ihr zusätzlich den Anspruch auf Neuware zu geben, würde in der Tat zur Bereicherung führen. Kann die Käuferin die Ware nicht zurückgeben, da sie diese bereits gutgläubig weiterverkauft hat (Art. 82 Abs. 2 lit. c CISG), stellt sich die Frage, ob der Erlös aus dem Weiterverkauf (commodum ex negotione) nun als ein Vorteil qualifiziert werden kann, der aus der mangelhaften Ware gezogen wurde. Das muss prinzipiell verneint werden. Die erste Käuferin wird in der Regel nur dann Ersatzlieferung verlangen, wenn auch die Endkäuferin Ersatzlieferung verlangt hat. Das bedeutet aber, dass die erste Käuferin die 25

Vgl. aus der Lehre zum ULIS WEITNAUER, in: Dölle, Komm. z. Einheitlichen Kaufrecht, 1976, Art. 79 ULIS Rdn. 5, der vorschlägt, dass Art. 79 ULIS analog auf die Ersatzlieferung angewendet werden soll. 26 Ähnlich HUBER, aaO (Fn. 21), Art. 84 CISG Rdn. 15.

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vertragskonforme Ware an die Endkäuferin weitergeben und die mangelhafte Ware an ihren Verkäufer zurückgeben muss. Ist die mangelhafte Ware bei der Endkäuferin ohne Ersatzzahlung durch Dritte untergegangen und hat sie trotzdem einen Ersatzlieferungsanspruch, da der Verlust nicht auf ihre Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist (Art. 82 Abs. 2 lit. a CISG), so hat auch die erste Käuferin gegenüber ihrem Verkäufer Anspruch auf Lieferung einer einwandfreien Ersatzware. Warum sollte der Verkäufer in diesen beiden Fällen das Recht haben, den Verkaufserlös aus dem Weiterverkauf zu verlangen? Es gibt keinen offensichtlichen Grund dafür, dem Verkäufer einen Anspruch auf den höheren Verkaufswert im zweiten Kaufvertrag zuzugestehen, da beide Kaufverträge noch weiterhin bestehen.27 Die Käuferin hat das Recht, ihren Gewinn aus der Weiterveräußerung zu behalten. Sie wird einfach die vertragsgemäße Ware an die Endkäuferin weitergeben und der Verkäufer wird den Verlust der mangelhaften Ware tragen müssen. Artikel 82 Abs. 2 lit. c CISG erwähnt zuletzt die Konstellation, dass die Ware von der Käuferin im Rahmen des normalen Geschäftsbetriebes verbraucht oder verarbeitet wird, sich aber später als mangelhaft herausstellt. Müsste die Käuferin diesfalls einen Teil des erhaltenen Erlöses als Vorteil aus dem Weiterverkauf an den Verkäufer abtreten? Wenn z.B. Prozessoren, die von einer Computerherstellerin gekauft und dann in ihre Produkte integriert wurden, später einen Defekt an diesen Computern verursachen, könnte die Herstellerin Ersatzlieferung verlangen, damit sie ihrerseits die Prozessoren in den bereits verkauften Computern ersetzen kann. Falls die alten Prozessoren beim Austausch beschädigt werden sollten, so dass sie für den Verkäufer nutzlos werden, sollte dieser seiner Käuferin (der Herstellerin) gegenüber einen Anspruch haben, ihm irgendwelche Vorteile abzutreten? Auch hier wird die Antwort negativ ausfallen, da es keine solchen Vor-

27 Hinweise in der Literatur, dass die Käuferin den Erlös aus ihrem Weiterverkauf dem Verkäufer auskehren muss, falls sie trotz des Weiterverkaufs einen Anspruch auf Ersatzlieferung hat, sind so zu pauschal (vgl. z.B. MAGNUS, aaO (Fn. 21), Art. 84 CISG Rdn. 24). Solange die zweite Käuferin im Weiterverkauf auch ihr Recht auf Ersatzlieferung geltend macht, muss der Weiterverkaufserlös nicht herausgegeben werden. Falls die zweite Käuferin den Vertrag auflöst und die Ware an ihren Verkäufer zurückgibt, liegt ein Fall von Art. 84 Abs. 2 lit. a und nicht lit. b vor. Verlangt die zweite Käuferin Reparatur und Schadenersatz, hat die erste Käuferin in ihrem Vertrag nicht die Möglichkeit, Ersatzlieferung zu verlangen, da die grundsätzliche Anforderung einer wesentlichen Vertragsverletzung für die Ersatzlieferung nicht erfüllt sein wird. Das heißt, nur im zugegebenermaßen sehr seltenen Fall, in dem die zweite Käuferin Minderung plus Schadenersatz verlangt und die erste Käuferin dennoch Ersatzlieferung verlangen kann, da es sich um eine wesentliche Vertragsverletzung handelt, könnte man sich vorstellen, dass der Erlös aus dem zweiten Kaufvertrag auf den ersten Verkäufer übertragen werden muss. Sonst hätte die erste Käuferin nämlich die neue Sache und den Erlös aus dem Weiterverkauf und nur das ist, was das CISG verhindern möchte.

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teile gibt, die die Käuferin als Ersatz für die zerstörten Prozessoren erhalten hat. Zusammenfassend lässt sich aussagen, dass im Rahmen der Ersatzlieferung Art. 84 Abs. 2 CISG nur die Herausgabe von Vorteilen vorsieht, welche die Käuferin als Ersatz für die untergegangene vertragswidrige Ware erhalten hat. Der Nutzen der Verwendung der Waren, bis sich die Vertragswidrigkeit aufzeigt, wird in Art. 84 CISG nur in Bezug auf die Aufhebung des Vertrages behandelt und nur in dem Fall ist eine Rückerstattung vorgesehen. Falls das Recht auf Ersatzlieferung genutzt wird, kann die Käuferin diese Vorteile behalten, da der Verkäufer auch den Nutzen der Verwendung des Geldes behält.28, 29

III. Modellwechsel bei der Ersatzlieferung Eine weitere Frage, die besonders durch den VW Emissions-Skandal an Bedeutung gewonnen hat, ist der Ersatzlieferungsanspruch in Bezug auf ein neueres/besseres Modell. Wie sollte die Lage nach UN-Kaufrecht beurteilt werden? In diesem Rahmen muss erstens bestimmt werden, ob die Käuferin überhaupt nach dem CISG das Recht hat, Ersatz mit einem neueren Modell zu verlangen. Falls diese Frage positiv beantwortet werden sollte, muss zweitens entschieden werden, ob die Käuferin für dieses Upgrade im Modell dem Verkäufer eine Entschädigung schuldet.

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Vgl. auch PICC Art. 7.3.6 Comment 6; DCFR III.-3:205(2). Dazu auch KLEINin: Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Law, 2018, Appendix to Art. 9:102(1), Rdn. 9. 29 Falls bei einem nationalen B2B-Kaufvertrag, auf das das deutsche BGB anwendbar ist, die Endkäuferin die Ersatzlieferung verlangt, müsste sie die Vorteile aus der Verwendung der fehlerhaften Ware ersetzen (vgl. oben Fn. 11 und den dazugehörigen Text). Diesfalls muss entschieden werden, wie diese Zahlung in einem internationalen Kontext gehandhabt werden sollte. Falls z.B. der deutsche Verkäufer ein Regressrecht gegen einen italienischen Hersteller hat und im nationalen Kaufvertrag eine Ersatzlieferung erfolgte, könnten folgende Möglichkeiten auftreten: sollte der deutsche Verkäufer der deutschen Endkäuferin Schadenersatz schuldig sein, hätte er die Möglichkeit, diese Forderung mit seiner Forderung auf Nutzungsersatz zu verrechnen. Diesfalls würde sein Rückgriff nur bis zu dem Betrag möglich sein, den er der Endkäuferin tatsächlich als Schadenersatz gezahlt hat. Wenn der deutsche Verkäufer jedoch keinen Schadenersatz zu leisten hat, da er z.B. nach deutschem Recht nachweisen kann, dass ihn bei der Lieferung mangelhafter Ware kein Verschulden trifft, wird er die Ware im Austausch für die Vorteile des deutschen Endkäufers ersetzen. Geht der deutsche Verkäufer dann in dieser Konstellation nach dem CISG gegen den italienischen Hersteller vor und verlangt Schadenersatz wegen Ersatzlieferung im nationalen Kaufvertrag, hat der Hersteller zumindest das Recht, den Abzug der bereits vom deutschen Endkäufer erhaltenen Leistungen zu verlangen.

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1. Hat die Käuferin Anspruch auf Ersatzlieferung mit einem neueren Model? Ob die Käuferin bei Gattungsschulden das Recht hat, die Lieferung eines neueren Modells zu verlangen, wenn das alte Modell ausverkauft ist oder einen systemischen Defekt aufweist, der durch Reparatur nicht behoben werden kann, hat in der CISG Rechtsprechung und Literatur nicht viel Beachtung gefunden. Eine parallele Frage jedoch, nämlich das Recht, Ersatz zu verlangen, wenn eine Stückschuld mangelhaft ist, wurde thematisiert. Die Sicht der Lehre ist gespalten: Einige Autoren befürworten eine engere Auslegung des Begriffs ‚Stückschuld‘. Nach dieser Ansicht hat die Käuferin keinen Anspruch auf Ersatzlieferung, wenn z.B. bei einer Bringschuld (DDP-Incoterms 2020) eine bestimmte Maschine während des Transports beschädigt wird.30 Dieses Ergebnis beruht auf dem Willen der Parteien, insbesondere der Absicht des Verkäufers, seine Haftung auf die Lieferung dieser Ware zu beschränken, wodurch gerade die Möglichkeit ausgeschlossen werden soll, dass die Käuferin eine Ersatzlieferung verlangen kann. Das gleiche gilt, wenn der Verkäufer seine Lieferpflicht auf einen bestimmten Bestand oder Waren aus einer bestimmten Produktionsstätte beschränkt hat.31 Andere in der Literatur hingegen erkennen einen Nacherfüllungsanspruch zu, falls ein Gegenstand, der wirtschaftlich dem vertraglich vereinbarten entspricht und das Interesse der Käuferin gleichermaßen befriedigt, auf dem Markt verfügbar ist.32 Diese beiden Ansätze lassen sich miteinander vereinbaren, da sie beide hauptsächlich den Willen der Parteien berücksichtigen. Da die Einstufung der Ware als ‚Stückschuld‘ oder ‚Gattungsschuld‘ nicht rechtlich vorgegeben, sondern vor allem eine vertragliche Frage ist, scheint dies auch die richtige Herangehensweise zu sein. Wenn die Parteien beispielsweise die Lieferung von allen ‚VW Tiguan 2.0 TDI PKWs auf einem bestimmten LKW DDP Istanbul‘ vereinbart haben und die Ware durch eine unerwartete Überschwemmung auf der Autobahn in Mitleidenschaft gezogen wird, muss nach dem Vertrag entschieden werden, ob der Verkäufer noch zur Bereitstellung von Neuwagen verpflichtet ist. Die Logik, einen Vertrag über eine begrenzte Anzahl von Waren abzuschließen, besteht darin, die Haftung des Verkäufers einzuschränken. Selbst wenn Autos der gleichen Serie auf

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HUBER, aaO (Fn. 21), Art. 46 CISG, Rdn. 40. HUBER, aaO (Fn. 21), Art. 46 CISG Rdn. 40; BRUNNER U.A., aaO (Fn. 21), Art. 46 CISG Rdn. 20. 32 MÜLLER-CHEN, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Komm. z. UN-Kaufrecht (CISG), 7. Aufl., 2019, Art. 46 CISG Rdn. 18; KIM, Die Nacherfüllung als Rechtsbehelf des Käufers nach CISG, deutschem und koreanischem Recht, 2014, S. 28 f.; Vgl. zum parallelen Ansatz im CESL BACH, Leistungshindernisse, 2017, S. 635 ff. 31

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dem Markt vorhanden wären, wäre der Verkäufer nicht verpflichtet, neue zu liefern, da die Parteien vereinbart haben, dass der Verkäufer das Beschaffungsrisiko nicht trägt.33 Das bedeutet, dass die Käuferin keine Ersatzlieferung verlangen kann. Würde sie den Vertrag aufheben und einen Deckungskauf auf dem Markt abschließen, könnte sie die Preisdifferenz auch nicht als Schadenersatz geltend machen, da ein Hinderungsgrund für eine Befreiung nach Art. 79 CISG einschlägig wäre.34 Definieren die Vertragsbedingungen jedoch die Lieferpflicht als ‚20 Stück VW Tiguan 2.0 TDI PKWs, DDP Istanbul‘ und der Verkäufer stößt mit dem gleichen Laster auf die gleiche Flut und die Autos würden beschädigt werden, müsste der Verkäufer diesmal eine Ersatzlieferung vornehmen, da der Vertrag ihn mit dem Beschaffungsrisiko belastet. Es stimmt, dass die Käuferin keinen Verzugsschaden geltend machen kann, da die verspätete Lieferung der mangelfreien Autos auf einen bei Vertragsschluss unvorhersehbaren Hinderungsgrund (Überschwemmung) beruht. Die Käuferin kann jedoch nach wie vor die Lieferung anderer Ware aus der Gattung gem. Art. 79 Abs. 5/Art. 46 Abs. 2 CISG verlangen. Sollte der Verkäufer einen solchen Lieferwunsch ablehnen und die Käuferin stattdessen den Vertrag auflösen und Ersatzware auf dem Markt kaufen, könnte sie den ihr entstandenen Verlust als Schadenersatz geltend machen, da dieser Verlust in keinem Kausalverhältnis mit dem unkontrollierbaren Hinderungsgrund steht. Der Verkäufer ist nur von der Zahlung des Verspätungsschadens befreit. Daher stellt sich in Fällen, in denen die Lieferung von ‚20 Stück VW Tiguan 2.0 TDI‘ vereinbart wurde und die gesamte Serie fehlerhaft ist, die Frage, ob die Parteien das Risiko des Verkäufers wirklich begrenzen wollten. Es ist festzuhalten, dass dies nicht mit den Fällen vergleichbar ist, in denen die Lieferung einer bestimmten Maschine oder Ladung Autos auf einem bestimmten LKW vertraglich vereinbart wurde. Der Verkäufer hat sein Risiko keineswegs bewusst begrenzt. Es wäre zu weit hergeholt, in den Vertrag einen solchen Willen der Parteien hineinzulesen. Solange ‚VW Tiguan zweite Generation‘ als wirtschaftlich sinnvoller Ersatz für ‚VW Tiguan 2.0 TDI‘ dienen kann, sollte die Käuferin das Recht haben, auf einer Lieferung bzw. Ersatzlieferung zu bestehen. Dieser Ansatz ermöglicht auch eine Auslegung von Art. 46 Abs. 2 CISG analog zu Art. 79 CISG. Obwohl es in der Konvention nicht ausdrücklich erwähnt ist, wird Art. 79 CISG in der Literatur und Rechtsprechung allgemein so ausgelegt, dass der Käuferin das Recht zusteht, auf Erfüllung zu bestehen, solange ein wirtschaftlich gleichwertiger Ersatz vorhanden ist 33 SCHWENZER, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Komm. z. UN-Kaufrecht (CISG), 7. Aufl., 2019, Art. 79 CISG Rdn. 27. 34 Vgl. zu den Voraussetzungen der Befreiung ATAMER, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG), 2. Aufl., 2018, Art. 79 CISG Rdn. 43 ff.

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und sich dieser Ersatz nicht wesentlich von der ursprünglichen Verpflichtung unterscheidet.35 Der Secretariat Commentary bestätigt diese Ansicht: “a party may be required to perform by providing what is in all the circumstances of the transaction a commercially reasonable substitute for the performance which was required under the contract”.36 Ob die Lieferung von Fahrzeugen der ‚zweiten Generation VW Tiguan‘ den Verkäufer mit unverhältnismäßigen Kosten belasten würde und er das Recht hätte, die Lieferung von Ersatz aus eben diesem Grund abzulehnen, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter ausgeführt werden kann.37 Ein weiteres Argument, das zu einem ähnlichen Ergebnis führt, ist die herrschende Auslegung eines nach Art. 75 CISG abgeschlossenen ‚angemessenen‘ Deckungsgeschäfts. Auch hier scheint die Lehre sowie die Rechtsprechung eine höhere oder niedrigere Qualität der Waren als angemessenen Ersatz zu akzeptieren, solange keine identischen Waren auf dem Markt verfügbar sind.38 Allerdings muss eine starke Ähnlichkeit zwischen den verkauften und den als Deckung erworbenen Waren bestehen.39 Die Unterschiede in den Ausprägungen sollten geringfügig sein.40 Bei der Entscheidung über eine solche Übereinstimmung ist auch zu beachten, dass die Käuferin zur Schadensminderung verpflichtet ist (Art. 77 CISG). Daher kann es sogar die Pflicht der Käuferin sein, das nächstgelegene Äquivalent 35 Secretariat Commentary to the 1978 Draft, Art. 65 (heute Art. 79) Rdn. 7 f., in: Honnold, aaO (Fn. 6), S. 445; BRUNNER, Force Majeure and Hardship Under General Contract Principle, 2008, S. 323 ff.; SCHWENZER, aaO (Fn. 33), Art. 79 CISG Rdn. 14; MAGNUS, aaO (Fn. 21), Art. 79 CISG, Rdn. 34; ATAMER, aaO (Fn. 34), Art. 79 CISG Rdn. 57; BACH, aaO (Fn. 32), S. 634 f.; PICHONNAZ, Impossibilité et exorbitance, 1997, Rdn. 1757 ff.; OLG Hamburg, 28.2.1997, CISG-online 261: „[…] Ein solches Hindernis ist für den Verkäufer überwindbar, soweit und solange noch Ersatzware auf dem Markt erhältlich ist. Selbst wenn auf dem chinesischen Markt nicht exakt die im Vertrag vom 12. Oktober 1994 beschriebene Qualität zu beschaffen gewesen sein sollte, was von der Beklagten nicht einmal vorgetragen wird, so hätte zumindest ein in der Zusammensetzung etwas abweichender, nach der Handelsauffassung vernünftiger Ersatz beschafft werden können. Dass die Klägerin sich hierauf eingelassen hätte, zeigt ihre im Fax vom 31. Oktober 1994 demonstrierte Bereitschaft, auch eine etwas schlechtere Qualität zu akzeptieren.“ Vgl. auch Arbitral Award, American Arbitration Association, 23.10.2007, CISG-Online 1645. 36 Secretariat Commentary on 1978 Draft, Art. 65 (heute Art. 79) Rdn. 7, in: Honnold, aaO (Fn. 6), S. 445. 37 Vgl. im Detail ATAMER, aaO (Fn. 34), Art. 79 CISG Rdn. 57. 38 SAIDOV, The Law of Damages in International Sales, 2008, S. 181; SCHWENZER, aaO (Fn. 33), Art. 75 CISG Rdn. 6; DJORDKEVIC, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG), 2. Aufl., 2018, Art. 75 CISG Rdn. 22; GILLETTE/WALT, The UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods, 2. Aufl., 2016, S. 380; BRUNNER U.A., aaO (Fn. 21), Art. 75 CISG Rdn. 4; OLG Hamburg, 26.11.2003, CISG-online 875; ICC Arbitration Case No. 8128, CISG-online 526. 39 SCHWENZER/HACHEM/KEE, Global Sales and Contract Law, 2012, Rdn. 44.235. 40 SAIDOV, aaO (Fn. 38), S. 180.

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zu kaufen, wenn die Ware für den Einsatz im Produktionsprozess der Käuferin bestimmt ist und jede Verzögerung den Verlust erhöht. Ein neueres oder besser entwickeltes Modell von Maschinen kann unter diesen Umständen sehr wohl als Ersatz dienen. Diese Lösung erscheint auch angesichts der Häufigkeit, mit der neue Modelle gerade bei elektronischen Produkten auf den Markt kommen, angemessen. Viele Waren haben inzwischen mehr als eine neue Version pro Jahr. Wenn diese Versionen nicht mehr als Ersatz qualifiziert werden können, wird das Recht auf Ersatzlieferung oft ganz wegfallen. Insbesondere dann, wenn es sich um einen systemischen Fehler handelt, der alle Produkte eines bestimmten Modells betrifft und diese dadurch vollständig für einen Ersatz ausschließt. Außerdem würde die Ersatzlieferung von einer Zufälligkeit abhängig gemacht werden, die die Käuferin nicht voraussehen kann. Zu einem beliebigen Zeitpunkt, zu dem der Hersteller beschließt, die Produktion genau desselben Warenmodells einzustellen, würde die Käuferin ihren Anspruch auf Ersatzlieferung verlieren. Hinzukommt, dass es für die Käuferin oft auch nicht ersichtlich sein wird, ob das neue Modell nur ein optisches „Facelifting“ oder eine echte technische Verbesserung darstellt.41 2. Hat der Verkäufer Anspruch auf die Preisdifferenz bei der Lieferung eines neuen Modells als Ersatz? Wenn ein Ersatzlieferungsanspruch bezüglich des neueren Modells anerkannt wird, muss auch über die Frage nachgedacht werden, ob die Käuferin für dieses Upgrade wenigstens etwas bezahlen sollte. Auch hier unterscheiden sich die Lehrmeinungen zum CISG. Einige lehnen eine solche Zahlung wegen Verbesserung ganz ab,42 andere sehen eine solche für jeden Fall vor.43 Es überzeugt jedoch mehr, je nach den Umständen des Falles zu entscheiden, da das neuere Modell an sich nicht unbedingt einen Nutzen für die Käuferin darstellt. Wenn die Käuferin die Endabnehmerin des verkauften Autos ist und das Auto nur als Firmenwagen eingesetzt wird, genießt die Käuferin keinen finanziellen Vorteil aus diesem neueren Modell.44 Dies unterscheidet sich nicht von einem B2C-Kaufvertrag. Allein die Tatsache, dass das neuere Modell teurer ist, bedeutet nicht, dass die Käuferin für die Preisdifferenz ein41 STAUDINGER/RUKS, Hinweise aus Karlsruhe zu § 439 BGB im „Dieselskandal“, NJW 2019, 1179 f. 42 SCHLECHTRIEM/SCHROETER, aaO (Fn. 21), Rdn. 781; SCHWENZER, aaO (Fn. 33), Art. 74 CISG Rdn. 42. 43 FOUNTOULAKIS, aaO (Fn. 8), Art. 84 CISG Rdn. 7. 44 Vgl. zu eine ähnlichen Ansatz nach englischem Recht DAWSON, Remedies of the Buyer, in: Bridge (ed.) Benjamin’s Sale of Goods, 10. Aufl., 2017, Rdn. 17-024/17-066; BEALE, Damages, in: Beale (ed.) Chitty on Contracts, Vol. 1, 23. Aufl., 2018, Rdn. 26–105.

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stehen muss.45 Nur wenn die neue Version der Ware einen tatsächlichen Gewinn für die Käuferin mit sich bringt, könnte argumentiert werden, dass sie auch die Preisdifferenz zwischen dem neuen und dem alten Modell der Ware zahlen sollte. Die Sachlage des berühmten British Westinghouse Falls, der 1912 vom House of Lords entschieden wurde, kann als Beispiel dienen.46 Die Metropolitan District Electric Traction Company hatte mit British Westinghouse einen Vertrag über die Lieferung von acht Dampfturbinen mit einer Leistung von 5.500 kW und einem Dampfverbrauch von nicht mehr als 17,7 lbs/ kWhr abgeschlossen. Die Turbinen waren jedoch weniger effizient als versprochen. Nach mehreren Reparaturversuchen durch den Verkäufer schloss die Käuferin ein Deckungsgeschäft mit einem anderen Unternehmen ab. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der der Wirkungsgrad der Dampfturbine zu Beginn des 20. Jahrhunderts voranschritt, waren die Ersatzturbinen wesentlich leistungsstärker bei 6.000 kW und mit einem Dampfverbrauch von 5,8 lbs/kWhr.47 Das House of Lords kam zum Schluss, dass der Wert der Effizienzsteigerung bei der Berechnung des tatsächlichen Schadens der Käuferin zu berücksichtigen sei. Wie dieser Fall zeigt, ist es fair, dass die Käuferin, wenn sie tatsächlich einen finanziellen Nutzen aus der verbesserten Ersatzware zieht, auch die Differenz im Preis dieser Ersatzware ausgleicht. Falls z.B. im British Westinghouse-Fall die leistungsstärkeren Ersatzturbinen nicht durch ein Deckungsgeschäft auf dem Markt besorgt, sondern vom Verkäufer selbst als Ersatz geliefert worden wären, müsste er auch das Recht haben, die Preisdifferenz zwischen den neuen und den alten Turbinen als Nutzen aus der (neuen) Ware von der Käuferin zu verlangen. Ein solcher Vorteil kann auch dann eintreten, wenn die Käuferin nicht die Endnutzerin, sondern eine Zwischenhändlerin ist. Ist die vom Verkäufer an die Käuferin gelieferte Ersatzware von höherer Qualität oder ein neueres Modell, könnte die Gewinnmarge bei einem Weiterverkauf höher sein. Falls der Verkäufer einen solchen Marktpreis für die Ersatzware nachweisen kann, sollte er auch das Recht haben, die Preisdifferenz der Ersatzware zu verlangen.48 45

SCHLECHTRIEM/SCHROETER, aaO (Fn. 21), Rdn. 781. British Westinghouse Electric & Manufacturing Co Ltd v Underground Electric Railways Co of London Ltd, [1912] AC 673. Vgl. DYSON, British Westinghouse Revisited, Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly (2012) 412 ff. 47 Vgl. für den Sachverhalt des Falles und auch für den historische Hintergrund DYSON, Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly (2012) 413 ff. 48 Tritt die Käuferin vom Vertrag zurück und tätigt einen Deckungskauf mit höherwertigen oder neueren Modellen, so sind bei der Berechnung des Schadens der Käuferin die gleichen Argumente zu berücksichtigen. Ist sie die Endnutzerin der Ware wie im Firmenwagenbeispiel, so sollte sie das Recht haben, die Preisdifferenz des neueren/besseren Modells als Schadenersatz nach Art. 75 CISG geltend zu machen. Wenn die Käuferin jedoch das neuere/bessere Modell für Produktionszwecke wie bei den Turbinen verwendet und 46

Nutzungsersatz und Modellwechsel bei Ersatzlieferung nach UN-Kaufrecht

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Auch wenn Art. 84 Abs. 2 CISG diese Problematik nicht direkt regelt, kann ihr der allgemeine Grundsatz entnommen werden, dass die Käuferin nicht durch das von ihr gewählte Rechtsmittel bereichert werden soll. Dieser Grundsatz ist gemäß Art. 7 Abs. 2 CISG verallgemeinerungsfähig. Der Preisunterschied für die Ersatzware kann analog zur Regel der Preisminderung nach Art. 50 CISG berechnet werden.49 Das Verhältnis des vertraglichen Verkaufspreises zum Marktpreis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist auf den Marktpreis der neueren Version der Ware anzuwenden. Die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem nach dem Verhältnis berechneten Preis für die Ersatzware ist die zusätzliche Zahlung, die die Käuferin zu leisten hätte. Der tatsächlich erlangte Preis im Weiterverkaufsvertrag (Käuferin zu Endkäufer) spielt hingegen keine Rolle. Entscheidend ist der fiktive Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Käuferin über das verbesserte Modell der Ware.

IV. Zusammenfassung Die Ersatzlieferung als Rechtsbehelf lässt im nationalen sowie internationalen Kontext weiterhin viel Raum für Diskussionen. Ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Parteien ist oft nicht leicht und mit rechtspolitischen Wertentscheidungen verbunden. Die These jedoch, dass in den hier behandelten Fragen für B2C und B2B Verträge unterschiedliche Wertungen zur Geltung kommen, kann für das UN-Kaufrecht nur in einem sehr geringen Umfang bestätigt werden. Falls die Käuferin ausnahmsweise durch die Lieferung eines besseren/neueren Modells als Ersatz tatsächlich einen ökonomischen Vorteil verwirklichen kann, sollte sie verpflichtet werden, für dieses Upgrade einen Ausgleich zu zahlen. Ein Anspruch auf Nutzungsersatz für die ausgetauschte Sache lässt sich im UN-Kaufrecht jedoch nicht begründen.

die neuen Turbinen einen höheren Wirkungsgrad aufweisen, könnte ihr Anspruch auf die Preisdifferenz zwischen dem Vertragspreis und dem Preis für die Ersatzware aufgrund der Verbesserung abgelehnt werden. 49 Vgl. für diese Formel z.B. MÜLLER-CHEN, aaO (Fn. 32), Art. 50 CISG Rdn. 8.

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Compliance: Das WpHG als Vorreiter und Opfer einer Entwicklung

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Compliance: Das WpHG als Vorreiter und Opfer einer Entwicklung Gregor Bachmann

Compliance: Das WpHG als Vorreiter und Opfer einer Entwicklung GREGOR BACHMANN

I. Einleitung Compliance gehört heute zu den großen Themen des Wirtschaftsrechts. Klaus Hopt hat sich mit dieser Materie nicht nur gedankenreich auseinandergesetzt,1 er war auch derjenige, der die Bedeutung von Compliance als einer der ersten erkannt und den Begriff in die deutsche Rechtsliteratur eingeführt hat.2 Im Blick hatte er seinerzeit die Wertpapier-Compliance,3 und auf diesen Bereich, der sich als Treiber der Debatte entpuppt hat, will ich mich in meinem Beitrag konzentrieren. Ausgehend von dem modernen, nicht leicht zu überschauenden Rechtszustand soll dabei betrachtet werden, wie sich die Compliance-Pflicht im WpHG entwickelt hat und weshalb man sie heute als Vorreiter und Opfer der Compliance-Bewegung zugleich bezeichnen kann.

II. Compliance als Organisationspflicht Die Vokabel „Compliance“ ist in aller Munde. Es gibt Handbücher, Zeitschriften, Schulungen und Tagungen, die sich sämtlich nur diesem Thema widmen. Dabei ist Regeltreue – so darf man die Vokabel ins Deutsche übersetzen – rechtstheoretisch eine Selbstverständlichkeit. Kein Gesetz käme auf die Idee, seine eigene Einhaltung zu befehlen, etwa nach dem Muster: „Die Veruntreuung von Kundengeldern ist verboten. Diese Regel ist zu beachten“.4 Allenfalls kann gefragt werden, ob das Recht dem Normunterworfe1 So zuletzt in seinem Vortrag „Interne Untersuchungen, Whistleblowing und externes Monitoring“ auf der ZGR-Tagung 2020; s. ferner Hopt/Roth in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 197 ff. 2 Vgl. Unmuth AG 2017, 249, 251: „In der deutschen Rechtswissenschaft wurde der Compliance-Begriff – soweit ersichtlich – erstmals im Jahre 1991 von Hopt [...] verwendet“. 3 Vgl. Hopt FS Heinsius, 1991, S. 289, 320. 4 Davon zu unterscheiden ist die Aussage: „Diese Regel ist zwingend“. Sie versteht sich (zumindest im Privatrecht) nicht von selbst, s. dazu Bachmann JZ 2008, 7 ff.

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nen eine Chance auf Non-Compliance geben muss. Diese unter dem Schlagwort „Recht auf Rechtsbruch“ diskutierte Frage5 ändert nichts daran, dass jede Norm – zumindest jede „harte“ Norm – das Gebot ihrer Einhaltung stets mitdenkt. Wenn also allerorten von „Compliance“ die Rede ist (und manche Gesetze die Einhaltung geltenden Rechts gar in ihren Tatbestand aufnehmen6), dann ist damit nicht die (selbstverständliche) Pflicht zur Einhaltung von Gesetzen, sondern etwas anderes gemeint: die an Betriebsinhaber, Organe und Vorgesetzte adressierte Pflicht, für die Einhaltung von Rechtsnormen im Unternehmen zu sorgen (sog. Legalitätskontrollpflicht). Um diese Pflicht zu erfüllen, ist die Schaffung einer entsprechenden Organisation vonnöten. Die sog. Compliance-Pflicht stellt daher im Kern eine Pflicht zur Einrichtung einer die Einhaltung von Rechtsnormen gewährleistenden Organisation dar.

III. Die Compliance-Pflicht im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) Als Organisationspflicht begegnet uns die Compliance-Pflicht auch im WpHG. Sein einschlägiger Paragraf (bis Anfang 2018: § 33 WpHG; heute: § 80 WpHG) ist nicht mit „Compliance“ überschrieben, sondern trägt die eher unauffällige Bezeichnung „Organisationspflichten“. Wer unbefangen ins WpHG blickt, wird Mühe haben, hieraus das Gebot einer ComplianceOrganisation abzuleiten. Wir werden daher zunächst einen Blick auf die moderne Rechtslage werfen (unten 1.), um anschließend zu schauen, wie sich diese seit den neunziger Jahren entwickelt (unten 2.) und welchen Wandel sie dabei erfahren hat (unten 3.). Diese Betrachtung ist wichtig, weil das WpHG gerne als Schrittmacher der Compliance-Entwicklung bezeichnet und ihm insoweit eine „Ausstrahlungswirkung“ zugeschrieben wird (unten 4.). 1. Das heutige WpHG: Was sagt es zur Compliance? Wer heute das WpHG aufschlägt, stößt zwar im Dickicht seiner Paragrafen vereinzelt auf die Vokabel „Compliance“;7 der ausdrückliche Befehl zur Einrichtung einer Compliance-Organisation lässt sich dem Regelwerk aber nicht entnehmen. Grund dafür ist der Umstand, dass die Bedeutung von Compliance im Wertpapierhandelsrecht zwar stetig zugenommen hat, die 5

Vgl. Rademacher JZ 2019, 702. So § 128 Abs. 1 GWB: „Unternehmen haben bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten“. 7 Nämlich in § 81 Abs. 4 WpHG (Inhalt von Compliance-Berichten) und in § 87 Abs. 4 WpHG (Anforderungen an den Compliance-Beauftragten). 6

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Regelungstechnik dafür aber umso komplexer und nicht unbedingt nutzerfreundlicher geworden ist. In den amtlichen Überschriften des WpHG sucht man das Stichwort „Compliance“ vergeblich. Da es sich bei der Compliance-Verpflichtung der Sache nach um eine Organisationspflicht handelt (s.o.), liegt es nahe, bei § 80 WpHG einzusteigen, der mit „Organisationspflichten“ überschrieben ist und daher oft als sedes materiae angesehen wird. § 80 WpHG gebietet nun zwar Vorkehrungen allerlei Art, namentlich um die Kontinuität und Regelmäßigkeit der Wertpapierdienstleistungen sicherzustellen, um Interessenkonflikte zu vermeiden oder um die Datensicherheit zu gewährleisten (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–4 WpHG). Von der Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation ist dort aber keine Rede. Dass zu den gemäß § 80 WpHG einzurichtenden Vorkehrungen auch solche der Compliance gehören, erschließt sich nur mittelbar: Zum einen aus der in § 80 Abs. 1 Satz 1 WpHG ausgesprochenen Verweisung auf § 25a Abs. 1 KWG, zum anderen aus dem (versteckten) Hinweis in Absatz 13 auf die „gemäß Artikel 22 Absatz 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 eingerichtete Compliance-Funktion“. Folgt man dem ersten Fingerzeig, erfährt man aus § 25a Abs. 1 KWG, dass ein Kreditinstitut eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation aufzuweisen hat, zu der ein angemessenes Risikomanagement gehört, welches seinerseits interne Kontrollverfahren nebst einem internen Kontrollsystem beinhaltet, welches wiederum eine Compliance-Funktion umfasst (vgl. § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 c) KWG). Konkreter ist der zweite Fingerzeig, denn Art. 22 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 (nachfolgend: DV) füllt den Begriff der Compliance-Funktion mit Leben: Abgesehen davon, dass hier Näheres zu den Aufgaben und der Ausgestaltung der Compliance-Funktion gesagt wird (vgl. Art. 22 Abs. 2 u. 3 DV), wird sie dort auch definiert. Die Definition fällt allerdings recht komplex aus: Wertpapierfirmen legen danach „angemessene Strategien und Verfahren“ fest, „die darauf ausgelegt sind, jedes Risiko einer etwaigen Missachtung der in der Richtlinie 2014/65/EU [= MiFiD II] festgelegten Pflichten durch die Wertpapierfirma sowie die damit verbundenen Risiken aufzudecken“, und sie führen „angemessene Maßnahmen und Verfahren“ ein, „um dieses Risiko auf ein Mindestmaß zu beschränken“. Diese Definition ist nicht nur lang, sondern auch verschachtelt: Aufzudecken ist nicht die Verletzung wertpapierrechtlicher Pflichten, sondern das Risiko, dass es zu einer solchen Verletzung kommen kann, nebst den damit verbundenen Risiken (z.B. Sanktionen). Dieses Risiko einer Normübertretung ist zu beschränken. Konkretisiert werden die Compliance-Vorgaben auf nationaler Ebene durch Rundschreiben der BaFin: Die „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) beschreiben in Ziff. AT 4.4.2 die Aufgaben der Compliance-Funktion gemäß § 25a Abs. 1 KWG, während die „Mindestan-

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forderungen an die Compliance-Funktion“ (MaComp) die einschlägigen Spezifizierungen für die in § 80 WpHG vorausgesetzte und in Art. 22 DV vorgeschriebene Compliance-Funktion enthalten. Halten sich die MaRisk dabei vergleichsweise kurz (1 Seite), fallen die entsprechenden MaCompPassagen umso länger aus (16 Seiten). Dabei überschneiden sich die Aussagen in MaRisk und MaComp nicht nur untereinander, sondern z.T. auch mit denjenigen von Art. 22 bis Art. 26 DV. Einzelaussagen zur Compliance finden sich schließlich noch im WpHG selbst: in § 81 Abs. 4 WpHG, welcher – nicht abschließende – Angaben zum Inhalt der Compliance-Berichte enthält, und in § 87 Abs. 5 WpHG, wo Anforderungen an den ComplianceBeauftragten (Sachkunde und Zuverlässigkeit) gestellt werden, die dann in einer eigenen Verordnung (§ 3 WpHGMaAnzV) spezifiziert werden. In der Gesamtsicht aller Regelwerke verhalten sich diese also durchaus wortreich zur Compliance, doch machen es die verschiedenen, über vertikale wie horizontale Verweisungen operierenden und dasselbe z.T. mit unterschiedlichen Worten ausdrückenden Normen dem Nutzer nicht leicht. Ohne ein Vorverständnis dessen, wie Wertpapier-Compliance in der Praxis funktioniert, sind sie im Grunde nicht handhabbar. 2. Die Entwicklung der Wertpapier-Compliance a) Die Wurzeln der Compliance Als Fachbegriff stammt Compliance aus der Medizin.8 Damit bezeichnete man die Sorge um das therapiegerechte Verhalten von Patienten, wobei das Grundproblem dasselbe wie im Recht ist: Das auf dem Papier Verordnete wird vom Adressaten nicht oder nicht immer befolgt, mit allen negativen Konsequenzen, die dem Ignoranten (und der Allgemeinheit) daraus drohen. Als Rechtsbegriff etablierte sich Compliance ab den sechziger Jahren in den USA, und zwar zum einen im Zusammenhang mit entsprechenden Bemühungen der US-Industrie, den scharf sanktionierten Exportverboten zu entsprechen, zum anderen – und zeitlich früher – als Reaktion auf die breit angelegte strafrechtliche Verfolgung von Kartellrechtsverstößen.9 AntitrustCompliance gilt daher als Geburtsstunde der Compliance auf juristischer Ebene.10 b) Compliance im Wertpapiersektor Von der Kartellrechts-Compliance war der Weg nicht weit zur Wertpapier-Compliance. Auch hier liegen die Wurzeln in den USA, in deren Kre8

Hierzu und zum Folgenden A. Eufinger CCZ 2012, 21. Näher Linklater/McElyea RIW 1994, 117, 118. 10 Unmuth AG 2017, 249, 250; A. Eufinger CCZ 2012, 21, 22. 9

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ditwelt man in den achtziger Jahren begann, Konzepte zur Sicherstellung eines regelkonformen Verhaltens in den klassischen Risikobereichen der Banken, namentlich dem Insiderhandel, der Geldwäsche und den Interessenkonflikten, zu entwickeln. Ähnliche Bestrebungen wurden in England sichtbar, und hier wie dort wurde das, was von Banken und ihren Mitarbeitern zur Einhaltung der Regeltreue erwartet wurde, in brancheninternen rules of conduct, die von Banken und ihren Aufsehern z.T. in Kooperation erarbeitet wurden, schriftlich niedergelegt. Ziel all dieser Bemühungen war nicht allein (wie im Kartellrecht) die Vermeidung von Sanktionen, sondern vor allem die (Wieder-)Herstellung des Vertrauens der Kunden in die Redlichkeit der Banken, welches durch verschiedene Skandale erschüttert worden war. Von England und den USA ausgehend fanden die rules of conduct, die den Gedanken der Regeltreue bereits beinhalteten, ihren Weg in die internationale Bankrechtsdebatte und befruchteten von dort aus die deutsche und die (kontinental-)europäische Diskussion. Klaus Hopt erkannte die Entwicklung früh, plädierte bereits Anfang der siebziger Jahre für ein dem angelsächsischen Muster folgendes „Unternehmensverhaltensrecht“11 und griff den Faden dann in den achtziger Jahren erneut auf. In einem Vortrag erörterte er 1987 regulatorische Mechanismen zur Lösung bankinterner Interessenkonflikte. Im Vordergrund seiner Überlegungen stand das Modell „chinesischer Mauern“ (chinese walls), in dem er jedoch „kein Allheilmittel“ sah.12 Das führte ihn zu der Frage, „ob ein sogenannter compliance officer in Universalbanken eingeführt werden und wenn ja, welche Funktionen er haben sollte“. Hierzu gäbe es in den USA und in Großbritannien bereits umfangreiche Erfahrungen,13 „während hierzulande das Phänomen noch selten ist und die Diskussion kaum begonnen hat“.14 Damit war das Thema Compliance in der deutschen Debatte angekommen. Während auf EU-Ebene noch an einer Wertpapierdienstleistungsrichtlinie gefeilt wurde, begann die deutsche Kreditwirtschaft Anfang der neunziger Jahre damit, Compliance-Organisationen nach angelsächsischem Muster einzurichten.15 Bezweckt wurde damit – so der Leiter der ersten, im 11

Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, insbes. S. 413 ff. Hopt FS Heinsius, 1991, S. 289, 320; s. zuvor schon ders. (Fn. 11), S. 477. 13 Hopt FS Heinsius, 1991, S. 289, 320, der hierzu auf den britischen City Code on Takeovers and Mergers verwies, der die besondere Bedeutung von „compliance departments“ zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei der Übernahme-Beratung anspricht (Appendix 3, Ziff. 2.b) des City Code). 14 Hopt FS Heinsius, 1991, S. 289, 320; Rückblickend Birnbaum in Gebauer u.a., Compliance-Miszellen, 2019, S. 15, 16: „[Es gab] zwei verschiedene Compliance-Welten. Zum einen die streng amerikanische, zum anderen die kaum vorhandene deutsche Compliance-Welt“. 15 Dazu aus zeitgenössischer Sicht Weiss, Die Bank, 1993, 136 ff.; rückblickend Kirschhöfer in Gebauer u.a., Compliance-Miszellen, 2019, S. 147 ff. 12

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April 1992 eingerichteten, Compliance-Abteilung einer deutschen Großbank – „die Konfliktsteuerung und -kontrolle [...] nicht nur internationalen Gepflogenheiten anzupassen, sondern im Interesse der Kunden und zum Schutz der Mitarbeiter nachhaltig zu verbessern“.16 Oberstes Ziel war es dabei, das „Vertrauen der Kunden“ zu erhalten und zu vertiefen.17 Daneben wurde bereits die später als „Schutzfunktion“ bezeichnete Aufgabe von Compliance sichtbar, das Unternehmen selbst und seine Mitarbeiter vor durch mangelnde Regeltreue verursachten Nachteilen (Sanktionen, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit u.a.) zu bewahren.18 c) Compliance im WpHG Einzug in das Gesetz erhielt Compliance wenig später im 1994 neugeschaffenen WpHG.19 Dessen § 33 Nr. 3 a.F. ordnete an, dass jedes Wertpapierdienstleistungsunternehmen „über angemessene interne Kontrollverfahren verfügen [muss], die geeignet sind, Verstößen gegen Verpflichtungen nach diesem Gesetz entgegenzuwirken“. Umgesetzt wurde damit Art. 11 Abs. 1 Spiegelstrich 7 der neuen EG-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993.20 Danach hatten die Mitgliedstaaten Wohlverhaltensregeln zu erlassen, die gewährleisten sollten, dass Wertpapierfirmen „alle[n] für die Ausübung ihrer Tätigkeit geltenden Vorschriften im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden und der Integrität des Marktes nachkommen“. Die deutsche Gesetzesbegründung erläuterte, „die Schaffung und der Ausbau von ComplianceOrganisationen [...] stellen den richtigen Ansatzpunkt zur Entschärfung des grundsätzlich bestehenden Konfliktpotentials zwischen Unternehmens- und Kundeninteressen und zur Schaffung der notwendigen organisatorischen Instrumente zur Überwachung des Wertpapiergeschäfts dar“.21 Hieraus sowie aus dem generellen Hinweis, die Festlegung von Wohlverhaltensregeln habe „im bestmöglichen Interesse der Kunden“ zu erfolgen bzw. sei „von großer Bedeutung für das Vertrauen der Anleger“,22 folgt, dass die Einhaltung der Vorschriften in erster Linie im Anlegerinteresse und – dadurch vermittelt – zur Stärkung des deutschen bzw. europäischen 16

Eisele WM 1993, 1021. Vgl. Eisele WM 1993, 1021. 18 Vgl. Eisele WM 1993, 1021, 1022 („Wettbewerbsfähigkeit“), 1023 („Schutzfunktion und Haftungsentlastung“). 19 Ein Jahr zuvor hatte das Geldwäschegesetz erstmals Compliance-Vorgaben normiert, die jedoch allein der Prävention der Geldwäsche dienten und nicht allgemein zur Einhaltung von Vorschriften anhielten. 20 Richtlinie des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen (93/22/ EWG), abgedruckt und erläutert bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1995, S. 450 ff.; Zur Vorgeschichte Lösler, Compliance im Wertpapierdienstleistungskonzern, 2003, S. 24 ff. 21 BT-Drucks. 12/7918, S. 105 („Zu dem neuen § 30c WpHG“). 22 BT-Drucks. 12/7918, S. 97. 17

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Bankgeschäfts verordnet wurde. Dies deckte sich mit der Zielsetzung der ebenfalls durch das WpHG umgesetzten EU-Insiderrichtlinie,23 die gleichfalls das Anlegervertrauen stützen und dadurch den europäischen Wertpapierhandel festigen wollte.24 Dabei war der Kreis der einzuhaltenden Regeln, wie namentlich aus der deutschen Gesetzesformulierung in § 33 WpHG a.F. („Verpflichtungen nach diesem Gesetz“) hervorging, auf wertpapierrechtliche Vorgaben beschränkt. Vor Augen hatte man dabei Normen, die der Vermeidung von Interessenkonflikten, einschließlich und insbesondere der Prävention von Insidergeschäften, dienten.25 Nähere Ausgestaltung erfuhren die organisatorischen Vorgaben durch ein 1999 erlassenes Rundschreiben des (später in der BaFin aufgegangenen) Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel.26 Zu einer deutlichen Aufwertung der Compliance-Funktion kam es 2007 durch das Finanzmarktrichtlinien-Umsetzungsgesetz (FRUG). Äußerlich sichtbar wurde diese Aufwertung dadurch, dass die bisherige Ziffer 3 des § 33 WpHG a.F. nun an die erste Stelle rückte. In der Formulierung kam sie dadurch zum Ausdruck, dass die Norm von der Compliance-Organisation nicht mehr negativ verlangte, Verstößen entgegenzuwirken, sondern positiv forderte, die Einhaltung der wertpapierrechtlichen Verpflichtungen sicherzustellen.27 Gefordert waren, in den Worten des Gesetzes, Grundsätze, Mittel und Verfahren, die darauf ausgerichtet sein mussten, „sicherzustellen, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst und seine Mitarbeiter den Verpflichtungen dieses Gesetzes nachkommen“ (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WpHG a.F.). Was unter den danach erforderlichen Mitteln zu verstehen war, spezifizierte ein neu angefügter Halbsatz, demzufolge „insbesondere eine dauerhafte und wirksame Compliance-Funktion einzurichten ist“.28 Damit hatte der Compliance-Begriff Eingang in die deutsche Rechtssprache erhalten.

23 Richtlinie des Rates vom 13.11.1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, 89/592/EWG), abgedruckt und erläutert bei Lutter (Fn. 20), S. 594 ff. 24 Näher zu den Zwecken des europäischen Insiderrechts Bachmann, Das Europäische Insiderhandelsverbot, 2015, S. 18 ff. 25 Hierauf fixiert auch noch Lösler (Fn. 20), S. 11 („insbesondere Interessenkonflikte und Insidergeschäfte“), S. 73 ff. („Chinese walls“). 26 Richtlinie zur Konkretisierung der Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 33 Abs. 1 WpHG vom 25.10.1999, BAnz. Nr. 210 v. 6.11.1999, S. 18453. 27 Umsetzung von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Rates und des Parlaments über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), abgedruckt und erläutert bei Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, S. 1128 ff. 28 Die Compliance-Funktion hatte „unabhängig“ zu sein und musste mindestens einmal jährlich an die Geschäftsleitung und das Aufsichtsorgan berichten (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 WpHG aF.).

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Der Gesetzgeber des FRUG beließ es dabei nicht, sondern machte – in Umsetzung einer europäischen Durchführungsrichtlinie29 – in einer neuen Verordnung zusätzliche Vorgaben zur Ausgestaltung der ComplianceFunktion, namentlich indem er dort die Benennung eines ComplianceBeauftragten forderte.30 Ein neu eingefügter Eingangssatz in § 33 WpHG verwies zudem auf § 25a Abs. 1 KWG, welcher eine Organisation verlangt, „die die Einhaltung der vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen [...] gewährleistet“.31 Der auf den ersten Blick redundante und unscheinbare Verweis deutete ein verschärftes Compliance-Verständnis an, denn § 25a Abs. 1 Satz 1 KWG stellt nicht bloß auf Verpflichtungen „nach diesem Gesetz“, sondern pauschal auf „gesetzliche Bestimmungen“ ab. Er ordnet also eine Pflicht zur Sicherstellung der Einhaltung aller einschlägigen Gesetze und Bestimmungen an.32 Compliance im Bank- und Wertpapierbereich sollte also nicht mehr vornehmlich dem Schutz der Anleger, sondern auch und nicht zuletzt der Vermeidung von Nachteilen für die Gesamtwirtschaft durch illegales Verhalten im Kredit- und Finanzdienstleistungswesen dienen.33 Es ist nicht ohne Ironie, dass diese Erweiterung und Verschärfung der Compliance im Wertpapierbereich am Vorabend der Finanzkrise erfolgte, die nicht allein durch überriskante Spekulation, sondern auch und vor allem durch die Missachtung bankaufsichtsrechtlicher Vorgaben ausgelöst wurde.34 Der Gesetzgeber reagierte, indem er die Compliance-Anforderungen in § 25a Abs. 1 KWG, und damit mittelbar auch in § 33 Abs. 1 Satz 2 WpHG, weiter schärfte. Die Compliance-Funktion im Sinne der für die „Einhaltung der vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen“ Verantwortlichen wird seither vom Gesetz als Teil des internen Kontrollsystems (IKS) angesehen, das seinerseits Element eines allumfassenden Risikomanagements ist und als solches neben der internen Revision steht (vgl. § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KWG). Im Rahmen einer dreifach gestaffelten Verteidigungslinie 29

Richtlinie der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/

EG. 30 Vgl. § 12 Abs. 4 Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) a.F., welche z.T. die Anforderungen des alten BAW-Rundschreibens von 1999 (Fn. 26) übernahm. 31 § 25a Abs. 1 eingefügt durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz v. 21.6.2002. Die heutige Fassung fordert eine Geschäftsorganisation, „die die Einhaltung der vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen und betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährleistet“. 32 Lösler NZG 2005, 104, 106; enger, nämlich beschränkt auf Normen mit Bezug zum Bank- und Finanzdienstleistungsrecht, Braun in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/ CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 25a Rn. 44 (Einbeziehung aller gesetzlichen Bestimmungen „zu weitgehend“). Der Wortlaut der Norm gibt für eine solche Einschränkung aber nichts her. 33 Lösler NZG 2005, 104, 106. 34 Näher Florstedt AG 2010, 315.

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(„three lines of defense“)35 soll Compliance in der ersten (prozessbegleitenden) und der zweiten (überwachenden) Linie gegen Risiken schützen, die dem Institut und damit der Volkswirtschaft durch rechtswidriges Verhalten droht. Die dritte Linie bildet dann die interne Revision. Die Finanzmarktnovellierung 2017 brachte keine sachlichen Änderungen, sondern verschob § 33 WpHG lediglich nach hinten und machte ihn zum jetzigen § 80 WpHG. Auf den ersten Blick ist die ComplianceVerpflichtung, die bis dahin ausdrücklich und prominent in der ersten Aufzählungsziffer der Norm enthalten war, entfallen. Ein zweiter Blick offenbart, dass sich insoweit nichts geändert hat, denn der Verweis auf § 25a Abs. 1 KWG, der die Compliance-Organisationspflicht für Banken ausspricht, besteht in § 80 Abs. 1 Satz 1 WpHG fort und die bislang in § 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 4, 5 u. 6 WpHG a.F. geforderten Elemente einer Compliance-Organisation sind nun in der europäischen Durchführungsverordnung geregelt, auf die § 80 Abs. 1 Satz 3 WpHG in nüchterner Form („nähere Bestimmungen zur Organisation der Wertpapierdienstleistungsunternehmen enthalten die Artikel 21 bis 26 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565“) verweist.

3. Funktionswandel der Wertpapier-Compliance a) Redaktioneller Wandel Blickt man nur auf die redaktionelle Seite der Compliance-Pflicht im WpHG, so ist zuerst eine schrittweise Aufwertung zu konstatieren. Zunächst rückte die Verpflichtung zur Schaffung einer Compliance-Organisation in der einschlägigen Norm nach vorne (von Nr. 3 zu Nr. 1). Dann erfuhr die Verpflichtung durch den Verweis auf die parallele KWG-Pflicht (§ 25a Abs. 1 Satz 1 KWG) eine Verdoppelung und wurde von einer bloß negativen („Verstößen entgegenwirken“) zu einer positiven Aussage („Verpflichtungen nachkommen“) umformuliert. Schließlich wurde die Verpflichtung – unter ausdrücklicher und mehrfacher Verwendung der „Compliance“-Vokabel – in Gesetz und Verordnung ausbuchstabiert. Einen redaktionellen Rückschritt stellt dagegen die Ersetzung der Compliance-Vorgaben im Gesetz durch den unscheinbaren Verweis auf die Art. 22 ff. der EU-Durchführungsverordnung dar, der dem unbefangenen Leser den Eindruck vermittelt, das moderne WpHG enthalte überhaupt keine Compliance-Verpflichtung mehr. Dies ist der unmittelbaren Wirkung der EU-Verordnung geschuldet, die als solche – zumindest aus europäischer Perspektive – einen Regelungsfortschritt darstellt. Am Ende 35

Dazu zuletzt d’Arcy in Gebauer u.a., Compliance-Miszellen, 2019, S. 43 ff.

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sollte dann aber wohl besser ein europäisches Regime aus einem Guss stehen. b) Wandel der Funktionen Interessanter als die rechtstechnische Seite ist die Funktion, die Compliance im Wertpapierbereich zugedacht wird, denn diese hat ebenfalls einen Wandel erfahren. Dabei ist allerdings Abstand zu nehmen von den sog. „Funktionen“, die Compliance in der praxislastigen Literatur zugeschrieben werden, wobei „Funktion“ unterschiedslos im Sinne von Aufgabe, Wirkung, Element oder Einsatzbereich verstanden wird.36 Danach soll Compliance eine Schutzfunktion, eine Marketingfunktion, eine Beratungs- und Informationsfunktion, eine Qualitätssicherungsfunktion, eine Innovationsfunktion, eine Repräsentationsfunktion sowie eine Überwachungsfunktion haben.37 Mit alledem wird zutreffend beschrieben, was Compliance leisten und welche Effekte sie haben kann, doch verunklart eine derartige Aufzählung, warum das Gesetz überhaupt eine Compliance-Organisation im Wertpapierbereich verlangt, mit anderen Worten: was der eigentliche Zweck der Compliance-Organisationspflicht ist. Fragt man danach, dann zeigt sich eine Gewichtsverschiebung vom engen, auf den Schutz des Kunden und den Erhalt seines Vermögens bzw. Vertrauens zielenden Compliance-Gebots zu einem weiten, die Integrität des Wertpapierdienstleistungsunternehmens im eigenen wie dem Interesse der Gesamtheit wahrenden Compliance-Verständnis. Zum Ausdruck gelangt dies vor allem dadurch, dass das WpHG heute nicht mehr nur die Einhaltung seiner eigenen, vornehmlich dem Kundeninteresse dienenden Verpflichtungen (insbesondere der sog. Wohlverhaltensregeln) gewährleistet sehen will, sondern – über den Verweis auf § 25a Abs. 1 KWG – auf die Einhaltung aller vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften pocht.38 Darin nähert sich die Wertpapier-Compliance der gesellschaftsrechtlichen Compliance-Pflicht an, die gemeinhin so verstanden wird, dass sie die Geschäftsleitung zur Sicherung der Einhaltung jeglicher Rechtsnormen anhält. Weitergehend sehen manche die Aufgabe von Compliance heute sogar darin, über die Legalität hinaus für die Legitimität der Geschäftstätigkeit zu sorgen.39 Das deckt sich mit Aussagen im neuen Deutschen Corporate Governance Kodex.40 Der Bedeutungs36

Kritisch auch Sekker, Bankenaufsicht und Kapitalgesellschaftsrecht, 2019, S. 201. Statt vieler Faust in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 109 Rn. 4. 38 Zutreffend beobachtet bereits von Lösler NZG 2005, 104, 106; zu eng daher MAComp BT 1.3.2.1 Nr. 2: „im Einklang mit den Vorgaben des WpHG“. 39 So z.B. Birnbaum (Fn. 14), S. 15, 22; Marbeiter in Gebauer u.a., ComplianceMiszellen, 2019, S. 275, 289; Steiger ebd., S. 351, 353 ff. 40 Vgl. DCGK 2020, Präambel Absatz 1: „Diese Prinzipien verlangen nicht nur Legalität, sondern auch ethisch fundiertes [...] Handeln (Leitbild des ehrbaren Kaufmanns)“. 37

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gehalt von „Marktintegrität“ als gesetzliches Tatbestandsmerkmal41 dürfte damit aber überspannt sein.42 Bisweilen werden die unterschiedlichen Zwecke der wertpapierrechtlichen Compliance-Verpflichtung auf den Gegensatz „Anlegerschutz oder Unternehmensschutz?“ zugespitzt und dieser Gegensatz dann wahlweise zugunsten des Anleger- oder des Unternehmensschutzes aufgelöst.43 Historisch gesehen ist Letzteres richtig, wie sich an der soeben bemerkten Ausdehnung der Compliance auf die Einhaltung aller, also auch der nicht explizit dem Kundenschutz dienenden Gesetze zeigt. Auch sprechen drastische Sanktionen, die in neuerer Zeit in Fällen von Non-Compliance verhängt wurden, dafür, den Zweck der Wertpapier-Compliance vor allem im Schutz des Unternehmens vor Sanktionen zu sehen. Letztlich dient WertpapierCompliance aber – genauso wie Banken-Compliance – nicht dem Schutz von Unternehmen oder Kunden als Individuen in dem Sinne, dass diese vor für sie nachteiligen Folgen von Non-Compliance bewahrt werden sollen.44 Vielmehr hat und hatte Wertpapier-Compliance immer schon eine weitergehende, den Kapitalmarkt als Institution schützende Bedeutung.45 Diese Bedeutung, und darin findet der oben beschriebene Wandel vom engen zum weiten Verständnis seine Entsprechung, ist im Laufe der Zeit in den Vordergrund getreten. Indem Compliance heute zum Bestandteil eines aufsichtsrechtlich eingebetteten und überwölbten Risikomanagements geworden ist, soll sie dazu beitragen, die Solvenz und Leistungsfähigkeit der Bankwirtschaft als Ganzes zu stabilisieren.46 Es geht also gar nicht mehr so sehr darum, das Vertrauen der Kunden, nicht „über den Tisch gezogen zu 41 Z.B. § 81 Abs. 1 Satz 1 WpHG: „Die Geschäftsleiter eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens haben [...] ihre Aufgaben in einer Art und Weise wahrzunehmen, die die Integrität des Marktes wahrt ...“. 42 Gebauer in ders. u.a., Compliance-Miszellen, 2019, S. 113, 136 f.: „Einen anständigeren, gerechteren oder effizienteren als den aktuell vom Gesetzgeber definierten Markt beschreibt die Marktintegrität nicht“. Kritisch zur Forderung einer gesetzesübersteigenden „Compliance-Kultur“ auch Fett ebd., S. 75, 78. 43 So bei Lösler NZG 2005, 104, 108, demzufolge der Anlegerschutz nur Reflex des primär intendierten Unternehmensschutzes ist; umgekehrt Koller in Assmann/Schneider/ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 80 Rn. 84: Compliance-Funktion habe primär die Anlegerinteressen, nicht die Unternehmensinteressen im Auge zu behalten. 44 § 80 WpHG wird daher auch nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB angesehen, s. Koller (Fn. 43), § 80 Rn. 1. Eingehend jetzt Badenhoop, Das Individualschutzziel im europäischen Bankaufsichtsrecht und seine privatrechtliche Durchsetzung, Diss. HU 2020. 45 Siehe bereits Hopt (Fn. 11), S. 336: „Anleger werden nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern weil sie ungeschützt kein Vertrauen fassen oder Vertrauen verlieren und dann die Ersparnisbildung der privaten Haushalte als Reservoir für den Kapitalmarkt zu versiegen droht“. 46 Vgl. Braun (Fn. 32), § 25a Rn. 33, der als „Oberziel“ der organisatorischen Pflichten nach § 25a KWG die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen, die Stabilität des Finanzsystems und die Vermeidung von Nachteilen für die Gesamtwirtschaft durch Missstände im Kredit- und Finanzdienstleistungswesen nennt.

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werden“, zu sichern. Vielmehr soll das Bankgeschäft schlicht nach den dafür gegebenen Regeln verlaufen, weil Regeltreue im Banksektor an sich als dienlich für die Volkswirtschaft angesehen wird. Wenn das Vertrauen des Kunden dafür überhaupt noch von Bedeutung ist, dann eher im Sinne eines abstrakten Vertrauens, „dass alles mit rechten Dingen zugeht“. Vertrauensschutz bleibt damit Vorbedingung volkswirtschaftlicher Effizienz – insofern deckt sich die Zwecksetzung der wertpapierrechtlichen Compliance weiterhin mit der historisch überkommenen des europäischen Insiderhandelsverbots47 (was insofern nicht erstaunt, als die Geburt der wertpapierrechtlichen Compliance eng mit dem Bemühen um effektive Insiderhandelsprävention verknüpft war48). Der Schutz konkreten Vertrauens („meine Bank übervorteilt mich nicht“) ist aber spürbar zurückgetreten und hat dem Streben nach Regeltreue um ihrer selbst willen Platz gemacht. 4. „Ausstrahlung“ der Wertpapier-Compliance? Ob das so verstandene Compliance-Gebot des Wertpapierrechts auf das Gesellschaftsrecht „ausstrahlt“, ist eine Frage, die in der Vergangenheit verschiedentlich gestellt und nicht selten bejaht worden ist.49 Unverkennbar nimmt das Wertpapierhandels- ebenso wie das Bankaufsichtsrecht eine Schrittmacherrolle wahr, indem es die korporationsrechtliche ComplianceDebatte beflügelt.50 In den Darstellungen der sog. Corporate-Compliance finden sich denn auch regelmäßig Elemente wieder, die aus den aufsichtsrechtlichen Vorgaben des Kredit- und Versicherungswesens kopiert sind. Ob diese tatsächliche Übernahme normativ fundiert (also rechtlich geboten) ist, steht indes keineswegs fest. Versuche, die aufsichtsrechtlichen Compliance-Vorgaben im Wege einer Gesamtanalogie auf das Gesellschaftsrecht zu erstrecken, konnten sich jedenfalls nicht durchsetzen.51 Soweit man unter Ausstrahlung nur ein anderes Wort für Rechtsanalogie versteht,52 führt der Weg daher nicht weiter. Eine Ausstrahlung ist aber auch jenseits der analogen Rechtsanwendung denkbar. Terminologisch ist die Ausstrahlung dem Verfassungsrecht ent47

Vgl. Bachmann (Fn. 24); kritisch Klöhn, MAR, Vor Art. 7 Rn. 34 ff., im Sinne einer mikroökonomischen Rechtfertigung des Insiderhandelsverbots, s. dazu Bachmann, ebd. 48 Vgl. nochmals die wegbereitenden Texte von Hopt (FS Heinsius, 1991, S. 289) und Eisele (WM 1993, 1021), die beide das Insiderrecht im Titel tragen („Insiderwissen und Interessenkonflikte“ bzw. „Insiderrecht und Compliance“). 49 Vgl. nur Weber-Rey ZGR 2010, 543 ff. Eine umgekehrte Ausstrahlung des Gesellschaftsrechts (§ 91 Abs. 2 AktG) in das Aufsichtsrecht annehmend Braun (Fn. 32), § 25a Rn. 49. 50 Begriffsprägend Preußner NZG 2004, 57. 51 Eingehend dazu bereits Bachmann VGR Bd. 13 (2008), 65 ff. 52 Vgl. dazu Schönemann, Die Vergütung der Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften, 2012, S. 109 ff.

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lehnt, welches gebietet, das einfache Recht „im Lichte“ der Grundrechte auszulegen, es also an deren Wertungen zu orientieren.53 Für das Verhältnis von Aufsichts- und Gesellschaftsrecht passt diese Vorstellung nicht, da das Aufsichtsrecht zwar ebenfalls dem öffentlichen Recht angehört, in der Rangordnung aber – trotz seines teilweise europarechtlichen Hintergrunds – dem Gesellschaftsrecht nicht übergeordnet ist.54 Im jüngeren Schrifttum, das sich mit der Figur der Ausstrahlungswirkung intensiver auseinandergesetzt hat, besteht daher Konsens, dass sich eine Ausstrahlung nur im Wege der Auslegung, und zwar der aufnehmenden Norm, vollziehen kann.55 Soweit diese Norm nicht von sich aus gebietet, die Anforderungen einer anderen zu übernehmen (etwa in Gestalt einer Verweisung), setzt die Ausstrahlung zuerst und vor allem voraus, dass ausstrahlender und aufnehmender Norm die gleiche Wertung zugrundeliegt.56 Geht man mit dieser Maßgabe an das Wertpapierrecht heran, ist zunächst festzuhalten, dass die Frage nach einer Ausstrahlung „des“ Aufsichtsrechts auf „das“ Gesellschaftsrecht zu breit gestellt ist. Sinnvoll gefragt werden kann nur nach dem Ausstrahlungsverhältnis konkreter Normen zueinander.57 Was die hier interessierende Pflicht zur Schaffung einer ComplianceOrganisation angeht, ist dabei Zurückhaltung geboten, denn die der Stabilität des Kreditwesens verpflichtete Zwecksetzung des § 25a Abs. 1 KWG, auf den § 80 Abs. 1 WpHG Bezug nimmt, ist eine grundsätzlich andere als die Verpflichtung des Vorstands, eine dem Unternehmenswohl dienliche Organisation zu schaffen.58 Die detaillierten Compliance-Vorgaben des Bankrechts strahlen deshalb nicht in dem Sinne auf das Aktienrecht aus, dass dort mit gleicher Münze zu zahlen wäre.59 53

Grundlegend BVerfGE 7, 198 (Lüth). Vgl. Langenbucher FS Hopt, 2010, S. 2175, 2187; Bronnert-Härle, Aufsichtsratsausschüsse als neue Akteure der internen Corporate Governance von Banken, 2016, S. 71. 55 Fischer, Ausstrahlungswirkungen im Recht, 2018, S. 101; Duplois, Die Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankaufsichtsrecht, 2017, S. 102; Thaten, Die Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht am Beispiel der Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2016, S. 160 ff.; grundsätzlich schon Dreher ZGR 2010, 496 ff.; skeptisch zur methodologischen Daseinsberechtigung einer „Ausstrahlungswirkung“ Lieder AG 2018, 454, 455. 56 Fischer (Fn. 55), S. 106, 108; Duplois (Fn. 55), S. 94 („zentrale Voraussetzung“). 57 Fischer (Fn. 55), S. 102. 58 Anderes gilt nur für den Bankvorstand, der von § 25a Abs. 1 Satz KWG direkt in die Pflicht genommen wird, jedenfalls über den Hebel der aktienrechtlichen Legalitätspflicht an die KWG-Vorgaben gebunden ist, s. Sekker (Fn. 36), S. 202; Fischer (Fn. 55), S. 185; Bronnert-Härle (Fn. 54), S. 79; Binder ZGR 2013, 760, 785 f. 59 So auch Fischer (Fn. 55), S. 178; offener Thaten (Fn. 55), S. 209 ff.: Aktien- und Aufsichtsrecht verfolgten zwar divergierende Schutzzwecke, doch diene Compliance hier wie dort demselben Ziel, nämlich der Vermeidung von Rechtsrisiken. Wegen des in der Sache identischen Grundgedanken sei ein Wertungstransfer möglich (Hervorhebung im Original). 54

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Diese Einsicht hindert nicht daran, das Aufsichtsrecht als „Steinbruch“ oder „Inspirationsquelle“ für die Ausfüllung aktienrechtlicher Standards zu nutzen,60 wie es in der Praxis auch geschieht. Grund dafür ist aber nicht der hehre Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, auf den die Ausstrahlungswirkung zumeist gestützt wird,61 sondern schlicht die Natur der Sache: Gleiche Sachprobleme legen es nahe, die hier bewährte Lösung auch dort zur Anwendung zu bringen, ohne dass ein Zwang dazu bestünde – dies alles freilich nur, soweit vorrangige Wertungen (im Aktienrecht: das unternehmerische Ermessen bei der Ausgestaltung der Unternehmensorganisation) dabei gewahrt bleiben. Die Compliance-Pflicht im Aktienrecht wird deshalb, anders als die wertpapierrechtliche, nicht als strikte, sondern als relative, d.h. auf die vom Vorstand auf die jeweilige Unternehmenssituation zuzuschneidende, bezeichnet.62 Dieser Unterschied sollte durch das Bild der Ausstrahlungswirkung nicht verwischt werden.

IV. Fazit: Das WpHG als Vorreiter und Opfer der Compliance-Entwicklung 1. Das WpHG als Vorreiter Auch wenn sich die Idee, den Regelungsgehalt von § 33 WpHG (heute: § 80 Abs. 1 WpHG) im Wege der Gesamtanalogie auf das Aktienrecht zu erstrecken, nicht durchgesetzt hat und einer diesbezüglichen Ausstrahlungswirkung mit Vorsicht zu begegnen ist (s.o.), sollte dem WpHG gleichwohl seine tatsächliche Schrittmacherrolle in der Compliance-Entwicklung nicht abgesprochen werden. Denn es war § 33 WpHG, der im Jahre 1994 die Pflicht zur Eindämmung von Rechtsverstößen erstmals klar und deutlich ausgesprochen und damit die Compliance-Debatte ins Rollen gebracht hat. Als dann 13 Jahre später die Compliance-Vokabel selbst ins WpHG (und zeitgleich in den Kodex) gelangte, war Compliance bereits ein fester Begriff, der spätestens mit dem aktienrechtlichen Siemens/Neubürger-Urteil63 auch ins Bewusstsein der Gesellschaftsrechtler vordrang. 2. Das WpHG als Opfer Wenn das WpHG zugleich als Opfer der Compliance-Entwicklung bezeichnet werden muss, dann deshalb, weil sich die Compliance-Verpflichtung 60

Vgl. Thaten (Fn. 55), S. 162 ff. („Steinbruch“), S. 215 („Inspirationsquelle“). Vgl. nur Fischer (Fn. 55), S. 92; Thaten (Fn. 55), S. 162; vertieft Duplois (Fn. 55), S. 58 ff. 62 Grundsätzlich Bachmann VGR Bd. 13 (2008), 65, 75. 63 LG München I ZIP 2014, 570 mit Anm. Bachmann. 61

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diesem Gesetz selbst nur noch mit Mühe entnehmen lässt. Dass es eine bestimmte Compliance-Organisation geben muss, wird in den wenigen Normen, in denen von Compliance die Rede ist, stillschweigend vorausgesetzt, im Übrigen nur über den Verweis auf § 25a Abs. 1 KWG und die europäische Durchführungsverordnung erkenntlich. Wie die Compliance-Organisation im Einzelnen auszugestalten ist, muss sich der Leser durch die Zusammenschau diverser, sich inhaltlich z.T. überschneidender und auf verschiedenen Hierarchiestufen angesiedelter Normen mühsam selbst erschließen, wobei ihm die gesetzliche Systematik mit ihren Querverweisungen nicht immer eine Hilfe ist.64 Für Compliance-Fachleute mag das keine Hürde sein, sind sie doch mit der Materie aus der täglichen Arbeit vertraut und nehmen zudem nicht das Gesetz, sondern ihre Leitfäden zur Hand. Gleichwohl findet sich unisono bei Compliance-Praktikern, auch und gerade solchen mit langer Berufserfahrung, die Klage über einen zunehmend unübersichtlichen Rechtszustand.65 Langfristig wäre deshalb zu wünschen, dass das gesetzliche Organisationsregime inklusive der Compliance-Standards – etwa in einem single rulebook – wieder überschaubar würde.

V. Ausblick Die vor Jahrzehnten pionierhaft vom Jubilar gestellte Frage, „ob ein sogenannter compliance officer in Universalbanken eingeführt werden sollte“, ist von Praxis und Gesetzgeber mit einem klaren „ja“ beantwortet worden. Aus dem Compliance-Beauftragten ist im Laufe der Jahre ein ganzes Heer von Compliance-Mitarbeitern geworden, was zu der halb im Ernst, halb im Scherz geäußerten Sorge Anlass gab, ob künftig hinter jedem Banker ein Compliance-Officer stehen werde.66 Heute kehrt sich dieser Trend um. Zwar sind die Compliance-Aufgaben keineswegs geschrumpft, doch schlagen auch hier die Zeichen der Digitalisierung zu Buche: Der vermehrte Einsatz von lernenden Systemen, so wird gemutmaßt, werde zu einem rapiden Stellenabbau in den Compliance-Abteilungen führen, denn: „Vieles lässt 64 Vgl. Bürkle in Gebauer u.a., Compliance-Miszellen, 2019, S. 25, 38: „Bereits [...] die Identifikation aller relevanten Quellen stellt mittlerweile eine echte Herausforderung für die Compliance-Funktion dar“. 65 Vgl. Birnbaum (Fn. 14), S. 15, 23: „immer umfangreicher, [...] immer unübersichtlicher“; Kirschhöfer (Fn. 15), S. 147, 149: „Übersichtlichkeit nicht mehr ohne Weiteres zu finden“; Marbeiter (Fn. 39), S. 275, 280: „ohne digitale Hilfsmittel nicht mehr zu kennen“; Faust (Fn. 37), § 109 Rn. 14a: „Übersicht durch die Umsetzung auf unterschiedlichen Ebenen im WpHG selbst bzw. in den konkretisierenden Rechtsverordnungen erschwert “. 66 Vgl. Lösler NZG 2005, 104, 105; s. auch Marbeiter (Fn. 39), S. 275, 284: „Mittlerweile sind viele Compliance-Organisationen zu einem nicht unerheblichen Anteil mit sich selbst beschäftigt“.

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sich hier automatisieren“.67 Allerdings nicht alles. Die entsprechenden Mitarbeiter müssten nicht nur die Ansprechpartner bei der Finanzaufsicht, sondern auch deren persönliche Kriterien und Erwartungen kennen, was ein Roboter nicht leisten könne.68 Wie die danach gebotene Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine aussehen wird und welche Herausforderungen sie für die Wertpapier-Compliance birgt, muss die künftige Entwicklung zeigen. Dabei könnte sich das WpHG erneut als Schrittmacher erweisen: § 80 WpHG legt als einzige deutsche Norm Organisationspflichten beim Einsatz von intelligenten Computersystemen fest, und es mehren sich die Überlegungen, diese „algorithmischen Organisationspflichten“ in das Gesellschaftsrecht zu übertragen.69 Ob das im Wege einer Ausstrahlung – nach dem Gesagten also durch Auslegung – gelingen kann, wird zu prüfen bleiben.

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1131.

Börsen-Zeitung v. 16.11.2019, S. 2: „Compliance-Stellenboom kommt zum Ende“. Börsen-Zeitung, ebd. Vgl. nur Möslein ZIP 2018, 204, 211; beipflichtend Weber/Kiefner/Jobst NZG 2018,

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Internationale Trends als gesellschaftsrechtliche Reformimpulsgeber? Harald Baum

Internationale Trends als gesellschaftsrechtliche Reformimpulsgeber? – Aktuelle Entwicklungen der Corporate Governance in Japan – HARALD BAUM

„[W]ith the rise of the corporate governance movement, an international bandwagon that started in the Unites States and the United Kingdom, swooped over to Continental Europe and Japan, and has since permeated all industrialized countries.“1

I. Krise und Reform in Japan Das vergleichende gesellschaftsrechtliche Interesse des Jubilars gilt bekanntlich seit langem der Triade bestehend aus Europa, den USA und Japan, den drei erfolgreichsten Wirtschaftsräumen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sachlich standen und stehen meist Fragen der vergleichenden Corporate Governance im Mittelpunkt.2 Dies legt es nahe, ihm in langjähriger Verbundenheit einige Beobachtungen zu aktuellen Entwicklungen in der Corporate Governance zu widmen, mit denen Japan unter anderem auf den vorstehend zitierten „international bandwagon“ des „corporate governance movement“ reagiert. Blickt man auf die jüngere politische Ökonomie Japans fällt eine Ironie auf: Seit den späten 1990er Jahren setzt die japanische Regierung, nicht notwendig allerdings auch die Industrie der Landes, zwecks Bewältigung der andauernden strukturellen Wirtschaftskrise verstärkt auf eine Übernahme wesentlicher Teile des US-amerikanischen Wirtschaftsmodells, währenddessen die USA, nur ein Jahrzehnt zuvor, größtes Interesse an einer Adaption des japanischen Modells gezeigt hatten, das angesichts der phänomenalen Wirtschaftserfolgs des asiatischen Landes in den ersten vier Jahrzehnten nach dem 1

Hopt, Comparative Company Law 2018, ECGI Working Paper No. 460/2019, S. 2. Exemplarisch das von ihm verantwortete Grundlagenwerk zur vergleichenden Corporate Governance Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Hrsg.), Comparative Corporate Governance. The State of the Art and Emerging Research (1998). 2

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Ende des Zweiten Weltkrieges lange Zeit international als de rigueur angesehen wurde.3 Aus regulatorischer Sicht ist der japanische Versuch einer umfassenden wirtschaftlichen Erneuerung vor allem durch die folgenden beiden, in der Sache sehr unterschiedlichen Reformvorhaben gekennzeichnet. 1. Ein regulatorischer Paradigmenwechsel? In einem weit ausgreifenden Ansatz hat Japan zu Beginn des Millenniums vermittels einer umfassenden Justizreform versucht, einen grundlegenden Wechsel des tradierten Regulierungsmodells zu erreichen. Angestrebt wurde ein Abbau der für Japan bis dahin typischen bürokratiegesteuerten ex anteRegulierung des Wirtschaftsgeschehens, welche sich als zunehmend dysfunktional erwiesen hat, und stattdessen eine Stärkung der ex post-Kontrolle vermittels der Gerichte forciert, wie sie etwa für die USA typisch ist.4 Voraussetzung für eine verstärkte gerichtliche Kontrolle ist allerdings ein effizienter Zugriff auf die Ressource Justizgewährung, der in Japan aufgrund politischer Vorgaben indes nur eingeschränkt gewährleistet war.5 Um die künstliche verknappte Zahl von Richtern und Rechtsanwälten, die Ursache der Beschränkung, zu erhöhen, wurde am Anfang des Millenniums die Juristenausbildung mit dem Ziel einer praxisnahen Ausbildung durch die Einführung von Law Schools nach US-amerikanischem Vorbild von Grund auf reformiert. Mit eindrucksvollem Engagement und einem erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwand haben japanischen Universitäten ab dem Jahr 2004 Law Schools, japanisch hōka daigaku-in, errichtet.6 In der Spitze gab es 74 dieser Einrichtungen mit mehr als 70.000 Bewerbern. Heute, 15 Jahre später, existieren lediglich noch 35, da die Zahl der Bewerber drastisch auf nur noch rund 8.000 im Jahr 2018 gesunken ist.7 Es wird mit einem weiteren Rückgang auf einige wenige Law Schools, wenn nicht sogar mit deren völligen Abschaffung gerechnet. 3 So die zutreffende Beobachtung von Vogel, Japan Remodeled. How Government and Industry are Reforming Japanese Capitalism (2007), S. 205. 4 Zur Justizreform Bälz, Diversität und Justizsystem in Japan, in: Chiavacci/Wieczork (Hrsg.), Japan 2018 – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (2018), S. 178; Vanoverbeke/Maesschalck, A Public Policy Perspective on Judicial Reform in Japan, ZJapanR 27 (2009), 11; Rokumoto, The Role of Bureaucracy in Deregulation: The Case of Justice System Reform in Japan, in: Hopt/Wymeersch/Kanda/Baum (Hrsg.), Corporate Governance in Context (2005), S. 353; skeptisch Haley, Heisei Renewal or Heisei Transformation: Are Legal Reforms Really Changing Japan?, ZJapanR 19 (2005), 5. 5 Zu den politischen Hintergründen Baum, The Role of Courts in Japan. Seen from a Comparative German Perspective, in: Kaal/Schmidt/Schwartze (Hrsg.), Festschrift zu Ehren von Christian Kirchner (2014), S. 3, 9 ff. 6 Zur Universitätslandschaft in Japan Baum, Akademische Karrierewege für Juristen in Japan, RabelsZ 84 (2020), im Druck. 7 Angaben aus Nichibenren [Japan Federation of Bar Associations], Bengo-shi Hakusho 2018-han [Weißbuch Rechtsanwälte 2018] (2019), S. 57.

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Das Modell der reformierten Juristenausbildung damit scheint auf geradezu tragische Weise an dem Beharrungsvermögen und der Komplexität interdependenter gesellschaftlicher Institutionen zu scheitern.8 Was dies für den angestrebten regulatorischen Paradigmenwechsel bedeutet, ist derzeit noch offen.

2. Gesellschaftsrechtliche Reformen in Permanenz Ein zweites großes Vorhaben waren und sind weitreichende Reformen im Wirtschaftsrecht, insbesondere im Finanzmarkt- und im Unternehmensrecht. Ebenso wie Deutschland erlebt Japan seit zwei Jahrzehnten eine „Gesellschaftsrechtsreform in Permanenz“. Diese war zunächst überwiegend von einer Tendenz zur Deregulierung geprägt, weist inzwischen aber auch Elemente einer Re-Regulierung auf. Die Zielrichtung der Reformen war mit der Behebung spezifischer Defizite zunächst meist national, mit der Anpassung an globale Trends später aber zunehmend auch international ausgerichtet. Die im Jahr 2005 erfolgte grundlegende Novellierung des Gesellschaftsrechts, im Zuge derer das Aktienrecht aus dem Handelsgesetz in ein neu geschaffenes Gesellschaftsgesetz überführt und zugleich die Rechtsform der GmbH abgeschafft wurde, orientierte sich an den nationalen Bedürfnissen.9 Die Reform trug insbesondere den unterschiedlichen Größen der rund 2,9 Millionen (!) japanischen Aktiengesellschaften durch eine Flexibilisierung des Ordnungsrahmens Rechnung.10 Im Jahr 2018 standen den rund 5.000 Publikumsgesellschaften mit gestreutem Aktienbesitz, von denen 3.735 börsennotiert waren, mehr als 2,8 Millionen kleinere und kleinste Aktiengesellschaften gegenüber.11 Die anschließenden Reformen der Jahre 2014/15, welche eine Reihe von gesellschaftsrechtlichen „legal transplants“ in Japan etablierten, dienten demgegenüber der Annäherung an internationale Standards.12 Zu nennen ist 8 Umfassende Analysen bei Watson, Changes in Japanese Legal Education, ZJapanR 41 (2016), 1; Foote, The Trials and Tribulations of Japan’s Legal Education Reforms, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 36 (2013), 369. 9 Kaisha-hō, Gesetz Nr. 86 vom 26. Juli 2005; dazu Dernauer, Die japanische Gesellschaftsrechtsreform 2005/2006, ZJapanR 20 (2005), 123. 10 Ein Überblick über die vielfältigen unterschiedlichen organisatorischen Möglichkeiten im japanischen Aktienrecht geben Takahashi/Shimizu, The Future of Japanese Corporate Governance: The 2005 Reform, ZJapanR 19 (2005), 35. 11 Knapper Überblick zur Unternehmenslandschaft in Japan bei Baum, Shareholder Value und die Durchsetzung von Aktionärsinteressen in Japan, in: Bälz, (Hrsg.), Recht als Verwirklichung individueller Ansprüche in Japan (2018), S. 143, 144 ff. 12 Zu den rechtspolitischen Hintergründen der Reformen Kozuka, Reform After a Decade of the Companies Act: Why, How, and to Where?, ZJapanR 37 (2014), 39; Morita, Reforms of Japanese Corporate Law and Political Environment, ZJapanR 37 (2014), 25;

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insoweit namentlich die Einführung der Institution des „independent director“, welche der tradierten insiderorientierten japanischen Corporate Governance nachhaltig fremd ist.13 Aber auch mit der Etablierung eines Stewardship Kodex im Jahr 201414 und eines Corporate Governance Kodex im Jahr 201515 betrat der Gesetzgeber für Japan Neuland.

II. Der „Corporate Governance Bandwagon“

1. Die Corporate Governance Bewegung Mit diesen Reformen hat der eingangs zitierte „international bandwagon“ des „corporate governance movement“ Japan erreicht. Gestartet ist er in den späten 1970er Jahren in den USA als dort im Zuge der Aufarbeitung von Unternehmensskandalen das Konzept der Corporate Governance entwickelt wurde, um die Kontrolle über die Unternehmensführung zu verbessern. Die 1990er Jahre galten bereits als das Jahrzehnt der Corporate Governance und seit Anfang des Millenniums ist die Literatur zu dem Thema nachgerade explodiert.16 Nachdem sich auch internationale Organisationen wie die OECD des Themas angenommen haben, deren einschlägige Principles zur internationalen Benchmark wurden,17 spielt das Konzept in der weltweiten akademischen und regulierungspolitischen Diskussion eine zentrale Rolle.18 Entsprechend ist der englische Begriff der internationale terminus technicus geworden. Als Lehnwort hat er auch in die japanische DiskusTakahashi, Entwicklung und Hintergründe der Regelungen zur Corporate Governance in Japan mit einem Schwerpunkt auf der Reformdiskussion von 2013, ZJapanR 35 (2013), 63. 13 Siehe dazu unten III.2. 14 Suchuwādoshippu kōdo, engl. Übersetzung der 2017 novellierten Fassung abrufbar unter: www.fsa.go.jp/en/refer/councils/stewardship/20170529.html; dazu Kansaku, Genuine Self-regulation in Japanese Capital Markets: The Stewardship Code, in: Baum/Bälz/ Dernauer (Hrsg.), Self-regulation in Private Law in Japan and Germany (2018), S. 61; kritisch Goto, The Logic and Limits of Stewarship Codes: The Case of Japan, The University of Tokyo Business Law Working Paper Series, No. 2018-E-01. Auf den Stewardship Kodex wird im Folgenden nicht vertieft eingegangen; seine Relevanz aus wird bislang in der japanischen Praxis als gering eingestuft. 15 Kōporēto gabanansu kōdo, engl. Übersetzung der 2018 novellierten Fassung abrufbar unter: www.jpx.co.jp/english/equities/listing/cg/; zum Kodex unten II.2.b). 16 Siehe Pargendler, The Corporate Governance Obsession, 42 J. Corp. L. (2016), 359, 361 m.w.N. 17 Die aktuelle Version: The G20/OECD Principles of Corporate Governance (OECD Publishing 2015). 18 Hopt, Comparative Corporate Governance: The State of the Art and International Regulation, 59 Am. J. Com. L. (2011), 1, 3.

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sion Eingang gefunden, wo in geringfügiger sprachlicher Anpassung von „kōporēto gabenansu“ die Rede ist.19 Eine Verbesserung der Corporate Governance wird zumeist als die Lösung für alle möglichen Probleme rund um die Unternehmensführung angesehen. Das Gesellschaftsrecht, dass zuvor immerhin für über 150 Jahre dafür Lösungen bereitgestellt hat, soll demgegenüber, wie es jüngst aus prominenter Feder hieß, „trivial“ geworden sein.20 Andere bezweifeln hingegen eine solche umfassende Wirkung des Konzepts und sprechen von einer Corporate Governance „Obsession“.21 Kritisiert wird auch, dass internationale Bewertungen guter Corporate Governance zwar seit langem schon ein Milliardengeschäft seien, was aber genau gemessen werde, sei unklar und auch ein positives Ranking lasse keine belastbaren Schlüsse auf die Integrität der Unternehmen oder deren unternehmerischen Erfolg zu.22 Dies hat aber Japan nicht davon abgehalten, die Corporate Governance in Übereinstimmung mit dem weltweiten Trend in den Mittelpunkt seiner Reformen zu stellen.23 Zur Verortung der japanischen Corporate Governance im internationalen Vergleich und zur Frage, in welchem Umfang landesspezifische institutionelle Faktoren selbige prägen, bestehen unterschiedliche Vorstellungen.24

19 Der Begriff wird in japanischen Texten in „katakana“ geschrieben, der Silbenschrift für die Transkription ausländischer Begriffe; siehe beispielsweise Fujiwara, コーポレート・ガバナンス [Kōporēto gabanansu = Corporate Governance] (2013). 20 Gilson, From Corporate Law to Corporate Governance, in: Gordon/Ringe (Hrsg.), The Oxford Handbook of Corporate Law and Governance (2018), S. 3. 21 Pargendler (Fn. 16), 361. 22 Tingle, What is Corporate Governance? Can We Measure it? Can Investment Fiduciaries Rely on it?, Queen’s L.J. 43 (2) (2018), 1 (mit zahlreichen empirischen Nachweisen); zweifelnd auch Love, Corporate Governance and Performance around the World: What We Know and What We Don’t, World Bank Research Observer 26 (1) (2011), 42; aus japanischer Sicht Tokutsu, Do Corporate Law Reforms Increase Profitability? The Japanese Context, ZJapanR 48 (2019), 111. 23 Dazu kritisch Vogel, Japan’s Ambivalent Pursuit of Shareholder Capitalism, Politics & Society 47(1) (2019), 117. 24 Zur Corporate Governance in Japan aus vergleichender Perspektive und der Verschränkung von rechtlichen und außerrechtlichen Faktoren Nottage, Perspectives and Approaches: A Framework for Comparing Japanese Corporate Governance, in: Nottage/ Wolff/Anderson (Hrsg.), Corporate Governance in the 21st Century: Japan’s Gradual Transformation (2008), S. 21; Pejović, Reforms of Japanese Corporate Governance: Convergence in the Eye of the Beholder, ZJapanR 35 (2013), 107; zuvor bereits Baum, Zur Diskussion über vergleichende Corporate Governance mit Japan, RabelsZ 62 (1998), 739.

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2. Die Kodex Bewegung a) International Ein zentrales Element des „corporate governance movement“ sind Corporate Governance Kodici als eine Form der Selbstregulierung. Heute hat eine „gute“ Corporate Governance in einem Kodex verankert zu sein, wobei es keine Rolle spielt, ob das Land überhaupt über eine Tradition der wirtschaftlichen Selbstregulierung verfügt. Das European Corporate Governance Institute in Brüssel weist mehr als 100 Kodici nach.25 Seinen Ursprung hat das Konzept bekanntlich im Vereinigten Königreich, das über eine lange Tradition der Selbstregulierung verfügt. Ausgangspunkt war der sogenannte „Code of Best Practices“, der aus dem im Jahr 1992 veröffentlichten „Cadbury Report“ hervorgegangen ist.26 Dies war der Beginn des britischen „corporate governance code movement“ mit seinem mittlerweile berühmten „comply-or-explain“ Prinzip. Der Bericht wurde unerwartet zu einem internationalen Bestseller und das Konzept eines Corporate Governance Kodex weltweit übernommen.27 Erneut spielten bei der Verbreitung die erwähnten OECD Principles mit ihrer Empfehlung für Corporate Governance Kodici eine entscheidende Rolle, deren Entstehung maßgeblich von Juristen aus den USA und dem UK beeinflusst wurde.28 Im Hintergrund der Empfehlungen stand seinerzeit die (inzwischen widerlegte) sogenannte „legal origins“ Theorie,29 nach der – vereinfacht ausgedrückt – Rechtsinstitutionen des anglo-amerikanische Common Law denen des Civil Law unabhängig vom jeweiligen institutionellen Kontext (angeblich) regelmäßig überlegen sein sollen.30 b) Rezeption in Japan Japan hat sich der Bewegung im Jahr 2015 mit seinem Corporate Governance Kodex angeschlossen31 – rund ein Jahrzehnt nach Deutschland, wo „Index of Codes“, Abrufbar unter http://www.ecgi.org/codes/all_codes.php. Cadbury, Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (1992). 27 Zur internationalen Verbreitung und den Gründen für den Erfolg Jordan, Cadbury Twenty Years on, Villanova Law Review 58 (2013), 1. 28 Jordan (Fn. 27), 6 f. 29 Jordan (Fn. 27), 8 f. 30 Siehe etwa la Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Law and Finance, Journal of Political Economy 106 (1998), 1113; überzeugend dagegen die Kritik von Cabrelli/Siems, A Case-Based Approach to Comparative Law, in: Cabrelli/Siems (Hrsg.), Comparative Company Law (2013) 7 ff. 31 Angaben zum Kodex oben in Fn. 15; eine ausführliche Analyse der Genese des Kodex und seiner Akzeptanz findet sich bei Buchanan / Chai / Deakin, Taking a Horse 25 26

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die Schaffung des deutschen Corporate Governance Kodex im Jahr 2002 bekanntlich für anhaltende Unruhe gesorgt hat, wie die intensiv geführte Diskussion um dessen Novellierung im Jahr 2020 erneut zeigt.32 Auch das „comply-or-explain“ Prinzip wurde übernommen und zwar sowohl im Kodex als auch im Gesellschaftsgesetz, dort aber nur hinsichtlich der Bestellung externer Verwaltungsratsmitglieder.33 Insoweit besteht also ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Regelung in § 161 AktG. Der Kodex ist, wie im Vereinigten Königreich, in den Zulassungsregeln zur Börse, hier der Börse Tokyo, verankert und gilt für in Japan börsennotierte Gesellschaften. Im Kern folgt der Kodex den Empfehlungen der OECD. In seiner Ausrichtung orientiert er sich ausweislich seiner Präambel an den Interessen sämtlicher Stakeholder eines Unternehmens. Gleichwohl wird in den Erläuterungen zu dem ersten Allgemeinen Grundsatz des Kodex klargestellt, dass „shareholders are the primary starting point for corporate governance discipline“ seien. Dies stellt gegenüber dem tradierten Unternehmensverständnis eine gewisse Neuerung dar, nach dem ein Unternehmen vordringlich im Interesse der dort (langfristig) Beschäftigten und anderer Stakeholder im Sinne einer sozial integrierten Gemeinschaft geleitet werde.34 Den Interessen der übrigen Stakeholder trägt der Kodex in dem Allgemeinen Grundsatz Nr. 2 umfassend Rechnung. Diese Regelung dürfte über die Verpflichtung einer deutschen Geschäftsleitung auf das Unternehmensinteresse, wie sie in der Präambel und in Grundsatz 1 des deutschen Corporate Governance Kodex festgeschrieben ist, hinausgehen. Der japanische Kodex dürfte damit eine stärkere „Stakeholder“-Orientierung aufweisen, als sein deutsches Gegenstück. Ähnlich wie in Deutschland liegt die Rate der Befolgung des japanischen Kodex sehr hoch. Im Herbst 2017, also nur gut zwei Jahre nach dessen Inkrafttreten, hielten sich 88,9% der börsennotierten Unternehmen an mindestens 90% der Empfehlungen des Kodex.35 Hier wie dort werden die Regelungen der Kodici offensichtlich als quasi-Gesetzesrecht angesehen, deren zumindest formale Befolgung als der sicherere Weg gilt, auch wenn dies nicht der Idee einer freiwilligen Befolgung im Rahmen einer Selbstregulierung entspricht.36

to Water? Prospects for the Japanese Corporate Governance Code, ZJapanR 47 (2019), 69. 32 Dazu Hopt/Leyens, Der deutsche Corporate Governance Kodex 2020 – Grundsatzund Praxisprobleme, ZGR 2019, 929. 33 Zu letzterem unten III.2a). 34 Dazu unten III.2b). 35 Spiegel, Independent Directors in Japan: Changing Corporate Governance?, ZJapanR 46 (2018), 85, 116 m.w.N. 36 Zur Diskussion und Praxis in Japan Buchanan / Chai / Deakin (Fn. 31), 87 ff.

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Dies führt zu der Frage, inwieweit als international geltende (und als solche beworbene) Standards, die als formale Institutionen im Wege einer Rechtsrezeption übernommen werden, zu dem jeweiligen nationalen Umfeld mit seinen spezifischen informellen institutionellen Gegebenheiten passen, ob sie also überhaupt ein Verbesserungspotential für diese besitzen oder ob die Rezeption lediglich dem Zeitgeist internationaler Erwartungen folgt.37 Wenn ein Verbesserungspotential angenommen werden kann, stellt sich die weitere Frage, ob die rezipierten Institutionen auch so integriert werden können, dass sie tatsächlich eine Verbesserung der Corporate Governance bewirken, oder ob das Beharrungsvermögen und die Komplexität bestehender interdependenter Institutionen das verhindern. Dies soll nachfolgend am Beispiel des Konzepts des „independent director“ und dessen Einführung in Japan erörtert werden. Wie das eingangs geschilderte Scheitern der Law Schools zu belegen scheint, besteht durchaus Anlass zu Zweifeln.

III. Der Independent Director 1. Internationale Genese des Independent Director Ein wesentliches Element des „corporate governance movement“ ist das Konzept des „monitoring board of directors“ und damit verbunden jenes des „independent director“.38 Eine zumindest teilweise Besetzung der Verwaltungs- oder Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen mit unabhängigen Mitgliedern gilt heute international als unverzichtbarer Ausweis für eine gute Corporate Governance. In den USA, den Mitgliedstaaten der EU und allen wichtigen Jurisdiktionen Asiens finden sich entsprechende Regelungen, meist in Corporate Governance Kodici verankert. Deutschland kennt bekanntlich seit der formalen Trennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat seit mehr als 150 Jahren eine externe Überwachung des Managements durch die Aufsichtsratsmitglieder als „non-executive outside directors“. Eine zumindest partiell unabhängige Überwachung wurde aber hierzulande 37 Zunehmend werden aus guten Gründen Zweifel laut, ob globale Corporate Governance Standards, wie sie von Rating Agenturen und internationalen Institutionen befürwortet werden, universell und ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten passen; kritisch in diesem Sinne etwa Hohmann/Liang, Universal Corporate Governance, ECGI Working Paper in Finance Nr. 585/2018 m.w.N. 38 Zur Entstehung und Verbreitung des Konzeptes Baum, The Rise of the Independent Director in the West: Understanding the Origins of Asia’s Legal Transplants, in: Puchniak/Baum/Nottage (Hrsg.), Independent Directors in Asia. A Historical, Contextual and Comparative Approach (2017), S. 21; umfassend Zhao, Corporate Governance and Directors’ Independence (2011).

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erst mit dem Corporate Governance Kodex 2002 etabliert, wobei zunächst nur die Unabhängigkeit vom Vorstand empfohlen war, welche 2012 auf die Unabhängigkeit auch von herrschenden Aktionären ausgedehnt wurde.39 Seinen Ursprung hat das Konzept in den USA, wo die Unabhängigkeit des Board seit den 1970er Jahren als allgemeines Heilmittel gegen alle Arten von Corporate Governance Defiziten gilt.40 Entsprechend dem dort vorherrschenden Streubesitz von Aktien (zunächst privater, heute überwiegend institutioneller Investoren) wird Unabhängigkeit lediglich als eine solche von der Unternehmensleitung definiert. Auf kontrollierte Gesellschaften finden die Vorgaben hingegen keine Anwendung, was nahelegt, dass unabhängigen Direktoren in Bezug auf kontrollierende Aktionäre in den USA keine Bedeutung zugemessen wird. Das könnte Zweifel aufwerfen, inwieweit das Unabhängigkeits-Konzept überhaupt für Gesellschaften geeignet ist, die von familiären oder staatlichen Großaktionären kontrolliert werden, wie das häufig in Kontinentaleuropa und Asien der Fall ist. In den USA sind inzwischen die Boards zahlreicher börsennotierten Unternehmen fast vollständig mit unabhängigen Direktoren besetzt, der einzige nicht unabhängige ist oftmals der CEO. Dieser kontrolliert den Informationsfluss an die unabhängigen Direktoren, was zu dem Paradoxon führt, dass die Unabhängig des Board vom Management faktisch in eine Informationsabhängigkeit vom CEO mündet.41 Das Vertrauen, das in die Funktionsfähigkeit unabhängiger Direktoren gesetzt wird, erstaunt vor dem Hintergrund der Empirie. Eine Mehrheit der in den vergangenen 30 Jahren (überwiegend in den USA) durchgeführten Studien weisen keine oder sogar negative Korrelationen zwischen der Unabhängigkeit eines Board und dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens nach.42 Die globale Finanzkrise des Jahres 2008 hat zudem gezeigt, dass Unabhängigkeit keinesfalls Sachkenntnis ersetzt.43 39 Knapper Überblick bei Hopt, Der Aufsichtsrat – Bedeutungswandel, Konvergenz, unternehmerische Mitverantwortung, Pflichten- und Haftungszuwachs –, ZGR 2019, 507, 533 f.; zur Verschärfung der Kriterien für die Unabhängigkeit im novellierten Corporate Governance Kodex 2020, Hopt/Leyens (Fn. 32), 954 ff.; zur Kritik an der Einführung der Unabhängigkeit auch von herrschenden Aktionären Hoffmann-Becking, Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, NZG 2014, 801. 40 Zur Entwicklung in den USA Gordon, The Rise of Independent Directors in the United States, 1950–2005: Of Shareholder Value and Stock Market Prices, Stanford Law Review 59 (2007), 1465. 41 Druey, Unabhängigkeit als Gebot des allgemeinen Unternehmensrechts, in: Kalss/ Nowotny/Schauer (Hrsg.), Festschrift Peter Doralt (2004), S. 151. 42 Dazu ausführlich Ringe, Independent Directors: A Theoretical Framework, in: Puchniak/Baum/Nottage (Fn. 38), 58; zwei viel beachtete kritische empirische Meta-Studien sind Bhagat/Black, The Uncertain Relationship Between Board Composition and Firm Performance, Bus. Law. 54 (1999), 921, und Bhagat⁄Black, The Non-Correlation Between Board Independence and Long-Term Firm Performance, J. Corp. L. 27 (2002), 231. 43 Siehe Ringe (Fn. 42), 77 f.; Baum (Fn. 38), 54; jeweils m.w.N.

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2. Implementierung in Japan a) Zögerliche Einführung des Unabhängigkeitsparadigmas Japan hat lange gezögert, ehe es sich vergleichsweise spät und, wie in Deutschland, nach mehrjähriger Diskussion und gegen erhebliche Widerstände auf Seiten der Industrie zu einer schrittweisen Einführung der Institution eines „outside director“ (shagai torishimari-yaku) und später eines „independent director“ (dokuritsu torishimari-yaku) in sozusagen „homöopathischer“ Dosierung entschied.44 Die japanische Aktiengesellschaft folgt traditionell einem hybridisierten monistischen Modell,45 zeigt aber heute mit drei optionalen Organisationsformen ein komplexes Bild.46 Soweit neben dem Verwaltungsrat der tradierte Prüferrat (kansa yakkai) besteht, muss dieser seit 2001 hälftig mit externen Prüfern besetzt sein. Der Versuch, im Zuge der Reform von 2014 für große Gesellschaften mit Prüferrat eine zwingende gesetzliche Verpflichtung einzuführen, zusätzlich auch mindestens einen externen Direktor zu ernennen, scheiterte und wurde in eine bloße Empfehlung abgeschwächt, von der im Sinne eines „comply or explain“ abgewichen werden kann.47 Bei der 2002 nach US-amerikanischen Vorbild eingeführten Gesellschaft mit drei Ausschüssen sind diese mehrheitlich mit externen Direktoren zu besetzen. Die Ausschussmitglieder nehmen ausschließlich Überwachungsund keine Geschäftsführungsaufgaben wahr. Gleiches gilt für die dritte Organisationsform, die 2014 eingeführte Gesellschaft mit einem Kontrollausschuss. Extern (shagai) heißt, dass die Prüfer oder Direktoren in der Vergangenheit weder bei dem Unternehmen noch bei dessen Mutter-, Tochteroder Schwestergesellschaften angestellt gewesen sein dürfen. Das Erfordernis, mindestens einen unabhängigen Prüfer oder Direktor zu berufen, wurde erstmalig im Jahr 2009 durch eine Änderung der Zulassungsregeln der Börse Tokyo auf eine Initiative des Wirtschaftsministeriums und der Finanzmarktaufsicht hin eingeführt. Diese Regelung ist für börsennotierte Gesellschaften verpflichtend. Im Jahr 2012 wurde ergänzend die 44 Zum folgenden eingehend Spiegel, Independent Directors in Japan. Die japanische Corporate Governance und effektives Monitoring aus rechtsvergleichender Sicht (2017), S. 75 ff., 103 ff., 197 ff.; Goto / Matsunaka / Kozuka, Japan’s Gradual Reception of Independent Directors: An Empirical and Political-Economic Analysis, in: Puchniak/Baum / Nottage  (Fn. 38), S. 135, 137 ff., 160 ff.; Goto, Recent Boardroom Reforms in Japan and the Roles of Outside / Independent Directors, in: Oda (Hrsg.), Comparative Corporate Governance. The Case of Japan (2018), S. 33. 45 Zur historischen Entwicklung der Organisationsverfassung Takada/Yamamoto, The „Roesler Model“ Corporation, ZJapanR 45 (2018), 45. 46 Anschaulicher Überblick mit hilfreichen Grafiken bei Spiegel (Fn. 44), 103 ff. 47 Zu den politischen Hintergründen Goto / Matsunaka / Kozuka (Fn. 44), 166 ff.

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Empfehlung aufgenommen, sich zusätzlich um die Berufung eines (weiteren) unabhängigen Direktors bemühen zu müssen. Daneben empfiehlt der Corporate Governance Kodex von 2015 auf der Basis eines comply or explainAnsatzes die Ernennung von zwei unabhängigen Direktoren für alle börsennotierten Gesellschaften unabhängig von deren Organisationsverfassung. Ein Direktor ist unabhängig (dokuritsu), wenn er die Anforderungen an einen externen Direktor erfüllt und es zusätzlich unwahrscheinlich ist, dass er in einen Interessenkonflikt mit den Aktionären in ihrer Gesamtheit gerät. Ein Großaktionär oder seine Vertreter gelten nicht als unabhängig, wohl aber als extern.48 Die Umsetzung des Unabhängigkeitsparadigmas erfolgt mithin auf drei verschiedenen regulatorischen Ebenen.49 Das in seine Komplexität wenig überzeugend anmutende Regelungsgeflecht dürfte Ausdruck des heftigen Ringens um die Einführung der Institution sein. Ungeachtet der Streitigkeiten hatten jedoch 2017 bereits 84,7% der börsennotierten Unternehmen die im Kodex empfohlenen zwei unabhängigen Direktoren berufen.50 b) Insiderorientierte Corporate Governance Die von der Regierung forcierten Reformen der Corporate Governance stießen bei der Einführung des Unabhängigkeitsparadigmas deshalb auf besondere Schwierigkeiten, weil dieses der bisherigen insiderorientierten japanischen Corporate Governance diametral entgegengesetzt ist. Diese lässt sich – in stichwortartiger Verkürzung – wie folgt charakterisieren. Das Verständnis des Unternehmens ist in Japan das einer sozial integrierten Gemeinschaft mit quasi-familiären Charakter (uchi no kaisha), in der Außenseiter keine Rolle spielen.51 Wesentliche Bausteine dafür sind eine (berufs)lebenslange Beschäftigung im Kernbereich der Großunternehmen, unternehmensinterne Karrieren, Rekrutierung des Managements aus den eigenen Reihen, Entlohnung überwiegend nach dem Senioritätsprinzip, Fehlen exorbitanter Einkommensunterschiede, Unternehmens- anstelle von Industriegewerkschaften.52 Entsprechend zielt die interne Corporate Governance vordringlich „firm-centric“ auf das Interesse des Unternehmens in seiner Gesamtheit und nicht auf den Shareholder Value.53 48

Einzelheiten der komplexen Definitionen bei Spiegel (Fn. 44), 218 ff., 223 ff. Hilfreiche tabellarische Übersicht bei Spiegel (Fn. 44), 207. 50 Spiegel (Fn. 35), 116. 51 Teilweise wird insoweit auch von einer „community firm“ gesprochen, vgl. Buchanan / Chai / Deakin (Hrsg.), Hedge Fund Activism in Japan: The Limits of Shareholder Primacy (2012), S. 297 ff. 52 Dazu bereits Baum, Marktzugang und Unternehmenserwerb in Japan (1995), S. 81 ff.; Pejović, (Fn. 24), 114 ff., 132 ff. 53 Buchanan / Chai / Deakin (Fn. 51) 298. 49

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Damit korrespondiert die Struktur der Anteilseigner, die sich früher mehrheitlich, heute immer noch signifikant aus kooperierenden Aktionären (antei kabunushi) zusammensetzt, häufig in Form wechselseitiger Beteiligungen. Diese Aktionäre stehen zu der emittierenden Gesellschaft in einer Geschäftsoder Finanzbeziehung und halten ihre Beteiligung vor allem zwecks Absicherung selbiger wie auch zur Abwehr externer Einmischungen in Form feindlicher Übernahmen.54 1990 lag deren Anteil bei rund zwei Dritteln, im Jahr 2012 immerhin noch bei rund einem Drittel der ausgegebenen Aktien.55 Da sich die Verwaltungen oftmals zugleich wechselseitig blanko Stimmvollmachten ausstellen, entziehen sie sich faktisch häufig einer Kontrolle der Aktionäre als den Eigentümern der Unternehmen, was mit deren Nachrangigkeit in dem vorstehend geschilderten Unternehmensverständnis korrespondiert. Nachdem sich japanische Aktien infolge der Wirtschaftskrise massiv verbilligt hatten, sind ausländische institutionelle Investoren im großen Stil in den japanischen Kapitalmarkt eingestiegen. Der Anteil des ausländischen Aktienbesitzes lag 2018 bei 29,1%.56 Mitte der 2000er Jahre kam es in Japan zu einer Reihe aggressiver Übernahmeversuche vor allem von ausländischen Hedge-Fonds mit dem Ziel, unterbewertete japanische Unternehmen zu erwerben. Die Versuche scheiterten aber regelmäßig an dem Widerstand der kooperierenden Aktionäre. Seit 1945 ist in Japan im Ergebnis kein genuin feindlicher Übernahmeversuch erfolgreich gewesen.57 Auch die ausländischen Bemühungen, durch den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen Änderungen der Geschäftspolitik und insbesondere eine Ausschüttung der hohen stillen Reserven japanischer Unternehmen zu erzwingen, waren nur vereinzelt erfolgreich. Zwischenzeitlich haben sich die Hedge-Fonds weitgehend vom japanischen Markt verabschiedet.58 Eine externe Corporate Governance durch den Markt für Unternehmenskontrolle spielt in Japan mithin auf absehbare Zeit keine wesentliche Rolle. c) Perspektiven Wie sich die unabhängigen Direktoren als Außenseiter in dieses Insiderorientierte Corporate Governance Modell erfolgreich einpassen lassen, er54 Einzelheiten bei Baum/Saito, Übernahmerecht, in: Baum/Bälz/Dernauer/Koziol (Hrsg.), Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, (2. Aufl., in Vorbereitung für 2020), Rdn. 3 ff. 55 Goto / Matsunaka / Kozuka (Fn. 44), 149. 56 Baum/Saito (Fn. 54), Rdn. 9 m.w.N. 57 Puchniak/Nakahigashi, The Enigma of Hostile Takeovers in Japan: Bidder Beware, Berkely Bus. L. J. 15/1 (2018) 4, 14 f.; lediglich nichtabgestimmte Anteilserwerbe unterhalb der Schwelle einer Mehrheitsübernahme sind gelegentlich zu beobachten. 58 Einzelheiten bei Buchanan / Chai / Deakin, Unexpected Corporate Outcomes from Hedge Fund Activism in Japan, Centre for Business Research, University of Cambridge, Working Paper No. 494, March 2018.

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scheint bislang eine offene Frage zu sein. Die seit Mitte der 1990er Jahre unstreitig zu beobachtenden Veränderungen bei den Beschäftigungsverhältnissen und beim Anteilsbesitz haben jedenfalls die Stakeholder-orientierte Ausrichtung der japanischen Unternehmen bisher nicht grundlegend zu ändern vermocht. Es ist zu keinem Wechsel in Richtung eines „shareholder centric“ Governance Modells und einer Akzeptanz des damit verbundenen Shareholder Value Konzepts gekommen, für das der „independent director“ letztlich steht. Vielmehr sehen sich die japanischer Verwaltungen weiterhin als Wächter ihres Unternehmens in seiner Gesamtheit, für dessen Erhalt es im Interesse aller Stakeholder zu kämpfen gilt.59 Die Funktionen der unabhängigen Direktoren sind bislang nicht hinreichend geklärt und solange dies nicht geschieht, wird es auch zu keinem grundlegenden Wandel der Corporate Governance kommen, den die japanische Regierung offensichtlich anstrebt.60 Die Kosten, welche die Umsetzung der neuen Vorgaben gerade für kleinere börsennotierte Unternehmen verursacht, sind hingegen bereits als Problem erkannt und es droht die Gefahr einer nur oberflächlichen symbolischen Befolgung der neuen Vorgaben insbesondere dort, wo auf tradierte Praktiken, wie etwa die übliche Einstimmigkeit bei Entscheidungen des Board, keine Rücksicht genommen wird.61 Die japanische „community firm“ hat sich aber auch ohne unabhängige Direktoren als langlebiger erwiesen, als viele ausländische Beobachter vermutet hatten.62 Wenn die Zahl der börsennotierten Gesellschaften ein Parameter sein sollte, dann dürfte das Model auch weiterhin erfolgreich sein. Entgegen dem seit Anfang des Millenniums in Großbritannien und den USA zu beobachtenden Rückgang börsennotierter Gesellschaften hat sich deren Zahl in Japan kontinuierlich erhöht.63

IV. Resümee Eine eingehende Untersuchung zur Entwicklung des Anteilseigentums an japanischen Unternehmen im 20. Jahrhundert und den damit verbunden Auswirkungen auf das Corporate Governance Regimes mahnt zur Vorsicht bei der Rezeption fremder Institutionen:

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Buchanan / Chai / Deakin (Fn. 31) 77. Spiegel (Fn. 44) 276 f. 61 Buchanan / Chai / Deakin (Fn. 31) 104 f. 62 Buchanan / Chai / Deakin (Fn. 51) 311. 63 Vgl. Franks/Mayer, Evolution of Ownership and Control Around the World: The Changing Face of Capitalism. European Corporate Governance Institute (ECGI) Finance Working Paper No. 503/2017, S. 28 f. 60

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“The main lesson to be learned from Japan is one of caution in seeking to import institutional structures or regulatory practices from elsewhere. Institutions of trust take time to establish and embed in local arrangements. They are highly country- and context-specific, and laws and rules that function in one country may be inadequate or inappropriate in another … The Japanese experience should be a reminder to us of how little we know about institutional and legal design and how cautious we should be in making policy recommendations about it.”64

Man fühlt sich an die Warnung eines der ersten Rechtsvergleicher, Charles de Secondat Montesquieu, erinnert, der schon vor 250 Jahren darauf hingewiesen hat, dass es „un grand hazard“ sein könne, fremde rechtliche Institutionen zu rezipieren.65

neue rechte Seite! 64

Franks/Mayer/Miyajima, The Ownership of Japanese Corporations in the 20th Century, The Review of Financial Studies 27 (2014) 2580, 2620. 65 Montesquieu, De l’Esprit des lois, Livre I, Chap. 3: Des lois positive (1748, Edition Galimard 1951), S. 237.

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Der unwirksame Verzicht oder Vergleich Walter Bayer

Der unwirksame Verzicht oder Vergleich „soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist“ (oder auch: Wie ein irrtümlicher BGH-Rechtssatz das Licht der Welt erblickte und Karriere machte) WALTER BAYER

I. Einleitung Ein Verzicht der GmbH auf Ersatzansprüche gem. § 9a GmbHG oder ein Vergleich über diese Ansprüche „ist unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist“. Diese Regelung findet sich in § 9b Abs. 1 S. 1 GmbHG.1 Eine Ausnahme zu dieser Regelung findet sich in § 9b Abs. 1 S. 2 GmbHG für den Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Ersatzpflichtigen. Diese Ausnahmetatbestände2 bleiben im Folgenden außer Betracht. Ersatzansprüche nach § 9a GmbHG können zum einen resultieren aus falschen Angaben im Kontext der Gründung (§ 9a Abs. 1 GmbHG), zum anderen aus einer Schädigung der GmbH im Zusammenhang mit der Erbringung von Einlagen oder der Erstattung von Gründungsaufwand (§ 9a Abs. 2 GmbHG). Schuldner der Ersatzansprüche können im Hinblick auf § 9a Abs. 1 GmbHG sowohl die Geschäftsführer und Gesellschafter, im Hinblick auf § 9a Abs. 2 GmbHG nur die Gesellschafter sein. Im Falle verdeckter Stellvertretung haften auch die Hintermänner (§ 9a Abs. 4 GmbHG). Ansprüche gem. § 9a GmbHG verjähren frühestens in fünf Jahren seit der Eintragung der GmbH (§ 9b Abs. 2 GmbHG). Im Rahmen der Kapitalerhöhung haften die Geschäftsführer nach § 57 Abs. 4 GmbHG entsprechend §§ 9a Abs. 1 und 3, 9b GmbHG. Eine Parallelregelung zu §§ 9a, 9b GmbHG findet sich in den §§ 46–51 AktG, allerdings mit aktienrechtlichen Modifikationen. Insbesondere für 1 In das GmbHG eingefügt durch die GmbH-Novelle 1980, BGBl I S. 836. Zur Vorgängerregelung noch näher unter IV. 2 Näher Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 20. Aufl. 2020 § 9b Rn. 3; M/H/L/S/ Tebben GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 9b Rn. 10 f.; Rowedder/Schmidt-Leithoff/SchmidtLeithoff GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 9b Rn. 7; vgl. weiter Haas ZInsO 2007, 464, 468 f.

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Verzicht und Vergleich wird in § 50 AktG eine abweichende Regelung getroffen.3 Soweit die Geschäftsführer der GmbH nach Maßgabe von § 9a Abs. 1 GmbHG ersatzpflichtig sind, wird stets auch eine Pflichtverletzung nach der allgemeinen Vorschrift des § 43 Abs. 1 GmbHG mit der Folge einer Haftung gem. § 43 Abs. 2 GmbHG vorliegen. Allerdings wird § 9a GmbHG als lex specialis zu § 43 GmbHG verstanden.4 Weil die Haftung aus § 9a GmbHG zudem als zwingendes Recht qualifiziert wird, das mithin von den Gesellschaftern nicht abbedungen werden kann,5 stellt sich im Anwendungsbereich von § 9a Abs. 1 GmbHG die Frage, ob die Geschäftsführerhaftung durch anfängliche oder nachträgliche Haftungsbeschränkungen gemildert oder ganz entfallen kann, nicht. Anfängliche oder nachträgliche Haftungsbeschränkungen sind im Rahmen der allgemeinen Geschäftsführerhaftung gem. § 43 Abs. 1, 2 GmbHG indes grundsätzlich gestattet. In Betracht kommt etwa im Nachhinein neben einem Verzicht und Vergleich auch die Erteilung der Entlastung (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG) oder eine Generalbereinigung, im Voraus eine Herabsetzung des Pflichten- und Sorgfaltsmaßstabs.6 Eine Einschränkung macht indes § 43 Abs. 3 S. 2 GmbHG für den Fall, dass – so § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG – „den Bestimmungen des § 30 [GmbHG] zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder den Bestimmungen des § 33 [GmbHG] zuwider eigene Anteile der Gesellschaft erworben worden sind“. Auf diesen gegen die Geschäftsführer speziell geregelten Ersatzanspruch „finden die Bestimmungen in § 9b Abs. 1 [GmbHG] entsprechende Anwendung“ (vgl. § 43 Abs. 3 S. 2 GmbHG). Darüber hinaus wird in § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG bekräftigt, dass die Haftung der Geschäftsführer in Befolgung eines (grundsätzlich enthaftenden) Weisungsbeschlusses der Gesellschafter dann nicht entfällt, „[s]oweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist“.7

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Siehe dazu nur K. Schmidt/Lutter/Bayer AktG 4. Aufl. 2020 § 50 Rn. 3 ff. mwN. Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG 9. Aufl. 2019, § 9a Rn. 18; Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 20. Aufl. 2020 § 9a Rn. 15; MüKoGmbHG/Herrler 3. Aufl. 2018, § 9a Rn. 98; U/H/L/Ulmer/Habersack GmbHG 2. Aufl. 2013 § 9a Rn. 56; Scholz/Veil GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 9a Rn. 47; OLG Celle NZG 2000, 1178; OLG Rostock GmbHR 1995, 658, 660. 5 Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG 9. Aufl. 2019, § 9b Rn. 10; Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 20. Aufl. 2020 § 9a Rn. 14; MüKoGmbHG/Herrler 3. Aufl. 2018 § 9b Rn. 7, § 9a Rn. 8; M/H/L/S/Tebben GmbHG 3. Aufl. 2017, § 9a Rn. 1. 6 Zusammenfassender Überblick bei Bayer GmbHR 2014, 897, 904; vgl. weiter Haas ZInsO 2007, 464 ff. 7 Wiederum auf § 43 Abs. 3 GmbHG verweisend auch die Haftungsvorschrift des § 64 S. 4 GmbHG. 4

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Sowohl durch die explizit für entsprechend anwendbar erklärte Vorschrift des § 9b Abs. 1 GmbHG (mithin für den Fall eines Verzichts und Vergleichs) als auch durch die Klarstellung, dass ein Weisungsbeschluss der Gesellschafter dann nicht befreit, wenn der Ersatzanspruch gegen die Geschäftsführer „zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist“, sollte man annehmen, dass diese Verschränkung der §§ 9b Abs. 1, 43 Abs. 3 GmbHG auch zu einer einheitlichen Auslegung beider Haftungstatbestände im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich“ führt. Dass hieran kein Zweifel bestehen sollte,8 bestätigt ein erster Blick in die Kommentarliteratur, die sich im Kontext der Haftung gem. § 43 Abs. 3 GmbHG regelmäßig darauf beschränkt, insoweit ohne weitere Erläuterungen auf die Voraussetzungen des § 9b Abs. 1 GmbHG zu verweisen.9 Ausführlicher gewürdigt wird im Allgemeinen nur die strittige Diskussion um den Anwendungsbereich der §§ 43 Abs. 3 S. 2 und 3 GmbHG.10 Umso überraschender ist es, dass der II. Zivilsenat des BGH in nunmehr drei Entscheidungen zur Haftung gem. § 43 Abs. 3 GmbHG in einem wichtigen Teilaspekt explizit eine Auffassung formuliert, die von der einheitlichen und unbestrittenen Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich“ in der Kommentarliteratur abweicht. Im Folgenden soll der Frage nachgespürt werden: Gibt es Gründe für eine solche Differenzierung? Wenn nicht: Sollte die Kommentarliteratur ihre Auffassung ändern? Oder ist vielmehr dem BGH die Gefolgschaft zu versagen?

II. Die Streitfrage Die Ersatzansprüche gem. §§ 9a, 43 Abs. 3 S. 1 (analog) GmbHG sind dann zur Gläubigerbefriedigung erforderlich – insoweit besteht im Schrift8

In diesem Sinne auch Verse FS Bergmann 2018 S. 781, 783. Siehe nur Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG 9. Aufl. 2019 § 43 Rn. 121, 126; Scholz/Schneider GmbHG 11. Aufl. 2014 § 43 Rn. 272; U/H/L/Paefgen GmbHG 2. Aufl. 2014 § 43 Rn. 272; MüKoGmbHG/Fleischer 3. Aufl. 2019, § 43 Rn. 295 f.; Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack GmbHG 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 51 f.; vgl. aber nunmehr Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbHG 20. Aufl. 2020 § 43 Rn. 61; ausf. zu den Beschränkungen des § 9b GmbHG im Rahmen der Geschäftsführerhaftung gem. § 43 GmbHG indes Haas ZInsO 2007, 464, 465 ff. 10 Die Frage lautet: Sollen die Beschränkungen nur gelten im Hinblick auf Ersatzansprüche gem. § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG? Oder müssen die Beschränkungen auch im Hinblick auf die Verletzung sonstiger Geschäftsführerpflichten und somit einer Haftung gem. § 43 Abs. 2 GmbHG gelten? Dieser Problematik soll hier nicht nachgegangen werden. Dazu näher Bayer GmbHR 2014, 897, 903 mwN; jüngst wieder Lutter/Hommelhoff/ Kleindiek GmbHG 20. Aufl. 2020 § 43 Rn. 61. Siehe soweit hier relevant auch noch bei II. 9

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tum Einigkeit und ist bislang auch noch kein Dissens zum BGH aufgetreten –, wenn ein Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) vorliegt; die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nicht notwendig.11 Liegen diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der Vereinbarung des Verzichts oder des Vergleichs indes (noch) nicht vor, so wird nach der einhelligen Auffassung im Schrifttum zu § 9b GmbHG der Verzicht oder Vergleich im Falle, dass der „erlassene“ Schadensersatzbetrag zu einem späteren Zeitpunkt, aber noch vor Ablauf der Verjährung „zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich“ wird, unwirksam, und zwar ohne dass es hierfür einer Handlung der GmbH bedarf.12 Die rechtlichen Wirkungen von Verzicht oder Vergleich sind kraft Gesetzes auflösend bedingt.13 Dass die Unwirksamkeitsvoraussetzungen bereits im Zeitpunkt von Verzicht oder Vergleich vorgelegen haben oder auch nur voraussehbar waren, ist unerheblich.14 Anders der BGH. Der II. Zivilsenat erklärte in bislang drei Entscheidungen den Zeitpunkt der haftungsbefreienden Maßnahme bzw. den Zeitpunkt der mit Einverständnis aller Gesellschafter vorgenommenen Schädigung der GmbH für maßgeblich. Betrachten wir die Entwicklung der Rechtsprechung in der Rückschau aus heutiger Sicht:15 In BGHZ 193, 96 wird formuliert, dass die (Gesellschafter-)Geschäftsführer gem. § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG nur dann haften, „wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich war [...], wozu das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat. Dass der Ersatzbetrag je11 Näher Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 20. Aufl. 2020 § 9b Rn. 2; Scholz/Veil GmbHG 12. Aufl. 2018 § 9b Rn. 8; U/H/L/Ulmer/Habersack GmbHG 2. Aufl. 2013 § 9b Rn. 13; vgl. weiter Haas ZInsO 2007, 464, 467 mwN. 12 Die Streitfrage, ob hieraus folgt, dass sich auch der Schuldner auf die Unwirksamkeit berufen kann, um sich – ausgenommen von Fällen des Rechtsmissbrauchs – auf diese Weise von lästigen Teilen des Vergleichs zu befreien (vgl. nur U/H/L/Ulmer/Habersack GmbHG 2. Aufl. 2013 § 9b Rn. 15; Scholz/Veil GmbHG 12. Aufl. 2018 § 9b Rn. 10), soll hier dahingestellt bleiben (abl. Cahn, Vergleichsverbote im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 104 ff.). 13 So oder ähnlich: Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG 9. Aufl. 2019 § 9b Rn. 3; Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 20. Aufl. 2020 § 9b Rn. 2; U/H//L/Ulmer/Habersack GmbHG 2. Aufl. 2013 § 9b Rn. 15; Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG 21. Aufl. 2017 § 9b Rn. 2; Scholz/Veil GmbHG 12. Aufl. 2018 § 9b Rn. 10; Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Schmidt-Leithoff GmbHG 6. Aufl. 2017 § 9b Rn. 9; MüKoGmbHG/Herrler 3. Aufl. 2018 § 9b Rn. 24; Haas/Wigand in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 20.12. Die Besonderheiten bei einem Prozessvergleich bleiben hier außer Betracht. 14 So explizit U/H/L/Ulmer/Habersack GmbHG 2. Aufl. 2013 § 9b Rn. 13; Henssler/Strohn/Schäfer GesR 3. Aufl. 2017 § 9b Rn. 8; Haas/Wigand in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 20.12; MüKoGmbHG/Herrler 3. Aufl. 2018 § 9b Rn. 22; M/H/L/S/Tebben GmbHG, 3. Aufl. 2017 § 9b Rn. 7. 15 In der empirischen Untersuchung zur Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH von Christian Weiß, Der Richter hinter dem Recht, 2014, ist die Problematik der Geschäftsführerhaftung ausgeklammert.

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denfalls später zur Gläubigerbefriedigung erforderlich gewesen ist, reicht dagegen nicht aus“ (Verweis auf BGH ZIP 2003, 945, 946; BGH ZIP 2008, 736 Rn. 11).16 Im konkreten Fall wurde kurze Zeit nach der streitgegenständlichen und unter den Gesellschaftern unter Verstoß gegen § 30 GmbHG einvernehmlichen Darlehensgewährung das Insolvenzverfahren eröffnet. In BGH ZIP 2008, 736 führte der II. Zivilsenat im Hinblick auf die Frage zur haftungsbefreienden Wirkung eines Entlastungsbeschlusses im Kontext der Enthaftung gem. § 43 Abs. 3 S. 2 GmbHG aus, dass die GmbH zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts noch ein hälftiges Stammkapital von 12,5 Mio. DM gehabt habe und „deshalb die (zusätzliche) Schadensersatzforderung gegen den [bekl. Geschäftsführer] zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger nicht benötigt wurde [...]. Die spätere Entwicklung bleibt insoweit außer Betracht“ (Verweis auf BGH ZIP 2003, 945).17 Mit Spannung erwartet der interessierte Leser die Begründung für diese dezidierten Aussagen des BGH nun in der (vermeintlichen) Ausgangsentscheidung BGH ZIP 2003, 945. Doch er wird wieder enttäuscht. Zum besseren Verständnis wird hier der gesamte Abschnitt des Urteils zitiert. Der II. Zivilsenat führt aus: „Wie sich aus § 46 Nr. 6, 8 GmbHG ergibt, ist es, solange nicht der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 3 GmbHG betroffen ist, Sache der Gesellschafter, darüber zu befinden, ob ein Geschäftsführer wegen etwaiger Pflichtverletzungen zur Rechenschaft gezogen oder ob auf Ansprüche gegen ihn durch Entlastungs- oder Generalbereinigungsbeschluss verzichtet werden soll […]. Dass durch den Anspruchsverzicht das Vermögen der Gesellschaft und damit ihr Haftungsfonds im Verhältnis zu ihren Gläubigern geschmälert wird, nimmt das Gesetz hin, soweit nicht der Verzicht auf eine gem. § 30 GmbHG verbotene Auszahlung an einen Gesellschaftergeschäftsführer hinausläuft […] oder gem. § 43 Abs. 3 GmbHG unverzichtbare Ersatzansprüche zum Gegenstand hat. Sind diese Grenzen zur Zeit des Haftungsverzichts gewahrt, so bleibt es bei dessen Wirksamkeit auch dann, wenn der Schadensersatzbetrag später zur Gläubigerbefriedigung benötigt würde“ (mit Verweis auf BGH ZIP 2002, 2128, 2130).18

16 So ohne weitere Begründung (und nicht kursiv) BGHZ 193, 96 Rn. 27 (betrifft Darlehensgewährung an Gesellschafter). 17 So (obiter und ohne weitere Begründung und nicht kursiv) BGH ZIP 2008, 736 Rn. 11 (betr. allgemeine Geschäftsführerhaftung wegen „Fehlkalkulation“ gem. § 43 Abs. 2 GmbHG, die – so zutreffend der BGH aaO – nicht dem Anwendungsbereich des § 43 Abs. 3 S. 2 und 3 GmbHG unterfällt). 18 So (wiederum obiter, weil der BGH zuvor eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers verneint hatte) BGH ZIP 2003, 945, 946 = NZG 2003, 528 (betr. Vorwurf mangelnder Aufsicht gegenüber einem Mitarbeiter, der zugleich Mehrheitsgesellschafter war).

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Nach dem Verweis soll sich offenkundig die Begründung für den hier relevanten Satz („Sind diese Grenzen zur Zeit des Haftungsverzichts gewahrt, so bleibt es bei dessen Wirksamkeit auch dann, wenn der Schadensersatzbetrag später zur Gläubigerbefriedigung benötigt würde“) in einer weiteren Vorgängerentscheidung finden. Allerdings wird die Entscheidung BGH ZIP 2002, 2128 in den Folgeentscheidungen nicht mehr zitiert; diese nehmen allein noch auf BGH ZIP 2003, 945 Bezug. Und zwar mit gutem Grund: In der BGH-Entscheidung ZIP 2002, 2128 findet sich nämlich eine entsprechende Aussage überhaupt nicht. Kernaussage dieses Urteils war vielmehr, dass unter Aufgabe der Senatsentscheidung BGH ZIP 2000, 135 und in Übereinstimmung mit der (auch damals) ganz hL die (anfängliche oder auch nachträgliche) Abkürzung der Verjährungsfrist des § 43 Abs. 4 GmbHG im Hinblick auf die allgemeine Geschäftsführerhaftung gem. § 43 Abs. 2 GmbHG ohne Weiteres zulässig ist, ebenso wie ein Verzicht auf oder ein Vergleich über Ersatzansprüche, die aus einer Pflichtverletzung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 1 GmbHG resultieren. Der II. Zivilsenat formuliert hierzu völlig zutreffend: „Nicht nur der Senat [...], sondern auch die ganz herrschende Meinung im Schrifttum [...] halten im Grundsatz – nämlich soweit nicht die Sondersituation des § 43 Abs. 3 GmbHG vorhanden ist – eine Abkürzung der Verjährungsfrist für zulässig. Dies wird – ähnlich wie bei dem grundsätzlich zulässigen Verzicht auf oder dem Vergleich über einen gegen den Geschäftsführer gerichteten Schadensersatzanspruch – von der Erwägung getragen, dass es, solange nicht der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 3 GmbHG betroffen ist, Sache der Gesellschafter ist, nach § 46 Nr. 8 GmbHG darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie Ansprüche der Gesellschaft gegen einen pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer verfolgen wollen [...]“.19 Der BGH führt im Weiteren aus, dass im konkreten Fall der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 3 GmbHG nicht berührt sei, vielmehr ein Fall der Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflichten des Geschäftsführers vorliege (falsche Spesenabrechnung usw.). Allerdings hatte der BGH in ZIP 2000, 135 eine Verkürzung der Verjährungsfrist auch für solche Fälle der allgemeinen Geschäftsführerhaftung abgelehnt, in denen „der Schadensersatzbetrag zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (arg. § 43 Abs. 3 GmbHG [...])“.20 Diese vielfach kritisierte Auffassung21 wird vom Senat in BGH ZIP 2002, 2128 ausdrücklich aufgegeben, und zwar mit der zutreffenden Begründung, dass „sie eine Erweiterung der Haftung des 19

BGH ZIP 2002, 2128, 2129 = NJW 2002, 3777 f. (mit weiteren hier nicht interessierenden Ausführungen). 20 BGH ZIP 2000, 135, 136 = NJW 2000, 576 f. 21 Siehe nur Altmeppen DB 2000, 261, 262.

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Geschäftsführers im Interesse der Gesellschaftsgläubiger zur Folge hätte, die zwar rechtspolitisch erwünscht sein mag, aber weder im Wortlaut noch in der Systematik des Gesetzes eine hinreichende Grundlage findet“.22 Mit keinem Wort wird in dieser Entscheidung zu der Frage Stellung bezogen, ob ein Verzicht oder Vergleich oder eine Enthaftung durch Gesellschafterbeschluss im Hinblick auf Ersatzansprüche, die dem Anwendungsbereich des § 43 Abs. 3 GmbHG unterliegen, bereits dann endgültig wirksam ist, wenn der Ersatzanspruch gegen die Geschäftsführer im Zeitpunkt der Vereinbarung bzw. Beschlussfassung „zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft nicht erforderlich ist“.

III. Zwischenergebnis Wie dargelegt wurde, steht die von der einhelligen Meinung zu § 9b GmbHG abweichende Auffassung des BGH auf tönernen Füßen. Die späteren Entscheidungen beziehen sich ohne weitere Begründung allein auf BGH ZIP 2003, 945; diese vermeintliche Grundsatzentscheidung liefert indes auch keine Begründung, sondern stützt sich vielmehr ohne jede Berechtigung auf BGH ZIP 2002, 2128. Handelt es sich daher um ein Missverständnis des Verfassers der Entscheidung BGH ZIP 2003, 945? Dies ist zu mutmaßen, insbesondere23 auch deshalb, weil die zeitpunktbezogene Aussage zwar von der späteren BGH-Rechtsprechung (wie ausgeführt) aufgegriffen wird, indes im Schrifttum erstaunlicherweise kaum rezipiert wurde. Dass für die Wirksamkeit einer Enthaftung im Kontext von Ersatzansprüchen gem. § 43 Abs. 3 GmbHG allein der Zeitpunkt der Vornahme der Enthaftung maßgeblich sei und spätere wirtschaftliche Entwicklungen der GmbH – speziell der Eintritt der Insolvenz – bis zum Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist ausgeblendet werden müssten – so die BGHAussagen in den drei dargestellten Entscheidungen – findet in der Kommentarliteratur zu § 9b GmbHG (bislang24) überhaupt keine und zu § 43 Abs. 3 GmbHG ganz überwiegend keine Erwähnung.25 22

So BGH ZIP 2002, 2128, 2130 = NJW 2002, 3777, 3778. Zur Problematik auch Bayer GmbHR 2014, 897, 903 mwN. 23 Verse FS Bergmann 2018 S. 781, 784 weist zusätzlich noch auf den Widerspruch zur Entscheidung BGH NZG 2003, 1116, 1118 hin, in der als maßgeblicher Zeitpunkt für die Durchsetzung eines Anspruchs gem. § 31 Abs. 2 GmbHG nicht auf den Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung, sondern auf den Zeitpunkt der Geltendmachung (und zwar in der tatrichterlichen Verhandlung) abgestellt wird. So auch die ganz hL (Nachw. bei Verse aaO S. 785 Fn 13). 24 Gegen die BGH-Judikatur aber jüngst Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 20. Aufl. 2020 § 9b Rn. 2 Fn 8 (Missverständnis des BGH). 25 Einzige Ausnahme ist bislang M/H/L/S/Ziemons GmbHG 3. Aufl. 2017 § 43 Rn. 514, wo die Aussage des BGH aus BGHZ 193, 96 kritiklos übernommen wird. Wie

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Halten wir somit fest: Der Rechtssatz des BGH zur Irrelevanz späterer Entwicklungen im Falle von Enthaftungen des Geschäftsführers steht begründungslos im Raum und ist mutmaßlich nur irrtumsbedingt in die Welt gesetzt worden. Da indes zu befürchten ist, dass die einmal begonnene Fehlzitat-Kette auch in Zukunft weitergeführt und mithin zu erheblichen Irritationen (wenn nicht sogar zu Fehlurteilen) führen wird, soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob der BGH mit seiner Aussage trotz ihres irregulären Hintergrunds in der Sache recht hat oder ob die Ausblendung künftiger Entwicklungen der GmbH sachlich berechtigt ist – sei es im Rahmen des § 43 Abs. 3 GmbHG, sei es im Rahmen von § 9b Abs. 1 GmbHG.

IV. Dogmatik und Entwicklungsgeschichte der §§ 9b, 43 Abs. 3 GmbHG 1. Haftung im Rahmen der Gründung Durch die GmbH-Novelle 1980 wurde die Haftung im Rahmen der Gründung nach dem aktienrechtlichen Vorbild der §§ 46 ff. AktG ausgebaut.26 Die ursprüngliche Vorschrift des § 9 GmbHG aF wurde aufgespalten in die §§ 9a, 9b GmbHG, wobei die bislang in § 9 GmbHG aF nur geregelte Haftung der Geschäftsführer in § 9a GmbHG um eine Haftung der Gründer ergänzt wurde.27 Dagegen wurden die Regelungen des § 9 Abs. 2 und 3 GmbHG mit geringen sprachlichen Änderungen in den neuen § 9b GmbHG übernommen.28 Im heutigen § 9 GmbHG wurde hingegen die zuvor qua Rechtsfortbildung begründete Differenzhaftung29 kodifiziert. 30 Schließlich bedeutet auch die Kodifizierung der registergerichtlichen Prüfungspflicht in § 9c GmbHG nur eine Klarstellung der bisherigen Praxis,31 hier auch Verse FS Bergmann 2018 S. 781, 785 f. Die Problematik aufgreifend nunmehr auch Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbHG 20. Aufl. 2020 § 43 Rn. 61; vgl. implizit aber auch schon Scholz/Schneider GmbHG 11. Aufl. 2014 § 43 Rn. 277. 26 Siehe auch BegrRegE BT-Drucks. 8/1347 S. 35 f. 27 Zur Reformgeschichte des § 9a näher Ulmer in Hachenburg GmbHG 8. Aufl. 1989 § 9a Rn. 5; vgl. auch noch Rowedder/Rittner GmbHG 1. Aufl. 1985 § 9a Rn. 2; vgl. jüngst wieder MüKoGmbHG/Herrler 3. Aufl. 2018 § 9a Rn. 3 f. 28 Zur Reformgeschichte des § 9b näher Ulmer in Hachenburg GmbHG 8. Aufl. 1989 § 9b Rn. 3; Rowedder/Rittner GmbHG 1. Aufl. 1985 § 9b Rn. 2; MüKoGmbHG/Herrler 3. Aufl. 2018 § 9b Rn. 3. 29 Siehe grundlegend BGHZ 68, 191, 195 f. 30 Näher BegrRegE BT-Drucks. 8/1347 S. 34 f.; vgl. weiter Ulmer in Hachenburg GmbHG 8. Aufl. 1989 § 9 Rn. 2 („Klarstellung“); Rowedder/Rittner GmbHG 1. Aufl. 1985 § 9 Rn. 1. 31 Siehe nur Ulmer in Hachenburg GmbHG 8. Aufl. 1989 § 9c Rn. 1 mwN.

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wobei allerdings der Aufgabenkreis des Registergerichts durch die Neufassung der Gründungsvorschriften gem. §§ 5–8 GmbHG erweitert wurde.32 Hier interessiert allein die Auslegung des früheren § 9 GmbHG, nach dessen Abs. 2 „Verzichtsleistungen oder Vergleiche der Gesellschaft in betreff der ihr nach Absatz 1 zustehenden Ersatzansprüche [...] unwirksam (sind), soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist“. Vorbild für diese Regelung war nach den Gesetzesmaterialien die Vorschrift des § 213d AktG 1884.33 Auch zu dieser nahezu wortgleichen Vorgängerregelung des heutigen § 9b Abs. 1 GmbHG war anerkannt, dass jeder Verzicht oder Vergleich unter der gesetzlichen Bedingung steht, dass der ‚Ersatz‘ zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, mithin von der GmbH der Haftungsanspruch bis zur vollendeten Verjährung weiterverfolgt werden kann, wenn deren Vermögen zur Vollbefriedigung aller Gläubiger nicht ausreicht.34 Präziser spricht etwa Schilling von einer auflösenden Bedingung.35 Übereinstimmend wurde die Auffassung vertreten, dass es im Interesse eines effektiven Gläubigerschutzes nicht entscheidend sei, „ob die Forderung des Gläubigers der Gesellschaft schon bestand, als diese verzichtete“, und es auch nicht entscheidend sei, „ob zur Zeit des Verzichts die Gesellschaft zahlungsfähig war“. Die Rechtslage bleibe vielmehr „in der Schwebe“. Immer könne „der Fall eintreten, wenn er nicht schon eingetreten ist oder wenn er zwar schon eingetreten war, aber wieder beseitigt worden ist, dass der Vergleich sich als unwirksam erweist“. Es handele sich „um einen kraft Gesetzes zwingenden Rechts bedingten Verzicht“.36 Es ist nicht erkennbar, dass im Rahmen der GmbH-Novelle der sachlich übereinstimmende § 9b Abs. 1 GmbHG eine andere Auslegung erhalten sollte.37 Daher ist davon auszugehen, dass auch der Gesetzgeber zumindest implizit dem Gläubigerschutz den Vorrang gegenüber dem Vertrauen des haftungsbefreiten Ersatzpflichtigen auf die Beständigkeit der getroffenen Vereinbarung gegeben hat. Allein dieses Ergebnis ist auch rechtspolitisch überzeugend.38 32 33

Näher Ulmer in Hachenburg GmbHG 8. Aufl. 1989 § 9c Rn. 1. Siehe Begründung zu § 9 GmbHG 1892 in Reichstag, Aktenstück Nr. 660, S. 3715,

3736. 34

In diesem Sinne fast wörtlich Scholz GmbHG 4. Aufl. 1960 § 9 Anm. 7. Hachenburg/Schilling GmbHG 6. Aufl. 1956 § 9 Anm. 14. 36 Alle Zitate bei Brodmann GmbHG 2. Aufl. 1930 § 9 Anm. 3a; gleichsinnig Hachenburg/Schilling GmbHG 6. Aufl. 1956 § 9 Anm. 14. 37 Siehe nur Ulmer in Hachenburg GmbHG 8. Aufl. 1989 § 9b Rn. 11; Rowedder/ Rittner GmbHG 1. Aufl. 1985 § 9b Rn. 9; Scholz/H. Winter GmbHG 7. Aufl. 1986 § 9b Rn. 10; Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG 14. Aufl. 1985 § 9b Rn. 2; Roth GmbHG 2. Aufl. 1987 § 9b Anm. 2.3. 38 Siehe hierzu auch Cahn (Fn 12) S. 52, 102 ff. 35

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2. Haftung des Geschäftsführers gem. § 43 Abs. 3 GmbHG Die Vorschrift des § 43 Abs. 3 GmbHG ist seit Inkrafttreten des GmbHGesetzes im Jahre 1892 inhaltlich unverändert. Auch vor der GmbHNovelle war als Zweck der Vorschrift eine Verschärfung der Geschäftsführerhaftung zum Schutze des Stammkapitals anerkannt,39 insbesondere in der Form, dass in Folge der entsprechenden Anwendung des § 9 Abs. 2 GmbHG aF Verzichte und Vergleiche sowie Weisungsbeschlüsse der Gesellschafter dann nicht enthaftend sind, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist.40 Zur Bedeutung dieser Beschränkung wurde auch früher zumeist nur auf die Kommentierung zu § 9 Abs. 2 GmbHG aF verwiesen.41 Anders hingegen Brodmann, der – in Übereinstimmung mit seinen Ausführungen zur Haftung gem. § 9 Abs. 2 GmbHG aF – dezidiert ausführt, dass es „nicht darauf an(kommt), ob die Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens zur Bezahlung des oder der Gläubiger schon bestand, als [...] der Verzicht erfolgte“.42 Auf die parallele Auslegung der Vorschrift des § 43 Abs. 3 GmbHG sowie des (früheren) § 9 Abs. 2 GmbHG aF verweisen im Übrigen auch die Gesetzesmaterialien.43 Dass sich an dieser Sichtweise aufgrund der GmbH-Novelle 1980 und dem nunmehrigen Verweis auf § 9b GmbHG irgendetwas ändern sollte, ist nicht ersichtlich. Wie bislang beschränkte sich die Kommentarliteratur indes auch nach der Novelle regelmäßig auf einen allgemeinen Verweis zur Gründerhaftung.44 Anhaltspunkte für eine differenzierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals „soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist“ finden sich somit auch im älteren Schrifttum nicht.

39 Siehe bereits Brodmann GmbHG 2. Aufl. 1930 § 43 Anm. 4; gleichsinnig Scholz GmbHG 4. Aufl. 1960 § 43 Anm. 8; Hachenburg/Schilling GmbHG 6. Aufl. 1956 § 43 Anm. 11. 40 Brodmann GmbHG 2. Aufl. 1930 § 43 Anm. 4; Hachenburg/Schilling GmbHG 6. Aufl. 1956 § 43 Anm. 14; Scholz GmbHG 4. Aufl. 1960 § 43 Anm. 12. 41 So etwa bei Hachenburg/Schilling GmbHG 6. Aufl. 1956 § 43 Anm. 15; Scholz GmbHG 4. Aufl. 1960 § 43 Anm. 12. 42 So Brodmann GmbHG 2. Aufl. 1930 § 43 Anm. 4. 43 Siehe Begründung zu § 43 Abs. 3 GmbHG (damals: § 44 GmbHG) 1892 in Reichstag, Aktenstück Nr. 660, S. 3715, 3750: „Der Entwurf schränkt deshalb die Wirksamkeit von Vergleichen und Verzichten der Gesellschaft [...] in derselben Weise ein, wie bezüglich der im § 9 bezeichneten Ersatzforderungen [...]“. 44 Siehe nur Hachenburg/Mertens GmbHG 7. Aufl. 1985 § 43 Rn. 91; Baumbach/ Hueck/Zöllner GmbHG 14. Aufl. 1985; Meyer-Landrut/Miller/Niehus/Meyer-Landrut GmbHG 1. Aufl. 1987 § 43 Rn. 19; ähnlich Scholz/Schneider GmbHG 6. Aufl. 1983 § 43 Anm. 197.

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V. Schluss Mit den §§ 9b Abs. 1, 43 Abs. 3 S. 2 und 3 GmbHG wird dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger grundsätzlich der Vorrang gegenüber dem Interesse des Ersatzpflichtigen am Bestand der getroffenen Enthaftungsregelung eingeräumt. Dem trägt die einhellige Meinung im Schrifttum dadurch Rechnung, dass der Verzicht oder Vergleich nur unter der auflösenden Bedingung Wirksamkeit erlangt, dass der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. Ohne auf diesen Meinungsstand überhaupt nur mit einem Wort einzugehen und ohne jedwede Begründung für eine Abweichung wird bei BGHZ 193, 96 Rn. 27 das Gegenteil formuliert. Die Bezugnahmen auf frühere BGH-Entscheidungen führen jedoch ins Leere. Bei der Abfassung der vermeintlichen Grundsatzentscheidung BGH ZIP 2003, 945 ist offenkundig ein Fehler unterlaufen, der sich durch Folge-Zitate fortgeschleppt hat. Das vorliegende Beispiel ist ein (negatives) Lehrstück, indem es aufzeigt, wie ein fehlerhafter Rechtssatz durch ein Missverständnis das Licht der Welt erblickt, indes zunächst von Wissenschaft und Beratungspraxis aber gar nicht zur Kenntnis genommen wird, dann aber durch Folge-Zitate – stets ohne Prüfung auf seinen Ursprung – überraschend Karriere macht und sogar in einer BGHZ-Entscheidung auftaucht. Es würde dem II. Zivilsenat des BGH gut anstehen, sein Missgeschick bei nächster Gelegenheit freimütig zu bekennen und klarzustellen, dass auch im Rahmen der Geschäftsführerhaftung gem. § 43 Abs. 3 GmbHG die tradierte und allgemein anerkannte, in der Sache auch uneingeschränkt überzeugende Auslegung des Tatbestandsmerkmals „soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist“ zur Anwendung gelangt. Ich bin mir sicher, dass diese „Anmahnung“ auch im Sinne unseres Jubilars sein wird, dem mit diesem Beitrag anlässlich seines 80. Geburtstags eine Freude bereitet werden soll.

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Der Wirtschaftsprüfer: tragende Säule der Banken-Governance?

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Der Wirtschaftsprüfer: tragende Säule der Banken-Governance? Jens-Hinrich Binder

Der Wirtschaftsprüfer: tragende Säule der Banken-Governance? JENS-HINRICH BINDER

Sucht man als Mitglied der akademischen „Hopt-Familie“ nach Berührungspunkten mit dem Œuvre des Jubilars, aus denen sich ein Thema für den hiesigen Anlass ergeben könnte, fällt die Wahl so leicht, dass sie schon wieder schwer fällt: So überreich gedeckt ist der Tisch mit Themen, die Klaus Hopt am Herzen liegen, und so breit ist das seine Arbeiten prägende methodische Spektrum, das klassische Gesellschafts- und Zivilrechtsdogmatik ebenso einschließt wie rechtsvergleichende und ökonomische Bezüge. Auch die Auseinandersetzung mit Nischenthemen, deren Analyse nicht selten den Blick auf längst ausdiskutiert scheinende Grundsatzfragen des Unternehmensrechts schärft, hat den Jubilar immer wieder gereizt. Exemplarisch dafür steht die Beschäftigung mit Fragen der Corporate Governance von Finanzintermediären1 und damit einem Problemkreis, der auch noch zehn Jahre nach der Finanzkrise in der juristischen ebenso wie der ökonomischen Literatur kontrovers diskutiert wird. Schon vor längerer Zeit hat der Jubilar daneben auch die Rolle des Abschlussprüfers im Rahmen der Corporate Governance börsennotierter Unternehmen in den Blick genommen.2 Vor diesem 1 Vgl. insbes. Hopt, Corporate Governance von Banken – Überlegungen zu den Grundsätzen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht vom Februar 2006, in: FS Nobbe, 2006, S. 853 ff.; ders., Die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat: Grundsatz und Praxisprobleme – unter besonderer Berücksichtigung der Banken, ZIP 2013, 1793 ff.; ders., Better Governance of Financial Institutions, ecgi Law Working Paper No. 207/2013, abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=2212198, S. 4; ders., Corporate Governance of Banks and Other Financial Institutions After the Financial Crisis, Journal of Corporate Law Studies 13 (2013), 219 ff.; ders., Corporate Governance of Banks after the Financial Crisis, in: Wymeersch/Hopt/Ferrarini (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision – A Post-Crisis Analysis, Oxford: OUP, 2012, Kap. 11; ders., Corporate Governance von Finanzinstituten – Empirische Befunde, Theorie und Fragen in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, ZGR 2017, 438 ff.; ders., Corporate Governance von Banken und Nichtbanken – Ein vergleichender Überblick aus Anlass einer neuen Empfehlung im Deutschen Corporate Governance Kodex 2020, WM 2019, 1771 ff. 2 Vgl. etwa Hopt, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers – Rechtsprobleme zu § 323 HGB (§ 168 AktG a.F.) und zur Prospekt- und Auskunftshaftung, in: FS Pleyer, 1986, S. 341 ff.; ders., Abschlussprüfung in Deutschland und Europa nach der europäischen Reform von 2014, ZGR 2015, 186 ff.

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Hintergrund hofft der Verfasser, mit den nachfolgenden Überlegungen nicht nur seinen Dank für vielfältigen Rat und Unterstützung in den vergangenen Jahren ausdrücken zu können, sondern auch das fachliche Interesse des Jubilars zu finden.

I. Problemaufriss Die Bedeutung der Abschlussprüfung als tragende Säule der Corporate Governance der börsennotierten Aktiengesellschaften3 ist im deutschen Recht wohl nicht erst seit der Konkretisierung der durch die Pflichtprüfung erfassten Prüfungsgegenstände mit dem KonTraG von 1998 allgemein anerkannt.4 Mit diesem Gesetz war die Abschlussprüfung seinerzeit explizit um die Feststellung von Gesetzes- und Satzungsverstößen mit wesentlichen Auswirkungen auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens (§ 317 Abs. 1 Satz 3 HGB) und die Prüfung des nach § 91 Abs. 2 AktG einzurichtenden Risikoüberwachungssystems (§ 317 Abs. 4 HGB) erweitert worden; treffend wurde insoweit von einem Paradigmenwechsel „vom financial audit zu einem umfassenden business audit“ gesprochen.5 Zu präzisieren ist die Rolle des Abschlussprüfers dabei für das allgemeine Unternehmensrecht insofern, als er zwar – mit dem Bestätigungsvermerk (§ 322 HGB) – einerseits in der Tat in die externe Überwachung der Unternehmen durch den Kapitalmarkt eingebunden ist, andererseits aber – mit dem Prüfungsbericht (§ 321 HGB) – zugleich die interne Überwachung durch den Aufsichtsrat zu unterstützen hat und somit eine Doppelrolle einnimmt.6 Keineswegs erst seit den 1990er Jahren etabliert, 3 Vgl. bereits die Beiträge in Lutter (Hrsg.), Der Wirtschaftsprüfer als Element der Corporate Governance, 2001. 4 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl. I S. 786. Zur Einordnung als Konkretisierung weniger denn als materielle Verschärfung der Prüferpflichten etwa Hommelhoff/Mattheus, Corporate Governance nach dem KonTraG, AG 1998, 249, 251; Wüstemann, Mängel bei der Abschlussprüfung, in: Lutter, a.a.O. (Fn. 3), S. 25, 30 f.; eingehende Würdigung auch bei Hommelhoff, Die neue Position des Abschlussprüfers im Kraftfeld der aktienrechtlichen Organisationsverfassung, BB 1998, 2567 ff. und 2625 ff., jeweils m.w.N. 5 So Lohse, Unternehmerisches Ermessen, 2005, S. 411 ff.; siehe eingehend zu den Implikationen für die Position des Abschlussprüfers stellvertretend Mattheus, Die gewandelte Rolle des Wirtschaftsprüfers als Partner des Aufsichtsrats nach dem KonTraG, ZGR 1999, 682 ff.; Orth, Abschlussprüfung und Corporate Governance, 2000, passim, jeweils m.w.N. Zur Entwicklung auch Habersack, Der Abschlussprüfer, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, 2007, 16. Kap. Rn. 30 ff. 6 Vgl. stellvertretend Leyens, Informationsintermediäre des Kapitalmarkts, 2019, S. 30 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 221 f.; und bereits Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2568 f.; Hommelhoff/Mattheus, Corporate Governance nach dem KonTraG, AG 1998, 249, 251.

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sondern bereits in den Ursprüngen der gesetzlichen Pflichtprüfung 19317 angelegt ist die Zwitterstellung des Abschlussprüfers zwischen privatem Unternehmens- und öffentlichem Recht, die sich regelungssystematisch auch im Hinzutreten standesrechtlicher Bestimmungen zu den allgemeinen unternehmensrechtlichen Vorgaben niederschlägt. Entsprechend wird der Abschlussprüfer heute überwiegend als Inhaber eines privaten Amtes eingeordnet, der seine Aufgaben zugleich im öffentlichen Interesse wahrnimmt.8 Mit alledem ist er bereits im allgemeinen Unternehmensrecht auch aus regelungstheoretischer Sicht ein interessantes Untersuchungsobjekt. Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Einbindung – als „Gatekeeper“,9 „Torwächter“, „Verifikateur“10 und Informationsintermediär für die Validierung veröffentlichter Informationen – in eine prozedurale, auf eine indirekte Einflussnahme auf die Geschäftsleiter abzielende Regulierung durch Publizität.11 Mit der damit verbundenen Verschiebung der Normdurchsetzungslast auf den Abschlussprüfer werden zugleich nicht unerhebliche Spielräume für die Norminterpretation eröffnet, so dass von einer Mischung aus Elementen privater Normdurchsetzung und privater Regulierung gesprochen werden kann.12 Auch außerhalb des regulierten Finanzsektors hat die globale Finanzkrise jedenfalls auf europäischer Ebene zu einer Neubewertung dieser Funktionen geführt und Anlass zu einzelnen Reformvorhaben zur Stärkung der Rolle des Abschlussprüfers als Element der Corporate Governance ge7 §§ 262a–g HGB a.F., eingefügt durch Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19.9.1931, RGBl. I S. 493, Erster Teil, Art. VI. 8 Vgl. stellvertretend etwa BayObLG, Urt. v. 17.9.1987 – BReg 3 Z 76/87, WM 1987, 1361, 1365; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.5.2006 – 26 W 9/06 NZG 2006, 758, 759; Habersack/Schürnbrand, in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2010, Vor § 316 Rn. 17; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 316 Rn. 2; ders., Unternehmenspublizität, 2001, S. 472 f.; Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 6), S. 214 ff.; Koch, Die öffentlich-rechtliche Stellung des Wirtschaftsprüfers im internationalen Kontext (insbesondere EU), Konzern 2005, 723 ff.; instruktiv dazu bereits Schulze-Osterloh, Zur öffentlichen Funktion des Abschlussprüfers, ZGR 1976, 411 ff.; tw. kritisch, aber im Ergebnis ähnlich Ebke, in: Münch. Komm. z. HGB, 3. Aufl. 2013, § 316 Rn. 32 ff. 9 Grundlegend Kraakman, Gatekeepers: The Anatomy of a Third-Party Enforcement Strategy, in: 2 J. L. Econ. & Org. 53 (1986); nachfolgend etwa Coffee, Gatekeepers: The Professions and Corporate Governance, 2006, passim; Cox, The Oligopolistic Gatekeeper: The US Accounting Profession, in: Armour/McCahery (Hrsg.), After Enron. Improving Corporate Law and Modernising Securities Regulation in Europe and the US, 2006, S. 295 ff.; aus der deutschen Literatur etwa Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, S. 209 f., 219 f.; Leyens, a.a.O. (Fn. 6), S. 258 ff., jeweils m.w.N. 10 Zum Begriff (aus verwaltungsrechtlicher Perspektive) instruktiv Edelbluth, Gewährleistungsaufsicht, S. 2008, S. 113 ff. und passim; siehe auch Binder, a.a.O. (Fn. 9), S. 209 und bereits ders., „Prozeduralisierung“ und Corporate Governance, ZGR 2007, 745, 772. 11 Vgl. schon Binder, ZGR 2007, 745, 782. 12 Dazu Binder, a.a.O. (Fn. 9), S. 221, 263 und wiederum bereits ders., ZGR 2007, 745, 782 ff.

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geben;13 im hiesigen Zusammenhang ist dabei insbes. die Festlegung verschärfter Anforderungen an die Prüfung bei sog. Unternehmen von öffentlichem Interesse (Emittenten von zum geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen) mit der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 zu erwähnen.14 Den Abschlussprüfern der Kreditinstitute hat das Bankaufsichtsrecht15 bereits nahezu seit Beginn der modernen Aufsichtsrechtsentwicklung eine – vom allgemeinen Unternehmensrecht schon regelungssystematisch, aber zunehmend auch inhaltlich hinsichtlich des anwendbaren Pflichtenprogramms abweichende – Sonderrolle zugewiesen. Die Notverordnung des Reichspräsidenten von 1931, die erstmals ein systematisch geschlossenes Aufsichtsrecht eingeführt hatte,16 sah zwar noch keine besonderen Pflichten des Abschlussprüfers vor. Doch bereits mit Verordnung von 193717 wurde die Pflichtprüfung für den Jahresabschluss von Kreditinstituten – rechtsformspezifisch und jeweils unter weitgehendem Verweis auf die allgemeinen Prüfungsvorschriften für Aktiengesellschaften – ausdrücklich besonders geregelt und wurden damit erste Ansätze zur Einbindung der Abschlussprüfung in die Informationsversorgung der Aufsichtsbehörden geschaffen. Umfassend reformiert wurden die anwendbaren Vorschriften allerdings erst mit dem Inkrafttreten des Kreditwesengesetzes von 1961,18 das die im Kern noch heute erhaltene Abfolge von Offenlegungspflichten hinsichtlich der 13 Vgl. nur Europäische Kommission, Grünbuch – Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise, 13.10.2010, KOM(2010) 561 endg.; dazu und zu den konkreten Konsequenzen stellvertretend Merkt, Kap. 1: Einführung in die Rechnungslegung und das Bilanzrecht, in: Merkt/Probst/Fink (Hrsg.), Rechnungslegung nach HGB und IFRS, 2017, Rn. 37 ff. 14 VO (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission, ABlEU Nr. L 158/77 („EU-Abschlussprüfer-VO“); zur Festlegung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen von öffentlichem Interesse: Art. 2 Abs. 1; zur Definition des Begriffs: Art. 3 der VO i.V.m. Art. 2 Nr. 13 RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (…), ABlEU Nr. L 157/87. Siehe dazu einführend statt vieler Hopt, ZGR 2015, 186, 187 ff. 15 Die vorliegende Abhandlung beschränkt sich auf die Rolle der Abschlussprüfer nach allgemeinem Bankenaufsichtsrecht und hier insbes. die erweiterten Pflichten bei der PflichtAbschlussprüfung (§ 29 KWG) sowie die Einbindung in Sonderprüfungen (§ 44 KWG). Vergleichbare Probleme stellen sich auch für das Versicherungsaufsichtsrecht; auch hier sind den Abschlussprüfern besondere Prüf- und Informationspflichten zur Durchsetzung der Vorgaben des materiellen Aufsichtsrechts zugewiesen (vgl. § 35 VAG sowie § 341k HGB). Ebenfalls ausgeklammert bleiben im Folgenden die mit der sog. Depotprüfung (heute: § 29 Abs. 2 Satz 3 KWG bzw. § 89 Abs. 1 Satz 2 WpHG) verbundenen Rechtsfragen. 16 A.a.O. (Fn. 7), Zweiter Teil. 17 Verordnung über die Prüfung der Jahresabschlüsse von Kreditinstituten vom 7.7.1937, RGBl. I S. 763. 18 Gesetz über das Kreditwesen vom 10.7.1961, BGBl. I S. 831.

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Rechnungslegungsunterlagen (§ 26 KWG), Anzeigepflichten und sonstigen Anforderungen hinsichtlich der Prüferbestellung (§ 28 KWG) und „besonderen Pflichten des Prüfers“ (§ 29 KWG) einführte. Die Rechtsgrundlage für die Abschlussprüfung ist zwar auch hier an sich der Prüfungsauftrag nach § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB; für Kreditinstitute gelten insoweit allgemein die Vorschriften der §§ 316 ff. HGB für große Kapitalgesellschaften.19 § 29 Abs. 1 KWG erweitert jedoch, worauf zurückzukommen ist,20 das für die gesetzliche Pflichtprüfung festgelegte Aufgabenprofil des Abschlussprüfers um besondere Prüfungs- und Berichtspflichten, die wesentliche Aspekte des qualitativen und quantitativen Bankaufsichtsrechts umfassen. Abs. 3 der Vorschrift verpflichtet den Prüfer zur unverzüglichen Mitteilung von Rechtsverstößen aller Art an die Aufsicht. Die Prüferpflichten nach § 29 KWG werden durch die auf Abs. 4 der Vorschrift gestützte Prüfungsberichtsverordnung näher ausgestaltet.21 Unabhängig von den Prüfungs- und Informationspflichten nach § 29 KWG können Wirtschaftsprüfer zudem im Rahmen von Sonderprüfungen nach § 44 Abs. 1 Satz 2 KWG mit der Wahrnehmung von Prüfungsaufgaben mandatiert werden. Die Vorschrift ist Rechtsgrundlage sowohl für Routineals auch für sog. Anlassprüfungen, mit denen auf konkrete Anhaltspunkte für aufsichtsrechtlich relevante Probleme reagiert werden kann.22 Während § 44 Abs. 1 Satz 2 KWG vorsieht, dass die BaFin die Bundesbank mit Prüfungen beauftragen darf, bleibt die – in der Vergangenheit verbreitete – Beauftragung von Wirtschaftsprüfern nach wie vor gem. § 4 Abs. 3 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes23 zulässig.24 Die damit umrissenen Besonderheiten der Einbindung von Wirtschaftsprüfern in die externe Überwachung der Kreditinstitute lassen bereits erahnen, dass den Prüfern eine wichtige Rolle für die Durchsetzung auch der sektorspezifischen Vorgaben an die Unternehmensfinanzierung und -organisation zukommt. Diese ist bereits vor der globalen Finanzkrise auch 19 Vgl. dazu und zu hier nicht näher zu untersuchenden Ausnahmen § 340k HGB; näher etwa Winter, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG/CRR, 5. Aufl. 2016, § 28 Rn. 1. 20 Unten sub II. 1. 21 Verordnung über die Prüfung der Jahresabschlüsse der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute sowie über die darüber zu erstellenden Berichte (Prüfungsberichtsverordnung – PrüfbV) vom 11.6.2015 (BGBl. I S. 930), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.12.2018 (BGBl. I S. 2626). 22 Dazu näher stellvertretend Braun, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, a.a.O. (Fn. 19), Rn. 42 ff.; Fischer/Boegl, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 132 Rn. 41 ff., jeweils m.w.N. zur Reichweite und praktischen Bedeutung. 23 Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz – FinDAG) vom 22.4.2002 (BGBl. I S. 1310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.11.2019 (BGBl. I S. 1626). 24 Vgl. stellvertretend Braun, a.a.O. (Fn. 19), Rn. 50.

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durch die internationale Standardsetzung anerkannt und in entsprechenden Leitlinien ausgestaltet worden, wobei nicht nur die Rolle der Abschlussprüfer als solche,25 sondern auch das Zusammenspiel von interner Revision, externen Prüfern und Aufsicht thematisiert wurde.26 Die Bedeutung der Abschlussprüfer für die aufsichtliche Überwachung hat zudem – in wechselnder Form – Eingang in die in die seit 1997 vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht veröffentlichten „Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht“27 sowie in die seit 1999 veröffentlichten Prinzipien zur „Verbesserung der Unternehmensführung für Banken“ 28 gefunden. Mit der Einbindung des Prüfers in die staatliche Überwachung des Kreditwesens – als Hilfsperson der BaFin29 – wächst allerdings jedenfalls potentiell zugleich die Abhängigkeit der Aufsicht von der Qualität der Mandatserfüllung, und zwar nicht nur bei Sonderprüfungen, sondern auch und gerade bereits im Hinblick auf die Überprüfung der Regelpublizität. Dieser Befund wirft – stärker noch in ausländischen Rechtsordnungen, wo die Aufsichtstätigkeit sehr weitgehend an private Wirtschaftsprüfer delegiert worden ist30 – vielfältige Grundsatzfragen nach dem rechtlichen Status der Prü25 Vgl. zunächst International Auditing Standards Committee of the International Federation of Accountants (in Abstimmung mit dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht), The relationship between bank supervisors and external auditors, 27.7.1989; nachfolgend Basler Ausschuss, The relationship between banking supervisors and banks’ external auditors, Januar 2002; ders., External audit quality and banking supervision, 2.12.2008; sodann ders., Externe Revision von Banken, März 2014. Diese und die nachfolgend Fn. 26 f. zitierten Fundstellen sind abrufbar über www.bis.org. 26 Siehe zunächst Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Internal audit in banks and the supervisor’s relationship with auditors, August 2001, Tz. 64 ff. 27 Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht, September 1997, S. 32 ff.; jeweils knapper Neufassung Oktober 2006, S. 7; Neufassung September 2012, S. 68 f. 28 Zunächst Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Verbesserung der Unternehmensführung in Banken, September 1999, Tz. 21 f. (Notwendigkeit einer effektiven Nutzung der externen Prüfer durch die Aufsichtsorgane der beaufsichtigten Institute); siehe auch die nachfolgenden Versionen vom Februar 2006, Tz. 41, 43 und 62; vom Oktober 2010, Tz. 99, 101 f. und 134 sowie vom Juli 2015, Tz. 159. 29 Vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 16.2.2016 – VI ZR 441/44, AG 2016, 399, 400. 30 Vgl. etwa – mit Fokus auf die Entwicklung der Aufsichtspraxis im Vereinigten Königreich – Singh, The Role of External Auditors in Bank Supervision: A Supervisory Gatekeeper?, International Lawyer 47 (2013), 65, 65 ff. und 86 ff. und bereits Dewing/Russell, New roles for auditors and reporting accountants in UK banking supervision under the Banking Act 1987, Accounting, Auditing & Accountability J. 25 (2012), 535 ff.; dies., The role of auditors and reporting accountants in UK banking supervision, Journal of International Banking Regulation 3 (2001), 256 ff.; siehe auch Financial Services Authority (FSA)/Financial Reporting Council (FRC), Enhancing the auditor’s contribution to prudential regulation, Discussion Paper 10/3, Juni 2010; zur Rechtslage in der Schweiz Dewing/Russell, Auditors as Regulatory Actors: The Role of Auditors in Banking Regulation in Switzerland, European Accounting Review 21 (2013), 1 ff.; Hüpkes, The external auditor and the bank supervisor: ‘Sherlock Holmes and Doctor Watson?‘, J. Banking Reg. 7 (2006), 145 ff.: zur aktuellen Rechtslage in der Schweiz, die nach wie vor private Prüfer in

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fer in der staatlichen Verwaltung sowie der Einordnung der Rechtsgrundlagen in die Dogmatik des Verwaltungsrechts auf.31 Während diese letztgenannten Aspekte nicht weiterverfolgt werden sollen, nimmt die vorliegende Abhandlung die Konsequenzen für die Funktion des Wirtschaftsprüfers im Rahmen der Corporate Governance von Kreditinstituten in den Blick – und damit die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich mit der Rolle von Abschlussprüfern für die Kontrolle von Unternehmen außerhalb der Finanzbranche. Im Anschluss werden (sub II.) zunächst die aufsichtsrechtlich definierte Reichweite des Prüfungsauftrags und ihre Implikationen für die Funktion des Abschlussprüfers näher entfaltet. Gerade angesichts der damit nochmals deutlicher konturierten Bedeutung der Wirtschaftsprüfer für die Informationsversorgung der Aufsicht stellt sich sodann (sub III.) die Frage nach einer Haftung bzw. sonstigen Sanktionen für den Fall fehlerhafter Prüfungsleistungen in besonderer Schärfe. In der zusammenfassenden Gesamtschau (sub IV.) relativiert sich die Bedeutung der Wirtschaftsprüfer für die Corporate Governance der Kreditinstitute zwar als solche nicht, doch zeigen sich Funktionsdefizite, die grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der Delegation hoheitlicher Aufsichtsaufgaben an private Akteure begründen.

II. Der Bankenprüfer als aufsichtsrechtlicher „Gatekeeper“: Normativer Bezugsrahmen und Implikationen für das Pflichtenprogramm 1. Der normative Bezugsrahmen: Einzelheiten a) Prüfungsgegenstände Für die Rolle der Wirtschaftsprüfer in der Corporate Governance von Kreditinstituten ist die Erweiterung der Prüfungsgegenstände für die Pflichtprüfung gleich in doppelter Hinsicht bedeutender als die Möglichkeit weitem Umfang in die laufende aufsichtliche Überwachung einbindet (dort sog. dualistisches System), siehe Art. 24 des Bundesgesetzes über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz – FINMAG) vom 22.6.2007, SR 956.1 und dazu exemplarisch Pfiffner, in: Watter/Bahar (Hrsg.), Basler Komm. Finanzmarktaufsichtsgesetz und Finanzmarktinfrastrukturgesetz, 3. Aufl. 2019, Art. 24 FINMAG Rn. 9 ff. Vgl. auch den instruktiven Überblick über die österreichische Rechtslage bei Casey, Zusammenspiel zwischen Bankenaufsicht und Abschlussprüfer, ZVglRWiss 113 (2014), 374 ff. Grober Überblick über unterschiedliche Formen der Einbindung von Wirtschaftsprüfern bei Eckes/ Kriz, Einbeziehung des Berufsstands in die Prüfung bankaufsichtlicher Vorgaben, Wpg 2016, 137, 1361. 31 Nach wie vor instruktive Ansätze dazu bei Bödecker, Prüfungen nach § 44 Abs. 1 Kreditwesengesetz – Verfahren und Kosten, 1987, S. 83 ff. und passim.

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der Mandatierung im Rahmen von Sonderprüfungen nach § 44 KWG. Zum einen ist die Pflichtprüfung der Regelfall der Einbindung des Abschlussprüfers in den Informationsfluss zwischen Instituten und Aufsicht. Zum anderen liegen gerade hier Spannungen zwischen dem Mandatsverhältnis zwischen Abschlussprüfer und Kreditinstitut einerseits und der Aktivierung für öffentliche Regulierungsziele andererseits begründet: Spannungen, deren Dimension angesichts der Bandbreite der „besonderen Aufgaben“ des Prüfers nach § 29 KWG kaum unterschätzt werden kann. Die – seit Inkrafttreten des KWG vielfach geänderte und erweiterte32 – Vorschrift bezieht heute praktisch alle quantitativen und qualitativen Anforderungen des Bankaufsichtsrechts in den Kreis der Prüfungsgegenstände für die Prüfung von Jahres- und Zwischenabschlüssen ein. Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift, der bereits auf die 2. KWG-Novelle von 1976 zurückgeht33 und als Klarstellung der sich ohnehin aus allgemeinen Regeln ergebenden Prüfungsaufgabe verstanden wurde,34 verpflichtet den Abschlussprüfer im Zusammenhang mit der Prüfung eines Jahres- und Zwischenabschlusses zunächst zur umfassenden Prüfung der „wirtschaftlichen Verhältnisse des Instituts“. § 6 und Abschnitt 5, Unterabschnitt 1 der PrüfbV spricht demgegenüber von der „wirtschaftlichen Lage“, ohne dass geklärt wäre, ob und ggf. welche sachlichen Abweichungen sich aus dem terminologischen Unterschied ergäben.35 Inhaltlich geht es jedenfalls um eine umfassende Ermittlung der Vermögens-, Liquiditäts-, Ertrags- und Risikolage.36 Für Zwischenabschlüsse ergeben sich abgestufte Anforderungen insofern, als dafür seit der 7. KWG-Novelle von 2006 nur mehr eine prüferische Durchsicht, nicht aber eine vollumfängliche Prüfung vorgeschrieben ist;37 gleichwohl muss die Bescheinigung über die Prüfung auch hier Aussagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Instituts enthalten.38 32 Vgl. allein den Überblick über Änderungen in jüngerer Zeit bei Santarossa-Preisler/ Schaber, in: Luz u.a. (Hrsg.), KWG und CRR, 3. Aufl. 2015, § 29 KWG Rn. 2 ff. 33 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 3.5.1976 (BGBl. I S. 1121). 34 Vgl. Begr. RegE 2. KWG-Novelle, BT-Drs. 7/3657, S. 14. 35 Vgl. Auerbach/Klotzbach, in: Schwennicke/Auerbach, KWG, 3. Aufl. 2016, § 29 KWG Rn. 7. 36 Vgl. im Einzelnen §§ 18 ff., 39 ff. PrüfbV und dazu Auerbach/Klotzbach, a.a.O. (Fn. 35), Rn. 8 ff.; Santarossa-Preisler/Schaber, a.a.O. (Fn. 32), § 29 KWG Rn. 6 ff.; Winter, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, a.a.O. (Fn. 19), § 29 KWG Rn. 5 ff. 37 Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie vom 17.11.2006 (BGBl. I S. 2606). Die in § 10 Abs. 3 sowie § 10a Abs. 10 i.d.F. dieses Gesetzes neu gefassten einschlägigen Vorgaben sind zwischenzeitlich aufgehoben worden; vgl. nunmehr § 340a Abs. 3 HGB i.V.m. Art. 26 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABlEU Nr. L 176/1. 38 Winter, a.a.O. (Fn. 36), § 29 KWG Rn. 7.

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Zu den Prüfungsgegenständen gehört sodann gem. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG die Einhaltung der bankaufsichtlichen Anzeigepflichten und damit des Kernbestands des Meldewesens, in dessen Rahmen Kreditinstitute die Aufsicht periodisch bzw. anlassbezogen zu allen Aspekten der quantitativen Vorgaben des Aufsichtsrechts informieren müssen.39 Der Abschlussprüfer ist jedoch auch unmittelbar zur Prüfung verpflichtet, ob das Kreditinstitut die qualitativen und quantitativen Anforderungen des materiellen Bankaufsichtsrechts einhält. Insbesondere bezieht § 29 Abs. 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a KWG die Einhaltung wesentlicher Vorgaben des unionsrechtlich harmonisierten nationalen Rechts in den Kreis der Prüfungsgegenstände ein,40 Buchst. d der Vorschrift die Einhaltung der unmittelbar geltenden Anforderungen der CRR im Hinblick auf Eigenmittelanforderungen (Art. 92– 386 CRR), Großkredite (Art. 387–403 CRR) sowie Forderungen aus übertragenen Kreditrisiken (Art. 404–409 CRR).41 b) Anzeige- und Informationspflichten gegenüber der Aufsicht Im Ausgangspunkt ähnlich wie bei der Pflichtprüfung nach allgemeinen Regeln hat der Abschlussprüfer gem. § 29 Abs. 3 KWG über bei der Prüfung festgestellte Mängel zu berichten. Im Vergleich mit der sog. Redepflicht nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB (ergänzend § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB) sowie mit der qualifizierten Berichtspflicht nach Artt. 7 und 10 der EUAbschlussprüfer-VO gehen die aufsichtsrechtlichen Anzeigepflichten des Prüfers jedoch in mehrfacher Hinsicht weiter. Nach der handelsrechtlichen Bestimmung ist der Abschlussprüfer verpflichtet, über bei der Prüfung festgestellte Unrichtigkeiten oder Gesetzesverstöße sowie Tatsachen zu berichten, die für das geprüfte Unternehmen selbst oder den Konzern bestandsgefährdend sind, die seine Entwicklung 39 Im Einzelnen erfasst sind insbes. Anzeigepflichten zur Liquiditätsposition (§ 11 KWG bzw. Artt. 315 f. CRR), zur Begründung von Unternehmensbeziehungen (§ 12a KWG), zu Groß- bzw. Millionenkrediten (§ 14 Abs. 1 KWG bzw. Art. 394 CRR), zu Organkrediten (§ 15 KWG), zu rechtlichen, organisatorischen und personellen Veränderungen sowie wichtigen Geschäftsentscheidungen (§ 24 KWG), zur Errichtung von Zweigniederlassungen und Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen in anderen EWRStaaten (§ 24a KWG) sowie zur Leverage Ratio (Art. 413 CRR); siehe im Überblick etwa Santarossa-Preisler/Schaber, a.a.O. (Fn. 32), § 29 KWG Rn. 10 ff.; Winter, a.a.O. (Fn. 36), § 29 KWG Rn. 8 ff.; guter Überblick über das Meldewesen insgesamt bei Fischer/Boegl, a.a.O. (Fn. 22), § 132 Rn. 1 ff. 40 Darunter insbes. Eigenmittelanforderungen (§§ 10a–i KWG), Liquiditätsvorgaben (§ 11 KWG), Großkreditobergrenzen (§§ 13, 14 KWG), Anforderungen an die Geschäftsorganisation (§ 25a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 KWG) sowie die Vergütungssysteme (§ 25a Abs. 5 KWG), Anforderungen an Organmitglieder und -struktur (§ 25c Abs. 2–4b und § 25d Abs. 3–12). 41 Vgl. zum Ganzen, auch zu den übrigen in die Prüfung einbezogenen Vorgaben aufsichtsrechtlicher Spezialvorschriften, etwa Santarossa-Preisler/Schaber, a.a.O. (Fn. 32), § 29 KWG Rn. 16 ff.; Winter, a.a.O. (Fn. 36), § 29 KWG Rn. 13 ff.

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wesentlich beeinträchtigen können oder die schwerwiegende Verstöße gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung erkennen lassen. Diese sog. Redepflicht ist Bestandteil der Berichtspflichten des Prüfers gegenüber dem Aufsichtsrat und im Vorwegbericht (§ 321 Abs. 1 Satz 2 HGB) zu erfüllen;42 ergänzend wird in dringenden Fällen auch bereits vor Vorabschluss der Prüfung eine Warnpflicht angenommen.43 Für Unternehmen von öffentlichem Interesse44 enthalten Artt. 7 und 10 der EU-Abschlussprüfer-VO weitere Berichtspflichten, die inhaltlich aber über § 321 Abs. 3 HGB nicht wesentlich hinausgehen. Näher spezifiziert ist insbesondere der Zeitpunkt der Warnpflicht nicht; der Deutsche Corporate Governance Kodex spricht lediglich die Empfehlung aus, eine Pflicht des Abschlussprüfers zur unverzüglichen Mitteilung wesentlicher Informationen an den Aufsichtsrat ausdrücklich zu vereinbaren.45 Ebenfalls adressiert wird die Kommunikation in einer Reihe internationaler Abschlussprüfungsstandards.46 Die aufsichtsrechtliche Regelung in § 29 Abs. 3 KWG erweitert die allgemeinen Pflichten sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch gegenständlich und im Hinblick auf den Adressaten der Anzeigepflicht. Der Prüfer hat hiernach gegenüber BaFin und Bundesbank47 unverzüglich anzuzeigen, wenn ihm bei 42

Vgl. allgemein statt vieler Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 321 Rn. 19 ff. Merkt, a.a.O. (Fn. 8), § 321 Rn. 7; Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 321 Rn. 28; Habersack/ Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 321 Rn. 22; siehe auch IDW, Prüfungsstandard 450, Wpg. 2006, 113, Tz. 41. 44 Siehe nochmals oben sub I. bei und in Fn. 14. 45 DCGK, Fassung vom 7.2.2017, Ziff. 7.2.3 (Empfehlung einer ausdrücklichen Vereinbarung zur „unverzüglichen“ Mitteilung an den Aufsichtsrat); Neufassung 2019, Ziff. D.9. 46 Insbes. ISA 260 („Communication with those charged with governance“) und ISA 265 („Communicating deficiencies in internal control to those charged with governance and management“); dazu und zu weiteren einschlägigen Standards Quick, Kap. 17: Prüfung, in: Merkt/Probst/Fink, a.a.O. (Fn. 13), Rn. 218; allgemein zur Bedeutung statt vieler Merkt, Die Bedeutung der International Standards on Auditing (ISA) für die Abschlussprüfung in Europa und Deutschland, ZGR 2015, 215 ff.; zu den bei der Bankenprüfung relevanten ISA etwa Casey, ZVglRWiss 113 (2014), 374, 386 ff. 47 Innerhalb des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus gilt nichts anderes: Zwar unterliegen hier „bedeutende“ Institute i.S.d. Art. 6 Abs. 4 der SSM-VO (VO (EU) Nr. 1024/ 2013 des Rates vom 15.10.2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABEU Nr. L 287/13) der unmittelbaren Aufsicht durch die Europäische Zentralbank, vgl. Artt. 3 ff. SSM-VO. Die Anzeigepflichten der Kreditinstitute des nationalen Rechts gelten insoweit unmittelbar gegenüber der EZB, vgl. Art. 95 der SSM-Rahmenverordnung (VO (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16.4.2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus, ABlEU Nr. L 141/1. Die Regelung schließt jedoch keine Anzeigepflichten sonstiger Dritter ein und erfasst also auch nicht die Berichts- und Anzeigepflichten des Abschlussprüfers. Damit ist lediglich eine Pflicht der BaFin zur Weiterleitung von Anzeigen nach § 29 Abs. 3 KWG an die EZB im Rahmen ihrer allgemeinen Informationspflicht nach Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 SSM-VO anzunehmen. 43

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der Prüfung Tatsachen bekannt werden, die eine Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks rechtfertigen, die den Bestand des Instituts gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können, die einen erheblichen Verstoß gegen die Vorschriften über Zulassungsvoraussetzungen sowie über den laufenden Geschäftsbetrieb darstellen oder die schwerwiegende Verstöße der Geschäftsleiter gegen Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag erkennen lassen. Auch insoweit werden mithin die Abschlussprüfer umfassend für die aufsichtliche Durchsetzung der Anforderungen des materiellen Aufsichtsrechts in die Pflicht genommen. Mit alledem entspricht § 29 Abs. 3 KWG den Empfehlungen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht zur Aufgabenwahrnehmung und Kommunikation durch die Abschlussprüfer von Kreditinstituten, die ebenfalls eine umfassende Prüfung auf bedeutsame Risiken und Rechnungslegungsfehler sowie „angemessene Reaktionen“ darauf vorsehen,48 allerdings ohne konkrete Anzeigepflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden zu definieren. Ergänzend greift eine Berichtspflicht nach Art. 12 der EU-Abschlussprüfer-VO ein, die aber inhaltlich nicht über die Vorgaben aus § 29 Abs. 3 KWG hinausgeht. Hinzuweisen bleibt schließlich auf das Recht der BaFin zur Festlegung besonderer Prüfungsinhalte und Schwerpunkte für die Pflichtprüfung nach §§ 29 Abs. 1 Satz 5, 30 KWG. Diese Vorschriften, die auf die 7. KWGNovelle von 2006 zurückgehen,49 erlauben die gezielte Einbeziehung weiterer Aspekte in die Pflichtprüfung, die für die aufsichtliche Überwachung von Bedeutung sind; sie ermöglichen es damit, Häufigkeit und Intensität von Sonderprüfungen zu reduzieren.50 Ebenfalls nur hinzuweisen ist auf die in § 29 Abs. 3 Satz 2 KWG angeordnete Pflicht der Prüfer, der BaFin oder Bundesbank auf Verlangen den Prüfungsbericht zu erläutern und sonstige bei der Prüfung bekannt gewordene Tatsachen mitzuteilen, die gegen eine ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte des Instituts sprechen. 2. Implikationen für das Pflichtenprogramm und Folgefragen Neben die Anforderungen an die Pflichtprüfung des allgemeinen Unternehmensrechts treten somit besondere, öffentlich-rechtliche Vorgaben, die der Effektuierung des materiellen Aufsichtsrechts durch Verbesserung der Informationsbasis für die Aufsichtsbehörden dienen und den Abschlussprüfer für die Durchsetzung der Regelungsziele der Bankenregulierung – 48 Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Externe Revision, a.a.O. (Fn. 25), Tz. 152 ff. sowie 167 ff. 49 A.a.O. (Fn. 37). 50 Auerbach, in: Schwennicke/Auerbach, a.a.O. (Fn. 35), § 30 KWG Rn. 2; SantarossaPreisler/Schaber, a.a.O. (Fn. 32), § 29 KWG Rn. 58 sowie § 30 KWG Rn. 2; Winter, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, a.a.O. (Fn. 19), § 30 KWG Rn. 1.

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Schutz der Systemstabilität und (indirekter) Einlegerschutz51 – in die Pflicht nehmen. Für den Abschlussprüfer erweitert sich damit die ihm im allgemeinen Unternehmensrecht zugewiesene Doppelrolle zu einem Dreieck: Neben die Adressaten der von ihm zu prüfenden Rechnungslegungsunterlagen (und damit in erster Linie die aktuellen und potentiellen Anleger in die von der Bank emittierten Eigenmittelinstrumente) und den Aufsichtsrat tritt die Aufsicht als Akteur, der auf die Qualität der vom Abschlussprüfer vorgelegten Informationen angewiesen ist. Die volle Dimension der damit begründeten Abhängigkeit führt der Umstand vor Augen, dass der Abschlussprüfer, wie gesehen, bereits im Rahmen der Pflichtprüfung gleich vierfach in die Durchsetzung der spezifisch aufsichtsrechtlichen Pflichten für Kreditinstitute einbezogen ist: durch die Prüfung der Einhaltung von Anzeigepflichten, durch die Verifikation der der Aufsicht vorzulegenden Rechnungslegungsunterlagen, durch die umfassende Verpflichtung zur Prüfung der Einhaltung zentraler Vorgaben des materiellen Aufsichtsrechts sowie durch Anzeige- und Meldepflichten gegenüber der Aufsicht, die neben die allgemeine Rede- und Warnpflicht nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB treten. Damit einher gehen für den Abschlussprüfer zwar nicht zwangsläufig Konflikte zwischen den Pflichten des allgemeinen Unternehmens- und den besonderen Anforderungen des Aufsichtsrechts. Doch sind die Regulierungsziele keineswegs identisch, was zu Spannungen im Zielprogramm führen kann: Mit der Prüfung und Validierung der Rechnungslegungsunterlagen ist das Mandat – insoweit nicht anders als für Unternehmen in nicht regulierten Branchen – zunächst auf die Informationsversorgung der (potentiellen) Eigen- und Fremdkapitalgeber bezogen.52 Geht es dabei um die Versorgung der Marktteilnehmer mit Informationen, die unmittelbar individuelle Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen und mittelbar auch die Überwachung der Geschäftsleitung des Emittenten ermöglichen soll,53 so erweitert sich aufgrund des § 29 Abs. 1 KWG der Fokus um die Wahrnehmung sonstiger Stakeholderinteressen. Beide Interessenssphären weisen zwar erhebliche Überschneidungen auf; aus der Perspektive des Aufsichtsrechts geht es indessen weniger um die retrospektive Bewertung der Ertragskraft im jeweiligen Geschäftsjahr als vielmehr um die Bewertung der nachhaltigen Bestandsfähigkeit, was zu Akzentverschiebungen im Prüfungsmaßstab führen kann.54 Das Pflichtenprogramm des Abschlussprüfers 51 Dazu und zum Zusammenhang zwischen beiden Zielen stellvertretend Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, a.a.O. (Fn. 19), Einführung Rn. 166 ff. 52 Jedenfalls aus der Perspektive des deutschen Rechts zu eng insoweit Singh, International Lawyer 47 (2013), 65, 70, der allein auf die Anteilseignerinteressen („shareholder value“) abstellt. 53 Vgl. zu den Publizitätszielen allgemein nach wie vor grundlegend Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 332 ff. („Publizität als Korrelat der Marktteilnahme“). 54 Insoweit zutr. Singh, Int‘l Law. 47 (2013), 65, 70 f.

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wird mithin durch das Aufsichtsrecht in jeder Hinsicht – sowohl im Hinblick auf den Prüfungsumfang als auch hinsichtlich der zu berücksichtigenden Interessen – im Vergleich mit dem allgemeinen Unternehmensrecht erheblich umgestaltet. Nicht anders als in anderen Bereichen des Finanzdienstleistungs-Unternehmensrechts ist zwar letztlich – hier konkret durch § 29 KWG – entschieden, dass die öffentlich-rechtlichen Vorgaben Vorrang vor konkurrierenden Pflichten des allgemeinen Unternehmensrechts beanspruchen. Doch wirft auch die „Umwidmung“ des allgemeinen Ordnungsrahmens für die Rolle der Abschlussprüfer an der Schnittstelle zwischen interner und externer Kontrolle der Geschäftsleitung die Frage auf, wie weit die damit verbundenen Verschiebungen im Pflichtenprogramm reichen – und inwieweit sich daraus Rückwirkungen für den materiellen Bezugspunkt der Pflichten im Spannungsfeld zwischen den Regelungszielen des allgemeinen Unternehmens- und den Schutzgütern des Aufsichtsrechts ergeben.55 Die Dimension der Einbindung des Abschlussprüfers in die Durchsetzung spezifisch aufsichtsrechtlicher Vorgaben, die mit den Anteilseignerinteressen und den Interessen der nach allgemeinem Unternehmensrecht geschützten Stakeholder nicht kongruent sein müssen, sticht dabei gerade deshalb ins Auge, weil sie sich auf die Pflichtprüfung und damit auf eine Tätigkeit bezieht, die auch bei Kreditinstituten allein auf der Basis des allgemeinen Prüfungsauftrags nach § 318 Abs. 1 HGB und damit auf der Grundlage eines privatrechtlichen Mandatsverhältnisses ausgeübt wird.56 Auch die Kosten für die erweiterte Prüfung tragen danach die Institute selbst;57 dies gilt auch für den Fall, dass die Aufsicht gem. §§ 29 Abs. 1 Satz 5, 30 KWG 55 Ein ähnliches Spannungsfeld lässt sich etwa für die aufsichtsrechtlichen Vorgaben an die Unternehmensorganisation diagnostizieren, bei denen ebenfalls Elemente des allgemeinen aktienrechtlichen Ordungsrahmens für die Durchsetzung spezifisch öffentlicher Schutzziele aktiviert werden; siehe dazu bereits Binder, Organisationspflichten und das Finanzdienstleistungs-Unternehmensrecht: Bestandsaufnahme, Probleme, Konsequenzen, ZGR 2015, 667 ff.; ders., Der Aufsichtsrat von Kreditinstituten drei Jahre nach dem „Regulierungstsunami“ – eine Bestandsaufnahme, ZGR 2018, 88 ff. Zum Spannungsfeld zwischen allgemeinem Unternehmens- und Aufsichtsrecht auch Langenbucher, Bausteine eines Bankgesellschaftsrechts: Zur Stellung des Aufsichtsrats in Finanzinstituten, ZHR 176 (2012), 652 ff.; Tröger, Konzernverantwortung in der aufsichtsunterworfenen Finanzbranche, ZHR 177 (2013), 475 ff.; monographisch bspw. Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, 2012; Thaten, Die Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht am Beispiel der Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2016. 56 Vgl. allgemein etwa Winter, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, a.a.O. (Fn. 19), § 28 KWG Rn. 10 ff.; zur – umstrittenen – Rechtsnatur des Vertrags zwischen Unternehmen und Pflichtprüfer etwa BGH, Urt. v. 1.2.2000 – X ZR 198/97, NJW 2000, 1107; Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 318 Rn. 26 („Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Inhalt hat“); Merkt, a.a.O. (Fn. 8), § 318 Rn. 3 („Geschäftsbesorgungsvertrag mit Werkvertragscharakter“), jeweils m.w.N. auch zu Gegenauffassungen. 57 Fischer/Boegl, a.a.O. (Fn. 22), § 132 Rn. 34.

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besondere Prüfungsinhalte und/oder -schwerpunkte vorgibt.58 Ebenso tragen sie im Übrigen gem. § 51 Abs. 3 KWG auch die Kosten für Sonderprüfungen nach § 44 KWG. In der Konstruktion eines privatrechtlichen und privat finanzierten Mandatsverhältnisses im Dienste der Bank als Grundlage für die Wahrnehmung öffentlicher Schutzinteressen ist mithin ein Spannungsverhältnis angelegt. Dieses ist zwar im Ausgangspunkt insofern mit dem allgemeinen Unternehmensrecht vergleichbar, als der Abschlussprüfer auch hier – wie ausgeführt – unstreitig nicht allein privatnützige, sondern zugleich öffentliche Aufgaben wahrnimmt.59 Ebenfalls strukturell mit der damit umrissenen Pflichtenstellung noch vereinbar ist die den aufsichtsrechtlichen Vorgaben implizit zugrunde gelegte Erwartung, der Abschlussprüfer müsse seine Aufgaben – im Interesse einer effektiven Wahrnehmung des öffentlichen Schutzauftrags – unabhängig von der geprüften Bank60 und mit einer kritischen Grundhaltung gegenüber den ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen61 ausüben. Auch nach allgemeinen Grundsätzen ist der Abschlussprüfer zur Unabhängigkeit verpflichtet (vgl. nur §§ 319, 319a HGB) und ist nicht etwa „Partner“ des Aufsichtsrats mit gleich gelagerten Interessen.62 Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass Art und Umfang der Aktivierung der Mandatstätigkeit als Informationsquelle für die Aufsicht nicht nur zu graduellen Verschiebungen im allgemeinen Pflichtenprogramm führen, sondern einen Strukturbruch darstellen. Anders als im allgemeinen Unternehmensrecht, das den Abschlussprüfer im Interesse der Anteilseigner und der unmittelbaren Stakeholder von Emittenten in die Pflicht nimmt, lässt sich seine durch das Aufsichtsrecht vorgegebene Funktion kaum treffend als die eines Bindeglieds zwischen externer und interner Corporate Governance63 qualifizieren. Zwar lässt § 29 KWG an sich die Aufgaben nach §§ 316 ff. HGB unberührt und muss daher das Prüfermandat bei Kreditinstituten insoweit auch den Anforderungen des allgemeinen Unternehmensrechts gerecht werden. Doch überwiegt die Bedeutung für die externe Überwachung durch Unterstützung der Aufsicht im Anforderungsprofil schon deshalb, weil sie – wie gesehen – mit einem deutlich erweiterten Spektrum an Prüfungsaufgaben einhergeht und weil die aufsichtsrechtlichen Pflichten im Zweifel Vorrang vor den aus dem Prüfungsauftrag resultierenden Anforderungen beanspruchen. Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ist angesichts der Verquickung von privatrechtlichem Mandat und 58

Vgl. Santarossa-Preisler/Schaber, a.a.O. (Fn. 32), § 29 KWG Rn. 58. Siehe nochmals oben sub I. bei und in Fn. 8. 60 Repräsentativ Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Externe Revision, a.a.O. (Fn. 25), Tz. 136 ff. 61 Ebd., Tz. 142 ff. 62 Stellvertretend Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 316 Rn. 35. 63 Siehe allgemein nochmals oben sub I. bei und in Fn. 6. 59

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Inpflichtnahme für den öffentlichen Schutzauftrag zu fragen, wie die Bedeutung der Abschlussprüfung für die Effektivität der Aufsicht wirksam abgesichert werden kann – und ob dafür das Sanktionssystem des allgemeinen Unternehmensrechts ausreicht. Auch dieses Problem ist keineswegs auf das deutsche Recht beschränkt, wie Paralleldiskussionen etwa für die Schweiz64 oder für das Vereinigte Königreich anschaulich illustrieren.65

III. Sanktionen bei fehlerhafter Prüfung 1. Zivilrechtliche Haftung a) Allgemeines Unternehmensrecht Unter den Sanktionen, die die Qualität der Abschlussprüfung absichern können und sollen, rückt naturgemäß zunächst die zivilrechtliche Haftung des Prüfers für fehlerhafte Prüfungsleistungen in den Blick. Dabei nimmt nicht wunder, dass Voraussetzungen und Reichweite der Abschlussprüferhaftung bereits im allgemeinen Unternehmensrecht seit langem intensiv diskutiert werden.66 Angesichts der Bedeutung der publizierten und vom Abschlussprüfer verifizierten Rechnungslegungsunterlagen für die Investitionsbzw. Desinvestitionsentscheidungen von Eigen- und Fremdkapitalgebern und, damit verknüpft, des Schädigungspotentials fehlerhafter Prüfungsleistungen liegt bei unbefangener Betrachtung die Annahme nicht fern, eine möglichst scharfe Haftung sei gleich in doppelter Hinsicht rechtspolitisch geboten: unter dem Gesichtspunkt der Kompensationsfunktion von Schadensersatz ebenso wie mit Blick auf die mit der Haftungssanktion verknüpfte, auf die Anreizstruktur der Prüfer abzielende Präventivfunktion. So einfach liegen die Dinge indessen schon für das allgemeine Unternehmensrecht nicht. Dort sieht § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB bekanntlich zwar einerseits eine eigenständige Anspruchsgrundlage für die Haftung des Abschluss64 Vgl. nochmals Dewing/Russell, Eur. Acc. Rew. 21 (2012), 1 ff.; Hüpkes, J. Banking Reg. 7 (2006), 145 ff. 65 Vgl. nochmals FSA, a.a.O. (Fn. 30), Rn. 4.32 ff. und dazu Singh, Int’l Law. 47 (2013), 65, 72 ff. 66 Monographisch etwa Grotheer, Die Verantwortung des Wirtschaftsprüfers für fehlerhafte Kapitalmarktinformation, 2011; Halbleib, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Anlegern am Kapitalmarkt, 2010; Heukamp, Abschlussprüfer und Haftung, 2000; Leyens, a.a.O. (Fn. 6), S. 405 ff.; Mirtschink, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Dritten, 2006; Richter, Die Dritthaftung der Abschlussprüfer, 2005; Schattka, Die Europäisierung der Abschlussprüferhaftung, 2012; grundlegend (und in der Tendenz zurückhaltend) schon Ebke, Wirtschaftsprüfer und Dritthaftung, 1983; siehe auch den umfassenden Rechtsvergleich bei Doralt, Die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers, ZGR 2015, 266 ff.

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prüfers vor, doch wird die Haftung für fahrlässige Pflichtverletzungen in Abs. 2 der Bestimmung drastisch beschränkt: auf einen Gesamtbetrag von 1 Mio. Euro für eine Prüfung (Satz 1) bzw. 4 Mio. Euro bei der Prüfung von Aktiengesellschaften, deren Aktien zum Handel zum regulierten Markt zugelassen sind (Satz 2). Die Einzelheiten der Haftung gegenüber der Gesellschaft sind im hier gesetzten Rahmen nicht weiterzuverfolgen.67 Festzuhalten ist jedoch, dass der Ersatzanspruch nach § 323 Abs. 1 HGB ausdrücklich auf die geprüfte Gesellschaft (und ggf. geschädigte mit ihr verbundene Unternehmen) begrenzt ist, was einer für den Prüfer unkalkulierbaren Ausdehnung seines Haftungsrisikos vorbeugen soll.68 Schon mit Blick auf diesen Regelungszweck wird eine Erstreckung der Vorschrift auf die Haftung gegenüber sonstigen nicht am Mandatsverhältnis beteiligten Dritten, insbes. gegenüber Gesellschaftern, Anlegern, Gläubigern oder dem Fiskus, im Wege der Analogie oder gar der erweiternden Auslegung einhellig abgelehnt.69 Nach wie vor kontrovers beurteilt wird demgegenüber bekanntlich, ob und inwieweit aus der dem § 323 HGB zugrunde liegenden restriktiven Grundhaltung des Gesetzgebers gegenüber einer als ausufernd empfundenen Haftung des Abschlussprüfers gegenüber Dritten Schranken auch für (quasi-)vertragliche bzw. deliktische Haftungsgrundlagen abzuleiten sind. Die bereits seit langer Zeit intensiv geführte Diskussion um eine Dritthaftung70 der Abschlussprüfer ist sattsam bekannt und hier nur mehr in knappen Grundzügen in Erinnerung zu rufen: Im Anwendungsbereich des § 323 HGB, also bei der Pflicht-Abschlussprüfung, wird bei fahrlässig verursachten Prüfungsfehlern weder eine vertragliche Haftung – mangels rechtsgeschäftlichen Kontakts zwischen dem Prüfer und den geschädigten Dritten, welcher die Annahme eines (ggf. konkludent geschlossenen) Auskunftsvertrags tragen könnte71 – noch eine deliktische Haftung mit Blick auf die Schranken des § 823 BGB72 67 Siehe dazu stellvertretend etwa Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 22 ff.; Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 30 ff. 68 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 260; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.1998 – 8 U 59/98, NZG 1999, 901, 903; Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 52. 69 Neben den Nachw. vorige Fn. etwa Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 148 ff.; Merkt, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 8; Schmidt/Feldmüller, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl. 2020, § 323 Rn. 171; eingehend Mirtschink, a.a.O. (Fn. 66), S. 52 ff. und bereits Heukamp, a.a.O. (Fn. 66), S. 288 ff. 70 Formulierung nach Ebke, a.a.O. (Fn. 66). 71 Dazu stellvertretend Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 87, 124 ff.; Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 55; Schmidt/Feldmüller, a.a.O. (Fn. 69), § 323 Rn. 210 ff. Vgl. exemplarisch auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.6.2009 – I-23 U 108/08, WM 2009, 2375, 2376 f. 72 Kein Schutz für reine Vermögensschäden; i.d.R. kein Verstoß gegen relevante Schutzgesetze, insbes. § 332 HGB; siehe dazu stellvertretend etwa Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 92 ff.; Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 55; Schmidt/Feldmüller, a.a.O. (Fn. 69), § 323 Rn. 172 ff.; Mirtschink, a.a.O. (Fn. 66), S. 129 ff., jeweils m.w.N.

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bzw. des § 826 BGB73 in Betracht kommen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat vor diesem Hintergrund – und außerhalb der Fälle einer Haftung wegen fehlerhaften Prospekts74 – wiederholt eine begrenzte Dritthaftung auf der dogmatischen Grundlage eines Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter diskutiert und damit eine Sperrwirkung des § 323 HGB für eine vertragliche Dritthaftung abgelehnt,75 aber den Kreis der potentiell Schutzberechtigten stets eng gezogen und zudem ausdrücklich betont, dass die „in § 323 HGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Intention, das Haftungsrisiko des Abschlussprüfers angemessen zu begrenzen“, auch im Rahmen der Dritthaftung zu „beachten“ sei.76 Umstritten sind nicht nur die Rechtsgrundlage der Haftung77 sowie die Erstreckung der Haftungsbeschränkung aus § 323 HGB auch hierauf,78 sondern bereits die Grundsatzentscheidung, § 323 HGB keine umfassende Sperrwirkung für eine an die Schlechterfüllung der Pflichten aus dem Prüfauftrag anknüpfende Haftung zu entnehmen.79 Betrachtet man die zum allgemeinen Unternehmensrecht entwickelten Grundsätze über die Dritthaftung der Abschlussprüfer (sowie der im Rahmen sonstiger, insbes. freiwilliger Prüfungen mandatierten Prüfer), ist nach alledem auch ohne die im hier gesetzten Rahmen nicht zu leistende Aufarbeitung weiterer Details unter funktionsdogmatischen Gesichtspunkten ein eher verhaltenes Fazit festzuhalten: Die gesetzliche Abschlussprüferhaftung 73 Dazu wiederum stellvertretend Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 104 ff.; Habersack/ Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 69 f.; Schmidt/Feldmüller, a.a.O. (Fn. 69), § 323 Rn. 183 ff.; Mirtschink, a.a.O. (Fn. 66), S. 141 ff., jeweils m.w.N. 74 Dazu stellvertretend Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 63 f. (spezialgesetzliche Prospekthaftung), 65 f. (allgemeine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung); Schmidt/Feldmüller, a.a.O. (Fn. 69), § 323 Rn. 230 ff.; siehe auch bereits Hopt, FS Pleyer, 1986, S. 341, 353 ff. 75 Vgl. BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 260 ff. (Pflichtprüfung, dazu eingehend und kritisch etwa Ebke, JZ 1998, 991 ff.); Urt. v. 15.12.2005 – III ZR 424/04, WM 2006, 423, 425 (freiwillige Prüfung); Urt. v. 6.4.2006 – III ZR 2546/04, BGHZ 167, 155, 160 ff. (wiederum Pflichtprüfung); vgl. auch BGH, Beschl. v. 30.10.2008 – III ZR 307/07, NJW 2009, 512; Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12, 17; zur Entwicklung auch der instanzgerichtlichen Rechtsprechung näher Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 132 ff., zur neueren obergerichtlichen Judikatur Rn. 144 m.w.N. 76 BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 262; Urt. v. 6.4.2006 – III ZR 2546/04, BGHZ 167, 155, 163. 77 Kritisch etwa Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 57, die sich stattdessen für eine Heranziehung des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB aussprechen; zu sonstigen neueren Begründungsansätzen im Überblick (mit durchweg kritischer Bewertung) etwa Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 168 ff. Siehe zudem die Nachw. oben Fn. 66, jeweils passim. 78 Wiederum exemplarisch Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 61; Mirtschink, a.a.O. (Fn. 66), S, 219 ff., jeweils m.w.N.; siehe auch bereits Hopt, FS Pleyer, 1986, S. 341, 355 („unrealistisch niedrige Haftungsobergrenze“); vgl. insoweit auch Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 159 (m.w.N. zur insoweit uneinheitlichen obergerichtlichen Judikatur). 79 Eingehend etwa Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 148 ff.

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fällt angesichts der in § 323 HGB gezogenen Schranken sowohl im Hinblick auf den Adressatenkreis als auch in quantitativer Hinsicht moderat aus; dass damit eine nennenswerte präventive Steuerungsfunktion verbunden wäre, lässt sich (auch mit Blick auf die vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung, vgl. § 54 WPO) kaum behaupten.80 Auch die Kompensationsfunktion der Haftung steht schon angesichts der niedrigen gesetzlichen Haftungshöchstgrenze im Zweifel; stellt man auf das Ausmaß möglicher Schäden infolge von Investitionsentscheidungen ab, die Dritte im Vertrauen auf das Prüfungsergebnis erleiden, gilt dies erst recht, wenn man diese Grenze auch auf Fälle der Dritthaftung außerhalb des Anwendungsbereichs des § 323 HGB anwenden will. Die damit gezogenen Schranken für die Haftungssanktion nicht nur für den potentiell geschädigten Emittenten, sondern auch für ggf. betroffene Stakeholder mag man, je nach rechtspolitischem Standpunkt, bedauern81 oder begrüßen;82 als Instrument zur Absicherung der Gatekeeperfunktion des Wirtschaftsprüfers spielt die Haftung jedenfalls de lege lata83 allenfalls eine sehr begrenzte Rolle.84 b) Haftung für fehlerhafte Prüfung im Anwendungsbereich der besonderen Vorgaben des Aufsichtsrechts Angesichts der durch das Aufsichtsrecht noch beträchtlich erweiterten Prüfungspflichten im Hinblick auf finanzierungs- und organisationsbezogene Anforderungen des Bankaufsichtsrechts und der Einbindung des Prüfers in die aufsichtliche Überwachung der Institute muss die Frage nach Grundlage, Reichweite und Schranken der Haftung für die damit umrissenen Aufgaben neu gestellt werden. Prima facie drängt sich die Annahme auf, auch und erst recht hier müssten mit der teilweisen Verlagerung der Normdurchsetzungskompetenz von der Aufsichtsbehörde auf den Prüfer scharfe Haftungssanktionen einhergehen. Dagegen lässt sich kaum einwenden, dass der Prüfer insoweit funktional Aufgaben der Staatsaufsicht wahrnimmt, für die 80

Insoweit übereinstimmend bspw. auch Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 162. Dezidiert für eine Verschärfung der Dritthaftung etwa Heppe, Nach dem Vertrauensverlust – Ist es an der Zeit, die Dritthaftung deutscher Abschlussprüfer zu verschärfen?, WM 2003, 714 ff./753 ff.; siehe auch Heukamp, Brauchen wir eine kapitalmarktrechtliche Dritthaftung von Wirtschaftsprüfern?, ZHR 169 (2005), 471 ff., insbes. 483 ff.; siehe zum Streitstand nochmals auch die Nachw. oben Fn. 66, darunter insbes. Schattka, S. 282 ff. und passim. 82 Siehe nochmals Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 148 ff.; mit kritischer Grundtendenz auf der Basis einer rechtsökonomischen Analyse in jüngerer Zeit bspw. auch Grotheer, a.a.O. (Fn. 66), S. 157 ff. 83 Zur rechtspolitischen Diskussion de lege ferenda auf nationaler und internationaler Ebene neben den Nachw. Fn. 66 eingehend Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 242 ff. (europäische Entwicklung). 84 Vgl. zum Ganzen auch die bedenkenswerten Überlegungen zur Weiterentwicklung der Haftungssanktion de lege ferenda bei Leyens, a.a.O. (Fn. 6), S. 552 ff. 81

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der Staat selbst – wegen § 4 Abs. 4 FinDAG, nach dem die Aufsicht ihre Aufgaben ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnimmt85 – nicht haften würde.86 Den Prüfer, der ja gerade aufgrund seiner besonderen Sachkenntnis und Sachnähe in die Pflicht genommen wird, bereits deshalb von vornherein umfänglich von der Haftung für Pflichtverletzungen auszunehmen, lässt sich schon mit Blick auf sein eigenes Vergütungsinteresse nicht überzeugend begründen. Auch internationale Standards zu den Funktionen und zum Stellenwert des Prüfers für eine effektive Bankenaufsicht gehen ohne weiteres von einer Haftung der Wirtschaftsprüfer für Prüfungsfehler im Zusammenhang mit den aufsichtsrechtlichen Pflichten aus.87 Das Aufsichtsrecht selbst klärt Voraussetzungen und Grenzen einer Prüferhaftung indessen nur rudimentär, nämlich insoweit, als nach § 29 Abs. 3 Satz 4 KWG der Prüfer nicht für die in gutem Glauben erfolgte Weiterleitung von Informationen an die Aufsicht haftet. Tatsächlich liegen die Dinge komplizierter als im allgemeinen Unternehmensrecht, weil die – wie gesehen – ohnedies nur begrenzt eindeutigen allgemeinen Rechtsgrundlagen, insbes. § 323 HGB, bei regulierten Banken auf ein ungleich komplexer gelagertes Spektrum an Akteuren und Interessen treffen. Dabei ist zwischen den auf die Pflichtprüfung bezogenen Prüfungsund Berichtspflichten nach §§ 29 und 30 KWG einerseits und der Mandatierung von Wirtschaftsprüfern durch die Aufsicht im Einzelfall andererseits zu unterscheiden: Während bei ersteren das – gegenüber dem allgemeinen Unternehmensrecht stark erweiterte – Pflichtenprogramm an den Prüfungsauftrag nach § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB anknüpft und somit zivilrechtlich auf demselben Fundament steht wie die Pflichten nach allgemeinem Unternehmensrecht,88 handelt der Prüfer im Rahmen einer Sonderprüfung nach § 44 KWG auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses mit der Aufsichtsbehörde und damit in einem im allgemeinen Unternehmensrecht gar nicht vorgesehenen Mandatsverhältnis.89 Unabhängig davon ist der Kreis der durch Pflichtverstöße des Prüfers geschädigten Personen noch weiter gezogen als bei Pflicht- oder freiwilligen Prüfungen außerhalb der regulierten 85 Vgl. dazu nur Binder, Staatshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht gegenüber Bankeinlegern?, WM 2005, 1781 ff. 86 In diese Richtung aber – nicht überzeugend – BGH, Urt. v. 7.5.2009, BGHZ 181, 12, 20. 87 Basler Ausschuss, Externe Revision, a.a.O. (Fn. 25), Tz. 50. 88 Oben sub I. bei und in Fn. 19. 89 Die Rechtsnatur der Beziehung zwischen Aufsicht und Prüfer bei Sonderprüfungen ist nicht abschließend geklärt; die höchstrichterliche Rechtsprechung geht implizit (überzeugend) von einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis und mithin wohl von der gleichen Einordnung wie bei sonstigen Prüfungsaufträgen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 323 HGB aus (vgl. BGH, Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12, 15; ausdrücklich offenlassend dagegen noch die Instanzentscheidung OLG Stuttgart, Urt. v. 13.5.2008 – 12 U 132/07, WM 2008, 1303, 1304).

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Finanzbranche. Er umfasst hier nicht nur die Anteilseigner und Gläubiger des geprüften Unternehmens (hier insbes. die Einleger), sondern alle Akteure, deren Interessen durch von der Insolvenz einer Bank ausgehende Ansteckungseffekte beeinträchtigt werden könnten – nicht nur die Marktteilnehmer selbst (Zentralbanken, andere Intermediäre, Betreiber der Finanzmarktinfrastruktur), sondern potentiell letztlich jeden Teilnehmer am Finanz- und Wirtschaftsverkehr. Aus haftungsrechtlicher Perspektive kann damit die Einbindung von Wirtschaftsprüfern in die Informationsversorgung der Bankenaufsicht noch stärker als im allgemeinen Unternehmensrecht zu kaum vorhersehbaren Massenschäden führen – und damit zu exakt jenem Problem, das die Diskussion um eine Begrenzung der Abschlussprüferhaftung im Hinblick auf den begünstigten Personenkreis sowie auf Haftungsobergrenzen seit jeher befeuert und entsprechende Abstriche bei der Kompensationsfunktion der Haftung in Gestalt der Schranken aus § 323 Abs. 1 und 2 HGB motiviert hat.90 Mit Blick auf die kaum kontrollierbare Ausweitung des Kreises möglicher Betroffener zumindest bei systemrelevanten Banken, deren Größe, Marktposition und Vernetzung mit anderen Finanzmarktteilnehmern bei einem Zusammenbruch zur „Ansteckung“ des gesamten Sektors und damit zur Beeinträchtigung der Finanzmarktstabilität führen könnte,91 lassen sich Beschränkungen für die Prüferhaftung bei Banken rechtspolitisch tendenziell noch leichter rechtfertigen als außerhalb des regulierten Sektors: Zwar besteht in der Tat auch und gerade hier ein öffentliches Interesse an einer pflichtgemäßen Berufsausübung, das im Ausgangspunkt für scharfe Haftungssanktionen streitet. Doch droht eine unbeschränkte – und damit auch nicht versicherbare92 – Haftung nicht nur den Prüfer von vornherein zu überfordern, sondern liefe eben deshalb angesichts der Vielzahl Geschädigter und der Höhe der ihnen entstandenen Vermögensschäden auch die Kompensationsfunktion der Schadensersatzhaftung notwendigerweise leer.93 Überzeugende Lösungen sind hier nicht ohne weiteres auf der Basis der zur Fahrlässigkeits-Dritthaftung im allgemeinen Unternehmensrecht entwi90

Vgl. nachdrücklich etwa Ebke, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 170; siehe nochmals auch die eingehende ökonomische Analyse bei Schattka, a.a.O. (Fn. 66), S. 264 ff.; vgl. zur ökonomischen Rechtfertigung einer Dritthaftung (differenzierend) auch Leyens, a.a.O. (Fn. 6), S. 419 ff. 91 Vgl. zu den Determinanten von Systemrelevanz statt vieler Mülbert, Systemrisiko, in: FS U.H. Schneider, 2011, S. 855 ff.; Schwarcz, Systemic Risk, Georgetown Law Journal 97 (2008), 193 ff.; zusf. Mendelsohn, Systemrisiko und Wirtschaftsordnung im Bankensektor, 2018, S. 108 ff. 92 Zur Versicherbarkeit als Kriterium für die Risikozuweisung besonders BGH, Urt. v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, BGHZ 159, 1, 9 (für eine Grundstückswertbegutachtung, aber verallgemeinerungsfähig). 93 Vgl. allgemein abermals etwa Schattka, a.a.O. (Fn. 66), S. 264 ff.

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ckelten Grundsätze realisierbar. Dort hat die Rechtsprechung den Kreis der Geschädigten und damit die Dimension der Prüferhaftung vor allem durch eine restriktive Auslegung des Prüfermandats im Hinblick auf den Kreis der in den Schutzbereich einbezogenen Personen(-gruppen) zu steuern versucht und auf das dem Prüfer erkennbare „Einbeziehungsinteresse“ des Auftraggebers abgestellt.94 Überträgt man diesen Ansatz auf die Prüferhaftung im Anwendungsbereich des § 29 KWG und legt die für die Rechtsprechung charakteristische restriktive Auslegungstendenz zugrunde, wird sich eine allein auf die im öffentlichen Interesse angeordnete Erweiterung der Prüfungsgegenstände gestützte Ausdehnung des Kreises möglicher Anspruchsberechtigter kaum begründen lassen. Dass der Abschlussprüfer nur deshalb auch für mögliche Schäden etwa von Bankeinlegern oder anderer Geschäftspartner der Bank einzustehen bereit wäre, weil er hier gesetzlich mit einem erweiterten Prüfungsauftrag konfrontiert und in die Informationsversorgung der Aufsicht eingebunden wird, überzeugt nicht. Insofern gilt nichts anderes als im allgemeinen Unternehmensrecht, wo etwa eine Einbeziehung von Kreditgebern in den Schutzbereich des Prüfungsauftrags nachvollziehbar abgelehnt worden ist.95 Doch können sich im besonderen institutionellen Gefüge der Bankenregulierung im Einzelfall durchaus klar vorhersehbare Schadensszenarien realisieren. Hier ließe sich eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Prüfermandats nicht nur bei Sonderprüfungen, sondern bereits im Rahmen der Aufgaben nach § 29 KWG ohne weiteres begründen, wenn man die von der Rechtsprechung formulierten Kriterien für die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich von Verträgen beim Wort nimmt. Zu denken ist an (freiwillige oder gesetzliche) Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungseinrichtungen, aber auch an die nach der Krise neu eingeführten Abwicklungsfinanzierungssysteme, darunter insbesondere den Einheitlichen Abwicklungsfonds auf europäischer Ebene. Selbst hier ist allerdings absehbar, dass die Inanspruchnahme von Wirtschaftsprüfern de lege lata auf massive Probleme stoßen wird. Exemplarisch dafür steht eine – sehr angreifbare – Entscheidung des III. Zivilsenats des BGH aus dem Jahre 2009, die im Falle Phoenix Kapitaldienste GmbH eine Einbeziehung der gesetzlichen Anlegerentschädigung in den Schutzbereich eines Prüfungsauftrags nach § 44 KWG abgelehnt hatte, obwohl den Beteiligten im konkreten Fall die Bedeutung der Prüfung auch für den Selbstschutz der Entschädigungseinrichtung vor Augen gestanden hatte.96 Auch dabei spielte erkennbar die Sorge vor einer 94 Vgl. nochmals BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, 262 f.; Urt. v. 6.4.2006 – III ZR 2546/04, BGHZ 167, 155, 164 ff. 95 Eingehend OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.6.2009 – I-23 U 108/08, WM 2009, 2375, 2377 f. 96 BGH, Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 ff.; dazu neben der kritischen Anm. von Köndgen, JZ 2010, 418 ff. eingehend Binder, Aufsicht, Entschädigungseinrichtungen und Sonderprüfer: Kooperationsdreieck mit Haftungsbefreiung?, WM 2010, 145 ff.

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Überbelastung der Prüfer angesichts der Dimension der Schäden eine gewichtige Rolle.97 Schwer zu konstruieren wäre eine Prüferhaftung in derartigen Fällen allerdings auch (und erst recht) auf der Grundlage einer Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB,98 die ja jedenfalls dem Wortlaut nach explizit auf Vertragsverhandlungs- bzw. Vertragsschlusskonstellationen bezogen ist. Selbst wenn man die Haftung dem Grunde nach bejahte, wäre überdies erneut zu diskutieren, ob die Haftungshöchstgrenzen aus § 323 Abs. 2 HGB auch in diesem Zusammenhang heranzuziehen wären. Für freiwillige Abschlussprüfungen und sonstige Dienstleistungen gegenüber Dritten sollen sie nicht zur Anwendung kommen;99 richtigerweise wird man Gleiches für die Verletzung der Pflichten gegenüber der Aufsicht anzunehmen haben. Fällt schon im allgemeinen Haftungsrecht die Reichweite der Haftungssanktion letztlich hinter die Bedeutung zurück, die Prüfungsfehler für die Disposition von Anteilseignern und Stakeholdern der geprüften Unternehmen haben, so gilt dieser Befund für die Bankenprüfung nach alledem auch und erst recht sowohl im Anwendungsbereich des § 29 KWG als auch bei Sonderprüfungen nach § 44 KWG. Auch und erst recht hier können sich Stakeholder, die auf die pflichtgemäße Mandatserfüllung vertraut haben, nicht darauf verlassen, schuldhaft pflichtwidrig handelnde Prüfer zum Ersatz der ihnen ggf. entstandenen Schäden heranziehen zu können.

2. Andere Sanktionen Für das regulierte Kreditwesen – im Ausgangspunkt ebenso wie für das allgemeine Unternehmensrecht – können die oben festgestellten Sanktionsdefizite nur durch Restriktionen und Überwachungsmechanismen des Berufsrechts, hier: der WPO, und regulatorische Vorgaben ausgeglichen werden, wie sie die EU-Abschlussprüfer-VO nicht nur für die Prüfung von Kreditinstituten, sondern für alle Unternehmen von besonderem öffentlichen Interesse setzt.100 Hinsichtlich der hier nicht im Einzelnen zu entfaltenden Anforderungen ist auf die einschlägige Literatur zu verweisen.101 Auffällig ist allerdings die Zurückhaltung, die das deutsche Aufsichtsrecht 97

BGH, a.a.O., S. 25. Siehe nochmals oben sub a) Fn. 77. 99 Z.B. Habersack/Schürnbrand, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 71 f.; Merkt, a.a.O. (Fn. 8), § 323 Rn. 8 f. 100 Siehe dazu bereits oben sub I. bei und in Fn. 14. 101 Vgl. nochmals nur Leyens, a.a.O. (Fn. 6), S. 557 ff.; zur EU-Abschlussprüfer-VO nochmals stellvertretend Hopt, ZGR 2015, 186, 187 ff.; zur Umsetzung im und zu den Implikationen für den auch insoweit gleichgelagerten Versicherungssektor instruktiv Bürkle, Die Neuregelungen zur Abschlussprüfung bei Versicherungsunternehmen aus Sicht des Aufsichtsrats, VersR 2016, 1145 ff. 98

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im Hinblick auf spezifische Überwachungs- bzw. Sanktionskompetenzen der Finanzaufsicht gegenüber den mit der Bankenprüfung befassten Wirtschaftsprüfern prägt. Symptomatisch dafür steht das Fehlen besonderer Ordnungswidrigkeiten- bzw. gar Straftatbestände für die Verletzung der Pflichten aus § 29 KWG; auch ein Rechtsrahmen für die Kooperation zwischen Finanz- und Berufsaufsicht fehlt. Das autonome deutsche Recht beschränkt die Rolle der Bankenaufsicht vielmehr traditionell darauf, ggf. den Widerruf der Bestellung des seitens des Kreditinstituts gewählten Pflichtprüfers bzw. einen Prüferwechsel zu verlangen (§ 29 Abs. 1 KWG). Auch dieser Selbstbeschränkung mag die Vorstellung zugrunde liegen, die Erwartung einer künftigen Nichtberücksichtigung bei Bankenprüfungen sei mit ausreichenden Anreizen zur pflichtgemäßen Mandatsausübung unter Beachtung der besonderen gesetzlichen Anforderungen verbunden.102 Überzeugend ist diese Sichtweise indessen weder mit Blick auf die oligopolistischen Strukturen im Markt für Wirtschaftsprüfungsdienstleistungen noch angesichts des Schädigungspotentials gerade für institutionelle Teile des Sicherungsnetzes für das Kreditwesen wie Einlagen- und Anlegerentschädigungseinrichtungen oder Abwicklungsfinanzierungssysteme.

IV. Die Rolle der Wirtschaftsprüfer in der Corporate Governance von Kreditinstituten: eine skeptische Zusammenschau Insgesamt hinterlässt die Untersuchung damit ein zwiespältiges Bild: Wirtschaftsprüfer sind seit langem in doppelter Weise in die Corporate Governance von Kreditinstituten eingebunden – einerseits agieren sie im Rahmen der Pflichtprüfung und sind insoweit den allgemeinen unternehmensrechtlichen Grundsätzen und Regelungen unterworfen, andererseits werden sie durch verschiedene aufsichtsrechtliche Bestimmungen für die Überwachung der Institute und die Durchsetzung aufsichtsrechtlicher Vorgaben im öffentlichen Interesse in die Pflicht genommen. Die besonderen aufsichtsrechtlichen Pflichten des Abschlussprüfers bilden damit ein Beispiel für die Umgestaltung von Vorgaben des allgemeinen Unternehmensrechts zur Durchsetzung der besonderen Schutzziele der Bankenregulierung; wie auch in anderen Fällen des Banken-Unternehmensrechts stellt sich die Frage, welche Implikationen sich daraus für die Pflichtrichtung und für mögliche Haftungsfolgen pflichtwidrigen Verhaltens ergeben. Im Ausgangspunkt ähnlich wie im allgemeinen Unternehmensrecht bleibt die Haftungssanktion hinter den angesichts dieser Bedeutung geweckten Erwartungen zurück. Erfüllt der Prüfer seine gesetzlichen Pflichten fahrlässig nicht ausreichend und 102 Vgl. in diesem Sinne allgemein wiederum BGH, Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12, 22.

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bleiben damit Krisenanzeichen unentdeckt, können weder Institutionen wie Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungseinrichtungen noch sonstige Stakeholder damit rechnen, für ggf. entstandene Schäden Regress nehmen zu können. Angesichts der Bedeutung der Prüfer für die effektive Wahrnehmung des öffentlichen Schutzauftrags ist dies zumindest zweifelhaft. Sowohl Reichweite und Grenzen einer Dritthaftung für den Anwendungsbereich der aufsichtsrechtlichen Prüferpflichten als auch die Verzahnung von Finanz- und Berufsaufsicht (letztere: jenseits der Vorgaben der EUAbschlussprüfer-Verordnung) sind im autonomen deutschen Recht bislang weitgehend brachliegende Felder, die angesichts der wichtigen Rolle der Wirtschaftsprüfer als Element der Corporate Governance dringend – und sinnvollerweise unter Ausnutzung rechtsvergleichender Erfahrungen – bestellt gehören.

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Corporate Social Responsibility als Instrument guter Corporate Governance Hans-Joachim Böcking und Carolin Althoff

Corporate Social Responsibility als Instrument guter Corporate Governance HANS-JOACHIM BÖCKING

UND

CAROLIN ALTHOFF

I. Einleitung: CSR – Die Revolution des unternehmerischen Gesamtbildes Ein Richterspruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen den Vorausdenker seiner Zeit – Henry Ford – würde in der gegenwärtigen Debatte um die unternehmerische Verantwortung (Corporate Social Responsibility [CSR])1 wohl die Diskussion befeuern. Der Angeklagte CEO der Ford Motor Company, der einer Expansionsstrategie folgend Gewinne reinvestieren wollte, um die Beschäftigtenzahl ausweiten und den größtmöglichen gesellschaftlichen Nutzen bewirken zu können, verlor gegen einige Aktionäre, die ihn aufgrund mangelnder Gewinnausschüttung verklagten.2 Der Richterspruch ließ verlauten: „A business corporation is organized and carried on primarily for the profit of the stockholders.“3 Die Ford Motor Company wurde veranlasst eine Dividende in Höhe von nahezu $ 20 Millionen zu zahlen.4 Dem kurzfristigen Profitgedanken der Aktionäre wurde gegenüber der langfristigen Unternehmensausrichtung Vorrang gewährt. 5 1 Der Begriff der CSR steht im vorliegenden Beitrag als stellvertretender Oberbegriff für die folgenden verwandten Begrifflichkeiten: Business Responsibility, Corporate Accountability, Corporate Citizenship, Corporate Sustainability, Environmental/Social/Governmental (ESG). Jene Begrifflichkeiten erheben allesamt den Anspruch, wenngleich mit strukturellen und konzeptionellen Unterschieden, das Phänomen der unternehmerischen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu beschreiben; vgl. dazu umfassend Garriga/Melé (Journal of Business Ethics, 2004), S. 51. 2 Vgl. Dodge et al. vs. Ford Motor Co. et al., 204 Mich. 459, 170 N.W. 668–685 (1919). 3 Dodge et al. vs. Ford Motor Co. et al., 204 Mich. 459, 170 N.W. 668, 684 (1919). 4 Vgl. Dodge et al. vs. Ford Motor Co. et al., 204 Mich. 459, 170 N.W. 668, 677 (1919). 5 Während die Maximierung des Shareholder Values heutzutage nach wie vor ein wichtiges Ziel für Unternehmen darstellt, erkennen Unternehmen und Investoren die Bedeutung einer langfristigen Perspektivenausrichtung und Wertschöpfung an. Dissens herrscht hingegen bei der Erfolgsmessung dieser generierten Werte. Vgl. dazu ausführlich Coalition for Inclusive Capitalism (2018), S. 1–120, sowie die 2019 ins Leben gerufene Initiative der „Value Balancing Alliance“, Internet: https://www.value-balancing.com/ Abruf: 5.12.2019.

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Für den damaligen Zeitgeist ist das verantwortungsbewusste – wenngleich strategisch geprägte – Verhalten Fords als Novum zu bezeichnen.6 Jedoch trifft es grundsätzlich den Kern heutigen Empfindens und beantwortet die Frage nach dem raison d’être7 eines Unternehmens: Die gesellschaftliche Akzeptanz von Unternehmen begründet sich heutzutage mitnichten anhand der ausschließlichen Fokussierung auf die kurzfristige, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.8 Hingegen erlangt die einst nachrangige soziale und ökologische Verantwortungswahrnehmung zunehmend eine gleichrangige Stellung neben den wirtschaftlichen Zielen unternehmerischen Handelns.9 Auf europäischer Ebene wurde der Gedanke der unternehmerischen Verantwortung durch die CSR-Richtlinie (CSR-RL) der Europäischen Union aus dem Jahr 2014 gestärkt10 und findet durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) Eingang in das deutsche Gesetz.11 Durch den europäischen Gesetzgeber werden nunmehr die Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales in den Verantwortungsbereich unternehmerischer Führung und Überwachung (Corporate Governance)12 gerückt und führen zu einem Anspruch auf Synthese jener Teilbereiche.13 Die Übernahme der Verantwortung für unternehmerische Auswirkungen auf die Gesellschaft wird hierbei nicht länger als eine unwirtschaftliche Nebentätigkeit von Unternehmen angesehen.14 Eingebettet in die Unternehmensstrategie können Aspekte der CSR sogar zu einem zentralen Erfolgstrei6 Vgl. Lee (IJMR, 2008), S. 54; Wang (Chinese Strategic Decision-making on CSR, 2015), S. 7. 7 Die unternehmerische Daseinsberechtigung stützt sich auf einen tief verankerten unternehmerischen Zweck sog. „Purpose“; zur ausführlichen Herleitung des Begriffs Mayer (Oxford Review of Economic Policy, 2017), S. 159–162; Fleischer (AG, 2017), S. 510–517, der das Feld der CSR-Forschung mit einer orientierenden Bestandsaufnahme aus rechtwissenschaftlicher Sicht beleuchtet. 8 Vgl. Hommelhoff (FS Frhr. v. Hoyningen-Huene, 2014), S. 140–141; hierzu grundlegend auch Hopt (FS Stein, 1984), S. 1338–1363. 9 Vgl. Fink (2019), S. 1 „Profits are essential if a company is to effectively serve all of its stakeholders over time – not only shareholders, but also employees, customers, and communities.“ 10 Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, Abl. EU 2014, L 330, S. 1–9. 11 Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 11.4.2017, BGBl. I S. 802–814. 12 Vgl. zur unternehmerischen Führung und Überwachung grundlegend Hopt (Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, Research Paper Series No. 19/11, 2018), S. 269–282; zur unternehmerischen Mitverantwortung des Aufsichtsrats vgl. auch Hopt (Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, Research Paper Series No. 19/17, 2019), S. 507–543. 13 Vgl. zum Konzept der „Triple Bottom Line“ grundlegend Elkington (Cannibals with forks, 1997), S. 69–94. 14 Vgl. ähnlich dazu Hommelhoff (FS Frhr. v. Hoyningen-Huene, 2014), S. 142.

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ber für die Unternehmen werden15 und sich als eine nachhaltige und sinnvolle „Investition“ in die Zukunft erweisen (Rendite durch Nachhaltigkeit).16 Erste Entwicklungstendenzen zeigen auf, dass nichtfinanzielle Informationen, die häufig in sog. „Pre-Financial Performance Indicators“17 transformiert werden, als integraler Bestandteil einer vertrauensstiftenden und ganzheitlichen Corporate Governance18 zu verstehen sind.19 Dem heutigen Verständnis folgend, dient das aktuell gültige CSR-Konzept20 der langfristigen, nachhaltigen Unternehmenswertschaffung und -fortführung und wird somit zu einem elementaren Merkmal unternehmerischer Daseinsberechtigung.21 Dies gibt Anlass, die Entwicklung der CSR-Konzeption aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, um die Historie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um jene unternehmerische Verantwortung aufzuzeigen. Hierfür soll der folgende Beitrag von den Ursprüngen des CSR-Konzepts über aktuelle Entwicklungen bis hin zur zukünftigen Bedeutung CSR beleuchten. Derart wird ein holistischer Blick über das Themenfeld im Kontext der Corporate Governance verschafft, mit dem Ziel der Beantwortung der Frage, ob CSR im heutigen Kontext mithin als ein Instrument guter Corporate Governance anzusehen ist.

II. Dynamischer Werdegang von CSR 1. Historische Konzept- und Begriffsentwicklung von CSR „The term [corporate social responsibility] is a brilliant one; it means something, but not always the same thing, to everybody.“22 15 Vgl. zum Wertewandel auch Böcking/Althoff (WPg, 2017), S. 1457; Böcking/Althoff (DK, 2017), S. 246; vgl. dazu auch Hartzmark/Sussman (Finance Working Paper No. 565/ 2018, 2018), S. 1–34, die nachweisen, dass Investoren CSR-Aspekte positiv bewerten. 16 Vgl. auch Porter/Kramer (HBR, 2006), S. 78–92. 17 Vgl. dazu ausführlich Böcking/Althoff (DK, 2017), S. 246. Die sog. Pre-Financial Performance Indicators („noch-nicht-monetäre Größen“) sind als aggregierte nichtfinanzielle Informationen zu verstehen, die das Potential besitzen, einen zeitlich nachgelagerten Einfluss auf die Financial Performance Indicators eines Unternehmens ausüben zu können. 18 Grundlegend zum Begriff der Corporate Governance vgl. insbesondere Hopt (The American Journal of Comparative Law, 2011), S. 1–73. 19 Vgl. Jamali/Safieddine/Rabbath (CG and CSR Synergies and Interrelationships, 2008), S. 447–449; Mulder, (WPg, 2013), S. 1, der darauf hinweist, dass das Thema bereits „die Vorstandsetagen“ erreicht hat und eine nachgelagerte Prüfung der Angaben von Bedeutung ist; vgl. dazu insbesondere Althoff/Wirth (WPg, 2018), S. 1138–1149 sowie Kapitel III 3e. 20 Vgl. zur gesetzlichen Verankerung ausführlich Blöink/Halbleib (DK, 2017), S. 182– 195. 21 Vgl. Bondy/Moon/Matten (Journal of Business Ethics, 2012), S. 284. 22 Votaw (Genius becomes rare: A comment on the Doctrine of Social Responsibility Pt. I., 1972), S. 25.

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Der Leitgedanke der CSR-Konzeption, der die Beziehung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft im unternehmerischen Kontext behandelt, formalisierte sich in der Literatur des 20. Jahrhunderts.23 Die Integration von sozialer Verantwortung in die Wirtschaft entfachte unter den Finanzkapitalisten eine kontroverse Debatte über die Berücksichtigung von CSR-Aspekten in der Zielfunktion unternehmerischen Handelns.24 So prägte der US-Ökonom John Maurice Clark den Begriff der „Economic Responsibility“ im Jahr 1916 und appellierte an die Gemeinwohlverantwortung der Unternehmen. Er konstatierte: „if men are responsible for the known results of their actions, business responsibilities must include the known results of business dealings, whether these have been recognized by law or not.“25 Aus einer politisch motivierten Denkweise heraus entstand zu Beginn des Kalten Kriegs eine präzisere Form des sich bereits etablierten englischen Begriffs der „Business Responsibility“.26 Donald K. David, Dekan der Harvard Graduate School of Business Administration, warnte in seinem 1949 veröffentlichten Artikel „Business Responsibilities in an Uncertain World“ vor dem Wettstreit der konkurrierenden – demokratischen vs. totalitären – Weltanschauungen und rief die Unternehmer zu mehr Engagement gegenüber der Öffentlichkeit auf.27 Sein Kollege Dempsey bezog sich in seinem zwei Monate später im „Harvard Business Review“ erschienenen Artikel „The Roots of Business Responsibility“ auf David. Beide Autoren sprechen sich für die soziale bzw. beitragende Gerechtigkeit („contributive justice“28) aus und sehen es als unternehmerische Pflicht an, zu einer gerechten Gesellschaft jenseits der unmittelbaren Grenzen des Unternehmens beizutragen, um den Fortschritt der Gesellschaft und das Wohlbefinden des Einzelnen voranzutreiben.29 Diese Pflicht ergibt sich aus der logischen Konsequenz, dass zu einer erfolgreichen Entwicklung eines Unternehmens eine intakte Gemeinschaft benötigt wird, um nachhaltiges Wachstum sicherzustellen.30 Weiteren Nachdruck finden die Aussagen der zuvor aufgeführten Autoren sodann im Jahr 1953 in der Publikation „Social Responsibilities of the 23 Vgl. Carroll (Business & Society, 1999), S. 268; Jenkins (International Affairs, 2005), S. 526. 24 Vgl. Kristoffersen/Gerrans/Clark-Murphy (Working Paper: The CSR and the Theory of the Firm, 2005), S. 1. 25 Clark (Journal of Political Economy, 1916), S. 223. 26 Vgl. Spector (“Business Responsibilities in a Divided World”, 2008), S. 314. 27 Vgl. David (HBR, 1949), S. 8. David erachtete die „business social responsibility“ (CSR) als Instrument zur Gleichrichtung von Unternehmensinteressen und der freien Marktwirtschaft, um diese vor den Gefahren des sowjetischen Kommunismus verteidigen und schützen zu können, vgl. Spector (“Business Responsibilities in a Divided World”, 2008), S. 314–315. 28 Dempsey (HBR, 1949), S. 396. 29 Vgl. David (HBR, 1949), S. 8; Dempsey (HBR, 1949), S. 394. 30 Vgl. Dempsey (HBR, 1949), S. 393–404.

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Businessman“31, die einen weitreichenden Einfluss auf die zukünftige Sichtweise von CSR ausübt.32 Verfasser Howard Bowen weist auf die Bedeutung der Auswirkungen der getätigten Entscheidungen der Unternehmensleitung für z.B. die Beschäftigungshöhe, den Wohlstand, den ökonomischen Fortschritt sowie die Einkommensverteilung hin.33 Er konstatierte, dass Unternehmer solche Strategien, Entscheidungen oder Handlungsweisen verfolgen sollten, die hinsichtlich der gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Zielsetzungen erstrebenswert sind.34 Seither wuchs die Aufmerksamkeit, die dem Konzept der CSR gewidmet wurde, stetig. Eine Vielzahl an deutungsoffenen Definitionen wurde geschaffen, die den Interpretationen der unterschiedlichen Zeitgeister unterlagen.35 Nach Ansicht des Nobelpreisträgers Milton Friedman und den Vertretern der klassischen Theorie liegt die alleinige Verantwortung von Unternehmen gegenüber der Gesellschaft in der Maximierung von Profit und ShareholderValue.36 Diese Betrachtungsweise entstand vorwiegend durch Adam Smiths Theorie der „Invisible Hand“37. Durch das allgemeine Marktgeschehen (die organisierende und regulierende Kraft des Markts) und das Streben der Marktteilnehmer nach Eigennutz wird die gesellschaftliche Profitmaximierung vorangetrieben und schließlich indirekt der höchste Nutzen für die gesamte Gesellschaft erzielt.38 Diese Sichtweise bringt Friedman in seinem 1970 veröffentlichten und provokant titulierten Artikel „The Social Responsibility Of Business Is to Increase Its Profits“ zum Ausdruck.39 Unternehmen sind dazu angehalten, ihre Aktivitäten und Ressourcen derart zu nutzen, dass sie sich stets am Profitgedanken orientieren, ohne Täuschung und Betrug die Regeln der Wirtschaft beachten und unter Wahrung jener Regeln am freien Wettbewerb teilnehmen.40 Seine Doktrin stützt sich auf die folgenden drei Hauptargumente:

31

Vgl. grundlegend Bowen (Social Responsibilities of the Businessman, 1953), S. 1–298. Vgl. Carroll/Shabana (IJMR, 2010), S. 86. 33 Vgl. ausführlich Bowen (Social Responsibilities of the Businessman, 1953), S. 3–4. 34 Vgl. Bowen (Social Responsibilities of the Businessman, 1953), S. 6. Bowen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Unternehmen die gegebenen Ziele und Werte der Gesellschaft nicht unreflektiert akzeptieren müssen (und dürfen), sondern diese sehr wohl kritisch betrachten sollen, um sodann eine Verbesserung der gesellschaftlichen Wert- und Zielvorstellungen zu bewirken. 35 Vgl. kritisch Fleischer (AG, 2017), S. 509–510, der die Suche nach einer Legaldefinition von CSR als problematisch einstuft. 36 Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 32–33, 122–126; vgl. grundlegend zum ShareholderValue Rappaport (Creating Shareholder Value, 1998), S. 1–184. 37 Vgl. zum metaphorischen Ausdruck der „Invisible Hand“ Smith (Wealth of Nations, 1776), Buch IV, Kapitel II, Paragraph IX. 38 Vgl. Smith (Wealth of Nations, 1776), Buch IV, Kapitel II, Paragraph IX. 39 Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 122–126. 40 Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 126. 32

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1. Nur menschlichen Wesen sei eine moralische Verantwortung für ihr Handeln zuzuschreiben. Ein Unternehmen als solches gelte als juristische Person und besitze daher keine moralische Verantwortung.41 2. Den einzelnen Führungskräften sei die zentrale Verantwortung zugesprochen. Sie bestehe im Wesentlichen darin, im Interesse der Shareholder zu handeln. Folglich müsse die Gewinnmaximierung als die grundlegende soziale Verantwortlichkeit der Führungskräfte gegenüber den Eigentümern des Unternehmens angesehen werden.42 3. Führungskräfte besitzen unzureichende Expertise und seien nicht dazu befugt, Entscheidungen darüber zu treffen, was das Beste für die Gesellschaft sei. Schließlich sei keine Führungskraft auf demokratischem Weg von der Gesellschaft dafür legitimiert worden.43 Die soziale Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft falle daher in den Kompetenzbereich des Staates.44 Zudem äußert Friedman, dass Mittelabflüsse des Unternehmens für allgemeine soziale Belange im Umkehrschluss zu einer verringerten Auszahlung in Form von Dividenden und Löhnen an die Aktionäre und Mitarbeiter sowie zu einer Erhöhung des Produktpreises für die Kunden führen können.45 In Richard E. Freemans 1984 publiziertem Buch „Strategic Management: A Stakeholder Approach“ wird hingegen die ökonomische Sichtweise Friedmans in Frage gestellt und der Grundstein für die spätere Stakeholdertheorie gelegt.46 Seiner Auffassung nach ist es die Aufgabe eines Managers, einen gewissen Grad an Übereinstimmung zwischen den konkurrierenden Erwartungen der verschiedenen Stakeholder eines Unternehmens zu erreichen.47 Aus diesem Kerngedanken heraus ergibt sich die folgende Grundprämisse des später unter dem Namen der Stakeholdertheorie bekannten Ansatzes: Unabhängig davon, wofür ein Unternehmen steht und welchen ultimativen Zweck selbiges verfolgt, sollten die Auswirkungen getätigter Handlungen auf andere – die Stakeholder – antizipiert und umgekehrt deren potentielle Auswirkungen auf das Unternehmen berücksichtigt werden.48

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Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 33. Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 33, 126. 43 Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 122. 44 Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 125–126. 45 Vgl. Friedman (NYT, 1970), S. 125. 46 Vgl. grundlegend Freeman (Strategic Management – A Stakeholder Approach 1984), S. 1–248; zur Substitution des Begriffs der „Stockholder“ durch den Begriff der „Stakeholder“ Freeman/Reed (California Management Review, 1983), S. 91. 47 Vgl. Freeman (Strategic Management - A Stakeholder Approach, 1984), S. 107. 48 Vgl. Freeman (ZfWU, 2004), S. 231. 42

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2. CSR als Legitimation unternehmerischen Handelns Die zuvor genannten Ansätze und Sichtweisen spiegeln ein Unternehmensbild wider, das in ständigem gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs steht und im Zeitverlauf einem Wandel unterlag. Das gewandelte Unternehmensbild zeigt sich u.a. darin, dass die ursprüngliche Aufgabe von Unternehmen grundsätzlich der effizienten Transformation von materiellem Input in Output galt.49 Jedoch vernachlässigte dieses Unternehmensbild, dass sich unternehmerische Grenzen als durchlässig erweisen und interdependente Dynamiken zwischen der Unternehmensorganisation und der Unternehmensumwelt bestehen, die auch durch kulturelle Normen und Überzeugungen der Öffentlichkeit beeinflusst werden.50 Die Akzeptanz des unternehmerischen Handelns bzw. dessen Legitimation51 wird somit zu einem zentralen Ankerpunkt innerhalb der CSR-Debatte. Unternehmen agieren innerhalb der Gesellschaft gebunden an einen impliziten sozialen Vertrag. Dieser hält Unternehmen dazu an, der Gesellschaft zu verdeutlichen (mittels financial and non-financial KPIs), dass jene von den unternehmerischen Handlungen profitiert und diese sogar benötigt.52 Die Legitimation der eigenen Daseinsberechtigung veranlasst Unternehmen, sich neben der Erwirtschaftung von Gewinnen und der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, auch der eigenen positiven, negativen oder auch neutralen „social impacts“53 anzunehmen.54 Genau diese Ausbalancierung sog. Externalitäten stellt ein Kerncharakteristikum von CSR dar.55 Schließlich kann die wachsende Bedeutsamkeit von CSR als eine Reaktion auf den durch die Gesellschaft ausgeübten „Legitimationsdruck“ verstanden werden.56 Nehmen Unternehmen – als Teil der Gesellschaft – die zur Legitimation ihres Handelns notwendige Rolle nicht wahr,57 kann neben dem Vertrauensverlust 49

Vgl. Scott (American Behavioral Scientist, 1981), S. 407. Für eine detaillierte Darstellung der „Open System“-Theorie vgl. Scott (American Behavioral Scientist, 1981), S. 407–422. Das Leitmotiv dieses offenen rationalen Ansatzes aus den sechziger Jahren ist die Erkenntnis, dass sich das Unternehmen an wichtige Umweltkräfte anpassen muss, vgl. dazu ebenda, S. 408. 51 Unter dem Begriff der Legitimität versteht Suchman (Academy of Management Review, 1995), S. 574, „[…] a generalized perception or assumption that the actions of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs, and definitions.“ 52 Vgl. Kocmanová/Němeček/Dočekalová (7th International Scientific Conference Business and Management, 2012), S. 656. 53 Jamali/Mirshak (Journal of Business Ethics, 2007), S. 249. 54 Vgl. Grewe/Löffler (Erfolgsfaktor Verantwortung, 2006), S. 3. 55 Vgl. Crane/Matten/Spence (Corporate Social Responsibility - Reading and cases in a global context, 2014), S. 10–11. 56 Vgl. Kirchhoff (Erfolgsfaktor Verantwortung, 2006), S. 23. 57 Einem holistischen Ansatz folgend, können Unternehmen als Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen werden, mit der sie in eine Beziehung treten, die auf ausgeprägten, 50

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und etwaigen Reputationsschäden ebenfalls die staatliche Intervention folgen. Das Resultat wäre eine stärkere Regulierung und Kontrolle, die letztlich Mehrkosten nach sich ziehen kann.58 Vollständig konnte das letztgenannte Argument nicht umgangen werden. Als Reaktion auf Bilanzskandale und die Finanzmarktkrise legitimiert sich CSR nicht mehr ausschließlich aus dem Gesellschaftsverständnis heraus, sondern begründet sich ebenso durch geltendes Gesetz. Mit der europäischen CSR-RL aus dem Jahr 2014 wurde vermeintlich vordergründig der Gegenstand der Rechnungslegung und Berichterstattung konkretisiert; wenngleich sie vielmehr durch einen Steuerungsimpuls (sog. Nudging59) und somit einen Eingriff in die Corporate Governance charakterisiert wird.60 Konkret wird eine Verhaltenssteuerung der Unternehmensorgane – Vorstand und Aufsichtsrat – herbeigeführt.61

III. Von der Freiwilligkeit zur gesetzlichen Verankerung von CSR 1. Erste Entwicklungen nichtfinanzieller Unternehmenspublizität Der einstige Fokus der Finanzberichterstattung auf rein finanzielle Größen wurde in den 1970er Jahren durch erste Ansätze zur freiwilligen Offenlegung von Informationen zur Sozialverantwortung und zum Umweltschutz erweitert.62 Berichtssysteme, Indikatoren der sozialen Leistungen sowie entsprechende Bewertungskriterien wurden von Wissenschaft und Praxis entwickelt und festgelegt, um sowohl dem internen Management als auch der Gesellschaft die positiven und negativen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit aufzuzeigen. Diese Schwerpunktänderung setzte sich zunächst in einer gesteigerten freiwilligen Nachhaltigkeitsberichterstattung fort. Durch freiwillige Selbstbindung integrierten Unternehmen auf diese Weise erstmalig offenkundige Verantwortung in die Unternehmenspublizität. Begleitet wurde die wachsende Zahl freiwillig veröffentlichter Nachhaltigkeitsberichte von einem

wechselseitigen Einflüssen beruht; vgl. Grewe (Zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen: CR als strategisches Konzept der Unternehmensführung, 2008), S. 32. 58 Vgl. Grewe (ebenda, 2008), S. 33. CSR entspringt somit auch aus einem sozialen Druck heraus, zum Konzept der sog. license to operate vgl. Porter/Kramer (HBR, 2006), S. 81–82. 59 „Nudging“, sog. „Anstupsen“ kann als ein verhaltensbasierter Ansatz der Regulierung verstanden werden, vgl. dazu ausführlich Thaler/Sunstein (Nudge, 2008), S. 6. 60 Vgl. Böcking/Althoff (WPg, 2017), S. 1450; Althoff/Wirth (WPg, 2018), S. 1138– 1139, 1149; Hommelhoff (FS Frhr. v. Hoyningen-Huene, 2014), S. 141; Hommelhoff (FS Kübler, 2015), S. 293. 61 Vgl. Hommelhoff (ebenda, 2015), S. 291–293. 62 Vgl. dazu bereits Dierkes (Die Sozialbilanz: ein gesellschaftsbezogenes Informationsund Rechnungssystem, 1974), S. 11; Schultz (Handbuch CSR, 2011), S. 32–34.

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rapiden Anstieg an CSR-Publikationen und entsprechenden Studien.63 Weitere Bestätigung fand das Konzept sodann 2004 mit der Gesetzesinitiative des Bilanzrechtsreformgesetzes (BilReG64). Durch diese Gesetzesänderung änderte sich der Wortlaut des § 289 HGB und des § 315 HGB hinsichtlich des Inhalts der (Konzern-)Lageberichterstattung. Fortan wurden bedeutsamste nichtfinanzielle Leistungsindikatoren, wie z.B. Informationen zu Umweltund Arbeitnehmerbelangen lageberichts- und prüfungspflichtig, soweit sie für das Verständnis des Geschäftsverlaufs oder der Lage von Bedeutung sind.65 2. Von der CSR-Richtlinie zum CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz Mit der Erkenntnis einer dennoch inadäquaten Transparenz66 hinsichtlich nichtfinanzieller Berichterstattung sowohl in Bezug auf Quantität als auch Qualität wurde die EU-Kommission 2013 mit ihrem Vorschlag zur Änderung der 4. und 7. Bilanzrichtlinie vom April 2013 tätig.67 Hierin wird die Auffassung der Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011–14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ 68 geteilt, dass „Unternehmen selbst bei der Entwicklung von CSR federführend sein und auf ein Verfahren zurückgreifen können sollten, mit dem soziale und ökologische Belange in die Betriebsführung und in ihre Kernstrategie integriert werden.“69 Als Zielsetzung wurde hierbei die EU-weite Verbesserung der Transparenz, Relevanz, 63 Vgl. Wang (Literature Review of CSR, 2015), S. 15, die eine exponentielle Steigerung der Publikationen ab dem Jahr 1995 identifizierte. Vgl. zur aktuellen Entwicklung der freiwilligen Nachhaltigkeitsberichterstattung im DAX 30 Althoff/Wirth (WPg, 2018), S. 1139–1144. 64 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) vom 4.12.2004, BGBl. I S. 3166. 65 Vgl. § 289 Abs. 3 HGB; dies gilt für große Kapitalgesellschaften nach § 267 Abs. 3 HGB bzw. nach § 315 Abs. 3 HGB entsprechend auch für den Konzernlagebericht, soweit die Informationen für das Verständnis des Geschäftsverlaufs oder der Lage von Bedeutung sind (s.a. § 317 Abs. 1 und 2 HGB zur Prüfungspflicht). DRS 20 gilt grundsätzlich nur für den Konzern; aufgrund seiner Ausstrahlungswirkung wird er jedoch auch für den Lagebericht empfohlen (DRS 20.2). 66 Gerade das Corporate Governance Instrument der transparenten Berichterstattung bildet in der europäischen Gesetzgebung ein primäres Regelungsinstrument der vergangenen Dekade und bietet gewisse Vorzüge, die Hopt (NYU JLB, 2015), S. 202–205 anschaulich thematisiert. Unter anderem ermöglicht die Regulierung über Transparenzanforderungen den Gesetzgebern und Regulatoren von einer genauen Definition der Regulierungsinhalte abzusehen und diese indes den Marktteilnehmern zu überlassen; vgl. Hopt (ebenda, 2015), S. 202–203. 67 KOM(2013) 207 final vom 16.4.2013, S. 4. Vgl. hierzu Hommelhoff (FS Frhr. v. Hoyningen-Huene, 2014), S. 137; Fink/Fistric (DB, 2013), S. 2700–2701. 68 KOM(2011) 681 endgültig vom 25.10.2011, S. 1–19. 69 KOM(2013) 207 final vom 16.4.2013, S. 2. Vgl. dazu insbesondere Hommelhoff (FS Frhr. v. Hoyningen-Huene, 2014), S. 137.

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Konsistenz und Vergleichbarkeit von nichtfinanziellen Informationen angegeben, um letztlich die unternehmerische Rechenschaftslegung und Performance als auch die Markteffizienz des europäischen Binnenmarkts zu verbessern.70 Die Fortentwicklung der gesetzlichen Verankerung von CSR in der Lageberichterstattung71 bildete sodann die europäische CSR-RL72. Diese fand auf nationaler Ebene vorerst Ausdruck in einem Konzeptpapier73, gefolgt von einem Referentenentwurf74 und mündete schließlich in einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung.75 Einer grundsätzlichen 1:1 Umsetzung der CSR-RL folgend, resultierte schließlich das CSR-RUG und damit ein neues Publizitätsinstrument: die nichtfinanzielle Erklärung bzw. der gesonderte nichtfinanzielle Bericht (im Folgenden „Bericht“).76 3. Das Publizitätsinstrument der nichtfinanziellen Erklärung/Bericht a) Anwendungsbereich Große Unternehmen (i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 HGB) von öffentlichem Interesse (kapitalmarktorientierte Unternehmen nach § 264d HGB; Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen auch unabhängig von dem Kriterium der Kapitalmarktorientierung) mit – im Jahresdurchschnitt der letzten 2 Jahre – mehr als 500 Arbeitnehmern, einer Bilanzsumme größer 20 Millionen Euro oder Umsatzerlöse von mehr als 40 Millionen Euro (§§ 289b Abs. 1, 340a Abs. 1a und 341a Abs. 1a HGB) fallen in den Anwendungsbereich des CSR-RUG. Gleiches gilt für eine Kapitalgesellschaft, die zugleich Mutterunternehmen i.S.d. § 290 HGB ist (§ 315b Abs. 1 HGB). Jene Unternehmen sind zur Veröffentlichung einer nichtfinanziellen Erklärung bzw. eines nichtfinanziellen Berichts verpflichtet. b) Verortung Die geforderten Berichtsinhalte des CSR-RUG sind in Form einer nichtfinanziellen Erklärung im Lagebericht zu veröffentlichen (gem. § 289b Abs. 1 HGB). Verlangte der Referentenentwurf zur CSR-RL noch einen be70

KOM(2013) 207 final vom 16.4.2013, S. 3, 6. Zur Entwicklung der Lageberichterstattung in Zeitnähe zur CSR-Regulierung vgl. Fink/Schmidt (DB, 2015), S. 2157–2165. 72 Abl. EU 2014, L 330, vgl. dazu Eufinger (EuZW, 2015), S. 424–428; Spießhofer (NZG, 2014), S. 1281–1287; Fink/Schmidt (DB, 2015), S. 2161–2165; kritisch Hommelhoff (FS Kübler, 2015), S. 291–299. 73 Vgl. BMJV (2015), S. 1–7; vgl. dazu Kumm/Woodtli (DK, 2016), S. 218–232. 74 Vgl. BMJV (2016), S. 1–66; vgl. hierzu Stawinoga/Velte (DB, 2016), S. 841–847. 75 Vgl. BT-Drs. 18/9982, S. 1–72; Seibt (DB, 2016), S. 2707–2716; für einen Gesamtüberblick über die Umsetzung der CSR-RL in deutsches Recht vgl. Blöink/Halbleib (DK, 2017), S. 182–195; Böcking/Althoff (DK, 2017), S. 246–255. 76 BGBl. I 2017, S. 802–814; vgl. hierzu Pfeifer/Wulf (ZCG, 2017), S. 181–188. 71

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sonderen Abschnitt im Lagebericht für die nichtfinanzielle Erklärung,77 ermöglichte das CSR-RUG ein Wahlrecht für einen besonderen Abschnitt – die Möglichkeit zur Integration der nichtfinanziellen Informationen in den Lagebericht wurde geschaffen. Ferner können die geforderten Informationen auch in Form eines gesonderten nichtfinanziellen Berichts – d.h. außerhalb des Lageberichts – offengelegt werden (gem. § 289b Abs. 3 HGB).78 c) Inhalt Die inhaltliche Reichweite der nichtfinanziellen Erklärung bzw. eines nichtfinanziellen Berichts umfasst gemäß § 289c Abs. 1 HGB eine kurze Beschreibung des Geschäftsmodells. Ferner erfordert § 289c Abs. 2 HGB nichtfinanzielle Informationen zumindest für die folgenden Mindestaspekte: 1) 2) 3) 4) 5)

Umweltbelange Arbeitnehmerbelange Sozialbelange Achtung der Menschenrechte Bekämpfung von Korruption und Bestechung.

Zu jedem dieser fünf Aspekte gibt der Gesetzeswortlaut beispielhafte inhaltliche Angaben-Schwerpunkte wieder, die der Orientierung des Erstellers dienen können (§ 289c Abs. 2 Nr. 1–5 HGB). Sofern für das Unternehmen andere als die fünf gelisteten Aspekte von wesentlicher Bedeutung für das Geschäftsmodell sind, können diese ebenfalls Bestandteil der nichtfinanziellen Erklärung sein.79 Weiterhin untergliedert sich jeder der gesetzlich geforderten Mindestaspekte in die Angaben zu • der Beschreibung verfolgter Konzepte unter Berücksichtigung angewandter Due-Diligence-Prozesse; • den Ergebnissen der Konzepte; • wesentlichen Risiken der eigenen Geschäftstätigkeit mit sehr wahrscheinlich schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf die genannten Aspekte und deren Handhabung; • wesentlichen Risiken der Geschäftsbeziehungen, der eigenen Produkte und Dienstleistungen mit sehr wahrscheinlich schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf die genannten Aspekte und deren Handhabung. Jene Berichterstattung hat jedoch nur zu erfolgen, soweit diese verhältnismäßig ist und die Angaben bedeutend sind; 77

Vgl. BMJV (2016), S. 6. Zur Verortung der nichtfinanziellen Erklärung bzw. eines nichtfinanziellen Berichts siehe ausführlich Merkt (Baumbach/Hopt, 2020), § 289b HGB, Rn. 1–5. 79 Vgl. Merkt (Baumbach/Hopt, 2020), § 289c HGB, Rn. 3, der darauf verweist, dass es sich bei den fünf Mindestangaben um „keine abschließende Checkliste“ handelt. 78

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• den bedeutsamsten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die Geschäftstätigkeit der Kapitalgesellschaft von Bedeutung sind; • Hinweisen auf Beträge im Jahresabschluss, wenn diese für das Verständnis erforderlich sind, sowie zusätzliche Erläuterungen (§ 289c Abs. 3 Nr. 1–6 HGB). Diese Angaben haben de lege lata nur dann zu erfolgen, soweit diese „für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die […] genannten Aspekte erforderlich sind“ (§ 289c Abs. 3 HGB). Damit greift das CSR-RUG grundlegend den Wesentlichkeitsgrundsatz des § 289 Abs. 3 HGB auf, erweitert diesen indes um die Perspektive der Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Aspekte, die in Abs. 2 genannt werden (sog. doppelter Wesentlichkeitsgrundsatz).80 d) Rahmenwerke Um die Erstellung der nichtfinanziellen Erklärung zu erleichtern, können berichtspflichtige Unternehmen auf nationale, europäische oder internationale Rahmenwerke zurückgreifen (§ 289d HGB). Hierbei hat das Unternehmen gemäß § 289d HGB Angaben zu machen, ob ein Rahmenwerk oder gar mehrere Anwendung gefunden haben und auf welches oder welche Rahmenwerke zurückgegriffen wurde.81 Ebenso ist anzugeben, falls kein Rahmenwerk genutzt wurde und warum keines herangezogen wurde (§ 289d HGB).82 Als gängige, in der unternehmerischen Praxis vielfach angewandte, Rahmenwerke gelten die „G4-Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung“ der Global Reporting Initiative (GRI)83 ebenso wie der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE)84, der überwiegend bei kleineren und mittleren Unternehmen zur Anwendung kommt. Als weitere potentielle Rahmenwerke können z.B. das internationale Rahmenkonzept „Global Compact“ der Vereinten Nationen, die Leitsätze 80 Vgl. zur „zweistufigen Wesentlichkeitsbeurteilung“ Althoff/Wirth (WPg, 2018), S. 1140; Störk/Schäfer/Schönberger (Beck’scher Bilanz-Kommentar, 2020), § 289c HGB, Rn. 30. 81 Vgl. Merkt (Baumbach/Hopt, 2020), § 289d HGB, Rn. 1; DRS 20.296-300 konkretisiert, dass Rahmenwerke auch nur in Teilen genutzt werden können – in diesem Fall ist auch anzugeben, welche Rahmenwerke vollständig oder nur teilweise genutzt wurden. 82 Zur Vielzahl unterschiedlicher nationaler und internationaler Berichtsstandards im Bereich der nichtfinanziellen Berichterstattung vgl. ausführlich Schmidt (WPg, 2019), S. 1198–1200. 83 Für aktuelle Informationen zur GRI https://www.globalreporting.org/standards/gristandards-download-center/ (Abruf: 2.12.2019). 84 Für aktuelle Informationen zum DNK https://www.deutscher-nachhaltigkeitsko dex.de/de-DE/Home/DNK/DNK-Overview (Abruf: 2.12.2019).

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der OECD für multinationale Unternehmen oder auch die unverbindlichen Leitlinien der Europäischen Union angeführt werden.85 e) Prüfung durch den Aufsichtsrat und den Abschlussprüfer Vielfach diskutiert ist die Verifizierung der den Stakeholdern bereitgestellten nichtfinanziellen Informationen mit dem übergeordneten Ziel eines Glaubwürdigkeitstestats. In der CSR-RL wurde der Abschlussprüfer lediglich verpflichtet, die nichtfinanzielle Erklärung bzw. den nichtfinanziellen Bericht auf Vorhandensein zu prüfen (Art. 19a Abs. 5 bzw. Art. 29a Abs. 5 CSRRL). Den Mitgliedsstaaten wurde jedoch ein Wahlrecht zur Aufnahme einer Klausel zur inhaltlichen Überprüfung der Informationen durch einen „Erbringer von Bestätigungsleistungen“ eingeräumt (Art. 19a Abs. 6 CSR-RL).86 Das gewährte Wahlrecht zur inhaltlichen „Prüfung“ wurde in der Endfassung des CSR-RUG aufgenommen. Dem CSR-RUG folgend, hat der Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 AktG die nichtfinanzielle Erklärung bzw. den nichtfinanziellen Bericht formell und materiell zu prüfen.87 Wohingegen im Rahmen der Abschlussprüfung nach § 317 Abs. 2 Satz 4 HGB lediglich eine Prüfungspflicht auf Vorhandensein vorgesehen ist. Jene Form der Kompetenzzuteilung hinsichtlich der Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung erlangte in der öffentlichen Konsultation ein besonderes Gewicht und gab Anlass für die Darlegung divergierender Sichtweisen.88 Der Kritik an der alleinigen inhaltlichen Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung durch den Aufsichtsrat89 wurde mit dem Hinzufügen des Passus in § 111 Abs. 2 Satz 4 AktG, nach dem der Aufsichtsrat eine externe inhaltliche 85 Vgl. Abl. EU 2014, L 330, ErwGr. 9; BT-Drs. 18/9982, S. 46; für weitere Rahmenwerke Störk/Schäfer/Schönberger (Beck’scher Bilanz-Kommentar, 2020), § 289d HGB, Rn. 1; Merkt (Baumbach/Hopt, 2020) § 289c HGB, Rn. 1. 86 Abl. EU 2014, L 330, ErwGr. 16. 87 Vgl. zum Bedeutungszuwachs des Aufsichtsrats statt vieler Hopt (ZGR, 2019), S. 507–543. 88 Vgl. Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. (Stellungnahme zum RegE des CSR-RUG, 2016), S. 3, die die Streichung der Prüfungspflicht des gesonderten Berichts durch den Aufsichtsrat empfiehlt; dazu auch Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft (AKBR) (Stellungnahme zum RegE des CSR-RUG, 2016), S. 1– 4. Diese ersten Reaktionsweisen könnten darauf hindeuten, dass den bisherigen freiwilligen Nachhaltigkeitsberichten und den nichtfinanziellen Leistungsindikatoren im Sinne des BilReG in der Vergangenheit nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 89 Vgl. u.a. Lanfermann (BB, 2016), S. 1134. Der entscheidende Mechanismus zur Unterstützung und Bestätigung der Glaubwürdigkeit der Aufsichtsratstätigkeit ist hierbei historisch erwachsen der Abschlussprüfer. So tritt der Abschlussprüfer in das Verhältnis zum Aufsichtsrat als „Sparringspartner“ und „Gehilfe“; vgl. Hommelhoff (FS Frhr. v. HoyningenHuene, 2014), S. 144; Böcking/Gros (FS Hommelhoff, 2012), S. 109–112. Die Gehilfenfunktion darf jedoch nicht als auftragsausführende Tätigkeit verstanden werden, denn der Abschlussprüfer handelt stets eigenverantwortlich und autonom; vgl. Nonnenmacher (FS Ballwieser, 2014), S. 549, der vielmehr für den Begriff der „Unterstützungsfunktion“ plädiert.

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Überprüfung beauftragen kann, Rechnung getragen.90 Eine durch den Aufsichtsrat beauftragte inhaltliche externe Überprüfung durch den Abschlussprüfer bleibt somit nach aktuellem Rechtsstand eine freiwillige Zusatzleistung, die das Vertrauen in die nichtfinanzielle Erklärung bzw. den nichtfinanziellen Bericht erhöhen kann. Auch wenn das Gesetz de lege lata keine inhaltliche Prüfungspflicht durch den Abschlussprüfer vorsieht, ergibt sich die theoretische Überlegung eines faktischen Prüfungszwangs,91 der sich auch durch die Praxis bestätigt sieht.92 Als ein Streitpunkt in der Fachliteratur erweist sich die Prüfungsintensität. Divergenz ergibt sich hierbei zwischen der Meinung, dass einerseits für den gesetzlichen Jahresabschluss und den Lagebericht wie auch für die nichtfinanzielle Erklärung bzw. den nichtfinanziellen Bericht derselbe Prüfungsmaßstab anzulegen ist – sog. „Klarstellungsfunktion“93 – und eine Prüfung mit hinreichender Sicherheit durchzuführen ist. Anderseits wird die Auffassung vertreten, dass der Prüfungsmaßstab ein geringerer zu sein hat – sog. „gespaltene Prüfungsintensität“94. Als sinnvolle Herangehensweise zur Überwindung der anfänglichen Prüfungsschwierigkeiten setzte sich in der Praxis ein ZweiPhasen-Modell durch, das in den ersten Anwendungsjahren eine externe (Über-)Prüfung mit begrenzter Sicherheit (limited assurance) und in den Folgejahren mit hinreichender Sicherheit (reasonable assurance) vorsieht.95

IV. Kritische Würdigung ausgewählter Aspekte 1. Erweiterter Pflichtenkreis der Unternehmensorgane durch CSR Im Zuge des CSR-RUG erweitert sich der Pflichtenkreis der Unternehmensorgane sowohl über die ausgeweiteten Berichterstattungspflichten des 90 Vgl. Spindler (Spindler/Stilz, 2019), § 111 AktG, Rn. 56a, der die Beauftragung einer externen Prüfung als zweckdienlich ansieht, um der „sachgerechten Erfüllbarkeit“ der fortan umfassenderen Prüfpflichten des Aufsichtsrats nachzukommen. 91 Vgl. Böcking/Althoff (DK, 2017), S. 251; anderer Auffassung Hopt/Roth (Großkommentar AktG, 2019), § 111 AktG, Rn. 479. 92 Vgl. zur aktuellen Praxis der Prüfung nichtfinanzieller Erklärungen/Berichte Althoff (Essays on CSR and CG, 2019), S. 206–211; zur Prüfung jener Angaben im Erstanwendungsjahr des CSR-RUG Althoff/Wirth (WPg, 2018), S. 1146–1149. 93 Mock (ZIP, 2017), S. 1201; vgl. grundlegend Mock (Bilanzrecht Kommentar, 2018), § 171 AktG, Rn. 56. 94 Hennrichs/Pöschke (NZG, 2017), S. 125; vgl. Hennrichs/Pöschke (Münchner Kommentar zum AktG, 2018), § 171 AktG, Rn. 59a. 95 Empirische Untersuchungen können erste Trends feststellen: Nach anfänglichen Prüfungsintensitäten mit begrenzter Sicherheit wird vermehrt eine Prüfung mit hinreichender Prüfungssicherheit beauftragt, vgl. dazu Althoff (Essays on CSR and CG, 2019), S. 208–211; zur Prüfungsintensität im Erstanwendungsjahr vgl. Althoff/Wirth (WPg, 2018), S. 1146–1149.

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Vorstands als auch über die neu auferlegten Prüfungspflichten des Aufsichtsrats. Die Darstellung zur gesetzlichen Umsetzung der Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung bzw. des nichtfinanziellen Berichts verdeutlicht, dass es für die Erlangung eines ganzheitlichen CSR-Verständnisses elementar ist, dieses in den Kontext der Corporate Governance-Debatte zu setzen. Wenn der Vorstand über Konzepte, deren Ergebnisse, angewandte DueDiligence-Prozesse, potentielle Risiken sowie bedeutsamste nichtfinanzielle Leistungsindikatoren in Form einer sog. Wissenserklärung und ausdrücklich keiner Willenserklärung96 berichtet, hat der Aufsichtsrat, ausgehend von seiner Informationsbasis, zu prüfen, ob der Vorstand – wie von der CSR-RL intendiert – tatsächlich entsprechende Konzepte und Prozesse entwickelt und umgesetzt hat.97 Die Einschätzung des Aufsichtsrats in Bezug auf relevante CSR-Belange oder wesentliche Risiken sollte allerdings nicht erst im Rahmen der finalen Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung stattfinden, sondern kontinuierlich, in Form einer beratenden Überwachung.98 Vorstand und Aufsichtsrat sollten sich die langfristigen Potentiale einer in das Zielsystem der unternehmerischen Strategie eingebetteten CSR und vor allem dessen Erklärungsgehalt in Bezug auf die nachhaltige Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells vergegenwärtigen,99 bevor diese abschließend in die externe Unternehmenskommunikation fließen und einer (internen sowie externen) Prüfung unterzogen werden. Infolgedessen nehmen beide Unternehmensorgane eine Schlüsselrolle im Prozess nachhaltiger und langfristiger Wertschöpfung ein100 – und CSR wird zu einem strategischen Wesensmerkmal einer guten Corporate Governance.101 2. Verstärkte politische Forcierung von CSR Auch die stetige politische Forcierung der CSR-Thematik, insbesondere auf Ebene der Europäischen Union, verdeutlicht, dass unter Nachhaltigkeit mithin mehr zu verstehen ist als ausschweifende, seitenlange („freiwillige“) Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen. Die Europäische Union beab96 Vgl. hierzu abwägend Bachmann (ZGR, 2018), S. 234–335, der auf die möglichen „Reputationseinbußen“ hinweist, die sich durch eine unzureichende Erfüllung der durch die nichtfinanzielle Berichterstattung hervorgerufenen Erwartungshaltungen für das Unternehmen ergeben können. 97 Vgl. Hommelhoff (FS Kübler, 2015), S. 298; vgl. zu den intendierten Handlungsanreizen der CSR-Berichtspflicht Hommelhoff (ebenda, 2015), S. 293. 98 Vgl. Hommelhoff (NZG, 2017), S. 1365, der von einer mitberatenden „CSRInventur“ des Aufsichtsrats spricht; vgl. dazu auch Althoff (Essays on CSR and CG, 2019), S. 231. 99 Vgl. IDW (Zukunft der Berichterstattung – Nachhaltigkeit, 2017), S. 7. 100 Vgl. Bachmann (ZGR, 2018), S. 240–241, der auf die primäre Verantwortung des Vorstands verweist. 101 Vgl. Kotlenga/Scheid/Müller (ZCG, 2018), S. 179.

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sichtigt eine Vorreiterrolle im Bereich der Nachhaltigkeit, des Stakeholderschutzes und der Finanzmarktstabilität einzunehmen.102 Zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft wurde als Teil der EU-Nachhaltigkeitsstrategie der „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ veröffentlicht.103 Das von der EU-Kommission eingesetzte Expertengremium, die High-Level Expert Group (HLEG) on Sustainable Finance, unterstützte die EU-Kommission bei der Erstellung des Aktionsplans.104 Dieser erhebt zwei zentrale Ansprüche, die eine Umgestaltung des Finanzsektors nach sich ziehen: (1) Beitrag des Finanzbereichs zu nachhaltigerem Wirtschaftswachstum durch Finanzierung der langfristigen Bedürfnisse aktueller und zukünftiger Generationen sowie (2) Stärkung einer ausreichenden Finanzsystemstabilität durch eine Bezugnahme auf die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG).105 Im Aktionsplan werden neben der Zielsetzung auch zehn Maßnahmen mit jeweiligen Teilmaßnahmen zur Erreichung der Ziele angeführt:106 Darunter befindet sich z.B. die Maßnahme 9 zur „Stärkung der Vorschriften zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen und zur Rechnungslegung“107. Diese schreibt unter anderem eine Evaluierung i.S.e. Eignungsprüfung des EU-Rechtsrahmens zur Unternehmensberichterstattung in Verbindung mit der Publizität nichtfinanzieller Informationen vor.108 Die anstehende Evaluierung bzw. die Veröffentlichung der Ergebnisse des Evaluierungsprozesses der CSR-RL auf EUEbene wird erwartet. Aufgrund der stärkeren Forcierung auf eine nachhaltige Unternehmensausrichtung und der neuen, ambitionierten Wachstumsstrategie der EU-Kommission wird jene wohl kaum milde ausfallen (Green Deal).109 Zu erwarten sind neben einer Ausdehnung des Adressatenkreises ebenfalls verschärfende inhaltliche Regeln, so z.B. im Bereich der Klimabe-

102 Die Frage, was nachhaltig ist, bleibt aber bei der Festlegung von nachhaltigen Finanzanlagen umstritten. Die Atomkraft gehört für Deutschland aufgrund der gefährlichen Endlagerung nicht dazu, dies sehen Frankreich und einige osteuropäische Länder aber anders. Allerdings müssen nachhaltige Anlagen in Zukunft auch eine höhere Rendite bringen; hierbei sind Entsorgungskosten zu berücksichtigen. 103 Vgl. EU-KOM (2018, 97 final), S. 1–23. 104 Vgl. High-Level Expert Group (2018), S. 1–99. 105 Vgl. EU-KOM (2018, 97 final), S. 2. Die übergeordneten Ziele des Aktionsplans sind „1. die Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken, um ein nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen; 2. finanzielle Risiken, die sich aus dem Klimawandel, der Ressourcenknappheit, der Umweltzerstörung und sozialen Problemen ergeben, zu bewältigen; 3. Transparenz und Langfristigkeit in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern.“; EU-KOM (2018, 97 final), S. 3. 106 Vgl. EU-KOM (2018, 97 final), S. 5–14. 107 EU-KOM (2018, 97 final), S. 12. 108 Vgl. EU-KOM (2018, 97 final), S. 12–13. 109 Vgl. Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2019), S. 1–33.

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richterstattung Ausführungen über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit als auch der Klimarisiken für das Unternehmen selbst. Aufgrund der wachsenden Verknüpfung von nichtfinanziellen (oder Pre-Financial Performance Indicators) und finanziellen Informationen erscheint der Veröffentlichungsort des Lageberichts – wie ursprünglich vom Gesetzgeber intendiert – zukünftig die richtige Wahl für die nichtfinanziellen Informationen zu sein. 3. Zur Bedeutung der interperiodischen Vergleichbarkeit bei CSR Eine nicht zu vernachlässigende Komponente der Thematik ist die Vielzahl an freiwilligen Standardsetzern im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die bereits aufgrund ihrer unterschiedlichen Rahmenwerke derzeit eine zwischenbetriebliche Vergleichbarkeit der CSR-Berichterstattung kaum sinnvoll erscheinen lassen. Hinzu kommen z.B. die vom Gesetzgeber zugelassene unterschiedliche Verortung der Angaben und die Art der Überprüfung der entsprechenden Angaben im Rahmen der Unternehmensberichterstattung. Um dem Ziel einer zwischenbetrieblichen Vergleichbarkeit auch im Bereich der nichtfinanziellen Berichterstattung gerecht werden zu können, wäre zu prüfen, ob ein internationaler Standardsetzer für nichtfinanzielle Informationen etabliert werden sollte, um eine einheitliche Diskussionsgrundlage für Unternehmen, Investoren, Ratingagenturen und die Gesellschaft zu schaffen. Ob und wann dies sinnvoll erscheinen könnte, ist derzeit offen. Insoweit tritt die interperiodische Vergleichbarkeit auf Unternehmensebene bei der CSR-Berichterstattung in den Vordergrund. Erst eine sognannte Follow-Up-Berichterstattung im Sinne eines (jährlichen bzw. adhoc) Soll-Ist-Vergleichs erlaubt es, die Prognosefähigkeit des Vorstands auch im Hinblick auf die CSR beurteilen zu können, d.h. ob die Risiken und Chancen des Geschäftsmodells im Hinblick auf den Wertewandel der Gesellschaft zutreffend eingeschätzt wurden, dies gilt z.B. auch für Reputationsrisiken wie dem Dieselgate. Nach § 90 Abs. 1 AktG hat der „Vorstand [...] dem Aufsichtsrat zu berichten über 1. die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung [...], wobei auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen unter Angaben von Gründen einzugehen ist“. Insoweit dürfte der Aufsichtsrat in der Lage sein, die nichtfinanzielle Erklärung bzw. den nichtfinanziellen Bericht formell und materiell zu prüfen und entsprechend auch im Bericht des Aufsichtsrats darüber zu berichten.110 110

Vgl. dazu bereits Böcking/Althoff (DK, 2017), S. 248, die auf die Notwendigkeit einer Follow-Up-Berichterstattung vom Vorstand an den Aufsichtsrat hinweisen und verstärkt auf die interperiodische Vergleichbarkeit abstellen; Althoff (Essays on CSR and CG, 2019), S. 231.

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V. Fazit Die unternehmerische, gesellschaftliche Verantwortungsübernahme – kurzum CSR – wird zu einem strategischen geschäftsmodellspezifischen Bestandteil, Steuerungs- und Risikomanagementelement zugleich. Nicht zuletzt durch die verhaltenssteuernde Wirkung des CSR-RUG werden nichtfinanzielle Informationen zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor unternehmerischer Daseinsberechtigung. Durch eine zunehmende – größtenteils regulatorisch motivierte – Sensibilisierung einflussreicher institutioneller Investoren sowie weiterer Stakeholdergruppen gewinnt die Thematik an Momentum.111 Aus dem Dasein einer zuweilen aufgebürdeten, zusätzlichen – zumeist freiwilligen – Unternehmensaufgabe, wird die gegenwärtige, gesetzlich verankerte CSR-Konzeption zu einem fundamentalen Bestandteil der Unternehmensstrategie. Folglich wird der Themenkomplex der CSR samt zugehöriger inhaltlicher Aspekte (Arbeitnehmer-, Umweltund Sozialbelange, Achtung der Menschenrechte, Bekämpfung von Korruption und Bestechung sowie weitere bedeutsame geschäftsmodellabhängige Themenbereiche und insbesondere die unternehmerische Lieferkette) zu einem Grundpfeiler innerhalb der Debatte um gute Corporate Governance.112 Aufgrund der immensen Ermessensspielräume, die sich durch eine unzureichende Formalisierung der Berichtsangaben bei der Auslegung der CSR-RL in der Praxis ergeben, ist zukünftig mit einem abermals verschärften EU-Rechtsrahmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsbelange zu rechnen. Im Rahmen der Berichterstattung der Unternehmen zu Fragen der CSR dürfte der interperiodischen Vergleichbarkeit im Sinne eines Soll-Ist-Vergleichs auf Unternehmensebene künftig eine zentrale Bedeutung zukommen.

neue rechte Seite! 111 Treiber der Sensibilisierung ist vor allem die Initiative der EU-Kommission für Sustainable Finance, vgl. dazu insbesondere den Aktionsplan der EU-KOM (2018, 97 final), S. 10–11. Die dringlichsten Maßnahmen aus dem Aktionsplan mündeten in Gesetzesvorschläge, die in naher Zukunft zur Erlassung delegierter Rechtsakte führen. 112 Vgl. Kotlenga/Scheid/Müller (ZCG, 2018), S. 179.

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Der Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bei Eilentscheidungen Petra Buck-Heeb

Der Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bei Eilentscheidungen und der Ad-hoc-Publizität PETRA BUCK-HEEB

I. Einführung Die Aufgaben des Aufsichtsrats haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Inzwischen gilt er nicht nur als reines Überwachungsorgan, sondern er soll im Unternehmen auch als Beratungsorgan eine aktive Rolle spielen.1 Seine Stellung wurde unter anderem im Jahr 2002 mit dem TransPuG gestärkt,2 indem die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zu Geschäften des Vorstands nicht mehr im bloßen Ermessen von Satzung oder Aufsichtsrat steht, sondern zwingend erfolgen muss (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG).3 Durch eine Ablehnung der Zustimmung soll der Aufsichtsrat pflichtwidrige Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands schon im Vorfeld unterbinden können.4 In der Praxis haben Zustimmungsvorbehalte als Vetorecht des Aufsichtsrats5 eine große Bedeutung. Auch wenn regelmäßig eine enge Vorabstimmung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erfolgt, sodass bzgl. der fraglichen Maßnahme schon im Vorfeld Einigkeit besteht6 bzw. diese Regelung eine Zusammenarbeit geradezu einfordert,7 gibt es doch Szenarien, in denen 1 Siehe Hopt, ZGR 2019, 507, 523; Begr. RegE BT-Drucks. 14/8769, S. 17 („aktivere Rolle“). 2 Art. 1 Nr. 9 TransPuG (Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts zu Transparenz und Publizität) v. 19.7.2002, BGBl. 2002 I, S. 2681. 3 Begr. RegE BT-Drucks. 14/8769, S. 17; zur Entwicklung der Norm Fleischer, BB 2013, 835 ff.; zu den Motiven des Gesetzgebers Habersack, ZHR 178 (2014), 131, 135 f. 4 Siehe etwa MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 111 Rn. 130; ders., ZHR 178 (2014), 131 f.; E. Vetter, in: Fleischer/Koch/Kropff/Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 103, 119; Schäfer, in: FS E. Vetter, 2019, S. 645, 647. 5 Vgl. Kolb, in: Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Handbuch der AG, 3. Aufl., 2018, § 7 Rn. 81; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 111 Rn. 114; ders., ZHR 178 (2014), 131, 132; Koch, in: Hüffer/Koch, 14. Aufl., 2020, § 111 Rn. 40; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl., 2014, Rn. 112; siehe auch Breuer/ Fraune, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2020, § 111 AktG Rn. 28. 6 Kolb, in: Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Handbuch der AG, 3. Aufl., 2018, § 7 Rn. 81. 7 E. Vetter, in: Fleischer/Koch/Kropff/Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 103, 119.

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das nicht so ist. Dass der Vorstand bei einer Zustimmungsverweigerung die Hauptversammlung beschließen lassen kann (§ 111 Abs. 4 S. 3 AktG), ändert an der Relevanz des Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats nichts, da der genannte Fall in der Praxis letztendlich nicht vorkommt.8 Obwohl dem Gremienvorbehalt im nationalen Gesellschaftsrecht erhebliche Relevanz beigemessen wird, herrscht im – europäisch geprägten – Kapitalmarktrecht eine augenscheinlich gegenläufige „Strömung“ vor. In der Auslegung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht (Art. 17 Abs. 1 MAR) bzw. bei deren Aufschub (Art. 17 Abs. 4 MAR) gilt teilweise ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats als unbeachtlich. Der Vorstand kann damit verpflichtet sein, trotz noch ausstehender und aktienrechtlich erforderlicher Zustimmung des Aufsichtsrats kapitalmarktrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Da sich Klaus J. Hopt nicht nur mit dem Recht des Aufsichtsrats, sondern auch mit den Ad-hoc-Publizitätspflichten eingehend beschäftigt hat, soll diesem an der Schnittstelle zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht liegenden Thema nachgegangen werden.

II. Der Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG Nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG haben die Satzung oder der Aufsichtsrat zwingend festzulegen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen. Spezielle Einwilligungsvorbehalte finden sich auch in anderen Regelungen,9 wobei der Gesetzgeber zu deren Ausweitung tendiert.10 So bedürfen in Umsetzung der zweiten EU-Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) Geschäfte mit einer nahestehenden Person „der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats oder eines … Ausschusses“ (§ 111b Abs. 1 AktG-E).11 All dies trägt zu dem Befund im Schrifttum bei, dass die Grenzen zwischen Geschäftsführung und Überwachung zunehmend undeutlicher werden.12 Diskutiert wird, für welche Fälle ein Zustimmungsvorbehalt möglich ist.13 Nach h.M. sollen nicht sämtliche Geschäfte von grundlegender Bedeutung 8

Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 123; Henssler, in: Henssler/Strohn, 4. Aufl., 2019, § 111 Rn. 23. 9 So etwa in den §§ 59, 89, 114, 115, 205, 308 AktG, §§ 16, 33 WpÜG und § 4 Abs. 2 VW-Gesetz; vgl. GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 111 Rn. 651 ff.; siehe auch Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 35. 10 Siehe Hopt, ZGR 2019, 507, 508 f., 536 ff. 11 Dazu etwa Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2949 f. und 2952; Kleinert/Mayer, EuZW 2019, 103 ff.; zum Vorschlag eines zweistufigen Verfahrens im Referentenentwurf siehe Bungert/Wansleben, BB 2019, 1026, 1028 f.; siehe auch Backhaus/Brouwer, AG 2019, 287 ff., mit der Erkenntnis „HGB sticht AktG“. 12 Etwa Drinhausen, ZHR 183 (2019), 509, 519. 13 Dazu Fleischer, BB 2013, 835 ff.; Seebach, AG 2012, 70 ff.

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dem Zustimmungsvorbehalt unterstellt werden müssen bzw. können,14 sondern nur grundlegende Geschäfte mit außergewöhnlichem Charakter.15 Die Entschließung des Aufsichtsrats über die Zustimmung ist nach ganz h.M. eine unternehmerische Entscheidung.16 Damit kann er sich auf die business judgment rule berufen (§§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG).17 Da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, kann von einer Zustimmung selbst dann abgesehen werden, wenn der Vorstandsbeschluss verfahrens- und ermessensfehlerfrei zustande kam, der Aufsichtsrat das Geschäft aber aus anderen Gründen nicht durchgeführt sehen möchte.18 Das gilt unter Berücksichtigung der organschaftlichen Treuepflicht jedenfalls dann, wenn der Aufsichtsrat annimmt bzw. annehmen darf, dass dies im besten Interesse der Gesellschaft liegt.19 Über die Zustimmung entscheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG). Er kann aber nach wohl einhelliger Ansicht die Erteilung der Zustimmung auch auf einen Ausschuss delegieren.20 Dem steht § 107 Abs. 3 S. 4 AktG nicht entgegen, da dieser sich lediglich auf die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten bezieht, nicht aber auf deren Ausübung.21 In der Rechtsfolge lässt ein Zustimmungsvorbehalt die Vertretungsmacht des Vorstands im Außenverhältnis ebenso unberührt wie eine Verweigerung der Zustimmung.22 Damit sind Rechtsgeschäfte mit Dritten auch bei Verstoß 14 GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 656 ff.; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, 1. Aufl., 2013, § 111 Rn. 45; Fleischer, BB 2013, 835, 839 ff.; MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 123; tendenziell auch Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 36. 15 Zur Diskussion Fleischer, BB 2013, 835, 839 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 AktG Rn. 42 m.w.N.; MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 123; Kolb, in: Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Handbuch der AG, 3. Aufl., 2018, § 7 Rn. 83; GroßkommAktG/Hopt/ Roth, § 111 Rn. 659 (kein Zustimmungsvorbehalt für alle grundlegenden Geschäfte); siehe auch Ziff. 3.3 DCGK, jetzt Grundsatz 6 Abs. 2 DCGK idF von 2019. 16 Hopt, ZGR 2019, 507, 524; GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 713; Hofschroer, Der Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft, 2013, S. 194 ff. 17 GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 713; Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 48; MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 144 m.w.N.; Lutter/Krieger/Verse, Rn. 112; zur Haftung des Aufsichtsrats bei zustimmungsbedürftigen Geschäften Grooterhorst, NZG 2011, 921 ff. 18 GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 718; MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 144; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 51; Lutter/Krieger/Verse, Rn. 126; a.A. etwa Fonk, ZGR 2006, 841, 867. 19 So GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 718. 20 MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 142. 21 Breuer/Fraune, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2020, § 111 Rn. 35; dazu, dass die Zustimmung des Aufsichtsrats(-ausschusses) nicht durch diejenige des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden kann, MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 142; zur a.A. bei Fällen der Unternehmensplanung GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 707; MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 142; KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 111 Rn. 110. 22 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 17 („Schloss Eller“); MünchKommAktG/ Habersack, § 111 Rn. 147.

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gegen das Zustimmungsgebot wirksam.23 Lediglich bei einem evidenten Verstoß ist auf die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht zurückzugreifen.24 Unternehmensintern ist der Vorstand zur Einhaltung der Zustimmungsvorbehalte verpflichtet (§ 82 Abs. 2 AktG).25 Er begeht bei deren Nichtbeachtung regelmäßig eine Pflichtverletzung, die nach § 93 Abs. 2 AktG zu einer Haftung führen kann.26 Allerdings muss hier einerseits ein Schaden der Gesellschaft verursacht worden sein und andererseits darf der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht greifen.27 Daneben kommen ein Widerruf der Bestellung sowie die fristlose Kündigung des Dienstvertrags in Betracht.28

III. Zustimmungsvorbehalt und Eilentscheidungen 1. Einwilligung des Aufsichtsrats Der Vorstand hat, so die h.M. und der II. Zivilsenat, die Zustimmung des Aufsichtsrats zeitlich vor der Durchführung des betreffenden Geschäfts einzuholen.29 Es liegt nicht im Ermessen des Vorstands, ob er die Zustimmung vor oder nach Abschluss des Geschäfts erbittet. Die §§ 183 f. BGB gelten nicht für die aktienrechtlichen Zustimmungserfordernisse. Das folgt schon aus dem abweichenden Regelungsgehalt. Nach den §§ 183 f. BGB ist das Geschäft bis zur Erteilung der Zustimmung unwirksam. Dagegen betrifft das Zustimmungserfordernis nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG lediglich das Innenverhältnis der Gesellschaft. Das Geschäft ist auch ohne Zustimmung wirksam.30 Eine nachträgliche Genehmigung genügt dem Zustimmungserfordernis grundsätzlich nicht.31 Das ergibt sich schon aus dem Sinn und Zweck des 23 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 15 ff. („Schloss Eller“); Lutter/Krieger/Verse, Rn. 123; Schäfer, in: FS E. Vetter, 2019, S. 645, 647; Trautwein, jurisPK-BGB, 8. Aufl., 2017, § 182 Rn. 13.1; anders vorgeschlagen bzgl. des Zustimmungsvorbehalts nach ARUG II Tröger/A. Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2952; dagegen jedoch etwa J. Vetter, ZHR 179 (2015), 273, 288 f. 24 MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 147; MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl., 2019, § 82 Rn. 58 ff., 64; GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 753 f. 25 Kolb, in: Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Handbuch der AG, 3. Aufl., 2018, § 7 Rn. 86. 26 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 14 („Schloss Eller“). 27 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 40 ff. („Schloss Eller“). 28 GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 761. 29 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 16 f. („Schloss Eller“); siehe auch Lutter/ Krieger/Verse, Rn. 124; Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 46. 30 Siehe Fn. 23. 31 Siehe aber Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, 6. Aufl., 2018, Rn. 302.

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Vorbehalts, da die ohne Zustimmung erfolgten Maßnahmen des Vorstands regelmäßig nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Hinzu kommen die tatsächlichen Schwierigkeiten, die auftreten, wenn sich der Aufsichtsrat nachträglich gegen ein vom Vorstand ausgeführtes Geschäft wendet.32 Nach Ansicht mancher soll das Erfordernis eines vorherigen Placets des Aufsichtsrats selbst dann gelten, wenn die Satzung eine nachträgliche Zustimmung erlaubt. Begründet wird das damit, dass der Vorstand trotz der satzungsmäßig vorgesehenen Möglichkeit regelmäßig lediglich dann ermessensfehlerfrei handelt, wenn er die vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats einholt.33 Ob dies vollumfänglich zu bejahen ist, ist zweifelhaft. Der BGH konnte dies bislang offenlassen.34 Umstritten ist jedenfalls, ob der Grundsatz, dass die Zustimmung zeitlich vor der betreffenden Maßnahme des Vorstands zu erfolgen hat, uneingeschränkt gilt. 2. Ausnahme bei Eilentscheidungen? Nach einer Ansicht im Schrifttum soll bei einem eilbedürftigen Geschäft eine Ausnahme von der vorherigen Zustimmung bestehen. Hier soll eine bloße Genehmigung des Aufsichtsrats ausreichend sein.35 Andere wiederum lehnen auch für diesen Fall ein Abrücken von der vorherigen Zustimmung ab, sofern sich nicht Abweichendes aus der Satzung oder dem Aufsichtsratsbeschluss ergibt.36 Der BGH brauchte sich zu dieser Frage bisher nicht äußern.37 Im Schrifttum herrscht über die Voraussetzungen, unter denen eine Ausnahme von der vorherigen Zustimmung möglich sein soll, keine Einigkeit. Bei Eilbedürftigkeit stets von einer Einwilligung des Aufsichtsrats abzusehen, wie dies teilweise angenommen wird,38 erscheint wenig überzeugend.39 Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG („nur mit seiner Zustimmung“), wohingegen etwa § 111b Abs. 1 AktG-E einschrän32

GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 727. GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 111 Rn. 727; vgl. auch Lutter/Krieger/Verse, Rn. 124. 34 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 16 („Schloss Eller“). 35 MünchHdb AG/Hoffmann-Becking, 4. Aufl., 2015, § 29 Rn. 46; vgl. auch E. Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl., 2018, Rn. 26.37. 36 MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 141; Lutter/Krieger/Verse, Rn. 124 („erhebliche(n) Bedenken“); Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl., 2015, § 111 Rn. 61. 37 BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 18 („Schloss Eller“). 38 Dafür Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, 3. Aufl., 2017, § 111 Rn. 80; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 111 AktG Rn. 22; siehe auch Fonk, ZGR 2006, 841, 871; MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 147; dagegen etwa Lutter/Krieger/Verse, Rn. 124; Götz, ZGR 1990, 633, 643 f. 39 Kolb, in: Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Handbuch der AG, 3. Aufl., 2018, § 7 Rn. 84. 33

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kend lediglich „grundsätzlich“ eine Zustimmung für Geschäfte mit nahestehenden Personen vorsieht. Einwenden lässt sich auch, dass eine rasche Entscheidung über eine Zustimmungsanfrage ohne Weiteres möglich ist, da schnelle moderne Kommunikationsformen für eine Beschlussfassung zur Verfügung stehen (§ 108 Abs. 3, 4 AktG).40 Außerdem können solche Entscheidungen schon im Vorhinein auf einen Aufsichtsratsausschuss delegiert werden, der im Zweifel aufgrund der geringeren Anzahl an Personen rasch zusammentreten bzw. sich mittels der o.g. Kommunikationswege abstimmen kann.41 Die Notwendigkeit einer engen Auslegung des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG ergibt sich bereits daraus, dass eine bloße Genehmigung auf das Geschäft keinen Einfluss mehr hätte. Es würden „vollendete Tatsachen“42 geschaffen. Insoweit könnte es „nur“ noch um Haftungsansprüche gegenüber dem Vorstand gehen, der ohne die erforderliche Einwilligung respektive Genehmigung gehandelt hat. Andererseits kann das Erfordernis einer (vorherigen) Einwilligung des Aufsichtsrats auch nicht absolut gelten.43 Ausnahmsweise muss sie dann entbehrlich sein,44 wenn sich der Vorstand vergeblich bemüht hat, den Aufsichtsrat bzw. Ausschuss in Kenntnis zu setzen und er zudem objektiv mit einer Zustimmung rechnen durfte.45 Hinzu kommen muss, dass das Geschäft nicht unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats erfolgen kann.46 Wenn all dies gegeben ist, hat der Vorstand den Aufsichtsrat und damit die gesetzliche Kompetenzordnung nicht „umgangen“. Teilweise wird in der Literatur allein darauf abgestellt, dass der Vorstand mit der Zustimmung rechnen konnte.47 Das überzeugt nicht, da der Aufsichtsrat hinsichtlich seiner Entscheidung bei aller Vorhersehbarkeit möglicherweise Kriterien heranzieht, die der Vorstand nicht beachtet oder anders gewertet hat. Gleichzeitig wird nur so einem Missbrauch vorgebeugt und sichergestellt, dass das Zustimmungserfordernis nicht „durch die Hintertür“ 40 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 47; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2019, § 111 Rn. 76. 41 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 47; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111 Rn. 76; MünchHdb AG/Hoffmann-Becking, § 32 Rn. 17. 42 MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 141. 43 Vgl. Schäfer, in: FS E. Vetter, 2019, S. 645, 649 (Relativierung des Vorbehalts). 44 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 47; KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, § 111 AktG Rn. 106. 45 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 47; E. Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Rn. 26.37; Brouwer, Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats im Aktien- und GmbHRecht, 2008, 176 f. 46 MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 141; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 111 Rn. 80. 47 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 57 (Nachfrage beim Aufsichtsratsvorsitzenden).

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entwertet wird. Vom Erfordernis des ernsthaften Versuchs, eine vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats herbeizuführen, sollte man daher nicht absehen. Dagegen spricht auch nicht die Judikatur des II. Zivilsenats von 2018, die im Hinblick auf das Vorstandshandeln die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten zugelassen hat.48 Auch wenn man hierin eine Relativierung des Zustimmungserfordernisses sehen mag, so handelt es sich dabei allein um die Frage der persönlichen Verantwortlichkeit des Vorstands für sein Handeln. Versucht allerdings der Vorstand, eine Entscheidung des Aufsichtsrats zu erlangen und scheitert dies trotz seiner theoretisch raschen Reaktionsmöglichkeit, etwa aufgrund der Eilbedürftigkeit der Maßnahme, die ein Zuwarten nicht erlaubt,49 handelt der Vorstand, wenn er von einer Zustimmung ausgehen konnte, nicht pflichtwidrig, wenn er die Sache dem Aufsichtsrat „lediglich“ zur Genehmigung vorlegt.50 Dabei soll es nach einer Ansicht auch unerheblich sein, wenn der Aufsichtsrat die nachträgliche Zustimmung nicht erteilt.51 Dem kann allerdings allein für den – praktisch nur schwer vorstellbaren – Fall zugestimmt werden, dass der Aufsichtsrat hierbei gegenüber dem Vorstand unbekannte Aspekte anführt bzw. eine andere – vom Vorstand nicht vorhersehbare – Bewertung der Informationen vornimmt, gleichzeitig aber die Vorstandsentscheidung verfahrens- und ermessensfehlerfrei war. Aufgrund der genannten Schwierigkeiten raten zahlreiche Stimmen im Schrifttum zu einer Regelung der Eilbedürftigkeit bzw. der Zulässigkeit einer nachträglichen Zustimmung in der Satzung.52 Ob eine solche Satzungsregelung ohne Weiteres möglich, der Einwilligungsvorbehalt also abdingbar ist, ist noch offen.53 Einwenden könnte man immerhin, dass bestimmte Satzungsgestaltungen dem Sinn und Zweck des zwingenden Zustimmungsvorbehalts des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG widersprechen. Ob eine zulässige Satzungsregelung immer schon dann vorliegt, wenn man, wie manche vorschlagen,54 verlangt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende vorab informiert wird und der Maßnahme zugestimmt haben muss, erscheint jedenfalls zweifelhaft. Sein Votum kann nicht das des Gremiums er-

48

BGHZ 219, 193 = WM 2018, 1889 Rn. 14 („Schloss Eller“). Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111 Rn. 47 („unabwendbares Bedürfnis nach sofortiger Durchführung der Maßnahme“). 50 Vgl. Schäfer, in: FS E. Vetter, 2019, S. 645, 650 f. 51 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 47 unter Verweis auf Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, 2008, S. 176. 52 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 47; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111 Rn. 47; Seebach, AG 2012, 70, 75. 53 Siehe Schäfer, in: FS E. Vetter, 2019, S. 645, 649. 54 Vgl. MünchKommAktG/Habersack, § 111 Rn. 141 a.E.; GroßkommAktG/Hopt/ Roth, § 111 Rn. 729; Seebach, AG 2012, 70, 75 f. 49

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setzen, sondern lediglich den Vorstand ggf. darin bestärken, dass sich der Aufsichtsrat für die Maßnahme bzw. das Geschäft aussprechen wird.

IV. Zustimmungserfordernis und Ad-hoc-Mitteilungspflicht Die Uneinigkeit des aktienrechtlichen Schrifttums im Umgang mit Eilentscheidungen verschärft sich noch, wenn es um insiderrelevante Vorstandsentscheidungen55 geht. Probleme werfen solche Sachverhalte deshalb auf, weil mit einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats ein gestreckter Geschehensablauf gegeben sein wird.56 Bei der kapitalmarkt- bzw. insiderrechtlichen Einordnung solcher Zwischenschritte tun sich aber Wissenschaft und Praxis trotz der Vorgaben des EuGH bzw. der MAR noch immer schwer. 1. Publizitätspflichtige Insiderinformation bei Gremienvorbehalt (Art. 17 Abs. 1 MAR)? Inwiefern ein Gremienvorbehalt das Vorliegen einer Insiderinformation beeinflusst, wird in der MAR nicht aufgegriffen. Dieser Punkt beschäftigt aber etwa die BaFin in Modul C des Emittentenleitfadens.57 Festgestellt wird, dass Beschlüsse des Vorstands schon vor der Entscheidung durch „die zuständigen Gremien“ (hier: den Aufsichtsrat) eine Insiderinformation in Form eines Zwischenschritts sein können.58 Nicht erforderlich sei, dass die Zustimmung des Aufsichtsrats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.59 Da die einzelnen Zwischenschritte eines Geschehensablaufs insiderrechtlich relevant sein können, wird eine Insiderinformation häufig schon vor der notwendigen Zustimmung des Aufsichtsrats vorliegen (Art. 7 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 MAR).60 Allerdings sollen die Zweifel des Vorstands im Hinblick auf die Aufsichtsratszustimmung nicht so erheblich sein dürfen, dass es dadurch an einer Insiderinformation mangelt, weil die Information nicht 55

Weißhaupt, NZG 2019, 175. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rn. 488; Retsch, NZG 2016, 1201, 1203; Peters, in: FS E. Vetter, 2019, S. 563, 568; siehe schon BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl., 2013, Kap. IV.2.2.7, S. 54. 57 Kap. I.2.1.5.11 Modul C, Emittentenleitfaden-Entwurf (BaFin, BaFin-Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden, Modul C, Stand: 1.7.2019). 58 Siehe auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. II, 5. Aufl., 2017, § 107 Rn. 46 ff. 59 BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden, Modul C, Kap. I.2.1.5.11, S. 30 f.; vgl. Seibt/ Danwerth, NZG 2019, 121, 122 (die Ad-hoc-Mitteilung erfolge regelmäßig im unmittelbaren Anschluss an die Aufsichtsratssitzung). 60 Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765, 796; siehe auch dies., in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 46. 56

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hinreichend präzise ist.61 Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit und damit – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – eine Insiderinformation wird dann bejaht, wenn die Entscheidung schon mit dem Aufsichtsrat vorabgestimmt ist.62 Im Schrifttum wird die Insiderrelevanz eines bloßen Vorstandsbeschlusses teilweise als problematisch angesehen, da der Aufsichtsrat dann seine Entscheidung über die Zustimmung erst nach der Veröffentlichung der Adhoc-Mitteilung treffen kann und so einem erheblichen Druck ausgesetzt ist. Darin wird ein Eingriff in die unternehmerische Entscheidungshoheit des Aufsichtsrats gesehen.63 Einen Vorstandsbeschluss noch nicht als Zwischenschritt zu sehen, da die Zustimmung fehlt, dürfte schon angesichts der insiderrechtlichen EuGH-Rechtsprechung zumeist nicht möglich sein. Insofern stellt sich hier vor allem die Frage, ob die Ad-hoc-Mitteilung aufgeschoben werden kann.64 2. Berechtigtes Aufschubinteresse bei Gremienvorbehalt (Art. 17 Abs. 4 MAR)? a) Präzisierungen Auch bei der Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Veröffentlichung kann das Erfordernis der Zustimmung des Aufsichtsrats eine Rolle spielen. Eine der drei im Gesetz genannten Voraussetzungen für ein zulässiges Aufschieben ist nämlich das Vorliegen eines berechtigten Interesses des Emittenten an der Geheimhaltung der Insiderinformation (Art. 17 Abs. 4 lit. a) MAR). Nicht ausgeführt wird in dieser Norm, wann genau ein berechtigtes Interesse bei einer noch ausstehenden Zustimmung vorliegt. Misslich ist das deshalb, weil der Emittent den Aufschub „auf eigene Verantwortung“ vornehmen muss. Die Rechtsfolgen einer unzulässigen Selbstbefreiung sind dabei sowohl im Hinblick auf die aufsichtsrechtlichen Sanktionen als auch in Bezug auf die zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen von Aktionären drastisch. Daher kommt es darauf an, wie Art. 17 Abs. 4 lit. a) MAR für den Zustimmungsvorbehalt „durch ein anderes Organ des Emittenten“ (in Deutschland durch den Aufsichtsrat) ausgelegt wird. Erwägungsgrund Nr. 50 MAR verlangt, dass die Bekanntgabe der Information vor einer Zustimmung „zu61

Vgl. Söhner, BB 2017, 259, 261. Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765, 799; dies., in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 48 a.E.; siehe auch schon OLG Stuttgart, WM 2009, 1233, LS 1b sowie Rn. 98 f. 63 Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2019, 1138, 1142. 64 Vgl. Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765, 799; dies., in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 48; siehe auch unter IV.2. 62

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sammen mit der gleichzeitigen Ankündigung, dass die Zustimmung noch aussteht, die korrekte Bewertung der Informationen durch das Publikum gefährden“ muss. Mit anderen Worten: Allein ein Gremienvorbehalt vermag noch kein berechtigtes Interesse darzustellen.65 Auch die ESMA erwähnt in ihren auf Art. 17 Abs. 11 MAR basierenden MAR-Leitlinien auf Level 3 den Zustimmungsvorbehalt als Beispiel für ein berechtigtes Emittenteninteresse. Als Voraussetzung dafür, dass dieser ein Aufschubgrund ist, wird ebenfalls verlangt, dass die Offenlegung vor einer endgültigen Entscheidung die korrekte Bewertung der Informationen durch das Publikum gefährden würde (Nr. 8 lit. c) MAR-Leitlinien).66 Ebenso bejaht § 6 WpAV ein berechtigtes Interesse, wenn mit der Adhoc-Veröffentlichung des Vorstandsbeschlusses auch die noch ausstehende Zustimmung genannt werden müsste und dies „die sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde“ (§ 6 S. 2 Nr. 2 WpAV). Parallel dazu äußert sich die BaFin zur „Befreiung vor dem Hintergrund einer Beteiligung des Aufsichtsrats“ ebenfalls dahingehend, dass die korrekte Bewertung der Information durch das Publikum gefährdet werden muss.67 Anders als Erwägungsgrund Nr. 50 MAR verlangt die ESMA für die Bejahung eines berechtigten Interesses neben der Gefährdung der Bewertung zudem, dass eine Entscheidung des Aufsichtsrats unverzüglich herbeigeführt wird.68 b) Gefährdung der korrekten Bewertung durch das Publikum aa) Stand der Diskussion Ob eine Gefährdung der korrekten Bewertung immer dann vorliegt, wenn die Zustimmung unsicher, zweifelhaft oder nicht hinreichend wahrscheinlich ist, wird bei den oben aufgeführten Präzisierungen69 offengelassen. Im Schrifttum findet sich hierzu der Hinweis, dass ein Aufschub bei einem internen Gremienvorbehalt nur dann möglich ist, wenn Zweifel an der Zustimmung des Aufsichtsrats bestehen.70 Wie weit solche Zweifel gehen müssen, ist umstritten.71

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Vgl. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 10. Aufl., 2019, Rn. 511. ESMA, MAR-Leitlinien „Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“, ESMA/2015/1478 DE v. 20.10.2016. 67 BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden, Modul C, Kap. I.3.3.1.2, S. 56. 68 Dazu bei c). 69 Siehe bei IV.2.a) aa). 70 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 154; vgl. auch Retsch, NZG 2016, 1201, 1203. 71 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 1. Aufl., 2018, Art. 17 MAR Rn. 217. 66

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Manche wollen einen Aufschub i.S. des Art. 17 Abs. 4 MAR nur dann als erlaubt ansehen, wenn mit einer Ablehnung durch den Aufsichtsrat „ernsthaft zu rechnen“ ist.72 Andere lassen es genügen, dass die Zustimmung „nicht sicher“ ist.73 Eine dritte Meinung sieht stets eine – für einen Aufschub hinreichende – Unsicherheit bei einem Zustimmungserfordernis gegeben, sodass auf eine Prognose des Vorstands im Hinblick auf die Möglichkeit einer Zustimmung verzichtet werden könne.74 Eine weitere Ansicht will nicht auf eine Zustimmungswahrscheinlichkeit, welcher Art auch immer, sondern auf die zutreffende Einschätzung durch den Markt abheben,75 was aber letztendlich die gleichen Fragen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit nur in anderem Gewand aufwirft. Im Schrifttum ist auch teilweise generell die Eingrenzung auf Fälle, in denen die noch ausstehende Zustimmung eine korrekte Informationsbewertung gefährden könnte, auf Ablehnung gestoßen. Denn das würde bedeuten, dass eine noch nicht erfolgte Zustimmung kapitalmarktrechtlich als irrelevant angesehen wird. Auch die BaFin hatte im „alten“ Emittentenleitfaden diesbezüglich noch darauf abgestellt, dass „angesichts der dem Aufsichtsrat … zugewiesenen gesetzlichen Aufgaben zur Überwachung des Vorstands … bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen eine Befreiung regelmäßig zulässig“ sei.76 Im Modul C des BaFin-Emittentenleitfadens wird das jedoch anders gesehen, nämlich angepasst an die Sichtweise der ESMA,77 da die BaFin generell die Einhaltung der Leitlinien erklärt hat.78 Zweifel an der genannten Auslegung des Begriffs „berechtigtes Interesse“ können deshalb bestehen, weil damit eine rein kapitalmarktrechtliche Ausrichtung erfolgt, welche die gesellschaftsrechtliche Aufteilung im dualistischen System zwar nicht umfassend, aber zumindest für die betreffenden Fälle außer Betracht lässt. Hopt und Kumpan haben jedoch in anderem Zusammenhang schon zutreffend darauf hingewiesen, dass die aktienrechtliche Beurteilung für die kapitalmarktrechtliche Beurteilung nicht verbindlich ist, „schon gar nicht die deutsche für die unter der MAR“.79 Dabei stellt sich hier nicht die Frage einer „richtlinien-“ bzw. verordnungskonformen Aus72 Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 610 ff.; hiergegen Assmann, ZHR 172 (2008), 635, 643 ff., insbes. 648 ff. 73 Siehe Gunßer, Ad-hoc-Publizität bei Unternehmenskäufen und -übernahmen, 2008, S. 91 ff. 74 Assmann, in: Assmann/U.H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., 2019, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rn. 111 f. 75 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 1. Aufl., 2018, Art. 17 MAR Rn. 219. 76 BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl., 2013, Kap. IV.3.1, S. 61. 77 BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden, Modul C, Kap. I.3.3.1.2, S. 56. 78 BaFin, Zur Anwendbarkeit der ESMA-Leitlinien für den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, v. 6.12.2016, WA 27-Wp 2001-2016/0058 (abrufbar unter www.bafin.de). 79 Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765, 796.

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legung contra legem, da die MAR eine unmittelbar im nationalen Recht geltende Verordnung ist. Insofern ist sie autonom auszulegen.80 Als Hintergrund der o.g. Präzisierung des Art. 17 Abs. 4 MAR wird zum einen gesehen, dass der Kapitalmarkt nicht durch nur relative Informationen beeinträchtigt wird. Zum anderen soll die Entscheidung des Aufsichtsrats nicht durch eine vorherige öffentliche Bekanntgabe der Maßnahme präjudiziert werden.81 Diese beiden Gründe werden jedoch in der Auslegung der ESMA sowie des Erwägungsgrunds Nr. 50 MAR nicht gleichermaßen berücksichtigt. Vielmehr scheint dort der erste Faktor als prioritär angesehen zu werden. Ob sich dadurch ein Widerspruch zur gesellschaftsrechtlichen Einordnung ergibt, wie dies insbesondere im Rahmen der Stellungnahmen zu Modul C des Emittentenleitfadens der BaFin betont wurde, ist bislang kaum erörtert. So spricht vor allem der Sinn und Zweck der Ad-hoc-Mitteilung und deren Aufschub dafür, dann, wenn mit einer Zustimmung des Aufsichtsrats zu rechnen ist, diese nicht abwarten zu müssen. Hintergrund der Regelung ist schließlich vor allem die Vermeidung von Insiderhandel durch Streuung von Insiderinformationen. Gegen die Auffassung der europäischen Aufsichtsbehörde wird auch der mögliche Reputationsschaden des Emittenten ins Feld geführt.82 Bei einer späteren Versagung der Zustimmung werde das Ansehen der Gesellschaft erheblich beeinträchtigt, wenn zuvor bereits im Wege der Ad-hoc-Meldung über die bevorstehende Transaktion berichtet wurde.83 Richtig daran ist, dass die Einschätzungen von Vorstand und Aufsichtsrat etwa über die Vorund Nachteile eines Geschäfts potenziell divergieren können, auch wenn der Regelfall eine vorherige Abstimmung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sein dürfte. Zutreffend dürfte auch sein, dass in solchen Fällen die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats zumindest faktisch beschränkt ist. Die kapitalmarktrechtliche Deutung der Aufsichtsbehörden führt daher zu einem Widerspruch mit der gewandelten Rolle des Aufsichtsrats in Richtung zunehmender Einflussmöglichkeiten. Der Aufsichtsrat kann in einem solchen Fall nicht mehr frei von Gesichtspunkten des Kapitalmarkts und der Öffentlichkeit über die Erteilung der Zustimmung allein unter dem Aspekt des Gesellschaftsinteresses entscheiden.84 Abgesehen davon erscheint das unvereinbar mit der Autonomie des Aufsichtsrats, da seine Zustimmung auf ein bloßes „Abnicken“ des Vorstandsbeschlusses hinausläuft.85 80 81 82 83 84 85

Siehe etwa Klöhn, in: Klöhn, Einleitung Rn. 54. Retsch, NZG 2016, 1201, 1203. Siehe auch Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765, 782 f. Peters, in: FS E. Vetter, 2019, S. 563, 574. So Peters, in: FS E. Vetter, 2019, S. 563, 574. So Weißhaupt, NZG 2019, 175; siehe auch ders., ZIP 2019, 202 ff.

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Das steht in Widerspruch dazu, dass in das Aktiengesetz mit § 111 Abs. 4 S. 2 AktG sogar eine Verpflichtung zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten aufgenommen wurde.86 Dadurch sollte die bis dahin gängige Praxis unterbunden werden, keine oder nur schwach ausgeprägte Zustimmungsvorbehalte vorzusehen bzw. den Aufsichtsrat erst nach der Durchführung eines Geschäfts zu informieren.87 bb) Zur Sichtweise in den MAR-Erwägungsgründen und den MAR-Leitlinien Bislang unbeachtet geblieben ist bei der Diskussion im Schrifttum aber, dass auf europäischer Ebene die deutsche aktienrechtliche Struktur trotz der Andeutung divergierender Gesellschaftsstrukturen in Erwägungsgrund Nr. 50 MAR und den MAR-Leitlinien nicht hinreichend berücksichtigt wird. Sowohl nach Erwägungsgrund Nr. 50 MAR als auch gemäß den MAR-Leitlinien kann zwar in der noch ausstehenden Zustimmung „durch ein anderes Organ“ ein Aufschubgrund liegen. Allerdings wird auf solche Entscheidungen oder Verträge Bezug genommen, die einer Zustimmung bedürfen „um wirksam (!) zu werden“.88 Das ist jedoch bei den Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG gerade nicht der Fall.89 Ob es sich bei der genannten Formulierung um ein Redaktionsversehen handelt bzw. man erwägen muss, die Leitlinie entsprechend heranzuziehen90 (wobei sich die Frage stellt, ob bloße Level 3Maßnahmen überhaupt „entsprechend“ herangezogen werden können), kann offenbleiben, wenn die ESMA die Konstellationen, in denen der Zustimmungsvorbehalt keine Außenwirkung hat, als „Minus“ zu dem Fall der Wirksamkeitsvoraussetzung als miterfasst ansieht. Selbst wenn man jedoch eine Übertragbarkeit auf die Fälle des deutschen Zustimmungsvorbehalts bejaht, passt die von Erwägungsgrund Nr. 50 MAR und der ESMA aufgeführte Einschränkung schon inhaltlich nicht auf den Zustimmungsvorbehalt i.S. des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG. Das gilt gleichermaßen für § 6 S. 2 Nr. 2 WpAV. Nur wenn das Geschäft im Außenverhältnis mit der Zustimmung steht und fällt (und davon wird in den o.g. Präzisierungen ausgegangen), macht die Eingrenzung Sinn, dass die „sachgerechte“ (so § 6 S. 2 Nr. 2 WpAV) bzw. „korrekte“ (so Erwägungsgrund Nr. 50 MAR und Nr. 8 lit. c) MAR-Leitlinien) Bewertung der Information durch 86

Siehe oben Fn. 3. Drygala, in: Lutter/Krieger, § 111 Rn. 50; Habersack, ZHR 178 (2014), 131, 135 f.; Fleischer, BB 2013, 835, 838 f. 88 ESMA, MAR-Leitlinien „Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“, ESMA/2015/1478 DE v. 20.10.2016, Rn. 8 lit. c) (Hervorh. v. Verf.). 89 Siehe oben bei III.1. 90 Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 110. 87

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das Publikum gefährdet würde. Im deutschen Recht wird durch eine noch ausstehende nachträgliche Genehmigung nie eine „sachgerechte Bewertung … gefährdet“, da der vom Vorstand geschlossene Vertrag im Außenverhältnis ohnehin wirksam ist und bleibt. Im zweiten Unterfall der Präzisierungen geht es um „andere getroffene Entscheidungen“ des Vorstands, die noch der Aufsichtsratszustimmung bedürfen. Hier kann auch nach deutschem Aktiengesetz eine „Bewertung der Information durch das Publikum“ gefährdet sein. Da die Entscheidung im Innenverhältnis nur umgesetzt werden darf, wenn der Aufsichtsrat zustimmt, kann deren Durchführung noch unsicher sein. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, dass ein Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung erfolgt. Nur in diesem Fall ist in der Tat eine fehlerhafte Bewertung durch das Publikum möglich, da die Realisierung des Vorstandsvorhabens hier noch unsicher ist. Das gilt allerdings nur, wenn sich der Vorstand nicht ohnehin über die vorgenommene Einordnung des Aufsichtsrats hinwegsetzen will. cc) Schlussfolgerung Bei den vorliegenden Fällen geht es nicht unbedingt um eine „Überlagerung“ des Zivilrechts durch Aufsichtsrecht, sondern zunächst um eine solche durch die Sichtweise der Aufsichtsbehörde. Gleichzeitig aber passt sie nicht für die zu regelnden Sachverhalte und geht damit – zumindest für das deutsche zweistufige System – ein Stück weit ins Leere. Insofern liegt die Befürchtung nahe, dass die ESMA bei der Auslegung der MAR-Bestimmung entgegen ihres Hinweises auf die Struktur der Gesellschaft tatsächlich eher das einstufige board-Modell denn das zweispurige deutsche System im Blick hatte.91 Hinzu kommt die Unklarheit bzgl. der Auslegung in Erwägungsgrund Nr. 50 MAR sowie den MAR-Leitlinien. Die Erwägungsgründe sind nach h.M. keine verbindliche Auslegung der MAR-Regelungen, sondern allenfalls Auslegungshilfen.92 Die rechtliche „Stellung“ der Leitlinien ist ebenfalls fraglich, handelt es sich dabei schließlich „nur“ um eine Festlegung des Verwaltungshandelns. Derzeit noch offen ist, inwieweit die Behördenauffassung auch verwaltungsgerichtlich bzw. vor dem EuGH Bestand hat und ob die zivilrechtliche Rechtsprechung eine vergleichbare Einordnung wie die Aufsichtsbehörden vornimmt. Ob und inwiefern die hier behandelten Punkte auch in anderen Mitgliedstaaten Relevanz haben, ist ebenfalls noch nicht untersucht. Zudem fragt sich, ob es nunmehr eine Zweiklassen-Zustimmung gibt: einen nicht 91 Zu letzterem etwa Hopt, in: Binder/Psaroudakis, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht in der Krise, 2019, S. 269, 274 f., 277 ff. 92 Zur Diskussion etwa Klöhn, in: Klöhn, Einleitung Rn. 65 ff.

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kapitalmarktbezogenen und einen kapitalmarktbezogenen Zustimmungsvorbehalt. Im Ergebnis festgehalten werden kann jedenfalls, dass die derzeitige Rechtslage Unklarheiten aufweist. Diese sollten zumindest im Rahmen der anstehenden MAR-Evaluierung dringend behoben werden.93 c) Unverzügliche Entscheidung des Aufsichtsrats Noch unklar ist, ob neben der Gefährdung der korrekten Bewertung durch das Publikum als weitere Voraussetzung für einen zulässigen Aufschub die Unverzüglichkeit einer Entscheidung des Aufsichtsrats gegeben sein muss. Die ESMA verlangt jedenfalls über den Erwägungsgrund Nr. 50 lit. b) MAR hinausgehend94 in den MAR-Leitlinien als zweite Voraussetzung, der Emittent müsse dafür gesorgt haben, dass die endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird.95 Ausgeschlossen werden soll, dass der Emittent bei einer Unsicherheit bzgl. der Entscheidung des Aufsichtsrats eine solche hinauszögert und damit den Aufschubgrund willkürlich verlängern und somit die Veröffentlichung über Gebühr hinausschieben kann.96 Auch § 6 WpAV verlangt zusätzlich, dass der Emittent für eine „so schnell wie möglich“ erfolgende Entscheidung gesorgt hat. Die BaFin verlangt daher ebenfalls, dass die Entscheidung des Aufsichtsrats „in einem angemessenen Zeitraum herbeigeführt“ wird.97 Konkretisiert wird der zeitliche Aspekt dahingehend, dass ein Beschluss „unverzüglich“ gefasst werden muss, d.h. auch außerhalb der nächsten turnusmäßigen Sitzung.98 Erwähnt werden insbesondere die Möglichkeit des Umlaufverfahrens und die Entscheidung in einem Ausschuss.99 Im Schrifttum wird daran kritisiert, dass nicht konkret benannt wird, welche Einberufungsfrist für eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung noch angemessen ist.100 Damit wird wieder das grundsätzliche Dilemma zwischen einerseits zu großer Detailliertheit und andererseits Rechtsunsicherheit aufgrund von Abstraktheit angesprochen. Hier lässt sich ein genauer Zeitpunkt 93 Siehe ESMA, Consultation Paper „MAR review report“ v. 3.10.2019, ESMA70-1561459, Nr. 6.1, S. 36 ff. 94 ESMA, MAR-Leitlinien „Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“, ESMA/2015/1478 DE Rn. 8 lit. c); kritisch Seibt, Börsenzeitung, 6.8.2016. 95 ESMA, MAR-Leitlinien „Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“, ESMA/2015/1478 DE Rn. 8 lit. c). 96 So Meyer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., 2019, Rn. 12.352. 97 BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden, Modul C, Kap. I.3.3.1.2, S. 56. 98 So schon BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl., 2013, IV.3.1, S. 61; Retsch, NZG 2016, 1201, 1203. 99 BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden, Modul C, Kap. I.3.3.1.2, S. 56. 100 Weißhaupt, NZG 2019, 175.

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wegen der Einzelfallabhängigkeit nicht benennen. So kann teilweise ein gewisser Zeitraum zur sachgerechten Vorbereitung der Aufsichtsratsentscheidung erforderlich sein. Die im Schrifttum genannte Frist von etwa 8–10 Tagen101 wird jedenfalls häufig zu lang sein. Bei der Bemessung der Frist wird auch zu berücksichtigen sein, dass die ESMA im Konsultationsprozess noch eine Entscheidung des Aufsichtsrats binnen eines Tages für erforderlich gehalten hat.102 Davon ist sie jedoch in der endgültigen Fassung der MAR-Leitlinien mit Blick auf das in Deutschland vorherrschende dualistische System wieder abgerückt.103

V. Fazit An der Thematik des Zustimmungsvorbehalts lässt sich zeigen, wie wenig das europäische Kapitalmarktrecht auf das nationale Privatrecht, hier in Form des Gesellschaftsrechts, abgestimmt ist. Die europäischen Vorgaben gehen zumindest für den konkreten Bereich mit den aktienrechtlichen Vorschriften nicht vollständig konform. Dass sich hieraus für die Praxis Probleme im Umgang mit den rechtlichen Vorgaben ergeben, liegt auf der Hand. Auch der Befund einer Überlagerung des Zivil- bzw. Gesellschaftsrechts durch das Aufsichtsrecht bzw. die Auslegung der Aufsichtsbehörden wird nicht ohne Rückwirkung auf das deutsche Gesellschaftsrecht bleiben. Speziell der aktienrechtliche Zustimmungsvorbehalt scheint zunehmend durch die Ausdehnung der Irrelevanz einer Zustimmung trotz festgelegten Aufsichtsratsvorbehalts ausgehöhlt zu werden. Gleichzeitig wird durch die genannten Unsicherheiten eine kapitalmarktrechtliche Selbstbefreiung des Emittenten von der Ad-hoc-Mitteilungspflicht noch mehr erschwert. Ob das wirklich gewollt ist, muss letztendlich der europäische Gesetzgeber bei der Überarbeitung der Marktmissbrauchsverordnung entscheiden.

neue rechte Seite! 101

Vgl. Krämer/Kiefner, AG 2016, 621, 625. Meyer, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 12.352 unter Verweis auf ESMA, Consultation Paper „Draft guidelines on the Market Abuse Regulation“, v. 28.1.2016 ESMA/2016/162 Rn. 78 ff. 103 Söhner, BB 2017, 259, 261 Fn. 30. 102

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Zahlungen ohne Kundenauthentifizierung und der Haftungsausschluss Matthias Casper

Zahlungen ohne Einsatz einer starken Kundenauthentifizierung und der Haftungsausschluss nach § 675v Abs. 4 BGB – neues Ungemach an der Schnittstelle von Aufsichtsrecht und Bürgerlichem Recht? MATTHIAS CASPER

I. Invocatio jubilaris: Warum Zahlungsverkehrsrecht zu Ehren von Klaus Hopt? Wichtige Kollegen gibt es viele.1 Wirklich beeindruckende Persönlichkeiten finden sich darunter bisweilen durchaus auch. Aber welche Eigenschaften muss ein Kollege mitbringen, damit er so herausragt, dass man zum 80. Geburtstag gerne abermals zur Feder greift?2 Will man diese Frage beantworten, muss man einfach Klaus Hopt beobachten und mit ihm bisweilen zusammenarbeiten. Ein enormer Workload auch im hohen Alter, ein wacher Geist, der das juristische Problem in Sekundenschnelle messerscharf sezieren kann, der klare internationale Fokus und die Bereitschaft, zugleich auch die Kärrnerarbeit des Kommentators des Baumbach’schen Kurzkommentars zum HGB im Zweijahresrhythmus auf sich zunehmen, beschreiben ihn noch nicht hinreichend. Was Klaus Hopt wirklich auszeichnet ist seine unglaubliche Neugier. Reist man mit ihm nach Zhujiajiao, dem Venedig von Shanghai, ist man von seinem Wissen über chinesische Kaiserdynastien und seinem Interesse an chinesischer Kalligrafie beeindruckt, das während eines Museumsbesuchs weiter vertieft wurde, während wir übrigen Kollegen eher über allgemeines „Klein Klein“ plaudernd durch die Ausstellung zogen. Genießt man zudem das Privileg, mit ihm zweimal jährlich im Arbeitskreis „Finanzmarktgesetzgebung“ im BMF 1 Kollegen, die sich für besonders wichtig halten, gibt vielleicht sogar noch häufiger, von ihnen soll hier aber nicht die Rede sein. 2 Allgemein zur „passiven Festschriftsfähigkeit“ Fleischer NZG 2019, 1241, 1243. Dort freilich mit dem primären Fokus auf die erste und üblicherweise einzige Festschrift zum 70. Geburtstag. Hier ist die sozusagen „qualifizierte passive Festschriftsfähigkeit“ gemeint, die eine zweite Festschrift zum 80. Geburtstag rechtfertigt.

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zusammenzuarbeiten, ist man immer wieder fasziniert, wie sich diese Neugier gepaart mit juristischer Phantasie in kreative Gestaltungskraft verwandelt. Klaus Hopt möchte es nicht nur ganz genau wissen, er will weiterdenken und neue Lösungen entwickeln. All dies geschieht ganz unprätentiös im kollegialen Diskurs. Deshalb sei zu seinem 80. Geburtstag eine Passage aus dem Abschnitt (7): „Bankgeschäfte“ des Baumbach’schen Kommentars herausgegriffen, die ihm zu Ehren weiter ausdekliniert und verprobt werden soll.3 Dort heißt es in Rn. C/63: „Der Zahler haftet nach § 675v IV BGB abweichend von I und III seinem Zahlungsdienstleister nicht, wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers eine starke Kundenauthentifizierung […] nicht verlangt […] oder der Zahlungsempfänger oder sein Zahlungsdienstleister eine solche nicht akzeptiert […]. Letzterenfalls muss aber der nicht Akzeptierende dem Zahlungsdienstleister des Zahlers den daraus entstehenden Schaden ersetzen (§ 675v IV 3 BGB).“4 Aufsichtsrechtlich müssen Zahlungsdienstleister eine starke Kundenauthentifizierung verlangen, wenn Kunden elektronisch auf ihr Konto zugreifen, § 55 ZAG [...]. Aber was bedeutet „verlangt nicht“ bzw. „akzeptiert nicht“? Kommt es insoweit darauf an, ob der Zahlungsdienstleister des Zahlers bzw. der Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister aufsichtsrechtlich verpflichtet waren, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen? Ist die Haftung für die grob fahrlässige Ermöglichung der missbräuchlichen Verwendung also nur dann ausgeschlossen, wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers nach § 55 ZAG verpflichtet ist, eine starke Kundenauthentifizierung einzufordern? Oder verliert er den Schadensersatzanspruch nach § 675v Abs. 1 bzw. Abs. 3 BGB stets dann, wenn er auf den Einsatz einer starken Kundenauthentifizierung – aus welchen Gründen auch immer – verzichtet, wie es jüngst insbesondere von Jungmann vertreten worden ist?5 Mit diesen bisher noch wenig geklärten Fragen hat sich der Verfasser dieser Zeilen unlängst für den vom ihm fortgeführten Baumbach’schen Kurzkommentar zum Wechsel-, Scheck- und Zahlungsverkehrsrecht beschäftigen müssen.6 Wie in den Baumbach’schen Kurzkommentaren üblich, konnte er seine Ansicht zu diesen Fragen dort nicht mit vollem Tiefgang entfalten. Dies sei an dieser Stelle nachgeholt.

3 Ganz im Sinne der Anleitung „How to Wirte a Festschrift Piece“ von Schleicher, Tulsa L. Rev. 48 (2013), S. 401, 402. Zur „invocatio jubilaris“ vgl. auch Fleischer NZG 2019, 1241, 1244. 4 Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, BankGesch (7) Rn. C/63. 5 Jungmann ZBB 2020, 1, 2 ff.; ebenso zuvor bereits Hoffmann VuR 2016, 243, 248 (zu Art. 74, 97 ZDRL). 6 Baumbach/Hefermehl/Casper, WG, SchG, Recht des Zahlungsverkehrs, 24. Aufl. 2020, Zahlungsverkehr Rn. 387 ff.

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II. Das Problem im Kontext der Haftung für die missbräuchliche Verwendung von Zahlungsinstrumenten Zahlungen ohne starke Kundenauthentifizierung und § 675v Abs. 4 BGB

1. Das Konzept des § 675v BGB § 675v BGB setzt Art. 74 der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie (RL (EU) 2015/2366 v. 25.11.2015 (im folgenden ZDRL) um und ist neben § 675u BGB eine der beiden zentralen Normen, die der Haftung des Zahlers gegenüber seinem Zahlungsdienstleister bei missbräuchlicher Verwendung eines Zahlungsinstruments gewidmet ist. Sie stellt mithin eine der Grundsäulen des sog. Deckungsverhältnisses dar. Zusammen mit § 675u BGB bildet sie einen wesentlichen Baustein für die Risikoverteilung bei der missbräuchlichen Verwendung von Zahlungskarten oder sonstigen Zahlungsinstrumenten. Gemäß § 675u S. 1 BGB hat der Zahlungsdienstleister bei nicht autorisierten Zahlungsvorgängen keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Zahlungsdienstnutzer, sodass der Schaden zunächst beim Zahlungsdienstleister anfällt, da dieser grundsätzlich das Missbrauchsrisiko trägt.7 Aus der Perspektive der ökonomischen Analyse des Rechts spricht für diese grundsätzliche Risikoverteilung, dass das kartenausgebende Unternehmen die Risiken einer missbräuchliche Verwendung am ehesten steuern und am günstigsten versichern kann (Gedanke des cheapest cost avoider). Beruht die nicht autorisierte Zahlung jedoch auf der missbräuchlichen Verwendung eines Zahlungsinstruments iSd § 1 Abs. 20 ZAG,8 räumt § 675v BGB dem Zahlungsdienstleister in Abweichung von diesem Grundsatz unter bestimmten Voraussetzungen zumindest einen Schadensersatzanspruch wegen der Ermöglichung der missbräuchlichen Verwendung ein. § 675v BGB basiert auf zwei Säulen. Mit der im Grundsatz verschuldensunabhängigen Haftung in Höhe von maximal 50 Euro soll der Zahler in moderater Weise an den Kosten einer missbräuchlichen Verwendung des Zahlungsinstruments beteiligt werden, um die Anreizwirkung zu verstärken, den Sorgfaltspflichten iSd § 675l BGB gründlich nachzukommen. Mit der 2018 neu eingeführten Ausnahme in § 675v Abs. 2 Nr. 1 BGB, wonach der Zahler auch von dieser Haftung befreit wird, wenn es ihm nicht möglich war, den Verlust oder den Diebstahl der Karte zu bemerken, wird diese verschuldensunabhängige Haftung deutlich abgemildert und ein Quasiverschuldenserfordernis eingefügt.9 Demgegenüber ist § 675v Abs. 3 BGB aus 7

Vgl. näher zum Ganzen nur Casper (Fn. 6) Zahlungsverkehr Rn. 311 ff. m. weit. Nachw. Näher zum Begriff des Zahlungsinstruments Casper in Casper/Terlau, ZAG, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 89 ff. m. weit. Nachw. 9 Nähere Begründung bei Casper (Fn. 6) Zahlungsverkehr Rn. 371 ff. Von einem Verschulden spricht dagegen RegE BT-Drs. 18/11495, S. 165; dem folgend MüKoBGB/ Zetzsche, 8. Aufl. 2020, § 675v Rn. 32. 8

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einem anderen Holz geschnitzt. Hiernach ist eine unbeschränkte, verschuldensabhängige Haftung auf den gesamten Schaden möglich, falls der Zahler in betrügerischer Absicht gehandelt oder die ihm gesetzlich oder vertraglich auferlegten Sorgfaltspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig missachtet hat. Bedeutung erlangt in der Praxis allein die grob fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflichten nach § 675l Abs. 1 BGB.10 Beide Haftungsansprüche werden dem Zahlungsdienstleister des Zahlers jedoch gem. § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB aus der Hand geschlagen, wenn dieser bei dem Zahlungsvorgang keine starke Kundenauthentifizierung verlangt hat, es sei denn, der Zahler handelt in betrügerischer Absicht (§ 675v Abs. 4 S. 2 BGB). Diesen Haftungsausschluss kann man als Private Enforcement der aufsichtsrechtlichen Pflicht nach § 55 ZAG verstehen. Aus einer derartigen Perspektive überrascht dann aber, dass die Haftung des Zahlers nach § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB auch dann entfallen soll, wenn der „Zahlungsempfänger oder sein Zahlungsdienstleister eine starke Kundenauthentifizierung […] nicht akzeptiert“, da diese beiden Player im Inkassoverhältnis durch § 55 ZAG aufsichtsrechtlich gerade nicht adressiert werden. Der Zahlungsdienstleister des Zahlers verliert also einen Schadensersatzanspruch im Deckungsverhältnis für ein Verhalten im Inkassoverhältnis, das er nicht steuern kann. Insoweit ist es konsequent, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlers nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB einen Ausgleichsanspruch gegen den Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister erhält. 2. Was sagt die Richtlinie? Mit dieser Umsetzung ist der deutsche Gesetzgeber über die Vorgaben in der Richtlinie hinausgegangen. Art. 74 Abs. 2 der ZDRL formuliert lediglich: „Verlangt der Zahlungsdienstleister des Zahlers keine starke Kundenauthentifizierung, so trägt der Zahler einen finanziellen Verlust nur, wenn der Zahler in betrügerischer Absicht gehandelt hat. Akzeptiert der Zahlungsempfänger oder der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers eine starke Kundenauthentifizierung nicht, muss er dem Zahlungsdienstleister des Zahlers den finanziellen Schaden ersetzen.“11 Ein mit § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB vergleichbarer Haftungsausschluss wird hier also gerade nicht gefordert. Der Gesetzgeber begründet die Erstreckung des Haftungsausschlusses in Nr. 2 damit, dass der Regressanspruch eine entspre10 Näher zu diesen Sorgfaltspflichten MüKoBGB/Jungmann, 8. Aufl. 2020, § 675l Rn. 50 ff.; Casper (Fn. 6) Zahlungsverkehr Rn. 720 ff., 740 ff. 11 In der englischen Fassung heißt es: „Where the payer’s payment service provider does not require strong customer authentication, the payer shall not bear any financial losses unless the payer has acted fraudulently. Where the payee or the payment service provider of the payee fails to accept strong customer authentication, it shall refund the financial damage caused to the payer’s payment service provider.“

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chende Vorschrift voraussetze, da die Regelung in Art. 74 Abs. 2 S. 2 ZDRL (bzw. § 675v Abs. 4 S. 3 BGB) anderenfalls gegenstandslos wäre.12 Der deutsche Gesetzgeber geht damit anscheinend davon aus, dass den Zahlungsempfänger oder seinen Zahlungsdienstleister eine Pflicht trifft, eine starke Kundenauthentifizierung akzeptieren zu müssen, sofern der Zahlungsvorgang in den Anwendungsbereich des § 55 ZAG fiele, wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers ihn allein ausführen würde. Hierfür scheint auch der abweichende Wortlaut in Nr. 2 zu streiten, der von „nicht akzeptiert“ – gegenüber „nicht verlangt“ in Nr. 1 – spricht. Auf diese These von einer Akzeptanzpflicht, die vor allem von Linardatos bestritten worden ist,13 wird noch sogleich zurückzukommen sein (sub IV.). Zunächst gilt es aber, die Reichweite des durch die Richtlinie klar vorgezeichneten Haftungsausschlusstatbestands in § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB zu klären.

III. Wann muss eine starke Kundenauthentifizierung verlangt werden? Mit dem Haftungsausschlusstatbestand in § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB wird der Zahlungsdienstleister des Zahlers adressiert. Die Norm steht im unmittelbaren Zusammenhang mit § 55 Abs. 1 ZAG. Danach ist der „Zahlungsdienstleister […] verpflichtet, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen, wenn der Zahler erstens online auf sein Zahlungskonto zugreift; zweitens einen elektronischen Zahlungsvorgang auslöst; [oder] drittens über einen Fernzugang eine Handlung vornimmt, die das Risiko eines Betrugs im Zahlungsverkehr oder anderen Missbrauchs beinhaltet.“ Beim Einsatz eines Zahlungsinstruments ist eine dieser Fallgruppen häufig, wenn auch nicht immer verwirklicht (dazu am Beispiel der Zahlung mittels einer Kreditkarte sogleich noch sub V.). Wegen dieses Zusammenhangs liegt es nahe, das Verlangen auf solche Konstellationen zu beschränken, in denen der Zahlungsdienstleister des Zahlers überhaupt aufsichtsrechtlich verpflichtet ist, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen. Diese aufsichtsrechtliche Pflicht in § 55 ZAG wird durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/389 über technische Regulierungsstandards für eine starke Kundenauthentifizierung und für sichere offene Standards für die Kommunikation – im Folgenden RTS (VO (EU) 2018/389) – näher ausgestaltet. So ist der Zahlungsdienstleister des Zahlers z.B. nach Art. 11 RTS (VO (EU) 2018/389) bei Zahlungsvorgängen bis zu 50 Euro von der Pflicht befreit, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen. Mit dieser Privilegierung von Kleinbetragszahlungen soll das kontaktlose Zahlen kleiner Beträge mit dem 12 13

RegE BT-Drs. 18/11495, S. 166 f. MüKoHGB/Linardatos, Bankvertragsrecht (BVR), 4. Aufl. 2019, Rn. G 148.

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Smartphone oder mittels einer Debit- oder Kreditkarte mit einer NFCFunktion erleichtert werden. Durch den Verzicht auf die Eingabe der PIN wird eine schnellere Zahlung ermöglicht, es fehlt aber nun an einem zweiten Faktor iSd § 1 Abs. 24 ZAG aus der Kategorie Wissen. Dass § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB nur dann eingreift, wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers eine starke Kundenauthentifizierung nicht verlangt hat, obwohl er hierzu aufsichtsrechtlich nach § 55 Abs. 1 ZAG iVm Art. 11–20 RTS (VO (EU) 2018/389) verpflichtet war, entspricht der bisher wohl überwiegenden Auffassung im Schrifttum.14 Demgegenüber will die von Jungmann und Hoffmann angeführte Gegenauffassung den Haftungsausschluss nach § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB bereits dann eingreifen lassen, wenn rein faktisch bzw. rein tatsächlich keine starke Kundenauthentifizierung erfolgt ist.15 Ob eine der in § 55 ZAG genannten Fallgruppen bzw. eine der in Art. 10–20 RTS (VO (EU) 2018/389) genannten Ausnahmetatbestände vorliegt und ob der Zahlungsdienstleister des Zahlers somit – aus der Sicht des Aufsichtsrechts – berechtigterweise auf eine starke Kundenauthentifizierung verzichtet, soll keine Rolle spielen. Diese Gegenauffassung will dem Kartenunternehmen die Haftung nach § 675v Abs. 3 BGB sogar dann verweigern, wenn der Karteninhaber zwischen einer Authentifizierung mit und einer ohne starke Kundenauthentifizierung wählen konnte und sich dieser aus freien Stücken für die bequemere und schnelle Authentifizierung entschieden hat, die nicht den Vorgaben des § 1 Abs. 24 ZAG entspricht.16 Für eine Koppelung von BGB und Aufsichtsrecht spricht zunächst, dass das BGB den Begriff der starken Kundenauthentifizierung gar nicht selbst definiert. Vielmehr verweist § 675c Abs. 3 BGB schlicht auf die begriffliche Definition in § 1 Abs. 24 ZAG.17 Wegen dieses Zusammenhangs sind die aufsichtsrechtlichen Begriffe der straken Kundenauthentifizierung in § 1 Abs. 24 iVm § 55 ZAG und in § 675v Abs. 4 BGB einheitlich auszulegen, für eine gespaltene Auslegung ist kein Raum.18 Das ZAG verzichtet zudem darauf, einen Verstoß gegen diese aufsichtsrechtliche Vorgabe mit einem Bußgeld zu sanktionieren. Stattdessen setzt der Gesetzgeber auf ein Private Enforcement und versagt dem den § 55 14 BeckOK/Schmalenbach (52. Edition, Stand: 01.11.2019) § 675v Rn. 13; MüKoHGB/ Linardatos BVR G Rn. 147; Omlor BKR 2019, 105, 113; so wohl auch Werner WM 2018, 449, 453; ähnlich zudem MüKoBGB/Zetzsche § 675v Rn. 63, der allerdings von einer aufsichtsrechtlichen Obliegenheit spricht. 15 Hoffmann VuR 2016, 243, 248; Jungmann ZBB 2020, 1, 7. 16 So ausdrücklich Jungmann ZBB 2020, 1, 7. 17 Vgl. näher zur Funktion des § 675c Abs. 1 BGB als dynamische Verweisung nur MüKoBGB/Casper, 8. Aufl. 2020, § 675c Rn. 35 ff. 18 MüKoHGB/Linardatos BVR Rn. G 147; im Ergebnis ebenso Omlor BKR 2019, 105, 113.

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ZAG missachtenden Zahlungsdienstleister die Geltendmachung des verschuldensunabhängigen wie des verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruchs, womit er das Risiko der missbräuchlichen Verwendung vollständig allein tragen muss.19 Es sind keine Sachgründe dafür ersichtlich, dass das Kartenunternehmen oder dessen Vertragshändler zivilrechtlich das volle Haftungsrisiko tragen soll, wenn es gar nicht verpflichtet war, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen. Dies würde dem Gedanken des soeben skizzierten Private Enforcements sowie der Wertung aus § 675c Abs. 3 BGB widersprechen. Es ist zwar richtig, dass der Richtliniengeber mit Art. 74 Abs. 2 ZDRL die Verbreitung der starken Kundenauthentifizierung stärken wollte, um die Systemsicherheit zu erhöhen. Er hat aber gerade darauf verzichtet, dies flächenendeckend umzusetzen. Mit der Schaffung von Ausnahmen in Art. 10–20 RTS (VO (EU) 2018/389) und der Begrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 97 ZDRL, der mit § 55 ZAG umgesetzt wird, hat der europäische Gesetzgeber gezeigt, dass er eine Interessenabwägung vorgenommen hat. Dabei wurde das Interesse des Zahlers an einer vollumfänglichen starken Kundenauthentifizierung hintangestellt, indem er dem Zahlungsdienstleister des Zahlers gestattet, weiterhin Zahlungsaufträge ohne Durchführung einer starken Kundenauthentifizierung anzunehmen, ohne dass ihm die Haftung nach § 675v Abs. 1 und Abs. 3 BGB verwehrt ist.20 Die Gegenauffassung ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung bedenklich, gegen sie streitet auch die ZDRL, die die im deutschen Recht angelegte Zweiteilung des Rechts der Zahlungsdienste in Aufsichtsrecht (ZAG) und materielles Recht (§§ 675c–676c BGB) nicht kennt. Der europäische Gesetzgeber hat mit der ZDRL vielmehr ein einheitliches Regelwerk vorgelegt.21 Dies gilt insbesondere für § 55 ZAG, der gerade nicht nur reines Aufsichtsrecht, sondern auch materielles Recht beinhaltet. Dass die Vorschriften über die starke Kundenauthentifizierung vom deutschen Gesetzgeber ins ZAG ausgelagert wurden, erklärt sich vor allen daraus, dass man das BGB nicht mit weiteren Regelungen und weiteren Buchstabenvorschriften, überfrachten wollte, die eine Neudurchzählung erforderlich gemacht hätten.22 Für die hier vertretene Auffassung streitet nicht zuletzt der Wortlaut des § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB. Der Begriff „verlangen“ legt zumindest eine bestehende aufsichtsrechtliche Verpflichtung zugrunde, da kaum gemeint 19 Ähnlich MüKoHGB/Linardatos BVR Rn. G 147: Norm will Anreiz für Emittenten schaffen, für eine optimale Sicherheitsarchitektur Sorge zu tragen. 20 Ähnlich MüKoHGB/Linardatos BVR Rn. G 147. 21 Ebenso MüKoHGB/Linardatos BVR Rn. G 147. 22 Tendenziell anders aber Begr. RegE BT-Drs. 18/11495, S. 139 f., wonach § 55 ZAG reines Aufsichtsrecht beinhalte, da wegen vgl. § 4 Abs. 4 FinDAG kein subjektives Recht auf Einschreiten der Bundesanstalt vermittelt werde, so auch Böger Bankrechtstag 2016, S. 193, 259; wie hier wohl BeckOGK/Köndgen (Stand 01.11.2019) § 675c Rn. 23.1.

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sein dürfte, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlers aufgrund einer Abrede im Deckungsverhältnis berechtigt ist, vom Zahler den Einsatz einer starken Kundenauthentifizierung verlangen zu dürfen. Auch die englische Sprachfassung von Art. 74 Abs. 2 S. 1 ZDRL gibt einen entsprechenden Hinweis, wenn es dort heißt: „Where the payer’s payment service provider does not require strong customer authentication […]“ [Hervorhebung M.C.]. „To requiere“ kann man eben nicht nur als „verlangen“, sondern auch als „bedürfen“ oder „voraussetzen“ übersetzen. Es hätte deshalb genauso nahegelegen, § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB wie folgt zu formulieren: „[…] wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers eine starke Kundenauthentifizierung […] nicht verlangen muss […]“ oder „[…] wenn es des Einsatzes einer starken Kundenauthentifizierung durch den Zahlungsdienstleister des Zahlers nicht bedarf [...]“.

IV. Wann muss eine starke Kundenauthentifizierung akzeptiert werden? § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB hat Pullzahlungen vor Augen, bei denen der Zahlungsempfänger oder sein Zahlungsdienstleister eine starke Kundenauthentifizierung nicht akzeptieren. Der Regelungsgehalt der Norm, die – anders als der Regressanspruch in § 675v Abs. 4 S. 3 BGB – in der ZDRL nicht vorgegeben ist (oben sub II.2.), ist unklar. Der deutsche Gesetzgeber geht anscheinend davon aus, dass den Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister eine Akzeptanzpflicht einer starken Kundenauthentifizierung trifft, sofern der Zahlungsvorgang in den Anwendungsbereich des § 55 ZAG fiele, wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers ihn allein ausführen würde. Auch der gegenüber Nr. 1 abweichende Wortlaut in Nr. 2, der von „nicht akzeptiert“ und nicht von „nicht verlangt“ spricht, scheint eine Akzeptanzpflicht nahezulegen. Allerdings adressiert § 55 ZAG gerade nur den Zahlungsdienstleister des Zahlers und nicht auch den Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister. Der These von einer Akzeptanzpflicht ist Linardatos mit Verweis auf die englische Sprachfassung des Art. 74 Abs. 2 S. 2 ZDRL entgegengetreten, die von „fails to accept strong customer authentication“ spricht.23 Diese Formulierung begründe gerade keine Akzeptanzpflicht. Vielmehr lege die englische Sprachfassung nahe, dass allein ein Versäumen einer starken Kundenauthentifizierung oder das Auftreten eines technischen Fehlers bei der Durchführung einer starken Kundenauthentifizierung vom Anwendungsbereich des Art. 74 Abs. 2 ZDRL erfasst sei. Dafür streite auch, dass Art. 97 ZDRL, der durch § 55 ZAG umgesetzt wird, allein den Zahlungsdienstleister des Zahlers adressiere und den Zahlungs23

MüKoHGB/Linardatos BVR Rn. G 148.

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empfänger und seinen Zahlungsdienstleister im Gegensatz zu Zahlungsauslösediensten gar nicht erwähne. Dieser Sichtweise ist jedoch mit Blick auf die Systematik und das Telos von Art. 74 Abs. 2 ZDRL bzw. § 675v Abs. 4 BGB im Ergebnis zu widersprechen. Sowohl die Systematik als auch der Normzweck, der sich auf eine flächendeckende Einführung der starken Kundenauthentifizierung – soweit vom Aufsichtsrecht gefordert – richtet, streiten dafür, § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB wie folgt zu lesen: Für das Eingreifen der Haftungsprivilegierung kommt es auch bei Pullzahlungen darauf an, ob der Zahlungsdienstleister des Zahlers nach § 55 ZAG verpflichtet wäre, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen, wenn er den Zahlungsvorgang allein ausführen würde. Da der Zahlungsdienstleister des Zahlers dies bei Pullzahlungen nicht gewährleisten kann, ist es an ihm, die Zahlungsempfänger oder deren Dienstleister dazu anzuhalten, an seiner statt eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen. Diese kann bei Kreditkarten z.B. in den Händlerbedingungen durchgesetzt werden.24 Mit anderen Worten sorgt § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB dafür, dass das Unterlassen der nach § 55 ZAG erforderlichen starken Kundenauthentifizierung auf Seiten des Zahlungsempfängers oder seines Zahlungsdienstleisters dem Zahlungsdienstleister des Zahlers zugerechnet wird. Im Ausgleich erhält der Zahlungsdienstleister des Zahlers dafür nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB einen Schadensersatzanspruch gegen den Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister, sofern er – typischerweise das kartenausgebende Unternehmen – seinen auf § 675v Abs. 3 BGB gestützten Schadensersatzanspruch gegen den Zahler verliert. Damit muss sich der Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister im Ergebnis am Pflichtenkatalog des Zahlungsdienstleisters des Zahlers nach § 55 ZAG orientieren. Es besteht zwar gegenüber dem Zahler keine Rechtspflicht, eine starke Kundenauthentifizierung akzeptieren zu müssen. Wohl aber existiert mit Blick auf § 675v Abs. 4 S. 3 BGB (Art. 74 Abs. 2 S. 2 ZDRL) ein faktischer Zwang des Zahlungsempfängers bzw. seines Zahlungsdienstleisters, in den Fällen des § 55 ZAG iVm Art. 10 ff. RTS (VO (EU) 2018/389) bzw. des Art. 97 ZDRL ebenfalls eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, vom Zahlungsdienstleister des Zahlers nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB auf den verlustig gegangenen Anspruch nach § 675v Abs. 3 BGB selbst in Anspruch genommen zu werden. Der Schadensersatz- bzw. Regressanspruch nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB setzt ein Verschulden des Zahlungsempfängers oder seines Zahlungsdienstleisters voraus. Es gilt § 276 BGB. Resultiert der Schaden aus einem technischen Fehler, ist insoweit auf die Organisation des Zahlungsempfän24 AA Jungmann ZBB 2020, 1, 7, der hierin einen Rückfall in das Zeitalter der Rückbelastungsklauseln, vgl. zu ihnen etwa Casper (Fn. 6) Zahlungsverkehr Rn. 826 ff.

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gers oder seines Zahlungsdienstleisters abzustellen (Organisationsverschulden). Bei unvorhersehbaren Zwischenfällen, die eine technische Fehlfunktion nach sich ziehen (zB unvermeidbare Hackerangriffe), scheidet eine Haftung des Zahlungsempfängers oder seines Zahlungsdienstleisters nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB somit aus. Zusätzlich kann ein auf § 280 Abs. 1 BGB zu stützender Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Händlerbedingungen entstehen.

V. Konsequenzen für die Zahlung mit der Kreditkarte Die Konsequenz dieser Auseinandersetzung soll am Beispiel des Einsatzes der Kreditkarte verdeutlicht werden, da diese – obgleich Zahlungsinstrument – zumindest im Präsenzgeschäft – wie sogleich zu zeigen sein wird – nicht zwingend einer starken Kundenauthentifizierung bedarf. Im Präsenzgeschäft kommt es nämlich nur dann zu einer starken Kundenauthentifizierung, wenn die Karte in ein Lesegerät des Händlers eingeführt und die Geheimnummer eingegeben wird oder man die Leistung der Unterschrift als starke Kundenauthentifizierung genügen lassen würde.25 Letzteres ist jedoch abzulehnen.26 Deshalb liegt nach zutreffender Auffassung bei der früher tradierten Verfügung mit der Kreditkarte, also bei Ausfüllung des Leistungsbelegs und Authentifizierung mittels Unterschrift, keine starke Kundenauthentifizierung vor.27 Damit stellt sich die Frage, ob diese Form der Zahlung vom Zahlungsdienstleister des Zahlers noch akzeptiert werden darf. Dies ist zu bejahen, da § 55 Abs. 1 ZAG papiergestützte Autorisierungen nicht verbietet, sondern nur für den Fall, dass eine elektronische Erteilung eines Zahlungsauftrags vorliegt, eine starke Kundenauthentifizierung verlangt.28 Es kommt für § 55 Abs. 1 ZAG und somit auch für § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB gerade darauf an, dass der Zahlungsvorgang elektronisch ausgelöst wird. Der bloße Einsatz eines Zahlungsinstruments genügt nicht, sofern der zunächst nur papiergestützte Zahlungsauftrag anschließend nur elektronisch weiterverarbeitet wird.29 Entsprechendes soll auch dann gelten, 25

Dies andeutend Erman/v. Westphalen, BGB, 15. Aufl. 2017 mit Onlineaktualisierung 2019, § 675v Rn. 26. 26 Vgl. nur BeckOGK/Hofmann (Stand 1.9.2019) § 675v Rn. 135. 27 Zahrte/Nasarek in Casper/Terlau, ZAG, 2 Aufl. 2020, § 55 ZAG Rn. 43; so wohl auch BeckOGK/Hofmann (Stand 1.9.2019) § 675v Rn. 108. 28 So auch BaFin, Starke Kundenauthentifizierung: Neue Pflicht wirkt sich auf OnlineBanking und Bezahlen im Internet aus, Aufsatz v. 14.8.2018, www.bafin.de; Zahrte/ Nasarek in Casper/Terlau ZAG § 55 ZAG Rn. 43. 29 BaFin (Fn. 28); Zahrte/Nasarek in Terlau/Casper ZAG § 55 Rn. 43; Terlau ZBB 2016, 122, 132; Jungmann ZBB 2020, 1, 3 f.; so wohl auch BeckOGK/Hofmann § 675v Rn. 108; anders aber dann ders. Rn. 135; anders wohl auch European Banking Authority (EBA), EBA/RTS/2017/02 – Final Report – Draft Regulatory Technical Standards

Zahlungen ohne starke Kundenauthentifizierung und § 675v Abs. 4 BGB

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wenn die Karte im Elektronischen Lastschriftverfahren vorgelegt wird, die Autorisierung aber mittels Unterschrift erfolgt.30 Dem ist zuzustimmen und zwar auch dann, wenn der Kunde die Unterschrift unmittelbar am Händlerterminal als elektronischen Scan leistet.31 Denn es besteht sachlich kein Unterschied, ob das elektronisch erzeugte Stück Papier zunächst gedruckt und unterschrieben wird, um sodann wieder gescannt zu werden, oder ob die Unterschrift unmittelbar elektronisch erfasst wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die Initiierung durch die Unterschrift und nicht durch die Eingabe einer PIN erfolgt. Für die hier vertretene Auffassung spricht zudem, dass insoweit nur ein elektronisch erzeugtes Lastschriftmandat und kein Fernzahlungsvorgang iSd Art. 4 Nr. 6 ZDRL, Art. 5 Abs. 3 lit. b RTS (VO (EU) 2018/389) vorliegt. Diese Verfahren bleiben also auch weiterhin ohne starke Kundenauthentifizierung zulässig. Es wäre wenig einsichtig, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlers die Haftung nach § 675v Abs. 3 BGB nicht mehr geltend machen kann, wenn er sich einer weiterhin zulässigen Form der Autorisierung bedient. Sowohl aus Sicht des Zahlungsdienstleisters des Zahlers wie des Zahlungsempfängers führt die hier vertretene Auffassung zu sachgerechten Ergebnissen. Solange der Einsatz der Kreditkarten im Präsenzverfahren ohne starke Kundenauthentifizierung zulässig bleibt, ist es sachgerecht, dem Zahlungsdienstleister des Zahlers den Anspruch nach § 675v Abs. 3 BGB nicht abzuschneiden, da er allenfalls über die Ausgestaltung der Händlerbedingungen die Frage steuern kann, ob im Inkassoverhältnis eine starke Kundenauthentifizierung zum Einsatz kommt oder nicht. Ist bereits der Zahlungsdienstleister des Zahlers aufsichtsrechtlich nicht verpflichtet, den flächendeckenden Einsatz einer starken Kundenauthentifizierung durchzusetzen, so ist es erst recht dem Zahlungsempfänger unbenommen, weiterhin auf einen papiergestützten Leistungsbeleg zu setzen. Ihn in diesen Fällen dem Regressanspruch nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB auszusetzen, ist erst recht nicht sachgerecht. Dass es aus Sicht des Zahlungsdienstnutzers des abhandengekommenen Zahlungsinstruments einerlei ist, ob der Dieb nur mit der gefälschten Unterschrift oder mit der ebenfalls ausgespähten PIN zahlt,32 ist zwar richtig, aber der Gesetzgeber hat mit der weiterhin zulässigen Authentifizierung insoweit bereits eine Wertungsentscheidung zugunsten des Bedürfnisses des Handels und gegen die optimale Sicherheit für den Zahlungsdienstnutzer getroffen, sodass diese Abwägungsentscheidung nicht im Rahmen der Auslegung erneut vorgenommen werden kann. on Strong Customer Authentication and common and secure communication under Article 98 of Directive 2015/2366 (PSD2) vom 23.2.2017, S. 143, Nr. 2 zu Comment 272 l.Sp. 30 BaFin (Fn. 28). 31 Insoweit aA aber Jungmann ZBB 2020, 1, 3 f. unter Hinweis auf die oben in Fn. 29 genannten EBA-Grundsätze. 32 Jungmann ZBB 2020, 1, 7 f.

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Demgegenüber wird man seit 2020 im Mail-Order-Verfahren stets eine starke Kundenauthentifizierung verlangen müssen. Dies ist prima vista nicht trivial, weil selbst bei den bisherigen sog. Secure-Code-Verfahren33, bei denen der Kunde nach der Eingabe der Kartendaten auf der Händlerseite auf eine Seite der kartenausgebenden Bank weitergeleitet wurde und eine Geheimnummer eingab, nur eine Komponente der starken Kundenauthentifizierung (aus der Kategorie Wissen) erfüllt ist, da die Karte selbst nicht vorgelegt wird und es somit an der zweiten Kategorie Besitz bzw. Inhärenz fehlt. Freilich könnte man in der Angabe der Kartendaten einschließlich der Prüfziffer ein weiteres Kriterium für eine Zwei-Faktor-Authentifizierung sehen. Allerdings sind die auf einer Karte aufgedruckten Daten nach Ansicht der europäischen Bankenaufsicht bereits kein taugliches Wissenselement.34 Dass ihr Einsatz der Kategorie Besitz zuzurechnen ist, kann erst recht kaum vertreten werden, da die Karte gerade nicht körperlich vorgelegt wird. Folglich bedarf es eines zweiten Faktors wie einer TAN, die über das Smartphone bezogen und anschließend auf der Händlerseite eingegeben wird, sodass auch die Kategorie Besitz in Gestalt des mobilen Endgeräts verwirklicht ist. Hinzukommt die Möglichkeit, den Auftrag direkt in einer App zu bestätigen. Auch dann bildet das mobile Endgerät die Kategorie Besitz und das Zugangspasswort oder die Beantwortung einer wie auch immer gearteten Sicherheitsfrage eine Komponente aus der Kategorie Wissen.35 Sie kann durch den Scan des Fingerabdrucks oder der Iris bzw. des Gesichts (Kategorie Inhärenz) ersetzt werden. Von dem zwingenden Erfordernis, im Mail-Order-Verfahren eine starke Kundenauthentifizierung verlangen zu müssen, geht auch die BaFin aus. Sie hatte den Onlinehändlern allerdings über den 14.9.2019 hinaus bis zum Ablauf des Jahres 2019 gestattet, auf eine zweite Kategorie aus den Bereichen Wissen, Besitz oder Inhärenz zu verzichten.36 Duldet der Zahlungsdienstleister des Zahlers heutzutage weiterhin den Einsatz der Kreditkarte im Mail-Order-Verfahren ohne starke Kundenauthentifizierung, ist es konsequent, ihm den Anspruch gegen den Zahler wegen Ermöglichung der missbräuchlichen Verwendung nach § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB zu verweigern und dem Händler, der die aufsichtsrechtlich gebotene starke Kundenauthentifizierung nicht angefragt hat oder dem hierbei ein technischer Fehler unterlaufen ist, mit dem Regressanspruch nach § 675v Abs. 4 S. 3 BGB zu belasten.

33 „MasterCard Secure Code“- bzw. „Verified by Visa“-Verfahren, vgl. dazu etwa Casper/Pfeifle WM 2009, 2343, 2349. 34 EBA, Opinion on the Implementation of the RTS v. 13.6.2018, Rn. 35. 35 Ebenso BeckOGK/Hofmann § 675v Rn. 136 f. 36 BaFin, Pressemitteilung v. 21.8.2019, verfügbar unter www.bafin.de/SharedDocs/ Veroeffentlichungen/DE/Pressemitteilung/2019/pm_190821_PSD2_ Kundenauthentifizierung.html.

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VI. Folgerungen für das Verhältnis von ZAG und BGB Die hier untersuchte Fragestellung passt sich in das große Thema des Verhältnisses von Zivil- und Aufsichtsrecht ein. Seine ausführliche Behandlung würde den Rahmen eines Festschriftbeitrages bei weitem sprengen und ist geeignet, ganze Monographien zu füllen.37 Häufig wird unter Rückgriff auf den lex posterior- bzw. den lex specialis-Grundsatz von einem schlichten Vorrang des Aufsichtsrechts ausgegangen.38 Auch der Verf. dieses Beitrags neigt diesem Ansatz im Grundsatz zu. Er führt in dem hier zu untersuchenden Fall freilich ins Leere, da bei Regelungen, die mit ein und derselben Gesetzesnovelle eingeführt wurden, zumindest der lex posteriorGrundsatz versagt. Zu argumentieren, dass § 55 ZAG iVm Art. 10–20 RTS (VO (EU) 2018/389) gegenüber § 675v Abs. 4 BGB die neuere und somit ggf. speziellere Vorschrift sei, führt ebenfalls nicht weiter, auch wenn die geänderten BGB-Vorschriften sofort mit der Umsetzung der ZDRL am 13.1.2018 in Kraft getreten sind, während § 55 ZAG und die ihn ausfüllende delegierte VO erst nach einer Übergangsfrist von 18 Monaten am 14.9.2019 in Kraft traten. Hieraus ein Rangverhältnis herleiten zu wollen, muss schon deshalb scheitern, da mit der verzögerten Einführung einer verpflichtenden starken Kundenauthentifizierung nur mehr Zeit für den Handel geschaffen werden sollte, ihre Plattformen auf Verfahren mit einer starken Kundenauthentifizierung umzustellen. Zumindest in Konstellationen wie der vorliegenden kann zur Klärung der Frage, ob eine Obstruktion zwischen materieller und aufsichtsrechtlicher Norm vorliegt, auf den jüngst von Dominik Schäfers entwickelten Ansatz zurückgegriffen werden.39 Danach sei dem Gesetzgeber zunächst zu unterstellen, dass er nicht absichtlich Norm- oder Wertungswidersprüche schaffen will. Entstehen diese gleichwohl, seien sie im Wege der Auslegung aufzulösen. Nach der Feststellung einer Kollision sei zunächst das jeweilige Ziel des Gesetzgebers herauszuarbeiten, um zu ermitteln, ob eine der beiden Normen evtl. Vorrangwirkung entfalten kann. Ist das nicht der Fall, sei die 37

Aus dem Genre der Habilitationsschriften vgl. nur Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe – Grundlinien einer Dogmatik der Verhältnisbestimmung zwischen Aufsichtsrecht und Aktienrecht, 2004; ansatzweise auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012 sowie Hellgardt, Regulierung und Privatrecht. Staatliche Verhaltenssteuerung mittels Privatrecht und ihre Bedeutung für Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und Rechtsanwendung, 2016 sowie eingehend demnächst Dominik Schäfers, Korrelative Systeminterferenzen – Zum Verhältnis von Öffentlichem Recht und Privatrecht am Beispiel des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts, Habilitationsschrift Münster 2019, noch nicht veröffentlicht. 38 So z.B. Tröger ZHR 177 (2013), 475, 495 ff. und Binder ZGR 2015, 667, 701 ff. mit Blick auf das aufsichtsrechtliche Sonderkonzernrecht. 39 Schäfers (Fn. 37) 3. Kapitel.

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Obstruktion im Wege der weiteren Auslegung aufzulösen. Erkennt man den maßgeblichen Zweck des § 675v Abs. 4 BGB darin, die aufsichtsrechtlich begründete Pflicht, in den von § 55 ZAG benannten Fällen eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen, durch eine Privilegierung des Zahlungsdienstnutzers bei der Haftung im Fall der missbräuchlichen Verwendung zu begünstigen und den Zahlungsdienstleister in diesen Fällen auch bei einer groben Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstnutzers das Missbrauchsrisiko vollumfänglich aufzubürden, so spricht dies für einen Gleichlauf von materiellem Recht und Aufsichtsrecht.

VII. Schluss Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass der Haftungsausschluss nach § 675v Abs. 4 BGB nur dann eingreift, wenn eine aufsichtsrechtliche Pflicht bestand, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen. Im Fall des § 675v Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB ist insoweit nicht auf die Warte des Zahlungsempfängers oder seines Zahlungsdienstleisters, sondern auf die des Zahlungsdienstleisters des Zahlers abzustellen. Dieser kann dann den Zahlungsempfänger oder dessen Zahlungsdienstleister auf Regress in Anspruch nehmen. Die Verprobung von Rn. C/63 im Abschnitt 7 des Baumbach/ Hopt ist damit erfolgreich abgeschlossen. Es sei allerdings die Anregung erlaubt, die Kommentierung um einen Satz zu ergänzen: „Dieser Haftungsausschluss setzt in beiden Fällen voraus, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlers aufsichtsrechtlich (§ 55 ZAG iVm Art. 11 ff. VO (EU) 2018/389) verpflichtet war, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen (str., vgl. näher Casper, FS Hopt, 2020, S. 117, 120 ff.; aA Jungmann ZBB 2020, 1, 3 ff.).“ Abschließend bleibt dem Jubilar nur noch zu wünschen, dass er sich noch viele Jahre seine unbändige Neugier bewahren und uns daran teilhaben lassen möge. Wir profitieren ungemein davon.

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The UK Stewardship Code 2010–2020 Paul L. Davies

THE UK STEWARDSHIP CODE 2010–2020 From Saving the Company to Saving the Planet? PAUL L. DAVIES

I. Introduction The UK adopted a Stewardship Code (SC) in the wake of the financial crisis of 2007–2009. To the surprise of some commentators, the SC proved not to be a UK idiosyncrasy. A number of other countries and bodies adopted stewardship codes1 and the notion of engagement is clearly central to the new Chapter 1b of the Shareholder Rights Directive, adopted by the EU in 2017.2 The UK SC has existed in three versions, those of 2010, 2012 and the recently adopted version of November 2019, in force from January 2020 and so referred to in this paper as the ‘2020’ Code.3 The 2012 Code made some changes to deal with issues arising out of the hastily adopted 2010 version, which was itself based on a “statement of principles” which the representative body of the institutional shareholders itself had drawn up in 2002.4 The 2012 changes were important but did not fundamentally alter the orientation of the SC. However, something much more significant occurred in 2019, which this paper aims to analyse. The structure of the SC changed, its scope was expanded, its reporting requirements were significantly up-graded, and, above all, its focus shifted from an almost exclusive interest in the performance of individual investee companies to an equal concern with what are termed in the latest version ‘systemic risks’.5 This last development, which it is submitted is the most interesting, generated the perhaps tendentious sub-title of this paper. 1 The Financial Reporting Council (FRC) itself has put the number of stewardship codes globally at ‘more than 20’: FRC, Proposed Revision to the UK Stewardship Code, January 2019, p 8. 2 Directive (EU) 2017/828, OJ L 132/1, 20.5.2017. 3 FRC, The UK Stewardship Code, July 2010, September 2012 and 2020 (issued November 2019). 4 Institutional Shareholders’ Committee, The Responsibilities of Institutional Shareholders in the UK, 1991, revised in 2002 and 2009. This was temporarily successful step to head off an earlier proposal for an official SC made by a governmental review (Paul Myners, Institutional Investment in the United Kingdom: A Review, 2001). 5 Financial Reporting Council, The UK Stewardship Code 2020, p 4.

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The extent of the changes made for the 2020 Code is at one level surprising, since it could have been different. In December 2018 a review of the Financial Reporting Council (FRC), which is responsible for maintaining and developing the SC, concluded that the Code was “not effective in practice” and that reporting of stewardship activities under the Code had produced “boilerplate”. It concluded that if a change of focus towards outcomes and effectiveness “cannot be achieved, and the Code remains simply a driver of boilerplate reporting, serious consideration should be given to its abolition.”6 In less polite terms, the SC had been a failure. But its 2020 reconfiguration was not an inevitable result of its condemnation. It could have been dropped by the FRC. However, even a nodding acquaintance with public choice theory would indicate this was unlikely, given the FRC’s reputational investment in making the SC a success. Alternatively, the reform could have focussed on the Review’s criticism of ineffectiveness, without broadening the SC’s aims to include goals beyond success at the individual investee company level. In effect, the FRC doubled down on its bets: the new goal was efficacy across a much expanded and more complex set of goals. Given the Zeitgeist, perhaps the FRC felt there was no middle way between success over a more expanded agenda and accepting ineffectiveness and thus the abolition of the SC. This introduction frames the two main questions this paper will aim to address. Why was the 2010/2012 (‘first’) version of the Code unsuccessful? Are the changes embodied in the 2020 Code likely to promote success over the SC’s expanded agenda? However, before turning to these questions, it is perhaps useful to say something about the terms “stewardship” and “engagement”. The core meaning of a steward in this context is someone who looks after property (originally real property) on behalf of another.7 And stewardship is the art of discharging that function. The property in this context is typically money contributed to an institution (usually referred to as an “asset owner”), such as a pension fund or an insurance company, or to a fund manager (“asset manager”), which typically will be running not a single fund but a whole family of funds with differing characteristics. The fund manager, in addition to investing monies contributed directly to it, may invest on behalf of one or 6 FRC, Independent Review of the Financial Reporting Council, 2018, Summary, paras 12 and 13. The Review, generally known as “the Kingman Review”, was critical of the FRC as a whole and proposed that it be replaced by standard, statutory regulator, which is likely to happen in 2020. At the time of writing the FRC is still a hybrid: originally established by the accounting and auditing professions as a private body, the government now appoints its Chair and Deputy Chair and its powers are largely derived from delegation to it by the government. 7 So, s/he is a Verwalter, not an Ordner, still less a Vertrauensmann, all of which could be translated by the English word “steward” in the appropriate context.

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more institutions. So, the assets here, over which stewardship is exercised, are not the assets of the investee company, but the securities issued by the investee companies which have been purchased with monies collected from investors. These investors are often referred to as “beneficiaries”, this term apparently being used in a non-technical way so as to include all cases of contributions by investors to institutions and asset managers, whether or not this is done on the basis of a trust (as is usually the case with definedbenefit pension schemes) or on a purely contractual basis (as with insurance policies and direct mutual fund investment). However, if stewardship is an investor-facing concept, the implementation of stewardship of investors’ contributions, as envisaged in the SC, requires company-facing activities. Engagement means interactions between either institution or fund manager and the board or senior management of investee companies, that interaction being capable of taking a variety of forms. That engagement is underpinned by the governance rights or market power asset owners or managers can exercise over companies as a result of their holdings of shares acquired on the back of investors’ contributions. Stewardship is clearly a broader concept than engagement. It is possible to conceive of a stewardship strategy which involves little engagement. For example, the manager might invest only in companies with strong balance sheets and robust business plans. The manager might monitor them and their business environments closely and disinvest at the first sign of trouble. Cautious investors might welcome this type of stewardship, but it is clear that it is not ideal from the point of view of the drafters of the SC. The first sentence from the Preface of the 2010 SC stated: “The Stewardship Code aims to enhance the quality of engagement between institutional investors and companies to help improve long-term returns to shareholders …”8 In this respect the Directive referred to above seems more precise. The Amending Directive9 uses the term “stewardship” only once (in a recital) whereas the words “engage” or “engagement” appear 18 times in the recitals and 11 times in the body of the Directive. Thus, it might have been better to call the 2010 Code an Engagement Code, but, in any event, the term “stewardship” has come into its own in the 2020 version, where engagement is only one of the four principle divisions of the Code.10

8 The guidance to Principle 1 of the 2012 Code made the same point, though less crisply. 9 On the other hand, it is perhaps equally disingenuous to place these shareholder obligations in a Shareholder Rights Directive. 10 I discuss the significance of these changes below.

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II. The „failure“ of the first version of the SC In order to assess the alleged failure of the first version of the SC and the chances of the second version doing better, it is necessary to identify the criterion or criteria for success and the possible contributors to the failure of the first version to achieve success, as defined. The 2010 Code, just quoted, was clear that success was shareholder focussed, but success was to be assessed over the ‘long term’ (undefined). The 2012 version was more elaborate but pointed in the same direction. “Stewardship aims to promote the long term success of companies in such a way that the ultimate providers of capital also prosper. Effective stewardship benefits companies, investors and the economy as a whole.”11 Reflecting the recently adopted section 172 of the Companies Act 2006,12 the proposition was that benefit to shareholders would flow from the success of the company (not by the direct provision of benefits to them) and that what was good for the company and shareholders was good for the economy (and by implication society) as a whole. So, at this stage the SC sat squarely in the classical, shareholder orientation of UK company law. Despite the strictures of the Kingman review, that review did not demonstrate that owners and managers, applying the Code, had failed to shift board decision-making towards long-term benefit – though this was its underlying assumption. What it criticised was the inability of the FRC to show that this desired impact had occurred, because the FRC’s evaluation of commitment to the SC focussed on institutions’ statements of stewardship policy, not on stewardship outcomes. Assuming, however, that the Review’s assumption was correct – as many commentators agreed – how can this outcome be explained? It is not possible to put explain the lack of impact by reference to the absence in UK general company law of powerful intervention tools for shareholders nor to their lack of capacity to use them. In particular, it is easy for a simple majority of the shareholders to remove directors at any time (and by implication to give them instructions) and for acquirers to address hostile bids to the shareholders, thus giving directors and managers an incentive to keep the shareholders on side. Further, the collective action problems of shareholders in UK listed companies seemed manageable. With the rise of the institutional shareholders, the ownership pattern of listed UK companies can be described as being “semi-concentrated”, that is, a relatively small number of the largest shareholder are normally in a position to exercise ef11

SC 2012, p 1. This defined the core duty of directors as being to “promote the success of the company for the benefit of its members”. 12

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fective control over management. Even in the largest publicly traded company, the top six institutions are likely to have the capacity to secure the passage of a resolution they have propose, given that some of the other shareholders will fail to vote and yet others will vote with the institutions.13 The Walker Review, set up after the financial crisis and which triggered the adoption of the SC, founded its criticism of shareholders on their failure to use the powers which they possessed and were capable of using. Its central proposition was that leading shareholders could and should make up for deficiencies in the system of board level monitoring of management. Discussing pre-crisis governance in banks, it identified in its Chapter 4 as a crucial defect “above all the failure of individuals or of NEDs [non-executive directors] as a group to challenge the executive.” From that it drew the conclusion in the following chapter about the shareholder role: “With hindsight it seems clear that the board and director shortcomings discussed in the previous chapter would have been tackled more effectively had there been more vigorous scrutiny and engagement by major investors acting as owners.”14 Later in the same chapter, when defining “engagement”, the Review put the benefits of shareholder intervention in this way: “For the purposes of this Review, the term “engagement” relates to initiative designed to ensure that shareholders derive value from their holdings by dealing effectively with concerns about under-performance.”15 This second formulation identifies, of course, a somewhat different board failure from that identified in the previous quotation. In the first passage the Walker Review identified a shareholder challenge aimed at over-risky strategies rather than underperformance. Until the crisis, banks shares cannot be said to have underperformed; rather the point is that the level of performance was unsustainable (as it turned out). Nevertheless, these are both examples of boards failing to pick up problems and deal with them effectively and they led to the proposition that shareholders could redress the defects. An additional element in the argument for shareholder engagement was not that shareholders were failing to intervene, but that they were intervening to achieve the wrong objectives. This view was also articulated in the Walker Report and has found firm expression in the various versions of the SC in the shape on the emphasis on long-term success. “Differentiation is needed between the motivation behind the proposals … for enhancing dia13 On both these points see Paul Davies, “Shareholders in the United Kingdom” in J Hill and R Thomas (eds) Research Handbook on Shareholder Power (2015). 14 David Walker, A review of corporate governance in UK banks and other financial industry entities, November 2009, paras 4.3 and 5.11. Although the Review’s title referred to the corporate governance of only financial institutions, the chapter which recommended the SC contemplated publicly traded companies more generally and its recommendations were taken up on that basis. 15 Para 5.14.

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logue and longer-term engagement between investors and boards and increased shareholder pressure on boards to perform in the short term. Before the recent crisis phase, such short-term pressure involved analyst and activist investor argument for specific short-term initiatives such as increased leverage, spin-offs, acquisitions or share buybacks, with the result in some cases of a stronger stock price and higher short-term earnings… The focus in what follows is on dialogue and engagement between investors and companies where the investors are likely to be relatively long-term holders for whom divestment in potential problem situations comes to be seen as a last rather than first resort.”16 There are two plausible explanations why the expectations generated by the Walker Review and the first version of the SC failed to materialise. The first is that shareholders lack the capacity to devise effective engagements, even if they have the legal capacity to engage and can overcome their coordination issues. The second is that shareholders and asset managers lack the incentives to engage in the desired way, even if they have both the legal and factual capacity to do so. We will look at each in turn. 1. Shareholders’ functional capacities The first question is whether and in what circumstances institutional shareholders and asset managers have the knowledge and understanding to improve the quality of corporate decisions. Is more engagement by them likely to produce worse corporate decisions rather than the better ones anticipated by the Walker Review? The view that shareholders are not good managers (even at the level of choosing strategy) is not implausible and has been accepted judicially in some jurisdictions17 and is advocated by some academics.18 However, even jurisdictions which are protective of management as against shareholders, for example Germany and, traditionally, Delaware, follow the general approach of corporate laws around the world and accept the proposition that for some corporate decisions shareholder involvement is mandatory.19 In these cases, at least, the involvement of the shareholders must be thought likely to improve the quality of corporate de16

Ibid, para 5.27. For example, the decision of the Bundesgerichtshof in Gelatine ((2004), BGH Doc. No. II ZR 154/02): “The idea gained dominance that the shareholders’ meeting, given its heterogeneous, contingent composition and its distance from the relevant management decisions to be made, was structurally inappropriate to participate in the management of the stock corporation.” (translation by A Cahn and D Donald, Comparative Company Law (2nd ed, 2018) p 636. 18 S Bainbridge, “Director Primacy and Shareholder Disempowerment” (2005–6) 119 Harvard L. Rev. 1735. 19 See E Rock et al, “Fundamental Changes” in R Kraakman et al (eds), Anatomy of Corporate Law 3rd ed, 2017. 17

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cisions. The question, then, is whether, beyond this limited, mandatory list of decisions, shareholders should be permitted and encouraged to insert themselves into the management of the company and whether such engagement is likely to be fruitful. When exploring this issue, it is useful to keep in mind that the answers to the question may differ according to the investment strategy followed by the institution or asset manager and according to level or type of engagement which is contemplated. There are two principal types of investment strategy – index tracking and stock picking – though some hybrids exist and the stock picking strategy obviously covers a wide range of investment philosophies. However, at least as a first cut, one can say that an index tracker makes no decision as to which shares to invest in or about the weight of the investment in any particular stock. Once the tracker has chosen the index it will track, the buy and sell decisions then follow automatically. What the index tracker offers is diversification at a lower price than a stock picker will charge, and it must be capable of tracking the chosen index with only a very small “error” factor. Functional capacity to engage also varies from engagement strategy to engagement strategy. For example, voting on a proposal put forward by management for consideration by the shareholders requires less in the way of pre-existing knowledge and insight on the part of the shareholders than does participating in an initiative to change the company’s business strategy against the wishes of the incumbent management. Even with a significant managerial resolution, for example, a proposal to dispose of or acquire a substantial business, shareholders may be as well placed as anyone else to evaluate its impact upon firm value. Management will have devoted substantial time and resources to developing the proposal and will be obliged to disclose most, if not all, of their rationale for the proposal, because the rules surrounding shareholder meetings require it and because the management will wish to do so to maintain or increase the market price of the company’s equity. Naturally, management disclosures will stress the advantages of their proposal, but, in the case of large publicly traded companies, analysts who follow the company will provide an assessment from an external viewpoint and that assessment will become known to the shareholders, indirectly (via its impact on the share price) or directly (for example, because the analyst releases the assessment publicly or the financial press picks it up). So, a lot of the work (and cost) of gathering information and analysing it is taken out of the hands of the shareholders in this case and even index-trackers, who will have good market intelligence, will be well-placed to respond to it. In the case of management proposals, therefore, the functional capacity of institutional shareholders, even index funds, to engage appears not to be a serious cause for concern. However, this is not the type of engagement which the first version of the SC appeared to advocate most strongly. Over

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the past thirty years, levels of institutional voting on resolutions put before them, typically by management, have been on the increase.20 Since this type of institutional engagement was already in place, the SC’s contribution to promoting stewardship must be assessed by reference to engagement beyond “reactive” voting. What is the functional capacity of shareholder in respect of these more demanding forms of engagement? As far as index managers are concerned, it is unlikely that their capacity is high. Their business model does not call for them to employ analysts to develop insights into the business potential of particular companies or to identify and correct strategic mistakes by management before damage is done. Their expertise lies in tracking an index with minimum error. Irrespective of their incentives to engage deeply with portfolio companies (which we discuss in the following section), there is little reason to have confidence that business policy initiatives which index trackers might decide to take would be well chosen. In relation to non-reactive voting, they often fall within the category which the Bundesgerichtshof identified as structurally inappropriate management decision-makers. However, this is not to argue that all nonreactive voting by index funds is unreliable. When they vote on the application of market-wide codes (notably corporate governance codes) to investee companies, for example, their views are deserving of as much respect as those of stock picking managers, since they are as likely as stock pickers to be in a position to observe which structural governance provisions are important and in which situations. However, in the core area for the SC, of shareholder-initiated fundamental change, the index funds do not appear as reliable initiators. Whilst it may be clear to an index-tracking manager that a company is underperforming and whilst the tracker may respond by voting for the strict application of market wide codes to that company or against particular executive directors, that is not a high-level stewardship response. As Rock and Kahan have pointed out, “to develop more precise measures, a more detailed analysis is required. Without such analysis, it is hard to pinpoint the cause for low performance and to recommend specific changes.”21 This is the typical predicament of the index tracker. The implication of the 20

The Myners Review, above n 4, p 91, n 24, noted that in 1999 about half of shareholders voted on resolutions, the figure having been about 20% a decade earlier. By 2005 the figure was reported to be 58%: C Mallin, “Trends in Levels of Voting and Voting Disclosure” (2006) 14 Corporate Governance 73. Given that retail shareholders show a lower propensity to vote, this implies a rather higher level of voting by institutional shareholders than the headline figures would suggest, especially, perhaps, on non-routine resolutions. 21 E Rock and M Kahan, Index Funds and Corporate Governance: Let Shareholders be Shareholders, 2018 (ssrn.com/abstract=3295098). The focus of their, highly sophisticated, analysis is a rebuttal of the proposition that index funds should be deprived entirely of their voting rights. Their aim is thus to identify classes of case where index fund voting is reliable – or no less reliable than stock pickers’ votes – rather than to identify types of engagement activity (beyond voting) where index funds might perform poorly.

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analysis is that the SC is misguided to push for pro-active engagement on the part of index-tracking funds to bring about changes in investee companies’ business strategies and that self-aware trackers are unlikely to want to participate in this form of engagement.22 By contrast, stock pickers appear better placed to engage in proactive engagement. Their business model requires them to acquire an understanding of a potential investee company’s business model and of its strengths and weaknesses. If an investment is made, the company’s performance will be closely monitored and, if it is regarded as unsatisfactory, that understanding is available to inform proposals for change. This argument carries greatest conviction in the case of a fund whose strategy is to invest in only a small number of companies. Its focus on that small number is likely to generate a high level of understanding of the company’s potential and capacities. By contrast, some funds present themselves as stock-pickers (and charge the appropriate higher fees), but invest widely, whilst avoiding a commitment to any particular index. A generalist stock-picking fund may be in little better position than a stock-picker to identify appropriate changes of policy within particular companies. Overall, the extent of the functional advantage of stock pickers over index funds turns on the nature of the stock picker’s strategy and those strategies are, in principle, many and various. Nevertheless, it is reasonable to suppose that, overall, stock pickers are better placed to implement the engagement strategies promoted by the SC than are index funds. 2. Asset Owner and Asset Manager Incentives Even if it were clear that institutional shareholders had the capacity to engage beyond reactive voting, there is a further question that needs to be answered about their incentives to engage. The analysis of incentives needs to distinguish carefully between (i) financial incentives related to the immediate value of the fund and the remuneration of asset managers, (ii) reputational incentives for owners and managers to engage even in the absence of immediate financial benefit and (iii) incentives to pursue short-term as against long-term value. a) Financial incentives of asset owners and managers It will be suggested below that, just as index tracking funds have limited capacity to engage, so also do they have limited financial incentives to do so. In fact, their capacity and their financial incentives seem to line up quite 22 Over 50% of equities managed by UK fund managers are managed on a passive basis: Investment Association, Asset Management in the UK 2017–2018, p 50.

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well. This is a desirable outcome, since an actor with strong incentives to intervene but little capacity to judge which interventions will be successful could bring about substantial wealth destruction. By contrast, stock pickers have greater capacity and incentives to engage, but, even then, those features are unlikely to apply uniformly across the whole of the investment portfolio. The argument for the limited financial incentives of index trackers to engage is well established in the literature and does not need to be considered in detail.23 Even assuming the engagement is successful, the fund’s attractiveness to investors is likely to be improved only marginally, if at all. The fund will still have achieved only the goal of tracking the chosen index and all its competitors will have done the same, so that intervening fund will not be comparatively better off. Few investors will notice that the level of the index has been affected in an upwards direction by the actions of the intervening fund (which upward impact may itself be marginal in terms of the overall index). Even worse, since the benefit of the upward impact will accrue to all funds tracking the relevant index, the intervening fund will not be able to recoup from its investors the costs of intervention, which its competitors will not have borne, for fear of causing them (or new investors) to move to the competitors. However, this does not mean index trackers will not engage at all. They will have a financial incentive to do so if the engagement proposed is low cost and that cost will probably be covered (at least across a series of engagements) by the likely increase in remuneration for the fund, even when that remuneration is based on receiving only a modest percentage, for example, less than 1%, of the assets under management (AUM), especially if that increase in the value of the investee company is likely to continue into future years.24 In this analysis it is irrelevant that other, non-voting index trackers may reap the same or a slightly larger monetary benefit. In fact, however, the incentives to engage in thoughtful, low-cost engagement will apply to competitors as well, so that fears of giving competitors a comparative advantage by voting when they do not are likely to be subdued. However, the typical form of engagement which this argument promotes is, once again, voting on a resolution put forward by management or another shareholder, because voting is a low-cost (though not costless) activity. As already indicated, the SC is aimed at promoting pro-active engagement by institutional shareholders on a much wider (and more expensive) basis beyond thoughtful voting on resolutions put forward by others. The view that index trackers have a limited incentives to initiate high-cost engagement to change 23 See L Bebchuk and S Hirst, “Index Funds And The Future Of Corporate Governance: Theory, Evidence, And Policy” (2019) 119 Columbia L R (forthcoming). 24 These cases are discussed in some detail in Rock and Kahan, above n 21.

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management strategy remains untouched by the arguments about their reactive voting incentives. Does the matter stand differently in relation to stock-pickers? In some cases it is likely that it does. Although some funds are closet index trackers, as noted above, whose incentives are not much different from transparent trackers, genuine stock pickers may choose to be overweight in a particular stock and see benefits from engagement (beyond voting), even if there are (non-overweight) competitors present on the same share register. The asset manager will benefit directly from the AUM formula, whilst out-performance on the part of the fund will attract new investors, thus increasing AUM again. But there are constraints on the amount even an over-weight fund will devote to engagement (beyond voting). The return to high-level engagement must provide (on a probabilistic basis) a higher return to the fund than alternative courses of action, such as doing nothing or divesting and investing the proceeds elsewhere. When assessing the probabilities, engagement beyond voting starts with a handicap, since its likely costs (firmspecific investigation and firm-specific activism) will be higher than those of the alternatives, whilst its returns may be uncertain, though potentially large. Overall, genuine stock pickers are likely to have greater incentives than index trackers to engage at a high level and, as we saw in sub-section A, their capacity to engage is likely to be greater than in the case of index funds. Nevertheless, that incentive is not without limits related to the costs of intervention nor likely to operate across the whole of the stock-picker’s portfolio, for example, where the stock picker has an underweight holding in a particular company. b) Reputational incentives Consequently, the picture that emerges is one in which both index funds and stock pickers have only limited financial incentives to engage beyond voting or the enforcement of market-wide best practice. Do reputational incentives change the picture? There is some evidence that reputational incentive are at work in this area to encourage adherence to the SC. The Kingman Review found that in 2018 the SC had 278 signatories, of whom some 100, mainly asset owners, seemed (at that time) to be under no obligation to adhere to it.25 Equally, to encourage higher levels of commitment to the SC, the FRC introduced a public tiering system, based on an assessment of the quality of the signatories’ engagement policies. There were no overt sanc25 Kingman, above n 6, 2.80–2.83. At that time only asset managers were required (under Financial Conduct Authority (FCA)) rules, on a comply-or-explain basis, to formulate an engagement policy, so that signing up the SC was an obvious way of complying. After the enactment of the Amending Directive this requirement was extended by the FCA in 2019 to pension funds and insurance companies.

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tions for an institution which failed to achieve the top tier, but many did. The obvious incentive operating here was to avoid governmental action which might turn a comply-or-explain Code into more intrusive regulation. There is also some evidence that reputational incentives have influenced institutions’ voting patterns. Thus, in relation to executive remuneration – a long-standing headache for government – recent research has shown that institutions voted against the company’s pay proposals in 8% per cent of cases (the average across all management proposals being just over 2%) and pay votes showed the lowest similarity with the recommendations of the two largest proxy advisers.26 Both facts suggest thoughtful voting on the part of the institutions and their asset managers. However, there appears to be no evidence that, in relation to the first version of the SC, reputational incentives encouraged engagement activity beyond voting. c) Short-term versus long-term The incentives discussed above go in the direction of explaining the absence of engagement, beyond reactive voting. The short-termist argument suggests that the engagement incentives of shareholders favour short-term goals rather than the long-term ones promoted by the SC. From the point of view of those who question the value of short-term goals, the lack of incentives to engage at all is presumably to be welcomed. Or, to put the point more positively, the SC has to over-come the incentives of institutions both not to engage beyond voting and, where they do engage, to engage to achieve the wrong objectives. But how plausible is the short-term analysis? It is often said – though without evidence – that shareholder interests in a company are inherently short-term. Most investment via institutions is in fact retirement driven and so, one would have thought, inherently longterm. A worker in middle age is interested in the value of her retirement portfolio at retirement age, not its value now or next year. However, there are reasons to suppose that this long-term savings trajectory does not translate straightforwardly into a long-term investment strategy in relation to individual companies. First, determining ex ante the best investment strategy over a very long period, say that of a working life, is probably impossible, even if the focus is only on equity investment. Who, investing in 1975 for retirement in 2015, would have predicted the defeat of inflation, the great moderation, the financial crisis and quantitative easing and its accompanying asset price inflation? The long-term has to be broken down into smaller units to make long-term investing a viable business. Even over five years, however, devising a good strategy is an uncertain activity. What business, 26 S Gomtsian, Shareholder Engagement by Large Institutional Investors, Tilburg Law and Economics Center Discussion Paper, 2019-014, p 37 and Figure 9.

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making an investment decision in 2012, would have predicted the Brexit vote in 2016 or the current US/China trade wars? In fact, there is something disingenuous about governments asking businesses and shareholders to take long-term decisions whilst being themselves unable or unwilling to provide the stability necessary for long term decisions to pay off. Probably the best approach to long-termism is to define it negatively, that is, it is a strategy that rules out shareholder support for decisions which reduce the capacity of the company to respond effectively to changing circumstances in the future. For example, long-term shareholders should oppose excessive distributions or the taking on of leverage which are incompatible with the risks inherent in the company’s business model. But, why should institutions and asset managers, representing long-term savers, vote for such changes anyway? There are a number of factors that might predispose them to do so, though none is absolutely determinative. First, stock pickers aim to maximise primarily the value of the portfolio of companies in which they invest and only secondarily the value of an individual company. When they invest in a company, they normally have a target price in mind, based on their analysis of that company’s activities, and will sell out and invest elsewhere when that target is met. If a proposal has the merit that it is likely to achieve the target price which has been set, the manager may be minded to vote for it and move on to another investment, even if, perhaps especially if, the manager fears the price will not be maintained into the future. Second, given the difficulty of predicting the long-term value of the company, the manager may be inclined to take a highly probable short-term gain over an uncertain long-term value. Both these points align well with the financial incentives of asset owners and managers discussed above. The manager will benefit from the increased value of the fund (via the AUM formula and via new investors), whether or not the fund is still invested in the company which generated the increase in value. Overall, the factors discussed in Section 2 of this paper explain the widespread view that the first version of the SC failed to re-orientate the institutional shareholders and asset managers towards higher levels of engagement based on the promotion of the long-term value of the company. We now turn to the second question: to what extent has the second version of the SC addressed the likely causes of the failure of the first version?

III. The second version of the SC In terms of a stewardship agenda, the second version of the SC goes considerably beyond the first version. Some of these extensions we can ignore. The SC now contains principles for “service providers” (for example, proxy advisers or voting agents) which are separate from those for asset own-

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ers/managers. This is a useful step but we will not consider the service provider principles here. The SC now covers not only investments in the equity of publicly traded companies but also “fixed income, bonds, real estate and infrastructure”.27 We shall ignore this extension also. This leaves two major extensions we do need to consider. First, following Kingman, there is more emphasis on the outcomes of engagement, a policy implemented via much extended annual reporting requirements for signatories of the SC.28 Second, the Principles have expanded from seven to twelve (for owners and managers) and in this process have been divided into four sub-groups, of which only one is labelled ‘engagement’. The smallest subsection, containing only a single Principle, is labelled ‘Exercising Rights and Responsibilities’ and its separation is probably the result of the expansion of the covered asset classes. As far as equity investment is concerned, this Principle is predominantly about voting. Since the first version required signatories to reporting on ‘voting activities’, this is not new, though the amount of detail required is. Owners and managers must now report on their use of proxy advisers’ recommendation, whether clients can override house policies and their approach to empty voting. The other two new sub-divisions are labelled ‘Purpose and Governance’ and ‘Investment Approach’ and are substantial innovations. 1. Reporting Outcomes The new emphasis on reporting is underlined by the fact that each Principle is followed by (often elaborate) “Reporting Expectations” rather than by “Guidance”, as in the first version of the SC. In relation to Engagement (Principles 9–11), besides disclosing their engagement strategy (including its escalation if the initial engagement is unsuccessful), the signatory must disclose “the outcomes of engagement that is ongoing or has concluded in the preceding 12 months”, including the outcomes of any collaborative engagement or escalated engagement. Although the annual reporting requirement is an obvious way of keeping up the pressure on signatories to the Code, it is not clear that it is an appropriate one. The Code is a response to the alleged problem of ‘short termism’ and one of its principal aims is to promote long-term value, as we have seen.29 Of course, many institutions already produce annual reports on their stewardship activities of a fairly general kind, for example indicating, anonymously, concerns raised with some investee managements. It seems that the 2020 SC is designed to generate more 27

2020 Code p 4. Ibid pp 5–6. Some of this information is labelled ‘context’ (ie it is background information) but most of it is focussed on ‘outcomes’. 29 It is recognized on p 6 that outcomes may take more than a year to achieve, but, even then, ‘progress’ during the year is required to be reported. 28

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detailed reporting than this. The risk with a detailed annual reporting requirement is that it will generate activity, which may or may not enhance the long-term value of investee companies, but will certainly generate reportable events. It would be an ironic outcome if the revised reporting requirements reduced the time-scale for stewardship pay-offs. 2. Social and Environmental Issues The first two sections of the 2020 SC are labelled ‘Purpose and Governance’ (of the asset owner or manager, not the investee company), consisting of five Principles, and ‘Investment Approach’, consisting of three Principles. For present purposes, the interesting thread, running through both sections, is their emphasis on social and environmental issues. Indeed, the draft of what became the 2020 SC suggested that it aimed to promote benefit to society independently of the benefit of those who provide the funds for investment. Thus, the draft stated: “Stewardship is the responsible allocation and management of capital across the institutional investment community to create sustainable value for beneficiaries, the economy and society.”30 In the adopted version a more conventional statement appears: “Stewardship is the responsible allocation, management and oversight of capital to create longterm value for clients and beneficiaries leading to sustainable benefits for the economy, the environment and society.”31 Thus, the benefits to the economy, the environment and society flow from the creation of long-term value for investors, not independently of investor value. The revised approach aligns the normative structure for investment intermediaries with that for directors under s 172 of the Companies Act 2006.32 More influential was probably the work done by the Law Commission on the application of fiduciary law to pension fund trustees,33 later adopted by the relevant government department (Department of Work and Pensions (DWP))34 and referred to in an Annex to the SC 2020. The SC could hardly advocate a version of stewardship which was unlawful for one significant sub-group of asset owners. The DWP/Law Commission work endorses, not surprisingly, the view that pension fund trustees may, indeed must, take ESG factors into account when they are relevant to the value of a 30

Above, n 1, p 2. SC 2020, p 4 and Principle 1. 32 See n 12 above. 33 Law Commission, Fiduciary Duties of Investment Intermediaries, Law Com 350, 2014; Pension Funds and Social Investment, Law Com 374, 2017. 34 DWP, Consultation on clarifying and strengthening trustees’ investment duties, June 2018; The Pension Protection Fund (Pensionable Service) and Occupational Pension Schemes (Investment and Disclosure) (Amendment and Modification) Regulations 2018/ 988. 31

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proposed investment and engage with investee companies on the same basis. The interest, therefore, is in its analysis of investments or engagements which are unlikely to add value to the fund or may even reduce it (investments involving “financial sacrifice”). Here, the rules are permissive, not mandatory, and the permission is subject to significant caveats. Trustees may take into account members’ views which favour financially disadvantageous investments, but are not bound to do so. Crucially, that permission is subject to the conditions (i) that the weight of those views is in favour of a particular policy – a condition, it is said, not likely to be met in the case of controversial policies35 and (ii) even then, the financial disadvantage to the fund should not be significant.36 Although the Law Commission/DWP work is based on a classical approach to investing, a moment’s thought reveals that it leaves some significant scope for taking ESG matters into account, which the SC 2020 is anxious to exploit. Thus, Principle 4 states: “Signatories identify and respond to market-wide and systemic risks to promote a well-functioning financial system”, where systemic risks are defined so as to include climate change. The financial impact of climate change on particular business activities tends to reveal itself only in the longer term, so that at the point of decision (about investment or engagement) there is scope for debate about the relevance of this factor. It may be difficult to attach an agreed probability to future impacts or the decision-makers might find themselves in the area of pure uncertainty. Consequently, those driven by environmental goals may be able to present their arguments, whether consciously or unconsciously, in terms of investment relevance and even decision-makers not driven by such goals may find it difficult to untangle the two types of argument. This tendency is possibly enhanced by the reporting obligation under Principle 4, which includes reporting on “how [not whether] they have worked with other stakeholders to promote continued improvement of the functioning of financial markets”, where stakeholders include “not-for-profits, regulators, associations and academics.” Similar points could be made in respect of the SC’s promotion of ESG factors in general. Principle 7 states: “Signatories systematically integrate stewardship and investment, including material environmental, social and governance issues, and climate change, to fulfil their responsibilities.” The reporting obligation on outcomes is here defined as follows: “Signatories should explain how information gathered through stewardship has informed acquisition, monitoring and exit decisions, either directly or on their behalf, and with reference to how they have best served clients and/or beneficiar35 “These proposals are not intended to give any support to activist groups for boycotts or disinvestment from certain assets” (DWP, para 26). 36 Ibid, paras 24–25.

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ies.” Asset owners and managers are thus obliged to reveal their approach to ESG factors, how they have regarded them as relevant to their investment and engagement decisions and how those decisions reflect the needs and views of beneficiaries. At a minimum, such disclosures are likely to expose large owners and managers to public comment. Since the ESG obligations for signatories to the SC are essentially disclosure obligations, their impact on behaviour is likely to be driven by the reputational consequences of reporting. These reputational pressures result not only from the required reporting under Principles 4 and 7, discussed above, but also from reporting under Principle 1, which requires reporting of “signatories’ purpose, investment beliefs, strategy, and culture” and how, via long-term value for beneficiaries, they lead to “sustainable benefits for the economy.” The most important wielders of reputational sanctions are likely to be governments (threatening unwelcome regulation), investors and asset owner/managers themselves (avoiding, or seeking to change the strategy of, disfavoured companies). It is clear that the UK government, as a signatory to the Paris climate change accords, is committed to policies of carbon dioxide emission reduction (though on a time-table which is too slow for some), especially where the burden of action can be placed outside governmental circles. Thus, the DWP, despite its formal adherence to the Law Commission’s guidelines, gives pension fund trustees a heavy steer that climate change considerations should be given significant weight when assessing both the financial returns to an investment or engagement action and the views of the scheme’s members.37 The Department is clearly unwilling to leave an important government policy in the unfettered hands of the trustees. Investors’ attitudes to ESG factors may change in favour of giving them greater weight. There are negative expressions of this change to be found in the rise of ethical funds, which avoid certain types of company, but their impact on the industries they avoid has so far been limited.38 Engagement with, rather than avoidance of, such businesses might become more popular. Finally, the attitudes of asset managers might shift in favour of giving ESG factors more weight. Since they are investing other people’s money, they can contemplate the uncertainty of the returns to ESG investing with equanimity, unless the downside shows up in competitive disadvantages. Here, in contrast to what was discussed in relation to financial incentives, indextrackers may be more prone to taking ESG factors into account than stockpickers, since by definition they cannot do worse than their chosen index. However, they are in a position to implement an ESG-friendly approach 37

Above n 34, ch 2, paras 17 and 28. P Brest, R Gilson and M Wolfson, How Investors Can (and Can’t) Create Social Value, ECGI Law Working Paper N° 394/2018. 38

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only supporting across-market, rather than firm-specific, initiatives. There is some evidence that this is happening: Larry Fink wrote a famous letter in January 2018 on behalf of BlackRock, a US index investor of enormous size, to investee companies advocating more commitment to ESG factors;39 LGIM, a large UK index tracker, has a policy of voting against the board chair where female directors do not constitute one quarter of the board – the official recommendation in the UK;40 and the chief executives of Fidelity International and Allianz Global Investors have recently called for more focus on sustainability, even suggesting that economic growth and investor returns need to be sacrificed to this end.41 Whatever one may think of the value of these developments to society as a whole, they probably represent good news for the second version of the SC, since they suggest that the new SC is cutting with, not across, the grain of incipient changes in society as a whole.

IV. Conclusion The Stewardship Code can be said to have had a remarkable escape from its condemnation in the Kingman Review as ineffective. None of the plausible reasons to explain the reluctance of asset owners and asset managers under the first version of the Code to engage with investee companies have been addressed in the second (2020) version. Instead, the focus of the Code has pivoted away from the performance of individual companies towards market-wide changes. Obviously, the two are connected, but there is a change of emphasis from a bottom-up approach (first version) to a topdown one (second version). An important indication of this is the disappearance from the second version of any explicit reference to the Walker view that owners and managers were well placed to take pre-emptive action to avoid managerial errors.42 Also indicative is the changing definition of the techniques of “stewardship”. Whereas the first version defined it almost wholly in terms of engagement,43 the second version refers to the ‘allocation and management’ of capital as well as to its ‘oversight’, suggesting, as does the structure of the SC 2020, that engagement is not the only show in town. The shift to a market wide approach is accompanied by a change of focus in relation to the subject-matter of engagement: an expansion from firm finan39

https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-ceo-letter. Gomtsian, above n 24, p 5. 41 Financial Times, November 15, 2019. 42 The Guidance under Principle 3 of the SC 2012 suggested that “institutional investors should endeavour to identify at an early stage issues that may result in a significant loss of investment value.” There is no equivalent in the second version. 43 See n 8 above. 40

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cial performance to include ESG issues at both a firm and a market-wide level – with a consequent ambiguity about the relationship between ESG factors and financial performance. Together with that shift of subject matter goes a shift of emphasis in relation to the incentives for engagement: from competitive advantage or legal obligation (as it turned out, a broken reed) to reputational incentives driven by political pressures and public opinion. It is unclear how successful the SC will be in the long run, but the second version can probably claim to be aligned with changes in society in a way that the first was not.44

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See also Peter Montagnon, Stewardship in a Stakeholder World (Corporate Governance Forum, Stockholm, 2019, welcoming the ‘outward facing’ qualities of the second version, but regretting its more prescriptive approach. This was his final public address before his untimely death.

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Anerkennung und Einführung der raison d’être im französischen Recht Katrin Deckert

Die Anerkennung des Unternehmensinteresses und Einführung der raison d’être von Gesellschaften im französischen Recht: tiefgreifende Reform oder politische Ansage? KATRIN DECKERT

Die Rechtsvergleichung war für Klaus J. Hopt seit jeher nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine Leidenschaft, und dies seit Beginn seiner juristischen Laufbahn. Zu den Tugenden der Rechtsvergleichung zählt es, zur kritischen Hinterfragung des eigenen Rechtssystems einzuladen. Die Beobachtung anderer Rechtsordnungen ermöglicht es, die eigene Rechtsordnung besser zu verstehen, aber auch etablierte Lösungen in Frage zu stellen, Dogmatismus und Stereotype zu bekämpfen und neue Regelungen zu gestalten (insbesondere im Kontext eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen). Das französische Recht hat dabei schon immer das Interesse dieses außergewöhnlichen Juristen geweckt, der mit dieser Festschrift geehrt wird. Eine nicht nur für Rechtsvergleicher interessante Entwicklung im französischen Gesellschaftsrecht zeigt das Gesetz Nr. 2019-486 vom 22. Mai 2019 über das Wachstum und die Umwandlung von Unternehmen (loi relative à la croissance et la transformation des entreprises, PACTE1-Gesetz) auf. Dieses Gesetz wurde am 11. April 2019 vom französischen Parlament verabschiedet, konnte allerdings erst am 22. Mai 2019, nach teilweiser Bestätigung durch den französischen Verfassungsrat (Conseil constitutionnel)2, verkündet werden3. Die zwei wichtigsten Neuerungen im Gesellschaftsrecht bewirkt zweifellos Artikel 169 des PACTE-Gesetzes durch eine Änderung des allgemeinen Teils des Gesellschaftsrechts im französischen Zivilgesetzbuch (Code civil). 1

Plan d’action pour la croissance et la transformation des entreprises. Cons. const., 16. Mai 2019, Entscheidung Nr. 2019-781 DC. Der französische Verfassungsrat hatte am 16., 23. und 24. April 2019 vier Beschwerden von Abgeordneten und Senatoren erhalten. In seiner Entscheidung Nr. 2019-78 DC vom 16. Mai 2019 zum Gesetz über das Wachstum und die Umwandlung von Unternehmen hat das französische Verfassungsgericht den wesentlichen Inhalt des ihm vorgelegten Textes bestätigt. Am Ende wurden 24 Artikel des Gesetzes gestrichen, 15 von diesen Bestimmungen allerdings nicht aus inhaltlichen, sondern aus rein prozessualen Gründen. 3 JORF (franz. Amtsblatt) Nr. 0119 vom 23. Mai 2019. 2

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Einerseits ergänzt er die Definition des Unternehmensinteresses (intérêt social) in Artikel 1833 franz. ZivilG um soziale und ökologische Aspekte. Ein neu hinzugefügter, zweiter Absatz besagt nunmehr, dass „die Gesellschaft in ihrem Unternehmensinteresse unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit geleitet wird“ („La société est gérée dans son intérêt social, en prenant en considération les enjeux sociaux et environnementaux de son activité.“). Andererseits eröffnet das PACTE-Gesetz Gesellschaften die Möglichkeit, in ihrem Gesellschaftsvertrag eine raison d’être (was wörtlich mit Daseinsgrund übersetzt werden kann) anzugeben. Dazu wurde Artikel 1835 franz. ZivilG durch folgenden Satz ergänzt: „Der Gesellschaftsvertrag kann eine raison d’être benennen, die aus den Prinzipien besteht, die sich die Gesellschaft gibt und für deren Einhaltung sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Mittel bereitzustellen beabsichtigt.“ („Les statuts peuvent préciser une raison d’être, constituée des principes dont la société se dote et pour le respect desquels elle entend affecter des moyens dans la réalisation de son activité.“). Darüber hinaus führt der französische Gesetzgeber die „Gesellschaft mit Mission“ (société à mission) ein (Art. 176 des PACTE-Gesetzes).4 Der neue Artikel L. 210-10 franz. HandelsG sieht vor, dass eine Gesellschaft öffentlich erklären kann, dass sie eine Gesellschaft mit Mission ist, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllt, u.a. muss ihr Gesellschaftsvertrag eine raison d’être im Sinne des Artikel 1835 franz. ZivilG enthalten („ses statuts précisent une raison d’être, au sens de l’article 1835 du Code civil“). In Sinne der neu gefassten Artikel 1833 und 1835 franz. ZivilG wurden durch das PACTE-Gesetz auch die Bestimmungen des französischen Handelsgesetzbuches (Code de commerce) zur Aktiengesellschaft (société anonyme) geändert. Auf ihnen soll auch der Schwerpunkt dieses Beitrags liegen. Bei monistisch organisierten Aktiengesellschaften mit Verwaltungsrat (conseil d’administration) sieht Artikel L. 225-35 Abs. 1 franz. HandelsG nunmehr vor: „Der Verwaltungsrat bestimmt die Ausrichtung der Gesellschaftstätigkeit und überwacht ihre Umsetzung in Einklang mit ihrem Unternehmensinteresse und unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit. Gegebenenfalls berücksichtigt er auch die in Anwendung von Artikel 1835 des Zivilgesetzbuchs definierte raison d’être der Gesellschaft. Vorbehaltlich der Befugnisse, die ausdrücklich der Hauptversammlungen übertragen sind und in den Grenzen des Unternehmensgegenstandes befasst er sich mit allen Fragen, die den reibungslosen Geschäftsgang der Gesellschaft angehen, und regelt mit seinen Entscheidungen die sie betreffenden Angelegenheiten.“ („Le conseil d’administration détermine les 4 Siehe auch Dekret (décret) Nr. 2020-1 vom 2. Januar 2020 über die Gesellschaft mit Mission (relatif aux sociétés à mission), JORF Nr. 0002 vom 3. Januar 2020.

Anerkennung und Einführung der raison d’être im französischen Recht

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orientations de l’activité de la société et veille à leur mise en oeuvre, conformément à son intérêt social, en prenant en considération les enjeux sociaux et environnementaux de son activité. Il prend également en considération, s’il y a lieu, la raison d’être de la société définie en application de l’article 1835 du code civil. Sous réserve des pouvoirs expressément attribués aux assemblées d’actionnaires et dans la limite de l’objet social, il se saisit de toute question intéressant la bonne marche de la société et règle par ses délibérations les affaires qui la concernent.“). Im Falle von dualistisch organisierten Aktiengesellschaften mit Vorstand (directoire) und Aufsichtsrat (conseil de surveillance) lautet Artikel L. 225-64 Abs. 1 franz. HandelsG nunmehr wie folgt: „Der Vorstand ist mit umfassenden Befugnissen ausgestattet, um in jeder Situation im Namen der Gesellschaft zu handeln. Er übt sie in den Grenzen des Unternehmensgegenstandes und vorbehaltlich der Befugnisse, die ausdrücklich vom Gesetz dem Aufsichtsrat und der Hauptversammlung übertragenen sind aus. Er bestimmt die Ausrichtungen der Gesellschaftstätigkeit und überwacht ihre Umsetzung in Einklang mit ihrem Unternehmensinteresse und unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit. Gegebenenfalls berücksichtigt er auch die in Anwendung von Artikel 1835 des Zivilgesetzbuchs definierte raison d’être.“ („Le directoire est investi des pouvoirs les plus étendus pour agir en toute circonstance au nom de la société. Il les exerce dans la limite de l’objet social et sous réserve de ceux expressément attribués par la loi au conseil de surveillance et aux assemblées d’actionnaires. Il détermine les orientations de l’activité de la société et veille à leur mise en œuvre, conformément à son intérêt social, en prenant en considération les enjeux sociaux et environnementaux de son activité. Il prend également en considération, s’il y a lieu, la raison d’être de la société définie en application de l’article 1835 du code civil.“). Die Befugnisse des Verwaltungsrats bzw. des Vorstands einer Aktiengesellschaft, und im Allgemeinen der Unternehmensleitung, sind infolge dieser Gesetzesänderungen stärker von der Verpflichtung geprägt, die Gesellschaft im Einklang mit ihrem Unternehmensinteresse und unter Berücksichtigung ihrer sozialen und ökologischen Anliegen (I), und gegebenenfalls unter Beachtung ihrer raison d’être (II), zu leiten. Die konkrete Reichweite dieser Pflichten soll im Folgenden untersucht werden.

I. Erweitertes Unternehmensinteresse Nach dem PACTE-Gesetz soll die Gesellschaft im Einklang mit ihrem Unternehmensinteresse unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit geleitet werden. Zu klären bleibt allerdings, welche Pflichten dies im Einzelnen begründet.

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Das PACTE-Gesetz führt die Konzepte des Unternehmensinteresses und der Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Aspekten in das Gesetz ein. Jede Gesellschaft, ob Zivil- oder Handelsgesellschaft, Kapital- oder Personalgesellschaft, und gleich welcher Größe, muss nicht nur einen rechtmäßigen Unternehmensgegenstand (objet social) haben und im gemeinsamen Interesse der Gesellschafter gegründet worden sein (Art. 1833 Abs. 1 franz. ZivilG). Sie muss nunmehr auch „in ihrem Unternehmensinteresse unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit geleitet“ werden. Diese neuen Pflichten gelten damit sowohl für börsennotierte wie nicht börsennotierte Gesellschaften, Großunternehmen wie KMU5, auch wenn wohl nicht alle in gleicher Weise für die Anwendung dieser neuen Anforderungen gerüstet sein werden. Nach Ansicht des französischen Staatsrates (Conseil d’État) in seiner Stellungnahme zum PACTE-Gesetzentwurf vom 14. Juni 20186 führt Artikel 1833 Abs. 2 franz. ZivilG zwei getrennte Pflichten ein. In der Aktiengesellschaft müssen sie von den Mitgliedern des Verwaltungsrats oder des Vorstands bzw. allgemein von der Unternehmensführung berücksichtigt werden (Art. 1833 Abs. 2 franz. ZivilG, Art. L. 225-35, Abs. 1 und Art. L. 225-64 Abs. 1 franz. HandelsG). Wenn es um das Unternehmensinteresse geht, stellt dies aber keine echte Neuheit dar.7 Tatsächlich ist das Unternehmensinteresse eines der Konzepte, zu dem im französischen Gesellschaftsrecht am meisten Tinte geflossen ist und heute einen wesentlichen Platz im Recht der Unternehmensführung einnimmt. Bislang tauchte es jedoch in keiner grundlegenden Bestimmung des Gesellschaftsrechts auf; das französische Handelsgesetzbuch verweist manchmal auf das Unternehmensinteresse, aber finden sich solche Hinweise nur selten und bleiben lückenhaft und verstreut.8 Ähnlich verhält es sich im französischen Zivilgesetzbuch.9 Vor allem fehlt aber eine gesetzliche Definition des Begriffs des Unternehmensinteresses, so dass manche Autoren ihm einen „dehnbaren Inhalt“10 attestieren. Der französische Kassationshof (Cour de cassation) entschied auf der Grundlage von Artikel 1832 franz. ZivilG, dass das Unternehmensinte-

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Kritisch, LUCAS, Bull. Joly Sociétés 2018, 477. CE, Avis sur un projet de loi relatif à la croissance et la transformation des entreprises, Nr. 394.599 und 395.021, 14. Juni 2018. 7 Vgl. SCHMIDT, D. 2017, 2380 zum „intérêt de l’entreprise“. 8 Art. L. 221-4 franz. HandelsG über die Befugnisse der Geschäftsführer einer société en nom collectif (SNC) ; Art. L. 233-3 franz. HandelsG über Stimmbindungsverträge (conventions de vote) ; Art. L. 241-3 und L. 242-6 franz. HandelsG über die Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen (abus de biens sociaux) und Kreditmissbrauch (abus de crédit). 9 Z.B. Art. 1848 franz. ZivilG über die Zivilgesellschaft (société civile), die der deutschen BGB-Gesellschaft entspricht. 10 PORACCHIA/MARTIN, Rev. sociétés 2012, 475. 6

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resse vom Interesse der Gesellschafter zu unterscheiden sei11, und bezeichnet es gelegentlich als „allgemeines Interesse der Gesellschaft“ („intérêt général de la société“) 12. Allgemein zeigt die französische Rechtsprechung ein eher weites Verständnis des Unternehmensinteresses, in das auch Stakeholderinteressen einfließen können und das nicht mit den Interessen der Gesellschafter zu verwechseln ist. Der französische Staatsrat vertritt in seiner Stellungnahme zum PACTE-Gesetzentwurf die Auffassung, dass der neu eingefügte Artikel 1833 Abs. 2 franz. ZivilG, der den Begriff des Unternehmensinteresses nicht definiert, „implizit auf die Konturen verweist, welche die Rechtsprechung, auf flexible, aber nicht unbestimmte Art insbesondere im Rahmen der Theorie des Missbrauchs der Mehrheits- und Minderheitsmacht zeichnet“ („renvoie implicitement aux contours qu’en trace de façon souple mais non indéterminée la jurisprudence notamment dans le cadre des théories de l’abus de majorité et de minorité“)13. Gleichwohl müssen die Verwaltungsrats- bzw. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, und allgemein die Unternehmensleitung, stets im Interesse der Gesellschaft handeln.14 Treffen sie eine Entscheidung, die dem Unternehmensinteresse zuwiderläuft, können sie abberufen und für etwaige Schäden in Haftung genommen werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Entscheidungen oder Rechtsakte, die dem Unternehmensinteresse zuwiderlaufen, unter bestimmten Voraussetzungen für nichtig erklärt werden können. Tatsächlich hat der französische Kassationshof in verschiedenen Urteilen deutlich gemacht, dass ein mit dem Unternehmensinteresse unvereinbares Geschäft zumindest in bestimmten Fällen annulliert werden kann. Das Unternehmensinteresse könnte somit ein Kriterium für die Beurteilung der Wirksamkeit von Akten oder Geschäften der Gesellschaft werden. Dies hat die Rechtsprechung bereits sehr deutlich für Sicherheiten entschieden, welche Gesellschaften ohne Haftungsbeschränkung (société à risque illimité) für die Schuld eines Dritten stellen, die aber die Existenz der Gesellschaft selbst gefährden.15 Bemerkenswert ist, dass ein Teil 11

Cass. 1ère civ. 1, 2. Okt. 2013, Nr. 12-23.591. Siehe Cass. com., 24. Mai 2016, Nr. 14-28.121. 13 CE, supra, S. 38, Nr. 98 ; Siehe auch DAIGRE, Bull. Joly Sociétés 2018, 541. 14 MERLE/FAUCHON, Sociétés commerciales, 24. Aufl., 2019/2020, Rdn. 70. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Unternehmensinteresse auch in Bezug auf das Gruppeninteresse (intérêt de groupe) von der Rechtsprechung gewürdigt wurde; letzteres kann dabei Vorrang vor dem Unternehmensinteresse haben (siehe insb. Cass. crim., 4. Febr. 1985, Nr. 84-91.581 (Rozenblum) ; Cass. com., 10. Febr. 2015, Nr. 14-11.760). 15 In der Tat haben in den letzten Jahren mehrere Urteile des französischen Kassationshofs die Wirksamkeit der von einer Personengesellschaft (nicht haftungsbeschränkten Gesellschaft) gewährten Sicherheit von der Vereinbarkeit dieser Sicherheit mit dem Unternehmensinteresse abhängig gemacht (siehe z.B. Cass. 3ème civ., 12. Sept. 2012, Nr. 1117.948: „Qu’en statuant ainsi, alors que le cautionnement même accordé par le consentement unanime des associés n’est pas valide s’il est contraire à l’intérêt social, la cour d’appel 12

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der französischen Literatur diese Lösung verallgemeinert16. In Hinblick auf ein Urteil des französischen Kassationshofs vom 13. Dezember 2005, das den Verkauf eines Vermögenswerts der Gesellschaft betraf und einer Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen nahekam,17 bekräftigen die Autoren: Jede Handlung, die dem Unternehmensinteresse zuwiderläuft, ist nichtig. Dieses Urteil wurde allerdings nicht im offiziellen Mitteilungsblatt für Zivilsachen (bulletin civil) veröffentlicht, sodass unklar bleibt, welche Bedeutung ihm der französische Kassationshof tatsächlich zumaß. Dennoch kann die Rechtsprechung des französischen Kassationshofs sowie die genannten Literaturstimmen ein Argument dafür liefern, dass Entscheidungen oder Akte der Unternehmensführung, die dem Unternehmensinteresse zuwiderlaufen, unter bestimmten Umständen für nichtig erklärt werden können; diesen Grundsatz könnte die Rechtsprechung in Zukunft sogar verallgemeinert anwenden18. Gleichwohl kann nach dem PACTE-Gesetz weder die Nichtigkeit der Gesellschaft noch die Nichtigkeit von Handlungen oder Beschlüssen der Gesellschaftsorgane (einschließlich Verwaltungsrat bzw. Vorstand und Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft) auf die Nichtbeachtung des Absatzes 2 des Artikels 1833 franz. ZivilG, und insbesondere die Verletzung des Unternehmensinteresses, gestützt werden. Um dies sicherzustellen, wurde eigens Artikel 1844-10 Abs. 3 franz. ZivilG (sowie Artikel L. 235-1 Abs. 2 franz. HandelsG zur Handelsgesellschaft19) ergänzt: „Die Nichtigkeit von a violé le texte susvisé“; und Cass. com., 23. Sept. 2014, Nr. 13-17.347: „Mais attendu que n’est pas valide la sûreté accordée par une société civile en garantie de la dette d’un associé dès lors qu’étant de nature à compromettre l’existence même de la société, elle est contraire à l’intérêt social ; qu’il en est ainsi même dans le cas où un tel acte entre dans son objet statutaire ; qu’ayant constaté, par motifs propres et adoptés, que l’immeuble donné en garantie du prêt consenti par la Caisse à M. X...constituait le seul bien de la SCI, de sorte que cette dernière, qui ne tirait aucun avantage de son engagement, mettait en jeu son existence même, la cour d’appel a statué à bon droit ; que le moyen n’est pas fondé“). Ist diese Lösung auf Personengesellschaften beschränkt? Der französische Kassationshof hatte zunächst einen ähnlichen Lösungsweg für eine Aktiengesellschaft angenommen (Cass. com., 13. Nov. 2007, Nr. 0615826), um später jedoch in Bezug auf eine société à responsabilité limitée (SARL, entspricht der deutschen GmbH) zu entscheiden, dass die Unvereinbarkeit mit dem Unternehmensinteresse für sich genommen keinen Grund für die Nichtigkeit der Verpflichtungen darstellt, die der Geschäftsführer der SARL gegenüber Dritten eingegangen ist (Cass. com., 12. Mai 2015, Nr. 13-28.504: „Et attendu, en second lieu, que, serait-elle établie, la contrariété à l’intérêt social de la sûreté souscrite par une société à responsabilité limitée en garantie de la dette d’un tiers n’est pas, par elle-même, une cause de nullité de cet engagement“). 16 Siehe insb. COZIAN/VIANDIER/DEBOISSY, Droit des sociétés, 32. Aufl., 2019, Rdn. 420 und 426; MERLE/FAUCHON, supra, Rdn. 70 ; vgl. auch GERMAIN in : Mélanges P. Le Cannu, 2014, S. 289. 17 Cass. com., 13. Dez. 2005, Nr. 03-18.002. 18 In diesem Sinne auch DAIGRE, supra, 541. 19 „La nullité d’actes ou délibérations autres que ceux prévus à l’alinéa précédent ne peut résulter que de la violation d’une disposition impérative du présent livre, à l’exception

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Handlungen oder Beschlüssen der Gesellschaftsorgane kann nur aus der Verletzung einer zwingenden Vorschrift dieses Titels, mit Ausnahme des letzten Absatzes von Artikel 1833, oder aus einem der Nichtigkeitsgründe von Verträgen im Allgemeinen resultieren.“ („La nullité des actes ou délibérations des organes de la société ne peut résulter que de la violation d’une disposition impérative du présent titre, à l’exception du dernier alinéa de l’article 1833, ou de l’une des causes de nullité des contrats en général.“). Die obligatorische Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte stellt dagegen eine echte Neuerung im französischen Recht dar. Nach Artikel 1833 Abs. 2 franz. ZivilG muss die Unternehmensführung, im Speziellen der Verwaltungsrat bzw. der Vorstand der Aktiengesellschaft (Art. L. 225-35, Abs. 1 und Art. L. 225-64 Abs. 1 franz. HandelsG), von nun an die Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem Unternehmensinteresse unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit leiten. Dabei handelt es sich nicht mehr um einfache Berichterstattungs- oder Informationspflichten im Bereich der Corporate Social Responsibility (CSR)20, sondern um „eine allgemeine Verpflichtung, die auf der täglichen Geschäftsführung der Gesellschaft lastet“ („une obligation générale pesant sur la gestion au jour le jour de la société“), wie der französische Staatsrat in seiner Stellungnahme vom 14. Juni 2018 feststellt21. Der französische Staatsrat sieht darin somit eine Verpflichtung der Unternehmensleitung und keine bloße Kompetenzzuweisung; weiter betont er, dass die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit in den Prozess der Entscheidungsfindung einfließen und mit den anderen Interessen abgewogen werden müssen. Darin kann man eine Form der Beschränkung der Unternehmensleitung sehen. Jedenfalls in der Theorie besteht sogar die Gefahr der Einmischung des Staates und möglicherweise der Richter in die Leitung der Gesellschaft. Gleichzeitig könnte diese Verpflichtung es insbesondere dem Verwaltungsrat bzw. Vorstand der Gesellschaft ermöglichen, seine Befugnisse gegenüber Aktionären oder gar Dritten in gewissem Umfang zu erweitern.22 Diese Verpflichtung ist allgemeiner Natur.23 Aber was ist konkret der genaue Umfang und der eigentliche Inhalt dieser neuen Pflicht?24 Und was

de la première phrase du premier alinéa de l’article L. 225-35 et de la troisième phrase du premier alinéa de l’article L. 225-64, ou des lois qui régissent les contrats, à l’exception du dernier alinéa de l’article 1833 du code civil.“ 20 Vorgesehen im Gesellschaftsrecht (Art. L. 225-102-1 franz. HandelsG) und im Kapitalmarktrecht (Art. L. 533-22-1 franz. Währungs- und FinanzG (Code monétaire et financier). 21 CE, supra, S. 38, Nr. 100. 22 Siehe SCHMIDT, Bull. Joly Bourse 2018, 285. 23 CE, supra, S. 39, Nr. 103. 24 Siehe auch TADROS, D. 2018, 1765, Rdn. 10 f.

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sind die Folgen, wenn der Verwaltungsrat bzw. der Vorstand die Interessen der Aktionäre oder der Gesellschaft gegenüber sozialen und ökologischen Erwägungen bevorzugt? Gibt es möglicherweise eine Hierarchie zwischen diesen verschiedenen Interessen?25 Und zahlreiche andere Fragen bleiben in diesem Zusammenhang noch offen. Nicht zuletzt sind auch mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu bedenken: Wie sollen Schlüsselbegriffe wie „sozial“, „Umwelt“, „Aspekte“ („enjeux“), „Aktivität“ oder „Berücksichtigung“ definiert werden und was ist deren genaue Tragweite? Das PACTE-Gesetz sieht keine spezifischen Sanktionen vor für die Nichtbeachtung der neuen Pflichten in Bezug auf das Unternehmensinteresse und die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte. Die klassischen Sanktionen scheinen ausreichend abschreckend zu sein: Abberufung, zivilrechtliche Haftung der Mitglieder der Unternehmensleitung, namentlich der Mitglieder des Verwaltungsrats bzw. des Vorstands in der Aktiengesellschaft, und gegebenenfalls Nichtigkeit von Entscheidungen oder Akten der Unternehmensführung. Tatsächlich ist es schwierig, die Folgen der Änderungen durch das PACTE-Gesetz in Bezug auf deren haftungsrechtliche Konsequenzen abzuschätzen.26 Das Risiko der Mitglieder der Unternehmensleitung, zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, wird sich aber wahrscheinlich erhöhen (es sei denn, man sieht in der gesetzlichen Neuregelung einen neuen Rechtfertigungsgrund oder einen neuen Haftungsbefreiungsgrund27). Vorsichtig ausgedrückt besteht jedenfalls eine gewisse Unsicherheit, die insbesondere aus dem Auslegungsspielraum resultiert, den die Richter bei Anwendung der neuen Regelung haben28. Drei Aspekte sind jedenfalls zu betonen. Erstens muss die gesamte Neuregelung im Lichte der Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Haftung von Mitgliedern des Verwaltungsrats bzw. des Vorstands in der Aktiengesellschaft beurteilt werden. In diesem Zusammenhang erscheinen drei Urteile sehr interessant29, insbesondere die Entscheidung des Berufungsgerichts (cour d’appel) von Versailles vom 12. Mai 2010. In diesem Urteil stellte das Gericht klar, dass Verwaltungsratsmitgliedern eine einfache Unternehmensführungs-

25 Für die Schaffung einer Hierarchie zwischen dem Unternehmensinteresse und sozialen und ökologischen Aspekten, siehe TADROS, supra, Rdn. 17. Siehe auch Étude d’impact du projet de loi PACTE vom 18. Juni 2018, verfügbar auf: http://www.assembleenationale.fr/15/projets/pl1088-ei.asp. 26 Vgl. TADROS, supra, Rdn. 15. 27 Ibid, Rdn. 16. 28 Siehe auch LUCAS, supra, 477. 29 Cass. com., 9. März 2010, Nr. 08-21547 08-21.793; Cass. com., 30. März 2010, Nr. 08-17.841 (Crédit Martiniquais) ; CA Versailles, 12e ch. sect. 2, 12. Mai 2010, Nr. 08/ 09130 (Rhodia).

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pflicht auferlegt ist, bei der nur sorgfältiges Handeln (obligation de moyens), nicht aber ein Erfolg (obligation de résultat) geschuldet wird. Mit Blick auf die Berücksichtigung von Unternehmensinteresse sowie sozialer und ökologischer Aspekte wird zu fragen sein, ob diese auch nur eine solche einfache Sorgfaltspflicht begründen. Auf jeden Fall wäre es ratsam, die neuen Pflichten der Unternehmensleitung, einschließlich Verwaltungsrat und Vorstand, mit der Rechtsprechung auf diesem Gebiet abzustimmen. Zweitens wirft das erhöhte Haftungsrisiko der Mitglieder der Unternehmensleitung, und speziell der Verwaltungsrats- bzw. Vorstandsmitglieder in der Aktiengesellschaft, auch die Frage auf, wie weit die Haftpflichtversicherungen reichen, mit denen sie sich selbst versichern können: Müssen die Versicherungspolicen geändert werden, um das neue Risiko zu berücksichtigen, das durch die mit dem PACTE-Gesetz eingeführten Änderungen entsteht? Es ist schließlich schwierig, die Auswirkungen dieser Änderungen auf die Wirksamkeit der von der Unternehmensführung oder Gesellschaftsorganen getätigten Handlungen und getroffenen Entscheidungen abzuschätzen. Es stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung zur Gültigkeit von Sicherheiten, die dem Unternehmensinteresse entgegenstehen, auf Fälle unterbliebener Berücksichtigung des Unternehmensinteresses und sozialer und ökologischer Aspekte ausgedehnt werden kann. Gegen eine solche Ausdehnung spricht aber, dass die Rechtsprechung nur unter besonderen Umständen einen Verstoß der Sicherheitenbestellung gegen das Unternehmensinteresse annimmt, nämlich wenn die eingeräumte Sicherheit sich auf den einzigen Vermögensgegenstand der Gesellschaft bezieht und die Gesellschaft in ihrer Existenz bedroht. Eine Ausweitung dieser Rechtsprechung ist daher nicht selbstverständlich. Darüber hinaus sieht der mit dem PACTE-Gesetz neu eingeführte Artikel 1844-10 Abs. 3 franz. ZivilG ausdrücklich vor, dass weder die Nichtigkeit der Gesellschaft noch die Nichtigkeit von Handlungen oder Beschlüssen der Gesellschaftsorgane wegen Nichtbeachtung von Artikel 1883 Abs. 2 franz. ZivilG geltend gemacht werden kann. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das PACTE-Gesetz der Unternehmensleitung, und speziell dem Verwaltungsrat bzw. dem Vorstand einer Aktiengesellschaft, neue Pflichten auferlegt: die Gesellschaft muss in Übereinstimmung mit ihrem Unternehmensinteresse unter Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit geführt werden. Hinzu kommt eine weitere neue Verpflichtung in Gesellschaften, deren Gesellschaftsvertrag eine raison d’être benennt.

II. Neue raison d’être Nach dem in Artikel 1835 franz. ZivilG neu eingefügten Satz 3 kann der Gesellschaftsvertrag „eine raison d’être benennen, die aus den Prinzipien be-

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steht, die sich die Gesellschaft gibt und für deren Einhaltung sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Mittel bereitzustellen beabsichtigt.“ Entsprechend sehen die gesetzlichen Bestimmungen zur Aktiengesellschaft vor, dass der Verwaltungsrat bzw. der Vorstand ebenfalls die raison d’être zu berücksichtigen hat, soweit eine solche in der Satzung benannt ist (Art. L. 225-35 Abs. 1 bzw. Art. L. 225-64 Abs. 1 franz. HandelsG). Dies stellt eine weitere, nunmehr allerdings fakultative Neuerung dar, auch wenn Gesellschaften aufgrund der Satzungsfreiheit bereits vor dem PACTE-Gesetz eine solche raison d’être festschreiben konnten30. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der raison d’être ein ergänzendes Statut für Handelsgesellschaften geschaffen: die Gesellschaft mit Mission (Art. 176 des PACTE-Gesetzes). Artikel L. 210-10 franz. HandelsG sieht nunmehr vor, dass eine Gesellschaft öffentlich erklären kann, dass sie eine Gesellschaft mit Mission ist, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllt, u.a. muss ihr Gesellschaftsvertrag „eine raison d’être im Sinne des Artikel 1835 Zivilgesetzbuch“ enthalten. Im Gesellschaftsvertrag eine raison d’être aufzunehmen, stellt für Gesellschaften eine Option, ein Recht dar. Entscheidet sich die Gesellschaft für die Einführung einer solchen raison d’être, entfaltet diese aber rechtliche Wirkungen: Bei Eintragung der raison d’être in den Gesellschaftsvertrag muss diese auch eingehalten werden.31 Daher müssen die Unternehmensleitung oder Organe der Gesellschaft, einschließlich Verwaltungsrat bzw. Vorstand und Hauptversammlung in der Aktiengesellschaft, diese raison d’être berücksichtigen, gegebenenfalls Konsequenzen für ihre Entscheidungen daraus ziehen, sowie diese verteidigen, auch gegen die eigenen Gesellschafter oder Investoren32. Mit anderen Worten ist die Berücksichtigung der raison d’être der Gesellschaft nur obligatorisch, wenn sie im Gesellschaftsvertrag benannt ist. Aber wie weit genau geht diese Verpflichtung in der Praxis? Und gilt sie unter allen Umständen? Auch hier bestehen zahlreiche Unsicherheiten. In den USA, wo es eine ganze Reihe von Unternehmen gibt, die soziale Verantwortung übernehmen wollen33, wurde viel Forschungsarbeit zum Unternehmenszweck (company’s purpose) geleistet, der sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: Der Unternehmenszweck ist das, (1) was das Unternehmen auszeichnet oder es von anderen Unternehmen unterscheidet und (2) was das Unternehmen seinen Kunden bietet. In Frankreich hingegen ist 30

Kritisch TADROS, supra, Rdn. 20 f. CE, supra, S. 29, Nr. 105. 32 DAIGRE, supra, S. 541: „le juge trouvera-là, non seulement le pouvoir de sanctionner toute dérive manifeste des dirigeants, mais également de cantonner les exigences des fonds activistes qui inquiètent tant les grandes sociétés françaises cotées“. 33 L3C (Low-Profit Limited Liability Company), Benefit Corporation, FPC (Flexible Purpose Corporation), etc. 31

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der Begriff der raison d’être in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre zum Gesellschaftsrecht unbekannt. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im PACTE-Gesetz keine näheren Angaben zu Inhalt und Geltungsbereich dieses Begriffes gemacht hat („… die aus den Prinzipien besteht, die sich die Gesellschaft gibt und für deren Einhaltung sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Mittel bereitzustellen beabsichtigt.“), sondern die raison d’être Praxis und Rechtsprechung zur schrittweisen Präzisierung überlassen hat34. Doch stellen sich noch weitere Fragen in diesem Zusammenhang. Ist es möglich, die raison d’être der Gesellschaft zu ändern, und wenn ja unter welchen Voraussetzungen? Bedarf es der Einstimmigkeit der Gesellschafter oder genügt eine Stimmenmehrheit, wie sie zur Änderung des Gesellschaftsvertrages erforderlich ist? Und was sind die Folgen einer Nichtbeachtung der raison d’être?35 Kann sie insbesondere zur Nichtigkeit von Akten oder Entscheidungen führen? Ist es außerdem möglich, die etablierten rechtlichen Lösungen im Falle der Überschreitung des Unternehmensgegenstands anzuwenden? Haben außenstehende Dritte Kenntnis von der raison d’être und kann sie ihnen entgegengehalten werden?36 Die raison d’être steht zwar im Gesellschaftsvertrag, doch reicht die alleinige Veröffentlichung des Gesellschaftsvertrages gewöhnlich nicht aus, um Dritte als bösgläubig gelten zu lassen. Sollte die raison d’être deshalb gesondert veröffentlicht werden? Und in welchem Verhältnis steht die raison d’être schließlich zum Unternehmensgegenstand? Diese Unsicherheiten haben einige große französische Gesellschaften aber nicht davon abgehalten, den Sprung zu wagen und sich eine raison d’être zu geben. So hat die Versicherungsgesellschaft MAIF als erste Gesellschaft im Jahre 2019 eine raison d’être benannt; 2020 möchte sie sogar eine Gesellschaft mit Mission werden. Andere sind nachgezogen oder beabsichtigen, dies demnächst zu tun. Die gewählten raison d’être decken dabei ganz verschiedene Facetten ab: Ziel der Bank Crédit Agricole ist es, „jeden Tag im Interesse unserer Kunden und der Gesellschaft zu handeln“; das im Einzelund Großhandel tätige Unternehmen Carrefour setzt auf „Ernährungsumstellung“; der IT-Dienstleister Atos beabsichtigt, „den Informationsraum mitzugestalten“, und das auf Umweltdienstleistungen spezialisierte Unternehmen Veolia „die Welt neu zu beleben“. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die durch das PACTE-Gesetz eingeführten Neuerungen im Hinblick auf das erweiterte Unternehmensinteresse und der neuen raison d’être viele Fragen aufwerfen, Unsicherheiten schaffen und zweifellos auch zu Rechtsstreitigkeiten führen werden. Die größten 34

CE, supra, S. 39, Nr. 106. Siehe auch URBAIN-PARLEANI, Rev. sociétés 2018, 623. Siehe insb. TADROS, supra, Nr. 27 f.; Étude d’impact du projet de loi PACTE, supra, Nr. 3.1 unter Art. 61. 36 Vertiefend TADROS, supra, Rdn. 29 f. 35

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Unsicherheiten ergeben sich aus der dem Richter zustehenden Befugnis zur Auslegung der oft unbestimmten Begriffe: Die Richter haben nunmehr verstärkte Eingriffsbefugnisse in die Unternehmensleitung, namentlich über das Unternehmensinteresse und die raison d’être. Manche befürchten sogar staatliche oder richterliche Einmischung in die Unternehmensführung. Ein gewisser Widerspruch liegt schließlich darin, auf der einen Seite Bestimmungen einzuführen, die ernsthafte Schwierigkeiten bei der Unternehmensleitung befürchten lassen, und auf der anderen Seite, und aus gutem Grund, den Text von Artikel 1145 franz. ZivilG über die Rechtsfähigkeit juristischer Personen zu vereinfachen, um drohende Streitigkeiten abzuwenden. Darüber hinaus kann man sich fragen, ob diese wohl einzigartigen Neuerungen die französischen Unternehmen im internationalen Wirtschafts- und Rechtswettbewerb stärken oder ob sie einen Nachteil darstellen, der letztlich das Risiko von Standortverlagerungen birgt.

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Multiple directorship and knowledge attribution

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Multiple directorship and knowledge attribution Rui Pereira Dias

Multiple directorship and knowledge attribution* RUI PEREIRA DIAS

I. Introduction This paper aims at presenting a brief overview of how Portuguese company law tackles, or should tackle, the practically relevant issue of “Wissenszurechnung”, that is, the imputation or attribution of knowledge of a director to the company of which board she is a member. This general legal question has occupied extensively German scholars (though one might ask: which question has not?). The situation is quite different in the Portuguese legal system: while sharing with the former, as we will see, an absence of explicit treatment in the law, the latter is scarce in scholarship or case law concerning the issue. After first addressing the general topic described above, a particular subject will deserve attention in this paper, namely the imputation of knowledge of a director, not to the company in the realm of which the knowledge was acquired, but rather to a different company, of which he is simultaneously a board member. A problem posed by the existence of directors simultaneously seating in two or more boards: the so-called multiple (or interlocked) directorships. The legal framework of this analysis will be Portuguese law, the one this author may have qualifications to grasp. But it will become clear how the (still limited) discussion of the topic is influenced by German scholarship and case law: reference will thus be made to German literature on the topic.

* Since we first met in Hamburg in February 2006, when I was preparing my first thesis in Portugal (amidst the controlled chaos of profound renovation in the Max-PlanckInstitute, a then young scholar receives on his desk a note, in no way solicited, from the Director, inviting to meet in his office), Klaus J. Hopt has played a significant role in my academic life. While his scholarship requires no presentation or praise from my side, his personal guidance and friendly advice are invaluable privileges many generations of researchers in law, myself included, have been benefiting from over the years, which I am very grateful for.

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II. General legal framework 1. Preliminary overview of general duties of care and loyalty A first general reference to Portuguese company law is due, in order to contextualize the general duties of companies’ directors. Similar to many other legal systems, including the German, one may find enshrined in the Portuguese Companies Code (Código das Sociedades Comerciais) a duty of care and a duty of loyalty. According to Article 64, Nr., 1, included in a General Part of the Code applicable to all corporate legal forms, directors shall observe: a) duties of care, displaying availability, technical competence and knowledge of the company’s activity appropriate to their functions, and employing the diligence of a judicious and organised manager; b) duties of loyalty, in the interest of the company, taking into consideration the long-term interests of shareholders, and pondering the interests of other persons relevant to the company’s sustainability, such as its employees, clients, and creditors1. 2. Absence of explicit legal treatment and inadequacy of either civil law rules on agency (Article 259 of the Civil Code), or company law rules on powers to bind the company (Article 408, Nr. 3, of the Companies Code) To the question of whether, when, and to what extent the knowledge of a director should be imputed to the company there is no explicit legal answer in Portuguese law. Case law specifically on the topic is still unknown of; and in scholarship, only a monograph has been dedicated to the subject2. Against this backdrop and mirroring similar efforts in legal systems such as the German or the Italian, reference has been made to the civil rules on the agency relationship (here in the sense of representação, Vertretung). Functionally equivalent to § 166, 1 BGB, Article 259, Nr. 1 of the Civil Code states, in the relevant part, that for purposes of assessing invalidity of a declaration, it is in the person of the agent, not the principal, that the knowledge (or ignorance) of facts, possibly influential in the transaction, shall be verified. 1 For a thorough commentary of the rule, and further indications of literature and case law, see only RICARDO COSTA/GABRIELA FIGUEIREDO DIAS, “Artigo 64.º — Deveres fundamentais”, in JORGE M. COUTINHO DE ABREU (COORD.), Código das Sociedades Comerciais em Comentário, vol. I, 2.ª ed., Almedina, Coimbra, 2017, pp. 757 et seq. 2 Including a rich comparative law analysis of both Common Law and the German legal systems: JOSÉ FERREIRA GOMES/DIOGO COSTA GONÇALVES, A Imputação de Conhecimento às Sociedades Comerciais, Almedina, Coimbra, 2016.

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The rule seems very arduously applicable to the question at hand. In order to succeed, one would have to accomplish an association between the voluntary conferral of powers to represent another person – the issue dealt with by Article 259 – and the organic relationship between a director and the company she represents as imposed by law. But such an association fails, from the moment one accepts the radical difference between the voluntary and the organic relationships described, the latter amounting to a case of true identification with the company, given that only through this means the company is able to act: the organ, unlike the voluntary representative, is for these purposes inseparable from the legal person3. Furthermore, an application of the rule to other cases, by analogy, albeit acceptable in general terms, should depend on a demonstration that it would be equally justifiable, out of the context of direct application of the rule (i.e., voluntary conferral of powers), to give relevance, against the holder of a legal position, to the knowledge of others but himself4. Back in the company law setting, one might be further tempted to invoke Article 408 of the Companies Code, on the issue of the power of directors to bind the company. In terms similar to § 78, 2, 2nd sentence of the Aktiengesetz (AktG), or also § 35, 2, 2nd sentence of the Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), the Nr. 3 of the Portuguese rule determines that notifications or declarations from third parties to the company may be effectively addressed to any of its directors. The rule is undoubtedly mandatory, for it finishes with the explicit indication that any provision to the contrary in the articles of association shall be considered null and void5. The rule is however unfit to solve the problem faced. Its intention is clear: third parties are thus relieved from addressing the full board of directors, or the number of directors sufficient to bind the company, when they intend to issue a notification or declaration addressed to the company6. So the norm 3 For a general reference in Portuguese civil law see CARLOS ALBERTO DA MOTA PINTO, Teoria Geral do Direito Civil, 4ª ed. (by António Pinto Monteiro and Paulo Mota Pinto), Coimbra Editora, Coimbra, 2005, maxime pp. 316, 542. Interestingly, also the Hague Convention of 14 March 1978 on the Law Applicable to Agency states, in its Article 3, a): “an organ, officer or partner of a corporation, association, partnership or other entity, whether or not possessing legal personality, shall not be regarded as the agent of that entity in so far as, in the exercise of his functions as such, he acts by virtue of an authority conferred by law or by the constitutive documents of that entity”. 4 MARIA DE LURDES PEREIRA, “Os estados subjectivos na representação voluntária – em especial o conhecimento ou desconhecimento juridicamente relevante”, in RFDUL, XXXIX, N.º 1, 1998, maxime p. 166. 5 See with further indications ALEXANDRE SOVERAL MARTINS, “Artigo 408.º – Representação”, in JORGE M. COUTINHO DE ABREU (COORD.), Código das Sociedades Comerciais em Comentário, vol. VI, 2.ª ed., Almedina, Coimbra, 2019, pp. 465 et seq. 6 See only ALEXANDRE SOVERAL MARTINS, “Artigo 408.º”, cit., pp. 483–484.

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gives the answer to a specific problem of passive representation of the company, in its relationship with third parties, by protecting the interests of the person who communicated with the company; in no way it is derivable from there a regulation of how knowledge of one of the directors, not communicated to the company, is to be attributed to it.

III. Finding a legal basis for the imputation of knowledge 1. The duty to orderly organize the company’s internal communication In an interesting parallel, German scholarship often addresses the problem of knowledge imputation apropos the cited paragraphs, § 78 AktG and § 35 GmbHG, on the power of directors to bind the company. Nevertheless, not only commentaries on other provisions, such as the ones on the duties of directors, also tackle the issue7, but it also serves as a textual and normative basis to analyse the problem under the light of other legal provisions, such as § 166 or § 31 BGB8. The latter, with a functional equivalent in Article 165 of the Portuguese Civil Code, furnishes a basis for departure from the parallelism with agency constellations9, by anchoring a solution on the liability rules of the legal person vis-à-vis third parties for acts of the former’s directors. While previous proposals, under the so-called Organtheorie, assumed a kind of absolute attribution of knowledge of a director to the company, through direct and immediate correspondence between knowledge of any member of the board and knowledge of the company itself10, the provisions 7 See KLAUS J. HOPT/MARKUS ROTH, “§ 93”, in HERIBERT HIRTE/PETER O. MÜLBERT/MARKUS ROTH (HRSG.), AktG – Großkommentar, Band 4/2: §§ 92–94, 5. Aufl., De Gruyter, Berlin, 2014, namely nrs. 171, 288. 8 See inter alia HOLGER FLEISCHER, “§ 78 AktG”, in GERALD SPINDLER/EBERHARD STILZ (HRSG.), Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl., C.H. Beck, München, 2019, nr. 53, with reference to supporters of each perspective (see fn. 217–218). For a thorough analysis from the general civil law perspective, see HANS CHRISTOPH GRIGOLEIT, “Zivilrechtliche Grundlagen der Wissenszurechnung”, in ZHR, vol. 181, 2017, especially pp. 182 et seq. 9 In Italy, CAMPOBASSO dedicated his 2002 monography to the attempt of overcoming this paradigm, by proposing a solution based on the corporate organization, its rules and the treatment given to data: MARIO CAMPOBASSO, L’imputazione di conoscenza nelle società, Giuffrè, Milano, 2002, pp. 172 et seq. 10 See e.g., with citation of other authorities, BGH, Wirksamkeit von vom Aufsichtsratsvorsitzer ohne Aufsichtsratsbeschluß abgeschlossenen Anstellungsverträgen, II ZR 75/ 62 (Frankfurt), NJW 1964 1367–1368 (1964.04.06), p. 1367 (“(...) Denn das Wissen schon eines Mitglieds des in der Angelegenheit vertretungsberechtigten Organs ist das Wissen der Gesellschaft (...)”). See inter alia PETRA BUCK-HEEB, “Wissenszurechnung, Informationsorganisation und Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds”, in AG, Heft 22, 2015, p. 802; more recently, LISA ENGELHARDT,

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cited above provided the rudiments that served the construction, by German courts11, building upon previous scholarship12, of a duty, extracted from general principles and other (general) duties, of orderly organization of the company’s internal communication. More faithful to the complexity of today’s enterprises13, it unfolds as a duty to refer the relevant information to other members of the organization (Informationsweiterleitungspflicht), coupled with a duty to seek (or inquire on the possible existence of) the internally available essential information (Informationsabfragepflicht)14. 2. Justification and filiation of the duty to appropriately organize internal information At the heart of this construction is the idea of parity of treatment (Gleichstellung) between natural and legal persons exercising economic activities: counterparties of the latter should not be adversely affected by a segmentation of its internal information15. While a corporate organization generates productivity gains arising out of an efficient division of tasks, third parties should not bear the burden of this division: it would be unacceptable to expose the latter to the fairly uncontrollable risk of an hypothetical allegation, by the company and to escape attribution, that a given relevant internal information was unavailable to the individual acting on its behalf, rather only to a different individual within the same structure. As a result, it is fair to derive from the general duties of directors, particularly the duty of care16, the obligation to appropriately organize the informa-

Wissensverschulden – Eine Systematisierung und Begrenzung der Wissenszurechnung im Unternehmen, Carl Heymanns Verlag, Köln, 2019, pp. 20 et seq. 11 BGH, Wissenszurechnung bei juristischen Personen und Organisationen, V ZR 239/ 94 (Bamberg), NJW 1996 1339–1341 (1996.02.02), pp. 1340–1341. 12 Particularly works by TAUPITZ and MEDICUS: for references and contextualization of these works, MARC-PHILIPPE WELLER, “Wissenszurechnung in internationalen Unternehmensstrafverfahren”, in ZGR, 2016, pp. 405 et seq. In Portugal, adopting similar construction and terminology, JOSÉ FERREIRA GOMES/DIOGO COSTA GONÇALVES, A Imputação de Conhecimento, cit., pp. 79 et seq. 13 MARC-PHILIPPE WELLER, “Wissenszurechnung in internationalen Unternehmensstrafverfahren”, cit., p. 401. 14 BGH, Wissenszurechnung bei juristischen Personen und Organisationen, 1996.02.02, cit., p. 1341. 15 Among others, and with further indications, CHRIS THOMALE, Der gespaltene Emittent – Ad-hoc-Publizität, Schadenersatz und Wissenszurechnung, Mohr Siebeck, Tübingen, 2018, p. 11; PETRA BUCK-HEEB, “Wissenszurechnung, Informationsorganisation”, cit., p. 807. 16 For an overview of how the duty of care is understood under Portuguese company law, see PEDRO CAETANO NUNES, Dever de Gestão dos Administradores de Sociedades Anónimas, Almedina, Coimbra, 2012, pp. 441 et seq.

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tion internally available in the corporate structure. A limitation is thus reasonably introduced in the general freedom of self-organization of enterprises17, for this freedom is only justifiable to the exact point where it does not arbitrarily externalize risks to third parties. It will be for the directors to assess, according to the characteristics and complexity of that structure, what are the parameters to be set in that regard, bearing in mind, under Portuguese law’s formulation of the business judgment rule, that liability will be excluded if it is proven that the director “acted in an informed manner, free of any personal interest, and following criteria of entrepreneurial rationality” (Article 72, Nr. 2 of the Companies Code). With significance for the matter, scholarship on the general application of this rule points out as indispensable, in order to benefit from the business judgment rule, that procedural rules of decision-making are respected: it will not apply if the director “does not inform himself reasonably before deciding”18. The above described postulate of a neutrality of the legal form19, in an attempt not to privilege the company vis-à-vis the natural person, is coherent with this understanding of the law. The legal solution, however, in order to abide by this neutrality, should not only not privilege the company, but should also not be structurally detrimental to it. In other words, a serious contemplation of the said neutrality (and its underpinnings) demands that whenever the director holds knowledge unshared with the company and foreign to its activity, such knowledge of the director should not be detrimental to the “unknowing” company she is a director of, insofar as the acquisition of that knowledge by the director is fully unbound to the division of tasks (and its benefits) ultimately justifying the neutrality of the legal form20. This appears to be what characterizes the acquisition of knowledge due to the participation in the board of another company, in multiple directorships, as we will now see.

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On this freedom, see MARIO CAMPOBASSO, L’imputazione, cit., pp. 363 et seq. JORGE M. COUTINHO DE ABREU/MARIA ELISABETE RAMOS, “Artigo 72.º — Responsabilidade de membros da administração para com a sociedade”, in JORGE M. COUTINHO DE ABREU (COORD.), Código das Sociedades Comerciais em Comentário, vol. I, 2.ª ed., Almedina, Coimbra, 2017, p. 903, with further indications (see pp. 892 et seq.). 19 Speaking of a Rechtssubjektsneutralität, see CHRIS THOMALE, Der gespaltene Emittent, cit., p. 15. 20 This has been stressed by German scholarship: see MARC-PHILIPPE WELLER, “Wissenszurechnung in internationalen Unternehmensstrafverfahren”, cit., pp. 402–404; CHRIS THOMALE, “Wissenszurechnung im Gesellschaftsrecht – deutsche Unternehmen vor französischen Strafgerichten”, in AG, Heft 18, 2015, pp. 649, 650. 18

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IV. Particularities of multiple directorships in the imputation of knowledge 1. Elements of a duty of secrecy The same person may be director of multiple companies, a cumulation not forbidden by law. To be sure, directors should reserve, for a sound exercise of the role, the availability necessary for a full discharge of their duties in a careful manner. But practice shows that simultaneous exercise of interlocked directorships, namely by conjugating the executive with nonexecutive positions, is compatible with good governance. And so the question arises: if a person is bond to secrecy or confidentiality in respect to knowledge obtained in the lawful exercise of a directorship, if accordingly she is obliged not to share such knowledge with other entities, could the knowledge thus obtained be attributed to the “unknowing” company? The answer is negative and relies on the limitations one may identify in the legal construction above described. German courts and scholars have developed the idea that the attribution of knowledge under such construction is namely to be excluded in three constellations: when there is a duty of secrecy in respect to the acquired knowledge; when it is acquired by a person organically incompetent to make use of it; and when it amounts to private knowledge, in the sense that it was acquired out of the exercise of that director’s mandate21. The first constellation is significant for our case. Directors should not use or share, outside of the scope of their managerial activity vis-à-vis the respective company, confidential information or business secrets made accessible to her in the course of such activity22. Furthermore, the full discharge of a director’s duties entails a certain degree of reserve about the internal decision-making process23. This duty of secrecy, as a mandatory feature of the relationship between the company and its organs, hence unsusceptible of a limitation introduced 21 For an excellent summary, MARC-PHILIPPE WELLER, “Wissenszurechnung in internationalen Unternehmensstrafverfahren”, cit., pp. 405 et seq. 22 JORGE M. COUTINHO DE ABREU, Responsabilidade civil dos administradores de sociedades, 2.ª ed., IDET, Cadernos, n.º 5, Almedina, Coimbra, 2010, p. 34. In German law, § 93, 1, 3rd sentence, AktG is commonly cited for this purpose: see BGH, Keine Haftung einer Direktbank für durch Aufsichtsratstätigkeit erlangte Kenntnisse, XI ZR 108/15, NJW 2016 2569–2572 (2016.04.26). 23 In German case law, see BGH, Zum Verschwiegenheitsgebot für Aufsichtsratsmitglieder, II ZR 156/73 (Düsseldorf), NJW 1975 1412–1414 (1975.06.05), p. 1413; concurring scholarship includes KLAUS J. HOPT/MARKUS ROTH, “§ 93”, cit., nr. 280, with further indications.

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in bylaws24, is frequently presented as a consequence of the loyalty owed by the director towards the company25. Others see the duty of care as the proper foundation of this secrecy26, while others still find it in a conjugation of both care and loyalty27. In any case, this duty of secrecy should be recognised as a fundamental element of the position of a director in its relationship with the company. And so, there remains no doubt that the entailed prohibition of communication to third parties of knowledge acquired in the realm of one directorship makes such knowledge not attributable to another company where the same director exercises his mandate28.

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HOLGER FLEISCHER, “§ 93 AktG”, cit., nr. 162. KLAUS J. HOPT/MARKUS ROTH, “§ 93”, cit., nr. 279 (with extensive further indications); HOLGER FLEISCHER, “§ 93 AktG”, cit., nr. 160; PETRA BUCK-HEEB, “Wissenszurechnung, Informationsorganisation”, cit., p. 811; GERALD SPINDLER, “Wissenszurechnung in der GmbH, der AG und im Konzern”, in ZHR, vol. 181, 2017, p. 329; PETER O. MÜLBERT/ALEXANDER SAJNOVITS, “Verschwiegenheitspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern als Schranken der Wissenszurechnung”, in NJW, 2016, p. 2541; CHRIS THOMALE, “Wissenszurechnung im Gesellschaftsrecht”, cit., p. 649. 26 In Italy, see MARIO CAMPOBASSO, L’imputazione, cit., pp. 397–398 (“dovere di vigilare sull’andamento generale della gestione”). 27 German courts have had this approach in the past: BGH, Zum Verschwiegenheitsgebot für Aufsichtsratsmitglieder, 1975.06.05, cit., p. 1412 (“Vielmehr hat der Gesetzgeber über Inhalt und Umfang der Schweigepflicht als Ausfluss der jedem Organmitglied obliegenden Treue- und Sorgfaltspflicht allgemeinverbindlich entschieden, so daß abweichende Einzelregelungen ausgeschlossen sind”, emphasis added). 28 In German case law, see mainly BGH, Keine Haftung einer Direktbank für durch Aufsichtsratstätigkeit erlangte Kenntnisse, 2016.04.26, cit. (in concurring annotation, among others, THORSTEN PATRIC, “BGH: Zurechenbarkeit des als Mitglied des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft erlangten Wissens des Prokuristen einer Bank”, in LMK, 2016, p. 380532); in the vast literature, see inter alia UWE HÜFFER (BEGR.)/JENS KOCH, Aktiengesetz, 13. Aufl., C.H. Beck, München, 2018, nr. 28; PETRA BUCK-HEEB, “Wissenszurechnung, Informationsorganisation”, cit., p. 810; JENS KOCH, “Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat”, in ZIP, Heft 37, 2015, p. 1763; GERALD SPINDLER, “Wissenszurechnung in der GmbH, der AG und im Konzern”, cit., p. 329; CHRIS THOMALE, “Wissenszurechnung im Gesellschaftsrecht”, cit., pp. 649, 650; CHRIS THOMALE, Der gespaltene Emittent, cit., p. 14; PETER O. MÜLBERT/ALEXANDER SAJNOVITS, “Verschwiegenheitspflichten”, cit., p. 2541; not entirely coincident, albeit centred around the specific problem of groups of companies’ constellations, HANS-PETER SCHWINTOWSKI, “Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen”, in ZIP, Heft 13, 2015, p. 623 (also on the subject of groups of companies: JAN SCHÜRNBRAND, “Wissenszurechnung im Konzern – unter besonderer Berücksichtigung von Doppelmandaten”, in ZHR, vol. 181, 2017, pp. 357 et seq.); LISA ENGELHARDT, Wissensverschulden, cit., pp. 149 et seq. In Portugal, see JOSÉ FERREIRA GOMES/DIOGO COSTA GONÇALVES, A Imputação de Conhecimento, cit., pp. 94 et seq., referring to a blocking of the attribution on the grounds of non-communication in compliance with a duty of confidentiality (pp. 155–156). 25

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2. Assessment of the (apparent) conflict of duties As we know, multiple directorships of the same natural person are not forbidden by law: to the contrary, they are common governance practice in various latitudes. The law must therefore be understood in a way that guarantees compatibility between the untroubled acceptancy of multiple directorships and the apparently opposing duties impeding on the same person. The fact of a director having access to knowledge, in one company, which he could more or less directly utilise in the framework of his management of another company, is the reason why there may appear, at first sight, to be a conflict of duties: the duty of secrecy towards the first company would be in conflict with the duty to disclose information to the second. Article 335 of the Portuguese Civil Code governs the “collision of rights”, in terms also used, mutatis mutandis, for the collision of duties. It determines the prevalence of the right (or duty) considered superior, presupposing such an arrangement is susceptible of being performed29. Given that one should take into consideration the conflicting duties in abstract form, and absent other particular elements, it seems judicious to place the duty of secrecy at the higher rank30, with the natural exception of information subject to mandatory public disclosure, according to national or European Union law31. But for this exceptional case, prevailing weight must be given to the legitimate expectations32 of the company, and its stakeholders, in the preservation of secrecy in respect to knowledge acquired in the exercise of the director’s mandate as such. In short: absent other considerations, the legal permission of multiple directorships demands a segmentation of the attribution of knowledge33. But it appears that a closer look, from the point of view of the multiple director, might lead us to identify a situation of full, non-conflicting discharge of both duties. As we know, the duty to appropriately organize the company’s internal information, founded on the idea of parity of treatment between natural and legal persons, is limited to instances where this information may be consid29 See OLINDO GERALDES, “Conflito de deveres”, in O Direito, 141.º, II, 2009, pp. 411 et seq.; ANTÓNIO MENEZES CORDEIRO, “Da colisão de direitos”, in O Direito, 137.º, I, 2000, pp. 23 et seq. 30 Also “in principle” the position of JOSÉ FERREIRA GOMES/DIOGO COSTA GONÇALVES, A Imputação de Conhecimento, cit., pp. 155–156. 31 See also PETER O. MÜLBERT/ALEXANDER SAJNOVITS, “Verschwiegenheitspflichten”, cit., pp. 2541–2542. 32 See DIRK A. VERSE, “Doppelmandate und Wissenszurechnung im Konzern”, in AG, Heft 12, 2015, p. 418. 33 Using similar expression, GERALD SPINDLER, “Wissenszurechnung in der GmbH, der AG und im Konzern”, cit., p. 330.

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ered available within the company, either on the basis of the duty to refer the relevant information to other members of the organization (Informationsweiterleitungspflicht), or the duty to seek the internally available essential information (Informationsabfragepflicht). If, however, certain knowledge is ab initio excluded from the duty to appropriately organize information, for it is not subject to referral or disclosure to other members or the company – to the contrary, it is subject to secrecy in the realm of the company where such knowledge was acquired, as a derivation of the duties of care and/or loyalty towards that company –, then no actual conflict of duties appears: the director of company A shall not share certain knowledge within company B, in which board she also serves, due to secrecy vis-à-vis company A; such information is thus ab initio excluded from appropriate organization, and therefore attribution, to company B. This is the reason why a purported impossibility of simultaneous and full compliance with two different duties, condition for the existence of a normative conflict of duties34, seems to be absent: by keeping secrecy of the knowledge obtained near company A, the multiple director will not be subject to appropriate organization of information, for the latter must solely cover information that should be internally shared without violation of other duties.

V. Conclusion In this paper, we addressed the issue of “Wissenszurechnung”, that is, the attribution of knowledge of a director to the company of which board she is a member, in the framework of Portuguese company law. In particular, attention has been given to the situation of multiple or interlocked directorships, where the question arises as to the imputation of knowledge of a director, not to the company in the realm of which the knowledge was acquired, but rather to a different company. In terms similar to other legal systems, including the German, there is no explicit legal answer to the question of whether, when, and to what extent the knowledge of a director should be imputed to the company. Attempts have been made to derive a solution from civil law agency rules such as Article 259 of the Portuguese Civil Code; but the radical difference between the voluntary and the organic relationships, the latter amounting to a case of true identification with the company, given that only through this means the company is able to act, condemns such endeavour. Article 408, Nr. 3, of the Portuguese Companies Code, could also theoretically be invoked, given that 34 See, inter alia, ELSA VAZ DE SEQUEIRA, “Artigo 335.º – Colisão de direitos”, in LUÍS CARVALHO FERNANDES/JOSÉ BRANDÃO PROENÇA (COORDS.), Comentário ao Código Civil – Parte Geral, Universidade Católica Editora, Lisboa, 2014, p. 792.

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it declares notifications or declarations towards the company effective if addressed to any of the directors. The norm is however directed to the specific problem of passive representation of the company, in its relationship with third parties, thus protecting the interests of the person who communicated with the company; in no way it is derivable from there a regulation of how knowledge of one of the directors, not communicated to the company, is to be attributed to it. The approach today prevailing in Germany, constructed by scholarship and the courts, identifies a duty, impending on directors, of appropriately organizing the company’s internal information, which in turn unfolds as both a duty to refer the relevant information to other members of the organization (Informationsweiterleitungspflicht), and a duty to seek (or inquire on the possible existence of) the internally available essential information (Informationsabfragepflicht). At the heart of this construction is the idea of parity of treatment (Gleichstellung) between natural and legal persons exercising economic activities: counterparties of the latter should not be adversely affected by a segmentation of its internal information. General duties of directors, particularly the duty of care, offer the foundations upon which the obligation to appropriately organize the information internally available in the corporate structure is built. Against this background, the question concerning interlocked directorships arises: if a person holds multiple mandates, in no disregard of the law, being therefore bond to secrecy or confidentiality in respect to knowledge obtained in the lawful exercise of one of the directorships, and if accordingly she is obliged not to share such knowledge with other entities, could the knowledge thus obtained be attributed to the “unknowing” company? The answer is negative, and to be found in the undisputed assertion of a duty of secrecy in respect to the acquired knowledge, in the sense that she is obliged not to use or share, outside of the scope of the managerial activity vis-à-vis the respective company, confidential information or business secrets made accessible to her in the course of such activity. Consequently, the entailed prohibition of communication to third parties of knowledge acquired in the realm of one directorship makes such knowledge not attributable to another company where the same director exercises her mandate. At first glimpse, one might identify a possible conflict of duties: the duty of secrecy towards the first company would be in conflict with the duty to disclose information to the second. In that case, the duty of secrecy should be placed at the higher rank, honouring legitimate expectations of the company and its stakeholders in the preservation of secrecy in respect to knowledge acquired in its realm, with the exception of information subject to mandatory public disclosure according to national or European Union law. After closer look, however, no actual conflict of duties seems to appear: the director of a company shall not share certain knowledge with another

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company, in which board she also serves, due to secrecy vis-à-vis the former; such information is thus ab initio excluded from appropriate organization, and therefore attribution, to the latter.

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Vertragsstrafe Walter Doralt

Vertragsstrafe WALTER DORALT

Klaus Hopt hat neben dem Bankrecht besonders das Gesellschaftsrecht geprägt. Immer wieder hat er die Impulse gesetzt, die zu einer graduellen Öffnung der Rechtswissenschaft in diesen Gebieten, hin zu einer Internationalisierung, geführt haben. Ohne solche Impulse wäre der Diskurs ärmer und auch die Stimme Deutschlands in der Welt der Rechtswissenschaft, außerhalb des eigenen Rechtskreises, sehr viel leiser. Eine glückliche Fügung ist gerade in dieser Hinsicht seine große Reiselust, die eine weltweite Wirkung oft gefördert hat. Neben aller Offenheit und Neugier für internationale Entwicklungen legt Hopt aber seit jeher ebenso großen Wert auf eine Verbindung zur Rechtswirklichkeit und Praxis in Deutschland. Das ist besonders im Handelsrecht deutlich erkennbar. Dem Anliegen, seinen Bezug zur nationalen Praxis zu erhalten, entsprechen seine frühere Stellung als Richter im Nebenamt und weiterhin als Schiedsrichter, ebenso wie die wissenschaftlichen Leistungen in Kommentaren. Diese sind als Literaturgattung direkt an den Bedürfnissen der Praxis orientiert. Das hier gewählte Thema führt im Ausgangspunkt zu einem dieser Werke, dem „Baumbach/Hopt“, mittlerweile in 39. Auflage und den dort genannten Funktionen der Vertragsstrafe. Der daran anschließende Blick in die benachbarte Disziplin der Ökonomik, für den Hopt stets offen ist, führt zu einem interessanten Kontrast. Ergänzt wird das um ein Fallbeispiel aus der jüngeren Wirtschaftspraxis, das eine Grundlage für Rückschlüsse auf die sinnvolle Gestaltung des Regelungsrahmens zur Vertragsstrafe bietet. Im Anschluss werden ausgewählte Fragen zur Vertragsstrafe im deutschen Recht erörtert und das geltende Recht in seinen Zusammenhängen kurz gewürdigt. Gewidmet ist dieser Beitrag Klaus Hopt in herzlicher Verbundenheit und Dankbarkeit für viele wertvolle Gespräche und Ratschläge, ebenso wie seiner Frau Sung Hopt-Nguyen, deren Herzlichkeit die Treffen mit den Hopts stets zu ganz besonderen Momenten werden lässt.

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I. Funktionen der Vertragsstrafe im juristischen und ökonomischen Diskurs 1. Baumbach/Hopt, § 348, 39. Auflage, Rn. 1 „Die Vertragsstrafe soll in erster Linie von Verletzung vertraglicher Pflichten abschrecken (Druckmittel) und in zweiter Linie im Fall der Verletzung dem Gläubiger die Schadloshaltung ohne Einzelnachweis eröffnen (Kompensationsfunktion), …. Strafversprechen ohne Schadenspauschalierungsfunktion ist keine Vertragsstrafe, sondern Garantie, …“.1 Damit fasst Hopt prägnant in wenigen Sätzen die wesentlichen Punkte zur Vertragsstrafe zusammen, so wie Juristen sie in Deutschland einordnen.2 Der Regelungsbestand zur Vertragsstrafe in Deutschland weist in manchen Punkten, verglichen mit anderen Rechtsordnungen, Besonderheiten auf, die hier aber nicht vertieft werden.3 Für die kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen sind jedoch zumindest manche Gemeinsamkeiten bei den Regelungen über die Vertragsstrafe verbreitet. Insbesondere gilt das vielfach für das Unbehagen des Rechts und der Rechtswissenschaft gegenüber hohen Strafversprechen. Daran anknüpfend stellen sich in vielen Rechtsordnungen Fragen der Wirksamkeit solcher Verspre1 Klaus Hopt in: Baumbach/Hopt, 39. Auflage 2020, § 348, Rn. 1. Der eindrucksvolle Erfolg dieses Kommentars als erste Quelle (mit der häufig alle zentralen Fragen für den Leser autoritativ beantwortet sind und die weitere Suche sich häufig erübrigt) beruht auf jahrzehntelanger Mühe Hopts und seiner Sorgfalt, die ihn bei jeder Neubearbeitung üblicherweise für eine gewisse Dauer in Klausur zu Hause in Hamburg hält. Wer das Privileg hatte, in seinem Umfeld zu arbeiten, weiß, dass in diesen Wochen vor der Abgabe einer Neuauflage des Baumbach/Hopts Störungen nur soweit unbedingt erforderlich erfolgen sollten, weil mit höchster Konzentration (und ziemlich unerhörter Geschwindigkeit) gearbeitet wird. 2 Ganz ähnlich beispielsweise bereits Reinhard Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, 1979, 92 ff.; Astrid Stadler, in: Jauernig (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage, 2018, § 339 Rn. 2; Peter Gottwald, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, 2019, Vor 339, Rn. 6 (Schadensfunktion und Präventionsfunktion); Christian Janoschek, in: Beck-online Kommentar (BeckOK) BGB, (Bamberger/ Roth/Hau/Poseck, Hg.), 52. Edition, Stand 1.11.2019, § 339, Rn. 1; Reiner Schulze, in: Reiner Schulze (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Auflage, 2019, § 339, Rn. 1; s. auch Walter Doralt, Langzeitverträge, 2018, 446 ff. 3 Rechtsvergleichend Walter Doralt, Penalty Clauses Penalty Clauses in Commercial Contracts, in: Liber Amicorum Helmut Koziol, 2020, 17 ff.; Reinhard Zimmermann, in: Nils Jansen/Reinhard Zimmermann (Hg.), Commentaries on European Contract Laws, 2018, Art. 9:509, Rn. 2 et seq. (S. 1541 f.); Marcus Baum, Vertragsstrafe, in: Jürgen Basedow/Klaus Hopt/Reinhard Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band II, 2009, 1701–1705; Francesco Patti, The New English Law on Penalty Clauses, European Review of Private Law, 2017, 227–240; ders., Penalty Clauses in Italian Law, European Review of Private Law, 2015, 317–318; ders., La Determinazione convenzionale del danno, 2015.

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chen.4 Das ist nicht verwunderlich wenn man noch einmal die zwei Funktionen der Vertragsstrafe zu Grunde legt. Ginge es nur um das Druckmittel, wäre zwar eine besonders hohe Strafe kein Problem, ja geradezu vorteilhaft; soweit aber die Kompensationsfunktion alles überragt, ähnlich wie es manchmal in den grundsätzlichen Debatten zur Ausrichtung des Deliktsrechts und seinen Funktionen in Deutschland scheint, dann muss eine besonders hohe Strafe auf Misstrauen stoßen. 2. Signalfunktion Gänzlich anders als in der Rechtswissenschaft verläuft die Diskussion zur Funktion der Vertragsstrafe üblicherweise in der ökonomischen Literatur. Dort ist von vorrangigem Interesse, welche Ziele eine oder beide Parteien vor dem Vertragsschluss und eventuell während der Vertragsdauer (bis zur Verwirkung) mit dem Strafversprechen verfolgen. Es geht also schon im Ausgangspunkt der Analyse um einen unterschiedlichen Zeitpunkt: Während die Rechtswissenschaft sich den Folgen ab der Verwirkung der Vertragsstrafe widmet (insbesondere also den Fragen Wirksamkeit des Versprechens und der Herabsetzung der Strafhöhe), setzt die ökonomische Literatur an einem früheren Zeitpunkt an. Der wichtigste Aspekt betrifft dabei das Stadium der Vertragsverhandlung: Mögliche Zweifel über die Zuverlässigkeit des Vertragspartners können durch eine hohe Vertragsstrafe reduziert oder ganz zerstreut werden. Insoweit geht es um ein Signal, das besonders im Verhandlungsstadium relevant wird.5 Diese Funktion der Vertragsstrafe ist daher vor allem bei unterschiedlicher Informationsverteilung zwischen den Vertragsparteien relevant. Die ökonomische Literatur verwendet in dem Zusammenhang den Begriff der Signalfunktion.6 Pointiert könnte man über den Vergleich der rechtlichen und ökonomischen Diskurse formulieren, dass Juristen sich mit der Vertragsstrafe nach dem Vertragsbruch befassen und dann prüfen, ob das Versprechen wirksam ist. Ökonomen sind hingegen vorrangig an den Fragen und Wirkungen der Gestaltung im Vorfeld interessiert und untersuchen dabei, wie sich die Vertragsstrafe in diesem Zeitpunkt auswirken kann. Insoweit geht es darum, ob überhaupt und wenn ja, wie ein Vertrag mit Hilfe eines Strafversprechens zustande kommt.7 4 Dazu Zimmermann, in: Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, Art. 9:509, Rn. 1 (S. 1540 ff.). 5 Näher dazu Doralt, in: Liber Amicorum Helmut Koziol, 17–19; Doralt, Langzeitverträge, 478 ff. mwN. 6 Richard Posner, Economic Analysis of Law, 9. Auflage, 2014, 140 ff.; Emily Nordin, The Penalty Clause Bias, Maastricht Journal of European and Comparative Law 2014, 162–187; 174; Doralt, Langzeitverträge, 479. 7 Selbstverständlich denkbar sind noch Konstellationen, in denen der Vertrag zwar mit und ohne Strafe zustande käme, bestehende Unsicherheit aber in Form von Risikoabschlä-

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Abgesehen vom Stadium des Vertragsschlusses kann die Vertragsstrafe natürlich auch für die spätere Vertragsdauer nachhaltig zur Verbesserung der Vertrauensgrundlage beitragen. Dem Vertragspartner wird mit dem Strafversprechen die Kooperationsbereitschaft signalisiert. Besonders wichtig ist das, wenn die Parteien zu unterschiedlichen Zeiten in die versprochenen Erfüllungshandlungen investieren müssen. Erst recht gilt das, wenn von außen für den jeweils anderen nicht unbedingt erkennbar ist, ob der Vertragspartner alle erforderlichen Anstrengungen unternimmt und sich besonders bemüht oder nicht.8 Diesem Analysebereich entspricht weitgehend jener, den die Rechtswissenschaft mit der Druckfunktion der Vertragsstrafe zur vertragskonformen Erfüllung erfasst. Unterschiedlich zwischen den Disziplinen und teils sehr ausdifferenziert in der Ökonomik sind die Ansätze zur Interessenlage der Parteien während einer längeren Vertragsdauer, die schon allein durch den Vertragsschluss selbst ganz erheblich verändert wird.9 Insgesamt wird die Vertragsstrafe in der ökonomischen Literatur besonders bei komplexen Verträgen thematisiert und dann, wenn für die Vertragsverhandlung keine erheblichen Reputationsmechanismen eingebracht werden können (etwa weil eine Seite erst neu in den Markt eingetreten ist10). Die Vertrauensbildung durch das Versprechen einer Vertragsstrafe ist dabei das zentrale Thema. Daher gilt im Grundsatz selbstverständlich: Je höher das Strafversprechen, umso wirksamer ist es. Zu bedenken ist an dieser Stelle, dass gerade die Seite, die eine sehr hohe Strafe für den Fall des Vertragsbruches verspricht, daran möglicherweise selbst das größte Interesse hat. Sie kommt ohne ein solches Versprechen möglicherweise nicht zum Vertragsschluss und sie kann auch selbst am besten abschätzen, wie wahrscheinlich die vertragskonforme Erfüllung denn ist (woraus folgt, ob eine hohe Strafe vernünftigerweise versprochen werden kann oder nicht). Außerdem kann diese Partei wiederum selbst während einer längeren Dauer zur Vorbereitung der Erfüllung am ehesten alle nötigen gen einfließt oder in denen andere Gestaltungsinstrumente die Unsicherheit reduzieren, z.B. Garantien. 8 So etwa dann, wenn Mitarbeiter für die Erfüllung und ihre Vorbereitung eingestellt werden müssen und geschult werden sollten, damit in einem späteren Zeitpunkt möglichst reibungslos geleistet werden kann; im Vorfeld ist für einen Partner kaum messbar, wie intensiv die Bemühungen und Vorbereitungen anlaufen. Ähnlich kann es sich verhalten, wenn für die Erfüllung in Anlagen investiert werden muss und die Komplexität eine sofortige Erkennbarkeit für den Vertragspartner erschwert. 9 Doralt, Langzeitverträge, 142 ff., 162 ff. 10 Zur Reduktion der Markteintrittsbarrieren durch Vertragsstrafen s. Aristides Hatzis, Having the cake and eating it too: efficient penalty clauses in common and civil contract law, International Review of Law and Economics 22 (2003), 381–406, 398 (der dafür auf Antony Dnes, The Economics of Law, 1996, 99 verweist). Zur Kontroverse in der ökonomischen Literatur über die Frage, ob Vertragsstrafen in anderer Hinsicht nicht nur dynamisierend für den Markt, sondern auch stabilisierend wirken können, s. Doralt, Langzeitverträge, 479, Fn. 1008.

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Schritte zur möglichst zuverlässigen Erfüllung setzen. Der Gläubiger ist schon aus Gründen der Informationsverteilung typischerweise dafür in einer weniger geeigneten Position. Rechtlich zwingende Schranken, die eine besonders hohe Vertragsstrafe verhindern, um den Schuldner vor der Last einer hohen Strafe zu schützen, geben ihm damit möglicherweise Steine statt Brot – zumindest im Stadium des Vertragsschlusses. Zwar kommt der Schuldner dann nicht in die Gefahrenlage einer drückenden Strafe, allerdings um den hohen Preis, manche Verträge möglicherweise gar nicht erst abschließen zu können. Denn ohne die Signalwirkung einer hohen Strafe, die aber bei zwingenden Normen zur Herabsetzung oder Unwirksamkeit der Strafe auszubleiben droht, können Zweifel des potentiellen Vertragspartners nicht immer leicht zerstreut werden.11 Zumindest wird das gelten, wenn es in einer Rechtsordnung solche zwingenden Regelungen gibt und die Parteien im Zuge der Vertragsverhandlungen rechtlich beraten sind: Anzunehmen ist dann, dass die Rechtsberater einen Hinweis auf die fragliche Wirksamkeit eines hohen Strafversprechens geben. Deswegen ist bei der Gestaltung von Regeln zur Vertragsstrafe der Schuldnerschutz sorgfältig abzuwägen, da gerade zuverlässige Schuldner an einem möglichst großen Gestaltungsspielraum Interesse haben können. 3. Fallbeispiel aus der internationalen Wirtschaftspraxis Im Sinne Hopts soll hier ergänzend ein Bezug zur Vertragspraxis hergestellt werden. Die vorangehenden, abstrakten Hinweise zur Signalfunktion, der Überwindung von Informationsasymmetrien und der Vertrauensbildung durch eine Vertragsstrafe im Stadium vor Vertragsschluss, sind mit dem Fallbeispiel möglicherweise besser nachvollziehbar, jedenfalls einprägsamer. Vielleicht ist auch ihre Überzeugungskraft für traditionell orientierte Juristen durch die folgende Ergänzung größer. Tesla, heute bekannt als Automobilhersteller und Pionier im Bereich Elektrofahrzeuge, hatte früher eine (mittlerweile integrierte) Schwestergesellschaft. Diese war in der Batterietechnik tätig, ein wesentlicher Bestandteil nicht nur für Elektrofahrzeuge. In Südaustralien kam es wegen Engpässen in der Energieversorgung bis 2017 regional immer wieder zu größeren Stromausfällen, die zu Schäden und erheblichem Unmut in der Bevölkerung 11 Das entspricht der in diesem Punkte sehr misslichen, aktuellen Rechtslage in Österreich. Eine frühere Regelung (ähnlich § 348 dHGB) verhinderte für Kaufleute eine Herabsetzung der Vertragsstrafe. Diese Regelung wurde allerdings abgeschafft, so dass auch für B2B-Verträge zwingend die bürgerlich-rechtlichen Regeln anwendbar sind. In § 1336 ABGB ist die Möglichkeit der Minderung der Strafe unabdingbar vorgesehen, wenn das Strafversprechen „übermäßig“ ist. Dazu Doralt, Liber Amicorum Helmut Koziol, 20– 23.

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führten. Erwogen wurde zur zuverlässigeren Energieversorgung eine bestehende und an sich für die Energieproduktion ausreichende Windkraftfarm mit einer enormen Batterie zu verknüpfen.12 Damit erhoffte man sich, die Verbrauchsspitzen bei Strom abdecken zu können. Alternativ wurde der Bau eines zusätzlichen Kohlewerks erwogen, dessen Produktion bei Bedarfsspitzen hochgefahren werden kann. Zu dem Zeitpunkt hatte es noch nirgendwo auf der Welt eine so große Batterie gegeben und noch niemals war die Verbindung in dieser Dimension mit Windkraft erfolgt. Die Technik war also neu und unerprobt, außerdem hatte der CEO von Tesla, Elon Musk, nicht unbedingt den Ruf, mit seinen Unternehmen stets alle Ziele pünktlich zu erreichen. Die erheblichen Zweifel führten den zuständigen Minister, Matt Canavan, dazu, seine klare Präferenz für eine andere Lösung zu äußern.13 Das Angebot des CEOs von Tesla (per Twitter), auf die Fragen „how serious are you… can you guarantee the 100MW in 100 days?“ lautete: „Tesla will get the system installed and working 100 days from contract signature or it is free. That serious enough for you?“.14 In der Folge wurde der Vertrag geschlossen und pünktlich geliefert.15 Aus den Unterlagen des Betreibers Neoen, der mittlerweile einen Börsegang in Frankreich hinter sich gebracht hat, lässt sich über das Kraftwerk und die Batterielösung zuverlässig Näheres in Erfahrung bringen. Demnach funktioniert die Anlage technisch einwandfrei und sie ist, nebenbei bemerkt, außerordentlich profitabel.16 Derzeit wird die Erweiterung vorbereitet.17 Als Beispiel geeignet ist dieser internationale Vertrag deswegen, weil in diesem Fall nachvollziehbar wird, wie wichtig das Signal einer strikten und sehr hohen Vertragsstrafe war: Die öffentliche Meinung war skeptisch, ebenso die zuständigen Politiker. Ohne ein solches Versprechen wäre der Abschluss wohl nicht erfolgt. Interessant ist juristisch noch, dass die Strafe nicht nach der Dauer eines möglichen Verzugs abgestuft war. Auch eine 12 Näheres unter zum Hornsdale-Kraftwerk unter: https://www.gihub.org/resources/ showcase-projects/hornsdale-power-reserve-project-australia/. 13 Vgl. dazu den Bericht von abc (abrufbar unter https://www.abc.net.au/news/201810-02/tesla-battery-proves-a-leading-source-of-dispatchable-power/10326420) mit dem bekannt gewordenen Zitat des Ministers: „The big battery is ‚the Kim Kardashian of the energy world: it’s famous for being famous [but] doesn’t do very much“. 14 S. dazu den Bericht im Handelsblatt, Tesla in Australien: Elon Musk will Superbatterie in 100 Tagen bauen, 7.7.2017. 15 Handelsblatt, Tesla-Chef Elon Musk hält Superbatterie-Versprechen ein, 1.12.2017. 16 Vgl. dazu The Guardian, South Australia’s Tesla battery on track to make back a third of cost in a year, 27.9.2018 (abrufbar unter: https://www.theguardian.com/technolog y/2018/sep/27/south-australias-tesla-battery-on-track-to-make-back-a-third-of-cost-in-ayear). 17 S. Financial Times (Jamie Smyth), Tesla set to make world’s biggest battery even bigger, 19.11.2019.

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Woche Verzug oder nur ein Tag hätten der Vereinbarung nach einen vollständigen Entfall des Entgelts zur Folge gehabt.18

II. Gesetzlicher Regelungsrahmen der Vertragsstrafe in Deutschland 1. Bedeutungswandel des gesetzlichen Regelungskonzepts Als Kern der für die Vertragsstrafe einschlägigen Normen hatte der Gesetzgeber die §§ 339 ff. BGB vorgesehen. Dort finden sich die allgemeinen Regelungen zur Vertragsstrafe, denen allerdings mittlerweile die praktische Bedeutung in weiten Teilen abhanden gekommen ist:19 Einerseits sind die Sonderregelungen das Verbraucherrechts zu bedenken (insbesondere § 309 Nr. 5 und 6 BGB), die hier nicht näher betrachtet werden; andererseits hat der Gesetzgeber in § 348 HGB eine Sonderregelung für Kaufleute vorgesehen, wenn diese im Rahmen des eigenen Handelsgewerbes ein Strafversprechen machen. Die Sonderregelung betrifft also professionelle Marktteilnehmer und für sie will der Gesetzgeber des HGB die Herabsetzung ausschließen, die nach den bürgerlich-rechtlichen Regeln bei Unverhältnismäßigkeit des Strafversprechens (BGB, § 343 I BGB) in Frage käme. Die Annahme des Gesetzgebers ist offensichtlich, dass ein Schutz wie im bürgerlichen Recht beim Schuldner eines Strafversprechens im handelsrechtlichen Kontext nicht geboten ist.20 In der Folge bleibt für den Kernbestand der Regelungen nur noch ein Anwendungsbereich dort, wo nicht das Verbraucherrecht eingreift und auch kein Fall des § 348 HGB vorliegt. Darüber hinaus schränkt die AGBKontrolle die Relevanz der bürgerlich-rechtlichen Regelungen ebenso wie die von § 348 HGB empfindlich ein (siehe dazu 3.). 2. Woran misst man die Unverhältnismäßigkeit (§ 343 I BGB) und wann? Die Unverhältnismäßigkeit ist in § 343 I BGB das entscheidende Kriterium. Bedenkt man die in der Rechtswissenschaft etablierten Funktionen der Vertragsstrafe (Druckmittel und Kompensation), ist nicht verwunderlich, 18 Da in diesem Beitrag keine rechtsvergleichende Perspektive gewählt wurde, werden hier weder die reizvolle Frage des anwendbaren Rechts vertieft, noch die unterschiedlichen materiellen Regelungsansätze zur Vertragsstrafe. 19 Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 348, Rn. 6; Doralt, Langzeitverträge, 483 f. 20 Vgl. etwa Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar zum HGB, 4. Auflage, 2018, § 348 Rn. 2.

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dass „Unverhältnismäßigkeit“ vorrangig daran gemessen wird, ob Schadenshöhe und Vertragsstrafe weit auseinander liegen. Doch stellt der Gesetzgeber selbst in § 343 I S. 2 klar, dass jedes berechtigte Interesse des Gläubigers zu berücksichtigen ist, auch immaterielle Interessen.21 Bei den materiellen Interessen ist anerkannt, dass Gewinnspannen und sogar teils noch die Vermögensverhältnisse der Vertragsparteien zu berücksichtigen sind. Über eine relativ weite Definition dessen, was man als relevanten Schaden erfasst,22 kann also eine allzu einschränkende Wirkung von § 343 I BGB vermieden werden. Dennoch bleibt die Schadenshöhe, trotz weiten Schadensbegriffs, ein wesentlicher Aspekt für die Bestimmung der (Un)Verhältnismäßigkeit. Außerdem werden noch als relevante Kriterien die Erhaltung der Abschreckungswirkung und die Sicherung der Vertragstreue erwähnt – beides gehört zur Druckfunktion. Die Rechtsprechung stellt außerdem auf das Verschulden des Vertragsbrüchigen ab,23 ebenso tut das teilweise im Anschluss daran die Literatur.24 Weil man die Korrektur der Vertragsstrafe nach § 343 I BGB als Billigkeitskorrektur einordnet, überrascht es sehr, dass das Ausmaß des Verschuldens „nur in eine Richtung“ bei der Korrektur relevant ist: Bei schwererem Verschulden ist die vereinbarte Strafe eher zulässig, bei geringem kommt es hingegen leichter zu einer Herabsetzung. Das ist mehrfach unglücklich: Für den Gläubiger ist nicht vorhersehbar, mit welchem Verschuldensgrad ein Vertragsbruch erfolgen wird (und für die Schadenshöhe ergibt sich daraus in vielen Fällen überhaupt kein Unterschied). Die Feststellung von Verschuldensgraden ist allgemein ein Punkt, über den man mit teils erheblichem Aufwand streiten kann. Das ist im Streitfall kostenintensiv und kompliziert. Wenn Parteien das Verschulden besonders berücksichtigen wollen, hindert sie natürlich nichts daran, die Vertragsstrafe entsprechend abzustufen. Ohne eine solche Grundlage im Vertrag ist aber schwer zu rechtfertigen, warum man den Parteien das Kriterium des Verschuldens geradezu aufdrängt.25 Vor allem bleibt prob21 Bernhard Ulrici, in: beck-online.GROSSKOMMENTAR BGB, Stand 1.3.2020, § 343, Rn. 53. 22 Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 348, Rn. 5. 23 BGH 30.9.1993, NJW 1994, 45; BGH 7.10.1982, NJW 1983, 941, 942 f.; kritisch dazu Doralt, Langzeitverträge, 451 f., u.a. deswegen, weil die Berücksichtigung des Verschuldens beim Vertragsbruch ein Fremdkörper in der Konzeption des BGB ist (nicht einmal im Deliktsrecht wird für die Reichweite der Haftung allgemein auf das Ausmaß des Verschuldens abgestellt; umso weniger überzeugend ist das im Vertragsrecht). 24 Vgl. Gottwald, in: Münchener Kommentar, BGB, § 343, Rn. 18; Rieble, in: Staudinger, BGB (2015), § 343, Rn. 120 ff.; Ulrici, in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, BGB, Stand 1.11.2019, § 343, Rn. 60 ff., 62 ff. 25 Das mag man in Österreich anders sehen, weil im ABGB allgemein, auch für den deliktischen Anspruch, das Ausmaß des Verschuldens für die Reichweite der Haftung entscheidend ist (§§ 1323 f.; s. dazu Ernst Karner, in: Helmut Koziol/Peter Bydlinski/

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lematisch, dass das Verschulden stets nur für die Herabsetzung unter die ursprünglich vereinbarte Höhe relevant ist. Eine Korrektur „nach oben“, etwa bei besonders schwerem Verschulden, wird hingegen nicht diskutiert und hat im Normenbestand des BGB auch keine Grundlage. Wenn tatsächlich aber eine Billigkeitskorrektur im Einzelfall das Ziel der Korrektur ist, müsste konsequent die Korrektur in die andere Richtung ebenso möglich sein.26 Die Vorhersehbarkeit wird darüber hinaus auch dadurch gefährdet, dass umstritten ist, auf welchen Zeitpunkt für die Unverhältnismäßigkeit in § 343 I BGB abgestellt werden muss. Im Regelfall sollte es auf den Zeitpunkt der Vereinbarung ankommen, weil zu diesem Zeitpunkt die Parteien definieren, wie sie das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung festlegen. Soweit aber tatsächlich nachträglich noch relevante Entwicklungen eintreten und man aufgrund der Konzeption der Herabsetzung als Billigkeitskorrektur im Einzelfall auch diese berücksichtigen will, ist wohl auf den spätest möglichen Moment abzustellen. Daher sind mE Entwicklungen bis zum Zeitpunkt des Urteils zu berücksichtigen, soweit tatsächlich und ausnahmsweise noch relevante Veränderungen nach dem Vertragsschluss eintreten.27 3. AGB-Kontrolle Während der Gesetzgeber des HGB dem kaufmännischen Geschäftsverkehr offensichtlich einen breiteren Gestaltungsspielraum belassen wollte, macht der Gesetzgeber des BGB dieser Freiheit in anderer Form einen Strich durch die Rechnung. Die bekannte deutsche Besonderheit der AGBKontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr hat besonders bei der Vertragsstrafe erhebliche Auswirkungen. Hier wirkt sich möglicherweise eine allgemeine Tatsache besonders aus, nämlich dass das Ausmaß der AGB-Kontrolle in der Rechtswirklichkeit generell erheblich unterschätzt wird.28 Das ist bei der Vertragsstrafe von erheblicher Bedeutung. Scheitert die versprochene Vertragsstrafe an § 307 I BGB, bleibt eine geltungserhaltende Reduktion aus (§ 306 I und II BGB). Folglich läge für Verträge zwischen Unternehmern der Schluss nahe, dass der BGH eher behutsam und zurückhaltend mit § 307 I BGB umgehen würde. Davon kann in der Realität aber keine Rede sein. Die Rechtsprechung ist bei der Kontrolle von VerRaimund Bollenberger, Hg., ABGB-Kommentar, 5. Auflage, 2017, § 1293, Rn. 3 und aaO. Karl-Heinz Danzl, § 1324 Rn. 1); das BGB unterscheidet sich in dieser Hinsicht erheblich vom ABGB. 26 Im Ansatz findet sich das im neuen französischen Schuldrecht. Vgl. Doralt, Langzeitverträge, 464 f. 27 Joachim Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, 782; Doralt, Langzeitverträge, 451 f. 28 Lars Leuschner, Die Kontrollstrenge des AGB-Rechts, NJW 2016, 1222–1225.

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tragsstrafen auf Grundlage von § 307 I BGB so strikt, dass der Eindruck entsteht, vertragsbrüchige Schuldner müssten aus Sicht des BGH fast unbedingt geschützt werden.29 Der Schutz der Gläubiger bleibt dabei allerdings leider auf der Strecke. Besonders deutlich machen das die Urteile aus der Baubranche, über die im Fall des Vertragsbruchs etwa bei Verzug der BGH seine schützende Hand hält und die Strafen überraschend pauschal oft für unwirksam erklärt.30 Beispielsweise war eine Strafe unwirksam, bei der pro Verzugstag (magere) 0,5% der Auftragssumme vereinbart waren und außerdem noch eine Deckelung bei 10% der Auftragssumme gelten sollte.31 Sogar mit einer Deckelung von 5% wurde einer vergleichbaren Regelung vor dem BGH keine Gnade zu teil.32 Bei Vertragsstrafen von 0,1% pro Verzugstag (und Deckelung mit 10% der Auftragssumme) war dafür von der Wirksamkeit auszugehen.33 Man ist versucht hinzuzufügen: Immerhin gibt es also auch wirksame Strafen. Doch wenn man kurz nachrechnet, bedeutet 0,1% pro Tag, dass erst nach 100 Tagen Verzug ein Abzug von 10% erfolgt und erst nach 1000 Tagen des Verzugs das Entgelt ganz entfiele (also der Punkt erreicht wäre, den die Parteien im Beispiel der Tesla-Batterie für jeglichen Verzug vereinbart hatten). Wobei es dazu ja gar nicht käme, denn aufgrund der Deckelung von 10% war jeder längere Verzug als 100 Tage bei der genannten Vereinbarung, auf Ebene der Vertragsstrafe, ohnehin sanktionslos. In einem anderen Fall wäre zwar auch eine Vertragsstrafe 0,3% (mit 10% Deckelung) noch zulässig gewesen, hätten die Parteien die Strafe nicht für Verzug, gleich aus welchem Grund, vereinbart.34 So scheiterte auch diese Vereinbarung. Gerade dieses Beispiel ist für Gläubiger besonders unerfreulich, weil aus deren Sicht der Grund des Verzugs im Prinzip gleichgültig ist, vor allem aber nicht ohne weiteres die Gründe für den Gläubiger stets erkennbar oder leicht nachweisbar sind. Deswegen macht gerade eine Rege29

Doralt, Langzeitverträge, 455 ff. Dass aus der Baubranche besonders viele Fälle kommen, dürfte auf mehrere Gründe zurückzuführen sein. Erstens sind es keine seltenen Rechtsverhältnisse, zweitens wird für Bauverträge nicht durchgängig die Streitbeilegung durch Schiedsgerichte vereinbart, drittens besteht offensichtlich ein Bewusstsein der betroffenen Marktteilnehmer, dass es sich oft lohnt, eine versprochene Vertragsstrafe vor Gericht mit Verweis auf § 307 I BGB zu bekämpfen. Viertens und vor allem dürfte aber eine Rolle spielen, dass in der Baubranche Verzug besonders verbreitet vorkommt. Das liegt möglicherweise nicht so sehr an einer mangelnden Planbarkeit; eine andere Erklärung kann darin gesehen werden, dass auch bei bestehender voll-Auslastung eines Bauunternehmers möglicherweise zwischendurch weitere, lukrativere, kleinere Aufträge zusätzlich angenommen werden. In der Folge ist einer der betroffenen Bauherren mit Verzögerungen konfrontiert. 31 BGH NJW-RR 2002, 806. 32 BGH NJW 2000, 2106. 33 BGH NJW 1987, 380. 34 BGH BeckRS 2008, 02155. 30

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lung, in der später nicht über den Grund des Verzugs zu streiten ist, besonders Sinn. Das entlastet jeden späteren Streit und diese Entlastung ist bei einer Betrachtung ex-ante im Grundsatz im Interesse beider Parteien. Das gilt außerdem auch wegen der Signalwirkung: Nicht nur der Gläubiger hat Vorteile aus einer solchen Vereinbarung, sondern auch der Schuldner, der damit ein Signal seiner absoluten Zuverlässigkeit senden könnte (aufgrund der Rechtsprechung des BGH in Deutschland aber gerade das in AGB nicht kann). Immerhin anerkannt ist vom BGH, dass die Deckelung der Strafe wegen Verzugs, wie in den vorangehenden Beispielen, nicht unbedingt erforderlich ist, wenn die Verluste des Gläubigers sich mit Fortsetzung des Verzugs auch stetig weiter erhöhen und die Strafe diese Verluste in etwa abbildet.35 Das ist ohne Zweifel ein sachlich sinnvoller Zugang, zumal auch für den Schuldner die zu erwartenden Verluste in solchen Situationen zumindest dem Grunde nach im Voraus gut erkennbar sein werden. Wenn also etwa, wie in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, ein Bauvorhaben vom Gläubiger zur späteren Vermietung verwirklicht wird und die Verzugsdauer unmittelbar mit der Dauer des Mietbeginns und damit des Mietausfalls zusammenhängt, besteht ein solcher Zusammenhang. Insgesamt ist festzuhalten, dass der BGH die Kontrolle nach § 307 I BGB sehr engmaschig fasst und die Folge der Unwirksamkeit relativ schnell bei einer Vereinbarung in AGB droht.36 Überraschend ist die damit zum Ausdruck kommende Empathie des BGH für vertragsbrüchige Schuldner. Nicht immer dürfte dabei die Lage der Gläubiger ausreichend berücksichtigt sein, wenn nur die drückende Last eines Strafversprechens in das Blickfeld genommen wird. Dass Gläubiger durch Schuldnerverzug ebenso in eine missliche Lage gelangen können, jedenfalls gerne zuverlässig planen würden und dafür oft die pünktliche Leistung des Schuldners benötigen, bedarf keiner besonderen Begründung. Bedacht werden sollte auch, dass eine derart strenge Kontrolle durch die Rechtsprechung den Wettbewerbsvorteil zuverlässiger Marktteilnehmer reduziert. Denn gerade im Baubereich sind die „repeat players“ auf Gläubigerseite die Ausnahme – private Bauherren ebenso wie Unternehmen bauen typischerweise nicht laufend. Eine Baustelle ist für sie eher eine seltene Ausnahme. Mit dem Bauvertragsrecht und den üblichen Gestaltungen sind sie daher typischerweise weniger vertraut als ein Bauunternehmer. Auch der unzuverlässige Bauunternehmer weiß über die Grenzen der Vertragsstrafen in AGB eher Bescheid, als seine durchschnittlichen Auftraggeber (möglicherweise gilt das sogar insbesondere für den unzuverlässigen Bau35 36

BGH NZW 2003, 476. Dazu und für weitere Beispiele Doralt, Langzeitverträge, 454 ff.

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unternehmer, der bereits Erfahrungen mit unwirksamen Strafversprechen sammeln konnte). Solche Marktteilnehmer werden typischerweise ohne Gefahr eine vom Bauherrn vorgeschlagene, höhere Strafe akzeptieren – aufgrund von § 307 I BGB bleibt diesen die Wirksamkeit im Ernstfall versagt. Einen rechtlich zuverlässigen Ausweg für beide Seiten bietet diesfalls nur die Individualvereinbarung. Schon allein wegen der damit typischerweise einhergehenden höheren Transaktionskosten wird dies allerdings nicht für alle denkbaren Situationen in Frage kommen.

III. Bewertung Obwohl im Einzelnen zu vielen Fragen der Vertragsstrafe gestritten werden kann, bleibt des Regelungsregime im deutschen Recht in vielen Punkten sinnvoll. Zwar haben die zentralen, allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regelungen (§§ 339 ff. BGB) ihren Anwendungsbereich einerseits zu Gunsten besonderer Normen des Verbraucherrechts eingebüßt, andererseits besteht die Ausnahme von § 348 HGB für Vertragsstrafen von Kaufleuten im Rahmen des Handelsgewerbes. Diese Ausnahme ist sinnvoll und ganz allgemein sollten Einschränkungen der Privatautonomie im unternehmerischen Rechtsverkehr die Ausnahme bilden. Im konkreten Fall kann das Anliegen einer möglichst großen Gestaltungsfreiheit für Unternehmen auch auf Argumente aus der ökonomischen Literatur aufbauen. Die Signalfunktion wird bisher von Juristen möglicherweise zu wenig bedacht. Sie kann für Unternehmer von überragender Bedeutung sein. Außerdem kann ihr eine Wirkung zur Dynamisierung von Märkten zukommen, weil sie in manchen Konstellationen Markteintrittsbarrieren für neue Marktteilnehmer senkt. Hingegen bleibt eine ganz erhebliche Einschränkung durch die AGBKontrolle auch bei B2B-Verträgen aufgrund § 307 I BGB. Im internationalen Kontext sorgt dies häufig für eine Überraschung, weil darin eine Besonderheit des deutschen Rechts liegt. Soweit damit zurückhaltend von der Rechtsprechung Gebrauch gemacht würde, wäre das Problem beschränkt. Bei der Vertragsstrafe ist hingegen der allzu strenge Zugang des BGH für die Vertragspraxis eine Herausforderung. Die Grenzen sind besonders für Verzugsfälle so eng gezogen, dass man entweder von den Gläubigern erwartet, sie müssten sich im Grunde mit einer gewissen Verzögerung eben abfinden oder aber, sie sorgen für eine Individualvereinbarung im Vorfeld. Der dritte Ansatz, der den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, wäre die Rechtswahl einer anderen materiellen Vertragsrechtsordnung. Die sprachlich vielleicht naheliegende Wahl des österreichischen Rechts sollte dabei aber vermieden werden. Denn zur Vertragsstrafe wäre es die Wahl vom Re-

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gen der deutschen AGB-Kontrolle in die Traufe der zwingenden Herabsetzbarkeit übermäßiger Strafversprechen, ergänzt um eine Reihe von Punkten erheblicher Rechtsunsicherheit.37 Eher lohnen könnte hier ein Blick nach England.38

37 Dazu Doralt, Liber Amicorum Helmut Koziol, 20–23; Stephan Größ, in: Andreas Kletečka/Martin Schauer (Hg.), § 1336 ABGB, Edition 1.04, 2018, Rn. 25 38 S. Roger Halson, Liquidated Damages and Penalty Clauses, 2018; Zimmermann, in: Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, Art. 9:509, Rn. 5 (S. 1543 f.).

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Corporate Governance von Banken: Fokus USA Susan Emmenegger

Corporate Governance von Banken: Fokus USA SUSAN EMMENEGGER∗

I. Einführung Seit der Asienkrise von 1999 und den daran anschliessenden Arbeiten des Basler Ausschusses für die Bankenaufsicht hat sich parallel zum allgemeinen Themengebiet der Corporate Governance eine spezifisch auf Finanzinstitute ausgerichtete Corporate Goverance-Diskussion entwickelt, die im Zuge der letzten Finanzkrise von 2007 noch einmal substantiell an Fahrt aufgenommen hat.1 Die Regulierung ist nach wie vor stark getrieben von den internationalen Gremien, namentlich dem bereits erwähnten Basler Ausschuss für die Bankenaufsicht.2 Dessen Regelwerke sind allerdings nicht verbindlich, so dass für ihre Umsetzung und Weiterentwicklung nationale oder supranationale Gesetzgeber (EU) verantwortlich zeichnen. Der vorliegende Beitrag richtet den Fokus auf die USA. Dass es sich nur um eine Skizze handeln kann, ist nicht nur – ja nicht einmal in erster Linie – der Breite des Themengebiets geschuldet. Vielmehr liegt es an der außerordentlichen Komplexität der US-amerikanischen Bankenaufsicht, die sich in der Corporate Governance-Regulierung fortsetzt.



Die Autorin dankt Frau MLaw Martina Reber, Rechtsanwältin, für die tolle Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrages. 1 Siehe dazu nur Busch/Ferrarini/van Solinge (Hrsg.), Governance of Financial Institutions, Oxford 2019; Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020 (im Erscheinen). 2 Zu den Grundsätzen selbst: Basel Committee on Banking Supervision (BCBS), Guidelines, Corporate Governance Principles for Banks, July 2015 (nachfolgend BCBS Principles), abrufbar unter . Siehe dazu etwa Hopt, WM 2019, 1772 ff.; Emmenegger, Grundsätze guter Unternehmensführung von Banken aus Sicht des Basler Ausschusses, in: Hopt/Binder/Böcking (Fn. 1), 405 ff.

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II. US-Bankenaufsicht: Das „Himalaya-System“ 1. Vielzahl von Aufsichtsbehörden Das US-amerikanische System der Bankenaufsicht ist auf der Grundlage der föderalen Struktur der Vereinigten Staaten entstanden.3 Das Bankgeschäft lag in der Hand der State Banks, die vom jeweiligen Gliedstaat konzessioniert wurden.4 Auf Bundesebene sah erst der National Banking Act von 1863 die Lizenzierung von National Banks vor.5 Das Nebeneinander von gliedstaatlicher und bundesstaatlicher Regulierung und Aufsicht prägt noch heute das US-amerikanische Bankaufsichtswesen;6 mit dem sogenannten „dual banking“ wird bewusst der Wettbewerb der Rechtsordnungen gefördert.7 Allerdings sind – regelmässig als Antwort auf spezifische Krisenlagen – im Laufe der Zeit zahlreiche neue Regulierungen verabschiedet und neue Regulierungsbehörden geschaffen worden, ohne dass eine ernstzunehmende Neuordnung bzw. Konsolidierung der bisherigen Aufsichtsstruktur an die Hand genommen wurde.8 Das heutige System der US-Bankenaufsicht kann 3 Siehe dazu und generell zur historischen Entwicklung des Bankwesens und der Bankenaufsicht in den USA: Carnell/Macey/Miller, The Law of Financial Institutions, 6. Aufl. 2017, 3 ff.; Barr/Jackson/Tahyar, Financial Regulation: Law and Policy, 2. Aufl. 2018, 33 ff.; Schooner, St. Louis Law Journal 1996, 263 ff. 4 State Banks sind kommerzielle Banken (keine Zentralbanken), die auf gliedstaatlicher Ebene bewilligt und sowohl gliedstaatlichen Aufsichtsbehörden als auch Bundesaufsichtsbehörden unterstellt sind. 5 National Banks sind kommerzielle Banken (keine Zentralbanken), die auf Bundesebene bewilligt werden. Zuvor gab es einzelne Banken, die vom Kongress konzessioniert wurden, so die Bank of North America (1781), die First Bank of the United States (1791) und – nachdem die Konzession für die First Bank of the United States im Jahr 1811 nicht verlängert worden war – die Second Bank of the United States (1812). Siehe dazu Barr/ Jackson/Tahyar (Fn. 3), 34 ff. 6 Zum Ganzen Hilke, Risiko und Bankenaufsicht, Eine rechtsvergleichende Analyse der präventiven Begrenzung bankbetrieblicher und systemischer Risiken, Frankfurt am Main 2014, 67 f. 7 Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 98 ff. Zu den problematischen Effekten des Wettbewerbs im Hinblick auf die Finanzierung der Aufsicht siehe Blair/Kushmeider, FCIC Banking Review 2006, 7 ff. 8 Der letzte Versuch datiert von 2008, als das Finanzdepartement einen Reformentwurf präsentierte. Es ist ein weiteres Werk, das im Museum der gescheiterten Reformen steht. Siehe Department of the Treasury, Blueprint for a Modernized Regulatory Structure (March 2008). Der Dodd-Frank Act schaffte immerhin das Office of Thrift Supervision ab (Dodd-Frank Sec. 302 i.V.m. Sec. 313). Die Aufsicht über die sogenannten thrift chartered institutions obliegt nunmehr dem Office of the Comptroller of the Currency, der Federal Deposit Insurance Corporation und der Federal Reserve Bank. Siehe dazu etwa Heppe/Tielmann, WM 2011, 1886. Neu hinzugekommen sind dafür der Financial Stability Oversight Council sowie dazugehörig das neue Office of Financial Research und das Federal Insurance Office sowie das Consumer Financial Protection Bureau, siehe dazu Triantafyllakis, WM 2019, 859.

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daher mit Fug als „Himalaya-System“, also als System mit unzähligen Aufsichtsspitzen, bezeichnet werden. Allein auf Bundesebene zählt man neun Behörden mit bankbezogenen Regulierungskompetenzen,9 etliche davon sind auf der Gliedstaatenebene noch einmal gespiegelt. Wer beispielsweise im Bundesstaat Texas eine Bank gründen will, kann zwischen drei Organisationsformen, zwei Bewilligungsinstanzen und fünf Regulierungsbehörden (drei gliedstaatlichen und zwei bundesstaatlichen) wählen,10 wobei ein späterer Wechsel zwischen bundesstaatlicher und gliedstaatlicher Aufsicht möglich ist.11 2. Hauptregulatoren auf Bundesebene Um wenigstens auf Bundesebene das Risiko von Mehrfachregulierungen, Aufsichtslücken und widersprüchlichen Anforderungen zurückzubinden, hat der Gesetzgeber das Konzept der „appropriate federal banking agency“ entwickelt. Danach sind sowohl die National Banks als auch die State Banks auf Bundesebene einem Hauptregulator zugeordnet. Die Hauptregulatoren sind entweder das Office of the Comptroller of the Currency (OCC), die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), oder der Board of Governors of the Federal Reserve Bank (FRB). Hinzu kommt die National Credit Union Administration als Hauptregulator für die Kreditgenossenschaften. Sie spielt allerdings im regulatorischen Umfeld eine deutlich weniger prominente Rolle als ihre Schwesterbehörden.12 a) Office of the Comptroller of the Currency (OCC) Das OCC ist die älteste Bankaufsichtsbehörde auf Bundesebene. Es wurde im Jahr 1863 durch den National Currency Act zwecks Schaffung einer einheitlichen Währung gegründet.13 Mit der Zeit hat es von seiner ursprünglichen Funktion entfernt, und heute spielt es eine wichtige Rolle als Regulierungs- und Aufsichtsbehörde. 9 Federal Reserve, Financial Stability Oversight Council, National Credit Union Administration, Securities and Exchange Commission, Federal Housing Finance Agency, Consumer Financial Protection Bureau, Department of Justice, Federal Deposit Insurance Corporation, Comptroller of the Currency, vgl. Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 92 ff. 10 Beispiel bei Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 98 f.; Organisationsformen: Bank, Sparkasse (thrift institution), Kreditgenossenschaft (credit union); Lizenzgeber: Bundesstaat Texas oder Bundesbehörde; Regulierungsbehörden: Texas Department of Banking, Comptroller of the Currency, Texas Department of Savings and Mortgage Lending, Texas Credit Union Deparment, National Credit Union Administration. 11 Das ist ein grundsätzliches Element des „dual banking system“. Zu den Wechseln siehe Blair/Kushmeider (Fn. 7), 14 ff. 12 Für einen Überblick siehe Barr/Jackson/Tahyar (Fn. 3), 82 f.; Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 96 ff. 13 Hilke (Fn. 6), 67.

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Das OCC gehört zum Department of Treasury und steht unter der Leitung des Comptroller of the Currency. Es ist Hauptregulator für folgende Finanzinstitute: National Banks, US-Zweigstellen oder Agenturen ausländischer Banken sowie die Bundessparkassen (savings associations).14 Letztere sind auch unter dem Namen Thrift Institutions bekannt; es handelt sich um kleine Institute, die vor allem das Einlagengeschäft und das Hypothekargeschäft betreiben. b) Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) Die FDIC wurde 1933 als Reaktion auf die zahlreichen Bankzusammenbrüche durch den Banking Act zwecks Einlagensicherung gegründet.15 Sie wird von einem fünfköpfigen Board of Directors geleitet, welchem der Comptroller of Currency und der Direktor des Consumer Financial Protection Bureau von Amtes wegen angehören, und finanziert sich aus dem Einlagensicherungsfonds.16 Die FDIC ist Hauptregulator („appropriate federal banking agency“) für State Banks, die nicht Mitglieder des Federal Reserve System sind, für ausländische Banken mit einer Zweigstelle, die dem Einlagensicherungsfonds angeschlossen ist sowie die gliedstaatlich bewilligten Sparkassen (State Thrifts).17 Über die State Nonmember Banks hinaus kann die FDIC alle Banken, die unter die Einlagensicherung fallen, prüfen und die notwendigen Massnahmen ergreifen, sofern der Hauptregulator nicht aktiv wird.18 Überdies führt sie Sanierungsmassnahmen durch (bei systemischen Risiken mit den Mitteln des Einlagensicherungsfonds) und amtet als Liquidatorin bei konkursiten Instituten.19 Eine wichtige (indirekte) Corporate Governance-Funktion der FDIC ist, dass sie gegen Organe konkursiter Banken Verantwortlichkeitsklagen erheben kann.20 14 Siehe 2 U.S.C. Sec. 1813(q): „Appropriate Federal banking agency means: (1) the Office of the Comptroller of the Currency in the case of (A) any national banking association, (B) any Federal branch or agency of a foreign bank; and (C) any Federal savings association [Anm: gleichbedeutend mit Federal thrift institutions] [...]. Siehe hierzu auch Hilke (Fn. 6), 68; Pan, Organizing Regional Systems, The US Example, in: Moloney/Ferran/ Payne (Hrsg.), The Oxford Handbook of Financial Regulation, Oxford 2015, 203. 15 Hilke (Fn. 6), 70. 16 Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 94. 17 12 U.S.C. Sec. 1813(q): „Appropriate Federal banking agency means: (1) [...]; (2) the Federal Deposit Insurance Corporation, in the case of (A) any State nonmember insured bank; (B) any foreign bank having an insured branch; and (C) any State savings association [...]. Siehe dazu auch Pan (Fn. 14), 203; Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 345. 18 Das gilt insbesondere für die National Banks, denn für sie ist die Einlagensicherung zwingend. Siehe Hilke (Fn. 6), 70 f.; Pan (Fn. 14), 203; Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 345. 19 Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 93. 20 Barr/Jackson/Tahyar (Fn. 3), 879.

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c) Board of Governors of the Federal Reserve (FRB) Das Federal Reserve System wurde 1913 durch den Federal Reserve Act gegründet und besteht aus dem siebenköpfigen Board of Governors, dem Federal Open Market Committee, zwölf regionalen Federal Reserve Banks und den Mitgliederbanken.21 Als Zentralbankensystem ist es für die Geldund Währungspolitik zuständig. Der Board of Governors (FRB) beaufsichtigt die Federal Reserve Banks, die in ihrer jeweiligen Region eine Schlüsselrolle für den Zahlungsverkehr spielen und insbesondere als Lenders of Last Resort fungieren.22 Er amtet aber auch als Hauptregulator für eine beachtliche Zahl von Finanzinstituten, namentlich für gliedstaatliche Mitgliederbanken,23 punktuell für US-Zweigstellen und Agenturen von ausländischen Banken, für ausländische Banken ohne versicherte Zweigstellen; für gewisse gewerbsmässig organisierte Kreditunternehmen; für Bank-Holdinggesellschaften24 und deren Tochtergesellschaften und für Sparkassen-Holdinggesellschaften.25 d) National Credit Union Association (NCUA) Kreditgenossenschaften bilden in den USA eine eigene Kategorie von Banken. Sie verfügen über eine eigene Aufsichtsbehörde, die National Credit Union Association. Die NCUA bewilligt und beaufsichtigt die Credit

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Hilke (Fn. 6), 69; Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 94. Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 94. 23 Für die State Banks ist die Mitgliedschaft im Federal Reserve System freiwillig, für National Banks ist sie zwingend. Siehe Hilke (Fn. 6), 69; Pan (Fn. 14), 203. 24 Vgl. zum Ganzen 12 U.S.C Sec. 1841, 1843. Eine Kontrolle wird bereits angenommen, wenn die Obergesellschaft direkt oder indirekt 25% der Stimmrechte einer anderen Bank oder Bank-Holdinggesellschaft besitzt, kontrolliert oder ausüben kann. BankHoldinggesellschaften dürfen neben Banken nur solche Gesellschaften besitzen oder kontrollieren, deren Dienstleistungen „closely-related to banking“ sind. 25 12 U.S.C. Sec. 1813(q): „Appropriate Federal banking agency means: (1) [...]; (3) the Board of Governors of the Federal Reserve System, in the case of (A) any State member bank; (B) any branch or agency of a foreign bank with respect to any provision of the Federal Reserve Act which is made applicable under the International Banking Act of 1978; (C) any foreign bank which does not operate an insured branch; (D) any agency or commercial lending company other than a Federal agency; (E) supervisory or regulatory proceedings arising from the authority given to the Board of Governors under section 7(c)(1) of the International Banking Act of 1978, including such proceedings under the Financial Institutions Supervisory Act of 1966; (F) any bank holding company and any subsidiary (other than a depository institution) of a bank holding company; and (G) any savings and loan holding company and any subsidiary (other than a depository institution) of a savings and loan company.“ Weiter beaufsichtigt der FRB Nichtbanken, die vom Financial Stability Oversight Council als systemrelevant bezeichnet worden sind, siehe dazu Carnell/ Macey/Miller (Fn. 3), 94. 22

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Unions und verwaltet den National Credit Union Share Insurance Fund.26 Über ihre Central Liquidity Facility kann die NCUA die Kreditgenossenschaften notfalls mit Liquidität versorgen.27 e) Weitere Bundesbehörden Neben dem OCC, FRB und der FDIC gibt es auf Bundesebene noch fünf weitere Behörden, die zum Bankaufsichtssystem der USA gehören. Fünf von ihnen fokussieren sich spezifisch auf Banken und Finanzdienstleister: – Der Financial Stability Oversight Council. Der FSOC wurde durch den Dodd-Frank-Act errichtet. Er wird präsidiert durch den Secretary of the Treasury. Weitere Mitglieder sind die jeweiligen Vorstände des Federal Reserve Board, der FDIC, der SEC und der Commodity Futures Trading Commission, der Comptroller of the Currency, der Leiter der FHFA und der Direktor des CFPB. Der FSOC soll Lücken bei der Aufsicht schliessen, die Aufsichtstätigkeiten koordinieren und aufkommende Risiken identifizieren. Er kann Finanzinstitute im Nichtbankenbereich als systemrelevant kennzeichnen und sie dadurch einer verstärkten Regulierung durch den FRB unterstellen.28 – Das Consumer Financial Protection Bureau. Das CFPB ist zuständig für die Umsetzung von Regulierungen im Bereich des finanzrelevanten Konsumentenschutzes und kann auch eigene Konsumentenschutzregeln im Finanzbereich erlassen.29 Unter seine Aufsicht fallen zunächst Finanzdienstleister, die typische Dienstleistungen an Konsumentinnen erbringen. Dazu gehören beispielsweise die Vergabe von Hypotheken für Liegenschaften, die primär dem persönlichen oder familiären Gebrauch der Kreditnehmerin dienen sollen,30 die Vergabe von Studienkrediten31 oder der Vorschuss von Lohnzahlungen.32 Sodann beaufsichtigt das CFPB einlagenversicherte Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften, die über ein Gesamtvermögen von mindestens USD 10 Mia. verfügen.33 Auch

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Der NCUSIF stellt analog zur FDIC eine staatlich finanzierte Einlagensicherung für Kreditgenossenschaften zur Verfügung. Zum NCUSIF siehe Ryder/Chambers, Journal of Banking Regulation 11 (2009), 80. 27 Ryder/Chambers (Fn. 26), 80. 28 Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 95; Barr/Jackson/Tahyar (Fn. 3), 902; siehe allgemein Allan, Ohio State Law Journal, 76 (2015), 1088 ff. 29 Ausführlich Levitin, Review of Banking & Financial Law 32 (2013), 344 ff.; kritisch Zywicki, The George Washington Law Review, 81 (2013), 856 ff. 30 12 U.S.C. Sec. 5514 (a) (1) (A). 31 12 U.S.C. Sec. 5514 (a) (1) (D) i.V.m. 15 U.S.C. Sec. 1650. 32 12 U.S.C. Sec. 5514 (a) (1) (E). 33 12 U.S.C. Sec. 5515 (a).

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für kleinere Institute kann sich das CFPB für zuständig erklären, sofern Risiken für Konsumenten bestehen.34 – Die Federal Housing Finance Agency. Die FHFA wurde im Jahre 2008 errichtet, um die gescheiterten staatseigenen Hypothekarbanken Fannie Mae und Freddie Mac zu erhalten.35 Neben diesen beiden Instituten reguliert die FHFA die elf Federal Home Loan Banks36 nach einem risikobasierten Ansatz. Ihr Ziel ist die Liquidität und Stabilität des Hypothekarmarktes. Zu erwähnen sind sodann zwei weitere Behörden, die sich zwar nicht ausschliesslich auf Banken und Finanzinstitute konzentrieren, für diese aber ebenfalls relevant sein können: – Das Department of Justice. Die Kartellabteilung des DOJ überprüft Bankfusionen auf ihre bundesrechtliche Zulässigkeit37 und seine Strafabteilung verfolgt Straftaten von Banken und ihren Mitarbeitenden. Zudem vertritt das DOJ die Regierung in bankrechtlichen Fällen vor dem USSupreme Court.38 – Die Securities and Exchange Commission. Die SEC amtet als Börsenaufsicht und ist für Banken primär dann relevant, wenn sie Publikumsgesellschaften darstellen oder Wertpapiergeschäfte tätigen.39 3. Gliedstaatliche Aufsichtsbehörden Die Gliedstaaten organisieren die Bewilligung und die laufende Aufsicht von Finanzinstituten unterschiedlich. Einige Gliedstaaten verfügen über jeweils separate Behörden für Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften. Ein Beispiel hierfür ist der Staat Texas, der über ein Department of Banking, ein Department of Savings and Mortgage Lending und ein Credit Union Department verfügt. Andere Gliedstaaten begnügen sich mit einer Aufsichtsbehörde für sämtliche Bankorganisationsformen. Ein Beispiel hierfür ist das Virginia Bureau of Financial Institutions, welches sämtliche staatlichen Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften bewilligt und beaufsichtigt. Schliesslich gibt es sogar Gliedstaaten, deren Aufsichtsbehörde nicht

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12 U.S.C. Sec. 5516 (a); siehe Levitin (Fn. 27), 356. Siehe hierzu Reiss, Alabama Law Review 61 (2010), 907 ff. 36 Federal Home Loan Banks gewähren anderen Banken Kredite, damit diese Hypotheken vergeben können. Zur FHFA siehe Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 94. 37 Daneben ist jeweils noch mindestens eine weitere Bankenaufsichtsbehörde auf Bundesebene in die Fusionskontrolle involviert, siehe zum Ganzen Quinn, Antitrust Law Journal 62 (1993), 91 ff. 38 Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 93; Barr/Jackson/Tahyar (Fn. 3), 913. 39 Ausführlich unten, III./4. 35

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nur sämtliche Bankorganisationsformen, sondern auch die Versicherungen umfasst, so z.B. das New York State Department of Financial Services.40 4. Koordinationsgremien Mit der Zuordnung von State und National Banks zu einem bundesstaatlichen Hauptregulator („appropriate federal banking agency“)41 wird im Hinblick auf die institutionelle Koordination jedenfalls auf Bundesebene ein erster Ordnungsrahmen geschaffen. Es bleibt aber bei überlappenden Kompetenzen sowohl auf Bundesebene als auch zwischen Bundesbehörden und Gliedstaatenbehörden und schliesslich – bei einer Tätigkeit in mehreren Gliedstaaten – zwischen Gliedstaatenbehörden. Das zentrale Gremium für die Koordination zwischen Bundesbehörden ist der Federal Financial Institutions Examinations Council (FFIEC). Er ist mit der Kompetenz ausgestattet, einheitliche Grundsätze, Standards und Formulare für die Berichterstattung an die Bundesaufsichtsbehörden zu verabschieden. Er kann auch Empfehlungen zur einheitlichen Beaufsichtigung von Finanzinstituten abgeben.42 Namentlich die einheitlichen Prüfstandards erlauben es einer Regulierungsbehörde (z.B. dem FRB), auf die Prüfergebnisse einer anderen Behörde (z.B. des OCC) abzustellen; die gegenseitige Anerkennung scheint im Grossen und ganzen zu funktionieren.43 Dem FFIEC angeschlossen sind die drei Bundes-Hauptregulatoren (OCC, FDIC, FRB) sowie die National Credit Union Administration (NCUA) und das Consumer Financial Protection Bureau (CFPB). Die Gliedstaaten sind im FFIEC mit dem State Liaison Committee als Mitglied vertreten. Dem Committee gehören fünf Vertreterinnen und Vertreter von gliedstaatlichen Aufsichtsbehörden an, drei davon werden von den gliedstaatlichen Koordinationsgremien ernannt.44 Auf die gliedstaatlichen Koordinationsgremien wird noch zurückzukommen sein. Im FFIEC besteht ihre Rolle als Mitglied jedenfalls darin, auf die Koordination der Aufsichtstätigkeiten zwischen den Bundesbehörden und den einzelstaatlichen Behörden hinzuwirken. Im Idealfall können so die gliedstaatlichen Aufsichtsbehörden auf die Prüfergebnisse der Bundesbehörden abstellen und umgekehrt. Das FFIEC hat demgemäss nicht nur eine Koordinationsfunktion auf Bundesebene, sondern auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Bundes- und Gliedstaatenregulierung. 40

Zum Ganzen Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 103 f. Siehe oben II./2. 42 Siehe dazu FFIEC, About the FFIEC, abrufbar unter , zuletzt besucht am 20.12.2019. 43 Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 96 f. 44 Zur Zusammensetzung siehe FFIEC, About the FFIEC, abrufbar unter , zuletzt besucht am 20.12.2019. 41

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Für die Koordination und Standardisierung der Aufsicht zwischen den Gliedstaaten sind drei Gemien zuständig: Die Conference of State Bank Supervisors für die Banken, der American Council of State Savings Supervisors für die Sparkassen, und die National Association of State Credit Union Supervisors für die Kreditgenossenschaften.45

III. Zentrale Corporate Governance-Dokumente für Banken 1. OCC-Handbook und Guidelines a) Handbook on Corporate Risk and Governance Das OCC Comptroller’s Handbook on Corporate and Risk Governance (OCC-Handbook) wurde im Juli 2019 in zweiter Auflage herausgegeben.46 Es dient als praktische Anleitung für die Prüferinnen und Prüfer, die mit der aufsichtsrechtlich Prüfung von Finanzinstituten betraut sind, für die der OCC Hauptregulator ist – namentlich also von National Banks, US-Zweigstellen oder Agenturen ausländischer Banken sowie die Bundessparkassen (savings associations).47 Die OCC-Handbook enthält allgemeine Corporate Governance-Grundsätze und orientiert sich ganz offensichtlich am den einschlägigen Principles des Basler Ausschusses für die Bankenaufsicht (BCBS).48 Zu den zentralen Themen gehören insbesondere die Funktionen und Aufgaben des Board, seine Zusammensetzung und die Qualifikation seiner Mitglieder, seine Vergütung.49 Der Risikofokus der Basler Principles wird reflektiert und sogar noch stärker betont, indem der Titel die Risk Governance inkludiert und dieser auch das zweite grosse Kapitel gewidmet ist.50 Insgesamt liest sich das Handbuch als praktisch orientierte, für ein konkretes Bankenumfeld konzipierte „Übersetzung“ der Basler Grundsätze. Das konkrete Umfeld sorgt dennoch für gewisse zusätzliche Schwerpunkte. So wird in Umsetzung des Bank Secrecy Act die Finanzkriminalität, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ausführlich behandelt,51 und die im Community Reinvestment Act vorgeschriebene diskriminierungsfreie Gewährung von Krediten, gera45

Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 104. Comptrollers Handbook, Safety and Soundness, Management, Corporate Governance and Risk Governance, July 2019, nachfolgend OCC Handbook. 47 OCC-Handbook, 1. Für die Funktion als Hauptregulator siehe 2 U.S.C. Sec. 1813(q). 48 BCBS Principles (Fn. 2). 49 OCC Handbook (Fn. 46), 6 ff. 50 OCC Handbook (Fn. 46), 39 ff. 51 OCC Handbook (Fn. 46), 50. 46

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de auch bezüglich der finanzschwächeren Gemeinden oder Stadtteilen, wird besonders betont.52 Auch werden die in den Basler Prinzipien allgemein gehaltenen Diversitätsanforderungen für den Board viel deutlicher auf die Gender- und die Minderheiteninklusion ausgerichtet.53 Erwähnenswert ist für das Land des Shareholder-Value die wörtliche Übernahme der Basler Prinzipien, wonach der Board die Verantwortung dafür trägt, dass die Unternehmenskultur und das Verhalten im Unternehmen darauf ausgerichtet sein sollen, dass die Bank „in a safe and sound manner“ operiert.54 Eine ausdrückliche Vorrangstellung der Einleger gegenüber den Anteilseignern, wie sie die Basler Prinzipien enthalten,55 findet sich dagegen im OCC Handbook nicht – diesen Frevel wollte das OCC wohl doch nicht begehen! b) Guidelines for Establishing Heightened Standards Mit Blick auf die erhöhten Risiken von Banken mit grossen Bilanzssummen hat das OCC für Institute mit Aktiven von mindestens USD 50 Mia. zusätzliche Leitlinien erlassen.56 Diese konkretisieren primär die Aufgaben des Boards und des Managements im Hinblick auf das Risikomanagement. Wie schon die BCBS Principles verlangen die Leitlinien die Einführung eines Risk Governance Frameworks, das als Grundlage und Rahmen für die Entscheidungsprozesse des Boards und des Managements im Hinblick auf die Gesamtrisikostrategie dient und welches es diesem ermöglicht, Risiken zu identifizieren, zu managen und zu kontrollieren.57 Sowohl die BCBS Principles als auch die OCC Guidelines nehmen Bezug auf die einschlägigen Arbeiten des Financial Stability Board zur Risk Governance,58 die 52

OCC Handbook (Fn. 46), 28. Siehe OCC-Handbook (Fn. 46), 8: „The board should actively seek a diverse pool of candidates, including women and minorities, as well as candidates with diverse knowledge of risk management and internal controls.“ Vgl. demegegenüber die BCBS Principles (Fn. 2), Rn. 48, die lediglich verlangen, dass der Verwaltungsrat zusammengesetzt ist aus „individuals with a balance of skills, diversity and expertise“. 54 OCC Handbook (Fn. 46), 3: „Corporate Governance includes how the board and the management, in their respective roles [...] align corporate culture, activities, and behaviors with the expectation that the bank will operate in a safe and sound manner, operate with integrity, and comply with applicable laws and regulations.“ Wörtlich gleich BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 3. 55 BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 2. 56 OCC, Guidelines Establishing Heightened Standards for Certain Large Insured National Banks, Insured Federal Savings Associations, and Insured Federal Branches, 12 CFR Parts 30, 168, and 170, Federal Register Vo. 79 No. 176, 54518, 11. September 2014, nachfolgend OCC Guidelines. 57 Zum Risk Government Framework OCC Guidelines (Fn. 56), 54547. Siehe auch BCBS Principles (Fn. 2), 2 (Glossary). 58 OCC Guidelines (Fn. 56), 54518, Fn. 4 und BCBS Principles (Fn. 2), 2 (Glossary) Fn. 8, Bezugnahme auf FSB, Principles for an effective risk appetite framwork (November 53

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Guidelines referenzieren zudem die Arbeiten des BCBS.59 Vom Aufbau her enthält das erste Kapitel der Guidelines die zentralen Begriffe und den Anwendungsbereich, das zweite Kapitel enthält die Mindestanforderungen für das Risk Government Framework, und das dritte Kapitel enthält die Mindestanforderungen für die Überwachungsfunktion des Board of Directors. Was das Risk Governance Framework angeht, so übernehmen die Leitlinien das Konzept der drei Verteidigungslinien („three lines of defense“), das auch in den BCBS Principles explizit verankert ist,60 und konkretisieren deren Aufgaben.61 Ebenfalls verlangen die Leitlinien die Verschriftlichung der Risikobereitschaft in einem Risk Appetite Statement (RAS) als Grundlage für die Erarbeitung des Risk Governance Framework.62 Dessen zentrale Funktion hatte bereits das FSB betont.63 Wie schon die BCBS Principles verknüpfen auch die Guidelines die Vergütungsstruktur in der Bank mit einer guten Corporate Governance und einem ebensolchen Riskmanagement.64 Mit Blick auf die Überwachungsfunktion des Board of Directors entsprechen die Guidelines im Wesentlichen den BCBS Principles; der Board ist verantwortlich für die Umsetzung und Überwachung des Risk Governance Frameworks und hat auch das Management entsprechend zu überwachen.65 Im Unterschied zu den BCBS Principles, die sich angesichts der unterschiedlichen Governance-Kulturen nicht zu einer festen Zahl von unabhängigen Directors äussern wollen, verlangen die Guidelines mindestens zwei solche Mitglieder in den Boards.66 Wie schon beim Handbook hat sich das OCC bei den Guidelines an den Risikomanagement-Grundsätzen des Basler Ausschusses bzw. an den Arbeiten des Financial Stability Boards orientiert und somit diese internationalen Standards in das US-amerikanische Aufsichtssystem integriert und sie im Rahmen dieser Integration zusätzlich konkretisiert.

2013). Die OCC Guidelines nehmen sodann auch Bezug auf FSB, Thematic Review on Risk Go. 59 OCC Guidelines (Fn. 56), 54518, Fn. 4, Bezugnahme auf BCBS, Principles for effective risk data aggregation and risk reporting (Jan. 2013). 60 BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 39 ff. 61 OCC Guidelines (Fn. 56), 54547. 62 OCC Guidelines (Fn. 56), 54548. Vergleichbar BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 33 ff. 63 FSB, Thematic Review on Risk Governance (February 2013), 12 f. 64 OCC Guidelines (Fn. 56), 54549, etwas kürzer als BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 143 ff. 65 OCC Guidelines (Fn. 56), 54549. Siehe auch BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 12, 26, 33. 66 OCC Guidelines (Fn. 56), 54549. Siehe demgegenüber BCBS Principles (Fn. 2), Rz. 47.

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2. FDIC: Pocket Guide for Directors Bereits 1988 veröffentlichte die FDIC ihren Pocket Guide for Directors.67 Diese kurz gehaltene Anleitung mit ihren sechs Kernprinzipien der Corporate Governance68 ist in unveränderter Form auf der Webseite der FDIC publiziert. Um der Weiterentwicklung bei Corporate Governance-Themen Rechnung zu tragen, hat die FDIC unter anderem ein Sonderheft im Rahmen der Supervisory Insights herausgegeben.69 Die Insights legen den Fokus auf die community banks, in kontinentaleuropäischer Diktion also die lokalen Sparkassen.70 Sie enthalten eine Kommentierung der einzelnen Grundsätze des Pocket Guides im Lichte der neueren Entwicklungen in der CorporateGovernance Diskussion. Die Supervisory Insights haben reinen Informationscharakter, ihre Missachtung führt mithin nicht zu aufsichtsrechtlichen Sanktionen.71 Trotzdem ist es ein wichtiges Dokument, denn die FDIC publiziert solche Supervisory Insights nicht häufig; das letzte Heft erschien fünf Jahre vor der Corporate Governance-Ausgabe.72 3. FRB: Expectation for Board of Directors (Proposal) Am 9. August 2017 hat das Federal Reserve Board eine Guidance on Supervisory Expectation for Board of Directors vorgeschlagen.73 Damit will es die Aufsichtszuständigkeiten des Verwaltungsrates klarer von denjenigen der Geschäftsleitung abgrenzen. Die Leitlinien sind an die Corporate Governance-Grundsätze des Basler Ausschusses angelehnt, namentlich an die Grundsätze 1 (Aufgaben des Board) und 2 (Qualifikation und Zusammensetzung des Board).74 Da es sich nicht um grundlegend neue oder besonders stringente Rahmenbedingungen handelt, hätte man eine zeitnahe Verab-

67 Abrufbar unter . 68 Die Titel im Pocket Guide lauten: General Guidelines (enthalten die Aufgaben des Board of Directors); Maintain Independence; Keep Informed; Ensure Qualified Management; Supervise Management; Avoid Preferential Transactions. 69 FDIC, Supervisory Insights, Special Corporate Governance Edition (April 2016, revised October 2018). 70 So lautet auch der vollständige Titel des Supervisory Insight: „A Community Bank Director’s Guide to Corporate Governance: 21st Century Reflections on the FDIC Pocket Guide for Directors“. 71 FDIC, Supervisory Insights (Fn. 69), 3. 72 FDIC, Supervisory Insights, Special Foreclosure Edition (Mai 2011). 73 Federal Register, Vol. 82, No. 152, S. 37219 ff. 74 Siehe BCBS Principles (Fn. 2), insb. Rz. 45 ff.

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schiedung erwarten können. Bislang sind allerdings die Leitlinien noch nicht in Rechtskraft erwachsen.75 4. SEC: Rules and Guidances zu Einzelthemen a) Securities and Exchange Act, Sarbanes-Oxley Act, Dodd-Frank Act Das zentrale Spielfeld der Corporate Governance liegt zweifellos bei den Publikumsgesellschaften. Das massgebliche Gesetzgebungswerk in diesem Bereich ist der Securities and Exchange Act,76 die entscheidende Behörde die Securities and Exchange Commission. Banken sind diesen Regulierungen unterstellt, sofern sie als Publikumsgesellschaften organisiert sind.77 Sie können aber auch aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit im Wertschriftengeschäft in den Anwendungsbereich des Secuirites and Exchange Acts fallen.78 Daher spielt die SEC für Corporate Governance-Fragen von Banken eine durchaus wichtige Rolle. Die SEC war denn auch seit der Mitte der 1970er Jahre ein massgeblicher Treiber für Corporate Governance Themen,79 auch wenn ihr die gesetzgeberischen Kompetenzen für substantielle Governance-Regulierungen fehlten; darin wird auch der Grund gesehen, warum die SEC etliche GovernanceRegulierungen unter dem Titel der Offenlegung vornahm.80 Der skandalgetriebene Sarbanes-Oxley Act (SOX)81 leistete der Corporate GovernanceRegulierung namentlich im Bereich der Haftungsfragen und der Clawbacks Vorschub; die entsprechenden Bestimmungen wurden entweder in den Securities and Exchange Act integriert, oder aber es wurde zumindest die Umsetzung der SEC überantwortet.82 75 Letzter ersichtlicher Stand ist das Treffen zwischen dem Federal Reserve Board mit Vertretern des Clearing House vom 9.3.2018, an welchem die Proposed Guidance diskutiert wurde, siehe dazu , zuletzt besucht am 27.12.2019. 76 Securities and Exchange Act of 1934, Pub.L. 73–291, 15 U.S.C. 78a–78qq. 77 Sog. „issuer“, siehe Sec. 3 des Securities and Exchange Act. 78 Securities and Exchange Act Sec. 3 und die dort aufgeführten Ausnahmen. 79 Siehe Cheffins, The History of Corporate Governance, in: Mike Wright u.a. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Corporate Governance, 2013, 47 (mit dem Hinweis, dass der Begriff der Corporate Governance 1976 im Federal Register erschien). 80 Loewenstein, Alabama Law Review 45 (1993/1994), 783 f.; Kripke, The Business Lawyer 36 (1981), 173 ff. 81 Der volle Titel lautet: Corporate and Auditing Accountability, Responsibility and Transparency Act of 2002, Pub.L. 107–104, 116 Stat. 745. 82 Die Clawback-Regelung (Sec. 304 Sarbanes-Oxley Act) wurde nicht in den Securities Exchange Act übertragen, hingegen obliegt die Umsetzung der SEC. Demgegenüber wurde die Bestimmung über die Haftung des Revisionsausschusses (Sec. 301 [2] SarbanesOxley) in den Securities and Exchange Acts überführt (15 U.S.C. Sec. 78j-1 [m]). Die Haftung von CEO und CFO für die Integrität der Finanzberichterstattung (Sec. 302 i.V.m.

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Diese Vorgehensweise wurde auch beim Dodd-Frank Act83 gewählt. Im Hinblick darauf, dass Dodd-Frank die gesetzgeberische Antwort auf die Finanzkrise von 2008 darstellt und Corporate Governance-Defizite als Mitursache der Krise gelten, enthält das rund 850 Seiten starke Regelwerk erstaunlich wenige Bestimmungen hierüber. Unter dem Kapitel „Strenghtening Corporate Governance“ enthält Dodd-Frank ganze zwei Bestimmungen. Die erste betrifft den „Proxy Access“ und verlangt die genügende Information der Aktionäre im Hinblick auf die Wahl der Mitglieder des Board of Directors, die zweite verlangt eine Begründung dafür, warum der CEO und der Vorsitzende des Board of Directors in Personalunion oder personell getrennt besetzt werden.84 Beide Bestimmungen sind gleichzeitig Neuformulierungen für den Securities and Exchange Act und werden dort auch eingefügt.85 Dasselbe Muster zeigt sich auch bei einem anderen Corporate GovernanceThema, das der Dodd-Frank Act aufgreift (allerdings nicht im Kapitel zur Corporate Governance), nämlich der Vergütungsfrage. Von den sechs Vergütungsbestimmungen betreffen deren fünf ganz allgemein die Publikumsgesellschaften und sind als Neuerungen für den Securities and Exchange Act vorgesehen.86 Bankspezifisch ist lediglich die Bestimmung über die Verpflichtung der Bankaufsichtsbehörden zum ko-ordinierten Vorgehen bei den anreizbasierten Vergütungsmodellen.87 Bankspezifische Corporate Governance-Vorgaben sind sodann im Rahmen des Risiko-Managements vorgesehen. Allerdings betreffen auch sie lediglich die Publikumsbanken. Börsenkotierte Bank Holding Companies mit konsolidierten Aktiven von mindestens USD 10 Mia.88 sowie börsenkotierte Finanzinstitute müssen einen Risikoausschuss bestellen, dem zudem eine vom FRB näher zu bestimmende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören muss. Dem Ausschuss angehören muss auch mindestens eine Risikomanagementexpertin, die über Erfahrung im Bereich der Risikoidentifizierung, der Risikogewichtung und des Risikomanagements grosser und komplexer Firmen verfügt. Darüber hinaus ist auf Ebene des Verwaltungsrates ein Chief Risk Officer zu bestellen.89 906 Sarbanes-Oxley) wurde nicht in den Securities and Exchange Act übertragen, hingegen obliegt die Umsetzung der Securities and Exchange Commission. 83 Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act, Pub.L. 111–203, 124 STAT. 1376. 84 Siehe Sec. 971, 972 Dodd-Frank Act. 85 Gemäss Sec. 971, 972 Dodd-Frank Act im Rahmen von Sec. 14(a) und neu als 14B des Securities and Exchange Act. 86 Sec. 951 bis 955 Dodd-Frank Act. Siehe im Einzelnen unten IV./2./b) 87 Siehe dazu unten IV./2. 88 Für börsenkotierte Bank Holding Companies mit Aktiven von weniger als USD 10 Mia. kann das Board of Governors der Federal Reserve eine entsprechende Pflicht vorsehen, sofern dies für ein solides Risikomanagement erforderlich ist. 89 Sec. 165(h) Dodd-Frank Act.

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Der Dodd-Frank Act deckt allerdings wesentliche Corporate-Governance-Themen nicht ab. Dazu gehört beispielsweise die Zusammensetzung des Board of Directors (Stichwort Diversität) und die Qualifikation von dessen Mitgliedern (Ausnahme: Risikoausschuss). Auch fehlen Bestimmungen zu den zentrale Pflichten des Board, etwa die Begründung einer Corporate Governance-förderlichen Unternehmenskultur oder die Beaufsichtigung des Managements.90 b) Umsetzung durch die Securities and Exchange Commission Der Securities and Exchang Act, der Sarbanes-Oxley Act und vor allem auch der Dodd-Frank Act sind als Rahmengesetze konzipiert, die der SEC die eigentliche Regulierungsarbeit übertragen. Die Regulierungen selbst werden gemeinhin als „SEC rules“ verabschiedet und im Code of Federal Regulations (CFR) publiziert. Nimmt man den Dodd-Frank Act als jüngstes Beispiel, so bestehen zu den einzelnen Bestimmungen bzw. Regulierungsaufträgen je nach Regulierungsstand eine „final rule“ oder eine „proposed rule“.91 Die Rules werden jeweils auch mit detaillierten Kommentaren und Leitlinien versehen. Allein das Dokument über das Verhältnis zwischen dem Medianlohn im Unternehmen und der Vergütung des CEO (Sec. 953(b)) umfasst 294 Seiten,92 das Dokument zur Unabhängigkeit des Vergütungsausschusses beträgt 124 Seiten.93 Daraus ergibt sich eine stark themenfokusierte Corporate Governance. Was die SEC als Speerspitzenbehörde für die Corporate Governance94 aber bis zum heutigen Tag nicht verabschiedet hat, sind allgemeine Richtlinien oder Grundsätze zur Corporate Governance.

IV. Koordinierte Corporate Governance-Regulierung Neben der Zuordnung eines Finanzinstituts zu einem Hauptregulator auf Bundesebene und der Schaffung eines Koordinationsgremiums für die Finanzaufsicht in Gestalt des Federal Financial Institutions Examinations Council (FFIEC) lässt sich am Beispiel der Corporate Governance ein ande-

90 Vgl. hierzu auch Macey/O’Hara, Bank Corporate Governance: A Proposal for the Post-Crisis World, in: FRBNY Economic Policy Review, August 2016, 85. 91 Die Umsetzungsarbeiten sind dokumentiert unter . 92 SEC, Pay Ratio Disclosure, CFR Parts 229 and 249, Release Nr. 33-9877; 34-75610 vom 5. August 2015. 93 SEC, Listing Standards for Compensation Committees, CFR Parts 229 and 240, Release Nr. 33-9330; 34-67220 vom 20. Juni 2012. 94 Siehe dazu Cheffins (Fn. 66), 47 f.

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res Koordinationsinstrument beobachten: Die Praxis einer koordinierten Regulierung, auch „Joint Policymaking“95 genannt. 1. Koordinierte Regulierung im Allgemeinen Beim Joint Policymaking handelt es sich um ein allgemeines Koordinationsinstrument, das von den US-amerikanischen Regulierungsbehörden eingesetzt wird. Dabei lassen sich verschiedene Stufen unterscheiden: Regulierungsbehörden können einerseits gemeinsame Leitlinien (Guidances) oder Mitteilungen (Statements) veröffentlichen; diese enthalten die geteilten Auffassungen und die Erwartungen der Regulierungsbehörden im Hinblick auf gewisse regulatorische Vorschriften.96 Eine Stufe darüber liegt der Erlass von gemeinsamen Regeln (Rules and Regulations), das sogenannten Joint Rulemaking.97 Im Rahmen einer koordinierten Regulierung führen die einzelnen Regulierungsbehörden die Vernehmlassungen (publication for public comment) meist eigenständig durch;98 die endgültige Regulierung wird entweder in einem einzigen Dokument zusammengefasst und als Joint Rule im Code of Federal Regulations (CFR) publiziert,99 oder sie werden in der je eigenen Sektion des CFR von jeder Behörde als Common Rule eigenständig publiziert.100 Als Beispiel101 für eine koordinierte Regulierung sei etwa die gemeinsamen Voraussetzungen für die Entfernung, Suspendierung oder die Unterstellung unter ein Berufsverbot von unabhängigen Bankprüfern genannt. Der Federal Deposit Insurance Act verpflichtet die „appropriate Federal banking agencies“ zu einer gemeinsamen Regulierung;102 dieser Aufforderung sind das OCC, das FRB und die FDIC nachgekommen.103 Ein anderes 95

So die Bezeichnung bei Freeman/Rossi, Harvard Law Review 125 (2012), 1165. Zur regulatorischen Bedeutung der Supervisory Guidance siehe etwa FDIC, Supervisory Insights (Fn. 69), 15. 97 Siehe dazu Freeman/Rossi Fn. (99), 1165 f. 98 Siehe z.B. die verschiedenen Adressen für die Kommentare zur [Interagency] Guidance on Sound Incentive Compensation, die vom Federal Reserve Board, dem OCC, der FDIC und der OTS verabschiedet wurde, in Fed. Reg. 75, 36,404 (25. Juni 2010). 99 Falls es sich um eine Guidance oder ein Statement handelt, wird dieses zuweilen lediglich im (chronologisch geordneten) Federal Register als sogenannte „Notice“ publiziert. 100 Zu diesen Modalitäten siehe Freeman/Rossi Fn. (99), 1166 Fn. 162. Beispielhaft: Removal, Suspension, and Debarment of Accountants From Performing Audit Services, gestützt auf Sec. 36 FDIC (12 U.S.C. 1831[m] [B] [4]). Siehe 12 CFR Part 19 (OCC), 12 CFR Part 263 (FRB), CFR 12 Part 308 (FDIC), CFR 12 Part 513 (OTS, nunmehr abgeschaffte Behörde). 101 Weitere Beispiele im Finanzmarktbereich bei Freeman/Rossi Fn. (99), 1166 Fn. 164. 102 FDIC, 12 U.S.C. Dec. 1831(m)(4)(B). 103 Die Behörden haben diese Regulierung in ihren eigenen Sektionen des CFR publiziert. Siehe 12 CFR Part 19 (OCC), 12 CFR Part 263 (FRB), CFR 12 Part 308 (FDIC), 96

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Beispiel ist die Mitteilung über die Interne Revision und deren Auslagerung.104 Sie wurde vom OCC, der Federal Reserve Bank und der FDIC gemeinsam erarbeitet. Grundlage hierfür bildet der Sarbanes-Oxley Act.105 Zahlreiche gemeinsame Regulierungen sind im Dodd-Frank Act vorgesehen, es sind deren 31.106 Teilweise verpflichtet der Act die Behörden auch „nur“, konsistente und vergleichbare Regulierungen zu erlassen.107 Teilweise entstehen auch ohne entsprechenden gesetzlichen Zwang gemeinsame Regulierungsdokumente, die gewisse Fragen horizontal – also durch alle Regulierungssilos hindurch – angehen. Hier spielt vor allem der Federal Financial Institutions Examinations Council (FFIEC) eine Rolle als Anschub- und Koordinationsgremium. Ein Beispiel hierfür bietet das Bank Secrecy Act/Anti-Money Laundering Manual.108 Es wurde von der FFIEC herausgegeben und ist das Ergebnis einer Kollaboration zwischen den verschiedenen Bankaufsichtsbehörden und der beim Finanzdepartement angesiedelten Financial Crimes Enforcement Network (FinCen). Das Handbuch enthält eine Zusammenstellung der bestehenden gesetzlichen Anforderungen, aufsichtsrechtlichen Erwartungen und der bewährten Praxis im Bereich der Kundenidentifikation und der Geldwäsche.109 2. Corporate Governance-Beispiel: Vergütungssysteme Auch im Kernbereich der Corporate Governance existieren gemeinsame Regulierungen. Dazu gehört etwa die Mitteilung der Federal Reserve und des OCC, wonach einzelne Governance-Kapitel des Sarbanes-Oxley Act auch auf gewisse nicht-börsenkotierte Banken anwendbar sind.110 Beispielhaft sollen allerdings hier die Regularien im Bereich der Vergütung der Mit-

CFR 12 Part 513 (OTS, nunmehr abgeschaffte Behörde): Removal, Suspension, and Debarment of Accountants From Performing Audit Services. 104 Interagency Policy Statement on the Internal Audit Function and Its Outsourcing (2003), OCC Bulletin 2003-12, FDIC Financial Institution Letter FIL-21-2003; FRB Press Release. Diese Mitteilungen werden teilweise weiterentwickelt, siehe etwa Federal Reserve, SR letter 13-1, Supplemental Policy Statement on the Internal Audit Function and Its Outsourcing (2013). 105 Sec. 201(a) Sarbanes-Oxley Act. 106 Dokumentanalyse durch die Autorin. Siehe auch die (nicht ganz genaue) Auflistung bei Copeland, Rulemaking Requirements and Authorities in the Dodd-Frank Wall Street and Consumer Protection Act, Congressional Research Service, November 3, 2010, 29 ff. 107 Sec. 165(i)(2)(C) betreffend Stress Tests. 108 Abrufbar unter , zuletzt besucht am 20.12.2019. 109 American Institute of Public Accountans, Audit and Accounting Guide – Depository and Lending Institutions, July 2018, Rn. 1.101. 110 Federal Reserve, OCC, OTS: Statement on Application of Recent Corporate Governance Initiatives to Non-Public Banking Organizations (May 2003).

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glieder auf der Führungsstufe von Banken näher untersucht werden, galten doch gerade die Vergütungssysteme als Mitursache der Krise von 2008.111 a) Interagency Regulatory Guidance Seit 2010 existiert eine Leitlinie („interagency regulatory guidance“) mit dem Titel „Sound Incentive Compensation Practices“.112 Sie wurde vom Federal Reserve Board, dem OCC, der FDIC und dem (abgeschafften) OTS verabschiedet. Für das OCC, die FDIC und das OTS bildete die gesetzliche Grundlage eine Bestimmung im Federal Deposit Insurance Act, der jeder „appropriate Federal banking agency“ die Kompetenz einräumt, in diesem Bereich regulatorisch tätig zu werden. Die Gesetzgebung ist also auf die Vielfalt der Regulierungsbehörden vorbereitet; Section 39 hält denn auch fest, dass die hier eingeräumte Kompetenz zu den übrigen Kompetenzen der Regulierungsbehörden hinzutritt, und dass sie andererseits deren Kompetenzen zu einer weitergehenden Regulierung nicht beschränkt.113 Die Leitlinien selbst sind prinzipienbasiert und nehmen ausdrücklich Bezug auf die einschlägigen Standards des Financial Stability Board (FSB).114 Inhaltlich reflektieren sie vor allem die in den FSB Principles for Sound Compensation Practices enthaltenen Grundsätze, während die konkreten Vorgaben der FSB Implementation Standards fehlen. b) Verpflichtung zum koordinierten Vorgehen im Dodd-Frank Act Der Dodd-Frank Act, der die Antwort des Gesetzgebers auf die von den Banken verursachte Finanzkrise bildet, regelt die Vergütungsfrage nicht primär im Hinblick auf Finanzinstitute. Von den sechs Vergütungsbestimmungen betreffen deren fünf ganz allgemein die Publikumsgesellschaften.115 Sie betreffen nur – aber immerhin – diejenigen Banken, welche in dieser Organisationsform auftreten. Die Vergütungsbestimmungen selbst enthalten 111 Für einen Überblick siehe Ferrarini, Compensation in Financial Institutions, Rn. 11.02 ff. Für Einzelanalysen siehe FSA, Policy Statement 09/15, Rz. 1.18; FSF, Enhancing Market and Institutional Resilience, S. 8; FSF, Sound Compensation Practices, S. 1. Zu den vergütungsbasierten Leistungsanreizen im Fall Deutsche Bank vor und nach Lehman Brothers: Prigge, Remuneration-based incentives in a global bank before and after Lehman: the case of Deutsche Bank, in: Mallin (Hrsg.), Handbook on Corporate Governance in Financial Institution, 2016, S. 64 ff. 112 75 Fed. Rgg. 36,305 (25. Juni 2010). 113 Sec. 39 (g) und (d/1) Federal Deposit Insurance Act, 12 U.S.C. 1831p-1(g), 1831p1(d/1). 114 Guidance on Sound Incentive Compensation Policies (Fn. 102), 17 Fed. Reg. 36,405 (25. Juni 2010), Fn. 3: Bezugnahme auf die Principles for Sound Compensation Practices des FSB (April 2009) und die Implementation Standards des FSB (September 2009). 115 Sec. 951 bis 955 Dodd-Frank Act.

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Neuformulierungen für den Securities and Exchange Act und entsprechende Kompetenzdelegationen an die Securities and Exchange Commission. Vorgeschrieben werden unter anderem eine Konsultativabstimmung über die Vergütung des Managements – ähnlich wie dies die SDR II nun als Mindeststandard in der EU vorsieht.116 Auch die Claw-Backs werden im DoddFrank Act geregelt.117 Im Unterschied zur CRD IV ist kein Nachweis der persönlichen Beteiligung eines Managementmitglieds erforderlich.118 Weiter enthält das einschlägige Gesetzeskapitel Bestimmungen über konsultative Abstimmungen betreffend Abgangsentschädigungen, Bestimmungen über die Unabhängigkeit des Vergütungsausschusses und Transparenzbestimmungen über die Vergütungsverhältnisse im Dodd-Frank Act. Die bankspezifische Vergütungsregelung ist in Sec. 956 des Dodd-Frank Acts enthalten. Wie die übrigen Vergütungsbestimmungen verzichtet sie auf konkrete Anforderungen an die Vergütungspolitik; auch hier werden also – gleich wie bei den gemeinsamen Leitlinien von 2010 – die FSB Implementation Standards nicht umgesetzt. Der massgebliche Inhalt von Sec. 956 besteht darin, die „appropriate Federal regulators“119 zur Formulierung von gemeinsamen Regulierungen oder Richtlinien über die Offenlegung von anreizbasierten Vergütungsstrukturen bei Finanzinstituten zu verpflichten.120 Besonders schädlich eingestufte Vergütungsstrukturen sollen zudem einem Verbot unterliegen.121 Die Vorgabe trifft die Banken unabhängig von ihrer Organisationsform, nicht aber von ihrer Grösse. Finanzinstitute mit einer Bilanz von weniger als USD 1 Mrd. sind von der Regelung nicht betroffen.122 Im Gegensatz zur „Interagency Guidance“ über die Vergütungspraxis von 2010 wartet Sec. 956 des Dodd-Frank Act immer noch auf seine Umsetzung. Zwar wurden in den Jahren 2011 und 2016 Regulierungsvorschläge publiziert; letzterer hat wesentliche Teile der bereits angewendeten „Interagency Guidance“ von 2010 übernommen und zum Teil weitergeführt. Viel Erfolg war diesen Vorstössen aber nicht beschieden. Mittlerweile ist Sec. 956 116 Sec. 951(a) Dodd-Frank Act. Ähnlich Art. 9a der Richtlinie zu den Rechten von Aktionären, EU 2017/828 vom 20. Mai 2017. Bereits die Konsultativabstimmung soll aber in den USA bereits Wirkung gezeigt haben, siehe dazu Siefer, NZG 2013, 692 f. 117 Sec. 954 Dodd-Frank Act. 118 Hummel (Fn. 89), 25. 119 Sec. 956(e) nennt die folgenden Behörden (in der Originalsprache): „Board of Governors of the Federal Reserve System, the Office of the Comptroller of the Currency, the Board of Directors of the Federal Deposit Insurance Corporation, the Director of the Office of Thrift Supervision [mittlerweile abgeschafft], the National Credit Union Administration Board, the Securities and Exchange Commission, the Fedearl Housing Finance Agency; [...]“. 120 Sec. 956(a) Dodd-Frank Act. 121 Sec. 956(b) Dodd-Frank Act. 122 Sec. 956(f) Dodd-Frank Act.

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des Dodd-Frank Acts nicht mehr in den halbjährlichen regulatory agendas der zuständigen Behörden enthalten. In der Fachpresse wird dies als Zeichen gewertet, dass die Bestimmung nicht mehr umgesetzt wird. Das betrifft allerdings nicht nur diese isolierte Bestimmung.123 Es ist, noch breiter gesprochen, Ausdruck des generellen Rückbaus des Dodd-Frank Act, den die Regierung unter Präsident Trump offen proklamiert hat.124 Ein formeller Rückbau ist in den meisten Fällen gar nicht nötig, da der Dodd-Frank Act als Rahmengesetz konzipiert ist, der ohne konkretisierende Verordnungen nicht anwendbar ist.

V. Schlussbemerkungen Für ein Land, dessen politischer Führung man regelmässig eine gewisse Affinität für Vereinfachungen nachsagt, verfügen die USA über ein geradezu unamerikanisches System der Bankenaufsicht.125 Die Rede von der „alphabet soup of financial regulatory agencies with which the United States is uniquely blessed“126 gehört dabei noch zu den milderen Beurteilungen. Selbst in Gesetzgebungs- und Regulierungskreisen heisst es, es sei „the most bizarre and tangled financial regulatory system in the world“127, „a happenstance and not a system“128. Dieser Befund spiegelt sich auch in der Corporate Governance-Regulierung der Banken. Es gibt kein einheitliches Dokument in Gestalt einer Leitlinie oder eines regulatorischen Rundschreibens. Vielmehr sind die Corporate Governance-Bestimmungen über zahlreiche Gesetze und noch zahlreichere Behördendokumente verteilt. Immerhin zeichnet sich in neueren Gesetzen wie dem Dodd-Frank Act gerade auch in Corporate Governance-Fragen die Tendenz ab, die verschiedenen Regulierungsbehörden zu einer gemeinsamen Regulierung oder jedenfalls zu abgestimmten Regulierungsinhalten zu verpflichten. Mit einem Joint Policy Making bzw. einer Coordinated Regulation können so die schlimmsten Spitzen des aufsichtsrechtlichen Himalaya-Systems etwas ausgebügelt werden.

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Erst als „proposed rule“ existieren die Regeln zur „Pay-versus-Performance“ (Sec. 953 [a]), zu den Clawbacks (Sec. 954). Erst teilweise umgesetzt wurde die Regel über die Say-on-Pay-Rule (Sec. 951). Für eine aktuell gehaltene Standortbestimmung bei der Umsetzung des Dodd-Frank Act siehe , zuletzt besucht am 12.12.2019. 124 Siehe dazu Triantafyllakis (Fn. 8), 856 ff. 125 Fortune, 14. Januar 2015 („Jamie Dimon [CEO von JPMorgan Chase] calls regulation un-american, again“). Siehe auch das Zitate in Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 98. 126 Barr/Jackson/Tahyar (Fn. 3), 65. 127 William Proxmire, chairman of the Senate Banking Committee, zitiert in Carnell/ Macey/Miller (Fn. 3), 98. 128 William Seidman, FDIC Chairman, zitiert in Carnell/Macey/Miller (Fn. 3), 98.

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In einem Festschriftbeitrag möchte man mit einer positiven Note enden. In dieser Hinsicht hat sich die Themenwahl als nicht besonders glücklich erwiesen. Ein Detail, das sowohl die Autorin als auch den Jubilar freuen mag: Jüngere Corporate Governance Dokumente der Behörden lassen erkennen, dass man sich auch in den Zeiten der „America First-Doctrine“ noch an den Papieren der internationalen Gremien orientiert.

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How (not) to administer a liability rule – the German appraisal procedure for corporate restructurings ANDREAS ENGERT

Throughout many decades, Professor Klaus J. Hopt has been spearheading key developments in German and European company and financial law. Besides leading the renaissance of capital market law in Germany, he was one of the first to embrace the corporate governance movement and to bring it to Europe and Germany. Conversely, Professor Hopt has been a chief representative of German corporate law on the international stage, not least in the scholarly conversation with the U.S. The following essay in his honor takes up an important topic in the law of corporate restructurings on both sides of the Atlantic: the protection of minority shareholders against transactions that consume or fundamentally alter their membership rights. The common theme in most jurisdictions is seeking the proper balance between allowing majority decision-making on restructurings while preserving the economic value of the minority’s stake. In recent years, the appraisal remedy and merger-related fiduciary duties In the U.S. have received much attention. By contrast, the appraisal procedure (“Spruchverfahren”) under German law seems to be less known in international circles.1 The Festschrift in honor of Klaus Hopt provides a welcome opportunity to introduce the German experience to the international debate. The essay starts out by framing minority appraisal claims as liability rules in the well-known taxonomy of Calabresi and Melamed; the majority is allowed to impinge on the minority’s entitlement but only in exchange for full monetary compensation. After explaining the legal mechanics of the German appraisal procedure, a major design flaw is pinpointed: The appraisal right confers an option value on the minority that the parties cannot bargain away. For a controlling shareholder, the best response is to offer

1 See Alexandros Seretakis, Appraisal Rights in the US and the EU, in: Thomas Papadopoulos (ed.), Cross Border Mergers: EU Perspectives and National Experiences, 2019, 65, 76 (alleging that “the appraisal remedy remains a sparingly utilized weapon in the arsenal of shareholders in the EU”); contrast this with the data reported infra n. 30.

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less than fair consideration. The appraisal procedure thus contributes to the ill that it is meant to cure. The essay concludes with directions for potential reforms.

I. Majority decision-making in corporate restructurings as a liability rule Major corporate restructurings such as mergers, divisions or squeeze-outs serve to transfer control or to streamline the corporate structure. They help to save costs, to implement value-enhancing strategies and to exploit synergies. On the flip side, corporate restructurings offer opportunities for corporate controllers to expropriate outside investors. To prevent their abuse, the law seeks to ensure that dissenters retain at least the full value of their shareholdings before the restructuring. Mergers are an example in point. They aim at combining two businesses or at consolidating the corporate structure within a group. When the law of a jurisdiction permits mergers, it typically requires shareholder resolutions by simple or qualified majority. Yet the majority may well be subject to a conflict of interest, such as when a controlling shareholder is or owns the other merging entity. Corporation law therefore strives to ensure that the consideration for shares surrendered in a merger is fair. In the taxonomy of Calabresi and Melamed,2 majority decision-making over mergers and other restructurings constitutes a “liability rule”: The majority can encroach on the minority’s entitlement without the latter’s consent, but only in exchange for full compensation either in cash or in the form of an equivalent entitlement in the new corporate structure. This precludes transactions that only transfer wealth to the majority. The only remaining motive for the majority then is to benefit from an increase in the total value of the firm. A liability rule thus grants unfettered authority to the majority in exchange for full compensation of the minority. By contrast, a “property rule” would insist on a shareholder’s consent for any restructuring that affects her legal entitlement. This would empower even a small minority to veto a transaction and to extract private benefits. Alternatively, a property rule might regulate the allowable corporate restructurings. For instance, it could admit mergers without universal consent but conditional on a valid business purpose. This would effectively shift decision-making over corporate restructurings from the board and the shareholders meeting into the courtroom—hardly a desirable institutional arrangement. In addition, challenging the economic rationale of a transaction would impose a lengthy 2 Guido Calabresi/A. Douglas Melamed, Property Rules, Liability Rules, and Inalienability: One View of the Cathedral, Harvard Law Review 85 (1972), 1089, 1092.

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and costly delay, which would again provide an opportunity for extorting ransom. Overall, a property rule seems unappealing for all but the smallest firms. With the liability rule as the remaining option, the task lies in ensuring full compensation while minimizing the administrative burden in terms of delay and other costs. The benchmark in the U.S. is the corporation law of Delaware. It provides two procedural avenues to protect the value of the minority’s shareholding. The more prominent one is a direct (class) action against the board of directors: Shareholders can contend that directors have violated their fiduciary duties in arranging or approving a merger.3 If a controlling shareholder is on the other side of the transaction, the Delaware courts apply the exacting “entire fairness” standard to review and possibly adjust the terms of the merger.4 Absent a controlling shareholder, judicial scrutiny is much lighter and fails to sustain ex post changes to the consideration.5 The second safeguard is the statutory appraisal right under § 262 Delaware General Corporation Law. Briefly put, it gives the opposing minority a right to surrender its shares for their fair value, which the Delaware Court of Chancery is called upon to determine “tak[ing] into account all relevant factors.”6 A wallflower for many decades, the appraisal remedy has come to life in the past fifteen years and is among the most discussed topics in U.S. corporate law today.7 3 Note that § 251(b)(5) Delaware General Corporation Law permits a merger for consideration other than shares in the resulting corporation and thereby allows “cash-out” mergers to “freeze out” minority shareholders. 4 See, seminally, Weinberger v. UOP, 457 A.2d 701, 703–704, 711–715 (Del. 1983) (developing an “expanded appraisal remedy” for a breach of fiduciary duty and the corresponding entire fairness test). 5 The leading cases are Unocal v. Mesa, 493 A.2d 946, 954–955 (Del. 1985) (imposing an “enhanced duty” on directors facing a hostile takeover attempt); Revlon v. MacAndrews & Forbes, 506 A.2d 173, 182 (Del. 1986) (developing a duty to obtain “the best price for the stockholders at the sale of the company”); but see Corwin v. KKR Financial Holdings LLC, 125 A.3d 304, 312 (Del. 2015) (explaining that the Unocal and Revlon standards are meant to provide injunctive relief rather than ex post damage claims). 6 § 262(h) Delaware General Corporation Law. Surprisingly, no appraisal right is available for exchange-listed shares if the consideration under the merger terms consists in shares (“market-out exception”), § 262(b) Delaware General Corporation Law. The Delaware legislature in 2016 responded to the recent upsurge in appraisal litigation with an additional de minimis exception, see § 262(g) Delaware General Corporation Law. 7 See Wei Jiang/Tao Li/Danqing Mei/Randall Thomas, Appraisal: Shareholder Remedy or Litigation Arbitrage, J. L. & Econ. 59 (2016), 697, 704–706 (documenting the increase of appraisal claims made from low single-digit percentages to up to a quarter of eligible transactions starting in the mid-2000s); Audra Boone/Brian Broughman/Antonio J. Macias, Merger Negotiations in the Shadow of Judicial Appraisal, J. L. & Econ. 62 (2019), 281, 295–296 (likewise); see also Scott Callahan/Darius Palia/Eric Talley, Appraisal Arbitrage and Shareholder Value, J. L. Fin. & Acct. 3 (2018), 147, 148–149 (summarizing the reasons for the increase). For the legal debate, see, e.g., Lawrence A. Hamermesh/Michael L. Wachter, Finding the Right Balance in Appraisal Litigation: Deal Price, Deal Process, and

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Despite recent developments, protection offered by Delaware law is rather limited: Fiduciary duty class actions are effectively confined to transactions with controllers and appraisal provides only an exit right to individual shareholders. This contrasts with the more generous safeguards afforded by German law, to be summarized in the following section. The closer analysis will reveal that the German approach is not only broader but also creates perverse incentives for bargaining over the minority’s position. Designing a liability rule is trickier than first meets the eye.

II. Spruchverfahren – appraisal proceedings, German style As other corporate restructurings, a merger under German law requires a shareholder votes with a three-quarters majority.8 Besides the self-interest of the majority, the Restructuring Act9 enlists three additional gatekeepers on behalf of the minority: Firstly, the management and supervisory boards of the merging corporations have to provide an extensive report on the adequacy of the exchange ratio;10 shareholders have a direct claim against directors if they breach their fiduciary duty by allowing consideration to be unfair.11 Secondly, the court appoints an independent auditor to examine the merger agreement.12 In her report, the auditor details the valuation methodology and concludes with an explicit determination as to the fairness of the exchange ratio.13 Finally, the exchange ratio is subject to review by the court: shareholders of an acquired corporation—but not those of the acquirer—can initiate appraisal proceedings (“Spruchverfahren”) to claim an additional cash payment complementing an insufficient consideration in the merger terms.14 The German appraisal claim differs from its Delaware counterpart in that shareholders can petition for court appraisal without abanSynergies, Bus. Law. 73 (2018), 961; see also, in German, Holger Fleischer/Christian Kolb, Abfindungsarbitrage und Unternehmensbewertung, Die Aktiengesellschaft 2019, 57. 8 §§ 50(1), 65(1) Restructuring Act (Umwandlungsgesetz, UmwG). An English translation is available at (last accessed 01/01/2020). 9 Supra n. 8. 10 Different from Delaware (supra n. 3), German law in general permits only shares in the acquiring corporation as consideration in a merger, excluding cash-out mergers, see § 5(1) no. 3 Restructuring Act and the narrow exception in § 62(5) Restructuring Act. 11 §§ 8(1), 25, 26 Restructuring Act. 12 Either one separate auditor for each corporation or, upon joint application of the parties, a single auditor for all corporations, see § 10(1) Restructuring Act. 13 § 12(2) Restructuring Act. 14 §§ 14(2), 15 Restructuring Act. The procedural rules are contained in the Appraisal Procedure Act (Spruchverfahrensgesetz, SpruchG). No English translation of the Act is available. The German text can be found at (last accessed 01/01/2020).

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doning their shareholding. It is not an exit right but serves to correct an unfair price term in the merger agreement.15 Also, petitioners need not have opposed the merger in the shareholder vote.16 The German appraisal procedure likely is the most active area of merger and restructuring litigation in Germany.17 The fact that only shareholders of the acquired, not the acquiring, corporation can seek appraisal has been criticized not so much because it denies minority shareholders of the acquirer protection but because it preserves their right to seek injunctive relief against an allegedly unfair price.18 The enormous cost of delaying a major transaction until a valuation dispute has been resolved is, in fact, a primary reason to establish an appraisal procedure: It allows the majority to proceed and leaves valuation to ex post litigation,19 which is well in line with Calabresi’s and Melamed’s concept of a liability rule. The procedural rules of the German appraisal right strongly encourage enforcement. An award to a single claimant has inter omnes effect and benefits all shareholders of the corporation.20 If the petitioner loses, she has to bear her own expenditures but not those of the defendant corporation.21 If the court finds for the petitioner, it can order the defendant to cover her expenses.22 In 15 Shareholders have an exit right if the acquiring entity is of a different legal form or shares in the acquired corporation were listed at a securities exchange while those of the acquiring corporation are not, § 29(1) Restructuring Act. 16 Unlike § 262(a) Delaware General Corporation Law (restricting the appraisal right to shareholders who have not voted in favor of the merger). 17 The appraisal procedure applies in the cases enumerated in § 1 Appraisal Procedure Act. Besides cash supplements and exit rights in mergers, divisions and transformations, these instances include monetary compensation for profit transfer or domination agreements, for the integration (“Eingliederung”) of one stock corporation in another and for shareholder squeeze-outs. See infra n. 30 for data on the incidence of appraisal proceedings. 18 See, e.g., Walter Bayer/Sven Möller, Beschlussmängelklagen de lege lata und de lege ferenda, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2018, 801, 806. See also the reform proposal by the Commercial Law Committee (“Handelsrechtsausschuss”) of the German Bar Association (“Deutscher Anwaltsverein”), Gero Burwitz, Handelsrechtsausschuss des DAV: Gesetzgebungsvorschlag zum Spruchverfahren bei Umwandlung und Sachkapitalerhöhung und zur Erfüllung des Ausgleichsanspruchs durch Aktien, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2007, 497; Uwe Hüffer, Ausgleichsanspruch und Spruchverfahren statt Anfechtungsklage beim Verschmelzungsbeschluss oder Kapitalerhöhungsbeschluss des übernehmenden Rechtsträgers, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 172 (2008), 8, 12–15. 19 Accordingly, the German legislator has filled the gap by introducing yet another type of liability rule, which eliminates the blocking effect of actions to set aside shareholder resolutions, see for mergers § 16(3) Restructuring Act. 20 See § 13 Appraisal Procedure Act (stating inter omnes effect of judgment). 21 If the court views the complaint as frivolous, it can impose court fees on the petitioner under § 15(1) Appraisal Procedure Act. 22 See § 15(2) Appraisal Procedure Act. Litigators report that experienced petitioners tend to hire an attorney only when the complaint turns out to be successful, see Johannes

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addition, the defendant corporation has to pay court fees and costs, including the very significant cost of expert opinions, as well as attorney fees for a “common representative” of the non-complaining shareholders.23 Overall, the cost burden of litigating the appraisal claim is borne almost entirely by the defendant.

III. The option value of the German appraisal procedure The German appraisal right favors petitioners also on substance: The court can increase but not reduce the consideration owed to the shareholders of the acquired corporation. It is all opportunity and no risk for the claimants, and therefore too good a chance to pass up in most restructurings. In the following, a rather simple point will be made: By inducing shareholders to challenge even perfectly adequate restructuring terms, the remedy precludes the acquiring corporation from making a fair offer in the first place. This asymmetry produces the very unfairness that the appraisal procedure is meant to correct. The main issue in reviewing the fairness of consideration in a merger is the valuation of the firms involved. Each of the merging entities has to be valued to determine how many shares in the acquirer are needed to fully compensate the shareholders of the acquired corporation. Assessing the going-concern value of a business is fraught with difficulty and uncertainty.24 It is quite likely that any two experts, if asked separately to value the same firm, will come up with very different estimates. As the appraisal procedure Deiß, Die Vergütung der Verfahrensbevollmächtigten und des gemeinsamen Vertreters im Spruchverfahren, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2013, 248, 249. See also Jens Erick Gotthardt/Marcel Krengel, Reformbedürftigkeit des Spruchverfahrens, Die Aktiengesellschaft 2018, 875, 875–877 (describing strategies to raise appraisal claims to extort sidepayments in settlements); Klaus Henselmann/Michael J. Munkert/Nadine Winkler/ Claudia Schrenker, 20 Jahre Spruchverfahren – Empirische Ergebnisse zur Abfindungserhöhung in Abhängigkeit vom Antragsteller und von den Bewertungssubjekten, Die Wirtschaftsprüfung 2013, 1206, 1208–1209 (providing evidence on the role of professional mass-claimants in appraisal proceedings). 23 See § 6(2) Appraisal Procedure Act. 24 A summary of the reasons is provided in Steven M. Davidoff, Fairness Opinions, Am. U. L. Rev. 55 (2006), 1557, 1573–1585; see also Albert H. Choi/Eric Talley, Appraising the “Merger Price” Appraisal Rule, J. L. Econ. & Organ. 34 (2018), 543, 544 (“Expert testimony […] usually clouds more than it clarifies, with opposing experts typically delivering valuation opinions that diverge substantially. [… A]ppraisal invariably forces the factfinder to wander far into the underbrush of financial valuation techniques […] to divine fair value, a disquieting challenge for generalist judges.”); from the perspective of a German judge, see Matthias Katzenstein, Schätzung des Unternehmenswerts nach Maßgabe von § 287 Abs. 2 ZPO im Spruchverfahren, Die Aktiengesellschaft 2018, 739, 740–742 (arguing for restricting appraisal to an examination of the valuation opinion by the court-appointed auditor).

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calls for an independent review, one can think of it as obtaining a second opinion from the court. Combined with the asymmetric nature of the remedy, the shareholders of the acquired corporation find themselves in a most fortunate position. The merger agreement entitles them to a certain number of shares based on a valuation of the merging entities by the boards of directors and the merger auditor. The appraisal procedure adds to this the chance to win a cash supplement based on another roll of the dice—if the court happens to arrive at more favorable valuations. Financially speaking, the appraisal claim amounts to an option to receive a positive difference between the fair equivalent as determined by the court and the consideration stipulated in the agreement. Shareholders obtain the option almost for free, given the favorable fee shifting rules. Pursuing the option analogy further, the strike price corresponds to the consideration stipulated in the merger agreement. If the acquirer had only the goal of minimizing the value of the shareholders’ option, it could raise the consideration promised in the merger agreement. Yet a higher consideration costs the acquirer strictly more than it reduces the option value of the shareholders: It has to be paid with certainty, whereas the probability of the court awarding an additional (marginal) Euro will often be less than one. Figure 1 illustrates this point. Consider first the left pane. The dashed line depicts the probability that the court holds the full compensation to be at least an amount x. The probability is 1 for values of x which every court will require as full compensation. In the uncertainty range, the probability of a court finding full compensation to amount at least to x declines from 1 to 0. Finally, no court demands any amount of compensation to the right of the uncertainty range. Engert_Abb_01.tif

Figure 1: Shareholders’ expected value from consideration C stipulated in the merger agreement and from invoking the appraisal procedure. The dashed line indicates the probability that the court finds that full compensation amounts to at least x (assuming a uniform probability distribution). The light grey area to the left of C represents the expected value from consideration C, which is received with certainty. The darker grey area is the expected value of the cash supplement awarded by the court.

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The hatched and grey areas can be interpreted as weighting each possible Euro of compensation by the probability with which it is received by the shareholders. The hatched area is the expected value from the consideration promised by the acquirer in the merger terms (marked as C in the chart). The grey region is the expected value of the additional cash payment awarded as a result of appraisal proceedings. In the left part of Figure 1, the merger agreement undercompensates the shareholders by keeping the consideration below what any court would require as fair. The right-hand side of Figure 1 depicts the case that consideration in the merger agreement is set closer to the likely fair price. If valuation errors of the court spread symmetrically around the true value, consideration is fair if C is set exactly in the middle of the uncertainty range. But striving to offer full compensation to shareholders does not serve the acquirer well, as one can tell from comparing the two sides of Figure 1. The expected value of the shareholders from the consideration given under the restructuring terms (the hatched area) and the cash supplement (the shaded area) comes at the acquirer’s expense. One immediately sees that the high consideration in the right pane is more costly to the acquirer than setting the exchange ratio too low and waiting for the court to adjust compensation. The reason is the asymmetry of the appraisal procedure. If the judgment award superseded the consideration offered in the merger agreement, shareholders would run a risk of getting less compensation. Offering a fair exchange ratio would become an attractive strategy for the acquirer as she could hope to avoid litigation by dissuading shareholders from invoking the appraisal procedure. Figure 1 even suggests that the merger terms never set consideration above the minimum award in an appraisal procedure. Any consideration C in the uncertainty zone of Figure 1 would increase the total cost of compensating the shareholders. One complication is that, at least in a merger of independent firms, the consideration likely also reflects the intended sharing of the gains from the transaction. It then depends on whether fairness requires only compensation for the share value without the merger (reflecting the “stand alone” value of the acquired corporation) or whether it extends to a “fair” sharing of gains, such as from merger synergies.25 The stand-alone ap-

25 The prevailing view under German law favors the stand-alone approach, see Rainer Hüttemann, Neue Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung im Gesellschaftsrecht, Corporate Finance 2016, 467, 469–470 (limiting the minority’s compensation to the proceeds from a hypothetical liquidation); but see Tim Drygala, in: Walter Bayer/Jochen Vetter (eds.), Lutter, Umwandlungsgesetz, 6th ed. 2019, § 5 UmwG para. 28 (arguing that fair merger consideration must reflect the valuation ratios of the merging entities, which results in a gains-sharing rule). For the U.S., see § 262(h) Delaware General Corporation Law (excluding merger-related effects on valuation); DFC Global v. Muirfield Value Partners, 172 A.3d 346, 368 (Del. 2017) (excluding “any portion of value that might be attributed to a synergy premium”).

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proach could reduce the appraisal procedure’s option value if the merger agreement gives shareholders more than the minimum compensation based on a stand-alone valuation of the acquired corporation. Another aspect is that appraisal litigation is time consuming. Procedures typically take several years to be resolved.26 The statute provides for a rather generous interest rate on the cash supplement.27 This effectively imposes a percentage penalty for any shortfall in compensation, creating an incentive to offer a higher consideration in the first place. The prediction derived from Figure 1—that merger terms will undercompensate shareholders—has not been tested empirically. Full compensation would imply that the consideration equals the expected value of the court’s fairness assessment. Assuming that the probability distribution of the court’s valuation is symmetric as in Figure 1, a fully compensatory C would need to be set in the middle of the uncertainty range. This would imply that a cash supplement should be paid in 50% of cases. Otherwise, if less than fair consideration is offered, one should expect to observe cash awards from the appraisal remedy in more than 50% of restructurings. On a naïve reading, the data seem to confirm the undercompensation hypothesis: Roughly 80% of appraisal proceedings result in a positive cash supplement.28 Yet many of these outcomes arise in settlements and could reflect a defendant’s payment to rid itself from the nuisance and expenses of prolonged appraisal litigation.29 Also, little reliable data exists regarding how many restructurings lead to appraisal proceedings.30 As promising cases are more likely to be litigated, a proper empirical test needs to control for selection effects. 26 See Karl Peter Puszkajler/Tino Sekera-Terplan, Reform des Spruchverfahrens?, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2015, 1055, 1056 (reporting slightly over 9 years mean time to resolution for proceedings initiated before the 2003 reform; the corresponding average reported for post-reform proceedings is 4 years but likely suffers from selection bias because the sample contains only proceedings that had been concluded by 2015); Klaus Henselmann/ Michael J. Munkert/Nadine Winkler/Claudia Schrenker, 20 Jahre Spruchverfahren – Empirische Ergebnisse zum gerichtlichen Verfahrensgang und zum Ausgang von Spruchverfahren, Die Wirtschaftsprüfung 2013, 1153, 1157 (finding a decline of mean duration of 6.6 years to 2.9 years in a different, hand collected sample subject to the same selection bias as the previous study); Ettore Croci/Olaf Ehrhardt/Eric Nowak, The corporate governance endgame – minority squeeze-out regulation and post-deal litigation in Germany, Managerial Finance 43 (2017), 95, 104 (mean duration of around four years in appraisal proceedings following a statutory squeeze-out under § 327a Stock Corporation Act [“Aktiengesetz”]). 27 Namely five percentage points atop the statutory base rate, which in turn reflects the refinancing rate of the European Central Bank, see § 15(2) Restructuring Act, § 247 Civil Code (Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Pre-judgment interest in Delaware is similarly generous, § 262(h) Delaware General Corporation Law. 28 Henselmann/Munkert/Winkler/Schrenker (n. 26), 1158; Puszkajler/Sekera-Terplan (n. 26), 1057. 29 As conjectured by Henselmann/Munkert/Winkler/Schrenker (n. 26), 1159. 30 But see Croci/Ehrhardt/Nowak (n. 26), 102, Table I (reporting appraisal or other litigation in 82.7% of statutory squeeze-outs); Christian Aders/Hannes Kaltenbrunner/

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IV. Promoting bargaining over fair consideration Under a standard liability rule à la Calabresi and Melamed, if one party interferes with the other’s entitlement, there is still an incentive to bargain over the level of compensation. Costly litigation only occurs if the parties fail to agree. The German appraisal procedure with its asymmetry and inter omnes effect defeats this natural tendency to save litigation costs. The minority can realize the option value from the appraisal proceedings only by initiating them. As a result of this, the majority has reason to offer less than a fair consideration because it must subtract the minority’s option value, plus the cost of appraisal proceedings. This is an unfortunate state of affairs. Appraisal litigation is costly and should be used sparingly, not as the routine procedure for administering the liability rule for restructurings. Ideally, court appraisal should act as a deterrent to encourage drafters of restructuring plans to stipulate a fair consideration. The above analysis highlights the asymmetric risk profile of the appraisal procedure for minority shareholders as a cause of its indiscriminate use. Accordingly, one potential reform is to introduce a downside for petitioners. On its face, the appraisal remedy in Delaware is symmetric: The Court of Chancery could determine a fair value that is less than the consideration offered in the merger agreement. In theory at least, shareholders have to weigh the chance of obtaining a higher compensation in court against the threat of receiving less than the consideration under the terms of the merger. They will take the risk of exercising the appraisal right only if they perceive the restructuring as unfair. Could German law adopt a similar, more symmetric approach to appraisals? The Delaware appraisal right affects only the individual shareholders exercising it. The German appraisal, by contrast, is effectively a collective redress procedure in which petitioners act as class representatives. This is hardly compatible with imposing a downside risk on the petitioner or even on all minority shareholders. An alternative approach at reducing the option value of appraisal proceedings is to reduce the variance of awards by linking court appraisal to the outcome of bargaining over the merger terms. The key idea is to reward procedural fairness in the original valuation and to rely on it when it seems to reflect an impartial assessment. A 2003 reform of the German appraisal procedure took this path by, on the one hand, strengthening the independence of restructuring auditors and, on the other hand, allowing the court to base its own valuation on the auditor’s analysis instead of hearing different Bernhard Schwetzler, Die Kosten des “Taking Private” in Deutschland – Eine empirische Untersuchung, Corporate Finance 2016, 295, 298, Table 1 (showing large incidence of appraisal and other litigation in a sample of taking-private transactions).

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expert witnesses and conducting a new valuation from scratch.31 In a sample of 262 appraisal procedures, the mean awards declined considerably from a 26.3% cash supplement (as a percentage of the original consideration offered) to 14.1% after the reform took effect.32 There is even limited evidence to suggest that the minority simultaneously received higher offers in the original restructuring terms, as one would expect based on the above analysis.33 A less sanguine view is that the original auditor may be captured by a dominant party in the transaction.34 It seems plausible that even a court appointed auditor will not give much assurance that a bargaining outcome is fair, particularly if a controlling shareholder is on the other side of the transaction. This begs the question which conditions would justify greater confidence in the negotiated terms of a restructuring. In this respect, German law could draw inspiration from recent developments in the jurisprudence of Delaware. For the fiduciary duty analysis in the presence of a controlling shareholder, a landmark ruling of the Delaware Supreme Court now grants de facto immunity under the business judgment rule if a deal has been negotiated by a special committee of independent directors and, in addition, has been ratified by a majority of the shareholder minority.35 As regards the appraisal remedy, the same court has refused to specify a presumption for when the agreed-upon price can serve as reliable indicator of fair value; it has, however, emphasized the probative weight of a price resulting “from a robust market check”.36 Putting greater weight on a fair bargaining process in corporate restructurings could be a promising strategy for the German appraisal procedure as well. Unfortunately, the Federal Constitutional 31

See supra n. 12, § 7(3), (6), § 8(2) Appraisal Procedure Act and the draft bill for an Act to Reform the Appraisal Procedure under Corporation Law (“Spruchverfahrensneuordnungsgesetz”), Bundestags-Drucksache 15/371, pp. 14–15, 18. Before the reform, appointment by the court had been an option. See also Katzenstein (n. 24), 741–742 (contending that the court should as a rule confine itself to evaluating the methodology used by the original auditor). 32 Puszkajler/Sekera-Terplan (n. 26), 1057 (for 108 observations before and 154 observations after the reform); see also Croci/Ehrhardt/Nowak (n. 26), 115 (reporting a decline from 35.0% to 19.7% with statistical significance at the 10% level in a sample of 119 appraisal procedures after a statutory squeeze-out). 33 Croci/Ehrhardt/Nowak (n. 26), note 33 (observing a rise in offer premia from squeezeouts). 34 This is suspected by Puszkajler/Sekera-Terplan (n. 26), 1058. 35 Kahn v. M & F Worldwide, 88 A.3d 635, 642–646 (Del. 2014). For an empirical assessment of the effects, see Fernán Restrepo, Judicial Deference, Procedural Protections, and Deal Outcomes in Freezeout Transactions: Evidence from the Effect of MFW, available at (last accessed 01/01/2020) (finding no significant changes in deal premia and the success rate of transactions). 36 DFC Global v. Muirfield Value Partners, 172 A.3d 346, 366–372 (Del. 2017); Dell v. Magnetar Global Event Master Fund, 177 A.3d 1, 21–23 (Del. 2017).

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Court has limited this approach by insisting that court appraisal cannot confine itself to reviewing the fairness of the bargaining process.37 This holding precludes the court from rubber-stamping the deal price in appraisal proceedings. It should not be read, however, to rule out a more nuanced consideration of how the terms of a corporate restructuring have been reached.

neue rechte Seite! 37

Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht), decision of 5/24/2012, docket 1 BvR 3221/10, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2012, 1656, para. 27 (arguing that bargaining reflected manifold business considerations besides setting appropriate consideration for shares consumed in a merger).

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Inside information in protracted processes and the MAR review Guido Ferrarini

Inside information in protracted processes and the MAR review* GUIDO FERRARINI

Thirty years ago, in October 1989, Klaus Hopt and Eddy Wymeersch convened an international conference in Munich to study the then emerging topic of European insider trading and the economic and policy issues concerning the new Directive 89/592.1 The book which followed in 1991 including the conference papers2 was the first major publication on this topic and set the model for similar volumes which in the following years would cover other topics of European securities regulation and corporate law.3 The Hopt-Wymeersch interdisciplinary approach to European scholarship in financial law and company law has been enthusiastically followed over the past thirty years by an increasing number of colleagues and friends, including the present author who acknowledges his debt of gratitude to Klaus and Eddy for having taken the lead of an academic network that has produced significant outcomes in several areas of European law.

I. Scope and purpose of this paper The present paper deals with insider dealing4 and in particular with the temporal dimension of inside information from the perspective of the Mar-

* A first draft of this paper was presented at the Insider Trading Conference held at the Faculty of Economics and Management of the Free University of Bozen-Bolzano on 25–26 October 2019. The author is grateful to conference participants for the stimulating discussion and to Stefano Lombardo for providing very useful insights. 1 The Directive was adopted shortly afterwards, in November 1989: see Council Directive 89/592 coordinating regulations on insider dealing. 2 Klaus Hopt and Eddy Wymeersch (eds.), European Insider Dealing – Law and Practice, Butterworth 1991. 3 See, for another successful volume, Klaus Hopt and Eddy Wymeersch (eds.), European Takeovers – Law and Practice, Butterworth 1992. 4 The subject of European insider trading was magisterially analyzed by Klaus Hopt not only in the volume cited at note 2, but also in his paper ‘The European Insider Dealing Directive’ Common Market Law Review (1990) 27, 51–82.

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ket Abuse Regulation (MAR) and its pending review (MAR Review).5 This paper focuses particularly on situations where the formation of inside information occurs in stages over a more or less extended period of time. The MAR defines these situations as “protracted processes”, a conceptual innovation with respect to the Market Abuse Directive (MAD) which did not specifically mention this type of cases. However, as argued below, the relevant questions were already posed in similar terms and found similar answers under the MAD. From a general perspective, if we consider the production of information concerning an issuer of financial instruments, we can distinguish between two broad categories of news depending on the time needed for each to mature. On one side, there is instantaneous and sudden news, such as the death of the CEO in an accident or the explosion of a factory causing serious damage to the issuer. This news often becomes public a short time after the event. On the other side, there is news that matures over an extended period of time, which could last for days or months depending on the circumstances. Frequent examples of this type of information are found in M&A transactions (such as a significant corporate acquisition by the issuer or a merger between the issuer and a third party) and in corporate governance (e.g. the resignation or dismissal of the CEO). Similar events may take time to mature and often do so through intermediate steps, including negotiations between the parties concerned and deliberations by the board of directors or its committees (or by the management board and the supervisory board in a two-tier system). The MAR reflects the temporal dimension of inside information in the notion of “protracted process”, which is defined as a process that occurs in stages and consists of intermediate steps leading to an event or set of circumstances which may constitute inside information. The main question arising in this respect is whether also the “intermediate steps” in a protracted process may constitute inside information. Consider the example of a corporate acquisition by an issuer. Not only the signing of a share purchase agreement, but also prior events, such as the adoption by the board of a resolution authorizing the transaction or the signing of a letter of intent between the managers of the relevant parties may constitute inside information. Two problems must be solved as a consequence. At which moment in time does the insider dealing prohibition apply in a protracted process? When should the inside information in a protracted process be disclosed?

5 Article 38 MAR requires the European Commission to present a report to the European Parliament and the Council to assess various provisions of MAR. Consequently, the EC addressed to ESMA a formal request for technical advice on the report to be submitted pursuant to Article 38, and ESMA issued the Consultation paper ‘MAR review report’, 3 October 2019, ESMA70-156-1459.

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From a policy perspective, there are costs and benefits to each possible solution.6 Issuer disclosure is beneficial to markets such as those in Europe that are characterized by semi-strong efficiency, i.e. markets where prices reflect only public information, thereby making prices more informative.7 In addition, continuous disclosure contributes to market abuse prevention by reducing the opportunities for insider dealing.8 However, early disclosure may be detrimental to issuers, for example because the deal they intend to conclude would likely fail if the news became public prematurely. Moreover, disclosure of an event or circumstance which is still premature may be prejudicial to sound market functioning, particularly if the event or circumstance fails to materialize. In addition, early disclosure may reduce the incentives of analysts and sophisticated investors to engage in research.9 Striking a balance between these costs and benefits is a difficult task.10 In this paper, firstly I ask when information becomes “inside information” in a protracted process with the consequences contemplated by the MAR, such as the application of the insider dealing prohibition and the requirement for timely disclosure (n. 2–4). Secondly, I consider the regime for delayed disclosure which is found in the MAR and moderates the rigor of continuous disclosure. Indeed, the insider trading prohibition applies as soon as the inside information arises, but disclosure of the same information can be postponed to a later moment in time, if the information is not yet mature and/or its early publication would be harmful to the issuer and to the market (n. 5). Thirdly, I pose the policy question whether and to what extent the MAR should be amended to assure better enforcement of the duty to timely disclose inside information (n. 6–7).

II. The problem of inside information in protracted processes The issues discussed with respect to protracted processes presuppose the MAR definition of inside information as “information of a precise nature”.11 6

For deep analysis of these costs and benefits, see Sergio Gillotta and Federico Raffaele, ‘Informazione privilegiata e “processi prolungati”’ Rivista delle società (2018) p. 85 ff. 7 See extensively Jennifer Payne, Disclosure of Inside Information, ECGI Law Working Paper No. 422/2019, August 2019, at 6 ff. 8 See for all Emilios Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse. A Legal and Economic Analysis, Oxford 2005, 173 ff. 9 Payne, note 7, at 9. 10 Gillotta and Raffaele, note 5, at 86. 11 See Article 7.1.(a) MAR defining inside information as: “information of a precise nature, which has not been made public, relating, directly or indirectly, to one or more issuers or to one or more financial instruments, and which, if it were made public, would be

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Information is precise “if it indicates a set of circumstances which exists or which may reasonably be expected to come into existence, or an event which has occurred or which may reasonably be expected to occur, where it is specific enough to enable a conclusion to be drawn as to the possible effect of that set of circumstances or event on the prices of the financial instruments or the related derivative financial instruments” (Article 7.2 MAR). This definition implicitly admits that inside information may become mature over a more or less extended period of time. In fact, the relevant circumstances may exist or reasonably be expected to occur. However, Article 7.2 further clarifies that “in the case of a protracted process that is intended to bring about, or that results in, particular circumstances or a particular event, those future circumstances or that future event, and also the intermediate steps of that process which are connected with bringing about or resulting in those future circumstances or that future event, may be deemed to be precise information.” The succeeding paragraph specifies what follows: “An intermediate step in a protracted process shall be deemed to be inside information if, by itself, it satisfies the criteria of inside information as referred to in this Article.” (Article 7.3) As a result, the notion of inside information retroacts to the moment (intermediate step) in which an event or circumstance occurs within a protracted process, which makes it reasonable to expect that an event or circumstance will occur at the end of the same process. Both the intermediate step and the final occurrence or event shall constitute inside information if they present the required characteristics, including the requirement that the information is precise, i.e. it is specific enough that conclusions may be drawn as to its impact on the price of the relevant financial instruments.12

III. Markus Geltl v. Daimler AG The notion of protracted process is a novelty of MAR which was however derived from the judgement of the Court of Justice of the EU (Second

likely to have a significant effect on the prices of those financial instruments or on the price of related derivative financial instruments”. 12 The direction in which the price is going to move must not be clear in advance for the information to be precise, as stated by the CJEU in Case C-628/13 Lafonta v. Autorité des marches financiers (2015) ECLI:EU:C:2015:162. For a critical analysis of the direction of the price effect, see Marco Ventoruzzo and Chiara Picciau, ‘Inside Information’, in Marco Ventoruzzo and Sebastian Mock (eds), Market Abuse Regulation. Commentary and Annotated Guide (2017) Oxford, p. 192 ff.

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Chamber, 28 June 2012) in the case of Markus Geltl v. Daimler AG.13 This case was decided under the Market Abuse Directive (MAD),14 which was in force prior to the MAR. It also made reference to Article 1(1) of Commission Directive 2003/124/EC as regards the definition and public disclosure of inside information.15 The facts of the case were straightforward. After a general meeting of Daimler AG on 6 April 2005, Mr Schrempp, Chairman of the company’s Board of Management, was thinking of resigning before the expiry of his mandate in 2008. He discussed his intentions with the Chairman of the Supervisory Board, Mr Kopper. Between June and July 2005, other members of the Supervisory Board and the Board of Management were also informed of Mr Schrempp’s plans to resign. Daimler began preparing a press release, an external statement and a letter to Daimler’s employees. On 13 July 2005, an invitation was issued convening a meeting of the Presidential Committee of Daimler’s Supervisory Board and the Supervisory Board on 27 and 28 July 2005, respectively; neither invitation mentioned a possible change of Chairman of the Board of Management. On 18 July 2005, Schrempp and Kopper agreed to propose Mr Schrempp’s early departure and Mr Zetsche’s appointment as his successor at the Supervisory Board’s meeting on 28 July 2005. Therefore, the Presidential Committee decided that it would propose to the Supervisory Board that it approve said departure and said appointment. As a result, Daimler’s Supervisory Board decided that Mr Schrempp would step down at the end of the year and be replaced by Mr Zetsche. The decision was made public in the ways required under German law. Following that announcement, Daimler’s share price rose sharply. Mr Geltl and a number of other investors had sold Daimler shares before that announcement. They brought an action against Daimler in Germany seeking compensation for what they considered to be a late ad hoc announcement. The Bundesgerichtshof referred the following questions to the CJEU for a preliminary ruling: “1 (…) in the case of a protracted process intended, over the course of a number of intermediate steps, to bring about a particular circumstance or to gen13 [2012] C-19/11, EU:C:2012:397. For a comparative analysis of the case, see Hartmut Krause and Michael Brellochs, ‘Insider trading and the disclosure of inside information after Geltl v Daimler – A comparative analysis of the ECJ decision in the Geltl v Daimler case with a view to the future Market Abuse Regulation’ (2013) 8 Capital Markets Law Journal 283. 14 Directive 2003/6/EC of the European Parliament and of the Council of 28 January 2003 on insider dealing and market manipulation (market abuse) (OJ 2003 L 96, p. 16). 15 Commission Directive of 22 December 2003 implementing Directive 2003/6 as regards the definition and public disclosure of inside information and the definition of market manipulation (OJ 2003 L 339, p. 70).

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erate a particular event, (…) can intermediate steps which already exist or have already occurred and which are connected with bringing about the future circumstance or event also constitute precise information within the meaning (…) of the directives? 2. Does the expression “may reasonably be expected” (…) require that the probability be assessed as predominant or high, or does the reference to circumstances which may reasonably be expected to come into existence or events which may reasonably be expected to occur imply that the degree of probability depends on the extent of the effects on the issuer and that, where prices are highly likely to be affected, it is sufficient if the occurrence of the future circumstance or event is uncertain but not improbable?”

The CJEU answered the first question by arguing that information is of a precise nature if two cumulative conditions are satisfied. First, a set of circumstances exists or may reasonably be expected to come into existence or an event has occurred or may reasonably be expected to do so. Second, this set of circumstances or event is specific enough to enable a conclusion to be drawn as to its possible effect on the prices of the financial instruments concerned or related derivative financial instruments. The Court further argued that it is appropriate to look at the ordinary meaning of the terms ‘set of circumstances’ or ‘event’ which were not defined in the MAD, and concluded that an intermediate step in a protracted process may in itself constitute a set of circumstances or an event in the meaning normally attributed to those terms. That finding was in the Court’s opinion supported by Article 3(1) of Directive 2003/124, which gave, by way of examples of inside information the disclosure of which may be delayed under Article 6(2) of MAD, situations which are typical examples of intermediate steps in protracted processes, namely negotiations in course and decisions taken or contracts made by the management body of an issuer which need the approval of another body of the issuer in order to become effective. Moreover, the Court argued that the purpose of MAD was to protect the integrity of European Union financial markets and to enhance investor confidence in those markets; confidence that depends on investors being placed on an equal footing and protected against the improper use of insider information.16 The Court therefore concluded that information relating to an intermediate step which is part of a protracted process may be precise information. The answer to the first question was in particular that “in the case of a protracted process intended to bring about a particular circumstance or to generate a particular event, not only may that future circumstance or future event be regarded as precise information within the 16 The CJEU referred to its previous judgements in Case C-45/08, Spector Photo Group v. Van Raemdonck [2009] ECR I-12073, paragraph 47, and Case C-445/09, IMC Securities [2011] ECR I-5917, paragraph 27.

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meaning of those provisions, but also the intermediate steps of that process which are connected with bringing about that future circumstance or event.” As to the second question, the CJEU noted that, apart from the German version, all the other language versions of Article 1(1) of Directive 2003/ 124 existing at the time used the adverb ‘reasonably’. By using that term, the European Union legislature had adopted a criterion based on rules drawn from the common experience in order to determine whether or not future circumstances and events come within the scope of that provision. In order to determine whether it is reasonable to think that a set of circumstances will come into existence or that an event will occur, an assessment must be made on a case-by-case basis of the factors existing at the relevant time. Consequently, the terms ‘may reasonably be expected’ found in Article 1(1) of Directive 2003/124 cannot be interpreted as requiring that proof be made out of a high probability of the circumstances or events in question coming into existence or occurring. However, in order to ensure legal certainty for market participants, including issuers, precise information is not to be considered as including information concerning circumstances and events the occurrence of which is implausible. The Court therefore concluded that, in using the terms ‘may reasonably be expected’, Article 1(1) of Directive 2003/124 referred to future circumstances or events from which it appears, on the basis of an overall assessment of the factors existing at the relevant time, that there is a realistic prospect that they will come into existence or occur. In addition, the Court answered in the negative the question whether the required probability of occurrence of a set of circumstances or an event may vary depending on the magnitude of their effect on the prices of the financial instruments concerned. It is true that reasonable investors base their investment decisions on all ex ante available information, as resulting also from recital 1 in the preamble to Directive 2003/124. They take into consideration therefore not only the ‘anticipated impact’ of an event on the issuer, but also the degree of probability that the event will occur. As a result, the Court answered the second question by saying that the notion of ‘a set of circumstances which exists or may reasonably be expected to come into existence or an event which has occurred or may reasonably be expected to do so’ refers to future circumstances or events from which it appears, on the basis of an overall assessment of the factors existing at the relevant time, that there is a realistic prospect that they will come into existence or occur. However, this notion should not be interpreted as meaning that the magnitude of the effect of that set of circumstances or that event on the prices of the financial instruments concerned must be taken into consideration.

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IV. The influence of Geltl on MAR The judgement in the case of Markus Geltl v. Daimler AG has influenced the new regulatory framework for inside information in protracted processes.17 It is enough to compare the CJEU’s answer to the first question of the Bundesgerichtshof with Articles 7.2 and 7.3 MAR (quoted in section 2 above) which repeat almost literally the language of the judgement, including the terms “protracted process” and “intermediate steps”. Also the idea that an intermediate step in a protracted process shall be deemed to be inside information if it satisfies the criteria of inside information established in MAR was suggested by the CJEU. On the whole, this influence was positive as it clarifies the way in which the notion of inside information applies to protracted processes. Nonetheless, the concept of protracted process may show some rigidity when applied to activities which do not easily match the relevant definition, such as for instance research and development (R&D) activities which last over an extended period of time, but may not be easily divided into stages similar to those seen for M&A transactions and corporate governance events. In other words, the definition of protracted process may be more apt for activities which present a legal component and can be easily divided into stages than for those which have a predominant technical nature. However, the criteria for identifying inside information are sufficiently flexible to be adapted to the latter type of activities based on the concept of precise information and what it may mean from a technical perspective in the areas concerned. This will allow, for instance, establishing when a scientific discovery can be considered as precise enough to give rise to inside information, provided that the other requirements (such as its price sensitive nature) also are complied with. Moreover, the CJEU’s answer to the second question can be used in the interpretation of Article 7.2 MAR making reference “to future circumstances or events from which it appears, on the basis of an overall assessment of the factors existing at the relevant time, that there is a realistic prospect that they will come into existence or occur.” This does not mean that the magnitude of the effect of that set of circumstances or that event on the prices of the financial instruments concerned must be taken into consideration.18 However under the ‘reasonable expectation test’ embodied in Arti17 See Jesper Lau Hansen, ‘Market Abuse Case Law – Where Do We Stand with MAR?’ ECFR 2017, 367–390, at 385. 18 See Ventoruzzo and Picciau, note 12, at 192, arguing that this marks an important difference with the US approach: “(…) in the United States the probability of the event happening must, in fact, be balanced with the magnitude of its anticipated consequences, so that even possible (but not probable) events or circumstances could be deemed relevant

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cle 7.2, a mere possibility of future events happening is not enough. The event must be more likely to happen than not, even though the information must not be complete or fully developed.19

V. The regime of delayed disclosure In a protracted process, once the information becomes inside information the insider dealing prohibition will apply. As a consequence, the person in possession of inside information shall not: engage or attempt to engage in insider dealing; recommend that another person engage in insider dealing or induce another person to engage in insider dealing; or unlawfully disclose inside information (Article 14 MAR).20 The disclosure requirement will also apply, under which the issuer shall inform the public as soon as possible of inside information which directly concerns the same (Article 17.1). However, an issuer may, on its own responsibility, delay disclosure to the public of inside information provided that all of the following conditions are met: (a) immediate disclosure is likely to prejudice its legitimate interests; (b) delay of disclosure is not likely to mislead the public; (c) the issuer is able to ensure the confidentiality of that information (Article 17.4). This provision applies also in the case of a protracted process that occurs in stages and that is intended to bring about, or that results in, a particular if their expected outcome is of significant magnitude”. The two authors make reference to the ‘probability-magnitude test’ under US law, according to which in order to determine the materiality of information one should balance the probability of the event with its expected magnitude: see SEC v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F2d 833, 849 (2d Cir., 1968); Basic v. Levinson, 485 US 224, 238 (1988); Halliburton Co v Erica P. John Fund, Inc, 134 S Ct 2398 (2014). 19 Ibidem, arguing that the information could even concern alternative events with similar outcomes or a single transaction that could be structured in two different ways. 20 As to the definition of insider dealing see Article 8.1 MAR: “For the purposes of this Regulation, insider dealing arises where a person possesses inside information and uses that information by acquiring or disposing of, for its own account or for the account of a third party, directly or indirectly, financial instruments to which that information relates. The use of inside information by cancelling or amending an order concerning a financial instrument to which the information relates where the order was placed before the person concerned possessed the inside information, shall also be considered to be insider dealing. (…)”. See also Article 8.2: “recommending that another person engage in insider dealing, or inducing another person to engage in insider dealing, arises where the person possesses inside information and: (a) recommends, on the basis of that information, that another person acquire or dispose of financial instruments to which that information relates, or induces that person to make such an acquisition or disposal, or (b) recommends, on the basis of that information, that another person cancel or amend an order concerning a financial instrument to which that information relates, or induces that person to make such a cancellation or amendment.”

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circumstance or a particular event. Therefore, an issuer may on its own responsibility delay the public disclosure of inside information relating to a similar process, subject to the conditions just mentioned. Moreover, where an issuer has delayed the disclosure of inside information under this paragraph, it shall inform the competent authority that disclosure of the information was delayed and shall provide a written explanation of how the conditions set out in this paragraph were met, immediately after the information is disclosed to the public. Alternatively, Member States may provide that a record of such an explanation is to be provided only upon the request of the competent authority. 21 The legitimate interests of the issuers that are likely to be prejudiced by immediate disclosure of inside information have been illustrated by ESMA in its Guidelines issued under Article 17(11) of MAR.22 The first example of legitimate interests which justify delayed disclosure is that of an issuer conducting negotiations related to mergers, acquisitions, splits and spin-offs, etc, where the outcome of such negotiations would likely be jeopardized by immediate public disclosure. The second example is that of an issuer whose financial viability is in grave and imminent danger, and immediate public disclosure of the inside information would seriously jeopardize the conclusion of the negotiations designed to ensure the financial recovery of the issuer. The third example is that of inside information relating to decisions taken or contracts entered into by the management body of an issuer which need, pursuant to national law or the issuer’s bylaws, the approval of another body of the issuer, other than the shareholders’ general assembly, in order to become effective, provided that immediate public disclosure of that information before such a definitive decision would jeopardize the correct assessment of the information by the public and the issuer arranged for the definitive decision to be taken as soon as possible.23 21 See the Commission Implementing Regulation (EU) 2016/1055 of 29 June 2016 laying down implementing technical standards with regard to the technical means for appropriate public disclosure of inside information and for delaying the public disclosure of inside information in accordance with Regulation (EU) No 596/2014 of the European Parliament and of the Council. See in particular Article 4 on the Notification of delayed disclosure of inside information and written explanation. On this Regulation, see Alain Pietrancosta, ‘Disclosure Requirements’, in Ventoruzzo and Mock, note 12, 343, at 371 ff., where the comment: “(…) the detailed information expected to be recorded by the issuer about the delay practically compels issuers to resort to highly formalized decision-making and monitoring processes”. 22 ESMA, MAR Guidelines: Delay in the disclosure of inside information (ESMA/ 2016/1478) (20 October 2016). 23 Other examples are made by ESMA Guidelines such as the following: “(…) (d) the issuer has developed a product or an invention and the immediate public disclosure of that information is likely to jeopardize the intellectual property rights of the issuer; (e) the issuer is planning to buy or sell a major holding in another entity and the disclosure of such an information would likely jeopardize the implementation of such plan; (f) a transaction

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ESMA Guidelines envisage three situations where the delay of disclosure is likely to mislead the public. The first is when the issuer wants to delay the disclosure of inside information which is materially different from that previously announced (by the issuer) on the question the inside information refers to. The second is when the issuer wants to delay announcing that its previously publicly announced financial objectives are not likely to be met. The third is when the issuer wants to delay the publication of inside information which contrasts with market expectations and where such expectations are based on signals that the issuer had previously sent to the market, such as interviews, roadshows or any other type of communication organized by the issuer or with its approval. These three types of situations are similar in the sense that each implies some contrast between the information which is delayed and the public information which was previously announced or determined by the issuer. Other situations could be conceived beyond those mentioned by ESMA, but they are not easy to identify given the need to save the possibility of a delay. Presumably, they must be special situations, which determine consequences departing from the ordinary consequences of delayed information. In other words, given that delayed disclosure by definition misleads investors,24 the circumstances in which delay is not permitted must be such that the lack of timely information is particularly misleading to investors, as in the examples made by ESMA.

VI. The MAR Review In October 2019, ESMA submitted its MAR Review Report to consultation, also touching upon protracted processes and the mechanism to delay the disclosure of inside information.25 Currently the notion of inside information applies indistinctly to the market abuse prohibition and to the obligation to publicly disclose inside information. However, inside information can undergo different levels of maturity and degrees of precision throughout its lifecycle.26 From a policy perspective, in certain situations inside informapreviously announced is subject to a public authority’s approval, and such approval is conditional upon additional requirements, where the immediate disclosure of those requirements will likely affect the ability for the issuer to meet them and therefore prevent the final success of the deal or transaction”. 24 See Carmine di Noia and Matteo Gargantini, ‘Issuers at Midstream: Disclosure of Multistage Events in the Current and in the Proposed EU Market Abuse Regime’ (2012) European Company and Financial Law Review 484, at 506. 25 ESMA, Consultation Paper, MAR Review Report, 3 October 2019, 36 ff. 26 See the comments made by the European Securities Market Experts for the MAD review: ESMA Report, Market abuse EU legal framework and its implementation by Mem-

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tion is mature enough to trigger the prohibition of market abuse, but insufficiently mature to be disclosed to the public. Under MAR, issuers can deal with this problem through the mechanism of delayed disclosure, assuming that the relevant requirements are complied with. Another solution, which was however set aside in the drafting of MAR, would be to distinguish between two types of inside information on the basis of their level of maturity and require disclosure only of mature information, while enforcing the insider trading prohibition at an earlier stage.27 The Commission reported to ESMA that the mechanism of delaying disclosure of inside information is used to a varying extent across jurisdictions in the Union.28 While in some Member States issuers rely on this mechanism regularly, issuers of others use it on an exceptional basis. ESMA will gather information on the use of this mechanism across Member States and identify points of divergence in its application. Moreover, it will assess whether the conditions for the delay of disclosure are well framed and sufficiently clear for the issuers to effectively rely on that mechanism. ESMA shall also provide information on which Member States have made use of the option to require issuers to provide a record of a written explanation of the decision to delay only upon the request of the NCA, as provided in the third subparagraph of Article 17(4). In this latter case, the Commission would like to receive information on how many such requests have been submitted by those NCAs. The question whether two definitions of inside information should be adopted - one for the insider dealing prohibition, the other for the disclosure duty (so-called two-step model) 29 – could be reconsidered in the MAR Review. ESMA seems to believe that similar outcomes can be reached in the one-step model through the regime of delayed disclosure. Information which is not mature for publication, despite being mature enough for the insider trading prohibition to apply, can be delayed when its publication could be prejudicial to the issuer and/or misleading to the markets. However, the delay regime might be regarded as an exceptional one, the rule being that of the publication of the inside information.30 Moreover, delayed

ber States: a first evaluation, Brussels, July 6, 2007, at 10 ff. (I am grateful to Carmine di Noia for providing a copy of this report). 27 This was the solution proposed in the ESMA Report referred to in the previous footnote. 28 See ESMA, note 25, at 36. 29 See Pietrancosta, note 21, at 354 ff., for the distinction between the one-step model and the two-step model referred to above in the text. 30 See ESMA, Final Report: Guidelines on the MAR: market soundings and delay of disclosure of inside information (ESMA/2016/1130) (13 July 2016), para. 52: “(…) the possibility to delay the disclosure of inside information as per Article 17(4) represents the exception to the general rule of disclosure to be made as soon as possible according to Article

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disclosure could be seen as misleading investors, which would practically nullify the relevant regime, despite the different approach of ESMA’s Guidelines analysed above. Therefore, the two different ways of dealing with inside information from the perspective of disclosure (one-step model and two-step model) should not be regarded as necessarily equivalent, for the number of cases in which information is seen as lawfully delayed in the first model are likely to be lower in practice than those in which information is considered as not yet mature for publication in the other. In any case, the effectiveness of the present system in preventing market abuse and promoting market efficiency depends, to a large extent, on the way in which the regime of delayed disclosure is implemented by regulators and enforced by supervisors. Requiring issuers to communicate the reasons for the delay to their supervisors could exercise a pressure on issuers to better analyse these reasons in practice. Weak supervision on delayed disclosure will render avoidance of the relevant regime possible and therefore make compliance with the same relaxed. The amount of insider trading which occurs before M&A transactions by listed companies could be evidence both of weak compliance and weak enforcement.31 Of course, similar problems of enforcement can be encountered also in a system which allows for two notions of inside information to apply (twosteps model), for the news is assessed by supervisors with respect to its maturity and the approach could differ across legal systems. Indeed, both the surveillance over the reasons for delaying information and that over the maturity of information in a two-step system present a wide margin of discretion and therefore some uncertainty as to the outcomes. A partial remedy, in this respect, would be for regulators to specify ex ante the cases in which either the delay of disclosure is not allowed or the information is mature enough to be published (in a two-step system). The ESMA Guidelines considered above go in a similar direction and reduce the uncertainty over the right timing of disclosure. Alternatively, the regulator could adopt a solution based on rules rather than standards, by indicating analytically the cases in which a disclosure 17(1) and therefore should be narrowly interpreted”. For comments, Pietrancosta, note 21, at 375. 31 See e.g. Arthur Keown and John Pinkerton, ‘Merger Announcements and Insider Trading Activity: An Empirical Investigation’ (1981) 36 Journal of Finance 855, who confirm statistically what most traders already know, i.e. that impending merger announcements are poorly held secrets and trading on this nonpublic information abounds. See more recently Anup Agrawal and Tareque Nasser, ‘Insider trading in takeover targets’ (2012) 18 Journal of Corporate Finance 598, showing that widespread profitable passive trading by target insiders during takeover negotiations points to the limits of insider trading regulation. On the role of enforcement of insider trading laws, see Utpal Bhattacharya and Hazem Daouk, ‘The World Price of Insider Trading’ (2002) 57 Journal of Finance 75.

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duty arises while omitting a general standard of disclosure such as that found in Article 17(1) MAR.32 This is the case of the US model “which, while it contains an obligation for ad hoc disclosures, does not operate a continuous disclosure regime”.33 No doubt, a rule-based system is preferable in terms of certainty as to the issuers’ disclosure duties, but may be underinclusive with respect to cases not expressly foreseen by the law.

VII. Concluding remarks The MAR has broadened the notion of inside information by including in it the intermediate steps of protracted processes, a result however which had already been reached by the CJEU under the MAD. As a result, the regime of delayed disclosure is even more relevant given that the MAR has maintained the one-step model of inside information which had already characterised the MAD. However, this regime is not applied uniformly across the member States and is sometimes understood as exceptional, given the rule of continuous disclosure. The MAR Review should therefore tackle this issue and consider the relevant options. If the one-step model of inside information is kept, the MAR and its implementing measures should make it clear that only in special circumstances should the possibility of delaying disclosure be excluded for reasons concerning investors. In other words, the delay of disclosure should be allowed whenever sufficient reasons justify it from the issuer’s perspective, save for cases in which a delay would be particularly misleading for investors. If the two-step model were chosen in lieu of the present one, the focus of attention would likely shift to the notion of maturity of the information to be published. In any case, the use of numerous examples in ESMA guidelines would be important to clarify the scope of either the delay of disclosure (in the first model) or the disclosure duty (in the second model) and restrain supervisory discretion.

neue rechte Seite! 32 The 1st alinea of this provision states: ‘An issuer shall inform the public as soon as possible of inside information which directly concerns the issuer’. 33 See Payne, note 7, at 5, who explains that in the US there is no requirement to disclose inside information which arises between the quarterly filings and which falls outside a specific list of events: “In other words, there is no general duty to disclose all material information to the market. The US regime is therefore said to be a system of periodic disclosure rather than continuous disclosure”.

Zur Haftung für Fairness Opinions gegenüber Aktionären und anderen Dritten 237 Zur Haftung für Fairness Opinions gegenüber Aktionären und anderen Dritten Timo Fest

Zur Haftung für Fairness Opinions gegenüber Aktionären und anderen Dritten* TIMO FEST

I. Einleitung Fairness Opinions sind von Investmentbanken, Corporate-FinanceBeratern und zunehmend auch von führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften1 erstellte sachverständige Stellungnahmen („Opinions“), die im Zusammenhang mit bedeutenden Unternehmenstransaktionen oder Strukturmaßnahmen (Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen, Verschmelzungen, Unternehmensverträgen, Squeeze-out)2 die finanzielle Angemessenheit („Fairness“) z.B. des Angebotspreises (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ggf. i.V.m. f 34 oder f 39 WpÜG) oder der Bedingungen eines Geschäfts mit nahestehenden Personen (§ 111a Abs. 2 Satz 1 AktG) der Abfindung der mittels Squeezeout ausgeschlossenen Aktionäre (§ 327a Abs. 1 S. 1 AktG) beurteilen.3 Sie bestehen aus drei Dokumenten. Den Kern bilden die sog. Opinion Letter, die in der Regel nur drei bis sechs Seiten umfassen. Die darin enthaltene Aussage zu der Angemessenheit erschöpft sich regelmäßig in der Feststellung „fair, from a financial point of view“.4 Anstelle einer detaillierten Begründung enthalten die Opinion Letter nur die schlagwortartige Aufzählung der von ihren Erstellern durchgesehenen Dokumente, der zugrundeliegenden Prämissen (z.B. der Durchführung der Transaktion ohne wesentliche Änderungen) sowie eine Angabe zu der Methodik, die sich – bei der Abgabe durch Investmentbanken und Corporate-Finance-Berater – häufig auf die Klarstellung beschränkt, dass die Stellungnahme weder auf einer Bewertung *

Der Verfasser dankt für wertvolle Hinweise aus der Praxis. Zu den Marktanteilen der unterschiedlichen Ersteller siehe z.B. Goslar/Witte, in: Paschos/Fleischer, Handbuch Übernahmerecht nach dem WpÜG, 2017, § 4 Rn. 13 m.w.N. 2 Bei Letzteren dominieren in der Praxis auf Grundlage von IDW Standard S1 erstellte Bewertungsgutachten, siehe Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (104). 3 Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (100); Fleischer, ZIP 2011, 201 (202); Fleischer FS Hopt, 2010, 2753 (2754); Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587; Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312; Winner FS Hügel, 2016, 397. 4 So z.B. die Stellungnahme von Merrill Lynch International Bank Ltd. v. 22.12.2014, veröffentlicht als Anlage 3 zu der Stellungnahme des Verwaltungsrates der GAGFAH S.A. zu dem Übernahmeangebot der Deutsche Annington Immobilien SE. 1

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des Unternehmens nach dem IDW Standard S1 (Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen) basiert5 noch der nur für die Mitglieder des IDW verbindliche6 IDW Standard S8 (Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions) angewandt wurde. Aussagekräftige Erläuterungen zu den beteiligten Unternehmen, den Marktgegebenheiten sowie zu den angewandten Verfahren und Methoden enthält nur das Valuation Memorandum.7 Diese marktübliche Aufteilung beruht darauf, dass die Ersteller von Fairness Opinions sich nur mit der Offenlegung der Opinion Letter (z.B. als Anlage zu der begründeten Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zu einem öffentlichen Übernahmeangebot) einverstanden erklären, während die Auftraggeber das Valuation Memorandum, das ihnen im Rahmen einer Präsentation der Fairness Opinion übergeben wird,8 vereinbarungsgemäß geheim halten.9 Komplettiert wird die Fairness Opinion durch das Factual Memorandum, einer Sammlung der wesentlichen vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten sowie der vom Ersteller der Fairness Opinion ergänzend herangezogenen Unterlagen.10 In Anbetracht der Tatsache, dass bedeutende Unternehmenstransaktionen und Strukturmaßnahmen häufig langwierige Anlegerklagen nach sich ziehen, die häufig nicht nur gegen die beteiligten Gesellschaften, sondern auch gegen deren externe Berater gerichtet sind, überrascht es, dass bislang – soweit ersichtlich – einzig das LG München I11 sich zu der Haftung der Ersteller einer Fairness Opinion gegenüber Aktionären und anderen Anlegern12 geäußert hat.13 Die Urteilsgründe geben Anlass zu kritischen Reflexionen. 5

Zu den Unterschieden siehe Schiessl, ZGR 2003, 814 (821 ff.); Wollny, DStR 2013, 482 f. Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 (1591); Wollny, DStR 2013, 482. 7 Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (103); Fleischer, ZIP 2011, 201 (204); Fleischer FS Hopt, 2010, 2753 (2757); Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 (1589); Lappe/ Stafflage, CFL 2010, 312 (314). 8 Zu dieser Praxis und Alternativen siehe Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (108). 9 Über den wesentlichen Inhalt des Valuation Memorandum können die Aktionäre in der Hauptversammlung keine Auskunft verlangen, s. OLG Frankfurt, Urt. v. 7.12.2010 – 5 U 29/10, juris Rn. 233 f. (insoweit nicht abgedruckt in AG 2011, 173 ff.); LG Heidelberg, BB 2001, 1809 (1810); a. A. Großkomm AktG/Decher, 5. Aufl. 2020, AktG § 131 Rn. 231; Fleischer, ZIP 2011, 201 (211). 10 Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (103); Fleischer, ZIP 2011, 201 (204); Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 (1589); Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (314). 11 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 238 ff. 12 Eine generelle Pflicht der Leitungsorgane zur Einholung einer Fairness Opinion wird allgemein verneint, siehe OLG Köln, NZG 2013, 548 (550); OLG Düsseldorf, ZIP 2004, 359 (363); U. Brandt, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2019, Rn. 20.207; Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (105, 110); Fleischer ZIP 2011, 201 (206); Graser/Klüwer/Nestler, BB 2010, 1587 (1590); Baums/Thoma/ Verse/Harbarth, 9. Lfg. (11/2015), WpÜG § 27 Rn. 72; KK-WpÜG/Hirte, 2. Aufl. 2010, WpÜG § 27 Rn. 33; Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013, 83; Hopt, ZHR 166 (2002), 383 (401); Kossmann, NZG 2011, 46 (51); Leyendecker/Kleinhenz, BB 2011, 2952 6

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II. Urteil des LG München I Gegenstand des Verfahrens vor dem LG München I war die zweite Klage14 der Gesellschaften der sog. Kirch-Gruppe gegen die Deutsche Bank AG im Nachgang zu dem berühmten Interview des damals amtierenden Vorstandssprechers Breuer für Bloomberg TV Deutschland im Frühjahr 2002. Kurze Zeit vorher hatte die ProSiebenSat.1 Media AG (fortan: ProSiebenSat.1) bei der Deutschen Bank AG die Erstellung einer Fairness Opinion zur Beurteilung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses der Aktien bei der beabsichtigten Verschmelzung der Auftraggeberin auf ihre Mehrheitsaktionärin, die KirchMedia GmbH & Co. KGaA (fortan: KirchMedia), in Auftrag gegeben.15 Die streitgegenständlichen Ersatzansprüche stützte die aus abgetretenem Recht klagende Kirch Group Litigation Pool GmbH auf eine in dem Urteil nicht näher ausgeführte Pflichtverletzung – in Betracht käme z.B. eine grundlose Nichtberücksichtigung einzelner vom Auftraggeber zur Verfügung gestellter relevanter Dokumente – sowie die Rechtsauffassung, der der Erstellung der Fairness Opinion zugrundeliegende Geschäftsbesorgungsvertrag16 entfalte Drittschutz zugunsten der Gesellschaften der Kirch-Gruppe.17 Der sog. Engagement Letter, das maßgebliche Dokument für den Inhalt des Vertrags, enthielt neben einer marktüblichen Beschreibung der Aufgabenstellung18 ergänzende Bestimmungen, u.a. zu den Mitwirkungs- und Geheimhaltungspflichten des Auftraggebers19 sowie einen Haftungsausschluss zugunsten des Auftragnehmers,20 aber keine Aussage zu einem eventuellen Drittschutz. Das LG München I verneinte Schutzwirkungen zugunsten der Kläger und wies deren Klagen ab.21

(2954); Schiessl, ZGR 2003, 814 (828); Seibt, in: Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, 148 (182); Seibt, CFL 2011, 213 (236); Westhoff, Die Fairness Opinion, 2006, 106; Wollny, DStR 2013, 482; differenzierend Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (316). 13 Offengelassen von Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (103 mit Fn. 16); Fleischer FS Hopt, 2010, 2753 (2775). Zurückhaltend Schiessl, ZGR 2003, 814 (850 f.). 14 BGHZ 166, 84 ff. = NJW 2006, 830. S. dazu Schirmer, in: Fleischer/Thiessen, Gesellschaftsrechts-Geschichten, 2018, 607 ff. 15 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 5. 16 Zu dieser rechtlichen Einordnung s. Lappe/Stafflage CFL 2010, 312 (317). 17 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 55. 18 Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (314). Für ein Beispiel siehe LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 9 ff. 19 Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (314). Für ein Beispiel siehe LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 20 f. 20 Siehe z.B. LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 17 f. 21 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 238 ff. Das Berufungsgericht (OLG München, BeckRS 2013, 5349 Rn. 112) hat das Urteil in diesem Punkt ohne nähere Ausfüh-

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III. Schutzwirkungen zugunsten Dritter Der Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Die Ausführungen zu der Leistungs- und Gläubigernähe überzeugen allerdings nicht. 1. Leistungsnähe Die Leistungs- bzw. Einwirkungsnähe verneinte das LG München I sowohl hinsichtlich der KirchMedia, die an der beabsichtigten Verschmelzung mit ProSiebenSat.1 als übernehmender Rechtsträger unmittelbar beteiligt sein sollte, als auch für die übrigen der Kirch-Gruppe angehörigen Gesellschaften. Überzeugend ist dies nur für letztere. Für KirchMedia wäre die Leistungsnähe hingegen aufgrund des besonderen Gegenstands der Fairness Opinion zu bejahen gewesen. a) Wertung des konzernrechtlichen Trennungsprinzips Für die Leistungsnähe ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Dritte mit der Hauptleistung nach dem Inhalt des Vertrags bestimmungsgemäß in Berührung kommen soll und den Gefahren von (Schutz-)Pflichtverletzungen ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst.22 In diesem Punkt schließt sich das LG München I den Ausführungen des BGH aus dem Vorprozess zu einem Darlehensvertrag an. Die gesellschaftsrechtliche Beteiligung Dritter gleich welchen Umfangs – hier: der KirchMedia – bewirke lediglich eine mittelbare Berührung mit der Leistung, die für die Leistungs- bzw. Einwirkungsnähe nicht ausreiche.23 Erst recht leistungsfern seien demnach Dritte – hier: die übrigen Gesellschaften der Kirch-Gruppe –, die nur mittelbar an dem Gläubiger beteiligt seien.24 Zur Absicherung dieser Aussagen verwies der BGH auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip. Dieses erschöpfe sich nicht in der normierten Kernaussage, dass für Verbindlichkeiten aus Verträgen, die dem gesamten Konzern wirtschaftlich zugutekommen, nur das Gesellschaftsvermögen der vertragsschließenden Konzerngesellschaft haftet (§ 1 Abs. 1 S. 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG), sondern müsse „aus Gründen einer gerechten Verteilung der Vor- und Nachteile“ auch bei der Aktivlegitimation berücksichtigt werden, und zwar rungen zur Sache bestätigt. Vor dem BGH wurde die Klage anschließend zurückgenommen. 22 St. Rspr., siehe z.B. BGHZ 166, 84 (97 Rn. 52) = NJW 2006, 830 m.w.N. 23 BGHZ 166, 84 (97 f. Rn. 55) = NJW 2006, 830; LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 240. Zuvor bereits OLG Hamm, MDR 1999, 556 (557); Bütter/Tonner, BKR 2005, 344 (346); Canaris, ZIP 2004, 1781 (1786 f.); Ehricke FS Derleder, 2005, 341 (353); Hammen, WuB IV. A. § 328 BGB 1.04 unter 4. 24 BGHZ 166, 84 (98 Rn. 55) = NJW 2006, 830.

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dahingehend, dass die (Sekundär-)Rechte aus diesen Verträgen nur der vertragsschließenden Konzerngesellschaft zustünden.25 Obwohl diese Wertung für sich betrachtet überzeugt, ist zu konstatieren, dass ihr bei der Bestimmung des Schutzbereichs eines Vertrags allenfalls untergeordnete Bedeutung zukommt. Denn aufgrund der Vertragsfreiheit können die Parteien den Schutzbereich eines Vertrags in beliebiger Weise ausdehnen,26 weshalb die Einbeziehung Dritter in erster Linie eine Frage der Auslegung des Vertrags ist.27 Gesetzliche Wertungen wie die des konzernrechtlichen Trennungsprinzips können hierbei lediglich dahingehend zu berücksichtigen sein, dass an den Willen zur Begründung der Leistungsnähe strenge Anforderungen zu stellen sind.28 b) Aufgabenstellung Eine Auslegung des Geschäftsbesorgungsvertrags nahm das LG München I erst im Rahmen der Gläubigernähe29 vor. Im Fokus stand dabei die Beschreibung der Aufgabenstellung als „Abgabe einer Fairness Opinion für die Aktionäre von ProSiebenSat.1, insbesondere für den Streubesitz“.30 Diese Formulierung sei – so das LG München I – dahingehend zu verstehen, dass ein (Dritt-)Schutz der KirchMedia als Mehrheitsaktionärin nicht beabsichtigt gewesen sei.31 Zweifel an diesem Auslegungsergebnis sind bereits deshalb angebracht, weil die Kammer sich zur Begründung ausschließlich auf den Satzteil „insbesondere für den Streubesitz“ stützte und die Tatsache unberücksichtigt ließ, dass im ersten Halbsatz sämtliche Aktionäre ausdrücklich als Begünstigte erwähnt sind. Die gebotene Zusammenschau der Formulierungen legt das gegenteilige Verständnis nahe, nämlich, dass die Fairness Opinion sämtlichen Aktionären dienen sollte. Der zweite Satzteil bringt dann lediglich das Bewusstsein der Vertragsparteien zum Ausdruck, dass die Kleinaktionäre aufgrund der typischen Informationsasymmetrie im Verhältnis zu den strategischen und institutionellen Investoren in besonderem Maße auf die Aussage der Fairness Opinion zu der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses angewiesen waren. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass der Zusatz „insbesondere …“ lediglich die Hoffnung der Auftraggeberin zum Ausdruck brachte, mit einer positiven Fairness Opinion die 25 BGHZ 166, 84 (98 Rn. 57) = NJW 2006, 830; zuvor bereits Büttner/Tonner, BKR 2005, 344 (346); Ehricke FS Derleder, 2005, 341 (353 f.); Hammen, WuB IV. A. § 328 BGB 1.04 BGB H. P. Westermann FS T. Raiser, 2005, 787 (806). 26 Statt vieler BGH, DB 1985, 1564 (1465); MüKoBGB/Gottwald, 8. Aufl. 2019, § 328 Rn. 185. 27 BGH, NJW 1984, 355 (356). 28 So z.B. BGHZ 167, 155 (163 f. Rn. 13) = NJW 2006, 1975 für § 323 Abs. 1 S. 3 HGB. 29 Dazu sogleich III. 2. 30 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 12. 31 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 247.

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Akzeptanz der Kleinaktionäre und ihre Zustimmungsquote zu dem Verschmelzungsbeschluss (§§ 13 Abs. 1 S. 1, 65 Abs. 1 S. 1 UmwG) zu erhöhen.32 Entscheidend dürfte allerdings sein, dass das Auslegungsergebnis des LG München I, Drittschutz sei allenfalls für die zum Streubesitz zählenden Aktionäre gewollt, mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre unvereinbar wäre. Zwar verbietet § 53a AktG nicht jede, sondern nur eine willkürliche, also sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung.33 Um eine solche auszuschließen, hätte die Ungleichbehandlung aber einem nicht unbedeutenden Gesellschaftsinteresse dienen und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit wahren müssen.34 Die Aufholung des Informationsdefizits durch die Kleinaktionäre mag zwar auch im Interesse der Gesellschaft liegen,35 vermag aber eine unterschiedliche Behandlung der Aktionäre nur in Bezug auf den Zugang zu Informationen zu rechtfertigen, nicht jedoch die Gestaltung des Geschäftsbesorgungsvertrags, dass nur die Kleinaktionäre Drittschutz genießen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die vertragliche Aufgabenstellung im Sinne eines pflichtgemäßen Vorstandshandelns dahingehend auszulegen, dass der Drittschutz auch die KirchMedia als Mehrheitsaktionärin umfasst. c) Sonderheit: Angemessenheit des Umtauschverhältnisses Ein weiteres Argument für die Leistungsnähe der KirchMedia ergibt sich aus dem in dem Engagment Letter festgelegten Gegenstand der Fairness Opinion, nämlich der „Angemessenheit der der Transaktion zugrundeliegenden Bewertungen und des sich daraus ableitenden Umtauschverhältnisses“36. Das LG München I sah hierin lediglich eine „Berührung der Interessen im Hinblick auf vertragliche Nebenpflichten“37 und verneinte die Leistungsnähe der KirchMedia mit der Begründung, dass diese – im Tatsächlichen zutreffend – selbst sachverständigen Rat eingeholt hatte.38 Dies überzeugt nicht. Andernfalls müsste im Ergebnis auch eine Haftung für eine fehlerhafte Fairness Opinion gegenüber dem Auftraggeber verneint werden, wenn diesem eine zweite Fairness Opinion vorliegt. Dieser Vergleich offenbart, dass das Vorliegen einer Second Opinion – unabhängig davon, ob der 32

Zu diesem Effekt Schiessl, ZGR 2003, 814 (823, 835). Statt vieler BGHZ 116, 359 (373) = NJW 1992, 892; Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 53a Rn. 4 jeweils m.w.N. 34 Statt vieler Karsten Schmidt/Lutter/Fleischer, 3. Aufl. 2015, AktG § 53a Rn. 35; Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 53a Rn. 10. 35 Umgekehrt können z.B. Vorabinformation über eine Kapitalerhöhung an Unternehmensaktionäre zulässig sein, siehe MüKoAktG/Götze, 5. Aufl. 2019, AktG § 53a Rn. 14; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (737). 36 Wiedergegeben in LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 12. 37 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 240. 38 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 242. 33

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Vorstand der KirchMedia zu deren Einholung im Einzelfall ausnahmsweise verpflichtet war39 – ausschließlich den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden betrifft. Die Leistungsnähe der KirchMedia erklärt sich vielmehr bereits aus dem Ziel des Umtauschverhältnisses (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Dieses resultiert aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung sämtlicher Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers (hier: der KirchMedia) und besteht darin, den Anteilseignern des übertragenden Rechtsträgers (hier: der ProSiebenSat.1) eine ihrer Mitgliedschaft entsprechende Beteiligung an der Summe der verschmolzenen Vermögensmassen zu gewähren, wobei dadurch weder ihre Rechtsstellung noch die der bisherigen Anteilseigner des übernehmenden Rechtsträgers beeinträchtigt werden soll.40 Mit anderen Worten: Das Umtauschverhältnis wahrt die relative Gleichheit sämtlicher Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers bei der wertmäßigen Aufteilung der verschmolzenen Vermögensmassen. Diese Funktion lässt erkennen, dass ein außerhalb des Bereichs des Angemessenen festgelegtes Umtauschverhältnis eine Gruppe der Anteilsinhaber übervorteilt und die andere Gruppe spiegelbildlich benachteiligt. Hieraus folgt, dass der übertragende Rechtsträger als Auftraggeber der Fairness Opinion und der übernehmende Rechtsträger den Gefahren aus einer inhaltlich unzutreffenden Fairness Opinion gleichermaßen ausgesetzt sind, wenn das Umtauschverhältnis auf deren Grundlage festgelegt werden soll. Dieses Ergebnis könnte den Widerspruch provozieren, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Pflichtverletzung nur die Anteilsinhaber einer Gruppe, nicht aber den u.U. im Zuge der Verschmelzung erlöschenden Rechtsträger (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 UmwG) treffen. Dieser Umstand gibt allerdings keinen Anlass zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung der Leistungsnähe. Er verdeutlicht lediglich die Notwendigkeit, die – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Ersatzanspruchs – aufgrund des Bestandsschutzes der Verschmelzung (§ 20 Abs. 2 UmwG) zu leistende Geldentschädigung (§ 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB) ausschließlich unter den Anteilsinhabern der benachteiligten Gruppe zu verteilen. Mittel hierfür ist der Anspruch auf bare Zuzahlung nach § 15 Abs. 1 S. 1 UmwG. Während die Vorschrift im Fall einer Benachteiligung der Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers sogar unmittelbar anzuwenden ist, sollte bei einer Benachteiligung der (Alt-)Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers in diesen Sonderfällen ausnahmsweise41 eine entsprechende Anwen39

Für Nachweise s. Fn. 12. Statt vieler Lutter/Drygala, 6. Aufl. 2019, UmwG § 5 Rn. 27 m.w.N. 41 Zu der grundsätzlichen Beschränkung des Kreises der anspruchsberechtigten Anteilsinhaber siehe Lutter/Decher, 6. Aufl. 2019, UmwG § 15 Rn. 2; Semler/Stengel/Gehling, 4. Aufl. 2017, UmwG § 15 Rn. 6; Henssler/Strohn/Junker, 4. Aufl. 2019, UmwG § 15 Rn. 4. 40

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dung erwogen werden. Denn das Bedürfnis nach der den Ausgleich verwirklichenden baren Zuzahlung wird mit der Leistung des Schadensersatzes regelmäßig erst zu einem Zeitpunkt verstärkt, zu dem die grundsätzlich mögliche und gebotene Anfechtung des Verschmelzungsbeschlusses regelmäßig wegen des Ablaufs der Frist nach § 14 Abs. 1 UmwG ausgeschlossen sein dürfte. d) Angemessenheit des Angebotspreises bei Unternehmenstransaktionen Die Sonderheit der Leistungsnähe der KirchMedia zu der Fairness Opinion betreffend die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses wird bei einem Vergleich zu Fairness Opinions deutlich, die zur Vorbereitung der Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft hinsichtlich der Angemessenheit der Höhe der angebotenen Gegenleistung (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ggf. i.V.m. f 34 oder f 39 WpÜG) abgegeben werden.42 Für letztere ist nämlich eine Leistungsnähe der Aktionäre auch dann zu verneinen, wenn der Opinion Letter – wie marktüblich – als Anlage mit der Stellungnahme veröffentlicht wird.43 Es genügt nämlich nicht, dass die Aktionäre das Ergebnis der Fairness Opinion zur Kenntnis nehmen können; erforderlich wäre vielmehr, dass sie mit der Leistung nach dem Inhalt des Vertrags bestimmungsgemäß in Berührung kommen.44 Dies ist bei Leistungen, die nicht dem Dritten gegenüber zu erbringen sind, jedoch nur der Fall, wenn sie doch erkennbar von der Leistung profitieren sollen.45 Dies ist aus zwei Gründen zu verneinen. Zum einen sind die anlässlich eines öffentlichen Übernahme- oder Pflichtangebots in Auftrag gegebenen Fairness Opinions ausschließlich dazu bestimmt, dem Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft die Abgabe der Stellungnahme und damit die Erfüllung der ihnen obliegenden gesetzlichen Pflicht zu erleichtern. Zum anderen enthält das WpÜG trotz einer Empfehlung des Jubilars46 im Gegensatz zu der Rechtslage in Großbritannien (Rule 3.1, 25.1(a), 25.2(b) City Code) und der Schweiz (§ 30 Abs. 5 S. 2 UEV) keine Pflicht zur Veröffentlichung der Fairness Opinions,47 weshalb die Zielgesellschaften jederzeit von der marktübli42 Zu dem Inhalt der Stellungnahme in diesem Punkt siehe statt vieler Baums/Thoma/ Verse/Harbarth, 9. Lfg. (11/2015), WpÜG § 27 Rn. 39 ff. 43 Zu dieser Praxis siehe z.B. Seibt, CFL 2011, 213 (237). 44 Für Nachweise s. Fn. 22. 45 MüKoBGB/Gottwald, 8. Aufl. 2019, BGB § 328 Rn. 184; Köndgen, in: Karlsruher Forum 1998, 1999, 3 (36 f.). 46 Hopt FS Koppensteiner, 2001, 61 (78 f.); wiederholt in ZGR 2003, 333 (355). 47 U. Brandt, in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2019, Rn. 20.246; Decher Liber Amicorum M. Winter, 2011, 99 (111); a.A. Fleischer, ZIP 2011, 201 (210); Fleischer FS Hopt, 2010, 2753 (2773); Hopt, ZHR 166 (2002), 383 (420); Hopt FS Lutter, 2000, 1361 (1381); in diese Richtung tendierend auch Ass-

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chen Praxis, den Opinion Letter als Anlage der Stellungnahme zu veröffentlichen, abweichen können.48 2. Gläubigernähe Das Interesse von ProSiebenSat.1 am Schutz der KirchMedia, die sog. Gläubigernähe, hat das LG München I nicht allein mit der zweifelhaften Auslegung der Aufgabenstellung49 aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag verneint.50 Als entscheidend weisen die Urteilsgründe vielmehr die Tatsache aus, dass die Minderheitsaktionäre der ProSiebenSat.1 und ihre Mehrheitsaktionärin, die KirchMedia, in Bezug auf die Verschmelzung gegenläufige Interessen hatten.51 Dieser Umstand schließe die Gläubigernähe zwar nicht notwendig,52 aber in dem zu entscheidenden Fall aus. Denn bei gegenläufigen Interessen sei Gläubigernähe nur anzunehmen, wenn ein Gutachten oder eine gutachterliche Stellungnahme bei einer Person, die über besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfüge, in Auftrag gegeben werde, um davon gegenüber Dritten Gebrauch zu machen.53 Dem ist nur im Ergebnis zuzustimmen. Die Begründung fordert hingegen in vier Punkten Widerspruch heraus. a) Fairness Opinion als Gutachten Die Fairness Opinion – so das LG München I – sei kein Gutachten in diesem Sinne, weil sie auf wenigen Seiten ohne umfassende Auseinandersetzung mit den Bewertungsproblemen „nur die recht lapidar zusammenfassende Meinungsäußerung enthält, dass das Umtauschverhältnis aus finanzieller Sicht angemessen sei.“54 Die Aussage offenbart, dass die Kammer nur den Opinion Letter berücksichtigt hat. Dieser ist aber nur ein Teil der Fairmann/Bozenhardt, in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, 1990, 1 (105). 48 Die Publizität des Bestätigungsvermerks gemäß § 325 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB ist nach BGHZ 167, 155 (162 Rn. 13) = NJW 2006, 1975 zwar ein Argument für die Einbeziehung an einer Beteiligung interessierter Dritter in den Prüfvertrag, allein aber kein hinreichendes. 49 Dazu vorstehend III. 1. b). 50 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 246 f. 51 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 251. 52 BGHZ 138, 257 (261) = NJW 1998, 1948; BGHZ 127, 378 (380) = NJW 1995, 392; BGH, NJW-RR 1989, 696; BGH, NJW 1987, 1758 (1759); BGH, NJW-RR 1986, 484 (486). 53 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 252 unter Hinweis auf BGHZ 127, 378 (380) = NJW 1995, 392; BGH, NJW-RR 1989, 696; BGH, NJW 1987, 1758 (1759 f.); BGH, NJW-RR 1986, 484 (486). 54 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 253. Nahezu wortgleich bereits LG München I, ZIP 2001, 1148 (1152) für eine Fairness Opinion zur Bewertung einer Sacheinlage im Rahmen einer Kapitalerhöhung.

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ness Opinion und der nach dem Geschäftsbesorgungsvertrag geschuldeten Leistung. Zu würdigen wären – ein entsprechendes Beweisangebot vorausgesetzt – sämtliche Dokumente der Fairness Opinion gewesen, insbesondere das Valuation Memorandum. Der Umfang der darin niedergelegten Begründung für das in dem Opinion Letter lediglich mitgeteilte Ergebnis entspricht einem Wirtschaftsprüfungsgutachten – dies gilt insbesondere für die von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften unter Anwendung des IDW Standards S8 erstellten Fairness Opinions, da dieser Standard auf den IDW Standard S1 zur Durchführung von Unternehmensbewertungen verweist55 – oder geht sogar deutlich darüber hinaus. b) Investmentbanken als Gutachter Ausgehend von der Feststellung, die Fairness Opinion sei kein Gutachten,56 kann die weitere Würdigung des LG München I, der als Investmentbank agierenden Deutschen Bank AG fehle die Eigenschaft als Gutachter,57 nicht überraschen. Überzeugend ist sie jedoch nicht. Der Kreis der Gutachter im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze zum Drittschutz ist nicht auf öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige i.S.v. § 36 GewO beschränkt.58 Ihnen gleichzustellen sind andere Personen, die in der Öffentlichkeit die berechtigte Erwartung einer gegenüber dem bloß privaten Sachverständigen hervorgehobenen Sachkunde und Zuverlässigkeit hervorrufen.59 Dies hat der BGH wiederholt u.a. für Wirtschaftsprüfer bejaht.60 Hieraus zu folgern, dass Wirtschaftsprüfer bei der Erstellung einer Fairness Opinion als Gutachter tätig würden, Investmentbanken aber nicht – in diese Richtung deuten die Ausführungen des LG München I –, befremdet. Denn die Tatsache, dass die Wirtschaftsprüfer erst in der letzten Dekade vermehrt in diesen bis heute von Investmentbanken dominierten Markt drängen,61 legt es nahe, dass die Aktionäre des Auftraggebers einer Investmentbank aufgrund der langjährigen Erfahrung bei der Erstellung von Fairness Opinions mehr Vertrauen entgegenbringen als Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. 55

IDW Standard S8 Rn. 32, abgedruckt in WPg 2001, 85 ff. Dazu vorstehend III. 2. a). 57 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 255. 58 Siehe z.B. BGHZ 193, 297 (303 Rn. 18) = NJW 2012, 3165 (Abschlussprüfer); BGHZ 127, 378 (381 f.) = NJW 1995, 392 (Bausachverständiger der Sparkasse); BGH, NJW-RR 2011, 462 (463 Rn. 10) (Grundstückssachverständiger). 59 BGHZ 127, 378 (381 f.) = NJW 1995, 392. 60 BGHZ 167, 155 (161 Rn. 12) = NJW 2006, 1975; BGHZ 145, 187 (197 f.) = NJW 2001, 360; BGHZ 138, 257 (261) = NJW 1998, 1948; BGH, NJW 2011, 3115 (3116); BGH, NJW 2004, 3420 (3421); BGH, NJW 2002, 3625 (3626); BGH, NJW-RR 1989, 696; BGH, NJW 1987, 1758 (1759). 61 Für Nachweise siehe Fn. 1. 56

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c) Gegenläufige Interessen Zu der Einordnung der Fairness Opinion als Gutachten62 und der Eigenschaft der sie erstellenden Investmentbanken als Gutachter63 tritt der Umstand hinzu, dass die Ersteller ausweislich der marktüblichen Einwilligung, wonach die Vertretungsorgane der Auftraggeber den Opinion Letter dem Verschmelzungsbericht (§§ 8 Abs. 1 S. 1, 63 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 UmwG) bzw. ihrer zu veröffentlichenden Stellungnahme (§ 27 Abs. 1, 3 S. 1 ggf. i.V.m. f 34 oder f 39 WpÜG) beifügen dürfen, von vornherein damit rechnen, das Ergebnis der Fairness Opinion werde gegenüber den Aktionären und sonstigen interessierten Dritten offengelegt. Damit wären die besonderen Voraussetzungen, die das LG München I für die Gläubigernähe der KirchMedia benannt hat, erfüllt gewesen. Im Ergebnis hat die Kammer die Gläubigernähe gleichwohl zu Recht verneint. Ob und inwieweit Dritte in den Schutzbereich eines Vertrags einbezogen sind, hängt nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit – innerhalb der durch gesetzliche Verbote, die Sittenordnung und zwingende Vorschriften gesetzten Grenzen – vom Willen der Parteien ab.64 Treffen sie keine ausdrückliche Vereinbarung über den Drittschutz,65 müssen die Gerichte ex post durch ergänzende Auslegung ermitteln, ob die stillschweigende Vereinbarung einer Schutzpflicht für Dritte gewollt war.66 Für die sog. Gutachtenfälle hat der BGH den Tatgerichten das wesentliche Auslegungskriterium an die Hand gegeben, nämlich, ob die mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Person über besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt und von vornherein davon ausgehen muss, der Auftraggeber werde von dem Gutachten gegenüber Dritten Gebrauch machen.67 Unter diesen Umständen müsse der Schuldner die Vertragserklärung des Gläubigers in der Regel dahingehend verstehen, dass ein Drittschutz gewollt sei.68 Gegenläufige Interessen des Gläubigers und des Dritten in Bezug auf das Gutachten, für die der BGH in ständiger Rechtsprechung betont, dass sie den Drittschutz nicht notwendig ausschließen,69 sind keine Voraussetzung für die Anwendung der genannten Auslegungskriterien. Vor dem Hintergrund, dass die Auslegung stillschweigender Verhaltensweisen allein aufgrund der objektiven Interes62

Dazu vorstehend III. 2. a). Dazu vorstehend III. 2. b). 64 Statt vieler BGH, NJW-RR 1986, 484 (485); BGH, DB 1985, 1564 (1465); BGH, NJW 1984, 355 f.; MüKoBGB/Gottwald, 8. Aufl. 2019, BGB § 328 Rn. 185. 65 Dazu sogleich III. 2. d). 66 BGH, NJW-RR 1986, 484 (485 f.); BGH, NJW 1984, 355 (356). 67 BGHZ 127, 378 (380) = NJW 1995, 392; BGH, NJW-RR 1989, 696; BGH, NJW 1987, 1758 (1759). 68 BGH, NJW-RR 1986, 484 (486). 69 BGH, NJW-RR 1989, 696; BGH, NJW 1987, 1758 (1759); BGH, NJW-RR 1986, 484 (486). Dagegen insbesondere Canaris, JZ 1995, 441 (443 f.). 63

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senlage erfolgt,70 liegt ihre Bedeutung vielmehr in der Klarstellung, dass der eventuell abweichende wahre Wille des Gläubigers, keinen Drittschutz zu begründen, unbeachtlich ist. Die vom LG München I getroffene Feststellung, dass die Minderheitsaktionäre von ProSiebenSat.1 einerseits und deren Mehrheitsaktionärin andererseits gegenläufige Interessen verfolgten,71 ist in Anbetracht der Tatsache, dass weder erstere noch letztere Vertragspartei waren, für die ergänzende Auslegung des Geschäftsbesorgungsvertrags, insbesondere die Frage nach der stillschweigenden Vereinbarung drittschützender Wirkungen, ohne Bedeutung. d) Vorrang des ausdrücklichen Parteiwillens Die Feststellung, dass ProSiebenSat.1 und KirchMedia gegenläufige Interessen in Bezug auf die Fairness Opinion betreffend das Umtauschverhältnis der Anteile in der beabsichtigten Verschmelzung verfolgten, enthalten die Urteilsgründe des LG München I nicht. Dies ist allerdings unschädlich, weil es hierauf nur ankommt, wenn die Vertragsparteien keine ausdrückliche Regelung zum Drittschutz getroffen haben und deshalb durch ergänzende Auslegung zu entscheiden ist, ob eine stillschweigende Vereinbarung von Schutzwirkungen zugunsten der Aktionäre, der Gesellschaftsgläubiger oder sonstiger Dritter gewollt war.72 Haben die Parteien derartige Schutzwirkungen hingegen ausdrücklich ausgeschlossen, verbietet sich die Annahme einer gegenteiligen stillschweigenden Vereinbarung. Denn kraft ihrer Vertragsfreiheit können die Parteien nicht nur Schutzwirkungen zugunsten jedes beliebigen Dritten begründen, sondern auch Dritte beliebig ausschließen.73 Gegenwärtig enthalten – soweit ersichtlich – sämtliche Opinion Letter – mit unbedeutenden Abweichungen im Wortlaut – die Aussage der Ersteller, dass weder die Stellungnahme noch der zugrundeliegende Vertrag Rechte oder Schutzwirkungen zugunsten der Aktionäre, der Gesellschaftsgläubiger oder sonstiger Dritter begründen soll.74 Allerdings sind die Opinion Letter Teil der geschuldeten Leistung und nicht die Vertragsurkunde. Die insoweit maßgeblichen Engagement Letter lassen eine dahingehende Regelung allerdings überwiegend vermissen, so dass aufgrund der Vermutung der Voll-

70 So z.B. BGHZ 193, 297 (302 Rn. 14 f.) = NJW 2012, 3165; BGH, NJW-RR 1986, 484 (485). 71 LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 251. 72 Dazu vorstehend III. 2. c). 73 BGH, NJW-RR 1986, 484 (486); BGH, DB 1985, 1564 (1465). 74 Besonders deutlich z.B. die Stellungnahme von Perella Weinberg Partners UK LLP v. 1.8.2013, veröffentlicht als Anlage 2 zu der gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat der Kabel Deutschland Holding AG zu dem Übernahmeangebot der Vodafone Vierte Verwaltungsgesellschaft mbH.

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ständigkeit der Urkunde nur deren Inhalt als Vertragsinhalt gilt.75 Die Widerlegung dieser Vermutung ist allerdings möglich und in diesen Konstellationen sogar wahrscheinlich. Denn die Tatsache, dass sämtliche Opinion Letter Schutzwirkungen zugunsten Dritter ausdrücklich negieren, legt es nahe, dass sich markterfahrene und fachlich beratende Parteien in Kenntnis dieses Marktstandards hierüber bereits bei Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrags geeinigt haben, die Ersteller ihre Aussagen zu den Schutzwirkungen also nicht nachträglich einseitig und ohne den Willen ihrer Auftraggeber in die Opinion Letter aufnehmen.

IV. Vertraglicher Haftungsausschluss Die Tatsache, dass Schutzwirkungen zugunsten Dritter nur in wenigen Engagement Letters ausdrücklich ausgeschlossen sind,76 dürfte darauf beruhen, dass sie ausnahmslos einen vertraglichen Haftungsausschluss vorsehen, wonach die Ersteller bei der Verletzung ihrer Verpflichtungen nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften.77 Diese Freizeichnung können die Ersteller nicht nur ihren Auftraggebern, sondern in entsprechender Anwendung von § 334 BGB grundsätzlich auch Dritten entgegensetzen.78 Eine stillschweigende Abbedingung des Grundsatzes, dass den geschützten79 Dritten keine weitergehenden Rechte zustehen als dem unmittelbaren Vertragspartner des Schuldners,80 die sich nach der Rechtsprechung des BGH insbesondere aus der Natur des Vertrags ergeben kann81 – methodologisch handelt es sich eher um eine ergänzende Vertragsauslegung –, scheidet bei den gegenwärtig marktüblichen Fairness Opinions aus. Ordnet man Fairness Opinions als Gutachten ein,82 liegt es zwar nahe, die zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsverträge entsprechend den Rechtsprechungsgrundsätzen zu den sog. Gutachtenfällen auszulegen. Danach gilt in der Regel Folgendes: Hat der Gläubiger ein Interesse am Schutz des Dritten, liegt die Annahme nahe, dass ihm die (Sekundär-)Rechte gegen den Schuldner auch dann zu75 76 77

Statt vieler Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, ZPO Vor § 415 Rn. 7 m.w.N. Dazu vorstehend III. 2. d). Siehe z.B. die in LG München I, BeckRS 2009, 9410 Rn. 18 wiedergegebene Klau-

sel. 78 BGHZ 127, 378 (384 f.) = NJW 1995, 392; BGHZ 56, 269 (273 f.) = NJW 1971, 1931; Lappe/Stafflage, CFL 2010, 312 (318); Schiessl, ZGR 2003, 814 (851); a.A. Medicus, JZ 1995, 308 (309), der eine entsprechende Anwendung von § 334 BGB auf Verträge mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter jedenfalls bei gegenläufigen Interessen ablehnt. 79 Dazu vorstehend III. 80 BGHZ 186, 253 (259 Rn. 19) = NZG 2010, 991; BGHZ 127, 378 (384) = NJW 1995, 392; BGH, NZG 2011, 1023 (1024 Rn. 27); BGH, NJW 1998, 1059 (1061). 81 BGHZ 127, 378 (385) = NJW 1995, 392. 82 Dazu vorstehend III. 2. a).

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stehen sollen, wenn sie zu Lasten des Gläubigers vertraglich ausgeschlossen sind.83 Einem solchen Antrag müsse ein Gutachter,84 der wisse oder zumindest damit rechnen müsse, dass seine Stellungnahme Dritten als Entscheidungshilfe dienen soll, redlicher Weise zustimmen.85 Bei Anwendung dieser Grundsätze kommt eine stillschweigende Abbedingung von § 334 BGB aber auch dann nicht in Betracht, wenn man die Gläubigernähe der Aktionäre des Auftraggebers – entgegen der hier vertreten Ansicht86 – bejaht. Für ihre Annahme verbleibt nämlich kein Raum, wenn in dem Opinion Letter entsprechend marktüblicher Praxis87 klargestellt wird, dass die Fairness Opinion ausschließlich zur Information der zur Abgabe eines Berichts bzw. einer Stellungnahme verpflichteten Organe erstellt wurde, für andere Zwecke nicht genutzt werden darf und insbesondere keine Handlungsempfehlung an die Anteilsinhaber darstellt.

V. Ergebnisse 1. Die der Erstellung von Fairness Opinions zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsverträge entfalten keinen Drittschutz zugunsten der Aktionäre und Gläubiger des Auftraggebers sowie sonstiger Dritter. 2. Nach dem Inhalt des Vertrags kommen regelmäßig weder die Aktionäre noch sonstige Dritte bestimmungsgemäß mit der Fairness Opinion in Berührung, so dass bereits keine Leistungsnähe gegeben ist. Anderes ist aufgrund des besonderen Auftragsgegenstands nur bei einer Fairness Opinion zu der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses der Anteile einer beabsichtigten Verschmelzung zu entscheiden. 3. Auf Grundlage der gegenwärtig marktüblichen Verträge ist die Gläubigernähe stets zu verneinen. Die Ersteller von Fairness Opinions haben nicht nur kein Interesse am Schutz der Aktionäre der Auftraggeber und sonstiger Dritter, sondern schließen die Gläubigernähe ausweislich der marktüblichen Aussagen in den Opinion Letters ausdrücklich aus. 4. Die marktüblichen Engagement Letter enthalten eine Haftungsbeschränkung der Ersteller auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Diese können sie nicht nur den Auftraggebern, sondern auch Dritten entgegensetzen. 83

BGHZ 127, 378 (386) = NJW 1995, 392; BGH, NJW 1998, 1059 (1061). Dazu vorstehend III. 2. b). 85 BGH, NJW 1998, 1059 (1061). Ablehnend Canaris, JZ 1995, 441 (444). 86 Dazu vorstehend III. 2. 87 Siehe z.B. den Opinion Letter der Citigroup Global Marktes Europe AG v. 10.4.2019, veröffentlicht als Anlage 7.2(b) zu der gemeinsamen Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats der Scout24 AG zu dem Übernahmeangebot der Pulver BidCo GmbH. 84

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Für eine stillschweigende Abbedingung, die die Rechtsprechung in der Regel bei den sog. Gutachtenfällen annimmt, ist bei Fairness Opinions aufgrund der ausdrücklichen Zweckbestimmung kein Raum. 5. Die Ersteller fehlerhafter Fairness Opinions haften den Aktionären und Gläubigern des Auftraggebers sowie sonstigen Dritten nur im Fall einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB).

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Anlegermitverschulden vor dem Bankensenat

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Anlegermitverschulden vor dem Bankensenat Andreas Martin Fleckner

Anlegermitverschulden vor dem Bankensenat Eine quantitative juristische Studie ANDREAS MARTIN FLECKNER

„Selbst bei reichlich vorhandenen Informationen ist der private Durchschnittsanleger ohne Vermittlung der Informationen unfähig, eine informierte Anlageentscheidung zu treffen. … Wenn diese Anleger entgegen alter Gewohnheit ... Effekten zu erwerben beginnen, sind sie, wie die letzten Jahre gezeigt haben, leichte Beute für die goldenen Versprechungen von Investmentfondsvertretern und Anlageberatern. … Die keineswegs etwa nur auf Deutschland beschränkte fachliche Ohnmacht ist typischerweise begleitet von dem Mangel der Bereitschaft, sich näher um die Voraussetzungen für eine voll durchdachte Anlageentscheidung zu kümmern. ... So wenig Initiative der Anleger aufbringt, seine Rechte selbst oder durch Bevollmächtigung eines Vertreters in der Hauptversammlung wahrzunehmen, so wenig Elan wendet er auf, sich über Möglichkeiten und Konsequenzen einer Effektenanlage an Hand des Börsengeschehens zu informieren oder von seiner Bank beraten zu lassen.“1

Dass diese Worte nicht aus einer aktuellen Veröffentlichung stammen, sondern fast ein halbes Jahrhundert alt sind, verrät selbst dem Bank- und Kapitalmarktrechtler allenfalls die traditionelle Rechtschreibung von „an Hand“. Ansonsten hat sich an dem Regelungsproblem, das der Jubilar 1975 in „Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken“, der Druckfassung seiner Habilitationsschrift, behandelt, nichts geändert: Wie sollte das Risiko, das mit jeder Kapitalanlage verbunden ist, zwischen dem Anleger und demjenigen, der ihn beraten oder sonst bei der Anlage unterstützt hat, verteilt werden? Dem Jubilar diente die für Kapitalanleger typische „Lethargie“2 dazu, ihre besondere Schutzbedürftigkeit zu begründen.3 Heute werden Kapitalanleger von der Rechtsordnung dagegen so gut geschützt, dass ihre weiterhin zu beobachtende Passivität vor allem unter umgekehrten Vorzeichen 1 Hopt Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken – Gesellschafts-, bank- und börsenrechtliche Anforderungen an das Beratungs- und Verwaltungsverhalten der Kreditinstitute, 1975, S. 89–91. 2 Hopt Kapitalanlegerschutz (Fn. 1), S. 70, 90, 138, 162, 163, 164, 247, 286, 366, 418, 423, 425, 506. 3 Die eingangs zitierten Bemerkungen aus Hopt Kapitalanlegerschutz (Fn. 1) entstammen dem 1. Kapitel, überschrieben mit „Schutzbedürfnisse der Anleger beim Effektengeschäft“ (S. 59–146), darin vier Gliederungsebenen tiefer der 1. Unterabschnitt: „Überforderung des Anlegers bei selbständiger Anlageentscheidung“ (S. 88–94).

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interessiert: Inwieweit ist ein Mitverschulden geschädigter Kapitalanleger anspruchsmindernd zu berücksichtigen (§ 254 BGB)? Wer zu dieser Frage die Literatur durchforstet, die seit der Habilitation des Jubilars erschienen ist,4 stößt auf einen bunten Strauß von Beispielen, Fallgruppen und Meinungen, die sich kaum noch miteinander in Einklang bringen lassen.5 Ebenso unübersichtlich – und vermutlich die wesentliche Quelle der Vielfalt im Schrifttum – ist die Rechtsprechung, mit Abweichungen teils zwischen einzelnen Gerichten und Instanzen, teils sogar innerhalb desselben Gerichts.6 In solch einer unübersichtlichen Situation können die Methoden der quantitativen Rechtswissenschaft helfen, also „die statistische Auswertung zählbarer Daten zur Beantwortung juristischer Fragen“.7 Die „juristische Frage“, die hier im Raume steht, ist die Relevanz bzw. Irrelevanz des Mitverschuldens geschädigter Kapitalanleger. Diese Frage ist normativ, soweit es darum geht, welche Bedeutung das Mitverschulden haben sollte, und empirisch, soweit es darum geht, welche Bedeutung das Mitverschulden tatsächlich hat. Zu dieser zweiten – empirischen – Frage soll im Folgenden ein erster, instanziell wie sachlich begrenzter Beitrag geleistet werden. Zunächst werden alle Entscheidungen desjenigen BGH-Senats, der für Klagen von Kapitalanlegern primär zuständig ist, auf ihre Aussagen zum Mitverschulden untersucht (I.). Dann weitet sich der Blick zu Vergleichszwecken auf eine Auswahl zusätzlicher höchstrichterlicher Entscheidungen, die von anderen Gerichten oder im Schrifttum für Fragen des Mitverschuldens von Kapitalanlegern zitiert werden (II.). Die Analyse schließt mit einigen vergleichenden Beobachtungen (III.), gefolgt von Überlegungen dazu, welche weiteren Forschungsfragen sich aus den Ergebnissen des Beitrages gewinnen lassen.8 4 Speziell zum Mitverschulden von Kapitalanlegern insb. Assmann NJW 1982, 1083–1085, Geibel Der Kapitalanlegerschaden, 2002, S. 447–471 und Rothenhöfer WM 2003, 2032–2037. Außerdem z.B. Assmann Prospekthaftung, 1985, S. 365 f.; Assmann FS H. Lange, 1992, S. 345, 366–368; Lang Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, 1995, S. 187–190; Ellenberger Prospekthaftung im Wertpapierhandel, 2001, S. 66–68; Brandt Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Kapitalanlage, 2002, S. 149–151; Hellgardt Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 531 f.; Heese Beratungspflichten, 2015, S. 452 f.; Grüneberg Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen, 2017, S. 165–169. 5 Der Jubilar selbst befasst sich mit dem Mitverschulden von Kapitalanlegern außer in Hopt Kapitalanlegerschutz (Fn. 1), S. 418 Fn. 21 insb. in Hopt FS R. Fischer, 1979, S. 237, 254 f. und Hopt Aktuelle Rechtsfragen der Haftung für Anlage- und Vermögensberatung einschließlich Prospekthaftung, 2. Aufl. 1985, S. 77 f. sowie seit 15 Auflagen in seinem Handelsrechtskommentar (hierzu sogleich in Fn. 6). 6 Aktueller Überblick, gerade auch über die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, bei Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 347 Rn. 36. 7 Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 379; ebenso Coupette/Fleckner FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 53, 53. 8 Alle Angaben sind auf dem Stand vom 31.12.2019; weitere Informationen zu den im Beitrag verwendeten Daten und ihrer Analyse finden sich im Online-Anhang unter www.

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Mit diesem Programm, das hoffentlich auf das Interesse des Jubilars und seiner Festgemeinde stoßen wird, soll primär zum Diskurs über das Mitverschulden von Kapitalanlegern beigetragen werden. Daneben soll aber auch ein Eindruck davon vermittelt werden, wie der juristische Diskurs allgemein von der quantitativen Analyse gerichtlicher Entscheidungen profitieren kann – ein Ansatz, der für die Rechtsprechung deutscher Gerichte bislang wenig erprobt wurde,9 aber gerade für rechtsprechungsnahe Themen wie den Anlegerschutz einen echten Mehrwert verspricht, da Annahmen über die forensische Praxis im Wege quantitativer juristischer Studien intersubjektiv überprüfbar werden.10

I. Rechtsprechung des XI. Senats Vor gut drei Jahrzehnten, zum 1.7.1988, wurde am Bundesgerichtshof ein Senat speziell für das Bank-, Börsen- und Kapitalmarktrecht errichtet: der XI. Zivilsenat.11 Bereits bei seiner Gründung waren dem neuen Senat die zentralen Klagen geschädigter Kapitalanleger zugewiesen.12 An dieser primären Zuständigkeit für Anlegerklagen hat sich bis heute nichts geändert.13 Den quantitative-rechtswissenschaft.de (DOI: 10.5281/zenodo.3598609). – Johannes Liefke gebührt großer Dank für langjährige gemeinsame Überlegungen zum Mitverschulden von Kapitalanlegern, Corinna Coupette für stete Diskussionsbereitschaft und tatkräftige Unterstützung im Zusammenhang mit den drei Abbildungen, dem Online-Anhang sowie der computergestützten Suche nach den 71 Mitverschuldens-Entscheidungen (Fn. 21/ 22). 9 Als Ausnahmen (allerdings überwiegend rechtssoziologisch statt rechtsdogmatisch motiviert) lassen sich insb. nennen: Wagner-Döbler/Philipps Rechtstheorie 23 (1992), 228– 241 (BAG, BFH, BGH, BSG, BVerfG, BVerwG, Vorinstanzen); Wagner-Döbler RabelsZ 59 (1995), 113–127 (BFH, Finanzgerichte); Wagner-Döbler/Philipps Rechtstheorie 27 (1995), 235–259 (dieselben Gerichte wie in der Studie von 1992); Siems King’s L.J. 21 (2010), 152–171 (BGH); Gelter/Siems Amer. J. Comp. L. 62 (2014), 35–85 (BGH); Vogel/Pötters/Christensen Richterrecht der Arbeit – empirisch untersucht, 2015, S. 93–137 (insb. Gerichte für Arbeitssachen); Engst/Gschwend/Schaks/Sternberg/Wittig JZ 2017, 816–826 (BVerfG); Coupette Juristische Netzwerkforschung, 2019, S. 227–319 (BVerfG). 10 Unter den bei Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 380 verzeichneten Gegenständen quantitativer juristischer Studien fällt der hiesige Beitrag somit in die Kategorie „Rechtsprechung“; seinem Erkenntnisziel nach gehört der Beitrag zu den „Untersuchungen, die einen bestimmten Sachverhalt erkunden (explorative Studien) oder beschreiben (deskriptive Studien)“ (ebd.). 11 BGH Verlautbarung der Pressestelle vom 5.7.1988. 12 Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofes für das Geschäftsjahr 1989, BAnz. Nr. 34a vom 17.2.1989, S. 3, 5 (insb. „Rechtsstreitigkeiten über ... Ansprüche aus Kauf und Tausch von Wertpapieren“ sowie „Rechtsstreitigkeiten über ... Auftragsverhältnisse (§§ 662–676 BGB)“); außerdem BGH (Fn. 11), S. 1 („Haftung aus Kapitalanlagenberatung“). 13 Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs für das Geschäftsjahr 2019, BAnz. vom 7.2.2019/S2, S. 10, 15 f. (insb. „Rechtsstreitigkeiten über ... Ansprüche aus Kauf und

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XI. Senat deshalb verkürzend als den „Anlegersenat“ zu bezeichnen, wäre allerdings wenig treffend, da die Zuständigkeit des Senats auch viele Bereiche außerhalb der Kapitalanlage umfasst.14 Passender ist die Charakterisierung als „Bankensenat“ (wie im Titel dieses Beitrages),15 denn der Senat hat typischerweise über Klagen zu entscheiden,16 die sich nach den Mitteilungen im Tatbestand gegen eine „Bank“, eine „Sparkasse“ oder eine „Volksbank“ richten.17 1. Entscheidungen zum Anlegermitverschulden Welche Bedeutung hat das Mitverschulden geschädigter Kapitalanleger in der Rechtsprechung des XI. Senats? Um zu belastbaren und intersubjektiv nachvollziehbaren Antworten zu gelangen, bemüht sich dieser Beitrag um eine möglichst vollständige Analyse der Rechtsprechung des XI. Senats. „Möglichst vollständig“ heißt, dass der Versuch unternommen wird, alle Entscheidungen des Senats in die Überlegungen einzubeziehen, die für Außenstehende zugänglich sind. Hierzu wurden drei Quellen konsultiert: die Datenbank juris (im weiteren Verlauf abkürzend bezeichnet als „BGH juris“), die Internetpräsenz des BGH („BGH Internet“) sowie der BGH selbst („BGH Versand“).18 Auf diese Weise konnten zum Redaktionsschluss dieses Beitrages gut 2500 Entscheidungen ermittelt werden, die der Tausch von Wertpapieren“ sowie „Rechtsstreitigkeiten ... über Auftragsverhältnisse (§§ 662 bis 676c BGB) ... der Banken“); zur Zuständigkeit anderer BGH-Senate für Anlegerklagen nachstehend unter II. 14 Geschäftsverteilungsplan 2019 (Fn. 13), S. 15 f., deutlich erweitert gegenüber Geschäftsverteilungsplan 1989 (Fn. 12), S. 5. 15 Für die mancherorts anzutreffende Polemik „Bankensenat“ im Sinne von „bankenfreundlich“ gibt es, wie gerade dieser Beitrag zeigt, keine empirische Grundlage. 16 Speziell für die Klagen geschädigter Kapitalanleger ist dies im aktuellen Geschäftsverteilungsplan bereits aus dem Genitivattribut „der Banken“ zu erahnen (wiedergegeben vorstehend in Fn. 13); außerdem Geschäftsverteilungsplan 2019 (Fn. 13), insb. S. 16 („Rechtsstreitigkeiten ... über Ansprüche aus Bankgarantien“, „Rechtsstreitigkeiten über Darlehensverträge zwischen einem Kreditinstitut und einem Darlehensnehmer ... aus dem Einlagengeschäft eines Kreditinstituts ... über Ansprüche aus Kontokorrenten“). 17 Unter den 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats, die in diesem Beitrag näher untersucht werden (Fn. 21/22), richtet sich die Klage in 56 Fällen gegen ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut; in acht Verfahren ist jemand anderes Beklagter; in sieben Verfahren ist die Beklagtenseite unklar (Nachweise im Online-Anhang: Fn. 8). 18 Allgemein zu diesen drei Quellen Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 379 (Fn. **), 382 (Abb. 1 und zugehörige Erläuterungen). Erklärung für „BGH Versand“: Auf Anfrage hat der BGH dem Verfasser alle dem Gerichtshof vorliegenden Entscheidungen des XI. Senats übermittelt, die mit einer individuellen Begründung versehen sind: 1878 Word-Dateien mit Schreiben vom 9.12.2016, 530 PDF-Dateien mit Schreiben vom 8.2.2017 und 490 PDFDateien mit Schreiben vom 17.1.2020.

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XI. Senat seit seiner Gründung vor gut drei Jahrzehnten erlassen hat (Untersuchungszeitraum: 1.7.1988–31.12.2019).19 In wie vielen dieser gut 2500 Entscheidungen es um das Mitverschulden geht, lässt sich von einem einzelnen Menschen nur mit sehr großem zeitlichen Aufwand bestimmen. Denn wer wirklich sichergehen möchte, keine noch so knappe Bemerkung des Senats zum Mitverschulden zu verpassen, etwa in verschachtelten Nebensätzen oder in obiter dicta, der muss alle gut 2500 Entscheidungen konzentriert Wort für Wort durcharbeiten. Selbst geübte Leser dürften hierfür im Durchschnitt mindestens eine Viertelstunde pro Entscheidung benötigen. Wie viele Stunden solche Leser pro Tag derart konzentriert lesen können, ist allgemein schwer zu prognostizieren, aber mehr als zwölf Stunden dürfte es den wenigsten Lesern gelingen. Unter diesen sehr optimistischen Annahmen (vier Entscheidungen pro Stunde, zwölf Stunden pro Tag) würde die Durcharbeit der gut 2500 Entscheidungen mehr als 52 Tage in Anspruch nehmen. Wer „nur“ zwei Entscheidungen pro Stunde schafft, „nur“ acht Stunden am Tag konzentriert lesen kann und sich den „Luxus“ erlauben möchte, an einem Tag der Woche keine Entscheidungen des XI. Senats durchzuarbeiten, bräuchte für die gut 2500 Entscheidungen mehr als 182 Tage, also rund ein halbes Jahr. Schneller und für solche Routineaufgaben vermutlich auch zuverlässiger ist eine computergestützte Suche.20 Doch wonach suchen? Der Wortstamm „Mitverschuld*“ bzw. – das wird im Folgenden nicht mehr wiederholt – „mitverschuld*“ findet sich in 63 der gut 2500 Entscheidungen.21 Aber 19 Wie viele Entscheidungen der XI. Senat seit seiner Gründung exakt erlassen hat, ist unbekannt und wäre nur innerhalb des BGH mit uneingeschränktem Zugang zu allen Unterlagen des Senats zu ermitteln (und überdies abhängig davon, was als „Entscheidung“ verstanden wird). Selbst die scheinbar einfache Frage, wie viele verschiedene Entscheidungen über die drei hier konsultierten Quellen „BGH juris“, „BGH Internet“ und „BGH Versand“ verfügbar sind, birgt erhebliche konzeptionelle und technische Herausforderungen (hierzu Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 382). Da es für diesen Beitrag auf die exakte Zahl der Entscheidungen nicht ankommt, wird näherungsweise von „gut 2500“ gesprochen und lediglich die Zahl der Mitverschuldens-Entscheidungen möglichst genau bestimmt (hierzu in den nächsten Absätzen des Haupttextes). 20 Die technischen Details der computergestützten Suche und ihre wichtigsten Zwischenergebnisse sind im Online-Anhang (Fn. 8) dokumentiert. In den drei Quellengruppen („BGH juris“, „BGH Internet“, „BGH Versand“) wurde auf drei unterschiedliche Weisen nach den drei sogleich im Haupttext vorgestellten Ausdrücken („Mitverschuld*“/ „mitverschuld*“, „§ 254“, „§ 341“) gesucht. 21 Aus Platzgründen seien an dieser Stelle nur die Aktenzeichen genannt (sortiert nach dem nicht verzeichneten Entscheidungsdatum): XI ZR 14/88; XI ZR 80/88; XI ZR 163/88; XI ZR 130/88; XI ZR 34/89; XI ZR 105/89; XI ZR 236/89; XI ZR 107/89; XI ZR 151/89; XI ZR 207/90; XI ZR 165/91; XI ZR 265/91; XI ZR 76/92; XI ZR 18/93; XI ZR 238/93; XI ZR 225/93; XI ZR 31/94; XI ZR 180/94; XI ZR 154/94; XI ZR 261/94; XI ZR 260/94; XI ZR 255/95; XI ZR 22/96; XI ZR 84/96; XI ZR 270/96; XI ZR 254/97; XI ZR 50/98; XI ZR 277/98; XI ZR 294/98; XI ZR 193/99; XI ZR 235/99; XI ZR 164/00; XI ZR 197/01; XI ZR 336/01; XI ZR 426/01; XI ZR 232/02; XI ZR 101/02; XI ZR 322/01; XI ZR 355/02; XI

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kommt der Wortstamm „Mitverschuld*“ wirklich in allen Entscheidungen vor, in denen es um das Mitverschulden geht? Die Suche nach „§ 254“, der zentralen Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch über das Mitverschulden, liefert den Gegenbeweis: acht Entscheidungen, die das Mitverschulden betreffen, ohne dass ausdrücklich von „Mitverschuld*“ die Rede ist.22 Wer sich die Treffer ansieht, wird außerdem auf eine zweite Mitverschuldens-Vorschrift stoßen, auf die der Verfasser von selbst niemals gekommen wäre (was veranschaulicht, wie „gefährlich“ computergestützte Suchen ohne hinreichende Kenntnis oder zumindest stichprobenartige Lektüre der durchsuchten Quellen sind): § 341, die Mitverschuldens-Regelung des Zivilgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik.23 Die Suche nach „§ 341“ in allen gut 2500 Entscheidungen des XI. Senats liefert drei Treffer24 – allerdings ausschließlich von Entscheidungen, in denen bereits „Mitverschuld*“ und „§ 254“ auftauchen.25 Insgesamt führt die computergestützte Suche zu 71 verschiedenen Entscheidungen, in denen der Wortstamm „Mitverschuld*“ vorkommt oder mindestens eine der beiden eben genannten Mitverschuldens-Vorschriften zitiert wird.26 Abbildung 1 veranschaulicht, wie sich die drei Mengen einschlägiger Entscheidungen zueinander verhalten: ZR 479/02; XI ZR 267/04; XI ZR 311/04; XI ZR 412/04; XI ZR 85/04; XI ZR 384/03; XI ZR 405/04; XI ZB 26/07; XI ZR 342/08; XI ZR 345/08; XI ZR 346/08; XI ZR 28/09; XI ZR 394/08; XI ZR 82/08; XI ZR 33/10; XI ZR 96/11; XI ZR 334/11; XI ZR 240/10; XI ZR 318/10; XI ZR 345/10; XI ZR 46/11; XI ZR 147/12; XI ZR 169/13; XI ZR 425/14. Weitere Angaben zu diesen Entscheidungen sind im Online-Anhang (Fn. 8) abrufbar (hierzu außerdem nachstehend in Fn. 26). 22 XI ZR 200/88; XI ZR 72/90; XI ZR 69/95; XI ZR 197/00; XI ZR 169/03; XI ZR 562/07; XI ZR 39/11; XI ZR 150/15. In dieser Fußnote sind nur diejenigen Aktenzeichen aufgeführt, die vorstehend (Fn. 21) fehlen. Im Online-Anhang (Fn. 8) sind alle Entscheidungen verzeichnet. 23 Vom 19.6.1975, GBl. I S. 465–517. § 341 ZGB trug die amtliche Überschrift „Mitverantwortlichkeit des Geschädigten“ und lautete: „Die Verpflichtung zum Schadenersatz ist in dem Umfang ausgeschlossen, in dem der Geschädigte für den Schaden mitverantwortlich ist oder es unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern.“ 24 BGH, Urt. v. 7.11.1995 – XI ZR 261/94; BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94; BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 426/01. Der XI. Senat legt § 341 ZGB in diesen drei Entscheidungen genauso aus wie § 254 BGB, so dass im weiteren Verlauf dieses Beitrages nicht danach unterschieden wird, inwieweit die Entscheidungen ausschließlich zu § 254 BGB oder auch zu § 341 ZGB ergangen sind. Ob die Gleichbehandlung beider Vorschriften trotz der Unterschiede in Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und möglicherweise auch Regelungszweck berechtigt war, kann hier offenbleiben. 25 Eine denkbare weitere Ausdehnung, die in der Vorbereitung dieses Beitrages nicht verfolgt wurde, ist die Suche nach „mitwirkendes Verschulden“ (einschließlich aller Kasūs und sonstiger Varianten). „Mitverschuldet“ als Variante zu „Mitverschulden“ ist von der Wortstammsuche nach „Mitverschuld*“ bzw. „mitverschuld*“ bereits erfasst. 26 Im Online-Anhang (Fn. 8) findet sich eine tabellarische Übersicht, in der die 71 Mitverschuldens-Entscheidungen mit folgenden Angaben verzeichnet sind: Art der Entscheidung (Beschluss/Urteil), Entscheidungsdatum (hiernach sind die Entscheidungen sortiert),

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Abb. 1: Venn-Diagramm (Überlagerung von Mengen) mit den 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats27

Fleckner_Abb_01.tif Von den 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats interessieren in diesem Beitrag insbesondere diejenigen, in denen es um die Kapitalanlage geht. Die computergestützte Suche stößt hier an ihre Grenzen bzw. würde nur mit größeren Vorbereitungen zu hinreichend zuverlässigen Ergebnissen führen (selbst mit ausgefeilteren Methoden der Textanalyse).28 Die Frage, ob eine Entscheidung die Kapitalanlage betrifft oder nicht, hat der Verfasser deshalb auf der Basis eigener Lektüre, also intersubjektiv nicht überprüfbar, aber für den juristischen Diskurs lege artis, getroffen. Danach lassen sich unter den 71 Entscheidungen 27 zur Kapitalanlage identifizieren: vier aus dem ersten Jahrzehnt der Spruchtätigkeit des Senats (1.7.1988–30.6.1998),29 Aktenzeichen (Senat, Registerzeichen, Kombination aus Eingangsjahr und laufender Nummer im Eingangsjahr), Fundstellen etwaiger Veröffentlichungen (beschränkt auf BGHZ, WM und ZIP), Beklagtenseite (hierzu vorstehend in Fn. 17), Kapitalanlage/keine Kapitalanlage (hierzu sogleich im Haupttext). – Im weiteren Verlauf dieses Beitrages werden alle Entscheidungen nach der in juris verfügbaren Fassung zitiert (einschließlich der dortigen Randnummer-Zählung), da diese Fassung den meisten Juristen mit dem geringsten Aufwand zugänglich sein dürfte. 27 Wie Abbildung 1 generiert wurde, ist im Online-Anhang (Fn. 8) erklärt. Dort ist Abbildung 1 auch in verschiedenen Dateiformaten sowie in Farbe abrufbar. 28 Allgemein zu den konzeptionellen und technischen Herausforderungen der thematischen Klassifizierung gerichtlicher Entscheidungen Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 384. 29 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88; BGH, Urt. v. 24.4.1990 – XI ZR 236/89; BGH, Urt. v. 5.3.1991 – XI ZR 151/89; BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 22/96.

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neun aus dem zweiten Jahrzehnt (1.7.1998–30.6.2008),30 14 aus dem dritten Jahrzehnt (1.7.2008–30.6.2018).31 Im vierten Jahrzehnt seiner Spruchtätigkeit, von dem erst anderthalb Jahre vergangen sind (1.7.2018–31.12.2019), hat der XI. Senat bislang weder den Wortstamm „Mitverschuld*“ verwendet noch die beiden Mitverschuldens-Vorschriften zitiert – im Kontext der Kapitalanlage ebenso wenig wie in anderen Zusammenhängen. Abbildung 2 gibt einen abschließenden Überblick über die 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats: Fleckner_Abb_02.tif

Abb. 2: Zeitliche Verteilung der 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats (mit Hervorhebung der 27 Entscheidungen, in denen es um die Kapitalanlage geht)32 30 BGH, Urt. v. 8.12.1998 – XI ZR 50/98; BGH, Urt. v. 18.4.2000 – XI ZR 193/99; BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00; BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01; BGH, Urt. v. 18.11.2003 – XI ZR 322/01; BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02; BGH, Beschl. v. 8.3.2005 – XI ZR 267/04; BGH, Beschl. v. 10.6.2008 – XI ZB 26/07. 31 BGH, Beschl. v. 19.5.2009 – XI ZR 342/08; BGH, Beschl. v. 19.5.2009 – XI ZR 345/08; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10; BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 240/10; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 318/10; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 345/10; BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15. 32 Jede Mitverschuldens-Entscheidung ist durch die zweite Hälfte ihres Aktenzeichens repräsentiert (die erste Hälfte ist überall „XI ZR“, außer bei „XI ZB 26/07“); Entscheidungen, in denen es um die Kapitalanlage geht, sind schwarz gedruckt und dadurch her-

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2. Materielle Grundfragen des Mitverschuldens In den gut drei Jahrzehnten seines Bestehens hat sich der XI. Senat nur in sieben der 71 Mitverschuldens-Entscheidungen (und zudem eher beiläufig) zu den materiellen Grundfragen des Mitverschuldens äußern müssen.33 Eine Bemerkung des Senats zur Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 Fall 2 BGB) deutet darauf hin, dass der Senat in den Regeln über das Mitverschulden eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben sieht.34 Es handele sich „um ein Verschulden in eigener Angelegenheit, infolge dessen derjenige, der die Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, den Verlust oder die Kürzung seines eigenen Schadensersatzanspruches in Kauf nehmen muss“.35 Verallgemeinernd betont der Senat in einer anderen Entscheidung, es sei „im gesamten Anwendungsbereich“ der Vorschrift eine „umfassende Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge“ geboten.36 Der Senat wendet sich hiermit gegen eine abweichende Auffassung im Schriftum,37 die er – historisch zutreffend38 – als „teilweisen Rückfall in das durch § 254 BGB überwundene Alles-oder-nichts-Prinzip“ abkanzelt.39 Wie sind die konkreten Mitverschuldensquoten zu bilden? Der Senat schreibt, es sei „in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Schadensverursachung und in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens vorgehoben. Die Schriftgröße ist danach linear skaliert, wie häufig der Wortstamm „Mitverschuld*“ in der jeweiligen Entscheidung vorkommt und wie häufig die beiden Mitverschuldens-Vorschriften zitiert werden (vom Minimum 1 Treffer bis zum Maximum 12 Treffer). – Abbildung 2 ist eine Variante von Abbildung 3 bei Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 388 (zum Wortstamm „spekul*“), wo auch eine Reihe von Vorbehalten gegen diese Art der Visualisierung genannt werden (u.a. die zweidimensionale Darstellung der Zeit und die Überlagerung verschiedener Aktenzeichen). Immerhin lässt sich der Abbildung aber entnehmen, dass die relative Häufigkeit der Entscheidungen zur Kapitalanlage zunimmt, nicht aber die Zahl der Treffer für „Mitverschuld*“ bzw. die beiden Mitverschuldens-Vorschriften. Weitere Informationen zu Abbildung 2 sind im Online-Anhang (Fn. 8) abrufbar (außerdem Versionen in Farbe). 33 BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94; BGH, Urt. v. 13.5.1997 – XI ZR 84/96; BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98; BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13. 34 BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 37; indirekt möglicherweise auch BGH, Urt. v. 26.10.2010 – XI ZR 562/07, Rn. 17 und BGH, Urt. v. 3.4.2012 – XI ZR 39/ 11, Rn. 44. 35 BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 38. 36 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 20. 37 Der Senat verweist auf Grunsky in MünchKomm, BGB, 3. Aufl. 1994, § 254 Rn. 44. 38 Historisch-rechtsvergleichende Überblicke insb. bei Jansen in MaxEuP, 2012, S. 401– 403 und Zimmermann in CECL, 2018, Art. 9:504 Rn. 1–3 (weitere Nachweise nachstehend in Fn. 145). 39 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 20 (hierzu außerdem nachstehend im Haupttext zu Fn. 75).

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abzustellen“.40 Wesentlich für die Haftungsverteilung sei, „ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in erheblich höherem Maße wahrscheinlich gemacht“ habe.41 Handele der Schädiger vorsätzlich, der Geschädigte dagegen nur fahrlässig, müsse der Schädiger den Schaden grundsätzlich zu 100% tragen.42 3. Prozessuale Grundfragen des Mitverschuldens Mehr Anlass zu grundsätzlichen Äußerungen haben dem XI. Senat prozessuale Fragen gegeben. In nicht weniger als 15 der 71 MitverschuldensEntscheidungen stellt der Senat ausdrücklich klar, dass die im Rahmen des Mitverschuldens erforderliche Abwägung der beiderseitigen Verantwortlichkeit und die Bildung von Schadensquoten vornehmlich Sache des Tatrichters sei;43 seine eigene Rolle sieht der Senat primär darin, die Abwägungen des Tatrichters auf Rechtsfehler zu überprüfen.44 Ergebnis dieser Überprüfung kann sein, dass der Senat nichts zu beanstanden hat.45 War kein Rechtsfehler zu erkennen, hat der Senat mitunter bereits von der Annahme der Revision abgesehen.46 Hält der Senat die Abwägungen des Tatrichters dagegen für rechtsfehlerhaft, kommen zwei Reaktionen infrage (beide nahezu gleich häufig): Die erste Handlungsoption ist, dass der Senat die Sache an das Berufungsgericht zurückverweist, um den Sachverhalt weiter aufzuklären und auf dieser Grundlage die Mitverschuldensquoten (neu) festzustellen (ausgehend von teils sehr präzisen „Hinweisen“ des Senats).47 Die zweite Handlungsoption ist, dass der Senat – was angesichts des prozessualen Rahmens und der häu40

BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98, Rn. 14; nahezu wortgleich bereits BGH, Urt. v. 13.5.1997 – XI ZR 84/96, Rn. 23. 41 BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98, Rn. 14. 42 BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94, Rn. 29, 34, 35; ebenso BGH, Urt. v. 13.5. 1997 – XI ZR 84/96, Rn. 26, BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 61 und BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, Rn. 57; indirekt BGH, Urt. v. 7.11.1995 – XI ZR 261/ 94, Rn. 23. 43 Nachweise nachstehend in Fn. 133 (Tatrichter). 44 Nachweise nachstehend in Fn. 134 (Überprüfungsmaßstab). 45 BGH, Urt. v. 27.3.1990 – XI ZR 200/88, Rn. 14/15; BGH, Urt. v. 29.9.1992 – XI ZR 265/91, Rn. 18/19; BGH, Urt. v. 7.11.1995 – XI ZR 261/94, Rn. 23; BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 232/02, Rn. 22–32; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 59–61; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, Rn. 55–57; BGH, Urt. v. 23.11.2010 – XI ZR 82/08, Rn. 18; BGH, Urt. v. 24.4.2012 – XI ZR 96/11, Rn. 29–37; BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11, Rn. 25–30; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 34–42; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 37; ebenso wohl BGH, Urt. v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, Rn. 20 (i.V.m. Rn. 9 a.E.). 46 BGH, Urt. v. 10.10.1989 – XI ZR 130/88, Rn. 9; BGH, Urt. v. 7.2.1995 – XI ZR 31/ 94, Rn. 10. 47 Nachweise nachstehend in Fn. 136 (XI. Senat verweist zurück).

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figen Hervorhebung des tatrichterlichen Aufgabenkreises überraschen mag – selbst eine Abwägung vornimmt und selbst Mitverschuldensquoten bildet.48 Voraussetzung hierfür ist, dass dem Senat alle mit dem Mitverschulden zusammenhängenden Tatsachen als bereits aufgeklärt erscheinen.49 In solchen Situationen, deren Vorliegen nicht immer ausdrücklich erwähnt oder gar geprüft wird, äußert sich der Senat auch zum Mitverschulden, ohne hierbei die Abwägungen des Tatrichters zu überprüfen (namentlich in Auseinandersetzung mit der Revision).50 Zusammengenommen bedeuten all diese prozessualen Beobachtungen und die dahinterstehenden Praktiken, dass der Senat in Fragen des Mitverschuldens auch als Revisionsinstanz eine nahezu unbegrenzte Prüfungsund Entscheidungskompetenz beansprucht. Dass vor den Senat die Klage eines Kapitalanlegers kommt, bei der sich der Senat aus prozessualen Gründen nicht zum Mitverschulden äußern kann, ist eine seltene Ausnahme.51 4. Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens Von den 27 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats, in denen es um die Kapitalanlage geht, sind zwölf Entscheidungen aussagekräftig für das Mitverschulden geschädigter Anleger „bei der Entstehung des Schadens“ (§ 254 Abs. 1 BGB) – also für die Zeit, bevor irgendein Schaden eingetreten ist.52 48

Nachweise nachstehend in Fn. 135 (XI. Senat bildet selbst Quoten). BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 163/88, Rn. 26; BGH, Urt. v. 8.10.1991 – XI ZR 207/90, Rn. 25; BGH, Urt. v. 13.6.1995 – XI ZR 154/94, Rn. 33; BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94, Rn. 35; BGH, Urt. v. 13.5.1997 – XI ZR 84/96, Rn. 23; BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98, Rn. 18; BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 21; BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01, Rn. 33; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 13. 50 BGH, Urt. v. 19.1.1993 – XI ZR 76/92, Rn. 25/26; BGH, Urt. v. 11.10.1994 – XI ZR 238/93, Rn. 19; BGH, Beschl. v. 31.10.1995 – XI ZR 69/95, Rn. 7; BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 232/02, Rn. 22–32; BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, Rn. 30; BGH, Urt. v. 11.10.2005 – XI ZR 85/04, Rn. 28; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, Rn. 41; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 26. 51 Vielleicht BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 22/96, Rn. 14 (i.V.m. Rn. 7). Nicht auszuschließen ist allerdings, dass es außerhalb der hier untersuchten 71 MitverschuldensEntscheidungen weitere Fälle gibt, in denen sich der Senat aus prozessualen Gründen nicht zum Mitverschulden äußern konnte (und auch nicht geäußert hat, so dass die Entscheidungen hier nicht identifiziert wurden). 52 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88; BGH, Urt. v. 5.3.1991 – XI ZR 151/89; BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 22/96; BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01; BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15. 49

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Die Sachverhalte, die diesen zwölf Entscheidungen zugrundeliegen, sind denkbar heterogen und spiegeln ein weites Anlagespektrum wider: von der typischerweise risikoarmen Investition in Immobilien53 über Aktien54 bis hin zu spekulativen Derivaten55. Neunmal beträgt die vom Senat akzeptierte, selbst gebildete oder nebenbei angedeutete Mitverschuldensquote des Anlegers 0%,56 zweimal ein Drittel,57 einmal ist die Quote noch zu bestimmen (nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht).58 Unter den zwölf Entscheidungen zum Mitverschulden von Kapitalanlegern bei der Entstehung des Schadens tritt nur eine Konstellation häufiger auf: der grundsätzliche Ausschluss des Mitverschuldenseinwandes in Fällen der Anlageberatung („Beratungsfälle“).59 Worum geht es? „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“, so schreibt der XI. Senat nahezu wortgleich in fünf der zwölf Entscheidungen (2004/2011/2014/2016), „kann der Informationspflichtige [sc. also der Anlageberater] dem Geschädigten [sc. also dem beratenen Kapitalanleger] grundsätzlich nicht nach § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten, er habe den Angaben nicht vertrauen dürfen und sei deshalb für den entstandenen Schaden mitverantwortlich.“60 „Die gegenteilige Annahme“, so der Senat weiter, „stünde im Gegensatz zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht, nach dem der Anleger regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Beratung vertrauen darf ... .“61 Das gilt nach der Rechtsprechung des Senats ausdrück53 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88; BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12. 54 BGH, Urt. v. 5.3.1991 – XI ZR 151/89; BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 22/96; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01. 55 BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15. 56 BGH, Urt. v. 5.3.1991 – XI ZR 151/89, Rn. 9; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 13/14; BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, Rn. 30; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 59–61; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, Rn. 55–57; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, Rn. 41; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, Rn. 45/46; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 37; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 26. 57 BGH, Urt. v. 28.1.1997 – XI ZR 22/96, Rn. 7 (i.V.m. Rn. 14); BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01, Rn. 13, 19, 31–36. 58 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 6, 16, 17. 59 BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15 (Abschluss eines Anlageberatungsvertrags nach Zurückverweisung zu prüfen, aber bereits Hinweise des Senats für diesen Fall). 60 BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, Rn. 30 (die erläuternden Zusätze in eckigen Klammern stammen vom Verfasser); nahezu wortgleich findet sich dieser Satz außerdem in BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, Rn. 41 und BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 37 sowie mit etwas größeren Abweichungen in BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, Rn. 46 und BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 26. 61 BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, Rn. 41 = BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, Rn. 46; nahezu wortgleich, aber ohne den Nebensatz (dessen Inhalt sich freilich

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lich auch gegenüber einem Rechtsanwalt und Notar als Beratenem,62 ebenso gegenüber einem mittelständischen Unternehmen, für das eine DiplomVolkswirtin an dem Beratungsgespräch teilnimmt (als Prokuristin),63 und gegenüber einer Handelsgesellschaft.64 Auch sieht der Senat keinerlei Mitverschulden, wenn der Beratene (1) in dem vollen Bewusstsein, das Anlagekonzept nicht verstanden zu haben, eine Anlage tätigt,65 (2) über 52 Millionen DM (plus Umsatzsteuer) in ein Einkaufs- und Erlebniszentrum investiert, ohne die mit der Anlage zusammenhängenden Unterlagen einzusehen,66 (3) hochkomplexe Derivate erwirbt, um frühere Geschäfte zu verschleiern,67 aus dem nächsten Satz, wiedergegeben nachstehend in Fn. 62, ableiten lässt) bereits BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, Rn. 30. 62 BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, Rn. 30 („Daß der Ehemann [sc. der Beratene] ... als Rechtsanwalt und Notar die allgemeinen Risiken einer derartigen Kapitalanlage kannte, macht ihn nicht weniger schutzwürdig als andere Personen, die auf die Richtigkeit und Vollständigkeit einer Beratung vertrauen.“). 63 BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, insb. Rn. 25 („Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass an der Beratung auf Seiten der Klägerin eine Diplom-Volkswirtin teilgenommen hat. Zum einen hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass die berufliche Qualifikation des Kunden allein nicht ausreicht, um Kenntnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit Finanztermingeschäften zu unterstellen, solange keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass er diese im Zusammenhang mit der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit tatsächlich erworben hat ... Zum anderen hat das Berufungsgericht verkannt, dass aus den Fachkenntnissen des Kunden nicht auf dessen Risikobereitschaft geschlossen werden kann. Entsprechende Vorkenntnisse lassen die vom Berater übernommene Pflicht, die Anlageziele des Kunden zu ermitteln und ein dafür geeignetes Produkt zu empfehlen, unberührt ... .“). 64 BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 11, 27 (dass die Klägerin offenbar eine Handelsgesellschaft ist, ergibt sich mittelbar aus der Erwähnung „anderer“ Handelsgesellschaften). 65 BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, Rn. 41 („Anders als die Beklagte meint, ist der Schadensersatzanspruch auch nicht deshalb wegen Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 254 BGB zu kürzen, weil der Geschäftsführer der Klägerin in seiner mündlichen Anhörung durch das Berufungsgericht angegeben hat, er habe dem Vertrag zugestimmt, obwohl er das ihm zugrunde liegende Modell nicht verstanden habe. ... Die Entscheidung der Klägerin, die Anlage zu tätigen, ohne das Anlagekonzept verstanden zu haben, ist gerade Ausdruck dieses besonderen Vertrauensverhältnisses, das den Anleger dazu bringt, sich in erster Linie an der Empfehlung ‚seines‘ Beraters zu orientieren, und ihn davon abhält, weitere Nachfragen zu stellen oder Nachforschungen anzustellen ... .“). 66 BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, Rn. 46 („Danach kommt eine Anspruchskürzung hier nicht in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger Anlass gehabt haben sollte, sich über die vom Berater zugesicherte Vollvermietung des geplanten Einkaufsund Erlebniszentrums ‚zu vergewissern‘.“). 67 BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 37 („Selbst unterstellt, verantwortlich Handelnde der Klägerin hätten Verstöße gegen Haushaltsvorschriften mittels des fortgesetzten Abschlusses von Zinssatz-Swap-Verträgen aus politischem Kalkül überdecken wollen, wäre auch dies kein Aspekt, der nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen wäre.“).

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oder (4) von der eingepreisten Bruttomarge weiß, deren Verschweigen die Pflichtverletzung des Beraters begründet.68 Weniger explizit, aber doch im Hintergrund als maßgebliches Entscheidungskriterium des Senats erkennbar, ist das Vertrauen der Kapitalanleger auf die Aussagen ihrer Berater auch in zwei älteren Entscheidungen (1989/1991).69 Worauf es dem Senat im Kern ankommt, wird im Umkehrschluss zu der ersten der beiden Entscheidungen deutlich, in welcher der Senat für den konkreten Fall betont, dem Berater könne höchstens vorgeworfen werden, dem Anleger von der Investition nicht abgeraten zu haben;70 außerdem habe der Berater über keine überlegene Sachkunde verfügt.71 Hiermit ist bereits der eben skizzierte Grundsatz vorgezeichnet, einem Berater, der zu einer bestimmten Anlage rät, den Mitverschuldenseinwand zu versagen (wobei eine überlegene Sachkunde des Beraters heute entweder stillschweigend vorausgesetzt oder für entbehrlich erachtet wird). Zur anlegerfreundlichen Rechtsprechung in den Beratungsfällen passen zwei weitere Entscheidungen, in denen es der Senat nicht für „leichtfertig“ hielt, dass sich ein – offenbar nicht beratener – Anleger auf Geschäfte einließ, deren Risiken er nicht überblickte.72 Demgegenüber sah der Senat bei einem wohl ebenfalls unberatenen Anleger, der werthaltige Optionsscheine verfallen ließ, ein Mitverschulden, dessentwegen der Schadensersatzanspruch gegen seine Direktbank um ein Drittel zu kürzen sei.73 5. Mitverschulden bei der Vergrößerung des Schadens Ein Mitverschulden ist nach dem Gesetz auch dann zu berücksichtigen, „wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, ... dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern“ (§ 254 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB). Wie für das Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens (hierzu allgemein vorstehend unter 4.) muss nach Auffassung des XI. Senats auch mit Blick auf die Vergrößerung des Schadens eine umfas68 BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 26 („Sollten für die Klägerin Handelnde dem Grunde nach gewusst haben, dass die Beklagte eine Bruttomarge in die SwapVerträge einpreisen werde, ist dies entgegen der Rechtsmeinung der Revision kein Aspekt, der nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen wäre.“). 69 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 16; BGH, Urt. v. 5.3.1991 – XI ZR 151/ 89, Rn. 9. 70 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 16. 71 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 16. 72 BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 61 a.E. („Ein leichtfertiges Verhalten des Klägers hat das Berufungsgericht jedoch rechtsfehlerfrei mit der Begründung verneint, ein solches lasse sich nicht aus dem bloßen Umstand herleiten, dass der Kläger sich auf Geschäfte eingelassen habe, deren Risiken er nicht überblickt habe.“) = BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, Rn. 57 a.E. 73 BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01, Rn. 32.

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sende „Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge beider Parteien“ erfolgen.74 Den Geschädigten den vermeidbaren Schadensteil stets in vollem Umfang tragen zu lassen, sei dagegen mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar, enthalte einen zweifachen Wertungswiderspruch und stelle – wie bereits allgemein erwähnt – „einen teilweisen Rückfall in das durch § 254 BGB überwundene Alles-oder-nichts-Prinzip“ dar.75 Unter den 27 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats, in denen es um die Kapitalanlage geht, sind fünf aussagekräftig für die Situation, dass der Anleger zur Vergrößerung eines bereits eingetretenen Schadens beigetragen hat.76 Gegenstand dieser Entscheidungen war die Anlage in Immobilien,77 in Aktien,78 in Derivaten79 sowie in verschiedenen, nicht näher bezeichneten Wertpapieren.80 Dreimal liegt die vom Senat akzeptierte oder selbst gebildete Mitverschuldensquote des Anlegers bei 0%,81 einmal bei 17%,82 einmal ist die Quote noch zu bestimmen (nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht).83 Die Entscheidungen des Senats zur Schadensvergrößerung lassen sich leichter systematisieren als die Entscheidungen zur Schadensentstehung, denn die fünf Fälle haben einen gemeinsamen Ausgangspunkt: einen bereits eingetretenen Schaden. Von diesem Schaden ausgehend stellt sich in allen fünf Fällen die Frage: Welche Obliegenheiten treffen den Anleger ab dem Moment seiner erstmaligen Schädigung? In zwei der fünf Entscheidungen musste sich der Senat mit der Frage befassen, wie ein Schaden zu verteilen ist, der dadurch gewachsen ist, dass ein 74 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 11, anknüpfend an BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 20 (mit Hinweis auf den Meinungsstand im Schrifttum); im Ergebnis ebenso BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 35. 75 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 20 (hierzu außerdem vorstehend im Haupttext zu Fn. 36–39). 76 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88; BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01; BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13. 77 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88. 78 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01. 79 BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13. 80 BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11. 81 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 18, 19, 21–24; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 11–15; BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11, Rn. 25– 30. 82 BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 34–42. Den ungewöhnlich genau bezifferten Mitverschuldensanteil von 17% hat das Berufungsgericht – mit Billigung des XI. Senats – dem Insolvenzverfahren der Garantin der erworbenen Wertpapiere (Lehman Brothers Holdings Inc.) als erwartete Insolvenzquote entnommen; der (minderjährige) Anleger ist also offenbar allein dafür verantwortlich, dass der Schaden nicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht wurde (schwer zu vereinbaren mit den vorstehend im Haupttext zu Fn. 36–39 und Fn. 74/75 mitgeteilten Grundsätzen). 83 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 6, 16, 17.

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Anleger untätig geblieben ist, nachdem sein Auftrag zum Erwerb von Aktien pflichtwidrig nicht ausgeführt wurde.84 Verletzt ein Anleger seine Obliegenheiten, wenn er keinen zweiten Auftrag platziert, obwohl er von der Nichtausführung des ersten Auftrages weiß? Der Senat antwortet auf diese Frage mit großer Vorsicht und Zurückhaltung. Drei allgemeine Fragen lässt der Senat ausdrücklich offen: Erstens, muss der Geschädigte eine Kürzung seines Schadensersatzanspruches hinnehmen, wenn er sich nach dem rechtswidrigen Entzug einer Sache oder eines Rechts keinen Ersatz besorgt?85 Zweitens, ist eine solche Ersatzbeschaffung auch zumutbar, wenn es sich um Aktien und damit um Gegenstände handelt, deren Kursentwicklung unvorhersehbar ist?86 Drittens, wie ist die Rechtslage, wenn der Kurs seit Schadenseintritt bereits „nicht unerheblich“ gestiegen ist?87 Der Senat konnte diese drei Fragen offenlassen, da er in den beiden ihm zur Entscheidung vorliegenden Fällen ein etwaiges Mitverschulden des Anlegers wegen unterlassener Ersatzbeschaffung als so gering ansah, dass der Anspruch des Anlegers ohnehin nicht zu mindern sei.88 In den übrigen drei Entscheidungen verlief der Erwerb des Anlagegegenstandes ohne Probleme, aber die Anlage selbst stellte sich als weniger lukrativ heraus denn erhofft.89 Trifft den Anleger eine Obliegenheit, eine unattraktive oder gar verlustreiche Anlage rückabzuwickeln, um weiteren Schaden zu vermeiden? In einem Fall zu einem steuersparenden Abschreibungsobjekt konnte der Senat diese Frage nicht entscheiden, weil der Sachverhalt noch nicht hinreichend aufgeklärt war; der Senat lässt aber durchaus eine gewisse Sympathie für die Annahme einer Obliegenheitsverletzung erkennen, wenn der Anleger an einer verlustreichen Anlage festhält.90 Hierzu passt, dass der Senat im umgekehrten Verhalten – der Anleger trennt sich von einer verlustreichen Anlage – keine Obliegenheitsverletzung erblickt hat.91 Dagegen sieht der Senat ein Mitverschulden, wenn ein Anleger es versäumt, seine Ansprüche gegen die insolvente Garantin eines Anlagezertifikats im Rahmen eines US-amerikanischen Insolvenzverfahrens geltend zu machen.92

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BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01. BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 19. 86 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 11. 87 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 19, aber restriktiv Rn. 24 a.E. 88 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 19, 24; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 15. 89 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88; BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13. 90 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 16. 91 BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11, Rn. 25–30. 92 BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 34–42 (hierzu außerdem vorstehend in Fn. 82). 85

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II. Rechtsprechung anderer BGH-Senate Mit der Analyse der Entscheidungen des XI. Zivilsenats des BGH ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Mitverschulden von Kapitalanlegern noch nicht vollständig erfasst: Erstens existiert der XI. Senat erst seit gut drei Jahrzehnten, so dass etwaige ältere Entscheidungen zum Anlegermitverschulden von anderen Spruchkörpern stammen. Zweitens hat der XI. Senat bis heute keine Exklusivzuständigkeit für Anlegerklagen, denn bestimmte Klagen von Kapitalanlegern können nach dem Geschäftsverteilungsplan des BGH auch bei den übrigen Senaten landen.93 Dass dies keine Seltenheit ist, zeigen die regelmäßigen Übersichten über die bank- und kapitalmarktrechtliche Rechtsprechung anderer BGH-Senate.94 Auf den folgenden Seiten werden daher zu Vergleichszwecken sieben Entscheidungen des II., III. (dreimal), IVa., V. und VIII. Zivilsenats des BGH vorgestellt,95 in denen es um das Mitverschulden von Kapitalanlegern geht.96 Die sieben Entscheidungen der anderen BGH-Senate betreffen alle die Entstehung des Schadens, also nicht seine Vergrößerung, und umfassen ein weites Anlagespektrum: von Aktien,97 einer Eigentumswohnung98 und einem Darlehen an einen Hotelier99 über Vermögensverwaltung100 bis hin zu Beteiligungen an einer Publikums-KG,101 einem geschlossenen Fonds102 und 93 Geschäftsverteilungsplan 2019 (Fn. 13), insb. S. 11 f. („Dem III. Zivilsenat sind zugewiesen ... die Rechtsstreitigkeiten über Auftragsverhältnisse (§§ 662 bis 676c BGB) ..., soweit nicht der IX. Zivilsenat (Nummer 3) oder der XI. Zivilsenat (Nummer 2 Buchstabe a) zuständig ist“). 94 Für den II. Senat zuletzt Drescher WM 2019, 137–144; für den III. Senat Remmert WM 2019, 237–243; für den IV. Senat Karczewski WM 2019, 381–388 (Teil I), 433–438 (Teil II). 95 BGH, Urt. v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77; BGH, Urt. v. 12.2.1979 – II ZR 177/77; BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80; BGH, Urt. v. 13.6.2002 – III ZR 166/01; BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02; BGH, Urt. v. 8.7.2010 – III ZR 249/09; BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14. Im Online-Anhang (Fn. 8) findet sich eine tabellarische Übersicht, in der die sieben Entscheidungen mit denselben Angaben verzeichnet sind wie die 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats (hierzu vorstehend in Fn. 26). 96 Bei den sieben Entscheidungen der anderen BGH-Senate handelt es sich um eine Auswahl von Entscheidungen, die vom XI. Senat oder im Schrifttum zum Mitverschulden von Kapitalanlegern (Fn. 4–6) zitiert werden. Wer eine solche Auswahl für intersubjektiv nicht nachvollziehbar hält, liegt mit dieser Einschätzung richtig, wird dann aber mit dem juristischen Diskurs allgemein wenig Freude haben und dürfte die auf Vollständigkeit gerichtete Analyse vorstehend unter I. umso mehr begrüßen. 97 BGH, Urt. v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77. 98 BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02. 99 BGH, Urt. v. 12.2.1979 – II ZR 177/77. 100 BGH, Urt. v. 13.6.2002 – III ZR 166/01. 101 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80. 102 BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14.

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einem geschlossenen Immobilienfonds.103 In den vier jüngeren Entscheidungen beträgt die Mitverschuldensquote des Kapitalanlegers einmal 30% (2002)104 und dreimal 0% (2003/2010/2015),105 in den drei älteren Entscheidungen 1/3 (1978),106 3/4 (1979)107 und 50% (1981).108 Wie bei den Entscheidungen des XI. Senats, so lässt sich auch unter den Entscheidungen der anderen BGH-Senate zum Mitverschulden von Kapitalanlegern ein Schwerpunkt ausmachen: die Beratungsfälle. Während der VIII. Senat (1978)109 und der IVa. Senat (1981)110 in zwei der älteren Entscheidungen noch ausdrücklich offen lassen, ob der Berater dem Kapitalanleger ein etwaiges Mitverschulden entgegenhalten kann, schützen der V. Senat (2003)111 und der III. Senat (2010/2015)112 den beratenen Kapitalanleger grundsätzlich vor dem Mitverschuldenseinwand und liegen damit auf einer Linie mit dem XI. Senat (der seinen Grundsatz anknüpfend an frühere und in Wechselwirkung mit gegenwärtigen Entscheidungen der anderen BGH-Senate entwickelt hat). Die Rechtsprechung der anderen Senate zu den Beratungsfällen geht in zweierlei Hinsicht über die Entscheidungen des XI. Senats hinaus. Erstens finden sich bei den anderen Senaten gewisse Ansätze, den Ausschluss des Mitverschuldenseinwandes zu begründen; genannt werden einerseits Treu und Glauben,113 andererseits der Gedanke, dass das Vertrauen desjenigen, der erkennbar fremder Sachkunde bedürfe, „besonderen Schutz“ verdiene.114 Die Warum-Frage bleibt allerdings in beiderlei Hinsicht offen. Zweitens diskutieren die anderen Senate auch Ausnahmen von dem Grundsatz, also Konstellationen, in denen sich der Beratene den Mitverschuldenseinwand doch gefallen lassen muss;115 ausdrücklich erwähnt werden die eigene Sach103

BGH, Urt. v. 8.7.2010 – III ZR 249/09. BGH, Urt. v. 13.6.2002 – III ZR 166/01, Rn. 8. Die Quote von 30% ist noch nicht endgültig. Nachdem der Senat die Erwägungen des Landgerichts wiedergegeben hat, heißt es (ebd., Rn. 8): „Diese – vom rechtlichen Ansatzpunkt her nicht zu beanstandende – Würdigung bedarf jedoch im Berufungsrechtszug erneuter tatrichterlicher Überprüfung (wobei auch gegebenenfalls die rechnerischen Unstimmigkeiten ... zu beheben sein werden).“ 105 BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02, Rn. 31; BGH, Urt. v. 8.7.2010 – III ZR 249/09, Rn. 21; BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14, insb. Rn. 14. 106 BGH, Urt. v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77, Rn. 22. 107 BGH, Urt. v. 12.2.1979 – II ZR 177/77, Rn. 29 (i.V.m. Rn. 15). 108 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, insb. Rn. 17. 109 BGH, Urt. v. 8.2.1978 – VIII ZR 20/77, Rn. 22. 110 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 18. 111 BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02, Rn. 31. 112 BGH, Urt. v. 8.7.2010 – III ZR 249/09, Rn. 21; BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14, Rn. 13. 113 BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02, Rn. 31. 114 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 18; BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02, Rn. 31; BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14, Rn. 13. 115 Allgemein BGH, Urt. v. 12.2.1979 – II ZR 177/77, Rn. 29; BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 18; BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02, Rn. 31. 104

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kunde des Beratenen,116 abweichende Informationen von dritter Seite117 und differenzierende Hinweise des Beraters selbst.118 Unter den vorgenannten Entscheidungen am großzügigsten mit der Zulassung des Mitverschuldenseinwandes ist das Urteil des IVa. Senats, dessen eigentlicher Sachverhalt einen Fall der Anlagevermittlung betrifft (1981).119 Wenn der Anlagevermittler keine Provision verlange, sei für den Kapitalanleger „ohne weiteres erkennbar“, dass der Vermittler aufseiten des Kapitalnachfragers stehe;120 ebenso, wenn aus der Werbung des Anlagevermittlers sein Vertriebsinteresse deutlich werde.121 Von einem solchen Anlagevermittler könne der Kapitalanleger – anders als von einem Anlageberater – nicht erwarten, dass er allein das Interesse des Anlegers im Blick habe.122 Diese vielzitierte und vieldiskutierte Entscheidung ist fast vierzig Jahre alt – und sie liest sich tatsächlich wie aus einer anderen Zeit. Dass für einen Kapitalanleger etwas „ohne weiteres erkennbar“ sei, sagt in den neueren Entscheidungen der anderen BGH-Senate niemand mehr123 – und der XI. Senat wie gesehen nicht einmal dann, wenn der beratene Kapitalanleger: ein Rechtsanwalt und Notar ist; ein Unternehmen, das von einer Diplom-Volkswirtin als Prokuristin vertreten wird; eine Gemeinde, die Verstöße gegen Haushaltsvorschriften überdecken möchte; oder eine Handelsgesellschaft, die positive Kenntnis von dem Umstand hat, über den sie nicht aufgeklärt wurde.124

III. Vergleichende Beobachtungen Unter den gut 2500 Entscheidungen, die der XI. Zivilsenat des BGH jemals erlassen hat, enthalten 71 den Wortstamm „Mitverschuld*“ (Fn. 21) oder einen Verweis auf „§ 254“ des Bürgerlichen Gesetzbuches (Fn. 22) bzw. „§ 341“ des Zivilgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Repu116

BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14, Rn. 13 a.E. BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 18; BGH, Urt. v. 19.2.2015 – III ZR 90/14, Rn. 13 a.E. Für die Anlagevermittlung (hierzu sogleich im nächsten Absatz), aber wohl auf die Anlageberatung übertragbar BGH, Urt. v. 13.6.2002 – III ZR 166/01, Rn. 8. 118 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 18. 119 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80. 120 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 19. 121 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 19, 20. 122 BGH, Urt. v. 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, Rn. 19. 123 Beispiel: BGH, Urt. v. 14.3.2003 – V ZR 308/02, Rn. 31 („Zwar weist die Revision zu Recht darauf hin, daß die Klägerin aus den Kreditunterlagen, die sie vor Abgabe des Vertragsangebotes unterzeichnete, hätte ersehen können, daß die Finanzierungsbelastungen über den entsprechenden Ansätzen in den ‚Beispielrechnungen‘ lagen. Die Beklagte zu 4 kann dies der Klägerin jedoch nicht entgegenhalten.“). 124 Hierzu vorstehend unter I. 4. (Fn. 62–68 und zugehöriger Haupttext). 117

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blik (Fn. 24). 27 dieser 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats betreffen die Kapitalanlage (Fn. 29–31). Hiervon sind zwölf Entscheidungen, also knapp die Hälfte, unergiebig für Fragen des Mitverschuldens von Kapitalanlegern.125 In den übrigen 15 Entscheidungen geht es zwölfmal um das Mitverschulden geschädigter Anleger bei der Entstehung des Schadens (Fn. 52), fünfmal um das Mitverschulden geschädigter Anleger bei der Vergrößerung eines bereits eingetretenen Schadens (Fn. 76).126 Ergänzend wurden zu Vergleichszwecken sieben ausgewählte Entscheidungen anderer BGH-Senate analysiert, alle zur Entstehung des Schadens (Fn. 95). Zusammengenommen ergeben sich hieraus 24 Mitverschuldensquoten, über die der BGH zu befinden hatte. Für zwei Quoten hat der BGH, konkret der XI. Senat, von einer abschließenden Entscheidung abgesehen und die Sache stattdessen an das Berufungsgericht zurückverwiesen.127 Von den 22 verbleibenden Mitverschuldensquoten belaufen sich 15 auf 0%, die übrigen sieben Quoten auf 17%, 30%, 33,3̄ % (dreimal), 50% und 75%. Im Durchschnitt (arithmetisches Mittel) beträgt die Mitverschuldensquote 12,4%, typischerweise (Median) 0%, am häufigsten (Modus) ebenfalls 0%.128 Werden allein die Entscheidungen des XI. Senats berücksichtigt, beträgt die Quote bei zwölf (von nur noch 15) Entscheidungen 0%, bei den übrigen drei Entscheidungen 17% sowie zweimal 33,3̄ %. Das arithmetische Mittel sinkt um mehr als die Hälfte auf 5,6%, Median und Modus liegen weiterhin bei 0%. Mit anderen Worten sind die Mitverschuldensquoten so niedrig, dass sich weder für den XI. Senat noch allgemein sinnvolle Durchschnitte bilden lassen.129 Noch auffälliger ist der Befund für die häufigste Fallgruppe, 125 Unergiebig, weil das etwaige Mitverschulden der Kapitalanleger nur in der Prozessgeschichte zur Sprache kommt (BGH, Urt. v. 8.12.1998 – XI ZR 50/98; BGH, Urt. v. 18.11.2003 – XI ZR 322/01; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 240/10; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 318/10; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 345/10; BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11), nur beiläufig (BGH, Urt. v. 24.4.1990 – XI ZR 236/89; BGH, Beschl. v. 8.3.2005 – XI ZR 267/04; BGH, Beschl. v. 10.6.2008 – XI ZB 26/07; BGH, Beschl. v. 19.5.2009 – XI ZR 342/08; BGH, Beschl. v. 19.5.2009 – XI ZR 345/08) oder nur in einer Kombination von beidem (BGH, Urt. v. 18.4.2000 – XI ZR 193/99). 126 Die Abweichung der Summe beider Angaben (12 + 5 = 17) von der Gesamtzahl der aussagekräftigen Entscheidungen (15) erklärt sich daraus, dass zwei Entscheidungen beides, die Entstehung ebenso wie die Vergrößerung des Schadens, betreffen: BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88 und BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01. 127 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 6, 16, 17. Es handelt sich hierbei um eine der beiden Entscheidungen des XI. Senats, in denen ein Mitverschulden des Anlegers sowohl bei der Entstehung als auch bei der Vergrößerung des Schadens in Betracht kam (hierzu vorstehend in Fn. 126). 128 Allgemein zu arithmetischem Mittel, Median und Modus im Kontext quantitativer juristischer Studien Coupette/Fleckner JZ 2018, 379, 385 f. 129 Die im Haupttext mitgeteilten Durchschnitte (arithmetische Mittel) sind deshalb nicht „sinnvoll“, weil die Mitverschuldensquoten – wie insbesondere Median und Modus sowie Abbildung 3 zeigen – schief verteilt sind. Wenig sinnvoll ist die Angabe derart niedriger Durchschnittsquoten zudem aus einem weiteren Grund: In den untersuchten Ent-

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die Beratungsfälle. In den fünf diesbezüglichen Entscheidungen des XI. Senats (Fn. 59) ebenso wie in drei Fällen anderer Senate (Fn. 111/112), zusammen also in acht Fällen, beträgt die Mitverschuldensquote des beratenen Anlegers unisono 0%. Ein Beispiel, wie sich einige der gerade mitgeteilten Informationen visualisieren lassen, zeigt Abbildung 3: Fleckner_Abb_03.tif

Abb. 3: Histogramm (Visualisierung von Häufigkeitsverteilungen) mit den 22 Mitverschuldensquoten des BGH für Kapitalanleger130

Die niedrigen Mitverschuldensquoten, die für Klagen von Kapitalanlegern zu beobachten sind, geben Anlass zu Fragen, sind als solches aber noch kein Anlass zu Kritik. Denn erstens kann es für die niedrigen Quoten gute scheidungen (Fn. 52, 76, 95) hat der BGH nur einmal eine niedrigere Quote als 30% (BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 34–42, hierzu vorstehend in Fn. 82) und noch niemals eine Quote unter 17% akzeptiert, selbst gebildet oder nebenbei angedeutet (was möglicherweise auch an einer allgemeinen Skepsis gegenüber niedrigen Mitverschuldensquoten liegt; hierzu aus dem XI. Senat Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 254 Rn. 64, ebenso Ekkenga/Kuntz in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2014, § 254 Rn. 147, differenzierend Schiemann in Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, S. 620). 130 Jede Entscheidung, in welcher der BGH über eine Mitverschuldensquote eines Kapitalanlegers zu befinden hatte, ist durch die zweite Hälfte ihres Aktenzeichens repräsentiert. Entscheidungen des XI. Senats sind grau, Entscheidungen anderer BGH-Senate schwarz gedruckt. Die Entscheidungen sind von unten nach oben ihrem Entscheidungsdatum folgend geordnet. „336/01“ kommt zweimal vor, da es in dieser Entscheidung um zwei separate Quoten geht (hierzu vorstehend in Fn. 126/127). Weitere Informationen zu Abbildung 3 sowie Versionen in Farbe finden sich im Online-Anhang (Fn. 8).

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Gründe geben (was separat zu untersuchen wäre, hierzu am Ende dieses Beitrages). Zweitens ist das anlegerfreundliche Bild, das durch die niedrigen Mitverschuldensquoten entsteht, möglicherweise stark verzerrt und damit ein Trugbild. Zur Bildung von Quoten kommen die Gerichte nämlich nur, wenn sie bereits zwei andere Fragen zugunsten des Kapitalanlegers bejaht haben: dass der Vertragspartner des Anlegers seine Pflichten verletzt hat und dass diese Pflichtverletzung für den Schaden des Anlegers kausal ist. Umgekehrt formuliert: Entscheiden die Gerichte eine der beiden vorgelagerten Fragen, also das Bestehen einer Pflichtverletzung oder ihre Kausalität für den Schaden, zulasten des Kapitalanlegers, dann scheitert die Klage schon an diesem Punkt, so dass es – außer in obiter dicta – gar nicht zur Prüfung eines etwaigen Mitverschuldens des Anlegers kommt. Hierdurch werden möglicherweise just die Sachverhalte ausgeschieden, in denen – Pflichtverletzung und Kausalität unterstellt – der Mitverschuldensanteil des Kapitalanlegers höher angesetzt worden wäre. Dass die Rechtsprechung im Ergebnis vermutlich weniger anlegerfreundlich ist, als die niedrigen Mitverschuldensquoten suggerieren, lässt sich selbst anhand der 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats erahnen. Denn in einigen dieser Entscheidungen verneint der XI. Senat bereits eine Pflichtverletzung131 – oder zumindest ihre Kausalität für den Schaden.132 Die Kläger tragen hier ihren Schaden zu 100%, ohne dass sich dies in den Durchschnitten aller Mitverschuldensquoten niederschlüge. Doch mit solchen relativierenden Überlegungen konkurrieren einige Beobachtungen, welche die aus den niedrigen Mitverschuldensquoten erwachsende Skepsis verstärken. Der XI. Senat vermittelt nämlich in mehrfacher Hinsicht den Eindruck, sich seiner Sache sehr sicher – vielleicht zu sicher – zu sein. Zunächst eine prozessuale Beobachtung: Wie bereits angedeutet wurde (vorstehend unter I. 3. im Kontext einiger Grundfragen) und jetzt näher belegt sei, hat der XI. Senat in 15 der 71 Mitverschuldens-Entscheidungen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Bildung von Mitverschuldensquoten ureigene Sache des Tatrichters sei;133 dem XI. Senat obliege dagegen 131

BGH, Urt. v. 13.2.1990 – XI ZR 105/89, Rn. 9–18; BGH, Urt. v. 3.12.1996 – XI ZR 255/95, Rn. 15–19; BGH, Urt. v. 18.4.2000 – XI ZR 193/99, Rn. 11–19; BGH, Urt. v. 14.10.2003 – XI ZR 101/02, Rn. 17–22; BGH, Urt. v. 18.11.2003 – XI ZR 322/01, Rn. 13– 25; BGH, Urt. v. 24.1.2006 – XI ZR 405/04, Rn. 12–26, 28; BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11, Rn. 12–30. 132 BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 240/10, Rn. 18–31; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 318/10, Rn. 17–31; BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 345/10, Rn. 16–30. Als obiter dicta BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 37 und BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 26. 133 BGH, Urt. v. 28.2.1989 – XI ZR 80/88, Rn. 25; BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 163/88, Rn. 26; BGH, Urt. v. 8.10.1991 – XI ZR 207/90, Rn. 25; BGH, Urt. v. 29.9.1992 – XI ZR 265/91, Rn. 19; BGH, Urt. v. 7.2.1995 – XI ZR 31/94, Rn. 10; BGH, Urt. v.

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lediglich die Aufgabe, die tatrichterliche Abwägung auf Rechtsfehler zu überprüfen.134 Mit diesen allgemeinen Bekenntnissen lässt sich vielleicht gerade noch vereinbaren, dass der XI. Senat in etwa genauso oft selbst Quoten bildet (in elf Entscheidungen, darunter siebenmal 0%, also keine Schadensteilung),135 wie er die Sache zur Quotenbildung an das Berufungsgericht zurückverweist (in zehn Entscheidungen).136 In den 15 Entscheidungen, in denen sich der XI. Senat zum Mitverschulden von Kapitalanlegern äußert (Fn. 52/76), hat der Senat aber nur ein einziges Mal – vor über 30 Jahren in der ältesten aller 71 Mitverschuldens-Entscheidungen – zur Bildung von Mitverschuldensquoten zurückverwiesen,137 dagegen 14-mal abschließend über das Mitverschulden entschieden.138 Wie ist diese Abweichung für Fälle

13.6.1995 – XI ZR 154/94, Rn. 33; BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94, Rn. 33; BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98, Rn. 15; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 12; BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 426/01, Rn. 40; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 60; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, Rn. 56; BGH, Urt. v. 23.11.2010 – XI ZR 82/08, Rn. 18; BGH, Urt. v. 24.4.2012 – XI ZR 96/11, Rn. 30; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 35, 41. 134 BGH, Urt. v. 28.2.1989 – XI ZR 80/88, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.11.1990 – XI ZR 107/89, Rn. 30; BGH, Urt. v. 7.2.1995 – XI ZR 31/94, Rn. 10; BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94, Rn. 33; BGH, Urt. v. 16.6.1998 – XI ZR 254/97, Rn. 7; BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98, Rn. 15; BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 12; BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 426/01, Rn. 40; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 60; BGH, Urt. v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, Rn. 56; BGH, Urt. v. 23.11.2010 – XI ZR 82/08, Rn. 18; BGH, Urt. v. 24.4.2012 – XI ZR 96/11, Rn. 30; BGH, Urt. v. 25.11.2014 – XI ZR 169/13, Rn. 35, 41. 135 BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 163/88, Rn. 27 (80%); BGH, Urt. v. 17.1.1995 – XI ZR 225/93, Rn. 26 (0%); BGH, Urt. v. 18.6.1996 – XI ZR 260/94, Rn. 32–35 (0%); BGH, Urt. v. 13.5.1997 – XI ZR 84/96, Rn. 8, 16, 22–26 (60%); BGH, Urt. v. 16.6.1998 – XI ZR 254/97, Rn. 7–11 (0%); BGH, Urt. v. 29.6.1999 – XI ZR 277/98, Rn. 16 (0%); BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 294/98, Rn. 13–18 (20%); BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 18, 19, 21–24 (0%); BGH, Urt. v. 7.5.2002 – XI ZR 197/01, Rn. 13, 19, 31–36 (1/3); BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – XI ZR 336/01, Rn. 11–15 (0%); BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 426/01, Rn. 42/43 (0%). 136 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 6, 16, 17; BGH, Urt. v. 28.2.1989 – XI ZR 80/88, Rn. 23–30; BGH, Urt. v. 24.4.1990 – XI ZR 236/89, Rn. 30; BGH, Urt. v. 20.11.1990 – XI ZR 107/89, Rn. 30–33, 36–38; BGH, Urt. v. 8.10.1991 – XI ZR 207/90, Rn. 25; BGH, Urt. v. 28.4.1992 – XI ZR 165/91, Rn. 22–25; BGH, Urt. v. 13.6.1995 – XI ZR 154/94, Rn. 23, 33; BGH, Urt. v. 4.11.1997 – XI ZR 270/96, Rn. 17/18; BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 479/02, insb. Rn. 37; BGH, Urt. v. 12.7.2005 – XI ZR 412/04, Rn. 34– 36, 39. Außerdem (Zurückverweisung aus anderen Gründen, aber Hinweise zum Mitverschulden): BGH, Urt. v. 6.6.2000 – XI ZR 235/99, Rn. 24; BGH, Urt. v. 16.3.2004 – XI ZR 169/03, Rn. 28; BGH, Urt. v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, Rn. 59–61; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, Rn. 45/46; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 37; BGH, Urt. v. 12.7.2016 – XI ZR 150/15, Rn. 26. 137 BGH, Urt. v. 14.2.1989 – XI ZR 14/88, Rn. 6, 16, 17 (zu dieser Entscheidung vorstehend im Haupttext zu Fn. 58, 69–71, 83, 90, 126/127). 138 Von den übrigen zwölf – unergiebigen – Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats zur Kapitalanlage (Fn. 125) verweist ebenfalls lediglich ein – wiederum älteres –

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der Kapitalanlage anders zu erklären als mit einer besonderen Überzeugung des Senats von der Richtigkeit seiner eigenen – niedrigen – Mitverschuldensquoten? Eine zweite Beobachtung, die in dieselbe Richtung weist: Während der XI. Senat für viele Streitfragen ausgiebig den aktuellen Meinungsstand in der Literatur referiert (manchmal mit Nachweiskolonnen,139 die sich über mehrere Zeilen erstrecken),140 hat er zum Mitverschulden von Kapitalanlegern noch niemals einen Beitrag aus dem Schrifttum zitiert.141 Der für die deutsche Rechtsordnung so charakteristische Dialog zwischen Rechtsprechung und Literatur steht hier also noch aus. Als dritte und letzte Beobachtung: Dass sich der pflichtwidrig beratene Kapitalanleger den Mitverschuldenseinwand grundsätzlich nicht gefallen lassen muss, sagt der XI. Senat (Fn. 59) so nachdrücklich wie kein anderer BGH-Senat (Fn. 111/112) – ohne weitere Begründung des Grundsatzes und ohne jede Diskussion von Ausnahmen.142 * * * Mit den vorstehenden Beobachtungen ist der Boden bereitet, um die Rechtsprechung konstruktiv-kritisch zu hinterfragen. Das kann aber nicht mehr im Rahmen dieses Beitrages geschehen. Sein Ziel war es, im Wege einer quantitativen juristischen Studie auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise zu dokumentieren, welche Bedeutung das Mitverschulden geschädigter Kapitalanleger in den Entscheidungen des XI. Zivilsenats des BGH hat. Um diese Rechtsprechung zu bewerten oder gar zu kritisieren, bedarf es mehr als einer intersubjektiv nachvollziehbaren Bestandsaufnahme. Vielmehr müssten – wofür der Jubilar seit Jahrzehnten wirbt und Vorbilder liefert143 – neben Urteil die Sache an das Berufungsgericht zurück, um ein etwaiges Mitverschulden zu prüfen: BGH, Urt. v. 24.4.1990 – XI ZR 236/89, Rn. 30. 139 „Zitierblöcke“ im Sinne von Coupette (Fn. 9), insb. S. 77, 190 f. (allgemein) sowie S. 232, 235, 240–251 (konkret am Beispiel des BVerfG). 140 Drei Beispiele: BGH, Urt. v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, Rn. 22, 33; BGH, Urt. v. 3.6. 2014 – XI ZR 147/12, Rn. 20; BGH, Urt. v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, Rn. 28. 141 BGH, Urt. v. 24.7.2001 – XI ZR 164/00, Rn. 20 verweist auf die allgemeinen, d.h. nicht speziell die Kapitalanlage betreffenden Mitverschuldens-Ausführungen bei Grunsky in MünchKomm (Fn. 37), § 254 Rn. 44, Heinrichs in Palandt, BGB, 60. Aufl. 2001, § 254 Rn. 51 und Mertens in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, § 254 Rn. 109. In den übrigen 14 Entscheidungen, in denen der XI. Senat auf das Mitverschulden von Kapitalanlegern eingeht (Fn. 52/76), wird zu Fragen des Mitverschuldens keine Literatur zitiert (weder die vorstehend in Fn. 4–6 nachgewiesene Spezialliteratur noch die nachstehend in Fn. 144–146 verzeichneten allgemeinen Beiträge noch andere Schriften). 142 Zu den Beratungsfällen vorstehend unter II. 4. im Haupttext zu Fn. 59–68 (XI. Senat) sowie unter II. im Haupttext zu Fn. 109–118 (andere BGH-Senate). 143 Auch und gerade in Hopt Kapitalanlegerschutz (Fn. 1), wo die im Haupttext genannten Erkenntnisquellen – Geschichte, Ausland, Ökonomie – nicht, wie vielerorts, le-

Anlegermitverschulden vor dem Bankensenat

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der überkommenen Dogmatik144 auch die Erfahrungen aus früheren Zeiten und anderen Rechtsordnungen145 sowie die ökonomischen Grundlagen146 in die Überlegungen einbezogen werden. Sollten diese Überlegungen zu Zweifeln an der Rechtsprechung führen, dürften auch weitere quantitative Studien von Gewinn sein. Solche Studien könnten in die Breite gehen, indem zusätzliche Entscheidungen berücksichtigt werden (namentlich der anderen BGH-Senate und der Vorinstanzen), oder in die Tiefe, indem die einbezogenen Entscheidungen genauer analysiert werden, als es in diesem Beitrag möglich war (der in vielerlei Hinsicht lediglich das Minimum einer quantitativen juristischen Studie darstellt). Etwa ließe sich mit den Methoden der quantitativen Textanalyse vertiefend untersuchen, ob die 71 Mitverschuldens-Entscheidungen des XI. Senats im Gesamtkorpus seiner gut 2500 Entscheidungen irgendwie auffällig sind, beispielsweise hinsichtlich ihrer Länge, ihrer Nachweise oder ihrer Struktur. In ähnlicher Weise ließe sich fragen, ob die Verwendung des Wortstammes „Mitverschuld*“ oder die Verweise auf „§ 254“ des Bürgerlichen Gesetzbuches bzw. „§ 341“ des Zivilgesetzbuches vom sonstigen Sprachgebrauch und Zitierverhalten des XI. Senats abweichen. Schließlich könnten speziell für das Mitverschulden von Kapitalanlegern die Überlegungen vertieft werden, ob die 27 diesbezüglichen Entscheidungen des Senats von seinen übrigen 44 Mitverschuldens-Entscheidungen divergieren, namentlich hinsichtlich der Mitverschuldensquoten und der Art ihrer Begründung. All dies sind Desiderata, deren weitere Erforschung der jugendlichneugierige Octogenarius, der sich seit einem halben Jahrhundert dem „Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken“ widmet,147 ohne Frage mit großem Interesse verfolgen wird – in diesem Sinne: εἰς πολλὰ ἔτη!

diglich zur Ausschmückung bemüht werden, sondern durchgehend in die Argumentation einfließen und häufig sogar in deren Zentrum stehen. 144 Monographisch Looschelders Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999. Außerdem insb. Enneccerus/Lehmann Recht der Schuldverhältnisse, 15. Aufl. 1958, S. 76–82, Larenz Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, 14. Aufl. 1987, S. 539– 551 und Lange/Schiemann (Fn. 129), S. 534–667. 145 Zusätzlich zu den Überblicken vorstehend in Fn. 38 insb. Luig Ius Commune 2 (1969), 187–238; Wollschläger ZRG RA 93 (1976), 115–137; Honsell Die Quotenteilung im Schadensersatzrecht, 1977, S. 4–86; Looschelders (Fn. 144), S. 6–29, 65–111; Jansen in HKK, BGB, 2007, § 254; van Dongen Contributory Negligence, 2014; Goudkamp/Nolan Contributory Negligence in the Twenty-First Century, 2019. 146 Zum aktuellen Forschungs- und Meinungsstand insb. Shavell Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 182–193, 199–206, 212–223, 248 f., Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, S. 247–283 und Posner Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 198–204. 147 Von der Vorbereitung der so betitelten Monographie, Hopt Kapitalanlegerschutz (Fn. 1), bis zur aktuellen Auflage des Handelsrechtskommentars, Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 6), insb. § 347 Rn. 8–40 sowie (7) BankGesch A/1–60 und Q/1–Y/4.

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Notgeschäftsführung in Blockadesituationen

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Notgeschäftsführung in Blockadesituationen Holger Fleischer und Jennifer Trinks

Administrateur Provisoire – Provisional Director – Notgeschäftsführer: Möglichkeiten und Grenzen gerichtlicher Überwindung von Blockadesituationen HOLGER FLEISCHER

UND

JENNIFER TRINKS

Welche Aufgabe ist den Gerichten bei der Streitbeilegung zwischen zerstrittenen Gesellschaftern zugewiesen? Nehmen sie eine eher passive Rolle ein, die sich in der vergangenheitsbezogenen Entscheidung einzelner Streitfragen erschöpft, oder können sie auch aktiv an einer zukunftsgerichteten Gesamtlösung mitwirken? Diese Fragen sollen hier mit Blick auf die vorübergehende Bestellung von Geschäftsführern bei einer Blockade auf Geschäftsleiterebene untersucht werden. Sowohl das französische wie das US-amerikanische Recht lassen die gerichtliche Ernennung von Verwaltern zu, um Gesellschaftskrisen zu überwinden, setzen mit dem administrateur provisoire (I.) und dem provisional director (II.) allerdings unterschiedliche Akzente. Hinter diesen Figuren bleibt das Einsatzfeld deutscher Notgeschäftsführer deutlich zurück (III.). Der vorliegende Beitrag erläutert die jeweiligen Entwicklungslinien, Anwendungsbereiche und Funktionen der verschiedenen Rechtsinstitute und fragt schließlich, was das deutsche Recht von ihnen lernen kann (IV.). Er ist Klaus Hopt, dem intimen Kenner aller drei Gesellschaftsrechtsordnungen im Allgemeinen und der Geschäftsleiterverantwortung im Besonderen1, mit den besten Wünschen zu seinem 80. Geburtstag gewidmet.

I. Frankreich: Administrateur Provisoire 1. Distinktionsmerkmale Der französische administrateur provisoire ist eine Figur des Richterrechts.2 Auf gerichtliche Anordnung übernimmt er vorläufig die Geschäftsführung. 1 Vgl. nur die monumentale, mit zahlreichen rechtsvergleichenden Hinweisen angereicherte Kommentierung des § 93 AktG: Hopt/Roth, in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015. 2 Lapp, RTD com. 1952, 769, 772: „création essentiellement prétorienne“; vgl. auch Rép. D. Soc./Lecourt, Administrateur provisoire, Stand Juni 2018, Rn. 7; Parachkévova, BJS 2011, 972, 973: „Création prétorienne par excellence“.

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Während die Terminologie noch immer changiert3, betont jedenfalls das jüngere Schrifttum, dass der administrateur provisoire die vorhandenen Geschäftsleiter vollständig verdrängt. Im Gegensatz dazu bezeichnet es gerichtlich bestellte Verwalter, die der bestehenden Geschäftsführung an die Seite gestellt werden, als mandataires ad hoc.4 Die Grenzen scheinen allerdings fließend. Zwar ist der Auftrag eines mandataire ad hoc meist auf bestimmte Einzelmaßnahmen beschränkt, etwa die Einberufung einer Gesellschafterversammlung5 oder die Veranlassung von Registereintragungen6. Das Gericht kann einen Verwalter aber auch mit verschiedenen Aufgaben gleichzeitig betrauen.7 Soll er den Geschäftsgang überwachen und Bericht erstatten, wird er häufig als observateur oder contrôleur de gestion bezeichnet; als enquêteur-conciliateur ist ihm insbesondere aufgegeben, nach den Ursachen des Konflikts zu suchen, Lösungswege aufzuzeigen und mit den Beteiligten zu verhandeln.8 Aus einem breiten Spektrum können die Gerichte damit den passenden Verwaltertyp für die konkrete Gesellschaft benennen. Mit der Eingriffsintensität variieren die Anforderungen an die Rechtfertigungsdichte.9 2. Entwicklungslinien Auch ohne ein ausgearbeitetes Gesetzesregime hat sich der administrateur provisoire in Frankreich als fester Bestandteil des gesellschaftsrechtlichen Konfliktbewältigungstableaus etabliert. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Gerichte, einen Fremdverwalter einzusetzen, wenn eine Gesellschaft ihre Geschäftsleitung verloren hatte.10 Nach und nach eroberte 3 Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 3, 26; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 21; illustrativ Cass. com., 13.10.2009, BJS 2010, 29: „l’administrateur ad hoc“ m. krit. Anm. Lecourt; vgl. auch die Begrifflichkeit bei Le Cannu/Dondero, Droit des sociétés, 7. Aufl. 2018, Rn. 501 f.; daher gar Germain/Magnier, Les sociétés commerciales, 22. Aufl. 2017, Rn. 1675, Fn. 457: „Le nom importe peu “. 4 So insbesondere Bolard, JCP G 1995, I, 3882; vgl. auch Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 21; Merle/Fauchon, Sociétés commerciales, 23. Aufl. 2019, Rn. 658; zuletzt deutlich zu Art. 1846 C. civ. Cass. com., 15.3.2017, BJS 2017, 322: „La nomination d’un mandataire ad hoc n’a pas pour effet de dessaisir les organes sociaux“ m. Anm. Putman. 5 Zuletzt etwa Cass. 3e civ., 21.6.2018, D. 2018, 1381; dazu Rabreau, D. 2018, 2062; vgl. auch Art. L. 223-27 Abs. 1, L. 225-103 Abs. 2 Nr. 2 C. com. 6 Vgl. etwa Art. 20 Décret n° 78-704 du 3 juillet 1978; Art. L. 235-7, L. 238-1, R. 210-18 C. com.; Cass. com. 6.12.2005, Rev. soc. 2006, 323 m. Anm. Pasqualini. 7 Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 25; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 24; illustrativ Cass. 3e civ., 21.6.2018, D. 2018, 1381; dazu Rabreau, D. 2018, 2062. 8 Vgl. Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 28 ff.; Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des sociétés, 32. Aufl. 2019, Rn. 658 ff. 9 Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 658 ff.; Germain/Magnier (Fn. 3), Rn. 1675; Guyon, Mélanges Bastian, T. I, 1974, S. 103, 106; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 22, 25. 10 Vgl. etwa T. com. Seine, 10.11.1879, J. soc. 1885, 108, wo ein administrateur provisoire die Verwaltung einer Gesellschaft übernehmen sollte, die nach dem Rücktritt eines Vor-

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sich der administrateur provisoire einen breiteren Einsatzbereich: Er tritt heute in verschiedensten Unternehmenskrisen auf11, etwa um der Untreue verdächtige Geschäftsleiter zu ersetzen12 oder um Blockaden in der Geschäftsleitung zu überwinden13. Der Gesetzgeber hat bis heute nur Spezialfälle der vorläufigen Fremdverwaltung einer Gesellschaft geregelt. Als frühes Beispiel wird oft ein Gesetz von 1940 genannt, das es erlaubte, die Abwesenheit oder Verhinderung der ordentlichen Geschäftsführer durch einen administrateur provisoire zu überbrücken14; heute findet sich etwa im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht der administrateur temporaire, den die Aufsichtsbehörde bei Schwierigkeiten in der Geschäftsführung eines Institutes einsetzen kann15, oder in den Kapitalgesellschaften der gerichtlich bestellte mandataire, der anstelle der Geschäftsleiter eine Gesellschafterversammlung einberufen soll16. Die von der Rechtsprechung entwickelte Figur des administrateur provisoire kommt aber weit über diese Sonderregelungen hinaus in sämtlichen Gesellschaftsformen und mit unterschiedlichen Aufträgen zum Einsatz. Bleibt die Rechtsgrundlage auch oft unklar17, so haben Rechtsprechung und Rechtslehre doch einen stabilen Regelungsrahmen entwickelt. 3. Rechtsstellung und Funktion Mit dem administrateur provisoire übernimmt ein neuer, in aller Regel gesellschaftsfremder Akteur die Geschäftsführung. Er tritt an die Stelle der

standsmitgliedes nur noch mit vier untereinander schwer zerstrittenen Vorstandsmitgliedern besetzt war; T. com. Seine, 26.12.1892, J. soc. 1893, 149; dazu etwa Guyon (Fn. 9) S. 103, 104; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 1; vgl. dagegen den Hinweis auf die Vermeidung der Auflösung der Gesellschaft bei Jeantin, Mélanges Perrot, 1996, S. 149, 150. Aus jüngerer Zeit etwa CA Paris, 4.7.2007, Dr. soc. 2007, comm. 211 m. Anm. Lécuyer. 11 Vgl. die langen Listen bei Lecourt (Fn. 2), Rn. 18 ff.; allgemein Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 658; vgl. auch noch mit Blick auf einen gewissen Minderheitenschutz Champaud, RTD com. 1968, 79. 12 Vgl. Cass. com., 8.2.2017, BJS 2017, 291 m. Anm. Gil; dazu bereits Lapp, RTD com. 1952, 769, 773; vgl. auch zu einem bereits inhaftierten Geschäftsleiter Cass. com., 5.2.1985, JCP 1985, II, 20492 m. Anm. Viandier. 13 Cass. com., 26.4.1982, Rev. soc. 1984, 93 m. Anm. Sibon; vgl. auch Cass. com., 2.12.2008 bei Champaud/Danet, RTD com. 2009, 159. 14 Loi du 10 septembre 1940 prévoyant la nomination d’administrateurs provisoires des entreprises privées de leurs dirigeants, J.O. 26.10.1940, S. 5430, allerdings erfolgte die Bestellung durch eine ministerielle Entscheidung; zu einem vorangehenden décret-loi von 1939 etwa Contin, D. 1968, chr. 45, 46. 15 Vgl. Art. L. 612-34 Code monétaire et financier; dazu und zu weiteren Sondervorschriften etwa JCl. Soc. Traité/Germain/Vatinet, Fasc. 43-10, Stand 4.10.2018, Rn. 5. 16 Art. L. 223-27 Abs. 1, L. 225-103 Abs. 2 Nr. 2 C. com. 17 Eingehend Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 7 ff.; vgl. auch Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 10 ff.

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bisherigen Geschäftsführer und übt deren Befugnisse aus.18 Das bestellende Gericht kann seinen Auftrag präzisieren, doch bleibt die Aufgabenbeschreibung in der Praxis häufig allgemein gehalten19; so ist es dem administrateur provisoire typischerweise aufgegeben, „die Gesellschaft zu führen und zu verwalten“20. Selbst bei einer so weitgehenden Formulierung bleibt sein Mandat nach herrschender Ansicht aber hinter dem eines ordentlichen Geschäftsführers zurück. Da der administrateur provisoire bestellt ist, um das Gesellschaftsinteresse zu sichern21, soll er bloß erhaltende und bestandswahrende Geschäfte vornehmen, aber keine Entscheidungen treffen, welche die Gesellschaftsgeschicke für die Zukunft binden.22 Die Rechtsprechung hat ihm etwa untersagt, bei vinkulierten Anteilen über die Aufnahme neuer Gesellschafter zu entscheiden.23 Auch soll er nicht wesentliches Betriebsvermögen veräußern, das für die Fortsetzung des Unternehmens erforderlich ist.24 Bei schwerwiegenden Maßnahmen rät das Schrifttum daher, eine gesonderte gerichtliche Einwilligung einzuholen.25 In der Regel besetzen die Gerichte den administrateur provisoire aus der nationalen Liste eingetragener (Insolvenz-)Verwalter.26 Sie legen auch seine Vergütung fest; zu tragen hat diese dann grundsätzlich die Gesellschaft.27 Die Bestellung eines administrateur provisoire ist im Handelsregister be-

18 Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 20; vgl. auch Cass. com., 6.5.1986 bei Honorat, Defrénois 1987, 606; zum Status der Geschäftsführer, deren Befugnisse lediglich ausgesetzt sind, Lecourt (Fn. 2), Rn. 140 f. 19 Le Cannu/Dondero (Fn. 3), Rn. 502; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 29. 20 Vgl. etwa Cass. 3e civ., 25.10.2006, Dr. soc. 2007, comm. 41: „avec mission de la gérer et de l‘administrer“ m. Anm. Lécuyer. 21 Vgl. Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 636; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 1; Martin/Buge, RTD com. 2010, 481, 493; Mestre, RJ com. 1985, 81, 91: „Cette considération de l’intérêt social apparaît bien comme le guide de l’intervention judiciaire.“ 22 Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 22; Guyon (Fn. 9), S. 103, 105 f., 111; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 30; Viandier, JCP 1985, II, 20492; prägnant Cozian/Viandier/ Deboissy (Fn. 8), Rn. 642: „Tout dépend de l’étendue de sa mission et de ce que commande l‘intérêt social.“ 23 Cass. com., 27.10.1969, Bull. civ. IV, n° 314, S. 295; dazu Houin, RTD com. 1970, 423; zu einer ausdrücklichen Ermächtigung vgl. CA Paris, 4.7.2007, Dr. soc. 2007, comm. 211 m. Anm. Lécuyer. 24 Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 63; im Gegensatz dazu für eine gerichtliche Anordnung, wenn die Aktiva nicht der Unternehmensfortführung dienlich sind, Cass. com., 5.11.1971, Rev. soc. 1972, 479 m. Anm. J.H. 25 Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 31; Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 660; vgl. auch Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 21; Guyon (Fn. 9), S. 103, 112 f. („demander une autorisation aux associés ou, à défaut, au tribunal“). 26 Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 640; Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 54 f.; auch Lecourt (Fn. 2), Rn. 125; vgl. zu den administrateurs judiciaires als reglementiertem Beruf Art. L. 811-1 ff. C. com. 27 Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 659; zu Einzelheiten und Ausnahmen vgl. Lecourt (Fn. 2), Rn. 172.

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kanntzumachen.28 Für persönliches Fehlverhalten haftet er gegenüber der Gesellschaft sowie gegebenenfalls gegenüber den Gesellschaftern oder Dritten.29 Die Überantwortung der Geschäftsführung an einen administrateur provisoire kennzeichnet die Rechtsprechung regelmäßig als Maßnahme mit Ausnahmecharakter und stellt entsprechend hohe Voraussetzungen auf: Als inzwischen etabliert kann die Formulierung gelten, wonach die Bestellung eines administrateur provisoire den Beweis erfordert, dass der Gesellschaft das gewöhnliche Funktionieren unmöglich und sie dadurch von einer unmittelbaren Gefahr bedroht ist.30 Diese Voraussetzungen dürften wohl als kumulativ anzusehen sein.31 Das Schrifttum nimmt die richterlichen Entscheidungen aber häufig als Ergebnis einer Gesamtabwägung der Fallumstände wahr.32 So haben etwa Konflikte zwischen Geschäftsleitern die Einsetzung eines administrateur provisoire gerechtfertigt, die besonders feindselig ausgetragen wurden33 oder mit der fortgesetzten Missachtung von Gesellschafter- und Minderheitenrechten einhergingen34. Raum für den Einsatz eines administrateur provisoire ist dabei nur, wenn sein Eingreifen einen sinnvollen Beitrag zur Überwindung der Gesellschaftskrise verspricht35 und keine weniger einschneidende Maßnahme in Betracht kommt36. Sein Einsatz muss eine bloß vorübergehende Maßnahme bleiben; dauert die Krise an, ist die Gesellschaft aufzulösen.37 Bereits seine Bestellung kann befristet erfol28

Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 640; Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 659. Vgl. etwa Cass. com., 6.5.1986 bei Honorat, Defrénois 1987, 606; CA Paris, 28.1.1966 bei Champaud, RTD com. 1968, 80; unklar scheint, ob die Haftung der eines Geschäftsleiters entspricht, so Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 660; Lecourt (Fn. 2), Rn. 175; oder ob sie allgemeinen zivilrechtlichen Regeln folgt, so Germain/Magnier (Fn. 3), Rn. 1676; Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 77. 30 „[L]a désignation judiciaire d’un administrateur provisoire est une mesure exceptionnelle qui suppose rapportée la preuve de circonstances rendant impossible le fonctionnement normal de la société et menaçant celle-ci d’un péril imminent“, vgl. Cass. com., 6.2.2007, BJS 2007, 690 m. Anm. Scholer; ähnlich bereits Cass. com., 25.1.2005, Rev. soc. 2005, 828 m. Anm. Lecourt. 31 Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 636; vgl. ausführlich und nach Fallgruppen differenzierend Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 4 ff. unter Hinweis auf die wohl mehrheitliche Rechtsprechung; zweifelnd etwa noch Ruellan, Dr. soc. 2000, chr. 20. 32 Vgl. Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 14: „appréciation globale“. 33 Cass. com., 26.4.1982, Rev. soc. 1984, 93, 94: „hostilité aggressive“ m. Anm. Sibon; vgl. auch Cass. com., 17.1.1989, Rev. soc. 1989, 209 m. krit. Anm. Guyon. 34 Etwa Cass. com., 18.6.2013, Rev. soc. 2014, 88 m. Anm. Poracchia; zu den besonderen Schwierigkeiten bei der Bestellung eines administrateur provisoire in MehrheitsMinderheits-Konflikten vgl. etwa Cass. com., 29.9.2009, BJS 2010, 23 m. Anm. Gil; allg. Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 19. 35 Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 33; Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 658. 36 Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 32; Guyon (Fn. 9), S. 103. 37 Deutlich CA Paris, 15.12.2015, BJS 2016, 391: „La durée du mandat ne peut qu’être limitée dans le temps“ m. Anm. Barbier; vgl. auch Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 12; Champaud, RTD com. 1968, 79 zu TGI Seine, 30.3.1966; kritisch allerdings Guyon (Fn. 9), 29

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gen38; ansonsten enthebt ihn erst eine gerichtliche Entscheidung seines Amtes39. Die Bestellung eines administrateur provisoire erfolgt meist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, sie kann aber auch Gegenstand eines Hauptsacheverfahrens sein.40 Ein berechtigtes Interesse, das Verfahren einzuleiten, haben die Gerichte jedenfalls den Gesellschaftern und Geschäftsführern einer Gesellschaft zuerkannt.41 Ob daneben auch Gläubiger der Gesellschaft antragsberechtigt sind, ist noch nicht endgültig geklärt.42 Schließlich scheint der französische Kassationshof die Bestellung eines administrateur provisoire als Notmaßnahme unabhängig von der konkreten Satzungsgestaltung erlauben zu wollen.43 4. Rechtspolitische Würdigung So selbstverständlich die richterrechtliche Figur des administrateur provisoire im französischen Gesellschaftsrecht geworden ist, so beharrlich wird sie von der Ermahnung begleitet, dass es sich um eine besonders schwerwiegende, außerordentliche Maßnahme handelt.44 Sie beeinträchtige die „principes essentiels du droit des sociétés“45 und insbesondere „la souveraineté des associés“ in ihrer wesentlichen Kompetenz, die Geschäftsleitung zu besetzen46; als Eingriff der Rechtsprechung in die Funktionsfähigkeit der GeS. 103, 115: „Comme tout ce qui est théoriquement provisoire, l’administration judiciaire tend en fait, sinon à devenir définitive, au moins à se prolonger outre-mesure.“ 38 Etwa CA Rouen, 25.9.1969, JCP 1970, II, 16219 m. Anm. Guyon; allg. Lecourt (Fn. 2), Rn. 168. 39 Vgl. Cass. soc., 22.6.2011, Dr. soc. 2011, comm. 192 m. Anm. Gallois-Cochet; BJS 2011, 972 m. Anm. Parachkévova; auch Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 641. 40 Germain/Magnier (Fn. 3), Rn. 1676; vgl. auch Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 635. 41 Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 659; teils wurde die Bestellung in Konzernkonstellationen auch erleichtert, vgl. Cass. com., 5.2.1985, JCP 1985, II, 20492 m. Anm. Viandier; zuletzt allerdings wieder zurückhaltend CA Paris, 1.6.2007, Rev. soc. 2008, 96 m. Anm. Godon. 42 Dagegen etwa Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 659; wohl auch Cass. com., 14.2.1989, Rev. soc. 1989, 633 m. Anm. Randoux (allerdings für eine funktionierende Gesellschaft); Germain/Magnier (Fn. 3), Rn. 1676; dafür etwa Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 635; in Ausnahmefällen Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 19; Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 18, dort auch Rn. 12 ff. zur Antragsberechtigung der Rechnungsprüfer und des Betriebsrats. 43 In diese Richtung wohl Cass. com., 8.11.2016, JCP E 2017, Nr. 1195 m. Anm. Lecourt; vgl. auch Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 635; anders wohl Germain/ Magnier (Fn. 3), Rn. 1675. 44 Vgl. etwa die Formel des französischen Kassationshofs bei Fn. 30; aus der Literatur Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 633; Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 13; Lecourt (Fn. 2), Rn. 17. 45 Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 1. 46 Guyon (Fn. 9), S. 103; ähnlich Lecourt (Fn. 2), Rn. 19; vgl. auch Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 13: „déroge aux règles légales de compétence des organes sociaux“.

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sellschaft stelle sie „quelque chose d’anormal“ dar47. Doch herrscht breiter Konsens, dass ein solcher Eingriff in besonderen Fällen zum Schutze der Gesellschaft geboten sein kann.48 In diesem Spannungsfeld hat der Kassationshof gerade in den letzten Jahren den Ausnahmecharakter dieser Maßnahme hervorgehoben. So fordern höchstrichterliche Entscheidungen regelmäßig dichtere Begründungen der Untergerichte, wo ein administrateur provisoire bestellt wurde, bestätigen dagegen abweisende Entscheidungen unterer Instanzen.49 Dabei betont das Gericht, dass kein Anlass zum Einschreiten bestehe, wo die Gesellschaft noch nach dem Mehrheitsprinzip funktioniere.50 Der Einsatz eines administrateur provisoire diene nicht den Interessen einzelner Gesellschafter, sondern schütze selbst bei missbräuchlichem Geschäftsleiterverhalten allein das Gesellschaftsinteresse.51 Zuletzt hat der Kassationshof auch bei vakanter Geschäftsführung auf seinen Kriterien beharrt und dem Berufungsgericht vorgeworfen, nicht gesondert festgestellt zu haben, ob die Gesellschaft noch normal funktioniere.52 Nach Ansicht einiger Kommentatoren ist er mit dieser Entscheidung über das Ziel hinausgeschossen, liege doch bereits im Fortbestehen der Gesellschaft ohne Geschäftsführer eine Anomalie.53 Im Grundsatz schätzt das Schrifttum aber die richterliche Vorsicht bei Eingriffen in die Geschäftsführung und die Geschäfte der Gesellschaft.54 Der administrateur provisoire und der mandataire ad hoc dienen so als flexibel einsetzbare Instrumente55, um Schlimmeres zu verhindern. Die Einsetzung eines administrateur provisoire kann den Gesellschaftern etwa Zeit geben, um selbst eine Lösung für Konflikte zu suchen, die sonst zur Auflösung der Gesellschaft führten.56 Zugleich kann ein mandataire ad hoc zielgerichtet beauftragt werden, um einzelne Hindernisse zu überwinden, während die Geschäftsführer im Übrigen ungestört weiterwirtschaften kön47

Contin, D. 1968, chr. 45, 46; Lapp, RTD com. 1952, 769, 771. Champaud, RTD com. 1968, 79: „très utile institution“; Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 633: „pouvoir légitime du juge de s’immiscer dans la gestion de la société lorsque la survie ou le bon fonctionnement de celle-ci est en cause“; Guyon (Fn. 9), S. 103, 104; Ruellan, Dr. soc. 2000, chr. 20, Rn. 5. 49 Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 14. 50 Vgl. Cass. com., 6.2.2007, Dr. soc. 2007, comm. 73 m. Anm. Hovasse; vgl. auch Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 18. 51 Zum problematischen Einsatz eines administrateur provisoire in Mehrheits-Minderheits-Konflikten vgl. bereits Fn. 34; auch Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 638. 52 Cass. 3e civ., 16.11.2017, Dr. soc. 2018, comm. 4 m. Anm. Hovasse; Rev. soc. 2018, 372 m. Anm. Lecourt; dazu auch Germain/Vatinet (Fn. 15), Rn. 13. 53 Hovasse, Dr. soc. 2018, comm. 4; Lecourt, Rev. soc. 2018, 372, 374. 54 Cozian/Viandier/Deboissy (Fn. 8), Rn. 639; Mestre, RJ com. 1985, 81, 87, 92; Viandier/Caussain, JCP E 1989, II, 15517 unter 2. 55 Vgl. auch Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 661. 56 Guyon (Fn. 9), S. 103, 109 f.; vgl. auch Canin, Dr. soc. 1998, chr. 1, Rn. 2; dazu bereits Fleischer/Trinks, GmbHR 2019, 1209, 1216. 48

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nen.57 Als unabhängigen Dritten kommt beiden Figuren außerdem eine schlichtende Funktion zu.58 Zusätzlich ermöglichen sie es dem Richter, wirtschaftliche Entscheidungen an einen Verwalter zu delegieren, der sich selbst in das Gesellschaftsumfeld begibt und die Bedürfnisse der Gesellschaft vor Ort umfassend beurteilen kann, bevor er eine konkrete Maßnahme ergreift.59 Allerdings finden sich auch Hinweise auf etwaige Nachteile dieses Konfliktlösungsinstruments: Reputationsschäden im Geschäftsverkehr, beträchtliche Kosten, Obstruktionspotential für Minderheitsgesellschafter.60 Wie erfolgreich und nachhaltig der Einsatz eines administrateur provisoire oder mandataire ad hoc in der Praxis tatsächlich ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Immerhin spricht die hohe Zahl veröffentlichter Entscheidungen61 für die Beliebtheit dieses Instruments bei Gesellschaftern. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass in Frankreich oft ein mandataire ad hoc Aufgaben übernimmt, zu deren Vornahme deutsche Gerichte bereits die amtierenden Geschäftsführer anhalten würden.62

II. Vereinigte Staaten: Provisional Director 1. Distinktionsmerkmale Auch im US-amerikanischen Recht begegnet man dem Institut des gerichtlich bestellten Verwalters, der die Geschicke einer Gesellschaft übernimmt. Als receiver obliegt ihm die Aufgabe, die Gesellschaft abzuwickeln und ihre Vermögensgegenstände zu versilbern.63 Hierfür verfügt er über umfangreiche Kompetenzen. Der custodian hat ähnlich weitreichende Be57

Vgl. Lecourt (Fn. 2), Rn. 157. Ausführlich insbesondere Guyon (Fn. 9), S. 103, 106 ff.; vgl. auch Cozian/Viandier/ Deboissy (Fn. 8), Rn. 632: „Souvent l’intervention d’un tiers désigné par le juge entraîne une baisse des tensions et assure un retour à la sérénité.“; ähnlich Lecourt, JCP E 2016, Nr. 1384, Rn. 1. 59 Vgl. etwa Mestre, RJ com. 1985, 81, 86: „L’idée est que, nommé pour résoudre une crise de la société, l’administrateur doit être indépendant dans le choix des moyens qui lui permettront d’atteindre l’objectif. […] Sa justification véritable, c’est que, par sa présence sur le terrain, l‘administrateur sera finalement mieux placé que le juge pour faire les choix qui s’imposent.“ 60 Näher Lecourt (Fn. 2), Rn. 4. 61 Etwa Lecourt (Fn. 2), Rn. 4; vgl. weiter Bolard, JCP G 1995, I, 3882, Rn. 2: „un grand nombre de décisions ignorées“. 62 Vgl. etwa zur Durchsetzung registerrechtlicher Anmeldepflichten §§ 78 ff. GmbHG, §§ 407, 408 AktG; vgl. auch das Einberufungsrecht der Gesellschafter selbst, § 50 Abs. 3 GmbHG, § 122 Abs. 3 AktG. 63 Vgl. Moll/Ragazzo, The Law of Closely Held Corporations, 2010, § 8.02[D], S. 8– 63 f.; s. auch Fletcher, Cyclopedia of the Law of Corporations, Vol. 16, 2015, § 7713, S. 184 ff. 58

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fugnisse: Er tritt an die Stelle des board of directors und übernimmt alle Geschäftsleiteraufgaben64, soll das Unternehmen aber nicht liquidieren, sondern fortführen.65 In Ausnahmefällen haben die Gerichte ihm freilich gestattet, das Unternehmen zu veräußern.66 Im Gegensatz dazu kennen verschiedene Gliedstaaten mit dem provisional director aber auch noch eine Verwalterfigur, die neben die bestehenden Geschäftsführer tritt und mit ihnen gemeinsam die Geschäfte lenkt. Dieses Institut steht mithin für den Versuch, Blockadesituationen auf Geschäftsleiterebene durch Vermittlung innerhalb des konfliktbefangenen Organs zu lösen. Die gerichtliche Bestellung eines provisional director ist daher ein viel weniger einschneidender Rechtsbehelf als die eines custodian.67 Den Unterschied betont denn auch § 353(c) des Delaware General Corporation Law (DGCL): „A provisional director is not a receiver of the corporation and does not have the title and powers of a custodian or receiver appointed under § 226 of this title.“

2. Entwicklungslinien Der provisional director ist in seiner heutigen Gesetzesgestalt ein Geschöpf des kalifornischen Reformgesetzgebers von 1933.68 Dieser hatte § 404 des California Civil Code damals in Abs. 3 dahin ergänzt, dass ein Gericht bei einer Blockade innerhalb der Geschäftsleitung auf Antrag von Gesellschaftern mit einem Kapitalanteil von mindestens 15 Prozent eine unabhängige Person vorübergehend zum Direktor ernennen kann: „In case of deadlock in the board of directors as set forth in paragraph (2) of this section, the superior court of the county where the principal office of the corporation is located may, in an action for an involuntary winding up or dissolution of the corporation or in an independent action filed by the holders of not less than fifteen per cent of the outstanding shares, appoint an impartial person, who is neither a shareholder nor a creditor of the corporation, to act as a provisional director with all the rights and powers of a director […].“69 64 Vgl. Valley View State Bank v. Owen, 737 P.2d 35, 38 f. (Kan. 1987): „A custodian assumes the management function ordinarily performed by the directors and officers of a corporation.“ 65 So ausdrücklich auch § 226(b) DGCL; aus dem Schrifttum O’Neal/Thompson, Close Corporations and LLCs, Vol. II, 2019, § 9:40, S. 9–271; ferner Fletcher (Fn. 63), § 7713, S. 191: „The power of a custodian seems to be intermediate between those of a provisional director and a receiver.“ 66 Aufsehenerregend zuletzt Shawe v. Elting, 157 A.3d 152 (Del. 2017). 67 Vgl. zum „custodian“ Haynsworth, 35 Clev. St. L. Rev. 24, 28 (1987): „a more radical remedy“. 68 Allgemein zur Vorreiterrolle Kaliforniens Murphy, 51 N.C.L. Rev. 815, 830 (1973): „prototype of this form of relief“; Wall, 10 Wake Forest L. Rev. 635, 636 (1974): „pioneer legislation on this subject“. 69 Statutes of California 1933, Chapter 533, Sec. 86, S. 1414 f.

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Diese Vorschrift wurde im Jahre 1947 in § 819 des neuen California Corporation Code (CA Corp Code) übernommen70 und findet sich heute mit geringen Abweichungen in § 308 CA Corp Code. Andere Gliedstaaten sind dem kalifornischen Vorbild später gefolgt, zuerst Missouri (1959)71, Delaware (1967) und North Carolina (1973)72. Mittlerweile gibt es in über zwanzig Gliedstaaten entsprechende Regelungen, die in den Einzelheiten stark variieren.73 In Delaware hat man mit Einführung eines eigenen Gesetzesabschnitts für close corporations den provisional director in § 353 DGCL ebenfalls kodifiziert, freilich beschränkt auf geschlossene Gesellschaften.74 Allerdings war seine Einsetzung bereits zuvor durch privatautonome Hilfskonstruktionen75 und wohl auch aufgrund der equitable powers der Gerichte76 möglich. 3. Rechtsstellung und Funktion Die meisten Gliedstaatengesetze bestimmen ausdrücklich, dass ein provisional director alle Rechte und Kompetenzen eines ordnungsgemäß gewählten Direktors besitzt.77 Dies schließt sämtliche Informationsrechte, das Recht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung und das Stimmrecht im Direktorenkollegium ein.78 Er tritt zu den bereits amtierenden, tief zerstrittenen Organwaltern hinzu und soll als neutraler Dritter helfen, die Blockade zwischen ihnen aufzulösen: „The provisional director acts as a type of in-house arbitrator with the power to vote to break deadlocks.“79 Gleichsinnig sprechen andere von einem „tie breaker“80, einem „institutio70 Leitentscheidung: In re Jamison Steel Corp., 322 P.2d 246 (1958); näher dazu Willrich, 48 Cal. L. Rev. 276, 279 ff. (1960). 71 Näher dazu Rosenbaum, 31 Mo. L. Rev. 536 (1966). 72 Näher dazu Murphy, 51 N.C.L. Rev. 815 (1973). 73 Guter Überblick bei Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 114 ff. (2003); O’Neal/ Thompson (Fn. 65), § 9:39, S. 9–265 ff. 74 Vgl. Wolfe/Pittenger, Corporate and Commercial Practice in the Delaware Court of Chancery, Vol. 1, 2017, § 8.09[e][2], S. 8–252 ff. 75 Dazu etwa Lehmann v. Cohen, 222 A.2d 800, 808 (Del. 1966). 76 Allgemein dazu Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[C], S. 8–58: „Even when the remedy is not specially mentioned in an involuntary dissolution statute, a court probably has the equitable authority to appoint a provisional director as a remedy short of dissolution.“ 77 Vgl. etwa § 308 CA Corp Code; § 353(c) DGCL. 78 Vgl. § 353(c) DGCL. 79 Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 134 (2003); zustimmend Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[C], S. 8–59; ähnlich früher schon Folk, 1966 Duke L.J. 875, 953: „This procedure is essentially a means of compelling the warring shareholders and directors to accept a type of arbitration.“ 80 Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977); Haynsworth, 35 Clev. St. L. Rev. 24, 25 (1987); gleichsinnig Clark, Corporate Law, 1986, § 18.4, S. 797: „[T]he reason for appointing them is to break ties.“; aus der Spruchpraxis In re Annrhon, Inc., 21 Cal. Rptr. 2d 599, 604 (Cal. Ct. App. 1993).

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nalized swing vote“81 oder einem einzigartigen Konfliktlösungsmechanismus, der Charakteristika aufweise „akin to those of compulsory arbitration, mediation and conciliation“82. Außer der Unabhängigkeit83 stellen die meisten Gliedstaaten keine weiteren (Qualifikations-)Anforderungen für den provisional director auf.84 Seine Vergütung soll mit der Gesellschaft vereinbart werden und wird andernfalls vom Gericht festgesetzt.85 Ob er für seine Handlungen auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann, ist wenig geklärt.86 Ein kalifornisches Gericht hat dies mit der Begründung abgelehnt, er nehme eine richterähnliche Stellung ein und genieße deshalb Immunität.87 Grundvoraussetzung für die Bestellung eines provisional director ist fast überall, dass eine Patt- oder Blockadesituation (deadlock) auf Direktorenebene vorliegt.88 Manche Gliedstaaten verlangen darüber hinaus, dass der Gesellschaft dadurch irreparabler Schaden droht89; andere belassen es bei weniger strengen Formulierungen.90 Für welchen Zeitraum ein provisional director bestellt werden darf, ist – von einer Ausnahme abgesehen91 – gesetzlich nicht geregelt. In einem Fall hatte ein provisional director das Gericht nach einem Jahr gebeten, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden92; in einem anderen Fall amtierte ein provisional director zweieinhalb Jahre93. Jedenfalls endet sein Amt dann, wenn die Blockadesituation aufgelöst ist.94 Im Übrigen kann er vom Gericht, häufig auch von einer Gesellschaftermehrheit abberufen werden.95 81

Wolfe/Pittenger (Fn. 74), § 8.09[e][2], S. 8–254. O’Neal/Thompson (Fn. 65), § 9:39, S. 9–267. 83 Vgl. § 308(c) CA Corp Code: „impartial person who is neither a shareholder nor a creditor of the corporation nor related by consanguinity or affinity within the third degree according to the common law to any of the other directors of the corporation or to any judge of the court”; § 353(c) DGCL: „impartial person who is neither a shareholder nor a creditor of the corporation or of any subsidiary or affiliate of the corporation“. 84 Vgl. aber immerhin § 353(c) DGCL: „further qualifications, if any, may be determined by the Court of Chancery“. 85 Vgl. § 308(c) CA Corp Code; § 353(c) DGCL. 86 Näher dazu Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 172 ff. (2003). 87 Vgl. Latt v. Superior Court, 212 Cal. Rptr. 380, 384 (Cal. Ct. App. 1985). 88 Vgl. § 308(a) und (b) CA Corp Code; § 353(a) DGCL. 89 Näher dazu Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 162 (2003) m.w.N. 90 Vgl. § 308(a) CA Corp Code: „so that its business can no longer be conducted to its advantage or so that there is danger that its property and business will be impaired or lost“; § 353(a) DGCL: „with the consequence that the business and affairs of the corporation can no longer be conducted to the advantage of the stockholders generally“. 91 Näher zu einer Begrenzung auf zwei Jahre im Bundesstaat Maine Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[C], S. 8–59 mit Fn. 186. 92 Vgl. In re O’Brien Machinery, Inc., 224 Cal. App. 2d 563 (1964). 93 Vgl. Latt v. Superior Court, 212 Cal. Rptr. 380, 384 (Cal. Ct. App. 1985). 94 Vgl. Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977): „Once the deadlock is broken and harmony, or at least a functioning relationship, restored among the elected dircetors, the provisional director can take his leave.“ 95 Vgl. § 308(c) CA Corp Code; § 353(c) DGCL. 82

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Das erforderliche Quorum für einen Bestellungsantrag bei Gericht schwankt zwischen einer Gesellschafterbeteiligung von einem Fünftel, einem Drittel und zwei Dritteln; alternativ genügt häufig ein Antrag von mindestens der Hälfte der Direktoren.96 Viele Gliedstaaten lassen die Bestellung eines provisional director auch dann zu, wenn der Gesellschaftsvertrag eine entgegenstehende Klausel enthält, und erklären diesen Rechtsbehelf damit zu zwingendem Recht.97 4. Rechtspolitische Würdigung Im Schrifttum hat man das Stärken/Schwächen-Profil des provisional director umfassend analysiert.98 Zu den Stärken zählen manche, dass seine Bestellung die Auflösung der Gesellschaft vermeide und eine Unternehmensfortführung ermögliche.99 Schon durch seine bloße Präsenz könne er beschwichtigend auf die zerstrittenen Direktoren einwirken100; diese seien bestrebt, sich ihm gegenüber als vernünftig und ausschließlich im Gesellschaftsinteresse handelnd darzustellen.101 Außerdem lasse die Bestellung eines provisional director die board-Struktur intakt und sende – anders als die eines custodian oder receiver102 – auch kein Alarmsignal gegenüber den Gesellschaftsgläubigern aus.103 Eine wesentliche Schwäche des Rechtsbehelfs erblicken andere darin, dass er nur bei weniger gravierenden Meinungsverschiedenheiten Erfolg verspreche.104 Dagegen zögere er bei unüberbrückbaren Differenzen nur das unvermeidliche Ergreifen drastischerer Maßnahmen wie der Auflösung hinaus105 und belaste die Gesellschaft außerdem mit zusätzlichen Kos96 Vgl. etwa § 308(a) CA Corp Code: ein Drittel der Gesellschafter oder jeder Direktor; § 353(b) DGCL: ein Drittel der Gesellschafter oder die Hälfte der Direktoren. 97 Vgl. § 308(a) CA Corp Code; § 353(a) DGCL. 98 Ausführlicher etwa Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 134 ff. (2003); Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[C], S. 860 f.; O’Neal/Thompson (Fn. 65), § 9:39, S. 9–267 ff. 99 Vgl. Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[D], S. 8–60. 100 Vgl. Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 135 (2003); Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[D], S. 8–60. 101 Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 135 (2003); Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[D], S. 8–60. 102 Vgl. In re Jameson Steel Corp., 322 P.2d 246, 250 (Cal. Dist. Ct. App. 1958). 103 Vgl. Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 135 (1993). 104 Vgl. Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977): „This remedy, however, is likely to work best where it is least needed, in resolving trivial disagreements.“; zustimmend Clark (Fn. 80), § 18.4, S. 797. 105 Vgl. Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977); dem folgend Clark (Fn. 80), § 18.4, S. 797: „When stakes are high and dissension is great, the provisional director is unlikely to create harmony.“; Folk, 1966 Duke L.J. 875, 953: „[…] in many cases, the matrix of the deadlock may be the incompatibility of the principals or of their ideas; and in this situation the provisional director may only postpone the day when more dramatic remedies must be invoked.“

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ten106. Vor allem aber bilde er einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in Vetorechte einzelner Gesellschafter.107 Die Befugnis, durch ein Veto auf Gesellschafter- oder Geschäftsleiterebene eine Pattsituation zur Wahrung eigener Interessen herbeizuführen, sei ein wichtiges Minderheitenrecht.108 Unter dem Strich gibt es scharfe Kritiker des Rechtsinstituts, die seine „overtones of political patronage“109 beklagen und prinzipielle Bedenken gegen eine staatliche Einmischung in Vetorechte der Gesellschafter hegen110, aber auch glühende Anhänger111, die teilweise noch einzelne Verbesserungsvorschläge unterbreiten112. Verlässliche Daten darüber, wie häufig und mit welchem Erfolg provisional directors eingesetzt werden, liegen bisher nicht vor.113

III. Deutschland: Notgeschäftsführer 1. Distinktionsmerkmale Sucht man hierzulande nach einem getreulichen Gegenstück zu provisional director und administrateur judiciaire, so wird man nicht recht fündig. Eine gewisse Ähnlichkeit mit ihnen hat immerhin der Notgeschäftsführer, den die Gerichte mit der Geschäftsführung in führungslosen Gesellschaften betrauen können, bis die zuständigen Gesellschaftsorgane ordentliche Geschäftsleiter benennen. Vom Notgeschäftsführer abzugrenzen ist ein sog. Prozesspfleger nach § 57 ZPO. Ihn hat der Vorsitzende des Prozessgerichts auf Antrag zu bestellen, sofern die Gesellschaft verklagt, aber nicht ordnungsgemäß vertreten ist und falls mit dem Verzug Gefahren verbunden sind. Dieser Prozesspfleger hat nicht die Stellung eines Notgeschäftsführers114, sondern vertritt die Ge106

Dazu Kaplan v. First Hartford Corp., 484 F. Supp. 2d 131, 153 (D. Me. 2007). So Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977): „No state or public interest appears to justify [appointing a provisional director] and depriving the resisting party of the right to veto corporate decisions.“ 108 In diesem Sinne Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977): „The power to veto is an important property right to which the resisting party is entitled by virtue of his shareholdings.“ 109 Henn/Alexander, Law of Corporations, 3. Aufl. 1983, § 77, S. 748. 110 So Clark (Fn. 80), § 18.4, S. 797. 111 Vgl. etwa Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 180 f. und passim (2003); Wall, 10 Wake Forest L. Rev. 635, 642 (1974); abgewogen O’Neal/Thompson (Fn. 65), § 9:39, S. 9–267 ff. 112 Vgl. den ausformulierten Modellvorschlag bei Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 168 ff. (2003). 113 Vgl., soweit ersichtlich, lediglich die knappe und lange zurückliegende Bemerkung von Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 21 (1977): „In any event, provisional director statutes have rarely been used.“ 114 Vgl. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 20. Aufl. 2020, vor § 35 Rn. 26. 107

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sellschaft bloß im konkreten Verfahren115. Sein Einsatz greift damit weit weniger stark in die Befugnisse der Gesellschafter ein als die Bestellung eines Notgeschäftsführers.116 2. Entwicklungslinien Lange sah der Gesetzgeber keine Regelungsnotwendigkeit für den Notgeschäftsführer. Im GmbH-Recht greift man in Ermangelung einer eigenen Regelung bis heute auf die vereinsrechtliche Vorschrift zum Notvorstand in § 29 BGB zurück.117 Mit ihr hatte sich die Erste Kommission zur Ausarbeitung des BGB zunächst nicht anfreunden können, weil sie sich mit den allgemeinen Grundsätzen „wenig vertrage“ und „anomaler Natur“ sei.118 Wegen eines „nicht von der Hand zu weisenden Bedürfnisses“ stimmte ihr der historische Gesetzgeber aber schließlich für Fälle zu, in denen Gefahr im Verzug besteht, und zwar nicht nur im Verkehrsinteresse119, sondern ausdrücklich auch im Interesse der Gesellschafter120. Aus sprachlichen Gründen wählte er in der später Gesetz gewordenen Fassung die Formulierung „in dringenden Fällen“. Im Aktienrecht hat man mit § 76 AktG 1937 erstmals eine Regelung für den Notvorstand eingeführt, die im Wesentlichen § 29 BGB nachempfunden wurde.121 Mit der heutigen Fassung in § 85 AktG hat der Reformgesetzgeber von 1965 dann zwei Änderungen vorgenommen122: Zum einen stellte er ausdrücklich klar, dass das Gericht die Ersatzbestellung bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen vornehmen muss, also kein Ermessen mehr hat.123 Zum anderen ist eine Ersatzbestellung bei nur vorübergehender Verhinderung eines Vorstandsmitglieds nicht mehr möglich.124 115

MüKoZPO/Lindacher, 5. Aufl. 2016, § 57 ZPO Rn. 19. OLG München GmbHR 2007, 1108, 1109; OLG Zweibrücken GmbHR 2007, 544; vgl. auch Musielak/Voit/Weth, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 57 Rn. 1. 117 Vgl. BGHZ 82, 182; OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 1183; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 20 ff.; abw. Kögel, GmbHR 2012, 772, 773: § 85 AktG analog. 118 Protokolle der (Ersten) Kommission zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, S. 3117 = Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1985, Bd. I, S. 168. 119 In diese Richtung noch Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. I, 1888, S. 100 zu § 44 Abs. 6 Satz 2 BGB-E I. 120 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1897, S. 517: „Die Rechte der Mitglieder seien des gleichen Schutzes würdig wie die Interessen der Dritten; Abhülfe in der Bestellung eines Pflegers zu suchen, werde man schwerlich für ein geeignetes Mittel erachten.“ 121 So Amtl. Begr. zu § 76 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“, 1937, S. 62. 122 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des § 85 AktG Bauer (Fn. 117), S. 32 ff. 123 Vgl. Begr. RegE bei Kropff, AktG, 1965, S. 108. 124 Vgl. Begr. RegE bei Kropff (Fn. 123), S. 108. 116

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3. Rechtsstellung und Funktion Der Notgeschäftsführer wird mit Annahme der gerichtlichen Bestellung zum Organ der Gesellschaft. Er erhält die volle Rechtsstellung eines Geschäftsführers mitsamt allen Zuständigkeiten, Rechten und Pflichten.125 Im Rechtsverkehr tritt er mit uneingeschränkter Vertretungsmacht wie ein normaler Geschäftsführer auf; im Handelsregister findet sich kein Hinweis auf die gerichtliche Bestellung.126 Für seine Vergütung gilt § 85 Abs. 3 AktG unmittelbar oder entsprechend.127 § 29 BGB und § 85 AktG sollen die Handlungs- und Prozessfähigkeit der Gesellschaft sicherstellen.128 Sie setzen beide das Fehlen eines erforderlichen Organmitglieds voraus. Dieses Fehlen kann auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhen. So liegt es etwa, wenn das Organmitglied verstorben ist, sein Amt niedergelegt hat oder abberufen wurde.129 Dem steht der Fall gleich, dass sich das Organmitglied gänzlich weigert, Geschäftsführungshandlungen vorzunehmen.130 Dagegen genügt es nicht, wenn sich die Weigerung nur auf einzelne Maßnahmen bezieht.131 Eine Notbestellung kommt auch dann in Betracht, wenn das fehlende Organmitglied zwar nicht für die Vertretung, wohl aber für die Geschäftsführung erforderlich ist.132 Sein Amt endet nach § 29 BGB bzw. § 85 Abs. 2 AktG von selbst mit Behebung des Mangels. Ist eine Befristung erfolgt, so endet die Bestellung mit Ablauf der Frist.133 Nach ganz h.M. liegt bei innergesellschaftlichen Streitigkeiten grundsätzlich kein Fehlen i.S.d. § 29 BGB bzw. § 85 AktG vor.134 Das Registergericht darf einen Notgeschäftsführer daher nicht zur Schlichtung eines Machtkampfs oder zur Überwindung von Differenzen zwischen mehreren Geschäftsführern berufen.135 Dies hat das OLG Frankfurt bereits im Jahre 1965 deutlich ausgesprochen: 125

Vgl. Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 85 Rn. 13. Vgl. Kleindiek (Fn. 114), vor § 35 GmbHG Rn. 23. 127 Vgl. Kleindiek (Fn. 114), vor § 35 GmbHG Rn. 24; ausführlich zu abweichenden Begründungen Bauer (Fn. 117), S. 212 ff. m.w.N. 128 Vgl. BGH NZG 2014, 1302 Rn. 13: „Der Notvorstand überbrückt bei der juristischen Person eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit beim Fehlen eines ordentlich bestellten Vorstands.“ 129 Vgl. Fleischer (Fn. 125), § 85 AktG Rn. 5. 130 Vgl. KG JW 1937, 1731; OLG Fankfurt NJW 1966, 504. 131 Vgl. KG JW 1937, 1731 f.; OLG Frankfurt NJW 1966, 504. 132 Vgl. Fleischer (Fn. 125), § 85 AktG Rn. 6. 133 Vgl. Fleischer (Fn. 125), § 85 AktG Rn. 15. 134 Vgl. Kleindiek (Fn. 114), vor § 35 GmbHG Rn. 14; MüKoBGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, § 29 Rn. 11. 135 Vgl. Bauer (Fn. 117), S. 68 f.; Helmschrott, ZIP 2001, 636, 637; Immenga, GmbHR 1971, 107, 108; Muscheler, FS Reuter, 2010, S. 225, 230 f. auch unter Hinweis auf einen Umkehrschluss zu § 2224 Abs. 1 Satz 1 BGB: „Mehrere Testamentsvollstrecker führen das 126

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„Es ist auch nicht die Aufgabe dieser Vorschrift, bei Differenzen zwischen den Geschäftsführern einen von ihnen auszuschalten und dem anderen die Möglichkeit zu geben, im Wege der Notbestellung seine Auffassung durchzusetzen.“136

Hieran hat die obergerichtliche Spruchpraxis bis heute festgehalten.137 Zur Begründung pflegt man anzuführen, dass die Einsetzung eines Notgeschäftsführers durch das Registergericht ein schwerwiegender hoheitlicher Eingriff in die Gesellschaftsautonomie sei, der deshalb nur in enger Auslegung der Ermächtigungsvorschrift erfolgen könne.138 Notfalls sei die Auflösungsklage nach § 61 GmbHG in Betracht zu ziehen.139 Nur wenn in einer zerstrittenen (Zweipersonen-)GmbH tatsächlich ein Geschäftsführer fehlt, kommt eine Notgeschäftsführerbestellung grundsätzlich in Betracht, sofern mit einer baldigen einverständlichen Bestellung eines Geschäftsführers nicht zu rechnen ist.140 Jedoch muss zunächst der Versuch einer Lösung des Problems durch die Gesellschafterversammlung erfolgen.141 Vor dem Hintergrund der Gesetzesmaterialien zu § 29 BGB und dem einhelligen Meinungsstand in Rechtsprechung und Lehre ist es de lege lata ausgeschlossen, die Figur des Notgeschäftsführers als Instrument zur Überwindung von Blockadesituationen auf Geschäftsführerebene einzusetzen oder fortzubilden.

IV. Rechtsvergleichende Beobachtungen und rechtspolitische Schlussfolgerungen 1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Rechtsinstitute In Frankreich, den Vereinigten Staaten und Deutschland können Gerichte jedenfalls vorläufig die Geschäftsleitung einer Gesellschaft mit einem Fremdverwalter besetzen. So unterschiedlich das Vorgehen dabei im Einzelnen ist, scheint ihm doch ein Gedanke zugrunde zu liegen: Die von einer besonderen Gefahr bedrohte Gesellschaft soll geschützt, die Führungslosigkeit oder gar ihre Auflösung vermieden werden. Eine Notlage rechtfertigt Amt gemeinschaftlich; bei einer Meinungsverschiedenheit entscheidet das Nachlassgericht.“ 136 OLG Frankfurt NJW 1966, 504, 505. 137 Vgl. OLG Frankfurt GmbHR 2006, 204; OLG Zweibrücken GmbHR 2012, 691. 138 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1966, 504, 505; OLG Zweibrücken GmbHR 2012, 691; aus dem Schrifttum Bauer (Fn. 117), S. 68 f.; Hohlfeld, GmbHR 1986, 181, 182. 139 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1966, 504, 505; Bauer (Fn. 117), S. 70. 140 Vgl. BayObLG GmbHR 1999, 1291; OLG Frankfurt GmbHR 2006, 204; GmbHR 2011, 1151. 141 Vgl. OLG Frankfurt GmbHR 2011, 1151.

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also das Einschreiten des Richters.142 Die Unterschiede beginnen aber bereits beim Formalisierungsgrad der Rechtsgrundlagen. Der französische administrateur provisoire bewegt sich zwar inzwischen auf ausgetretenen Pfaden, doch kommt es nach wie vor allein der Rechtsprechung zu, diese Pfade auszubauen und zu befestigen. Einige Autoren schätzen die gesetzgeberische Zurückhaltung freilich, da sie Raum für Anpassung an die verschiedenartigsten Konfliktszenarien lässt.143 In den USA haben zahlreiche Gliedstaaten den provisional director kodifiziert und ihm damit einen prominenten Platz in der Galerie gesellschaftsrechtlicher Konfliktlösungsmechanismen zugewiesen. Auch der deutsche Notgeschäftsführer stützt sich auf ein gesetzliches Fundament. Die hiesigen Gerichte verstehen die entsprechenden Vorschriften aber nicht nur als Ermächtigung, sondern zugleich als Begrenzung und beschränken die gerichtlich angeordnete Fremdverwaltung auf die gesetzlich vorgezeichneten Fälle.144 Administrateur provisoire, provisional director und Notgeschäftsführer wirken zudem auf unterschiedlichen Einsatzfeldern mit unterschiedlichem Auftrag. Französische Gerichte nutzen die Fremdverwaltung immer dann, wenn die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft gestört und ihre Existenzfähigkeit bedroht ist. Provisional director und Notgeschäftsführer treten hingegen in spezifischen Gefahrenlagen auf den Plan: Ersterer soll Blockaden auf Ebene der Geschäftsleitung lösen, letzterer eine Vakanz der Geschäftsleitung überbrücken. Die Befugnisse der einzelnen Fremdverwalter entsprechen den verschiedenen Anforderungen. Besonders deutlich zeigt sich dies in Frankreich, wo die Gerichte Befugnisse und Auftrag des administrateur provisoire in Abhängigkeit von Art und Ausmaß der Gefahrenlage bestimmen; genügt ein Einschreiten in einzelnen Bereichen, beschränken sie sich gar auf die Bestellung eines mandataire ad hoc.145 Der Zuschnitt der Befugnisse auf den Anlass seines Einsatzes manifestiert sich aber auch in der speziellen Mission des provisional director: Er vermittelt zwischen den zerstrit142 Aus französischer Perspektive etwa Ruellan, Dr. soc. 2000, chr. 20, Rn. 5: „situation très périlleuse pour la société“; ähnlich Coquelet, Dr. soc. 2010, comm. 174; Poracchia, Rev. soc. 2014, 88, 90. Vgl. auch Art. 731b des schweizerischen Obligationenrechts, dazu Bühler, SJZ 114 (2018), 441. 143 Merle/Fauchon (Fn. 4), Rn. 657: „Le législateur, avec beaucoup de sagesse, n’a pas voulu poser des règles qui auraient été nécessairement trop rigides pour résoudre ces conflits.“; vgl. auch Lecourt (Fn. 2), Rn. 8: „Le silence du législateur est plus ou moins volontaire, cela afin de préserver la souplesse de l’institution et faire face aux situations les plus complexes et les plus diverses.“ 144 Vgl. auch die grundsätzliche Ablehnung einer Analogie zu § 29 BGB in der GbR bei BGH NZG 2014, 1302 Rn. 14: „Dass sich die verbleibenden Gesellschafter blockieren können, ist in der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis als dem gesetzlichen Regelfall bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts angelegt und begründet daher keine Regelungslücke.“ 145 Dazu oben I.1.; zum Grundsatz allgemein Lapp, RTD com. 1952, 769, 790; Lecourt (Fn. 2), Rn. 3.

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tenen Lagern und entscheidet mit seiner Stimme gegebenenfalls den Streit. Er kann aber nicht alleine, anstelle der von den Gesellschaftern bestellten Geschäftsleiter handeln.146 Sein Einsatz bietet damit eine interessante Möglichkeit, mit einem verhältnismäßig geringen Eingriff zielgerichtet auf eine Blockadesituation zu reagieren. 2. Folgerungen für das deutsche Recht a) Besondere Stellung des Notgeschäftsführers Im Vergleich der Rechtsordnungen tritt besonders hervor, dass die gerichtliche Bestellung eines Geschäftsleiters als Ausnahmerechtsbehelf gilt. Sie bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in das interne Organisationsgefüge der Gesellschaft und berührt die Verbandsautonomie der Gesellschafter. Es nimmt daher nicht Wunder, dass sie an strenge Tatbestandsvoraussetzungen anknüpft. Der Blick über Rhein und Atlantik lehrt außerdem, dass man dem Ausnahmecharakter auch auf Rechtsfolgenseite Rechnung trägt. Je nach Bedarf fällt das Mandat des administrateur provisoire unterschiedlich weit aus; der provisional director geht gar in zuvörderst schlichtender Funktion in die Gesellschaft. In dieser Hinsicht mangelt es der deutschen Diskussion noch an Problembewusstsein147, auch wenn inzwischen anerkannt ist, dass das Registergericht die Geschäftsführungsbefugnis des Notgeschäftsführers im Bestellungsbeschluss auf einen bestimmten Aufgabenkreis beschränken kann.148 Die einschlägigen Kommentierungen belassen es bei der lakonischen Feststellung, dass ein Notgeschäftsführer mit denselben Befugnissen ausgestattet ist wie ein gewöhnlicher Geschäftsleiter.149 Dies passt zwar zu seiner Rolle als Ersatzverwalter einer ansonsten führungslosen Gesellschaft und seiner unbeschränkten Eintragung im Handelsregister. Doch nimmt diese Befugniszuweisung noch nicht vorweg, mit welchem Auftrag er im Innenverhältnis der Gesellschaft antritt. Der Notgeschäftsführer soll letztlich die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber ihren Gläubigern sowie ihren Fortbestand zugunsten der Gesellschafter sichern.150 Dazu hat ihn ein Gericht bestellt; ihm fehlt jedoch 146 Vgl. etwa Moll/Ragazzo (Fn. 63), § 8.02[C], S. 8–60: „The provisional director simply has the power of one director rather than the power of the entire board.“ 147 Hellsichtig aber bereits Westermann, FS Kropff, 1997, S. 682, 685: „[…] daß auch einmal überlegt werden muß, ob die […] verbreitete Einstellung zutrifft, daß der Notgeschäftsführer grundsätzlich keine anderen Rechte und Pflichten haben kann als der von der Gesellschafterversammlung Gewählte.“ 148 Dazu Bauer (Fn. 117), S. 166 ff. m.w.N. 149 Vgl. Fleischer (Fn. 125), § 85 AktG Rn. 13; Staudinger/Roth, 2019, § 29 BGB Rn. 37 f.; MüKoAktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, § 85 Rn. 23; MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 3. Aufl. 2019, § 35 Rn. 72. 150 Vgl. Protokolle (Fn. 120), S. 516 f.

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ein direktes Mandat der Gesellschafter. Vor diesem Hintergrund scheint eine gewisse Zurückhaltung in der Geschäftsleitung durchaus angezeigt. Absehen sollte er jedenfalls von strategischen Richtungsentscheidungen, welche die Unternehmenspolitik auf Jahre festlegen würden, sofern er nicht die Zustimmung der Gesellschafterversammlung – oder in dringenden Fällen eine Genehmigung des ihn bestellenden Gerichts – eingeholt hat.151 Wie weit sein Initiativrecht gehen soll, lässt sich freilich abstrakt nur schwer umschreiben, zumal es in einer lebenden Gesellschaft kaum möglich erscheint, ihn auf die bloß erhaltende Verwaltung des Gesellschaftsvermögens zu beschränken. Gleichwohl sollte er sich vor Augen führen, dass er kein Geschäftsleiter wie jeder andere ist.152 Rechtlich dürfte sich dies etwa in einer früheren und häufigeren Aktualisierung seiner Vorlage- und Einberufungspflicht nach § 49 Abs. 2 GmbHG niederschlagen.153 b) Verbreitertes Einsatzfeld für die vorläufige Fremdverwaltung In Frankreich und den Vereinigten Staaten trägt die vorläufige Fremdverwaltung auch vermittelnde, streitschlichtende Züge.154 Für den administrateur provisoire, der eine Vakanz in der Geschäftsführung füllt, weist die Literatur teils noch darauf hin, dass er nach Möglichkeit auch auf die Bestellung eines ordentlichen Geschäftsleiters hinwirken soll.155 Das deutsche Recht sieht im Notgeschäftsführer dagegen nur einen Verwalter, der die Geschäftsführung übernimmt. Das Gesetz fordert keinen darüber hinausgehenden Einsatz, doch steht es einem Notgeschäftsführer frei, Gesellschaft und Gesellschaftern auch weitergehende Hilfe anzubieten. In vielen Konfliktfällen kommt es hierzulande aufgrund der engen Gesetzesfassung jedenfalls in der Hauptsache bereits nicht zur Bestellung eines Notgeschäftsführers. Ob es sich de lege ferenda empfiehlt, der Notgeschäftsführung nach französischem oder US-amerikanischem Vorbild ein breiteres Einsatzfeld zu eröffnen, kann hier auf gedrängtem Raum nicht erörtert werden. Schon nach geltendem Recht dürfte der einstweilige Rechtsschutz aber mehr Raum für provisorische Lösungen lassen.156 Gerade in Abberufungskonflikten un151

Vgl. zu dieser Diskussion im französischen Recht oben I.3., Text zu Fn. 22–25. So auch Westermann (Fn. 147), S. 682, 696: „andere Aufgaben hat“. 153 Allgemein zur Einberufungspflicht im Gesellschaftsinteresse Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 49 Rn. 13. 154 Prägnant für den provisional director etwa O’Neal/Thompson (Fn. 65), § 9:39, S. 9– 267: „unique dispute-settling arrangement with characteristics akin to those of compulsory arbitration, mediation, and conciliation“. 155 Vgl. Guyon (Fn. 9), S. 103, 108 ff. 156 Vgl. auch die Bezugnahme einiger französischer Autoren auf Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzes als Rechtsgrundlage für die Bestellung eines administrateur provisoire, etwa Parachkévova, BJS 2011, 972, 973; vgl. auch Cass. com., 18.5.2010, Dr. soc. 2010, comm. 174 m. Anm. Coquelet. 152

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tersagen Gerichte den Geschäftsführern, bis zur Entscheidung in der Hauptsache Geschäftsführungs- oder Vertretungshandlungen vorzunehmen.157 Unter Umständen übertragen sie die Geschäftsführungsbefugnis gar zwischenzeitlich auf Dritte.158 Ähnliche Maßnahmen könnten auch in anders gelagerten Gesellschafterkonflikten zur Beruhigung der Situation beitragen, etwa im Vorfeld einer Auflösungsklage aus wichtigem Grund. Womöglich lässt sich sogar die Figur des provisional director nachbilden, der zu den bestehenden Geschäftsführern tritt, zwischen ihnen vermittelt und selbst Geschäftsführungshandlungen vornimmt, wo sich kein Konsens herstellen lässt. Die vorläufige Einsetzung eines Fremdverwalters bei gleichzeitiger Anordnung der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis aller, ordentlich wie gerichtlich bestellter, Geschäftsleiter käme dem bereits nahe. Zu ergänzen ist freilich, dass die Möglichkeit der Fremdverwaltung stets im Kontext der übrigen richterlichen Eingriffsmöglichkeiten zu betrachten ist.159 Streiten Geschäftsleiter oder Gesellschafter um Einzelmaßnahmen, mag es häufig die angemessenere Sanktion sein, wenn das Gericht den ordentlichen Geschäftsleiter zur Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung verpflichtet.160 Nicht überall, wo etwa in Frankreich ein mandataire ad hoc Geschäftsführungsaufgaben übernimmt, bedarf es daher auch in Deutschland eines gerichtlich bestellten Fremdverwalters. c) Rechtssicherer Rahmen für das Amt des gerichtlichen Verwalters Um den hehren Erwartungen gerecht zu werden, braucht es schließlich qualifiziertes Verwalterpersonal. Soweit die hiesige Praxis Schwierigkeiten bei der Verwaltersuche beklagt161, steht zu erwägen, ob ähnlich dem französischen System ein Rückgriff auf die Insolvenzverwalterliste Abhilfe schaf-

157 Etwa BGHZ 86, 177, 183: „bleibt […] der Weg der einstweiligen Verfügung, mit der dem abberufenen Gesellschafter-Geschäftsführer Maßnahmen der Geschäftsführung und die Vertretung der Gesellschaft bis zu einer endgültigen Klärung untersagt werden, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers“; OLG Naumburg GmbHR 2014, 714, 715; zuletzt grundsätzlich OLG Brandenburg GmbHR 2019, 234 f.; allgemein zur Regelung der Geschäftsführung im einstweiligen Rechtsschutz MüKoZPO/Drescher, 5. Aufl. 2016, § 935 ZPO Rn. 49–53; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 178 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 940 ZPO Rn. 8.13; Werner, GmbHR 2015, 1297, 1299 ff.; zur Notgeschäftsführung in der GmbH & Co.KG Hopt, ZGR 1979, 1, 19 f. 158 Grundlegend BGHZ 33, 105 im Kontext eines Ausschließungsprozesses gegen den geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter einer OHG. 159 Vgl. zu milderen Maßnahmen im einstweiligen Rechtsschutz auch Drescher (Fn. 157), § 935 ZPO Rn. 52. 160 Vgl. bereits oben Fn. 62; im einstweiligen Rechtsschutz etwa OLGR Köln 2001, 194; zu einem Zutrittsverbot OLG München GmbHR 2013, 369. 161 Kritisch aus Sicht der Praxis insbesondere Kögel, GmbHR 2012, 772, 775 f.; ähnlich Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17.

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fen könnte. Zudem sollte mit dem Aufkommen des Interim-Managements162 der Pool weiter gewachsen sein, aus dem Notgeschäftsführer bestellt werden können. Die Attraktivität des Amtes und die Bereitschaft, es zu übernehmen, hängen freilich davon ab, ob dem gerichtlich bestellten Fremdverwalter als „Mann zwischen den Fronten“163 ein rechtssicherer Handlungsrahmen zur Verfügung steht. Dies betrifft nicht nur seine Aufgabenbeschreibung im Innenverhältnis, sondern auch die Frage der Vergütung164 und die Ausgestaltung des Haftungsregimes165. Nicht zuletzt in diesen Bereichen liegt es an Wissenschaft, Spruchpraxis und Gesetzgebung, der Figur der Notgeschäftsführung noch deutlichere Konturen zu verleihen.

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Umfassend Uffmann, Interim Management, 2015. Plastisch Westermann (Fn. 147), S. 682. 164 Dazu bereits Westermann (Fn. 147), S. 682, 685: „Zahlung einer angemessenen Vergütung […], ohne die sich ein qualifizierter Fachmann für ein solches Himmelfahrtskommando kaum finden wird“. 165 Vgl. aus US-amerikanischer Sicht Kim, 60 Wash. & Lee L. Rev. 111, 180 (2003): „[…] provisional directors must be free to work with the parties and make tie-breaking decisions without being constantly fearful that those decisions will result in lawsuits by angry losing factions. Provisional directors who are honest, sincere, and do their best to make well-reasoned decisions should be protected from liability when parties do not like the outcome. Imposing full liability on provisional directors may create disincentives for qualified, impartial persons to serve in this capacity.“ 163

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Interessenwahrungspflicht als Leitmaxime des Bankvertragsrechts

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Interessenwahrungspflicht als Leitmaxime des Bankvertragsrechts Stefan Grundmann

Interessenwahrungs- und HyperInteressenwahrungspflicht als Leitmaxime des Bankvertragsrechts Grundlagen, Praxisausprägungen, Bedeutung für ihre Wirkung im Privatrecht STEFAN GRUNDMANN

I. Auftakt Klaus Hopt ist Ästhet, Ästhet und Träumer – ein sehr effizienter, die Kräfte bündelnder und wirkmächtiger Ästhet und Träumer, dennoch im Kern primär Ästhet und Träumer. Die Träume und seine Visionen schufen sein – klares, rationales, wissenschaftlich dominiertes – Leben, immer mit seiner Frau Sung.1 Dieser Beitrag widmet sich der Frage, welche „Vision“ das Bankrecht im Kern trägt und prägt. Bekanntlich nahm Hopts Werk seinen Ausgang im Bankrecht. Der Ästhet Klaus Hopt würde sagen „das Tympanon“ des Bankrechts – wissend, dass es zum einen den Tempel schützt, ihn zum anderen schmückt und optisch zusammenhält und als Werk erst „schließt“ – ungleich mehr als Säule, Wand, Stylobat oder auch Fries. Man kann mit guten Gründen den Fries des Parthenon als den Schönsten der griechischen Klassik sehen (Athen/London), die Tempelwände des Zeusaltars von Pergamon als die Schönsten im Hellenismus (Berlin). Nicht umsonst jedoch steht am Anfang das Tympanon – der Giebel – des Aphaiatempels von Ägina, heute in der Münchener Glyptothek, die streng-schöne Vollendung der Archaik. Gewichtig, die Struktur schließend, nobilitierend. Ähnlich grundlegend für das deutsche Bankrecht – seine Grundlegung, seine Ausgestaltung, ja seine „Ästhetik“ bis heute – sind und waren zwei Konzepte. Das ist einerseits die auf die Sonderrechtsverbindung bezogene („bürgerlichrechtliche“) Grundlegung von Claus-Wilhelm Canaris, nament1

Zum Jungen Klaus Hopt mit seinen Träumen und dann vor allem zu seinem Werk insgesamt, vgl. Grundmann, Klaus Hopt, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler – eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen, Bd. 2, 2010, S. 221.

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lich in seiner Bankrechtskommentierung von 1975, vieles schon angelegt in seiner Habilitation.2 Und das ist andererseits die primär von den Märkten her gedachte Grundlegung von Klaus J. Hopt, zwar durchaus auch am Individualschutz – namentlich von Anlegern – orientiert, jedoch primär die Gemeinwohlorientierung, den Funktionsschutz in den Mittelpunkt rückend. Wenig später begründete Hopt diese besondere Bindung von Unternehmen allgemein – im Gemeinwohlinteresse – mit der von ihnen übernommenen Rolle in Märkten, mit ihrer Marktinanspruchnahme.3 Dies erscheint nicht nur als der Ansatz, dem sich jüngere Autoren im Kapitalmarktrecht überwiegend verpflichtet fühlen, sondern dies wurde mit verschiedenen Zielrichtungen auch für die Konzeptbildung in anderen Rechtsgebieten aufgenommen.4 Jedoch auch spezifischer spielt gerade die 2 Canaris, Bankvertragsrecht = Großkommentar HGB, Bankvertragsrecht3/4, 1975/ 1988 (ab Rn 1163 – Effektenrecht – Investment Banking: 2. Aufl. 1981); vielfach fußend namentlich in Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; für eine besonders prominente „bürgerlichrechtliche“ Herleitung – namentlich der Prospekthaftung aus Grundsätzen der c.i.c., hier der Vertrauenshaftung – vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, a.a.O. Rdn. 2292; Inzwischen Fortführung des Bankvertragsrechts (mit stärkerer Betonung von Regulierung und Europarecht) in GroßkommHGB/Grundmann, Bde. 10/1, 10/2 (mit Teil 4 Renner), 11/1 und 11/2 (mit Teilen von Möslein und Binder) (5. Aufl. 2015-18), als Gesamtausgabe: Grundmann, Bankvertragsrecht, 2 Bde., 2020. 3 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1976; ders., Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, AcP 180 (1980) 608; wenig später ähnlich im Ansatz Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag – zur Haftung aus geschäftsbezogenem Handeln, 1981. Bei Hopt dann aus diesem Gedanken heraus dann namentlich auch die Herleitung der Prospekthaftung, wiederum aus Funktionsschutz- und Marktüberlegungen: Hopt, Kapitalmarktrecht (mit Prospekthaftung) in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 497, 498–502. 4 In der Folge etwa Hellgardt, Von der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung zur Informationshaftung beim Vertrieb von Vermögensanlagen – Eine Nachlese zum „Rupert Scholz“- Urteil des BGH vor dem Hintergrund des neuen Vermögensanlagengesetzes, ZBB 2012, 73, 74–77; Mülbert, Anlegerschutz und Finanzmarktregulierung – Grundlagen, ZHR 177 (2013) 160, 206 f.; umgekehrt etwa Herresthal, Aktuelle Entwicklungen der (v.a. bürgerlichrechtlichen) Prospekthaftung, Bankrechtstag 2015, 2016, S. 103. Der Autor der vorliegenden Zeilen sieht sich seinem Lehrer vielleicht gerade in der Herleitung von Schutzüberlegungen aus einer an die Unternehmen herangetragenen – weil von ihnen in Anspruch genommenen – Rollenerwartung besonders stark verpflichtet – konzipierte er das Europäische Vertragsrecht (und überhaupt das sog. Verbraucherrecht, das Recht der B2C-Beziehungen) doch als ein Unternehmensrecht, das Unternehmen aufgrund ihrer Markinanspruchnahme besonders in die Pflicht nimmt: vgl. für das Rechtsgebiet als Unternehmensaußenrecht und als ein „Handelsrecht sozialer Verantwortung“: Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999; ders., Europäisches Handelsrecht – vom Handelsrecht des laissez faire im Kodex des 19. Jahrhunderts zum Handelsrecht der sozialen Verantwortung, ZHR 163 (1999) 635, auch ders., European Contract Law(s) – of What Colour?, (2005) 1 ERCL 184; vgl. auch (unter den Schülern Hopts) bes. prominent für zentrale Pflichtenbindungen als Korrelat der Marktinanspruchnahme: Merkt, Unternehmenspublizität – Offenlegung von Unternehmensdaten als Korrelat der Marktteilnahme, 2001.

Interessenwahrungspflicht als Leitmaxime des Bankvertragsrechts

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Interessenwahrungspflicht im Oeuvre Hopts nicht nur in den genannten Werken, namentlich in der grundlegenden Monographie zum Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, sondern durchgehend, gerade auch im Bank- und Gesellschaftsrecht großflächig, eine wahrhaft tragende Rolle.5 Inwiefern also bildet die Interessenwahrungspflicht die Leitmaxime, das Tympanon des Bank- und besonders des Bankvertragsrechts – mit Grundlegung und Kerngedanken seiner Ausgestaltung?

II. Interessenwahrungspflicht als Grundprinzip des Bank- und Bankvertragsrecht – Grundlegung Eine Interessenwahrungspflicht als Grundprinzip des Bank- und Bankvertragsrechts muss sich – frei nach dem Johannes-Wort „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen“ (1. Johannes 2, 1–6) – sowohl in der Grundlegung als auch in der Durchführung in den Kerngebieten des Bankgeschäfts beweisen. Drei Durchführungen werden in den nächsten Abschnitten angeboten. Grundlegung hierfür kann dann zweifach verstanden werden: einerseits als die Klärung der Funktion, welche Bankgeschäft und Bankeneinsatz in Marktwirtschaften (ultimativ, d.h. als Endziel) rechtfertigt und legitimiert, dies ggf. auch breiter gesellschaftswissenschaftlich gestützt; und andererseits als die Klärung und Herleitung der dogmatischen Struktur der Interessenwahrungspflicht aus Kerngedanken und -strukturen des Privat- und Wirtschaftsrechts heraus – verbunden mit der Feststellung, dass gerade diese Struktur das Bankgeschäft in besonderem Maße prägt. Dabei ist der Blick schon im Ausgangspunkt mit einer Vorüberlegung zu schärfen. Aus der Perspektive der hergebrachten Dogmatik wird praktisch einhellig und prominent davon ausgegangen, dass eine Interessenwahrungspflicht das Wertpapierhandels- und Effektenrecht beherrsche, wird dies jedoch umgekehrt im Kreditgeschäft und vielleicht sogar im Zahlungsgeschäft – als den beiden anderen Kerngeschäften des Kreditwesens – keineswegs oder jedenfalls nicht mit Selbstverständlichkeit so gesehen.6 1. Intermediation als Funktion und Wesensart des Kreditwesens Fragt man nach der Funktion von Banken und des Bankgeschäfts, so steht das rechtwissenschaftliche Schrifttum im Schatten des wirtschaftswissen5 Unter den zahlreichen Beschäftigungen in seinem Werk mit der Interessenwahrungspflicht vgl. etwa Hopt, Interessenwahrung und Interessenkonflikte im Aktien-, Bank- und Berufsrecht – Zur Dogmatik des modernen Geschäftsbesorgungsrechts, ZGR 2004, 1. 6 Stellungnahme hierzu allenfalls implizit und eher ablehnend, etwa bei Mishkin und Grill/Perczynski, nächste Fn., von der Dogmatik jedenfalls des Darlehens- und Kreditrechts her nicht naheliegend.

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schaftlichen.7 Das grundlegende Modell in der Frage, welche Vorteile der Einsatz von Banken gegenüber einer Welt ohne Bankgeschäfte und Interaktion von Banken mit Kunden zeitigt – was also die ultimative Funktion von Banken und Bankgeschäften sei –, geht zurück auf Diamond (und Dybvig).8 Geht man mit den genannten Autoren zunächst vom Kreditgeschäft aus, so wird im Kern konstatiert, dass Einlage- und Kreditgeschäft (Refinanzierung und Finanzierung) nicht nur Finanzierungsmittel von Einlegern als Finanzierungsmittel für Kreditnehmer, idR Unternehmen, verfügbar machen (Vermittlungsfunktion). Vielmehr sind schon allein hierfür wesentliche Transformationsleistungen zu erbringen, namentlich Fristen, Losgrößen, aber auch Risiken zu transformieren – von kurzfristig und jederzeit abrufbar zu langfristig, von gering und divers gestückelt zu gewichtig, teils auch standardisiert gestückelt und (vor allem) beim Risikogehalt. Dieser wird transformiert von einem Ausfallrisiko von (in ihrer Bonität weniger gut einschätzbaren) Unternehmen zu einem (bloßen) Ausfallrisiko der Bank (deren Bonität faktisch, vor allem auch rechtlich in ganz anderem Maße eingegrenzt erscheint).9 Der entscheidende Schritt liegt jedoch in einem Weiteren. Zwar sind schon diese Transformationsleistungen des Kreditwesens durch Märkte – auch im Lichte neuester informationstechnologischer Entwicklungen – allenfalls in Sondersituationen zu ersetzen, gleichsam zu spiegeln, jedenfalls nicht in vollem Umfang, etwa nicht bei der Abfederung des Ausfallrisikos durch Recht (namentlich Bankaufsichtsrecht mit Eigenmittelanforderungen sowie Einlagensicherungsrecht).10 Das Delegationsmodell von Diamond stellt jedoch auf einen noch weitergehenden Aspekt zentral ab – und in diesem Zuschnitt erscheint es für die Erklärung von Kreditwesen in der Ökonomik heute im Kern unerschüttert 7 Für rechtswissenschaftliche Grundlegungen in dieser Frage, vgl. etwa Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, S. 245–269. Aus wirtschaftssoziologischer, teils politologischer Sicht zur Funktion und Rechtsfertigung von Kreditwesen und Bankgeschäft(en) vgl. etwa Luhmann, Soziologie des Risikos, 1991, S. 199; Baecker, Womit handeln Banken? 1991; Kette, Bankenregulierung als Cognitive Governance, 2008, insbes. S. 16 ff.; eher ökonomisch und aktueller: Mishkin, The Economics of Money, Banking, and Financial Markets, 2019, insbes. S. 72 ff.; Grill/Perczynski, Wirtschaftslehre des Kreditwesens, 2019, S. 17 ff. 8 Grundlegend Diamond, Financial Intermediation and Delegated Monitoring, 51 Review of Economic Studies 393 (1984); auch schon ders./Dybvig, Bank Runs, Deposit Insurance, and Liquidity, 91 Journal of Political Economy 401 (1983). 9 Zu diesen verschiedenen Transformationsleistungen näher Becker/Peppmeier, Bankbetriebslehre, 10. Aufl. 2015, S. 26–29; Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber, Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019, S. 10; Langer/Weber, Banken als Finanzintermediäre in: v. Hagen/ v. Stein (Hrsg.) Geld-, Bank- und Börsenwesen, 40. Aufl. 2000, S. 201, bes. 203–205; zusammenfassend GroßKommHGB/Grundmann5 (2016), Bd. 10/1 Teil 1 Rdn. 8–12. 10 Zur Risikotransformation, vor allem jedoch auch dazu, wie Recht hier die Funktionserfüllung des Kreditwesens maßgeblich unterstützt, vgl. zusammenfassend: GroßKommHGB/Grundmann5 (2016), Bd. 10/1 Teil 1 Rdn. 11 f. sowie 31–79.

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und alternativlos.11 Risikobewertung setzt Risikoeinschätzung und -berechnung – mit Informationseruierung und -verarbeitung – voraus. Im Kern geht das genannte Modell dahin, dass angesichts der Überlegenheit der Kapazitäten von Kreditinstituten als Intermediären in diesem Geschäft – bei der Bewertung des Ausfallsrisikos der Kreditnehmer – die Einleger als Kreditgeber diese Aufgabe auf die Kreditinstitute delegieren (und dabei durch die Absicherung ihrer Einlagen noch staatlich unterstützt werden). Da die Kreditinstitute aufgrund von Skalenvorteilen strukturell bei der Bewertungsaufgabe im Vorteil seien, müssten sie u.a. auch niedrigere Risikoprämien erheben und wäre das Gros der Einleger in der Risikobewertung strukturell in einem Maße unterlegen, dass es für sie in jedem Falle sinnvoll ist, diese Aufgabe zu delegieren – und keine Marktlösung ohne Delegation (auf welchen Intermediär auch immer) könnte dieses Delegationsproblem lösen. Diese Funktionsbeschreibung entwickelte Diamond nun primär für das Kreditgeschäft.12 Auch spricht man von einer „direkten Finanzintermediation“ in der Ökonomik für das Kredit-, nicht für das Wertpapierhandelsgeschäft, die sog. „indirekte Finanzintermediation“ (während umgekehrt in den Rechtswissenschaften das Verständnis von Banken als Intermediären primär für das Letztere verbreitet erscheint).13 11

Vgl. zur Fortentwicklung und Stützung des Modells etwa Hellwig, Allowing for Risk Choices in Diamond’s „Financial Intermediation as Delegated Monitoring“, Working Paper 98–04 SFB 504, 1998; und zur Nuancierung – etwa im Hinblick auf das sog. Peer-toPeer Lending, eine spezifische Nische –: Renner, „Banking Without Banks“? Rechtliche Rahmenbedingungen des Peer-to-Peer Lending, ZBB 2014, 261, 269 ff. (dort auch zur dennoch fortbestehenden Notwendigkeit von Intermediären und ihrer Transformationsfunktion); ders., Peer-to-peer lending in Germany, EuCML 2016, 224; ders., Kreditfinanzierung (Crowdlending) – Theoretische und dogmatische Grundlagen, in: Möslein/Omlor (Hrsg.), Fintech-Handbuch – Digitalisierung, Recht, Finanzen, 2019, S. 255 ff.; Becker/Ulrich/Nolte, Crowdlending als Alternative zum Bankkredit in KMU – eine theoretische und empirische Standortbestimmung, ZfKE 2017, 93; monographisch etwa Polke, Crowdlending oder Disintermediation in der Fremdkapitalvergabe: Eine Analyse der finanzmarktaufsichts- und gewerberechtlichen Regulierung in Deutschland, 2017. Dafür, dass das Modell in der Ökonomik nicht ernsthaften Zweifel ausgesetzt ist, etwa: Freixas/ Rochet, Microeconomics of Banking, 2. Aufl. 2008, S. 15 f.; Hartmann-Wendels/Pfingsten/ Weber, Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019, S. 10; Langer/Weber, Banken als Finanzintermediäre in: v. Hagen/v. Stein (Hrsg.) Geld-, Bank- und Börsenwesen, 40. Aufl. 2000, S. 201, 207 f. 12 Eine explizite und vergleichbare Fortschreibung des Delegationsmodells auch im Effekten- und Wertpapierhandelsgeschäft und sogar im Zahlungsgeschäft findet sich in den gängigen Werken nicht (und ist auch bei Diamond nicht explizit gemacht); am ehesten allgemein Freixas/Rochet und Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber, vorige Fn. 13 Für diese Begriffsbildung in der Ökonomik: Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber, Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019, S. 2 f.; Bryant, Turbulent Waters: Cross-Border Finance and International Governance 2003, S. 27 f. („direct and securitized intermediation“). Zu den jüngeren Entwicklungen, mit wieder zunehmender Transformation der Intermediärsrolle, vgl. nur MacMillan, The End of Banking: Money, Credit, and the Digital Revolution, 2014; Möslein/Omlor (Hrsg.), FinTech-Handbuch – Digitalisierung, Recht, Finan-

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Dies ist deswegen bemerkenswert, weil nach dem Gesagten in der Rechtsdogmatik eine Interessenwahrungspflicht als die zentrale Intermediärspflicht vor allem im Kreditgeschäft keineswegs selbstverständlich angenommen wird. Mit anderen Worten: Von der Funktion des Kreditwesens her verstanden, ist gerade das Kreditgeschäft als Intermediationsleistung zu verstehen, als eine Delegation der zentralen Informationserhebungs- und -verarbeitungsaufgabe auf die Kreditinstitute. Allerdings ist schon hier zu präzisieren, dass nach diesem Modell die Delegation (primär) auf Einleger-, nicht auf Kreditnehmerseite erfolgt – während wiederum in der rechtlichen Entwicklung Tendenzen hin zu besonderen Interessenwahrungspflichten seitens der Kreditinstitute auf Kreditnehmerseite eher stärker ausgebildet erscheinen. 2. Die rechtsdogmatische Begründung der Interessenwahrungspflicht als Zentralpflicht aus der Intermediärsstellung Bildet das Verständnis von Banken als Intermediären den Kern des Delegationsmodells, das Diamond entwickelte und zwar primär für das Kreditgeschäft, so wurde umgekehrt in der Rechtsdogmatik Grund dafür gelegt, wie eine Interessenwahrungspflicht, die namentlich Intermediäre trifft, zu begründen sei. Während diese dogmatische Grundlegung im Ausgangspunkt gleichermaßen auf Treupflicht und Interessenwahrungspflicht im engen Sinne („strictu sensu“) bezogen wurde, geht man heute ganz überwiegend davon aus, dass beide Pflichten zu trennen seien. Während Treupflichten nur eine Rücksichtnahme auf Interessen anderer (wenn auch in typischerweise verstärktem Maße) gebieten, ordnet die Interessenwahrungspflicht (signifikant weitergehend) an, dass der Intermediär die Kundeninteressen als vorrangige Leitmaxime vor die eigenen Interessen zu stellen und das Handeln allein an jenen auszurichten hat.14 Dass beide Pflichten – Treupflicht und Interessenwahrungspflicht – tatbestandlich und von den Rechtsfolgen her zu scheiden sind, bedeutet freilich nicht, dass sie einander nicht strukturell ähnlich wären und daher auch die Ansätze einer dogmatischen Grundlegung nicht von ungefähr so gut zen, 2019. Umgekehrt für das genannte Verständnis in den Rechtswissenschaften bereits oben Fn. 6. 14 Zu dieser Unterscheidung der Strenge der Pflichtenbindung im Grundsätzlichen ausführlich: Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997, S. 212–220 (unkompensierte Übertragung von Einwirkungsmacht begründet diese strenge Pflichtenbindung – Interessenwahrungspflicht stricto sensu –, reines Nähe- und Vertrauensverhältnis bzw. Einflussmacht ohne solche unkompensierte Übertragung hingegen nicht); ähnlich inzwischen praktisch einhellig die Kommentar- und Lehrbuchliteratur (eigennützige und fremdnützige Befugnisse), namentlich Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 53a, Rdn. 55; GroßkommAktG/Henze/ Notz4 Anh § 53a, Rdn. 53 f.; Windbichler, Gesellschaftsrecht24, 2017, § 26, Rdn. 26; Hüffer/ Koch13 § 53a, Rdn. 16; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften6, 2015, § 11, Rdn. 47.

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vergleichbar erscheinen. Die maßgebliche Grundlage für eine Erklärung entwickelte Zöllner denn auch für die Stimmrechtsschranken, die teils in einer Treupflicht als einer Pflicht zur bloßen Rücksichtnahme auf andere Interessen fußen, teils aber auch in der Interessenwahrungspflicht stricto sensu. Teils verpflichten sie also dazu, Interessen anderer nur gebührend mit zu berücksichtigen (so das Abstimmen von Aktionären, etwa in Sanierungssituationen), teils hingegen, sein eigenes Stimmrechtsverhalten ganz an ihnen auszurichten (so beim Abstimmen kraft Stimmrechtsvollmacht, etwa Depotstimmrecht).15 Letzteres ist der typische Fall im Bankgeschäft. Zöllners Kernüberlegung ging dahin, dass die Einräumung von Einflussmacht ihr Korrelat finde in einer Beschränkung der Ausübungsfreiheit.16 Typisch und Grund für die Problematik ist, dass die Beziehung offen ist für die Zukunft und das Verhältnis der Betroffenen gar nicht vorab durchgeregelt werden kann (zwangsläufig unvollständiger Vertrag).17 So wichtig Zöllners Grundlegung, so wenig kann sie die oben genannte Unterscheidung zwischen (bloßer) Treupflicht und (weiterreichender) Interessenwahrungspflicht stricto sensu – in Tatbestand und besonders in Rechtsfolgen – erklären und operationalisieren helfen. Dafür ist – über das ebenfalls als wichtig angesehene Kriterium persönlicher Nähe zwischen den Parteien hinaus –18 15

Vgl. Nachw. vorige Fn. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 341–356; vor ihm ähnlich Fechner, Die Treuebindungen des Aktionärs, 1942, S. 76 f.; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 214 f.; und schon RGZ 132, 149, 163; heute allgemein akzeptiert, etwa BGHZ 65, 15, 19 (ITT); 103, 184, 195 (Linotype); BGHZ 129, 136, 144 (Girmes); BGHZ 142, 167, 170 (Hilgers); MünchKommAktG/Bungeroth4 Vor § 53a, Rdn. 18; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S 16 f.; zum Kranz der Erklärungen, die die Treupflicht noch immer (subjektiv) im Gesellschaftsvertrag gegründet sehen („implied terms“), etwa auch in der Förderpflicht, Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 53a, Rdn. 45; GroßkommAktG/Henze/Notz4 Anh § 53a, Rdn. 16. 17 Dazu (auch zur diesbezüglichen ökonomischen Theorie) Behrens, FS Drobnig (1998), 491, 494–497; Fleischer, ZGR 2001, 1, 4 f.; Grundmann, European Company Law2, 2012, S. 44 ff.; grdl Jensen/Meckling, 3 Journal of Financial Economics 305 (1976); dies, Separation of Ownership and Control, 26 Journal of Law and Economics 301 (1983); später etwa Shleifer/Vishny, A survey of corporate governance, 52 Journal of Finance 737 (1997); breiter zum Kontext Grundmann, in Grundmann/Micklitz/Renner, Privatrechtstheorie, 2015, Kapitel 20. Speziell zur Theorie der unvollständigen Verträge: grundlegend Williamson, Markets and Hierarchies – Analysis and Antitrust Implications, 1975, passim; ders., The Economic Institutions of Capitalism – Firms, Markets, Relational Contracting, 1985, S. 56–67; dann Ayres/Gertner, Filling gaps in incomplete contracts: An economic theory of default rules, 99 Yale LJ 87 (1989); Tirole, Incomplete Contracts: Where Do We Stand? 67 Econometrica 741 (1999); Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik – Eine Einführung und kritische Würdigung4, 2010, S. 147–202, 271–279, 382–387 et passim; sowie Grundmann in Grundmann/Micklitz/Renner, Privatrechtstheorie, 2015, Kapitel 17. 18 Vgl. BGHZ 103, 184, 193, 195 (Linotype); Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 53a, Rdn. 54; Windbichler, Gesellschaftsrecht24, 2017, § 30, Rdn. 33; Lutter, AcP 180 (1980) 84, 102–108; Piepenburg, Mitgliedschaftliche Treupflichten, 1996, S. 235, 272–274; Westermann, Ver16

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weiter nach den Modalitäten der Übertragung der Einflussmacht zu fragen. Zudem ist dabei auf Einflusspositionen allgemein abzustellen, namentlich auch auf Informationspositionen, Einfluss- und Entscheidungsmacht. Entscheidend für die Begründung einer Interessenwahrungspflicht stricto sensu ist dann die Frage, ob die Übertragung/Einräumung (im Zöllner’schen Sinne) als unentgeltlich – ohne Gegenleistung oder Kompensation – zu verstehen ist – oder nicht. Dafür sind Rechtsverhältnisse analytisch zu zerlegen in Pflichten, die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen – etwa die Pflicht eine Dienst-, etwa Beratungs- oder Abstimmungsleistung zu erbringen und die Vergütung hierfür –, und solche Übertragungen, die hinzukommen und nur als Instrument für die Durchführung dieser Leistung zu verstehen sind.19 Das sind dann übertragene Informations- und Einflusspositionen, etwa Informationen zum Kunden oder die bewusst gewählte Abhängigkeit von Rat oder Abstimmungsverhalten des Dienstleisters. Und dem steht keine (weitere) Leistung des Dienstverpflichteten gegenüber. Für solchermaßen unkompensiert eingeräumte Macht erscheint die Rechtsfolge der Interessenwahrungspflicht stricto sensu – die Ausrichtung allein am Interesse des Übertragenden – wertungsmäßig zwingend. Dies meint etwa die Position eines Stimmrechtsvertreters oder Anlageberaters. Umgekehrt erscheint die bloße Rücksichtnahmepflicht dann angemessen, wenn für die Einräumung von Entscheidungs- oder Einflussmacht – etwa vom Mitgesellschafter – auch selbst Mittel aufzuwenden sind, etwa durch eigenes Investment. Die Abschattierungen zwischen unterschiedlich strengen Bindungslagen bei der Stimmrechtsausübung im Gesellschaftsrecht sind anhand des Kriteriums der Unentgeltlichkeit der Machteinräumung oder -übertragung unschwer zu erklären – freilich hier nicht das Thema. Auch nicht Thema ist hier, dass schon mit dem Zöllner’schen Erklärungsmodell im Gesellschaftsrecht unschwer das (wertungsmäßig naheliegende) Ergebnis zu begründen wäre, dass Stimmrechtsvertreter für die Stimmrechte, die sie für andere ausüben, auch den diesen auferlegten Schranken unterliegen sollen.20 Jedenfalls tragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, 1970, S. 143; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 185–189 (GmbH); Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 349– 355 bes. 354; Kampf, Die Abdingbarkeit gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten, 2016, S. 29 f. Zum Kranz der Erklärungen, mit denen auf subjektive Elemente abgestellt wurde, vgl. etwa Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997, S. 136–140; GroßkommAktG/Henze/ Notz4 Anh § 53a, Rdn. 14. 19 Vgl. näher Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997, S. 92–96, 212–220: jüngere – breitere – Theoriebildung (zur Interessenwahrungspflicht in MiFID II) auch bei Enriques/Gargantini, The overarching duty to act in the best interest oft he client in MiFID II, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), Regulation of the EU Financial Markets – MiFID II and MiFIR, 2017, S. 85. 20 Anders die ganz hM, etwa BGHZ 129, 136, 137 und 148 f. (Girmes); MünchKommAktG/Bungeroth4 Vor § 53a, Rdn. 23; Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 165–170; Schmidt/

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jedoch ist das grundsätzliche Erklärungsmodell – Einräumung von Einflusspositionen als Grundlage von Bindungen, unentgeltliche Einräumung als Grundlage noch stringenterer Bindungen – für das Bankrecht von geradezu kategorialer Bedeutung und unverzichtbar. Der angekündigte Nachweis, dass die Struktur dieses Grundansatzes tatsächlich das Bankgeschäft flächendeckend und in besonderem Maße prägt, kann erst mit einer – jetzt folgenden – Durchführung in verschiedenen Einzelgebieten erbracht werden, jedenfalls ansatzweise.

III. Durchführung I: Interessenwahrungspflicht im neueren Wertpapierhandelsrecht 1. Kernpflicht im deutschen und Europäischen Wertpapierhandelsrecht Seit Entstehen des Europäischen und deutschen Wertpapierhandelsrechts im heutigen Zuschnitt21 bildet die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als die weitergehende Pflicht die Leitlinie auch im Hinblick auf Eigeninteressen des Wertpapierdienstleisters, hier sogar eine besonders intensiv und facettenreich ausgestaltete, über das Übliche noch weit hinausgehende Leitlinie. Signifikant für diese Aussage ist, dass die Interessenwahrungspflicht stricto sensu nicht nur als Kernpflicht im Kundenverhältnis statuiert wird (Fn. 24). Vielmehr wird sie in allen zentralen Punkten geradezu als eine „Hyper-Interessenwahrungspflicht“ (stricto sensu) gefasst – dies sowohl Lutter/Fleischer3 § 53a, Rdn. 51; Hammen, ZBB 1993, 239, 243–246; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 263 f.; GroßkommAktG/Henze/Notz4 Anh § 53a, Rdn. 29 und 31; Lutter, JZ 1995, 1053, 1055; Nehls, Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Aktienrecht, 1993, S. 165–166; Nodoushani, Die Treuepflicht der Aktionäre und ihrer Stimmrechtsvertreter, 1997, S. 150 f.; Schneider, Der Stimmbindungsvertrag – eine prinzipiengeleitete Untersuchung im System der Aktiengesellschaft, 2017, S. 40; wie hier vor allem Beckerhoff, Treupflichten bei der Stimmrechtsausübung und Eigenhaftung des Stimmrechtsvertreters, 1996, S. 144–150; zu weiteren Konsequenzen (teils Inkonsistenzen) vgl. GroßKommAktG/ Grundmann5 § 136 Rdn. 52–55. 21 Dieses wird in der EWG-Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie 93/22/EWG und seines Umsetzungsgesetzes, des Wertpapierhandelsgesetzes (Art. 1 des Zweiten Finanzmarkförderungsgesetzes) vom 24.7.1994 gesehen. Hopt nannte das Gesetz plastisch das „Grundgesetz des Wertpapierhandels“, vgl. Hopt, ZHR 159 (1995) 135, 135 (später vielfach aufgenommen, heute wohl zu relativieren, vgl. mein FS-Beitrag unten). Der Bestand der Richtlinie heute – in dritter Generation – niedergelegt in: Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl.EU 2014 L 172/349 (verbunden mit Verordnung (EU) Nr. 600/2014); vgl. zur Entwicklung näher: Grundmann, Europäisierung des Kapitalmarktrechts – insbesondere Wertpapierhandelsrecht (WpHG), in: Klöhn/Mock (Hrsg.), Festschrift 25 Jahre WphG, 2019, S. 1; ders., Das grundlegend reformierte Wertpapierhandelsgesetz – Umsetzung von MiFID II (Conduct of Business im Kundenverhältnis), ZBB 2019, 1.

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durch zwei machtvoll flankierende Regelregime als auch durch ihre eigene, besonders weitgehende inhaltliche Ausgestaltung. Und in Zweiterem schließen sich die jüngsten Reformen nahtlos an – mit nochmals intensivierter Ausgestaltung der ohnehin so weitgehend-einseitig ausgerichteten Interessenwahrungspflicht. Zunächst wird diese klassische Interessenwahrungspflicht im Wertpapierhandelsrecht intensiv flankiert – doppelt flankiert, und auch diese doppelte Flankierung gehört zu den Kerncharakteristika des Regimes bereits seit Entstehen des Europäischen und deutschen Wertpapierhandelsrechts im heutigen Zuschnitt. Zum einen wird sie durch eine präventiv wirkende Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten abgesichert, mit deren Einrichtung den Wertpapierdienstleistern die weitestgehend mögliche Vermeidung, jedenfalls jedoch umfassende Aufdeckung aller Interessenkonflikte aufgegeben wird (heute vor allem § 63 Abs. 2, 3 WpHG).22 Zum anderen wird die verlässliche Einhaltung gerade dieser Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten, jedoch auch der Interessenwahrungspflicht durch dahingehende Organisationspflichten (heute §§ 80 f. WpHG) nochmals weiter abgesichert. In der Tat bilden die Interessenwahrungspflicht sowie die präventive Pflicht, Interessenkonflikte zu vermeiden, im Wertpapierhandelsrecht gleichsam die Inkunabel für den gesamten Bereich der sog. Compliance, der systematischen Ausrichtung von Unternehmensorganisation am Ziel der Gesetzesbefolgung (mit eigenen Compliance-Abteilungen, -Strategien und -Organisationen), d.h. der Regulierung interner Organisation mit dem Ziel einer verlässlicheren Pflichterfüllung nach außen.23 Speziell als Kernpflicht im Kundenverhältnis ist die Interessenwahrungspflicht stricto sensu seit Anbeginn ausgestaltet. Gerade für Wertpapierdienstleister – bei Aufklärung, Beratung, Portfolioverwaltung oder auch Orderausführung – dürfen die Eigeninteressen stets nicht nur nicht dominieren, sondern überhaupt nicht berücksichtigt werden.24 Diese treuhänderi22 Zur Pflicht, Interessenkonflikte zu vermeiden, in der Herleitung und im MiFID IIRegime im Besonderen vgl. nur Grundmann/Hacker, Conflicts of Interest, in: Busch/ Ferrarini (Hrsg.), Regulation of the EU Financial Markets – MiFID II and MiFIR, 2017, S. 165; zu den Gehalten in diesem Punkte bereits in der EWG-WertpapierdienstleistungsRichtlinie vgl. nur Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, unter 4.20. 23 Zur Ausrichtung an Compliance-Zielen des Wertpapierhandelsrechts – und zu seiner Vorreiterstellung gerade in dieser Hinsicht – vgl. etwa Hense/Renz, CCZ 2008, 181; Rotenhöfer, in Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried (Hrsg.), Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2019, Rdn. 13.402; zu den Gehalten in diesem Punkte bereits in der EWG-Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie vgl. wiederum nur Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, unter 4.20. 24 Unstreitig im Recht der treuhänderischen Einzelverträge, zu denen die Anlageberatung zählt: vgl. etwa Gevurtz, Corporation Law2, 2010, S. 340–407; Shepherd, The Law of Fiduciaries, 1981, S. 132–136; Scoles/Halbach/Roberts, Problems and Materials on Decedents’ Estates and Trusts, 7. Aufl. 2006, S. 747–774, bes. 747. Für das englische Recht, das insoweit auch den Begriff der „Fairness“ verwendet: Blair/Walker, Financial Services Law,

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sche Zentralpflicht gilt auch hier, soweit und weil ein Anbieter, hier der Wertpapierdienstleister, eine Einflussposition (unentgeltlich und zweckgebunden) übertragen erhalten hat, also für die Wertpapieremission und -anlage etc.; die Pflicht gilt (nur) nicht für das Gegenseitigkeitsverhältnis von Dienstleistung und deren Vergütung. Mit den Begriffen „honestly and fairly“ sowie „professionally“ in den maßgeblichen Vorgaben wurden die treuhänderische Interessenwahrungspflicht stricto sensu und die – keineswegs treuhandspezifische – Pflicht zum sorgfältigen Handeln geregelt.25 Unerbittlich ist die Interessenwahrungspflicht stricto sensu, die verletzt ist, wenn Einflusspositionen (auch nur ansatzweise) mit Eigennutzinteresse eingesetzt werden. Wichtig ist die – auch weiterhin zutreffende – Präzisierung, dass im Persönlich-Sächlichen und in den Prozeduren – in der gesamten Organisation des Kreditinstituts – für alle Aspekte der Befolgung der Interessenwahrungspflicht die nötige Ausstattung vorhanden sein und eingesetzt werden muss, nicht nur für die Vermeidung von Interessenkonflikten. Wie überragend wichtig die Interessenwahrungspflicht stricto sensu gerade im Wertpapierhandelsrecht – wiederum schon im Ausgangsregime – ist und war, und dies im inhaltlichen Zuschnitt, belegt nicht zuletzt die (1993/ 95) eingeführte sog. „know your customer rule“ (§ 63 Abs. 3 WpHG), mit der dem Anbieter auferlegt wird, nicht nur im Interesse des Kunden zu handeln, sondern dessen finanzielle Verhältnisse und Anlageziele mit einer derartigen Intensität zu eruieren, dass er sich gleichsam in dessen Lage versetzen kann. Diese Kernpflicht geht so weit über das im sonstigen Vertragsrecht – selbst im Geschäftsbesorgungsrecht – Übliche hinaus, dass eine überragende, ja außerordentliche – über alle sonstige Erscheinungsformen hinausgehende – Bedeutung der Interessenwahrungspflicht stricto sensu in diesem Teil des Bankvertragsrechts besonders klar auf der Hand liegt.26

2014, Rdn. 16.48. Für eine Pflicht, Eigeninteressen hintan zu stellen, im Rahmen der Interessenwahrungspflicht nach WpHG: Assmann/SchneiderMülbert/Koller (7. Aufl. 2019), § 63 WpHG Rdn. 20 f. (allerdings mit Einschränkungen), 22 ff. sowie/Koller (6. Aufl.), § 31 WpHG Rdn. 13–18; und bereits Schwark, Bankrechtstag 1995, 109 (114 f. und 116 f.). 25 Breit aus jüngerer Zeit Enriques/Gargantini (oben Fn. 19); demgegenüber liest Assmann/Schneider/Koller, 4. Aufl. 2006, § 31 WpHG Rdn. 5 f. das Element der Fremdnützigkeit offenbar in den Begriff der „Sorgfalt“ („care“) hinein; ebenso BankR-Hdb/Faust § 109 Rdn. 23. Zum Treuhandvertrag als dem Vertragstyp des neutralen Handelns und zur Interessenwahrungspflicht stricto sensu monographisch: Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997. 26 Näher zur „know your customer rule“ und ihrer Außergewöhnlichkeit (selbst im Kontext anderer Geschäftsbesorgungsvertragstypen) etwa Enriques/Gargantini (oben Fn. 19), S. 85, 94 f.; Ellenberger, in: Ellenberger/Schäfer, Fehlgeschlagene Wertpapieranlagen, 2006, S. 65–82; Teuber, Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID) – Auswirkungen auf Anlageberatung und Vermögensverwaltung im Überblick, BKR 2006, 429, 431–435; GroßKommHGB/Grundmann5 (2018), Bd. 11/2 Teil 8 Rdn. 198–202.

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2. Leitlinie auch der jüngeren Reformschritte Diese besonders weitgehende Ausgestaltung auch im Inhaltlichen – mit der aus der klassischen Interessenwahrungspflicht im Geschäftsbesorgungsrecht im bankrechtlichen Wertpapierhandel gar eine „Hyper-Interessenwahrungspflicht“ (stricto sensu) wird – ist auch Leitmotiv der jüngsten Reform durch MiFID II und ihre Umsetzung. Wie diese besonders intensive Form einer Interessenwahrungspflicht, die bereits die Ausgangsleitlinie im Wertpapierhandelsrecht seit Anbeginn bildete, auch die jüngste Entwicklung prägt und dominiert, ist am besten mit zweierlei zu belegen: einerseits anhand der beiden wichtigsten neuen Institute, die die Reform einführte, aber auch andererseits anhand derjenigen Normentwicklungen, mit denen in dieser Reform erkennbar auf die jüngsten methodischen – vor allem verhaltenswissenschaftlichen – Erkenntnisse reagiert wird. Die beiden wichtigsten Reformschritte der dritten und jüngsten Regulierungsgeneration – durch die EU-Finanzmarkt-Richtlinie II (MiFID II, Fn. 21) – sind – bezogen auf das Bank-Kunden-Verhältnis – zunächst in folgenden zwei neuen Instituten zu sehen. Das ist einerseits die zwingend zweispurige Ausgestaltung des Regimes von Beratern – Honorarberatung und Provisionsberatung –, mit der eine tatsächliche Befolgung der Interessenwahrungspflicht und Vorbeugung von Interessenkonflikten gestärkt werden sollen – dies durch eine Strategie der Veränderung/Verbesserung der fraglichen Marktstruktur (§ 64 Abs. 5 und 6 und § 70 WpHG).27 So wird dem Kunden verbindlich die Möglichkeit gegeben, statt der klassischen Provisionsberatung – der Beratung, die nicht vom Kunden unmittelbar, sondern aus Provisionen vergütet wird und zahlreiche Potentiale von Interessenkonflikten birgt – eine Form der Beratung zu wählen, die er zwar selbst vergüten muss, in der jedoch andere Zahlungen an den Wertpapierdienstleister, die dessen Rat beeinflussen könnten, umfassend ausgeschlossen werden. Neben diese Marktstrukturlösung für das Provisions- und das damit verbundene Interessenkonfliktproblem tritt andererseits und als zweites neues Institut das sog. Zielmarktkonzept (§ 63 Abs. 4, 5 WpHG n.F.). Die Problematik zur Anlegergerechtigkeit eines bestimmten Rates liegt/lag darin,

27 Zu dieser Zweigleisigkeit und den im Folgenden genannten Vor- und Nachteilen beider Formen, vgl. nur Silverentand/Sprecher/Simons, Inducements, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), Regulation of the EU Financial Markets – MiFID II and MiFIR, 2017, S. 205; Balzer, Rechtliche Rahmenbedingungen der Honorarberatung, Bankrechtstag 2013, 157; Loidl/Burgin, RDR, MiFID II und Honorarberatung – das Ende der Provisionsberatung? RdF 2012, 232; Müchler/Trafkowski, Honoraranlageberatung – Regulierungsvorhaben im deutschen und europäischen Recht, ZBB 2013, 101; Reiter/Methner, Die Interessenkollision beim Anlageberater – Unterschiede zwischen Honorar- und Provisionsberatung, WM 2013, 2053; GroßKommHGB/Grundmann5 (2018), Bd. 11/2 Teil 8 Rdn. 176 f., 214– 219.

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dass bei der individuellen Anlageberatung für die Frage nach der Anlegergerechtigkeit des konkreten Investments zuvor allein auf den beratenden Wertpapierdienstleister gesetzt wurde und zudem die Beratung zwar dokumentiert wurde, die maßgeblichen Schlüsse jedoch nicht systematisch objektiviert wurden. Beides ändert sich mit dem Zielmarktkonzept, nach dem der Wertpapierdienstleister, der das Produkt gestaltet, die Frage der Anlegergerechtigkeit zu reflektieren hat und deswegen sein Produkt einem Teilmarkt zuzuordnen hat – in einer Leiter von vielen nach Risikotragfähigkeit und Anlagezielen differenzierten Segmenten.28 Fast noch plastischer drückt der alternativ verwandte Begriff der „product governance“ oder ProduktGovernance die Kernziele der Reform aus. Denn es kommt noch besser zum Ausdruck, dass sich hiermit der Beratungsprozess radikal ändert: Mit dem Institut, welches das Produkt gestaltet, wird der intimste Kenner desselben für die Frage der Anlegergerechtigkeit des Investments zusätzlich in die Pflicht genommen, indem dieses Institut eine ganze Reihe von abgestuften typischen Anlegerkategorien unterscheiden und sein Produkt in diese Stufenleiter einordnen muss (sog. Zielmarkt). Zudem tritt ein Vier-AugenPrinzip an die Stelle eines Zwei-Augen-Standards. Außerdem wird die Frage der Anlegergerechtigkeit objektiviert, weil standardisiert und solchermaßen (mit Begründungen) festgehalten, damit auch das Risiko von Beweisnot für den Kunden im Streitfall deutlich gesenkt. Neben diese zwei konkreten neuen Institute, mit denen auf Kernprobleme der tatsächlichen Durchsetzung der Interessenwahrungspflicht und auch der Prävention von Interessenkollisionen reagiert werden sollte – auf das Provisionsproblem und auf das Problem einer allzu flüchtigen und im Beweisfall wenig nachvollziehbaren Beratung –, tritt eine generellere Tendenz, wiederum im Sinne eines weiteren Fortdenkens von Interessenwahrung. An verschiedenen Stellen des Regimes sind heute auch Regeln und Strategien erkennbar, mit denen – durchaus jüngeren Regulierungstendenzen entsprechend – auch auf kognitive Schwächen von Anlegern reagiert werden soll: 29 durch plakativere Warnung, die ebenso vorgeschrieben wird wie eine noch stärker den Kern der Interessenkonflikte treffende Pflicht, die Mechanismen von Provisionen und Gebühren dem Kunden hinreichend zu erklären, um

28 Zu diesem Institut und dem damit eingeführten Vieraugenprinzip und der besseren Nachvollziehbarkeit von Fehlberatung, vgl. nur Busch, Product Governance and Product Intervention under MiFID II/MiFIR, in: Busch/Ferrarini (vorige Fn.), S. 123, 124–137; Buck-Heeb, Compliance bei vertriebsbezogener Product Governance – Neuerungen durch die MiFID II bzw. das Kleinanlegerschutzgesetz, CCZ 2016, 2; Geier/Druckenbrodt, Product Governance: MIFID II, PRIIP, Kleinanlegerschutzgesetz – quo vadis? RdF 2015, 21; GroßKommHGB/Grundmann5 (2018), Bd. 11/2 Teil 8 Rdn. 160–164. 29 Zu solchen Entwicklungen vgl. etwa Grundmann/Hacker, Conflicts of interest, in: Busch/Ferrarini (vorige Fn.), S. 165, 175–178 und 199–203; Kette, Bankenregulierung als Cognitive Governance, 2008; Möllers, ZEuP 2016, 325, 332 ff.

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ihn in den Stand zu setzen, Gefahren aus Interessenkonflikten auszuschließen oder aber mit bestmöglichem Wissen zu übernehmen. Alle Neuerungen – die beiden neuen Regelregime ebenso wie die stärkere Berücksichtigung kognitiver Verzerrungen beim Kunden – zielen sichtlich in eine Richtung: die nochmals stärkere und ausschließlichere Ausrichtung der Wertpapierdienstleistungen auf das Kundeninteresse.

IV. Durchführung II: Interessenwahrungspflicht im Bankgeheimnis-, Kredit- und Bankaufsichtsregime Im zweiten Durchführungsschritt soll der Blick über den Bereich des Wertpapierhandels – und allgemeiner des Investment Banking – hinaus geöffnet werden. Jeweils soll gefragt werden, ob auch dort eine Interessenwahrungspflicht als prägend zu verstehen ist. Dies soll sowohl für die allgemeine Bank-Kunden-Beziehung als auch für den zweiten Großbereich – das Commercial Banking – geschehen. Daran anschließen soll sich ein Ausblick auch über das klassische Bankvertragsrecht hinaus, auf seinen regulatorischen Rahmen. Dieser Blick gilt dann namentlich dem Bankaufsichtsrecht, mit dem in besonderem Maße auf die Eigenart des Kreditwesens reagiert wird und bei dem es sich zugleich um dessen Fundament handelt. 1. Allgemeine Bank-Kunden-Beziehung: Interessenwahrungspflicht und Bankgeheimnis Zwar steht für die allgemeine Bank-Kunden-Beziehung die Kontroverse um allgemeinen Bankvertrag oder aber gesetzliches Schuld- und Vertrauensverhältnis traditionell im Fokus von (Konzeptionalisierungs-)Debatten.30 Wichtiger erscheinen jedoch die konkreten („handfesten“) Institute, die diese allgemeine Beziehung prägen. Wichtiger erscheint solch eine Herangehensweise namentlich für eine an den Einzelmaterien orientierte Durchfüh30 Vgl. einerseits (für gesetzliches Schuldverhältnis) namentlich Canaris, Bankvertragsrecht (Fn. 2), Rdn. 1–35, 77 f., 100; w.Nachw. BankR-HdB/Hopt/Roth § 1 Rdn. 49; allerdings nach hM bei Zustandekommen eines Vertrages (immer bei Unterzeichnung der Banken-AGB) durch vertragliche Schlechterfüllungsregeln abgelöst, vgl. etwa Vortmann, Aufklärungspflichten und Beratungspflichten der Banken, 10. Aufl. 2013, Rdn. 32; BankRHdB/Siol § 43 Rdn. 13; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 8 I 5; für allgemeinen Bankvertrag etwa Hopt, Bankrechtstag 1992, 1, 10 f.; BankR-HdB/Hopt/Roth § 1 Rdn. 1– 44; sowie etwa Rümker, ZHR 151 (1987), 162, 165. Im Anschluss an BGHZ 152, 114 = WM 2002, 2281 (ausführlicher) wurde „Das Aus für die Lehre“ konstatiert, vgl. Lang, BKR 2003, 227; differenzierter M. Roth, WM 2003, 420; Für eine Charakterisierung des allgemeinen Bank-Kunden-Verhältnisses vor allem anhand der genannten konkreten Institute (und die Vor- und Nachteile der beiden Positionen zum allgemeinen Bankvertrag wägend): GroßKommHGB/Grundmann5 (2016), Bd. 10/1 Teil 2 Rdn. 1–5 iVm Rdn. 11 ff.

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rung. Drei konkrete Institute stechen für das allgemeine Bank-KundenVerhältnis als besonders prägend ins Auge. Sieht man vom Komplex der Verhaltenspflichten ab – der ohnehin den Gegenstand der vorliegenden Überlegungen bildet und daher sinnvollerweise nicht auch noch als Beispiel zu wählen ist –, handelt es sich hierbei um das Kontokorrent als das allgemeine Abwicklungsinstitut und das Bankgeheimnis als die Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit. Da das Kontokorrent (mit Girovertrag) nach § 675f BGB als Geschäftsbesorgungsvertrag einzuordnen ist – also als Fremdgeschäftsführungsvertrag, in dem die Interessenwahrungspflicht unzweifelhaft eingreift –, bietet sich das Bankgeheimnis als Betrachtungsgegenstand eher an. Denn nur hier ist die Anwendung der Interessenwahrungspflicht erklärungsbedürftig und gewinnt damit die Argumentation an zusätzlicher Tiefe. Das Bankgeheimnis muss zwar heute nicht mehr nur Strafrechtsbelangen, sondern auch Steuerrechtsbelangen uneingeschränkt weichen.31 Dies berührt jedoch nicht das Bankgeheimnis im Privatrechtsverkehr, d.h. im Verhältnis zu anderen Privatrechtssubjekten, welches in der vorliegenden Betrachtung interessiert und welches in seinen Hauptstrukturen unverändert blieb. Zwei Kerncharakteristika sind vorliegend von besonderer Bedeutung – und unstreitig: Das Bankgeheimnis gilt für Informationen aus allen Rechtsverhältnissen, die das Institut mit dem Kunden eingeht, Kontokorrentverbindung, Anlageberatung oder Kreditverträge gleichermaßen. Und das Bankgeheimnis wird ganz nach dem Willen und Interesse des Kunden ausgestaltet und gewahrt. Der Kundenwille – hilfsweise sein mutmaßliches Interesse – bestimmt darüber, was geheim gehalten werden soll, und das ist im Zweifel jede Information zum Kunden, selbst solche die das Institut während der Geschäftsführung beim Kunden beobachtet (und nicht der Kunde selbst aufdeckt) und auch bereits das Faktum, dass ein Bankvertrag besteht.32 Auch für die Durchbrechungen entscheidet allein der Kundenwille bzw. sein mutmaßliches Interesse, jedenfalls nicht das Institutsinteresse.33 Sieht man von den klassischen Geschäftsbesorgungsverträgen der freien Berufe (mit durchgehender Interessenwahrungspflicht) ab und auch vom Arztvertrag als 31

Vgl. hierzu GroßKommHGB/Grundmann5 (2016), Bd. 10/1 Teil 2 Rdn. 105–114 – und zum Folgenden a.a.O. Rdn. 72–77. 32 Vgl. etwa BGHZ 166, 84, 92 = WM 2006, 380, 384; BankR-HdB/Krepold § 39 Rdn. 14 f.; noch radikaler (auch bei Kenntnisnahme unabhängig von „innerem Zusammenhang“, d.h. auch wohl unabhängig von Geschäftsverbindung): Schumann, ZIP 2004, 2353, 2361. 33 BGHZ 27, 241, 246 („alle Tatsachen, die der Kunde geheimzuhalten wünscht“); BGHZ 166, 84, 91–96 = WM 2006, 380, 384 f., OLG München WM 2013, 795, 798 (Kirch/Deutsche Bank); so schon RGZ 139, 103, 105 f.; Weber, FS Werner, 1984, S. 955, 961–963; bes. deutlich zur Irrelevanz des Institutsinteresses in dieser Frage: BFHE 158, 208, 208 f.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 383 ZPO Rdn. 8. Für die Ausnahme bei widerstreitenden Interessen verschiedener Kunden vgl. den nächsten Absatz.

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Sonderfall (mit seinem stark höchstpersönlich geprägten Einschlag auf Seiten des Patienten/Kunden), so bildet das umfassende und sanktionsbewehrte Bankgeheimnis (im Privatrechtsverkehr) eine durchaus bemerkenswerte Besonderheit – anders als bei sonstigen Verträgen mit potentiellen Bezügen zur Person, etwa Telefonverträgen, Betreuungsverträgen, gemischten Mietverträgen, ggf. auch großen Kaufverträgen etc. Da jedenfalls mit der Streichung des Bankgeheimnisses in Steuerangelegenheiten auch kein staatlicher Förderzweck für das Kreditwesen mehr als zentral tragend angenommen werden kann, mag man zwar weiterhin das Bankgeheimnis auch als verfassungsrechtlich geschützt annehmen. Letztlich wird damit jedoch seine rechtfertigende Grundlage nicht geklärt, ja nicht einmal thematisiert. Das ist erst möglich unter Rekurs auf die oben diskutierten Grundlagen der Interessenwahrungspflicht und unter Annahme eines Overspill-Effekts im Bankvertragsrecht, der sich aus der Dominanz der Interessenwahrungspflicht in weitesten Teilen der Bankgeschäfte erklärt. Für das Wertpapiergeschäft mag man auch beim Bankgeheimnis darauf verweisen, dass es Geschäftsbesorgungscharakter hat (mit umfassender und dominierender Interessenwahrungspflicht, oben III.). Gleiches mag auch noch für das Zahlungsgeschäft anzunehmen sein (§ 675f BGB) – obwohl in der Lebenswirklichkeit der Geschäftsbesorgungscharakter (mit Aufklärungs- und Rechnungslegungspflichten) im Zahlungsgeschäft bereits sichtlich hinter die Pflicht zur Bereitstellung einer funktionierenden Zahlungsverkehrsinfrastruktur zurücktritt, also phänotypisch hier eher ein Nutzungsvertrag vorliegt. Gänzlich versagt der Begründungsansatz jedenfalls bei der herkömmlichen Dogmatik vom Kreditvertrag als einem klassischen Austauschvertrag („arm’s length contract“), wenn auch in Form eines Dauerschuldverhältnisses. Dennoch sind auch Fragen des Kreditverhältnisses unstreitig vom Bankgeheimnis umfasst.34 Zu begründen ist dieser breite – aus meiner Sicht auch wertungsmäßig zutreffende – Zuschnitt des Bankgeheimnisses überzeugend primär mit dem Hinweis, dass die Dienstleistungen des Kreditwesens insgesamt als so stark fremdgeschäftsbesorgend verstanden werden, dass auch für klassische Austauschverträge angenommen wird, in ihnen gelte jedenfalls eine Rahmen-Interessenwahrungspflicht. Zu rechtfertigen ist dieses Hinzutreten einer Rahmen-Interessenwahrungspflicht (neben die Austauschpflichten im Darlehensvertrag) mit der oben gegebenen Erklärung: Wieder kann das Verhältnis gegenseitiger Leistungen (Nutzungsüberlassung auf Zeit gegen Zinszahlungspflicht) analytisch getrennt werden von der Übertragung von Information, die nur als Instrument für 34 Besonders prominent: BGHZ 166, 84, 91–96 = WM 2006, 380, 384 f. (Kirch/Deutsche Bank); Radbruch, Das Bankgeheimnis im deutschen und angloamerikanischen Recht – ein Rechtsvergleich, Diss. Mainz 1976, S. 105 f.; Sichtermann/Feuerborn/Kirchherr/ Terdenge, Bankgeheimnis und Bankauskunft in der Bundesrepublik sowie in wichtigen ausländischen Staaten, 3. Aufl. 1987, S. 184–186.

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die Durchführung des (davon getrennten) Austauschverhältnisses zu sehen ist und die solchermaßen „unentgeltlich“ eingeräumt wird. Zuzugeben ist, dass diese Konzeptbildung auch auf den umfangreichen Kaufvertrag, den Betreuungsvertrag, etc. übertragen werden könnte. M.E. ist die Grenze dort zu ziehen, wo das Rechtsverhältnis in seiner Gesamtheit so strukturiert ist, dass bei der Übertragung von Informations- oder Einflusspositionen das Element der treuhänderischen Beauftragung im Vordergrund steht. Im allgemeinen Bank-Kunden-Verhältnis in seiner Gesamtheit ist das der Fall. Bestätigt wird diese Sicht, wenn die Dogmatik des Bankgeheimnisses im Verhältnis zu Dritten – anderen Kunden der Bank – in den Blick genommen wird. Die Frage, ob das Bankgeheimnis auch zu wahren ist gegenüber Drittkunden, die ein Interesse an Inhalten des Geheimnisses haben mögen, wird grundsätzlich umfassend bejaht (anders selbstverständlich die Fälle, in denen der Weitergabe zugestimmt wurde – im Schufa-System oder bei der Bankauskunft nach Nr. 2, 3 AGB-Banken). Erst wenn die Insolvenz des Bankgeheimnisträger schon nicht mehr abwendbar ist (und damit auch der strafrechtlich sanktionierte Bereich erreicht ist), wird das Drittinteresse als stark genug angesehen, dass das Bankgeheimnis durchbrochen ist (arg. § 823 Abs. 2 BGB iVm Strafgesetzen). Zu erklären ist dies mit der Überlegung, dass (erst) in diesen Fällen die ursprüngliche Übertragung von Informationspositionen zwar noch „unentgeltlich“ gewesen sein mag, sie diesen – privilegierenden – Charakter jedoch verliert, wenn in gesetzlich geschützte Positionen Dritter eingegriffen wird (§ 823 Abs. 2 BGB iVm Strafgesetzen).35 Vergleichbar ist die Grenze des Bankgeheimnisses konzeptionell zu fassen, die dann besteht, wenn das Institut sich gegen rechtlich unzulässige (etwa wahrheitswidrige) Aussagen seitens des Trägers des Bankgeheimnisses nur durch Aufdeckung des Bankgeheimnisses verteidigen kann, um so eigenen Verlusten (etwa in seiner Reputation) vorzubeugen.36

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Zu dieser Grenze des Bankgeheimnisses und dazu, dass sie erst in diesem Extremfall erreicht wird, vgl. etwa BGH BB 1969, 655, 655 f.; BGHZ 166, 84, 91–96 (Kirch/Deutsche Bank); Canaris, Bankvertragsrecht (Fn. 2), Rdn. 61 (mit weiteren vergleichbaren Beispielen); Schönle, Bank- und Börsenrecht, 2. Aufl. 1976, S. 49. Zur gegebenen Erklärung GroßKommHGB/Grundmann5 (2016), Bd. 10/1 Teil 2 Rdn. 73 f., 116; ders., Der Treuhandvertrag, 1997, S. 224–226. 36 Zu dieser Grenze des Bankgeheimnisses und dazu, dass sie in solchen Fällen tatsächlich erreicht wird, vgl. etwa BGH DB 1953, 1031, 1031; Sichtermann/Feuerborn/Kirchherr/Terdenge, Bankgeheimnis (oben Fn. 34), S. 181; zu vergleichbaren fehlerhaften Berichterstattungen im Zusammenhang mit Kreditverkäufen Schalast/Safran/Sassenberg, BB 2008, 1126. Zur gegebenen Erklärung wiederum GroßKommHGB/Grundmann5 (2016), Bd. 10/1 Teil 2 Rdn. 73 f., 115; ders., Der Treuhandvertrag, 1997, S. 224–226.

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2. Commercial Banking: Interessenwahrungspflicht und Kreditgeschäft In der Grundlegung wurde betont, wie – aus Sicht der Ökonomik und von der Funktion des Kreditwesens her – gerade das Kreditgeschäft als Intermediationsleistung zu verstehen ist, als eine Delegation der zentralen Informationserhebungs- und -verarbeitungsaufgabe auf die Kreditinstitute („direkte Finanzintermediation“) und wie dies in einem Spannungsverhältnis zu stehen scheint zu der herkömmlichen rechtswissenschaftlichen Dogmatik, nach der Darlehens- und Kreditverträge (auf Einleger- wie auf Kreditnehmerseite) als Austauschverträge zu verstehen sind (ohne Intermediationseigenschaften). Betont wurde dort auch, dass das Konzept von Kreditinstituten als direkten Finanzintermediären vor allem für das Aktivgeschäft, also vor allem für die Einlegerseite als Kreditgeber herausgearbeitet wurde. Bei näherer Analyse können jedoch auch von der rechtlichen Verfassung des Kreditgeschäfts her durchaus zentrale und prägende Elemente sowohl für das Aktiv- als auch für das Passivgeschäft festgestellt werden, die als eine Verpflichtung der Kreditinstitute primär und ab einer bestimmten Grenze sogar ausschließlich auf das Kundeninteresse zu verstehen sind. Gemeint sind zuvörderst zwei Regelungsregime, mit denen eine Verpflichtung der Institute gerade auf die Kreditgeber- bzw. die Kreditnehmerinteressen (unter Hintanstellung der eigenen Interessen) einhergeht, das eine aufsichtsrechtlich geprägt (aber mit Individualansprüchen ausgestaltet), das andere heute aufsichts- und zivilrechtlich durchgeführt. Das ist zum einen – im Bereich des Aktivgeschäfts – das (EU-rechtlich geforderte, jedoch auch im deutschen Recht traditionsreiche) Einlagensicherungssystem. Mit diesem von den Kreditinstituten finanzierten Regime wird zwar auch das öffentliche Interesse an der Stabilität der Kreditinstitute selbst verfolgt (nicht des einzelnen Kreditinstituts, sondern des Kreditwesens als solchen).37 Dennoch ist in diesem Regime – gesetzlich gefordert, in einer zweiten Linie darüber hinaus auch noch freiwillig von den Kreditinstituten eingerichtet und mit höheren Einstandsschwellen – das Interesse der einzelnen Kunden als zweites Schutzziel unverkennbar, für das umfassend Mittel des Kreditwesens eingesetzt werden und aus dem sich deswegen auch

37 Zu dieser Ausrichtung des Einlagesicherungssystems (und auch zur staatlichen Anordnung eines solchen sowie zur zusätzlichen Ausbildung eines zweiten Absicherungssystems auf privatautonomer Grundlage), vgl. etwa Auerbach, Banken- und Wertpapieraufsicht, 2015, Rdn. 437 ff.; Assmann, in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 4. Aufl. 2015, § 1 Rdn. 68; Bauernschmidt, ZHR 183 (2019), 476. Zur weiteren zentralen Elementen des heutigen Bankaufsichtsrechts, die primär einem Stabilitätsziel für das Kreditwesen als Ganzem verpflichtet sind, vgl. unten 3.

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individuelle Ansprüche der Einleger ergeben.38 Vergleichbares ist zum anderen – im Bereich des Passivgeschäfts – Hauptinhalt der jüngsten EU-Richtliniengeneration im (Verbraucher-)Kreditrecht. Mit der EU-Wohnimmobilien-Richtlinie Nr. (EU) 2014/17 wurde die – schon lange im Aufsichtsrecht aus Stabilitätsüberlegungen heraus statuierte – Pflicht der Institute zur „verantwortungsbewussten“ Kreditvergabe als auch privatrechtliche Pflicht ausgestaltet. Der deutsche Gesetzgeber erstreckte diese Vorgabe bei seiner Umsetzung mit §§ 505a-505d BGB sogar allgemein auch alle Verbraucherkredite (auch jenseits der grundpfandrechtlich gesicherten Kredite).39 Damit jedoch wird nicht nur die „know your customer rule“ des Wertpapierhandelsrechts in ihrem Kern auf das (Verbraucher-)Kreditrecht erstreckt, sondern zudem diese Pflicht klar als im (vorrangigen!) Einzelkundeninteresse stehend qualifiziert – unabhängig vom Institutsinteresse, diesem also auch vorgehend. Verbindend ist für die genannten Beispiele, dass im Bank-Kunden-Verhältnis (Privatrechtsverhältnis) das Kundeninteresse in Kernbereichen die alleinige Leitlinie bildet, obwohl die Grundlage des Geschäfts in Austauschverhältnissen zu sehen ist und die Institutsseite nicht (primär) als Geschäftsbesorger auftritt. Nun wird teils erwogen, ob nicht noch allgemeiner ein Marktmodell vorzugswürdig erscheint, in dem die Verbraucherwohlfahrt als überwölbendes Ziel verstanden wird.40 Jedenfalls de lege lata scheint heute 38 Zum individualschützenden Charakter des Regimes vgl. etwa Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, insbes. 170 ff.; Hopt, in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 38. Aufl. 2018, (7) A/57. Eine vergleichbare Versicherungspflicht findet sich zugegebenermaßen punktuell auch einmal in anderen Bereichen, namentlich im Pauschalreiserecht auf der Grundlage der diesbezüglichen EU-Richtlinie Nr. (EU) 2015/2302 (bereits zweite Generation). 39 Zur Geschichte, in der schon früher der individualschützende Charakter dieser (damals formal nur bankaufsichtsrechtlichen) Pflicht teils postuliert wurde, dieser Charakter dann jedoch durch die genannte EU-Richtlinie positiv festgestellt wurde, vgl. etwa Y. Atamer, Duty of Responsible Lending: Should the European Union take action? in: S. Grundmann/Y. Atamer (Hrsg.), Financial Services, Financial Crisis and General European Contract Law – Failure and Challenges of Contracting (Alphen, Kluwer, 2009), S. 179–202; Ch. Hofmann, Die Pflicht zur Bewertung der Kreditwürdigkeit, NJW 2010, 1782, 1785 f. (beide für solch eine Pflicht schon vor 2014); für die grundpfandrechtlich (an Wohnimmobilien) gesicherten Kredite explizit eingeführt mit Art. 19 Abs. 5 lit. 5 der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl.EU 2014 L 60/34; Kommentierung zuletzt Renner, in: S. Grundmann, Bankvertragsrecht – Sonderausgabe des Staub’schen Großkommentars HGB, Berlin, de Grutyer, 2020), Teil 4 Rdn. 877–889. 40 Vgl. namentlich Esposito, Law and Economics united in diversity – minimalism, fairness and consumer welfare in EU Antitrust and Consumer Law (im Erscheinen); für Vergleich und Parallelisierung zwischen einerseits Consumer welfare und andererseits shareholder welfare approach bzw. principal agent theory vgl. Grundmann/Esposito, Investor-

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solch eine Sicht jedoch im Bankvertragsrecht ungleich stärker ausgeprägt als in allen anderen Sektoren. Eine „know your customer rule“ – heute nicht mehr nur im Wertpapierhandelsrecht, sondern ebenso bei der Kreditvergabe – ist außerhalb des Bankvertragsrechts unbekannt. Und ebenfalls (fast) einmalig ist die (zugunsten der Einleger bestehende) Pflicht, aus Mitteln des Anbieters einen Ausfallfonds für Kundenansprüche (in sechsstelliger Höhe!) aufzulegen. 3. Ausrichtung an der Interessenwahrungspflicht auch im Bankaufsichtsrecht? Die genannten Beispiele lassen sich im genuinen Bankaufsichtsrecht noch ergänzen. Die Neuausrichtung der Vorstandspflichten, welche die Fundamentalreform des (Europäischen) Bankaufsichtsrechts nach der globalen Finanzkrise mit sich brachte, wurde für das Bankgesellschaftsrecht plastisch herausgearbeitet. Von nicht weniger als einem grundsätzlichen Bruch mit dem Shareholder Value-Ansatz ist die Rede – von der Verpflichtung des Vorstandes auf die (Finanz-)Stabilität als primärem und vorrangigem Ziel und damit einer radikalen Umpolung der Zielsetzung.41 Vorliegend kann das verstanden werden als eine Neuausrichtung in der Frage, welche Personengruppe als „Geschäftsherr“ von Vorständen von Kreditinstituten zu sehen ist: weiterhin die Aktionärsgemeinschaft oder aber die Gruppe der Betroffenen, ein sehr breit gezogener Stakeholder-Kreis? Daneben treten jedoch bankaufsichtsrechtlich – im zweiten Falle heute auch zivilrechtlich ausgestaltet – die beiden oben unter 2. genannten Regelungsregime, die vor allem das Aktiv- und das Passivgeschäft betreffen. So rundet sich das Bild. Denn solchermaßen ist bis ins Aufsichtsrecht hinein und für tragende Säulen eine Verpflichtung von Kreditinstituten vor allem auf Fremdinteressen unverkennbar.

consumer or overall welfare: Searching for the paradigm of recent reforms in financial services contracts, EUI Working Papers Law 2017/05. 41 Binder, Vorstandshandeln zwischen öffentlichem und Verbandsinteresse – Pflichtenund Kompetenzkollisionen im Spannungsfeld von Bankaufsichts- und Gesellschaftsrecht, ZGR 2013, 760; vgl. auch Langenbucher, Finanzinnovationen, Geschäftsleiterhaftung und Corporate Governance in regulierten Branchen, in: Möslein (Hrsg.) Finanzinnovation und Rechtsordnung, 2014, S. 272 und ähnlich Saunders, Is Basel turning banks into public utilities? 3 Journal of Financial Perspectives 13 (2015); Grundmann, Bankenunion und Privatrecht – Spannungspunkte, Einflusslinien, Beispiele, ZHR 179 (2015), 563, 582–585; Renner, Bankkonzernrecht, 2019, S. 134–136; breit monographisch Badenhoop, Das Individualschutzziel im europäischen Bankaufsichtsrecht und seine privatrechtliche Durchsetzung, 2019.

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V. Durchführung III: Interessenwahrungspflicht als Grundprinzip im Europäischen Wertpapierhandelsrecht und im Sinne der BGH-Kick-Back-Rechtsprechung Ceterum censeo … Der Bundesgerichtshof hat die Frage niemals dem EuGH vorgelegt, ob nicht die hier analysierten Regeln und Institute des Wertpapierhandelsrechts (zur Interessenwahrungs- und gar HyperInteressenwahrungspflicht) im Ergebnis auch im Zivilrecht maßgeblich sein müssen, d.h. als privatrechtsschützend im nationalen Recht verstanden werden müssen.42 Er hat diese Frage nicht vorgelegt, obwohl eine Anzahl anderer oberster Gerichte von Mitgliedstaaten ebendies annehmen. Er hat diese Frage nicht vorgelegt, obwohl eine Reihe von jüngeren, meist vertieft europaprivatrechtlich arbeitenden Autoren dies für europarechtlich geboten halten. Er hat diese Frage nicht vorgelegt, obwohl die europaprivatrechtliche Dogmatik und Werteordnung dafür spricht, dass diese Frage – (auch) Privatrecht oder nicht, gleichsam das privatrechtliche „Sein oder Nichtsein“ des modernen Wertpapierhandelsrechts – allein durch die Richtlinie (heute MiFID II) beantwortet wird. Dass diese die Interessenwahrungspflicht stricto sensu als das Leitprinzip des Wertpapierhandelsrechts sieht und ausgestaltet, wurde in diesem Beitrag ausgeführt. Dass diese Richtlinie nach ihrem (europarechtlich verbindlichen) Zielekanon dieses Leitprinzip auch als privatrechtsschützend sieht, muss nicht nochmals ausgeführt werden.43 42 EuGH Urt. v. 30.5.2013 – Rs. C-604/11 (Bankinter) ECLI:EU:C:2013:344 = ABl.EU 2013 C 225/16 (Leitsatz) = EuZW 2013, 557 = ZIP 2013, 1417, Anm. Herresthal, ZIP 2013, 1420; sowie Bernau, EWiR Art. 4 RL 2004/39/EG 1/13; Lieder, LMK 2013, 349404; Wilsing/Goslar, DStR 2013, 1610; bestätigt durch EuGH Urt. v. 3.12.2015 Rs. C-312/14 (Banif) ECLI:EU:C:2015:794 = ABl. EU 2016 C 38/6. Die Entscheidungen sind m.E. nur dahin zu verstehen, dass dem nationalen Recht die Wahl bleibt, welche Art zivilrechtlichen Anspruch es vorsieht (vertraglich oder deliktisch oder sonstiges), nicht die Wahl, ob er zivilrechtliche Ansprüche überhaupt vorsieht oder gänzlich verneint; vgl. Grundmann, ERCL 8 (2013) 267. Vergleichbar etwa die Anmerkungen von Herresthal, WM 2012, 2261 sowie Hellgardt, Europarechtliche Vorgaben für die Kapitalmarktinformationshaftung, AG 2012, 154, 165 ff.; Seibt, Europäische Finanzmarktregulierung zu Insiderrecht und Ad hoc-Publizität, ZHR 177 (2013), 388, 424 ff. A.A. m.w.N. hingegen etwa weiterhin Möllers, Europäische Gesetzgebungslehre 2.0: Die dynamische Rechtsharmonisierung im Kapitalmarktrecht am Beispiel von MiFID II und PRIIP, ZEuP 2016, 325, 345 f. 43 Etwa Hellgardt, AG 2012, 154, bes. 164 f.; Herresthal, WM 2012, 2261; Kumpan/ Hellgardt, Haftung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Umsetzung der EURichtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), DB 2006, 1714, 1715 (bei „vielen“ Informationspflichten“ angenommen, aber auch bei Marketing-Regeln); sowie Weichert/ Wenninger, Die Neuregelung der Erkundigungs- und Aufklärungspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem. Art. 19 RiL 2004/39/EG (MiFID) und FinanzmarktRichtlinie-Umsetzungsgesetz, WM 2007, 627, 635 (jedenfalls für §§ 64 Abs. 3 und 63 Abs. 10 WpHG); und Veil, Anlageberatung im Zeitalter der MiFID – Inhalt und Konzep-

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Ceterum censeo … Der Bundesgerichtshof hat allerdings nicht nur die genannte Frage nicht nach Europäischem Recht beantwortet und nicht dem EuGH vorgelegt (wie m.E. nötig). Vielmehr hat er mit seiner jüngeren Rechtsprechung zu Kick-backs und Innenprovisionen, namentlich dem richtungsweisenden Urteil vom 3.6.2014, auch einen neuen Weg eingeschlagen oder zumindest gewiesen.44 Dort geht er davon aus, dass Lösungen, denen genuine Leitprinzipien des Privatrechts und sogar der gesamten Rechtsordnung zugrunde liegen, auch zwischen Privaten anzuwenden, also auch als privatrechtlich zu qualifizieren seien. Im konkreten Fall betraf das die Aufklärungspflicht über und die Auskehrungspflicht von Provisionen, die dem Kunden gegenüber nicht hinreichend eindeutig ausgewiesen sind (sog. Kick-back-Provisionen ebenso wie sog. Innenprovisionen) und für die ein Transparenzprinzip als Leitprinzip der gesamten Rechtsordnung (zu Recht) angenommen wurde. Erstmals wurde die genannte Aufklärungs- und Auskehrungspflicht höchstrichterlich allerdings erst im Jahre 2000 statuiert – für Kick-back-Provisionen, deren Bestand danach über 15 Jahre noch akribisch ausbuchstabiert werden musste, und für Innenprovisionen gar erst 2014. Wenn in der Tat die Interessenwahrungspflicht Leitprinzip des Bankvertragsrechts ist, so sind nach dieser Logik alle Institute, die die Grundidee dieser Pflicht nur besser zum Tragen bringen – solche von langer Herkunft ebenso wie sehr junge –, als Ausfluss eines Leitprinzips zu verstehen.45 Daher abschließend nochmals: Ceterum censeo … Der Bundesgerichtshof wird seine Rechtsprechung – schon aus der inneren Logik seiner Rechtsprechung heraus – zumindest auf all diejenigen Teile des Wertpapierhandelsrechts anzuwenden haben, die die Interessenwahrungspflicht konkretisieren. Und ebendies bildet den Großteil des Wertpapierhandelsrechts.

VI. Conclusio 1. Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu – als eine Pflicht, die eine Berücksichtigung von Eigeninteressen gänzlich ausschließt und solchermaßen signifikant weitergeht als eine bloße Rücksichtnahme- oder auch Treu-

tion der Pflichten und Grundlagen einer zivilrechtlichen Haftung, WM 2007, 1821, 1826 (jedenfalls für § 63 Abs. 7 und 64 Abs. 3 WpHG). 44 BGHZ 201, 310 = WM 2014, 1382 = BKR 2014, 370 (zum allgemeinen Transparenzgebot Tz. 32 ff., dort auch dazu, dass so flächendeckend, dass auch zivilrechtlich maßgeblich). Bisher (nach der gängigen Zählweise, vgl. Jordans, BKR 2011, 456): BGHZ 146, 235 = NJW 2001, 962 (Kick-Back I); BGHZ 170, 226 = NJW 2007, 1876 = WM 2007, 487 = BKR 2007, 160 (Kick-Back II); und weitere ca. 40 Urteile (mit ersten Spuren auch vor 2000), vgl. nur GroßKommHGB/Grundmann5 (2018), Bd. 11/2 Teil 8 Rdn. 248 f. 45 Ähnlich schon: Balzer, Balzer/Lang, BKR 2014, 377, 379 f. und 381; Jordans, BKR 2015, 309, 311; Weck, BKR 2014, 374, 376 f.

Interessenwahrungspflicht als Leitmaxime des Bankvertragsrechts

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pflicht – dominiert das Europäische und deutsche Bankrecht und sie prägt das Werk eines der beiden Väter des deutschen Bankrechts, Klaus Hopt, der zudem dieses Rechtsgebiet stets in dem ihm angemessenen – internationalen – Rahmen gesehen und fortentwickelt hat. Er war auch Betreuer derjenigen Arbeit, welche die Unterscheidung zwischen Rücksichtnahme- oder auch Treupflicht einerseits und Interessenwahrungspflicht andererseits darauf zurückführt, dass im zweitgenannten Fall die jeweilige Einfluss- oder Informationsposition als unentgeltlich übertragen anzusehen ist, im erstgenannten hingegen nicht (alles oben II.). 2. Die Interessenwahrungspflicht stricto sensu wurde im Europäischen und deutschen Wertpapierhandelsrecht zu einer „Hyper-Interessenwahrungspflicht“ fortentwickelt – dies seit Anbeginn und inhaltlich ebenso wie von der mehrfachen Flankierung durch andere Regime her (oben III. 1.). Dies setzt sich auch im jüngsten Reformschritt (durch MiFID II) fort (oben III. 2.). 3. Die Interessenwahrungspflicht ist im Bankvertragsrecht so dominant, dass sie – gleichsam mit einem Overspill-Effekt – auch die Kerninstitute des allgemeinen Bank-Kunden-Verhältnis wie das Bankgeheimnis durchwirkt und dies auch für Bereiche, denen eigentlich klassische Austauschverträge zugrunde liegen (oben IV. 1.). Sie ist so dominant, dass darüber hinaus deutliche Elemente einer Interessenwahrungspflicht sogar diejenigen Bankgeschäfte und ihre Regulierung durchdringen, die den Charakter klassischer Austauschgeschäfte – ggf. auch Dauerschuldverhältnisse – haben, wie etwa das Kreditgeschäft (oben IV. 2.). Selbst die jüngeren Entwicklungen in der Regulierung des Kreditwesens als Ganzem – namentlich durch Bankaufsichtsrecht – sind zu erklären als eine Zurückdrängung von Eigeninteressen, als eine stärkere Angleichung an ein Regime unter der Ägide der Interessenwahrungspflicht stricto sensu (oben IV. 3.). 4. All dies hat nicht nur theoretisch-konzeptionelle Bedeutung, sondern spricht zwingend dafür, dass bei allen Lösungen, die sich als Ausprägungen der Interessenwahrungs- oder der Hyper-Interessenwahrungspflicht stricto sensu verstehen lassen, die Annahme des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 3.6.2014 zum Tragen kommt: Sie sind – weil von Grundprinzipien der Rechtsordnung getragen – als Institute mit auch privatschützendem Charakter zu verstehen. Dies gilt nach der Logik dieses Urteils unabhängig davon, ob sich eine privatrechtrechtsschützende Qualifikation nicht bereits aus (höherrangigem und hierfür primär berufenem) Europäischen Recht, namentlich aus den Vorgaben in MiFID I und II ergibt.

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Rechtmäßiges Alternativverhalten – Besonderheiten im Gesellschaftsrecht?

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Rechtmäßiges Alternativverhalten – Besonderheiten im Gesellschaftsrecht? Barbara Grunewald

Rechtmäßiges Alternativverhalten – gibt es Besonderheiten im Gesellschaftsrecht? BARBARA GRUNEWALD

I. Die Fragestellung Eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2018 befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein auf Schadensersatz in Anspruch genommenes Vorstandsmitglied darauf berufen kann, dass es denselben Schaden auch auf rechtmäßigem Wege hätte herbeiführen können. Im Grundsatz ist dies eine alt bekannte im Allgemeinen bürgerlichen Recht vielfach diskutierte Problematik. Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich das zum Gesellschaftsrecht ergangene Urteil in diese allgemeine Diskussion einreiht.

II. Die Entscheidung des BGH Sachverhalt und Inhalt des einschlägigen Urteils des BGH1 sind reduziert auf die im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Punkte2 schnell erzählt: Der Beklagte war Vorstand der Klägerin, deren Alleinaktionär die Stadt D war. Nach der Satzung der Klägerin bedurften Geschäfte ab einer Summe von 200.000 Euro der Zustimmung des Aufsichtsrates. Demgemäß legte der Kläger Ausgaben in Höhe von 4 Millionen Euro für eine bestimmte Sanierung dem Aufsichtsrat vor. Dieser stimmte zu. Später wurden die Kosten erheblich höher eingeschätzt. Seiner Verpflichtung zur erneuten Vorlage an den Aufsichtsrat kam der Beklagte nicht nach. Er besprach sich aber mit dem Oberbürgermeister der Stadt D, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Klägerin war. In diesem Gespräch – so der Vortrag des Beklagten – stimmte der Oberbürgermeister der Investition zu. Da politisch zum damaligen Zeitpunkt das Vorhaben nicht durchsetzbar war, einigte man sich darauf, es geheim zu halten. Die Sanierung wurde durchgeführt. Sie erwies sich als hoch defizitär. 1 2

Urteil v. 10.7.2018 II ZR 24/17 NZG 2018, 1189. Der im Folgenden als unstreitig dargestellte Sachverhalt war teilweise bestritten.

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Der BGH hat die Verurteilung des Beklagten zur Leistung von Schadensersatz aufgehoben. Zwar stehe die Pflichtverletzung des Beklagten – Unterlassen der Vorlage an den Aufsichtsrat – fest. Auch könne er sich nicht darauf berufen, dass er einen Hauptversammlungsbeschluss hätte herbeiführen können, der gemäß § 93 Abs. 4 S. 1 AktG seine Enthaftung zur Folge gehabt hätte, da er nicht wie in § 83 Abs. 2 AktG geregelt zur Umsetzung eines gesetzmäßigen Beschlusses der Hauptversammlung verpflichtet gewesen sei. Sollte er aber beweisen können, dass der Aufsichtsrat – so er die veränderte Planung ordnungsgemäß vorgelegt hätte, dem zugestimmt hätte, könne er nicht haftbar gemacht werden. Damit akzeptiert der BGH in Bezug auf die zu Unrecht nicht eingeholte Zustimmung des Aufsichtsrats den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, nicht aber im Zusammenhang mit dem Hinweis des Beklagten, er hätte auch einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss einholen können.

III. Die allgemeinen Regeln zum rechtmäßigen Alternativverhalten 1. Die Bestimmungen des BGB Das BGB kennt mehrere Regelungen, die rechtmäßiges Alternativverhalten betreffen. Von besonderer Bedeutung ist § 284 BGB, wonach der Gläubiger Ersatz der Aufwendungen verlangen kann, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden – also bei rechtmäßigem Verhalten des Schuldners3. Diese Norm findet sich im Allgemeinen Teil des Schuldrechts und bringt damit eine für alle Schuldverhältnisse geltende Regel zum Ausdruck. Sie beschreibt den Inhalt, den ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung haben kann. Sie erfasst den Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, nicht direkt, da Schadensersatz neben und nicht statt der Leistung verlangt wurde und die Klägerin auch nicht Aufwendungsersatz statt Schadensersatz geltend machte. Gleichwohl bringt § 284 BGB eine Wertung des Gesetzes zum Ausdruck, nach der der Schuldner sich entlasten kann, wenn er den Nachweis führt, dass ein Vermögensnachteil auch eingetreten wäre, wenn er rechtmäßig gehandelt hätte. Noch in weiteren Fällen besagt das BGB, dass Schäden, die bei rechtmäßigem Verhalten ebenfalls eingetreten wären, nicht zu ersetzen sind. Hierzu 3 Dazu, dass diese Bestimmung ein Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist: Looschelders Schuldrecht Allgemeiner Teil, 16. Aufl. § 31 Rn. 8.

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zählen aus dem Deliktsrecht § 831 Abs. 1 S. 2 BGB, § 832 Abs. 1 S. 2 BGB, § 833 S. 2 BGB und § 834 S. 2 BGB, die alle regeln, dass sich der Schädiger durch den Hinweis entlasten kann, dass der Schaden auch bei ordnungsgemäßem Handeln eingetreten wäre4. Aus neuerer Zeit stammt § 630h Abs. 2 S. 2 BGB. Dieser besagt, dass ein Behandelnder, der den Patienten nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat, sich darauf berufen kann, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Den Behandelnden trifft die Beweislast, dass bei rechtmäßigem Verhalten der Patient diese Einwilligung erteilt hätte. Alle geschilderten Regelungen beziehen sich ersichtlich auf Fallkonstellationen, die mit der hier diskutierten Situation nicht viel gemeinsam haben. Diese Bestimmungen, von denen zwei sogar aus neuester Zeit stammen5, machen aber doch deutlich, dass der Gesetzgeber einem Schadensersatzanspruch kritisch gegenübersteht, wenn der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten hätte herbeigeführt werden können. 2. Die Sichtweise von Rechtsprechung und Literatur Wie Literatur und Rechtsprechung zum rechtmäßigen Alternativverhalten stehen, ist schon öfter dargestellt worden6 und soll hier nicht wiederholt werden. Es lässt sich eine gewisse Tendenz gerade in neuerer Zeit erkennen, das rechtmäßige Alternativverhalten zu berücksichtigen7. Die Begründung geht dahin, dass die verletzte Norm meist nur die Rechtsgutverletzung verhindern wolle (die aber auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre), nicht aber eine bestimmte Eingriffsart8. Nur wenn Letzteres der Fall sei, scheide eine Berufung auf rechtsmäßiges Alternativverhalten aus. Als Beispiel für eine Situation, in der ein solches Verhalten nicht berücksichtigt wird, wird ein Streik genannt, wenn die Verfahrensregeln nicht eingehalten wurden, die vor einem Streikaufruf zu beachten sind9. 4

Siehe den Hinweis bei Erman Ebert BGB 15. Aufl. Vor § 249 Rn. 78. § 284 BGB Gesetz vom 26.11.2001 Bundesgesetzblatt I S. 3138; § 630h BGB Gesetz vom 20.2.2013 Bundesgesetzblatt I S. 277. 6 Altmeppen FS Karsten Schmidt 2019, S. 23, 32 f.; Fleischer DStR 2009, 1204, 1205; MünchKommBGB Oetker 9. Aufl. 2019 § 249 Rn. 219 f. 7 Zur Rechtsprechung Fleischer DStR 2009, 1204, 1207; zur Literatur Hanau Die Kausalität der Pflichtverletzung 1971 S. 83 ff.; Keuk Vermögensschaden und Interesse 1972 S. 59 ff.; Altmeppen (s.o. Fn. 6) S. 23, 36; Fleischer DStR 2009, 1204, 1208; Holle/Mörsdorf NJW 2018, 3555, 3556; MünchKommBGB Oetker (s.o. Fn. 6) § 249 Rn. 221; zurückhaltender Bamberger/Roth/Hau/Posek/Flume BGB 4. Aufl. 2019 § 249 Rn. 327; Lange/ Schiemann Handbuch des Schuldrechts Schadensersatz 3. Aufl. 2003, § 4 XII Rn. 5. 8 Jauernig-Teichmann BGB 17. Aufl. 2018 Vor §§ 249–253 Rn. 48. 9 Jauernig-Teichmann (s.o. Fn. 8) Vor §§ 249–253 Rn. 48; ähnlich Lange/Schiemann (s.o. Fn. 7) § 4 XII Rn. 5 vom Ausgangspunkt aus, entscheidend sei der Schutzzweck der Norm. 5

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Damit liegt das Urteil des BGH im Ergebnis ganz auf dieser Linie, soweit es dem Beklagten den Einwand gestattet, der Aufsichtsrat hätte – so er gefragt worden wäre – der weiteren Durchführung des Vorhabens zugestimmt. Auch die Begründung geht in die übliche Richtung. Es heißt, § 93 Abs. 2 AktG verfolge den Zweck, Schäden der Gesellschaft durch eine Steuerung des Verhaltens des Vorstandsmitglieds vorzubeugen. Schlösse man bei einem Verstoß gegen Kompetenz-, Organisations- oder Verfahrensregeln den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens aus, liefe dies auf einen in der Norm nicht angelegten Strafschadensersatz hinaus.

IV. Die hypothetische Zustimmung des Aufsichtsrats und die hypothetische Zustimmung der Hauptversammlung Der BGH unterscheidet in seinem Urteil zwischen der hypothetischen Zustimmung der Hauptversammlung, die er für nicht beachtlich hält, und der hypothetischen Zustimmung des Aufsichtsrats, die er für relevant erklärt. Die Zustimmung des Alleinaktionärs – so das Urteil – ersetze nicht einen förmlichen Beschluss der Hauptversammlung und die Berufung darauf sei auch nicht rechtmissbräuchlich. Es gehe hier nicht um den eigentlichen Zweck von § 93 Abs. 4 S. 1 AktG (Freistellung von der Haftung, wenn der Vorstand zur Ausführung eines Hauptversammlungsbeschlusses verpflichtet ist). Andernfalls drohe eine Umgehung der zwingenden Verfahrensvorschriften10. Dagegen wird den Beklagten der Einwand, der Aufsichtsrat hätte zugestimmt, so er denn gefragt worden wäre, zugestanden. Die Sanktionierung von Fehlverhalten des Vorstands sei Gegenstand der Personalkompetenz des Aufsichtsrates. In der Literatur ist darauf hingewiesen worden, dass die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Kompetenz/Verfahrensvorschriften nicht überzeugt11, zumal der Vorstand die Hauptversammlung auch aus eigener Intention anrufen kann12. 10

So auch Hopt/Roth GroßKommAktG 5. Aufl. 2015 § 93 Rn. 479. Habersack FS Eberhard Vetter 2019, S. 183, 186 ff.; Wicke FS Eberhard Vetter 2019, S. 907, 914; für die Beachtung von rechtmäßigem Alternativverhalten, egal welche Kompetenznorm nicht beachtet wurde, Hölters AktG 3. Aufl. 2017 § 93 Rn. 262; Hüffer/Koch AktG 13. Aufl. 2018 § 93 Rn. 50; Seebach AG 2012, 70, 73; Soergel/Ekkenga/Kuntz BGB 13. Aufl. 2014 Vor § 249 Rn. 230; gegen die Beachtung von rechtmäßigem Alternativverhalten, egal welche Kompetenznorm nicht beachtet wurde, MünchKommAktG Spindler 4. Aufl. 2014 § 93 Rn. 174; für die Beachtung nur in manchen Fällen, in denen ein Hauptversammlungsbeschluss fehlt, Krieger FS Seibert 2019, S. 511 ff.; dem BGH folgend Fleischer DB 2018, 2619, 2622; Schilka/Theusinger AG 2019, 26; Weißhaupt ZIP 2019, 202. 12 Habersack (s.o. Fn. 11) S. 183, 186 ff.; Wicke (s.o. Fn. 11) S 907, 914. 11

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Der Grund für diese unterschiedliche Behandlung könnte in einem Aspekt liegen, den der BGH in mehreren Urteilen zumindest andeutungsweise erwähnt hat. Danach soll sich der Schädiger auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten nicht berufen können, wenn er vorträgt, er hätte eine ganz andere Handlungsoption (hier Anrufen der Hauptversammlung) wählen können, die ebenfalls den Schaden – allerdings auf andere Art und Weise – herbeigeführt hätte13. Anderes soll nur gelten, wenn der Schädiger nachweist, dass er tatsächlich so gehandelt hätte – was er wohl so gut wie nie tun kann, da er ja so nicht gehandelt hat14. Diese Argumentation betrifft Fallgestaltungen, in denen der Schädiger vorträgt, er hätte auch ein Gestaltungsrecht (z.B. den Rücktritt) erklären oder ausüben können und dann stünde der Geschädigte auch nicht besser als nach der Schädigung15. Dieser Vortrag kann in der Tat den Schädiger nicht entlasten. Denn da er die Rechtslage nicht umgestaltet hat, gilt die real bestehende. Nur so kann sich der Geschädigte auf eine bestimmte Rechtslage einstellen. In den hier in Rede stehenden Fällen ging es nicht um ein Gestaltungsrecht. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Gestaltungsrechte überzeugt diese Unterscheidung zwischen einer neuen Handlung und der Fortführung der alten letztlich nicht. Die Argumentation ist künstlich und in der Praxis nicht durchführbar. Denn immer wenn ein rechtmäßiges Alternativverhalten in Rede steht, wird letztlich einer Handlung, eben die rechtmäßige (im Falle des BGH die Anrufung der Hauptversammlung bzw. des Aufsichtsrates), hinzugedacht. Auf ein mehr oder weniger kommt es insoweit nicht an. Vermutlich steht hinter der Unterscheidung des BGH letztlich schlicht eine praktische Erwägung16: Gerade wenn die Aktiengesellschaft wie im vorliegenden Fall nur einen Aktionär hat, wird es dem Vorstand nach informeller Absprache mit dem Alleinaktionär unter Umständen ein Leichtes sein, den entsprechenden Nachweis zu führen, dass der Aktionär auch in der Hauptversammlung so abgestimmt hätte, wie abgesprochen17. Das wiederrum könnte dazu führen, dass bei klaren Mehrheitsverhältnissen die Hauptversammlung entmachtet wird. Aber auch dieser Aspekt rechtfertigt es nicht, dem Vorstand die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten zu versagen18. Schließlich bleibt das 13 Krieger (s.o. Fn. 11) S. 511, 522; siehe dazu Hanau (s.o. Fn. 7) S. 11 ff., von ihm als unechtes Alternativverhalten bezeichnet. 14 Holle/Mörsdorf NJW 2018, 3555, 3557. 15 BGH NJW 2012,2022, 2023 (Rücktritt); BGH NJW 2017, 1104, 1107 (Kündigung); im Bereich der Amtshaftung liegen die Sachverhalte anders. Es geht um die Möglichkeit der Fristverlängerung: BGH BeckRS 2017, 109434. 16 Betont auch von Holle/Mörsdorf NJW 2018, 3555, 3557. 17 Siehe auch den Hinweis bei Habersack (s.o. Fn. 11) S. 183, 191. 18 A.A. Holle/Mörsdorf NJW 2018, 3555, 3557.

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gerade auch vom BGH angeführte Argument, dass die Aktiengesellschaft Fehlverhalten des Vorstands anderweit (insbesondere durch Absehen seiner Wiederwahl durch den Aufsichtsrat) abstellen kann. Auch kann allein die Tatsache, dass sich ein Beweis relativ gut führen lässt, nicht zur Folge haben, dass eine sonst greifende Beweislastregel plötzlich nicht mehr anwendbar ist. Gerade der hier diskutierte Fall zeigt zudem, dass der Nachweis so ganz einfach dann doch wiederum nicht zu führen ist: Der Inhalt des Gesprächs zwischen Vorstand und Oberbürgermeister war durchaus umstritten. Ausnahmen von dem Grundsatz, dass rechtmäßiges Alternativverhalten beachtlich ist, werden auch dann gemacht, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm dies gebietet19. Auch in dem hier im Mittelpunkt stehenden Urteil des BGH wird im Zusammenhang mit der Frage, ob der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens beachtlich ist, gesagt, dies sei der Fall, weil andernfalls der Schutzzweck von § 93 Abs. 2 AktG überdehnt werde. Allerdings wird dieser Aspekt nur im Zusammenhang mit der unterlassenen Anrufung des Aufsichtsrates angeführt. Auch das überzeugt nicht, da dieselbe Haftungsnorm ja auch greift, wenn es um die unterlassene Anrufung der Hauptversammlung geht. Eigentlich müsste die Fragestellung anders formuliert werden: Verlangen die missachteten Normen (also die über die Einberufung der Hauptversammlung), dass rechtmäßiges Alternativverhalten unbeachtlich ist? Diese Frage ist bei einer 100%-igen Tochtergesellschaft meist leicht zu beantworten. Dann gibt es keinen weiteren Gesellschafter, der zu schützen wäre20. Sofern (relevante) Minderheiten im Spiel sind, kann das anders sein, da dann und wenn die realistische Möglichkeit besteht, dass die Hauptversammlung anders entschieden hätte21. Es kann aber nicht darauf abgestellt werden, welchen Beschluss die Hauptversammlung vernünftiger Weise gefasst hätte22. Denn ganz abgesehen davon, dass dies oft keineswegs klar ist, hat dieser Aspekt mit dem rechtmäßigen Alternativverhalten nichts zu tun. Auch wenn die Hauptversammlung unvernünftig gestimmt hätte, hat sich die Pflichtverletzung des Vorstands nicht realisiert. Allerdings kann es sein, dass dann Aktionäre den Beschluss mit Erfolg hätten anfechten können. Sollte das der Fall sein, kann sich der Vorstand ersichtlich nicht entlasten.

19 Siehe MünchKommBGB Oetker (s.o. Fn. 6) § 249 Rn. 221; außerdem z.B. BGHZ 96, 157, 173; BGHZ 120, 281, 286. 20 Krieger (s.o. Fn. 11) S. 511, 523. 21 Dann Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten stets unzulässig, Krieger (s.o. Fn. 11) S. 511, 523; in der Tendenz auch BGHZ 114, 127, 135. 22 So aber Fleischer DStR 2009, 1204, 1209; Krieger (s.o. Fn. 11) S. 511, 523.

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Wenn man auch in Bezug auf einen nicht gefassten Hauptversammlungsbeschluss das rechtmäßige Alternativverhalten entlastend berücksichtigt, nähert man sich der Einschätzung, die der BGH für die Gesellschafterversammlung einer GmbH getroffen hat23. In dem damals zu entscheidenden Fall hatte ein Gesellschaftergeschäftsführer seine Vergütung erhöht, ohne dass eine Gesellschafterversammlung zu diesem Thema abgehalten worden wäre. Auf Erstattung dieser Beträge in Anspruch genommen, wandte er ein, die erhöhte Vergütung sei ohnehin angemessen gewesen. Daher sei ein Beschluss der Gesellschafterversammlung, der rückwirkend die Höhe billigte, nicht rechtswidrig. Der BGH hat diese Argumentation akzeptiert und das Fehlen eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses bei der Auszahlung der Vergütung nicht für wesentlich gehalten. Ähnlich hat er für eine Kommanditgesellschaft entschieden24. Hier wurde der Komplementär einer KG auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil er (angeblich) Grundstücke unter Wert verkauft hatte und einen eigentlich zuvor erforderlichen Gesellschafterbeschluss nicht eingeholt hatte. Auch in diesem Fall eröffnete der BGH dem Beklagten die Möglichkeit, nachzuweisen, dass die Kommanditisten – eventuell auch nur stillschweigend – mit dem Verkauf einverstanden waren. Dass für Aktionäre Anderes gelten sollte, leuchtet nicht ein.

V. Schadensteilung? Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, dass bei der Beantwortung der Frage, ob ein rechtmäßiges Alternativverhalten beachtlich sein soll, eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen ist. Das lässt die Frage aufkommen, ob nicht eine Schadensteilung eine sachgerechte Lösung wäre25. Das lässt sich damit rechtfertigen, dass „das haftbar machende tatsächliche Ereignis dem Schädiger, das nicht haftbar machende gedachte Verhalten jedoch dem Risikobereich des Verletzten zuzurechnen ist“26. Wenn dem gleichwohl hier nicht gefolgt wird, liegt das zum einen daran, dass die Rechtsordnung hierfür keine Anhaltspunkte liefert und zum anderen daran, dass nicht klar wäre, wie der Schaden aufgeteilt werden muss. Anders als im Rahmen von § 254 BGB gibt es keine Verschuldensquote, kein Mehr oder Weniger sondern schlicht zwei unterschiedliche Sachverhalte. 23 NZG 2008, 783; ähnlich auch BGH NZG 2007, 185, ebenfalls ein Fall, in dem unter Verstoß gegen eine innergesellschaftliche Kompetenzordnung eine erhöhte Vergütung gezahlt wurde. 24 DStR 2008, 1599. 25 So Koziol FS Deutsch 1999, S. 179, 185. 26 So Koziol (s.o. Fn. 23) S. 179, 185.

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VI. Konsequenzen Das führt zurück zum Ausgangspunkt. Die gesetzlichen Regeln sprechen für die Berücksichtigung des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Auch Rechtsprechung und Literatur tendieren dahin. Insofern überzeugt das eingangs erwähnte Urteil des BGH im Ergebnis. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind denkbar, wenn anders der Schutzzweck der missachteten Norm nicht abgesichert werden kann. Sofern das rechtmäßige Alternativverhalten in der Anrufung einer Gesellschafterversammlung besteht, gibt es solche anderweitige Schutzzwecke nicht. Auf rechtmäßiges Alternativverhalten kann sich nicht berufen, wer geltend machen will, er hätte ein Gestaltungsrecht ausüben können, das denselben Erfolg auf rechtmäßige Weise herbeigeführt hätte. Diese klaren Regeln können nicht unter Berufung darauf in Frage gestellt werden, dass eine Schadensteilung gerechtfertigt sei, weil zwei Geschehensabläufe (ein rechtmäßiger und ein rechtswidriger) den Erfolg herbeiführen könnten.

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Aufsichtsratsvergütung nach ARUG II

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Aufsichtsratsvergütung nach ARUG II Mathias Habersack

Aufsichtsratsvergütung nach ARUG II MATHIAS HABERSACK

I. Einführung Mit dem ARUG II1 hat sich der deutsche Gesetzgeber – eher nolens volens, nämlich aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie2 – auch der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder einer börsennotierten Gesellschaft angenommen und nicht nur Satz 4 des § 113 Abs. 1 AktG aufgehoben, sondern § 113 Abs. 3 AktG völlig neu gefasst. Dieser regelt nun nicht mehr die Berechnung einer etwaigen Gewinntantieme der Aufsichtsratsmitglieder,3 sondern die Beschlussfassung der Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft über die Aufsichtsratsvergütung und das Vergütungssystem; über § 113 Abs. 3 S. 3 AktG gelangen insoweit die nun in § 87a Abs. 1 S. 2 AktG für das System der Vorstandsvergütung aufgelisteten Mindestangaben – mit Ausnahme der Angaben zur Maximalvergütung, die nach Ansicht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz nicht von dem Verweis in § 113 Abs. 3 S. 3 AktG erfasst sein sollen4 – auf die Beschlussfassung der Hauptversammlung sinngemäß zur Anwendung. Darüber hinaus bildet die Aufsichtsratsvergütung nach § 120a Abs. 1 AktG einen Gegenstand des von Vorstand und Aufsichtsrat nach Maßgabe des § 162 AktG jährlich zu erstellenden und nach § 120a Abs. 4 AktG der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegenden Vergütungsberichts. 1 Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie vom 12.12.2019, BGBl. I S. 2637. 2 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. 2017 L 132, S. 1; zu den Vorgaben in Bezug auf die Aufsichtsratsvergütung s. noch unter II.2.; näher zur Richtlinie Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 7; Bungert/Wansleben DB 2017, 1190 ff.; Leuering NZG 2017, 646 ff.; Gaul AG 2017, 178 ff.; Spindler/Seidel AG 2017, 169 ff.; J. Vetter ZHR 179 (2015), 273 ff. 3 Zu der – in Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 91 aufgegriffenen – rechtspolitischen Kritik an § 113 Abs. 3 AktG a.F. s. MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 60; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 113 Rn. 9; Krieger FS Röhricht, 2005, S. 349, 365 ff.; Hoffmann-Becking, FS Hüffer, 2010, S. 337, 352. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 19/15153 S. 64.

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Obgleich das ARUG II auch für Theorie und Praxis der Aufsichtsratsvergütung und damit für die Corporate Governance der börsennotierten Gesellschaft von nicht unerheblicher Bedeutung ist, hat sich die rechtspolitische Debatte im Vorfeld der Umsetzung der Richtlinie 2017/828 in erster Linie auf die Neuregelung der Related Party Transactions in §§ 111a ff. AktG sowie auf Fragen der Vorstandsvergütung konzentriert. Die die Aufsichtsratsvergütung betreffenden Teile der Reform sind hingegen eher beiläufig diskutiert worden. Dies mag es rechtfertigen, die Aufsichtsratsvergütung nach ARUG II zum Gegenstand eines Klaus Hopt gewidmeten Beitrags zu machen. Der Jubilar hat wie nur wenige andere die Debatte über die Corporate Governance der Aktiengesellschaft geprägt und – nicht zuletzt im Großkommentar zum AktG,5 aber auch an vielen anderen Stellen6 und stets auch aus der Warte des erfahrenen Aufsichtsratsmitglieds – ein besonderes Augenmerk auf den Aufsichtsrat gerichtet, so dass Aussicht besteht, dass die nachfolgenden Überlegungen auf sein Interesse stoßen. Diese Überlegungen werden sich zunächst mit den angesprochenen Neuregelungen befassen, um sodann den Blick auf nach wie vor ungeregelte Grundsatzfragen der Aufsichtsratsvergütung zu richten.

II. Aktien- und unionsrechtliche Grundlagen 1. Aktienrechtliche Ausgangslage vor ARUG II Seit jeher bestimmt § 113 Abs. 1 AktG, dass eine etwaige Vergütung in der Satzung oder durch Hauptversammlungsbeschluss festzusetzen und damit in jedem Fall durch Mehrheitsentscheid der Aktionäre zu bewilligen ist. Ausgeschlossen sind damit sowohl eine Selbstbedienung der Aufsichtsratsmitglieder als auch die Festsetzung der Vergütung durch den Vorstand (und damit durch das vom Aufsichtsrat zu kontrollierende Organ). Gleichwohl statuiert auch § 113 Abs. 1 S. 3 AktG mit dem Erfordernis der Angemessenheit der Vergütung eine materielle Schranke, die zudem nur überhöhte, nicht hingegen unangemessen niedrige Aufsichtsratsvergütungen verhindern soll;7 indem § 113 Abs. 1 S. 1 AktG davon spricht, dass den Aufsichtsratsmitgliedern eine Vergütung gewährt werden „kann“, nimmt er explizit auch den Verzicht auf jegliche Vergütung in Kauf. Die Aktionärszuständigkeit wie auch die inhaltlichen Vorgaben hinsichtlich der Höhe der Aufsichtsratsvergütung werden im Übrigen durch § 114 AktG gegen allfälli5

Aktuell: GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, §§ 95–116. Eindrucksvoll zuletzt Hopt ZGR 2019, 507 ff. 7 MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 41; GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 79; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 113 Rn. 4 mit weit. Nachw. 6

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ge Umgehungen abgesichert. Danach nämlich kann ein Beratungsvertrag zwischen der (durch den Vorstand vertretenen) Gesellschaft und einem Aufsichtsratsmitglied nur über aufsichtsratsfremde Tätigkeiten und auch dann nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats geschlossen werden.8 Der Kodex sah und sieht nur wenige ergänzende Empfehlungen vor. Hervorzuheben ist Empfehlung G.18 DCGK (= Nr. 5.4.6 Abs. 2 S. 2 DCGK a.F.), wonach eine den Aufsichtsratsmitgliedern zugesagte erfolgsorientierte Vergütung auf eine langfristige Unternehmensentwicklung ausgerichtet sein soll. Tatsächlich dominieren heute allerdings bei den DAX-Gesellschaften reine Festvergütungen.9 Erfolgsorientierte Vergütungen sind hingegen zu Recht10 auf dem Rückzug begriffen. Die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder – und zwar auch der Arbeitnehmervertreter und früherer Vorstandsmitglieder11 – in Optionen auf Aktien der Gesellschaft ist sogar unzulässig, und zwar unabhängig davon, ob das Optionsprogramm mit zurückerworbenen eigenen Aktien oder mit bedingtem Kapital unterlegt ist.12 2. Aktionärsrechterichtlinie und ergänzende Kommissionsempfehlungen a) Aktionärsrechterichtlinie Die geänderte Aktionärsrechterichtlinie13 nimmt sich der Vergütung der Unternehmensleiter einer börsennotierten Gesellschaft – dies sind nach Art. 2 lit. i (i) ARRL die Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans und damit aus deutscher Sicht neben den Vorstandsmitgliedern auch die Aufsichtsratsmitglieder14 – in zweifacher Hinsicht an, nämlich zum

8 Näher zum Regelungszweck des § 114 AktG GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 114 Rn. 6 f. 9 S. die Angaben bei MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 8; krit. Oehlrich NZG 2019, 1049, 1052 f. 10 GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 52, 54; KölnKommAktG/ Mertens/Cahn 3. Aufl. 2013, § 113 Rn. 18; MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 8, 13 mit weit. Nachw. 11 Zu den damit verbundenen Folgeproblemen s. MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 18. 12 BGHZ 158, 122, 125 ff. = NJW 2004, 1109 mit umf. Nachw. zum Streitstand; näher dazu sowie zur Frage der Zulässigkeit schuldrechtlicher Nachbildungen (phantom stocks und stock appreciation rights) Großkomm AktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 57 ff.; KölnKommAktG/Mertens/Cahn 3. Aufl. 2013, § 113 Rn. 27; Hüffer/Koch/ Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 113 Rn. 12; MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 17; Habersack ZGR 2004, 721, 724 ff.; Hüffer ZHR 161 (1997), 214, 244 f.; krit. Oehlrich NZG 2019, 1049, 1052 f. 13 Nachfolgend „ARRL“. 14 Unstreitig, s. statt aller Hommelhoff NZG 2015, 1329, 1332; Leuering NZG 2017, 646.

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einen in ihrem Art. 9a, der ein Recht der Hauptversammlung auf Abstimmung über die Vergütungspolitik einführt, und zum anderen in ihrem Art. 9b, der statuiert, dass ein Vergütungsbericht zu erstellen ist, der einen „umfassenden Überblick über die im Laufe des letzten Geschäftsjahres den einzelnen Mitgliedern der Unternehmensleitung (...) gemäß der in Artikel 9a genannten Vergütungspolitik gewährte oder geschuldete Vergütung, einschließlich sämtlicher Vorteile in jeglicher Form, enthält.“ Mit diesen Vorkehrungen soll den Aktionären eine bessere Überwachung der Vergütungspolitik und Vergütungspraxis und in der Folge ein Hinwirken auf ein an der Schaffung längerfristiger Werte orientiertes Vergütungssystem ermöglicht werden.15 Was zunächst das Vergütungsvotum der Hauptversammlung anbelangt, so haben die Mitgliedstaaten nach Art. 9a Abs. 1 ARRL sicherzustellen, dass börsennotierte Gesellschaften ein – in der ARRL „Vergütungspolitik“ genanntes – Vergütungssystem in Bezug auf die Mitglieder der Unternehmensleitung (für die deutsche AG: Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder) erarbeiten und die Aktionäre das Recht haben, über dieses System in der Hauptversammlung nach Maßgabe des Art. 9a Abs. 2–7 ARRL – und damit bei jeder wesentlichen Änderung, mindestens aber alle vier Jahre – Beschluss zu fassen.16 Dabei sind die im Einzelnen in Art. 9a Abs. 6 ARRL aufgelisteten Angabeerfordernisse in Bezug auf die einzelnen Vergütungsbestandteile einzuhalten. Das nationale Recht kann dem Aktionärsvotum nach Maßgabe Art. 9a Abs. 2, 3 ARRL bindenden oder nur empfehlenden Charakter verleihen. Auch ein nur empfehlendes Votum ist freilich nicht unbeachtlich: Nach Art. 9a Abs. 3 ARRL hat die Vergütung im Einklang mit dem der Hauptversammlung vorgelegten Vergütungssystem zu erfolgen und ist von der Gesellschaft, wenn die Hauptversammlung das vorgeschlagene System ablehnt, in der darauffolgenden Hauptversammlung ein überarbeitetes System zur Beschlussfassung vorzulegen. Die Vorgaben des Art. 9b ARRL zum Vergütungsbericht17 knüpfen an vorhandene Transparenzpflichten zur Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung an.18 Der Vergütungsbericht soll nicht über das künftig maßgebende Vergütungssystem, sondern über die im letzten Geschäftsjahr den einzelnen Mitgliedern der Unternehmensleitung (unter Einbeziehung sowohl neu 15

S. Europäische Kommission, Aktionsplan vom 12.12.2012, COM(2012) 740, S. 10. Näher zu den das Vergütungssystem betreffenden Vorgaben der Richtlinie Anzinger ZGR 2019, 39, 69 ff.; Bungert/Wansleben DB 2017, 1190 ff.; Florstedt ZGR 2019, 630, 640 ff.; Leuering NZG 2017, 646 ff. 17 Näher Anzinger ZGR 2019, 39, 84 ff. 18 S. für das deutsche Recht – jeweils auf unionsrechtliche Vorgaben, nämlich auf Art. 28 Abs. 1 Bilanzrichtlinie (Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013, ABl. 2013 L 182/19) zurückgehend) – §§ 285 Nr. 9 lit. a, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a HGB; ferner IAS 24.17; s. dazu noch unter III.3.a). 16

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bestellter als auch früherer Organmitglieder) tatsächlich gewährte oder geschuldete Vergütung informieren, und zwar individualisiert für jedes Aufsichtsratsmitglied. Die Erstellung des Berichts ist nach Art. 9b Abs. 5 Unterabs. 2 ARRL gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat; der Abschlussprüfer hat nach Art. 9b Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2 ARRL zu prüfen, ob die Organe ihrer Berichtspflicht ordnungsgemäß nachgekommen sind. Die Vergütung ist künftig auch für Aufsichtsratsmitglieder einzeln auszuweisen. Die Beschlussfassung der Hauptversammlung hat zwar nur empfehlenden Charakter und wirkt sich nicht auf bereits festgesetzte Vergütungen aus;19 allerdings hat die Gesellschaft im darauffolgenden Vergütungsbericht darzulegen, wie der Abstimmung der Hauptversammlung Rechnung getragen worden ist. b) Ergänzende Kommissionsempfehlungen Die ARRL knüpft an die Kommissionsempfehlung vom 14.12.200420 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften an, die bereits auf Transparenz der Vergütungspolitik sowie auf Einbeziehung der Hauptversammlung in die Entscheidung über die Vergütungspolitik und über aktienbezogene Vergütungselemente gesetzt hatte. Einige weitere vergütungsrelevante Empfehlungen der Kommission haben indes nach wie vor Bedeutung. So empfiehlt die Empfehlung 2009/385/EG21 hinsichtlich der Vergütung der Organwalter börsennotierter Gesellschaften einen Mix aus festen und – an langfristigen Zielen ausgerichteten – variablen Vergütungskomponenten; Aufsichtsratsmitglieder sollen allerdings keine Aktienoptionen erhalten, was der Rechtslage nach dem AktG entspricht. Die Empfehlung 2009/384/EG22 betrifft die Vergütung von Geschäftsleitern (einschließlich der Mitglieder des Aufsichtsorgans) und Angestellten, deren Tätigkeit wesentliche Auswirkungen auf das Risikoprofil eines Finanzinstituts hat, und will die Vergütung an langfristige Erfolgsziele koppeln und Anreize zur Eingehung übermäßiger Risiken ausschalten.23 Im Rahmen der Vergütung von Bedeutung ist darüber hinaus die Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats. Nach deren Anh. II Ziff. 1 19

Leuering NZG 2017, 646, 649. Empfehlung 2004/913/EG vom 14.12.2004, ABl. Nr. L 385 S. 55. 21 ABl. Nr. L 120 S. 28. 22 ABl. Nr. L 120 S. 22. 23 S. dazu auch Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen vom 21.7.2010, BGBl. I S. 950; dazu Armbrüster VersR 2011, 1 (3 ff.); Simon/Koschker BB 2011, 120 ff. 20

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lit. c kann es nämlich der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds entgegenstehen, dass dieses von der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft eine zusätzliche Vergütung in bedeutendem Umfang erhält oder erhalten hat, wobei als zusätzliche Vergütung auch Aktienoptionen und erfolgsbezogene Vergütungen gelten. Das deutsche Recht trägt dem immerhin durch das schon angesprochene generelle Verbot einer aktienkursorientierten Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder Rechnung; sonstigen erfolgsbezogenen Vergütungen steht es dagegen, wie erwähnt, aufgeschlossen gegenüber.

III. Vergütungsvotum und Vergütungsbericht nach ARUG II 1. Einheitsbeschluss über Vergütungssystem und Vergütungsfestsetzung Die Entscheidung über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder war zwar auch schon vor ARUG II Sache der Aktionäre.24 Umsetzungsbedarf bestand hierzulande allerdings zunächst insoweit, als nach bisherigem Recht eine weitere Beschlussfassung der Hauptversammlung in Fällen, in denen die Vergütung, wie in der Praxis häufig der Fall, in der Satzung geregelt war, nicht geboten war, solange die Vergütung keine Änderung erfahren sollte; unabhängig davon war in § 113 Abs. 1 AktG jedenfalls eine explizite Beschlussfassung über das Vergütungssystem nicht vorgesehen.25 Das ARUG II hat sich – wie auch in anderem Zusammenhang – für eine möglichst minimalinvasive Umsetzung der Richtlinienvorgaben entschieden. Es hat in § 113 Abs. 3 S. 1, 2 AktG eine Beschlussfassung über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder zumindest im Vierjahresturnus vorgegeben, indes ausdrücklich die Möglichkeit eines die Vergütung bestätigenden Beschlusses anerkannt26 und im Übrigen daran festgehalten, dass die Vergütung entweder in der Satzung festzusetzen oder von der Hauptversammlung zu bewilligen ist. Die Materialien weisen zudem ausdrücklich darauf hin, dass zwar nach wie vor die Möglichkeit besteht, keine Vergütung zu gewähren, das Beschlusserfordernis des § 113 Abs. 3 AktG indes auch in diesem Fall besteht.27 Dem Erfordernis eines Beschlusses nicht nur über die konkrete Vergütung, sondern auch über das Vergütungssystem wird durch § 113 Abs. 3 S. 3 24

S. bereits unter II.1., ferner Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 381. Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 7 Rn. 53; Habersack NZG 2018, 131, 132; Leuering NZG 2017, 646, 648 f.; aA – Umsetzungsbedarf abstreitend – Seibt DB 2014, 1910,1912; Bungert/Wansleben DB 2017, 1190, 1192 f. 26 S. dazu noch unter 2.b). 27 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 89. 25

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AktG Rechnung getragen.28 Soweit danach in dem Beschluss die nach § 87a Abs. 1 S. 2 AktG erforderlichen Angaben29 – mit Ausnahme derjenigen zur Maximalvergütung – sinngemäß30 und in klarer und verständlicher Form zu machen oder in Bezug zu nehmen sind, soll ein „möglichst sanftes Einfügen in das hiesige System der Festsetzung der Aufsichtsratsvergütung“ ermöglicht und „das Abhalten formalistischer Doppelbeschlüsse durch ein und dasselbe zuständige Beschlussorgan“, wie es aufgrund der unionsrechtlich vorgegebenen Notwendigkeit eines Beschlusses über das Vergütungssystem zunächst unausweichlich schien, vermieden werden.31 Die Hauptversammlung fasst deshalb künftig einen einheitlichen Beschluss über die Festsetzung der konkreten Vergütung und über das Vergütungssystem.32 Die Unterbreitung des Beschlussvorschlags obliegt nach § 124 Abs. 3 S. 1 AktG Vorstand und Aufsichtsrat.33 Mit den Vorgaben der ARRL steht ein Einheitsbeschlusses durchaus im Einklang.34 Soweit die Materialien davon sprechen, dass in dem Beschluss der Hauptversammlung über die konkrete Vergütung das „Abstrakte“ – nämlich das Vergütungssystem – darin als Grundlage enthalten sei,35 ist dies insoweit zutreffend, als die Entscheidung über die Vergütungsfestsetzung stets eine inzidente Entscheidung über die Vergütungsbestandteile und etwaige Leistungskriterien umfasst. Nachdem Art. 9a Abs. 2, 3 ARRL allerdings eine explizite Beschlussfassung der Aktionäre über das System der Aufsichtsratsvergütung verlangt, erklärt § 113 Abs. 3 S. 3 AktG dieselbe folgerichtig zu einem integralen, aber eben expliziten Bestandteil des Vergütungsvotums. Der Praxis sollte es allerdings unbenommen bleiben, vom Konzept des Einheitsbeschlusses abzuweichen und getrennte Beschlussfassung über Vergütungssystem und konkrete Vergütungsfestsetzung vorzusehen.36 Mit dem Konzept des Einheitsbeschlusses hat der Gesetzgeber auf elegante Art und Weise ein Regelungsproblem umschifft, das sich bei Separierung 28 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9379 S. 90: „Absatz 3 Satz 3 normiert das Vergütungssystem des Aufsichtsrats, indem er festlegt, dass auch die Vergütungsfestsetzung des Aufsichtsrats die nach § 87a Absatz 1 Satz 2 AktG-E erforderlichen Angaben jedenfalls sinngemäß zu enthalten hat.“ 29 Näher dazu – auch mit Blick auf die Richtlinienvorgaben – Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 2 ff.; zur Ausnahme für die Maximalvergütung s. bereits unter I. 30 Hilfreiche Erläuterungen hierzu in Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 90; s. ferner Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 382. 31 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 88. 32 Näher zum Konzept des Einheitsbeschlusses Florstedt AG 2019, 630, 653 ff. 33 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 90; Paschos/Goslar AG 2019, 365, 369; dazu sowie zu möglichen Gegenanträgen s. Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 382. 34 Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 9; Florstedt ZGR 2019, 630, 653 f. 35 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 88. 36 So auch Paschos/Goslar AG 2017, 857, 864; Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 9.

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des bindenden Beschlusses über das Vergütungssystem von dem über die Vergütungsfestsetzung ergeben hätte. Dann nämlich hätte die Gefahr bestanden, dass ein mit einfacher Mehrheit gefasster Beschluss über das Vergütungssystem im Falle einer in der Satzung festgesetzten Aufsichtsratsvergütung in Ermangelung einer für die Satzungsänderung erforderlichen qualifizierten Mehrheit nicht hätte vollzogen werden können.37 Um diesem möglichen Dilemma zu begegnen, war vorgeschlagen worden, § 113 Abs. 1 S. 4 AktG a.F., der die Herabsetzung einer satzungsmäßig festgesetzten Vergütung mit einfacher Mehrheit ermöglicht hatte, ganz allgemein auf die Änderung satzungsmäßiger Vergütungsregelungen zu erstrecken.38 Der Gesetzgeber ist – freilich unter Inkaufnahme gewisser Schwierigkeiten in Bezug auf Mehrheitserfordernisse und Anfechtbarkeit39 – den umgekehrten Weg gegangen und hat, wie erwähnt, § 113 Abs. 1 S. 4 AktG a.F. aufgehoben und damit auch die Herabsetzung einer in der Satzung geregelten Aufsichtsratsvergütung dem Mehrheitserfordernis des § 179 Abs. 2 AktG unterstellt. Nicht explizit geregelt hat der Gesetzgeber die Frage, ob die Hauptversammlung bei Festsetzung der konkreten Vergütung an die Vorgaben des Vergütungssystems gebunden ist. Für die Vorstandsvergütung ergibt sich die Bindung des Aufsichtsrats an das von der Hauptversammlung beschlossene Vergütungssystem klar aus § 87a Abs. 2 S. 1 AktG; nur unter den Voraussetzungen des auf das mitgliedstaatliche Optionsrecht aus Art. 9a Abs. 4 ARRL zurückgehenden § 87a Abs. 2 S. 2 AktG ist es dem Aufsichtsrat gestattet, vorübergehend von dem Vergütungssystem abzuweichen. Hinsichtlich der Aufsichtsratsvergütung erschien dem Gesetzgeber hingegen eine entsprechende Ausnahme entbehrlich. Für die Frage des bindenden Charakters des das Vergütungssystem umfassenden Beschlussteils ist damit indes nichts gewonnen. Auch aus Art. 9a ARRL lässt sich insoweit nichts herleiten, gestattet die Vorschrift doch in ihrem Abs. 3, dass das nationale Recht das Votum der Hauptversammlung zum Vergütungssystem als nicht bindend ausgestaltet.40 Das Konzept des Einheitsbeschlusses impliziert mithin zwar, dass sich die durch die Hauptversammlung konkret festgesetzte Vergütung im Einklang mit dem von derselben Hauptversammlung beschlossenen Vergütungssystem befindet, und damit de facto bindenden Charakter hat. Eine rechtliche Bindung besteht hingegen nach § 113 Abs. 3 AktG nicht. Allerdings schreibt Art. 9a Abs. 3 S. 2 ARRL auch bei einem nur empfehlenden Votum vor, dass die tatsächlich gewährte Vergütung dem der Hauptversammlung zur

37 Dazu sowie zu Lösungsmöglichkeiten auf Grundlage separater Beschlüsse Habersack NZG 2018, 127, 132; Leuering NZG 2017, 646, 648 f. 38 Habersack NZG 2018, 127, 132; Leuering NZG 2017, 646, 649. 39 S. unter 2.c), d). 40 S. bereits unter II.2.a).

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Beschlussfassung vorgelegten Vergütungssystem entspricht; die Verwaltung ist damit an ihren Beschlussvorschlag gebunden. Darauf ist im Zusammenhang mit Drittvergütungen zurückzukommen.41 2. Turnusmäßige Beschlussfassung a) Beschlussmehrheit Nach wie vor haben die Aktionäre die Wahl, die Vergütung entweder in der Satzung festzusetzen oder durch einfachen Beschluss zu bewilligen. Von Bedeutung ist das Wahlrecht für die Beschlussmehrheiten. Fehlt es an einer Satzungsregelung, wird also die Aufsichtsratsvergütung bislang durch Hauptversammlungsbeschluss bewilligt und soll dies auch so bleiben, so bedarf jedes weitere Votum der Hauptversammlung zu Vergütung und Vergütungssystem nur der einfachen Mehrheit nach § 133 Abs. 1 AktG. Ist dagegen die Aufsichtsratsvergütung in der Satzung festgesetzt, so unterliegt jeder Beschluss, durch den die Vergütung oder das Vergütungssystem geändert werden soll, dem in § 179 Abs. 2 AktG geregelten Erfordernis qualifizierter Mehrheit; dies wird in § 113 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 AktG durch Verweis auf § 113 Abs. 1 S. 2 AktG klargestellt. Nicht nur für die Bewilligung der Vergütung durch Hauptversammlungsbeschluss,42 sondern gleichermaßen für die Festsetzung der Vergütung durch die Satzung bestimmt allerdings § 113 Abs. 3 S. 2 AktG, dass ein die Vergütung – und damit Vergütungshöhe und Vergütungssystem – bestätigender Beschluss zulässig ist. Will also die Hauptversammlung die bisherige Vergütungsregelung unverändert fortgelten lassen, kann sie diese auch im Falle einer satzungsmäßigen Festsetzung mit der einfachen Mehrheit des 133 Abs. 1 AktG bestätigen.43 b) Mindestangaben nach § 87a Abs. 1 S. 2 AktG Um den Vorgaben des Art. 9a ARRL zu genügen, muss sich auch ein die bisherige Vergütungsregelung bestätigender Beschluss nicht nur auf die Vergütungshöhe, sondern auch auf das Vergütungssystem beziehen, weshalb § 113 Abs. 3 S. 3 AktG für jeden Folgebeschluss die Einhaltung der in § 87a Abs. 1 S. 2 AktG geregelten Angabeerfordernisse vorschreibt44 und 41

Unter IV.2. Bedeutsam in dem Fall, dass die Hauptversammlung die Vergütung durch sog. Grundsatzbeschluss bewilligt, der Geltung beansprucht, solange er nicht aufgehoben oder geändert worden ist, s. GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 122 f.; MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 39 mit weit. Nachw. 43 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 89; näher Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 382. 44 S. dazu sowie zur Ausnahme für die Maximalvergütung bereits unter I., III.1. 42

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zugleich – mit Blick auf den Bestätigungsbeschluss im Sinne des § 113 Abs. 3 S. 2 AktG45 – die Bezugnahme auf das bislang praktizierte Vergütungssystem (sofern dieses den Anforderungen der §§ 113 Abs. 3 S. 3, 87a Abs. 1 S. 2 AktG entspricht) erlaubt.46 Soll die konkrete Vergütung geändert werden, kann dies hingegen nur durch Aufnahme der nach §§ 113 Abs. 3 S. 3, 87a Abs. 1 S. 2 AktG erforderlichen Angaben in den dann auch das Vergütungssystem ändernden Beschluss erfolgen. Anders als noch der Referentenentwurf sieht allerdings die Gesetz gewordene Fassung des § 113 Abs. 3 S. 4 AktG die Möglichkeit vor, auf die Aufnahme der Angaben in den Satzungstext47 zu verzichten, wenn die Vergütung in der Satzung festgesetzt wird. c) Verweigerung der Bestätigung Wird die für die Bestätigung notwendige, aber auch hinreichende einfache Beschussmehrheit nicht erreicht, gilt die bisherige, nun aber nicht bestätigte Regelung fort, solange sie nicht wirksam geändert worden ist. Im Falle der Bewilligung der Vergütung durch Hauptversammlungsbeschluss sollte es der die Bestätigung verweigernden Mehrheit leicht möglich sein, eine geänderte Vergütungsregelung zu beschließen. Zur Änderung einer satzungsmäßigen Festsetzung bedarf es hingegen der Mehrheit des § 179 Abs. 2 AktG, so dass es die die Bestätigung verweigernde einfache Mehrheit nicht notwendigerweise in der Hand hat, eine solche Änderung aus eigener Stimmkraft herbeizuführen.48 Diese Folge der einheitlichen Beschlussfassung über konkrete Vergütung und Vergütungssystem ist zwar misslich und ließe sich bei getrennter Beschlussfassung dadurch vermeiden, dass mit einfacher Mehrheit ein neues Vergütungssystem beschlossen wird.49 Doch dürfte die praktische Bedeutung dieses Dilemmas nicht allzu groß sein. Nach §§ 113 Abs. 1 S. 5, 120a Abs. 3 AktG hat nämlich die Verwaltung spätestens der nächsten ordentlichen Hauptversammlung eine überprüfte Vergütungsregelung vorzulegen; hierbei wird sie darauf bedacht sein, dass der neue Vorschlag Aussicht auf eine satzungsändernde Mehrheit hat.

45 Bei Bewilligung der Vergütung durch Hauptversammlungsbeschluss bedeutsam in dem Fall, dass die Hauptversammlung die Vergütung durch sog. Grundsatzbeschluss bewilligt, der Geltung beansprucht, solange er nicht aufgehoben oder geändert worden ist, s. GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 122 f.; MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 39 mit weit. Nachw. 46 Näher Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 90. 47 Im satzungsändernden Beschluss sind die Angaben allerdings zu machen oder zumindest in Bezug zu nehmen, s. Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 90 f. 48 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 89. 49 S. in diesem Zusammenhang auch der unter III.1. erwähnte Vorschlag einer Änderung des § 113 Abs. 1 S. 4 AktG a.F.

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d) Beschlussmängel, Publizität In sachlicher Übereinstimmung mit § 120a Abs. 1 S. 3 AktG schließt § 113 Abs. 3 S. 5 AktG die Anfechtung des Vergütungsbeschlusses wegen eines Verstoßes gegen die Angabeerfordernisse des § 113 Abs. 3 S. 3 AktG und damit hinsichtlich des auf das Vergütungssystem bezogenen Beschlussinhalts aus. Die Anfechtbarkeit im Übrigen, d.h. insbesondere der konkreten Vergütungsfestsetzung, bleibt davon unberührt.50 Nach § 113 Abs. 3 S. 6 AktG schließlich sind Abs. 2 und 3 des § 120a AktG sinngemäß anzuwenden, was bedeutet, dass der Vergütungssystem und konkrete Vergütungsfestsetzung umfassende Beschluss im Sinne des § 113 Abs. 3 S. 1–3 AktG nach Maßgabe des § 120a Abs. 2 AktG auf der Internetseite zu veröffentlichen und im Falle der Ablehnung des Beschlussvorschlags spätestens in der darauf folgenden ordentlichen Hauptversammlung erneut Beschluss zu fassen ist. 3. Vergütungsbericht nebst Billigungsbeschuss der Hauptversammlung a) Vergütungsbericht Was die Vorgaben des Art. 9b ARRL zum Vergütungsbericht51 anbelangt, so findet sich die Vorstand und Aufsichtsrat obliegende Berichtspflicht als solche nun in § 162 AktG geregelt, das Votum der Hauptversammlung zum Bericht hingegen in § 120a Abs. 4 AktG. Der Gesetzgeber hat sich außerstande gesehen, die durch die ARRL vorgegebene Berichtspflicht in die ohnehin nach §§ 285 Nr. 9 lit. a, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a HGB bestehenden und auf Vorgaben der Bilanzrichtlinie52 zurückgehenden Berichtspflichten zu integrieren, nicht zuletzt deshalb, weil Regelungsgehalt und Reichweite dieser Berichtspflichten nicht mit den Vorgaben des Art. 9b ARRL korrelieren.53 Immerhin hat das ARUG II §§ 285 Nr. 9 lit. a S. 5–7, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a S. 5–7 HGB aufgehoben und damit die sich aus diesen Vorschriften bislang für börsennotierte Gesellschaften ergebenden Berichtspflichten nach § 162 AktG verlagert. Nach wie vor verbleiben aber Doppelungen.54 50

Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 91; zur Erstreckung des Anfechtungsausschlusses auf Unstimmigkeiten zwischen Vergütungssystem und konkret festgesetzter Vergütung Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 382 f. 51 Zu diesen Vorgaben s. im Einzelnen unter II.2.a); näher Florstedt ZGR 2019, 630, 656 ff.; speziell zu den Anforderungen des § 162 AktG Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 6 ff. 52 Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013, ABl. 2013 L 182/19. 53 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 108 f.; dazu Florstedt ZGR 2019, 630, 657 ff.; Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 7, die zu Recht eine unionsrechtliche Harmonisierung anmahnen; ferner Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 383 f.; Bungert/Wansleben DB 2017, 1190, 1193; Leuering NZG 2017, 646, 649 ff. 54 Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 6 f.

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Infolge der nunmehr für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ausnahmslos gebotenen individualisierten Offenlegung sind die bislang für Vorstandsmitglieder in §§ 286 Abs. 5, 314 Abs. 3 S. 1 HGB vorgesehene Möglichkeit eines opt out und die für Aufsichtsratsmitglieder bestehende Möglichkeit einer nicht individualisierten Offenlegung entfallen; statt dessen ist in § 162 Abs. 1 S. 1 AktG ganz allgemein geregelt worden, dass künftig über die im letzten Geschäftsjahr jedem einzelnen gegenwärtigen oder früheren Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats von der Gesellschaft und von im Sinne des § 290 HGB konzernverbundenen Unternehmen gewährte und geschuldete Vergütung nach näherer Maßgabe des § 162 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AktG zu berichten ist. Die Einbeziehung auch früherer Organmitglieder wird durch § 162 Abs. 5 S. 2 AktG relativiert. Danach sind personenbezogene Angaben zu früheren Organmitgliedern in allen Vergütungsberichten, die nach Ablauf von zehn Jahren nach Ausscheiden des Organmitglieds erstellt werden, zu unterlassen. Hierdurch soll insbesondere in Fällen, in denen ohne zeitliche Begrenzung Altersbezüge geleistet werden, ein Leerlaufen der in § 162 Abs. 5 S. 3 AktG vorgesehenen Pflicht zur Löschung personenbezogener Daten nach Ablauf von zehn Jahren verhindert werden.55 Die Vereinbarkeit mit Art. 9b Abs. 5 S. 1 ARRL erscheint freilich nicht völlig gewiss,56 geht es doch um die Transparenz von im Berichtsjahr tatsächlich gewährten Vergütungen und damit um ein Publizitätserfordernis, das nichts mit der auf 10 Jahre befristeten Zugänglichkeit personenbezogener Angaben zu in der Vergangenheit gewährten Vergütungen zu tun hat. Das mit § 162 Abs. 5 S. 3 AktG verbundene Anliegen des Gesetzgebers ist zwar verständlich – abzuwarten bleibt allerdings, ob der EuGH dieses Verständnis teilt. Hinsichtlich der Publizität des Vergütungsberichts57 knüpft § 162 Abs. 4 AktG an die Beschlussfassung der Aktionäre über den Bericht an58 und bestimmt, dass der Bericht von der Gesellschaft 10 Jahre lang auf ihrer Internetseite kostenfrei zugänglich zu machen ist. Der Gesellschaft bleibt es unbenommen, den Bericht auch noch nach Ablauf von 10 Jahren zugänglich zu machen; personenbezogene Daten unterliegen dann freilich, wie schon erwähnt, dem Schutz des § 162 Abs. 5 S. 3 AktG und sind aus über die Internetseite zugänglichen Vergütungsberichten zu entfernen. Auf die Familiensituation des Organmitglieds bezogene Daten darf der Bericht nach § 162 Abs. 5 S. 1 AktG ohnehin nicht enthalten. Die vom Gesetzgeber auf Erwä55

Näher Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 114; Paschos/Goslar AG 2019, 365, 369 f. Für Richtlinienkonformität Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 114 („planwidrige Lücke der Richtlinie“); Paschos/Goslar AG 2019, 365, 369 f. 57 Zur Publizität des Vergütungssystems s. §§ 113 Abs. 3 S. 6, 120a Abs. 2 AktG und dazu unter III.2.d). 58 Dazu sogleich unter b); für kleine und mittelgroße Gesellschaften ist die Vorlage gemäß § 120a Abs. 5 AktG maßgebend. 56

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gungsgrund 45 der Änderungsrichtlinie zur ARRL gestützte Schutzklausel des § 162 Abs. 6 AktG erlaubt es der Gesellschaft darüber hinaus, auf Angaben zu verzichten, die nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet wären, der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen.59 Die Reichweite dieses an § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG, § 289e HGB angelehnten und mit Blick auf die Richtlinie nicht unproblematischen60 Befreiungstatbestands ist wenig klar. Als Anwendungsbeispiel mag eine vergütungsbezogene Sanktion wie namentlich ein Claw Back in Betracht kommen;61 lässt sie auf Fehlverhalten des Organmitglieds schließen, wird man in entsprechender Anwendung der „ARAG/Garmenbeck“-Grundsätze62 den Verzicht auf die Angabe jedenfalls dann als erlaubt anzusehen haben, wenn das für die Geltendmachung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs gegen das Organmitglied zuständige Organ aus Gründen des Unternehmensinteresses von der Anspruchsverfolgung absehen kann oder gar muss. Ungeachtet während des Gesetzgebungsverfahrens vorgebrachter Bedenken63 lässt es das ARUG II in § 162 Abs. 3 S. 2–5 AktG bei einer rein formellen Prüfung des Vergütungsberichts durch den Abschlussprüfer, der Erstellung eines bloßen Vermerks anstelle eines Prüfungsberichts und der entsprechenden Anwendung des § 323 HGB bewenden;64 den Vorschlag,65 die Prüfungspflicht im HGB zu regeln, hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. b) Beschlussfassung der Hauptversammlung In Umsetzung der Vorgabe des Art. 9b Abs. 4 Unterabs. 1 ARRL sieht § 120a Abs. 4 S. 1 AktG die Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Billigung des von Vorstand und Aufsichtsrat erstellten und geprüften Vergütungsberichts für das vorausgegangene Geschäftsjahr vor.66 Gegenanträge kommen insoweit nicht in Betracht.67 Nach § 120a Abs. 4 S. 2 AktG sind die die Beschlussfassung über das Vergütungssystem betreffenden Vorschriften des § 120a Abs. 1 S. 2, 3 AktG auf den Beschluss über den Vergütungsbericht anzuwenden, so dass der Beschluss weder Rechte noch Pflichten begründet und überdies – wie der Beschluss über das System der 59

Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 114. Zweifel hinsichtlich der Richtlinienkonformität bei Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 8. 61 So Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 384. 62 BGHZ 135, 244, 252 ff. 63 Paschos/Goslar AG 2018, 857, 865. 64 Näher Florstedt ZGR 2019, 630, 662; Heldt AG 2018, 905, 911 f. 65 VGR AG 2018, 920, 922. 66 Zu der Ausnahme für kleine und mittelgroße Gesellschaften in § 120a Abs. 5 AktG s. Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 384. 67 Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 384. 60

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Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung68 – dem Anfechtungsausschluss unterliegt.69 Ein die Billigung des Berichts ablehnender Beschluss der Hauptversammlung löst in rechtlicher Hinsicht allein die Rechtsfolge des § 162 Abs. 1 Nr. 6 AktG aus: In dem nächsten Vergütungsbericht ist zu erläutern, wie der Beschluss der Hauptversammlung berücksichtigt wurde. Wie die Nichtbilligung des Vergütungssystems70 wird freilich auch die Nichtbilligung des Vergütungsberichts in der Praxis nicht folgenlos bleiben. Wird das Vergütungssystem gebilligt, der Vergütungsbericht hingegen nicht, lässt das darauf schließen lässt, dass die Aktionäre entweder die praktische Umsetzung des Systems nicht billigen oder ein höheres Maß an Transparenz wünschen; die gesonderte Beschlussfassung über den Vergütungsbericht gibt den Aktionären mithin die Möglichkeit, ihren Unmut dosiert und gezielt zu äußern.71

IV. Offene Fragen zur Aufsichtsratsvergütung Die Neuregelungen des ARUG II zur Aufsichtsratsvergütung erschöpfen sich in der Umsetzung der Vorgaben der ARRL und zielen damit auf Stärkung der Transparenz und der vergütungsbezogenen Mitspracherechte der Aktionäre. Über den Nutzen dieser Neuregelungen mag man streiten.72 Schwerer wiegt freilich, dass wesentliche Fragen der Aufsichtsratsvergütung73 auch künftig nicht explizit geregelt sind.74 1. Abführungsverpflichtung Es entspricht ständiger Praxis der Gewerkschaften, die von ihnen zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter zu ver68 S. für den Vorstand § 120a Abs. 1 S. 3 AktG; für den Aufsichtsrat § 113 Abs. 3 S. 5 AktG und dazu unter III.2.d). 69 Für Anfechtungsausschluss bereits Bachmann/Pauschinger ZIP 2019, 1, 8 f.; Bayer BB 2018, 3034, 3040 f.; Paschos/Goslar AG 2018, 857, 865; zust. auch Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 384. 70 Dazu unter II.2.c). 71 Löbbe/Fischbach AG 2019, 373, 384. 72 Vgl. Heldt AG 2018, 905, 907 f. 73 Zu Vorschlägen betreffend die Vorstandsvergütung s. Anzinger ZGR 2019, 39, 93 ff.; Habersack NZG 2018, 127, 133 f.; speziell zu der von Verflechtungen zwischen (insbesondere institutionellen) Investoren („Common Ownerhsip“, s. dazu Monopolkommission, XXII. Hauptgutachten 2018, S. 192 ff.) ausgehenden Gefahr wettbewerbsgefährdender Auswirkungen des Hauptversammlungsvotums zur Vorstandsvergütung s. Florstedt ZIP 2019, 1693 ff.; zu den Aufsichtsrat, indes nicht dessen Vergütung betreffenden Forderungen de lege ferenda Kley AG 2019, 818 ff.; speziell zur Frage eines Aufsichtsratsbudgets Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd. 2, S. 461 ff.; Theisen AG 2018, 589 ff. 74 S. zum Folgenden bereits die knappen Ausführungen in NZG 2018, 127, 131.

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pflichten, einen Großteil der von ihnen vereinnahmten Vergütung an die Hans-Böckler-Stiftung abzuführen.75 Diese Praxis wirft zahlreiche Fragen auf, nicht nur solche des Aktienrechts, sondern gleichermaßen solche des Vereinsrechts,76 des Tarifrechts,77 des Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsrechts78 sowie des Schenkungsrechts;79 jüngst ist in der Abführungsverpflichtung gar ein deliktsrechtlich relevanter Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der mitbestimmten Gesellschaft erblickt worden.80 Die Rechtsprechung hat derlei Abführungsverpflichtungen allerdings stets gebilligt,81 zuletzt das OLG Frankfurt sogar insoweit, als das betroffene Aufsichtsratsmitglied weder über eine Liste der Gewerkschaft gewählt noch von der Gewerkschaft bei der Kandidatur unterstützt worden war.82 Was die hier allein interessierende aktienrechtliche Beurteilung anbelangt, so hat das BAG in seinem Urteil vom 21.5.2015 einen Verstoß gegen § 113 AktG explizit verneint, und zwar vor allem unter Hinweis darauf, dass § 113 Abs. 1 AktG das Aufsichtsratsmitglied hinsichtlich der Verwendung seiner Vergütung nicht binde, das Aufsichtsratsmitglied vielmehr über die von ihm erhaltene Vergütung frei disponieren könne, und es im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Abführungsverpflichtung der professionellen Aufsichtsratstätigkeit hinderlich sei.83 Bereits an anderer Stelle ist darauf hingewiesen worden, dass die einer Vielzahl von Arbeitnehmervertretern obliegende Abführungsverpflichtung mit Blick auf die der Vergütung zukommende Anreizfunktion in rechtspolitischer Hinsicht fragwürdig, aktienrechtlich indes nicht zu beanstanden ist.84 Der Jubilar und die ihm folgende herrschende Lehre teilen diese Beurtei75

Die vom Bundesvorstand des DGB beschlossene Abführungsregelung ist in ihrer aktuellen Fassung abrufbar unter www.boeckler.de/pdf/foerderer_richtlinie_2016.pdf; s. ferner MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 6; GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 13, 25 f.; näher Krieger FS E. Vetter, 2019, S. 363 ff.; Schäfer/ Bachmaier ZIP 2018, 2141 ff. 76 Dazu namentlich Schäfer/Bachmaier ZIP 2018, 2141 ff.; Thüsing/Forst FS Graf v. Westphalen, 2010, S. 693, 702 ff.; Uffmann ZfA 2018, 233 ff. 77 Dazu BAG AG 2016, 39, 42 (keine Gegnerfinanzierung). 78 Dazu Habersack/Henssler/Henssler Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 26 MitbestG Rn. 9a; Rieble AG 2016, 315, 316. 79 Für (formnichtige) Schenkung bei einzelvertraglich vereinbarter Abführungspflicht Thüsing/Forst FS Graf v. Westphalen, 2010, S. 693, 696 ff.; dagegen Hanau, Die Verpflichtung zur Abführung von Aufsichtsratsvergütungen an die Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 254 der Hans-Böckler-Stiftung, 2012, S. 36 f. 80 Krieger FS E.Vetter, 2019, S. 363, 372 ff. 81 BAG AG 2016, 39, 41 f.; s. ferner OLG Frankfurt a.M. NZA-RR 2002, 531; OLG Stuttgart AuR 2008, 190; LG Stuttgart NZG 2008, 558; LG München I NZG 2005, 522. 82 OLG Frankfurt NZG 2018, 945. 83 BAG AG 2016, 39, 41 f. 84 MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019 Rn. 6; Habersack NZG 2018, 127, 131.

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lung.85 Vor dem Hintergrund, dass sich das Angemessenheitsgebot des § 113 Abs. 1 S. 3 AktG nach wie vor nur gegen zu hohe Aufsichtsratsvergütungen richtet,86 ist an dieser Beurteilung auch nach Inkrafttreten des ARUG II festzuhalten. Mag auch der Kodex in seinem Grundsatz 24 davon ausgehen, dass die Aufsichtsratsmitglieder eine Vergütung erhalten, und mag heutzutage jedenfalls in mitbestimmten Gesellschaften eine unvergütete Aufsichtsratstätigkeit nicht mehr anzutreffen sein,87 so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, dass der Beitritt zur Gewerkschaft und die daraufhin eingegangene Abführungszusage des Aufsichtsratsmitglieds Maßnahmen sind, die ohne Beteiligung der Gesellschaft erfolgen und keinerlei korporationsrechtlichen Charakter haben und damit insbesondere nicht an dem Gleichbehandlungsgebot, das allein funktionsbezogene, nicht dagegen gruppenbezogene Differenzierungen hinsichtlich der Vergütung gestattet,88 zu messen sind. Einzuräumen ist, dass es im Allgemeinen nicht ausgeschlossen ist, schuldrechtliche Absprachen am Maßstab korporationsrechtlicher Grundsätze zu kontrollieren.89 Auch soll nicht verkannt werden, dass die mehr oder weniger flächendeckende Abführung eines Großteils der den Arbeitnehmervertretern geleisteten Vergütung die Entscheidung der Aktionäre über Ob und Wie der Aufsichtsratsvergütung zu einem Gutteil zu konterkarieren vermag.90 Letztlich wird man es aber dem Aufsichtsratsmitglied – vorbehaltlich einer gesetzlichen Regelung – nicht verwehren können, über seinen Vergütungsanspruch zu disponieren. Nachdem der Gesetzgeber wiederholt – zuletzt bei Umsetzung des ARUG II – Gelegenheit gehabt hat, der ihm bekannten Praxis der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter einen Riegel vorzuschieben, er insoweit indes untätig geblieben ist, muss angenommen werden, dass er in der Abführungspraxis keinen relevanten Übergriff in die Zuständigkeit der Aktionäre zur Festsetzung der Aufsichtsratsvergütung 85 GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 13, 25 f.; Kölner Komm. AktG/Mertens/Cahn 3. Aufl. 2013, § 113 Rn. 58; Spindler/Stilz/Spindler AktG, 4. Aufl. 2019, § 113 Rn. 7; Hoffmann-Becking, FS Havermann, 1995, S. 229, 245; krit. Sünner AG 2012, 265, 273; aA Krieger FS E. Vetter, 2019, S. 363, 367 ff., der in dem Eingriff in die Governance-Struktur der Gesellschaft eine Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs erblickt. 86 S. unter II.1., III.1., dort jeweils auch zur Möglichkeit, keine Vergütung zu leisten; krit. auch Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 635 f., der sich de lege ferenda für ehrenamtliche Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter ausspricht. 87 Hierauf abstellend Krieger FS E. Vetter, 2019, S. 363, 367 f. 88 Näher GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 92 ff.; MüKoAktG/ Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 42 f. 89 Dazu am Beispiel von Mehrheitsklauseln in konsortialvertraglichen Stimmbindungsabreden Habersack ZHR 164 (2000), 1 ff.; s. dazu aber auch BGHZ 179, 13 Rn. 13 ff. 90 Dies zu Recht betonend Krieger FS E. Vetter, 2019, S. 363, 371 f.; ferner Rieble AG 2016, 315, 316: Umgestaltung des von der Gesellschaft professionell ausgerichteten Amtes zum Ehrenamt.

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erblickt. Dies ist in rechtspolitischer Hinsicht zu bedauern, sollte aber den Rechtsanwender binden. 2. Drittvergütung Anderes gilt für die offensichtlich nicht unübliche Praxis, dass das Aufsichtsratsmitglied nicht nur von der Gesellschaft, sondern auch von einem Dritten – etwa einem Aktionär – eine Vergütung für seine Aufsichtsratstätigkeit erhält.91 Die ganz überwiegende, auch vom Jubilar geteilte Ansicht hält derlei Drittvergütungen für unbedenklich;92 eine kritische Stimme93 hat bislang, soweit ersichtlich, keine allzu große Gefolgschaft gefunden. Dies ist angesichts der Gefahr, dass von derlei Drittvergütungen Fehlanreize ausgehen („wes‘ Brot ich ess…“),94 durchaus überraschend. Bereits an anderer Stelle ist denn auch darauf hingewiesen worden, dass sich die Drittvergütungspraxis mit Blick auf Art. 9a Abs. 1 ARRL und damit nach Inkrafttreten des ARUG II Bedenken ausgesetzt sieht, und zwar aus zwei miteinander zusammenhängenden Gründen.95 Zum einen nämlich liegt Art. 9a Abs. 1 ARRL, §§ 113 Abs. 3 S. 3, 87a Abs. 1 S. 2 AktG die Vorstellung zugrunde, dass die Aktionäre über die mit Vergütungsart und auch Vergütungshöhe verbundenen Anreizwirkungen entscheiden sollen; Drittvergütungen lassen sich mit dieser Steuerungskompetenz nicht in Einklang bringen. Zum anderen verhält es sich so, dass die Drittvergütung als solche dem Vergütungskonzept inhaltlich widerspricht, hat das System doch nach §§ 113 Abs. 3 S. 3, 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AktG „alle“ Vergütungsbestandteile zu enthalten. Zwar sieht das ARUG II hinsichtlich der Festsetzung der konkreten Vergütung eine Bindung der Hauptversammlung an das von ihr beschlossene Vergütungssystem nicht vor.96 Wohl aber gehen §§ 113 Abs. 3 S. 3, 87a Abs. 1 S. 2 AktG davon aus, dass die Hauptversammlung die konkrete Vergütungsentscheidung im Bewusstsein des von ihr beschlossenen Vergütungssystems trifft und diese ihre Vergütungsentscheidung nicht durch nicht offengelegte Vergütungen von dritter Seite durchkreuzt wird. 91

Kiem, Festschrift Stilz, 2014, S. 329, 331 ff. GroßkommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 78; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 113 Rn. 3; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic AktG, 2013, § 113 Rn. 1; Neuhaus/Gellißen NZG 2011, 1361 ff.; Kiem, Festschrift Stilz, 2014, S. 329, 333 ff.; Selzner AG 2013, 818, 823 f. 93 K. Schmidt/Lutter/Drygala AktG, 3. Aufl. 2013, § 113 Rn. 11. 94 Dazu im Zusammenhang mit dem Vergütungsbericht nach § 162 AktG auch Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739 S. 111. 95 MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 113 Rn. 12; s. ferner Habersack NZG 2018, 127, 131; auch unabhängig von den Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie für Unvereinbarkeit von Drittvergütungen mit § 113 AktG K. Schmidt/Lutter/Drygala AktG, 3. Aufl. 2013, § 113 Rn. 11. 96 S. unter III.1. 92

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Dem entspricht es, dass nach Art. 9a Abs. 3 S. 2 ARRL auch im Falle eines nur empfehlenden Vergütungsvotums der Hauptversammlung die tatsächlich gewährte Vergütung dem der Hauptversammlung zur Beschlussfassung vorgelegten Vergütungssystem entsprechen muss.97 Drittvergütungen laufen dem zuwider und fügen sich somit nicht in das richtlinieninduzierte System der Aufsichtsratsvergütung nach ARUG II ein. Sie sind deshalb künftig unstatthaft, und zwar nicht nur, soweit es sich um nach § 162 Abs. 1 S. 1 AktG im Vergütungsbericht offenzulegende Vergütungen seitens eines Konzernunternehmens handelt, sondern ganz allgemein.

V. Fazit Mit der Neuregelung der Aufsichtsratsvergütung durch das ARUG II hat der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Art. 9a f. ARRL mehr oder weniger getreulich umgesetzt. Das Konzept des Vergütungssystem und Vergütungsfestsetzung umfassenden Einheitsbeschlusses ermöglicht der Praxis eine weitgehend reibungslose Handhabung der neuen Vorgaben. Auch die Neuregelung zum Vergütungsbericht kann im Grundsatz überzeugen, mag auch an der einen oder anderen Stelle die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 9b ARRL aufscheinen. Die wahren Probleme im Zusammenhang mit der Aufsichtsratsvergütung liegen indes jenseits der Neuregelungen durch das ARUG II. Sie betreffen vor allem die den Arbeitnehmervertretern obliegende Abführungsverpflichtung und Vergütungsleistungen Dritter. Insoweit lassen sich dem ARUG II und der ARRL immerhin Anhaltspunkte zur rechtlichen Beurteilung dieser Praktiken nach der lex lata entnehmen. Unstatthaft sind danach zwar Drittvergütungen, nicht hingegen die den Arbeitnehmervertreten obliegenden Abführungsverpflichtungen. Das rechtspolitische Anliegen, die nicht nur aus aktienrechtlichen Gründen problematische98 Praxis der Abführungsverpflichtung zu stoppen, bleibt indes nach wie vor unerfüllt.

neue rechte Seite! 97 98

S. unter III.1. S. unter IV.1.

Digitale Marktordnung durch Urheber- und Datenschutzrecht

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Digitale Marktordnung durch Urheber- und Datenschutzrecht Philipp Hacker

Digitale Marktordnung durch Urheber- und Datenschutzrecht PHILIPP HACKER

I. Einleitung: Märkte mit maschinell lernenden Akteuren Wie kaum ein zweiter hat der Jubilar das Gesellschaft- und Kapitalmarktrecht in Deutschland und der EU geprägt.1 Sein umfassendes wissenschaftliches Werk hat dabei Meilensteine für den rechtlichen Ordnungsrahmen gesetzt, der auf ökonomischer Grundlage Kapitalflüsse reguliert und auf Marktversagen reagiert. Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft im 20. Jahrhundert sowie die wachsende rechtsökonomische Durchdringung der die Finanzierung und Unternehmenslenkung steuernden Marktprozesse haben das Kapitalmarktrecht so zum vielleicht wichtigsten Teilrechtsgebiets des Wirtschaftsrechts der vergangenen Jahrzehnte werden lassen. Weniger bekannt ist jedoch, dass der Jubilar bereits in den 1970er Jahren auch weitsichtig Themenschwerpunkte im Spannungsfeld von Recht und Informatik etabliert hat.2 Gerade diese interdisziplinäre Verknüpfung erscheint heute dringlicher denn je. Der vorliegende Beitrag nimmt diese Fäden aus dem Frühwerk des Jubilars daher auf, verknüpft sie mit finanzrechtlichen Themen und spinnt sie weiter. Denn auch im Wirtschaftsrecht setzt seit einigen Jahren die Digitalisierung vermehrt neue Akzente. Dies zeigt sich im Kapitalmarktrecht etwa daran, dass zunehmend algorithmenbasierte Anlagestrategien angeboten werden (z.B. durch sog. robo advice).3 Dabei

1 Siehe, neben der Habilitationsschrift sowie den einschlägigen Lehrbüchern und Kommentaren, nur Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973; Hopt (Hrsg.), European Merger Control, 1982; ders., (Hrsg.), Groups of Companies in European Laws, 1982; Hopt et al. (Hrsg.), Comparative Corporate Governance, 1998; Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets and Company Law, 2003; Hopt, 59 The American Journal of Comparative Law 1 (2011); Wymeersch/Hopt/Ferrarini (Hrsg.) Financial Regulation and Supervision, 2012; Hopt, 20 Columbia Journal of European Law 249 (2013); sowie das Schriftenverzeichnis am Ende dieser Festschrift. 2 Hopt, JZ 1972, 65; ders., DSWR 1971/72, 235, 280 und 304; ders., BB 1972, 1017; ders. in: Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Bd. II, 1976, 143. 3 Dazu etwa Möslein/Lordt, ZIP 2017, 793; Baker/Dellaert, 103 Iowa Law Review 713 (2018); Denga, KI bei Finanzdienstleistungen, in: Ebers et al. (Hrsg.), Künstliche Intelligenz und Robotik (erscheint 2020); siehe für technische Grundlagen auch Domino, 467

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können nicht nur die Investmentstrategien algorithmisch festgelegt, sondern auch die Beratungsleistungen der Anlageberatung durch adaptive, maschinell lernende chatbots erbracht werden.4 In regulatorischer Hinsicht stellt sich daher die Herausforderung, nicht mehr nur klassische Investmentrisiken, sondern zunehmen auch technologische Risiken im durch Angebote aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz5 überformten Bereich der Kapitalmärkte einzuhegen.6 Diese neuen Produkte sind, im Finanzbereich wie auch andernorts, gekennzeichnet einerseits durch neue Assets, auf denen sie aufbauen (Daten), und andererseits durch die Emergenz neuer Typen von Akteuren (auf maschinellem Lernen basierenden, zunehmend autonom agierenden Modellen, kurz: KI-Modellen).7 Damit einher geht eine Verschiebung des tradierten rechtlichen Ordnungsrahmens: Rechtsgebiete, welche den Umgang mit den als Rohstoff dienenden Daten regeln, nehmen an Bedeutung ungleich zu. Dies gilt sowohl für die Frage, inwiefern diese Daten als Input für KI-Modelle dienen können, als auch für die Folgefrage, wie die Erzeugnisse derartiger KIModelle rechtlich geschützt werden sollen und können. Dementsprechend vollzieht sich Marktordnung, auch in den bislang klassisch gesellschaftsund kapitalmarktrechtlichen Bereichen, zunehmend auch durch das Datenschutzrecht und das Immaterialgüterrecht, die den wesentlichen rechtlichen Rahmen für die Behandlung von Daten als Input und Output von KIModellen abstecken. Im Zentrum des hiesigen Beitrags werden daher die Transformationsprozesse stehen, die das Datenschutzrecht und das Urheberrecht für die neuen, datenbasierten und KI-geprägten Märkte mit sich bringt. Beiden Rechtsgebieten eignet dabei eine spezifische hybride Komponente. Einerseits sind sie, anders als das dem klassischen Kapital gewidmete Kapitalmarktrecht, in hohem Maße unmittelbar grundrechtsgeprägt, durch das Datenschutzgrundrecht in Art. 8 GRCh und das Recht auf geistiges Eigentum nach Art. 17 Abs. 2 GRCh. Andererseits ermöglichen beide RechtsgePhysica A: Statistical Mechanics and its Applications 267 (2017); Wilinski/Kovalerchuk, 44 Cognitive Systems Research 100 (2017). 4 Siehe etwa die Applikationen https://myeva.com/ und https://www.multiply.ai/ (jeweils zuletzt abgerufen am 9.12.2019); ferner Fantato, Putting the ‘AI’ into financial advice, Financial Times (8.11.2019), https://www.ft.com/content/132365f0-ff1f-11e9-be59e49b2a136b8d; zur Technik von chatbots etwa Harkous et al., 27th USENIX Security Symposium 2018, 531. 5 Zum Begriff der Künstlichen Intelligenz Russell/Norvig, Artificial Intelligence: A Modern Approach, 3. Aufl., 2010, 1 ff. 6 Siehe Buckley et al., The Dark Side of Digital Financial Transformation: The New Risks of FinTech and the Rise of TechRisk, UNSW Law Research Paper No. 19–89, 2019, https://ssrn.com/abstract=3478640. 7 Siehe nur Agrawal/Gans/Goldfarb, Prediction Machines: The Simple Economics of Artificial Intelligence, 2018, Kapitel 4 und 5.

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biete jedoch, wie auch das Kapitalmarktrecht, erhebliche kommerzielle Transaktionen und stellen damit, jedenfalls de facto, Instrumente für die vermögensrechtliche Verwertung der jeweils geschützten Rechtspositionen zur Verfügung. Paradigmatisch kommt dieses Spannungsverhältnis in der doppelten Zielsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)8 zum Ausdruck: Sie soll bereits nach ihrem Titel und nach der in Art. 1 Abs. 1 DS-GVO enthaltenen Wertung personenbezogene Daten schützen und den freien Datenverkehr ermöglichen. In ähnlicher Weise formuliert die neue Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSMRL9) in ihrem sechsten Erwägungsgrund, dass die Rechtspositionen der Urheber mit den Interessen und Rechten der potentiellen Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke in Ausgleich gebracht werden müssen.

II. Digitale Marktordnung für KI-Prozesse Dieser Beitrag geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, inwiefern trotz der erheblichen Grundrechtsprägung dieser beiden zentralen digitalen Marktordnungsregime marktbezogene Prinzipien in ihrem Rechtsgefüge Platz greifen und insoweit kapitalmarktrechtliche Strukturprinzipien auf das Datenschutz- und Urheberrecht übertragen werden können. Dies wird an drei spezifischen Problemkomplexen erörtert. Erstens stellt sich die Frage, inwiefern das Marktortprinzip die Geltung des rechtlichen Rahmens von Datenschutz- und Urheberrecht determiniert (A.). Sofern diese Rechtsbereiche anwendbar sind, muss zweitens geklärt werden, inwiefern personenbezogene Daten und urheberrechtlich geschützte Werke für KIProzesse auch ohne Einwilligung des Rechteinhabers als Input genutzt werden können, und ob die rechtssichere Operationalisierung regulatorischer Vorgaben durch Anleihen beim Lamfalussy-Prozess optimiert werden kann (B.). Drittens erhebt sich nach Abschluss des KI-Prozesses die Frage, inwiefern die Verwertbarkeit und Handelbarkeit des KI-Outputs rechtlich durch Anreizmechanismen gefördert wird und werden sollte (C.). 1. Marktortprinzip: Kollisionsregeln Ein erster Test für die marktorientierte Konstitution von Datenschutzrecht und Urheberrecht ist die Geltung des Marktortprinzips als Kollisionsregel. Danach ist das Recht eines Staates oder der EU Staatenverbunds an8 9

Verordnung 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung). Richtlinie 2019/790.

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wendbar, wenn die in Rede stehenden Tätigkeiten einen spezifischen Bezug zu dem jeweiligen Marktgeschehen aufweisen.10 Im Kapitalmarktrecht11 und im sonstigen Wirtschaftsrecht12 hat sich das Marktortprinzip weitgehend, wenn auch nicht ganz einheitlich,13 durchgesetzt. Für digitale Märkte ist dies zum Beispiel entscheidend, wenn ein international tätiges Unternehmen KIbasierte (Investment-)Dienste über das Internet aus einem Drittstaat heraus in der EU anbietet. a) Datenschutzrecht Die Datenschutzrichtlinie von 1995 kannte hingegen noch kein Marktortprinzip; für die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts, in der jeweiligen nationalen Umsetzung, war vielmehr die Datenverarbeitung im Rahmen der Tätigkeit einer Niederlassung in der EU als Hauptanknüpfungspunkt vorgesehen.14 Dies führte in der Rechtssache Google Spain zu einer extensiven Interpretation des Kriteriums der Tätigkeit im Rahmen einer EU-Niederlassung durch den EuGH:15 So wurde das europäische Datenschutzrecht für anwendbar gehalten, obwohl nicht die spanische Niederlassung von Google, sondern die US-amerikanische Zentrale, die Datenverarbeitung vornahm, weil beide nach dem EuGH wirtschaftlich untrennbar verbunden waren. Durch diese weite Auslegung kompensierte der EuGH gerade das Fehlen eines allgemeinen Marktortprinzips,16 da die spanische Niederlassung unstreitig Ergebnisse der Datenverarbeitung für marktbezogene Werbetätigkeiten in der EU nutzte. Diese Lücke wurde in der DS-GVO nunmehr geschlossen. Art. 3 Abs. 2 DS-GVO implementiert ein Marktortprinzip, wonach die Verordnung auch anwendbar ist, wenn entweder die Datenverarbeitung mit dem Angebot von Waren und Dienstleistungen in der EU zusammenhängt (lit. a) oder das Verhalten betroffener Personen in der EU beobachtet wird (lit. b). Letztlich

10 Zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Marktorts, besonders im Kapitalmarktrecht, Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, 295 ff. 11 Siehe nur Art. 6 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. 2007 L 199/40; Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, 110 (für das US-Kapitalmarktrecht), 168 ff. und 282 ff. (für das EU-Kapitalmarktrecht). 12 Drexl, in: MüKo, BGB, 7. Aufl. 2018, Internationales Wirtschaftsrecht Teil 9. Internationales Wettbewerbs- und Kartellrecht, Internationales Lauterkeitsrecht Rn. 2; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011; Kamann/Miller, NZKart 2016, 405, 410. 13 Siehe etwa Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, 220. 14 Art. 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 95/46/EG. 15 EuGH, Urt. v. 13.5.2014 – Rs. C-131/12 (Google Spain) – Rn. 52 ff. 16 Kühling, EuZW 2014, 527, 528.

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stellen sich nach umstrittener,17 aber zutreffender Ansicht18 beide Varianten als Ausprägung des Marktortprinzips dar: Denn auch die Verhaltensbeobachtung dient typischerweise, wenngleich nicht notwendig, der Vorbereitung einer werblichen Ansprache. Insbesondere fällt auch das längerfristige, bei fast allen Webseiten und Applikationen anzutreffende Tracking durch Cookies oder andere Geräte-Identifier unter Art. 3 Abs. 2 lit.b DS-GVO, sodass die Verordnung faktisch globale Geltung erlangt.19 Das Marktortprinzip führt in der DS-GVO daher einerseits zu einer klaren Ausrichtung auf die wirtschaftliche Angebotstätigkeit im Bereich privater Datenverarbeitung und zugleich zu einer annähernden Universalgeltung der Verordnung. Auch außerhalb der EU ansässige Unternehmen, welche zum Beispiel KIbasierte Anlageberatung in der EU anbieten, müssen daher bei darauf bezogener Datenverarbeitung die DS-GVO achten. b) Urheberrecht Im Urheberrecht hat sich demgegenüber das Marktortprinzip noch nicht mit gleicher Deutlichkeit durchsetzen können. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist bei grenzübergreifenden Sachverhalten zum Beispiel relevant, wenn ein KI-Modell mit Texten trainiert werden soll, die urheberrechtlich geschützt sind. Dies ist erforderlich, wenn das Modell Übersetzungsleistungen erbringen20 oder selbstständig Texte verfassen können soll.21 So ist im Bereich des Kapitalmarktrechts denkbar, dass Modelle entwickelt werden, die auf Basis bisher bestehender Finanzberatungsliteratur neue schriftliche Beratungstexte entwerfen22 oder als chatbot mit dem Anleger interagieren.23 Ferner wäre es möglich, dass das wissenschaftliche Werk des Jubilars genutzt wird, um eine neue Abhandlung „im Stil von Klaus J. Hopt“ zu erstellen,24 etwa durch sogenannte generative adversarial networks.25 17 Kritisch Klar, in: Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 3 DS-GVO Rn. 23. 18 Uecker, ZD 2019, 67, 70 f.; siehe auch Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 2019, Art. 3 DS-GVO Rn. 61. 19 Klar, in: Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 3 DS-GVO Rn. 24; Golland, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, 112. 20 Siehe etwa die auf tiefen neuronalen Netzwerken basierende Software von DeepL, https://www.deepl.com/docs-api.html (zuletzt abgerufen am 20.11.2019). 21 Siehe etwa die Anwendung von http://ai-writer.com/ (zuletzt abgerufen am 20.11. 2019). 22 Ein Selbstversuch des Autors bei AI Writer (siehe Fn. 21) lieferte passable Ergebnisse. 23 Siehe oben, Fn. 4. 24 Der urheberrechtliche Schutz der Ausgangswerke sei im Folgenden unterstellt, vgl. BGH GRUR 1986, 739, 741 – Anwaltsschriftsatz. 25 Grundlegend Goodfellow et al., Generative adversarial nets, Advances in Neural Information Processing Systems 2014, 2672.

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Im internationalen Urheberrecht regiert das sogenannte Schutzlandprinzip, für die Verletzung von Immaterialgüterrechten (sowohl hinsichtlich der vermögensrechtlichen wie auch der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Komponente26) kodifiziert in Art. 8 Abs. 1 Rom-II-VO. Basierend auf dem Territorialitätsgrundsatz27 ist danach das Recht des Landes anwendbar, für das jeweils Schutz begehrt wird.28 Hierdurch ergibt sich ein Flickenteppich nationaler, zum Teil divergent ausgestalteter Schutzräume. Zwar kommt das Schutzlandprinzip einem Marktortprinzip bisweilen nahe, es ist mit diesem jedoch keinesfalls identisch. Wenn etwa ein Werk urheberrechtswidrig in einem spezifischen Land am Markt angeboten wird, so ist durchaus das Recht dieses Landes zum Schutz berufen. Anders liegt es jedoch, wenn eine urheberrechtsrelevante Handlung in Land A vorgenommen, das daraus resultierende, selbst nicht urheberrechtsverletzende Produkt jedoch in Land B auf den Markt gebracht wird. Diese Konstellation tritt gerade bei der Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material zu Zwecken des sogenannten Trainings eines KIModells29 auf: Die für das Training notwendige Vervielfältigung und Bearbeitung der geschützten Texte mag in einem Drittstaat (auf einem dort belegenen Server des Entwicklers) erfolgen, das mithilfe des KI-Modells generierte Angebot jedoch, für das kein Rückgriff auf das Trainingsmaterial mehr notwendig ist, erfolgt in der EU. In diesem Fall wird die trainingsbezogene Vervielfältigung lediglich nach dem Recht des Drittstaats beurteilt. Denn anders als bei Art. 3 Abs. 2 lit. a DS-GVO ist es nicht hinreichend, dass ein Angebot in der EU mit der Verarbeitung des Materials lediglich zusammenhängt, um Ansprüche nach EU-Recht bzw. mitgliedstaatlichem Recht auszulösen.30 Neuen Formen von KI-basierten Angeboten wird diese 26 Bach, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Rom II, Art. 8 Rn. 9. 27 So die hM, siehe nur Dörner, in: HK-BGB, 10. Aufl. 2019, Rom II-VO, Art. 8 Rn. 1; Bach, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Rom II, Art. 8 Rn. 1; zu Recht kritisch insoweit Oppermann, Die kollisionsrechtliche Anknüpfung internationaler Urheberrechtsverletzungen, 2011, 83 ff.; Drexl, in: MüKo, BGB, 7. Aufl. 2018, Internationales Wirtschaftsrecht Teil 8. Internationales Immaterialgüterrecht, Rn. 9, 14. 28 EuGH, GRURInt 2012, 1113 Rn. 31–34 – Football Dataco; BGH GRUR 2015, 264 Rn. 24 f. – Hi Hotel II; BGH GRUR Int. 2007, 928 Rn. 24 – Wagenfeld Leuchte; BGH NJW 1998, 1395, 1396 – Spielbankaffaire. 29 Dabei wird das Modell anhand von Beispielsfällen zu einer verbesserten Performance angeleitet, dazu sogleich, Text bei Fn. 32. 30 Präziser gefasst richtet sich zwar das Kollisionsrecht nach dem Klägervortrag, jedoch muss nach dem Sachrecht die Verletzungshandlung ganz oder teilweise im Inland erfolgt sein, siehe EuGH, GRUR 2006, 50 Rn. 46 – Lagardère; EuGH, GRUR 2012, 654 Rn. 25 – Wintersteiger; BGH NJW 1994, 2888, 2890 – Folgerecht bei Auslandsbezug; BGH GRUR 2012, 1263 Rn. 17 – Clinique happy; Bach, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Rom II, Art. 8 Rn. 11.

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zurückhaltende Ausgestaltung des Schutzlandprinzips nicht gerecht; sie lädt zu Umgehungshandlungen nachgerade ein.31 Das Datenschutzrecht ist dem Urheberrecht insoweit einen Schritt voraus. 2. Nutzung zur Innovation: KI-Training im Spannungsfeld der Rechtsmaterien Ist nach dem Gesagten unionales bzw. deutsches Recht auf die KIProzesse anwendbar, so erhebt sich die Frage, inwieweit personenbezogene Daten und urheberrechtlich geschütztes Material von Entwicklern von KIModellen genutzt werden können, um diese Modelle zu trainieren. Dies ist essenziell für leistungsfähige KI-Modelle im Bereich des überwachten Lernens (supervised learning):32 Ein Lernalgorithmus kalibriert hier mathematische Vorhersagemodelle, indem die Prognosen des Modells mit tatsächlich richtigen Antworten verglichen werden und das Modell dergestalt in vielen Trainingszyklen angepasst wird. So können etwa Daten über vergangene Investmententscheidungen von Individuen genutzt werden, um neue, an bestimmte Kontexte angepasste Investmentstrategien algorithmisch zu entwickeln. Das geltende Recht muss hier eine delikate Balance wahren: Eine völlige Freigabe von personenbezogenen und urheberrechtlich geschützten Daten für Trainingszwecke droht dem grundrechtlich gewährten Schutz der informationellen Selbstbestimmung und der Verwertungshoheit des Urhebers persönlich geistiger Schöpfungen zuwiderzulaufen. Andererseits gefährdet ein zu hohes Schutzniveau technische Innovationen mit potentiell erheblichem sozialen Nutzen. Dem Datenschutzrecht und dem Urheberrecht kommt daher eine Schlüsselfunktion für den Ausgleich von grundrechtlichem Schutz mit der Förderung innovativer Dynamik zu. Die folgenden Erwägungen zeigen zunächst, wie diese Abwägung im geltenden Recht vollzogen und operationalisiert werden kann. Daran schließt sich eine rechtspolitische Bewertung an, die auch Entwicklungsperspektiven in Anlehnung an das Regelungsmodell des Kapitalmarktrechts diskutiert.

31 Freilich wird dieses Problem insoweit abgemildert, als ein Mindestschutzniveau durch internationale Verträge wie die Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst sowie TRIPS für WTO-Mitgliedsstaaten verpflichtend ist, siehe Drexl, in: MüKo, BGB, 7. Aufl. 2018, Internationales Wirtschaftsrecht Teil 8. Internationales Immaterialgüterrecht, Rn. 30 ff. 32 Siehe etwa Russell/Norvig, Artificial Intelligence: A Modern Approach, 3. Aufl., Prentice Hall, Upper Saddle River 2010, 695 ff.; Goodfellow et al., Deep Learning, MIT Press, Cambridge, MA 2016, 136 ff.

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a) Nutzung personenbezogener Daten für KI-Training Werden Daten über das Verhalten von Individuen für das Training von KI-Modellen genutzt, so stellen sich aus datenschutzrechtlicher Perspektive regelmäßig zwei Fragen: Sind die Daten personenbezogen? Und wenn ja, ist ihre Nutzung ohne eine Einwilligung erlaubt? aa) Personenbezug von Trainingsdaten Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt die Verordnung lediglich für personenbezogene Daten.33 Diese sind in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO legaldefiniert als „Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person […] beziehen“. Der Personenbezug von Trainingsdaten kann deshalb zweifelhaft sein, weil die Entwickler von KI-Modellen die Daten typischerweise anonymisieren, indem sie direkte Referenzen auf individuelle Personen (bürgerlichen Namen, Ausweisnummern etc.) entfernen, bevor sie die Daten zur Kalibrierung eines Modells nutzen.34 Allerdings ist dadurch ein Personenbezug keineswegs ausgeschlossen, da hinreichend ist, dass die Person (re-)identifizierbar ist. In der Rechtssache Breyer hat der EuGH entschieden, dass personenbezogene Daten auch dann vorliegen, wenn es lediglich vernünftigerweise wahrscheinlich ist, dass auf legalem Wege ein Bezug zu einer individuellen Person hergestellt werden kann.35 Dies entspricht auch der Wertung des 26. Erwägungsgrunds der DS-GVO. Nach diesen Vorgaben ist daher eine Risikoabschätzung vorzunehmen, bei welcher der Aufwand für eine Re-Identifizierung zu den datenschutzrechtlichen Risiken ins Verhältnis gesetzt und gefragt wird, ob das Restrisiko der indirekten Identifizierung vernachlässigbar gering ist.36 Daran zeigt sich der risikobasierte Ansatz des modernen Datenschutzrechts.37 Angesichts vielfältiger technischer Möglichkeiten zur De-Anonymisierung38 dürften daher Trainingsdaten gerade dann, wenn sie besonders viele und aussage33 Siehe dazu ausführlich Finck/Pallas, They Who Must Not Be Identified – Distinguishing Personal from Non-Personal Data Under the GDPR, Working Paper 2019, https://ssrn.com/abstract=3462948. 34 Ostveen, 6 International Data Privacy Law 2016, 299, 307. 35 EuGH, Urt. v. 19.10.2016 – Rs. C-582/14 (Breyer) – Rn. 46–48. 36 Vgl. nochmals EuGH, Urt. v. 19.10.2016 – Rs. C-582/14 (Breyer) – Rn. 46; siehe auch Nink/Pohle, MMR 2015, 563, 565; Kühling/Klar, NJW 2013, 3611, 3613; Klar/ Kühling, in: Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 4 Nr. 1 DS-GVO Rn. 22. 37 Siehe etwa Article 29 Data Protection Working Party, Statement on the role of a risk-based approach in data protection legal frameworks, WP 218, 2014, 2; Lynskey, The Foundations of EU Data Protection Law, 2015, 81 ff. 38 Übersicht bei Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 5/2014 zu Anonymisierungstechniken, WP 216, 2014, 13; Ohm, 57 UCLA Law Review 2009, 1701, 1723 ff.

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kräftige Informationen beinhalten, typischerweise noch personenbezogen sein.39 bb) Datenschutzrechtliche Erlaubnis der Nutzung Wird ein Personenbezug bejaht, so ist die Verarbeitung zu Trainingszwecken nur rechtmäßig, wenn ein Erlaubnistatbestand gemäß Art. 6 Abs. 1 DS-GVO vorliegt. In Betracht kommt bei einem Training durch private Unternehmen regelmäßig entweder eine Einwilligung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a, eine vertragserforderliche Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. b oder eine Erlaubnis kraft Interessenabwägung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Da jedoch typischerweise die Trainingsdaten nicht zu Trainingszwecken erhoben, sondern in anderen Kontexten gewonnen und jetzt lediglich neu verwertet werden sollen,40 wird es regelmäßig an einer Einwilligung oder einem Vertrag mit der betroffenen Person fehlen.41 Damit rückt Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO in das Zentrum des Interesses. Die Interessenabwägungsklausel wird damit zu einer Kernnorm der digitalen Marktordnung, innerhalb derer grundrechtlich geschützte Rechtspositionen mit dem Innovationsinteresse der Verarbeiter abgewogen werden können und müssen. Danach ist eine Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung (i) berechtigter Interessen des Verantwortlichen (ii) erforderlich ist und (iii) entgegenstehende Interessen, Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen.42 Die Abwägung richtet sich dabei im Einzelnen nach den Typen von Daten, Akteuren und der Verarbeitung selbst.43 Je höher die mit der konkreten Verarbeitungsart einhergehenden datenschutzrechtlichen Risiken sind, desto eher fällt die Abwägung zugunsten der betroffenen Person aus. Dabei sind nach dem 47. Erwägungsgrund der DS-GVO die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person maßgeblich zu berücksichtigen. Insgesamt dürfte daher gelten, dass ein Training gerechtfertigt werden kann, wenn ein hoher

39 Zu beachten ist lediglich, dass diese Techniken nach der Breyer-Rechtsprechung für den Personenbezug irrelevant sind, wenn sie im Einzelfall illegal sein sollten. 40 Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data: A revolution that will transform how we live, work, and think, 2013, Kapitel 6. 41 Art. 6 Abs. 4 DS-GVO beinhaltet nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht keinen eigenständigen Erlaubnistatbestand für die Sekundärnutzung, siehe Buchner/Petri, in: Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 6 DS-GVO Rn. 183; Albers/Veit, in: BeckOK DatenschutzR, 28. Ed. 1.5.2019, Art. 6 DS-GVO Rn. 75; aA Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 2019, Art. 6 Abs. 4 DS-GVO Rn. 12; Culik/Döpke, ZD 2017, 226, 230. 42 EuGH, Urt. v. 4.5.2017 – Rs. C-13/16 (Rīgas satiksme) – Rn. 28; bestätigt in EuGH, Urt. v. 29.7.2019 – C-40/17 (Fashion ID) – Rn. 95. 43 Siehe ausführlich Herfurth, ZD 2018, 514, 516 ff.

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Grad an Anonymisierung44 mit erheblichem Erwartungsnutzen nicht nur für den Verantwortlichen, sondern auch für Dritte oder für die Gesellschaft allgemein einhergeht. Daher dürfte das Training auf stark anonymisierten historischen Finanztransaktionsdaten tendenziell zulässig sein. Umgekehrt wird eine Rechtfertigung selten gelingen, wenn die Daten in die Nähe sensitiver Daten rücken45 oder sonstige besondere datenschutzrechtliche Risiken bestehen (etwa bei Datenweiterleitung ins EU-Ausland). Daher dürfte das Training von Gesichtserkennungssoftware auf Daten einer Fotodatenbank ohne Einwilligung der Betroffenen regelmäßig unzulässig sein.46 Die Wertungsoffenheit von Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO ist damit Fluch und Segen zugleich. Einerseits ermöglicht sie die umfassende Berücksichtigung aller relevanten Interessen und ihre idiosynkratische, grundrechtsgeprägte Gewichtung. Sie garantiert daher eine einzelfallbezogene Feinjustierung. Andererseits generiert sie erhebliche Rechtsunsicherheit, die weder dem Schutz der betroffenen Grundrechte noch der Innovationsfähigkeit zuträglich ist. Die DS-GVO trägt dem bereits teilweise Rechnung. So besteht nunmehr immerhin die Möglichkeit, dass der Europäische Datenschutzausschuss gemäß Art. 70 Abs. 1 S. 2 lit. e DS-GVO Stellungnahmen zur Konkretisierung der Interessenabwägung erlässt. Diesen mangelt es jedoch an Bindungswirkung. Bedeutender ist daher, dass Verbände von datenverarbeitenden Unternehmen Verhaltensregeln gemäß Art. 40 DS-GVO vorantreiben können, die gemäß Art. 40 Abs. 5 DS-GVO von der nationalen Aufsichtsbehörde genehmigt und gemäß Art. 40 Abs. 9 DS-GVO von der Kommission mit allgemeiner Gültigkeit in der Union ausgestattet werden können. Auf weitere Möglichkeiten der Erhöhung der Rechtssicherheit wird noch zurückzukommen sein. b) Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für KI-Training Die delikate Balance zwischen innovativer Wiederverwertung eines Werks durch Dritte einerseits und den Persönlichkeit- und Verwertungsinteressen des ursprünglichen Urhebers andererseits wird im Urheberrecht durch das Ineinandergreifen von spezifischen Rechtspositionen des Urhebers mit Schrankenregelungen für einzelne Nutzungshandlungen gewährleistet. Diese Verknüpfung kann auch für das Training eines KI-Modells 44 Vgl. Conrad, in: Auer-Reinsdorff, IT-R-HdB, 3. Aufl. 2019, § 34 Recht des Datenschutzes Rn. 737. 45 Die Verarbeitung sensitiver Daten selbst kann nach Art. 9 DS-GVO nicht über eine Interessenabwägung gerechtfertigt werden. 46 Vgl. auch den 51. Erwägungsgrund der DS-GVO; für einen realen Fall siehe NBC News, Facial Recognition’s ‚Dirty Little Secret‘: Millions of Online Photos Scraped Without Consent, Communications of the ACM (15.3.2019), https://cacm.acm.org/news/235 455-facial-recognitions-dirty-little-secret-millions-of-online-photos-scraped-without-con sent/fulltext.

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mithilfe von Daten, die in ihrer spezifischen syntaktischen Konfiguration urheberrechtlich geschützt sind,47 fruchtbar gemacht werden. Dabei zeigt sich jedoch, dass im Einzelnen noch erheblicher rechtlicher Anpassungsbedarf besteht. aa) Verwertungshandlungen durch KI-Training Werden etwa urheberrechtlich geschützte Texte oder Kunstwerke als Trainingsmaterial für KI-Modelle verwendet, so werden sie typischerweise in digitaler Form erfasst und auf einem Server abgelegt. Sodann werden sie in spezifischer Form aufbereitet und durch das Modell analysiert.48 Zumindest die Speicherung auf einem Server sowie die Ablage im Arbeitsspeicher greift als Vervielfältigungshandlung in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers (oder sonstigen Rechteinhabers) nach § 16 UrhG ein,49 wofür bereits die Entnahme von elf charakteristischen Wörtern reichen kann.50 Ferner ist, je nach Art und Umfang des Zugriffs weiterer Personen auf den Server, potentiell auch das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG betroffen.51 Je nach Art der Modifikation der Ursprungsdaten für die Analyse kann auch eine erlaubnisbedürftige Bearbeitung vorliegen, §§ 11, 23 UrhG.52 Bei Zugriff auf Datenbanken kommt ferner eine Entnahme in Betracht.53 bb) Schrankenregelungen Die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material zu Zwecken des KI-Trainings ist daher urheberrechtlich äußerst relevant. Entwickler von

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Zech, Information als Schutzgegenstand, 2012, 54 f., 352 ff. Zur Vorgehensweise im Einzelnen Rosati, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Technical Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 4 ff.; Spindler, GRUR 2016, 1112, 1112 f. 49 Raue, ZUM 2019, 684, 685; Obergfell, in: Festschrift für Wolfgang Büscher, 2018, 223, 226; Geiger/Frosio/Bulayenko, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Legal Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 6; Spindler, GRUR 2016, 1112, 1113; vgl. auch EG 8 S. 6 und EG 9 S. 2 der DSM-RL. 50 EuGH, Urt. v. 16.7.2009 – Rs. C-5/08 (Infopaq) – Rn. 51. 51 BT-Drucks. 18/12329, 40. 52 Ory/Sorge, NJW 2019, 710, 712; zweifelnd Spindler, GRUR 2016, 1112, 1113 f.; aA Obergfell, in: Festschrift für Wolfgang Büscher, 2018, 223, 226. 53 BT-Drucks. 18/12329, 40; differenzierend Obergfell, in: Festschrift für Wolfgang Büscher, 2018, 223, 227; datenbankspezifische Fragestellungen werden hier aus Platzgründen ausgespart, sie können im Wesentlichen analog zu den genuin urheberrechtlichen beantwortet werden; siehe dazu etwa Raue, ZUM 2019, 684, 685; Geiger/Frosio/ Bulayenko, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Legal Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 7; Schmidt/Zech, CR 2017, 417. 48

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KI-Modellen könnten urheberrechtliche Compliance natürlich, wie im datenschutzrechtlichen Bereich, auf rechtsgeschäftlichem Wege durch Abschluss eines Nutzungsvertrags mit den jeweiligen Rechteinhabern herbeiführen. Jedoch bestehen dafür gegenwärtig regelmäßig prohibitive Transaktionskosten, da Corpora mit mehreren 1000 oder noch deutlich mehr Beispielen für das effektive Training eines Modells mit Techniken maschinellen Lernens notwendig sind.54 Daher kann sich eine gewinnorientierte Nutzung nur auf die bestehenden Schrankenregelungen stützen, welche die Rechte des Rechteinhabers einschränken. Hier kommen insbesondere die freie Benutzung nach § 24 UrhG (unter i.), und die Ausnahme für Text und Data Mining nach § 60d UrhG und Art. 3 f. der Richtlinie 2019/790 (DSM-RL) in Betracht (ii.). (1) Freie Benutzung, § 24 UrhG Nach § 24 Abs. 1 UrhG darf ein „selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, […] ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.“ So wäre nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die freie Benutzung die Veröffentlichung und Verwertung eines durch KI geschaffenen Finanzratgebers oder die Entwicklung eines chatbots ermöglicht, der seinerseits durch Training auf urheberrechtlich geschützten Ratgebern entstanden ist. Für eine Berufung auf § 24 Abs. 1 UrhG müsste jedoch der Ratgeber, bzw. allgemeiner das von der KI geschaffene Produkt, ein selbstständiges Werk darstellen. Daran wird es jedoch in aller Regel mangeln. Denn nach der Rechtsprechung ist dafür erstens ein hinreichender Abstand zum Ausgangswerk notwendig; die eigenpersönlichen Züge der Vorlage müssen demgegenüber verblassen.55 Wenn jedoch Ziel des KI-Modells die möglichst täuschende Imitation der Trainingsmaterialien ist (etwa die Erstellung einer Abhandlung „im Stil von Klaus J. Hopt“; eines Gemäldes „im Stil von Rembrandt“;56 oder einer Symphonie „im Stil von Beethoven“57), so wird es an der hinreichenden Distanz regelmäßig fehlen.58 Insbesondere die technische Übernahme zur Ersparnis eigener Leistungen erfüllt regelmäßig nicht 54

Elgammal et al., CAN: Creative Adversarial Networks Generating Art by Learning About Styles and Deviating from Style Norms, Working Paper 2017, https://arxiv.org/ abs/1706.07068, 10; vgl. auch Spindler, GRUR 2016, 1112, 1115 zu Lizenzmodellen, die aber typischerweise auf nicht-kommerzielle Anwendungen beschränkt sind. 55 St. Rspr., siehe nur BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix Persiflagen; BGH GRUR 1958, 204, 404 – Lilli Marleen; BGH GRUR 1958, 354, 356 – Sherlock Holmes. 56 https://www.nextrembrandt.com/ (zuletzt abgerufen am 26.11.2019); im Fall von Rembrandt besteht natürlich kein Urheberrecht mehr, möglicherweise aber ein Leistungsschutzrecht an den Bildaufnahmen. 57 Weiguny, Beethovens Unvollendete wird vollendet, FAZ (7.12.2019), https://www. faz.net/2.1690/beethovens-unvollendete-wird-vollendet-16523814.html. 58 Ory/Sorge, NJW 2019, 710, 712.

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die Kriterien der freien Benutzung.59 Eine hinreichende Distanz kommt hingegen bei der geplanten, vom KI-Modell gesteuerten Abweichung von den Vorlagen und deren Stilen in Betracht.60 Erschwerend kommt jedoch zweitens hinzu, dass das neu geschaffene Werk selbst, unabhängig von den anregenden Elementen, die anthropozentrische urheberrechtliche Schöpfungshöhe erreichen müsste,61 was bei durch KI-Modelle geschaffenen Produkten de lege lata äußerst zweifelhaft ist (siehe unten, B.III.2.b)). Eine freie Benutzung zu Trainingszwecken scheidet daher regelmäßig aus. (2) Schranken für wissenschaftliche Forschung sowie Text und Data Mining Allerdings ist die Anwendung der allgemeinen Wissenschaftsschranke, § 60c UrhG, nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie gilt jedoch in ihrer gegenwärtigen Form nur für nicht-kommerzielle Forschung62 und ist daher auf weite Bereiche des Trainings von KI-Modellen, bei denen gerade besonders leistungsstarke Modelle häufig von Unternehmen entwickelt werden, nicht anwendbar.63 Wichtiger, in ihrem Verhältnis zur allgemeinen Wissenschaftsschranke jedoch noch nicht ausreichend geklärt64 ist daher die spezifische Schranke für Text und Data Mining (TDM). Diese ist bislang in § 60d UrhG verortet und wurde 2017 ins Urheberrechtsgesetz aufgenommen.65 Der deutsche Gesetzgeber wollte insofern nicht auf das zähe Ringen um die DSM-RL warten.66 Sie umfasst allerdings nach § 60d Abs. 1 S. 2 UrhG ebenfalls lediglich die nicht-kommerzielle Nutzung.67 Die DSM-RL enthält nun jedoch in ihren Art. 3 f. eine vollharmonisierende TDM-Schranke für wissenschaftliche und kommerzielle Zwecke, sodass §§ 60d UrhG entsprechend anzupassen ist. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit es dem europäischen Gesetzgeber gelungen ist, eine adäquate 59

Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 24 Rn. 10. So bei dem Modell beschrieben in Elgammal et al., CAN: Creative Adversarial Networks Generating Art by Learning About Styles and Deviating from Style Norms, Working Paper 2017, https://arxiv.org/abs/1706.07068; siehe auch Christie’s, Is Artificial Intelligence Set to Become Art’s Next Medium? (12.12.2018),https://www.christies.com/ features/A-collaboration-between-two-artists-one-human-one-amachine-9332-1.aspx. 61 BGH GRUR 1961, 631, 632 – Fernsprechbuch; Ory/Sorge, NJW 2019, 710, 713; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 24 Rn. 5. 62 Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 60c Rn. 6, 14. 63 Vgl. Spindler, GRUR 2016, 1112, 1115. 64 Richtigerweise ist die TDM-Schranke als lex specialis zur allgemeinen Wissenschaftsschranke anzusehen. 65 Zu anderen europäischen TDM-Schranken (UK, Frankreich, Estland), siehe Geiger/ Frosio/Bulayenko, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Legal Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 17 f. 66 BT-Drucks. 18/12329, 40. 67 Raue, ZUM 2019, 684, 685 f. 60

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Balance zwischen Verwertungsinteressen und Innovationsfähigkeit herzustellen. (a) Art. 3 DSM-RL Art. 3 Abs. 1 DSM-RL gibt den Mitgliedstaaten auf, eine Schranke für das Recht der Vervielfältigung und Entnahme vorzusehen, wenn die Nutzung für Text und Data Mining von „Forschungsorganisationen und Einrichtungen des Kulturerbes von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen, zu denen sie rechtmäßig Zugang haben, zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung“ vorgenommen wird. Ein Beispiel wäre die Schaffung eines Werks „im Stil von Klaus J. Hopt“ zu einem vom Jubilar bislang nicht bearbeiteten Thema. Die Schranke ist nach Art. 7 DSM-RL zwingend ausgestaltet. Sie spiegelt mithin die beiden Wesenselemente aus § 60d UrhG: Die Nutzung für TDM zu Forschungszwecken. Anders als § 60d UrhG enthält Art. 3 Abs. 1 DSM-RL zwar keine ausdrückliche Beschränkung auf nichtkommerzielle Forschung. Jedoch definiert Art. 2 Nr. 1 DSM-RL den Begriff der Forschungsorganisation dahingehend, dass sie entweder nicht gewinnorientiert oder in staatlich anerkanntem Auftrag im öffentlichen Interesse handeln muss und nimmt konsequenterweise Organisationen, die unter dem bestimmenden Einfluss gewerblicher Unternehmen stehen, aus. Daher gilt die in Art. 3 Abs. 1 DSM-RL vorgesehene Schranke gerade nicht für die im TDM-Bereich häufig praktizierte Forschung allein innerhalb eines gewinnorientierten Unternehmens oder Konzerns, etwa bei Deep Mind (Alphabet) oder Facebook Research. Für nicht-kommerzielle Forschungsorganisationen hingegen bietet Art. 3 DSM-RL eine weite Ausnahmeregelung: Sofern ein rechtmäßiger Zugang zu den Daten bereits besteht, sind alle Vervielfältigungen, aber auch Bearbeitungen (z.B. Normalisierung oder sonstiges preprocessing, vgl. EG 8 S. 6 DSM-RL) zum Zwecke der automatisierten Datenanalyse umfasst.68 Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil die Aufbereitung der Daten als Vorstufe zum eigentlichen maschinellen Lernprozess typischerweise unerlässlich ist. (b) Art. 4 DSM-RL Für kommerzielle Forschung sowie weitere Verwendungszwecke von TDM (etwa die Erstellung eines Finanzratgebers oder eines chatbots) hält Art. 4 DSM-RL eine weitere TDM-Schranke bereit. Nach dessen Abs. 1 muss eine allgemeine Schranke für „zum Zwecke des Text und Data Mining vorgenommene Vervielfältigungen und Entnahmen von rechtmäßig zugänglichen Werken und sonstigen Schutzgegenständen“ durch die Mitgliedstaa68

Raue, ZUM 2019, 684, 687 f.; vgl. auch Spindler, CR 2019, 277, 279.

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ten vorgesehen werden. Eine Beschränkung auf wissenschaftliche oder nicht-kommerzielle Zwecke ist insoweit gerade nicht zulässig. Wie bei der Wissenschaft-TDM-Schranke des Art. 3 ist auch im Rahmen der allgemeinen TDM-Schranke des Art. 4 DSM-RL kein gesetzlicher Ausgleich für die Rechteinhaber vorgesehen (vgl. EG 17 DSM-RL).69 Allerdings entfaltet sich der Regelungsansatz erst in der Zusammenschau mit Art. 4 Abs. 3 DSMRL. Danach können die jeweiligen Rechteinhaber die Anwendung der allgemeinen TDM-Schranke (nicht aber der Wissenschaft-TDM-Schranke nach Art. 3 Abs. 1 DSM-RL) verhindern, indem sie ausdrücklich und in angemessener Weise, bei online veröffentlichten Inhalten etwa durch maschinenlesbare Formate,70 einen Nutzungsvorbehalt für TDM erklären. Als Minus zu dem nach Art. 4 Abs. 3 DSM-RL möglichen vollständigen Ausschluss der allgemeinen TDM-Schranke ist es daher Rechteinhabern auch möglich, die Nutzung der Schranke von der Zahlung einer Vergütung abhängig zu machen (sofern keine andere Schranke einschlägig ist71) oder andere lizenzvertragliche Regelungen zu treffen.72 Art. 4 Abs. 1 DSM-RL enthält daher eine dispositive Regel zugunsten der allgemeinen TDM-Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken, aus welcher die Rechteinhaber aktiv hinausoptieren müssen. Die normative Richtung der dispositiven Regel wird daher gegenüber dem sonst für Lizenzverträge anwendbaren Gefüge umgekehrt. Der in vielen Bereichen belegte verhaltensökonomische default-Effekt (status quo bias)73 spricht insofern dafür, dass die Anzahl der durch die Schranke nutzbaren Werke deutlich höher liegen wird, als wenn Rechteinhaber die Nutzung aktiv erlauben müssten. c) Bewertung und Entwicklungsperspektiven Wie sind die untersuchten Regelungen im Datenschutz- und Urheberrecht aus der Perspektive eines innovationsförderlichen Marktordnungsrechts nun zu bewerten?

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Spindler, CR 2019, 277, 281. Als Vorbild kann etwa der Zusatz robots.txt dienen, der einer Suchmaschine die Analyse des Inhalts einer Webseite untersagt. 71 Dazu etwa Margoni. Artificial Intelligence, Machine learning and EU copyright law: Who owns AI?. Working Paper 2018, 15 ff.; Geiger/Frosio/Bulayenko, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Legal Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 8 ff.; Raue, ZUM 2019, 684, 686 f. 72 Siehe Art. 7 Abs. 1 DSM-RL, der Art. 4 gerade nicht erwähnt; ferner Spindler, CR 2019, 277, 281. 73 Grundlegend Samuelson/Zeckhauser, Status quo bias in decision making, 1 Journal of Risk and Uncertainty 7 (1988); ferner Hermstrüwer, Informationelle Selbstgefährdung, 2016, 264 ff.; Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, 85 f. 70

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aa) Urheberrecht Die Neuregelung der TDM-Schranke in Art. 3 f. DSM-RL stellt eine gelungene Balance zwischen den Interessen und Grundrechten der Rechteinhaber einerseits und der KI-Entwickler andererseits dar.74 Sowohl die Wissenschaft-TDM-Schranke als auch die allgemeinen TDM Schranke sind in ihrer Anwendbarkeit auf solche Daten beschränkt, zu denen bereits ein rechtmäßiger Zugang besteht. Damit bleibt für Rechteinhaber eine eigenständige Vergütungspolitik hinsichtlich der Eröffnung des Erstzugriffs umfassend möglich,75 sodass richtigerweise auch kein gesetzlicher monetärer Ausgleich für die Schrankenregelungen vorgesehen ist. (1) Wissenschafts-TDM-Schranke: Die Fortsetzung des Lesens mit digitalen Mitteln Sinnvoll erscheint auch, dass die Wissenschaft-TDM-Schranke zwingend konzipiert ist. Einerseits legen empirische Ergebnisse nahe, dass die erlaubnisfreie Nutzung von TDM-Werkzeugen tatsächlich den TDM-basierten wissenschaftlichen Output signifikant erhöht.76 Andererseits sind die Belange der Rechteinhaber hier nur marginal tangiert. Die automatisierte Analyse stellt sich als eine Fortführung des analogen Lese- und Denkprozesses mit digitalen Mitteln dar.77 Die reine Rezeption (das Lesen, Betrachten etc.) von urheberrechtlich geschützten Werken ist jedoch erlaubnisfrei. Das Urheberrecht spielt im KI-Bereich nur deshalb in diesem Prozess hinein, weil eine Vervielfältigung und zum Teil eine Modifikation des Werks als Vorbereitung der KI-basierten Analyse technisch, anders als bei analoger Rezeption, notwendig ist. Insbesondere verfolgen Wissenschaftler mit ihrer Analyse typischerweise Erkenntniszwecke, nicht jedoch kommerzielle Motive. Insofern stehen die Ergebnisse regelmäßig nicht im Wettbewerb mit den zugrunde liegenden Trainingsdaten und es erscheint daher folgerichtig, dass für die TDM-Maßnahmen vertraglich keine weitere Vergütung verlangt

74 Ähnliche Bewertung bei Raue, ZUM 2019, 684, 692 f.; siehe auch Geiger/Frosio/ Bulayenko, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Legal Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 20. 75 Raue, ZUM 2019, 684, 686. 76 Handke/Guibault/Vallbé, Is Europe falling behind in data mining? Copyright’s impact on data mining in academic research, Proceedings of the 19th International Conference on Electronic Publishing, 2015, 120, 128 f. 77 Vgl. Hargreaves, Digital Opportunity. A Review of Intellectual Property and Growth, Report for the UK Government, 2011, 47; IFLA, Statement on Text and Data Mining, 2013, 2; Murray-Rust/Molloy/Cabell, Open Content Mining, in: Moore (Hrsg.), Issues in Open Research Data, London, UK, Ubiquity Press, 2014, 11, 28; Raue, GRUR 2017, 11, 13; Raue, ZUM 2019, 684, 686.

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werden kann. Auch ein gesetzlicher Anspruch sollte daher durch die Mitgliedstaaten nicht vorgesehen werden. Dies hat zur Folge, dass für wissenschaftliche Zwecke die Schaffung eines neuen Werks „im Stil von Klaus J. Hopt“ erlaubnis- und vergütungsfrei möglich ist. Inwiefern die wissenschaftliche Gemeinschaft dadurch tatsächlich bereichert wird, hängt natürlich entscheidend davon ab, inwiefern das KI-Modell die Vorlagen des Jubilars in Duktus und Analysetiefe zu erreichen vermag. (2) Die allgemeine TDM-Schranke: Substitutionsrisiken Anders stellt sich jedoch die Interessenlage im Fall nicht wissenschaftlicher, besonders bei kommerzieller Tätigkeit der KI-Entwickler dar. Auch hier bietet jedoch die Möglichkeit des (maschinenlesbaren) Opt-Out des Rechteinhabers einen schonenden Ausgleich zwischen den betroffenen Rechtspositionen. Einerseits ermöglicht diese Regelung dem Rechteinhaber, eine eigenständige Vergütung für die TDM-Maßnahmen zu verlangen. Dies ist insoweit nachvollziehbar, als das KI-Modell in diesen Fällen typischerweise selbst der Gewinnerzielung dient und die Trainingswerke gar substituieren könnte, sodass eine Beteiligung der Rechteinhaber interessengerecht erscheint. Daher könnten etwa die Inhaber der Rechte an Finanzratgebern, auf deren Basis KI-basierte neue Ratgeber erstellt werden sollen, die Einwilligung in das Training von einer zusätzlichen Vergütung abhängig machen. Andererseits erscheint es jedoch ebenfalls sinnvoll, die dispositive Regelung, wie geschehen, durch die Notwendigkeit eines aktiven Widerspruchs grundsätzlich innovationsfreundlich auszurichten. Insgesamt wird das right to mine damit dem (erlaubnisfreien) right to read zwar nicht völlig gleichgestellt,78 wohl aber deutlich angenähert und für nicht-kommerzielle wissenschaftliche Zwecke gar praktisch zur Deckung gebracht.79 bb) Datenschutzrecht Die gelungene, spezifische Regelung für KI-Training im Bereich des Urheberrechts kontrastiert scharf mit den äußerst vagen datenschutzrechtli78 Diesbezügliche Forderungen haben sich im Gesetzgebungsprozess nicht durchsetzen können, siehe dafür etwa Opinion of the Committee on the Internal Market and Consumer Protection for the Committee on Legal Affairs on the proposal for a directive of the European Parliament and of the Council on copyright in the Digital Single Market, 2016/0280(COD), Amendment 5; Geiger/Frosio/Bulayenko, The Exception for Text and Data Mining (TDM) in the Proposed Directive on Copyright in the Digital Single Market – Legal Aspects, Briefing for the JURI committee of the European Parliament, 2018, 21. 79 So bereits grundlegend Murray-Rust/Molloy/Cabell, Open Content Mining, in: Moore (Hrsg.), Issues in Open Research Data, London, UK, Ubiquity Press, 2014, 11, 27 f.

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chen Vorgaben. Dies ist umso misslicher, als die Sanktionen bei einem Verstoß gegen das unionale Datenschutzrecht erheblich höher sind (siehe nur Art. 83 DS-GVO) als bei einem Verstoß gegen Urheberrecht. Die Notwendigkeit der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO verbürgt zwar eine tendenziell hohe Einzelfallgerechtigkeit, stellt aber eine besondere Herausforderung für die rechtssichere Operationalisierung dar. Denkbar wäre insofern, den Gedanken aus Art. 4 DSM-RL auf das Datenschutzrecht zu übertragen: die Umkehrung der Richtung des Zuweisungsgehalts. Dies hätte zur Folge, dass im Bereich von TDM-Maßnahmen datenschutzrechtlich betroffene Personen aktiv Widerspruch gegen die Verwendung ihrer personenbezogenen Daten zu Zwecken von KI-Training einlegen müssten, die Nutzung andernfalls erlaubt wäre. Während urheberrechtliche Risiken im Fall von KI-Training jedoch begrenzt erscheinen (allenfalls droht eine Verringerung des wirtschaftlichen Werts infolge konkurrierender KI-Produkte), sind datenschutzrechtliche Risiken bei KIAnwendungen regelmäßig besonders prononciert.80 Darunter fallen nicht nur Risiken der Diskriminierung,81 von chilling-Effekten82 und der Ableitung von sensiblen Persönlichkeitsmerkmalen,83 sondern auch klassische negative Externalitäten.84 Daher ist eine Übertragung des Opt-Out-Ansatzes auf das Datenschutzrecht für den Bereich des KI-Trainings abzulehnen. Der Rechtssicherheit und damit der Planbarkeit von Innovationsprozessen wäre vielmehr ein großer Dienst erwiesen, wenn zügig für einzelne KI-Trainingssituationen rechtliche No-Go-Zonen85 einerseits und Safe Harbors andererseits nach Maßgabe der oben genannten Kriterien definiert würden. Ähnlich wie im urheberrechtlichen Bereich sollten dabei solche Anwendungen, die primär auf Erkenntnisgewinn, nicht auf kommerzielle Nutzung der Daten ausgerichtet sind, stärker als bislang privilegiert werden. So könnten KIEntwickler eine klare Compliance-Perspektive erhalten, ohne Jahre oder Jahrzehnte auf klärende Urteile des EuGH zu warten.

80 Siehe nur Schermer, in: Custers et al. (Hrsg.), Discrimination and Privacy in the Information Society, Springer, Berlin/Heidelberg, 2013, 137. 81 Siehe nur Hacker, 55 Common Market Law Review 1143 (2018) m.w.N. 82 Siehe etwa Hermstrüwer/Dickert, 51 International Review of Law and Economics 38 (2017); Büchi et al., Chilling Effects of Profiling Activities: Mapping the Issues, Working Paper 2019, https://ssrn.com/abstract=3379275. 83 Siehe etwa Youyou/Kosinski/Stillwell, 112 PNAS 1036 (2015); Wang/Kosinski, 114 Journal of Personality and Social Psychology 246 (2018). 84 McCarthy, 6 I/S: A Journal of Law and Policy 425, 445 ff. (2011); Hermstrüwer, 8 JIPITEC 2017, 9 para. 12. 85 Dazu Kring/Marosi, K&R 2016, 773, 776; Policy and Research Group of the Office of the Privacy Commissioner of Canada, Consent and privacy – A discussion paper exploring potential enhancements to consent under the Personal Information Protection and Electronic Documents Act, 2016, 17.

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cc) Optimale Regelungsspezifizität als Aufgabe – das Kapitalmarktrecht als Vorbild? Insgesamt zeichnet sich damit eine Spaltung der regulatorischen Herangehensweise im Marktordnungsrecht der digitalen Wirtschaft zwischen Datenschutzrecht einerseits und Urheberrecht andererseits ab. In ersterem führt die Dominanz der Interessenabwägungsklausel nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO zu einer Renaissance der Generalklausel im grundrechtlich geprägten Spannungsfeld. Das Urheberrecht hat hingegen mit Art. 3 f. DSMRL spezifische Regelungen erarbeitet, die kontextbasiert zwischen einer zwingenden Regelung und einem policy default,86 versehen mit Anreizen zur Nutzung automatisierter Kommunikation von Präferenzen, unterscheiden. Das Urheberrecht ist daher im Bereich des KI-Trainings hinsichtlich der Regelungsspezifizität und Vorhersehbarkeit bereits deutlich weiter als das Datenschutzrecht. Die genannten empirischen Ergebnisse suggerieren, dass dies durchaus innovationsförderlich ist. Für die Entwickler von KI-Modellen ist diese Regulierung der zwei Geschwindigkeiten jedoch nur von beschränktem Nutzen, da sie zur Vermeidung von Haftung und Sanktionen nicht nur das Urheberrecht, sondern eben auch und besonders das Datenschutzrecht befolgen müssen. Für beide Bereiche bietet es sich daher an, hinsichtlich der Kalibrierung der Regulierungsspezifizität vom Kapitalmarktrecht zu lernen, das mit einer Rechtsetzung im komplexitätsdifferenzierten Mehrebenenformat (Lamfalussy-Verfahren) bereits weitreichende, häufig (wenngleich nicht immer nur) positive Erfahrungen gemacht hat.87 Dabei wäre die zentrale Herausforderung, rechtliche Vorhersehbarkeit und Detailgenauigkeit in einen schonenden Ausgleich mit normativer Offenheit und der damit einhergehenden Möglichkeit der Einbeziehung neuer, innovativer Verfahren zu bringen.

86 Zu policy defaults etwa Willis, 80 University of Chicago Law Review 1155, 1174 ff. (2013); Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, 566 ff. 87 Kritisch hinsichtlich einer regulatorischen Überdeterminierung insoweit etwa Ferrarini, Contract standards and the Markets in Financial Instruments Directive (MiFID): An assessment of the Lamfalussy regulatory architecture, 1 European Review of Contract Law 19, 31 ff. (2005); Ferran, Building an EU Securities Market, Cambridge: University Press, 2004, 84 ff.; siehe auch de Visscher/Maiscocq/Varone, 28 Journal of Public Policy 19 (2008); weitgehend positiv hingegen die Einschätzung bei Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, Oxford, 2015, 866 ff.; für eine partielle Übertragung auf das EU-Gesellschaftsrecht etwa, unter Beteiligung des Jubilars, European Company Law Experts, Response to the European Commission’s consultation on the future of European company law, Columbia Law and Economics Research Paper 420, 2012, 6.

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3. Anreize zur Innovation: Schutz der KI-Erzeugnisse Die Möglichkeit zur Nutzung personenbezogener Daten für KI-Training ist nach dem soeben Gesagten mit deutlich mehr rechtlichen Unwägbarkeiten versehen als die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken. Umso dringlicher stellt sich die Frage, ob die rechtlichen Anreizmechanismen zur Schaffung von sozial wünschenswerten KI-Produkten hinreichend groß sind. Daher soll abschließend noch ein kurzer Blick auf das Ende des KI-basierten Trainingszyklus geworfen werden: auf das Produkt des KIModells und dessen Schutzfähigkeit nach dem Datenschutz- und Urheberrecht. Im Kapitalmarktrecht wird die Handelbarkeit von Finanzprodukten durch verschiedene Mechanismen (ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wertpapierklasse, Intermediäre, Handelsplätze), besonders aber durch die Zuweisung einer Eigentumsposition bzw. Rechtsinhaberschaft hergestellt. Hinsichtlich dieser Zuweisung einer verwertbaren Rechtsposition stellt sich die Lage beim Output von KI-Modellen ungleich komplexer dar, etwa beim KI-basierten Finanzratgeber. Schon grundsätzlich unterscheiden sich dabei die Wirkmechanismen zwischen Datenschutzrecht und Urheberrecht: Im Datenschutzrecht führt der Personenbezug eines Datums zwar nicht zu einem strikten Ausschließlichkeitsrecht der betroffenen Person, da etwa nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO eine Verarbeitung auch gegen den Willen des Betroffenen möglich ist. Allerdings führt die erhöhte Rechtssicherheit der Gewährung einer Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO dazu, dass faktisch, als Rechtsreflex, eine wirtschaftliche Verwertung der personenbezogenen Daten durch das Zuordnungssubjekt vorgenommen werden kann. Dies zeigen die diversen Geschäftsmodelle, bei denen Daten als Gegenleistung fungieren.88 Das Urheberrecht hingegen soll, jedenfalls nach der utilitaristischen Lesart, durch die Aussicht auf ein genuines Immaterialgüterrecht mit umfassenden, auch ökonomischen Verwertungsrechten bewusst Anreize zur Schaffung geschützter Werke bieten.89 Es wird sich zeigen, dass diesbezüglich durchaus rechtlicher Handlungsbedarf bei KI-Erzeugnissen besteht. a) Datenschutzrecht Zunächst lässt sich jedoch fragen, inwiefern dem KI-Output ein Personenbezug im Sinne des Datenschutzrechts innewohnt. Bislang kaum aufge88

Überblick bei Hacker, ZfPW 2019, 148, 153 ff. Gordon, 82 Columbia L. Rev. 1600, 1610 ff. (1982); Ohly in: Depenheuer/Peifer (Hrsg.), Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel?, 2008, 140, 144; Hansen, Warum Urheberrecht?, 2009, 129 f., mit Kritik auf S. 135 ff.; Zech, Information als Schutzgegenstand, 2012, 117 ff., 312 ff. 89

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worfen wurde die Frage, ob der Schutz klassischer urheberrechtlicher Werke (etwa eines autobiografischen Romans) neben dem Urheberrecht auch durch das Datenschutzrecht vollzogen wird und in welchem Verhältnis diese Rechtsgebiete insoweit stehen. Voraussetzung dafür, dass KI-Entwickler über das Datenschutzrecht eine verwertbare Rechtsposition hinsichtlich des KI-Outputs erhalten, ist jedoch, dass überhaupt personenbezogene Daten vorliegen. aa) Rückbindung an personalen Gehalt: Personenbezogenes Datum Wie gesehen müsste dafür nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO dem KI-Werk eine Aussage über einen oder mehrere identifizierbare Entwickler zu entnehmen sein. Dieser Personenbezug kann verschiedene Dimensionen umfassen: eine Inhaltsdimension (Aussage direkt zur Person); eine Zweckdimension (bestimmte Behandlung oder Beurteilung der Person); oder auch eine Ergebnisdimension (Konsequenzen für die Rechte oder Interessen der Person).90 Gerade diese Rückbindung an einen personalen Gehalt, und nicht an einen natürlichen Gegenstand oder auch an eine Maschine, vermittelt de lege lata die Anwendbarkeit des sekundären unionalen Datenschutzrechts. bb) Personenbezug bei KI-Werken Anders als bei KI-Trainingsdaten fehlt es jedoch bei KI-Werken regelmäßig an einem Personenbezug des Inhalts, jedenfalls mit Blick auf die KIEntwickler.91 Denn der Output (zum Beispiel der Finanzratgeber) trifft typischerweise keine unmittelbar auf die technischen „Schöpfer“ gerichtete Aussage. Der Inhalt ist nicht einmal direktes gedankliches Produkt der Entwickler. Daher scheidet die Anwendung der DS-GVO auf das KIProdukt jedenfalls hinsichtlich der KI-Entwickler regelmäßig aus, sodass diese aus dem Datenschutzrecht keine Verwertungsmöglichkeit ableiten können. Anders kann es lediglich dann einmal liegen, wenn z.B. eine KI die „Memoiren“ einer Person verfasst. Dann wird ein Personenbezug mit Blick auf diese Person vorliegen, sodass ihr – wiederum jedoch nicht den KIEntwicklern – daraus eine gewisse Verwertungsmöglichkeit erwächst.

90 EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – Rs. C-434/16 (Nowak) – Rn. 35; Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 4/2007 zum Begriff „personenbezogene Daten“, WP 136, 2007, 11–13. 91 Das Werk kann natürlich personenbezogene Aussagen, und damit Daten, über andere Personen beinhalten, dazu sogleich.

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b) Urheberrecht Erstellt das KI-Modell jedoch einen Text oder ein Werk der bildenden Kunst, das, wäre es von einem Menschen geschaffen, die nötige Schöpfungshöhe erreichte, um als persönliche geistige Schöpfung nach § 2 Abs. 2 UrhG angesehen zu werden, so ist ein Schutz des KI-Outputs über das Urheberrecht zumindest denkbar. Das US-amerikanische Patent and Trademark Office hat zum Beispiel Ende 2019 eine öffentliche Anhörung zu dieser Frage gestartet.92 Ob ein solcher Schutz jedoch gewährt werden kann, wird gegenwärtig in der nationalen wie auch internationalen Literatur kontrovers diskutiert. Er entscheidet maßgeblich über die Anreize zur Entwicklung derartiger Modelle. aa) Rückbindung an personalen Gehalt: Schutz der persönlich geistigen Schöpfung Wie im Datenschutzrecht auch ist nach geltendem deutschen Urheberrecht die Rückbindung eines Werks an einen personalen Gehalt, in diesem Fall eine kreative Schöpfungsleistung, an sich unabdingbare Schutzvoraussetzung: Schutzfähig sind nach § 2 Abs. 2 UrhG nur persönliche geistige Schöpfungen. Nach hergebrachter Doktrin umfasst dies lediglich menschliche kognitive Leistungen.93 Maschinen, wie etwa Computer, können lediglich Werkzeuge des Menschen darstellen;94 nichtsdestoweniger muss ein signifikanter humaner Schöpfungsakt dem Werk innewohnen.95 Unabweislich ist jedoch zugleich, dass die Anforderungen an die Schöpfungshöhe durch die Rechtsprechung über die Jahre nachgerade dramatisch reduziert wurden. Geschützt werden bekanntlich nicht nur die Finalisten des Deutschen Buchpreises, sondern auch Werke der sogenannten „kleinen Münze“,96 etwa in Form von Bedienungsanleitungen,97 Dienstanweisungen in Krankenhäusern,98 Fonds-Prospekten99 oder eben besonders individuell verfasste Finanzratgeber. Diese Entwicklung ist in erheblichem Umfang 92

Federal Register, Vol. 84, No. 210, Wednesday, October 30, 2019, S. 58141. Für das deutsche Recht Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 7 Rn. 2; für das europäische Recht de Cock Buning, 7 European Journal of Risk Regulation 310, 314 (2016). 94 Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 7 Rn. 2. 95 Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 1 Rn. 23; BGH GRUR 1953, 299, 301: individuelle geistige Prägung. 96 BGH GRUR 1991, 533, 534 – Brown Girl II (zu Musikwerken); BGH GRUR 2014, 175 Rn. 26 – Geburtstagszug (zu Werken der angewandten Kunst). 97 BGH GRUR 1993, 34, 36 – Bedienungsanweisung. 98 OLG Nürnberg GRUR-RR 2001, 225, 226 f. 99 LG München I ZUM-RD 2007, 435, 437: schöpferische Leistung durch die „Sammlung, Einteilung und Anordnung des Stoffes als auch [durch die] sprachlichen Vermittlung eines komplexen technischen Sachverhaltes“. 93

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unionsrechtlich vorgegeben:100 Im insoweit determinierten Bereich101 (z.B. Computerprogramme,102 Datenbanken,103 Fotografien104) genügt grundsätzlich der Ausdruck einer „eigenen geistigen Schöpfung“,105 die nur eine geringe Schöpfungshöhe voraussetzt.106 bb) Schutz von KI-Werken de lege lata Nach wie vor umstritten ist, wie sich diese Kriterien auf KI-Werke wie etwa den durch ein algorithmisches Modell geschaffenen Finanzratgeber anwenden lassen.107 Klar ist hier lediglich, dass zwischen dem immaterialgüterrechtlichen Schutz des KI-Modells selbst108 und dem Schutz des Ergebnisses der Anwendung des KI-Modells streng unterschieden werden muss. In der internationalen Literatur werden zu letzterer Fragestellung bislang zwei verschiedene Ansätze vertreten, welche die unterschiedlichen Fundamentalpositionen im Urheberrecht widerspiegeln.109 Die im deutschen Schrifttum klar herrschende Strömung geht davon aus, dass die Schutzvoraussetzungen von § 2 Abs. 2 UrhG de lege lata nur erfüllt sein können, wenn der schöpferische KI-Output auf einen hinreichend konkreten menschlichen Input zurückgeführt werden kann,110 das KI-Modell mithin insoweit lediglich als schwach autonomes Werkzeug fungiert.111 Denn auch

100

Siehe nur Metzger, GRUR 2012, 118, 121 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2001, 225,

227. 101 Über die Reichweite des unionsrechtlichen Werkbegriffs besteht anhaltender Streit, siehe etwa Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 1 Rn. 22; nunmehr grundlegend EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 33 – Levola/Smilde; dazu kritisch Schack, GRUR 2019, 75. 102 Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 91/250/EWG, zuletzt kodifiziert als Richtlinie 2009/24/ EG. 103 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/9/EG. 104 Art. 6 der Richtlinie 2006/116/EG. 105 EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 35–37 – Levola/Smilde. 106 Siehe nochmals EuGH, Urt. v. 16.7.2009 – Rs. C-5/08 (Infopaq) – Rn. 51. 107 Zum Schutz durch das sui generis-Datenbankrecht der §§ 87a ff. UrhG siehe Hetmank/Lauber-Rönsberg, GRUR 2018, 574, 578 f. 108 Dazu etwa Hartmann/Prinz, WRP 2018, 1431; Ehinger/Stiemerling, CR 2018, 761. 109 Zu diesen Positionen deontologischer und utilitaristischer Rechtfertigung etwa Hansen, Warum Urheberrecht?, 2009, 87 ff., 106 ff.; Ohly in: Depenheuer/Peifer (Hrsg.), Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel?, 2008, 140, 142 ff. 110 Ory/Sorge, NJW 2019, 710, 711; Gomille, JZ 2019, 969, 972 ff.; Hetmank/LauberRönsberg, GRUR 2018, 574, 577; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 2 Rn. 8; Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 5. Aufl. 2019, § 2 Rn. 16, § 7 Rn. 15; Denga, KI im Kontext des IoT, in: Bräutigam/Kraul (Hrsg.), Internet of Things (erscheint 2020), Teil D.II.2.a)cc). 111 Ahlberg, in: BeckOK UrhR, 26. Ed. 2018, § 2 UrhG Rn. 55; Gomille, JZ 2019, 969, 972 f.; weitergehend Lauber-Rönsberg, GRUR 2019, 244, 247: Zuordnung zu menschli-

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Art. 2 der InfoSoc-RL112 spricht immerhin von einer Person als Urheber.113 Dies entspricht dem kontinentaleuropäischen Verständnis eines Urheberrechts mit starker urheberrechtspersönlicher Komponente, das gerade den personalen Bezug betont (droit d’auteur).114 Dem steht der angelsächsische copyright-Ansatz entgegen, der stärker als der droit d’auteur-Gedanke den Investitionsschutz und damit die Anreizwirkung der urheberrechtlich gewährten Rechtsposition betont.115 Auch hier bestehen jedoch mit Blick auf KI-Werke erhebliche Binnenunterschiede. So ist nach dem Recht einiger diesem Rechtskreis angehöriger Staaten116 (z.B. nach Section 9(3) des britischen Copyright, Designs and Patents Act 1988) bei einem rein computergenerierten Werk diejenige Person als Urheber anzusehen, welche die „arrangements necessary for the creation of the work“ vorgenommen hat.117 Zwar muss auch nach diesen Vorschriften ein computergeneriertes Werk einen schutzfähigen Inhalt (inklusive Schöpfungshöhe) nach dem jeweiligen Recht haben;118 grundsätzlich ist der Schutz jedoch möglich. Das US-amerikanische Recht hingegen verlangt nach § 102(a) Copyright Act „original works of authorship“, ohne ausdrücklich rein computergenerierte Werke zu thematisieren. Insoweit wird im USamerikanischen Schrifttum die Urheberrechtsfähigkeit von KI-Werken teilweise wegen der geringen Originalitätsschwelle bejaht,119 teilweise aber auch abgelehnt.120 Das US Copyright Office jedenfalls fordert explizit eine menschliche Autorschaft.121 Im Schrifttum fußt diese Wertung maßgeblich darauf, dass die Schaffung von KI-Werken aufgrund ihrer grundsätzlichen chem Schöpfer aufgrund wertender Gesamtwürdigung auch bei stärker autonomen Systemen möglich. 112 Richtlinie 2001/29/EG. 113 Ory/Sorge, NJW 2019, 710, 711. 114 Siehe dazu etwa Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 115 ff.; Oberndörfer, Die philosophische Grundlage des Urheberrechts, 2005. 115 Siehe die Nachweise in Fn. 89. 116 Neben UK noch Irland, Hongkong, Neuseeland, Südafrika und Indien, siehe Denicola, Ex Machina: Copyright Protection for Computer Generated Works, 69 Rutgers UL Rev. 251, 282 Fn. 193 (2016). 117 Siehe dazu etwa Bonadio/McDonagh/Arvidsson, 9 European Journal of Risk Regulation 655, 669 f. (2018). 118 § 1(1) Copyright, Designs and Patents Act 1988; Dorotheou, 21 Computer and Telecommunications Law Review 85, 86 (2015); Aplin/Pasqualetto, in: Ballardini et al. (Hrsg.), Regulating Industrial Internet Through IPR, Data Protection and Competition Law, im Erscheinen, https://ssrn.com/abstract=3419481, unter „United Kingdom copyright law“; Fitzgerald/Seidenspinner, 3 Victoria UL & Just. J., 54 f. (2013). 119 Yu, 165 U Penn L Rev 1241, 1255 ff. (2017); Bridy, Stan Tech L Rev 1, 20, 24 (2012). 120 Mizrahi, Jack of All Trades, Master of None: Is Copyright Protection Justified for Robotic Faux-Riginality?, Working Paper, WeRobot 2019; Grimmelmann, 39 Colum J L & Arts 403 (2016). 121 Siehe etwa Compendium of US Copyright Office Practices, § 306 (last revised 09/29/ 2017): human authorship requirement.

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A-Intentionalität nicht im selben Maße wie die Schaffung von menschlichen Werken sozial erwünscht und daher eine urheberrechtlich vermittelte Anreizwirkung nicht erforderlich ist.122 cc) Schutz von KI-Werken de lege ferenda: ein Leistungsschutzrecht für wissensvermittelnde Werke Diese Argumente lassen sich aufnehmen für die Frage, ob ein Schutz von KI-Werken durch das Urheberrecht oder verwandte Schutzrechte de lege ferenda wünschenswert ist. (1) Ökonomische Anreize und sozialer Nutzen Allerdings ist bei KI-Werken genauer zu untersuchen, ob bestehende Schutzinstrumente (Softwareschutz;123 Datenbankschutz;124 Patentschutz125) für das das KI-Modell selbst oder sein Erzeugnis ausreichen.126 Dies erscheint jedoch deshalb zweifelhaft, weil jedenfalls der KI-Output (das Werk) zumeist127 nicht geschützt ist.128 Grundsätzlich sind jedoch ökonomische Anreize zur Produktion von KI-Werken ebenso wie bei klassischen Werken notwendig infolge der Nicht-Rivalität und reduzierten Exklusivität des veröffentlichten Werks:129 Ein durch KI verfasster Text ist z.B. genauso leicht kopierbar und durch Dritte nutzbar wie ein menschlich verfasster Text. Kann das Produkt jedoch nicht effizient vermarktet werden, dürfte regelmäßig auch ein etwaig bestehender Schutz des KI-Modells nur stark verminderte Anreize bieten, da dieses Modell seinen Wert typischerweise gerade aus dem Potenzial der Generierung und Verwertung des KI-Outputs gewinnt.

122 Siehe etwa Mizrahi, Jack of All Trades, Master of None: Is Copyright Protection Justified for Robotic Faux-Riginality?, Working Paper, WeRobot 2019; Craig/Kerr, The Death of the AI Author, Osgoode Legal Studies Research Paper, 2019, https://ssrn.com/abstract= 3374951. 123 Siehe (für künstliche neuronale Netze) Hartmann/Prinz, WRP 2018, 1431, 1433 ff.; Ehinger/Stiemerling, CR 2018, 761, 765 ff. 124 Ehinger/Stiemerling, CR 2018, 761, 768 ff.; Hartmann/Prinz, WRP 2018, 1431, 1437. 125 Dazu etwa Nägerl/Neuburger/Steinbach, GRUR 2019, 336; Ménière/Pihlajamaa, GRUR 2019, 332; EPO Guidelines for Examination, G II 3.3.1., https://www.epo.org/ law-practice/legal-texts/html/guidelines2018/e/g_ii_3_3_1.htm. 126 Vgl. Lauber-Rönsberg, GRUR 2019, 244, 252. 127 Entstehen können Leistungsschutzrechte für Tonträger, Lichtbilder und Presseerzeugnisse, Gomille, JZ 2019, 969, 974; Denga, KI im Kontext des IoT, in: Bräutigam/Kraul (Hrsg.), Internet of Things (erscheint 2020), Teil D.III.1. Diese decken jedoch nur einen kleinen Teil der möglichen KI-Werke ab. 128 Hetmank/Lauber-Rönsberg, GRUR 2018, 574, 578 f.; Borges, NJW 2018, 977, 978. 129 Siehe zu traditionellen Werken die Nachweise in Fn. 89.

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Insofern ist die Anerkennung eines urheberrechtlichen oder verwandten Schutzes sowohl aus Anreizgesichtspunkten grundsätzlich sinnvoll130 als auch dogmatisch vertretbar, sofern dasselbe Ergebnis Urheberrechtsschutz genösse, wäre es von einem Menschen geschaffen.131 Im Ergebnis käme dies der britischen Lösung gleich.132 Allerdings sollten Anreize zur Produktion von KI-Werken nur dort gesetzt werden, wo diese wirklich einen sozialen Mehrwert versprechen. Dies ist nach hier vertretener Auffassung durchaus nicht bei allen Werkkategorien der Fall. So erscheint eine Gleichstellung von menschlichen und KI-Werken im Fall der genuinen Kunst (etwa gehobene Literatur, bildende Kunst, Musik) nicht erstrebenswert.133 Gerade weil bereits jetzt KI-basierte und menschliche Kunst von Laien nicht mehr zuverlässig unterschieden werden kann,134 besteht die konkrete Gefahr der Verdrängung genuin menschlicher Kreativität. Dies ist unter keinem Gesichtspunkt wünschenswert. Denn allen postmodernen Unkenrufen zum Tod des Autors135 zum Trotz kommt der Erschaffung derartiger Werke durch menschliche Urheber der entscheidende Vorzug zu, dass sie, dezidiert oder subtil, eine intellektuelle (zum Beispiel politische oder ästhetische) Position beziehen. Diese Intentionalität und Vermittlung einer diskursiven Haltung fehlt maschinell erzeugten Werken gerade.136 Sie eignen sich daher nicht in gleichem Maße zur Generierung eines sozialen Diskurses. Die anthropozentrische Ausrichtung des Urheberrechts, als dezidiert protektionistische Maßnahme zum Schutze menschlicher Kreativität und Urheber, erscheint insofern gerechtfertigt. Gänzlich anders fällt die Abwägung jedoch aus bei belehrenden, wissensvermittelnden Werken wie dem Beispiel des Finanzratgebers oder der Abhandlung „im Stil von Klaus J. Hopt“, bei Sachbüchern, wissenschaftlichen und didaktischen Werken oder Gebrauchsanweisungen.137 Dem Schwer130 Dorotheou, 21 Computer and Telecommunications Law Review 85, 87 (2015); vgl. auch die Diskussion bei Hetmank/Lauber-Rönsberg, GRUR 2018, 574, 579 f.; im Ergebnis ablehnend Gomille, JZ 2019, 969, 974 f.; Yu, 165 U Penn L Rev 1241, 1263 ff. (2017). 131 Siehe für diese Einschränkung Gomille, JZ 2019, 969, 974 f. 132 Siehe oben, Text bei Fn. 118; für deren globale Ausdehnung auch Guadamuz, Intellectual Property Quarterly 2017, 169, 186. 133 Vgl. Zatarain, 31 International Review of Law, Computers & Technology 91, 102 (2017). 134 Elgammal et al., CAN: Creative Adversarial Networks Generating Art by Learning About Styles and Deviating from Style Norms, Working Paper 2017, https://arxiv.org/ abs/1706.07068, 13 ff. 135 Grundlegend Barthes, La mort de l’auteur, 5 Manteia 12 (1968). 136 Siehe nochmals Mizrahi, Jack of All Trades, Master of None: Is Copyright Protection Justified for Robotic Faux-Riginality?, Working Paper, WeRobot 2019; Craig/Kerr, The Death of the AI Author, Osgoode Legal Studies Research Paper, 2019, https://ssrn. com/abstract=3374951. 137 Einen Schutz ebenfalls erwägend, allerdings für Werke der kleinen Münze allgemein, Lauber-Rönsberg, GRUR 2019, 244, 252.

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punkt nach geht es hier um die Schaffung und Vermittlung von Wissen, einem gerade in rohstoffarmen Gesellschaften immer wichtiger werdenden Gut. Daher ist nicht ersichtlich, weshalb nicht maximale Anreize zur möglichst effizienten Generierung und Transferierung von Wissen gesetzt werden sollten. Da immer nur die konkrete, neuartige Ausdrucksform, nicht aber das Wissen selbst geschützt wird, droht auch kein innovationsfeindliches Wissensmonopol mit Unternutzung der Wissensressource.138 Vielmehr sollten hier KI-Werke und menschlich erzeugte Werke in einen Wettbewerb treten, bei dem auch in rechtlicher Hinsicht ein level playing field herrscht. Eine Grauzone nehmen schließlich Werke der kleinen Münze ein, die nicht wissensvermittelnden Charakter haben (etwa Popsongs). Hier stellt es letztlich eine politische Entscheidung dar, inwiefern menschliche Urheber gegenüber maschineller Produktion geschützt werden sollen. Jedenfalls im Bereich wissensvermittelnder Werke ist daher eine Rückbindung an menschliche Intervention gänzlich verzichtbar. Dies stellt sich letztlich als konsequente Fortsetzung der, bei Werken der kleinen Münze begonnenen, Reduzierung des Eigenwerts kreativer Schöpfung und des Rückbezugs auf den menschlichen Genius unter den Bedingungen maschinellen Lernens dar. Ausgestaltet werden sollte ein derartiges Schutzrecht als sui generis-Leistungsschutzrecht, das lediglich Vermögensrechte, nicht jedoch Persönlichkeitsrechte umfasst.139 So lassen sich auch Friktionen mit dem europäisierten Werkbegriff des Urheberrechts vermeiden.140 (2) Folgefragen Für ein derartiges Leistungsschutzrecht stellen sich eine Reihe von Folgefragen, die hier jedoch nur angerissen werden können. Das erste und zugleich gravierendste Problem des hier unterbreiteten Vorschlags besteht sicherlich in der Abgrenzung zwischen vom Schutzbereich umfassten belehrenden und sonstigen, nicht geschützten KI-Werken.141 Hier wird man, wie bei anderen Rechtsfragen auch (vgl. Art. 5 Abs. 3 GG142), mit einer Schwerpunktsetzung operieren müssen. Zweitens muss entschieden werden, welcher natürlichen oder juristischen Person das Recht zugeordnet werden soll (Programmierer, Anwender oder Investor).143 Drittens muss der Umgang 138

Zu dieser Gefahr allgemein etwa Hansen, Warum Urheberrecht?, 2009, 132 f. So auch de Cock Buning, 7 European Journal of Risk Regulation 310, 321 (2016). 140 Vgl. Guadamuz, Intellectual Property Quarterly 2017, 169, 178 f. 141 Vgl. zur Schwierigkeit der Unterscheidung großer Werke von jenen der kleinen Münze Ohly in: Depenheuer/Peifer (Hrsg.), Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel?, 2008, 140, 151. 142 Siehe etwa Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 87. EL März 2019, Art. 5 Abs. 3 Rn. 22 ff. (zum Kunstbegriff) und 85 ff. (zum Wissenschaftsbegriff). 143 Bridy, Stan Tech L Rev 1, 21 ff. (2012); Dorotheou, 21 Computer and Telecommunications Law Review 85, 88 ff. (2015); Yu, 165 U Penn L Rev 1241, 1257 ff. (2017); 139

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mit maschinell arbeitenden Trollen geklärt werden, die Werke in größtmöglichem Umfang lediglich produzieren, um bei Verletzung ihrer Rechte Schadensersatz zu fordern. So hatte sich das russische Unternehmen Qentis bereits vor einigen Jahren zum Ziel gesetzt, praktisch alle produzierbaren Texte mit weniger als 400 Worten in mehreren Sprachen zu generieren, um dann Lizenzgebühren von künftigen Autoren einzufordern.144 Dieser Anspruch scheitert zwar bei unabhängiger Doppelschöpfung und damit praktisch immer bei einer Schöpfung ohne Bezug auf die maschinengenerierte Textbibliothek.145 Nichtsdestoweniger erscheint es sinnvoll, ein rein maschinenbasiertes Leistungsschutzrecht auszuschließen, wenn keine eigene aktive Verwertung und Vermarktung des Inhalts erfolgt (Benutzungszwang), um Trollen hier bereits die Möglichkeit einer Drohkulisse weitest möglich vorzuenthalten. Insgesamt ist damit der (europäische) Gesetzgeber gefordert. In rechtspolitischer Hinsicht jedenfalls würde die Umsetzung des hier vorgeschlagenen Leistungsschutzrechts der Nivellierung des Schutzes von genuiner Kunst und kleiner Münze entgegenwirken und zwischen genuin künstlerischen und eher informativ-belehrenden Werkkategorien wieder stärker trennen.146 Der Vormarsch maschinellen Lernens mag insoweit zu einer Rückbesinnung auf das Potenzial genuin menschlicher künstlerischer Schöpfung führen – jedenfalls bis dereinst die artificial general intelligence147 den Kunstmarkt erobert.

III. Zusammenfassung Der Beitrag unternimmt den Versuch, mit dem Finanzmarkt, der Datenverarbeitung und dem Kunstgeschehen wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Interessengebiete des Jubilars zusammenzubringen, die unter dem Eindruck des zunehmenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz auch unter Gesichtspunkten der Marktordnung eine stärker integrierte Betrachtungsweise verdienen. Wenn heutzutage Modelle maschinellen Lernens eingesetzt werden, um persönliche Anlagestrategien zu entwerfen,

Guadamuz, Intellectual Property Quarterly 2017, 169, 176 f.; Borges, NJW 2018, 977, 978; Lauber-Rönsberg, GRUR 2019, 244, 249. 144 Vgl. Schafer et al., 23 Artificial Intelligence and Law 217, 225 f. (2015). 145 Schafer et al., 23 Artificial Intelligence and Law 217, 225 (2015); Asay, Independent Creation in a World of AI, Florida International University Law Review (forthcoming 2020), https://ssrn.com/abstract=3485066. 146 Vgl. insoweit auch Ohly in: Depenheuer/Peifer (Hrsg.), Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel?, 2008, 140, 150 f. 147 Dazu etwa Wang/Goertzel (Hrsg.), Theoretical Foundations of Artificial General Intelligence, 2012.

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kann sich die Diskussion des rechtlichen Ordnungsrahmens nicht auf das Kapitalmarktrecht beschränken, sondern muss zugleich das Datenschutzrecht und das Immaterialgüterrecht, hier besonders das Urheberrecht, mit in den Blick nehmen. Der Beitrag zeigt daher anhand dreier spezifischer Problembereiche auf, inwiefern kapitalmarktrechtliche bzw. allgemein wirtschaftsrechtliche Strukturen und Grundsätze zunehmend auch im Datenschutzrecht und Urheberrecht zu finden sind oder auf diese Gebiete übertragen werden könnten. So wird erstens die Frage des anwendbaren Rechts mittlerweile zunehmend auch im Datenschutzrecht nach dem Marktortprinzip beantwortet. Im Urheberrecht regiert hingegen nach wie vor das Schutzlandprinzip, das mit dem Marktortprinzip häufig, jedoch nicht notwendig übereinstimmt, was gerade bei der internationalen Erbringung von KI-Angeboten zu Schutzlücken führen kann. Hier ist das Datenschutzrecht dem Urheberrecht mithin einen Schritt voraus. Umgekehrt stellt sich zweitens die Möglichkeit der Nutzung personenbezogener Daten und urheberrechtlich geschützter Werke zu Zwecken des KI-Trainings als potentielle Haftungsfalle für KI-Entwickler dar, die lediglich im Urheberrecht nunmehr durch die Schrankenregelung der neuen DSM-RL überzeugend ausgeräumt wird, nicht jedoch im Datenschutzrecht. Insofern bietet sich gerade im Datenschutzrecht die Übertragung des aus dem Kapitalmarktrecht bekannten Lamfalussy-Verfahrens zur schnellen und rechtssicheren Operationalisierung der dort notwendigen Abwägungsprozesse an.148 Drittens zeigt sich hinsichtlich des Schutzes der KI-Erzeugnisse, etwa von maschinell erzeugten Kunstwerken oder Finanzratgebern, dass in Deutschland, aber auch international, häufig kein urheberrechtlicher Schutzmechanismus greift. Soweit es um innovative Formen der Wissensgenerierung und Wissensvermittlung geht, bietet sich de lege ferenda die Schaffung eines neuen Leistungsschutzrechts für solche Werke an, die den urheberrechtlichen Schutz nur deshalb nicht erlangen, weil sie primär maschinell und nicht menschlich erzeugt sind. Ein kulturell fundiertes Freihaltebedürfnis besteht jedoch hinsichtlich maschinell erzeugter Kunstwerke; hier ist ein immaterialgüterrechtlicher Schutz abzulehnen, jedenfalls solange keine umfassend intelligenten maschinellen Akteure (artificial general intellligence) schöpferisch tätig werden. Der Siegeszug künstlicher Intelligenz führt insoweit auch zu einer Rückbesinnung auf das Potenzial genuin menschlicher Kreativität. Im Einzelnen besteht in diesen Bereichen jedoch noch erheblicher Forschung- und Diskussionsbedarf. Man darf jedenfalls gewiss sein, dass der Jubilar, nicht zuletzt dank seiner ausgeprägten Kunstaffinität, diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen und kritisch begleiten wird.

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Siehe nun auch Hacker, NJW (im Erscheinen).

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Compliance und Einheit der Rechtsordnung Stephan Harbarth

Compliance und Einheit der Rechtsordnung* STEPHAN HARBARTH

I. Einführung Compliance-bezogene Fragestellungen prägen seit vielen Jahren nicht nur die gesellschaftsrechtliche Diskussion. Die rasante Entwicklung des Bereichs der Compliance ist eine nicht versiegende Quelle anspruchsvoller juristischer Fragestellungen in unterschiedlichen Rechtsgebieten. Die Dynamik dieser Entwicklung in unterschiedlichen Teilrechtsordnungen verursacht Normenkollisionen und normative Spannungslagen. Wie ein am Ziel der Einheit der Rechtsordnung ausgerichteter rechtlicher Rahmen hierauf reagieren sollte, soll im Folgenden in den Blick genommen werden. Diesen Versuch in einer Festschrift zu Ehren von Klaus Hopt zu unternehmen, liegt deshalb nahe, weil sich der Jubilar nicht nur selbst wissenschaftlich mit Fragen der Compliance befasst hat,1 sondern weil er sich seit Jahrzehnten mit Weitblick zahlreichen neuen rechtswissenschaftlichen Entwicklungen zuwendet und sie vielfach in ihrer Entstehungsphase prägend beeinflusst.2

II. Problemfelder Die Problematik Compliance-bezogener Normenwidersprüche oder normativer Spannungsverhältnisse, die in grenzüberschreitenden Sachverhalten bei Maßgeblichkeit unterschiedlicher Rechtsordnungen eine weitere Verschärfung erfährt, soll für den innerstaatlichen Bereich anhand einiger typischer Konstellationen herausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck soll zunächst auf das Verhältnis von kartellrechtlicher Vertraulichkeit und Unternehmenspublizität (dazu 1.), auf den Fragenkreis von Auskunftspflicht und Selbstbelastungsfreiheit (dazu 2.) und sodann knapp auf weitere Problemfelder (dazu 3.) eingegangen werden.

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Herrn Richter am Amtsgericht Dr. Benjamin Mayer und Herrn Richter am Landgericht Dr. Christian Schmollinger sei für wertvolle Anregungen gedankt. 1 Vgl. etwa Hopt/Roth, in: Großkomm. z. AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 Rdn. 182 ff. 2 Vgl. etwa Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975.

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1. Kartellrechtliche Vertraulichkeit und Unternehmenspublizität Erkennt ein Unternehmen einen möglichen Kartellrechtsverstoß, ist zu entscheiden, ob bei den Kartellbehörden ein Kronzeugenantrag gestellt werden soll. Eine allgemeine Rechtspflicht zur Stellung eines solchen Antrags besteht zwar nicht.3 Die Möglichkeit des Erlasses oder der Reduzierung eines hohen Bußgelds ist jedoch ein gewichtiger, für einen solchen Kronzeugenantrag sprechender Gesichtspunkt. Mit der Stellung des Antrags geht ein Geheimhaltungsgebot einher.4 Die europäische Kronzeugenregelung5 formuliert als Voraussetzung für den Erlass der Geldbuße, dass das Unternehmen „solange nichts über die Stellung und den Inhalt des Antrags auf Geldbußenerlass offenlegt, bis die Kommission ihre Beschwerdepunkte in der Sache mitgeteilt hat, sofern nichts Anderes vereinbart wurde“ (Rn. (12) (a) 5. Gedankenstrich). Nach der Bonusregelung des Bundeskartellamts6 ist der Antragsteller verpflichtet, die Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt vertraulich zu behandeln, bis das Bundeskartellamt ihn von dieser Verpflichtung entbindet. Darin ist ein Spannungs- und Konfliktverhältnis zu zahlreichen Publizitätsnormen des Handels-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts (§§ 264, 289, 325 HGB, §§ 131, 145, 293a AktG, § 51a GmbHG, § 8 UmwG, Art. 17 Marktmissbrauchsverordnung (MMVO)7, Art. 3, 6, 16 Prospekt-Verordnung (ProspektVO)8) angelegt, die Unternehmen zur Offenlegung unternehmensrelevanter Tatsachen verpflichten.9 Gelangt ein Unternehmen nach interner Prüfung zur Bejahung eines möglichen Kartellrechtsverstoßes und bezich3

Vgl. Dreher, ZWeR 2009, 397, 401 f. Das Vertraulichkeitsgebot nach der europäischen Kronzeugenregelung (Rn. 12 (c)) setzt bereits an, wenn das Unternehmen die Stellung eines Kronzeugenantrags in Erwägung zieht (siehe Dreher, WuW 2010, 731, 732). 5 Mitteilung der EU-Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. C 298 vom 8.12.2006, S. 17 ff. 6 Rn. 9 der Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7. März 2006 (abrufbar unter https:// www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Bekanntmachungen/Bekanntma chung%20-%20Bonusregelung.html;jsessionid=7CF4F31D236B0AF642E838E9493AA F1E.2_cid387?nn=4136556, abgerufen am 17.12.2019). 7 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1 ff. 8 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. L 168 vom 30.6.2017, S. 12 ff. 9 Ausführlich zu den einzelnen Publizitätsnormen Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 47–155; grundlegend Merkt, Unternehmenspublizität, 2000. 4

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tigt es sich gegenüber der zuständigen Verfolgungsbehörde mittels des Kronzeugenantrags dieses Rechtsverstoßes, wird angesichts der damit deutlich wahrscheinlicher gewordenen negativen wirtschaftlichen Folgen (Bußgeld,10 private Schadensersatzklagen (vgl. § 33e GWB), Umsatz- und Gewinnrückgänge infolge der Kartellbeendigung, Reputationsverluste, Rechtskosten etc.)11 regelmäßig der einschlägige Publizitätstatbestand erfüllt. Für die Ad-hoc-Publizität gelangen Dreher12 und Thelen13 in ihren Abhandlungen – insoweit – übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass spätestens die Stellung des Kronzeugenantrags die Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung auslöse.14 Ein solcher Normenwiderspruch15 zwischen kartellrechtlicher Vertraulichkeit und publizitätsrechtlicher Offenlegung kann nicht bestehen bleiben. Ist ein bestimmtes Verhalten – hier die Offenlegung – verboten (Kartellrecht) und gleichzeitig geboten (Publizitätsrecht), bedarf dies der Auflösung, weil für den Betroffenen nicht im Unklaren bleiben darf, welches Verhalten die Rechtsordnung von ihm verlangt.16 Auflösen lässt sich der Widerspruch, wenn die gesetzliche Publizitätsnorm eine Ausnahme-Klausel enthält, wonach die Offenlegung unterbleiben kann, wenn damit – die Formulierungen im Einzelnen divergieren – erhebliche Nachteile für das Unternehmen verbunden wären (vgl. §§ 131 Abs. 3 Nr. 1, 145 Abs. 4, 293a Abs. 2 AktG, § 51a Abs. 2 GmbHG, § 8 Abs. 2 UmwG, Art. 17 Abs. 4 MMVO, Art. 19 ProspektVO).17 Die kartellrechtlich geschaffene Interessenlage wird regelmäßig zum Eingreifen dieses Ausnahmetatbestandes führen, weil der in der Offenlegung liegende Verstoß gegen die kartellrechtliche Vertraulichkeitsverpflichtung dem Unternehmen die Chance nimmt, einen Bußgelderlass oder eine Bußgeldreduktion zu erhalten.18 Nicht alle Publizitätsnormen enthalten derartige Klauseln; beim Lagebericht (§ 289 HGB) und beim Halbjahresfinanzbericht (§ 115 WpHG) sucht man eine solche vergebens. Ob potentielle Gesetzesverstöße im Allgemeinen und die Stellung eines kartellrechtlichen Kronzeugenantrags im Besonderen 10

Vgl. zum Bußgeldrisiko trotz Kronzeugenantrags Dreher, WuW 2010, 731, 734. Näher zu den wirtschaftlichen Folgen einer aufgedeckten Kartellbeteiligung Dreher, WuW 2010, 731, 732 f. 12 Dreher, WuW 2010, 731, 732 ff. (zur alten Rechtslage unter Geltung des WpHG). 13 Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 70, 74 ff., 78 ff. 14 Zur Möglichkeit der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MMVO vgl. nachfolgend ebenfalls unter II. 1. 15 Zum Normenwiderspruch Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Aufl. 2018, S. 225 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 266 ff., 313. 16 Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Aufl. 2018, S. 226. 17 Siehe die umfassende Einzelanalyse bei Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 47–155. 18 Für die Ad-hoc-Publizität Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 87 ff., 95 sowie Dreher, WuW 2010, 731, 739, der zusätzlich das öffentliche Interesse an einer Geheimhaltung im Sinn einer erfolgreichen Kartellbekämpfung einfließen lassen möchte. 11

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in diese Berichte aufzunehmen sind, ist bislang – soweit ersichtlich – nicht eingehend erörtert worden. Ist aber in diesen Berichten auch auf Risiken (§§ 289 Abs. 1 Satz 4 HGB, 115 Abs. 4 WpHG) einzugehen und versteht man hierunter in einem weiten Sinne die Möglichkeit ungünstiger künftiger Entwicklungen,19 so liegt es angesichts der durch einen Kronzeugenantrag wahrscheinlicher gewordenen negativen Folgen jedenfalls im Ausgangspunkt nahe, ein Eingehen auf die kartellrechtliche Sachlage im Lage- und Halbjahresfinanzbericht zu verlangen.20 Da insoweit auch bei allgemein gehaltenen Angaben21 ein großes Risiko besteht, andere Kartellanten zu warnen und damit die kartellrechtlich geforderte Vertraulichkeit zu verletzen, stellt sich die Frage, ob der mögliche Normenwiderspruch zwischen kartellrechtlicher Vertraulichkeit und publizitätsrechtlicher Offenlegung beim Lagebericht durch eine analoge Anwendung gesetzlicher Schutzklauseln22 aufgelöst werden kann. Wenn – so wird allgemein für eine Analogie ins Feld geführt – § 286 HGB für den Anhang das Unterlassen bestimmter Angaben unter näher spezifizierten Voraussetzungen vorschreibe oder erlaube, wäre es wertungswidersprüchlich, wenn der Gesetzgeber für den Lagebericht die Veröffentlichung derselben Informationen anordnen würde.23 Andere halten eine Analogie nicht für zulässig; sie verneinen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke24 oder betonen den Ausnahmecharakter der Schutzund Befreiungsklauseln, die einer Analogie daher nicht zugänglich seien.25 Hommelhoff verweist mit beachtlichen Argumenten auf die abschließenden Vorgaben in der Bilanzrichtlinie, die für einen allgemeinen Diskretions19

Vgl. Lange, in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2008, § 289 Rn. 84 m.w.N. Vgl. auch § 115 Abs. 4 Satz 1 WpHG, wonach im Halbjahresfinanzbericht auch die „wichtigsten Ereignisse des Berichtszeitraums“ anzugeben sind. 21 Vgl. zur Möglichkeit, die Berichterstattung im Lagebericht zur Vermeidung von Nachteilen für die Gesellschaft auf allgemeine Angaben zu beschränken, Palmes, in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009, S. 375, 401 ff.; Hommelhoff, in: GroßKomm-Bilanzrecht, 2002, § 289 Rn. 91; gegen die Zulässigkeit allgemein gehaltener Formulierungen im Lagebericht Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 67 f. 22 Ausführlich zum allgemeinen Streitstand Palmes, in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009, S. 375, 384 ff. sowie Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 64 ff. 23 Reittinger, in: von Wysocki/Schulze-Osterloh/Henrichs/Kuhner, Handbuch des Jahresabschlusses, 42. Ergänzungslieferung April 2008, IV 3 Rn. 2; Lange, BB 1999, 2447, 2451. 24 Siehe Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 67; Reittinger, in: von Wysocki/Schulze-Osterloh/ Henrichs/Kuhner, Handbuch des Jahresabschlusses, 42. Ergänzungslieferung April 2008, IV Rn. 23. 25 Siehe Palmes, in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009, S. 387; Lange, BB 1999, 2447, 2451. 20

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schutz keinen Raum ließen.26 Für den Halbjahresfinanzbericht (§ 115 WpHG) ist ein vergleichbarer Diskussionsstand nicht auszumachen. Eine Analogie hält Petsch hier nicht für möglich, weil der Gesetzgeber mit dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG) in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben die nach früherer Rechtslage (§ 40 Abs. 2 Satz 2 BörsG a. F. iVm. § 60 BörsZulV a.F.) bestehende Befreiungsmöglichkeit bewusst abgeschafft habe.27 Zur Auflösung des bei Lage- und Halbjahresfinanzbericht nicht auszuschließenden Normenwiderspruchs kann es demnach der Heranziehung allgemeiner Kollisionsregeln bedürfen. Handelt es sich bei der Kronzeugenmitteilung der Kommission und der entsprechenden Bekanntmachung des Bundeskartellamtes lediglich um verwaltungsinterne Regelungen zur Konkretisierung des der Behörde bei der Bußgeldverhängung eingeräumten Ermessens,28 so hat sich das in ihnen enthaltene kartellrechtliche Vertraulichkeitsgebot nach der allgemeinen lex superior-Regel gesetzlichen Offenlegungspflichten unterzuordnen.29 Der Normenwiderspruch ist damit zwar aufgelöst; betroffene Unternehmen wissen dann, dass sie die Erfüllung gesetzlicher Offenlegungspflichten ohne Ausnahmeklausel nicht unter Verweis auf kartellrechtliche Vertraulichkeitsgebote hintanstellen können. Der aufgelöste Normenwiderspruch kann jedoch – sofern man weder eine allgemein gehaltene, vertraulichkeitsunschädliche Offenlegung für möglich noch eine Analogie für zulässig hält – einen teleologischen Widerspruch hinterlassen, also einen solchen, bei dem der Gesetzgeber bestimmte Zwecke anstrebt, ohne aber die hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen.30 Die Rechtsordnung setzt – ein solches Normverständnis unterstellt – auf die Kronzeugenregelung zum Zwecke der effektiven Aufklärung und Bekämpfung von Kartellrechtsverstößen, gewährleistet die hierfür notwendige Vertraulichkeit in Form flächendeckender gesetzlicher Publizitätsausnahmenormen jedoch nicht.31 Aus diesem Grund kann der beschriebene Normenwiderspruch auch nicht einfach durch die Wahrnehmung der Möglich26

Hommelhoff, in: GroßKomm-Bilanzrecht, 2002, § 289 Rn. 87 ff. Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, 2012, S. 158. 28 Im Grundsatz unstreitig, siehe Dreher, WuW 2010, 731, 737 f.; Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 88; näher zur Rechtsnatur der Kronzeugen- und Bonusregelung Häfele, Private Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht und die Kronzeugenregelung, 2013, S. 115 ff. 29 Siehe Dreher, WuW 2010, 731, 737 f.; Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 88. 30 Zum teleologischen Widerspruch Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Aufl. 2018, S. 230; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 63. 31 Die Kartellbehörden sind auf Vertraulichkeit angewiesen, damit ihre Ermittlungen nicht durch das vorzeitige Bekanntwerden des Verfahrens gefährdet werden. Für Kartellanten sinkt der Anreiz zur Kooperation und Aufklärung, wenn sie mangels gesetzlicher Befreiungsnormen Gefahr laufen, entweder ihre Publizitätspflichten zu verletzen oder die Vorteile der Kronzeugenregelung zu verlieren. 27

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keit aufgelöst werden, von vornherein von der Stellung eines Kronzeugenantrags abzusehen. 2. Auskunftspflicht und Selbstbelastungsfreiheit Compliance-Pflichten begründen bei Verdacht eines Rechtsverstoßes eine Aufklärungsverantwortung.32 Dieser wird in der Praxis u.a. durch interne Ermittlungen, in deren Rahmen der Sachverhalt – häufig durch externe Rechtsanwälte – umfassend und systematisch aufgeklärt wird,33 Rechnung getragen. Interne Ermittlungen stellen grundsätzlich einen privatrechtlichen Vorgang dar.34 Auch bei der besonders bedeutsamen Befragung der Mitarbeiter begegnen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf privatrechtlicher Ebene. Der Konflikt zwischen dem Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers und dem Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers, für den in der Praxis häufig die Gefahr der Selbstbelastung mit einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit besteht,35 wird auf dieser Grundlage in der Regel zugunsten des Aufklärungsinteresses aufgelöst:36 Bezieht sich die vom Arbeitgeber verlangte Auskunft auf einen Umstand, der im Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers steht, bejaht die herrschende Meinung unter Heranziehung der §§ 675, 666 BGB eine uneingeschränkte Auskunftspflicht, die insbesondere nicht deshalb entfallen soll, weil für den Arbeitnehmer die Gefahr besteht, sich mit einer wahrheitsgemäßen Aussage einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen.37 Das staatliche, öffentlich-rechtlich geprägte Sanktionsverfahren (Bußgeldund Strafverfahren), das regelmäßig neben die zivilrechtliche Sachaufklärung 32

Siehe etwa Fleischer, NZG 2014, 321, 324, 326, 329 m.w.N. („Aufklären, Abstellen, Ahnden“). 33 Vgl. näher Buchert, Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht, 2017, S. 67 ff. 34 Vgl. Buchert, Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht, 2017, S. 111 ff., wonach bei unternehmensinternen Mitarbeiterbefragungen eine am Maßstab der StPO zu messende staatliche Maßnahme erst vorliegt, wenn die Strafverfolgungsbehörden derart inhaltlich auf die Befragung Einfluss nehmen, dass sie diese steuern und beherrschen. 35 Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität kann die Aufklärung von Rechtsverstößen häufig nur mithilfe derjenigen Personen erfolgen, die an dem Rechtsverstoß beteiligt waren. 36 Ausführlich zum arbeitsrechtlichen Streitstand und der Differenzierung nach verschiedenen schuldrechtlichen Auskunftspflichten Buchert, Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht, 2017, S. 191 ff. 37 Vgl. LAG Hamm, CCZ 2010, 237, 238; ArbG Saarlouis, ZIP 1984, 364; Mengel/ Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Böhm, WM 2009, 1923, 1924; Kottek, wistra 2017, 9 f.; Schrader/Thoms/Mahler, NZA 2018, 965, 969 f.; a.A. etwa Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853 (Interessen in jedem Einzelfall gegeneinander abzuwägen).

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tritt, löst den Konflikt zwischen Aufklärungsinteresse auf der einen und Schutz des Einzelnen auf der anderen Seite abweichend: Den Verfolgungsbehörden werden zwar weitgehende Eingriffsbefugnisse zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung eingeräumt. Mitwirkungspflichten treffen den Beschuldigten jedoch nicht; er darf zu den Vorwürfen schweigen und ist auch sonst nicht gehalten, aktiv an seiner Überführung mitzuwirken.38 In der Praxis sind zivilrechtliches und staatliches Aufklärungsverfahren eng miteinander verknüpft: freiwillig, wenn Unternehmen und Verfolgungsbehörden miteinander kooperieren,39 zwangsweise, wenn Verfolgungsbehörden die Arbeitsprodukte interner Ermittlungen beschlagnahmen. Einen solchen Zugriff lässt das Gesetz – im Zuge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen VW/Jones Day40 viel diskutiert41 – vor allem in einem frühen Stadium der Sachaufklärung oder bei Sachverhalten zu, bei denen zunächst lediglich das Fehlverhalten einzelner Personen unterhalb der Leitungsebene in Rede steht.42 Die Verknüpfung interner und externer Ermittlungen wirft eine Vielzahl von Fragen und Problemen auf.43 Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von arbeitsrechtlicher Auskunftspflicht und strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit. Soll nach letzterer niemand durch seine Aussage zu seiner eigenen strafrechtlichen Verfolgung beitragen müssen,44 droht diese Wertung unterlaufen zu werden, wenn die in Erfüllung der arbeitsrechtlichen Pflicht geleistete Auskunft in ein Strafverfahren transferiert und dort verwertet wird; über den (Um-)Weg des Arbeitsrechts leistet der betroffene Arbeitnehmer dann einen Beitrag zu seiner eigenen strafrechtlichen Verfolgung.45 Ob und falls ja auf welche Art und Weise dieser Wertungswiderspruch aufgelöst werden kann, ist Gegenstand einer breiten Debatte. Die wichtigsten Lö38 Siehe BGHSt (GrS) 42, 139, 151 f.; näher zu den einfach-rechtlichen Ausprägungen sowie den – im Einzelnen – umstrittenen Grundlagen der Selbstbelastungsfreiheit Kasiske, JuS 2014, 15 ff. 39 Auf Seiten der Unternehmen besteht ein wesentlicher Teil der Kooperation darin, den Verfolgungsbehörden die im Rahmen der internen Ermittlung erzeugten Unterlagen, insbesondere die Protokolle der Mitarbeiterbefragungen, zur Verfügung zu stellen. 40 BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17 –, juris. 41 Vgl. z.B. Momsen, NJW 2018, 2362 ff.; Knauer, NStZ 2019, 164 ff.; Baur, NZG 2018, 1092 ff. 42 Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17 –, juris, Rn. 72 ff.; Bauer, NZG 2018, 1092, 1095; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203, 205. 43 Vgl. Momsen/Grützner, DB 2011, 1792, 1794 ff. sowie nachfolgend unter II.3. 44 Vgl. BVerfGE 56, 37, 51; Kühne, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, Einl. Abschn. J Rn. 87. 45 Siehe Jahn, StV 2009, 41, 44; allgemeiner und pointiert Jahn/Budras, FAZ v. 18.5. 2010, S. 18: Durch private Ermittler würden die „ehernen Schutzregeln der Strafprozessordnung ausgetrickst“.

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sungsansätze, an denen sich zugleich die allgemeinen Modelle zur Abstimmung interner und externer Ermittlungen aufzeigen lassen, seien im Folgenden kurz erwähnt.46 Ein erstes mögliches Modell besteht darin, die für das Strafverfahren geltenden Normen auf das zivilrechtliche Aufklärungsverfahren zu übertragen47 und dem Arbeitnehmer im Falle der Selbstbelastungsgefahr ein Schweigerecht in Anwendung der strafverfahrensrechtlichen Normen zuzubilligen. Einer direkten Anwendung dieser Normen steht jedoch der auf staatliche Auskunftsverlangen beschränkte formelle Begriff der – das strafprozessuale Schweigerecht auslösenden – Vernehmung entgegen,48 einer analogen Anwendung der Zuschnitt der strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen auf die besondere Struktur des Strafverfahrens mit dem Beschuldigten in einer strukturell unterlegenen Position gegenüber den mit Zwangsbefugnissen ausgestatteten Strafverfolgungsbehörden.49 In sachlicher Hinsicht spricht gegen eine Schweigerechtslösung, dass damit zwar der Normenwiderspruch zwischen Auskunftspflicht und Selbstbelastungsfreiheit aufgelöst, die Diskrepanz zwischen dem Ziel des Gebots der Sachaufklärung und den hierfür zur Verfügung gestellten Mitteln jedoch verschärft wäre, weil ein Unternehmen seine Aufklärungspflichten bei Rechtsverstößen schwerlich gehörig erfüllen könnte, wenn ihm die Auskünfte derjenigen Mitarbeiter verwehrt blieben, die an dem Rechtsverstoß beteiligt waren; namentlich komplexe Wirtschaftsstraftaten lassen sich erfahrungsgemäß häufig nur mit dem Insiderwissen involvierter Mitarbeiter aufklären.50 Ein zweites Lösungsmodell setzt auf eine stärkere Trennung privater und staatlicher Aufklärung. Es lässt zwar die Verknüpfung interner und externer Ermittlungen bestehen, plädiert jedoch dafür, die in Erfüllung arbeitsrechtlicher Pflichten gemachten Angaben mit einem Verwertungsverbot für das Strafverfahren zu belegen.51 Methodisch stützt man sich auf eine analoge Anwendung von § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO, argumentativ auf die Gemeinschuld46

Instruktive Darstellung sämtlicher Lösungsansätze bei Greco/Caracas, NStZ 2015, 7,

8 ff. 47

Vgl. hierzu Momsen/Grützner, DB 2011, 1792 ff., die dies im Ergebnis jedoch ableh-

nen. 48 Siehe nur BGHSt (GrS) 42, 139, 145 f. (st. Rspr.) m.w.N., auch zu Gegenansichten im Schrifttum. 49 Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 263 f. mit zutreffendem Hinweis, dass die arbeitsrechtliche Konstellation damit – ungeachtet mancher Unterlegenheiten des Arbeitnehmers – nicht vergleichbar ist. 50 Siehe Buchert, Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht, 2017, S. 71 f., 81 f. 51 Böhm, WM 2009, 1923, 1927 f.; Kasiske, JuS 2014, 15, 19 f.; Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, 2012, S. 120 f.

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nerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts.52 Eine unbeschränkte Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners steht hiernach zwar nicht im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, jedoch würde „[d]as allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gemeinschuldners […] unverhältnismäßig beeinträchtigt, wenn seine unter Zwang herbeigeführten Selbstbezichtigungen gegen seinen Willen zweckentfremdet und der Verwertung für eine Strafverfolgung zugeführt würden.“53 Die Debatte um ein strafprozessuales Verwertungsverbot zirkuliert um die Frage, ob die privatrechtliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Rahmen einer internen Untersuchung mit der dem Gemeinschuldnerbeschluss zugrundeliegenden Konstellation einer gesetzlichen Auskunftspflicht in einem staatlichen Vollstreckungsverfahren hinreichend vergleichbar und das in Reaktion auf die Gemeinschuldnerentscheidung geschaffene Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO folglich einer entsprechenden Anwendung im Arbeitsrecht zugänglich ist.54 Ein überzeugendes und konsensfähiges Ergebnis hat diese Diskussion nicht hervorgebracht, weil es sich – worauf Greco/Caracas mit Recht hinweisen – als schwierig erweist, die generalisierbare Regel der Entscheidung herauszudestillieren.55 In der strafgerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls hat die auf den ersten Blick einsichtig klingende Behauptung einer Korrelation zwischen gesetzlicher Selbstbelastungspflicht und strafprozessualem Verwertungsverbot56 bislang kaum Widerhall gefunden.57 Entsprechend dürften in der strafrechtlichen Praxis die in Erfüllung arbeitsrechtlicher Pflichten geleisteten Auskünfte regelmäßig verwertet werden.58 Die Dichotomie zivilrechtlicher und staatlicher Sachaufklärung hat man im Schrifttum schließlich durch Konzeptionen einzuebnen versucht, nach denen das Eingreifen der strafprozessualen Schutzregeln – insbesondere von Beweisverboten – davon abhängig gemacht wird, ob sich die Strafverfolgungsbehörden das private Handeln im Rahmen der internen Untersuchung zurechnen lassen müssen.59 Mögen diese Konzeptionen auch dogmatisch an52

BVerfGE 56, 37 ff. BVerfGE 56, 37, 50. 54 Vgl. etwa Anders, wistra 2014, 329, 331; Böhm WM 2009, 1923, 1927 f.; Buchert, Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht, 2017, S. 200–242, alle m.w.N. 55 Greco/Caracas, NStZ 2015, 7, 12. 56 So etwa Dingeldey, NStZ 1984, 529, 532 f. 57 Vgl. etwa LG Hamburg NJW 2011, 942, 944: „eher fernliegend“. 58 Vgl. Gerst, CCZ 2012, 1, 3, der unter Bezugnahme auf BGH (GS) NStZ 1996, 502 ff. (= BGHSt 42, 139 – „Hörfalle“) darauf hinweist, dass der BGH „[e]ine horizontale Wirkung verfassungsrechtlich abgesicherter Verfahrensrechte […] bislang meist abgelehnt [habe]“ und dass deshalb „aus Verteidigerperspektive Vorsicht geboten“ sei. 59 Siehe etwa Anders, wistra 2014, 329, 333 f.; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7, 13 f.; Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, 2012, S. 161 ff. 53

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spruchs- und reizvoll sein, steht dennoch nicht zu erwarten, dass sie bei der rechtlichen Bewertung interner Ermittlungen praktische Wirksamkeit erlangen werden.60 Zum einen ist es bisher nicht gelungen, überzeugende, der Vielfalt möglicher Kooperationsformen zwischen Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden61 gerecht werdende Kriterien zu entwickeln, nach denen sich die Zurechnung richten soll.62 Zum anderen lagen die Fälle, in denen die Rechtsprechung bislang eine entsprechende Zurechnung angenommen hat,63 tatsächlich und in ihren maßgeblichen Wertungskriterien gänzlich anders: Das gezielte von den Ermittlungsbehörden veranlasste, das staatlich Aufklärungsinteresse verbergende Ausforschen des Beschuldigten durch eine Privatperson in einer Justizvollzugsanstalt64 oder mittels sog. Hörfalle65 lässt sich mit internen Ermittlungen schwerlich vergleichen. 3. Weitere Problembereiche Eine Vielzahl weiterer Problembereiche, in denen verschiedene Teilrechtsgebiete kollidierende Compliance-bezogene Pflichten stipulieren, lässt sich ausmachen. Einige seien erwähnt: – Dem die Compliance-Diskussion prägenden Legalitätsprinzip entspricht es, aufgedecktes rechtswidriges Handeln umgehend abzustellen.66 Demgegenüber sehen die kartellrechtlichen Kronzeugenregelungen die Möglichkeit vor, kartellrechtswidrige Handlungen auf Wunsch der Kartellbehörden im Interesse der Beweissicherung befristet fortzusetzen.67 Wie hier

60

Siehe Jahn, StV 2009, 41, 45. Zu den bestehenden Kooperationsmöglichkeiten Bittmann, in: Rotsch, Criminal Compliance, 2015, § 34 B. Rn. 131 ff. 62 Vgl. Buchert, Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht, 2017, S. 87, 93. Zu weit geht es jedenfalls, stets eine Zurechnung mit dem empirisch nicht belegten Argument anzunehmen, das private Handeln sei final auf die Weitergabe der Interviews an die Staatsanwaltschaft ausgerichtet, so aber Zerbes, ZStW 2013, 551, 559, 568 f., 572. 63 Insbesondere BGHSt 34, 362; 42, 139; 44, 129. 64 BGHSt 34, 362; 44, 129. 65 BGHSt 42, 139. 66 Siehe Fleischer, NZG 2014, 321, 322, 324, 329 („Aufklären, Abstellen, Ahnden“); Dreher, WuW 2010, 731, 733. 67 Vgl. Nr. (12) (b) der Mitteilung der EU-Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. C 298 vom 8.12.2006, S. 17 ff.; Rn. 7 der Bekanntmachung des Bundeskartellamts Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7. März 2006 (abrufbar unter https:// www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Bekanntmachungen/Bekanntma chung%20-%20Bonusregelung.html;jsessionid=7CF4F31D236B0AF642E838E9493AA F1E.2_cid387?nn=4136556, abgerufen am 17.12.2019). 61

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allgemeine Compliance-Pflichten und spezielle Kooperationsausprägungen in Einklang zu bringen sind, harrt der Klärung.68 Ebenfalls ungeklärt ist, wie lange das aus der kartellrechtlichen Vertraulichkeitsverpflichtung folgende Geheimhaltungsinteresse69 einen Aufschub gesetzlicher Offenlegungspflichten, namentlich bei der Ad-hocPublizität, rechtfertigt. Die europäische Kronzeugenregelung statuiert, dass so lange Geheimhaltung zu wahren ist, „bis die Kommission ihre Beschwerdepunkte in der Sache mitgeteilt hat, sofern nichts anderes vereinbart wurde“ (Rn. (12) (a) 5. Gedankenstrich). In der Praxis ist dies durchschnittlich erst zwei Jahre nach Aufnahme erster Ermittlungen der Fall.70 Sub specie Art. 17 Abs. 4 MMVO erscheint ein derart langer Aufschub der Ad-hoc-Publizität kapitalmarktrechtlich nicht gerechtfertigt.71 Ist ein Unternehmen zur Compliance-konformen Sachaufklärung auf die Angaben von Organmitgliedern angewiesen, stellt sich im Bereich des Gesellschaftsrechts auch für diesen Personenkreis die schwierige, vom Jubilar72 – seiner Zeit voraus – bereits früh thematisierte Frage des Verhältnisses von schuldrechtlicher Auskunftspflicht und strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit.73 Denn die höchstrichterliche Rechtsprechung legt es nahe, von einer uneingeschränkten Auskunftspflicht von Organmitgliedern auf der Grundlage von §§ 675, 666 BGB auszugehen.74 Verneint man die Befugnis des Arbeitnehmers, im Rahmen der Compliance-bezogenen Sachaufklärung einen Rechtsanwalt hinzuziehen und dessen Kosten auf den Arbeitgeber abzuwälzen, droht die spätere Wahrnehmung der Rechte aus §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 68b StPO ins Leere zu laufen.75 Diffizile Abstimmungsschwierigkeiten ergeben sich zudem aus dem möglichen Nebeneinander von Aufsichtsverfahren auf der einen und Bußgeld- bzw. Strafverfahren auf der anderen Seite. Die Konkurrenz der Verfahrensordnungen76 wirft Probleme auf, weil das Aufsichtsrecht den Betroffenen weitergehende Mitwirkungspflichten auferlegt als das von der 68

Für einen Vorrang der Legalitätspflicht Dreher, WuW 2010, 731, 733. Siehe oben unter II.1. 70 Siehe Dreher, WuW 2010, 731, 740. 71 Siehe Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 91 unter Hinweis auf das bei einem langen Aufschub bestehende hohe Risiko von Insiderhandel; ebenso Dreher, WuW 2010, 731, 739 f. (zur alten Rechtslage unter Geltung des WpHG). 72 Hopt, ZGR 2004, 1, 26 f. (im Rahmen der Problematik einer Pflicht, ungefragt zu offenbaren). 73 Erste Ansätze hierzu bei Harbarth, in: Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 215, 221 f. 74 Vgl. zur Auskunftspflicht des Geschäftsführers einer GmbH bzw. des Vorstandes einer AG nach Beendigung der Amtszeit BGH WM 1963, 161; BGH NZG 2008, 834. 75 Vgl. hierzu Momsen/Grützner, DB 2011, 1792, 1794 f. 76 Vgl. Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, 102. 69

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Selbstbelastungsfreiheit geprägte Sanktionsrecht.77 Hier muss normativ sichergestellt werden, dass diese Selbstbelastungsfreiheit aufsichtsrechtlich nicht unterlaufen wird, was etwa die Frage nach Beweisverwertungsverboten der im Aufsichtsverfahren erlangten Erkenntnisse evoziert.78 In diesen Kontext gehört auch die Streitfrage, ob das im Falle der Selbstbelastungsgefahr bestehende wertpapierhandelsrechtliche Auskunftsverweigerungsrecht (§ 6 Abs. 15 WpHG) in teleologischer Extension auf die Dokumentenvorlage erstreckt werden kann.79 – Ungeklärte Fragen bestehen auch im Hinblick auf die Rechtsstellung des Compliance-Officers. Für Aufregung hat hier das obiter dictum des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gesorgt, wonach den ComplianceBeauftragten regelmäßig eine strafrechtliche Garantenpflicht treffe, im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern.80 Dieser strafrechtlichen Inpflichtnahme hat man entgegengehalten, dass sie die arbeitsvertragliche Stellung sowie die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten des ComplianceOfficers nicht berücksichtige.81 – Dass sich die Rechtslage verkompliziert, wenn der Rechtsverstoß eine konzernweite Dimension oder einen grenzüberschreiten Bezug hat, liegt auf der Hand. So kann z.B. ein unterschiedlicher Beschlagnahmeschutz dazu führen, dass durch einen Zugriff der Strafverfolgungsbehörden eines Landes Tatsachen bekannt werden, die nach der Rechtsordnung eines anderen Landes geheim gehalten werden können.82

III. Compliance als Herausforderung für die Einheit der Rechtsordnung Wie die vorstehend aufgeführten Problemfelder exemplarisch belegen, zeigt sich im Bereich des Rechts der Compliance häufig eine disparate, uneinheitliche Rechtslage. In methodischer Hinsicht wirft dieser Befund Fragen zum Geltungsanspruch des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung auf. Die Klärung der Frage, ob und inwieweit der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung im Compliance-Bereich Normenwidersprüche aufzulösen vermag, ist auch deshalb schwierig, weil es sich sowohl bei der Einheit der Rechtsordnung als auch bei Compliance um „schillernde Begrif77 Vgl. zur Thematik die Monographien von Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, 2005 sowie Szesny, Finanzmarktaufsicht und Strafprozess, 2008. 78 Näher Altenhain, in: Kölner Komm. z. WpHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rn. 9 ff. 79 Hierzu m.w.N. zum Streitstand Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, 103. 80 Siehe BGHSt 54, 44 (Rn. 27). 81 Hier nur S. Frisch, EWiR 2010, 95, 96. 82 So Nietzsch, CCZ 2019, 49.

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fe“83 handelt. Beide haben in der juristischen Diskussion einen festen Platz eingenommen, ohne dass über ihre rechtstheoretische Eingrenzung abschließende Klarheit bestünde.84 Einheit der Rechtsordnung und Compliance sind beide vor dem Hintergrund einer gestiegenen Regelungsdichte der Gesamtrechtsordnung85 zu betrachten. Die „schiere Masse des positiven Rechts“ erschwert es, die Einheit des Rechts herzustellen.86 Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ist dabei als das methodische Bemühen zu verstehen, „Auseinanderstrebendes zusammenzuhalten“.87 Im Bereich der Compliance hat die Zunahme rechtlicher Vorgaben in vielen Bereichen des Rechts – gemeinsam mit einer verschärften Sanktionspraxis – die Regelbefolgung zu einer stärker ins Bewusstsein gelangten, schwierigen Aufgabe mit erheblicher Bedeutung in der Rechtspraxis werden lassen.88 Beeinflusst von der US-amerikanischen Rechtsentwicklung und in Deutschland beschleunigt insbesondere durch die Siemens-Korruptionsaffäre89 hat die Compliance-Diskussion eine Eigendynamik entfaltet, in deren Sog die hergebrachte Gliederung und damit auch Ordnung90 entlang der einzelnen Rechtsgebiete zunehmend aufgelöst und Sachfragen der sich zu einer eigenen juristischen Disziplin aufschwingenden „Compliance“ zugeordnet wurden. Als Anknüpfungspunkt fungiert das denkbar weite Kriterium des – zu vermeidenden, möglichen oder bereits begangenen – Rechtsverstoßes. Sachfragen erscheinen zunehmend weniger als gesellschafts-, arbeits- oder strafrechtliches Problem, sondern als ein solches aus dem Bereich „Compliance“. Dass es im Zuge dieses Prozesses zu Ungereimtheiten und Verwerfungen in und zwischen den hergebrachten Teilrechtsordnungen kommen kann, nimmt nicht wunder. In den Worten der berühmten Heidelberger Antrittsvorlesung von Engisch: „Die Dynamik ist der Keim von Widersprüchen.“91 Seine praktische Unterlegung und seinen maßgeblichen Aufschwung erfährt dieser Prozess durch die sich im Rahmen des akzentuierten Complian83 Für die Einheit der Rechtsordnung: H.-U. Paeffgen, in: Beiträge zur Rechtswissenschaft, FS Stree und Wessels, 1993, S. 587, 599; für die Compliance etwa Casper, in: Verbraucherschutz im Kreditgeschäft – Compliance in der Kreditwirtschaft (Bankrechtstag 2008), S. 139, 140. 84 Für die Compliance siehe Moosmayer, NJW 2012, 3013; für die Einheit der Rechtsordnung Felix Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 5 ff. mit umfassenden Nachweisen. 85 Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 3. 86 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 56 II (1) (S. 452 f.). 87 K. Schmidt, in: Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung?, 1994, S. 9, 28. 88 Vgl. nur Schneider, ZIP 2003, 645, 646. 89 Näher zur Entwicklung des Compliance-Gedankens Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241. 90 Siehe K. Schmidt, in: Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung?, 1994, S. 9, 11: „Nur was gegliedert ist, kann Ordnung – also auch Rechtsordnung – sein.“ 91 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 67.

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ce-Gedankens vollziehende Umpolung im Verhältnis von Staat und privaten Wirtschaftssubjekten. Indem der Staat bei Prävention sowie Aufklärung von Rechtsverstößen Private – gegen entsprechende Honorierung – stärker einbindet und fordert, entsteht an der – ursprünglich klar gesetzten – Trennlinie von Privatrecht und öffentlichem Sanktionsrecht ein neuartiges Kooperationsverhältnis. Dieses Kooperationsverhältnis ragt in verschiedene Teilrechtsordnungen hinein (Kartellrecht, Gesellschaftsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht etc.),92 kann Widersprüche hervorrufen (z.B. Auskunftspflicht versus Selbstbelastungsfreiheit) und erzeugt neuartige Rechte und Pflichten (Berücksichtigungspflicht des Staates bei der Sanktionierung, Kooperationspflichten der Privaten etc.), die von der Rechtsordnung erst erfasst und verarbeitet werden müssen (z.B. Verschwiegenheitsverpflichtung und Unternehmenspublizität). Compliance stellt die Einheit der Rechtsordnung folglich aus strukturellen Gründen vor besondere Herausforderungen. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, wie er in der juristischen Methodenlehre entfaltet wurde, kann dem – zumal in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten agierenden93 – Rechtsanwender dabei nur bedingt eine Hilfe sein, weil er zwar eine wichtige Hinweis- und Rationalisierungsfunktion zu erfüllen imstande ist, indem Widersprüche aufgezeigt und Lösungsmöglichkeiten angemahnt werden,94 das für die Vereinheitlichung notwendige Instrumentarium selbst – etwa eine analogiefähige (Publizitäts-)Norm – jedoch nicht bereitstellen kann.95

IV. Harmonisierung der Rechtslage – Umfassende Gesamtkodifikation oder bereichsspezifische Teilregelungen? Die Vermeidung von Widersprüchen ist zunächst Aufgabe des Normgebers.96 Gerade im Hinblick auf die VW/Jones Day-Entscheidung des Bundes92 Vgl. hierzu etwa die unter II.3. aufgeführte Konstellation der kartellrechtlichen Kronzeugenregelungen, die von der Möglichkeit der Fortsetzung des Kartells ausgehen, wogegen die gesellschaftsrechtliche Legalitätspflicht ein umgehendes Abstellen des Rechtsverstoßes nahelegt. 93 Besonders deutlich belegt die insoweit für die Einheit der Rechtsordnung bestehenden Probleme die Entscheidung des LAG Hamm, CCZ 2010, 237, 238 f. Das Gericht bejaht dort eine uneingeschränkte arbeitsrechtliche Auskunftspflicht und spricht sich – gleichsam kompensatorisch, aber im arbeitsgerichtlichen Verfahren entscheidungsunerheblich – für ein strafrechtliches Verwertungsverbot aus. Die hierfür zuständigen Strafgerichte greifen dies jedoch nicht auf, sondern verwerten entsprechende Auskünfte uneingeschränkt. 94 Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Aufl. 2018, S. 223 ff.; monographisch grundlegend Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935; ferner Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998. 95 Vgl. Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 393 f. m.w.N. sowie oben II.1. 96 Nach BVerfGE 98, 106, 118 f. ergibt sich dies aus dem in Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip.

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verfassungsgerichts97 wird hinsichtlich der Möglichkeit der Beschlagnahme der Ergebnisse interner Untersuchungen rechtspolitischer Handlungsbedarf konstatiert und die „Schaffung von gesetzlichen Anreizen zu Kooperation und Offenlegung relevanter Sachverhalte im Kontext einer umfassenden Regelung unternehmensinterner Untersuchungen“ gefordert.98 Da sich der Themenkreis „Compliance“ von zunächst lediglich bereichsspezifischen Regelungen zu einem „verallgemeinerungsfähigen Regelungsansatz“ entwickelt hat,99 stellt sich die Frage, ob sich zur Vermeidung von Normenwidersprüchen die Schaffung einer umfassenden Gesamtkodifikation empfiehlt. 1. Rechtsvergleichende Perspektive Eine umfassende rechtsvergleichende Untersuchung kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Da sowohl der Begriff „Compliance“ als auch das hiermit bezeichnete Konzept zur Sicherstellung des rechtmäßigen Verhaltens eines Unternehmens ursprünglich in den USA entwickelt wurde,100 soll der Blick auf die dortige Rechtslage beschränkt werden. Auch in den USA existiert keine umfassende Gesamtkodifikation des Themengebietes „Compliance“. Vielmehr sind nur einzelne Teilbereiche an unterschiedlichen Stellen geregelt: Anforderungen an Compliance-Programme von Unternehmen enthält das lediglich mit verwaltungsinterner Bindungswirkung ausgestattete101 „Justice Manual“ (JM) des US Department of Justice (DoJ).102 Hiernach ist bei der Entscheidung, ob gegen ein Unternehmen strafrechtlich vorgegangen oder ein sog. „plea agreement“ ausgehandelt werden soll, unter anderem „the adequacy and effectiveness of the corporation’s compliance program at the time of the offense, as well as at the time of a charging decision“ zu berücksichtigen.103 Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit und Effektivität eines Compliance-Programms finden sich ebenfalls im JM104 sowie einer weiteren verwaltungsinternen Richtlinie des DoJ.105 Vergleichbare Anforderungen an Compliance-Programme enthält 97 BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17 –, juris. 98 Rieder/Menne, CCZ 2018, 203, 211. 99 So Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rn. 51; vgl. zur Entwicklung der rechtlichen Anforderungen an eine pflichtgemäße Compliance-Organisation Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241 ff. 100 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rn. 51, ders., CCZ 2008, 1. 101 Vgl. Rieder/Güngör, CCZ 2019, 139. 102 Abrufbar unter https://www.justice.gov/jm/justice-manual (abgerufen am 17.12. 2019). 103 Vgl. 9.28-300 Nr. 5 des Justice Manual. 104 Vgl. 9.28-800 des Justice Manual. 105 „Evaluation of Corporate Compliance Programs“, abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/strategy-policy-and-training-unit/compliance-initiative (abgerufen am 17.12.2019); siehe zu dieser Richtlinie Grützner/Güngör, CCZ 2019, 189 ff.

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auch § 8 B 2.1 der für die Sanktionszumessung durch Bundesgerichte bedeutsamen „Sentencing Guidelines“ (USSG).106 Für den Schutz von Ergebnissen interner Untersuchungen ist das im Prozessrecht verankerte „attorney-client-privilege“107 bedeutsam, welches den Informationsaustausch zwischen Anwalt und Mandant im Grundsatz unabhängig von einer konkreten Verteidigungssituation gegen Zugriffe Dritter schützt.108 Der entsprechende Schutz wird ergänzt durch die „work-product-doctrine“,109 wonach vom Anwalt angefertigte Unterlagen dem Zugriff der Gegenseite und einer Verwertung in einem gerichtlichen Verfahren entzogen sind.110 Im Kapitalmarktrecht finden sich Regelungen hinsichtlich der Einrichtung von Meldesystemen und des Schutzes von Hinweisgebern. So hat nach Sec. 301 des Sarbanes-Oxley Act (SOX)111 das innerhalb des board of directors gebildete „audit committee“ ein Meldesystem für Beschwerden hinsichtlich der Rechnungslegung der Gesellschaft einzurichten.112 In Sec. 806 des SOX finden sich sodann Regelungen zum Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien.113 2. Regelung auf nationaler oder gemeinschaftsrechtlicher Ebene? Sollen die für das Themengebiet „Compliance“ geltenden Rechtsnormen aufeinander abgestimmt und vereinheitlicht werden, stellt sich die Frage, ob dies besser auf nationaler oder auf gemeinschaftsrechtlicher Regelungsebene erfolgen sollte. Da zahlreiche Unternehmen grenzüberschreitend tätig und 106 Das „Guidelines Manual“ ist abrufbar unter https://www.ussc.gov/guidelines (abgerufen am 17.12.2019); zur Art und Weise der Berücksichtigung von ComplianceProgrammen bei der Strafzumessung und den entsprechenden Anforderungen der USSG an diese vgl. Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: dies., Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 74 ff. 107 Vgl. die entsprechende Definition in 502(g) Federal Rules of Evidence, United States Code Title 28 – Appendix. 108 Vgl. zu den Voraussetzungen, der Reichweite und dem Verlust des Schutzes durch das attorney-client-privilege Nietsch, CCZ 2019, 49 ff. und 53 ff.; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203, 206 f. 109 Vgl. die entsprechenden Definitionen in 502(g) Federal Rules of Evidence, United States Code Title 28 – Appendix, in 26(b)(3) Federal Rules of Civil Procedure, United States Code Title 28 – Appendix und 16(b)(2) Federal Rules of Criminal Procedure, United States Code Title 18 – Appendix. 110 Vgl. zu den Voraussetzungen, der Reichweite und dem Verlust des Schutzes nach der work-product-doctrine Nietsch, CCZ 2019, 49, 52 ff.; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203, 206 f. 111 Public Law 107–204 – July 30, 2002; siehe zum Inhalt des Sarbanes-Oxley Act Donald, WM 2003, 705 ff.; zu den Auswirkungen des Sarbanes-Oxley Act auf deutsche Gesellschaften Kersting, ZIP 2003, 233 ff. 112 Siehe hierzu Schürrle/Fleck, CCZ 2011, 218. 113 Siehe hierzu Schürrle/Fleck, CCZ 2011, 218.

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damit auch mit verschiedenen Rechtsordnungen konfrontiert sind,114 dürfte im Ausgangspunkt viel für die Schaffung einheitlicher und widerspruchsfreier rechtlicher Rahmenbedingungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sprechen. An einer etwa fehlenden Regelungskompetenz der EU dürfte ein solcher Versuch jedenfalls nicht scheitern: Nach dem in Art. 5 Abs. 1, 13 Abs. 2 EUV verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung kann die EU nur tätig werden, soweit ihr die entsprechende Kompetenz durch die Mitgliedstaaten übertragen wurde.115 Im Bereich des Gesellschaftsrechts berechtigt Art. 50 Abs. 2 lit. g) AEUV die EU zur Angleichung des gesamten Gesellschaftsrechts einschließlich der Frage der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer, des Bilanz- und des Kollisionsrechts.116 Von dieser Kompetenz der EU dürften insbesondere auch Regelungen hinsichtlich der Sorgfaltsanforderungen erfasst sein, die das Leitungsorgan einer (Kapital-)Gesellschaft zur Sicherstellung des eigenen rechtstreuen Verhaltens und des rechtstreuen Verhaltens der Mitarbeiter auf den nachgeordneten Unternehmensebenen einzuhalten hat.117 Neben diesem Kernbereich des Themengebietes „Compliance“ bestehen aber auch Kompetenzen der EU in anderen Rechtsbereichen, denen hinsichtlich Rechtsverstößen von Unternehmen besondere Bedeutung zukommt: Dies gilt zunächst im Bereich des Kartellrechts. Neben den sogar primärrechtlich verankerten Verboten wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Art. 101 Abs. 1 AEUV) und des missbräuchlichen Ausnutzens marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV) besteht hier gemäß Art. 103 AEUV auch die Befugnis des Rates, zweckdienliche Verordnungen und Richtlinien zur Verwirklichung der in Art. 101 und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze zu erlassen.118 Für den Bereich des Bank- und Kapitalmarktrechts ist Art. 53 Abs. 1 AEUV (vormals Art. 47 EGV) von Bedeutung. Hiernach kann die EU 114 Vgl. hinsichtlich interner Untersuchungen Nietsch, CCZ 2019, 49, der zu Recht darauf hinweist, dass „bei einem unterschiedlichen Beschlagnahmeschutzniveau grundsätzlich die Gefahr besteht, dass sich die zugriffswillige Rechtsordnung bei Cross Border Internal Investigations als Einfallstor für das Bekanntwerden von Tatschen erweist, die anderenorts vertraulich gehalten werden können, diese also zu einer Achillesferse der Rechtsverteidigung wird“. 115 Siehe zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Herdegen, Europarecht, 21. Aufl. 2019, § 8 Rn. 69. 116 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 3 Rn. 59 ff.; zu der entsprechenden weiten Auslegung des früheren Art. 54 Abs. 3 lit. g) EGV (= 50 Abs. 2 lit. g) AEUV) EuGH, Urteil vom 4.12.1997, Rs. C-97/96, Slg. 1997 I-6843, Rn. 18 ff. (Daihatsu). 117 Sog. „Compliance-Verantwortung“, vgl. hierzu Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rn. 47 ff. 118 Vgl. zu den Rechtsquellen des sog. Unionskartellrechts ausführlich Wiedemann, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 7 ff.

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Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erlassen. Auf diesem Kompetenztitel basieren beispielsweise die Richtlinien MiFID I119 und MiFID II,120 die in Art. 13 (MiFID I) bzw. 16 (MiFID II) die Mitgliedstaaten verpflichten, Wertpapierfirmen die Einhaltung der dort genannten organisatorischen Anforderungen zur Sicherstellung eines rechtmäßigen Verhaltens vorzuschreiben. Im materiellen Strafrecht hingegen ist die EU nach Art. 83 AEUV lediglich befugt, für Bereiche schwerer Kriminalität mit strukturell grenzüberschreitender Dimension wie Terrorismus, Menschen- und Drogenhandel, Geldwäsche, Korruption oder organisierte Kriminalität Mindeststandards für Straftaten und Strafen festzulegen.121 Im Bereich des Strafverfahrensrechts ist die EU nach Art. 82 AEUV nur zum Erlass von Maßnahmen hinsichtlich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, insbesondere der Anerkennung von Urteilen und anderen gerichtlichen Entscheidungen, und, soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen sowie der Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist, auch zum Erlass von Mindestvorschriften für einzelne Bereiche des Strafverfahrensrechts berechtigt.122 Im Ergebnis wäre die EU daher befugt, den Themenkreis „Compliance“ weitgehend zu regeln. Lediglich Regelungen im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts erscheinen angesichts der eingeschränkten Regelungskompetenz der EU in diesen Bereichen problematisch. Schließlich wäre bei der Schaffung von Regelungen auf Europäischer Ebene auch das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EUV zu beachten, d.h. ein Tätigwerden der EU anstelle der Mitgliedstaaten müsste zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich sein und zu einem Mehrwert bzw. Effizienzgewinn führen.123 Angesichts der grenzüberschreitenden Tätigkeit vieler Unternehmen und der daraus resultierenden Berührungspunkte mit 119 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1 ff. 120 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349 ff. 121 Siehe hierzu Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 37 Rn. 3 ff. 122 Siehe zu den Kompetenzen der EU nach Art. 82 AEUV Böse, in: Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 82 AEUV Rn. 13 ff. 123 Siehe zu diesen Voraussetzungen im Einzelnen Lienbacher, in: Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 5 EUV Rn. 24 f.

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unterschiedlichen Rechtsordnungen dürften diese Voraussetzungen einer europäischen Regelung des Themenbereichs „Compliance“ jedoch jedenfalls im Grundsatz nicht entgegenstehen. 3. Grundzüge einer künftigen Compliance-Gesetzgebung Sollen Normenwidersprüche im Compliance-Bereich durch gesetzgeberisches Handeln beseitigt werden, bieten sich hierfür unterschiedliche Möglichkeiten an. Denkbar wäre zunächst – wie bereits ausgeführt124 – als „große Lösung“ die Schaffung einer Gesamtkodifikation, in der das Themengebiet „Compliance“ umfassend und mittels aufeinander abgestimmter Vorschriften geregelt wird. Allerdings wäre eine solche Gesamtkodifikation angesichts der Weite des Themenbereichs „Compliance“ sehr umfangreich. Auch müssten, da Widersprüche bzw. Unstimmigkeiten gerade bei Berührungspunkten zwischen mehreren, bereits umfassend kodifizierten Rechtsbereichen auftreten (z.B. Kartellrecht und Gesellschafts- bzw. Kapitalmarktrecht125 oder Gesellschafts- bzw. Arbeitsrecht und Strafverfahrensrecht126), die entsprechenden Teilbereiche aus diesen umfassend kodifizierten Rechtsgebieten herausgelöst werden. Hierdurch bestünde die Gefahr neuer Widersprüche zwischen den Teilrechtsordnungen. Ferner könnte sich erschwerend auswirken, dass je nach Größe und Tätigkeitsbereich eines Unternehmens stark unterschiedliche Anforderungen insbesondere an die entsprechende Compliance-Organisation zu stellen sind, weshalb sich vielfach allgemein verbindliche Leitlinien kaum aufstellen lassen.127 Schließlich erscheint die Schaffung einer umfassenden Gesamtkodifikation mit Regelungen zu Zugriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden auf Ergebnisse unternehmensinterner Untersuchungen zumindest auf europäischer Ebene angesichts der beschränkten Kompetenzen der EU im Bereich des Strafverfahrensrechts problematisch. Als Alternative zur Schaffung einer umfassenden Gesamtkodifikation kommt als „kleine Lösung“ die Regelung und Vereinheitlichung lediglich einzelner Teilbereiche in Betracht. Dieser Ansatz liegt auch neueren Rechtsetzungsvorhaben auf nationaler und europäischer Ebene zugrunde. Ein Beispiel auf nationaler Ebene stellt der – bei Abfassung dieses Beitrages vorliegende, aber noch nicht offiziell veröffentlichte128 – Entwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Verbandssank124

Vgl. oben unter IV. Vgl. oben unter II. 1. 126 Vgl. oben unter II. 2. 127 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rn. 54. 128 Vgl. Teicke, CCZ 2019, 298, wonach der Entwurf des BMJV seit Ende August 2019 „inoffiziell zirkuliert“. 125

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tionengesetz (VerSanG-E)129 dar. Dieser schreibt zunächst fest, dass verbandsinterne Untersuchungen sowohl durch den Verband selbst als auch durch von ihm beauftragte Dritte durchgeführt werden können (§ 17 VerSanG-E). Weiterhin wird hierin bestimmt, dass das Gericht die Verbandssanktion mildern kann, wenn die verbandsinterne Untersuchung unter Beachtung der Grundsätze des fairen Verfahrens durchgeführt wurde. Hierzu zählt insbesondere, dass den Mitarbeitern das Recht eingeräumt wird, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrates zu Befragungen hinzuzuziehen, und dass ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht entsprechend § 55 StPO gewährt wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E). Auf europäischer Ebene ist insoweit die sog. „Whistleblower-Richtlinie“ (WBRL)130 zu nennen. Nach Art. 1 dieser Richtlinie soll hiermit durch gemeinsame Mindeststandards ein hohes Schutzniveau für Personen sichergestellt werden, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Hierzu haben die Mitgliedstaaten unter anderem sicherzustellen, dass die erfassten Unternehmen Kanäle für interne Meldungen einrichten, die so sicher konzipiert, eingerichtet und betrieben werden, dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung genannt werden, gewahrt bleibt und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff darauf verwehrt ist (vgl. Art. 8 und Art. 9 Abs. 1 lit. a) WBRL). Nach Art. 16 Abs. 1 WBRL haben die Mitgliedstaaten auch sicherzustellen, dass die Identität eines Hinweisgebers keinen anderen als den mit der Entgegennahme der Meldung und dem Ergreifen von Folgemaßnahmen befassten Personen offengelegt wird. Eine Ausnahme hiervon besteht nach Art. 16 Abs. 2 WBRL nur, sofern die Offenlegung eine nach Unionsrecht oder nationalem Recht notwendige und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen von behördlichen Untersuchungen oder Gerichtsverfahren darstellt. In den Art. 19 ff. WBRL sind sodann ein Verbot von Repressalien sowie insoweit zu ergreifende Maßnahmen statuiert. Diese sowohl auf nationaler als auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene erfolgende Regelung bzw. Vereinheitlichung einzelner Fragenkreise aus dem Themenbereich „Compliance“ erscheint (ohne auf die Detailregelungen eingehen zu können) angesichts der beschriebenen Schwächen einer Gesamtkodifikation131 trotz des Umstandes, dass sich „Compliance“ nach dem derzeitigen Stand der Rechtsentwicklung nicht allein als in einzelnen Teil129 Der Entwurf ist mit dem Bearbeitungsstand 15.8.2019, 14:11 Uhr abrufbar unter https://www.otto-schmidt.de/news/unternehmens-und-gesellschaftsrecht/referentenent wurf-eines-gesetzes-zur-bekampfung-der-unternehmenskriminalitat-2019-10-01.html (abgerufen am 17.12.2019); zu dem Inhalt dieses Entwurfes siehe Baur/Holle, ZRP 2019, 186 ff.; Traub, AG 2019, 813, 818 ff. 130 Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, Abl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17 ff. 131 Vgl. hierzu oben ebenfalls unter IV. 4.

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rechtsordnungen auftretendes Phänomen, sondern als sich zu einer eigenen Fachdisziplin aufschwingender, über die hergebrachten Grenzen einzelner Teilrechtsordnungen hinausgreifender Bereich verstehen lassen dürfte, im Ausgangspunkt naheliegend und überzeugend. Dies gilt umso mehr, als angesichts der gerichtsbarkeitsübergreifenden Natur vieler Fragen mit einer zügigen und umfassenden Fortbildung des Rechts der „Compliance“ allein durch die Rechtsprechung realistischerweise nicht zu rechnen ist. Auch wenn sich in Teilbereichen ein gemeinschaftsrechtlicher Ansatz wegen grenzüberschreitender Sachverhalte empfehlen dürfte, bleibt wegen teilweise fehlender Kompetenzen der EU, insbesondere im Bereich des Straf- und des Strafverfahrensrechts, auch der nationale Gesetzgeber gefordert. V. Zusammenfassung 1. Gegenwärtig bestehen auch innerstaatlich zahlreiche Compliancebezogene Normenwidersprüche bzw. normative Spannungsverhältnisse. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis von kartellrechtlicher Vertraulichkeit und Unternehmenspublizität sowie von arbeitsrechtlicher Auskunftspflicht und strafrechtlicher Selbstbelastungsfreiheit, aber auch eine Vielzahl weiterer Fragenkreise. 2. Im Rahmen der Compliance-Diskussion erscheinen Sachfragen zunehmend weniger als solche einer hergebrachten Teilrechtsordnung, sondern als solche der sich zu einer eigenen juristischen Disziplin aufschwingenden „Compliance“. Die Dynamik dieser Entwicklung erzeugt normative Ungereimtheiten und Verwerfungen. 3. Eine Harmonisierung der für den Themenbereich „Compliance“ geltenden rechtlichen Regelungen sollte angesichts der grenzüberschreitenden Tätigkeit zahlreicher Unternehmen grundsätzlich auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene erfolgen. Eine Kompetenz der EU dürfte sich insoweit in den Bereichen des Gesellschafts-, Kartell-, Bank- und Kapitalmarktrechts, nicht jedoch im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts bejahen lassen. 4. Angesichts der beschränkten Regelungskompetenzen der EU im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts sowie zur Vermeidung neuer Widersprüche im Zuge einer Herauslösung einzelner Themenfelder aus bereits umfassend kodifizierten Teilrechtsordnungen erscheint eine gesetzgeberische Regelung bzw. Vereinheitlichung lediglich einzelner Teilbereiche des Themengebietes „Compliance“ gegenüber der Schaffung einer umfassenden Gesamtkodifikation vorzugswürdig. Mit einer zügigen und umfassenden Fortbildung des Rechts der „Compliance“ allein durch die Rechtsprechung ist nicht zu rechnen.

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Wider die Legalitätspflicht im Kapitalgesellschaftsrecht Alexander Hellgardt

Wider die Legalitätspflicht im Kapitalgesellschaftsrecht ALEXANDER HELLGARDT

I. Legalitätspflicht als scheinbarer Ausfluss der Fremdorganschaft Zu den Leitthemen des wissenschaftlichen Werks von Klaus J. Hopt gehört die Vorstandshaftung in der Aktiengesellschaft. Insbesondere durch seine Kommentierung von § 93 AktG im Großkommentar zum Aktiengesetz1 hat der Jubilar Ecksteine im stetig wachsenden Gebäude der organschaftlichen Pflichten und Haftung gesetzt. Dabei hat er in einem jüngeren Beitrag die in Deutschland besonders stark fortgeschrittene „Verrechtlichung“ der Vorstandstätigkeit kritisiert.2 Im Folgenden soll die Rolle der sogenannten „Legalitätspflicht“ für diese Verrechtlichung genauer untersucht und aufgezeigt werden, dass es sich dabei keinesfalls nur um rechtsdogmatischen Zierrat handelt, sondern um einen Auswuchs, der die Statik des gesamten Gebäudes der Organwalterhaftung aus den Angeln zu heben droht und daher aufgegeben werden sollte. Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Befund, dass Kapitalgesellschaften im Außenverhältnis einer Vielzahl rechtlicher Pflichten unterliegen. Quelle dieser Pflichten sind Verträge und gesetzliche Schuldverhältnisse, vor allem aber das Verwaltungsrecht in Form des öffentlichen Wirtschafts- und Aufsichtsrechts und teilweise auch das Strafrecht.3 Da Kapitalgesellschaften als juristische Personen nicht selbst handlungsfähig sind, ist der Vorstand oder Geschäftsführer für die Einhaltung dieser Pflichten durch die Gesellschaft 1 Hopt, in: Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 93; Hopt/Roth, ebd., 2006, § 93 I 2, 4 n.F.; Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93; siehe außerdem Hopt/Teubner (Hg.), Corporate Governance and Directors’ Liabilities, 1985; Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 27; Davies/Hopt, 61 Am. J. Comp. L. 301 (2013); Hopt, in: FS Nobel 2015, S. 217. 2 Hopt, in: FS Nobel 2015, S. 217, 227. 3 Juristische Personen sind zwar selbst (bislang) nicht straffähig, können aber Adressaten der primären Verhaltensgebote des Strafrechts (etwa als Vermögensbetreuungspflichtige gem. § 266 Abs. 1 StGB) sein, die dann lediglich für die Bestrafung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf die Organwalter „überwälzt“ werden; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 14 Rn. 1.

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zuständig;4 eine Verantwortlichkeit oder Haftung der Gesellschaft im Außenverhältnis kann sich nur ergeben, wenn ein Organwalter persönlich oder eine von diesem in irgendeiner Weise für die Gesellschaft beauftragte oder bevollmächtigte Person gehandelt hat. Es scheint daher so zu sein, dass sämtliche an die Kapitalgesellschaft gerichteten Pflichten wirkungslos verpufften, wenn nicht die Organwalter kraft ihres Amtes verpflichtet wären, bei ihrem Handeln für die Gesellschaft deren (Außen-)Pflichten einzuhalten. In diesem Sinne formulieren Hopt/Roth bei der Konkretisierung der nach § 93 AktG der Aktiengesellschaft geschuldeten Sorgfaltspflicht: „Das Vorstandsmitglied muss alle rechtlichen Vorschriften beachten, die das Unternehmen betreffen.“5 Diese allgemein als „Legalitätspflicht“6 bezeichnete Verpflichtung der Organwalter ist im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht nahezu einhellig anerkannt.7 Sie erscheint als immanenter Ausfluss der Fremdorganschaft.8 4 Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, der insoweit allerdings missverständlich von einer „primären Legalitätspflicht“ spricht, die er von der hier behandelten „sekundären“ Legalitätspflicht abgrenzt. 5 Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 133. 6 Im Rahmen dieses Beitrags wird nicht differenziert, ob der Organwalter selbst Pflichten der Gesellschaft im Außenverhältnis verletzt (Legalitätspflicht im engeren Sinne) oder lediglich nicht verhindert, dass nachgeordnete Mitarbeiter solche Pflichten der Gesellschaft verletzen (teils als Legalitätskontroll-, Legalitätsorganisations- oder Legalitätsdurchsetzungspflicht bezeichnet), da bei Entfallen der ersteren auch der letzteren die Grundlage entzogen ist. 7 Zur AG: Hopt, in: FS Nobel 2015, S. 217, 227; Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 74; Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 566; Bayer, in: 1. FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 88 ff.; Bicker, AG 2014, 8; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 49 ff.; Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017, S. 50 f.; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 93 AktG Rn. 7a; Fleischer, ZIP 2005, 141, 142 ff.; ders., in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 14; Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, AktG, 2013, § 93 Rn. 9; Habersack, in: FS Schneider, 2011, S. 429; Harbarth, ZHR 179 (2015) 136, 146; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 37 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 6; Krieger/Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 7; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 9 ff.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 71; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband, 2007, S. 139 ff.; Nietsch, ZGR 2015, 631, 649; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 24 f.; Spindler, in: MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 87; Thole, ZHR 173 (2009) 504; Verse, ZHR 175 (2011) 401, 403 ff.; C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 13 ff.; zur GmbH: Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 43 Rn. 10; Fleischer, in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rn. 21; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 43 Rn. 12; Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rn. 23; Paefgen, in: Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 49; Schneider, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 43 Rn. 74; Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 43 Rn. 5; Ziemons, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 63. Krit. aber Torggler, in: Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97, 100 ff. 8 Zu den Begründungsansätzen im Einzelnen unter II.2. und 3.

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II. Legalitätspflicht und Trennungsprinzip 1. Begründungsbedürftigkeit der Legalitätspflicht Bei genauerer Betrachtung ist die Rechtfertigung der Legalitätspflicht aber alles andere als selbstverständlich. Im Rahmen der kapitalgesellschaftsrechtlichen Organschaft als Fall einer gesetzlichen Vertretungsmacht wird – wie bei jedem Vertretungsverhältnis9 – zwischen den Pflichten des Vertretenen gegenüber Dritten (Außenverhältnis) und den Pflichten des Vertreters gegenüber dem Vertretenen (Innenverhältnis) unterschieden. Im Kapitalgesellschaftsrecht sichert erst dieser, häufig als „Trennungsprinzip“10 bezeichnete Grundsatz die Eigenständigkeit der juristischen Person als selbständiges Rechtszuordnungsobjekt: die Pflichten der juristischen Person im Außenverhältnis sind zu unterscheiden von den Pflichten der Gesellschafter, aber auch den Pflichten des Organwalters. Dass das Geschäftsführungsorgan (und nicht die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat) dafür zuständig ist, für die Gesellschaft im Außenverhältnis zu handeln, führt nicht dazu, dass der Unterschied zwischen Außen- und Innenverhältnis entfiele und auch die Pflichten dieselben wären. Die Legalitätspflicht ebnet diesen grundlegenden Unterschied ein, indem sie die Pflichten der Gesellschaft im Außenverhältnis ipso iure in das Innenverhältnis „transponiert“.11 Sofern dafür keine Rechtsgrundlage (ähnlich § 14 StGB) existiert, liegt in dieser Überwälzung eine unzulässige Vermischung von Zuständigkeit und Pflicht. Im Bereich vertraglicher Pflichten der Kapitalgesellschaft werden von der h.M. insoweit allerdings Einschränkungen vorgenommen. Zur Begründung führt etwa der Jubilar aus, bei vertraglichen Pflichten handele es sich um „eine Rechtspflicht der Gesellschaft … im Außenverhältnis, nicht aber ohne weiteres auch eine Rechtspflicht des Vorstands … gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis“.12 Dies ist aber keine Besonderheit vertraglicher Pflichten, sondern ein Umstand, der per definitionem auf jede Außenpflicht zutrifft.13 Die Legalitätspflicht ist daher keinesfalls logische Folge der Fremdor9

Sog. Abstraktheit der Vertretungsmacht; Schilken, in: Staudinger, 2019, Vor § 164 BGB Rn. 33; Schubert, in: MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 164 Rn. 209; siehe auch schon Hellgardt/Majer, WM 2004, 2380, 2383. 10 Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, 2015, S. 210 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 198; C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 284; ähnlich Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, S. 131 f. Siehe auch schon Hellgardt, WM 2006, 1514, 1519 f. 11 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 24. 12 Hopt, in: FS Nobel 2015, S. 217, 229. 13 Darüber hilft auch das Argument nicht hinweg, vertraglichen Pflichten mangele es an der Rechtsnormqualität; so z.B. Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen,

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ganschaft, sondern verkehrt das dieser zugrunde liegende Trennungsprinzip vielmehr in sein Gegenteil! Eine Aushebelung des Trennungsprinzips durch die Legalitätspflicht bedarf daher einer konkreten gesetzlichen Grundlage oder jedenfalls einer überzeugenden dogmatischen Begründung.14 Einen Anhaltspunkt im Gesetz sucht man indes vergeblich.15 Der Vorstand ist nach §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 AktG aufgrund des Organverhältnisses zur Leitung und Geschäftsführung der Aktiengesellschaft berufen, für den GmbH-Geschäftsführer ist die grundlegende organschaftliche Geschäftsführungsbefugnis, trotz fehlender gesetzlicher Regelung, allgemein anerkannt.16 Obwohl § 37 Abs. 1 GmbHG und § 82 Abs. 2 AktG die Grenzen dieser Geschäftsführungsbefugnisse im Innenverhältnis ausführlich auflisten, sprechen sie dabei gerade nicht aus, dass die Organwalter auch verpflichtet seien, die Außenpflichten der Gesellschaft zu befolgen! Stattdessen übertragen § 41 GmbHG und § 91 Abs. 1 AktG dem Geschäftsführer/Vorstand ausdrücklich die organschaftliche Verpflichtung, die Erfüllung der – der Kapitalgesellschaft gem. § 238 Abs. 1 HGB i.V.m. § 13 Abs. 3 GmbHG/§ 3 Abs. 1 AktG, § 6 HGB als solcher im Außenverhältnis obliegenden17 – Buchführungspflichten sicherzustellen. Während Geschäftsführer bzw. Vorstand intern ohnehin dafür zuständig sind, für die Befolgung der Außenpflichten der Gesellschaft zu sorgen, erheben §§ 41 GmbHG, 91 Abs. 1 AktG die Buchführungspflicht auch zu einer im öffentlichen Interesse bestehenden internen Organpflicht.18 Diese Vorschriften wären überflüssig, wenn es bereits eine 2017, S. 51. Auch Rechtsnormen haben bestimmte Adressaten und können ohne gesetzliche Grundlage nicht einfach auf Vertreter erstreckt werden; dies verdeutlicht § 14 StGB. 14 Vgl. Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 62, 74 f.; Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017, S. 86, 118 ff.; Habersack, in: FS Schneider, 2011, S. 429, 433; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100; Sieg/Zeidler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 36; siehe auch Torggler, in: Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97, 100 ff., insb. S. 101 („wundersame Pflichtenspiegelung“). 15 Diskutiert wird eine Ableitung aus §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, 396 AktG; vgl. Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 61 ff.; Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017, S. 58 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 46 ff.; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 45 ff. 16 Siehe nur Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 37 Rn. 3; Paefgen, in: Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 37 Rn. 1; Stephan/Tieves, in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 37 Rn. 4. 17 Zur GmbH: Fleischer, in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 41 Rn. 4; Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 41 Rn. 1; zur AG: Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, AktG, 2013, § 91 Rn. 2; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 91 Rn. 2. 18 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rn. 4; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 91 Rn. 2; Spindler, in: MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 91 Rn. 4.

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allgemeine Legalitätspflicht gäbe,19 und zeigen daher deutlich, dass eine solche nicht im System des Kapitalgesellschaftsrechts angelegt ist. 2. Begründungsansätze aus der Organschaft Soweit die Legalitätspflicht überhaupt als begründungsbedürftig erkannt wird,20 wird sie ganz überwiegend aus dem organschaftlichen Verhältnis selbst hergeleitet. Dabei ist es – wie Grigoleit jüngst überzeugend gezeigt hat – unproblematisch, wenn ein Gesetzesverstoß, den ein Organwalter begeht, bereits ex ante (also bei Vornahme) erwarten lässt, dass die Gesellschaft dadurch einen Schaden erleiden wird, etwa in Form von Bußgeld- oder Schadensersatzzahlungen an Dritte. Handelt der Organwalter zum (ex ante zu erwartenden) Schaden der Gesellschaft, stellt dies stets eine Pflichtverletzung i.S.v. § 43 Abs. 1 GmbHG/§ 93 Abs. 1 AktG dar, ohne dass man auf eine gesonderte Legalitätspflicht zu rekurrieren bräuchte.21 Allein problematisch sind die sogenannten „nützlichen Pflichtverletzungen“,22 bei denen der Organwalter aus ex ante-Sicht erwarten kann, dass die Verletzung der die Gesellschaft treffenden Pflicht in einen Netto-Gewinn münden wird, weil die Pflichtverletzung unentdeckt bleibt oder aber die daran anknüpfenden Sanktionen geringer sind als der Vorteil, den die Gesellschaft erlangt. Das plakativste Beispiel ist die Bezahlung von Schmiergeldern, um einen Großauftrag zu erhalten. Aber auch die Anweisung an die Fahrer eines Paketlieferdienstes, Halteverbote systematisch zu ignorieren, kann angesichts des weitverbreiteten Vollzugsdefizits bei der Parkraumüberwachung und der geringen Bußgeldhöhe ein lohnendes Geschäftsmodell darstellen. Soweit in diesen Fällen die Legalitätspflicht mit dem Argument begründet wird, es könne nicht sein, dass Organwalter sanktionslos gegen Pflichten verstoßen dürfen,23 wird übersehen, dass die Gesellschaft selbst durchaus die Folgen des Pflichtverstoßes in Form von Bußgeldern oder Schadensersatzzahlungen zu tragen hat. Handelt es sich auch ex post um eine „nützliche“ Pflichtverletzung, ist also der Gewinn, den die Gesellschaft erzielt, höher als die Sanktionskosten, liegt auch bei Bejahung einer organschaftlichen Pflichtverletzung kein ersatzfähiger Schaden vor, will man einen solchen nicht mittels 19 A.A. C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 354 ff. (Ausprägung der Legalitätspflicht). Wenn Weber ausführt, die Buchführungsverantwortung stelle keine abschließende Regelung dar und erlaube daher keinen Gegenschluss, übersieht er, dass mit § 82 Abs. 2 AktG sehr wohl eine abschließende Regelung der Grenzen vorstandlicher Geschäftsführungsbefugnis besteht. 20 Insbesondere die höchstgerichtliche Rechtsprechung legt eine weitreichende Legalitätspflicht zugrunde, ohne sie dogmatisch herzuleiten oder zu begründen; vgl. BGHZ 194, 26, 34; 201, 344, 351; 218, 290, 301. Siehe auch BGHSt 55, 266, 275 f.; 55, 288, 301. 21 Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 369 f. Siehe auch unten IV.1. 22 Terminus von Fleischer, ZIP 2005, 141. 23 Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 51.

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einer normativ gesetzten Einschränkung der Vorteilsanrechnung herbeikonstruieren.24 Deshalb wird die Legalitätspflicht in neueren Arbeiten mit der dadurch zu erzielenden Steuerungswirkung gerechtfertigt. Die Organhaftung wird so zu einem Regulierungsinstrument,25 um die Durchsetzung der primären Rechtspflichten der Gesellschaft zu effektuieren.26 Gegen die Begründung einer organschaftlichen Legalitätspflicht mithilfe generalpräventiver Erwägungen spricht aber, dass das Präventionsdefizit nicht im Innen-, sondern im Außenverhältnis liegt: eine zu geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit oder zu niedrige Bußgelder sind Ausprägungen eines allgemeinen Vollzugsdefizits, das natürliche Personen ebenso trifft wie jeden Unternehmensträger. Es bedarf daher einer besonderen Begründung, weshalb eine Effektuierung der Rechtsdurchsetzung lediglich für juristische Personen über organschaftliche Pflichten herbeigeführt werden sollte, während das eigentliche Rechtsvollzugsdefizit unangetastet bleibt. 3. Begründungsansätze aus dem Außenverhältnis Ein anderer Begründungsstrang leitet die Legalitätspflicht direkt aus den die Gesellschaft im Außenverhältnis treffenden Pflichten ab. So wird ausgeführt, das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung bzw. der allgemeine Geltungsanspruch der Rechtsordnung verlange, dass die Organwalter im Innenverhältnis verpflichtet sind, die Außenpflichten der Gesellschaft zu befolgen.27 Einen etwas abweichenden Ansatz zur Begründung der Legalitätspflicht hat jüngst Christoph A. Weber in seiner Habilitationsschrift vorgelegt. Demnach wurzelt die Legalitätspflicht zwar in § 93 Abs. 1 AktG; der entscheidende Grund dafür, zu generalpräventiven Zwecken Außenpflichten der Gesellschaft auch zu Organpflichten im Innenverhältnis zu machen, folge aber aus den Wertungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, wie sie sich insbesondere in § 130 OWiG niedergeschlagen haben. Da der Unternehmensträger danach verpflichtet ist, die Begehung von Rechtsver24 So in der Tat Lohse, in: FS Hüffer, 2010, 581, 597 ff.; Spindler, in: MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 107; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 528 ff. Anders die wohl h.M.: BGH AG 2013, 259, 261; Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 410 ff.; Habersack, in: FS Schneider, 2011, S. 429, 440; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 49. Offen Fleischer, ZIP 2005, 141, 151 f. 25 Zum Begriff ausführlich Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 449 ff. 26 Ausdrücklich Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 37 f.; siehe auch Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 374 f.; Habersack, in: FS Schneider, 2011, S. 429, 435; Verse, ZHR 175 (2011) 401, 405 f. 27 Breitenfeld, Organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 72; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, 54 ff.; Ihrig, WM 2004, 2098, 2105; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 6.

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stößen aus dem Unternehmen zu unterbinden, sei dies „als rechtsethisches Prinzip bei der Auslegung des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG zu berücksichtigen“ und rechtfertige so die Legalitätspflicht des Vorstands.28 Jede Begründung einer Legalitätspflicht der Organwalter gegenüber der Kapitalgesellschaft aus den Außenrechtsbeziehungen der Gesellschaft steht in eklatantem Widerspruch zur Relativität der Rechtsbeziehungen und zur Rechtsfähigkeit der juristischen Person. Ansatzpunkt kann daher immer nur die organschaftliche Pflichtenbindung sein. Selbstverständlich ist es dabei nicht ausgeschlossen, mit Weber die Pflichten der Gesellschaft im Außenverhältnis für die Auslegung der Binnenpflichten fruchtbar zu machen. Überzeugend ist dies aber nicht, weil die Organwalter auch ohne Legalitätspflicht selbstverständlich nicht die Folgen ihres Handelns für die Gesellschaft in Form von Bußgeldern oder Schadensersatzpflichten ignorieren dürfen.29 Die Legalitätspflicht setzt diese Aspekte aber absolut und schließt insbesondere jegliches unternehmerische Ermessen bei der Geschäftsführung aus, ohne dass dies – wie sogleich zu zeigen sein wird – sachlich zu begründen wäre. 4. Zwischenfazit Die Legalitätspflicht ist insbesondere für die Gerichte eine dankbare Konstruktion, da sie schwierige Abgrenzungsfragen im Rahmen des unternehmerischen Ermessens obsolet macht und stattdessen durch die Feststellung ersetzt, ob die Kapitalgesellschaft ihre Pflichten im Außenverhältnis verletzt hat. Es ist kein Zufall, dass die Diskussion der Legalitätspflicht parallel zur Kodifikation der Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Fahrt aufgenommen hat, wirft doch die Einräumung eines Freiraums unternehmerischer Entscheidung durch die Geschäftsleitung zugleich die Frage nach dessen Grenzen auf. Die bisherige Untersuchung hat allerdings gezeigt, dass eine allgemeine Legalitätspflicht nicht im System des Kapitalgesellschaftsrechts angelegt ist und sich widerspruchsfrei weder aus dem Innen- noch aus dem Außenverhältnis begründen lässt. Ob die Legalitätspflicht tatsächlich zu sinnvollen Ergebnissen führt, kann erst beurteilt werden, nachdem untersucht wurde, welche Konsequenzen eine solche Pflicht für die Anreize der Organwalter hat.

III. Anreizwirkungen der Legalitätspflicht Um die Anreiz- und damit potentiellen Verhaltensauswirkungen der Legalitätspflicht auf Organwalter zu untersuchen, wird modellhaft unterstellt, dass 28 C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 328 ff., Zitat auf S. 335. 29 Dazu unten IV.1.

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Unternehmensleiter im Rahmen der durch Gesellschaftsrecht und vertragliche Regelungen vorgegebenen Bedingungen rational handelnd ihre eigene Wohlfahrt maximieren.30 Die Legalitätspflicht engt diesen Rahmen dadurch ein, dass eine weitere Begrenzung hinzukommt, deren praktische Wirksamkeit allerdings davon abhängt, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Organwalter eine Rechtsdurchsetzung durch die GmbH-Gesellschafter (§ 46 Nr. 8 GmbHG) bzw. den Aufsichtsrat (§ 112 AktG) oder die Aktionäre (§§ 147 f. AktG) antizipiert. Um die (potentiellen) Anreizeffekte der Legalitätspflicht untersuchen zu können, wird im Folgenden die (kontrafaktische) Prämisse zugrunde gelegt, dass Schadensersatzansprüche der Kapitalgesellschaft, die auf einer Verletzung der Legalitätspflicht beruhen, stets durchgesetzt werden oder der entsprechende Organwalter wegen der Pflichtverletzung zumindest abberufen wird.31 Da die Legalitätspflicht darauf gerichtet ist, Außenpflichten der Gesellschaft in das Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Organwalter zu spiegeln, ist zunächst zu untersuchen, welche Anreizwirkungen sie hinsichtlich der Befolgung dieser Außenpflichten zeitigt (dazu unter 1.). Daran anschließend kann dann analysiert werden, wie sich die Pflichtenspiegelung in das Gefüge der Corporate Governance einfügt (dazu unter 2.). 1. Legalitätspflicht als Instrument zur Durchsetzung von Außenpflichten der Kapitalgesellschaft Der Sinn der Legalitätspflicht besteht darin, die Durchsetzung von Außenpflichten der Kapitalgesellschaft zu effektuieren, indem der Organwalter bei einem Verstoß gewärtigen muss, für die die Gesellschaft in Form von Schadensersatz und/oder Bußgeldzahlungen treffenden negativen Folgen mit seinem Privatvermögen geradestehen zu müssen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Kapitalgesellschaft ohne eine Legalitätspflicht nicht sämtliche sie im Außenverhältnis treffenden Pflichten einhalten wird.32 Inwieweit die Legalitätspflicht die Rechtsbefolgungsquote erhöht, hängt entscheidend davon ab, aus welchen Gründen die Kapitalgesellschaft Rechtsverstöße begeht. In einem ersten Zugriff lassen sich dafür drei Grün30 Zu diesen Grundannahmen der ökonomischen Analyse des Rechts siehe nur Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 3 ff. 31 Diese Prämisse rechtfertigt sich dadurch, dass sich die Legalitätspflicht nur bei Unterstellung ihrer Wirksamkeit sinnvoll untersuchen lässt. Zeigt sich, dass sie positive Effekte hat, bestehen aber Bedenken hinsichtlich ihrer effektiven Durchsetzung, kann sodann über eine Effektuierung der Haftung nachgedacht werden. Zur Durchsetzung der Legalitätspflicht siehe auch C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 435 ff. 32 Im Folgenden wird vereinfachend davon ausgegangen, dass die Kapitalgesellschaft stets direkt durch ihre Organwalter und nicht durch nachgeordnete Arbeitnehmer, die der Organwalter ggf. zu überwachen hätte, handelt; siehe bereits Fn. 6.

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de identifizieren (die in der Praxis auch kumulativ auftreten können): (a) Zunächst ist es denkbar, dass der Kapitalgesellschaft aus dem Rechtsverstoß trotz der damit verbundenen Sanktionen ein (Netto-)Vorteil erwächst; (b) sodann kann die Entdeckungswahrscheinlichkeit aus ex ante-Sicht so gering sein, dass die Kapitalgesellschaft den Rechtsverstoß in der Hoffnung begeht, dieser werde nicht entdeckt, so dass ihr lediglich die damit verbundenen Vorteile zufließen, eine Sanktion aber ausbleibt; (c) schließlich kann ein Rechtsverstoß auch deshalb passieren, weil der Kapitalgesellschaft die wirkliche Rechtslage unbekannt war. Da sich diese Gründe in unterschiedlichem Maße durch eine Legalitätspflicht beeinflussen lassen, soll die Wirkung einer solchen Pflicht im Folgenden getrennt untersucht werden. a) Organhaftung zur Verhinderung „nützlicher Pflichtverletzungen“ Der erstgenannte Fall, dass ein Rechtsverstoß geschieht, weil die dadurch zu erzielenden Vorteile die Nachteile überwiegen, scheint die eindeutigsten Argumente für die Legalitätspflicht zu liefern. Rechtsgehorsam soll keine Frage des „Preises“, sprich der Sanktionshöhe sein,33 sondern um seiner selbst willen geschehen. Eine auf die Verletzung der Legalitätspflicht gestützte Organhaftung führt dazu, dass der Organwalter der Kapitalgesellschaft den durch die Rechtsverletzung entstandenen Nachteil aus Mitteln seines Privatvermögens ausgleichen muss. Weil der Organwalter nur einseitig die Nachteile des Rechtsverstoßes der Gesellschaft zu tragen hat, ohne gleichzeitig in den Genuss der Vorteile zu kommen, geht von einer solchen Haftung eine erhebliche Abschreckungswirkung auf den Organwalter aus. Dies gilt, obwohl die Sanktion (annahmegemäß, sonst handelte es sich nicht um eine „nützliche Pflichtverletzung“) eigentlich nicht geeignet wäre, die Gesellschaft vom Rechtsbruch abzuhalten. Damit bildet die Organhaftung ein weiteres Regulierungsinstrument, welches hilft, die durch die Kapitalgesellschaft verletzte primäre Rechtspflicht auch tatsächlich durchzusetzen.34 Problematisch ist allerdings, dass diese Wirkung nur dann eintritt, wenn man im Rahmen der Organwalterhaftung aus normativen Gründen eine Vorteilsanrechnung ausschließt und damit einen Schaden der Kapitalgesellschaft konstruiert, der wirtschaftlich nicht eingetreten ist.35 Dies ist nicht nur ein rechtsdogmatisches Problem, sondern führt dazu, dass die Gesellschafter bzw. Aktionäre von dem Rechtsverstoß gleich doppelt profitieren:36 Zu33

Fleischer, ZIP 2005, 141, 149. So in der Tat Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 37 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 465 ff.; siehe auch C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 392 ff. 35 Dazu oben Nachweise in Fn. 24. 36 Von einem „windfall profit“ sprechen Fleischer, ZIP 2005, 141, 151; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 527; ungenau insoweit Torggler, in: Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97, 109, der von einer „Versicherung“ spricht. 34

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nächst fließt der Gesellschaft der Netto-Vorteil aus der Rechtsverletzung selbst zu (etwa die Einnahmen aus einem durch Bestechung erhaltenen Auftrag abzüglich des dafür gezahlten Bußgeldes) und sodann erhält sie den durch die Sanktion erlittenen Nachteil auch noch von dem Organwalter kompensiert, so dass der Gesellschaft am Ende sogar der BruttoVorteil (im Beispiel die vollen Einnahmen aus dem Auftrag) verbleibt! Eine Organhaftung für nützliche Pflichtverletzungen erhöht damit die Anreize für die Gesellschafter, ihre Gesellschaft Rechtsbrüche begehen zu lassen. Es mag sein, dass dieser „unerwünschte Nebeneffekt“ oftmals dadurch ausgeglichen wird, dass die Anreize für die Organwalter spiegelbildlich entsprechend gesenkt werden und ein Rechtsverstoß in der Regel nicht von den Gesellschaftern an den Organwaltern vorbei initiiert werden kann. Dies gilt aber nicht immer. Eine insgesamt negative Anreizwirkung ist insbesondere bei geschlossenen Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter Einblicke in das Geschäftsführungsgeschehen haben,37 und dann zu erwarten, wenn der handelnde Organwalter das Entdeckungsrisiko als gering einschätzt. Hinzu kommt, dass eine Organhaftung dann kein sinnvolles Instrument zur Bekämpfung nützlicher Pflichtverletzungen ist, wenn der Gesetzgeber zugleich über die Möglichkeit verfügt, die Sanktionen für die primäre Rechtsverletzung so zu erhöhen, dass ein Vorteil der Gesellschaft ausgeschlossen ist.38 Denn eine einfache Rechtsdurchsetzung gegenüber der Kapitalgesellschaft ist volkswirtschaftlich der doppelten Rechtsdurchsetzung (zunächst gegen die Kapitalgesellschaft, sodann deren Regress gegen den Organwalter) grundsätzlich vorzuziehen.39 Geht es um inländische Verhaltensnormen steht dem Gesetzgeber stets die Möglichkeit offen, die (primären) Sanktionen so zu gestalten, dass sie tatsächlich abschreckend wirken. Allenfalls bei Verstößen gegen ausländische Rechtsnormen, die in dem entsprechenden Staat nicht effektiv sanktioniert werden, kann eine Legalitätspflicht als Rechtsdurchsetzungsinstrument eine Lückenfüllerfunktion wahrnehmen. Ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung erscheint es allerdings 37 Erteilen die Gesellschafter dagegen eine Weisung, die Rechtspflichten der Gesellschaft im Außenverhältnis zu brechen, befreit dies die Organwalter von einer Haftung; vgl. § 93 Abs. 4 S. 1 AktG, der entsprechend auf die GmbH angewendet wird. Dadurch, dass der Gesellschafterbeschluss zu einem rechtswidrigen Handeln im Außenverhältnis auffordert, wird er nicht selbst per se unrechtmäßig. Insbesondere entlastet nach h.M. auch ein durch Fristablauf unanfechtbar gewordener Beschluss; siehe nur Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 486 m.w.N. 38 Siehe z.B. § 120 Abs. 18 S. 3 WpHG, wonach das Bußgeld für Insiderhandel und Marktmanipulation das Dreifache des aus dem Gesetzesverstoß gezogenen Vorteils betragen kann, dessen Höhe geschätzt werden kann. 39 Ausführlich zu den Möglichkeiten, Regulierungsinstrumente im Hinblick auf ihre Vor- und Nachteile zu vergleichen, Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 492 ff., 565 ff.

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fernliegend, eine solche Funktion „rechtlicher Entwicklungshilfe“ in § 43 GmbHG/§ 93 AktG hineinzuinterpretieren.40 b) Organhaftung als Ausgleich geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit Anders gelagert ist die Situation, wenn aus ex ante-Sicht die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung so gering ist, dass auch eine die Vorteile übersteigende Sanktion keine hinreichende Abschreckungswirkung zu entfalten vermag.41 Eine Organhaftung verändert in dieser Situation die Risikoneigung des Organwalters: Anstatt anhand des wirtschaftlichen Interesses der Gesellschaft zu entscheiden, richtet sich das Entscheidungskalkül nun danach, ob der Organwalter bereit ist, persönlich die möglichen, wenn auch unwahrscheinlichen Konsequenzen des Rechtsverstoßes in Form einer Schadensersatzpflicht zu tragen. Diese Veränderung wird in aller Regel dazu führen, dass der Organwalter nicht eine risikoneutrale Abwägung trifft, sondern sich von einer durch die Gefährdung seines Privatvermögens ausgelösten Risikoaversion leiten lässt.42 Damit kann eine Organwalterhaftung für Rechtsverstöße mit geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit tatsächlich eine zusätzliche Abschreckungswirkung entfalten. Ist die letztlich verhängte Sanktion höher als der der Gesellschaft zugewachsene Vorteil, liegt auch ex post ein echter Schaden der Gesellschaft vor. Zu bedenken ist allerdings, dass die Organwalterhaftung kein kostenloses Regulierungsinstrument ist. Zunächst entstehen direkte Rechtsdurchsetzungskosten, wenn die Gesellschaft den Geschäftsführer oder Vorstand in Haftung nimmt. Dabei ist keineswegs sicher, dass diese Kosten geringer ausfallen, als die Kosten, die für eine verbesserte Ermittlungstätigkeit hinsichtlich des primären Rechtsverstoßes (z.B. zur Verfolgung von Bestechungskriminalität) anfallen würden. Nur wenn sich empirisch zeigen lässt, dass die Organwalterhaftung trotz ihrer nur indirekten Wirkungsweise kostengünstiger und genauso wirksam ist, wäre sie gegenüber einer Verstärkung der primären Rechtsdurchsetzung vorzugswürdig. Außerdem ist zu bedenken, dass Kapitalgesellschaften weitere Nachteile erleiden, wenn sie infolge einer Rechtsdurchsetzung gegen ihre Organwalter fähige Manager verlieren, deren Handeln aus ex ante-Sicht nicht im Widerspruch zum (finanziellen) Interesse der Gesellschaft stand.

40 Ob die Legalitätspflicht auch den Verstoß gegen ausländische Normen umfasst, ist umstritten; dafür z.B. Brock, BB 2019, 1292, 1293 ff.; krit. Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 376. 41 Dies ist auch bei Regelungen wie § 120 Abs. 18 S. 3 WpHG (Abschöpfung des Dreifachen des erlangten Vorteils) dann der Fall, wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit geringer als ein Drittel ist. 42 Vgl. Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 99 f.; Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002, S. 827, 830.

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c) Organhaftung bei Verkennung der Rechtslage Schließlich kann ein Rechtsverstoß durch die Kapitalgesellschaft darauf beruhen, dass der handelnde Organwalter die Rechtslage verkannt hat und von der Rechtmäßigkeit seiner Handlung ausging.43 In diesem Fall drohen der Gesellschaft selbst regelmäßig nur dann Sanktionen in Form von Bußgeldern oder Schadensersatzzahlungen, die Grundlage der Organwalterhaftung sein können, wenn ein vermeidbarer Rechtsirrtum vorlag.44 Die Legalitätspflicht führt dazu, dass der Organwalter hohe Anreize hat, die Pflicht zur Vermeidung von Rechtsirrtümern zu internalisieren, weil bei einer Falscheinschätzung der Rechtslage nicht das Gesellschaftsvermögen, sondern sein Privatvermögen den resultierenden Schaden zu tragen hat. Auf diese Weise entstehen sehr starke Anreize für Organwalter, sich über das zur Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Erforderliche hinaus persönlich umfassend mit Fragen der rechtlichen Zulässigkeit von in Aussicht genommenen Handlungen zu befassen. Dies scheint mir der wichtigste Grund für die vom Jubilar beklagte „Verrechtlichung“ der Vorstandstätigkeit zu sein. Da die Legalitätspflicht (als Grenze des unternehmerischen Ermessens) zudem eine Erfolgshaftung statuiert,45 entstehen darüber hinaus erhebliche Anreize, nur solche Handlungen vorzunehmen, die das Risiko eines Rechtsverstoßes und damit der persönlichen Haftung minimieren. Bei unklarer Rechtslage oder in Fällen, in denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass instanzgerichtliche oder ältere höchstgerichtliche Judikate einer (erneuten) Überprüfung nicht standhalten könnten, besteht keinerlei Anreiz, eine möglicherweise nicht rechtskonforme Entscheidung zu treffen und auf die Überzeugungskraft der eigenen Rechtsposition zu vertrauen. Denn im Erfolgsfall kommt der Vorteil allein der Kapitalgesellschaft zugute, während bei Bestätigung der negativen Rechtsposition dem Organwalter die Nachteile im Wege des Haftungsregresses aufgebürdet werden. Um dieses offen43 In dieser Konstellation verkompliziert sich die Situation noch einmal ganz erheblich, wenn man auch eine Organhaftung für den Fall annehmen wollte, dass der Rechtsverstoß durch einen nachgeordneten Arbeitnehmer begangen wird und der Vorwurf an den Organwalter lautet, dass dieser im Rahmen seiner Überwachungspflicht die Verkennung der Rechtslage durch die nachgelagerten Ebenen hätte erkennen und korrigieren müssen. 44 Instruktiv zum Rechtsirrtum Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 920 ff. 45 So die wohl h.M.; siehe nur Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 74; Koch, in: FS Bergmann, 2018, S. 413, 416. Dagegen gehen Nietsch, ZGR 2015, 631, 655; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f.; C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 642 ff. von einer verhaltensbezogenen Pflicht aus; dies ist aber mit der dogmatischen Konstruktion, wonach die Legalitätspflicht das unternehmerische Ermessen begrenzt, kaum unter einen Hut zu bringen und scheint vor allem mit Blick auf die Rechtsfolge (Entlastungsmöglichkeit für einen Organwalter, der sich über die Rechtslage informiert) vertreten zu werden.

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sichtlich dysfunktionale Ergebnis zu vermeiden, nimmt die ganz h.M. Einschränkungen beim Verschulden im Rahmen der Organwalterhaftung vor46 oder postuliert sogar eine „legal judgment rule“,47 um damit ein Ergebnis zu erreichen, das ohne eine Legalitätspflicht unproblematisch aus der business judgment rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG folgen würde. 2. Legalitätspflicht und Corporate Governance Nun kann untersucht werden, wie sich die skizzierten Anreizeffekte der Legalitätspflicht in die Struktur der Corporate Governance einfügen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass den Organwaltern im Bereich der Geschäftsführungs- und Leitungsangelegenheiten grundsätzlich ein weites unternehmerisches Ermessen zukommt, das insbesondere eine Erfolgshaftung ausschließt, wenn sich eine aus ex ante-Sicht zum Wohl der Gesellschaft getroffene Entscheidung ex post zum Schaden der Gesellschaft ausgewirkt hat.48 Bei der Aktiengesellschaft, wo diese business judgment rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG positiviert wurde, wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der durchschnittliche Aktionär mit einem weit diversifizierten Portfolio „risikoneutral“ ist, d.h. ein Interesse daran hat, dass der Vorstand den Ertrag der Gesellschaft maximiert und dazu auch – im Verhältnis zu den Gewinnchancen angemessene – Risiken eingeht, ohne sich von der Sorge um eine persönliche Haftung dazu verleiten zu lassen, riskante Geschäftsmöglichkeiten zugunsten eines sicheren, aber geringeren Gewinns aufzugeben.49 Zusammen mit der Haftungsbeschränkung gem. § 1 Abs. 1 S. 2 AktG ermöglicht dieser Mechanismus, dass Aktiengesellschaften unternehmerische Risiken tragen können, die auch sehr wohlhabende Privatpersonen nicht zu übernehmen bereit wären. Dadurch ermöglicht die Aktiengesellschaft Innovationen, die ansonsten aufgrund ihres hohen Risikos (etwa hoher Forschungskosten bei ungewissen Erfolgsaussichten) un46 Siehe z.B. Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 403; Holle, AG 2016, 270, 276 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 44; Verse, ZGR 2017, 174, 188 ff. 47 Bürkle, VersR 2013, 792, 793 ff.; Nietsch, ZGR 2015, 631, 656. Siehe auch den Ansatz von Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 376 ff. Überzeugend gegen eine legal judgment rule Koch, in: FS Bergmann, 2018, S. 413, 421 ff. 48 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 49 Demgegenüber sind die sonstigen „Stakeholder“ der Aktiengesellschaft wie Arbeitnehmer, Gemeinden etc. in der Regel risikoavers, weil sie nicht diversifiziert sind, also bei einer Insolvenz der Aktiengesellschaft ihren Arbeitsplatz, ihre Gewerbesteuereinnahmen etc. vollständig verlieren und zum Schutz gegen dieses Risiko tendenziell geringere Einnahmen aus absolut sicheren Geschäftsmöglichkeiten akzeptieren. Die business judgment rule liegt daher nicht im Interesse der sonstigen Stakeholder. Dass der Gesetzgeber sie trotzdem eingeführt hat, spricht für eine Orientierung am Aktionärsinteresse. Ausführlich zur Bedeutung des Unternehmensinteresses für die Legalitätspflicht C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 365 ff.

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terbleiben würden, die aber im Erfolgsfall positive Effekte haben, die weit über den Aktionärskreis hinausreichen. Für die GmbH ist die business judgment rule dagegen nicht kodifiziert. Wenn die ganz h.M. davon ausgeht, dass § 93 Abs. 1 S. 2 AktG analoge Anwendung findet,50 wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der durchschnittliche GmbH-Gesellschafter ebenfalls einigermaßen diversifiziert ist, vor allem aber, dass die Gesellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG jederzeit ein risikoaverses Wirtschaften verbindlich vorgeben und damit das unternehmerische Ermessen des Geschäftsführers einschränken können. Im Folgenden wird daher vereinfachend die allgemeine Geltung der business judgment rule zugrunde gelegt.51 Die Hauptfunktion der Legalitätspflicht besteht darin, das unternehmerische Ermessen hinsichtlich der Verletzung von Außenpflichten der Gesellschaft auszuschließen. Dem liegt die zutreffende Prämisse zugrunde, dass der Organwalter keinen Entscheidungsspielraum für sich in Anspruch nehmen kann, wenn er aufgrund seiner organschaftlichen Pflichten52 zu einem bestimmten Verhalten gezwungen ist. Indem die Legalitätspflicht die Außenpflichten der Gesellschaft zu organschaftlichen Pflichten „transformiert“, wird damit der Anwendungsbereich der business judgment rule in dramatischer Weise beschnitten. Da die business judgment rule allein den Belangen der Gesellschafter dient, greift eine Legalitätspflicht in die Gesellschafterinteressen ein. Abgesehen vom Sonderfall einer von der öffentlichen Hand, für die das verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gilt, kontrollierten Gesellschaft haben die Gesellschafter kein generelles Interesse an einem rechtskonformen Verhalten ihrer Gesellschaft. Sofern die Gesellschafter im 50

BGHZ 197, 304, 312; Fleischer, in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rn. 71; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 43 Rn. 23; Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rn. 27; Schneider, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 43 Rn. 54. 51 Dies ist insbesondere deshalb angemessen, weil die GmbH-Gesellschafter jederzeit verbindliche Einschränkungen des unternehmerischen Ermessens durch Gesellschaftsvertrag oder Weisung vorgeben und daher einer eventuell anderen Interessenlage rechtliche Relevanz garantieren können. 52 In diesem Sinne völlig eindeutig Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11: „Die Regelung geht von der Differenzierung zwischen fehlgeschlagenen unternehmerischen Entscheidungen einerseits und der Verletzung sonstiger Pflichten andererseits (Treuepflichten; Informationspflichten; sonstige allgemeine Gesetzes- und Satzungsverstöße) aus. Ein Verstoß gegen diese letztere Pflichtengruppe ist von der Bestimmung nicht erfasst. Die unternehmerische Entscheidung steht im Gegensatz zur rechtlich gebundenen Entscheidung. Für illegales Verhalten gibt es keinen „sicheren Hafen“ im Sinne einer haftungstatbestandlichen Freistellung, es kann hier im Einzelfall aber am Verschulden fehlen.“ Die genannten Beispiele beziehen sich allesamt (auch die „allgemeinen Gesetzesverstöße“, vgl. etwa § 15a Abs. 1 InsO) auf Pflichten des Organwalters, nicht der Gesellschaft. Die ganz h.M., die in dieser Gesetzesbegründung einen Beleg für die Legalitätspflicht sehen möchte, verkennt den Unterschied zwischen Innen- und Außenverhältnis.

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Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung keine sonstigen Ziele (wie Umweltschutz oder andere Gemeinwohlbelange) festschreiben, definiert sich die Kapitalgesellschaft allein durch das Gewinnziel und den Unternehmensgegenstand. Die Legalitätspflicht führt in einem ersten Schritt dazu, dass die Organwalter Projekte mit positivem Erwartungswert nicht durchführen, weil damit eine Sanktion verbunden ist, die entweder nur gering ausfällt oder deren Verhängung unwahrscheinlich ist (sonst hätte das Projekt schon keinen positiven Erwartungswert). Ein solcher Eingriff in die Gesellschafterinteressen wäre möglicherweise zu rechtfertigen, wenn dadurch erhebliche Verbesserungen der Rechtsdurchsetzung zu erzielen wären, die nicht effizienter durch eine direkte Verbesserung der Rechtsverfolgung gegenüber der Gesellschaft zu erreichen wären. Dies ist indes – wie zuvor gezeigt – nicht der Fall. Problematisch ist aber vor allem, dass die Legalitätspflicht die Organwalter in einem zweiten Schritt dazu zwingt, sich in einem Ausmaß mit rechtlichen Fragen zu beschäftigen, das weit über das zur Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage i.S.v. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Erforderliche hinausreicht. Die dadurch bewirkte Verrechtlichung der Geschäftsführungstätigkeit bindet nicht nur Aufmerksamkeits- und Zeitressourcen, sondern führt auch dazu, dass die Geschäftsleitung jegliche rechtlichen Risiken und auch die gerichtliche Klärung offener Rechtsfragen meiden wird, um keine persönliche Haftung im Misserfolgsfall zu riskieren.53 Dadurch entstehen enorme Kosten für die Gesellschafter, die wiederum nicht durch eine hinreichende Verbesserung der Rechtsdurchsetzung aufgewogen werden. Die Sorge des Jubilars vor der überhandnehmenden Verrechtlichung belegt eindrucksvoll, dass die von den Verfechtern der Legalitätspflicht angebotenen Erleichterungen beim Verschulden oder gar durch eine – bislang nicht anerkannte – legal judgment rule keine hinreichende Rechtssicherheit für die Praxis bieten. 3. Zwischenfazit Die Legalitätspflicht leistet allenfalls einen höchst begrenzten Beitrag zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung gegenüber der Gesellschaft, der sehr viel zielgenauer und kostengünstiger dadurch erreicht werden könnte, dass unzureichende Sanktionen für die verletzten Primärnormen erhöht und die allgemeine Rechtsdurchsetzung (sowohl gegenüber Kapitalgesellschaften als auch gegenüber sonstigen Marktteilnehmern) verbessert wird. Gleichzeitig ist sie, entgegen der allgemeinen Wahrnehmung, ein dysfunktionales Institut, das die für die Corporate Governance der Kapitalgesellschaft grundle53 Kritisch dazu auch Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 138 (würde „den status quo petrifizieren“).

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gende business judgment rule eines – angesichts der fortschreitenden Verrechtlichung sämtlicher Lebensbereiche stetig zunehmenden – wichtigen Teils ihres Anwendungsbereichs beraubt.54 Allerdings konzedieren auch die Anhänger der Legalitätspflicht, dass jedenfalls Verstöße gegen vertragliche Pflichten der Kapitalgesellschaft nicht per se eine Pflichtwidrigkeit im Organverhältnis begründen, selbst wenn sie vorsätzlich erfolgen.55 Im Bereich des reinen Ordnungsunrechts werden ebenfalls zunehmend Ausnahmen von der Legalitätspflicht gefordert, indem entweder zwischen schlimmeren und weniger schlimmen Ordnungswidrigkeiten differenziert56 oder das Verwaltungsunrecht gleich ganz aus dem Bereich der Legalitätspflicht ausgeklammert wird, so dass nur noch strafbares Verhalten erfasst wäre.57 Eine solche Abstufung nach Unrechtsformen ist freilich allein wegen ihrer Ergebnisse überzeugend, aus der Dogmatik einer das unternehmerische Ermessen begrenzenden Legalitätspflicht aber nur schwer zu begründen. Da die Legalitätspflicht, wie oben gezeigt, im Gesetzesrecht ohnehin nicht verankert ist, sollte sie ersatzlos aufgegeben werden. Damit ist keineswegs ein Freibrief für die Organwalter verbunden, Rechtsbrüche begehen zu dürfen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

IV. Pflichten der Gesellschaft und Pflichten der Organwalter Eine Organhaftung gegenüber der Gesellschaft lässt sich nur begründen, wenn der Organwalter eigene Pflichten verletzt hat. Im Regelfall werden dies organschaftliche Pflichten, also solche Pflichten sein, die den Organwalter gerade in dieser Eigenschaft treffen (dazu unter 1.). Es gibt aber auch Konstellationen, in denen der Organwalter durch sein Handeln für die Gesellschaft zugleich gegen Pflichten (etwa Verbote des allgemeinen Strafrechts) verstößt, die dem geschädigten Dritten einen direkten Anspruch gegen den Organwalter geben. In denjenigen Fällen, in denen dem Organwal54 Diesbezüglich besorgt auch Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 75. 55 Ganz h.M., siehe z.B. Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 148; Bicker, AG 2014, 8, 9 f.; Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017, S. 287 ff.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 33; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 25; a.A. Koch, ZGR 2006, 769, 785 ff.; ders, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 17; Nietsch, ZGR 2015, 631, 654. 56 So etwa Fleischer, ZIP 2005, 141, 149; Habersack, in: FS Schneider, 2011, S. 429, 439; Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 909 f.; C.A. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung, Habil. München 2018, S. 534 ff.; vgl. auch Hellgardt, WM 2006, 1514, 1520. Eine solche Differenzierung ablehnend Bicker, AG 2014, 8, 11; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 6. 57 Grigoleit, in: 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 374 f.

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ter persönlich kein Entscheidungsspielraum zukommen soll, liegt auch kein unternehmerisches Ermessen im Innenverhältnis vor (dazu unter 2.). 1. Organschaftliche Pflichten der Organwalter Die organschaftlichen Pflichten der Organwalter haben nach ganz h.M. eine generalklauselartige Fundierung in § 43 Abs. 1 GmbHG/§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG gefunden, wo demnach über den Wortlaut hinaus nicht nur ein besonderer Verschuldens-, sondern ein objektiver Verhaltensstandard geregelt ist.58 Im Allgemeinen unterscheidet man dabei zwischen Sorgfalts- und Treuepflichten.59 Während die Treuepflicht den Organwalter verpflichtet, bei Interessenkonflikten den Gesellschaftsinteressen Vorrang vor Privatinteressen einzuräumen, ist die Sorgfaltspflicht sedes materiae, wenn es um die Pflichten bei der eigentlichen Geschäftsführung geht. Die Sorgfalt eines ordentlichen (und gewissenhaften) Geschäftsmannes/-leiters umfasst als wesentlichen Bestandteil die Verpflichtung, Schäden von der Gesellschaft abzuwenden.60 Verletzt der Organwalter bei seiner Geschäftsführung Rechtspflichten der Gesellschaft im Außenverhältnis und muss die Gesellschaft daraufhin Bußgelder oder Schadensersatz zahlen, indiziert der Rechtsverstoß im Außenverhältnis eine Sorgfaltspflichtverletzung im Innenverhältnis. Ob eine solche tatsächlich gegeben ist, muss allerdings vor dem Hintergrund von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG in jedem Einzelfall ermittelt werden, denn die Außenpflichten der Gesellschaft binden zunächst einmal nur diese und begrenzen nicht den unternehmerischen Ermessensspielraum der Geschäftsleitung. Ganz in diesem Sinne ging etwa der Gesetzgeber des AktG 1965 davon aus, dass es „sich von selbst“ verstehe, dass der Vorstand „die Belange der Aktionäre und der Arbeitnehmer zu berücksichtigen hat“, 58 Zur AG Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 43 sowie Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 10; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 5; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 11. Zur GmbH: Fleischer, in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43; Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 43 Rn. 11; Paefgen, in: Großkomm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 166; Schneider, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 43 Rn. 15; a.A. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 8 (diese Ansicht wurde in der Neuaufl. von Beurskens aufgegeben). 59 Statt aller Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 52 m.w.N. 60 Siehe nur BGHZ 176, 204, 220; Goette, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123 f.; Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 28; dem kann nicht entgegengehalten werden, aus einem Schaden könne nicht auf eine Verhaltenspflicht geschlossen werden; so aber Habersack, in: FS Schneider, 2011, S. 429, 433. Denn es geht hier nicht um eine strenge Verhaltenspflicht, sondern um die Ausgestaltung des unternehmerischen Ermessens, das den Organwalter auf das Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Ein Schaden ist aber der eindeutigste Fall einer Verletzung des Gesellschaftswohles; lässt der Organwalter diesen vorsätzlich oder fahrlässig geschehen, bedarf es daher einer Rechtfertigung durch § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, um die Haftung auszuschließen.

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was in gleicher Weise für „die Belange der Allgemeinheit“ gelte,61 wovon aber tatsächliche „Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis“62 streng unterschieden wurden. Ob der Organwalter durch eine Pflichtverletzung der Gesellschaft im Außenverhältnis seine organschaftliche Sorgfaltspflicht verletzt, ist deshalb vorrangig eine Frage nach den Grenzen des unternehmerischen Ermessens. Diese Grenzen sind im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht – auch ohne eine Legalitätspflicht – schon deshalb besonders streng gezogen, weil sich der Gesetzgeber bei der Schaffung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zwar von der USamerikanischen business judgment rule, wie sie insbesondere die Gerichte Delawares in ihrer Rechtsprechung entwickelt haben, hat leiten lassen,63 ohne allerdings deren prozessuale Einbettung zu berücksichtigen. In Delaware bewirkt die business judgment rule eine generelle Haftungsfreistellung der directors, die nur überwunden werden kann, wenn der Kläger darlegt und beweist, dass ihre Voraussetzungen nicht gegeben waren.64 Der Legalitätspflicht kommt in diesem Setting eine zentrale Aufgabe zu: ein Verstoß gegen Außenpflichten der Gesellschaft durchbricht den Schutzschild der business judgment rule.65 Demgegenüber muss im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht der Organwalter die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG beweisen: Unternehmerische Entscheidung, Gutgläubigkeit, Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse, Handeln zum Wohle der Gesellschaft und Handeln auf der Grundlage angemessener Information.66 Wendet man diese Voraussetzungen auf einen Organwalter an, der weiß, dass sein Handeln für die Gesellschaft deren Rechtspflichten verletzt, so ergeben sich hohe Hürden, um einer Pflichtverletzung zu entkommen. Entscheidend ist insbesondere, dass der Organwalter darlegen muss, wie er 61 Sämtliche Zitate aus Begr. RegE AktG, BT-Drucks. IV/171, S. 121 = Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 97 (Hervorhebung hinzugefügt). 62 Begr. RegE AktG, BT-Drucks. IV/171, S. 123 f. = Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 103. 63 So ausdrücklich Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 64 Siehe nur ALI, Principles of Corporate Governance, 1994, § 4.01(d) sowie aus der Rechtsprechung beispielhaft den vielzitierten Fall Aronson v. Lewis, 473 A.2d 805, 812 (Del. 1984): „The business judgment rule is an acknowledgment of the managerial prerogatives of Delaware directors […]. It is a presumption that in making a business decision the directors of a corporation acted on an informed basis, in good faith and in the honest belief that the action taken was in the best interests of the company. […] The burden is on the party challenging the decision to establish facts rebutting the presumption.“ 65 Nach h.M. (vgl. ALI, Principles of Corporate Governance, 1994, Comment to § 4.01(a) first paragraph, d.) kann sich ein director oder officer bei einem Gesetzesverstoß nicht auf die business judgment rule berufen, wobei dazu wenig Rechtsprechung existiert. Leading case ist Miller v. AT & T, 507 F.2d 759, 762 (3rd Cir. 1974), bei dem es um illegale Wahlkampfunterstützung durch Nichteinziehung von Forderungen gegen eine politische Partei ging. 66 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. Zu den Tatbestandsvoraussetzungen ebd., S. 11.

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trotz des Rechtsbruchs von einem Handeln zum Wohle der Gesellschaft ausgehen konnte. Angesichts möglicher Sanktionen und darüber hinausreichender Reputationsschäden muss der Rechtsverstoß aus ex ante-Sicht der Kapitalgesellschaft enorme Vorteile versprochen haben, um dem Gesellschaftswohl zu entsprechen. Dies dürfte etwa zutreffen, wenn sich der Organwalter entscheidet, eine vertragliche Verpflichtung der Kapitalgesellschaft (etwa wegen gestiegener Materialkosten) nicht zu erfüllen und stattdessen Schadensersatz statt der Leistung zu zahlen oder Bußgelder von Paketfahrern wegen Falschparkens zu genehmigen. In den allermeisten Fällen wird die Problematik allerdings darin bestehen, dass dem Organwalter der Rechtsverstoß nicht bewusst war. Dann stellt sich die Frage, ob trotzdem ein „Handeln auf Grundlage angemessener Information“ vorgelegen haben kann. Dies ist eine Frage des Einzelfalls, aber durchaus denkbar. Je kurzfristiger die Entscheidungssituation und je fernliegender die entgegenstehende rechtliche Norm, desto einfacher wird es dem Organwalter gelingen, sich hinsichtlich der verkannten rechtlichen Situation zu entlasten, ohne dass es dazu auf rechtlichen Rat oder die Ision-Kriterien ankäme. Kein unternehmerisches Ermessen besteht, wenn ein Organwalter die Grenzen seiner Geschäftsführungsbefugnis überschreitet.67 Neben den in § 37 Abs. 1 GmbHG/§ 82 Abs. 2 AktG genannten Regelungen fallen darunter auch weitere gesetzliche Grenzen, mit denen der Gesetzgeber speziell den Organwalter adressiert, etwa §§ 41 GmbHG/91 Abs. 1 AktG oder auch § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Verpflichtet der Gesetzgeber den Organwalter als solchen zu einer bestimmten Handlung, besteht im Rahmen der Sorgfaltspflicht kein unternehmerisches Ermessen, ob die Pflicht erfüllt werden soll.68 2. Pflichten der Organwalter gegenüber Dritten Eine weitere Grenze für das unternehmerische Ermessen von Organwaltern kann sich ergeben, wenn sie sich durch ihr Geschäftsführungshandeln gesellschaftsexternen Dritten gegenüber schadensersatzpflichtig machen69 oder einen öffentlich-rechtlichen Haftungstatbestand wie § 69 AO erfüllen. Ähnlich gelagert sind Fälle, in denen der Organwalter durch sein Handeln persönlich einen Straftatbestand verwirklicht. Verzichtet der Vorstand eines Automobilherstellers, dem Probleme mit den Bremsen des neuen Sportwagenmodells berichtet werden, auf einen Rückruf, um „den gerade anlaufenden Absatz nicht zu gefährden“, und kommt es infolgedessen zu Unfällen, 67

Siehe bereits Fn. 52. Dabei ist aber denkbar, dass dem Organwalter ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt, wie er diesen Rechtspflichten nachkommt; vgl. Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 75. 69 Dazu Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, 2015, S. 232 ff. 68

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haftet der Organwalter den Opfern nicht nur aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB auf Schadensersatz, sondern hat sich auch nach § 223 StGB oder § 212 StGB strafbar gemacht. Während es in solchen Fällen ohnehin schwierig sein dürfte, die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu belegen, kommt es darauf rechtlich nicht mehr an. Normen, die – wie insbesondere § 823 Abs. 1 BGB – allgemeine Verhaltensanforderungen aufstellen und daher auch Organwalter persönlich treffen oder – wie etwa § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 331 HGB oder §§ 34, 69 AO70 – Organwalter als solche gegenüber Dritten oder der Allgemeinheit in die Pflicht nehmen, können zugleich Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis bilden. Dies ist dann der Fall, wenn sie den Handlungsspielraum des Organwalters aus Gründen begrenzen, die nicht ausschließlich im Außenverhältnis liegen, sondern die entsprechende Handlung auch zugunsten der Kapitalgesellschaft verbieten. Ein Schutz auch der Gesellschaft ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Organwalter durch den Verstoß persönlich (d.h. unabhängig von einer durch die Gesellschaft nach § 14 StGB abgeleiteten Primärpflicht) strafbar macht. Ein Geschäftsführungsverhalten, das als solches strafbar ist, kann nicht mehr durch unternehmerisches Ermessen gerechtfertigt werden. Soweit die Rechtsprechung dagegen eine Außenhaftung für die Verletzung rein unternehmensbezogener Pflichten konstruiert hat71 – etwa die persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 14, 266a StGB für nicht abgeführte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung72 –, handelt es sich nicht per se auch um eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis. Auch die Unternehmensorganisationspflicht nach § 130 OWiG betrifft nicht das Innenverhältnis, sondern dient gerade in Abgrenzung von den Binnenpflichten dazu, gesellschaftsexterne Dritte vor den Gefahren eines nach objektiven Maßstäben (aber möglicherweise gesellschaftsintern durch die business judgment rule gerechtfertigt) mangelhaft organisierten Unternehmens zu schützen.73 Ebenfalls keine Gleichsetzung von Außen- und Innenverhältnis gilt in Fallkonstellationen, in denen Organwaltern eine zivilrechtliche Garantenpflicht gegenüber Dritten zugesprochen wurde mit dem Ziel, eine persönliche Außenhaftung für Pflichtverletzungen nachgeordneter Unternehmensangehöriger zu begründen.74 In diesen Fällen beruht die Haftung nicht auf der Überschreitung von Geschäftsführungskompetenzen, sondern auf dem praktischen Bedürfnis, außenstehenden Dritten bei Insolvenz der Kapitalgesellschaft neues Haftungs70

Dazu Schön, in: FS H.P. Westermann, 2008, S. 1469, 1474 ff. Dazu krit. Hellgardt WM 2006, 1514, 1518 ff. 72 BGHZ 133, 370, 374 f. 73 Zur Schutzrichtung von § 130 OWiG siehe nur Rogall, Karlsruhe Komm. OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 Rn. 2, 16. 74 BGHZ 109, 297, 302 ff.; einschränkend nun aber BGHZ 194, 26. 71

Wider die Legalitätspflicht im Kapitalgesellschaftsrecht

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substrat zu verschaffen. Rückschlüsse auf die Verletzung organschaftlicher Pflichten lassen sich durch Gesetzesverstöße, die dem Organwalter erst nach § 14 StGB (bzw. § 9 OWiG) oder mittels einer aus der Organstellung folgenden Garantenpflicht zugerechnet werden, nicht ziehen. Denn diese Pflichten sind allein aus dem Außenverhältnis begründet, das aber – anders als das fehlgeleitete Konstrukt der Legalitätspflicht suggeriert – nicht automatisch die Pflichten im Innenverhältnis überlagert. Wird der Organwalter in diesen Fällen von Dritten in Anspruch genommen, hat er regelmäßig einen Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft, sofern sein Handeln nicht ausnahmsweise auch die Grenzen von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verletzt.

V. Fazit Die Legalitätspflicht ist deshalb so erfolgreich, weil sie eine absolute und leicht verifizierbare Grenze des unternehmerischen Ermessens bildet. Anstatt sich mit den Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG befassen zu müssen, können die Gerichte eine Pflichtverletzung durch den Rechtsverstoß der Gesellschaft begründen. Diese Konstruktion, die die grundlegende Unterscheidung von Außen- und Innenverhältnis im Kapitalgesellschaftsrecht missachtet, führt weder zu einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung im Außenverhältnis noch liegt sie im Interesse der Gesellschafter. Auf Grundlage des aus der Rechtsfähigkeit der Kapitalgesellschaft folgenden Trennungsprinzips lassen sich sachgerechtere Ergebnisse finden, die der Unternehmensleitung den nötigen unternehmerischen Freiraum gewähren, ohne aber Rechtsverstößen Tür und Tor zu öffnen. Massive Gesetzesverstöße durch Kapitalgesellschaften sind bereits aufgrund der rechtsvergleichend gesehen strengen Ausgestaltung der business judgment rule und der weiteren Pflichten, denen die Organwalter bei ihrer Tätigkeit unterliegen, nicht zu befürchten. Regelungen wie § 15a Abs. 1 S. 1 InsO und § 69 AO zeigen, dass der Gesetzgeber über ein ausdifferenziertes Arsenal an Möglichkeiten verfügt, Organwalter für die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Pflichten persönlich in die Verantwortung zu nehmen. Erstreckt man dagegen mit der h.M. sämtliche Außenpflichten der Gesellschaft ipso iure in das organschaftliche Pflichtenverhältnis, wird nicht nur dieses abgestufte System ignoriert, sondern dem Gesetzgeber auch die Möglichkeit genommen, das Regulierungsinstrument Organhaftung differenziert einzusetzen. Der Effekt einer solchen undifferenzierten Legalitätspflicht ist die vom Jubilar beklagte zunehmende Verrechtlichung, die das Verhältnis von Rechtsdurchsetzung und unternehmerischer Freiheit aus den Angeln zu heben droht.

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Put Up or Shut Up – Zum Umgang mit Übernahmegerüchten im deutschen Recht ACHIM HERFS

I. Das Problem von Übernahmegerüchten In letzter Zeit hat die Zahl der Übernahmen in Deutschland stark zugenommen. Das liegt insbesondere daran, dass das Interesse von Finanzinvestoren an Übernahmen deutlich angestiegen ist. Auf der Suche nach geeigneten Zielunternehmen werden auch börsennotierte Unternehmen mit Entwicklungspotential interessant. Dabei ist ein Problem aufgetaucht, das auf der Schnittstelle von Kapitalmarktrecht und Übernahmerecht liegt, nämlich die Frage, wie mit Übernahmegerüchten umzugehen ist. Da der Jubilar das europäische und deutsche Kapitalmarktrecht und Übernahmerecht maßgeblich geprägt hat, ist eine genauere Untersuchung der rechtlichen Vorgaben für den Umgang mit Übernahmegerüchten, einschließlich eines Blicks auf die Behandlung des Problems in anderen Rechtsordnungen, ein geeignetes Thema für eine Festschrift zu seinen Ehren.1 Die MAR enthält in Art. 17 Abs. 7 UA 2 MAR eine ausdrückliche Regelung zu Gerüchten, allerdings nur im Zusammenhang mit der Selbstbefreiung. Das Aufkommen von Gerüchten, die sich auf kursrelevante, aber noch nicht veröffentlichte Tatsachen beziehen, zwingt den Emittenten zur Veröffentlichung.2 Diese Regelung, dass Unternehmen aufgrund von Marktgerüchten zu einer vorzeitigen Ad-Hoc-Publizität gezwungen sein könnten, ohne selbst zu diesen Gerüchten beigetragen zu haben, wird oft als einer der „Geburtsfehler“ der MAR bezeichnet 3. Das könnte auch beim Aufkommen von Übernahmegerüchten gelten, wobei danach zu differenzieren ist, ob tatsächlich Gespräche zur Übernahme stattfinden oder nicht. Falls sich das Zielunternehmen tatsächlich in Verhandlungen mit einem Übernehmer be1 Dieser Beitrag entstand mit der Unterstützung von Rechtsreferendar Pablo Tretow aus Hamburg. 2 Vgl. dazu im Kontext von Übernahmen Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (208). 3 Siehe Studie „Zwei Jahre EU-Markt-Missbrauchsverordnung. Stimmungsbild: Handlungsbedarf bei der Ad-Hoc-Publizität“, S. 3, die von Hengeler Mueller und dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) durchgeführt wurde und am 12.12.2018 veröffentlicht wurde (abrufbar unter: https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/studien/181212% 20Studie%202%20Jahre%20Marktmissbrauchsverordnung%20Web.pdf).

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findet, müsste es diese Gespräche veröffentlichen, wenn sie Insiderinformationen im Sinne von Art. 11 MAR darstellen und noch nicht veröffentlicht sind, weil das Zielunternehmen von der Möglichkeit der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR Gebrauch gemacht hat. Für Fälle, in denen zwar keine Gespräche stattfinden, es aber Gerüchte gibt, dass ein Unternehmen oder Finanzinvestoren eine Übernahme planen, gibt es keine spezielle Regelung. Es gibt nur die generelle Regelung der Marktmanipulation, die greift, wenn falsche Gerüchte gestreut werden.4 Die Konsequenzen von solchen Gerüchten können gravierend sein. Wenn während einer laufenden Übernahme Gerüchte aufkommen, dass ein Dritter ein konkurrierendes Angebot plant, kann das Aktionäre in der Erwartung eines besseren Angebots davon abhalten, das Angebot anzunehmen. Dies passierte z.B. bei der Übernahme von Osram5. Auch ohne ein laufendes Angebot können Übernahmegerüchte für das Zielunternehmen disruptiv sein. Solche Gerüchte können das Management davon abhalten, eine für richtig gehaltene Strategie weiter zu verfolgen, weil eine Übernahme drohe. Mitarbeiter werden verunsichert, die Kursentwicklung wird volatil und hat nichts mehr mit der operativen Performance zu tun. Der Dritte, der Urheber oder 4 Im Juli 2019 hatte eine tschechische Investmentgesellschaft ein Übernahmeangebot für die Metro AG veröffentlicht. Das Angebot scheiterte an der Mindestannahmeschwelle. Der Kurs der Metro-Aktie fiel daraufhin stark. Anfang März 2020 gab es Gerüchte, dass der US-amerikanische Lebensmittellieferant Sysco Interesse an einer Übernahme von Metro habe. Von den (mutmaßlichen) Übernahmeabsichten berichteten sowohl US-amerikanische als auch deutsche Wirtschaftszeitschriften mehrfach. Erste Gespräche zwischen Sysco und Metro soll es demnach bereits Anfang September 2019 gegeben haben. Die Gespräche hätten sich bis in die jüngere Vergangenheit fortgesetzt. Sowohl Sysco als auch Metro äußerten sich auf Nachfrage zunächst nicht zu den Gerüchten. Erst am 19. März 2020 bezog der Vorstandsvorsitzende von Metro, Olaf Koch, im Manager Magazin zu den Gerüchten Stellung. Er äußerte wörtlich: „Ich möchte gar nicht abstreiten, dass es Gespräche mit Sysco gab. (…) Aber aktuell liegt kein Angebot auf dem Tisch. (…) Es gibt eine hohe Zuneigung zwischen den beiden Unternehmen, wir teilen ähnliche Werte.“ Eine eigene Veröffentlichung seitens Metro erfolgte nicht. Metro wollte zudem nicht dazu Stellung nehmen, ob und inwieweit es noch laufende Gespräche gibt. Die Übernahmegerüchte zeigten Auswirkungen auf den Börsenkurs sowohl der Metroals auch der Sysco-Aktie. Beide Aktien gewannen nach Bekanntwerden der Übernahmegerüchte Anfang März erheblich an Wert. Nachdem jedoch die drei Großaktionäre von Metro Gespräche oder gar Angebote von Sysco dementierten, sank der Kurs der Metro-Aktie wieder deutlich. Hätte Metro hier nicht sofort zu den Übernahmegerüchten Stellung nehmen müssen, um Kursverzerrungen zu vermeiden? 5 Bei der Übernahme von Osram im Jahr 2019 veröffentlichten Bain und Carlyle am 3.7.2019 ein Übernahmeangebot zum Preis von EUR 35 je Aktie. Am 15.7.2019 erklärt AMS zunächst, dass sie ein Angebot zu EUR 38,50 erwägen, einen Tag später wird die Absicht wieder dementiert. Dies reichte schon, um eine Annahme des Angebots von Bain und Carlyle zu verhindern. Die Aktionäre konnten ja mit einem höheren Angebot rechnen. Tatsächlich veröffentlichte AMS später ein konkurrierendes Angebot. Vgl. zur Problematik von angekündigten konkurrierenden Angeboten auch Bachmann, Konkurrierende Angebote, in: Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR Beiheft 2011, 191 (220).

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zumindest Gegenstand der Gerüchte über seine Übernahmeabsichten ist, erhält über das Streuen von Gerüchten oder das fehlende Dementi nicht nur die Möglichkeit, ein laufendes Angebot zu torpedieren, sondern kann auch andere potentielle Bieter durch den aufgrund der Gerüchte ansteigenden Kurs der Aktie des Zielunternehmens abschrecken6 und sich selbst alle Optionen offenhalten, ohne sich in irgendeiner Weise hinsichtlich seiner Absichten festlegen zu müssen. Übernahmegerüchte führen auch dazu, dass sich Aktienpreise von ihren Fundamentalwerten entfernen7. Solche Kursentwicklungen zerstören das Vertrauen der Anleger und vermindern die Möglichkeiten für das Zielunternehmen, Geld über den Kapitalmarkt aufzunehmen8. Trotz dieser gravierenden Konsequenzen fehlt im deutschen Übernahmerecht eine Regelung zu Verhaltenspflichten von Bieter- und Zielgesellschaft bei im Markt kursierenden Übernahmegerüchten. Das ist immer wieder beklagt worden9. Es überrascht auch, weil andere europäische Rechtsordnungen das Problem im Übernahmerecht ausdrücklich adressieren. Bei allen Abweichungen im Detail lässt sich die Grundregel mit „Put up or shut up“ zusammenfassen. Gemeint sind Vorschriften, die einen potentiellen Bieter in einem Übernahmeprozess verpflichten, sich zu seinen Absichten in bindender Weise zu äußern, wenn Gerüchte über seine Partizipation im Übernahmeprozess im Markt kursieren.

II. Put Up or Shut Up-Regelungen in anderen Rechtsordnungen 1. Vereinigtes Königreich Ähnlich dem deutschen § 10 Abs. 1 WpÜG sieht Rule 2.5 (c) des UK City Code on Takeovers and Mergers vor, dass der Bieter seine Absicht (firm intention) zur Abgabe eines Angebots zu veröffentlichen hat, wenn er eine entsprechende Entscheidung getroffen hat (when the offeror has every reason to believe that it can and will continue to be able to implement the offer). Darüber hinaus wurde 2011 eine sogenannte Put Up or Shut Up-Regelung 6

Hasselbach/Pröhl, BB 2016, 1091 (1098). Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 239 f. 8 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 56, 240. 9 Teilweise ist diskutiert worden, ob die Missbrauchsaufsicht nach § 4 Abs. 1 WpÜG der BaFin die Rechtsgrundlage gibt, bei Übernahmegerüchten einem vermeintlichen Bieter eine Pflicht zur Stellungnahme aufzuerlegen. So Seibt, CFL 2011, 213 (222). Angesichts detaillierter Regelungen in anderen Rechtsordnungen ist § 4 Abs. 1 WpÜG aber viel zu unbestimmt, um der BaFin solche Eingriffsbefugnisse zu geben. So auch Bachmann, Konkurrierende Angebote, in: Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, ZHR Beiheft 2011, 191 (219). Skeptisch auch Stephan, AG 2011, 307. Die Ansicht wird heute auch nicht mehr vertreten. 7

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eingeführt10. Nach dieser Regelung kann ein potentieller Bieter in bestimmten Situationen gezwungen sein, ein Angebot zu veröffentlichen (to put up) bevor er es eigentlich wollte, oder aber für einen Zeitraum von sechs Monaten von der Abgabe eines Angebots gehindert sein (to shut up). Diese Regelung soll Marktverzerrungen vermeiden, die durch aufkommende Gerüchte und Spekulationen entstehen können und das Streuen von Gerüchten als Angebotstaktik verhindern11. Zugrunde lag der Neuerung die feindliche Übernahme von Cadbury durch Kraft Anfang 2010, die sich über einen Zeitraum von fast 1 ½ Jahre hinstreckte und für Cadbury erhebliche Belastungen bedeutete. Nach der anschließend eingeführten Rule 2.2 (c), (d) und (f) UK Takeover Code, unterliegt der potentielle Bieter nunmehr spezifischen Rechtspflichten schon vor Ankündigung seines Übernahmeangebots. Sollten Marktgerüchte aufkommen, in denen die Gesellschaft als potentieller Bieter genannt wird, kann diese gezwungen sein, sich innerhalb eines Zeitfensters von 28 Tagen zu ihrer Übernahmeabsicht verbindlich zu äußern12. Die Äußerung kann dabei zum Inhalt haben, dass die Abgabe eines Angebots beabsichtigt sei, dass keine solche Absicht bestehe oder sich darauf beschränken, dass Gespräche stattfänden, also die Möglichkeit der Abgabe eines Angebots bestünde13. Die Regelung findet bei verschiedenen Situationen Anwendung. So ist eine Äußerung erforderlich, wenn es Übernahmegerüchte im Markt gibt oder es zu ungewöhnlichen Schwankungen des Aktienkurses kommt, die die Zielgesellschaft betreffen, und der potentielle Bieter bereits mit den Übernahmeabsichten an die Zielgesellschaft herangetreten ist (Rule 2.2 (c) UK Takeover Code). Gleiches gilt, wenn es Übernahmegerüchte im Markt hinsichtlich eines Gebots des potentiellen Bieters gibt und der potentielle Bieter zwar noch nicht an die Zielgesellschaft herangetreten ist, aber eine Übernahme bereits in Betracht zieht (first actively considers an offer, Rule 2.2 (d) UK Takeover Code). Eine öffentliche Erklärung muss auch abgegeben werden, wenn die Zielgesellschaft nach Investoren sucht, die mindestens 30% der Stimmanteile erwerben sollen und Gerüchte, Spekulationen oder ungewöhnliche Kursschwankungen im Markt bestehen (Rule 2.2 (f), (i) UK Takeover Code). Sobald einer der Tatbestände erfüllt ist, unterliegt der potentielle Bieter automatisch einer 28-Tagesfrist. In dieser Frist muss er sich zu seiner Absicht, ein Angebot abzugeben, äußern. Wenn der potentielle Bieter bekannt gibt, dass er nicht plant, ein Angebot abzugeben, ist es ihm für eine Frist von sechs Monaten untersagt, ein Angebot abzugeben (vgl. Rule 2.6 10

Seibt, ZIP 2012, 1 (10). Hippeli/Klepsch, WM 2016, 1205 (1206); FrankKomm, WpÜG/Santelmann/Steinhardt, § 10 Rn. 21. 12 Vgl. auch Beck’sches M&A-Hdb./Boxell, § 89 Rn. 242. 13 MüKoAktG/Wackerbarth, § 10 WpÜG Rn. 4. 11

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und 2.8 UK Takeover Code)14. Der Bieter wird damit – auch bei negativen Absichtserklärungen – an seine Aussage gebunden. Er darf nicht nur kein Angebot in diesem Zeitraum veröffentlichen, er darf sich auch nicht in eine Pflichtangebotssituation bringen (Rule 2.8 (b) UK Takeover Code) und sich wirtschaftlich nicht so beteiligen, dass er oder mit ihm gemeinsam handelnde Personen, zusammen mit den ihm zugerechneten Anteilen, 30% oder mehr der Stimmrechte an der Zielgesellschaft erlangen. Dem Bieter ist ferner nicht erlaubt, eine Erklärung abzugeben, welche die Möglichkeit erhöht oder bestätigt, dass der Betreffende ein Angebot abgeben kann15. Abgemildert wird die Regelung nur dadurch, dass Zielgesellschaft und Bietergesellschaft gemeinsam beim UK Takeover Panel eine Verlängerung der 28-Tagesfrist beantragen können. Die Neueinführung der Reglung in 2011 hatte einen signifikanten Einfluss auf das Verhalten potentieller Bietergesellschaften im Vereinigten Königreich. Da die Regelung vorsieht, dass ein potentieller Bieter gegebenenfalls deutlich früher ein Angebot veröffentlichen muss als vorgesehen, zwingt sie Bietergesellschaften, besser vorbereitet in das Angebotsverfahren einzusteigen, um gegebenenfalls schnell handeln zu können. Für unvorbereitete Bieter (beispielsweise solche, die noch nicht die Finanzierung geklärt haben) kann die Regelung dagegen gezwungenermaßen die Aufgabe ihrer Absichten bedeuten. Für potentielle Zielgesellschaften bedeuten die Regelungen dagegen de facto mehr Verhandlungsmacht, da sie durch langsame Reaktion auf Anfragen der potentiellen Bietergesellschaft den Bieter zu einem verfrühten Angebot oder zur Aufgabe der Absichten zwingen können. Schließlich bewirkt die Regelung, dass Bieter teilweise schon vor dem Erreichen eines formalen Vertrages mit ihren Absichten an die Öffentlichkeit gehen, da sie im Falle der Marktgerüchte ohnehin vertrauliche Informationen offenlegen müssten16. Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass es im Recht des Vereinigten Königreichs eine Kommentierungspflicht des Übernahmevorhabens geben kann, wenn Gerüchte im Markt kursieren. Es gibt jedoch keine allgemeine Pflicht, auf Gerüchte zu reagieren. Vielmehr kommt eine Kommentierungspflicht von vornherein nur in Betracht, wenn eine Gesellschaft eine Übernahme zumindest in Betracht zieht. Sollten dagegen Übernahmegerüchte kursieren, die einen potentiellen Bieter nennen, dieser aber eine Übernahme überhaupt nicht in Betracht zieht, hat dieser keine Pflicht, dem Gerücht zu begegnen.

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Es sei denn, das Zielunternehmen stimmt einem neuen Angebot zu und die britische Finanzaufsichtsbehörde (UK Takeover Panel) genehmigt das neue Gebot. 15 Ausführlich: Hippeli/Klepsch, WM 2016, Heft 26, 1205 (1210). 16 Zum Ganzen https:/www.jefferies.com/OurFirm/2/961.

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2. Österreich Ähnlich dem deutschen § 10 Abs. 1 WpÜG enthält auch das österreichische Übernahmegesetz (ÜbG) in § 5 Abs. 3 eine Regelung, wonach der Bieter die Pflicht hat, seine Entscheidung, ein Angebot abzugeben, unverzüglich zu veröffentlichen. Anders als in Deutschland, ist in Österreich allerdings nicht nur die Ad-Hoc-Publizitätspflicht bei Abgabe eines Übernahmeangebots geregelt, sondern es sind auch Verhaltenspflichten im Vorfeld einer solchen Veröffentlichung kodifiziert, die vergleichbar17 sind mit Rule 2.2 (c), (d), (f) UK Takeover Code. § 5 Abs. 2 ÜbG enthält eine Regelung, die den Bieter zur unverzüglichen Veröffentlichung seiner Überlegungen, ein Angebot abzugeben, verpflichtet, wenn erhebliche Kursbewegungen oder Gerüchte und Spekulationen auftreten, die ein bevorstehendes Angebot betreffen18. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Kursbewegungen bzw. Gerüchte entweder auf die Vorbereitung des Angebots bzw. diesbezügliche Überlegungen oder auf Aktienkäufe durch den Bieter zurückzuführen sind. Eine Veröffentlichungspflicht für Überlegungen, ein Angebot abzugeben, besteht somit erst, wenn eine Gesellschaft tatsächlich eine Übernahme in Betracht zieht und die Geheimhaltung gebrochen ist19. Nach einer Veröffentlichung in Folge von Marktgerüchten gemäß § 5 Abs. 2 ÜbG hat der Bieter innerhalb von zehn Börsentagen unter Vorlage der Angebotsunterlagen der österreichischen Übernahmekommission das Angebot anzuzeigen. Wenn der potentielle Bieter dann nicht innerhalb von 40 Börsentagen ein Angebot veröffentlicht, unterliegt er einer einjährigen Sperrfrist, innerhalb derer er kein Angebot mehr veröffentlichen darf (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 ÜbG). Gleiches gilt für den Fall, dass eine negative Übernahmeabsicht bekannt wurde (§ 21 Abs. 3 ÜbG). Auch die Zielgesellschaft kann eine Kommentierungspflicht treffen, wenn sie in die Vorbereitung des Angebots einbezogen wird20. 3. Niederlande In den Niederlanden hat die niederländische Finanzmarktaufsicht (Autoriteit Financiële Markten (AFM)) die Befugnis, den potentiellen Bieter mit einer Put Up or Shut Up-Pflicht zu belegen (Art. 2a Besluit Openbare Biedingen). Voraussetzung ist, dass der potentielle Bieter Informationen veröffentlicht 17

So auch: Paschos/Fleischer/Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 45. Beispielhaft etwa die Veröffentlichung von AMS zu Beginn der Osram Übernahme (abrufbar unter: https://ams.com/-/07-16-2019-ams-statement-regarding-publication-byosram-licht-ag). 19 MüKoAktG, Das Österreichische Übernahmerecht/Diregger/Kalss/Winner, Rn. 7. 20 MüKoAktG, Das Österreichische Übernahmerecht/Diregger/Kalss/Winner, Rn. 7. 18

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hat, die nahelegen, dass er die Übernahme einer Zielgesellschaft plant. Die AFM kann darüber hinaus nur tätig werden, wenn die Zielgesellschaft dies beantragt. Daher ist es bei einer freundlichen Übernahme eher fernliegend, dass die Put Up or Shut Up-Regelung relevant wird. Im Falle einer Anwendung der Put Up or Shut Up-Regelung hat sich die potenzielle Bietergesellschaft in einer Frist von sechs Wochen zu äußern. Sollte die Übernahmeabsicht verneint werden, so ist der Bietergesellschaft und allen mit ihr gemeinsam handelnden Rechtsträgern sechs Monate lang untersagt, ein Angebot abzugeben. Der Bietergesellschaft ist jedoch gestattet, in der Sperrfrist ein Angebot abzugeben, wenn eine dritte Bietergesellschaft ein Übernahmeangebot veröffentlicht. Nichtsdestotrotz darf der potenzielle Bieter während dieser Periode keine Beteiligung aufbauen, die 30% der Stimmrechte überschreitet21. 4. USA Abschließend ist ein Blick in das amerikanische Recht interessant, da es dort keine Put Up or Shut Up-Regelung gibt. Nach US-amerikanischen Gesetzen muss die Absicht, eine Zielgesellschaft zu übernehmen, grundsätzlich erst mit der Veröffentlichung der offiziellen Übernahmedokumente offengelegt werden. Die amerikanischen Gerichte haben sich gegen eine allgemeine Kommentierungspflicht entschieden. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn bewiesen werden kann, dass die Quelle der Gerüchte die Gesellschaft selbst ist22. In einer Leitentscheidung aus 198123 – die in folgenden Urteilen fortgeführt wurde – hieß es dazu „A company has no duty to correct or verify rumors in the marketplace unless those rumors can be attributed to the company“24. Bei kursierenden Marktgerüchten ist die vorherrschende Verhaltensweise der US-amerikanischen Unternehmen eine „no-comment“-Position. Der U.S. Supreme Court hat bestätigt, dass eine solche Kommentierung auch dann noch zulässig ist, wenn bereits substantiierte Übernahmeverhandlungen stattfinden25. Wenn eine Gesellschaft sich jedoch generell zu Unternehmensentwicklungen äußert, muss sie beachten, dass sie den Markt nicht mit falschen oder zweideutigen Äußerungen in die Irre führen darf. Daher muss beachtet werden, dass die „no-comment“-Position nur zulässig ist, wenn sie kohärent angewandt wurde. Wenn etwa die Gesellschaft sich in der Vergangenheit zu (potentiellen) Übernahmeprozessen geäußert hat, soll das plötzliche rekurrieren auf eine „no-comment“-Position irreführend sein können. 21 22 23 24 25

Beck’sches M&A-Hdb./Boxell, § 87 Rn. 10 ff. Beck’sches M&A-Hdb./Emmerich/Cohen, § 96 Rn. 31. State Teachers Retirement Bd. v. Fluor Corp., 654 F. 2d 843, 850 (2d Cir. 1981). Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841 (850). Basic Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224 (1988).

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5. Zusammenfassung Andere Rechtsordnungen sehen teilweise Verhaltenspflichten vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots vor, wenn Marktgerüchte kursieren. Die Ausgestaltung variiert von Rechtsordnung zu Rechtsordnung leicht. Erforderlich ist jedoch stets, dass der Bieter die Abgabe eines Angebots zumindest in Betracht zieht. Eine generelle Pflicht zu Übernahmegerüchten Stellung zu nehmen, also auch dann, wenn überhaupt keine Übernahme in Betracht gezogen wird, besteht nicht. Das könnte auch damit zu erklären sein, dass Gesellschaften schon aus eigenem Interesse nichtzutreffende Gerüchte und Spekulationen richtigstellen wollen.

III. Gibt es Put Up or Shut Up-Regelungen unter geltendem deutschen Recht? 1. Pflicht zur Kommentierung von Marktgerüchten a) Kapitalmarktpublizität in Deutschland Das in Deutschland geltende Kapitalmarktrecht ordnet verschiedene Publizitätspflichten je nach Stadium der geplanten Übernahme an. Drei Phasen können unterschieden werden: (1) Zeitraum vor der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, (2) Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung zur Abgabe eines Angebots und (3) Zeitraum nach der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (Angebotsphase). Eindeutig ist die Rechtslage, wenn die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gefallen ist. § 10 Abs. 1 WpÜG ordnet für diese Entscheidung die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung an. Unklar ist aber, welche Anforderungen an eine endgültige Entscheidung zu stellen sind. Gibt es schon eine Veröffentlichungspflicht, auch wenn noch einzelne Vorbehalte bestehen, z.B. die Zustimmung eines Gremiums noch aussteht26? Für den Zeitraum der Angebotsphase – also nach der Veröffentlichung zur Entscheidung eines Angebots – ordnet das deutsche Übernahmerecht (abgesehen von der Stimmrechtsmitteilung nach § 23 WpÜG) keine expliziten Publizitätspflichten an. Jedoch kann eine Pflicht zur Veröffentlichung der mit der Übernahme zusammenhängenden Ereignisse aufgrund der allgemeinen Ad-Hoc-Publizitätspflicht gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR bestehen, wenn das jeweilige Ereignis den Tatbestand einer Insiderinformation (Art. 7 MAR) erfüllt. Dies gilt insbesondere für das Zielunternehmen, wobei als Beispiel erneut der Fall Osram dienen kann. Hier veröffentlichte das Zielunter26 Zu dieser Problematik Angerer/Geibel/Süßmann/Geibl/Louven, WpÜG, § 10 Rn. 10– 19 mwN.

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nehmen neue Entwicklungen im Übernahmeprozess durch Ad-Hoc-Meldungen27. Am unklarsten ist die Rechtslage bezüglich Publizitätspflichten für den Zeitraum vor der finalen Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots, also dem Zeitraum vor dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 WpÜG. Hier bestehen – im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen – jedenfalls keine expliziten Publizitätspflichten oder gar eine Pflicht zu Übernahmegerüchten Stellung zu nehmen28. b) Kommentierungspflichten zu Übernahmegerüchten aus Sicht des Bieters aa) Veröffentlichungspflicht bei endgültiger Entscheidung zur Übernahme Für die Veröffentlichung eines Übernahmeangebots und die Festlegung des Preises sieht das deutsche Kapitalmarktrecht ausführliche Regelungen vor, die die Interessen der Bieter- und der Zielgesellschaft in Ausgleich bringen sollen. § 10 Abs. 1 WpÜG sieht eine Mitteilungspflicht des Bieters vor, wenn die Entscheidung getroffen worden ist, ein Angebot abzugeben. Den Zeitpunkt bestimmt aber der Bieter grundsätzlich selbst. Solange seine Entscheidung noch nicht gefallen ist, muss er auch nicht veröffentlichen. bb) Veröffentlichungspflicht vor der endgültigen Entscheidung bei Übernahmegerüchten? Nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 MAR können Pläne, Vorhaben und Absichten einer Person veröffentlichungspflichtige Informationen sein, wenn eine Gesamtschau ergibt, dass der Eintritt tatsächlich erwartet werden kann29. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist dabei die Sichtweise eines verständigen Anlegers 27 Übersicht über Ad-Hoc-Meldungen der Zielgesellschaft im Fall Osram: Die Zielgesellschaft Osram hat am 3.7.2019 zunächst den Erhalt eines verbindlichen Übernahmeangebots von Bain Capital Private Equity und The Carlyle Group bestätigt, welches am 4.7.2019 durch Osram veröffentlicht wurde. Am 15.7. wurde die unverbindliche Interessenbeurkundung durch ams AG mitgeteilt. Am 12.8. wurde wiederum der Angebotsvorschlag der ams AG und der Beschluss der Verhandlungsaufnahme kommuniziert. Die Ermöglichung des Übernahmeangebots der ams AG und der Abschluss der Kooperationsvereinbarung wurde am 21.8. veröffentlicht. Der Erhalt des indikativen Angebots von Advent und Bain Capital für eine Übernahme wurde am 25.9. bestätigt. Am 18.10. wurde mitgeteilt, dass Advent und Bain Capital bis auf Weiteres kein Übernahmeangebot für Osram planen. 28 Paschos/Fleischer/Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 6; K-K-WpÜG/Hirte, § 10 Rn. 107; zu Veröffentlichtungsverpflichtungen des Bieters vor Abgabe eines Angebots und zur Sperrwirkung von § 10 Abs. 6 WpÜG Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (210 f.). 29 Assmann/Schneider/Assmann, WpHG-Komm., § 13 Rn. 20; Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 374.

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ex ante. Der erforderliche Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit ist bezüglich der Frage der präzisen Information unabhängig von der potentiellen Auswirkung auf den Börsenkurs zu prüfen. Die in den USA entwickelte Probability-Magnitude-Formel ist somit – zumindest für die Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit bei der präzisen Information – nicht anwendbar30. Vielmehr ist eine überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit (also 50% plus x) zu fordern31. Bei gestreckten Vorgängen kann darüber hinaus jeder Zwischenschritt selbst eine Insiderinformation darstellen, die zu veröffentlichen ist (Art. 7 Abs. 3 MAR und Erwägungsgrund 16 S. 1 MAR). Bereits die Absicht zur Übernahme einer anderen Gesellschaft kann somit als präzise Information angesehen werden, unabhängig davon, ob es tatsächlich zur angestrebten Entscheidung bezüglich der Übernahme kommt32. Genauso können bereits eingetretene Zwischenschritte in einem gestreckten Übernahmeprozess (zum Beispiel der Beschluss des Vorstands, wenn die Zustimmung des Aufsichtsrats noch aussteht) eine Insiderinformation darstellen. Für den börsennotierten Bieter gibt es nur eine Privilegierung unabhängig davon, ob seine Übernahmeabsicht schon so konkret ist, dass sie eine Insiderinformation darstellt: Er darf gemäß Art. 9 Abs. 5 MAR trotzdem weiter Aktien im Markt kaufen33. (1) Kursrelevanz Eine Insiderinformation ist nur zu bejahen, wenn – sollte sie bekannt werden – sie geeignet wäre, den Kurs des Finanzinstruments erheblich zu beeinflussen. Dabei ist bei der Beurteilung auf die Sichtweise eines verständigen Anlegers abzustellen (Art. 7 Abs. 4 MAR)34. Nur wenn dieser die Information wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde, ist eine Kursrelevanz und damit eine Insiderinformation zu bejahen35. Bei der Bietergesellschaft stellt sich zunächst einmal die Frage, ob die Übernahme überhaupt kursrelevant sein kann. Das hängt von den Umständen ab. Wie sind die Größenverhältnisse? Was sind die Synergien oder die Auswirkungen auf die Strategie des Bieters? Sieht der Markt die Übernahme als wertsteigernd oder wegen eines überhöhten Preises als wertmindernd? 30 Paschos/Fleischer/Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 16; Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 377. 31 Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 376. 32 Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 379; allg. zu gestreckten Vorgängen: EuGH WM 2012, 1807 ff. („Geltl/Daimler“). 33 Zu solchen legitimen Handlungen: Schimansky/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 93 ff.; Klöhn, MAR, Art. 9 Rn. 129 ff. 34 Bachmann, ZHR 172 (2008), 597 (605). 35 Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 156.

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Von der Insiderinformation muss also ein eindeutiger Kauf- oder Verkaufsanreiz ausgehen. (2) Zeitpunkt der Veröffentlichung Bei Bejahung der Kursrelevanz stellt sich für den Bieter die Frage, wann eine Übernahmeabsicht so konkret wird, dass sie zu einer präzisen Information wird, die zu veröffentlichen ist. Die Beauftragung von Beratern36, Durchführung einer Due Diligence Prüfung37 oder etwa Vorgespräche mit der potenziellen Zielgesellschaft sollen in der Regel reine Vorbereitungshandlungen sein, die noch nicht ad-hoc-publizitätspflichtig sein sollen. Der Abschluss eines Letter of Intent soll dagegen eine Insiderinformation darstellen können, wenn dieser hinreichend konkret ist – etwa wenn in ihm das weitere Vorgehen der Beteiligten (beispielsweise Verhandlung des Business Combination Agreement, Beginn der Due Diligence) geregelt ist38. In der Praxis fällt bei einer freundlichen Übernahme die Unterzeichnung des Business Combination Agreement mit der Veröffentlichung der Mitteilung nach § 10 WpÜG zusammen. Aber schon vor diesem Zeitpunkt wird irgendwann die Schwelle, dass die Übernahme überwiegend wahrscheinlich ist, überschritten sein. Um die Handhabung der Ad-Hoc-Publizität herrscht nach wie vor viel Rechtsunsicherheit39. (3) Selbstbefreiung und Übernahmegerüchte Emittenten helfen sich, indem sie möglichst früh von der Möglichkeit der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 7 UA 2 MAR Gebrauch machen, um sich vor Schadensersatzansprüchen oder Bußgeldern zu schützen. So wird es auch ein Bieter machen, der eine für seine Aktie kursrelevante Übernahme plant. 36 BaFin Emittentenleitfaden (2013), Ziff. IV.2.2.14, S. 35; Schimansky/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 92; Fuchs/Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 197; Harbarth ZIP 2005, 1898, 1901; Paschos/Fleischer/Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 19. 37 Assmann/Pötzsch/Schneider/Assmann, § 10 Rn. 85; Assmann/Schneider/Assmann, WpHG-Komm., § 15 Rn. 75; Angerer/Geibel/Süßmann/Geibl, WpÜG, § 10 Rn. 9; Assmann, ZGR 2002, 697 (715); v. Bonin/Böhmer EuZW 2012, 694 (697); Paschos/Fleischer/ Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 20; aA Fuchs/Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 201. 38 Überblick über den Meinungsstand zur Veröffentlichungspflicht von Vorbereitungshandlungen bei Übernahmen Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (210 ff.); Schimansky/ Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 48. 39 Vgl. hierzu S. 2 ff. in der Studie „Zwei Jahre EU-Markt-Missbrauchsverordnung. Stimmungsbild: Handlungsbedarf bei der Ad-Hoc Publizität“, die von Hengeler Mueller und dem Deutschen Aktieninsitut (DAI) durchgeführt wurde und am 12.12.2018 veröffentlicht wurde (abrufbar unter: https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/stu dien/181212%20Studie%202%20Jahre%20Marktmissbrauchsverordnung%20Web.pdf). Ausführlich zur Problematik der Veröffentlichungspflicht bei Handlungen zur Vorbereitung einer M&A-Transaktion Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (210 ff.).

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Mit der Selbstbefreiung betritt der Bieter allerdings das Territorium, wo Übernahmegerüchte zu einer Veröffentlichungspflicht führen können. Der Aufschub der Ad-Hoc-Publizität ist nur solange zulässig, wie die Vertraulichkeit der aufgeschobenen Information sichergestellt ist (vgl. Art. 17 Abs. 7 MAR). Wenn im Markt ausreichend präzise Gerüchte über die Information kursieren, wird unwiderleglich vermutet, dass die Vertraulichkeit der Information nicht mehr gewährleistet ist, und der Emittent muss die Insiderinformation so schnell wie möglich veröffentlichen (Art. 17 Abs. 7 UA 2 MAR). Laut BaFin soll ein Gerücht dann ausreichend präzise sein, wenn die aus dem Gerücht ableitbare Information auf ein Informationsleck bei dem Emittenten schließen lässt40. Dieses Erfordernis wird in der Literatur dahingehend ausgelegt, dass das Gerücht dann präzise sein soll, wenn das Gerücht einen hohen Grad an Genauigkeit und Substanz aufweist41, sodass etwa wesentliche Informationen, die auch in der Ad-Hoc-Mitteilung enthalten sein müssten, in den Gerüchten benannt wird42. Zwar soll das bloß willkürliche Streuen von Gerüchten laut BaFin nicht ausreichend sein, um die Präzision zu begründen43, es ist jedoch anerkannt, dass der Ursprung des Gerüchts irrelevant ist und es nicht darauf ankommt, ob das Gerücht der Sphäre des Emittenten zuzurechnen ist44, wie es noch nach alter Rechtslage erforderlich war45. Das gilt auch für die zurückgehaltene Information über eine bevorstehende Übernahme46. Sind die Gerüchte hinreichend präzise, hat der potentielle Bieter zwei Möglichkeiten: Er kann entweder das Angebot gem. § 10 WpÜG ankündigen oder er muss über den Stand der Überlegungen berichten. Diese Rechtsfolge kann auch das Zielunternehmen zur Abwehr nutzen, wenn es Gespräche gibt und das Zielunternehmen Informationen streut oder das Entstehen von Gerüchten zumindest nicht bewusst verhindert. Sind Übernahmeabsichten schon so konkret, dass sie für den Bieter eine Insiderinformation darstellen, aber noch nicht veröffentlicht, dann besteht bei 40

BaFin FAQ Art. 17 MAR, 20.6.2017, III.3; Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (208). Retsch, NZG 2016, 1201 (1205); Meyer/Veil/Rönnau/Veil/Brüggemeier, Hdb. MAR, § 10 Rn. 131. 42 Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (208); Schimanski/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, Bankrechts-Hdb., § 107 Rn. 157; Lebherz, WM 2010, 154 (158); Harbarth, ZIP 2005, 1898 (1906). 43 BaFin FAQ Art. 17 MAR, 20.6.2017, III.3; ähnlich Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (208). 44 ESMA, Consultation Paper – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 15.4.2017, ESMA/2014/809 Rn. 272; ESMA/2015/1455 Rn. 243; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593 (600); Klöhn, AG 2016, 423 (431); Meyer/Veil/Rönnau/Veil/ Brüggemeier, Hdb. MAR, § 10 Rn. 131. 45 Hasselbach/Peters, BB 2017, 1347 (1353); Schimanski/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, Bankrechts-Hdb., § 107 Rn. 157. 46 Brandi/Süßmann, AG 2004, 642 (653); Kuthe, ZIP 2004, 883 (885). 41

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Aufkommen von Übernahmegerüchten bereits de lege lata unter der MAR eine Put up or Shut up-Regelung. cc) Kommentierungspflicht bei Übernahmegerüchten, bevor die Übernahmeabsicht konkret genug für eine Insiderinformation ist? Die nächste Frage ist, ob ein börsennotiertes Unternehmen Gerüchte kommentieren muss, wenn es zwar eine Übernahme plant, die Absicht aber noch nicht konkret genug ist, um eine veröffentlichungspflichte Insiderinformation darzustellen. Das könnte nur dann der Fall sein, wenn Marktgerüchte als solche Insiderinformationen darstellen können. Wenn hinreichend substantiierte Übernahmegerüchte Insiderinformation darstellen würden, wäre der potentielle Bieter nach Art. 17 MAR verpflichtet, sich zu ihnen zu äußern. Dies würde einer Put Up or Shut Up-Regelungen nahekommen, wenn auch die Bindungswirkung an solche Äußerungen fraglich wäre. Die Kernfrage lautet dabei, ob es unter dem geltenden Insiderrecht nach Art. 17 MAR eine Kommentierungspflicht von an sich nicht ad-hoc-publizitätspflichtigen Informationen geben kann, nur weil Gerüchte im Markt kursieren47. Die Frage, ob Gerüchte Insiderinformationen darstellen können, ist ungeklärt und der Meinungsstand zu dieser Frage komplex. Dogmatisch betrachtet befinden sich Gerüchte zwischen bestätigten bzw. wahren Tatsachen und solchen, die erwiesenermaßen falsch sind. Sie werden üblicherweise als eine unsichere Tatsacheninformation mit einem gewissen Verbreitungsgrad definiert48. Wie bereits dargelegt, ist der maßgebliche Blickwinkel im Insiderrecht für die Beurteilung einer Information stets derjenige eines verständigen Anlegers ex ante. Auf eine objektive Betrachtung kommt es nicht an. Von daher können nur solche Gerüchte von vornherein als insiderrechtlich irrelevant angesehen werden, wenn sie erwiesenermaßen und ex ante erkennbar falsch sind. Denn kein verständiger Anleger würde seine Anlageentscheidung auf eine erkennbar falsche Tatsache stützen. Solche Gerüchte können daher nicht kursrelevant sein. Die untersuchte Fragestellung ist aber eine andere. Die Gerüchte haben gerade einen wahren Kern, weil eine Übernahme geprüft wird, die Überlegungen befinden sich jedoch in einem frühen Stadium. Ob jedoch andere Gerüchte also solche, die sich auf wahre Tatsachen beziehen, bzw. bei denen ex ante ein solcher Eindruck erweckt wird, Insiderinformation darstellen können, ist sehr umstritten. 47

Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841 (849); Hopt, ZGR 2002, 333 (347 f.); Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 241. 48 K-K-WpHG/Klöhn‚ § 13 Rn. 53; Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 57; Ausführlich: Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 237 ff.

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(1) Ursprünglicher Ausschluss von Gerüchten vom Insiderrecht Früher war die Insiderinformation in § 13 Abs. 1 WpHG a.F. als eine „nicht öffentlich bekannte Tatsache“ definiert49. Als Folge des klaren Wortlautes und des zugrundeliegenden Gedankens, dass Gerüchte für das Funktionieren des Börsengeschehens wesentlich sind, sah die einhellige Meinung unter der alten Rechtslage Börsengerüchte, -spekulationen und Werturteile als nicht erfasst an50. Gestützt wurde diese Sichtweise auch auf die Begründung des EG-Richtlinienvorschlags aus dem Jahr 1987, die den Zweck der „präzisen Information“ unter anderem darin sah, Gerüchte aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts auszuklammern51, sowie auf die Ansicht, dass Gerüchte zu unbestimmt und unzuverlässig seien, als dass sie insiderrechtlich relevant wären52. (2) Wendepunkt durch Beschluss des Hessischen VGH Maßgeblicher Wendepunkt und Ausgangspunkt der heutigen Diskussion um Börsengerüchte als Insiderinformation war ein Beschluss des Hessischen VGH im Jahr 199853. Das Gericht entschied, dass Gerüchte auch Tatsachen betreffen können und deshalb Insiderinformationen sein können54. In Folge dieser Rechtsprechung wurde in der Literatur vermehrt vertreten, dass Gerüchte unter bestimmten Umständen Insiderinformationen sein können. Notwendig sollte jedoch stets sein, dass das Gerücht hinreichend konkret ist. Bezüglich der Frage, wie die Konkretheit zu bestimmen sei, wurden verschiedene Auffassungen vertreten. Teilweise wurde darauf abgestellt, dass Inhalt des Gerüchts eine Information über Geschehnisse oder Zustände sein müsse, die der äußerlichen Wahrnehmung zugänglich sei55. Andere sahen Gerüchte nur dann als maßgeblich an, wenn sie auf konkrete Tatsachen begründet waren, bzw. über einen (wahren) Tatsachenkern verfügten56. 49

§ 13 WpHG a.F. in der Fassung vom 1.8.1998–29.10.2004. Schäfer/Geibel, WpHG, BörsG, VerkProspG, § 15 WpHG Rn. 34; Claussen, DB 1994, 27 (30); Hopt, ZHR 159 (1995), 135 (153); Assmann, ZGR 1994, 494 (510); Assmann, AG 1997, 50 (50); F. Immenga, ZBB 1995, 197 (201); Cahn ZHR 162 (1998), 1 (14); M. Weber, NZG 2000, 113 (118f). 51 KOM (87) 111 endg. 21.5.1987, S. 5; Fuchs/Mennicke/Jakovou, WpHG, § 13 Rn. 47. 52 Cahn, ZHR 162 (1998), 1 (14 ff.). 53 Hess. VGH, 16.3.1998 – 8 TZ 98/98 = AG 1998, 436 ff.; Mit krit. Anm. hinsichtl. Begr. des Urt: Assmann, AG 1998, 436 (438) u. Mennicke BB 1999, 75 (76). 54 Der Beschluss betraf ein Gerücht, dass hinsichtlich einer börsennotierten Gesellschaft eine feindliche Übernahme geplant sei. Siehe für einen Überblick: Fuchs/Mennicke/ Jakovou, WpHG, § 13 Rn. 47 und Urteilsbespr.: Assmann, AG 1998, 436 (438 ff.). 55 Assmann, AG 1998, 436 (438 ff.); Mennicke BB 1999, 76 (77). 56 Etwa: BaFin, Emittentenleitfaden (2013), S. 33 f.; Hess. VGH, AG 1998, 436. Ausfl.: FuchsMennicke/Jakovou, WpHG, § 13 Rn. 47 ff.; Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841 (844 ff.). 50

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(3) Rechtslage unter WpHG a.F. und der Marktmissbrauchsrichtlinie Durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz57 wurde der Wortlaut von § 13 Abs. 1 WpHG dahingehend geändert, dass eine Insiderinformation nicht mehr als „nicht öffentlich bekannte Tatsache“, sondern als „nicht öffentlich bekannte Information“ definiert war. Zwar sprach diese Wortlautänderung zunächst für die Einbeziehung von unsicheren Informationen wie Gerüchten, jedoch sollte laut Regierungsbegründung ein „bloßes Gerücht“ nicht ausreichen, um eine Insiderinformation begründen zu können58. Auch die CESR sprach in ihrer Empfehlung zur Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie von einer Unterscheidung zwischen „Umständen und bloßen Gerüchten“59. Infolge dieser Entwicklung wurde in der Literatur teilweise vertreten, dass Gerüchte nach dem Willen des Gesetzgebers in keinem Fall Insiderinformationen darstellen könnten60. Diese Sichtweise war jedoch nicht unumstritten. Vielmehr wurde auch vertreten, dass die Regierungsbegründung so zu verstehen sei, dass nur Gerüchte, die nicht hinreichend verlässlich wären, aus dem Tatbestand ausgegrenzt werden sollten. Angelehnt war diese Interpretation an dem Wortlaut „bloßes Gerücht“. Mit der Beifügung des Zusatzes „bloß“ wollte der Gesetzgeber nicht Gerüchte allgemein aus dem Tatbestand der Insiderinformation ausklammern, sondern meinte vielmehr nur vages, unsubstantiiertes Gerede. Gerade in jüngerer Zeit mehrten sich die Stimmen, die davon ausgingen, dass Gerüchte unter bestimmten Umständen Insiderinformationen darstellen könnten, sobald sie konkret genug seien61. Diese Sichtweise teilte auch die BaFin62, die Gerüchte mit einem Tatsachenkern als erfasst ansah. (4) Heutige Rechtslage nach MAR Unter Geltung der MAR gibt es nur wenige Stimmen, die sich pauschal gegen die Einbeziehung von Gerüchten als Insiderinformationen stel57

Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes v. 28. Oktober 2004. Regierungsbegründung, BT-Drs. 15/3174, S. 34. 59 CESR’s Advice on Level 2 Implementing Measures for the proposed Market Abuse Directive, 2002, S. 8 Rn. 20. 60 Cahn, Der Konzern 2005, 5 (7) (der explizit darauf abstellt, dass eine Einbeziehung auch eine Kommentierungspflicht zur Folge hätte); Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929 (930); Bürgers, BKR 2004, 424 (425); Assmann/Schütze/Seth, Hdb. KapAnlR, § 8 Rn. 54; Assmann/Schneider/Assmann, WpHG-Komm., § 13 Rn. 17f.; Möllers, WM 2005, 1393 (1394); Koch, DB 2005, 267 (268); Diekmann/Süßmann, NZG 2004, 929 (930). 61 Fuchs/Mennicke/Jakovou, WpHG, § 13 Rn. 47 ff.; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S: 237 f.; Neumann, Gerüchte als Kapitalmarktinformationen, S. 158 ff.; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729 (731); Spindler, NJW 2004, 3449 (3450); K-K-WpHG/Klöhn, § 13 Rn. 58; Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841 (847). 62 BaFin Emittentenleitfaden (2013), S. 31. 58

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len63. Vielmehr finden sich heute vornehmlich differenzierende Stellungnahmen, die Gerüchte dann als Insiderinformationen behandeln, wenn sie hinreichend Verbreitung gefunden haben und kursrelevant sein können64. Teilweise wird auch heute explizit gefordert, dass das Gerücht über einen wahren Kern verfügen muss65. Andere sind dagegen der Auffassung, dass es irrelevant sei, ob das Gerücht wahr sei, solange es nur einen ernst zu nehmenden Kern habe66. (5) Stellungnahme Wie bereits aufgezeigt, wird vielfach zwischen Gerüchten mit wahrem Tatsachenkern und Gerüchten ohne einen solchen differenziert. Teilweise wird auch differenziert zwischen Gerüchten als Tatsachen und Gerüchte über Tatsachen. Diese Unterscheidung erscheint verwirrend und schwer justiziabel. Klöhn67 sieht den Ursprung dieser Differenzierung in der alten Rechtslage begründet, als Insiderinformationen noch als „nicht öffentlich bekannte Tatsachen“ definiert waren. Er ist jedoch der Meinung, dass sich unter geltendem Recht kein Anhalt mehr für diese Unterscheidung finde. Vielmehr seien Gerüchte genau wie andere unsichere Informationen „Informationen über Umstände“ im Sinne des Insiderrechts (vgl. Art. 7 Abs. 1, 2 MAR)68. In den meisten Fällen dürfte die Differenzierung jedoch weniger aus dem geänderten Wortlaut herrühren, sondern vielmehr aus dem Versuch, einen Maßstab zu entwickeln, um zwischen insiderrechtlich relevanten und rein vagen Gerüchten im Grenzbereich zur Spekulation zu differenzieren. Es ist zuzugeben, dass ein verständiger Anleger Gerüchte für seine Anlageentscheidung wohl nur heranziehen wird, wenn der Eindruck erweckt wird, dass sie sich auf Tatsachen beziehen und somit nur bei solchen Übernahmegerüchten eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit und Kursrelevanz gegeben sein wird. Was jedoch bei dem pauschalen Abstellen auf Gerüchte „mit Tatsachenkern“ oft aus dem Blick gelassen wird, ist die Bedeutung der praktischen Handhabung dieses Maßstabes. Wie bereits oben unter III.1.b)bb)(2) ausgeführt, herrscht in der Praxis eine große Unsicherheit über die richtige Hand63 So aber Langenbucher, AktR, KapMarR, § 15 Rn. 42, die sagt, dass „bloßes Gerede“ keine Insiderinformation sein könne. Die Autorin setzt sich aber dann nicht mehr mit substantiierten Gerüchten auseinander. 64 Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (208); Grundmann, in GroßKommHGB, 6. Teil Rn. 344 (der „rein subjektive ... Gerüchte“ ausschließen will); Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 375 (Ausschluss von bloß vagen Gerüchten); Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 60; Schimansky/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 50. 65 Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 375. 66 Schimansky/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 50. 67 K-K-WpHG/Klöhn, § 13 Rn. 56. 68 Ausführlich K-K-WpHG/Klöhn, § 13 Rn. 19 ff. und 52–58.

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habung von ad-hoc-publizitätspflichtigen Insiderinformationen69. Eine Differenzierung zwischen Gerüchten mit Tatsachenkern oder zwischen Gerüchten über Tatsachen und Gerüchte als Tatsache erscheint allzu theoretisch und vergrößert die vorherrschende Unsicherheit nur. Ob Gerüchte insiderrechtlich relevant sind, sollte vielmehr anhand der allgemeinen Prüfungspunkte des Art. 7 MAR untersucht werden70. Im Grundsatz bestätigt wird die Einbeziehung weicher Informationen wie Gerüchten nach geltender Rechtslage jedenfalls durch Erwägungsgrund Nr. 14 MAR, der die Verlässlichkeit der Informationsquelle als eines unter mehreren Kriterien nennt, die bei der Prüfung der Kursrelevanz zu prüfen sind. Der MAR-Gesetzgeber ist somit wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass auch unsichere Informationen wie Gerüchte Insiderinformationen darstellen können71. Von entscheidender Bedeutung für die Einordnung als Insiderinformation ist die Kursrelevanz des Gerüchts. Das ist vor allem dann ein Problem, wenn die Kursrelevanz einer Information ex ante beurteilt werden muss. Hier wird teilweise auf die im amerikanischen Recht entwickelte und für die Praxis bedeutsame Probability-Magnitude-Formel72 zurückgegriffen73. Es soll somit auf ein Verhältnis der Eintrittswahrscheinlichkeit und der potentiellen Auswirkungen des Ereignisses auf den Kurs des Finanzinstruments ankommen74. Für die Praxis ist das ein griffiges Abgrenzungskriterium bei ungewissen Ereignissen. Aber in der vorliegenden Konstellation stellt sich das Problem der ex ante Beurteilung der Kursrelevanz gar nicht. Das Problem der Kommentierungspflicht von Gerüchten kann sich erst stellen, wenn die Gerüchte Kursauswirkung haben. Warum sollte ein Unternehmen, das als möglicher Übernehmer eines Zielunternehmens gehandelt wird, auf solche Gerüchte reagieren, wenn sie den Kurs der Aktie des vermeintlichen Übernehmers gar nicht berühren? Es handelt sich dann offensichtlich um ein „bloßes Gerücht“, das aus der Sicht der Anleger offensichtlich keine Relevanz hat. Eine Kommentierung ist dann überflüssig. (6) Besteht eine Pflicht zur Stellungnahme bei Übernahmegerüchten, die Insiderinformationen darstellen? Da Übernahmegerüchte unter den dargestellten Voraussetzungen durchaus eine Insiderinformation darstellen können, stellt sich die Frage, ob diese auch von dem potentiellen Bieter ad-hoc veröffentlicht werden muss. Aus69 Studie Hengeler Mueller und DAI, „Zwei Jahre EU-Markt-Missbrauchsverordnung. Stimmungsbild: Handlungsbedarf bei der Ad-Hoc Publizität“, S. 2 ff. 70 So schon zur alten Rechtslage: K-K-WpHG/Klöhn, § 13 Rn. 55 ff. 71 Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 60. 72 Dirks v. SEC, 681 f.2d 824, 842 (D.C. Cir. 1982), cert. granted, 459 U.S. 1014 (1982). 73 Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 390. 74 Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 223 ff. So schon zum alten Recht: Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841; K-K-WpHG/Klöhn, § 13 Rn. 57. (846).

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gangspunkt der Überlegungen war die Konstellation, dass das börsennotierte Unternehmen, das Gegenstand der Gerüchte ist, zwar eine Übernahme erwägt, sich die Überlegungen aber noch in einem frühen Stadium befinden. Würde aus Art. 17 MAR eine solche Veröffentlichungspflicht resultieren, würde es, zumindest für börsennotierte Bieter, eine „Put up“-Regelung geben. Es finden sich in der Literatur zwar Stellungnahmen zu der Frage, ob Gerüchte Insiderinformationen darstellen können. Ob daraus jedoch auch eine Kommentierungspflicht der Gerüchte erwächst, wird nur vereinzelt problematisiert75 und kaum tiefgehend behandelt. Allgemein anerkannt wird eine Kommentierungspflicht bei Marktgerüchten wohl nur für den Fall, dass ein Verhalten der Bieter- oder Zielgesellschaft zu Gerüchten geführt hat, die kursbeeinflussend sein können (Gedanke der Ingerenz)76. Vor Inkrafttreten der MAR wurde eine Kommentierungspflicht überwiegend abgelehnt77. Lediglich vereinzelt wurde eine Kommentierungspflicht befürwortet bzw. für wünschenswert gehalten78. Unter Geltung der MAR wurde die Frage thematisiert, ob Emittenten durch solche Gerüchte, denen selbst kein ad-hoc-pflichtiger Vorgang zugrunde liegt, überhaupt „unmittelbar“ betroffen sind (Art. 17 Abs. 1 MAR). Da Art. 17 Abs. 1 MAR keine Kenntnis des Emittenten von der Insiderinformation voraussetzt79, könnten Emittenten von solchen externen Gerüchten unmittelbar betroffen sein. Der Emittent hat nicht nur Veröffentlichungspflichten, sondern vielmehr auch Organisations- und Informationspflichten80. Ob er durch ein solches, unternehmensexternes Gerücht unmittelbar betroffen ist, ist aber auch anhand des Zwecks der Ad-Hoc-Publizität zu beurteilen.81 In der Literatur wird vertreten, dass der primäre Zweck in der Herstellung der informationellen Chancengleichheit liege, wobei gleichzeitig die Such- und Analysekosten der Marktteilnehmer gering gehalten werden sollen. Es soll der Emittent zur Veröffentlichung verpflichtet werden, der dies mit den ge75 Langenbucher, AktR, KapMarR § 15 Rn. 42, § 17 Rn. 29. Zur alten Rechtslage Fleischer/Schmolke AG 2007, 841 (849 f.); Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 240 ff.; Cahn, Der Konzern 2005, 5 (7); Neumann, Gerüchte als Kapitalmarktinformationen, 2010, S. 226 ff. 76 Heidel/Sohbi, AktR, § 10 WpÜG, Rn. 12; Hopt, ZGR 2002, 333 (347f.). 77 Hopt, ZGR 2002, 333 (347 f.); Hopt, ZHR 1995, 135 (153); K-K-WpÜG/Hirte, § 10 Rn. 109; Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841 (849); Ekkenga, ZGR 1999, 165, 192 f. (Kommentierungspflicht ggf. nur bei Gerücht mit Tatsachenkern); Fürhoff/Wölk, WM 1997, 449 (455); Schäfer/Geibel, WpHG, BörsG, VerkPropG, § 15 WpHG, Rn. 34 (allerdings argumentierend von der alten Rechtslage her, dass Gerüchte keine Tatsachen seien). 78 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 246 ff.; Gehrt, Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG, 1997, S. 122 f., 136 f., 140 f. Wohl befürwortend de lege ferenda: Paschos/Fleischer/Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 46 f. 79 Klöhn, MAR Art. 17 Rn. 66 u. 105 mwN; aA Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385). 80 Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 66 und. 123. 81 Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 68.

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ringsten Kosten tun kann, der also bei der Suche, Aufklärung und Verifizierung typischerweise einen komparativen Kostenvorteil gegenüber anderen Informationshändlern hat82. Für keinen ist es einfacher, eine Transparenz herzustellen als für den vermeintlichen Bieter. Schon aus dem Grundgedanken der Ad-Hoc-Pflicht ergibt sich daher eine unmittelbare Betroffenheit. Die Frage, ob in diesem Fall eine Aufschiebung der Publizitätspflicht in Betracht kommt (Art. 17 Abs. 4 MAR), stellt sich von vornherein nicht, da in diesem Fall das Gerücht selbst die Insiderinformation darstellt, sodass jedenfalls wegen Art. 17 Abs. 7 UA 2 MAR keine Aufschiebung in Betracht kommt. dd) Besteht eine Pflicht zur Stellungnahme bei Übernahmegerüchten, die zwar Insiderinformationen darstellen, aber falsch sind? Wenn man eine Kommentierungspflicht des Bieters zu Übernahmegerüchten bejaht, die einen wahren Kern haben, stellt sich die Frage, ob eine solche Pflicht auch besteht, wenn die Gerüchte falsch sind. Auch hier können solche Gerüchte kursrelevant sein, wenn der Markt die kolportierte Übernahme für wertsteigernd hält. Schon aus generellen Überlegungen guter Unternehmenskommunikation und Aktienkurspflege kann es geboten sein, auf die Gerüchte einzugehen und dabei die eigene Strategie zu erläutern, die auf die kolportierte Übernahme verzichtet. Aber besteht auch rechtlich eine Pflicht zur Kommentierung? Soweit ersichtlich wurde die Kommentierungspflicht bei nichtzutreffenden Übernahmegerüchten noch nicht diskutiert. Folgt man den teleologischen Erwägungen, besteht zwischen wahren und unwahren Gerüchten kein Unterschied. Folgt man den vorstehenden Überlegungen, kann der potentielle Bieter de lege lata gemäß Art. 17 MAR verpflichtet sein, zu substantiierten Gerüchten sogar dann Stellung zu nehmen, wenn sich die Gerüchte als falsch herausstellen. c) Kommentierungspflicht zu Übernahmegerüchten aus Sicht der Zielgesellschaft aa) Veröffentlichungspflichten der Zielgesellschaft bei tatsächlich geplanter Übernahme Die Veröffentlichungspflichten der Zielgesellschaft bei einer tatsächlich geplanten83 Übernahme laufen weitgehend parallel zu denen des Bie82

Klöhn, WM 2010, 1869 (1878); Köhn, MAR, Art. 17 Rn. 69. Zu Plänen, Vorhaben und Absichten als veröffentlichungspflichtige Informationen siehe Assmann/Schneider/Assmann, WpHG-Komm., § 13 Rn. 20; Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 374. 83

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ters84. Erlangt die Zielgesellschaft Kenntnis von Vorbereitungshandlungen im Rahmen einer geplanten Übernahme eines Bieters oder kooperiert sie mit diesem im Rahmen einer freundlichen Übernahme, so sind die Vorbereitungshandlungen für die Zielgesellschaft unter den gleichen Voraussetzungen wie für den Bieter ad-hoc-mitteilungspflichtig85. Dabei ist weiterhin eine überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit der Übernahme (50% plus x) zu fordern86. Zur Bestimmung der Kursrelevanz ist freilich auf den Aktienwert der Zielgesellschaft abzustellen. Da der Angebotspreis bei einem Übernahmeangebot in der Regel eine Prämie auf den Aktienkurs darstellt, wird die Kursrelevanz des Übernahmeangebots in der Regel zu bejahen sein87. Eine Ausnahme bilden nur sogenannte „Low-ball Offer“88. Zu beachten ist jedoch, dass für die Zielgesellschaft die Bewertung, ob die geplante Übernahme bereits eine Insiderinformation ist, abweichend von der des Bieters sein kann89. Zu einer abweichenden Bewertung kann es zum Beispiel kommen, wenn bei einer Auktion mit mehreren Bietern für die einzelnen Bieter noch keine Insiderinformation vorliegt, weil die Erfolgschancen für diese ungewiss sind. Für die Zielgesellschaft hingegen erhöht das Auktionsverfahren die Transaktionswahrscheinlichkeit, so dass für sie bereits eine Insiderinformation vorliegen kann90. Die Zielgesellschaft wird in dieser Situation von der Möglichkeit der Selbstbefreiung gem. Art. 17 Abs. 4 UA 1 MAR Gebrauch machen, muss aber dann veröffentlichen, wenn konkrete Übernahmegerüchte kursieren (vgl. oben III.1.b)bb)(3)). Auch bezüglich der Möglichkeit einer Selbstbefreiung von der Publizitätspflicht können für den Bieter und die Zielgesellschaft Unterschiede bestehen. Insbesondere ist die Frage umstritten, ob die Zielgesellschaft in Konstellationen wie der feindlichen Übernahme, bei der die Interessen nicht parallel zu denen des Bieters laufen, oder dem Abbruch der Verhandlungen über ein Business Combination Agreement noch ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichungsaufschiebung hat91. Im Falle der feindlichen Übernahme wird vertreten, dass der Zielgesellschaft die notwendige Einflussmöglichkeit auf die Wahrung der Vertraulichkeit der Information fehle, sodass eine Aufschiebung nach Art. 17 Abs. 4 UA 1 MAR nicht in Betracht

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Bereits oben III.1.a) bb). Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 36, 38. 86 Buck-Heeb, KapMarR, § 6 Rn. 376. 87 Steinmeyer/Santelmann/Steinhardt WpÜG § 10 Rn. 58. 88 Zu dem Begriff des „Low-ball Offer“ Angerer/Geibel/Süßmann/Thun WpÜG, § 21 Rn. 12. 89 Steinmeyer/Santelmann/Steinhardt WpÜG § 10 Rn. 60. 90 Schimansky/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 146; Steinmeyer/Santelmann/Steinhardt WpÜG § 10 Rn. 60; zur früheren Rechtslage gem. § 15 WpHG a.F.: Emittentenleitfaden der BaFin (4. Aufl.), S. 59. 91 Ausführlich Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 39 ff. mwN. 85

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kommen könne92. Allerdings wird die Zielgesellschaft bei einer feindlichen Übernahme in der Regel nicht in die Überlegungen des Bieters einbezogen sein, so dass sich mehr die Frage nach der Kommentierungspflicht bei Übernahmegerüchten stellt. bb) Kommentierungspflicht bei Übernahmegerüchten (1) Kommentierungspflicht bei Selbstbefreiung Hat die Zielgesellschaft eine Selbstbefreiung bei laufenden Übernahmeverhandlungen beschlossen, ist die Rechtslage ähnlich wie bei der Bietergesellschaft.93 Ist das Gerücht ausreichend präzise, muss auch die Zielgesellschaft nach Art. 17 Abs. 7 UA 2 MAR so schnell wie möglich die entsprechende Insiderinformation veröffentlichen. Unerheblich ist dabei, wer für das Bekanntwerden der Information verantwortlich ist94. Macht der Bieter eine Mitteilung nach § 10 Abs. 1 WpÜG, bedarf es freilich keiner AdHoc-Mitteilung mehr, da (1) die Information sodann bekannt ist und (2) § 10 Abs. 6 WpÜG insoweit auch für die Zielgesellschaft eine abschließende Spezialregelung darstellt95. (2) Kommentierungspflicht bei Übernahmegerüchten bevor die Übernahmeabsicht konkret genug für eine Insiderinformation ist Ebenso wie bei dem Bieter kommt für eine Zielgesellschaft eine Kommentierungspflicht bei Übernahmegerüchten über (noch) nicht ad-hocpflichtige Umstände nur in Betracht, wenn Marktgerüchte als solche Insiderinformationen darstellen können. Diese Frage und der dazugehörige Meinungsstand in der Literatur wurden bereits ausführlich für den Bieter behandelt96. Gegenüber der Zielgesellschaft ergeben sich hinsichtlich der Voraussetzungen an die Gerüchte, wann diese Insiderinformationen darstellen, gegenüber dem Gesagten keine Unterschiede. Bei der Frage, ob sich daraus auch eine Kommentierungspflicht ergibt, ist zu beachten, dass der potentielle Bieter gegenüber der Zielgesellschaft insbesondere bei der feindlichen Übernahme einen komparativen Kostenvorteil in Form eines Informations- und Analysevorsprungs hat, da die Frage des Übernehmens in der Regel leichter zu beantworten ist als die Frage des Übernommen Werdens. Eine Kommentierungspflicht der Zielgesellschaft 92

So Steinmeyer/Santelmann/Steinhardt WpÜG § 10 Rn. 61. Bereits oben III.1.b)bb)(3). 94 Schimansky/Bunte/Lwowski/Hopt/Kumpan, BankR-Hdb., § 107 Rn. 165. 95 Hasselbach/Stepper, BB 2020, 203 (208); Steinmeyer/Santelmann/Steinhardt WpÜG § 10 Rn. 59 mwN zur alten Rechtslage. 96 Bereits oben III.1.a)b)bb). 93

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wird eher dann in Betracht kommen, wenn die Zielgesellschaft ein „self auctioning“ plant, also selbst nach potentiellen Übernehmern suchen will. In einem solchen Fall ist vorrangig die Zielgesellschaft als Initiatorin unmittelbar betroffen97. d) Kann ein nichtbörsennotierter Bieter zur Kommentierung von Übernahmegerüchten verpflichtet werden? aa) Grundvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR Bisher wurde die Frage untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen eine börsennotierte Bietergesellschaft oder die Zielgesellschaft zu Übernahmegerüchten Stellung nehmen müssen. Anknüpfungspunkt war die Frage, ob eine das Ziel- oder Bieterunternehmen betreffende Insiderinformation vorliegt, die zu veröffentlichen ist. Aber was ist, wenn der Bieter, der Gegenstand von Übernahmegerüchten ist, gar nicht börsennotiert ist? Diese Problematik kann hier nur kurz angerissen werden. Zur Verdeutlichung des Problems sei folgender Sachverhalt unterstellt: Ein Dritter möchte eine Übernahme torpedieren und streut über die Medien Gerüchte, dass er ein konkurrierendes Angebot überlege. Kann er unter geltendem Recht gezwungen werden, zu den Gerüchten Stellung zu nehmen? Anknüpfungspunkt kann nun nicht mehr die Frage sein, ob Insiderinformationen im Sinne von Art. 7 MAR vorliegen, sondern die Frage, ob das Streuen der Gerüchte eine Verbreitung von Informationen i.S.d. Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR darstellt, welche ein falsches Signal hinsichtlich der Nachfrage eines Finanzinstruments herbeiführt. Unerheblich ist dabei auf Grund des klaren Wortlauts des Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR, der Gerüchte ausdrücklich erfasst, ob der Behauptung eine gewisse Plausibilität innewohnt oder nicht – vielmehr sind auch unverbürgte Nachrichten mit ungewissem Wahrheitsgehalt erfasst98. Da die verbreitete Information nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, ist sie falsch99. Ferner liegt auch eine Preissignalwirkung vor, da ein verständiger Marktteilnehmer die Information im Rahmen seiner Anlageentscheidung (wahrscheinlich) berücksichtigen würde, weil die Information (wahrscheinlich) das Nachfrageverhalten in Bezug auf das betroffene Handelsinstrument und dessen Preis beeinflusst, insbesondere bei dem Erwerb wesentlicher Beteiligungen100. Daher kann die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR in dem Ausgangsfall unterstellt werden101. 97

Vgl. oben III.1.a)b)bb)(6). MAR-Komm./Schmolke Art. 12 Rn. 244 f. mwN. 99 BeckHdB AG/Horcher, § 22 Rn. 73. 100 MAR-Komm./Schmolke Art. 12 Rn. 258 f. 101 Technau/Berrar, Übernahme-Hdb., § 13 Rn. 52. Wenn hingegen ein potentieller Bieter nicht selbst Gerüchte gestreut hat, sondern nur eine Übernahme überlegt, kann kein Marktmissbrauch vorliegen und damit auch keine Kommentierungspflicht. 98

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bb) Kommentierungspflicht als potentielle Rechtsfolge Eine Pflicht zur Kommentierung bzw. zum Dementi der selbst gestreuten Informationen kann für den nichtbörsennotierten Dritten aus Art. 23 Abs. 2 lit. m MAR folgen. Danach muss die BaFin alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen können, damit die Öffentlichkeit ordnungsgemäß informiert wird, unter anderem durch die Richtigstellung falscher oder irreführender offengelegter Informationen, einschließlich der Verpflichtung von Emittenten oder anderen Personen, die falsche oder irreführende Informationen verbreitet haben, eine Berichtigung zu veröffentlichen. Aus der Formulierung des Art. 23 Abs. 2 lit. m MAR lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass ausschließlich der Verbreiter der Information zu einer Richtigstellung verpflichtet werden kann. Weitere Voraussetzung für ein solches Eingreifen ist, dass das Verbreiten der Information eine Marktmanipulation im Sinne von Art. 12 MAR darstellt. Die praktische Schwierigkeit ist dabei jedoch, den Verbreiter der Information innerhalb kurzer Zeit zu identifizieren. Anderenfalls muss die BaFin selbst eine Richtigstellung veröffentlichen, was sie kaum tun wird. Anzumerken ist schließlich, dass eine solche Verpflichtung gefahrenabwehrrechtlicher Natur ist102. 2. Zusammenfassung und Reformbedarf Übernahmegerüchte sind ein häufiges Phänomen in Märkten, die auf ständiger Suche nach Informationen sind, um Handelsgewinnen zu erzielen. Übernahmegerüchte verzerren Preise und Bewertungen und können für das betroffene Zielunternehmen sehr störend sein, auch wenn sie falsch sind. Sie können aber auch benutzt werden, um laufende Übernahmeverfahren zu torpedieren oder zu manipulieren. Das Gerücht, dass es einen weiteren Bieter gibt, kann die Aktionäre in der Erwartung eines besseren Angebots davon abhalten, ein laufendes Angebot anzunehmen. Andere Rechtsordnungen haben zum Schutz der betroffenen Zielunternehmen und der laufenden Übernahmen übernahmerechtliche Regelungen getroffen, die das Problem von Übernahmegerüchten adressieren. Diese lassen sich im Ergebnis mit „Put up or shut up“ zusammenfassen. Die Regelungen sehen vor, dass sich ein Bieter, der Gegenstand von Gerüchten ist, innerhalb einer bestimmen Frist äußern muss, ob er eine Übernahme beabsichtigt. Verneint er das, ist er für eine bestimmte Zeit gesperrt. Solche Regelungen haben z.B. England, Österreich und die Niederlande. In Deutschland fehlt eine vergleichbare übernahmerechtliche Regelung. Das ist oft beklagt worden. Nach geltendem Recht lässt sich in Deutschland das Problem allenfalls kapitalmarktrechtlich lösen. Die MAR enthält in Art. 17 Abs. 7 UA 2 MAR 102

MAR-Komm./Schmolke Art. 15 Rn. 40.

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eine Regelung zu Gerüchten. Danach hat ein Zielunternehmen oder eine börsennotierte Bietergesellschaft, die eine Selbstbefreiung wegen einer bevorstehenden Übernahme beschlossen hat, ihre Absichten zu veröffentlichen, wenn präzise Gerüchte im Markt auftauchen. Tauchen die Gerüchte in einer Phase auf, in der die Absichten noch nicht konkret genug sind, um eine Insiderinformation im Sinne von Art. 7 MAR darzustellen (Problem des gestreckten Geschehensablaufs und der Eintrittswahrscheinlichkeit), kann ebenfalls eine Veröffentlichungspflicht bestehen. Bei richtiger Auslegung von Art. 7 MAR können auch Gerüchte Insiderinformationen sein. Sie sind „Informationen über Umstände“ im Sinne des Art. 7 Abs. 1, 2 MAR. Übernahmegerüchte sind veröffentlichungspflichtige Informationen, weil sie kursrelevant sind. Die Veröffentlichungspflicht ergibt sich dann aus Art. 17 MAR. Sie betreffen das Bieterunternehmen oder Zielunternehmen auch unmittelbar. Der Gedanke hinter der AdHoc-Publizitätspflicht von Insiderinformationen ist Transparenz, um einen effizienten Markt zu schaffen. Bei Übernahmegerüchten können der Bieter und die Zielgesellschaft, soweit sie Ad-Hoc-Publizitätspflichten treffen, die Transparenz am effizientesten schaffen, weil sie die Umstände kennen, die den Gerüchten zugrunde liegen. Das gilt auch bei unwahren Gerüchten. Auch hier können sie durch diese Veröffentlichung Transparenz schaffen. Folgt man diesem Ansatz, gibt es auch nach derzeit geltendem Recht zumindest eine „Put-up“-Pflicht im Sinne einer Pflicht zur Stellungnahme unter den Voraussetzungen des Art. 17 MAR. Haben die Gerüchte keine Kursrelevanz, stellt sich die Frage der Kommentierungspflicht nicht. Schwieriger wird es, wenn der Bieter nicht börsennotiert ist; er kann dann auch keiner Veröffentlichungspflicht unterliegen. Eine Ausnahme könnte nur vorliegen, wenn er selbst Gerüchte über seine Übernahmeabsichten in Umlauf gebracht hat und dieses Verhalten eine Marktmanipulation im Sinne von Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR darstellt. Die BaFin könnte dann eine Richtigstellung verlangen. Allerdings müsste sie auch wissen, wer der Urheber der Gerüchte ist. Ausschließlich der Urheber der Marktmanipulation kann nach Art. 23 Abs. 2 lit. m MAR zur Richtigstellung gezwungen werden. Auch wenn es unter geltendem Recht eine Pflicht geben kann, zu Übernahmegerüchten Stellung zu nehmen, so ist die Rechtslage unbefriedigend und lückenhaft. Es ist unklar, wann Gerüchte die Schwelle von Insiderinformationen erreichen. Veröffentlichungspflichtig können nur börsennotierte Bieter sein. Es gibt keine Bindungswirkung von negativen Erklärungen. Bei nicht börsennotierten potentiellen Bietern bieten die Regeln zur Marktmanipulation kein geeignetes Instrumentarium, um eine Stellungnahme zu erzwingen. Es wäre daher wünschenswert, wenn es in Deutschland eine übernahmerechtliche Regelung ähnlich wie in England, den Niederlanden oder Österreich geben würden. neue rechte Seite!

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Geldwäscheprävention 2.0 – ein Plädoyer Thorsten Höche

Geldwäscheprävention 2.0 – ein Plädoyer THORSTEN HÖCHE1

Vorbemerkung Dass Rechtsetzungsvorhaben des EU-Gesetzgebers abgekürzt und nummeriert werden (PSD II, CRR II, MiFiD II, BRRD II, …) ist nicht neu. Auch, dass in der Informationsgesellschaft die Gesetzgebungszyklen kürzer geworden sind, weil viele Rechtsetzungsvorhaben durch äußere Anlässe induziert sind, ist kein neuer Befund; sagt doch der juristische Volksmund „hard cases make bad law“. Bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung2 hat sich der Gesetzgeber in jüngerer Vergangenheit allerdings nachgerade überschlagen. So wurde die Vierte EU-Geldwäsche-Richtlinie Nr. 2015/849 vom 20. Mai 20153 mit dem Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-GeldwäscheRichtlinie zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen vom 23. Juni 20174 in nationales Recht umgesetzt. Parallel liefen zu diesem Zeitpunkt bereits die Beratungen zum Erlass der Richtlinie 2018/843 vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Vierten Geldwäsche-Richtlinie.5 Diese wurde wiederum durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäsche-Richtlinie vom 12. Dezember 20196 in deutsches Recht umgesetzt. Und wenige Tage zuvor – namentlich am 25. November 2019 – forderte der ECOFIN-Rat die Europäische Kommission auf, weiteren Gesetzgebungsbedarf zu eruieren. Hierbei stehen u.a. die Verstärkung der Harmonisierung des EU-Anti-Geldwäscherechts (durch Umstellung des Rechtsinstruments von Richtlinie auf Verordnung) sowie Erwägungen zur Stärkung bzw. Verlagerung von Kompetenzen der mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden und „Financial Intelligence Units“ auf die europäische Ebe1

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder. Der Einfachheit halber wird im Weiteren in der Regel lediglich der Begriff „Geldwäschebekämpfung“ verwendet. Hiervon ist die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung mit umfasst. 3 ABl. EU Nr. L 141 vom 5. Juni 2015, S. 73 ff. 4 BGBl. I, 2017, S. 1822. 5 ABl. EU Nr. L 156 vom 19. Juni 2018, S. 43 ff. 6 BGBl. I, 2019, S. 2602 ff. 2

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ne im Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund ist es schließlich keine Überraschung mehr zu hören, dass die Strafvorschrift des § 261 StGB (Geldwäsche; Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte) die am häufigsten geänderte Bestimmung des Strafgesetzbuchs ist.7 Nun muss ein rasch ablaufender Gesetzgebungsprozess nicht notwendigerweise zu dysfunktionalen Regelungen führen. Ebenso wenig garantiert eine umfangreiche Vorbereitung durch Impact-Assessments und dergleichen jedenfalls und zwangsläufig „better regulation“. Doch mehren sich in Expertenkreisen der Geldwäscheprävention Stimmen, die eine grundsätzliche Reflexion der zuletzt immer schneller überarbeiteten Regelungen im Lichte der ursprünglichen Zielsetzung der Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung fordern. Bewertungen von Anwenderseite, wie „our system is broken“8, sind keine Seltenheit und auch im nationalen Kontext wird die Diskussion über eine Gesamtstrategie gefordert.9 Besinnt man sich zurück auf die Anfänge der Geldwäschebekämpfung in der Europäischen Union und in Deutschland, so wird etwa bei der Lektüre der Erwägungsgründe der ersten Geldwäsche-Richtlinie 91/308/EWG10 sowie der Begründung zum Geldwäschegesetz vom 25. Oktober 199311 deutlich, dass ein Verbund aus neuen Maßnahmen der strafrechtlichen Sanktionierung, Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizeibehörden und der Einbeziehung Privater, insbesondere des Finanzsektors, die Bekämpfung von Schwerstkriminalität strukturell modernisieren sollte. Der Zielsetzung war dabei eindeutig: Die Ergreifung und Sanktionierung der Täter standen im Mittelpunkt. Ein weiterer Zweck – aber kein Selbstzweck – war die Prävention gegen einen Missbrauch Privater – insbesondere des Finanzsektors – durch die Organisierte Kriminalität. Wendet man den Blick wieder zurück auf die aktuelle Regulierungsdiskussion, sind Zweifel angebracht, ob diese ursprüngliche Zielsetzung nicht inzwischen zu einem beträchtlichen Teil aus den Augen verloren wurde. Der Erlass von inzwischen 81 (!) mit Bußgeld bedrohten GwG-Vorschriften zur Sanktionierung – wohlgemerkt nicht der mutmaßlichen Haupt- bzw. Vortäter einer Geldwäsche, sondern der zur Unterstützung der Strafverfolgungs7

Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 261 Rdnr. 1. The Clearinghouse, A New Paradigm: Redesigning the US AML/CFT Framework to Protect National Security and Aid Law Enforcement, 2017, abrufbar unter https://www. theclearinghouse.org/~/media/TCH/Documents/TCH%20WEEKLY/2017/20170216_T CH_Report_AML_CFT_Framework_Redesign.pdf. 9 Stellungnahme des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zum Umsetzungsgesetz zur Vierten Geldwäsche-Richtlinie vom 6. November 2019, im Internet abrufbar unter https://www.bun destag.de/resource/blob/666718/3ec94674fac5ea26f3fb029fe7bd3382/03-Bd-Dt-Kriminal beamter-data.pdf. 10 ABl. EG Nr. L 166 vom 28. Juni 1991, S. 77 ff. 11 BT-Drs. 12/2704, S. 10. 8

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behörden gesetzlich Verpflichteten -, die Erstattung von immer mehr Geldwäsche-Verdachtsmeldungen gemäß § 43 Geldwäschegesetz (GwG)12 und die offenbar immer größeren Schwierigkeiten, diese in den zuständigen Behörden adäquat zu bearbeiten, sowie die immer weiter ausufernden Regelungen zur Feststellung des so genannten wirtschaftlich Berechtigten haben jedenfalls eine Eigendynamik entwickelt, die den Geldwäscher bzw. Vortäter zunehmend als Randfiguren erscheinen lässt. In der Rechtspraxis haben aber die ursprünglichen Zielsetzungen nicht an Bedeutung verloren – das Gegenteil ist richtig. So haben Vertreter der Strafverfolgungsbehörden jüngst erneut die Bedeutung von Finanzermittlungen für den Erfolg bei der Bekämpfung z.B. von Clankriminalität betont.13 Die rechtspolitische Diskussion reagiert zwar verständlicher Weise auf tatsächliche (und zuweilen auch auf scheinbare) Geldwäsche-Skandale. Bei der Frage nach der richtigen Bekämpfungsstrategie ist das Vorgehen aber oftmals erstaunlich kurzsichtig. Und manche Maßnahmen werden nicht ergriffen, deren Sinnhaftigkeit auf der Hand liegt. Hierauf wird im weiteren Gang des Beitrags zurückzukommen sein. Zwei weitere Trends lassen eine kritische Analyse des gegenwärtigen Regelungsinstrumentariums angezeigt erscheinen. So verbreitet sich angesichts verschiedener Geldwäschefälle in Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Auffassung, eine effektive Geldwäschebekämpfung könne ohne eine weitergehende Übertragung von Aufsichts- und anderen Kompetenzen auf EU-Ebene nicht gewährleistet werden14. Zum anderen greifen die Buzzwords der Digitalisierung, wie „künstliche Intelligenz“, in den Diskussionen über eine effiziente Geldwäschebekämpfung ebenfalls verstärkt Raum. Auch diese Entwicklungen bedürfen einer kritischen Analyse.

I. Strategischer Ansatz Geldwäschebekämpfung fußt seit ihren Ursprungszeiten15 auf drei Säulen: Der Anlegung einer „Papierspur“, insbesondere durch die Identifikation von Kunden/Vertragspartnern (inzwischen auch von so genannten „auftretenden Personen“, § 10 Abs. 1 GwG) und durch Erhebung bestimmter An12

Siehe hierzu im Einzelnen unten Punkt IV. Interview mit dem Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra „Wir müssen das kriminelle Vermögen einsacken“, FAZ vom 17. Dezember 2019, S. 4. 14 Positionspapier der Finanzminister Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Lettlands, der Niederlande und Spaniens „TOWARDS A EUROPEAN SUPERVISORY MECHANISM FOR ML/FT“, siehe https://www.reuters.com/article/us-eu-moneylaun dering-reform/eu-heavyweight-states-push-for-joint-supervisor-against-money-launder ing-idUSKBN1XJ04D. 15 Siehe BT-Drs. 12/2704, S. 10, 11 (zu § 2), 17 (zu § 12) und 19 (zu § 15). 13

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gaben von „wirtschaftlich Berechtigten“ (zur Vermeidung von Strohmanngeschäften, § 10 Abs. 1 Nr. 2 GwG). Die zweite Säule, letztlich die „Königsdisziplin“ der Geldwäschebekämpfung, liegt in der Pflicht zur Meldung verdächtiger Sachverhalte an zuständige Behörden (§§ 43 ff. GwG), inzwischen im Allgemeinen an so genannte „Financial Intelligence Units“, in Deutschland gegenüber der „Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“ beim Zollkriminalamt. Die dritte und letzte Säule umfasst vielfältige, oft risikoabhängige Maßnahmen zur Prävention von Geldwäsche im Tagesgeschäft. Die hierzu in der Praxis der Verpflichteten getroffenen Maßnahmen greifen tief in die Gestaltung von Dienstleistungsprozessen ein. Hieran hat auch die Einführung des so genannten risikoorientierten Ansatzes durch die Dritte EU-Richtlinie 2005/60/EG grundsätzlich nichts geändert.16 Bemerkenswert ist allerdings, dass die Begründungen für immer weitere Änderungen des Instrumentariums zur Geldwäschebekämpfung zunehmend von ihrem Ursprungsgrund und einer wissenschaftlichen Analyse ihres Zielobjektes entfernt haben. So sind empirische kriminologische Forschungen, die in diesem besonders komplexen Deliktgebiet an sich eine unabdingbare Voraussetzung sein sollten, in der Praxis eher rar.17 Vielmehr wurde beispielsweise in der letzten Prüfung Deutschlands durch die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF), der dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht ähnlichen internationalen Standardsetzungsinstitution,18 zur Begründung der Kritik des deutschen Systems zur Verdachtsanzeigeerstattung nicht etwa auf kriminologische Erkenntnisse abgestellt. Stattdessen wurden Vergleichsdaten über Verdachtsanzeigen aus anderen FATF-Mitgliedstaaten herangezogen, die auf das Verhältnis der Anzahl von Verdachtsanzeigen gegenüber dem Bruttosozialprodukt des jeweiligen Landes abstellten.19 Derartige Daten lassen aber keinen Zusammenhang zu kriminologischen Entwicklungen erkennen. Kriminalitätsbelastungen können regional unterschiedlich und ihre Auswirkungen auf ein Gemeinwesen erheblich sein, ohne dass sich dies im Bruttosozialprodukt – gar noch vergleichbar mit anderen Staaten – in einer Weise niederschlägt, die Hinweise für die richtige Bekämpfungsstrategie abgibt. In Staaten mit einer starken Internet-Verbreitung nimmt beispielsweise gemeinhin auch eine spezifische Kriminalität zu20. Diese spielt in Staaten mit einer geringeren Di-

16 Zur Entwicklung der EU-Rechtsetzung siehe Herzog/Achtelik in Herzog GwG, 3. Auflage 2018, Einleitung Rdnr. 78 ff. 17 Herzog/Achtelik, a.a.O., Einleitung Rdnr. 3. 18 Siehe www.fatf-gafi.org. 19 https://www.fatf-gafi.org/media/fatf/documents/reports/mer/MER%20Germany% 20full.pdf, Textziffern 714 ff. 20 Siehe z.B. für die Entwicklung von „Cyber-Crime“ in Deutschland das Bundeslagebild 2018 des Bundeskriminalamtes, abrufbar unter https://www.bka.de/DE/Aktuelle

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gitalisierungsquote nicht notwendigerweise eine entsprechende Rolle. Dort können aber andere Kriminalitätsformen für die Gesellschaft sehr belastend sein. Mit anderen Worten: Oftmals werden zur Begründung eines legislativen bzw. regulatorischen Handlungsbedarfs Daten herangezogen, die für eine sachgerechte Analyse untauglich sind. Ferner stellen nicht nur Beiträge in der Tagespresse, sondern durchaus auch in Fachpublikationen auf Schätzungen über die weltweit oder in einem bestimmten Gebiet oder Staat gewaschene Geldbeträge ab.21 Solche Beschreibungen der mutmaßlichen Größe des Geldwäsche-Phänomens sind in der Regel die Ouvertüre zu einer spezifischen rechtspolitischen Forderung. Da jedoch Geldwäsche „per Definitionen (…) Folge jeder vermögensorientierten Kriminalität ist“22 ist der Nutzen solcher Schätzungen zur Begründung eines kriminalpolitischen Handlungsbedarfs äußerst fragwürdig. Geboten ist vielmehr eine sorgfältige kriminologische und kriminalpolitische Analyse der in Rede stehende Kriminalitätsphänomene und eine hierauf abgestellte Bekämpfungsstrategie. Diese kann – wie zu zeigen sein wird – sich durchaus weiterhin auf die eingangs angesprochenen Säulen stützen. Sie kann sich darüber hinaus durchaus technologische Entwicklungen und Erfahrungen der Akteure sowie Lerneffekte aus der Analyse von Geldwäschefällen in der Praxis zu Nutze machen. Aber sie sollte ihr eigentliches Ziel nicht aus den Augen verlieren. Insbesondere sollte sie nicht statt der im Einzelfall immer noch schwierigen Verfolgung der Haupttäter auf eine – quasi kompensatorische – Sanktionierung der GwGVerpflichteten umschwenken.

II. Kundensorgfaltspflichten/„Know Your Customer“ Ging es zu Beginn der in Deutschland gesetzlich geregelten Geldwäschebekämpfung darum, hauptsächlich die Kunden von Kreditinstituten bei Bargeschäften schwellenbetragsabhängig zu identifizieren, um eine „Papierspur“ anzulegen, stehen aktuell Fragen der Automatisierung und des Outsourcings im Vordergrund23. Bargeschäfte sind selbst im so bargeldaffinen Deutschland auf dem Rückzug, unbare Zahlungsmethoden sind auf dem Vormarsch. Dies belegen allein Zuwachszahlen des in Deutschland führenden Zahlungssystems, der girocard der Deutschen Kreditwirtschaft. Diese verzeichnete im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von 21,59% bei den Bezahlvorgängen, die sich in der Gesamtsumme Informationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Cybercrime/cybercrime_node.html;jses sionid=7EF8429A8E414F31FE9A6EA4BA0AD228.live0601. 21 Beispiele bei Fischer, StGB, § 261 Rdnr. 4a. 22 Fischer, a.a.O., Rdnr. 4b. 23 Überblick bei Renz/Neuberger, Compliance in Kreditinstituten – Was lässt sich automatisieren?, ZfgK 2017, S. 21.

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auf 2,14 Milliarden summierten. Dies entsprach einem Umsatzzuwachs von 15,8% auf 101 Milliarden Euro im gleichen Zeitraum.24 Ein weiterer Trend hin zu mehr Automatisierung, Telefon- und Onlinebanking wird durch die schwindende Anzahl von Bankfilialen in Deutschland verstärkt: Von nahezu 15.000 Bankstellen im Jahre 2004 hat sich das Filialnetz deutscher Kreditinstitute auf etwa 7.700 Geschäftsstellen im Jahre 2018 quasi halbiert.25 Diese Trends gehen einher mit dem verstärkten Einsatz von neuen Technologien, insbesondere im Bereich der Kundenidentifizierung. Natürlich ist die Identitätsfeststellung von Angesicht zu Angesicht „am Bankschalter“ noch in vielen Fällen üblich. Aber die Video-Identifizierung auf der Grundlage des Rundschreibens 3/2017 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht26 haben der Erhebung, Speicherung und Behandlung von Identifikationsdaten neue Horizonte geöffnet. Der Gesetzgeber ist auf diesem Feld gut beraten, der technologischen Entwicklung Raum zu geben, indem er Regelungen im Bereich Kundenidentifizierung generell technologieneutral gestaltet. Weiterer Regulierungsbedarf wird absehbar jedenfalls auf EU-Ebene zu bejahen sein: Eine Vielzahl von Problemen bis hin zu bußgeldbewehrten Verstößen im Bereich Identifizierung/Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten hat ihren Grund in der hohen Komplexität der zu beachtenden Vorgaben. Dies beruht zu einem guten Teil auf der Verwendung der Richtlinie als Rechtsinstrument des EU-Gesetzgebers. Zwar sind die unterschiedlichen Identitätsdokumente, auf die die Verpflichteten der Geldwäschegesetze in den EU-Mitgliedstaaten zurückgreifen können, nach wie vor vielfältig. Doch EU-Richtlinien eröffnen den Mitgliedstaaten inzwischen nicht mehr zeitgemäße Spielräume für die Umsetzung in ihrem jeweiligen nationalstaatlichen Recht. Es ist an der Zeit, die Vorgaben für diese Säule der Geldwäschebekämpfung mit dem Rechtsinstrument der Verordnung einer Vollharmonisierung zu unterziehen. Kritisch sollte in diesem Kontext ebenfalls überprüft werden, in welchem Umfang eine weitreichende risikoorientierte Differenzierung von Identifizierungsmaßnahmen heute noch sachgerecht ist. Es scheint durchaus denkbar, im Geschäftsverkehr jedenfalls von Verpflichteten des Finanzsektors regelbasiert, d.h. generell, von allen Kunden Basisdaten zu erheben und in einem zweiten Schritt risikoorientierte zusätzliche Maßnahmen auf der Grundlage dieser Basisdaten erst dann zu erheben, wenn hierfür ein Anlass besteht. Der Vorteil wäre die klare Differenzierung der Sorgfaltspflichten in einen „Tick-Box-Teil“, in dem formale 24 https://www.girocard.eu/presse-mediathek/pressemitteilungen/2019/halbjahreszah len-2019-anhaltend-grosses-wachstum-fuer-die-girocard-kontaktlos-boomt/. 25 https://bankenverband.de/statistik/banken-deutschland/kreditinstitute-und-bankstel len/. 26 Im Internet abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/ DE/Rundschreiben/2017/rs_1703_gw_videoident.html.

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Daten (Name, Geburtstag, Anschrift etc.) vom Kunden oder aus anderen verlässlichen Quellen erhoben werden, von einem weiteren risikoabhängigen zweiten Teil, der komplexere Angaben oder Bewertungen erfordert. Ein solches Regelungskonzept hatte die Deutsche Kreditwirtschaft im Übrigen im Vorfeld des Erlasses der Dritten EU-Geldwäsche-Richtlinie schon einmal vorgeschlagen. Nun scheint die Zeit dafür reif zu sein.

III. Transparenzregister Mit der Vierten EU-Geldwäsche-Richtlinie hat sich der EU-Gesetzgeber in besonderem Maße mit der Sammlung und Publikation von Informationen über die Verhältnisse von bzw. in juristischen Personen und anderen Personenmehrheiten befasst. In Erwägungsgrund 14 der Richtlinie heißt es ausdrücklich: „Die Verpflichtung zum Vorhalten präziser und aktueller Daten zum wirtschaftlichen Eigentümer ist eine wichtige Voraussetzung für das Aufspüren von Straftätern, die ihre Identität ansonsten hinter einer Gesellschaftsstruktur verbergen könnten“. Die hiermit verbundene Verlagerung des Schwerpunktes der Handlungspflichten im Hinblick auf „wirtschaftlich Berechtigte“ – weg von Maßnahmen zur Verhinderung von „Strohmanngeschäften“ im Kontext mit natürlichen Personen und Bargeschäften hin zu einer Datensammlung über die Verhältnisse von juristischen Personen, Personenmehrheiten und insbesondere Unternehmen – wurde mit dieser Richtlinie zusätzlich durch die Forderung nach Einrichtung entsprechender Datenbanken oder Register in den Mitgliedstaaten verstärkt. Verpflichtete Art. 30 Abs. 3 der Vierten EU-Geldwäsche-Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Einrichtung entsprechender Register, hat die Umsetzung der Fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie Anlass gegeben, die Adressaten des deutschen Geldwäschegesetzes zur Nutzung des Transparenzregisters in der Praxis zu verpflichten (§ 11 Abs. 5 GwG n.F.). Damit ist der deutsche Gesetzgeber über die Anforderung der Fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie hinaus gegangen, die eine explizite Nutzungspflicht des Registers nicht statuiert. In der Diskussion über die Fünfte EU-Geldwäsche-Richtlinie hat sich allerdings noch eine weitere Akzentverschiebung ergeben. Sollten die Register bzw. die darin enthaltenen Daten ursprünglich dazu dienen, den Adressaten der Anti-Geldwäsche-Regeln Hilfestellung für die Erfüllung ihrer Pflichten zu gewähren, forderten bestimmte politische Kreise im Gefolge der „Paradise Papers“ umfassende Transparenz von gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen einer möglichen Personenmehrheit als Selbstzweck27. Hierdurch wurde 27 Vgl. z.B. die Pressemitteilung von MdEP Sven Giegold vom 6. Februar 2019, „Transparenzregister: Deutsches Transparenzregister ist nutzlos – Justizministerin Barley

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eine Diskussion über möglicherweise in den Grundrechten verankerte schützenswerte Interessen der von solchen Offenlegungspflichten betroffenen Personenkreise ausgelöst28. Der deutsche Gesetzgeber hat sich insoweit um einen Interessenausgleich bemüht, als dass das Transparenzregister gemäß § 23 GwG n.F. grundsätzlich auch „allen Mitgliedern der Öffentlichkeit“ offensteht, allerdings bestimmte Einschränkungen bei den aus dem Register ersichtlichen Daten vorgenommen werden. Zusätzlich kann eine Einsichtnahme auf Antrag des wirtschaftlich Berechtigten unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GwG n.F.). Dies ist nicht der Ort, zu diesem Streit Stellung zu nehmen oder auf die vielfältigen Probleme und offenen Fragen des Transparenzregisters einzugehen29. Allein die „Unstimmigkeitsmeldung“ gemäß § 23a GwG n.F. ist ein weites Feld für Diskussionen. Grundsätzlich ist die Schaffung eines umfassenden und verlässlichen Registers über die maßgeblichen Daten von juristischen Personen und anderen Personenmehrheiten jedenfalls ein sinnvoller Ansatz. Damit sind zugleich aber auch die Aspekte angesprochen, bei denen die Realität (bislang) hinter der Zielvorstellung deutlich zurückbleibt. Weder schafft das deutsche Transparenzregister eine erschöpfende Grundlage für die Datenerhebung durch die Verpflichteten des Geldwäschegesetzes. So fehlen im Register die Anschrift des wirtschaftlich Berechtigten sowie die nach § 154 Abgabenordnung (AO) zu erhebende Steuer-Identifikationsnummer.30 Noch entfaltet das Register einen Gutglaubensschutz. Mit anderen Worten bietet das Register keinen Schutz vor Sanktionierung wegen unrichtig erhobener Daten, wenn sich ein GwG-Verpflichteter auf die Angaben aus dem Transparenzregister stützt. Damit werden im Zeitalter der Informationsgesellschaft auch für die Geldwäschebekämpfung mögliche erhebliche Effizienzgewinne verschenkt. Besinnt man sich erneut auf die ursprüngliche Zielsetzung der AntiGeldwäsche-Gesetzgebung, so ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, papierhafte oder digitale Spuren anzulegen, um Vermögensverschiebungen krimineller Personen und Organisationen nachvollziehen zu können. Hierzu hat der Staat ursprünglich und zunächst hauptsächlich die Kreditwirtschaft herangezogen, die bei der Anlegung von Spuren über Bargeschäfte unterstützen sollmuss nachbessern“, im Internet abrufbar unter https://sven-giegold.de/deutsches-trans parenzregister-nutzlos/. 28 Siehe etwa Pressemitteilung des Verbandes Die Familienunternehmer vom 31. Juli 2019 „Transparenzregister schadet Familienunternehmen“ zum Kabinettsbeschluss über den Regierungsentwurf zum Umsetzungsgesetz der Fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie. 29 Überblick zum Transparenzregister nach seiner Gründung bei Fisch, Das neue Transparenzregister und seine Auswirkungen auf die Praxis, NZG 2017, S. 408; zu den Problemen nach dem Umsetzungsgesetz zur Fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie Brian/ Frey/Krais, Umsetzung der Fünften Geldwäsche-Richtlinie in Deutschland, CCZ 2019, S. 245 (258 ff.). 30 Brian/Frey/Krais, ebenda S. 259.

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te. Inzwischen geht es jedoch, wie dargelegt, nicht mehr um einen solchen punktuellen Ansatz. Vielmehr ist inzwischen die gesamte Zivilgesellschaft aufgefordert, sich an der Bekämpfung von Kriminalitätsphänomenen zu beteiligen, denen die höchst bedenkliche Fähigkeit attestiert wird, den Rechtsstaat selbst zu untergraben. Berücksichtigt man zudem, dass die technologischen Möglichkeiten zum Aufbau zentraler Register im Jahre 2020 deutlich besser sind als zu Beginn der regulierten Geldwäschebekämpfung in den 1990er Jahren, muss an der bisherigen Rollenverteilung etwas geändert werden. Ein behördlich geführtes Transparenzregister auf der Grundlage von Bestimmungen, die eindeutig festlegen, welche Daten von einer Personenmehrheit oder einem Unternehmen einzumelden sind, ebenfalls eindeutige und spürbare Sanktionsbestimmungen sowie die Möglichkeit der Nutzer dieses Registers, sich auf diese Daten verlassen zu können, sind der Schlüssel für ein effizientes Gesamtsystem. Die Schaffung eines solchen scheint unabdingbar, will man das Postulat einer europäischen Vernetzung der Transparenzregister (Art. 30 Abs. 10 Fünfte EU-Geldwäsche-Richtlinie) erfolgreich umsetzen.

IV. Verdachtsmeldewesen/„Public Private Partnerships“ § 43 Abs. 1 GwG, der die Pflicht zur Meldung von Verdachtsfällen statuiert, wird in der Literatur zurecht als zentrale Vorschrift des Geldwäschegesetzes bezeichnet.31 Wirft man erneut einen Blick in die Materialien der ersten gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche, dann kann man diese Einschätzung nur unterstreichen. So hat auch der Gesetzgeber des ersten Geldwäschegesetzes die Einführung einer Verdachtsanzeigepflicht als etwas für das deutsche Rechtssystem Neues und Besonderes angesehen.32 Auch wurde der enge Bezug dieser Anzeigepflicht zur Strafverfolgung durch die Verkopplung mit der Strafvorschrift des § 261 deutlich: Wer der Verdachtsanzeigepflicht des Geldwäschegesetzes folgte, gab damit zugleich eine „freiwillige“ Anzeige i.S.v. § 261 Abs. 9 StGB ab und wurde von der Strafverfolgung befreit. Dieser durch das Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention vom 22. Dezember 201133 infolge der Absenkung der Verdachtsschwelle von Verdachts-„Anzeige“ auf Verdachts„Meldung“ für mehrere Jahre aufgelöste Zusammenhang wurde im Kontext der Umsetzung der Fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie erfreulicherweise wiederhergestellt. Durch den neuen § 43 Abs. 4 GwG n.F. ist nun explizit klargestellt, dass auch die Verdachts-„Meldung“ die Strafbefreiung gemäß § 261 Abs. 9 StGB bewirkt. In der Folge des Gesetzes zur Optimierung der 31 32 33

Barreto da Rosa/Herzog, a.a.O., § 43 Rdnr. 1. BT-Drs. 12/2704, S. 18. BGBl. I, S. 2959 ff.

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Geldwäscheprävention ist allerdings noch etwas anderes geschehen. Das verfolgte Ziel, namentlich eine substanzielle Steigerung der Verdachtsmeldezahlen wurde nämlich erreicht, um nicht zu sagen übererreicht. Wie der nachfolgend abgedruckten Grafik zu entnehmen ist, wurden im Jahre 2018 über 77.000 Verdachtsmeldungen erstattet. Hoeche_Abb_01.tif

In der Folge einer Entscheidung Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. April 201834 dürfte 2019 mit einer weiteren Steigerung zu rechnen sein. In der Entscheidung hatte das Gericht einer Prüfung von Verdachtsmomenten durch ein meldepflichtiges Kreditinstitut enge Grenzen gesetzt und die Geldwäschebeauftragte zu einer Geldbuße verurteilt. Die Entscheidung hat in der Praxis der Neigung zu frühzeitigen Meldungen beträchtlichen Schub gegeben. Auf Einzelheiten kann an dieser Stelle neuerlich nicht eingegangen werden. Die deutsche „Financial Intelligence Unit“ beim Zollkriminalamt (FIU) sieht sich zur Beherrschung dieses Meldeaufkommens ungeachtet anders lautender Kritik gut gerüstet.35 Und in der Tat entspricht die deutsche Statis34 Az: 2 Ss-OWi 1059/17; WM 2019, 586; kritische Besprechungen bei Bülte, Verpflichtung des Geldwäschebeauftragten zu rechtzeitigen Verdachtsmeldungen, ZWH 2019, S. 105; Rößler/Malkoc-Stahl, WuB 2019, ; 343. 35 Handelsblatt vom 7. November 2018 „Geldwäsche-Bekämpfer nehmen Immobiliensektor ins Visier“.

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tik Entwicklungen in anderen Industriestaaten, die bereits seit geraumer Zeit ganz erhebliche Verdachtsmeldungszahlen verzeichnen.36 Und natürlich lassen sich mit diesen Zahlen – wie eingangs bereits dargelegt – verschiedene Rechenoperationen durchführen, die im Einzelfall von Interesse seien mögen, kriminalpolitisch aber zumeist wenig hilfreich sind.37 Indessen ist hierdurch wenig gewonnen, denn nach wohl allgemeiner Auffassung ist das Verhältnis der erstatteten Meldungen zu ebenfalls zählbaren Erfolgen bei der Bekämpfung der zugrunde liegenden Kriminalität durchweg bescheiden. Für Deutschland mangelt es insoweit bereits einer ausreichenden Datengrundlage. So weist beispielsweise die Strafverfolgungsstatistik zwar noch die Verurteilung wegen Geldwäsche (und verwandter Delikte) aus, nicht aber, in welchen Fällen die Verurteilung mit einer Geldwäsche-Verdachtsmeldung im Zusammenhang steht. Entsprechendes gilt für die Delikte aus dem umfangreichen Vortatenkatalog des § 261 StGB. Doch auch international wird die mangelnde Effizienz des derzeitigen Verdachtsmeldewesens beklagt. Nach Angaben des Royal United Service Institut (RUSI) aus dem Vereinigten Königreich sind 80 bis 90% der Verdachtsmeldungen ohne sofortigen Nutzen für die Strafverfolgungsbehörden bei geschätzten 8,2 Milliarden US-Dollar Aufwendungen (global) für die Verpflichteten der einschlägigen Geldwäsche-Gesetze38. Aus diesem Befund sind neuerdings im Wesentlichen zwei Forderungen entstanden: Zum einen muss die Zusammenarbeit zwischen Verpflichteten und den Strafverfolgungsbehörden auf einer neuen faktischen Grundlage deutlich intensiviert werden, zum anderen wird der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) diskutiert. Letzteres erscheint zur Bekämpfung von Geldwäscheaktivitäten durchaus naheliegend, wird der KI doch die Fähigkeit zugesprochen, aus sehr verschiedenartigen Daten Zusammenhänge abzuleiten, die sich einer manuellen menschlichen Analyse entziehen. Allerdings setzt dies das Vorhandensein relevanter Daten voraus. Und hier beginnt der problematische Punkt. Es mag durchaus sein, dass der Einsatz von KI in den verschiedenen Datenbanken eines Kreditinstituts Sachverhalte bzw. Datenverknüpfungen feststellt, die für die Prävention relevant sind. Eine natürliche Grenze dürfte indessen in Art und Inhalt der vorhandenen Daten liegen.

36 So gibt die National Crime Agency des Vereinigen Königreichs für 2019 insgesamt 478.437 Verdachtsmeldungen („ Suspicious Activity Reports“ – „SAR“) an. Die Vereinigten Staaten haben für das Jahr 2016 eine 1.975.644 SARs gemeldet. In Hongkong wurden 76.590 SARs, in Singapur 34.129 verzeichnet. Im Jahre 2015 meldeten Australien 78.846 und Kanada 114.422 derartiger Meldungen, vgl. Maxwell/Artingstall, The Role of Financial Partnerships in the Disrution of Crime, Occasional Paper des Royal United Services Institute (RUSI) 2017, S. VI. 37 Beispiel hierfür bei Winnefeld/Giaoutzi, Verdachtsmeldewesen: Geldwäsche in Europa, ZfgK 2018, S. 25 ff. 38 Siehe Fußnote 36.

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Nicht nur aus Gründen des datenschutzrechtlichen Grundsatzes der Datensparsamkeit (Art. 5 Abs. 1 lit c) DSGVO) belasten Kreditinstitute sich möglichst nicht mit für den Geschäftsbetrieb nicht erforderlichen Daten. Deshalb verfügen sie regelmäßig auch nicht über Informationen, wie sie in polizeilichen Datenbanken enthalten sind. Insofern kann der Einsatz von KI erheblich an Durchschlagskraft gewinnen, wenn die zugrundeliegenden Daten für den Zweck – die erfolgreiche Aufklärung von Straftaten – bestmöglich geeignet sind. Hier nun setzt die Idee der Gründung bzw. Intensivierung von so genannten „Public Private Partnerships“ an. Hiermit ist eine neuartige Zusammenarbeit zwischen Ermittlungsbehörden und Meldepflichtigen gemeint, wie sie sich rechtlich beispielsweise im Vereinigten Königreich durch Section 7 des „Crime and Courts Act 2013“ niedergeschlagen hat, der eine Plattform für den Informationsaustausch zwischen der National Crime Agency und dem meldepflichtigen Unternehmen geschaffen hat. Nach einer durch den „Criminal Finances Act 2017“ vorgenommenen Ergänzung können in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern von Meldepflichtigen und Behörden (Joint Money Laundering Intelligence Task Force – JMLIT) nicht nur allgemeine Hinweise über Geldwäschetypologien ausgetauscht werden, sondern Informationen über konkrete Personen bzw. transaktionsbezogene Daten. Mit anderen Worten: Behörden und Meldepflichtige tauschen im Vorfeld eines Verdachts Informationen über möglicherweise melderelevante Sachverhalte aus. Die damit verbundene Vorverlagerung eines Informationsaustauschs in den Vorhof eines Verdachts wirft schon auf den ersten Blick vielfältige rechtliche – bis hin zu verfassungsrechtlichen – Fragen auf. Und fraglos bedarf es hierzu einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Vorschläge zu deren Schaffung wurde im Rahmen der Umsetzung der Fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie noch nicht aufgegriffen und bleiben so der weiteren Diskussion vorbehalten, wenn man denn an die Reichweite des britischen Ansatzes anknüpfen will. Andererseits würde ein „weiter so“ bei der derzeitigen Meldepraxis voraussichtlich immer mehr Kunden von Unternehmen des Finanzsektors zu Objekten von frühzeitig erstatteten Verdachtsmeldungen machen. Dies wäre ebenfalls bedenklich, zumal die Meldepflichtigen sich im Rahmen der Meldung regelmäßig zusätzlich fragen, ob die Geschäftsverbindung zu dem gemeldeten Kunden noch aufrechterhalten werden kann. Hieraus folgt, dass man der Diskussion über eine grundsätzliche Neuausrichtung der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalitätsphänomene in der digitalen Gesellschaft wohl nicht lange ausweichen können wird. Die Fortsetzung des Informationsaustausches zwischen Behörden und GwG-Meldepflichtigen allein auf der Grundlage allgemeiner, d.h. nicht personen- und transaktionsbezogener Informationen, wie sie aus „Typologienpapieren“ seit Jahrzehnten bekannt sind, würde jedenfalls kaum substanziell

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Neues bringen und dürfte letztlich kaum geeignet sein, das gegenwärtige Effizienzproblem bei der Verdachtsmeldungsbearbeitung zu lösen. Hierfür spricht auch, dass vergleichbare Projekte wie JMLIT in anderen Staaten aufgegriffen worden sind39. Auch in Deutschland hat sich eine entsprechende Public Private Partnership gebildet, die bislang allerdings in den rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht berücksichtigt ist. Bedarf besteht allerdings offenbar auch nach einer Anpassung des Selbstverständnisses der Beteiligten. So ist bislang von Vertretern der deutschen Polizeibehörden noch keine Bereitschaft spürbar, operative Daten etwa mit der Financial Intelligence Unit zu teilen.40 An einen hierüber hinaus gehenden Austausch mit den Verpflichteten des Geldwäschegesetzes wird dabei noch gar nicht gedacht. Unter Umständen mag hierfür eine Ergänzung des internationalen „SoftLaw-Standards“ – der vierzig Empfehlungen der Financial Action Task Force – hilfreich sein. Die FATF hat sich mit der Thematik zwar bereits befasst, von einer Ergänzung ihrer Empfehlungen bislang aber abgesehen.41

V. Kompetenzverteilung Europäische Union – Mitgliedstaaten Tatsächliche und mutmaßliche Geldwäscheaktivitäten in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission haben eine Diskussion über Insuffizienzen bei der Beaufsichtigung der Verpflichteten, insbesondere aus dem Bankensektor, ausgelöst. Die Diskussion hat sich mit dem Beschluss des ECOFIN-Rates vom 25. November 2019 verdichtet, indem die Kommission aufgefordert wird, die Möglichkeiten, Vorteile und Nachteile einer Übertragung bestimmter Kompetenzen zur Beaufsichtigung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung auf eine EU-Behörde zu übertragen. Dabei sollen der risikobasierte Ansatz und grenzüberschreitende Aspekte berücksichtigt werden. Zudem scheint der ECOFIN-Rat den von vielen Seiten unterstützten Ruf nach einer Umstellung der EURechtsinstrumente von Richtlinie auf Verordnung zu unterstützen. Zur Kenntnis zu nehmen sind in diesem Zusammenhang auch entsprechende Äußerungen aus der Europäischen Zentralbank.42 Zwar sind in jüngerer Vergangenheit bereits die Kompetenzen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde European Banking Authority (EBA) geändert worden, indem der Personalkörper erweitert und bestimmte Durchgriffskompetenzen ge39 Beispiele im Guidance Paper der Financial Action Task Force, Private Sector Information Sharing, 2017, S. 39 ff., im Internet abrufbar unter https://www.fatf-gafi.org/media /fatf/documents/recommendations/Private-Sector-Information-Sharing.pdf. 40 Siehe Fußnote 9. 41 Siehe Fußnote 39. 42 Siehe Financial Times vom 7. September 2018 „FCB calls for single EU-Agency to take on Money Launderers“.

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genüber beaufsichtigten Unternehmen in Mitgliedstaaten erweitert wurden.43 Allerdings bleibt die EBA trotz dieser Änderungen in ihrer Grundstruktur eine Regulierungsbehörde, die für eine praktische Vor-Ort-Aufsicht nicht konzipiert ist. Hier scheinen die aktuellen Überlegungen des ECOFINRates anzusetzen, der eine weitergehende Überführung von Kompetenzen von der nationalen auf die EU-Ebene ausloten lassen will. Aus deutscher Sicht ist dabei zu berücksichtigen, dass die Übertragung von Aufsichtskompetenzen auch im Bereich der Geldwäschebekämpfung auf die Europäische Zentralbank aus verfassungsrechtlichen Gründen mit Vorsicht zu genießen ist. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Übertragung von Aufgaben der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank im Rahmen des Art. 127 Abs. 6a EUV als (gerade) noch mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar angesehen.44 Doch wurde nicht zuletzt die Aufsichtskompetenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bei der Geldwäschebekämpfung als ein Argument dafür angeführt, dass der Europäischen Zentralbank eben nicht alle, sondern nur „besondere“ Aufgaben der Bankenaufsicht übertragen worden seien. Für weitere Übertragungsakte ist das Eis dünn … Geht man davon aus, dass vermutlich eher eine eigenständige neue Agentur (wie z.B. das Single Resolution Board) das Ziel der Überlegungen ist, dürften sich Fragen hinsichtlich der kompetenziellen Ausstattung der Agentur stellen. So dürfte eine gegenüber der EBA mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattete Agentur wohl jedenfalls Ermessensentscheidungen treffen müssen. Aber unabhängig von diesen kompetenzrechtlichen Folgefragen stellt sich zunächst die Frage, über welche Befugnisse eine solche Behörde verfügen können sollte, um der Geldwäschegesetzgebung bessere Ergebnisse zu bescheren. Zwar lassen bestimmte Ereignisse in den berichteten Geldwäschefällen tatsächlich auf Versäumnisse in der Aufsichtspraxis mancher Mitgliedstaaten schließen. So sprechen beispielsweise über einen langen Zeitraum geduldete grundlegende Defizite von Daten aus Kundenidentifizierungen nicht für eine sachgerechte Aufsichtstätigkeit. Andererseits ist die Beaufsichtigung über Maßnahmen zur Geldwäscheprävention ein komplexes Gebiet, auf dem Bewertungen sehr oft auf der Grundlage abstrakter Vorgaben und mit der Androhung von Sanktionen bei Fehlern, im Einzelfall aber keineswegs auf einer immer eindeutigen Tatsachengrundlage getroffen werden müssen. In der Praxis stellt sich jedenfalls häufig heraus, dass die für eine Verdachtsmeldung entscheidende Information bei einer Ermittlungsbehörde (wohlgemerkt nicht bei einer Aufsichtsbehörde) vorhanden ist. Gesucht werden muss daher eine Behördenstruktur, die das Zusam43 Art. 17 EU-Verordnung 1093/2010, ABl EU Nr. L 331 vom 15. Dezember 2010, 12 ff., in der Fassung durch die EU-Verordnung 2019/2175, ABl EU Nr. L 334 vom 27. Dezember 2019, 1 ff. 44 Urteil vom 30. Juli 2019, Az.: 2 BvR 1685/14, abrufbar auf der website des Bundesverfassungsgerichts unter www.bundesverfassungsgericht.de.

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menwirken von Strafverfolgung, Aufsichtstätigkeit und Zusammenarbeit mit dem Privatsektor bestmöglich gewährleistet. Hierbei kann an durchaus verschiedene Ansätze gedacht werden – ein Aufbau, der jedoch den Anteil der Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden nicht ausreichend gewährleistet, wird den gebotenen qualitativen Sprung bei der Geldwäschebekämpfung nicht erreichen können. Unter dieser Prämisse wäre eine bloße Übertragung von Aufsichtskompetenzen von der mitgliedstaatlichen auf die EUEbene nicht geeignet, die drängenden Probleme zu lösen – die Dinge sind komplexer. Versucht man sich an einer ersten Antwort auf diese komplexeren Fragen, so ist zunächst von Bedeutung, ob und in welchem rechtlichen Rahmen und mit welcher Geschwindigkeit eine solche Behörde geschaffen werden könnte. Zwar kann man – wie gegenwärtig auch in den Mitgliedstaaten üblich – die Aufsichtstätigkeit von der Bearbeitung von Verdachtsmeldungen trennen. Wichtig ist jedoch, dass beide Funktionen den Erfahrungen Rechnung tragen, die mit den gegenwärtigen Organisationsformen bislang gemacht worden sind. Und diese sind insbesondere bei der rein administrativen Bearbeitung von Verdachtsmeldungen ohne einen Austausch zwischen Ermittlungsbehörden und Verpflichteten keineswegs durchgehend positiv. Ferner wäre eine Zersplitterung von Zuständigkeiten für verschiedene Gruppen von Meldepflichtigen nicht sachgerecht. Eine teils erwogene Anlehnung der Anti-Geldwäsche-Aufsicht an die Solvenzaufsicht durch den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) würde die Lage zusätzlich unnötig komplizieren. Denn nach diesem Ansatz würden besonders risikogeneigte Verpflichtete auf EU-Ebene, die übrigen Verpflichteten auf nationaler Ebene beaufsichtigt. Wie unter einem solchen Ansatz ein stringenter Austausch mit Ermittlungsbehörden gelingen soll, ist ebenso fraglich, wie Verpflichtete des Nichtfinanzsektors eingebunden werden sollen. Unterschiedliche Ausgangslagen in den Mitgliedstaaten – wie die föderale Organisation von Justiz und Polizeibehörden in Deutschland – werfen weitere Fragen auf. Nach allem scheinen EU-Kommission, Mitgliedstaaten und EU-Parlament gut beraten, die Thematik praxisnah und sorgfältig zu beraten.

VI. Sanktionen In der auf vielen Ebenen geführten Diskussion über mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft wird dem „Purpose“, d.h. einem höheren Unternehmenszweck, zunehmend Bedeutung beigemessen.45 Im letzten Rückblick dieses 45 Vgl. beispielhaft die Ausführungen der Unternehmensberatung Roland Berger, https://www.rolandberger.com/de/Publications/Das-Prinzip-Purpose.html.

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Beitrags auf die Anfänge der Geldwäschegesetzgebung in Deutschland lässt sich sagen, dass schon seinerzeit nicht wirklich das Bild einer Partnerschaft prägend war für die gesetzlich fixierte Zusammenarbeit zwischen den Verpflichteten und den zuständigen Behörden. Vielmehr hat man den Eindruck, die Verpflichteten wurden als eine Art Verwaltungshelfer angesehen.46 Die seinerzeit in § 18 des Entwurfs für das Geldwäschegesetz vorgesehenen acht Bußgeldtatbestände bewegten sich in dem gewerbeaufsichtsrechtlich üblichen Ausmaß und erregten seinerzeit wenig Aufmerksamkeit. Schon damals ist es den bei den verpflichteten Unternehmen Verantwortlichen nicht leicht gefallen, ihren Mitarbeitern den „Purpose“ des Geldwäschegesetzes nahe zu bringen. Ansätze wie „Public Private Partnerships“ lassen in dieser Hinsicht gewisse neue Hoffnung aufkeimen, wenngleich die eingangs erwähnte Inflation bei den Bußgeldbestimmungen wiederum eine andere Sprache spricht. Einmal mehr müssten sich Gesetzgeber und Regulatoren entscheiden, ob es bei der Geldwäschebekämpfung letztlich um Kriminalitätsbekämpfung im Verbund von Staat und Wirtschaft geht oder um die weitere Befeuerung eines zunehmend selbstreferenziellen Systems, das sich von der Ergreifung der eigentlichen Täter immer mehr entfernt und stattdessen Hilfskräfte der Behörden zu Rechtsverletzern stempelt.

VII. Ausblick Rund 30 Jahre spezifisch regulierte Geldwäschebekämpfung in Deutschland liegen hinter den Anwendern des Geldwäschegesetzes. Verschiedene Treiber – die Digitalisierung, die Frustration vieler Beteiligter und immer wieder auftretende Fälle in der Praxis – lassen den Bedarf nach einer grundsätzlichen Neuorientierung erkennen. Wer sich angesichts der potenziellen Folgen von weit ausgelegten „Public Private Partnerships“ an künstlerische Prophezeiungen wie Steven Spielbergs „Minority Report“47 erinnert fühlt, ist angesichts der in diesen Tagen andernorts bereits im Einsatz befindlichen Gesichtserkennung zu Zwecken der Sozialkontrolle48 kein Fantast, sondern eher in der Wirklichkeit angekommen. Wenn aber das unveränderte Betreiben des derzeitigen Systems mit seiner stetig steigenden Flut von Verdachtsmeldungen zu einer immer größeren Menge nicht adäquat verarbeitbarer Fälle führt, verliert sich der Schrecken vor einer grundsätzlichen Neuorientierung. Gewiss, hier sind Regeln am Platze, die grundrechtssensitiv und sensibel für den Nutzen und die Gren46 Besonders deutlich wird dies in den Ausführungen zur Verdachtsanzeigepflicht gemäß § 12 GwG a.F., siehe BT-Drs. 12/2704, S. 17 f. 47 2002, Inhaltsangabe unter https://de.wikipedia.org/wiki/Minority_Report. 48 Einzelheiten bei Heise Online, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Chinaschafft-digitales-Punktesystem-fuer-den-besseren-Menschen-3983746.html.

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zen von Technologie sind. Vielleicht gelingt sogar das längst Überfällige, nämlich an dieser Stelle ganz verstärkt interdisziplinäre (und vor allem kriminologische) Forschung einzubeziehen. Der wichtigste und zugleich heikelste Punkt wird aber wohl sein, ob dem Versprechen einer „Partnership“ auch dann noch Taten folgen, wenn äußere Anlässe – wie eine bevorstehende FATF-Prüfung – Geschichte sind. Man darf gespannt sein.

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Vorstandsbezüge und gesteuertes Organverhalten Peter Hommelhoff

Vorstandsbezüge und gesteuertes Organverhalten PETER HOMMELHOFF

Die Vorgaben zur nichtfinanziellen Berichterstattung nach der CSRRichtlinie (§§ 289b ff. HGB) haben neben den überkommenen Zielen der Rechnungslegung, als da sind: Rechenschaft, Gewinnermittlung, Ausschüttungsbemessung und Entscheidungsgrundlage, eine weitere Funktion der Rechnungslegung in den Vordergrund gerückt, die in dieser, wenn auch eher verborgen, schon länger angelegt war: die Steuerung von Organverhalten. Diese Steuerung auch durch Information könnte insbesondere bei den Vorstandsbezügen und ihrer Festsetzung durch den Aufsichtsrat eine Rolle spielen. Deshalb will die nachfolgende Skizze sich mit der Frage befassen, ob der Gesetzgeber den Vergütungsentscheid des Aufsichtsrats steuert, mit welchen Zielen er dies tut und mit welchen Mitteln auf welcher konzeptionellen Grundlage. Gewidmet sind diese Überlegungen Klaus Hopt, dem Partner in vielfältigen Gesprächen1 seit vielen Jahren und gutem Freund mit allen herzlich guten Wünschen für sein kommendes Lebensjahrzehnt.

I. Angemessene Vorstandsvergütung Mit der eigenverantwortlichen Leitung der Aktiengesellschaft und ihres Unternehmens erbringen der Vorstand und seine Mitglieder eine Leistung, die durch eine Gegenleistung der Gesellschaft, die Vergütung der Vorstandsmitglieder, entgolten werden soll. Über sie verständigen sich das Vorstandsmitglied und der für diese Entscheidung zwingend zuständige Gesamtaufsichtsrat (§ 116 Satz 3 AktG) im Anstellungsvertrag (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG) in Ausübung ihrer jeweiligen Privatautonomie. Dabei jedoch entscheidet der Aufsichtsrat nicht nach Belieben, sondern ist zu pflichtgemäßer Ausübung seines Ermessens verpflichtet (§§ 93 Abs. 1 Satz 2/116 Satz 1 AktG), weil er damit nicht über sein eigenes Privatvermögen befindet, sondern über das der Gesellschaft und seiner Aktionäre, das ihm auch insoweit zur treuhänderischen Verwendung anvertraut ist. Mithin ist der Aufsichtsrat rechtsverbindlich gehalten, mit den einzelnen Vorstandsmitglie1 Zur Vorstandsvergütung mit Blick auf die Kodexempfehlungen 2020 Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929, 974 ff.

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dern eine angemessene Vergütung zu vereinbaren, die das rechte Maß hält. Entscheidungskriterien für den Rat sind dabei, schon von der Sache her geboten, die Aufgabe, die dem einzelnen Vorstandsmitglied anvertraut werden soll, ihr Umfang und ihre Komplexität auf der einen Seite sowie die erwarteten Leistungen des Vorstandsmitglieds, seine Befähigungen und Erfahrungen sowie die unter Beweis gestellte unternehmerische Fortune auf der anderen. Für all´ das braucht ein professionell agierender Aufsichtsrat keine Handlungsanleitung des Gesetzgebers. Dennoch normiert das Aktiengesetz eingehende Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder (§ 87).

II. Die Ursprünge der Bemessungsvorgaben Bereits das Aktiengesetz 1937 hatte mit kodifizierten Grundsätzen auf Missstände reagiert, die im Gefolge der Weltwirtschaftskrise schon am Ende der Weimarer Republik zutage getreten waren. In manchen Unternehmen waren deren Vorstandsmitgliedern Bezüge gewährt worden, die nicht bloß im krassen Missverhältnis zu ihren Aufgaben standen, sondern auch und vor allem eklatant der Unternehmenslage widersprachen: Trotz derer Verschlechterung blieben die Vorstandsbezüge unverändert hoch, während das Unternehmen seinen Arbeitnehmern kündigen oder sie zumindest auf Kurzarbeit setzen musste2. Im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat hatte dieser Befund damals zur Bemerkung Anlass gegeben, bei vielen Gesellschaften sei die Bereicherung von Vorstands- und Verwaltungsmitgliedern so sehr zum Selbstzweck geworden, dass der eigentliche Unternehmenszweck dahinter zurückgetreten sei3. Hierauf hatte schon das Reichsjustizministerium über die Notverordnungen des Reichspräsidenten von 1931 und 1932 mit der Rechtsmacht für die Gesellschaft reagiert, die Organbezüge einseitig, also ohne einvernehmliche Vertragsänderung herabsetzen zu können. Diese punktuelle Regelung hatte § 78 Abs. 2 Satz 1 AktG 1937 fortgeführt und sie um die allgemeine Vorgabe in § 78 Abs. 1 Satz 1 ergänzt, die Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder müssten in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des einzelnen Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Bereinigt von nationalsozialistischer Terminologie hatte dieser Regelung der Gedanke zugrunde gelegen, das einzelne Vorstandsmitglied habe im Interesse der Arbeitnehmer des Unternehmens auf dessen Gedeihen Rücksicht zu nehmen. Dieser Einstieg in die gesetzlichen Vorgaben zur Vorstandsvergütung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum ersten richtet das Gesetz den 2

Dazu Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 115 mwN. Naphtali, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, S. 197 f. 3

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Aufsichtsrat zwingend auch und insbesondere auf die wirtschaftlichfinanzielle Lage der Gesellschaft aus; das konkrete Umfeld, in dem das Vorstandsmitglied tätig werden soll (Aufgaben in dieser Gesellschaft), bildet den maßgeblichen und vordringlichen Hintergrund für die Bemessung einer angemessenen Vergütung. Auf die individuellen Leistungsbeiträge des einzelnen Vorstandsmitglieds, seinen Einsatz, seine Befähigungen und Erfahrungen etc., geht das Gesetz nicht ein. Offenbar bestand insoweit kein Anlass für anleitende Vorgaben. Zum zweiten jedoch belässt das Gesetz dem Aufsichtsrat die Freiheit, pflichtgemäß darüber zu befinden, wie und mit welchem Gewicht Aufgaben und Unternehmenslage mit dem Ziel einer insgesamt angemessenen Vergütung bei der einzelnen Vorstandsvergütung berücksichtigt werden sollen. Trotz der normativen Bemessungsvorgaben liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Aufsichtsrats, für das Vorstandsmitglied das Angemessene festzulegen; pflichtwidrig ist erst das offenbar Unangemessene, das Unvernünftige. Somit richtet das Gesetz die Ermessensausübung primär auf die Vorstandsaufgaben und auf die Unternehmenslage aus und belässt damit dem Aufsichtsrat einen weiten Entscheidungsfreiraum. Das privatautonome Fundament auch bei der Vorstandsvergütung war vom Aktiengesetz ungeschmälert respektiert worden. Mit diesen Vorgaben zum dritten hatte das Gesetz die in früherer Zeit aus dem Ruder gelaufenen Vorstandsbezüge schon bei ihrer anstellungsvertraglichen Begründung (und nicht erst im Verlaufe der Amtszeit) einfangen und auf einen angemessenen Umfang begrenzen wollen. Das folgt aus der Stellung des § 78 Abs. 1 AktG vor dessen Abs. 2 mit der Möglichkeit nachträglicher Bezugsreduktion, wenn und soweit die unveränderte Weitergewährung trotz wesentlich verschlechterter Gesellschaftsverhältnisse eine schwere Unbilligkeit wäre. Mit der Ausrichtung der Vorstandsbezüge vordringlich auf Aufgaben und Unternehmenslage hatte das Gesetz den Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat in Richtung auf angemessene Bezüge steuern wollen; die gesetzlichen Vorgaben sind materielle Steuerungsimpulse für die Ermessensausübung des Aufsichtsrats. Und viertens schließlich hatten die Gesetzesverfasser diese Steuerungsimpulse mit den Arbeitnehmerinteressen (Gefolgschaft) motiviert und überaus bemerkenswert nicht mit denen der Aktionäre, obwohl übermäßige Vorstandsbezüge zulasten derer Vermögen gehen, und auch nicht mit den Interessen der Allgemeinheit. Trotzdem hatten die Vorgaben im Aktiengesetz 1937 weder das Interesse der Aktionäre ausgeblendet, noch das der Allgemeinheit an angemessenen Vorstandsbezügen. Denn jene Interessen hatten zusammen mit denen der Arbeitnehmer den Hintergrund gebildet, vor dem die Gesetzesverfasser in Fortsetzung und Ergänzung der Notverordnungen von 1931/32 die steuernden Vorgaben zur Vorstandsvergütung normiert hatten. Mit beiden Notverordnungen zum Aktienrecht hatten Beiträge geleistet werden sollen, das im Gefolge der Weltwirtschaftskrise verlorenge-

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gangene Vertrauen der (modern gesprochen) Kapitalanleger und der Allgemeinheit in die großen deutschen Aktiengesellschaften und ihre Verwaltungsorgane wieder herzustellen. Dies Bestreben hatte eine allgemeine Akzeptanz der Vorstandsbezüge in ihrer Höhe mit eingeschlossen. Von dieser Motivation waren auch die Steuerungsimpulse im Aktiengesetz 1937 getragen, wenn auch weniger vom Ziel, Vertrauen und Akzeptanz wieder herzustellen, als vielmehr von dem, bereits Wiedergewonnenes zu sichern. Für die Vorstandsbezüge bedeutet das: In ihrer Höhe hatten sie für die Aktionäre, Arbeitnehmer und für die Allgemeinheit gleichermaßen annehmbar sein sollen; die Steuerungsimpulse in § 78 Abs. 1 AktG 1937 hatten auf generelle Akzeptanz der Vorstandsbezüge abgezielt. Diese Vorgaben hat das Aktiengesetz 1965 ohne Änderungen in § 87 Abs. 1 übernommen und zur Begründung keine eigenen Erwägungen beigesteuert4. Deshalb sollten auch nach der Ansicht des demokratisch legitimierten Gesetzgebers die materiellen Steuerungsimpulse im Gesetz für generell akzeptierte Vorstandsbezüge sorgen. Beibehalten wurde ebenfalls der auf Privatautonomie gründende Entscheidungsfreiraum des Aufsichtsrats, das Korrelat zu dessen Verantwortung für die Besetzung des Vorstands und zugleich für eine angemessene Entlohnung seiner Mitglieder.

III. Die Verdichtung der Bemessungsvorgaben Erst 2009 hat das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) die anleitenden Steuerungsimpulse um weitere für alle Aktiengesellschaften schlechthin einerseits (§ 87 Abs. 1 S. 1) ergänzt und speziell für börsennotierte andererseits (§ 87 Abs. 1 S. 1/3). Danach sollen alle aktienrechtlichen Aufsichtsräte über die bisherigen Vorgaben (Aufgaben und Lage der Gesellschaft) hinaus zusätzlich die Leistungen des Vorstandsmitglieds berücksichtigen (was in der Sache keine Neuerung ist) sowie dafür sorgen, dass seine Bezüge auch die übliche Vergütung für Vorstandsmitglieder nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Ausweislich der Gesetzesbegründung5 ist die übliche Vergütung zum einen horizontal extern an der von Vorstandsmitgliedern in anderen Vergleichsunternehmen zu bemessen und zum anderen vertikal innerhalb des eigenen Unternehmens nach den Vergütungsgepflogenheiten und dem Vergütungssystem in ihm; im Klartext also: nach der Relation zwischen der Vorstandsvergütung und der durchschnittlichen Vergütung aller im Unternehmen Beschäftigten („das Vorstandsmitglied verdient das xfache des durchschnittlich Beschäftigten“). Mit der „üblichen Vergütung“ hat 4 S. Begründung zu RegE § 87 AktG, auch abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 111. 5 FraktionsE zu § 87 AktG, Bundestags-Drs. 16/12278 S. 5.

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der Gesetzgeber für die Festsetzung der Vorstandsvergütung eine Obergrenze festlegen wollen, die nur in begründeten Ausnahmefällen überschritten werden darf. Diese zusätzlichen Steuerungsimpulse sind damit auf die erneute Bewältigung einer alten Herausforderung hin angelegt: auf die Einbindung und Zähmung der die Grenzen der Angemessenheit weit übersteigenden Vorstandsbezüge; sie hatten verbreitet allgemeines Unbehagen hervorgerufen. Konsequent musste es dem Gesetzgeber (dem extremen Druck der öffentlichen Meinung Rechnung tragend) darum gehen, das Niveau der Vorstandsbezüge auf ein annehmbares Maß hinabzuschleusen – dies vor allem im Allgemeininteresse und (versteckt) in dem der Arbeitnehmer, aber gewiss nicht in dem der Aktionäre, die nicht bloß vereinzelt als Verursacher mancher Vergütungsexzesse auf dem Weg über die Aufsichtsräte in Erscheinung getreten waren. Mit der zusätzlichen Vorgabe der „üblichen Vergütung“ hat der Gesetzgeber des VorstAG am Grundprinzip der materiellen Impulssteuerung festgehalten. Aufbauend auf dem unveränderten Konzept des pflichtgemäßen Entscheidungsermessens hat er dem Aufsichtsrat lediglich eine, überdies flexible und im begründungsfähigen Ausnahmefall übersteigbare, Obergrenze gezogen. Auch mit dieser Zusatzvorgabe lässt der VorstAG-Gesetzgeber das privatautonome Fundament der Vorstandsvergütung unbeeinträchtigt; er setzt unverändert darauf, dass die Aufsichtsräte ihr Entscheidungsermessen pflichtgemäß in Verantwortung ausüben. Diese Feststellungen gelten in gleicher Weise für die Zusatzvorgaben, die das VorstAG für die Vorstandsvergütung in Börsengesellschaften (§ 87 Abs. 1 S. 2/3 AktG) eingeführt hat. Danach ist die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige (und das hieß bislang: auf eine längerfristig kontinuierliche)6 Unternehmensentwicklung auszurichten; namentlich sollten variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Zusätzlich wird dem Aufsichtsrat vorgegeben, für außerordentliche Entwicklungen eine Möglichkeit zu vereinbaren, die Vorstandsbezüge zu begrenzen. Diese Vorgaben zielen ebenfalls zunächst darauf ab, die Höhe der Vorstandsbezüge im Interesse derer Angemessenheit zu dämpfen. Auch das lässt das privatautonome Fundament der Bezüge und verantwortetes Aufsichtsratsermessen unberührt.

IV. Die Steuerung des Vorstandsverhaltens Indes – mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben als Steuerungsimpulse eröffnet deren Ausrichtung auf „Nachhaltigkeit“ eine neue Dimension. Steuern 6 Dazu Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 87, Rn. 27: „Zeitpräferenzkonflikt“.

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will der Gesetzgeber nicht allein den Entscheid des Aufsichtsrats, sondern über diesen zusätzlich das Verhalten des Vorstands und das seiner Mitglieder. Diese sollen davon abgehalten werden, mit dem Ziel bloß kurzfristig wirksamer Wertsteigerungen ein Strohfeuer zu entzünden. Auf diesem Wege will der Gesetzgeber die Bezüge des Vorstands instrumentalisieren, um dessen Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken; er materialisiert die Leistungen der Vorstandsmitglieder: In Börsengesellschaften ist die Nachhaltigkeit der Unternehmensentwicklung ein gesetzlich bindend vorgegebenes Kriterium, um die individuellen Leistungen aller Vorstandsmitglieder zu bemessen. Das schränkt die Eigenverantwortlichkeit des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) ein: Er muss die Börsengesellschaft mitsamt ihrem Unternehmen, ihrem Konzern ausgerichtet auf die langfristig kontinuierliche Steigerung des Unternehmens- bzw. Konzernwertes leiten, weil dies das Endziel der gesetzlichen Vergütungsvorgabe ist: Nachhaltigkeit als das normierte Unternehmensziel für Börsengesellschaften in Deutschland. In ihnen sind die Mechanismen zur Gewährleistung in ihrer Höhe angemessener Vorstandsbezüge ergänzt und überlagert durch weitere Steuerungsmechanismen, die über Aufsichtsrat und Vorstand die Börsengesellschaften selbst auf bestimmte Ziele ausrichten wollen; zunächst nur auf eine langfristig kontinuierliche Unternehmensentwicklung.

V. Über die Vorstandssteuerung zu Unternehmenszielen Diese bei den Aufsichtsratsvorgaben ansetzende Materialisierung des Unternehmensziels im Aktiengesetz hat mit dem Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrecht-Richtlinie (ARUG II) jüngst eine dramatische Erweiterung erfahren; nach der Neufassung des § 87 Abs. 1 S. 2 ist die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft hin auszurichten. Wegen des gesonderten „langfristig“ bekommt das Tatbestandsmerkmal „nachhaltig“ einen vom bisherigen Sinngehalt (langfristig kontinuierlich) weit abweichenden neuen: ökologisch, ökonomisch und sozial7. Das sind ab jetzt die normativen Leitsterne für deutsche Börsengesellschaften; auf diesen Dreiklang gesetzlich bindend fixierter Unternehmensziele laufen die an ihren Aufsichtsrat gerichteten Vorgaben für die Struktur der Vorstandsvergütung hinaus. Damit hat der deutsche Gesetzgeber eine Brücke hinüber zur nichtfinanziellen Berichterstattung (§§ 289b ff. HGB) geschlagen – allerdings mit grundstürzender Verstärkung: Während das Handelsrecht es noch den großen kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften im comply or explain-Mechanismus 7 S. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Bundestags-Drs. 19/15153, S. 62; dazu Florstedt, ZIP 2020, 1, 3.

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(§ 289c Abs. 4) freistellt, ob sie die im Gesetz genannten nichtfinanziellen Belange in ihre Unternehmensplanung zur Verfolgung aufnehmen wollen, steht diese Freiheit ihnen nun grundsätzlich nicht mehr zu; zusätzlich sind ökologische und soziale Ziele zumindest allen Börsenaktiengesellschaften rechtsverbindlich vorgegeben. Schon diese auf die „neue“ Nachhaltigkeit abzielende Vorgabe für die Vergütungsentscheidungen soll den Aufsichtsrat anleitend lenken. Verglichen mit der bisherigen Rechtslage schränkt diese Vorgabe den Aufsichtsrat in seinem Entscheidungsermessen wesentlich ein. Aber diese Reduktion rührt aus den gesetzlich fixierten Unternehmenszielen am Ende her; sie schlagen zurück auf den Entscheidungsfreiraum des Besetzungsorgans. Wegen dieses dialektischen Zusammenhangs zwischen den Unternehmenszielen und der Vorstandsvergütung lässt sich das so ausgerichtete Entscheidungsermessen des Aufsichtsrats nicht als eingeschränkt qualifizieren.

VI. Die Aktionäre als Impulsgeber In Umsetzung europarechtlicher Vorgaben hat der jüngst in Kraft getretene § 87a AktG den Gesamtmechanismus der Vergütungs-zentrierten Steuerungsimpulse durch das Votum der Hauptversammlung zum Vergütungssystem (§ 120a Abs. 1 AktG) ergänzend in Richtung auf das dritte Organ der Aktiengesellschaft, die Hauptversammlung, hin ausgebaut. In diesem Zusammenhang ist überdies der neue jährlich zu erstattende Vergütungsbericht (§ 162 AktG) zu sehen. Zwar dient das Aktionärsvotum zum Vergütungssystem lediglich der beratenden Empfehlung an den Aufsichtsrat8, weil der Billigungsbeschluss der Hauptversammlung keinerlei Rechte oder Pflichten begründet (§ 120a Abs. 1 S. 2 AktG). Aber dennoch installiert das Gesetz schon unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Vergütungssystems und -berichts die Aktionäre als Impulsgeber mit gezielter Einflussnahme auf die Vergütungsentscheide des Aufsichtsrats. Das wird besonders deutlich in jenem Fall, da die Hauptversammlung das vom Aufsichtsrat zur Billigung vorgelegte Vergütungssystem nicht gutheißt (§ 120a Abs. 3 AktG). Dann muss der Aufsichtsrat das System überprüfen und sich darauf verständigen, ob und inwieweit er dem Votum der Aktionäre und ihren Argumenten zum Vergütungssystem, aber auch zu den Vergütungsberichten Rechnung tragen will (arg. § 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 11 AktG); der Rat kann zwar am ursprünglich vorgelegten Vergütungssystem festhalten, allerdings nur mit erläuternder Begründung. Das alles ist spätestens in der nächsten ordentlichen Hauptversammlung vorzulegen (§ 120a Abs. 3 AktG).

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Begründung RegE ARUG II, Bundestags-Drs. 19/9739 S. 105.

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Die auf diese Weise eingeschaltete Hauptversammlung entlastet den Gesetzgeber in seinem Bemühen, für eine insgesamt angemessene Vergütung der einzelnen Vorstandsmitglieder zu sorgen. Es ist primär Angelegenheit der Beteiligten innerhalb der Börsengesellschaft selbst, Angemessenheit zu gewährleisten: des Aufsichtsrats, der gewiss nicht in öffentlich wahrnehmbaren Konflikt mit der Hauptversammlung und mit wesentlichen Aktionären, Vermögensverwaltern oder Stimmrechtsberatern geraten will; des Vorstandsmitglieds, das seine Vorstellungen für eine angemessene Vergütung nur im Rahmen des geltenden Vergütungssystems verwirklichen kann, und der Hauptversammlung, die regelmäßig spätestens alle vier Jahre über dies Vergütungssystem befindet (§ 120a Abs. 1 S. 1 AktG), über die konkreten Auswirkungen dieses Systems, niedergelegt im Vergütungsbericht, jedoch kontrollierend jährlich (§ 162 Abs. 1 AktG). Allerdings „ersetzt“ die Hauptversammlung den Gesetzgeber nicht mit eigenen materiellen Vorgaben an den Aufsichtsrat, die diesen binden. Vielmehr überantwortet das Gesetz diesem die Initiative (arg. § 124 Abs. 3 AktG), die er in Erwartung voraussichtlicher Aktionärsreaktionen eigenverantwortlich zu materialisieren hat. Zur Vorstandsvergütung in Börsengesellschaften haben der europäische und in seinem Gefolge der deutsche Gesetzgeber die gesellschaftsinternen Machtverhältnisse besonders sorgfältig ausbalanciert. Dem Eigeninteresse der Aktionäre und einer aufmerksam kritischen Öffentlichkeit haben der europäische und der deutsche Gesetzgeber die Sorge für angemessene Vorstandsvergütungen anvertraut, der deutsche zusätzlich die Ausrichtung der Vergütungen auf die nachhaltige und langfristige Entwicklung des Unternehmens. Die Zukunft wird erweisen, ob sich das so angereicherte Gesamtsystem verschiedener Steuerungsimpulse rechtspraktisch bewähren wird. Die Aufsichtsräte der Börsengesellschaften werden die ihnen trotz der neuen Aktionärsmitwirkung letztlich unverändert verbliebenen Entscheidungsfreiräume mit Augenmaß zu nutzen haben.

VII. Augenmaß und Maximalvergütung Trotzdem hat der deutsche Gesetzgeber (anders als der europäische) auf einen weiteren gewichtigen Impuls nicht verzichtet, um den Aufsichtsratsentscheid zur Vorstandsvergütung materiell zu steuern: Im Vergütungssystem muss die Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder festgelegt werden (§ 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AktG), also wieviel in der konkreten Börsengesellschaft ein Vorstandsvorsitzender höchstens soll verdienen können, wieviel ein Chief Financial Officer etc. Verschärft wird diese anleitende Systemvorgabe durch das Recht einer Aktienminderheit (§ 122 Abs. 2 S. 1 AktG), die Herabsetzung der im Vergütungssystem festgelegten Maximalvergütung beantragen zu können (§ 87 Abs. 4 AktG). Ein solches Ergänzungsverlangen

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der Aktienminderheit ist nach § 124 Abs. 1 AktG bekanntzumachen, weckt auf diesem Wege allgemeine Aufmerksamkeit, steht zunächst in der Hauptversammlung zur Beratung an und erst danach zur Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG). Steuernde Impulse gehen bereits von der Pflicht zur Festlegung kombiniert mit dem drohenden Antragsrecht der Aktienminderheit und der Wahrnehmung in der allgemeinen Öffentlichkeit aus. Ob diese Steuerungsmechanismen allerdings zu breiterer Akzeptanz auffallend hoher Vorstandsbezüge in der Allgemeinheit führen werden, mag die Zukunft zeigen. Jedenfalls ist diese Höchstbetragsvorgabe auf der Leiter denkbarer Steuerungsvorgaben die vorletzte Stufe vor der Festlegung durch den Gesetzgeber, einen ermächtigten Verordnungsgeber oder eine ermächtigte Aufsichtsbehörde: „Höchstbetrag der Gesamtbezüge eines Vorstandsvorsitzenden in einem X-Dax-Unternehmen: 2,5 Millionen Euro jährlich“. Mit einer solchen Festlegung wäre den Aufsichtsräten die Verantwortung für angemessene Vorstandsbezüge in Börsengesellschaften im Wesentlichen entwunden.

VIII. Ökologie und Soziales: Aufsichtsratspflicht oder -ermessen? Inwiefern steuern die gesetzlichen Vorgaben zum Vergütungssystem die Ausrichtung der Börsengesellschaft auf die allen Aktiengesellschaften vorgegebenen ökologischen, ökonomischen und sozialen Unternehmensziele (arg. § 87 Abs. 1 S. 2 AktG neu)? Verbindet man diese ökologischen Ziele im Wesentlichen mit den nichtfinanziellen Belangen nach § 289c Abs. 2 Nr. 1 HGB (Umwelt und sehr bald gewiss auch Klima) und Nr. 2/3, so scheint es unverändert in der Hand des Aufsichtsrats zu liegen, ob er den Vorstandsmitgliedern für die Verfolgung ökologischer und sozialer Ziele eine Vergütung zahlen lassen will oder nicht. Denn nach § 87a Abs. 1 S. 2 AktG sind in das Vergütungssystem Angaben zu bestimmten Vergütungsbestandteilen nur dann aufzunehmen, wenn diese Bestandteile tatsächlich vorgesehen sind. Zu ihnen zählen auch die variablen Vergütungsbestandteile für nichtfinanzielle Leistungen eines Vorstandsmitglieds (arg. § 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 9 AktG) mit der Folge, dass ökologische und soziale Unternehmensziele und ihre Verfolgung in der Hand des einzelnen Aufsichtsrats zu liegen scheint. Dies aber nur scheinbar; denn wie oben V entwickelt, bestimmen die Vergütungsvorgaben „nachhaltig“ und „langfristig“ letztlich die Unternehmensziele und im Umkehrschluss daher: ohne ökologische etc. Vergütungsvorgabe mit rechtlicher Bindung keine Verpflichtung auf ökologische Unternehmensziele. Das aber stünde im Widerspruch zum Willen des deutschen Gesetzgebers, wie er in § 87 Abs. 1 S. 2 AktG seinen Niederschlag gefunden hat. Im Wege systematischer Interpretation ist § 87a Abs. 1 S. 2 AktG daher restrik-

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tiv dahin auszulegen, dass variable Vergütungsbestandteile für die erfolgreiche Verfolgung von Umweltbelangen vorzusehen und zu erbringen sind. Dasselbe gilt für die Arbeitnehmer- und Sozialbelange (§ 289c Abs. 2 Nr. 2/3 HGB): der Steuerungsimpuls aus § 87 Abs. 2 S. 2 AktG setzt sich durch. Mit Blick auf die Arbeitnehmerbelange enthält § 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 9 AktG noch einen besonderen, aber scheinbar nicht sonderlich starken Steuerungsimpuls: Im Vergütungssystem ist zu erläutern, wie die Vergütungsund Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer bei der Festsetzung des Vergütungssystems berücksichtigt wurden. Zwar untersagt diese Formulierung dem Aufsichtsrat, die Vorstandsvergütung ganz isoliert ohne jeden Blick auf die Vergütung der Arbeitnehmer zu konzipieren. Insoweit wirken die Feststellungen, die vor 90 Jahren in der Weimarer Republik getroffen wurden (oben II), bis heute fort. Aber im Übrigen gewährt das bloße „berücksichtigen“ dem Aufsichtsrat so viel Spielraum, dass von den Vergütungsbedingungen der Arbeitnehmer offenbar keine die Vorstandsbezüge effektiv bändigenden Steuerungsimpulse ausgehen werden.

IX. Publizität der Vorstandsbezüge Aber diese Einschätzung könnte sich schon bald als verfehlt erweisen. Denn im Vergütungsbericht der Börsengesellschaft nach § 162 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AktG müssen die Veränderungen der Vorstandsvergütung nicht bloß im Vergleich zur Ertragsentwicklung der Gesellschaft dargestellt werden, sondern auch im Vergleich mit der durchschnittlichen Vergütung der Arbeitnehmer. Diesem Vergütungsvergleich eignet überdies eine dynamische Komponente: Er ist in seiner Entwicklung innert der letzten fünf Geschäftsjahre darzustellen und vermittelt somit schnell und einfach ein Bild darüber, ob Vorstands- und Arbeitnehmerbezüge wie eine Schere zunehmend spreizen. Da der Vergütungsbericht zehn Jahre lang auf der Internetseite der Börsengesellschaft öffentlich zugänglich zu machen ist (§ 162 Abs. 4 AktG), werden diese vergleichenden Angaben gewiss große Aufmerksamkeit in der Allgemeinheit finden. Von einer kritischen Erörterung dieser Relationen und ihrer Entwicklung könnten in der Unternehmenspraxis in mittlerer Zukunft vielleicht doch die stärksten Impulse ausgehen, um Vorstandsbezüge innerhalb allgemein akzeptierter Angemessenheit zu halten. Das könnte die bisher schon normierte Publizität der Vorstandsbezüge entscheidend verstärken. Die Vergütung, die die Geschäftsleitung in Kapitalgesellschaften bezieht, ist im Anhang des Jahresabschlusses zu publizieren (§§ 285 Nr. 9a, 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB). Diese für alle Mitglieder des Leitungsorgans in ihrer Gesamtheit vorgegebene Gesamtangabe ist in Börsengesellschaften für jedes einzelne Vorstandsmitglied detailliert aufzuschlüsseln (§§ 285 Nr. 9a Sät-

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ze 5 ff., 314 Abs. 1 Nr. 6a Sätze 5 ff. HGB). Über diese Vorgaben erhalten sämtliche Publizitätsadressaten, namentlich die Aktionäre einerseits und die Allgemeinheit andererseits Einblick in die individuellen Bezüge jedes Vorstandsmitglieds und ihre Zusammensetzung, insbesondere in die aus erfolgsunabhängigen Komponenten und aus erfolgsbezogenen, aber auch aus den Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung. Diese spezielle Publizität der Individualbezüge beruht auf mehreren Anläufen des deutschen Gesetzgebers: auf dem Vorstandsvergütung-Offenlegungsgesetz (VorstOG) von 2005, auf dessen Ergänzungen im Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) von 2009 sowie schließlich auf der Neufassung der einschlägigen Publizitätsvorgaben durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRuG) von 20159. Sollte der Gesetzgeber mit diesen Publizitätsvorgaben versucht haben, die Vorstandsbezüge über ihre Transparenz mit dem Ziel zu steuern, sie in ihrer Höhe zu dämpfen? Immerhin waren gleich nach der Jahrtausendwende in der politischen Diskussion auch in Deutschland Stichworte wie „Raffgier von Managern“ oder „Habgier und Rücksichtslosigkeit“ gefallen10; in den Printmedien wurde die Höhe der Vorstandsbezüge damals intensiv im Vorlauf zum VorstOG traktiert. Aber ausweislich der Begründung zu seinem Entwurf11 ging es den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten vordringlich um etwas anderes: um Aktionärskontrolle und Anlegerschutz. Den Aktionären sollte die Feststellung erleichtert werden, ob die Vorstandsbezüge angemessen im Verhältnis zu den Aufgaben der einzelnen Vorstandsmitglieder sind und zur Lage der Gesellschaft nach § 87 Abs. 1 AktG. Damit wurden in erster Linie die Unterlagen für den jährlichen Entlastungsentscheid der Hauptversammlung (§ 120 AktG) gestärkt. Aber von einer wirklich dämpfenden Wirkung auf die Höhe der Vorstandsvergütung durch deren Debatte in der Hauptversammlung durfte der Gesetzgeber nicht ernsthaft ausgehen. Dämpfende Steuerungswirkungen sind allenfalls von der öffentlichen Debatte exzessiver Vorstandsbezüge zu erwarten, aber auch dort nur in Einzelfällen und wohl nicht mit allgemein dämpfender Wirkung. Zwar hatte sich mancher von der Aufdeckung der Individualbezüge unter Namensnennung, ihrer Zusammensetzung und ihrer Höhe versprochen, Vorstandsmitglieder würden von Anbeginn keine unerträglichen Entgeltforderungen stellen und Aufsichtsräte würden es schwerlich wagen, unter der Drohung eigener Schadenersatzhaftung exzessive Bezüge zu vereinbaren. Aber diese Hoffnung hat bekanntlich getrogen; das Niveau der Vorstandsbezüge ist bis in 9 Diese handelsrechtlichen Vorgaben sind durch das ARUG II freilich in das aktienrechtliche Berichtsregime überführt worden; dazu Begründung RegE ARUG II, Bundestags-Drs. 19/9739, S. 138. 10 S. in diesem Zusammenhang auch Lutter, ZIP 2003, 737, 739: „… die Bundesrepublik ist keine neo-feudale Gesellschaft, sondern eine egalitäre Bürgergesellschaft“. 11 Begründung RegE VorstOG, Bundesrats-Drs. 398/05, S. 8.

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die Gegenwart hinein weit überdurchschnittlich gestiegen, was zwar öffentlich bemerkt, aber kaum skandalisiert wird. Die Ablösesummen für Fußballgrößen haben offenbar abgestumpft; sogar „ehrbare Kaufleute“ haben immer schon sehr auskömmlich verdient. Deshalb kann es nicht verwundern, wenn der VorstOG-Gesetzgeber und ebenfalls seine Nachfolger die Publizität der Vorstandsbezüge nicht als Instrument ansprechen, um ihr Niveau im Aufwuchs zu dämpfen. Folgt aus diesen Beobachtungen, Publizität der Individualbezüge sei generell ungeeignet, die Entlohnung von Vorständen auf einem allgemein akzeptablen Niveau zu halten; insoweit sei Transparenz kein effektives Steuerungsinstrument? Stünde das wirklich fest, wäre der jüngst europarechtlich vorgegebene Vergütungsbericht (§ 162 AktG) von lediglich begrenztem Sinn. Denn bis zu einer Reaktion der Hauptversammlung durch Mehrheitsbeschluss, sei es bei der Entlastung oder beim Vergütungssystem (§ 120a Abs. 3 AktG), ist es in den meisten Börsengesellschaften ein weiter Weg. Allerdings erlaubt die bisherige Publizität der Vorstandsvergütung im Jahresabschluss nur eine Feststellung: Von der Allgemeinheit darf sich der Gesetzgeber keine breitflächige und effektive Steuerung der Vorstandsbezüge versprechen.

X. Vorstandsbezüge und Mitbestimmung Im Vergütungsbericht dagegen ist ein anderes Steuerungspotential angelegt: Für die Festsetzung der Vorstandsvergütung sind alle Aufsichtsratsmitglieder in gleicher Weise verantwortlich (arg. § 116 Satz 3 iVm §§ 87 Abs. 1/107 Abs. 3 Satz 3 AktG), in mitbestimmten Aufsichtsräten also ebenfalls die der Arbeitnehmer. Auch sie müssen sich längstens alle fünf Jahre zur Wiederwahl stellen (§§ 15 Abs. 1 S. 1 MitbestG/102 Abs. 1 AktG) und wirken überdies unter der, wenn auch eher theoretischen, Drohung vorzeitiger Abberufung (§ 23 MitbestG). Für die Arbeitnehmer bzw. für die Delegierten wird es für ihren Wahlentscheid u.a. von einiger Bedeutung sein, wie sich die Vorstandsbezüge im Verhältnis zu den durchschnittlichen Entgelten aller Beschäftigten im Unternehmen während der vergangenen Amtszeit der wieder zu wählenden Arbeitnehmer-Ratsmitglieder entwickelt haben. Für zunehmend auseinander spreizende Entwicklungslinien werden die zur Stimmabgabe aufgerufenen Arbeitnehmer bzw. Delegierten diese Aufsichtsratsmitglieder in Mitverantwortung nehmen. Das wird diese wohl schon in kürzerer Sicht veranlassen, bereits bei der Ausgestaltung des Vergütungssystems (§ 120a AktG) geflissentlich darauf zu achten, dass sich die Entwicklungslinien nicht allzu dynamisch voneinander entfernen, und falls, wie im jährlichen Vergütungsbericht (§ 162 AktG) ablesbar, doch, dann für umgehende Nachsteuerung zu sorgen. Freilich wird es, um eine solche Nachkor-

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rektur auch tatsächlich gegenüber den Vorstandsmitgliedern umsetzen zu können, entsprechender Korrekturklauseln in deren Anstellungsverträgen bedürfen. Auf diesem Wege könnte es dem deutschen Gesetzgeber über den Vergütungsbericht schließlich doch noch gelingen, was ihm über die Angabe der Organbezüge in der allgemeinen Rechnungslegung bislang fehlgeschlagen war: eine effektive Dämpfung der Vorstandsvergütung. Im nun vorgegebenen Vergütungsvergleich (§ 162 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AktG) könnte der für die großen Börsengesellschaften entscheidende Steuerungsimpuls als Nachweis angelegt sein, dass informationelle Impulse, die auf die verantwortliche Selbststeuerung der Entscheidungsträger abzielen, doch materielle Entscheidungsvorgaben des Gesetzgebers vermeiden helfen.

XI. Der Corporate Governance Kodex 2020 Ganz auf dem Grundkonzept des Aktiengesetzes scheint auch der Corporate Governance Kodex in seiner grundlegenden Neufassung von 202012 nach Inkrafttreten des ARUG II zu beruhen. Ausweislich seiner Begründung zu den Vergütungsregelungen in ihrer Neufassung geht es dem Kodex darum, mit der Vorstandsvergütung die richtigen Anreize für das Vorstandshandeln zu schaffen, erbrachte Leistungen angemessen zu vergüten und auf die gesellschaftliche Akzeptanz zu achten13. Insbesondere die langfristig variablen Vergütungsbestandteile zur Umsetzung strategischer Maßnahmen sollten als Beitrag zur nachhaltigen und langfristigen Unternehmensentwicklung fungieren. Mit diesen Zielsetzungen und mit den sie umsetzenden Empfehlungen nimmt der Kodex das Regelungskonzept des im ARUG II novellierten Aktiengesetzes in eben der Form getreulich auf, die das Gesetz im Bundestag letztlich gefunden hat. Das gilt für die Ausrichtung der Vergütungsstruktur an einer nachhaltigen, also auch sozialen und ökologischen Unternehmensentwicklung ebenso wie für die Festsetzung der individuellen Maximalvergütungen. Mit ihren eigenen Empfehlungen zur Vorstandsvergütung will die Kodexkommission offenbar das Arsenal der gesetzlichen Steuerungsimpulse für angemessene Vorstandsbezüge erweitern und verfeinern, um auf diesem Wege das Anliegen des Gesetzgebers zu unterstützen: für auch in ihrer Höhe allgemein in der Zivilgesellschaft akzeptierte Bezüge zu sorgen. In dieser Zielsetzung verdient die Kodexkommission uneingeschränkte Zustimmung, wenn auch sie in ihren Schlussarbeiten eines nicht gewürdigt hat: Mit der neu definierten Nachhaltigkeit in § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG sind we12 13

Bei Redaktionsschluss stand die Bekanntmachung im BAnz immer noch aus. Begründung des Deutschen Corporate Governance Kodex, Teil I, II 3 erster Absatz.

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sentliche Aussagen in der Kodexpräambel normativ bestätigt worden: Börsennotierte und andere Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang sollen im Einklang mit den Prinzipien der sozialen (wie nun zu ergänzen ist: und ökologischen) Marktwirtschaft sowie unter Berücksichtigung der stakeholderBelange den Bestand ihres Unternehmens sichern und (wie neu zu definieren ist:) langfristig-kontinuierlich seine Werte steigern.

XII. Kodexempfehlungen und Aufsichtsratsermessen Zweifel erwecken die Kodexempfehlungen zur Vorstandsvergütung unter einem anderen, unter einem rechtsgrundsätzlichen Aspekt: Sie schränken den Aufsichtsrat in seinem letztlich in der Privatautonomie wurzelnden Ermessen ein und widerstreiten in der Kleinteiligkeit des Empfohlenen dem Grundkonzept des Gesetzes, das immer noch auf den Pfeilern „Zielvorgaben“ und „Informationen“ beruht. Zugegeben – von den Empfehlungen kann sich jeder Aufsichtsrat frei und jederzeit lösen, allerdings nur mit Begründung (§ 161 Abs. 1 S. 1 AktG) . Aber mit den Empfehlungen nimmt die Kodexkommission für sich in Anspruch, den Aufsichtsräten der erfassten Gesellschaften für den Regelfall mit Befolgungsanspruch anraten zu können, wie diese jeweils das Vergütungssystem in ihrer Gesellschaft und die individuellen Vorstandsvergütungen ausgestalten sollten. Einem solchen Rat eignet nicht allein eine überzogene Dringlichkeit; vielmehr verkennt er das Entscheidungsermessen, das der Gesetzgeber aus gutem Grund dem Aufsichtsrat und seinen sämtlichen Mitgliedern zur professionell-eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer wichtigsten Aufgabe eröffnet hat: für einen möglichst optimal besetzten Vorstand zu sorgen. Rat auch hierfür ist gewiss eine Hilfe; sie aber hätte die Kodexkommission in die Form bloßer Anregungen kleiden sollen. Kein Aufsichtsrat sollte die Verteidigung seines vor den Aktionären und ggf. vor den Arbeitnehmern in seiner Ausübung zu begründenden Entscheidungsermessens im comply or explain-System mit branchen- oder unternehmensspezifischen Besonderheiten rechtfertigen müssen. Diesen normierten Freiraum für verantwortliches Aufsichtsratsermessen im dualistischen System der deutschen Aktiengesellschaft haben auch institutionelle Investoren, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater zu respektieren14.

neue rechte Seite! 14 S. auch den warnenden Hinweis von Kley, AG 2019, 818, 820, an die Stelle des Gesetzgebers treten immer mehr außerparlamentarische Stellen.

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Die geplante Europäische Einlagenversicherung (EDIS) Jörn Axel Kämmerer

Die geplante Europäische Einlagenversicherung (EDIS): Statische Vorgaben des Primärrechts und der unionalen Regulierungsprogrammatik für eine „dritte Säule“ der Bankenunion JÖRN AXEL KÄMMERER

Gemessen an den Dimensionen des Reformprojekts, hat die Bankenunion in der Öffentlichkeit der Medien und der (digitalen) Kommunikationsgesellschaft bislang ein Schattendasein geführt. Lediglich das Urteil des BVerfG vom 30. Juli 2019, in dem sich das Gericht zur Verfassungsmäßigkeit der Beteiligung Deutschlands am Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM)1 und Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM)2 geäußert hatte,3 verschaffte der Bankenunion für kurze Zeit Aufmerksamkeit über die Fachkreise hinaus.4 Der Gleichmut, mit dem die deutsche und europäische Öffentlichkeit dem Projekt Bankenunion bislang begegnet, erstaunt insofern, als die Bankenunion auf die regulatorische Einhegung jener Institutionen gerichtet ist, die als Auslöser der Krisenserie in den späten Nullerjahren gelten. Das könnte sich allerdings ändern, falls die Debatte um die Einführung einer einheitlichen europäischen Einlagensicherung der Banken wieder ernsthaft Fahrt aufnimmt, ist doch diese „dritte Säule“ der Bankenunion, mit der sie ihre Vollendung finden soll, rechtspolitisch und teils auch primärrechtlich stark umstritten.

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Errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl. L 287 v. 29.10.2013, S. 63. 2 Errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. L 225 v. 30.7.2014, S. 1. 3 BVerfG, NJW 2019, 3204; eingehend zum Urteil: Gentzsch/Brade, EuR 2019, 602. 4 Siehe etwa FAZ, 31.7.2019, Nr. 175, S. 15; siehe außerdem den Beitrag von Ferber, EuZW 2019, 921.

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Klaus J. Hopt hat bereits früh in der Diskussion um die rechtliche und institutionelle Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise darauf hingewiesen, dass rechtliche Einlagensicherungsmechanismen nicht insulär betrachtet werden dürfen, sondern vielfältige Wechselbeziehungen zum (Banken-)Insolvenzrecht sowie dem Bankaufsichtsrecht entfalten.5 Dabei stand ihm klar vor Augen, dass die unvollständige Harmonisierung aller dieser Rechtsbereiche in der Europäischen Union immer wieder „Abstimmungsprobleme“ zwischen dem nationalen und dem europäischen Recht generiert,6 dass mithin ein Koordinations-, ja möglicherweise auch Harmonisierungsbedarf besteht. Mit seiner Betonung des inhärenten Zwiespalts jedweder Einlagensicherung – die einerseits unerlässlich für die Gewährleistung von Finanzstabilität ist, aber auch riskantes Marktverhalten fördern kann7 – hat der Jubilar Weitsicht bewiesen, wie die folgende Betrachtung unterstreicht. Mit der (Voll-)Harmonisierung der Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten, sollte sie denn Wirklichkeit werden, würden sich die statischen Probleme im Zusammenhang mit der Ausgestaltung einer Einlagensicherung nicht erledigen, ganz im Gegenteil; vor allem müsste sie dem Anspruch gerecht werden, mit dem der europäische Gesetzgeber bei der Errichtung der schon bestehenden Säulen der Bankenunion angetreten ist: einen Bailout zugunsten von Banken, wie in der Finanzkrise von 2008/2009, in Zukunft zu verhindern.

I. „Dritte Säule“ der Bankenunion Das Europäische Einlagenversicherungssystem (European Deposit Insurance System, EDIS) wird von der Kommission als „dritte Säule“ der Bankenunion angesehen.8 Es soll die bereits bestehenden „Säulen“ SSM und SRM ergänzen und komplettieren. Mit Einlagensicherungssystemen soll in erster Linie verhindert werden, dass Bankkunden im Falle eines Bankrotts des Geldinstituts ihrer Spareinlagen in vollem Umfang verlustig gehen.9 Sie haben in Europa bereits eine lange Tradition, sind in der Europäischen

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Hopt, NZG 2009, 140 (1406). Hopt, NZG 2009, 140 (1406). 7 Hopt, EuZW 2010, 561. 8 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, COM(2015) 586 final, S. 2; Kurzüberblick zur geplanten Dreisäulenstruktur der Bankenunion bei Zagouras, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124b Rn. 4; siehe auch Berger, BKR 2016, 144; Herdegen, WM 2016, 1857 (1862). 9 Schirra, Die Sicherung von Bankeinlagen in Deutschland und der Europäischen Union, 2013, S.5. 6

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Union aber lange eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten geblieben.10 Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Union bestrebt, die unterschiedlichen Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten zumindest in wichtigen Punkten zu vereinheitlichen. Spareinlagen zu sichern, hatte die Europäische Union ihren Mitgliedstaaten erstmals in der Richtlinie 94/19/EG11 vorgegeben. Ihre Sicherungsmechanismen erwiesen sich in der Finanzkrise als unzureichend; dies betraf vor allem den Mindestabsicherungs-Plafond in Höhe von 20.000 ECU (Art. 7), der 2009 auf 50.000 Euro erhöht und neben dem eine feste Deckungssumme von 100.000 Euro für die Gesamtheit der Einlagen desselben Einlegers mit Wirkung ab 31.12.2010 eingeführt wurde.12 Alle Änderungen waren ausdrücklich von der Intention getragen, das Vertrauen in den Finanzsektor wiederherzustellen.13 Deren Nachfolgerechtsakt – die Richtlinie 2014/49/ EU – ist von stärkerer Akzentuierung sowohl des Präventionsgedankens als auch des Bemühens um Vereinheitlichung geprägt. Von der 1994 eingeführten Mindestharmonisierung wendet sich die Union weitgehend ab: „Durch die in der vorliegenden Richtlinie festgelegten gemeinsamen Anforderungen sollte ein einheitliches Schutzniveau für Einleger in der gesamten Union geschaffen werden und gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Einlagensicherungssysteme dasselbe Maß an Stabilität aufweisen.“14 Mitgliedstaaten, in welchen die Deckungssumme zuvor zwischen 100.000 und 300.000 Euro lag, durften allerdings – um einen mit dem reduzierten Schutzniveau verbundenen Vertrauensverlust zu vermeiden – an dem höheren Schutzbetrag einstweilen (bis Ende 2018) festhalten; für alle anderen Staaten bzw. seit 2019 für alle Staaten wird eine vollharmonisierte Deckungssumme von 100.000 Euro (oder das Äquivalent in nationaler Währung) festgeschrieben.15 Die Überwindung der nationalen „Versäulung“ der Einlagensicherungssysteme vermag die Richtlinie (naturgemäß) nicht erreichen, sie kündigt sich jedoch in ihr bereits schemenhaft an: „Um der fortschreitenden Integration im Binnenmarkt Rechnung zu tragen, sollte“ – wie in den Erwägungsgründen zu lesen ist – „die Möglichkeit zur Zusammenlegung von 10 Instruktiv zum deutschen Einlagensicherungssystem: Kowolik, Das Bail-inInstrument, 2018 S. 74 ff.; siehe auch Schirra, Die Sicherung von Bankeinlagen in Deutschland und der Europäischen Union, 2013, S. 34 ff. 11 Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme, ABl. L 135 v. 31.5.1994, S. 5. 12 Richtlinie 2009/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 zur Änderung der Richtlinie 94/19/EG über Einlagensicherungssysteme im Hinblick auf die Deckungssumme und die Auszahlungsfrist, ABl. L 68 v. 13.3.2009, S. 3. Zur Begründung vgl. v.a. EGr. 2, 3. 13 Ebd., EGr. 1. 14 EGr. 6 der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme, ABl. L 173 v. 12.6.2014, S. 149. 15 Art. 6, Art. 19 Abs. 4 der Richtlinie; vgl. auch deren EGr. 21 ff.

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Einlagensicherungssystemen verschiedener Mitgliedstaaten oder der Schaffung grenzüberschreitender Einlagensicherungssysteme auf freiwilliger Basis bestehen.“16 Von dieser Option ist, soweit ersichtlich, bis jetzt kein Gebrauch gemacht worden, wenngleich Kooperationen zwischen nationalen Einlagenversicherungssystemen existieren. Diese sind allerdings nicht auf die Staaten der EU begrenzt.17 Mit der Verwirklichung des EDIS als „dritter Säule“ der Bankenunion würde, was bis jetzt eine freiwillige Option geblieben ist, für die Kreditwirtschaft im gesamten Euroraum verbindlich. Die nationale Begrenzung der bereits bestehenden Einlagensicherungen würde aufgehoben und Kreditinstitute in der gesamten Eurozone (bedeutende und weniger bedeutende) in ein gemeinsames Versicherungskorsett eingepasst. Nachdem die Kommission am 24.11.2015 einen Verordnungsentwurf (zur Änderung der Verordnung über den Gemeinsamen Abwicklungsmechanismus) vorgelegt hatte,18 der bei manchen Mitgliedstaaten auf Bedenken stieß, ist das Projekt „dritte Säule“ – von gelegentlichen affirmativen Erklärungen des Rates und der Kommission19 abgesehen – kaum vorangekommen. Ein Alternativvorschlag des deutschen Finanzministers20 scheint der Debatte im Herbst 2019 wieder etwa mehr Dynamik eingehaucht zu haben. Bis dahin hatte gerade Deutschland dem EDIS-Projekt Skepsis entgegengebracht: Warum sollten deutsche Banken für die Sicherheit von Spareinlagen ausländischer Kunden bei ausländischen Banken geradestehen müssen? Der kühne Vorstoß aus dem Bundesfinanzministeriums ist nach wenigen Wochen wieder verebbt; die Differenzen im Rat und wohl auch in der Bundesregierung waren offenbar zu groß.21 Ad acta gelegt ist das EDIS-Projekt damit jedoch nicht; gerade die Kommission hat nicht nachgelassen, ihr großes Interesse an der vollständigen Europäisierung der Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten zu betonen.22

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EGr. 4 sowie Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie. Wie z.B. das European Forum of Deposit Insurers (EFDI), https://www.efdi.eu/ (letzter Abruf: 18.12.2019). 18 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr.806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, COM(2015) 586 final. 19 Z.B. Schlussfolgerungen des Rates zu einem Fahrplan zur Vollendung der Bankenunion, Presseerklärung 353/16 v. 17.6.2016; Kommission, Communication on completing the Banking Union v. 11.10.2017, COM(2017) 592 final. 20 Olaf Scholz, Financial Times v. 6.11.2019, abrufbar unter: https://www.bundesfinanz ministerium.de/Content/DE/Interviews/2019/20191112-Interview-FT.html;jsessionid= F7B405D72F8A0FDC4EE50B8CC07D57D0.delivery2-replication (letzter Aufruf: 18.12. 2019). 21 Siehe FAZ, 6.12.2019, Nr. 284, S. 15. 22 Siehe Winterfeld/Rümker, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124a Rn. 149 ff. 17

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Der Aufsicht der EZB sind bestimmte Banken, die „bedeutsamen“ unter ihnen, auf der Basis der SSM-Verordnung von 2013 unterworfen; geraten sie in existenzielle Schwierigkeiten, steht mit dem SRM (2014) ein gemeineuropäischer Abwicklungsmechanismus bereit. Dessen „Haftungskaskade“23 stellt Bail-in vor Bail-out, weshalb Anteilseigner und Gläubiger der Bank im Falle einer Abwicklung vorrangig für deren Kosten einzustehen haben; aber Bankeinlagen bis zu 100.000 Euro bleiben vom Bail-in unberührt. Die parallel zur SRM-Verordnung erlassene, bereits bestehende Regelungen bündelnde Einlagensicherungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten bereits jetzt dazu, die Sicherheit sog. nicht verfügbarer Einlagen jedes Einlegers bei jedem Kreditinstitut bis zu einer Deckungssumme von 100.000 Euro durch gesetzliche Regelungen zu gewährleisten (Art. 6 I, 7 I). An die Stelle der schlichten Vergemeinschaftungsoption träte mit der Verwirklichung von EDIS eine verbindliche Solidargemeinschaft nur nach einheitlichen unionsrechtlichen Vorgaben, wenn auch begrenzt auf die Staaten der Eurozone. Warum aber eine Europäisierung des Versicherungsschutzes, wenn die bestehende Richtlinie bereits auf Absicherung der Sparguthaben zielt? Die politische Interessenlage unter den Befürwortern und Gegnern einer europäischen Einlagenversicherung bleibt diffus: Für ihre Notwendigkeit wird meist wenig mehr vorgetragen als das Bedürfnis nach „Vollendung“ der Bankenunion. Auch der – mittlerweile fünf Jahre alte – Vorschlag der Kommission zur Änderung der (SRM-)Verordnung 806/2014 (im Folgenden kurz: EDIS-Verordnungsentwurf) bleibt mit seinen Antworten im Ungefähren: Die Finanzstabilität verbessere sich mit EDIS, das Schutzniveau würde nicht mehr vom Standort abhängen, wie umgekehrt auch das einer Bank mitunter anhängende Standort-Stigma entfalle.24 Aufschluss könnte der Zweck der Einlagensicherung geben: Sie dient nicht allein dem Schutz der Anleger, sondern in nicht geringerem Maße soll sie auch Banken davor schützen, dass Kunden aus Verlustangst ihre Einlagen massenhaft abziehen („Bank Run“) und damit die Liquidität der Finanzinstitute untergraben. Sie dient, so gesehen, auch der Abwicklungsprävention. Die Kapitalausstattung der Kreditinstitute aber bleibt auch mehr als zehn Jahre nach dem Höhepunkt der Krise fragil: Selbst die massiven Ankaufprogramme der EZB, deren Qualifikation als außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen der EuGH billigte,25 haben die diagnostizierte „Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus“ nicht vollständig beheben können. Ganz im Gegenteil dürfte der Anreiz, Staatsanleihen zu erwerben, 23 Siehe Lehmann/Hoffmann, in: Flöther, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 9 Rn. 116; siehe auch Mehmeti, Die europäische Bankenunion, 2014, S. 43 ff. 24 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr.806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, COM(2015) 586 final, S. 2 f. 25 EuGH, Rs. C-493/17, ECLI:EU:C:2018:1000 – Weiss u.a.

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um sie an die EZB weiterzureichen, Geschäftsbanken von ihren Sitzstaaten, deren Anleihen sie vorrangig im Portfolio zu halten pflegen, zunehmend abhängig gemacht haben.26 Systemkohärenz kann als weiteres Movens genannt werden: In das Ziel der EU, ein „Single Rulebook“ für die Bereiche der Banken- und Finanzmarktaufsicht zu schaffen, das regulatorische Defizite zu beheben und Alleingänge zu unterbinden hilft, würde sich eine Europäisierung der Einlagensicherung gut fügen. Wenn Kreditinstitute eurozonenweit Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) leisten, mit denen – erforderlichenfalls – die Abwicklung eines in Schieflage befindlichen Kreditinstituts finanziell gestützt wird, dann erscheint es konsequent, die erzwungene Solidarität auch auf Regelungen zu erstrecken, welche zwar erst in der Schieflage Wirkung zeitigen, aber vor allem dazu beitragen sollen, dass es gar nicht erst zu einer Abwicklungslage kommt.

II. EDIS als Rückwendung zum Bail-out? Ob EDIS notwendig ist, darf nicht nur nach Effizienzgesichtspunkten beantwortet werden, sondern auch nach der systemischen Kohärenz.27 Auf die Bankenunion, die auch nur ein Baustein eines größeren Reformpakets zur Bewältigung der Folgen (und Bekämpfung der Ursachen) der Finanzkrise ist, darf die Frage nicht verengt werden. Denn alle Reformprojekte der EU seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise sind einer gemeinsamen Agenda verschrieben: Bail-out so gut wie möglich zu vermeiden und Bail-in zu ermöglichen.28 Hierbei handelt es sich um ein vom „Geist“ der Verträge geleitetes Desiderat, nicht so sehr um einen verbindlichen und subsumtionstauglichen Rechtssatz – wenn man einmal von Art. 125 AEUV und Art. 136 Abs. 3 AEUV absieht, in deren Konditionalitätsanforderungen sich der Wunsch nach Bail-out-Vermeidung spiegelt.29 Mit seinem Urteil in der Rechtssache „Pringle“,30 das u.a. die Interpretation beider Normen zum Gegenstand hatte, verlieh der EuGH dem (bis dahin höchst umstrittenen) Be26 Allgemein zur Verflechtung von Geschäftsbanken und Staaten: Illing, Die Eurokrise, 2017, S. 39 ff. 27 Siehe Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, COM(2015) 586 final, S. 3 f.;Das Kohärenzprinzip ergibt sich nicht zu Letzt aus Art. 7 AEUV. Siehe Schorkopf, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 68. EL 2019, Art. 7 AEUV Rn. 12; siehe auch: Schuster, Das Kohärenzprinzip in der Europäischen Union, 2017, passim. 28 Vgl. Kämmerer, in: Hatje/Iliopoulos/Iliopoulos-Strangas/Kämmerer (Hrsg.), Verantwortung und Solidarität in der Europäischen Union, 2015, 349. 29 Aus der umfangreichen Diskussion siehe nur Seidel, EuZW 2011, 529; Calliess, NVwZ 2013, 97; Calliess/Schoenfleisch, JZ 2015, 113. 30 EuGH, Rs. C-370/12, ECLI:EU:C:2012:756 – Pringle.

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griff des „Bail-out“ Konturen: Finanzielle Unterstützung, die einen Staat von einer stabilitätsgerichteten Fiskalpolitik abhält, also „Moral Hazard“ generiert, ist ein untersagter Bail-out; erst „strenge Auflagen“ i.S.v. Art. 136 Abs. 3 AEUV können die finanzielle Unterstützung hiervor bewahren. Mit der Bankenunion ist versucht worden, das Bail-out-Verbot auf diejenigen Akteure zu erstrecken, die sich, obwohl sie Auslöser der Finanzkrise gewesen waren, aufgrund der ihnen attestierten Unabdingbarkeit für ein funktionierendes Finanzsystem („too big/too interconnected to fail“) sogar noch staatlicher Rettungsbeihilfen erfreuen konnten: die Kreditinstitute. Anders als bei Staaten kann ein Verbot des Bail-out zugunsten von Banken kein absolutes sein; denn im Gegensatz zu den „ewigen“ Staaten genießen Kreditinstitute in einer Insolvenzlage keinen rechtlichen Bestandsschutz, wohingegen die Erhaltung des Bankensystems eine gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit darstellt. Mit der „Haftungskaskade“ des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM) soll jedoch gewährleistet werden, dass Bail-in-Instrumente zumindest Vorrang vor der Inanspruchnahme des Abwicklungsfonds, des ESM oder Finanzmitteln der Mitgliedstaaten genießen. Der (nur im letzten Fall wirklich ausgeprägte) Bail-in-Charakter der Inanspruchnahme von Mitteln wird zudem dadurch abgemildert, dass das in Schieflage geratene Finanzinstitut nicht mehr in dem Sinne profitiert, dass es „gerettet“ wird; vielmehr wird es abgewickelt31 und existiert danach, wenn überhaupt, in reduzierter Gestalt fort. Dass in der Realität dem Bail-out dann doch wieder Hintertüren eröffnet werden,32 hat normativkonzeptionelle Schwächen der einschlägigen Rechtsakte zur Ursache, die Stringenz des Grundansatzes wird davon aber nicht berührt. Auch die mittlerweile praktizierten ESM-Direkthilfen an Banken, die der ESM-Vertrag nicht unmittelbar vorsieht, aber auch nicht ausschließt, höhlen die Grundlagen des beschriebenen Systems trotz mancherlei rechtlicher Bedenken33 nicht aus, da ein Dispens von den „strengen Auflagen“ damit nicht einhergeht. Als „dritte Säule“ der Bankenunion34 muss auch EDIS – konzeptionell – dem Anspruch genügen, Bail-out zu vermeiden. Es soll sich ausweislich der Kommission um ein Einlagenversicherungssystem mit Rückversicherungselementen handeln. Als sein Verwalter soll der Abwicklungsausschuss des SRM (Single Resolution Board – SRB), der im Rahmen des SRM die zentra-

31 Siehe Art. 1 SRM-Verordnung; eingehend: Kowolik, Das Bail-in-Instrument, 2018, S. 30 ff. 32 Siehe Henze, Einheitliche Abwicklung für Europas Banken, 2016, S. 20 f.; Thiele, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 48. EL 2019, H. III. Rn. 321. 33 Dazu insbes. Erkel, Die Letztsicherung der europäischen Bankenabwicklung durch den ESM, Diss, erscheint demnächst. 34 Siehe bereits oben unter I.

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le Entscheidungsinstanz ist,35 fungieren, weshalb die Kommission eine Ergänzung der SRM-Verordnung anstrebt. Ähnlichkeit mit der Finanzierung des Einheitlichen Abwicklungsfonds weist die des EDIS insoweit auf, als hier wie dort von Kreditinstituten in der Eurozone Beiträge erhoben werden, aus deren Erträgen dann punktuell, bei einzelnen Kreditinstituten, Mittel eingesetzt werden. Vor allem bei Sparkassenverbänden und Volksbanken ist die Befürchtung laut geworden, dass sie in einem europaweiten Einlagenversicherungssystem faktisch für die Stabilisierung ausländischer Kreditinstitute zur Kasse gebeten würden, die im Übermaß Junk Bonds und Staatsanleihen ihres Sitzstaats akkumuliert hätten. Da sich eine Einlagenversicherung in erster Linie durch Beiträge der Kreditinstitute finanziert,36 würden die dadurch entstehenden Kosten im Ergebnis an die Bankkunden weitergereicht. Konterkariert EDIS also das Konzept des SRM, der Bail-in Vorrang vor Bail-out gibt? Die Antwort ist komplexer, als der erste Anschein vermuten lässt. Dass Kosten eines Solidarmechanismus an Kunden weitergereicht werden, dürfte auch für die Beiträge zur schon existierenden Einlagensicherung auf nationaler Ebene gelten – und nicht minder für die Beiträge, die (bedeutende) Banken unter dem SRM in den SRF einzahlen müssen. Anders als bei der Abwicklung kommt die Leistung der Einlagenversicherung nicht direkt dem Kreditinstitut zugute, sondern Kunden mit Sparanlagen, welche im Rahmen des SRM erst in der Mitte der Haftungskaskade anzutreffen sind37 und die bis zum Betrag von 100.000 Euro vom Bail-in ausgenommen sind. Nach verfassungsrechtlichen Maßstäben würde der SRF-Beitrag wegen seiner gruppennützigen Verwendung innerhalb einer homogenen Gruppe von Abgabenpflichtigen (den bedeutenden Kreditinstituten) eine Sonderabgabe darstellen.38 Dies haben Gerichte auch für die bestehende, Richtlinienvorgaben insoweit umsetzende Einlagensicherungsabgabe nach §§ 17, 19 Einlagensicherungsgesetz39 angenommen,40 obwohl von dem Mitteltransfer in erster Linie die Sparer, also die Gläubiger der Banken, profitieren. Solch weites Verständnis von Gruppennützigkeit könnte von dem Bemühen getragen gewesen sein, die Verfassungswidrigkeit einer unionsrechtlich gefor35

Siehe nur Zagouras, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124b Rn. 73. 36 Rümker/Winterfeld, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124 Rn. 183. 37 Vgl. Kowolik, Das Bail-in-Instrument, 2018, S. 200 ff. 38 Zu diesen Maßstäben siehe: Schön/Hellgardt/Osterloh-Konrad, WM 2010, 2145 (2146 ff.) sowie Hissnauer, Die Reform der Einlagensicherung und Anlegerentschädigung in Deutschland, 2013, S. 211 ff. 39 BGBl. 2015 I S. 786, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626). 40 VG Berlin, BeckRS 2019, 14573; ähnlich bereits VG Berlin, NJOZ 2003, 669 (zum damaligen EAG).

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derten Regelung und damit einen Konflikt mit der EU zu vermeiden. Für die „Gruppennützigkeit“ der Mittelverwendung streitet zumindest die eingangs dieses Beitrags festgestellte Präventionswirkung der Einlagensicherung: Sie soll Kreditinstitute vor einem „Bank Run“ (der auch aus nichtigem Anlass oder wegen Liquiditätsproblemen einsetzen kann) bewahren und damit vor der Abwicklung selbst.41 Auch die Aussicht auf eine spätere Absicherung kann „Moral Hazard“ generieren, wenn sie Kreditinstituten (insbesondere solche in anderen Mitgliedstaaten) einen Anreiz zu einer riskanteren, weniger soliden Geschäftsstrategie beschert. Dies ist indes wenig wahrscheinlich, da die Sicherung auf vergleichsweise bescheidene Geldeinlagen begrenzt ist und eine noch funktionsfähige Bank keine zusätzlichen Spielräume für (riskante) finanzielle Transaktionen erhält, sondern durch das im Falle ihrer Abwicklung zu aktivierende Sicherungssystem nur stabilisiert wird. Sie erhält keine zusätzlichen Aktionsspielräume, sondern wird vor dem Verlust der bestehenden bewahrt. Zu bedenken ist auch, dass ein Scheitern der Bank, dem hierdurch entgegengewirkt wird, nicht immer einen Bail-in nach sich zieht, bei dem es sich nur um eines von vier zur Verfügung stehenden Abwicklungsinstrumenten handelt und dessen Einsatz im ungünstigen Fall, ganz am unteren Ende der „Haftungskaskade“, auch zum Bail-out führen kann – 42 dem mit der Existenz der Einlagensicherung vorgebaut wird. Die eigentliche Transferleistung der Einlagenversicherung erfolgt erst in der Abwicklung, ohne dass das „dem Untergang geweihte“ Kreditinstitut dann noch Bestandsnutzen aus ihr zu ziehen vermag. „Too protected to fail“ in dem Sinne, dass „Moral Hazard“ erwächst, sind Kreditinstitute infolge von EDIS jedenfalls nicht. Auch die bisherigen Erfahrungen mit nationalen Einlagensicherungen deuten nicht darauf. Was sich mit EDIS allerdings ändern würde, ist die personelle wie geographische Dimension der Einlagensicherung – was zur Frage Anlass gibt, ob die Gewissheit einer unionsumspannenden Beteiligung am Sicherungsmechanismus womöglich einzelne Mitgliedstaaten von ihrer Verantwortung für das eigene Bankensystem befreit. Um finanzielle Verantwortung im engeren Sinne kann es dabei schon deswegen nicht gehen, weil die Mitgliedstaaten Finanzinstituten grundsätzlich nur in den von der Kommission in Anwendung von Art. 107 f. AEUV gesetzten Grenzen Mittel zuwenden dürfen. Nicht auszuschließen ist, dass EDIS zur Stabilisierung von Kreditinstituten beiträgt, die im Übermaß Staatsanleihen ihres Heimatstaats erworben haben; ein unmittelbarer Anreiz, damit fortzufahren, wird von der Einlagenversicherung aber nicht ausgehen. Der Teufel des „Moral Hazard“ steckt, wenn überhaupt, in den Detailregelungen. So muss sichergestellt werden, dass ein einzelner Mitgliedstaat nicht von Regelverletzungen – etwa 41 42

Näher Peters, WM 2014, 396 (403). Vgl. oben Fn. 28, 32.

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bei der Erhebung der Beiträge und Ausstattung des nationalen Einlagensicherungssystems (Deposit Guarantee Scheme, DGS) – profitiert. Der Verordnungsentwurf der Kommission sieht für diesen Fall den Ausschluss von der EDIS-Deckung vor (Art. 41i SRMV-E), doch darf sich die Kommission bei der Beurteilung des Regelverstoßes nicht von politischer Rücksichtnahme leiten lassen. Von der Verhängung von Geldbußen gegen ein teilnehmendes DGS will die Kommission absehen. Prinzipiell können auch die in Art. 52 SRMV-E für wichtige Beschlüsse vorgesehenen Abstimmungsregeln unter Berücksichtigung der Beitragslast „Moral Hazard“ ein Stück weit entgegenwirken.

III. Strategien zur Verhinderung einer Belohnung zurückliegenden Fehlverhaltens Dass EDIS in der Zukunft – jedenfalls im Grundsatz – nicht mit „Moral Hazard“ für Staaten und Marktakteure einhergeht, impliziert nicht, dass von ihm Staaten, deren Fiskalpolitik und Bankensystem fragil sind, nicht profitieren würden; ganz im Gegenteil: Wäre die nationale Einlagensicherung allerorten ausreichend, würde die Union ein solches Projekt nicht erst in den Blick nehmen. Damit ist eine Gefahr verbunden, dass Mitgliedstaaten und ihre Finanzbranche für vergangene Misswirtschaft geradezu belohnt werden; lediglich die Gefahr, dass EDIS Fehlanreize für die Zukunft setzt, ist, wie dargelegt, gering zu veranschlagen. Auch ein solches Ergebnis wäre allerdings rechtspolitisch unwillkommen.43 Dieser Erkenntnis folgend hat die Kommission vorgeschlagen, das Einlagenversicherungssystem und den Fonds, aus dem die Entschädigungen geleistet werden (Deposit Insurance Fund – DIF) stufenweise aufzubauen: von der Rückversicherung über die Mitversicherung zur Vollversicherung.44 Damit orientiert sie sich am Muster des SRF,45 dessen „nationale Kammern“ erst nach und nach verschmolzen werden – mit der Folge, dass im Abwicklungsfall erst nach Ablauf von acht Jahren auf die Gesamtheit der Fondsein43

Vgl. Erklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel v. 19.4.2018: „Wir sind auch bereit, in einer vielleicht nicht unmittelbaren, aber ferneren Zukunft ein gemeinsames Einlagenversicherungssystem zu machen. Aber wir wollen, dass Haftung und Risiken durchaus zusammengehalten werden.“ (WirtschaftsWoche online v. 19.4.2018; abrufbar unter: https://www.wiwo.de/politik/europa/absicherung-von-sparern-merkel-verspricht-europa eische-einlagensicherung-aber-spaeter/21195004.html [letzter Abruf: 19.12.2019]) S. auch BT-Drs. 19/3076 v. 29.6.2018 (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage „Position der Bundesregierung zur europäischen Einlagensicherung“). 44 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, COM(2015) 586 final, S. 9 ff. 45 Siehe hierzu bereits oben unter I.

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lagen zugegriffen werden kann.46 Im EDIS wird der Deckungsanteil des Einlagenversicherungsfonds (konkret: dasjenige, was ein teilnehmendes DGS beim DIF geltend machen kann) phasenweise erhöht: Beträgt er in der sog. Rückversicherungsphase (erste drei Jahre) nur 20%,47 wächst er in der sog. Mitversicherungsphase (folgende vier Jahre) um 20% p.a. an,48 um im achten Jahr in die Vollversicherung (Deckung von 100%) einzutreten.49 Die Deckung umfasst zum einen den Entschädigungsfall für ein teilnehmendes nationales DGS, der nicht auf bedeutende Kreditinstitute beschränkt ist, zum anderen dessen Inanspruchnahme in einem der SRM-Verordnung unterliegenden Abwicklungsfall (Art. 41a SRMV-E; Art. 79 SRMV), wobei EDIS in der Rück- sowie in der Mitversicherungsphase für Liquiditätsdefizite (Art. 41b, 41f SRMV-E) und Restverluste (Art. 41c, 41g SRMV-E) herangezogen werden kann. Damit wird das Risiko, dass dem Bankensystem eines Landes eine nachträgliche „Belohnung“ für riskante Anlagestrategien zuteilwird (ein ohnehin begrenztes Risiko, da von der Einlagenversicherung nicht die Banken unmittelbar profitieren, sondern ihre Kunden), weiter erheblich limitiert. Ob das Kommissionsmodell zur Umsetzung gelangt, ist völlig offen. Das andere, vom deutschen Finanzministerium vorgeschlagenen Modell50 sieht keine Verschmelzung nationaler Einlagensicherungssysteme vor; vielmehr soll die europäische Einlagenversicherung erst dann aktiv werden, wenn die Leistungsfähigkeit der nationalen DGS nicht ausreicht. Dieses – bislang nur grob skizzierte – Konzept ist dem Grundgedanken der Rückversicherung (im Sinne einer Versicherung für das Versicherungssystem) noch weit deutlicher verschrieben als der Vorschlag der Kommission. Seine „Grundphilosophie“ ist aber eine dezidiert andere: Während die Kommission unter dem Signet des „Single Rulebook“51 auf Vollvereinheitlichung setzt und diese angesichts der Entkoppelung von Einlagensicherheit und Staatsfinanzen sowie im Lichte von Skalenvorteilen für als unabdingbar erachtet,52 hält der Alternativvorschlag die Subsidiarität (vgl. Art. 5 Abs. 3 EUV) hoch: Nur wo die Mitgliedstaaten eine Aufgabe nicht ausreichend erfüllen können, soll die 46 Siehe Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 138 Rn. 32 ff. 47 Art. 41a SRMV-E; hinzu kommt eine Deckung von Restverlusten i.H.v. 20%, Abs. 3. 48 Art. 41d SRMV-E; der Rückversicherungscharakter bleibt trotz der geänderten Bezeichnung bestehen. 49 Art. 41h SRMV-E. 50 Siehe Olaf Scholz, Financial Times v. 6.11.2019, abrufbar unter: https://www.bun desfinanzministerium.de/Content/DE/Interviews/2019/20191112-Interview-FT.html;jsess ionid=F7B405D72F8A0FDC4EE50B8CC07D57D0.delivery2-replication (letzter Aufruf: 18.12.2019). 51 Siehe hierzu bereits Veil, ZGR 43 (2014), 544 (601). 52 Kommissionsentwurf EDIS-VO, Begründung, Nr. 2.2.

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Union mit ihren Rechtsinstrumenten einspringen müssen. Belege für die Behauptungen der Kommission, dass die bestehenden nationalen Einlagensicherungssysteme das Ausfallrisiko nicht ausreichend begrenzten, gibt es jedenfalls nicht. Selbst in einer Extremsituation wie der zypriotischen Bankenkrise (die der Errichtung des SRM zeitlich vorausging) waren die Spareinlagen bis zur Deckungssumme nicht ernsthaft gefährdet; zusätzliche Sicherheit vermitteln heute der SRM und striktere Basler Eigenkapitalvorschriften,53 welche die EU in ihr Recht übernommen hat. Insofern begegnet nicht nur die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, sondern auch die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe in nationale Kompetenzen und der mit der Erhebung einer europäischen Abgabe einhergehende Zwangswirkung Rechtszweifeln.54 Für Subsidiarität ist ohnehin nur dort Raum, wo die Union und die Mitgliedstaaten gleichermaßen regelungsbefugt sind. Insofern stellt sich die Frage, auf welche Rechtsgrundlage die Kommission EDIS eigentlich stützen will – und ob deren Wahl gerade auch beim Bundesverfassungsgericht auf Bedenken stoßen könnte.

IV. EDIS und Binnenmarktharmonisierung Die schon bestehenden Säulen der Bankenunion hat die Union auf unterschiedlichen Rechtsfundamenten errichtet: den SSM auf Art. 127 Abs. 6 AEUV und den SRM auf Art. 114 AEUV, ausgenommen die Beitragserhebung: Hierüber wurde ein separater völkerrechtlicher Vertrag („InterGovernmental Agreement“ – IGA55) zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossen, da der AEUV die EU nach überwiegender Ansicht keine Zuständigkeit einräumte, die Übertragung auf nationaler Ebene erhobener nichtsteuerlicher Abgaben auf den Fonds zu regeln.56 Die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung stützt die Kommission, soweit ersichtlich, in toto auf Art. 114 AEUV – die allgemeine Kompetenz für die Rechtsvereinheitlichung im Binnenmarkt.57 Angesichts der Ähnlichkeit der Strickmuster bei 53 Zum SRM siehe etwa Wojcik/Ceyssens, EuZW 2014, 893; sowie Zagouras, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124b Rn. 71 ff., und Gentzsch/Brade, EuR 2019, 602 (605 f.); zu den neuen Vorgaben nach Basel III und ihrer Umsetzung in das europäische Recht siehe instruktiv: Neus, in: Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber (Hrsg.), KWG & CRR, Bd. 1, 3. Aufl. 2015, Einführung Rn. 182 ff., sowie Winterfeld/Rümker, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124a Rn. 227 ff. 54 Kritisch auch: Herdegen, WM 2016, 1905 (1909 f.). 55 Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge, BGBl. 2014 II Nr. 31 v. 22.12.2014, S. 1298. 56 So dezidiert EGr. 7 zum IGA: „Die Verpflichtung zur Übertragung der auf nationaler Ebene erhobenen Beiträge auf den Fonds leitet sich nicht aus Unionsrecht ab.“ 57 Kommissionsentwurf EDIS-VO, Begründung, Nr. 2.1.

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SRM und EDIS – in beiden Fällen werden die Erträge auf nationaler Ebene von Banken erhobene Beiträge sukzessive einer Verwendung auch zugunsten ausländischer Akteure in einer Notlage (Abwicklungssituation) zugänglich gemacht – überrascht, dass die Kommission bei EDIS, soweit ersichtlich, ohne ein IGA auszukommen meint. Während die Bundesregierung dies angesichts der Vergleichbarkeit der Baumuster als venire contra factum kritisiert,58 zweifeln andere angesichts der Haushaltsneutralität der Mittelaufbringung am Vorliegen einer Fiskalmaßnahme.59 Zur Stütze dieser Auffassung könnte nunmehr immerhin die EuGH-Judikatur zum EEG angeführt werden, wonach Umlagen keine staatliche Beihilfe darstellen, wenn für die Verwendung oder die Refinanzierung der Beiträge keine staatlichen Vorgaben existieren.60 Die weit zentralere Frage – ob EDIS zumindest im Übrigen auf Art. 114 AEUV gestützt werden kann –, ist ebenfalls offen. Vor allem deutsche Stellen (Regierung, Bundestag und Bundesrat) haben eingewandt, die vollständige Vergemeinschaftung von Beiträgen und Risiko gehe über die Angleichung von Rechtsvorschriften hinaus,61 ein positiver Binnenmarkteffekt sei, schon weil es an Wettbewerbsverzerrungen fehle, nicht erkennbar.62 Dem halten europäische Stellen insbesondere das „Schlusssteinargument“ – also die Notwendigkeit, die Bankenunion zu vollenden – und die positiven Wirkungen entgegen, die eine größere Distanz zwischen Staat und Banken auch für die Wahrnehmung der Grundfreiheiten entfalten könne.63 Das Urteil des BVerfG zur Bankenunion vom 30. Juli 2019 dürfte der Europäischen Kommission Rückenwind verschafft haben. Zwar erteilte Karlsruhe der Europäischen Union für den SRM keine Absolution, sondern befand lediglich, dass „kein offensichtlicher Verstoß“ (im Sinne seines sog. „Honeywell“-Maßstabs)64 vorliege, bei dem die gegen den SRM gerichteten Verfassungsbeschwerden begründet gewesen wären.65 Besonders ausführlich (und kritisch) setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob Art. 114 Abs. 1 AEUV die Errichtung des SRB als einer mit Vollzugskompetenzen ausgestatteten Agentur zu stützen vermag; dies sei keine offen58

BT-Drs. 19/3076, S. 7. Opinion of the Legal Service, 12.4.2016, Interinstitutional File 2015/0270 (COD), 7862/16 (insoweit unveröffentlicht). 60 Rs. C-405/16 P, ECLI:EU:C:2019:268, Rn. 70 ff. – Deutschland/Kommission; vgl. auch EuGH, Rs. C-379/98, ECLI:EU:C:2001:160 – PreussenElektra. 61 Siehe BR-Drs. 640/1/15; BT-Drs. 18/7644; BT-Drs. 19/3076. 62 Herdegen, WM 2016, 1905 (1910). 63 Vgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank, Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, 21.10.2015, COM(2015) 600 final, S. 15 f.; vgl. auch EuGH, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C: 2006:772 – Deutschland/Parlament und Rat. 64 BVerfGE 126, 286. 65 BVerfG, NJW 2019, 3204, Rn. 247. 59

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sichtliche Kompetenzüberschreitung, sofern sie eine eng begrenzte Ausnahme bleibe.66 Mit EDIS, das ebenfalls unter der Regie des SRB steht, geht keine signifikante Erweiterung des dem Ausschuss eingeräumten Aktionsrahmens einher, da es bei der Abwicklungslage als qualitativem Anknüpfungspunkt bleibt. Insofern lassen sich nicht nur die Befunde des BVerfG zu Art. 114 Abs. 1 AEUV als institutioneller Kompetenzgrundlage, sondern auch die Aussagen über die Binnenmarktanknüpfung der Finalität des SRB auf EDIS übertragen: „Mit einem speziellen Insolvenzrecht für die dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus unterworfenen Kreditinstitute verfolgt sie das Ziel einer bereichsspezifischen Harmonisierung des Binnenmarktes, weil der unionale Gesetzgeber in den unterschiedlichen Abwicklungsvorschriften sowie im Fehlen eines einheitlichen Beschlussverfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten einen maßgeblichen Grund für die Instabilität des (Binnen-)Marktes ausgemacht hat“.67

V. Schlussfolgerung: Alles im Lot? Bis zur Errichtung der „dritten Säule“ der Bankenunion in Gestalt einer Europäischen Einlagenversicherung wird noch ein mühsamer Weg zu beschreiten sein – es sei denn, eine neue Finanzkrise (wie die Corona-Pandemie sie auslösen könnte) zwingt die Union und die Mitgliedstaaten zur Flucht nach vorn. Vorbehalte, denen der EDIS-Vorschlag der Kommission bislang begegnet ist, sind vornehmlich politisch motiviert; durchgreifende prinzipielle Bedenken gegen die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung lassen sich dem Unionsprimärrecht jedenfalls kaum entnehmen. Dem Subsidiaritätsprinzip kann durch eine Ausgestaltung, die näher am BMFVorschlag als dem der Kommission liegt, Rechnung getragen werden. Mit dem Urteil zur Bankenunion hat das BVerfG signalisiert, dass es sich auch einem EDIS nicht entgegenstemmen dürfte. Es so auszugestalten, dass Moral Hazard vermieden wird, dass Regelverletzungen eines nationalen DGS also nicht ungesühnt bleiben und nicht vornehmlich die bedeutenden Kreditinstitute (bzw., genau genommen, ihre Kunden) von den auch von kleinen Banken in anderen Mitgliedstaaten zu erhebenden Beiträgen profitieren, bleibt eine Herausforderung für den Unionsgesetzgeber. Lotrecht muss sie jedenfalls stehen, die dritte Säule.

neue rechte Seite! 66 67

Ebd., Rn. 246 ff., 253 ff. Ebd., Rn. 249, m.w.N.

Der unfreiwillige Verlust von Stifterrechten

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Der unfreiwillige Verlust von Stifterrechten Susanne Kalss

Der unfreiwillige Verlust von Stifterrechten in der österreichischen Privatstiftung SUSANNE KALSS

Mit Klaus J. Hopt verbinden mich zahlreiche wissenschaftliche Unternehmungen seit den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts: Das rechtspolitische, rechtsökonomische und rechtsdogmatische Projekt „Reform des deutschen Börsenwesens“, seine Aufmunterung und seine Anstöße für mein Habilitationsvorhaben während meines einjährigen Forschungsaufenthalts am Max-Planck-Institut in Hamburg. Ich durfte mit ihm an etlichen weiteren Werken im Bereich des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts, der Corporate Governance, des Rechts des Aufsichtsrats und schließlich auch des Stiftungsrechts arbeiten. Gerade das Projekt zum Stiftungsrecht in Europa, dessen Höhepunkt eine Tagung auf Schloss Salzau in Schleswig-Holstein war,1 soll der Anknüpfungspunkt sein, die Besonderheiten des Stiftungsrechts herauszuarbeiten. Ich hoffe daher, auch mit einem stiftungsrechtlichen Thema bei Klaus J. Hopt auf Interesse zu stoßen. Jede Begegnung, jede Diskussion und jedes Gespräch mit ihm und seiner Frau weit über juristische Themen hinaus, sind für mich stets Freude und Bereicherung.

I. Die Privatstiftung In Österreich bestehen rund 3.100 Privatstiftungen.2 Das maßgebliche Vermögen von Privatstiftungen liegt in Unternehmensbeteiligungen. Rund zwei Drittel aller großen österreichischen Familienunternehmen sind mit einer Privatstiftung verbunden, dh Unternehmensanteile werden ganz oder teilweise von Privatstiftungen gehalten. Das weitere Vermögen liegt in Liegenschaften sowie Wertpapieren und sonstigem Vermögen (Kunst und Bar-

1 S dazu Doralt/Kalss, Die Stiftung in Österreich, in Hopt/Reuter, Stiftungsrecht in Europa (2000) 419; s ferner Kalss, The protection of members and creditors of non profit organisations, in Hopt/von Hippel, Coporative Corporate Governance of Non Profit Organisations (2010) 789. 2 Stand 31.1.2020: exakt 3067; Quelle: Die Presse 3.2.2020, 8.

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geld). Die Privatstiftung hat keine Eigentümer oder Mitglieder.3 Sie ist ein Rechtsträger mit Rechtspersönlichkeit, dem vom Stifter ein Vermögen gewidmet ist, um durch dessen Nutzung, Verwaltung und Verwertung der Erfüllung eines erlaubten, vom Stifter bestimmten Zwecks zu dienen (§ 1 PSG4). Die Privatstiftung ist somit keine Körperschaft und keine Gesellschaft, sondern eine anstaltsartige juristische Person. Sie nimmt aber keine eigenständige und unabhängige Entwicklung und darf nicht nur aus dem Stiftungsrecht heraus verstanden werden. Trotz der „Flucht der Privatstiftungen aus dem Erb- und Gesellschaftsrecht“5 sind im Privatstiftungsrecht zahlreiche allgemeine privatrechtliche Grundsätze verwirklicht. Die Privatstiftung fungiert zum Teil als Ersatz für ein Testament6 und zum Teil für einen korporativen Syndikatsvertrag. Daher sind auf die stiftungsrechtlichen Rechtsbeziehungen sowohl die zivilrechtlichen als auch die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze unter gebührender Beachtung der Besonderheiten des Privatstiftungsrechts anzuwenden.7 Trotz Fehlens von Mitgliedern haben verschiedene Personen an der Stiftung und an deren Funktionieren ein besonderes Interesse. Dieser Kreis lässt sich unter dem Begriff der stiftungsinteressierten Personen zusammenfassen.8 Die wichtigsten stiftungsinteressierten Personen sind der oder die Stifter, die Begünstigten und die Organträger. Im Folgenden sollen Aspekte der beiden erstgenannten Gruppen, nämlich der Stifter und der Begünstigten, angesprochen werden.

II. Rechtsbeziehungen in der Privatstiftung 1. Offene Dauerschuldverhältnisse In der Privatstiftung bestehen mehrere Rechtsbeziehungen zwischen den stiftungsinteressierten Personen und der Privatstiftung. Hier werden das Rechtsverhältnis des Stifters oder der Stifter zur Privatstiftung und das 3 S nur Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz 7/1, Rz 7/21; Doralt, Die Österreichische Privatstiftung – Ein neues Gestaltungsinstrument für Unternehmen, ZGR 1996, 1, 6; ErläutRV 1132 BlgNR 18. GP 16. 4 BGBl 694/1993 idF BGBl I 104/2019. 5 P Doralt, zitiert nach Schauer, Familienstiftung und Unwürdigkeit des Begünstigten als Problem des Privatstiftungsrechts, GesRZ 2000, 233. 6 Schauer, GesRZ 2000, 233, 233 f. 7 Zollner, Die eigennützige Privatstiftung (2011) 3; Kalss, Treuepflichten in der Privatstiftung – Stifter und Begünstigte, in Kalss/Torggler, Treuepflichten (2018) 73, 74. 8 Kronke, Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung (1988) 136; Kalss, Die Privatstiftung als Baustein des Gesellschaftsrechts, in P Doralt/Kalss, Aktuelle Fragen des Privatstiftungsrechts – eine Bilanz nach 7 Jahren (2000) 37, 55; Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 79.

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Rechtsverhältnis der Privatstiftung zu den Begünstigten, somit das Begünstigtenverhältnis, angesprochen. Diese Rechtsverhältnisse sind im Regelfall auf Dauer ausgerichtet. Sie sind Dauerschuld- oder Langzeitverhältnisse.9 Diese Rechtsbeziehungen sind auch durch ein bestimmtes Maß an Unvollständigkeit geprägt, dh dass nicht alle Eventualitäten für die Zukunft im Einzelnen abgebildet sind. 2. Unentgeltliche Rechtsbeziehungen Eine besondere Bedeutung spiegelt die Freigiebigkeit oder Unentgeltlichkeit der Leistungsbeziehungen. Die Vermögenswidmung des Stifters an die Privatstiftung ist eine unentgeltliche Zuwendung. Sie ist ein der Schenkung vergleichbarer Vorgang.10 Das Erbrecht bestätigt diese Qualifikation. § 781 Abs 2 Z 4 ABGB ordnet die Vermögenswidmung an eine Privatstiftung als Schenkung im Sinne des erbrechtlichen Anrechnungsrechts ein.11 Das Begünstigtenverhältnis kann eine Dauerrechtsbeziehung oder ein Zielschuldverhältnis sein, das durch eine einmalige Leistung gekennzeichnet ist. Es beruht auf der besonderen stiftungsrechtlichen Grundlage und ist durch den Grundsatz der Freigiebigkeit und Unentgeltlichkeit der Zuwendung von der Privatstiftung an die Begünstigten gekennzeichnet.12 Der Titel der Leistung liegt im Begünstigtenverhältnis und damit im Stiftungszweck.13 Über einzelne Dauerschuldverhältnisse werden durch Rechtsanalogie Grundsätze abgeleitet, die auf Dauerrechtsverhältnisse angewendet werden.14 Diese allgemeinen Grundsätze sind gerade für jene Vertrags- und Rechtsbeziehungen von Bedeutung, die im Gesetz nicht ausreichend typisiert sind, sondern aufgrund der Gestaltungsmöglichkeiten vereinbart und festgelegt werden. Ein wesentlicher Grundsatz liegt darin, dass Dauerschuldverhältnisse aus wichtigen Gründen gem den §§ 1117 f., 1162 sowie 1210 ABGB jederzeit aufgelöst werden können, dh sie unterliegen der au9

Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 84 f.; Schauer, GesRZ 2000, 233, 242. OGH 10 Ob 22/13b, PSR 2014, 32; Arnold, PSG3 § 4 Rz 29; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 115 f.; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 7/36; zurückhaltend Nowotny, Der Stiftungsakt als Schenkung, in FS Eccher (2017) 811, 814. 11 Schauer, Die Privatstiftung als Funktionsäquivalent der Schenkung auf den Todesfall, ZFS 2006, 52, 53; Schauer, Erbrechtliche Probleme der Privatstiftung, in Csoklich/ Müller/Gröhs/Helbich, Handbuch zum Privatstiftungsgesetz (1994) 107, 131; Arnold, PSG3 Einleitung Rz 23; Kalss, ZFS 2015, 137 ff.; OLG Wien 28 R 186/11w; OLG Wien 28 R 7/12y, PSR 2012, 134, 137. 12 Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 86; Schauer, GesRZ 2000, 233, 241, 244. 13 Löffler in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG § 5 Rz 2; Arnold, PSG3 § 5 Rz 14; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 262; Kalss, Die einmalige Zuwendung, ZFS 2015, 137, 138; Schauer, GesRZ 2000, 233, 241. 14 Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 (2015) Rz 32; OGH SZ 2008/145. 10

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ßerordentlichen Kündigung, unabhängig davon, ob das Rechtsverhältnis unbefristet, unkündbar oder befristet ist.15 Dauerschuldverhältnisse, deren Abwicklung bereits begonnen hat, können aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht mehr ex tunc, sondern nur mehr ex nunc, somit nur mehr für die Zukunft aufgelöst werden.16 3. Geringe Bestandskraft Da im Regelfall unentgeltliche Rechtsbeziehungen vorliegen, ist deren – im Verhältnis zu entgeltlichen Rechtsgeschäften – geringere Bestandskraft von Bedeutung; der Motivirrtum ist bei dieser Form der Geschäfte beachtlich,17 daher ist jedenfalls wertungsmäßig auch die fehlerhafte Vorstellung über künftige Entwicklungen als Anfechtungsgrund anerkannt.18 Zu nennen sind weiters der Widerruf der Schenkung wegen groben Undanks gemäß § 948 f. ABGB, die Anerkennung des Motivirrtum für letztwillige Verfügungen sowie die Regelungen über die Erbunwürdigkeit (§§ 539 ff. ABGB). Die letztgenannten Bestimmungen haben jedenfalls ein Naheverhältnis zum Irrtum.19 Deutlich wird daraus im Ergebnis die einseitige Beendigungsmöglichkeit dieser Rechtsverhältnisse erkennbar.

III. Die Stifterstellung im Allgemeinen 1. Ein Stifter Eine Privatstiftung ist durch drei Elemente gekennzeichnet, nämlich die Errichtung durch einen Stifter, die Vermögungswidmung und die Bezeichnung durch den Stifter.20 Die Stifterstellung und die Rechtsbeziehung des Stifters zu seiner Privatstiftung ist von mehreren Besonderheiten geprägt. Stifter ist, wer sich an der Errichtung der Privatstiftung beteiligt, als solcher auftritt und auf dessen Willen die Stiftung beruht.21 Die Vermögenswidmung ist mögliches, aber nicht konstitutives Element der Stiftungserrichtung.22 15

Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 Rz 33. OGH 7 Ob 580/91, JBl 1992, 186; Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 Rz 34; ferner Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 871 Rz 40 f. 17 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I14 Rz 488; Schauer, GesRZ 2000, 233, 241. 18 Schauer, GesRZ 2000, 241. 19 Schauer, GesRZ 2000, 242. 20 Zollner, Die eigennützige Privatstiftung (2011) 15 f. 21 OGH 6 Ob 78/06y, RdW 2006, 631. 22 OGH 3 Ob 169/07k, GesRZ 2000, 39; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 17; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 7/63; Kalss in FS Eccher (2017) 475, 479. 16

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Die Stifterstellung erschöpft sich im historischen Akt der Stiftungserrichtung.23 Die Stifterstellung kann nur aus Anlass des Stiftungsgeschäfts und der Errichtung der Stiftung begründet werden. Der nachträgliche Erwerb der Stifterstellung etwa durch ein weiteres Rechtsgeschäft, zum Beispiel durch Änderung der Stiftungserklärung und eine Vermögenswidmung oder eine Zustiftung von Vermögen, führt nicht zum Erwerb der Stifterstellung in der Privatstiftung wie § 3 Abs. 4 PSG ausdrücklich normiert.24 Der nachträgliche Erwerb einer Stifterstellung ist somit nicht möglich, vielmehr muss die Stifterstellung bereits bei Errichtung der Privatstiftung etabliert sein. Zwar wäre dies rechtspolitisch wünschenswert, um die Versteinerung der Stiftung zu verhindern und wird dies in der Literatur auch vielfach verlangt,25 nach geltendem Recht ist dies aber dennoch nicht möglich. Die Stifterstellung als solche kann daher auch nicht mehr aufgegeben werden.26 Einmal Stifter, immer Stifter – damit ist aber nur das Faktum umschrieben, dass eine Person in der Stiftungsurkunde als Stifter bezeichnet wird, den Errichtungsakt für die Stiftung gesetzt und somit diese historische Tätigkeit erbracht hat. Die Stifterstellung und das Faktum als solches können nicht mehr nachträglich beseitigt werden. Der Stifter ist insofern einem Gründer einer Gesellschaft gleichzusetzen. Die Stifterstellung bildet das rechtstatsächliche und rechtshistorische Faktum der Stiftungserrichtung ab. Mit der Stifterstellung wird insofern der in der Vergangenheit liegende Akt umschrieben. Die Stifterstellung verjährt nicht und kann auch nicht durch Verzicht des Stifters aufgegeben werden. Ein Verzicht auf die – historische – Stifter- und damit Gründerstellung ist daher nicht möglich.27 Die Stellung des Stifters erlischt nur mit dem Tod einer natürlichen Person oder der Beendigung eines sonstigen Rechtsträgers. Davon vollkommen zu unterscheiden ist die Möglichkeit, auf Stifterrechte und die Ausübung der Stifterrechte zu verzichten (vgl. unten 6.).28 2. Stiftermehrheit Eine Stiftung kann auch von mehreren Personen errichtet werden, d.h. die Stiftungserklärung kann von mehreren Mitstiftern abgegeben werden. § 3 23 OGH 6 Ob 78/06y; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 202; Kalss in Kalss/ Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 7/63. 24 OGH 1 Ob 166/04z, GES 2004, 475; OGH 6 Ob 158/11w, GesRZ 2012, 189; RV: 1132 BlgNr 18. GP zu § 3 Abs 4 PSG; Kalss in FS Eccher 479. 25 Kalss in Kalss, Aktuelle Fragen zum Stiftungsrecht 72 f.; Torggler in FS Doralt (2004) 651 ff.; C Nowotny, JBl 2003, 779 FN 3. 26 OGH 6 Ob 78/06y, RdW 2006, 631. 27 RIS-Justiz RS0120926. 28 Kalss, Sorgfaltspflichten des Stiftungsvorstands bei Errichtung einer Substiftung, in FS Eccher (2018) 475, 479; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 18.

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Abs. 1 PSG ermöglicht die gemeinsame Stiftungserrichtung. Allein die Errichtung der Stiftung durch mehrere Personen etabliert noch keine GesbR mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten.29 Je nach Ausgestaltung der Stifterrechte kann das stiftungsrechtliche Rechtsverhältnis der Stifter untereinander aber einer GesbR nahekommen und können daher Regelungen und Wertungen aus den §§ 1175 ff. ABGB auch für diese stiftungsrechtliche Rechtsgemeinschaft herangezogen werden.30 Die Stifter üben ihre Stifterrechte mangels einer abweichenden Regelung in der Stiftungserklärung gem. § 3 Abs. 2 PSG gemeinsam aus. Die gemeinsame Ausübung gilt sowohl für die gesetzlich zustehenden Rechte als auch für die statutarisch eingeräumten sonstigen Rechte.31 Der Tod eines Stifters lässt die Ausübbarkeit der Stifterrechte auch für die anderen Stifter erlöschen, sofern nicht die Stiftungserklärung eine abweichende Regelung vorsieht. Damit wird die Eigenständigkeit der Privatstiftung gegenüber ihren Stiftern betont.32 Durch eine entsprechende Gestaltung in der Stiftungsurkunde kann aber eine abweichende Regelung vorgesehen werden, die den überlebenden Stiftern die Ausübbarkeit der Rechte sichert. Vielfach sieht die Stiftungserklärung eine zeitliche Staffelung der Stifterrechte vor.33 Zunächst kann ein Stifter (Hauptstifter), d.h. vielfach Mutter oder Vater, und anschließend zeitlich nachgeordnet die Kinder gemeinsam oder zeitlich nachfolgend die Stifterrechte ausüben. Die Stifter sind nicht zur Gleichbehandlung verpflichtet, unabhängig davon, ob bei gleichzeitiger oder nachfolgender Ausübung der Stifterrechte.34

IV. Gesetzestypische Privatstiftung Das PSG lässt den Stiftern für die Ausgestaltung breiten Raum. Es gibt mit seinen etwas über 40 Paragraphen nur rudimentäre Vorgaben für die Gestaltung vor.35 Die Regelungen des PSG sind weitestgehend dispositiv.36 29 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 7/63; Resümeeprotokoll des Fachgesprächs mit Firmenbuchrichtern, GesRZ 2015, 196. 30 Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 81. 31 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG (1995) § 3 Rz 21 f.; Arnold, PSG3 § 3 Rz 47. 32 OGH 6 Ob 136/09g; Arnold, PSG3 § 3 Rz 50; Berger in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG § 34 Rz 4. 33 OGH RIS-Justiz RS0123558; Kalss/Zollner, GesRZ 2006, 229 f.; Kalss in Kalss/ Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 7/71. 34 Kalss/Müller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge2 (2018) § 26 Rz 117; Arnold, PSG3 § 33 Rz 49; Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG § 3 Rz 22; Csoklich, ZFS 2007, 3; aA ohne Begründung Berger in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG § 33 Rz 10, Rz 26. 35 Kalss/Zollner, Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Begünstigten, Gestaltungsmöglichkeiten des Stifters, GesRZ 2008, 351; Arnold, PSG3 § 3 Rz 40.

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Nach dem gesetzlichen Grundkonzept sieht das PSG keine Mitwirkungsund Kontrollrechte des Stifters vor. Allein die Fassung eines Auflösungsbeschlusses durch den Stiftungsvorstand bei Vorliegen eines Auflösungsgrundes nach § 35 Abs. 2 Z 1 bis 4 unterwirft das Gesetz gemäß § 35 Abs. 3 PSG der Kontrolle des Stifters. Sonstige weitergehende Einwirkungs- und Kontrollrechte sieht das Gesetz für den Stifter nicht vor. Die gesetzestypische Privatstiftung kommt daher praktisch ohne den Stifter aus und emanzipiert sich weitgehend von diesem.37 Da aber das Gesetz weitgehend dispositiv ist, ist es für die Ausnutzung der weitreichenden Gestaltungsfreiheit durch den Stifter offen. Typischerweise nimmt der Stifter diese Gestaltungsfreiheit wahr und räumt sich und seinen Mitstiftern Mitwirkungsmöglichkeiten und Einflussrechte ein. Von besonderer Bedeutung sind dabei Bestellungs- und Abberufungsrechte von Organmitgliedern und das Änderungsrecht und Widerrufsrecht der Privatstiftung gem. § 33 f. PSG. Der in der Praxis derzeit noch am häufigsten vorkommende Typ ist daher die sogenannte „stifterdominierte Privatstiftung“. Stifterdominierte Stiftungen sind Privatstiftungen, bei denen sich der Stifter im Rahmen seiner privatautonomen Gestaltungsmöglichkeit weitreichende Einflussmöglichkeiten vorbehalten hat.38 Der Einfluss gründet auf dem Organbesetzungsrecht, auf Informationsrechten, vor allem aber auf dem Änderungsrecht und ergänzend auf dem Widerrufsrecht. Damit behält der Stifter seinen Zugriff auf die Stiftung und ihr Vermögen. Er hat damit eigentlich das Vermögen noch nicht wirklich „losgelassen“. Die Stifterrechte beziehen sich einerseits auf Einflussrechte, auf die Organisation und die Governance der Privatstiftung, sind somit Herrschafts- und Einflussrechte, zum anderen auf Vermögensrechte, mittels derer der Stifter einen ökonomischen Nutzen aus der Privatstiftung ziehen kann. Er kann sich selbst oder nahestehende Personen als Begünstigte festlegen und die Höhe der Zuwendungen bestimmen oder Änderungen der Stiftungserklärung vornehmen und damit eine Vermögensauskehr statutarisch festlegen. Ein Stifter kann sich daher weitreichende Rechte einräumen und diese in der Stiftungserklärung verankern. Die Rechte sind beinahe eigentümerähnliche Rechte, die ihm eine weitreichende Dispositionsmöglichkeit sowohl über die Gestaltung und Entscheidungsfindung in dem Rechtsträger Privatstiftung als auch über die Vermögensdisposition des im Eigentum der Privatstiftung stehenden Vermögens gewähren.39

36

Arnold, PSG3 § 3 Rz 47; OGH 6 Ob 61/04w, GesRZ 2004, 392. Zollner, Rechte und Pflichten des Stiftungsvorstands, in Kalss, Aktuelle Fragen des Stiftungsrechts (2014) 45 f. 38 Kalss/Müller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge2 (2018) § 26 Rz 46; Zollner in Kalss, Aktuelle Fragen des Stiftungsrechts 45. 39 S dazu Kalss in Doralt/Kalss, Aktuelle Fragen des Stiftungsrecht (2000) 37, 59 f. 37

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V. Begründung der Stifterrechte Alle Stifterrechte können in der ursprünglichen Stiftungserklärung begründet werden. Nur einzelne Stifterrechte können – bei einem entsprechenden Änderungsvorbehalt – auch nachträglich begründet werden, etwa das Recht auf Information durch den Stifter oder auch Organbesetzungsrechte. Diese Rechte müssen nicht zwingend von Anfang an in der Stiftungserklärung enthalten sein. Von Anfang an müssen aber jedenfalls das Änderungsrecht und das Widerrufsrecht in der ursprünglichen Stiftungserklärung enthalten sein. Eine nachträgliche Begründung dieser Rechte ist nicht zulässig und möglich. Dem Stifter fehlt eben die Befugnis, nachträglich die Loslösung der Privatstiftung „rückzubauen“,40 die Emanzipation bleibt aufrecht.

VI. Verzicht auf Stifterrechte Ein Stifterrecht kann durch Änderung der Stiftungserklärung beseitigt und daher durch einseitige Erklärung des änderungsberechtigten Stifters beendet werden (vgl. oben 4.). Vorstellbar ist etwa die Aufgabe eines Organbesetzungsrechts, die Aufgabe eines Informationsrechts, auch die Streichung des Änderungsrechts. Daher kann ein Stifter durch Verzicht auf ein einzelnes Stifterrecht dieses Recht jeweils aufgeben.41 Der Verzicht eines Stifters auf Stifterrechte ist möglich, auch wenn eine Verzichtsmöglichkeit in der Stiftungserklärung selbst nicht ausdrücklich normiert ist.42 Da aber ein Verzicht eine Änderung der Rechtsgrundlage der Privatstiftung darstellt, ist der Verzicht nicht bereits durch eine einseitige Erklärung des verzichtenden Stifters wirksam. Vielmehr bedarf der Verzicht für seine unmittelbare stiftungsrechtliche Wirksamkeit der Eintragung der Änderung der Stiftungsurkunde in das Firmenbuch gem. § 33 Abs. 3 PSG.43 Wenn die Änderung der Stiftungsurkunde nur mehreren Stiftern gemeinsam, somit der Stiftergemeinschaft zusteht, besteht eine positive Zustimmungspflicht der übrigen Stifter.44 Die positive Zustimmungspflicht folgt aus der Rücksichtnahmepflicht der anderen Stifter auf die Rechtsposition des verzichtenden Stifters.

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OGH 6 Ob 78/06y; OGH 6 Ob 158/11w; OGH 1 Ob 166/04z. Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 7/70, 7/80. 42 OGH 6 Ob 18/07a, GesRZ 2007, 346. 43 OGH 6 Ob 18/07a, GesRZ 2007, 346; Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 94. 44 Kalss/Zollner, GesRZ 2006, 227, 237; OGH 6 Ob 18/07a, GesRZ 2007, 346; Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 94. 41

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VII. Unfreiwilliger Verlust der Stifterrechte 1. Dauerrechtsverhältnis – Keine Regelung So klar und einhellig die einvernehmliche Beseitigung und Beendigung von Stifterrechten anerkannt wird, und auch die Möglichkeit der freiwilligen Aufgabe der Stifterrechte durch Verzicht und entsprechende stiftungsrechtliche Umsetzung durch Änderung der Stiftungserklärung, so wenig beleuchtet ist der unfreiwillige Verlust von Stifterrechten. Allein aus dem Umstand, dass dafür keine Regelungen bestehen, folgt keineswegs, dass Stifterrechte nicht auch gegen den Willen des betroffenen Stifters verloren gehen und erlöschen können. Von Bedeutung ist dies für die Einfluss- und Mitgestaltungsrechte in der Privatstiftung, etwa das Änderungsrecht. Das Stifterverhältnis beruht auf dem Schöpfungs- und Errichtungsakt. Je nach Ausgestaltung der Stifterrechte in der Stiftungsurkunde ist es zugleich ein Dauerrechtsverhältnis, das zwischen der Stiftung und der Privatstiftung und den damit verbundenen anderen Rechtsträgern, wie etwa anderen Stiftern und allenfalls auch Begünstigten, besteht.45 Nunmehr geht es darum zu prüfen, ob das Rechtsverhältnis als solches oder jedenfalls einzelne Rechte daraus auch gegen den Willen des Stifters erlöschen oder verloren gehen oder durch einen Akt eines anderen Rechtsträgers beendet werden können. 2. Dispositive Regelungen Ein erster Hinweis für die Möglichkeit des unfreiwilligen Verlusts ergibt sich aus dem Umstand, dass die Rechte der Stifter nicht zwingend vorgesehen sind und in einer Stiftung von Anfang an darauf verzichtet werden kann, indem keine Regelung für ein Änderungsrecht oder Besetzungsrecht getroffen wird. Ein weiterer Hinweis darauf ist aus § 3 Abs 2 PSG zu entnehmen, nämlich dass bei Einräumung von Stifterrechten an mehrere Stifter diese Stifterrechte im Zweifel bei Tod eines einzigen Stifters erlöschen. Keiner der Stifter soll ohne anfängliche Zustimmung der anderen Stifter diese Rechte weiter ausüben können.46 Auch die Aufhebung durch einen änderungsberechtigten Stifter ist bei entsprechender Regelung in der Stiftungserklärung zulässig.

45

Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 86 ff., 77. OGH 6 Ob 136/9g; Mager, GES 2009, 340, 342; Brditschka/Quass in Hasch & Partner, PSG2 (2014) § 3 Rz 23; Arnold, PSG3 § 3 Rz 47 ff. 46

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3. Verlust der Begünstigtenstellung Im Regelfall normiert die Stiftungserklärung selbst keine Regelungen über den Verlust der Stifterrechte. Dies ist naheliegend, denken doch die Stifter selten an die Möglichkeit eines gravierenden Fehlverhaltens von sich selbst. Im Gegensatz zu dem Verlust der Stifterrechte finden sich in zahlreichen Stiftungserklärungen und Musterformulierungen Regelungen für den Verlust der Begünstigtenstellung. Die meisten Muster zielen darauf, dass Umstände, die sich an der Erbunwürdigkeit gem. § 539 ff. ABGB orientieren auch zum Verlust der Begünstigtenstellung führen. Zum Teil werden parallele Formulierungen gewählt, wonach die Begünstigtenstellung bei gerichtlich strafbaren Handlungen des Begünstigten, die vorsätzlich begangen werden, und die nach dem dafür geltenden Gesetz mit einjähriger Freiheitsstrafe geahndet werden können, erlischt. Dabei gibt es unterschiedliche Gestaltungsvarianten dahingehend, ob die Berechtigung von selbst erlischt oder es eines Beschlusses des Vorstands der Privatstiftung oder einer anderen dazu berufenen Stelle gem. § 9 PSG bedarf. Ähnlich wie nach dem Erbrecht ist regelmäßig keine gerichtliche Verurteilung wegen Begehens eines strafrechtlich relevanten Delikts notwendig.47 Für die Erbunwürdigkeit und für die parallelen Formulierungen reicht bedingter Vorsatz, dh der Täter muss die Herbeiführung des Erfolgs nur ernstlich für möglich halten.48 Für die Frage der Erbunwürdigkeit und damit auch der „Begünstigtenunwürdigkeit“ ist nicht unbedingt der strafrechtlich relevante bedingte Vorsatz erforderlich, vielmehr reicht das Vorliegen eines zivilrechtlich vorwerfbaren natürlichen Vorsatzes.49 Auch der Verzicht auf die Begünstigtenstellung ist zulässig.

VIII. Rückgriff auf allgemeine zivilrechtliche und gesellschaftsrechtliche Überlegungen 1. Begründung des Rechtsverhältnisses – Beendigung Aus dem Fehlen einer expliziten Regelung darf – wie schon angesprochen – nicht die Unmöglichkeit eines Verlusts der Stifterrechte geschlossen werden. Das geltende Recht eröffnet angemessene Regelungen, um die Stifter-

47 OGH 6 Ob 636/93; Apathy/Neumayer in Koziol/Bydlinski/Bollenberger KBB, ABGB5 (2017) § 539, 541 Rz 2. 48 Seiler in Pirklbauer/Hilf ua, StGB (2018) § 5 Rz 15. 49 Ausdrücklich Eccher, Bürgerliches Recht VI, Erbrecht4 (2016) Rz 2/14; Eccher in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 540 Rz 6; zurückhaltend aber OGH 6 Ob 636/93; LikarPeer in Fenyves/Kerschner/Welser, Klang ABGB3 § 540 Rz 8; Welser in Rummel, ABGB3 (2000) § 540 Rz 6.

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rechte zum Erlöschen zu bringen. Genauso wie ein Sohn oder eine Tochter immer Sohn oder Tochter bleibt, aber seine familienrechtlichen oder erbrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Vater oder der Mutter verlieren kann, oder wie ein Gründer immer Gründer einer Gesellschaft ist, aber seine Gründer- und Gesellschafterrechte verlieren kann, kann ein Stifter zwar auch immer Stifter bleiben, aber dennoch seine Stifterrechte verlieren. Allgemein gewendet: Ein Vertragspartner wird immer die Rolle und Position des ursprünglich Vertragsschließenden und Begründer eines Rechtsverhältnisses haben, dennoch kann er aber der Rechte aus dem Vertrag verlustig gehen und kann das Rechtsverhältnis zur Gänze beendet werden. Das historische Faktum der Rechtsbegründung und der damit einhergehenden Beschreibung und Bezeichnung bleiben bestehen. Die Beendigung des Stiftungsverhältnisses oder jedenfalls von aktuellen Stifterrechten kann auf folgenden allgemeinen zivilrechtlichen Überlegungen gegründet werden, die sich sodann wieder in den stiftungsrechtlichen Rahmen einbetten lassen. 2. Ergänzende Vertragsauslegung – Sicherung des Stifterwillens Eine Privatstiftung entsteht durch den Errichtungsakt des schon angesprochenen Stiftungsgeschäfts.50 Die Einseitigkeit des Stiftungsgeschäfts besteht zwischen Stifter und Privatstiftung. Gründen mehrere Personen eine Privatstiftung, so vollziehen sie gemeinsam dieses Stiftungsgeschäft.51 Die Grundlage der Privatstiftung ist somit ein Rechtsgeschäft, das einerseits zwischen den Stiftern und der Privatstiftung und andererseits unter den Stiftern besteht. Ist in diesem Rechtsgeschäft eine Frage nicht normiert, nämlich das krasse Fehlverhalten eines Stifters zulasten des oder der anderen Stifter oder der Rechtsnachfolger eines Stifters, so ist offensichtlich, dass eine Lücke in diesem Rechtsgeschäft besteht. Für dieses Phänomen steht die ergänzende Vertrags- oder Rechtsgeschäftsauslegung gem. § 914 ABGB zur Verfügung. Eine ergänzende Auslegung ist nämlich vorzunehmen, wenn nach Vertragsabschluss oder Errichtung des Rechtsgeschäfts Probleme auftauchen, die die Parteien nicht bedacht und daher nicht geregelt haben, sofern das dispositive Recht dafür keine Regelung vorsieht.52 Im Konkreten hat der Stifter oder haben die Stifter bei Errichtung der Privatstiftung mögliche zukünftige Entwicklungen, die ihrem Willen nicht entsprechen, nicht bedacht und daher dafür keine Regelungen vorgesehen. 50 Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 25; Arnold, PSG3 § 3 Rz 26; Kalss, GesRZ 2017, 188; Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 81; V Hügel, JEV 2017, 70. 51 Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 81; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung 26 f. 52 OGH 7 Ob 255/06k; Bollenberger in KBB, ABGB5 § 914 Rz 8; Vonkilch in Kerschner/Welser/Vonkilch, Klang ABGB3 § 914 Rz 204 ff.; Binder/Kolmasch in Schwimann/ Kodek, ABGB4 § 914 Rz 177 ff.

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Zu denken ist dabei etwa insbesondere an das Fehlverhalten eines Stifters gegenüber den anderen Stiftern oder auch gegenüber Begünstigten der Privatstiftung, die vielfach zugleich oft Rechtsnachfolger der oder des Stifters sind. Das Fehlverhalten eines Stifters wird ja gerade deshalb häufig nicht geregelt, weil es in dieser Form für die Stifter, nämlich für sie selbst und nicht etwa für andere Personen, wie für Begünstigte, gegolten hätte. Vielfach ist es für sie dieses wechselseitige Fehlverhalten nicht vorherseh- und vorstellbar. Auch in Gesellschaftsverträgen wird zwar allgemein ein wichtiger Grund, nicht aber etwa ein grobes Fehlverhalten in Form einer körperlichen Attacke der Gründer, sondern eher der Rechtsnachfolger angesprochen. Ganz offenkundig liegt eine Vertrags- bzw. Rechtsgeschäftslücke vor. Diese kann auch erst durch eine spätere Entwicklung entstanden sein bzw. offenkundig werden.53 Zu schließen ist nach allgemeinen Zivilrecht eine Lücke zunächst mit dem hypothetischen Willen der Parteien des Rechtsgeschäfts, indem gefragt wird, was diese geregelt hätten, hätten sie diesen Fall bedacht. Die Regelung eines Verlusts der Stifterrechte ist eine naheliegende Regelung: Wäre das Fehlverhalten bedacht worden, so spricht viel für die Regelung des Verlusts der Stifterrechte bei einem krassen Fehlverhalten zulasten der anderen Stifter. Somit kann durch ergänzende Auslegung zivilrechtlich dieses Ergebnis erreicht werden. 3. Treuwidrige Herbeiführung eines Bedingungseintritts Deutlich wird auch die zivilrechtliche Parallele der Rechtsfolgen bei treuwidriger Herbeiführung eines Bedingungseintritts. Solange eine Bedingung noch nicht eingetreten ist, besteht ein Schwebezustand, bei dem ein Rechtsgeschäft noch nicht perfekt ist, dennoch bestehen aber bereits Rechtsbindungen. In diesem Schwebezustand zwischen Vereinbarung der Bedingung und Bedingungseintritt gilt der allgemeine Rechtssatz, dass niemand daraus einen Vorteil ziehen darf, in dem er treuwidrig den Ablauf der Ereignisse zu seinen Gunsten beeinflusst.54 Eine Bedingung gilt daher als ausgefallen, sofern der, zu dessen Vorteil sie gereichen würde, ihren Eintritt wider Treu und Glauben herbeiführt. § 162 Abs. 2 BGB formuliert dies ausdrücklich, im ABGB fehlt diese Regelung. Sie entspricht aber klar der herrschenden Meinung.55 Welches Verhalten der Beteiligten hätte den Grundsät53 OGH 3 Ob 191/11a; Bollenberger in KBB, ABGB5 § 914 Rz 8; Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang ABGB3 § 914 Rz 103 ff.; Binder/Kolmasch in Schwimann/ Kodek, ABGB4 § 914 Rz 23. 54 Koziol-Welser/Kletecka, Bürgerliches Recht I15 (2019) Rz 609; Kletecka, Ersatz- und Nacherbschaft (1999) 71 ff.; Knütel, Zur sogenannten Erfüllungs- und Nichterfüllungsfiktion bei der Bedingung, JBl 1976, 613. 55 OGH RIS-Justiz RS0015330; Koziol-Welser/Kletecka, Bürgerliches Recht I15 Rz 609; Beck in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 § 897 Rz 70.

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zen von Treu und Glauben im konkreten Rechtsgeschäft entsprochen?56 Dabei handelt es sich um eine Form der ergänzenden Vertragsauslegung nach § 914 ABGB.57 Wendet man diese Überlegungen auf eine Privatstiftung an, so bedeutet dies, dass der Stifter, der gegen Treu und Glauben den Bedingungseintritt, etwa bei gestaffelten Stifterrechten die Aktualisierung der Stifterrechte durch Beseitigung eines anderen Stifters, herbeiführt, durch die Nichterfüllungsfiktion sanktioniert wird. Somit wird fingiert, dass die Bedingung nicht eingetreten ist. Dem Stifter soll durch die – so herbeigeführte – Aktualisierung der Stifterrechte zu seinen Gunsten der Eingriff in die Stiftungserklärung, etwa Änderung der Begünstigten, der Höhe der Zuwendungen etc., gerade nicht ermöglicht werden. Daher kommen ihm nach wie vor keine Stifterrechte zu. Die allgemeine zivilrechtliche Figur der treuwidrigen Herbeiführung einer Bedingung fügt sich somit in die allgemeine zivilrechtliche Überlegung der ergänzenden Vertragsauslegung ein. 4. Parallele zur Erbunwürdigkeit Der Verlust eines Stifterrechts, insbesondere des Änderungsrechts eines Stifters, lässt sich auch mit einer Parallele zur Erbunwürdigkeit begründen.58 Die Erbberechtigung steht der Begünstigung aus einer Privatstiftung und einer Stifterstellung aus erbrechtlicher Sicht nahe. Dies hat der österreichische Gesetzgeber in der Erbrechtsnovelle 2015 in § 781 Abs. 2 ABGB anerkannt. Die Einräumung einer Begünstigtenstellung wird gem. § 781 Abs. 2 Z 5 ABGB nunmehr ausdrücklich als wirtschaftliche Schenkung im Sinne des Erbrechts normativ festgelegt.59 Die Einräumung der Stifterstellung wurde nicht explizit als wirtschaftliche Schenkung tituliert. Sie wurde aber im Rahmen der Generalklausel gem. § 781 Abs. 2 Z 6 ABGB als wirtschaftliche Schenkung im Sinne des Erbrechts von der Judikatur60 und von der Literatur als wirtschaftliche Schenkung im Sinne des Erbrechts qualifiziert.61 Dies ist auch naheliegend: Ein Begünstigter erhält eine Zuwendung, somit einen vermögensmäßigen Vorteil von der Stiftung. Der Stifter könnte sich diesen 56

Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II3 (1979) 717. Knütel, Erfüllungs- und Nichterfüllungsfiktion bei der Bedingung, JBl 1976, 613, 615 f.; Beck in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 § 897 Rz 70; ferner Vonkilch, Kausalitäts- und Beweislastfragen bei der treuwidrigen Bedingungsverwirklichung, Zak 2019, 244. 58 Zur Parallele des Verlusts der Begünstigtenstellung und Erbunwürdigkeit: Schauer, GesRZ 2000, 231 ff. 59 Welser, Erbrechtskommentar (2018) § 781 ABGB Rz 36. 60 OGH 2 Ob 98/17a, GesRZ 2018, 191. 61 Klampfl, GesRZ 2018, 69 ff.; Klampfl, Privatstiftung und Pflichtteilsrecht (2018) 110 f.; Kalss, Die pflichtteilsrechtliche Anrechnung im Stiftungsrecht, in Wertmaßstäbe – Wiener Bilanzrechtstage 2018, 147, 166 ff. 57

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vermögensmäßigen Vorteil, d.h. eine Zuwendung, etwa 10.000 Euro oder eine Liegenschaft, eine Beteiligung oder das sonstige Vermögen der Privatstiftung, – gleichsam mit einer Schöpfkelle – in Ausübung des Änderungsrechts aus der Stiftung herausholen und die Stiftung vermögensmäßig „ausräumen“. Die Begünstigtenstellung und das Änderungsrecht des Stifters werden insofern erbrechtlich vollkommen gleichgestellt. Dies ist auch sachgerecht und naheliegend. Die Gleichstellung zeigt, dass ein Fehlverhalten, das zu Erbunwürdigkeit und damit zur Disqualifikation als Begünstigter führt,62 auch zur Disqualifikation der Stifterrechte führen muss und daher der Stifter genau diese Rechte, die zum wirtschaftlich äquivalenten Ergebnis führen, nicht mehr ausüben darf. Er verliert gerade diese Stifterrechte. Er würde nämlich durch diese mangelnde Ausdehnung der Rechtsfolgen wirtschaftlich genau diese Vorteile an sich lösen können, die ihm sonst von der Rechtsordnung nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen verwehrt werden. Daher ist es auch aus dieser Parallele naheliegend, die Rechtsfolge redlicher und vernünftiger Vertragsparteien herbeizuführen und damit die Stifterrechte insofern zum Erlöschen zu bringen. 5. Ausschluss aus einer Rechtsgemeinschaft Schließlich ist eine Parallele zur Rechtsgemeinschaft und zur GesbR hilfreich. Zwar ist die Stiftergemeinschaft eine eigenständig stiftungsrechtlich geprägte Rechtsgemeinschaft und keine GesbR. Jedenfalls ist aber anerkannt, dass auf eine Stiftergemeinschaft bei entsprechender Gestaltung der Stifterrechte und Einwirkungsmöglichkeiten die Wertungen der GesbR anzuwenden sind.63 Daraus folgt, dass die Wertung gem. §§ 1210 i.V.m. 1213 ABGB, somit der Ausschluss aus wichtigem Grund, auch auf eine Stiftergemeinschaft anwendbar ist, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Ein wichtiger Grund liegt bei objektivem Fehlverhalten und Untragbarkeit für die Rechtsgemeinschaft vor.64 Bei einem krassen Fehlverhalten eines Stifters gegenüber andere Mitglieder der Rechtsgemeinschaft ist er für die Rechtsgemeinschaft, eben die Stiftergemeinschaft, und damit für die Privatstiftung untragbar. Somit ist auch unter diesem Aspekt der einseitige Entzug der Stifterrechte wertungsmäßig in § 1213 ABGB für die Stiftergemeinschaft klar angelegt. Insgesamt zeigen sich somit für das Dauerrechtsverhältnis Stifter – Privatstiftung auch Korrekturmöglichkeiten wegen zukunftsgerichteter Fehlentwicklungen gegen den Stifterwillen. 62

Schauer, GesRZ 2000, 231, 241 ff. Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 81. 64 Weber, Der wichtige Grund für Gesellschafterausschluss und Abberufung des Geschäftsführers (2016) 66 ff., 148. 63

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IX. Stiftungsrechtliche Umsetzung Stiftungsrechtlich greift in diesem Fall § 33 Abs. 2 PSG. § 33 Abs. 2 PSG ist Ausdruck der Beachtlichkeit des Zukunftsirrtums (vgl. oben 2.3.) bei stiftungsrechtlichen Dauerrechtsverhältnissen.65 Stifterrechte können nur zum Teil übertragen werden. Das Änderungsund Widerrufsrecht können als höchstpersönliche Rechte weder vererbt noch unter Lebenden übertragen werden.66 Jedenfalls ist aber ein Verzicht auf die Stifterrechte möglich. Zu dessen Wirksamkeit muss die Stiftungserklärung geändert werden. Der wirksame zivilrechtliche Verzicht durch den Stifter verlangt daher auch eine Änderung der Stiftungserklärung.67 Damit ist die zivilrechtliche Gestaltung des Verzichts stiftungsrechtlich nachzuziehen und auch die Stiftungserklärung zu ändern. Bei mehreren änderungsbefugten Stifter bedarf es der Zustimmung der anderen Stifter. Sie sind zur Zustimmung verpflichtet.68 Sowohl die Änderung der Stiftungsurkunde gem. § 33 Abs. 3 Satz 2 PSG als auch jene der Zusatzurkunde wird erst mit der Eintragung der Änderung einerseits bzw. mit der Eintragung der Tatsache der Änderung in das Firmenbuch andererseits wirksam.69 Die Eintragung ist konstitutiv.70 Das stiftungsrechtliche Nachziehen hängt davon ab, ob noch weitere änderungsbefugte Stifter, denen das Änderungsrecht zukommt, vorhanden sind, somit ein änderungsbefugter Stifter außer dem Stifter, dessen Stifterrechte zivilrechtlich erloschen sind, oder ob kein Stifter mehr vorhanden ist bzw. die Stifter nicht einig oder willens sind, diese Änderung vorzunehmen. Der Stiftungsvorstand hat generell subsidiär das Änderungsrecht, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, nämlich, wenn sich der Stifter ein Änderungsrecht nicht vorbehalten hat, wenn der änderungsberechtigte Stifter weggefallen ist oder wenn die änderungsberechtigten Stifter bei Ausübung des Änderungsrechts uneinig sind (§ 33 Abs. 2 PSG). Ist der änderungsberechtigte Stifter weggefallen bzw. ist sein Recht erloschen, greift somit das Änderungsrecht des Stiftungsvorstands. Das Ände-

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Schauer, GesRZ 2000, 231, 243. Berger in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG (1995) § 33 Rz 32; Kalss, Wie hat der Stiftungsvorstand bei der Änderung der Stiftungserklärung vorzugehen?, GesRZ 2018, 165, 166. 67 OGH 6 Ob 18/17a; OLG Wien 28 R 258/05z, NZ 2007/94; Kalss, GesRZ 2018, 166. 68 OGH 6 Ob 18/07a; Kalss in Kalss/Torggler, Treuepflichten 94; Kalss, GesRZ 2018, 166. 69 OGH 6 Ob 95/15m, GesRZ 2015, 333 (R Briem). 70 OGH 6 Ob 18/07a; OGH 6 Ob 95/07z, GesRZ 2007, 434; OGH 6 Ob 101/11b, GesRZ 2012, 270; OGH 6 Ob 157/12z, GesRZ 2013, 103. 66

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rungsrecht des Stiftungsvorstands bedarf – anders als das Änderungsrecht des Stifters – gerade keines Vorbehalts in der Stiftungsurkunde. Es besteht nämlich von Gesetzes wegen.71 Dieses Änderungsrecht kann dem Stiftungsvorstand wegen der Notwendigkeit des Bestehens eines Anpassungsinstruments auch nicht durch eine entsprechende Bestimmung in der Stiftungsurkunde genommen werden. Das Fehlverhalten des Stifters bewirkt die geänderten Verhältnisse im Sinn von § 33 Abs. 2 PSG.72 Das Recht des Stiftungsvorstands ist jedoch beschränkt. Er darf eine Anpassung an geänderte Verhältnisse nur vornehmen, soweit dies zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Stiftung überhaupt notwendig ist. Jedenfalls hat der Stiftungsvorstand keine Anpassungsmöglichkeit des Stiftungszwecks selbst.73 Die Änderung der Begünstigtenregelung muss aber gerade keine Zweckänderung sein. Allein wenn eine Person aus der Begünstigtengruppe ausgeschlossen wird, bedeutet dies noch nicht unbedingt eine Zweckänderung. Die Beseitigung des Änderungsrechts als Instrument zur Vermögensauskehr zugunsten des Stifters bewirkt ebenfalls als solche noch nicht die Zweckänderung. Der Stiftungsvorstand ist nur berechtigt, eine Änderung vorzunehmen, wenn geänderte Verhältnisse vorliegen, soweit dies zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Stiftung überhaupt notwendig ist. Die geänderten Verhältnisse liegen klar vor, wenn ein krasses Fehlverhalten des Stifters gegenüber anderen Stiftern oder Begünstigten dem Umstand der Änderung vorausgegangen ist. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass die Sanktionierung dieses Fehlverhaltens dem Stifterwillen – insbesondere bei Ausübbarkeit der Stifterrechte durch mehrere Personen – entspricht. Der Stiftungsvorstand hat das Recht auf Änderung der Stiftungserklärung allerdings nur, wenn der Stifter kein Recht zur Änderung hat.74 Eine parallele Zuständigkeit besteht nur in bestimmten Situationen, nämlich wenn der Stifter sich das Recht nicht vorbehalten hat oder das Änderungsrecht nur eingeschränkt besteht oder wenn das Änderungsrecht zeitlich erloschen ist, weil sich der Stifter das Änderungsrecht nur einen bestimmten Zeitraum lang vorbehalten hat. Auch bei einem nachträglichen Verzicht auf die Ausübung des Änderungsrechts durch den Stifter insgesamt oder für bestimmte Bereiche aktualisiert sich das Änderungsrecht des Stiftungsvorstands. Es lebt in diesem Ausmaß auf.75 71

Arnold, PSG3 § 33 Rz 55; Kalss, GesRZ 2018, 166. Schauer, GesRZ 2000, 233, 243; Kalss, GesRZ 2018, 166 f. 73 OGH 6 Ob 198/13f; Motal, Gedanken zum Änderungsrecht des Stiftungsvorstands gem § 33 Abs 2 PSG sowie zur Auslegung von Stiftungserklärungen, GesRZ 2015, 185, 192; Simonishvili, PSR 2015, 60; Kalss, GesRZ 2018, 166. 74 1132 BlgNR 18. GP 33; Zollner, Eigennützige Privatstiftung 221; Simonishvili, PSR 2015, 56; Kalss, GesRZ 2018, 167. 75 Arnold, PSG3 § 33 Rz 36; Simonishvili, PSR 2015, 59; Kalss, GesRZ 2018, 167. 72

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Zeitlich sind daher zunächst noch allfällig vorhandene – belastete – Stifter zur Änderung berufen. Allein wenn sie sich in ihrer Ausübung uneinig sind, greift bereits das Änderungsrecht des Stiftungsvorstands, nämlich das Erlöschen der Stifterrechte des einen Stifters in der Stiftungserklärung nachzuziehen. Dieses Recht kommt dem Stiftungsvorstand sofort zu, sofern der änderungsberechtigte Stifter der letzte änderungsberechtigte Stifter war. Die zivilrechtliche Folge des Verlusts des Stifterrechts ist somit – ähnlich wie bei einem rechtsgeschäftlichen Verzicht von Stifterrechten durch den Stifter – stiftungsrechtlich durch Änderung der Stiftungserklärung nachzuzeichnen und stiftungsrechtlich wirksam zu machen. Bereits vorher ist der Stifter – ähnlich wie bei einem Verzicht – nicht mehr berechtigt und verstößt gegen die rechtsgeschäftliche Erklärung, eine Änderung vorzunehmen. Eine allfällige Eintragung einer Änderung eines nicht mehr änderungsberechtigten Stifters in das Firmenbuch könnte nachträglich trotz Eintragung als unwirksam festgestellt werden.76

X. Resümee Das österreichische Privatstiftungsgesetz ist ein kurzes Gesetz, das oft nur Gestaltungsmöglichkeiten und Regelungsaufträge normiert, aber vielfach keine dispositiven Reserveregelungen vorsieht. Dadurch entstehen auf den ersten Blick bisweilen Regelungslücken und Unvollständigkeiten des Gesetzes oder der einzelnen Stiftungserklärung. Die Einbettung der Privatstiftung in das allgemeine Zivilrecht und das Gesellschaftsrecht ermöglicht den Rückgriff auf diese Regelungsbereiche und damit auch die Anleitung für sachgerechte Lösungen. So kann ein Stifter sein Änderungsrecht wegen eines Fehlverhaltens gegen andere Stifter oder Begünstigte gegen seinen Willen verlieren. Dies folgt aus dem allgemeinen Vertrags- und Erbrecht. Diese allgemeine zivilrechtliche Rechtsfolge ist stiftungsrechtlich durch eine Änderung der Stiftungserklärung durch etwaige verbleibende Stifter oder subsidiär durch den Vorstand nachzuziehen.

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OGH 6 Ob 122/17k; OGH 6 Ob 183/18g.

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Susanne Kalss

Kursrelevanz und Aufdeckungswahrscheinlichkeit

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Kursrelevanz und Aufdeckungswahrscheinlichkeit Lars Klöhn

Kursrelevanz und Aufdeckungswahrscheinlichkeit Zu dem Merkmal „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ in Art. 7 Abs. 1 MAR LARS KLÖHN

I. Einleitung Klaus Hopt ist nicht nur der Nestor des deutschen Kapitalmarktrechts, er ist auch der Pionier des europäischen Insiderrechts. Wer seine gemeinsam mit Michael Will verfasste Studie zum Europäischen Insiderrecht liest,1 kann kaum glauben, dass dieses Werk aus dem Jahr 1973 stammt und dass danach 16 Jahre vergehen mussten, bis die erste Insider-Richtlinie verabschiedet wurde.2 All dies legt es nahe, dem Jubilar einen Beitrag zum Insiderrecht zuzueignen. Das ist nicht einfach, denn es gibt in diesem Rechtsgebiet kaum eine Frage, die nicht ausführlich analysiert worden wäre – nicht zuletzt in einer der zahlreichen Publikationen des Jubilars.3 Mit einer solchen, bisher unbehandelten Frage hatte ich gleichwohl kürzlich im Rahmen eines Gutachtenauftrags zum alten Insiderrecht zu tun. Sie hat aus meiner Sicht das Potenzial, kurzzeitig zu einem Fixpunkt der wissenschaftlichen Diskussion zu werden – ähnlich wie zuvor etwa die Frage nach der hinreichenden Wahrscheinlichkeit i.R.v. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. (jetzt „vernünftigerweise zu erwarten“ i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MAR) oder nach den An1

Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973. Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, Abl. L 334 v. 18.11.1989, S. 30. 3 Zu nennen sind neben dem in Fn. 1 genannten Werk insbesondere Hopt, Insiderwissen und Interessenkonflikte im europäischen und deutschen Bankrecht, FS Heinsius, 1991, S. 289; ders. Europäisches und deutsches Insiderrecht, ZGR 1991, 17; ders. Grundsatzund Praxisprobleme nach dem Wertpapierhandelsgesetz, ZHR 159 (1995), 135; ders. Ökonomische Theorie und Insiderrecht, AG 1995, 353; ders. Das neue Insiderrecht nach §§ 12 ff. WpHG – Funktion, Dogmatik, Reichweite, in Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz in der praktischen Umsetzung – Bankrechtstag 1995, 1996, S. 3; ders. Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte: Probleme für Vorstände, Aufsichtsräte und Banken, ZGR 2002, 333; ders. Insiderrecht – Grundlagen Internationale Entwicklung, ökonomischer Hintergrund, offene Fragen, FS 25 Jahre WpHG, S. 503 sowie – last, but not least – das Kapitel von Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 107. 2

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knüpfungspunkten der Subsumtion von gestreckten Geschehensverläufen (vgl. mittlerweile Art. 7 Abs. 2 Satz 2 u. Abs. 3 MAR). Die Frage lautet: „Hängt die Kursrelevanz einer Insiderinformation von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit ab?“

II. Beispielsfall Die dogmatische und praktische Bedeutung der Frage erkennt man am besten an einem fiktiven Beispielsfall:4 Die Wissenschaftler des Emittenten E, eines Pharmaunternehmens, haben Testergebnisse gefälscht, um die Zulassung für ein Medikament zu erhalten, welches für die Wertschöpfung des E von überragender Bedeutung ist. Aufgrund der Fälschungen wird das Patent erteilt. Das Medikament ist wie erwartet ein großer Erfolg. Einige Zeit später erkennt eine Zulassungsbehörde die Fälschungen aufgrund eines glücklichen Zufalls. Der Kurs der E-Aktie bricht zusammen. E wird von Anlegern gem. § 97 WpHG verklagt, weil er die Fälschungen nicht im Wege der Ad-hoc-Publizität bekannt gegeben habe. In dem Prozess beruft E sich unter anderem darauf, die Fälschungen seien so geschickt gewesen, dass ihre Aufdeckungswahrscheinlichkeit extrem gering gewesen sei. Gerichtliche Sachverständige bestätigen, dass die Fälschungen in den üblichen Prüfverfahren, die von den Arzneimittelaufsichtsbehörden weltweit eingesetzt werden, nach aller Lebenswahrscheinlichkeit nicht aufgedeckt worden wären. Auch Konkurrenten hätten nicht hinter die Fälschungen kommen können, da die Wissenschaftler des E ihnen um Jahre voraus waren. E meint, dass die Information über die Fälschungen daher mangels Aufdeckungswahrscheinlichkeit keine Kursrelevanz gehabt habe. Kein verständiger Anleger hätte eine Anlageentscheidung auf diese Information gestützt, denn er hätte nicht davon ausgehen können, dass die Information jemals bekannt werden würde.

III. Rechtlicher Anknüpfungspunkt Ob E Recht hat, hängt davon ab, wie man das Merkmal „im Falle ihrer öffentlichen Bekanntheit“ in Art. 7 Abs. 1 MAR versteht. Bei bloßer Lektüre des Wortlauts scheint es naheliegend, dieses Merkmal im Sinne einer Fiktion zu lesen: „Im Falle ihrer öffentlichen Bekanntheit“ bedeutet demnach, dass die öffentliche Bekanntheit bei der Kursrelevanzprüfung zu unterstellen ist. Träfe dies zu, läge E falsch. Da die öffentliche Bekanntheit der Fälschungen zu unterstellen wäre, käme es auf ihre Aufdeckungswahrscheinlichkeit nicht an. 4 Es handelt sich um eine Abwandlung eines Beispielsfalles von Klöhn/Schmolke ZGR 2016, 866, 868.

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IV. Bestandsaufnahme 1. BGH Der BGH hat sich bisher nicht ausdrücklich mit dem Merkmal „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ auseinandergesetzt, obwohl dieses bereits bei Inkrafttreten des WpHG im Jahre 1994 in § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. enthalten war. Es spricht jedoch viel dafür, dass er bei der Kursrelevanzprüfung unterstellt, die Insiderinformation sei öffentlich bekannt geworden. Hielte der BGH die Aufdeckungswahrscheinlichkeit für relevant, hätten seine bisherigen Fälle allen Anlass gegeben, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Man denke nur an die (verdeckten) Pflichtverletzungen früherer Vorstände in dem Corealcredit-Fall5 oder an die direkten und indirekten Investitionen der IKB in den US-amerikanischen Subprime-Markt6. Vor allem aber gilt dies für das vertrauliche Gespräch zwischen Jürgen Schrempp und Hilmar Kopper, das nach dem Geltl-Beschluss des BGH als Gegenstand einer Insiderinformation in Betracht kommt.7 Der BGH schreibt dazu: „Als Zeitpunkt, zu dem eine Insiderinformation entstanden ist, kommt bereits das Gespräch des Zeugen Schrempp Mitte Mai mit dem Zeugen Kopper in Betracht. Insoweit bedarf es aber noch tatrichterlicher Feststellungen, ob zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Information i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. vorlag (Kursspezifität), ob diese Information geeignet war, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenkurs der Aktien der Musterbeklagten erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz), oder ob die Zustimmung des Aufsichtsrats hinreichend wahrscheinlich war.“8 Der BGH geht explizit davon aus, dass es auf die Kursrelevanz der Information über das Gespräch zwischen Schrempp und Kopper und folglich auf das öffentliche Bekanntwerden dieses Gesprächs ankommt.9 Das Gespräch zwischen Schrempp und Kopper war streng vertraulich, seine Aufdeckungswahrscheinlichkeit war unmittelbar nach seiner Beendigung aus einer Ex-ante-Perspektive vermutlich nahe null. Zwar existierte eine gewisse 5 BGH NJW-RR 2019, 38 Rn. 126 (Corealcredit): Insiderqualität in concreto verneint, auf die Aufdeckungswahrscheinlichkeit wird dabei jedoch nicht eingegangen. 6 BGHZ 192, 90 Rn. 35, 40 ff. (IKB): Insiderqualität bejaht, ohne die Aufdeckungswahrscheinlichkeit zu erwähnen. 7 BGH ZIP 2013, 1165 Rn. 13 ff. (Geltl). 8 BGH ZIP 2013, 1165 Rn. 13 (Geltl) (Hervorhebungen nur hier). 9 Ausdrücklich in diesem Sinne BGH ZIP 2013, 1165 Rn. 23 (Geltl): „Bei der Information über den Aufsichtsratsbeschluss, nach dem die Beendigung der Vorstandstätigkeit von Prof. Schrempp zum Jahresende praktisch sicher war, handelt es sich aber um eine andere Information als die Information über ein Gespräch über die Absicht, aus dem Vorstandsamt zum Jahreswechsel auszuscheiden.“

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Wahrscheinlichkeit, dass in der Folge das Ausscheiden Schrempps öffentlich bekannt würde. Dass jedoch das konkrete Gespräch Schrempp/Kopper öffentlich bekannt würde, war höchst unwahrscheinlich. Würde der BGH die Aufdeckungswahrscheinlichkeit einer Insiderinformation bei der Kursrelevanzprüfung berücksichtigen, hätte es nahegelegen, in den nächsten Randnummern der Entscheidung auf die Aufdeckungswahrscheinlichkeit des Gesprächs einzugehen. Der BGH tut dies jedoch mit keiner Silbe. Dies spricht dafür, dass er das Merkmal „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ als gesetzlich angeordnete Fiktion der öffentlichen Bekanntheit versteht. 2. Literatur Die rechtswissenschaftliche Literatur zum alten und neuen Insiderrecht hat bisher kaum tiefer hinterfragt, wie die Vorgabe „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ zu verstehen ist.10 In vielen Kommentaren, Handund Lehrbüchern bleibt das Merkmal unerwähnt. Selbst (gute) Dissertationen, die sich ausschließlich oder schwerpunktmäßig mit der Kurserheblichkeit von Insiderinformationen beschäftigen, gehen nicht näher auf dieses Merkmal ein.11 Diejenigen, die sich mit ihm auseinandersetzen, meinen geschlossen, dass das Merkmal als Vorgabe zu verstehen ist, bei der Kursrelevanzprüfung das sofortige öffentliche Bekanntwerden der Information zu unterstellen.12 Eine Gegenansicht wird – soweit ersichtlich – von niemandem vertreten.

V. Rechtliche Analyse 1. Wortlaut Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 MAR ist zwar nicht vollkommen eindeutig. Es spricht aber schon nach dem Textbefund viel dafür, dass die öffentli10

Ebenso Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 13 Rn. 143: „es wird in der Literatur aber nicht weiter erörtert.“ 11 So Kruse, Die Preiserheblichkeit von Insiderinformationen, 2010, S. 41 ff., 151 ff.; Dirigo, Haftung für fehlerhafte Ad-hoc-Publizität, 2011, S. 56 ff. 12 Vgl. schon Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad hoc-Publizität, 1996, S. 21: „(Der Insider) muß sich fragen, wie sich die zunächst nur ihm bekannte Tatsache auf die Marktlage auswirken würde, wenn sie allgemein bekannt wäre.“ Gleichsinnig Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 13 Rn. 143 („hypothetisch-kausalem Zusammenhang mit ihrem öffentlichen Bekanntwerden“); mit vorbildlicher Klarheit Diversy/Köpferl in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 38 WpHG Rn. 151: „Es ist die Hypothese aufzustellen, (die Information) würde öffentlich bekannt und dann die Prognose anzustellen, ob sich dies erheblich auf den Preis auswirkt.“

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che Bekanntheit der Information bei der Kursrelevanzprüfung zu unterstellen ist. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Kursrelevanz von der Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängt, hätte es nahegelegen, den Zusatz „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ schlicht wegzulassen. Art. 7 Abs. 1 MAR würde dann lauten: „Eine Insiderinformation ist eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannt Umstände, (...) die geeignet (ist), den Börsen- und Marktpreis erheblich zu beeinflussen.“

Es wäre dann selbstverständlich, dass die Kursrelevanz auch (und vor allem) von der Aufdeckungswahrscheinlichkeit der Information abhängen würde, denn die öffentliche Bekanntheit der Information wäre eine notwendige Bedingung dafür, dass die Information im Kurs reflektiert würde. Die Einfügung des Zusatzes „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ ist demgegenüber sehr sinnvoll, wenn der Gesetzgeber die Kursrelevanzprüfung von Fragen der Aufdeckungswahrscheinlichkeit befreien wollte. Die Worte „im Falle“ bringen zum Ausdruck, dass die Prüfung der Kursrelevanz der – tatsächlich nicht öffentlich bekannten – Information unter der kontrafaktischen Annahme geschehen soll, die Information sei öffentlich bekannt. 2. Systematik a) Zusammenspiel von Ad-hoc-Publizität und Insiderinformation Diese Vermutung wird durch einige rechtssystematische Erwägungen bestätigt. Gem. Art. 17 Abs. 1 MAR müssen Emittenten bekanntlich alle Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen. Würde man die Kursrelevanz einer Information von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängig machen, müsste man bei der Ermittlung der Kursrelevanz ad-hoc-pflichtiger Insiderinformationen die Ad-hocPflicht ausblenden, da ansonsten stets von einer Aufdeckungswahrscheinlichkeit von 100% auszugehen wäre. Damit würde man dem europäischen Gesetzgeber eine widersprüchliche Regelung unterstellen: Zwar wollte er, dass ad-hoc-pflichtige Insiderinformationen grundsätzlich unverzüglich veröffentlicht werden. Diese Pflicht sollte aber nur Informationen erfassen, die mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit außerhalb der Ad-hoc-Publizität aufgedeckt werden würden, und zwar obwohl der Gesetzgeber die Ad-hoc-Pflicht gerade mit der Insiderqualität der Information verknüpft. Das ist abwegig. Systematisch stimmig ist die Regelung hingegen unter der Annahme, dass das öffentliche Bekanntwerden bei der Ermittlung der Kursrelevanz gem. Art. 7 Abs. 1 MAR zu unterstellen ist. Die öffentliche Bekanntheit ist deshalb zu un-

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terstellen, weil Emittenten ad-hoc-pflichtige Insiderinformationen gem. Art. 17 Abs. 1 MAR grundsätzlich unverzüglich veröffentlichen müssen. b) Das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit und der Tätigkeitsbereich des Emittenten Die Ansicht, die Kursrelevanz einer Information hinge von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit ab, steht in einem nicht auflösbaren Wertungswiderspruch zu dem Erfordernis der „unmittelbaren Betroffenheit“ in Art. 17 Abs. 1 MAR. Mit diesem Merkmal grenzt die MAR die ad-hocpflichtigen von den übrigen Insiderinformationen ab, die zwar den Insiderverboten, nicht aber der Ad-hoc-Publizität unterfallen. Erklären kann man diese Begrenzung mit dem Gedanken der Informationskosten: Die Ad-hocPublizitätspflicht soll auf diejenigen Informationen beschränkt sein, bei deren Suche, Aufklärung und Verifizierung der Emittent typischerweise einen komparativen Kostenvorteil gegenüber allen anderen Marktteilnehmern hat.13 Wäre der Begriff der Insiderinformation auf Informationen beschränkt, bei denen eine hinreichende Aufdeckungswahrscheinlichkeit besteht, ergäbe die Konzentration der Ad-hoc-Publizität auf Insiderinformationen, die den Emittenten unmittelbar betreffen, kaum einen Sinn. Zu diesen Informationen gehören insbesondere solche, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind (vgl. klarstellend § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F.). Von diesen Informationen erfährt der Emittent quasi en passant während seiner Geschäftstätigkeit. Sie sind daher paradigmatische Beispiele ad-hoc-pflichtiger Informationen – man denke etwa an Maßnahmen des Vorstands und anderer Organe, Vertragsabschlüsse oder die Abgabe von Willenserklärungen.14 Diese Informationen sind typischerweise nur den Organen und Mitarbeitern des Emittenten bekannt, die entweder gesellschaftsrechtlich und/oder aufgrund ihres Anstellungsvertrags gegenüber dem Emittenten zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Informationen aus dem Tätigkeitsbereich des Emittenten wären also nur dann kursrelevant und ad-hoc-pflichtig, wenn davon auszugehen wäre, dass diese Personen gegen ihre Geheimhaltungspflichten verstoßen würden. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht für Informationen aus dem Tätigkeitsbereich des Emittenten wäre nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Selbstverständlich geht Art. 17 Abs. 1 MAR ersichtlich nicht hiervon aus und ist bisher von niemandem in diesem Sinne verstanden worden. Art. 17 Abs. 1 MAR zeigt vielmehr, dass Fragen der Aufdeckungswahrscheinlich13

Klöhn, MAR, 2018, Art. 17 Rn. 69; Klöhn WM 2010, 1869, 1878. Mit Blick auf § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG aF Klöhn in Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Aufl. 2014, § 15 Rn. 77; Zimmer/Kruse in Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 15 Rn. 35. 14

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keit bei der Kursrelevanzprüfung außer Betracht bleiben sollen. Der Adhoc-Publizität sollen gerade solche Informationen unterfallen, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten entstanden sind und daher nur von dem Emittenten, nicht aber von anderen aufgedeckt werden können, die also eine Aufdeckungswahrscheinlichkeit von null oder nahezu null haben. c) Aufschub der Ad-hoc-Publizität Die Regelung der Ad-hoc-Publizität zeigt noch an anderer Stelle, dass die öffentliche Bekanntheit der fraglichen Information bei der Kursrelevanzprüfung zu unterstellen ist. Gem. Art. 17 Abs. 4 MAR kann der Emittent die Ad-hoc-Pflicht aufschieben, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der Emittent muss ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung der Information haben, es darf keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten sein, und der Emittent muss die Vertraulichkeit der Information gewährleisten können. Es sollte offensichtlich sein, dass der europäische Gesetzgeber in Art. 17 Abs. 4 MAR davon ausgeht, dass eine Information kursrelevant sein kann, obwohl bis auf Weiteres nicht mit ihrer Aufdeckung zu rechnen ist. Wären Informationen nur bei hinreichend hoher Aufdeckungswahrscheinlichkeit kursrelevant, würde Art. 17 Abs. 4 MAR nur Fälle relativ kurzen Publizitätsaufschubs erfassen. Bei längerem Publizitätsaufschub entfiele aufgrund der niedrigen Aufdeckungswahrscheinlichkeit schon die Kursrelevanz, so dass es mangels einer ad-hoc-pflichtigen Insiderinformation paradoxerweise gar nicht mehr auf die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR ankäme. Dass der europäische Gesetzgeber eine solche widersprüchliche Regelung treffen wollte, ist nicht anzunehmen, zumal bei Beginn der Geheimhaltung häufig nicht vorhersehbar ist, wie lange der Aufschub dauern wird. Im Gegenteil, Art. 17 Abs. 4 MAR will den Aufschub der Publizität gerade auch dann ermöglichen, wenn bis auf Weiteres nicht mit der Aufdeckung der Information zu rechnen ist.15 Dies ist sogar eine wesentliche Voraussetzung des Publizitätsaufschubs: die der Gewährleistung der Vertraulichkeit (!). Selbst wenn man die vorstehenden Überlegungen ausblendet, stünde die Ansicht, die Kursrelevanz einer Information sei von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängig, in einem Wertungswiderspruch zu Art. 17 Abs. 4 MAR. Sie würde nämlich einen neuen Vermeidungsgrund der Adhoc-Publizität schaffen: das „kalte“ Unterdrücken der Information. Emittenten hätten zwei Wege, um der Ad-hoc-Pflicht zu entgehen. Entweder sie genügen den Anforderungen des Art. 17 Abs. 4 MAR, oder sie sorgen dafür, dass die Aufdeckungswahrscheinlichkeit der Information gering ist. Die 15 S. etwa Klöhn, MAR, 2018, Art. 17 Rn. 291 (keine Höchstdauer der Befreiung gem. Art. 17 Abs. 4 MAR); zum alten Recht etwa Pfüller in Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 15 Rn. 288 („längerfristige Selbstbefreiung“).

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letzte Option würde die Regelung des Art. 17 Abs. 4 MAR offensichtlich konterkarieren: • Durch das Unterdrücken der Insiderinformation könnten Emittenten die Ad-hoc-Pflicht auch dann vermeiden, wenn sie kein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hätten. • Sie könnten den Markt in die Irre führen, ohne befürchten zu müssen, dass dadurch die Ad-hoc-Publizität ausgelöst würde (mangels Aufdeckungswahrscheinlichkeit gäbe es keine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation). • Sie bräuchten die unterdrückte Information nicht in ihre Insider-Compliance-Struktur einzupflegen, also zB keine Insiderlisten und weitere Dokumentation anlegen. 3. Telos Würde man die Kursrelevanz einer Insiderinformation von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängig machen, stünde dies schließlich in – teils eklatantem – Widerspruch zu dem Zweck der Ad-hoc-Publizität und der Insiderverbote. a) Ad-hoc-Publizität Zweck der Ad-hoc-Publizität ist die schnelle und umfassende Versorgung des Kapitalmarktes mit präzisen, bislang nicht öffentlich bekannten, kursrelevanten Informationen. Dies fördert die Effizienz der Kapitalmärkte,16 beugt Insiderhandel vor17 und stärkt das Vertrauen in die Integrität der Kapitalmärkte18. Hinge die Kursrelevanz von der Aufdeckungswahrscheinlichkeit ab, würde die Ad-hoc-Publizität nur solche Informationen erfassen, die ohnehin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufgedeckt würden. Dies würde die Reichweite der Ad-hoc-Pflicht zweckwidrig einschränken. Die Ad-hocPublizität wäre nicht Motor, sondern nur Katalysator, also nicht Antrieb, sondern nur Beschleunigungsmittel der Kapitalmarktinformation. Zudem würde die Ad-hoc-Publizitätspflicht grundsätzlich gerade nicht solche Informationen erfassen, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten 16 BGH ZIP 2013, 1165 Rn. 34 (Geltl); Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 255; Hopt ZHR 159 (1995), 135, 147; Kersting ZBB 2011, 442, 446; Seibt ZHR 177 (2013), 387, 393. 17 Begr RegE 2. FMFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 34; Begr RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/ 3174, S. 34 f.; Zimmer/Kruse in Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 15 WpHG Rn. 7; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 255; Hopt ZHR 159 (1995), 135, 147. 18 Begr RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, S. 34; Zimmer/Kruse in Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 15 WpHG Rn. 8.

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sind und daher nur den zur Geheimhaltung verpflichteten Organen und Mitarbeitern des Emittenten bekannt sind, sondern wäre auf Informationen beschränkt, die in der öffentlichen oder halb-öffentlichen Sphäre entstanden sind und den Emittenten gleichwohl unmittelbar betreffen.19 Unter teleologischen Gesichtspunkten spricht nichts für eine solche Einschränkung der Ad-hoc-Publizitätspflicht. Im Gegenteil: Wenn die Ad-hocPublizität die o.g. Ziele erreichen will, muss sie gerade die Informationen erfassen, die in der Sphäre des Emittenten entstanden sind und die nicht ohnehin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an den Markt gelangen würden. Wäre die Ad-hoc-Pflicht auf Informationen mit hinreichend hoher anderweitig begründeter Aufdeckungswahrscheinlichkeit begrenzt, würde diese Pflicht zudem die Menge der in Kapitalmarktpreisen reflektierten Informationen gar nicht erhöhen (!). Sie würde nur schneller bekanntmachen, was mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch auf anderem Wege bekannt werden würde. Sie würde also nur die relative Effizienz der Märkte erhöhen (die Zeit, mit der Informationen in Kapitalmarktpreisen reflektiert werden20), nicht aber deren Informations- und Allokationseffizienz (die Anzahl der Informationen, die in Kapitalmarktpreisen zutreffend reflektiert werden21). Es sollte offensichtlich sein, dass eine solche einschränkende Auslegung nicht dem Zweck der Ad-hoc-Pflicht entsprechen würde. b) Insiderverbote Die Ansicht, die Kurserheblichkeit hinge von der Aufdeckungswahrscheinlichkeit ab, widerspricht schließlich dem Zweck der Insiderverbote. Bekanntlich beruhen diese Verbote auf einem Grundprinzip, das auch in der deutschsprachigen Diskussion griffig als „Disclose, or abstain“ zusammengefasst wird. Demnach hat derjenige, der über eine Insiderinformation verfügt, nur zwei Handlungsmöglichkeiten: die öffentliche Bekanntgabe der Information, so dass diese ihre Eigenschaft als Insiderinformation verliert, oder das Absehen von Handel, Weitergabe und Empfehlung.22 Hinge die Kursrelevanz einer Information von der Aufdeckungswahrscheinlichkeit ab, hätte der Insider eine allzu leichte Möglichkeit, diesen Grundsatz zu umgehen, nämlich das Unterdrücken der Information.23 Gelänge es dem Insider, die Aufdeckungswahrscheinlichkeit so zu reduzieren, dass die Information 19

S. bereits o. V.2.b). Zu diesem Begriff Gilson/Kraakman, 70 Va. L. Rev. 549, 560 (1984); Klöhn in Langenbucher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2017, § 6 Rn. 6. 21 Zu diesen Begriffen Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 16 ff.; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 60. 22 Vgl. statt aller Grundmann DStR 2004, 232. 23 S. bereits o. V.2.c) mit Blick auf die Ad-hoc-Publizität. 20

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ihre Kursrelevanz und damit Insiderqualität verliert, würden die Insiderverbote nicht mehr gelten. Es müsste dann konsequent „Disclose, abstain, or suppress“24 heißen. Dies wäre nicht weniger als eine Umkehrung des obersten insiderrechtlichen Prinzips: Nach dem Satz „Disclose, or abstain“ kann man den Insiderverboten nur durch die Veröffentlichung der Information entgehen. Wäre die Kursrelevanz von der Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängig, könnte man den Insiderverboten durch das Unterdrücken der Information entgehen, also durch das exakte Gegenteil der Veröffentlichung. Selbstverständlich liegt ein solcher Grundsatz dem europäischen Recht nicht zugrunde. 4. Insiderrechtliche Kontrollüberlegung Das bisherige Zwischenergebnis ist eindeutig. Es ergab sich unter grammatikalischen, systematischen und teleologischen Gesichtspunkten kein Argument dafür, dass die Kursrelevanz einer Information von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängt. Alles deutet darauf hin, dass die öffentliche Bekanntheit der Information im Rahmen der Kursrelevanzprüfung zu unterstellen ist. Das einzige Argument, das prima facie für die gegenteilige Auslegung sprechen könnte, ist ein Gedanke, den man am einfachsten nachvollziehen kann, wenn man den obigen Beispielsfall ein wenig fortbildet: M ist Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung des E. Er erfährt von den Fälschungen. Er weiß, dass die Fälschungen von Unbeteiligten kaum aufgedeckt werden können. Zudem ist die Zahl der Mitwisser noch so gering und die Gruppe der Mitwisser so verschworen, dass es aus Sicht des M so gut wie ausgeschlossen erscheint, die Fälschungen würden in naher Zukunft aufgedeckt. M veräußert Aktien des E an der Börse, wobei er davon ausgeht, dass der Gesetzesverstoß niemals aufgedeckt werden wird. Hat M Insiderhandel begangen?

Es wäre sehr befremdlich, wenn M Insiderhandel begangen hätte. Da er davon ausging, dass der Gesetzesverstoß niemals aufgedeckt wird, wollte er auch keinen Vorteil aufgrund seines Insiderwissens erzielen. Nach seiner Vorstellung war ausgeschlossen, dass sein Sonderwissen jemals im Kurs reflektiert werden würde. Würde die Kursrelevanz einer Insiderinformation von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängen, hätte M schon nicht auf der Grundlage einer Insiderinformation gehandelt. Da die Aufdeckungswahrscheinlichkeit sehr gering war, wäre die Information, über die M verfügte, auch nicht kursrelevant gewesen. Er hätte deshalb nicht gegen das Insiderhandelsverbot verstoßen. 24

Oder gleichbedeutend „Disclose, or abstain, if not suppressed“.

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Ist dieses Ergebnis anders, wenn man bei der Kursrelevanzprüfung unterstellt, die Information über die Gesetzesverstöße sei öffentlich bekannt geworden? Die Antwort lautet „nein“. Zwar hat M in Kenntnis einer Insiderinformation gehandelt, denn „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ hätte die Information über die Gesetzesverstöße zu einem erheblichen Kursrückgang geführt. M hat diese Insiderinformation aber nicht genutzt i.S.v. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR. Nach einhelliger Ansicht setzt die Nutzung der Insiderinformation voraus, dass die Insiderinformation kausal für den Handelsentschluss des Insiders wird.25 Dies gilt auch nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Spector Photo Group26 und deren Inkorporation in Artt. 8, 9 MAR, da diese Entscheidung nur die Darlegungs- und ggf. auch die Beweislast geändert, nicht aber das Kausalitätserfordernis abgeschafft hat.27 An dieser Kausalität fehlt es in dem Beispiel: Da M davon ausging, dass die Insiderinformation über die Gesetzesverstöße niemals öffentlich bekannt werden würde, nahm er an, dass der Börsenkurs niemals wegen dieser Information sinken würde. Sein Insiderwissen war mithin keine Ursache seines Verkaufsentschlusses; es floss nicht in seine Handlung mit ein. Dies ist der entscheidende Unterschied zwischen dem Fall des M und dem paradigmatischen Fall des Insiderhandels, in dem der Insider nach dem Kauf oder Verkauf der Wertpapiere dafür sorgt, dass die Insiderinformation öffentlich bekannt wird oder bei seiner Transaktion weiß, dass das öffentliche Bekanntwerden kurz bevorsteht, um sodann von der erwarteten Kursbewegung zu profitieren (im Beispielsfall: die Aktien zu einem billigeren Kurs zurückzukaufen). Es ist also nicht erforderlich, die Kursrelevanz einer Information von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit abhängig zu machen, um in Fällen wie dem o.g. Beispiel angemessene Ergebnisse im Zusammenhang mit dem Insiderhandelsverbot zu erzielen.

VI. Ergebnis Die Kursrelevanz einer Insiderinformation hängt nicht von deren Aufdeckungswahrscheinlichkeit ab. Gem. Art. 7 Abs. 1 MAR ist das (sofortige) öffentliche Bekanntwerden der Information im Rahmen der Kursrelevanzprüfung zu unterstellen. Dies ist mit den Worten „im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens“ gemeint.

25

Wohl unstr., s. etwa Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 5. Aufl. 2017, § 107 Rn. 69; Stenzel DStR 2017, 883, 885. 26 EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 (Spector Photo Group). 27 Näher dazu Klöhn, MAR, 2018, Art. 8 Rn. 124–126.

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Das Gebot informationeller Gleichbehandlung

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Das Gebot informationeller Gleichbehandlung Jens Koch

Das Gebot informationeller Gleichbehandlung JENS KOCH

I. Einleitung Einen thematischen Schwerpunkt im Werk von Klaus Hopt bilden seit jeher Fragen der Corporate Governance von Unternehmen. Um sie zu stärken und zu optimieren, hat er gerade in den vergangenen Jahren nachdrücklich dafür plädiert, die erforderliche Überwachung der Unternehmensorgane auch dadurch zu intensivieren, dass in größerem Maße die Eigentümer selbst und ihre Helfer in die Kontrolle einbezogen werden.1 Weil kontrollieren aber nur derjenige kann, der auch Informationen über das Unternehmen hat, setzt das eine gewisse Informationsversorgung der Eigentümer oder ihrer Repräsentanten voraus. In der Praxis sind die Gesellschaftsorgane häufig auch durchaus dazu bereit, umfassend Auskunft über Gesellschaftsangelegenheiten zu geben, allerdings nicht gegenüber dem Gesamtaktionariat, sondern nur gegenüber selektiv ausgewählten größeren oder institutionellen Investoren. Das ist nachvollziehbar, speziell unter Gesichtspunkten der Gleichbehandlung der Aktionäre aber auch nicht unproblematisch. Klaus Hopt selbst hat deshalb stets versucht, im Lichte des § 53a AktG mit viel Augenmaß zu vermessen, wo sachliche Gründe es rechtfertigen können, eine solche informationelle Ungleichbehandlung zu gestatten.2 Nach einem neueren Ansatz in der Literatur hätte es dieser behutsamen Abwägung aber möglicherweise gar nicht bedurft, weil danach speziell die Weiterleitung von Informationen nicht von § 53a AktG erfasst sein soll. Die Vorschrift sei als reines Willkürverbot nicht hinreichend trennscharf, um zu informationellen Fragen präzise Ergebnisse zu liefern und deshalb für eine nuancierte Detailsteuerung informationsrechtlicher Fragen ungeeignet.3 Weil sich damit eine der zentralen rechtlichen Vorgaben im Bereich der von Klaus Hopt stets besonders geförderten Corporate Governance in einem ganz neuen Licht darstellen würde, soll diese Frage in der ihm zu seinem 80. Geburtstag gewidmeten Festschrift im Folgenden untersucht werden. 1

Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 ff.; Hopt, RTDF 2017, 97 ff.; Hopt, ZGR 2019, 507, 525 ff. 2 Vgl. dazu etwa Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 738 ff.; Hopt, ZGR 1997, 1, 26. 3 Zetzsche, AG 2019, 701 ff.

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II. Meinungsstand Die These, dass die Informationserteilung nicht von § 53a AktG erfasst sei, geht namentlich auf einen grundlegenden Beitrag von Dirk Zetzsche aus dem Jahr 2019 zurück.4 Im Schrifttum wurde sie bislang in dieser Form nicht vertreten, sondern allgemein von einer Anwendung des § 53a AktG auch auf die Informationsversorgung der Aktionäre ausgegangen.5 Die Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – zu dieser Frage noch nicht geäußert, was Zetzsche in dem zutreffenden, im konkreten Zungenschlag aber möglicherweise auch etwas missverständlich-doppelsinnigen Befund zusammenfasst, die höheren Gerichte seien dem Argumentationsweg der herrschenden Schrifttumsauffassung „bislang nicht gefolgt“.6 Dieser Satz ist richtig, wenn er dahingehend aufzufassen ist, dass die Gerichte sich zu diesen Fragen bislang nicht äußern mussten,7 darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie sich gegenüber der herrschenden Meinung in irgendeiner Form reserviert gezeigt hätten.

III. Wortlautauslegung und Rechtsfortbildung Für die Ausklammerung von Informationen aus dem Anwendungsbereich des § 53a AktG werden unter Berufung auf den Wortlaut insbesondere zwei Argumente angeführt: Zum einen wird auf die sehr weite Sprachfassung des § 53a AktG verwiesen, der in einer solch umfassenden Geltung nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen könne und deshalb einschrän4

Zetzsche, AG 2019, 701 ff. Ausf. dazu Verse, Die Gleichbehandlung im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 509 ff. mwN.; ebenso (ausdrücklich oder implizit) Cahn/v. Spannenberg in Spindler/ Stilz AktG, 4. Aufl., 2019, § 53a Rn. 20; Götze in MüKoAktG, 5. Aufl., 2019, § 53a Rn. 14; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit AktG, 2013, § 53a Rn. 9; Henze/Notz in Großkomm AktG, 4. Aufl., 22. Lief., 2004, § 53a Rn. 26; Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 53a Rn. 7; Bachmann in VGR, GesR in der Diskussion 2016, 2017, S. 135, 164 ff.; Fleischer, ZGR 2009, 505, 520 ff.; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 366; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 737 ff.; Holle, ZIP 2019, 1895, 1899; J. Koch, AG 2017, 129, 136; Schilha/ Theusinger, NZG 2019, 521, 524; zu weiteren Nachweisen zum Verständnis des Auskunftsrechts nach § 131 Abs. 4 AktG als gedankliche Fortsetzung des § 53a AktG vgl. Fn. 44. 6 Zetzsche, AG 2019, 701; zur Anwendung des § 53a AktG auf die Information der Aktionäre über einen Fristenlauf vgl. allerdings OLG München NZG 2010, 1233, 1234 (iE ablehnend aufgrund einer sachlichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung). 7 Der Grund dafür liegt darin, dass Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nur ausgesprochen schwach sanktioniert sind, was die gerichtliche Kontrolle auch im herrschenden Verständnis weitestgehend unmöglich macht (vgl. dazu J. Koch, ZGR 2020, Heft 2/3, Gliederungspunkt VII 3d. 5

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kend zu konkretisieren sei. Zum anderen wird festgestellt, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung § 53a AktG bislang nicht auf Informationsflüsse zwischen Verwaltung und Aktionariat angewandt habe, und deshalb ein pauschaler Wortlautverweis als Begründung nicht genüge. Es seien vielmehr Historie, Systematik und Zweck des § 53a AktG in den Blick zu nehmen.8 Zumindest das zweite Argument ist mit Skepsis zu betrachten. Die Gerichte legen Normen aus, ihre Judikate sind aber keine eigenständigen Auslegungskriterien, die in die Interpretation einfließen. Wenn sich die Gerichte einer Lesart nicht anschließen, ist das für die praktische Rechtsanwendung selbstverständlich ein wichtiges Datum und auch in der Gewichtung des Meinungsstands wird eine höchstrichterliche Stellungnahme zumeist eine herrschende Auffassung begründen. Das ändert aber nichts daran, dass das Gesetz aus sich selbst heraus zu interpretieren ist. Im Übrigen gilt auch im Rahmen der Auslegung das zum Meinungsstand Gesagte: Die Nichtbefassung der Gerichte darf in diesem Kontext keinesfalls als kritische Haltung gegenüber einem umfassenden Anwendungsbereich des § 53a AktG missverstanden werden (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter II). Vielmehr wurde bislang schlicht kein Fallmaterial zu ihnen getragen, in dem diese Fragen zu entscheiden waren. Uneingeschränkt zuzustimmen ist dagegen dem geradezu selbstverständlichen Befund, dass ein Verweis auf den Wortlaut allein zur Interpretation einer Vorschrift nicht genügt, sondern dass zu diesem Zweck auch Historie, Systematik und Zweck der Norm in den Blick zu nehmen sind. Das ist indes keine Besonderheit des § 53a AktG, sondern gilt für jede Gesetzesauslegung. Nach gängigem Methodenverständnis stellt die Wortlautauslegung allerdings die Weichen dafür, ob diese Elemente noch in die Auslegung einfließen oder im Wege der Rechtsfortbildung allein eine Analogie oder teleologische Reduktion rechtfertigen können.9 Ist der Wortlaut eindeutig, müssen die höheren Hürden der Rechtsfortbildung überwunden werden, damit sich der Rechtsanwender nicht dem Vorwurf aussetzt, sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen.10 8

Zetzsche, AG 2019, 701, 702 f. Zum Verlassen des Wortlauts als Grenzlinie zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl., 1991, S. 441, 467 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 18 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. IV, 1977, S. 294; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 1995, S. 143 f., 187; Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, 1951, S. 42; Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 90; Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung, 1988, S. 29; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl., 2018, Rn. 904; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2409; krit. etwa Wank, ZGR 1988, 314, 317 f. 10 Zu diesen hohen Standards an die Rechtsfortbildung vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 1995, S. 191 ff.; ausführlich dazu auch Engisch, Einführung in das juristi9

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Misst man § 53a AktG an diesem Maßstab, so ist in der Tat eine solche Eindeutigkeit des Wortlauts anzunehmen. Während etwa Art. 42 der damals noch geltenden Kapitalrichtlinie11 die Gleichbehandlung nur für ausgewählte Kapitalmaßnahmen vorsah (vgl. dazu noch die Ausführungen unter IV 2),12 hat es der nationale Gesetzgeber bei Umsetzung dieser Vorgabe bewusst unterlassen, mögliche Anwendungsfälle einzeln aufzuzählen, sondern es bei einer pauschalen Gleichbehandlungsanordnung belassen. Wenn dem entgegengehalten wird, um eine solche strenge Gleichbehandlung könne es nicht gehen, weil das Recht nicht jede Ungleichbehandlung einfangen und regeln könne,13 so wird damit das unterstellt, was es doch eigentlich erst noch zu beweisen gilt. Eines solchen Beweises bedarf es aber, weil die Aussage nicht so selbstverständlich ist, wie es hier vorausgesetzt zu werden scheint. Denn es darf schließlich nicht übersehen werden, dass § 53a AktG auch im herrschenden Verständnis keinesfalls zu einer pauschalen Gleichbehandlung führt, sondern unter den ebenso pauschalen Vorbehalt gestellt ist, dass kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung vorliegt. Wer Informationsflüsse aus dem Anwendungsbereich des § 53a AktG ausklammern will, muss also den Nachweis führen, warum dieser Vorbehalt nicht genügen soll, um den berechtigten Differenzierungsanliegen der Gesellschaft hinreichend Rechnung zu tragen. Gerade ein Blick auf den Meinungsstand zu unterschiedlichsten Fragen des Informationsflusses zeigt indes, dass es weder dem Schrifttum noch der Praxis an Begründungsmustern mangelt, um informationelle Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen.14 Eher angezeigt dürfte es sein, diesen großzügigen Deutungstendenzen entgegenzuwirken, anstatt solche Ungleichbehandlungen durch eine Ausklammerung des Informationsflusses aus dem Anwendungsbereich des § 53a AktG noch weiter zu vertiefen.15 Jedenfalls im Rahmen der Wortlautauslegung ist für solche Überlegungen kein Raum. Vielmehr ist danach auch die Informationserteilung eindeutig erfasst. Der pauschale Charakter der Aussage kann Anlass geben, der damit erforderlichen teleologischen Reduktion etwas offener gegenüberzustehen als sonst, weil eine weite Fassung eher anfällig ist für überschießende Anordnungen als ein eng gefasster Tatbestand. Der methodische Ausgangs-

sche Denken, 10. Aufl., 1956 (in Bearbeitung 2005 von Würtenberger/Otto), S. 233 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl., 2018, Rn. 822 ff. 11 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976; aufgehoben mit Ablauf des 19.7.2017 durch Art. 166 der RL (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts vom 14.6.2017 (Abl. Nr. L 169 s. 46). 12 Zutreffend Zetzsche, AG 2019, 701, 703. 13 Zetzsche, AG 2019, 701, 702. 14 Ausführlich und krit. dazu J. Koch, ZGR 2020, Heft 2/3, Gliederungspunkt VII 3. 15 Vgl. auch dazu die krit. Darstellung bei J. Koch, ZGR 2020, Heft 2/3, Gliederungspunkt VII 3.

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punkt ist aber trotzdem in beiden Fällen die Rechtsfortbildung in Gestalt der teleologischen Reduktion.16

IV. Gleichbehandlungsgebot im historischen Wandel 1. Gleichbehandlungsgebot als Willkürverbot? a) Gedanklicher Ausgangspunkt Neben diesem Wortlautargument werden gegen das herrschende Verständnis einer auch informationellen Gleichbehandlung weitere historische Gründe ins Feld geführt: Dem Gleichbehandlungsgrundsatz sei von jeher nur die Funktion eines Willkürverbots zugebilligt worden, weil die Regelung mangels Differenzierungskriterien bei einer großflächigen Anwendung beliebige Ergebnisse rechtfertigen könne. Dieser Rechtszustand habe mit der Aufnahme des Gleichbehandlungsgebots in § 53a AktG nicht verändert werden sollen.17 Als solche grobmaschige Kontrollinstanz sei der Gleichbehandlungsgrundsatz für eine nuancierte Detailsteuerung mangels Schärfe schlichtweg ungeeignet.18 Diese Aussage ist zunächst schon im gedanklichen Ausgangspunkt, wonach § 53a AktG als bloßes Willkürverbot einzuordnen sei, mit einem Fragezeichen zu versehen. Es wird damit nämlich ohne nähere Begründung ein Verständniswandel bestritten, den die ganz herrschende Meinung schon vor vielen Jahren vollzogen hat. Denn auch wenn § 53a AktG ursprünglich tatsächlich verbreitet als solches Willkürverbot aufgefasst wurde, hat sich die moderne Deutung davon doch deutlich entfernt und versteht die Vorschrift mittlerweile als strenges Gleichbehandlungsgebot.19 Um diesen Verständniswandel zu veranschaulichen, bedarf es indes zunächst einer näheren Erläuterung, worin genau der Unterschied zwischen dem bisherigen 16 Genau umgekehrt allerdings die Prüfungsperspektive bei Zetzsche, AG 2019, 701, 704, der davon ausgeht, die Anwendung des § 53a AktG könne allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn es gelte, „eine Regelungslücke“ zu schließen (ausf. dazu noch unter VI). 17 Zetzsche, AG 2019, 701, 703. 18 Zetzsche, AG 2019, 701, 703. 19 Vgl. zu diesem Verständniswandel etwa Götze in MüKoAktG, 5. Aufl., 2019, § 53a Rn. 15; Henze/Notz in Großkomm AktG, 4. Aufl., 22. Lief., 2004, § 53a Rn. 11; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 283 ff.; in der Sache auch (da von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgehend) Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz AktG, 4. Aufl., 2019, § 53a Rn. 19; Fleischer in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 53a Rn. 35; Westermann in Bürgers/Körber AktG, 4. Aufl., 2017, § 53a Rn. 6. Höchstrichterlich bestätigt ist dieser Verständniswandel bislang indes noch nicht (Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 283).

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Verständnis des § 53a AktG als bloßem Willkürverbot und dem neuen Verständnis als strengem Gleichbehandlungsgebot liegen soll. Im landläufigen Sprachgebrauch könnte man nämlich durchaus dazu neigen, ein Gleichbehandlungsgebot, das unter dem Vorbehalt steht, dass für eine Ungleichbehandlung kein sachlicher Grund besteht, ebenfalls als positive Kehrseite eines negativ gefassten Willkürverbots zu verstehen. Auch in der Kommentarliteratur werden die Begriffe nicht immer klar voneinander geschieden.20 b) Vom Willkürverbot zum Verhältnismäßigkeitsmaßstab Tatsächlich haben die beiden Begriffe aber einen unterschiedlichen Gehalt, der auf einen Wandel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG zurückgeht. Auch hier ging man ursprünglich von einem bloßen Willkürverbot aus, das noch deutlich grobmaschiger verstanden wurde, als es dem heutigen Verständnis der Gleichbehandlungsvorgabe entspricht. Danach sollte dem Gleichbehandlungsgebot erst dann zuwidergehandelt werden, wenn eine rechtliche Maßnahme auf sachfremden Erwägungen beruhte und durch eine klare Unangemessenheit im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die durch diese Maßnahme bewältigt werden soll, gekennzeichnet war und mithin eine evidente Ungerechtigkeit bedeutete.21 Von diesem Verständnis ist das Bundesverfassungsgericht in späteren Entscheidungen aber abgerückt und versteht die Grundaussage des Art. 3 GG heute als Verbot, eine Gruppe von Normadressaten im grundrechtssensiblen Bereich im Vergleich zu anderen Adressaten derselben Norm unterschiedlich zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede bestehen, die nach Art und Gewicht eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können.22 Damit soll zunächst deutlich gemacht werden, dass es nicht genügt, wenn sich ein beliebiger, dem Gemeinwohl dienender Sach-

20 So sprechen etwa auch Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz AktG, 4. Aufl., 2019, § 53a Rn. 8 und Westermann in Bürgers/Körber AktG, 4. Aufl., 2017, § 53a Rn. 1 von einem Willkürverbot, nehmen dann aber an andere Stelle (Cahn/v. Spannenberg: Rn. 19; Westermann: Rn. 6) ebenfalls eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im weiteren Sinne vor, was die Prüfung dann als strenges Gleichbehandlungsgebot qualifiziert; krit. zu dieser Terminologie schon Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 283. 21 Vgl. etwa BVerfGE 4, 144, 155 = NJW 1955, 625; BVerfGE 10, 234, 246 = NJW 1960, 235; vgl. zu dieser „alten Formel“ des BVerfG in Bezug auf Art. 3 GG auch Nußberger in Sachs GG, 8. Aufl., 2018, Art. 3 Rn. 8 ff.; die Entwicklung zusammenfassend Henze/ Notz in Großkomm AktG, 4. Aufl., 22. Lief., 2004, § 53a Rn. 11. 22 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 55, 72, 88 = NJW 1981, 271; vgl. etwa auch BVerfGE 91, 346, 362 f. = NJW 1995, 2977; BVerfGE 97, 169, 181 = NJW 1998, 1475; BVerfGE 99, 129, 139 = NJW 1999, 1460; BVerfGE 102, 41, 54 = NJW 2000, 1855; BVerfGE 105, 73, 110 = NJW 2002, 1103.

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grund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung finden lässt, sondern es muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im weiteren Sinne (also gerichtet auf Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) vorgenommen werden.23 Zugleich soll vom Evidenzkriterium Abstand genommen werden.24 Die ganz herrschende Meinung25 hat diese Neuausrichtung auch für § 53a AktG übernommen, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz anderenfalls einen Großteil seiner minderheitsschützenden Wirkung einbüßen und gegenüber Umgehungen überaus anfällig würde.26 Da die Vorschrift auf europäische Vorgaben in Art. 85 Gesellschaftsrechtsrichtlinie (früher: Art. 42 Kapitalrichtline) und Art. 17 Transparenzrichtlinie beruht (dazu noch unter IV 3), wäre eine solche abgeschwächte Wirkung auch mit Blick auf den effet utile des Gemeinschaftsrechts bedenklich.27 Im Rahmen dieses Beitrags kann die weitere Begründung nicht näher nachgezeichnet werden. Es ist sicherlich nicht falsch, sie noch einmal kritisch zu hinterfragen, doch bedarf es dafür einer grundlegenden Auseinandersetzung mit den Argumenten der herrschenden Meinung, die derzeit noch aussteht. c) Willkürkontrolle im Bereich informationeller Gleichbehandlung Ist deshalb schon die Einordnung als Willkürverbot zweifelhaft, bleibt darüber hinaus unklar, warum ausgerechnet die Informationserteilung von diesem Verbot ausgenommen sein soll. Zur Begründung wird angeführt, § 53a AktG sei mangels Schärfe für eine Detailsteuerung schlichtweg ungeeignet, was sich unter anderem darin zeige, dass das Schrifttum bei der Anwendung der Norm hier zu teils beliebigen Ergebnissen führe.28 Diese Begründung vermag indes nicht recht zu befriedigen. Zum einen sind wissenschaftliche Differenzen in sämtlichen Bereichen juristischer Auslegung ohnehin gang und gäbe. Zum anderen – und noch wichtiger – ist die mangelnde tatbestandliche Trennschärfe speziell auch im Anwendungsbereich des § 53a AktG ein generelles Problem, das für sämtliche Anwendungsfälle der Norm gilt, keinesfalls nur für die Informationsweitergabe. Schon Herbert Wiedemann hat im Jahr 1980 darauf hingewiesen, dass der Gleichbehandlungssatz gerade in seiner (damals noch angenommenen) Les23 Vgl. dazu Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 283 ff.; s. auch Henze/Notz in Großkomm AktG, 4. Aufl., 22. Lief., 2004, § 53a Rn. 11. 24 Henze/Notz in Großkomm AktG, 4. Aufl., 22. Lief., 2004, § 53a Rn. 11. 25 Vgl. schon die Nachw. in Fn. 19. 26 Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 286 f. 27 Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 287 Fn. 166. 28 Zetzsche, AG 2019, 701, 703.

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art als Willkürverbot mit einem großen Unsicherheitsfaktor belastet sei, da er die Bewertungsfrage nahezu beliebig offenlasse.29 Dieser Befund ist sicherlich eine Herausforderung für Wissenschaft und Rechtsprechung, die sich darum bemühen müssen, Leitlinien zu formulieren, um diese Unsicherheit weitestgehend zu reduzieren. Er rechtfertigt es aber nicht, die Vorschrift kurzerhand nicht anzuwenden. An dieser Stelle soll der Frage nicht weiter nachgegangen werden, weil nach hier vertretenem Verständnis schon die Einordnung als Willkürverbot nicht das Richtige trifft. 2. Ursprung in der Kapitalrichtlinie Als zweites historisches Argument gegen einen Grundsatz informationeller Gleichbehandlung wird auf den europäischen Normhintergrund des § 53a AktG hingewiesen, weil Art. 42 der früheren Kapitalrichtlinie (heute: Art. 85 Gesellschaftsrechtsrichtlinie) auf eine gewisse Gleichbehandlung in Bezug auf die Kapitalbeteiligung der Aktionäre ziele, insbesondere gemäß deren fünften Erwägungsgrund bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen. Da die Kapitalrichtlinie Fragen der informationellen Gleichbehandlung nicht behandelte, sei aus Art. 42 Kapitalrichtlinie insofern nichts abzuleiten; auch in den Gesetzesmaterialien zum 2. Koordinierungsgesetz fehle jeglicher Hinweis auf eine informationelle Dimension des § 53a AktG.30 Diese Aussage ist insofern richtig, als der nationale Gesetzgeber nicht europarechtlich gezwungen gewesen wäre, den Grundsatz der Gleichbehandlung über den Bereich der Kapitalmaßnahmen hinaus auszudehnen.31 Ihm blieb aber natürlich eine überschießende Umsetzung unbenommen, die sich schließlich auch darauf stützen konnte, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz schon zuvor in einer umfassenden Geltung, die weit über den Bereich der Kapitalmaßnahmen hinausging, anerkannt war.32 Anders als der europäische Richtliniengeber war der nationale Gesetzgeber auch nicht aus kompetenziellen Gründen an einer solchen umfassenden Normierung gehindert. Dass er genau dies beabsichtigte, kommt darin zum Ausdruck, dass er die Vorschrift eben nicht im systematischen Kontext der Kapitalmaßnahmen 29 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 8 II 2b (S. 430); siehe auch Hütte, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im deutschen und französischen Recht der Personengesellschaften, 2003, S. 67: „immense Rechtsunsicherheit“; Roitzsch, Der Minderheitenschutz im Verbandsrecht, 1981, S. 34; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 252 f.; Worch, Treuepflichten von Kapitalgesellschaftern untereinander und gegenüber der Gesellschaft, 1983, S. 19; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 304. 30 Zetzsche, AG 2019, 701, 703. 31 Klar in diesem Sinne auch EuGH NZG 2009, 1350 Rn. 32 ff. 32 Ausf. Darstellung der historischen Entwicklung bei Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 15 ff.

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verortete, sondern als zentrale Vorschrift an den Anfang des Dritten Teils des Aktiengesetzes zu den grundlegenden Rechtsverhältnissen der Gesellschaft und der Gesellschafter stellte.33 Dass er dabei die informationelle Dimension der Vorschrift nicht gesondert hervorhob, erklärt sich daraus, dass in der siebzehnzeiligen (einspaltigen) Begründung34 ohnehin keinerlei einzelne Anwendungsfälle genannt sind, weil die Vorschrift augenscheinlich eben für das gelten sollte, was ihr Wortlaut zum Ausdruck bringt: für die gesamte Rechtsstellung des Aktionärs. 3. Fortschreibung in der Transparenzrichtlinie Für die Auflösung der hier behandelten Zweifelsfrage ist ein anderer europäischer Rechtsakt dagegen deutlich aussagekräftiger als die ursprüngliche Vorgabe der Kapitalrichtlinie, nämlich die später erlassene Transparenzrichtlinie, und zwar namentlich deren Art. 17.35 Danach hat ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, allen Aktionären, die sich in derselben Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherzustellen. Das entspricht jedenfalls für den hier erfassten Anwendungsbereich (Handel an einem geregelten Markt) inhaltlich exakt den Vorgaben des § 53a AktG. Überschrieben ist diese Vorschrift mit „Informationspflichten der Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien“. Die europarechtliche Vorgabe ist damit also ausschließlich auf die Informationserteilung zugeschnitten. Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass Art. 17 der Transparenzrichtlinie im deutschen Recht vornehmlich in § 48 WpHG umgesetzt sei, doch wäre es kaum sinnvoll, die in § 48 WpHG ausdrücklich angeordnete informationelle Gleichbehandlung in § 53a AktG durch eine teleologische Reduktion wieder aus dem Anwendungsbereich auszuklammern. Auch im Schrifttum ist deshalb allgemein anerkannt, dass Art. 17 der Transparenzrichtlinie im deutschen Recht auch durch § 53a AktG umgesetzt werde.36 Namentlich vor diesem Richtlinienhintergrund gibt es kein methodisches Instrument, mit dem man ausgerechnet die informationelle Gleichbehandlung aus dem Anwendungsbereich des § 53a AktG ausklammern könnte. 33 So auch das Verständnis von Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz AktG, 4. Aufl., 2019, § 53a Rn. 2. 34 Vgl. dazu RegBegr BT-Drucks. 8/1678, S. 13. 35 Richtlinie 2004/109/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind (ABl. Nr. L 390 S. 38). 36 Vgl. zu diesem nunmehr doppelten europäischen Anwendungsbereich etwa Götze in MüKoAktG, 5. Aufl., 2019, § 53a Rn. 1; Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 53a Rn. 1; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 94.

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Dem kann auch nicht das apodiktische Argument entgegengehalten werden, es könne in Art. 17 Transparenzrichtlinie nicht um Vollinformation gehen,37 weil das Gleichbehandlungsgebot über den Filter des sachlichen Grundes eine solche Vollinformation gerade nicht voraussetzt. Es bedürfte deshalb auch hier der näheren Erläuterung, warum sich dieser Filter hier als nicht ausreichend erweisen soll, und ein solcher Nachweis ist bislang nicht geführt worden. Er kann auch nicht geführt werden, weil das Gegengewicht des sachlichen Grundes derart deutungsoffen ist, dass auch innerhalb einer wortlautgetreuen Gesetzesanwendung hinreichende Interpretationsspielräume bestehen, um sämtlichen gegenläufigen Anliegen Rechnung tragen zu können.38

V. Systematische Bezüge Als weiteres Argument gegen einen informationsrechtlichen Gehalt des § 53a AktG wird schließlich ein systematisches Argument herangezogen: § 131 Abs. 4 AktG enthalte eine informationsrechtliche Spezialnorm, hinter die § 53a AktG zurücktrete.39 Diese These ist schon deshalb nicht unbedenklich, weil § 53a AktG die jüngere Vorschrift ist, die deshalb nach allgemeinen Regeln den älteren § 131 Abs. 4 AktG verdrängen müsste. Dem wird indes entgegengehalten, dass § 131 Abs. 4 AktG die speziellere Vorschrift sei, so dass der Lex Posteriori-Grundsatz hinter den Lex Specialis-Grundsatz zurücktrete.40 Das wird methodisch nicht näher untermauert, ist aber auch nicht unplausibel, weshalb dieser Konstruktion hier zunächst nicht weiter nachgegangen werden soll. Größere und gedanklich vorgeschaltete Zweifel richten sich nämlich bereits dagegen, ob § 131 Abs. 4 AktG überhaupt als Spezialvorschrift gegenüber § 53a AktG aufgefasst werden kann. Tatsächlich enthält die Vorschrift allein die Aussage, dass eine Auskunft, die einem Aktionär wegen seiner Eigenschaft als Aktionär außerhalb der Hauptversammlung gegeben worden ist, auch jedem anderen Aktionär zu geben ist, auch wenn sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung nicht erforderlich ist. Damit trifft die Vorschrift keineswegs eine Aussage darüber, wann Informationen an einzelne Aktionäre gegeben werden dürfen, sondern allein dazu, was zu geschehen hat, wenn dies erfolgt ist. Ein Spezialitätsverhältnis ist darin nicht enthalten.41 Vielmehr ergibt sich schon aus den Gesetzesmateria37

So aber Zetzsche AG 2019, 701, 705. J. Koch, ZGR 2020, Heft 2/3, Gliederungspunkt VII 3. 39 Zetzsche, AG 2019, 701, 703. 40 Zetzsche, AG 2019, 701, 703. 41 So ausdrücklich schon Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 512: „Keinesfalls aber darf § 131 Abs. 4 AktG dahin missverstan38

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lien zu § 131 Abs. 4 AktG, dass diese gesetzliche Vorgabe gerade als Ausfluss des Gleichheitsgrundsatzes verstanden wird.42 Schon vor ihrer gesetzlichen Normierung wurde die Pflicht zur Nachauskunft als eine spezielle Ausprägung auf Rechtsfolgenseite just aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitet.43 Ohne diesen systematisch recht offenkundigen Befund, der überdies von der ganz herrschenden Meinung geteilt wird,44 noch mit weiteren Argumenten zu untermauern, soll an dieser Stelle der schlichte Hinweis genügen, dass das deutsche Aktiengesetz auch in einem traurigen Zustand wäre, wenn es die informationelle Gleichbehandlung der Aktionäre allein § 131 Abs. 4 AktG überlassen wollte. Es ist unbestritten, dass die Vorschrift nahezu wirkungslos ist,45 weil die Nachauskunft (jedenfalls nach ganz herrschendem Verständnis) nur auf der Hauptversammlung ausgeübt werden kann46 und gezielt zu einem bestimmten Punkt verlangt werden muss.47 Gerade dazu den werden, dass Ungleichbehandlungen bei der Auskunfterteilung stets erlaubt seien, solange nur die Verschwiegenheitspflicht und das Insiderrecht nicht verletzt werden.“; ebenso U.H. Schneider/Singhof in FS Kraft, 1998, S. 585, 600; zu den Anforderungen an ein Spezialitätsverhältnis vgl. etwa J. Koch, RdA 2006, 28, 30. 42 RegBegr Kropff, S. 187; so auch das Verständnis von Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 512. 43 Vgl. aus damaliger Zeit v. Gleichenstein, AG 1958, 255, 256 f.; Obermüller, DB 1962, 827; Obermüller/Werner/Winden, Leitfaden für die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1964, S. 104; Schleyer, NJW 1960, 1552, 1556 sowie den rückschauenden Befund von Mader, Der Informationsfluss im Unternehmen, 2016, S. 146. 44 Zum Verständnis des § 131 Abs. 4 AktG als „Fortsetzung des § 53a AktG“ vgl. etwa Decher in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2020, § 131 Rn. 450; Herrler in Grigoleit AktG, 2013, § 131 Rn. 54; Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 131 Rn. 70; Spindler in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 131 Rn. 95; U.H. Schneider/Singhof in FS Kraft, 1998, S. 585, 600; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 510 ff.; aA aber schon Drygala, WM 2001, 1313, 1322. 45 Decher in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2020, § 131 Rn. 451; Herrler in Grigoleit AktG, 2013, § 131 Rn. 54; Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 131 Rn. 70; Kersting in Kölner Komm AktG, 3. Aufl., 2010, § 131 Rn. 428; Kubis in MüKoAktG, 4. Aufl., 2018, § 131 Rn. 147; Spindler in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 131 Rn. 95. 46 Decher in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2020, § 131 Rn. 453; Herrler in Grigoleit AktG, 2013, § 131 Rn. 60; Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 131 Rn. 76; Kersting in Kölner Komm AktG, 3. Aufl., 2010, § 131 Rn. 455 f.; Kubis in MüKoAktG, 4. Aufl., 2018, § 131 Rn. 158; Reger in Bürgers/Körber AktG, 4. Aufl., 2017, § 131 Rn. 30; Siems in Spindler/Stilz AktG, 4. Aufl., 2019, § 131 Rn. 85; Spindler in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 131 Rn. 105; Duden in FS von Caemmerer, S. 499, 503; Hoffmann-Becking in FS Rowedder, 1994, S. 155, 157 ff.; aA mit beachtlichen Argumenten aber Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 513 ff.; ähnlich auch schon Joussen, DB 1994, 2485, 2486. 47 Decher in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2020, § 131 Rn. 451, 485; Herrler in Grigoleit AktG, 2013, § 131 Rn. 59; Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 131 Rn. 75; Kersting in Kölner Komm AktG, 3. Aufl., 2010, § 131 Rn. 428, 460; Kubis in MüKoAktG, 4. Aufl., 2018, § 131 Rn. 158; Spindler in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 131 Rn. 95, 103.

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wird der Aktionär in der Regel aber kaum in der Lage sein.48 Wenn daraus nun auch noch eine generelle Sperrwirkung gegenüber der Anwendung des § 53a AktG bei der ursprünglichen Informationserteilung abzuleiten wäre, dann wäre § 131 Abs. 4 AktG nicht nur totes Recht, sondern kontraproduktives Recht.

VI. Organ- und anlagebezogene Gleichbehandlungskonzepte als Alternative zur Anwendung des § 53a AktG Den Schwerpunkt seiner Argumentation legt Dirk Zetzsche sodann auf den Nachweis, dass für eine Anwendung des § 53a AktG auf informationelle Fragen deshalb kein Anlass bestehe, weil dem Aktiengesetz ein organbezogenes Gleichbehandlungskonzept zugrunde liege, das kapitalmarktrechtlich durch ein anlagerelevantes Gleichbehandlungskonzept ergänzt werde. Der durch diese beiden Konzepte vermittelte Schutz sei hinreichend, so dass es keine Regelungslücke gebe, die durch die Anwendung des § 53a AktG zu schließen sei.49 Diese Ausführungen sind sehr erwägenswert und sollten in der zu führenden rechtspolitischen Debatte de lege ferenda Anlass sein, darüber nachzudenken, ob § 53a AktG tatsächlich im Bereich der Informationsversorgung überschießende Tendenzen aufweist, die es zu korrigieren gilt.50 Dafür könnte sprechen, dass die ganz herrschende Meinung die Informationsverteilung zwar unter die Vorschrift fasst, just in diesem Punkt von der Unternehmenspraxis aber doch recht weitgehend ignoriert wird.51 Wo sich Gesetzesinterpretation und gelebte Praxis derart weit voneinander entfernt haben, muss (was erstaunlicherweise oft übersehen wird52) zwar in erster Linie die Praxis dem Gesetz angepasst werden und nicht umgekehrt. Trotzdem kann ein solches Auseinanderklaffen aber doch auch für den Gesetzgeber ein Signal sein, die rechtspolitische Sinnhaftigkeit der legislativen Vorgabe noch einmal genau zu überdenken. Im Rahmen der Auslegung de lege lata ist es dagegen nicht gleichermaßen unproblematisch, solche Überlegungen anzustellen. Dirk Zetzsche gelingt

48 Hüffer/Koch AktG, 14. Aufl., 2020, § 131 Rn. 70; Kubis in MüKoAktG, 4. Aufl., 2018, § 131 Rn. 147; Decher in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2020, § 131 Rn. 451. 49 Vgl. dazu Zetzsche, AG 2019, 701, 704. 50 Vgl. zu diesen Überlegungen schon J. Koch, ZGR, Heft 2/3, Gliederungspunkt VII 3. 51 Ausf. dazu noch J. Koch, ZGR, Heft 2/3, Gliederungspunkt VII 3c. 52 Verwiesen sei insofern auf die beliebte Argumentationsfigur einer „gelebten Praxis“ (ausführlich dagegen schon J. Koch, AG 2017, 129 ff.). Vgl. dazu den bezeichnenden Titel von Shilha/Theusinger, NZG 2019, 521: „Aufsichtsratskommunikation – insbesondere in der Unternehmenskrise: Aktienrechtsdogmatik trifft auf Praxiserwartung“. Auch dort wird der Konflikt tendenziell eher zugunsten der Praxiserwartung aufgelöst.

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dieser Brückenschlag, weil er die wörtliche, systematische und historische Einschlägigkeit des § 53a AktG verneint und damit die Anwendung dieser Vorschrift zu einer begründungsbedürftigen Ausnahme macht, für die es des Nachweises einer Regelungslücke bedürfte.53 Das ist im Lichte seiner vorangegangenen Ausführungen zwar durchaus folgerichtig, doch versagt dieser Begründungsweg, wenn man diese vorangegangenen Deutungen – wie hier – nicht teilt. Dann ist nicht die Anwendung des § 53a AktG eine begründungsbedürftige Ausnahme, sondern seine Nichtanwendung und dafür bedarf es des Nachweises, dass im Lichte der organ- und anlagebezogenen Gleichbehandlungskonzepte für eine Anwendung des § 53a AktG nach seiner teleologischen Zwecksetzung keinerlei Bedürfnis mehr bestehe. Um diesen Nachweis zu führen, genügt der Hinweis auf andere Schutzmechanismen nicht. § 53a AktG dient in erster Linie dem Schutz der Minderheitsaktionäre vor einer Privilegierung der Mehrheit.54 Vor dem Hintergrund dieses individualschützenden Konzepts ist es problematisch, wenn behauptet wird, Information sei in der AG lediglich Mittel zur Förderung des Unternehmensinteresses durch ordentliche Unternehmensführung.55 Das Unternehmensinteresse kann für die AG rechtlicher Maßstab sein, ob gegebenenfalls für eine ungleiche Informationsverteilung ein sachlicher Grund besteht. Für den durch § 53a AktG geschützten Minderheitsaktionär ist die gleichmäßige Informationsversorgung dagegen ein individuelles Schutzanliegen, weil ihn erst eine solide Informationslage dazu befähigt, die Entwicklung seines Investments zu beurteilen und auf dieser Grundlage auch über die Fortdauer seiner Mitgliedschaft zu entscheiden.56 Dass dieses individuell-anlagebezogene Schutzanliegen allein durch das Kapitalmarktrecht gewahrt werden könnte, wird schon durch die Erscheinungsform der nicht börsennotierten AG widerlegt.57 Den hohen Anforderungen, die an eine teleologische Reduktion des § 53a AktG zu stellen wären, wird eine solche Begründung jedenfalls nicht gerecht.58

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Vgl. Zetzsche, AG 2019, 701, 704. Vgl. statt aller Henze/Notz in Großkomm AktG, 4. Aufl., 22. Lief., 2004, § 53a Rn. 26. 55 So aber Zetzsche, AG 2019, 701, 704, dessen These, intensivere Informationsrechte (etwa nach § 118 HGB) dienten vornehmlich dazu, Haftungsrisiken beherrschbar zu machen, schon im Lichte des § 51a GmbHG zweifelhaft erscheint. 56 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 7 II 2a aa (S. 374): Information zur sinnvollen Ausübung nicht nur der Mitverwaltungs-, sondern auch der „Lösungsbefugnisse“; ebenso Leyens, ZGR 2019, 544, 551: „informierte Austrittsentscheidung“. 57 Dieses Schutzanliegen wird deutlich zu gering gewichtet bei Zetzsche, AG 2019, 701, 706. 58 Auch Zetzsche erhebt diesen Anspruch nicht, weil er aufgrund seines abweichenden dogmatischen Ansatzpunktes eine teleologische Reduktion des § 53a AktG augenscheinlich nicht für erforderlich hält. 54

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VII. Fazit und Ausblick Der Gedanke, die Weitergabe von Informationen sei von § 53a AktG nicht gedeckt, ist im geltenden Recht nicht angelegt. Auch wenn man dem in diese Richtung weisenden Ansatz deshalb die Gefolgschaft verweigert, muss man ihm doch attestieren, dass er letztlich zu genau denselben Ergebnissen gelangt wie die herrschende Meinung, und dies auf einem deutlich schlankeren und weniger umweghaften Begründungspfad: Während die herrschende Meinung § 53a AktG zwar anwendet, dann aber nahezu jede Ungleichbehandlung für sachlich gerechtfertigt erklärt, erspart der neuere Ansatz dem Rechtsanwender diese formelhaften Begründungsschleifen. Das sollte indes eher ein Anlass sein, die herrschende Meinung zu hinterfragen und der stetig fortschreitenden Aushöhlung des § 53a AktG im Bereich der informationellen Gleichbehandlung entgegenzuwirken. Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, wollte der Gesetzgeber § 53a AktG auch in diesem Anwendungsfall durchaus ernst genommen wissen.

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Das SEPA-Rulebook als Rechtsquelle des Zahlungsdiensterechts

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Das SEPA-Rulebook als Rechtsquelle des Zahlungsdiensterechts Johannes Köndgen

Das SEPA-Rulebook als Rechtsquelle des Europäischen Zahlungsdiensterechts JOHANNES KÖNDGEN

I. Ein Prüfstein für Rechtsquellenlehre und Regulierungstheorie Jeder geschäftsfähige Bürger hat schon einmal ein Überweisungsformular oder ein Lastschriftmandat ausgefüllt. Dass sie oder er damit einen Zahlungsauftrag erteilt, bestätigt immerhin ein Blick ins BGB (§ 675f Abs. 3 S. 2) – aber auch nicht viel mehr. Warum man dabei lästiger Weise jeweils seine 22-stellige IBAN zur Hand haben soll, findet man selbst als Jurist erst nach einigem Suchen im juristischen Gründungsakt des einheitlichen EURO-Zahlungsraums (Standard European Payment Area, kurz SEPA), nämlich in Art. 5 Abs. 1 und 2 der EU-SEPA-VO von 20121. Fragt man sich hingegen, warum zur Erteilung einer Ermächtigung zum Lastschrifteinzug unbedingt (und nicht weniger lästig) ein dicht beschriebenes Formular (sog. SEPA-Mandat) auszufüllen ist, hilft einem selbst der naheliegende Blick in die AGB der Hausbank nicht wesentlich weiter.2 Was unter den Bankkunden allenfalls noch ein hochspezialisierter Zahlungsverkehrsexperte wissen wird: Schon die Klauselwerke seiner Bank zum Zahlungsverkehr sind nur zu einem Teil eine originäre Schöpfung der deutschen Kreditwirtschaft und ihrer Dachverbände. In den Grundstrukturen sind sie zwar durch den Anhang zu Art. 5 SEPA-VO präformiert. Sozusagen im Hintergrund wirkt jedoch ein vielhundertseitiges, bis ins kleinste Detail ausgefeiltes und für die allermeisten Anbieter von in Euro denominierten Zahlungsdienstleistungen verbindliches Interbankenabkommen: das vom European Payment Council (EPC) seit 2005 erarbeitete und ständig aktualisierte SEPA-Rulebook.3 Durch die Ödnis der ganz überwiegend hoch1 VO (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.3.2012, ABl. 2012 L 94, 22. Zu den Details der Entwicklung des SEPA-Projekts statt vieler Rigler in Langenbucher/Bliesener/Spindler (Hrsg.), Bankrechtskommentar, 2. Aufl. 2016, Kap. 11 Rn. 6 ff. 2 (Sonder-)Bedingungen für den Überweisungsverkehr; Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Basislastschriftverfahren; aktuelle Version jeweils vom 13.1.2018. 3 Zu den technischen Details und den institutionellen Grundlagen des Rulebook sogleich unter II 2 und 3.

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technischen und detailversessenen Inhalte des Rulebooks darf man sich nicht irreführen lassen. Hinter diesen Technizitäten verbergen sich gleich mehrere Grundsatzfragen. Gewiss bilden Interbankenabkommen auch im Inlandszahlungsverkehr längst schon die unentbehrliche juristische Infrastruktur eines standardisierten Zahlungsverkehrs.4 Aber ihre wissenschaftliche Aufarbeitung hält mit ihrer überragenden praktischen Bedeutung keineswegs Schritt.5 Interbankenabkommen prägen wesentliche Inhalte der BankKunde-Beziehung. Sind sie also als eigenständige Rechtsquelle zu qualifizieren? Und inwieweit unterstehen sie der AGB-Kontrolle? Hinzu kommt für das SEPA-Rulebook komplizierend dessen transnationale Dimension: Auf welche Weise kann ein Interbankenabkommen, das sich belgischem Recht unterstellt hat, in sämtlichen Mitgliedstaaten der Eurozone Wirkung entfalten? Wo ist das Rulebook gegebenenfalls in der Hierarchie der Europäischen Rechtsquellen zu lozieren? Und wie steht es mit einer eventuellen Dritt(schutz)wirkung des Rulebook in den nach nationalem Recht abgeschlossenen Zahlungsdiensteverträgen? In der Verbindung von Privatrechtsdogmatik mit rechtstheoretischen Grundlagenproblemen und stets vor dem Hintergrund der Europäischen Dimension hoffen die folgenden Überlegungen das Interesse von Klaus Hopt zu treffen, der in seinem reichhaltigen Oeuvre diese multidisziplinäre Methodik in vorbildlicher Weise praktiziert hat.

II. Die Konstituierung des Euro-Zahlungsraums durch technische Regulierung Alle im Vorigen gestellten Fragen lassen sich kaum beantworten, ohne zuvor einen Blick auf die europarechtliche und die institutionelle Basis des Rulebook geworfen zu haben. Im Mittelpunkt steht dabei das Neben- und Miteinander von staatlich-supranationaler Regulierung und privater Regelund Standardsetzung. 1. Europapolitische und -rechtliche Vorgaben Die Harmonisierung des Zahlungsverkehrsrechts war eher ein Nachzügler der Binnenmarktstrategie. Das erste sekundärrechtliche Regelwerk – die sog. Überweisungs-RL von 19976 – erwies sich als ebenso ineffektiv wie 4 Frühe Monographien hierzu von Jörg Schäfer, Die zivilrechtliche Qualifizierung der Interbankenabkommen, 1990, und von Henning, Zahlungsverkehrsabkommen der Spitzenverbände in der Kreditwirtschaft, 1991. 5 Vgl. aber MünchKomm-HGB/Herresthal, 4. Aufl. 2019, Bd. 6 A. Rn. 23 ff. 6 RL 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates v. 27.1.1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, ABl. 1997 L 43, 25.

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kurzlebig,7 war es doch von vornherein nicht geeignet, die durchaus unterschiedlichen Zahlungssysteme und -kulturen der Mitgliedstaaten8 auch nur im Ansatz zusammenzuführen. Geprägt waren diese nationalen Systeme und deren technische Standards wesentlich durch selbstregulierende Interbankenabkommen in den Mitgliedstaaten.9 In einem überfälligen Schritt haben die beiden EU-Zahlungsdienste-RL von 2007 (im Folgenden: PSD 1)10 und 2015 (PSD 2)11 zwar ihren gegenständlichen Regelungsbereich auf die in der Praxis gängigsten Zahlungsverfahren – neben der Überweisung auch Zahlungen per Lastschrifteinzug und mit Debitkarte – ausgedehnt; in der Kontinuität der Überweisungs-RL12 sahen sie jedoch ihre Primäraufgabe darin, den Bankkunden komfortable und transparente Zahlungsverfahren verfügbar zu machen13 und demgemäß die Regelung des Interbankenverhältnisses auszusparen.14 Insbesondere was das Interesse der Zahlungsdienstenutzer an einer möglichst raschen und notwendigerweise komplett automatisierten Zahlungsabwicklung betrifft, hatte man damit freilich die Rechnung ohne den Wirt, will sagen: ohne die Zahlungsdienstleister als Bereitsteller einer leistungsfähigen arbeitsteiligen Systemarchitektur, gemacht. Zwar war mit der Einführung der Gemeinschaftswährung eine erste – auch technische – Komplikation beseitigt. Der notwendige „Big Bang“ folgte dann aber erst in Gestalt eines weiteren gesetzgeberischen Akts, nämlich der Etablierung des einheitlichen EUROZahlungsraums durch die SEPA-VO. 2. Der Weg zur Selbstregulierung Schon im Zuge der Einführung der Einheitswährung war das Bewusstsein gewachsen, dass die Entwicklung einer leistungs- und zukunftsfähigen Inf7 Dies galt indes nicht für die Rechtsentwicklung in Deutschland, wo der Gesetzgeber in überschießender Umsetzung die Regelungen der RL auch für reine Inlandsüberweisungen in Kraft setzte (Überweisungsgesetz vom 21.7.1999, BGBl. I 1642) und damit eine schmerzliche Lücke im Geschäftsbesorgungsrecht des BGB schloss. 8 Weiteres dazu bei Arndt, Das Interbankenverhältnis im Überweisungsrecht, 2012, 297. 9 Ebenfalls Arndt (Fn. 8), 287 ff. 10 RL 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der RL 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der RL 97/5/EG, ABl. 2007 L 319, 1. 11 Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/ 110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, ABl. 2015 L 337/35 v. 23.12.2015. 12 Das Interesse der Bankenkundschaft insgesamt betonend die Überweisungs-RL (Fn. 6), Erwägungsgründe 2 und 8. 13 Mit stärkerer Akzentuierung des Verbraucherschutzes jeweils PSD 1, Erwägungsgründe 20 ff., sowie PSD 2 Erwägungsgründe 53, 61 ff. 14 PSD1 Erwägungsgrund 47 S. 3.

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rastruktur nicht allein dem Regulierungsgesetzgeber überlassen werden konnte, sondern – in welcher institutionellen Form auch immer – den Rückgriff auf die in der Zahlungswirtschaft vorhandene technische Expertise unumgänglich machte. Noch im Schlepptau der Überweisungs-Richtlinie, aber bereits unter der Ägide des European Payments Council15, wurden 2002 Bedingungen für eine EU-Standardüberweisung veröffentlicht.16 Zwar ging der Europäische Richtliniengeber in PSD1 noch auf vorsichtige Distanz zu den Bemühungen der europäischen Zahlungswirtschaft um die Entwicklung eines europäischen Zahlungsverkehrsraums.17 Andererseits verwies aber Art. 77 Abs. 2 PSD118 für den Interbankenregress nach Abwicklungsfehlern in mehrgliedrigen Zahlungsketten explizit auf das bereits seit 1998 bestehende Abkommen der Europäischen Verbände.19 Dies durfte man, wennschon nicht als implizite Delegation, so doch als wohlwollende Tolerierung einer (punktuell begrenzten) Rechtssetzungsbefugnis für private Standardsetzer verstehen. Mit der Gründung des European Payment Council (EPC) durch die Europäischen Bankenverbände20 war im Jahre 2002 ein Akteur mit dem klaren Auftrag auf den Plan getreten, nach der Einführung der Gemeinschaftswährung und in Erwartung einer Belebung des unionsweiten Zahlungsverkehrsmarktes selbstregulierend und koordiniert eine paneuropäische technische Infrastruktur zu entwickeln und kontinuierlich fortzubilden. Dass die Initiative zu diesem ambitionierten Projekt zunächst einmal aus der Mitte der Zahlungswirtschaft und weniger von den Unionsbehörden kam, war nicht sonderlich überraschend. Die Ordnungsaufgabe lautete – mit einem etwas sperrigen aber später vom EU-Gesetzgeber rezipierten Stichwort – Herstellung von unionsweiter technischer Interoperabilität.21 Betroffen war damit in erster Linie das Interbankenverhältnis, dessen Regelung die Mitgliedstaaten seit jeher der Selbstregulierung durch Interbankenabkommen auf Verbandsebene überlassen hatten.

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Dazu sogleich unter 3a. Zu den Einzelheiten European Payments Council, The King is Dead, Long Live the King: The EPC repeals the Convention for Cross-border Payments in Euros, 11.7. 2011 ; ferner Arndt (Fn. 8), 298. 17 Erwägungsgrund 4 PSD1. 18 Ergänzend Erwägungsgrund 47 a.E. PSD1. 19 Zu den Anfängen dieses inzwischen ständig fortgeschriebenen Abkommens European Banking Federation/European Savings Banks Group/European Association of Cooperative Banks, European Interbank Compensation Guidelines, Revision 2017, , S. 3. 20 Zur institutionellen Perspektive anschließend unter 3a. 21 Art. 4 und Erwägungsgrund 10 SEPA-VO. 16

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Der EPC entledigte sich seiner Aufgabe durchaus produktiv. Ergebnis waren 2005/6 drei voluminöse Rulebooks, nämlich zum Überweisungsverkehr22 sowie je eines zu den Grundregeln des Lastschrifteinzugs23 und den Sonderregeln für unternehmerische Lastschriftzahlungen24. Die Rulebooks folgen einem einheitlichen Gliederungsschema.25 Ergänzt werden sie durch eine Substruktur von sog. Implementierungsleitlinien.26 Unter Letzteren sind bereits an dieser Stelle hervorzuheben die zum Überweisungsverkehr ergangenen SEPA Credit Transfer Scheme Customer-to-Bank Implementation Guidelines, weil diese nicht, wie anderwärts, nur das Interbankenverhältnis, sondern explizit auch die Bank-Kunde-Beziehung gestalten. Immerhin wurde in der SEPA-VO 260/2012 das bis dahin etwas schleppende Tempo und der unzureichende Verbraucherbezug der Selbstregulierung gerügt und dem EPC als Aufpasser und Motivator 2010 ein SEPA-Rat unter Einbeziehung von Repräsentanten der Zahlungsnutzer zur Seite gestellt.27 Letzterer wurde bereits Ende 2013 durch den European Retail Payments Board ersetzt,28 und zwar mit lediglich strategischen Kompetenzen auf der Basis von Empfehlungen sowie mit reduziertem Einfluss der Unionsorgane29. In offiziellen Dokumenten charakterisiert die Kommission die Realisierung des SEPA-Projekts als ein Gemeinschaftsunternehmen (collaborative process), zu dem EPC, EZB und SEPA-Gesetzgeber arbeitsteilig 22 Erste Fassung V2.0 verabschiedet zum 22.2.2006. Aktuelle Fassung die zum 17.11. 2019 in Kraft getretene V1.0 des SEPA Credit Transfer Rulebook and Implementation Guidelines; im Folgenden: „CT-Rulebook“. Die Kennzeichnung als „Version 1.0“ versteht sich vor dem Hintergrund, dass mit der 2019 in Kraft getretenen Version ein neuer Zählzyklus begonnen wurde. 23 Aktuelle Fassung das zum 17.11.2019 in Kraft getretene SEPA Direct Debit Core Rulebook V1.0, im Folgenden: „DD-Rulebook“. 24 Aktuelle Fassung das zum 17.11.2019 in Kraft getretene SEPA Direct Debit Businessto-Business Rulebook V1.0. 25 Detailierte Inhaltsangabe bei Arndt (Fn. 8), 303 ff. 26 Zur systematischen Unterscheidung zwischen Rulebook und Guidelines vgl. z.B. CT-Rulebook Nr. 0.5.1. Die Trennlinie zwischen Rulebook und Implementation Guidelines verläuft nicht immer ganz eindeutig; vgl. Langenbucher/Bliesener/Spindler/Rigler (Fn. 5) Kap. 11 Rn. 52 ff. 27 Erwägungsgrund 5 SEPA-VO 260/2012. Besetzt war der SEPA-Council paritätisch mit Vertretern der europäischen Zahlungswirtschaft (einschließlich des EPC) wie auch der Zahlungsdienstenutzer sowie Repräsentanten der am Eurosystem teilnehmenden Zentralbanken; Einzelheiten bei Langenbucher/Bliesener/Spindler/Rigler, Bankrechtskommentar, 2. Aufl. 2016, Kap. 11 Rn. 23. 28 EZB Pressemitteilung v. 19.12.2013, „New Euro Retail Payments Board will reinforce market governance“, . Weitere Details bei BeckOGK BGB/Köndgen, § 675c – Allg. Einl. Rn. 41. 29 Hauptsächlich repräsentiert durch das Eurosystem; die Kommission nimmt lediglich beratend teil. Auffälliger Weise bislang nicht beteiligt die European Banking Authority (EBA). Der EPRB zählt zu den sog. „Market Contact Groups“ des Eurosystems. Zur Selbstdarstellung des ERPB s. .

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beigetragen haben.30 An späterer Stelle wird ein näherer Blick auf das komplexe Gesamtsystem der Zahlungsverkehrsregulierung zu werfen sein.31 3. Institutionelle und prozedurale Rahmenbedingungen privater Zahlungsstandardsetzung a) Der European Payments Council (EPC): Organisationsstruktur und Kompetenzen Ins Leben gerufen wurde der EPC in Brüssel im Jahre 2002 in der Rechtsform einer Non-Profit-Gesellschaft belgischen Rechts mit dem bereits erwähnten Selbstregulierungszweck. Verbandszweck, Organisationsstruktur, der Beitritt und die Korporationsrechte der Mitglieder sind in einer 2014 erlassenen und 2015 revidierten Charta niedergelegt.32 Als Mitglieder können ausschließlich lizenzierte europäische Zahlungsdienstleister mit Rechtspersönlichkeit sowie deren Verbände beitreten;33 die Zahlungskundschaft ist auch nicht anderweit, etwa in einem Beirat o.ä., repräsentiert. Die gegenwärtige Mitgliederzahl von 75 bildet einen exklusiven Club von Großbanken und nationalen Dachverbänden, der insofern allenfalls „mediatisiert“ die Gesamtheit der unter dem SEPA-Dach agierenden europäischen Zahlungsdienstleister repräsentiert.34 Andererseits existiert ein Länderproporz, der nach den jeweiligen Transaktionsvolumina in einem Mitgliedstaat aufgeschlüsselt ist. Details der allgemeinen, verbandstypischen EPC-Organisationsstruktur sind an dieser Stelle ohne Belang.35 Intensiveres Interesse gebührt hingegen einem EPC-Ausschuss, der sozusagen das institutionelle Herzstück im Verfahren der Standard- und Regelsetzung bildet: das Scheme Management mit einem eigenen, umfänglichen Organisationsstatut, den Scheme Management Internal Rules (SMIR)36, welches die arbeitsteilige Struktur von zahlreichen Unterausschüssen, Arbeitsgruppen und Foren beschreibt. Dem Scheme 30 European Commission, Single euro payments area (SEPA), . 31 Unten II 4. 32 . Eine offizielle deutschsprachige Fassung existiert nicht. 33 Art. 4.1 Abs. 1 EPC-Charta. 34 Stark repräsentiert sind die Zahlungsdienstleister allerdings im primär mit der Regelsetzung betrauten Scheme Management Board; dazu noch unten bei Fn. 41. 35 Verwiesen sei auf BeckOGK-BGB/Köndgen, § 675c Allg. Einl. Rn.40; Schacht, Das neue Lastschriftrecht (2012), 52 ff.; Arndt (Fn. 8), 297 ff. 36 Version 4.2, in Kraft seit 1.1.2019; . Im Folgenden abgekürzt: SMIR.

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Management ist durch Delegation des EPC-Vorstandes (Board) – der sich im Rahmen des Verbandszwecks nur um die strategischen Grundlinien der EPC-Politik kümmert37 – die Verantwortung für die Details der Regel- und Standardentwicklung anvertraut. Die Delegation wirkt nicht privativ: Der Vorstand bewahrt nicht nur eine Letztverantwortung38, sondern kann dem Scheme Management darüber hinaus verbindliche Instruktionen erteilen.39 Das Scheme Management ist seinerseits nochmals in vertikaler Arbeitsteilung organisiert: Zentrales Exekutivorgan ist ein (bis zu 25 Köpfen zählender) Scheme Management Board40. Hiervon sind maximal 20 Mitglieder renommierte Praktiker aus der Mitte der teilnehmenden Zahlungsdienstleister; drei unabhängige Mitglieder sind Fachleute ohne Affiliation zur Zahlungswirtschaft.41 Aktueller Aufgabenbereich des Scheme Management Board42 sind in erster Linie die – im Zweijahresturnus praktizierte43 – Aktualisierung und Ergänzung der in der Ursprungsfassung bereits 2005 verabschiedeten44 SEPA-Regelwerke45, ferner die Compliance-Kontrolle gegenüber den SEPA-Teilnehmern, schließlich der Kontakt zu den Clearingstellen46. Mit diesen institutionellen und kompetenziellen Voraussetzungen ist im Wesentlichen auch schon das Verfahren der Regelsetzung vorgezeichnet. b) Verfahren der Regelsetzung, Compliance und Sanktionierung aa) Das Verfahren der Regelsetzung ist in den SMIR bis ins letzte Detail geregelt. Das Initiativverfahren47 ist ein offener Prozess, in dem jeder Stakeholder oder Stakeholder-Verband unter Offenlegung seines jeweiligen Interessenhintergrunds einen begründeten Änderungsantrag (change request) einreichen kann. Einer der Protagonisten in diesem Verfahren ist der Euro-

37 Zu Zusammensetzung und Kompetenzen des Vorstands Art. 6.1 und 6.2 EPCCharta. 38 Genauer umschrieben in Nr. 3.1.8 SMIR. 39 Art. 12.3 EPC-Charta. 40 Im Einzelnen Art. 12.2 EPC-Charta. 41 Nr. 3.1.1. SMIR. 42 Art. 12.2 EPC-Charta; Nr. 2.1 SMIR. 43 Nr. 4.2.7 Abs. 1 SMIR. 44 Die seit 17.11.2019 gültigen Fassungen der Rulebooks sind zwar als „Version 1.0“ betitelt; doch ist dies einer Neuzählung der Versionen im Zusammenhang mit einer Reformulierung der Rulebook-Titel geschuldet. 45 Wichtigste Erweiterung der Rulebooks ist das im November 2016 als selbständiges Rulebook verabschiedete und ein Jahr später in Kraft getretene SEPA Instant Credit Transfer Scheme Rulebook, das die technischen Voraussetzungen für sog. Echtzeitüberweisungen geschaffen hat. 46 SEPA Clearer ist in Deutschland für in EURO denominierte Inlands- und Auslandszahlungen die bei der Bundesbank angesiedelte Platform „Elektronischer Massenzahlungsverkehr (EMZ)“. 47 Nr. 4.1–4.2 SMIR.

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pean Retail Payments Board48, auf dessen Initiative etwa die Regulierung der Echtzeitüberweisung im Jahre 201649 zurückgeht. Auf einer zweiten Stufe nimmt ein Unterausschuss des Scheme Management Board, die Scheme Evolution and Maintenance Working Group, zunächst eine Eingangsprüfung der Änderungsanträge vor und leitet dann, verbunden mit inhaltlichen Empfehlungen, ein öffentliches Konsultationsverfahren unter SEPA-Teilnehmern und Stakeholdern (unter Einschluss der Endnutzer) ein. Auf Basis dieser Prozedur und deren Evaluierung erarbeitet die Arbeitsgruppe sodann einen Änderungsvorschlag (change proposal). Eingebunden wird auf dieser Stufe mittels eines institutionalisierten Informationsaustauschs50 auch das Eurosystem als Aufsichtsbehörde über den Zahlungsverkehr.51 Nach gehöriger Prüfung entscheidet schließlich der Scheme Management Board über den Änderungsvorschlag und gibt ihn zur Publikation auf der EPC-WebSeite frei. bb) Bestimmungsgemäße Adressaten der verabschiedeten Regelwerke sind nicht etwa die EPC-Mitglieder, sondern die sog. SEPA-Teilnehmer, also jene Zahlungsdienstleister, die ihre Dienste auf der Grundlage des und in Konformität mit dem SEPA-Regulierungspaket anbieten wollen. Rechtsquellentheoretisch geht es nunmehr um die Ingeltungsetzung der verabschiedeten Regeln. In Geltung gesetzt werden diese nicht auf korporationsrechtlicher Grundlage, sondern netzwerkförmig durch den koordinierten Abschluss von Parallelverträgen identischen Inhalts52 (adherence agreements) mit jedem einzelnen beitrittswilligen Zahlungsdienstleister.53 Voraussetzung für den Beitritt ist, vereinfacht,54 dass der Bewerber in einem SEPAStaat oder einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums als Zahlungsdienstleister inkorporiert und lizenziert ist und den transnational üblichen Anforderungen an Solvenz, Liquidität und Risikomanagement genügt. Gegenüber Bewerbern, die diesen Status nachweisen, legt der EPC sich eine Kontrahierungspflicht auf. Als inhaltliches Kernstück schwört der Vertrag – der gleichfalls belgischem Zivilrecht untersteht55 – jeden Teilnehmer nicht nur auf die strikte 48

Oben Text bei Fn. 29. Oben Fn. 45. 50 Nr. 4.2.2.2 SMIR. 51 Die Grundsätze dieser Aufsicht über die Finanzmarktinfrastruktur sind formuliert in: Eurosystem oversight policy framework, Rev. version (July 2016) . 52 Zu den Rechten und Pflichten aus diesem Vertrag einheitlich jeweils Ziff. 5 der Rulebooks. 53 I. Einz. Nr. 3.2.3 SMIR. 54 Weitere Details jeweils in Ziff. 5.4 – Eligibility for participation – der Rulebooks. 55 Jeweils Nr. 3.5 der Rulebooks. 49

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Beachtung (compliance) der SEPA-Rulebooks im Interbankenverhältnis ein56, sondern auch auf die SEPA Credit Transfer Scheme Customer-to-Bank Implementation Guidelines, also auf den Verhaltenskodex gegenüber Überweisungskunden. Hierauf ist zurückzukommen.57 cc) Auch die Sicherung der Compliance und die Sanktionierung von Regelverstößen sind dem Parallelvertragsmodell angepasst. Regelverstöße sind Vertragsverletzungen gegenüber dem EPC und werden von einem Unterausschuss des Scheme Management Board, dem Compliance and Adherence Committee, überwacht, im Regelfall anlässlich einer von der betroffenen Korrespondenzbank erhobenen Beschwerde.58 Nach einer Untersuchung des Regelverstoßes können Sanktionen verhängt werden, die von einer einfachen Ermahnung bis äußerstenfalls zu einer Kündigung des Beteiligungsvertrags reichen.59 4. Die SEPA-Regelwerke im Mehrebenensystem der EU-Zahlungsmarktregulierung Das im Vorigen beschriebene „kollaborative“60 Verhältnis zwischen Unionsbehörden und privater Standardsetzung wird man zwanglos als eine Variante61 von Ko-Regulierung einordnen. 62 Indes ist mit dieser Qualifizierung noch nicht viel gewonnen, stellt sich doch Ko-Regulierung kaum als trennscharfe regulierungstheoretische Kategorie, sondern eher als ein Kontinuum von unterschiedlich intensiven Interaktionen zwischen staatlicher Intervention und Selbstregulierung durch private Akteure dar.63 Die jeweilige Staatsferne bzw. -nähe präjudiziert die Antwort auf die (später zu stellende) Frage, inwieweit solcherart zustande gekommenen Regelwerken ein Rechtsquellencharakter zugestanden werden kann.

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Jeweils Nr. 5.2 – Compliance – der Rulebooks. Unten III 2c. 58 Nr. 3.4.1 SMIR. 59 Nr. 3.4.5 SMIR. Die Sanktionsentscheidung kann gem. Nr.3.5 SMIR vor einem Appeal Committee angefochten werden. 60 Zu dieser von der EU-Kommission selbst geprägten Kennzeichnung bereits o. bei Fn. 30. 61 Zur Typologie der Regulierungsansätze Baldwin/Cave/Lodge, Understanding Regulation: Theory, Strategy, and Practice, 2. ed. 2012. 62 Im Folgenden geht es lediglich um eine systematische Einordnung des zahlungsverkehrsrechtlichen Regulierungskonzepts. Eine kritische Würdigung der komparativen Vorund Nachteile der verschiedenen Regulierungsansätze ist nicht beabsichtigt. 63 Aktuelle Zusammenfassung des Meinungsstandes bei Augsberg, Regelsetzung als staatlich-privat interaktiver Prozess – Vom „Steuerungsdurcheinander“ zur Regulierungsstrategie?, in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht (2019), 95, 96 ff.; ferner Spindler/Thorun, MMR Beil. 2016, 1, 8 f. 57

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a) Schon die „staatliche“ Seite der unionalen Zahlungsmarktregulierung präsentiert sich in ihrer heutigen Gestalt als ein komplexes Mehrebenensystem. Der in der Rechtstheorie vielberufene Kelsen’sche Stufenbau der Rechtsordnung mutiert im profaneren Rahmen der EU-Finanzmarktregulierung zur (nach ihrem Erbauer so genannten) Lamfalussy-Architektur als politisch-gesetzgebungspraktischer Rezeptur. Gekennzeichnet ist sie durch einen hierarchischen Aufbau sowie die Verknüpfung der einzelnen Ebenen durch Delegationsakte.64 Im Primärrecht findet sie zwar in Art. 288–291 AEUV nur eine fragmentarische institutionelle Basis. Im Sekundärrecht sind jedoch drei der insgesamt vier Ebenen (levels) mittlerweile gut besetzt. Auf level 1 der Gesetzgebungsakte (Art. 289 AEUV) ist die Struktur repräsentiert durch die Zahlungsdienste-Richtlinie zweiter Generation65 und die Zahlungskonten-Richtlinie66; auf Verordnungsebene gelten unmittelbar die SEPA-VO und die beiden Verordnungen zur materiellen Entgeltkontrolle im Bank-Kunden- und im Interbankenverhältnis.67 Level 2 und 3 ermöglichen eine delegierte exekutivische Rechtssetzung durch die Kommission (level 2), die sich dabei der Unterstützung durch die 2010 sekundärrechtlich begründeten finanzmarktspezifischen Regulierungsagenturen68 versichern kann (level 3).69 In der Zahlungsmarktregulierung erteilt Art. 98 PSD 2 für dieses Verfahren einen Regulierungsauftrag an die Kommission zwecks Entwicklung technischer Regulierungsstandards für eine missbrauchssichere Kundenauthentifzierung und Interbanken-Kommunikation. Von dieser Delegation hat die Kommission 2017 in Gestalt eines von der European Banking Authority (EBA) entworfenen und als delegierte Verord64 Einzelheiten zu Genese und Inhalt der Lamfalussy-Struktur werden hier vorausgesetzt; bündige Zusammenfassungdurch EU-Kommission, Regulatory process in financial services, . Aus der Literatur vgl. statt vieler Schwarze/Glaesner, EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 63 AEUV Rn. 58 ff.; Ohler in Hatje/Müller-Graff (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Bd. 5 (2013), § 10 Rn. 56 f. 65 Oben Fn. 11. 66 Richtlinie 2014/92/EU über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen, ABl. 2014 L 257, 214 v. 28.8.2014. 67 VO (EG) 924/2009 v. 16.9.2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 2560/2001, ABl. 2009 L 266, 11 v. 9.10. 2009; geändert durch Verordnung (EU) 2019/518 vom 19. März 2019 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 in Bezug auf Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in der Union und Entgelte für Währungsumrechnungen, ABl. 2019 L 91, 36 v. 29.3. 2019; VO (EU) 2015/751 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge, v. 29.4.2015, ABl. 2015 L 123/1 v. 19.5.2015 – sog. MIF-Verordnung. 68 Zum Institut der Regulierungsagentur im unionalen Verwaltungsrecht statt aller Schwarze/Hatje (Fn. 64), Art. 298 AEUV Rn. 12 f. Veraltet, weil auf dem Rechtszustand vor 2010 beruhend Ohler (Fn. 64), § 10 Rn. 56. 69 EU-Kommission (Fn. 64).

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nung der Kommission in Kraft getretenen Regelwerks über „Technische Regulierungsstandards“ (Regulatory Technical Standards, RTS) Gebrauch gemacht.70 Anders als durch die Bezeichnung als „technische Standards“ nahegelegt, geht es dabei keineswegs um technische Normung, da die Kommission in diesem Regelwerk explizit auf Technologieneutralität setzt.71 Folgerichtig bleibt für Standardsetzer – an deren Spitze der EPC – lediglich eine periphere Rolle als Lieferant der Kommunikationsstandards für die Konstruktion der Schnittstellen im Verkehr der Zahlungsdienstleister untereinander.72 b) Wie verhalten sich nun die SEPA-Regelwerke des EPC zu diesem staatlichen Regulierungspaket? Zunächst: Nicht anders als im deutschen Inlandsrecht enthält auch das Europäische Recht keine explizite Rechtsgrundlage zu Grund und Grenzen zahlungsverkehrsrechtlicher Ko-Regulierung. Offizielle EU-Dokumente enthalten lediglich Empfehlungen in Form einer „best practice“-Agenda.73 Solange sie nicht an verfassungsrechtliche Grenzen rühren,74 sind Normgeber und Exekutive mithin frei, in welchem Ausmaß sie der Selbstregulierung durch Private Raum geben wollen. Die notorische Unschärfe des KoRegulierungskonzepts75 erweist sich in der Regulierungspraxis als dessen Vorzug: Die variable Gewichtung von staatlicher Lenkung und Selbstregulierung durch Private lassen eine Feinjustierung zu, die dem jeweiligen Regulierungsgegenstand perfekt angemessen ist.76 Der EPC war im Jahre 2002 von den europäischen Verbänden der Kreditwirtschaft ins Leben gerufen worden. Mithin waren die seither vom EPC entwickelten Regelwerke zunächst typenreine Selbstregulierung. Der Systemwechsel zur Ko-Regulierung war erst vollzogen mit der Etablierung des SEPA-Rats durch Kommission und EZB im Jahre 2010 und dessen spätere 70 Delegierte Verordnung (EU) 2018/389 der Kommission vom 27. November 2017 zur Ergänzung der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für eine starke Kundenauthentifizierung und für sichere offene Standards für die Kommunikation, ABl. 2017 L 69/23 v. 13.3.2018. Zur Beteiligung der EBA daselbst, Erwägungsgründe 19 f. 71 Erwägungsgrund 4 DelVO 2018/389. 72 Art. 30 Abs. 3 und Erwägungsgrund 21 DelVO 2018/389. 73 Insbes. European Economic and Social Committee, European Self- and Co-Regulation, 2013; ; vgl. ferner Principles for better self- and co-regulation; dazu Information der Kommission unter . 74 Zu diesen Grenzen eingehend Bachmann, Private Ordnung (2006), 58 ff. 75 Zutreffend und bewusst vage als „intermediate strategy“ zwischen reiner Selbstregulierung und klassischer staatlicher Regulierung definiert durch Senn, Non-State Regulatory Regimes (2011), 139 f. 76 Dieses Fazit zuletzt bei Spindler/Thorun (Fn. 63), 10.

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Ersetzung durch den Euro Retail Payments Board.77 Letzteres darf man freilich nicht als förmliche und inhaltlich konkretisierte Delegation von Regulierungsaufgaben – sogenannte „regulierte Selbstregulierung“78 – missverstehen. Der Euro Retail Payments Board ist, metaphorisch gesprochen, nicht mehr als ein institutionelles Scharnier zwischen Unionsbehörden und EPC. Zwar ist ihm die einflussreiche Kompetenz der „SEPA-Governance“ überantwortet.79 Aber seine personelle Zusammensetzung mit einer bei weitem überwiegenden Repräsentanz der Zahlungsmarktteilnehmer und lediglich beratender Stimme der Kommission80 lässt keinen Zweifel, dass auch hier die Komponente der Selbstregulierung dominiert und den Unionsbehörden allenfalls eine Art Kontrollfunktion verbleibt. Der EPC selbst und die von ihm in Geltung gesetzten und verwalteten Regelwerke bilden de facto ein geschlossenes System. Da jeder europäische Zahlungsdienstleister quasi genötigt ist, sich dem SEPA-Verbund anzuschließen, werden so gut wie alle Marktteilnehmer von den Rulebooks erreicht.81 Ökonomischer Hintergrund ist, dass das Rulebook ein Netzwerk in Form einer unentgeltlich nutzbaren Kommunikationsplattform kreiert, bei der jeder zusätzliche Nutzer den gemeinsamen Nutzen und damit zugleich die Attraktivität des Netzwerks erhöht.82 Institutionalisierte Schnittstellen zur „Umwelt“ des Systems sind die Ausnahme. Bei „wichtigeren“ Regeländerungen (major changes) wird – eine bescheidene Konzession an den „Ko“-Regulierungsansatz – immerhin das Eurosystem (Art. 127 AEUV) frühzeitig und privilegiert in den Konsultationsprozess einbezogen.83 Über den Abschluss von koordinierten Parallelverträgen mit den Teilnehmern gelingt eine straffe zentralistische Steuerung des Systems.84 Das gilt 77

Bereits oben bei Fn. 27. Zu diesem weithin akzeptierten Terminus statt vieler und mit Nachw. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 30 IV; Bachmann (Fn. 74), 72 f. 79 Ebenfalls schon oben bei Fn. 27. 80 In Zahlen: je 7 Repräsentanten der Zahlungsdiensteanbieter und der Zahlungsdienstenutzer; 6 Mitglieder als Repräsentanten der europäischen Zentralbanken; 1 lediglich beratend tätiger Vertreter der Kommission; ein Vertreter der EZB führt immerhin den Vorsitz. 81 Das Teilnehmer-Register des EPC zu Zahlungsdienstleistern, die die Ausführung von Überweisungen anbieten, zählt derzeit um die 3.000 Teilnehmer; . 82 Welche adversen Konsequenzen dies für den Technologiewettbewerb haben könnte, ist hier nicht zu vertiefen. Vgl. als allgemeine Einführung in die Regulierung von Plattformen Körber, ZUM 2017, 93; zur wettbewerbsrechtlichen Behandlung (deutscher) Interbankenabkommen etwa MüKo-HGB/Herresthal (Fn. 5), A. Rn. 27. 83 Nr. 4.2.2.2 SMIR (oben Fn. 36). Die Konzession ist auch darum bescheiden, weil Kernkompetenz des Eurosystems die Geldpolitik und nicht das Retail-Zahlungswesen ist. 84 Mehr zu dieser Methodik nachstehend III 2 b und c. 78

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nicht nur für die Regelsetzung; auch die Sicherung der Compliance ebenso wie die Sanktionierung von Regelverstößen werden zentral exekutiert. Regelverstöße dürften im Übrigen angesichts des gemeinschaftlichen Interesses aller Teilnehmer am Erfolg des Systems eher selten sein. Bislang hat die Union vom EPC daher weder eine Verpflichtungserklärung hinsichtlich der Verfolgung von Regelverstößen verlangt noch eine Beaufsichtigung der Compliance institutionalisiert.85 Im Gesamtbild erscheint die Interaktion von staatlich/supranationaler Steuerung und Selbstregulierung durch den EPC weniger als intensive „Kollaboration“86; im Kontinuum der Ko-Regulierung liegt sie näher beim Pol der Selbstregulierung. Gesetzgeber und Kommission begnügen sich zum einen damit, in den Erwägungsgründen der Rechtsakte zum Zahlungsverkehr grundlegende Ziele für das Funktionieren der Zahlungssysteme zu formulieren: Zahlungstransaktionen sollen sicher, nutzerfreundlich, zügig und kosteneffizient ausgeführt werden.87 Zum elektronischen Zahlungsverfahren und zur entsprechenden Zahlungstechnologie wird, zum zweiten, immerhin ein relativ konkreter Rahmen gesetzt – prominent in Art. 5 i.V.m. Anhang I SEPA-VO und jüngst in der delegierten Verordnung zu RTS88. Der Rest wird mehr oder weniger stillschweigend89 der Selbstregulierung durch die technisch versierte Marktanbieterseite überlassen.

III. Der rechtsquellentheoretische Status des SEPA-Rulebook 1. Rechtsquellentheoretische Grundlagen: die neue Vielfalt „Rechtsquellenlehre“ war einst eine Disziplin, wo im Wesentlichen über den hierarchischen Aufbau der Rechtsordnung, die Voraussetzungen der Entstehung von Gewohnheitsrecht und allenfalls noch über Zulässigkeit und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung diskutiert wurde. Neue Schlüsselbegriffe in Rechtsquellenlehre und Rechtstheorie90 heißen hinge85 Eine Benachrichtigung der nationalen Aufsichtsbehörde über den Regelverstoß liegt gem. Nr. 3.4.5 SMIR (Fn. 36) im Ermessen des EPC-Disziplinarausschusses (Compliance and Adherence Committee, CAC). 86 Oben Text vor Fn. 30. 87 So in z.T. ähnlichen Formulierungen Erwägungsgrund 1 SEPA-VO; Erwägungsgrund 46 PSD1; mit Schwerpunkt auf der Sicherheit der Zahlungsabwicklung Erwägungsgrund 1 DelVO 2018/389. 88 Oben Fn. 70. 89 Das schließt informelle Kontakte zwischen Unionsbehörden und EPC nicht aus. 90 Begriffslogisch hat der rechtstheoretische Begriff von Recht Vorrang vor dem Kompositum „Rechtsquelle“. Die Rechtstheorie legt eher eine funktionalistische Perspektive an; die Rechtsquellenlehre neigt dazu, alle „privatisierten“ neuen Erscheinungsformen von Recht am staatlichen Gesetz als Idealtypus zu messen und diesem tendenziell gleichzustel-

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gen: „entstaatlichtes“ oder „privatisiertes“ Recht, „soft law“, oder auch „Governance“. Die ehedem so schlichte Dichotomie von Recht oder NichtRecht bzw. von Rechts- und sozialen Normen ist dem Konzept eines (keineswegs nur territorial) „fragmentierten“ Rechts oder gar eines „Rechtspluralismus“ gewichen. Und über diesen Fragmenten wölbt sich unter dem Vorzeichen der Globalisierung noch ein „transnationales“ Recht. Vieles davon ist inzwischen – jedenfalls in den Grundzügen und ungeachtet bleibender Streitfragen – gesicherter theoretischer Bestand und muss hier nicht erneut aufgerollt werden. 91 Für unsere Fragestellung sei, verkürzt, herausgegriffen: Regelsetzung durch private Akteure floriert vor allem, wo der staatliche/supranationale Gesetzgeber auf eigene Regelsetzung zugunsten Privater bewusst verzichtet, weil in der Marktpraxis ein Fundus von im Innovationswettbewerb gewachsenem und fortlaufend aktualisiertem Expertenwissen und Know-how existiert. Darüber hinaus bieten die von professionellen privaten Akteuren entwickelten Regelwerke noch den Vorzug einer hohen Anpassungsflexibilität, welche staatlicher Rechtssetzung abgeht. Vereinfacht gesagt: Je technischer ein Regelungsproblem, desto informierter, intelligenter und zumeist auch effektiver dessen Lösung durch private Regelsetzung. Deren Geltungsanspruch beruht allerdings – die Gretchenfrage allen privatisierten Rechts – wesentlich auf einer soliden Legitimationsbasis.92 Unterstellt wird diese, wo eine politische Frage durch den demokratischen Gesetzgeber als „geborenen“ Repräsentanten des Gemeinwohls entschieden ist. Gefährdet ist sie, wenn private Akteure – notorisch bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen – Regeln setzen und dabei in erster Linie partikulare (Individual- oder Gruppen-)Interessen verfolgen. Technische Standardsetzung ist gegenüber diesen Gefahren nicht immun, aber weniger exponiert. Ob eine DIN-A4-Seite 29,7 cm oder nur 29,5 cm lang ist, stellt keine Frage, die politisch entschieden werden müsste oder auch nur entschieden werden könnte. Desgleichen ist technische Standardisierung, jedenfalls typischerlen; in dieser Richtung etwa Meder, Ius non scriptum – Traditionen privater Rechtssetzung, 2. Aufl. 2009, 47 ff. 91 Aus der inzwischen überaus reichhaltigen Literatur: theoretische Grundlegung bei Fischer-Lescano/Teubner, Regimekollisionen (2006); monographisch und bis ins dogmatische Detail durchgearbeitet Bachmann (Fn. 74), passim; spezielle Aspekte in den Sammelbänden von Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht (2012), G.P. Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht (2014), Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht (2019); aus der Aufsatzliteratur meine Überlegungen in AcP 206 (2006), 477–525; lehrbuchmäßige Kanonisierung des Theoriebestandes bei Röhl/Röhl (Fn. 78), §§ 67, 70. Ein traditionalistischer Nachzügler Alt-Münchner Schule ist Herresthal in MüKo-HGB, Bd. 6, 4. Aufl. 2019, A Rn. 26, mit der nicht weiter begründeten Fundamentalkritik, das Konzept privat erzeugter Rechtsquellen bleibe „vollkommen diffus“. 92 Aus grundsätzlicher Sicht wiederum Bachmann (Fn. 74), 159 ff.; ders. in: Bumke/Röthel (Fn. 91), 207, 213 ff.; Köndgen (Fn. 91), 521 ff.

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weise93, nicht von partikularen Interessen getrieben. Gut gemachte Standardisierung spart bekanntermaßen nicht geringe Informationskosten für die Nachfrager und ebensolche Produktionskosten der Marktgegenseite. Als gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsgewinn steht sie für ein Stück Gemeinwohl. In die zuvor beschriebenen Koordinaten ist nunmehr das SEPA-Rulebook einzuordnen, aber auch auszudifferenzieren. 2. Das Rulebook als „privatisierte“ Regelsetzung a) Das Rulebook als Technikstandard Das SEPA-Rulebook besteht zunächst tatsächlich zum weit überwiegenden Teil aus technisch höchst anspruchsvollen Normungen und Standards, primär zu Datensätzen94 und Dateiformaten95 elektronischer Zahlungsnachrichten sowie zur Prozessorganisation96. Elektronischer und vollautomatiserter Zahlungsverkehr ist im Kern nichts anderes als Kommunikationstechnologie für Zahlungsnachrichten. Gleichwohl wäre es vorschnell, das Rulebook pauschal unter der Rubrik „Technikrecht“ abzulegen. Technische Regeln verdanken ihre Entstehung typisch einem Marktversagen, primär infolge von Informationsasymmetrien (Beispiel: Produkt- oder Gesundheitsstandards), Prinzipal-Agent-Problemen oder von externen Effekten (Beispiel: Umweltstandards). Sie sind darum oft zwingenden Rechts. Hingegen schufen die SEPA Rulebooks überhaupt erst die Voraussetzungen für die Entstehung eines Marktes für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro. Eine kritische Masse für die Rentabilität dieser Dienstleistung war erst erreicht, nachdem die Rulebooks die „Interoperabilität“ der Zahlungsnachrichten und die allseitige „Erreichbarkeit“ der netzwerkförmig organisierten Zahlungsdienstleister97 sichergestellt hatten. Auch rechtsquellentheoretisch unterscheidet Vieles das Rulebook von technischen Standards. Unionsweite Standards können indirekte Verbindlichkeit äußern, wenn ihre Entwicklung das durch die Richtlinie 98/34/EG vorgeschriebene Verfahren durchlaufen hat. 98 Im Inlandsprivatrecht kann privaten technischen Normungen primär vermittels konkretisierungsbedürftiger Transformations93

Einige durchaus relevante Ausnahmen beschrieben bei Köndgen (Fn. 91), 482. Z.B. Nr. 4.5 CT-Rulebook (Fn. 22). 95 Nach den SEPA Credit Transfer Scheme Inter-Bank Implementation Guidelines (Fn. 26) der ISO 20022 XML-Standard. 96 Z.B. Nr. 4.3 und 4.4 CT-Rulebook (Fn. 22). 97 Zu den für SEPA konstitutiven Prinzipien von interoperability und reachability z.B. Nr. 1.6 und 2.6 CT-Rulebook (Fn. 22). 98 I. Einz. und den Meinungsstand zusammenfassend S. Martens, Methodenlehre des Unionsrechts (2013), 260 ff. 94

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bzw. Inklusionsbegriffe99 – wie im Haftungsrecht der Sorgfaltsstandard nach § 276 BGB100 oder im Gewährleistungsrecht die „anerkannten Regeln der Technik“101 – indirekt Verbindlichkeit zuwachsen. Hingegen wirkt das Rulebook jedenfalls102 für die Verträge des Interbankenverhältnisses unmittelbar inhaltsbestimmend in Gestalt aus- und vorformulierter Leistungspflichten. b) Das Rulebook als Rechtsquelle im Interbankenverhältnis Der EPC bezeichnet in einer Selbstbeschreibung das SEPA-RulebookRegime als „multilateralen Vertrag“.103 Das wird auch in der deutschen Literatur (soweit sie sich überhaupt damit beschäftigt) so gesehen104 und entsprach schon bisher der ganz h.L. zu den nationalen Interbankenabkommen.105 Die Rulebooks enthalten, zum zweiten, Allgemeine Geschäftsbedingungen für den Interbankenverkehr, auf deren Einhaltung jeder SEPA-Teilnehmer sich im Beitrittsvertrag verpflichtet. Beide Qualifikationen sind unbezweifelbar richtig.106 Aber sie verfehlen den Kern des Problems, weil sie die Eigenständigkeit des Vertragsarrangements zwischen Vertrag und Verband nicht erfassen. An früherer Stelle dieses Beitrags ist das SEPA-Regime als Netzwerk beschrieben worden;107 dies aus Sicht der Industrieökonomik108 und ohne den Anspruch, hiermit eine rechtsdogmatisch-systematische Einordnung zu treffen. Dies gilt es nunmehr nachzuholen. Unabdingbar ist es zunächst, das Rulebook und die Beitrittsverträge als systematisch aufeinander bezogen zu begreifen.109 Dann erkennt man, dass die Beitrittsverträge nicht schlicht irgendein multilateraler Mehrparteienvertrag sind, sondern ein System aggregierter und koordinierter inhaltsgleicher Parallelverträge bilden. Heißt: Alle Teilnehmer haben gleiche Rechte und Pflichten, darunter als Kardinalpflicht, sämtliche SEPA-Interbankverträge 99

Zu dieser Terminologie bereits Köndgen (Fn. 91), 518 ff. Dazu i. Einz. MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 446 ff., der den technischen Regeln Verbindlichkeit freilich nur „wertvolle Orientierungspunkte“ zubilligen will. 101 Dazu statt vieler MüKo-BGB/Busche, § 633 Rn. 18 ff. 102 Vgl. aber noch nachstehend c). 103 Jeweils gleichlautend Nr. 0.5.2. und Nr. 5.2 Abs. 4 CT-Rulebook (Fn. 22) sowie Nr. 0.5.3 und 5.2 DD-Rulebook (Fn. 23). 104 MüKo-HGB/Herresthal, A. Rn. 24; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Rigler (Fn. 5) Kap. 11 Rn. 49; Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Dietze, Kommentar zum Zahlungsverkehrsrecht, 2. Aufl. 2013, Teil 4 Rn. 4; einschränkend Arndt (Fn. 8), 309 f. 105 Meinungsstand bei MüKo-HGB/Herresthal, A. Rn. 24; mit Nachw. der älteren Lit. auch J. Schäfer (Fn. 4), 95 bei Fn. 11. 106 Zur Einordnung als AGB sogleich noch unter IV 1. 107 Oben II 3b bb). 108 Standardwerk ist Jean Tirole, Industrieökonomik, 2. (deutschsprachige) Aufl. 1999. 109 So zutr. bereits Arndt (Fn. 8), 305, 309 ff. 100

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auf der Basis des Rulebook abzuschließen und zu erfüllen.110 Damit offeriert das Rulebook nicht bloß – wie andere, durch Unternehmensverbände erstellte Klauselwerke, darunter auch die deutschen AGB-Banken – eine Konditionenempfehlung, sondern statuiert eine über die Parallelverträge schuldrechtlich erzwungene allgemeinverbindliche Rechtsgrundlage. Vertragsrechtsdogmatisch gesprochen: Die Technik koordinierter Parallelverträge überwindet die Grenzen des vertragsrechtlichen Relativitätsprinzips, welches die Geltung der lex contractus auf die Kontrahenten begrenzt. Zu einem Vertragsnetzwerk auch im Rechtssinne wird das SEPA-Regime schließlich durch eine weitere Gestaltung: Parteien des Beitrittsvertrages sind nicht nur der einzelne SEPATeilnehmer und der EPC als juristische Person, sondern auch die Teilnehmer im Horizontalverhältnis untereinander.111 Konsequenzen hat dies vor allem in Gestalt einer (bilateralen) Vertragshaftung von Teilnehmern, die gegen Verhaltensregeln des Rulebook verstoßen.112 Die mehrdimensional abgesicherte Verbindlichkeit des Rulebook rückt das Vertragsnetz als „hybrides“ Regime in die Nähe einer Verbandsstruktur113, die nicht mehr durch eine lex contractus, sondern durch corporate governance organisiert und zusammengehalten wird. Die Parallelen zur Verbandsorganisation sind in der Tat auffällig. Den für Verbände schlechterdings konstitutiven überindividuellen Verbandszweck114 wird man darin erkennen, dass sowohl das Rulebook115 als auch die Beitrittsverträge116 die Langfristaufgabe der Entwicklung und Pflege einer technischen Infrastruktur für einen harmonisierten transnationalen, sicheren und wettbewerbsfähigen Zahlungsverkehr als „Vision“ in den Mittelpunkt stellen. Die Beitrittserklärungen mögen demgemäß zwar formalrechtlich individuelle Verträge sein; aber in ihrer Aggregation sind sie funktionalrechtlich eher als Organisationsakt und als Verbandsverfassung117 zu qualifizieren. Dass dieses Organisationsstatut insgesamt als zumindest „normähnlich“ und damit als privates partikulares Recht bezeichnet werden darf, ist bereits von v. Gierke erkannt und seither im Kern nicht mehr bezweifelt worden.118 110 Gleichlautend jeweils Nr. 5.1 und 5.2 Abs. 1 CT-Rulebook (Fn. 22) und DD-Rulebook (Fn. 23. 111 Gleichlautend jeweils Nr. 5.2 Abs. 3 CT-Rulebook/DD-Rulebook. Auf die unvermeidlichen Komplikationen beim Vertragsabschluss ist hier nicht einzugehen, auch der belgische Code Civil (Art. 1120) kennt selbstverständlich die Institute Botenschaft und Stellvertretung. 112 Jeweils Nr. 5.9 CT-Rulebook/DD-Rulebook. 113 Zur Verbandseigenschaft von (deutschen) Interbankenabkommen MüKo-HGB/ Herresthal, A. Rn. 24. 114 Statt vieler Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 4 I 2 b und II 1. 115 Vgl. nur Nr. 1.1 und 1.2 CT-Rulebook. 116 Als Pflichtenprogramm beschrieben in Nr. 5.1 CT-Rulebook. 117 Vgl. zum allgemeinen Verbandsrecht wiederum Karsten Schmidt (Fn. 114) § 5 I 1. 118 Aktueller Meinungsstand bei Karsten Schmidt (Fn. 114) § 5 I 1c.

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In seiner Eigenschaft als „network manager“119 fungiert der EPC – repräsentiert durch den SEPA Management Board120 – als eine Art Leitungsorgan des Verbandes. Verbandstypisch ist ferner die Installierung einer beim Compliance and Adherence Committee zentralisierten Sanktionsgewalt.121 Schließlich: Verbände haben Mitglieder. Phänotypisch mag man auf eine mitgliedschaftliche Position der SEPA-Teilnehmer aus deren Gesamtzahl von mehreren Tausend schließen. Andererseits verfügen die Teilnehmer nicht über das Recht zur unmittelbaren Teilhabe an der kollektiven Willensbildung. Mitgliedschaftstypisch ist aber wieder, dass die scheinbar einseitige Verpflichtung auf die Befolgung des Rulebook in Wahrheit jedem Teilnehmer auch Rechte verschafft.122 Das Massengeschäft des Interbankenverkehrs bringt es nämlich mit sich, dass SEPA-Teilnehmer in stetigem Wechsel die Rollen als Initiator und als Exekutor von Zahlungstransaktionen tauschen; sie sind mithin nicht nur Schuldner von Rulebook-definierten Vertragspflichten, sondern auch deren Gläubiger. c) Das Rulebook als Rechtsquelle der Bank-Kunde-Beziehung Die Geltung des SEPA-Regimes unter den Teilnehmern erwies sich als letztlich nicht problematisch. Seine Geltung als privat gesetztes Recht im Bank-Kunde-Verhältnis, und zwar ohne einen Transformationsakt über die dem Kunden gestellten Zahlungsverkehrs-AGB der deutschen Banken,123 rührt hingegen an Grundsatzfragen. Verträge, die eine Wirkung nicht nur für und gegen die Kontrahenten, sondern darüber hinaus gegenüber vertragsexternen Dritten intendieren, stellen sich als ultra-vires-Ausübung der Privatautonomie124 dar. In der deutschen Vertragsrechtsdogmatik findet sich dieser Gedanke im Relativitätsprinzip und – vergröbert – im Verbot von Verträgen zulasten Dritter wieder. Zwei Fragen sind zu unterscheiden: Tangiert das SEPA-Regime überhaupt die Rechtsstellung des Bankkunden (Zahler oder Zahlungsempfänger)? Und wenn ja: Existiert dafür eine belastbare rechtliche Grundlage?

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Terminologie nach Baldwin/Cave/Lodge (Fn. 61), 160. Oben, Text bei Fn. 40. 121 Bereits oben II 3b cc. 122 Allgemein zur Konzeption der Mitgliedschaft als Bündel von Rechten und Pflichten Karsten Schmidt (Fn. 114) § 19 I 3. 123 Bereits oben, Text nach Fn. 2. Die Behandlung dieser Fallgruppe dürfte im Übrigen absolut unstr. sein. 124 Nach Cafaggi, Private Regulation in European Private Law, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Mak/du Perron (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 4. Aufl. 2011, 91, 96. 120

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(1) Die erste Frage lässt sich ohne Umschweife mit ja beantworten.125 Gewiss gestattet das Rulebook einem Zahlungsdienstleister einige Freiheit, was er mit seinem Kunden vereinbaren will.126 Andererseits: Von Beginn an legt das Rulebook eine Vier-Parteien-Struktur aus Zahler (originator), Zahlerbank, Empfängerbank und Zahlungsempfänger (beneficiary) zugrunde127 und zielt auf eine komplette „end to end“-Lösung128, die bei der Erteilung des Zahlungsauftrags ansetzt und bis zur Gutschrift beim Empfänger reicht. Konkret schlägt sich diese Grundkonzeption etwa in folgenden Details nieder: – Zahlungsdienstleister müssen nicht nur ihre dem Kunden gestellten AGB (conditions), sondern auch eventuelle Individualvereinbarungen (terms) und kundenadressierte Mitteilungen Rulebook-konform gestalten.129 – Zahlungsdienstleister sind gehalten, ihre Kunden in einem Maß zu informieren und zu beraten, welches deutlich über die gesetzlichen Informationspflichten gem. Art. 248 EGBGB hinausgeht.130 – Lastschriftgläubiger müssen ihrerseits von ihrem Zahlungsdienstleister zu umfassenden Auskünften und zu Rulebook-konformer Erteilung von Lastschriftaufträgen verpflichtet werden.131 – Unter dem Rulebook hat ein Lastschriftgläubiger dem Zahler/Schuldner den ersten Lastschrifteinzug auf der Basis des Mandats 14 Tage im Voraus anzukündigen.132 Dergleichen sehen weder PSD2, noch SEPA-VO, schon gar nicht §§ 675c ff. BGB und nicht einmal die deutschen Lastschrift-AGB vor. Aufsehenerregend ist dies, weil das Rulebook hier auch in das Valutaverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner interveniert, wogegen das Zahlungsdiensterecht ansonsten das Valutaverhältnis ganz konsequent ausspart.

125 So zutr. bereits Arndt (Fn. 8), 305, 307; i. Erg. auch Grundmann in Staub HGB, Bd. 10/2, 3. Teil Rn. 86. Ablehnend ohne sachhaltige Begründung und insb. ohne Detailanalyse der Regelwerke MüKo-HGB/Herresthal (Fn. 5) Rn. 26. 126 Jeweils Nr. 3.2 Ziff. 3 und 4 CT-Rulebook (Fn.22) und DD-Rulebook (Fn. 23). 127 Sog. four corner model; vgl. Nr. 3.2 CT-Rulebook (Fn. 22); Nr. 3.1 und 3.2 DDRulebook (Fn. 23). Hierauf zu Recht hinweisend bereits Arndt (Fn. 8), 305, 311 f. 128 Nr. 1.3 CT-Rulebook); Nr. 1.6.3 (a) und 1.7.1 (a) Annex VII DD-Rulebook. 129 Nr. 3.6 i.V.m. 5.7 (1) und (2) CT-Rulebook (Fn. 22 ); Nr. 3.6 i.V.m. Nr. 5.7 (2) und 5.8 (2) DD-Rulebook (Fn. 23). Für Überweisungen ergänzend SEPA Credit Transfer Scheme Customer-to-Bank Implementation Guidelines 2019 Version 1.0, Nr. 1 und 2. Unzutr. weil den klaren Wortlaut von Nr 3.6 der beiden Regelwerke („Participants must ensure …“) verfehlend und Nr. 5.7 Rulebook übersehend, die Behauptung von MüKoHGB/Herresthal (Fn. 5) Rn. 26, das Rulebook habe im Verhältnis zum Kunden lediglich Empfehlungscharakter. 130 Nr. 5.8 (18) CT-Rulebook (Fn. 22); Nr. 5.7 (6) DD-Rulebook (Fn. 23). 131 Nr. 5.7 Abs. 2 (23)-(33) DD-Rulebook (Fn. 23). 132 Sog. Pre-notification gem. Nr. 4.2 Abs. 1 i.V.m. Nr. 4.3.4 DD-Rulebook (Fn. 23).

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Sind diese Weiterungen zulasten Rulebook-externer Kunden nun „ultra vires“? (2) Wer nicht ohnedies bereits die faktische „Drittwirkung“ des Rulebook-Regimes leugnet, könnte bei dieser Frage ein Legitimationsproblem befürchten und allenfalls eine „Ausstrahlung“133 des Rulebook-Regimes, also einen bloßen Rechtsreflex gelten lassen.134 So viel Zurückhaltung ist indes nicht angebracht, im Gegenteil: Der Transmissionsmechanismus, der das Rulebook zu funktional differenzierter privater Rechtssetzung erhebt, ist konstruktiv letztlich geradezu verblüffend einfach. Das System koordinierter inhaltsgleicher Parallelverträge wird schlicht auf die gesamte Zahlungskundschaft erstreckt. Dies verbürgt – schuldrechtlich verbindlich – die den SEPA-Teilnehmern durch das Rulebook auferlegte Verpflichtung135, mit den Kunden keine Zahlungsdienstverträge zu schließen, die die Wirkung des Rulebook konterkarieren könnten; positiv gewendet: die RulebookStandards in jedem Kundenvertrag zu implementieren. Dieser Mechanismus begründet, entgegen dem ersten Anschein und ungeachtet der dem Kunden überbürdeten SEPA-typischen Pflichten, zweifelsfrei keinen Vertrag zulasten Dritter. Der SEPA-Teilnehmer/Zahlungsdienstleister kann in Erfüllung seiner Weiterleitungspflicht aus dem Rulebook dem Kunden augenscheinlich nicht mehr als ein SEPA-konformes Angebot machen, welches der Kunde erst noch konsensbegründend annehmen muss. Freilich hat man noch nicht viele Kunden gesehen, die ein solches Angebot ausgeschlagen haben. Zwar lässt das BGB unbedenklich auch nicht SEPA-konforme Zahlungsdienstverträge zu. Doch falls ein Kunde tatsächlich ein entsprechendes Gegenangebot machen sollte, hat das Rulebook vorgesorgt: Der Kunde muss dann auf den Komfort einer SEPA-Zahlung verzichten, ja, die Bank darf sogar die Ausführung eines nicht SEPA-konformen Überweisungsauftrags oder Lastschriftmandats a limine ablehnen.136 Das Fazit: Das Problem der Implementierung des SEPA-Regimes im Kundenvertrag ist nicht ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter; es ist die eingeschränkte Vertragsabschluss- und Inhaltsfreiheit des Kunden. Dieses Fazit leitet über zu zwei abschließenden rechtsdogmatischen Überlegungen.

133 Die Ausstrahlungsmetaphorik hat im bankrechtlichen Schrifttum eine unrühmliche Karriere hinter sich, da sie maßgeblich zur Verdunkelung des Verhältnisses von Aufsichtsund Zivilrecht im Kapitalmarktverhaltensrecht beigetragen hat; vgl. dazu zuletzt kritisch und mit neuen Vorschlägen Buck-Heeb, WM 2020, 157. 134 So in der Tat Arndt (Fn. 8), 307, 311. 135 Zur sedes materiae vgl. Fn. 129. 136 So zum nicht SEPA-konformen Überweisungsauftrag explizit Nr. 5.7 Abs. 1 (7) CT-Rulebook (Fn. 23).

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IV. Zivilrechtsdogmatische Folgerungen Unter den nicht wenigen zivilrechtsdogmatischen Fragen, die das Rulebook provoziert, seien hier nur zwei herausgegriffen; sie tangieren zugleich die soeben diskutierten Grundsatzfragen. Konkret: es geht um die AGBKontrolle einzelner Klauseln des SEPA-Regimes, ferner um dessen vertragliche Drittwirkung bei Verstößen gegen das Rulebook im Interbankenverhältnis mit schädlichen Folgen für den Kunden. 1. AGB-Kontrolle von Rulebook-Klauseln Kurz beantwortet ist die Frage nach einer AGB-Kontrolle im Interbankenverhältnis. Das gewählte belgische Recht hat die Klausel-Richtlinie 93/13/EWG, anders als die Bundesrepublik, minimal umgesetzt und gestattet die AGB-Kontrolle nur in Verbraucherverträgen.137 Die Klauselkontrolle im Bank-Kunde-Vertrag ist ebenfalls unproblematisch, soweit SEPA-Standards in den Zahlungsverkehrs-AGB der mitgliedstaatlichen Banken umgesetzt wurden. Dann erfolgt die Inhaltskontrolle im individuellen Vertrag nach inländischem AGB-Recht und dessen dispositivrechtlichen Leitbildern. Zu erwägen bleibt allerdings, ob die – praktisch nicht ganz seltenen – individualvertraglichen Referenzen auf SEPA-Regeln nicht ebenfalls einer Inhaltskontrolle im Individualprozess bedürfen, in der solche Vereinbarungen unter dem Gesichtspunkt einseitiger Belastung des Kunden überprüft werden. Auch diese im Rulebook vorformulierten Vertragsbestimmungen sind ja vom Zahlungsdienstleister „gestellt“ – aus den erwähnten Gründen sind sie in der Praxis so gut wie niemals verhandelbar. Auch sind sie infolge ihrer technischen Komplexität nicht von mustergültiger Transparenz. Mithin unterscheiden sich die Umstände des Vertragsschlusses nicht grundlegend von jenen beim Zustandekommen eines Vertrages auf AGB-Basis. Freilich stößt eine Inhaltskontrolle von Individualvereinbarungen unterhalb der Schwelle zur Sittenwidrigkeit nach wie vor auf grundsätzliche Vorbehalte.138 2. Drittwirkung des Rulebook zugunsten des Zahlungsdienstenutzers? In einer über Jahrzehnte tradierten Saga hat die deutsche Zivilistik die Haftungsprobleme im arbeitsteiligen Zahlungsverkehr primär als eine Frage 137 Art. VI.83 ff. Code de droit économique. Damit erübrigen sich die Überlegungen von MüKo-HGB/Herresthal (Fn. 5) Rn. 29, 31 zu der Frage, ob die Rulebook-AGB im Beitrittsvertrag „gestellt“ sind. 138 Dies kann im gegebenen Rahmen nicht vertieft werden; vgl. statt aller Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992).

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vertraglicher Drittwirkungen analysiert.139 Nicht von ungefähr ist deshalb auch nach einer haftungsrechtlichen Drittwirkung des Rulebook gefragt worden. Der immer noch mit Leidenschaft geführte Meinungsstreit140 ist freilich im Geltungsbereich des Rulebook nicht nur durch das Internationale Privatrecht (1), sondern auch durch die vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB entscheidend abweichenden Haftungsstrukturen des neuen Zahlungsdiensterechts (2) wenn nicht obsolet, so doch marginalisiert. (1) Rulebook und Beitrittsverträge sind durch Rechtswahl belgischem Recht unterstellt.141 Unter dem maßgeblichen Einfluss des französischen Rechts (Art. 1199 Cc) hat das belgische Schuldrecht für ein rigides Relativitätsprinzip optiert, welches vertragliche Drittwirkungen jenseits des berechtigenden Vertrags zugunsten Dritter nicht zulässt (Art. 1134 S. 1, Art. 1165 i.V.m. Art. 1121 belg. Cc) und geschädigte Dritte auf die deliktische Generalklausel verweist.142 Dies ist auch bei rein innerdeutschen Zahlungstransaktionen zu beachten.143 Zwar trifft es zu, dass die vom Rulebook – wie ausgeführt – explizit intendierte Drittwirkung zugunsten und zulasten des Bankkunden überhaupt nicht den Schutzpflichtenbereich144 betrifft,145 sondern den Transfer von Leistungspflichten in das Bank-Kunde-Verhältnis anordnet. Da indes auch diese Konstruktion keinen – nach belgischem Recht allein zulässigen – berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter146 begründet, ändert dies nichts an dem gefundenen Ergebnis. (2) Wem dieses Ergebnis nicht genügt, wird noch Folgendes zu bedenken haben. Das Europäische Sekundärrecht des Zahlungsverkehrs hat in seinen Haftungsvorschriften147 einen geradezu fundamentalen Systemwechsel vollzogen. Es verabschiedet weitgehend das vertragliche Relativitätsprinzip, und zwar auch in dessen Erweiterung durch vertragliche Drittwirkungen. An deren Stelle setzt es das Prinzip der Gesamtverantwortung der Zahlerbank für den gesamten Zahlungsweg bis zum Zahlungseingang bei der Empfän139

Die Diskussion resümierend Köndgen, ZBB 2018, 141 (142). Zuletzt wieder MüKo-HGB/Herresthal (Fn. 5) Rn. 35 (i. Erg. abl.). 141 Jeweils Nr. 3.5 CT-Rulebook und DD-Rulebook. 142 Statt vieler van Ommeslaghe, Traité de droit civil, Tome 2: Les obligations (2013), vol I Rnr. 375 ff., 821 ff. 143 Für die Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts vgl. nur Staudinger/Magnus (2016) Art. 12 Rom I-VO Rn. 37 (m.w.N.). 144 Das franko-belgischen Zivilrecht anerkennt grundsätzlich keinerlei vertragliche Schutzpflichten. 145 So für inländische Interbankenabkommen andeutungsweise auch Arndt (Fn. 8), 284 f. 146 Art. 1121 Cc (belge) lautet: On peut pareillement stipuler au profit d’un tiers, lorsque telle est la condition d’une stipulation que l’on fait pour soi-même ou d’une donation que l’on fait à un autre. Celui qui a fait cette stipulation, ne peut plus la révoquer, si le tiers a déclaré vouloir en profiter. 147 § 675s Abs. 1 S. 2, §§ 675y Abs. 1 und Abs. 3, 675z S. 3 und 4 BGB in Umsetzung von Art. 83 Abs. 1 S. 1, 89 und 90 PSD 2. 140

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gerbank. Folgerichtig statuiert § 675y BGB für überhaupt nicht, verspätet oder fehlerhaft ausgeführte Zahlungsaufträge eine verschuldenslose Erstattungshaftung der erstbeauftragten Bank, und zwar ohne Rücksicht darauf, auf welcher Stufe des Zahlungsweges der Fehler verursacht wurde. Ergänzt wird dieses Prinzip noch durch das gleichfalls vertragstranszendierende, aber pragmatisch durchaus überzeugende Ziel einer Konzentration der haftungsrechtlichen Passivlegitimation bei der erstbeauftragten Bank. Auf irgendwelche Drittwirkungen des Rulebook braucht der Zahler sich, gleichviel welche Zwischenbank gegen das Rulebook verstoßen hat, nicht mehr zu berufen.148 Eine beschränkte und indirekte Drittwirkung bleibt dem Rulebook immerhin in Hinblick auf die Schadensersatzhaftung der erstbeauftragten Bank für ein Verschulden von zwischengeschalteten Instituten (§ 675z S. 3 BGB). Hier darf zur Konkretisierung der verkehrs- bzw. vertragsüblichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) auf die Regeln des Rulebook als berufsständischem Verhaltenskodex zurückgegriffen werden.

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Dies ist hier nicht erneut zu vertiefen; eingehende Begründung bei Köndgen (Fn. 139),

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Interessenwahrung bei nicht-unabhängiger Anlageberatung nach dem WpHG

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Interessenwahrung bei nicht-unabhängiger Anlageberatung nach dem WpHG Ingo Koller

Bestmögliche Interessenwahrung bei der nicht-unabhängigen Anlageberatung nach dem WpHG INGO KOLLER

I. Fremdnützigkeit Zu Beginn seiner grundlegenden Habilitationsschrift „Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken“ wirft der Jubilar einen Blick auf die in der Bevölkerung herrschende Stimmung zur Macht der Banken und in diesem Zusammenhang auf die von Skepsis geprägten Erwartungen hinsichtlich der fremdnützigen Beratung durch die Banken. Im Folgenden entwickelte er ein System des Anlegerschutzes, der vom Grundsatz der Priorität der Anlegerinteressen getragen ist.1 In gleicher Weise verpflichtet § 63 I WpHG Wertpapierdienstleistungsunternehmen im bestmöglichen Interesse (in accordance with the best interests; au mieux des intérets) der Kunden tätig zu werden. Es statuiert damit auf den ersten Blick das Gebot der uneingeschränkten Fremdnützigkeit. Selbst dort, wo altruistisch gehandelt wird, spielen vielfach Eigeninteressen mit. So kann altruistisches Handeln von Sympathie getragen sein oder von dem Wunsch, dem eigenen Ideal zu folgen. Denkbar ist auch, dass altruistisch in der Erwartung gehandelt wird, der andere werde auch seinerseits später fremdnützig agieren. All diese Eigeninteressen stellen eine Fremdnützigkeit im Sinn des § 63 I WpHG nicht von vornherein infrage. Die Vorschrift legt es nahe, dass sich Wertpapierdienstleistungsunternehmen am Ideal eines unentgeltlich tätigen Auftragnehmers zu orientieren haben, wie ihn § 662 BGB vor Augen hat. Dem Auftragnehmer bleibt es nicht gänzlich verwehrt, mit den Interessen des Auftraggebers konfligierende Eigeninteressen zu berücksichtigen. So muss sich ein Auftragnehmer nur mit zumutbaren Kräften und zumutbarem Aufwand an Zeit für den Auftraggeber einsetzen.2 Dessen Interessen braucht er nur zu verfolgen, soweit sie für ihn erkennbar sind. Erkennbar heißt in diesem Zusammenhang nicht, dass sie 1 2

tet.

Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 440 ff. Dies ergibt sich daraus, dass der Auftragnehmer nur gemäß den §§ 280, 276 BGB haf-

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ihm bekannt sein müssen. Sie müssen aber bei zumutbarer Anstrengung deutlich geworden sein. Im Übrigen bleibt es dem Auftragnehmer verwehrt, die erkennbaren Fremdinteressen zugunsten wirtschaftlicher Eigeninteressen zurücktreten zu lassen.3 Er kann zwar sein Interesse, durch seine fremdnützige Tätigkeit keine wirtschaftlichen Einbußen zu erleiden, durch einen Aufwendungsersatzanspruch wahren (§ 670 BGB). Dieser Aufwendungsersatzanspruch erlaubt es jedoch nicht, die Kosten des eigenen Arbeitseinsatzes oder die Fixkosten auf den Auftraggeber abzuwälzen.4 Dass manche Auftragnehmer bei ihrem Einsatz auch an ihre immateriellen Interessen, z.B. an ihr Ansehen in der Gesellschaft oder einer engeren Bezugsgruppe denken und dadurch die Interessen des Auftraggebers Schaden erleiden, wird hingenommen.5 Hinzunehmen ist auch die Erwartung von Auftragnehmern, dass sich der Auftraggeber in späterer Zeit revanchieren werde, nicht aber, dass sich der Auftraggeber verpflichtet, später mit dem Auftragnehmer ein entgeltliches Geschäft abzuschließen. Die Grenze zwischen der Fremdnützigkeit und der Eigennützigkeit6 verschwimmt, wenn das unentgeltliche Handeln des Auftragnehmers von der Erwartung getragen wird, mittels seiner Tätigkeit den Auftraggeber zu einem für ihn, den Auftragnehmer, wirtschaftlich vorteilhaften Geschäft zu bewegen.

II. Der beratende Verkauf Es ist allgemein anerkannt, dass entgeltliche Verträge durch gegenläufige Interessen gekennzeichnet sind. Die Konsequenz ist, dass z.B. Verkäufer typischerweise versuchen, ihre Ware als für den Kunden besonders vorteilhaft erscheinen zu lassen. Nun werden diese Kundenwünsche nicht nur von rationalen Motiven, sondern wesentlich auch von Emotionen getragen. Der Verkäufer, der im eigenen Interesse seine Kunden berät, wird nicht nur versuchen, dem jeweiligen Kunden plausibel zu machen, dass sein Angebot dessen Zielen entspricht.7 Er wird auch die emotionale Ebene des Kunden zu erreichen suchen. Dies wird er umso eher tun, wenn, wie bei den Finanzinstrumenten als Vertrauensgütern,8 sich die Qualität des Angebots weder vor noch bei den Vertragsverhandlungen empirisch ermitteln lässt und auch die späteren Erfahrungen mit der erworbenen Leistung kei3

Staudinger/Martinek/Omlor, BGB (2017), § 662 Rz. 25. BGH, NJW 2009, 1738 Tz. 16. 5 BGHZ 56, 204, 207. 6 Eigennützigkeit in diesem Sinne bedeutet, dass sich das Handeln an den eigenen Präferenzen ausrichtet. 7 Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 33, 117, 461 ff. 8 Reik, Der strategische Einfluss von Informationen in Vertrauensgütermärkten – eine spieltheoretische Analyse, 2016, S. 35. 4

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ne sicheren9 Rückschlüsse auf die Qualität des Angebots erlauben. Wie der Begriff „Vertrauensgut“ signalisiert, ist der Erwerb derartiger Güter nämlich in erhöhtem Maß von Vertrauen getragen.10 Es kann besonders gut durch eine Beratung11 der Kunden auf- und ausgebaut12 werden. Zwar wird einem Verkäufer bei der Beratung wegen des immanenten Interessengegensatzes unterstellt, dass er eigene Interessen bevorzugt.13 Dieses Misstrauen kann aber durch geeignete Sozialtechniken14, wie Framing oder Hinweise auf das Verhalten anderer Kunden15, limitiert oder sogar gänzlich in den Hintergrund gedrängt werden.16 Ein geschickter Verkäufer wird sich in die Person des Kunden einfühlen und dessen besondere persönliche Eigenschaften berücksichtigen.17 Er wird versuchen, durch das Aufzeigen gemeinsamer Interessen und durch das Eingehen auf die Befindlichkeiten des Kunden18 eine gute Stimmungslage19 zu erzeugen, um seine Argumente leichter auf fruchtbaren Boden fallen zu lassen.20 Förderlich sind dabei die klare Einschätzung der Gesprächssituation, die rhetorischen und körpersprachlichen Fähigkeiten21, zu denen es gehört, positive Assoziationen hervorzurufen bzw. Befürchtungen zu aktivieren. Durch selektive Präsentation möglichst plausibler Argumentationsketten können die gewünschten Reaktionen des Kunden ausgelöst werden. Auch die Darstellung von Expertise, die von den Kunden akzeptiert wird, fördert die Vertrauensba-

9 Emons in Hasse/Vollmer, Incentives and Economic Behavior, 2005, S. 18, 33. Es gilt den sog. hindsight bias (Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., S. 67) zu vermeiden. 10 Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 41. Zur Bedeutung des Vertrauens im Rahmen der Beratung, Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 30. 11 Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 74 f. 12 Verbraucher neigen zum Transfer von Reputation. Wenn sich ein Unternehmen über andere Produkte, z.B. das Girokonto, Vertrauen erworben hat, erstrecken sie das Vertrauen auch auf andere Angebote des Unternehmens (Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 69). 13 Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 74 f. 14 Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 75; Homburg/Krohmer, Marketingmanagement, 2. Aufl., S. 84 ff. 15 Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 83. 16 Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 69. 17 Homburg/Krohmer, Marketingmanagement, 2. Aufl., S. 900 ff. 18 Z.B. versteckte Komplimente (Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 75). 19 Hierzu kann die Umgebung wesentlich beitragen (Homburg/Krohmer, Marketingmanagement, 2. Aufl., S. 68 ff.; Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 70). Personen in guter Stimmung vermeiden Aktivitäten, die ihnen die Stimmung verderben könnten, wie z.B. eine genaue Prüfung von Informationen (Homburg/Krohmer, Marketingmanagement, 2. Aufl., S. 66; Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 81). 20 Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 65 f. 21 Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 58.

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sis.22 In diesen Sozialtechniken können die beratenden Verkäufer nicht nur geschult werden, sondern es können auf die unterschiedlichen Arten von Kunden zugeschnittene Gespräche mit Fragen und Antworten eingeübt werden, die die Verkaufsziele optimal befördern. Auf diese Weise können Verkäufer versuchen, auf Einstellungsänderungen der Kunden hinzuwirken,23 die diese veranlassen, innere Einwände gegen die Empfehlung beiseite zu schieben.24 Die Bereitschaft, sich dem Ratgeber zu öffnen, wird gesteigert, wenn die Illusion befördert wird, dass die Beratung unentgeltlich erfolgt, obwohl sie mittels eines anschließenden Verkaufs vergütet wird. Beim Beratenen spricht die unentgeltliche Beratung das Gefühl für Fairness an, das ihn motiviert, den Ratgeber angesichts des „Geschenks“ der Beratung nicht durch eine Ablehnung der Empfehlung zu enttäuschen.

III. Die nicht-unabhängige Anlageberatung 1. Geschäftsmodell Die nicht-unabhängige Anlageberatung ist als Geschäftsmodell im Ansatz wie ein beratender Verkauf konstruiert.25 Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen betreibt die Beratung, um Empfehlungen abgeben zu können, die in der Summe dem Vertrieb ihrer Finanzprodukte oder ihrer sonstigen entgeltlichen Dienstleistungen dienen. Dem steht nicht entgegen, dass in Einzelfällen die Empfehlung erteilt wird, ein bestimmtes Geschäft zu unterlassen26 oder auf jegliche Finanzinvestitionen zu verzichten. Die Beratungstätigkeit wird nämlich aus den Abschlüssen finanziert, die aufgrund der Empfehlungen getätigt werden. Das macht insbesondere der Umstand deutlich, dass die Empfehlung, wenn sie den Erwerb eines bestimmten Finanz22 Zapf, Kommunikationsstrategien für Vertrauensgüter, 2010, S. 74; Homburg/Krohmer, Marketingmanagement, 2. Aufl., S. 65. Vgl. auch Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 87. 23 Becker, Verkaufspsychologie, 3. Aufl., S. 56 f. 24 In diese Richtung wirkt auch der Umstand, dass bei Vertrauensgütern die Bereitschaft der Kunden typischerweise besonders gering ist, konkurrierende Anbieter aufzusuchen, weil sie wissen, dass sie deren Qualität zu beurteilen, nicht in der Lage sind (Meffert/Bruhn, Dienstleistungsmarketing, 6. Aufl., S. 90). Hinzu kommt, dass eine unentgeltliche Beratung unter Umständen nur von Anbietern erwartet wird, zu denen man bereits eine Kundenbeziehung aufgebaut hat. 25 Vgl. Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 201. Vgl. auch Münchener Kommentar/ Zahrte HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 15 ff. 26 Empfehlung, das Finanzinstrument zu halten. Auch hier kann ein Vergütungsinteresse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens dahinterstehen, wenn es Provisionen bezieht, solange der Kunde in dem Finanzinstrument investiert bleibt.

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produkts betrifft, sich regelmäßig auf die Angebotspalette – oft als „Universum“ bezeichnet – bezieht, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen vermarktet. Der § 64 I S. 1 Nummer 2 WpHG erkennt diese Konzentration auf das vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen vermarktete Sortiment an, wenn er die Verpflichtung begründet, darüber aufzuklären, ob sich die Anlageberatung auf eine umfangreiche27 oder eine eher beschränkte Analyse verschiedener Arten von Finanzinstrumenten stützt und ob die Angebotspalette nur Finanzinstrumente von Anbietern und Emittenten umfasst, die in einer engen Verbindung zum Wertpapierdienstleistungsunternehmen stehen oder mit ihm in sonstiger Weise derart rechtlich oder wirtschaftlich verbunden sind, dass das Risiko besteht, dass die Unabhängigkeit der Anlageberatung beeinträchtigt wird. Die Angebotspalette hat daher dieselbe Funktion wie das Sortiment, das ein Warenverkäufer oder ein Handelsvertreter vertreibt.28 In § 64 I S. 1 Nr. 2 WpHG geht es deshalb nicht nur darum, auf die beschränkte Basis der Empfehlung aufmerksam zu machen, sondern auch darum, es für legitim zu erklären, dass ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen unter Umständen nur zu Finanzinstrumenten berät, die es in enger Verbindung mit Anbietern und Emittenten vertreibt oder gar selbst emittiert oder in seinem Besitz hat. Ebenso wie bei dem beratenden Verkauf prägt deshalb auch hier der Interessenkonflikt die Beziehungen zwischen den Wertpapierdienstleistungsunternehmen und ihren Kunden. 2. Interessen, die es bestmöglich zu wahren gilt Mit dem Begriff Interesse ist nicht die Aufmerksamkeit gemeint, die jemand einer Person, Sache oder Tätigkeit widmet. Vielmehr geht es um Ziele, die einerseits auf der Basis von Emotionen und Trieben und andererseits mittels kognitiver Steuerung entwickelt werden.29 Diese Emotionen und 27 Es ist weitgehend ungeklärt, was man unter „umfangreich“ zu verstehen hat. Für die Annahme, die Analyse sei umfangreich, dürfte es genügen, dass für die verschiedenen Kategorien von Anlagezielen und Formen der Risikobereitschaft geeignete Finanzinstrumente als für Empfehlungen geeignet ermittelt worden sind, selbst wenn alle diese Finanzinstrumente aus dem eigenen Haus, der eigenen Gruppe oder von Emittenten stammen, mit denen lukrative Provisionsvereinbarungen abgeschlossen worden sind und renditeträchtigen konkurrierenden Finanzinstrumenten kein Augenmerk geschenkt worden ist. 28 Experteninterview Herting/Alpers (UBS Europe SE) in Mansen, Die neuen Anlageberatungsregelungen der MiFID II, 2018, S. 430 (Den Kunden interessiert nicht, aus wie vielen Produkten das für ihn passende ausgewählt wurde. Er beobachtet die Performance des letztlich als passend bezeichneten Produkts). Vgl. auch Münchener Kommentar/ Zahrte HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 15 ff. 29 Man kann nicht voraussetzen, dass die Anleger ihre Ziele immer klar definieren können und dass sie zur Erreichung der ins Auge gefassten Ziele Mittel nur in dem Umfang einsetzen, in dem dies unbedingt notwendig ist (Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., S. 59). Zwar handelt der ideale rationale Mensch nie irra-

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Triebe können in der Kommunikation verstärkt werden.30 In diesem komplexen Antriebsprozess spielt auch die Ziel/Mittel-Relation und der subjektiv erwartete Wert bei Zielerreichung eine bedeutsame Rolle.31 Die Ziel/ Mittel-Wahrnehmung geschieht in der Regel in Lernprozessen, in deren Rahmen Berater die treibenden Kräfte in die gewünschte Richtung befördern können.32 Dafür eignen sich in besonderem Maße Konfliktsituationen. So kann der motivationale Prozess zu inneren Konflikten führen.33 Sie können auch daraus resultieren, dass der Zielbestimmung widersprüchliche Entscheidungskriterien zu Grunde liegen.34 Wenn Anleger sich beraten lassen, werden sie vielfach nicht mit exakten Vorstellungen über die Art der Finanzinstrumente, deren Sicherheit, Liquidität und Rendite aufwarten.35 So kommen etwa Anleger mit dem Ziel zur Beratung, das Geld nicht zum Konsum einzusetzen, sondern es „gut“ anzulegen. Sie können sich dabei von der Angst vor Inflation oder Altersarmut oder von dem Wunsch, sich später größeren finanziellen Spielraum zu verschaffen, leiten lassen. Dabei werden häufig, jedenfalls wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, Konflikte zwischen den Zielen der Liquidität, der Rendite und der Risikovermeidung36 auftauchen, die es zu bewältigen gilt. Hierfür bedarf es der Lernprozesse und der emotionalen Selbstvergewisserung. Beides lässt sich mit Marketingmaßnahmen beeinflussen. Erst recht können Berater die Anleger in der persönlichen Kommunikation, in der es um die Konkretisierung ihrer Ziele und Präferenzen geht, beeinflussen. Falls Anleger ihre Ziele nicht klar definieren, lässt es sich nicht vermeiden, dass in die Kommunikation fremde Werturteile einfließen.37 Sie können den eigenen Vorlieben des Beraters entspringen, sich aber auch an den Werten eines durchschnittlichen, verständigen, informierten Anlegers orientieren. Denkbar ist ferner, dass sich der Berater an dem ausrichtet, was seiner Ansicht nach am ehesten der von ihm wahrgenommenen Persönlichkeit des tional; er stellt seine Urteile nie über seine kurz oder langfristigen Interessen (Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., S. 62). Es ist indessen heute allgemein anerkannt, dass sich viele, wenn nicht die meisten Personen in schwierigen Entscheidungssituationen mehr oder minder begrenzt rational verhalten (näher dazu Koller, ZBB 2011, 361, 364 f.). 30 Vgl. Koller, ZBB 2011, 361, 365 f. 31 Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, 6. Aufl., S. 142, 144. 32 Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, 6. Aufl., S. 147. 33 Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, 6. Aufl., S. 160. 34 Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, 6. Aufl., S. 165. 35 Vgl. Koller, ZBB 2011, 361, 368 m. Nachw. 36 Hierbei entsteht zusätzlich das Problem, dass Anleger vielfach Schwierigkeiten haben, die Risiken sachgerecht einzuschätzen und deshalb in besonderer Weise Beeinflussungen zugänglich sind (Koller, ZBB 2011, 361, 364 f., 369 f.). 37 Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 167: Die Einschätzung der Bedarfsgerechtigkeit ist eine im Kern wertende Stellungnahme, die sich der Beurteilung nach dem Maßstab der Richtigkeit entzieht.

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Anlegers entspricht.38 Vorstellbar ist ebenso, dass er die Interessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ins Spiel bringt, dessen Mitarbeiter er ist.39 Berater können in paternalistischer40 Weise auch ihre eigenen Werte bei der Beratung berücksichtigen. All dies ist in der Praxis nur in extremen Fällen kontrollierbar. 3. Elemente, die das Gewicht der Eigeninteressen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens limitieren Den Interessenkonflikt bzw. dessen Einfluss auf die Empfehlung sowie auf die Bereitschaft des Anlegers, der Empfehlung zu folgen, schränkt das WpHG auf drei Ebenen ein: der Ebene des Selbstschutzes des Anlegers durch Information, der Kontrolle der Qualität der Empfehlung im Sinne der Fremdnützigkeit und mittels struktureller Vorgaben, die dazu beitragen sollen, dass keine Eigeninteressen verfolgt werden können. a) Organisatorische Vorgaben Die organisatorischen Vorgaben begrenzen die Mittel und Methoden, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen einsetzen dürfen, um ihre wirtschaftlichen Ziele zu verfolgen. Diese Vorgaben berühren auch die Anlageberatung. So hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 80 I S. 2 Nr. 2 WpHG angemessene Maßnahmen zu treffen, um Interessenkonflikte zu erkennen oder zu vermeiden oder zu regeln. Im Verhältnis zu Kunden, die beraten werden, kommen Konflikte zwischen den Eigeninteressen der Wertpapierdienstleistungsunternehmen und den Interessen der Kunden41 im Wesentlichen im Bereich der Vertriebspolitik, der Entgegennahme von Zuwendungen Dritter und bei der Setzung von Anreizen zum Tragen, mit denen Mitarbeiter veranlasst werden sollen, die Interessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu verfolgen. Alle Interessenkonflikte sind durch organisatorische Maßnahmen nur in dem Maße zu vermeiden oder zu verringern, in dem die Wertpapierdienstleistungsunternehmen dies mit angemessenem Aufwand gewährleisten können, d.h. durch die sie

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Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 166. Vgl. Nachw. bei Koller, ZBB 2011, 361, 362 f.; ferner Münchener Kommentar/Zahrte HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 15 ff. 40 Koller, ZBB 2011, 361, 365; Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 63 WpHG Rz. 3 f. Zum Teil wird angenommen, dass es gelte, den Werten eines durchschnittlichen, verständigen, informierten Anlegers Rechnung zu tragen, wenn gefordert wird, dass die Beratung an einer vorgegebenen Rangfolge des zu deckenden Bedarfs zu orientieren sei (vgl. Streitgespräch Nauhauser ./. Möller, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.6.2019, Nr. 134, S. 25). 41 Siehe oben Text bei Fn. 35. 39

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nicht unangemessen belastet werden.42 Wie zu bestimmen ist, was unangemessen ist, regelt das WpHG nicht.43 Evident ist nur, dass beispielsweise ein Verzicht auf eine Beratung zu Finanzinstrumenten, die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen in seinem Bestand hat oder die von einem mit ihm eng verbundenen Dritten stammen, unangemessen wäre. Dies ergibt sich aus § 64 I S. 1 Nr. 2 WpHG, der insoweit lediglich eine Pflicht zur standardisierten Aufklärung begründet. Im Übrigen fehlen klare Anhaltspunkte für die erforderliche Bestimmung der Unangemessenheit. Unangemessen ist sicherlich ein Organisationsaufwand eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens44, der erheblich größer ist als der den Kunden drohende Nachteil. Wie aber ist der Schaden zu quantifizieren? Muss der der Gesamtheit der Kunden drohende Schaden in die Abwägung eingestellt werden, weil auch der organisatorische Aufwand nicht auf den einzelnen Kunden bezogen werden kann. Dies hätte zur Folge, dass einzelne Kunden, die besonders Gefahr laufen, wegen des Eigeninteresses des Wertpapierdienstleistungsunternehmens Nachteile zu erleiden, von den organisatorischen Vorkehrungen kaum profitieren würden. In Hinblick auf den Aufwand ist zu fragen, inwieweit die Opportunitätskosten anzusetzen sind. Bejaht man das, müsste man weiter fragen, was die Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit den zur Eliminierung bzw. Milderung des Interessenkonflikts aufgewendeten organisatorischen Mitteln anderweit hätten verdienen können. Darüber hinaus könnte man darauf abstellen, welche Verdienstchancen den Wertpapierdienstleistungsunternehmen entgehen, weil sie durch organisatorische Maßnahmen die Verfolgung ihrer Eigeninteressen einschränken.45 Insgesamt drängt sich die Vermutung auf, dass Interessenkonflikte im Zweifel hingenommen werden, wenn deren Eliminierung oder Verringerung durch organisatorische Maßnahmen wegen des damit verbundenen Aufwands die Profitabilität der Anlageberatung bedroht oder andere Maßnahmen die Verfolgung eigennütziger Ziele des Wertpapierdienstleistungsunternehmens auf ein tragbares Maß begrenzen. Weitergehend scheint § 80 I S. 2 Nr. 3 WpHG den Konflikt zwischen den Interessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und den Interessen der Kunden zu entschärfen, wenn er statuiert, dass Vertriebsvorgaben derart

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§ 80 I S. 1 Nr. 2 WpHG; Umkehrschluss aus § 63 II WpHG. Es geht hier nicht um eine Abwägung von Kundeninteressen einerseits und Interessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens andererseits (Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 80 WpHG Rz. 26). 44 Dabei kommt es auf die Größe, die Organisation des Wertpapierdienstleistungsunternehmens an sowie auf die Art, den Umfang und die Komplexität der Geschäftstätigkeit (Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 80 WpHG Rz. 26). 45 Ablehnend Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 80 WpHG Rz. 26. 43

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auszugestalten sind, dass die Kundeninteressen nicht beeinträchtigt werden. Da sich die Vorschrift auf § 80 I S. 2 Nr. 2 WpHG bezieht, heißt dies auch hier, dass nur angemessene Maßnahmen geboten sind.46 Vertriebsvorgaben sind sämtliche unmittelbaren oder mittelbaren Weisungen an Mitarbeiter, Abteilungen, Zweigstellen oder Niederlassungen, die die Menge, den Umsatz oder den Ertrag der im Rahmen der Anlageberatung empfohlenen Geschäfte betreffen. Vertriebsvorgaben können Teil von Zielvereinbarungen mit Mitarbeitern oder in Anreiz- und Bonussystemen enthalten sein. Vertriebsvorgaben sind auch ausdrückliche oder konkludente Anregungen und Empfehlungen. Selbst die Planung des Absatzes von Finanzinstrumenten, die für jede geordnete Geschäftstätigkeit unerlässlich ist, beinhaltet demnach Vertriebsvorgaben, wenn man bereits die Planung eines bestimmten Umsatzes an Finanzinstrumenten als Vertriebsvorgabe qualifiziert. § 80 I S. 2 Nr. 3 WpHG akzeptiert aber, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu ihren Gunsten den Kreis der möglichen Empfehlungen dadurch begrenzen, dass sie sich nur auf eine beschränkte Analyse von Finanzinstrumenten oder nur auf Anbieter/Emittenten stützen, die zu ihnen in enger Verbindung stehen (§ 64 Absatz 1 S. 1 Nr. 1 WpHG). Zum anderen zeigt die Wahl des Begriffs „Vertrieb“, dass die Vertriebsvorgaben auf eine im Kern eigennützige Tätigkeit der Wertpapierdienstleistungsunternehmen bezogen sind. Dies ist beim Vertrieb „execution only“ (§ 63 XI WpHG) offensichtlich, gilt aber auch dort, wo die Wertpapierdienstleistungsunternehmen lediglich in Hinblick auf fehlende Kenntnisse und Erfahrungen Warnungen auszusprechen haben (§ 63 Abs. 10 WpHG). Der Hinweis auf die Kundeninteressen kann deshalb nur bedeuten, dass Finanzinstrumente nicht in den Markt „hineingedrückt“ werden, dass die Erwartungen der angesprochenen Kundengruppen nicht grob enttäuscht werden dürfen.47 Das zuletzt genannte Ziel verfolgt jedes eigennützig arbeitende Unternehmen, das sich im Wettbewerb auf Dauer auf dem Markt halten will. Daraus ergibt sich nicht, dass es sich bemühen wird, das Interesse der Nachfrager an einem möglichst günstigen Preis/Leistung-Verhältnis zu bedienen. Das Gebot des § 80 I S. 2 Nr. 3 WpHG kann daher nur darauf zielen, aggressives Marketing zu unterbinden, das zwangsläufig zu einer berechtigten48 Enttäuschung größerer Teile der Kunden führt. Nur sehr eingeschränkt hat auch § 63 Abs. 3 WpHG das Ziel einer bestmöglichen Interessenwahrung der Anleger im Auge. Nach dieser Vorschrift ist es den Wertpapierdienstleistungsunternehmen zwar verboten, die Leistungen seiner Mitarbeiter so zu vergüten oder zu bewerten, dass es dadurch 46

Anders noch Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 80 WpHG Rz. 62. 47 Vgl. auch Koller, ZBB 2011, 361, 368. 48 Hierbei ist der sog. hindsight bias auszuschalten.

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zu einer Kollision mit der Pflicht kommt, im bestmöglichen Interesse der Anleger zu beraten. Gefährdet sind diese Interessen insbesondere durch Boni, die bei der Empfehlung bestimmter Finanzinstrumente besonders hoch sind, die ab einem bestimmten Schwellenwert von Empfehlungen bestimmter Wertpapiere gewährt werden oder die an den Umsatz anknüpfen, der auf die getätigten Empfehlungen zurückzuführen ist (quantitative Anknüpfungspunkte). Art. 27 IV Unterabs. 1 delVO (EU) 2017/565 erlaubt jedoch durchaus, Boni an Kriterien zu orientieren, die quantitativer Natur49 sind, falls die daraus resultierende Gefahr für die Anleger durch gegenläufige Elemente, wie faire Behandlung der Anleger und Qualität der Dienstleistung aufgewogen wird.50 Allerdings ist nur schwer vorstellbar, wie diese Kriterien so gefasst werden können, dass sie den von den Boni ausgehenden Anreiz, im Interesse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens liegende Empfehlungen abzugeben, entscheidend abschwächen können. Kundenzufriedenheit ist, wie ein Blick in die Betriebswirtschaftslehre erweist, ein allgemein anerkanntes Marketingziel. Hierbei steht jedoch nicht die bestmögliche Wahrung der Kundeninteressen im Mittelpunkt, sondern das eigennützige Interesse, die Kunden zur Wahrung der Geschäftsbeziehungen und der Positionierung auf dem Markt nicht zu enttäuschen.51 Maßstab sind deshalb nicht deren bestmögliches Interesse, sondern deren Anspruchsniveau. Bei der Beratung zu Finanzinstrumenten ist dabei zu beachten, dass die Empfehlungen ebenso wie die empfohlenen Finanzinstrumente selbst Vertrauensgüter52 darstellen, deren Qualität selbst ex post nicht objektiv53 zuverlässig beurteilt werden kann.54 Zur bestmöglichen Sicherung der Kun49

Kressler, Leistungsbeurteilung und Anreizsysteme, 2001, S. 181 f. So wird angenommen, dass langfristig ausgerichtete Anreize, zum Beispiel Belohnungen zur Sicherung der Kundenzufriedenheit, ein Gegengewicht zu kurzfristig am Umsatz ausgerichteten Anreizen schaffen können. Dagegen wird allerdings eingewandt, dass Mitarbeiter wegen der Probleme bei der Erfassung kundenorientierten Verhaltens (Götz/ Hoyer/Krafft/Reinartz in Homburg, Kundenzufriedenheit, 9. Aufl., S. 350, 356: bislang hat sich keine Methode zur Operationalisierung und Messung der Kundenzufriedenheit in der Wissenschaft durchgesetzt) und bei der Ermittlung der Kundenzufriedenheit eine Beurteilung anhand harter Kriterien wie dem Umsatz als gerechter empfinden (vgl. Jensen in Homburg, Kundenzufriedenheit, 9. Aufl., S. 333 ff.). 51 Vgl. Fürst in Homburg, Kundenzufriedenheit, 9. Aufl., S. 127, 128 ff.): Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit stützen sich objektiv auf Umsatz, Marktanteil oder Gewinn, da diesen Indikatoren eine hohe Korrelation zur Kundenzufriedenheit zugeschrieben wird. Implizite Verfahren knüpfen an Kundenbeschwerden an. Der direkten Erhebung von Zufriedenheitsurteilen wird die größte Genauigkeit zugeschrieben. Allerdings wird es für die befragten Kunden mit zunehmender Zahl der Leistungsparameter immer schwieriger, eine konsistente und valide Bewertung vorzunehmen. 52 Siehe Text bei Fn. 8. 53 Das bedeutet, dass vermieden werden muss, die Wahrscheinlichkeit von Risiken aus der ex-post-Perspektive zu beurteilen (Problem der sog. hindsight bias [Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., S. 67]). 54 Dies gilt nicht für unvertretbare Empfehlungen. 50

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deninteressen55 trägt es deshalb wenig bei, wenn bei der Bemessung der Boni lediglich berücksichtigt wird, dass der Berater keine unvertretbaren Empfehlungen abgegeben hat. Gleiches gilt für die Messung der „Freundlichkeit“56 gegenüber den Anlegern oder der Fähigkeit, sich in die Lage der Anleger zu versetzen,57 oder der Fähigkeit zu einer strukturierten Beratung,58 weil sie auch Voraussetzung dafür ist, um Anleger erfolgreich entsprechend den Eigeninteressen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens beraten zu können. Wenig aussagekräftig sind in gleicher Weise Anlegerbefragungen, weil die Anleger ihre Zufriedenheit59 mit der Empfehlung bekunden werden, solange sich die Risiken des Finanzinstruments nicht realisiert haben,60 aber die Empfehlung als falsch bezeichnen werden, wenn diese Risiken zu Verlusten geführt haben.61 Wenig zur Förderung des Gebots der Fremdnützigkeit bei der Beratung trägt auch bei, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Verhalten ihrer Mitarbeiter so zu bewerten haben, dass keine Kollisionen mit der Pflicht zur bestmöglichen Wahrung der Interessen der Anleger entstehen (§ 63 III WpHG). Dieses Gebot mag seine Wirkung entfalten, wenn die Bewertungen objektivierbar wären und auf dieser Basis formalisiert dokumentiert werden würden. Es geht jedenfalls immer ins Leere, falls die Bewertung durch persönliches Lob62 erfolgt, das die Hoffnung auf eine weitere Karriere oder spätere Gehaltserhöhung nährt. Besonders deutlich wird der Spielraum, den das WpHG den Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Verfolgung ihrer eigennützigen Interessen belässt, bei der Behandlung der Provisionen (§ 70 WpHG). Diese Provisionseinnahmen haben die Wertpapierdienstleistungsunternehmen und ihre Berater zwangsläufig im Auge, wenn sie zu dem Spektrum der vom jeweiligen Wertpapierdienstleistungsunternehmen analysierten Finanzinstrumente beraten und zu ihnen Empfehlungen aussprechen. Provisionen sind das, was für den Verkäufer die Handelsspanne ist. Für einen beratenden Verkäufer ist es selbstverständlich, dass er mit seiner Handelsspanne nicht nur den eigenen Aufwand für die Beratung und den anschließenden Verkauf zu decken 55

§ 63 I WpHG. Vgl. Töpfer in Töpfer, Handbuch Kundenmanagement, 3. Aufl., 309, 313 zu sog. ereignisorientierten Messverfahren. 57 Stock-Homburg in Homburg, Kundenzufriedenheit, 9. Aufl., S. 279, 283. 58 Jensen in Homburg, Kundenzufriedenheit, 9. Aufl., S. 333, 338 f. 59 In diesem Zusammenhang müssten die Erwartungen der Anleger ermittelt werden, die sie vor der Erteilung der Empfehlung hegten. 60 Erfahrungen mit einem Finanzinstrument werden erst gewonnen, wenn es für den Anleger seinen Zweck erfüllt hat. Das gilt auch für die Zufriedenheit mit dem Finanzinstrument. 61 Auswirkung des sog. hindsight bias (Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., S. 67). 62 Dies befeuert Mitarbeiter vielfach stärker als materielle Anreize. 56

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sucht, sondern dass er auch bemüht ist, aus ihr einen Gewinn zu ziehen. Er wird bestrebt sein, diejenigen Produkte besonders in den Vordergrund zu stellen, bei denen die Differenz zwischen seinen Kosten und der Handelsspanne besonders groß ist. Verkäufer werden deshalb kostenträchtige Investitionen zur Verbesserung ihres Beratungsangebots umso eher tätigen, je höher die Gewinne sind, die sie sich von ihnen versprechen. Den Gewinnanreiz könnte man ausschalten, indem man dafür sorgt, dass die zu erwartenden Einnahmen aus Provisionen exakt den Kosten der Beratung und des Vertriebs entsprechen. § 70 I WpHG erlaubt aber die Annahme von Provisionen selbst dann, wenn sie für die Deckung des eigenen Aufwands nicht erforderlich sind. Hätte das WpHG die Erlaubnis zur Annahme von Provisionen nur zur Deckung der eigenen Kosten gestattet, so hätte es vorgeben müssen, wie die bei der Beratung jedes einzelnen Kunden63 entstehenden variablen Kosten zu bemessen sind, und ob und wenn ja, welcher Gemeinkostenanteil den Selbstkosten zuzurechnen ist. Gleiches gilt für die bei der Ausführung der Empfehlung entstehenden Kosten. Dafür sind nicht nur keine praktikablen Methoden erkennbar. Verständlicherweise geht § 6 II 2 S. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 WpDVerOV im Einklang mit Art. 11 II lit. a DelRL 2017/593 davon aus, es genüge für die gemäß § 70 I 1 S. 1 Nr. 1 WpHG geforderte „Qualitätsverbesserung“64, dass die zusätzlichen oder höherwertigen Dienstleistungen in einem „angemessenen“ Verhältnis65 zu den Zuwendungen stehen.66 Es muss mithin nicht der gesamte Betrag der von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen eingenommenen Provisionen in die „Qualitätsverbesserung“ investiert werden. Damit werden wie bei jedem Verkauf angemessene Gewinninteressen akzeptiert. Unterbunden werden nur die von Provisionen ausgehenden Anreize, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen in einen gravierenden Interessenkonflikt bringen.67 Die WpDVerOV versucht mit anderen Worten in § 6 II lediglich, die für die Kunden besonders gefährlichen Anreize zu eigennützigem Verhalten zu unterbinden. In der Praxis erscheint dieser Ansatz allerdings weitgehend wirkungslos. Die Anreize, die Provisionseinnahmen zu erhöhen, werden nämlich nicht wesentlich geschmälert, wenn es

63 Vgl. zu den damit verbundenen Problemen Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 70 WpHG Rz. 31 ff. In der Sache wird sich die Praxis damit begnügen, dass die „Qualitätsverbesserung“ den Kunden als Gruppe zugutekommt. 64 Unter diesen Begriff wird auch die Aufrechterhaltung einer bereits erreichten Qualität subsumiert. 65 Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 70 WpHG Rz. 29, 32. 66 Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 29 f. 67 Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 20. Kritisch auch Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 394 f.

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z.B. für die Qualitätsverbesserung ausreicht, dass zusätzliche Angebote68 gemacht werden, die nicht nur kostendeckend, sondern auch gewinnbringend bepreist werden dürfen (§ 6 II S. 1 Nr. 1 lit. b, c WpDVerOV). Für den Anleger in einer Großstadt ist nämlich die Bereitstellung eines weitverzweigten Filialberaternetzwerkes, das für „den“ Kunden die vor-OrtVerfügbarkeit qualifizierter Anlageberater auch in ländlichen Regionen sicherstellt, ohne Interesse. Im Übrigen lässt sich schwer erkennen, wie im Fall des § 6 II S. 1 Nr. 1 lit. d WpDVerOV es mit dem in § 6 II S. 1 Nr. 1 HS 1 und in § 6 II S. 1 Nr. 2 WpDVerOV statuierten Erfordernis vereinbart werden kann, dass die Provision darauf hin ausgelegt sein muss, die Qualität der Dienstleistung für den „jeweiligen“ Kunden zu verbessern, d.h. der bestmöglichen Wahrung der Interessen des „jeweiligen“ Anlegers zu dienen, wenn Anleger in einer Großstadt beraten werden. Man muss schon argumentieren, dass Anleger in der Großstadt nicht beraten werden würden, wenn nicht Anleger auch in ländlichen Regionen beraten werden würden. Eher geht es in der Sache darum, mittels einer Quersubventionierung Anleger in bestimmten Gegenden mit Beratungsangeboten zu versorgen, die sie ohne Provisionseinnahmen aus dem Vertrieb von Finanzinstrumenten nicht erhalten hätten. Inzwischen wird bereits argumentiert, dass die onlineBeratung dem Angebot einer Beratung in einer Filialkette gleichzusetzen sei.69 Im Umkehrschluss zeigt die Figur der unabhängigen Honorar-Anlageberatung, dass § 70 WpHG und § 6 WpDVerOV das Interesse der Wertpapierdienstleistungsunternehmen anerkennen, im Rahmen der nicht-unabhängigen Anlageberatung Gewinne zu erzielen und deshalb die Interessen der Kunden zwar angemessen, aber nicht bestmöglich zu verfolgen. Bei der Honoraranlageberatung wird das Interesse der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, mittels der Empfehlung Gewinne zu erzielen, dadurch eliminiert, dass die Entgegennahme von Provisionen bei der Ausführung der Empfehlung verboten ist bzw. entgegengenommene Provisionen an den Kunden abzuführen sind.70 Allerdings wird den Wertpapierdienstleistungsunternehmen erlaubt, ihre Gewinninteressen mittels einer entsprechenden 68

Angebote, wie objektive Informationsinstrumente, die Möglichkeit, die Wertentwicklung des eigenen Depots zu beobachten oder die periodischen Berichte über Wertentwicklung sowie Kosten und Gebühren, können für die Masse der Kunden mit geringen Kosten per Internet zur Verfügung gestellt werden. 69 Knobl, ÖBA 2019, 806 ff. 70 § 64 Abs. 5 Unterabs. 2 Satz 2 WpHG. Allerdings darf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Empfehlung eigener Finanzinstrumente die Gewinnmarge behalten, die bei der Veräußerung anfällt (§ 64 Abs. 6 Satz 3 WpHG). Es liegt auf der Hand, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestrebt sein werden, die Palette an Finanzinstrumenten, deren Anbieter oder Emittent sie selbst sind, zu erhöhen. In der Sache bewegen sie sich dann ebenfalls auf der Ebene des beratenden Verkaufs, allerdings mit dem Unterschied, dass die Beratung als solche ebenfalls vergütet werden muss.

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Auswahl von Finanzinstrumenten (§ 64 Abs. 5 Satz 1 WpHG) und dem Abschluss von Festpreisgeschäften (§ 64 Abs. 6 S. 3 WpHG) zu wahren.71 b) Qualität der Empfehlung Das WpHG statuiert eine Vielzahl von Regeln, die dazu beitragen sollen, dass bei der Beratung die Interessen der Anleger gewahrt werden. In erster Linie ist hierbei an die Pflicht zur Exploration der Kunden zu denken. Sie gebietet den Wertpapierdienstleistungsunternehmen dafür zu sorgen, dass sie kundenorientiert beraten können. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben deshalb ihre Kunden zu bitten, ihre Interessen und Fähigkeiten offen zu legen, die bei der Beratung typischerweise von Bedeutung sind. Die vorgeschriebene Exploration erstreckt sich auf die Kenntnisse und Erfahrungen des jeweiligen Anlegers, seine finanziellen Verhältnisse einschließlich der Fähigkeit, Verluste zu tragen, seine Anlageziele sowie seine Risikotoleranz (§ 64 III WpHG). So wichtig diese Exploration ist, so verständig72 sie durchgeführt wird, so wenig kann man von ihr erwarten, dass sie für die Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Interessen des jeweiligen Anlegers in vollem Umfang erkennbar macht. Viele Anleger werden nämlich ähnlich wie Patienten im Behandlungszimmer73 nicht bereit sein, ihre privaten Verhältnisse, ihre Wünsche und Ängste in vollem Umfang darzulegen.74 Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben dies hinzunehmen. Die bestmögliche Verfolgung der Interessen der Anleger muss sich deshalb notwendigerweise an dem orientieren, was diese plausibel und wi71 Heese, Beratungspflichten, 2015, S.408 bezeichnet deshalb zu Recht die Figur der unabhängigen Honorar-Anlageberatung als Etikettenschwindel. 72 Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben ihre Kunden in verständlicher Weise zu bitten, die erforderlichen Angaben zu machen und sie dabei über die gesetzlichen Erfordernisse der Exploration, den Prozess der Geeignetheitsbeurteilung und die Bedeutung ausreichender und zutreffender Informationen für das in ihrem Interesse liegende Ergebnis der Beratung aufzuklären (MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.1 Nr. 1, 3). Dies kann standardisiert erfolgen, wobei ein wesentlicher Teil der Aufklärung verpufft. Stärker anlegerschützend wirkt, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Kunden nicht die Beantwortung bestimmter Fragen anheimstellen oder bestimmte Antworten nahelegen dürfen. Mussten sie den Eindruck gewinnen, dass die Kunden Informationen nur teilweise preisgeben oder sind die Informationen nicht hinreichend plausibel, müssen sie von der Beratung Abstand nehmen (MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.4 Nr. 11; Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 38). 73 Schneider in SZ-Magazin vom 13.12.2015. 74 Das gilt insbesondere für die finanzielle Situation, wenn man bedenkt, dass Kunden bei illiquiden oder riskanten Finanzinstrumenten nach den Vorgaben der MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.4 Nr. 5 nahezu einen Offenbarungseid leisten müssen und deshalb zu Über-oder Untertreibung geradezu eingeladen werden. Daran ändert auch die Ziff. BT 7.5 Nr. 2 S. 1 MaComp (Stand 9.5.2018) nichts, dass von den Kunden erwartet werde, dass sie korrekte, aktuelle und vollständige Informationen für die Geeignetheitsprüfung liefern.

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derspruchsfrei offenbart haben.75 Aus der Perspektive der Eigeninteressen der Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat die Exploration den positiven Nebeneffekt, dass sie ihnen die Gelegenheit gibt, sich genauer auf die Persönlichkeit des Anlegers, sowohl was seine Emotionen als auch, was seine kognitiven Fähigkeiten anlangt, einzustellen und so eine Vertrauensbasis besonderer Intensität aufzubauen. Dies macht es leichter, in Parallele zum beratenden Verkauf beim Anleger auf Einstellungsänderungen hinzuarbeiten.76 So kann je nach dem Eigeninteresse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens dem Interesse des jeweiligen Kunden an Risikolosigkeit mit besonderem Verständnis begegnet oder dem Ziel der Vermögensvermehrung mehr Gewicht verliehen werden. Gerade die Frage nach der Risikotoleranz eröffnet viele Möglichkeiten zur Beeinflussung, da es an objektiven Instrumenten zur Messung der Risikotoleranz fehlt.77 Außerdem akzeptieren die Aufsichtsbehörden, soweit ersichtlich, dass die Risikobereitschaft der Anleger – auch in ihrem Schwanken zwischen Ängsten und Hoffnungen – nicht fein abgestuft berücksichtigt wird, sondern dass sie einigen wenigen Kategorien zugeordnet wird. Gleiches gilt für die Anlageziele, die verbreitet den grob umrissenen Gruppen der Liquidität, Altersvorsorge, Familienvorsorge, konkreten Anschaffungen, des Vermögensaufbaus (so Art. 54 V delVO (EU) 2017/565), der Spekulation u.ä. zugeordnet werden. Dabei mag eine Rolle spielen, dass von den Kunden nicht zu erwarten ist, dass sie die Gründe für ihre Investitionen umfassend offenbaren. Es muss deshalb genügen, 75 Wenn in der MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.5 Nr. 1 lit. c, Nr. 3 empfohlen wird, der Selbsteinschätzung der Kunden nicht zu vertrauen und sie zu relativieren, so kann dies allenfalls in Hinblick auf die Erfahrungen und Kenntnisse von Bedeutung sein. Von den Unternehmen ist nicht zu erwarten, dass sie ihre Kunden geradezu verhören. Nur beschränkten Schutz bietet das Gebot, auf die Frage nach Fähigkeiten und Kenntnissen keine Globalantworten zu akzeptieren. 76 Siehe dazu oben Fn. 23. 77 Gemäß Art. 54 Abs. 7 Satz 2 lit. b delVO 2017/565 haben die Wertpapierdienstleistungsunternehmen zwar Hilfsmittel zur Profilierung von Risikobewertungen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass diese hinreichend tauglich sind. Sie haben laufend zu ermitteln, wo die Grenzen ihrer Aussagekraft liegen und im Rahmen der Geeignetheitsbeurteilung etwaige Defizite auszugleichen. Ein anerkannter Standard der Hilfsmittel hat sich bislang jedoch noch nicht herausgebildet. Eine Befragung unter Beachtung der Regeln der Meinungsforschung zur Einstellung der Kunden zu einer Vielzahl finanznaher Risikoszenarien dürfte sich in der Praxis angesichts der damit verbundenen Kosten schwerlich durchsetzen und wird von der MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.1 Nr. 4 S. 2, BT 7.5 Nr. 4 nicht vorgeschrieben. Vgl. ferner Koller, ZBB 2011, 361, 369 f. Die MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.1 Nr. 4 S. 1, Nr. 5 beschränkt sich darauf, die Unternehmen zu verpflichten, dafür zu sorgen, dass der Kunde das Verhältnis zwischen Risiko und Rendite und das Prinzip des Anlagerisikos versteht. Wie letzteres überprüfbar zu gewährleisten ist, bleibt im Dunklen. Immerhin verbietet BT 5 der MaComp (Stand 9.5.2018), den Kunden entscheiden zu lassen, welches Finanzinstrument zu seinem Risikoprofil passt. Im persönlichen Beratungsgespräch lässt sich allerdings schlecht kontrollieren, ob dieses Verbot uneingeschränkt Beachtung findet.

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dass die Kunden ihre Motive in groben Zügen darlegen, nämlich was sie von der Anlage erhoffen bzw. was sie mit ihr vermeiden wollen. Soweit in der Anlageberatung von Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Anlageziele genauer erfragt und ihr Verhältnis zu konkurrierenden Zielen geklärt wird, entsteht das Problem der beeinflussenden Kommunikation.78 Auch auf der Ebene der finanziellen Verhältnisse treten die Interessen der Kunden nur eingeschränkt zu Tage. So brauchen keine Erkundigungen zu größeren Verbindlichkeiten angestellt zu werden, die nicht regelmäßig bedient werden müssen.79 Allerdings wird von der ESMA gefordert, auch zu berücksichtigen, ob der Anleger ein Kind hat, ob es bald studieren wird oder wann mit dem Renteneintritt gerechnet wird.80 Die grobgerasterte Erfassung der Kenntnisse und Erfahrungen der Anleger, ihrer finanziellen Verhältnisse sowie ihrer Anlageziele einschließlich der Risikotoleranz erlaubt eine Standardisierung der Exploration und damit eine Senkung des Aufwandes. Sie erlaubt es, die Ergebnisse der Exploration relativ einfach zu den von den Wertpapierdienstleistungsunternehmen analysierten Finanzinstrumenten (§ 64 I S. 1 Nr. 2 WpHG) in Beziehung zu setzen, weil qualitative Daten quantifiziert, d.h. in Zahlenwerte übertragen werden können.81 Damit wird hingenommen, dass das Ziel der bestmöglichen Interessenwahrung82 bei denjenigen Kunden nur eingeschränkt verfolgt werden kann, deren Anlageziele, Risikobereitschaft, Kenntnisse und Erfahrungen sich nicht im Kernbereich der definierten Kategorien bewegen. Noch undifferenzierter werden die Kundeninteressen bei der Bestimmung des Zielmarktes berücksichtigt. Gemäß § 11 WpDVerOV hat der Konzepteur den Kreis der Kunden zu bestimmen, deren Kenntnisse, Erfahrungen, Risikobereitschaft, finanziellen Verhältnisse, Anlageziele und Bedürfnisse das Finanzinstrument Rechnung tragen muss. Hierbei wird unter Bedürfnissen etwa das Ziel verstanden, umweltfreundlich zu handeln oder Steuern zu sparen. Diese Faktoren können kaleidoskopartig in den unterschiedlichsten Kombinationen eine Rolle spielen. So kann das Bedürfnis, Steuern zu sparen, mit dem Anlageziel Liquidität und Vermögensaufbau konkurrieren. Je detaillierter man ansetzt, umso eher ist es möglich, den verschiedenen Interessen präzise Rechnung zu tragen. Die ESMA hat sich indessen entschieden, die Bestimmung der Zielmärkte stark zu formalisieren. 78

Siehe oben bei Fn. 14. Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 35. 80 ESMA35-43-1163 v. 6.11.2018, Guidelines on certain aspects on the MiFID II suitabilty requirements, V Rz. 27; MaComp (Stand 9.5.2018), BT 7.2 Nr. 3. 81 Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244, 249 nennen als Beispiel: Der Anleger lebt ausschließlich von dem anzulegenden Geld und darf es deshalb unter keinen Umständen verlieren. Für diese Fallgruppe wird die Risikokennziffer 1 vergeben. 82 Siehe oben Text bei Fn. 1. 79

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Dies beginnt bereits bei der groben Unterscheidung nach Privatkunden – professionellen Kunden – geeignete Gegenparteien.83 Es liegt auf der Hand, dass die Interessen der in der Gruppe der Privatkunden versammelten Personen außerordentlich heterogen sind. In der Praxis werden die verschiedenen Finanzinstrumente vier verschiedenen Kenntnisständen zugeordnet.84 Hinsichtlich der finanziellen Situation der Kunden wird ausschließlich in groben Rastern die Verlusttragungsfähigkeit berücksichtigt.85 Die Höhe des mit einem bestimmten Finanzinstrument verbundenen Risikos wird in Anlehnung an die PrIIPs-VO in nur sieben Stufen erfasst.86 Auf diese Weise soll es möglich gemacht werden, die Zielmarktdefinitionen im Massengeschäft IT-basiert zu standardisieren87 und so übertragbar zu machen.88 Eine ex post- Kontrolle der Qualität der Empfehlung ist vor diesem Hintergrund wenig wirksam, da die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Beratung einen breiten Ermessensspielraum89 für sich in Anspruch nehmen können. Finanzinstrumente sind nämlich auf die Zukunft ausgerichtet, die bekanntlich nur mit großen Einschränkungen prognostiziert werden kann.90 Auch lässt sich vom Berater allenfalls mit viel Einfühlungsvermögen erfassen, ob der Kunde die geschilderten Risiken richtig verstanden hat, von Außenstehenden jedoch nur selten kontrollieren.91 c) Selbstschutz Von zentraler Bedeutung ist deshalb der Selbstschutz, den die Informationen ermöglichen sollen, die den Kunden erteilt worden sind. In diesem Zusammenhang sind zunächst die Regeln zu nennen, die dazu beitragen sollen, dass die Kunden dem Beratungsgespräch mit Verständnis folgen können. Dazu werden ihnen gemäß § 63 VII WpHG Informationen zu 83

Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244 unter III 1. Aktienfonds oder Index-Zertifikate auf Standardindizes werden dem niedrigsten Kenntnisstand zugeordnet, CFDs dem höchsten. Dabei wird die Kenntnis immer nur auf den Typus des Finanzinstruments und nicht auf das Verständnis der Geschäftstätigkeit des Emittenten bzw. des Emittenten des Basiswertes bezogen. (Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244, 249). 85 Sehr geringe Verlusttragungsfähigkeit, Fähigkeit den Verlust des gesamten eingesetzten Kapitals zu verkraften, Fähigkeit darüber hinaus Nachschüsse ohne Schwierigkeiten erbringen zu können (Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244, 249). 86 Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244, 250. 87 Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244, 251. 88 Lohmann/Gebauer, BKR 2018, 244, 248; BaFin-Journal 2019 Heft 2 S. 28 (durch den Mindeststandard der Verbände werde die Zielmarktbestimmung erheblich vereinfacht). 89 Vgl. Koller, ZBB 2011, 361, 371; Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 166 ff. 90 Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 168 ff. 91 Daran ändert nichts der Umstand, dass in der Geeignetheitserklärung dem Kunden die Risiken eindeutig darzulegen und verständlich zu machen sind (Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 49), weil eine Erfolgskontrolle weder vorgeschrieben ist noch zumutbar wäre. 84

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den verschiedensten Arten von Finanzinstrumenten, den Anlagestrategien, Kosten und Nebenkosten an die Hand gegeben. Dies erfolgt zulässigerweise in aller Regel standardisiert und löst zusammen mit anderen standardisierten Informationen vielfach eine Informationsüberflutung (information overload)92 aus. Hinzu kommt, dass die Informationen – nach h.M.93 zulässigerweise – meist nur zum Beginn der Geschäftsverbindung erfolgen. Etwas anders ist die Situation bei den Informationen zu Kosten und Nebenkosten; denn sie sind von Empfehlung zu Empfehlung, wenn auch in standardisierter Form zu übermitteln (§ 63 VII Unterabs. 2 WpHG). Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Wirkung der Kosten auf die Rendite zu veranschaulichen ist (Art. 50 X delVO (EU) 2017/565). Dies gewährleistet auch die Pflicht zur Bereitstellung von Basisinformationsblättern oder Informationsblättern im Sinn des § 64 II WpHG. Die zeitnahe Information über die Kosten und Nebenkosten mindert die Wahrscheinlichkeit, dass Anleger nur auf die Einnahmeseite der Finanzinstrumente blicken, aber die Kosten, die die Rendite drücken, vernachlässigen. Allerdings gilt auch hier, dass wegen der Standardisierung und der Fülle sonstiger Informationen die Bereitschaft gerade der Anleger mit geringen kognitiven Fähigkeiten groß ist, die Informationen zu den Kosten nicht oder nur in beschränktem Umfang bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.94 Das kritische Bewusstsein der Kunden wecken und dem blinden Vertrauen entgegenwirken sollen ferner die Hinweise auf die Interessenkonflikte gemäß § 63 II WpHG.95 Freilich dürften diese Hinweise in der konkreten Beratungssituation keine Rolle spielen, weil sie üblicherweise nur einmal bei Aufnahme der Geschäftsbeziehungen erteilt werden und vielfach schon vergessen sein werden, bevor es zur Beratung kommt, zumal die Informationsüberflutung häufig dazu führen dürfte, dass die Informationen zur Existenz von Interessenkonflikten schon bei Beginn der Geschäftsverbindung nicht wahrgenommen werden.96 Nur marginal dürfte auch die Verpflichtung, darüber aufzuklären, ob sich die Anlageberatung auf eine umfangreiche97 oder eine eher beschränkte Ana92 Vgl. Paul/Schröder/Schumacher, ZBB 2019, 126, 133. Siehe dazu ferner Nachw. bei Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 63 WpHG Rz. 66. 93 Das ist daraus zu schließen, dass diese Art der Information praktiziert wird und verbreitet unbeanstandet bleibt. 94 Nach einer BaFin-Umfrage (BaFin-Journal 2019 Heft 6 S. 15) haben 53% der Befragten den Kostenausweis nicht gelesen. 95 Das erkannte Eigeninteresse des Ratgebers führt tendenziell dazu, dass Empfehlungen weniger befolgt werden (Heese, Beratungspflichten, 2015, S. 77). 96 In diesem Zusammenhang dürfte auch das Vertrauen in die Reputation des Wertpapierdienstleistungsunternehmens eine Rolle spielen (Kumpan, der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 84). 97 Es ist weitgehend ungeklärt, was man unter „umfangreich“ zu verstehen hat. Für die Annahme, die Analyse sei umfangreich, dürfte es genügen, dass für die verschiedenen Ka-

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lyse verschiedener Arten von Finanzinstrumenten stützt und ob die Angebotspalette nur Finanzinstrumente von Anbietern und Emittenten umfasst, die in einer engen Verbindung zum Wertpapierdienstleistungsunternehmen stehen oder mit ihm in sonstiger Weise derart rechtlich oder wirtschaftlich verbunden sind, dass das Risiko besteht, dass die Unabhängigkeit der Anlageberatung beeinträchtigt wird, die Selbstschutzinstinkte der Anleger wecken; denn diese komplexen Informationen können standardisiert erteilt werden (§ 64 I 2 WpHG). Mit der Aktivierung des Selbstschutzinteresses ist eher zu rechnen, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ausschließlich zu eigenen Finanzinstrumenten berät; denn hier wird der Anleger häufiger auf die Idee kommen, dass der Berater in Wirklichkeit Verkäufer sein könnte.98 Den Selbstschutz stärker aktiviert die Offenlegung der Provisionen gemäß § 70 I S. 1 Nr. 2, S. 3 f. WpHG. Allerdings muss der Hinweis auf die Provisionen erst gegeben werden, nachdem die Empfehlung ausgesprochen worden ist und damit klar ist, welche Provision für welche Wertpapierdienstleistung in Betracht kommt. Obwohl die Information angemessene Zeit, bevor sich der Kunde entschließt, die Empfehlung zu befolgen, erteilt werden muss,99 kann die dann häufig auftretende kognitive Dissonanz100 leicht dazu führen, dass die Aufklärung über die Provisionen nicht dazu anregt, intensiver darüber nachzudenken, inwieweit das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Beratung eigene Interessen im Auge gehabt haben kann.101 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Anleger nicht darüber unterrichtet werden müssen, welche Provisionen bei anderen in Betracht kommenden Finanzinstrumenten anfallen.102 Somit bleibt als beachtliches Warnsignal nur der Hinweis vor Beginn der Beratung darauf, dass die Anlageberatung nicht-unabhängig erbracht wird. In diesem Zusammenhang tegorien von Anlagezielen und Formen der Risikobereitschaft geeignete Finanzinstrumente analysiert worden sind, selbst wenn alle diese Finanzinstrumente aus dem eigenen Haus, von der eigenen Gruppe oder von Emittenten stammen, mit denen lukrative Provisionsvereinbarungen abgeschlossen worden sind und renditeträchtigen konkurrierenden Finanzinstrumenten kein Augenmerk geschenkt worden ist. 98 Münchener Kommentar/Zahrte HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 15. 99 Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 114 f. So geht Bäuerle, Die Bank 2019 Heft 6 S. 8 ff., offenbar davon aus, dass in der Geeignetheitserklärung nur die Renditen und nicht die anfallenden Kosten und Provisionen genannt werden müssen. 100 Die Empfehlung verschafft dem Anleger gefühlsmäßig Sicherheit; die spätere Warnung durch den Hinweis auf die Provision verunsichert ihn. Dies führt leicht dazu, dass das durch die Warnung ausgelöste Unlustgefühl verdrängt wird. Vgl. auch Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, 8. Aufl., 187 zur sog. Lowballing-Technik. 101 Dies gilt vor allem für Anleger mit geringem Finanzwissen. 102 Zutreffend weist Zahrte in Münchener Kommentar HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 16 darauf hin, dass es zu suboptimalen Anlageentscheidungen führen kann, wenn dem Anleger die unterschiedlichen Provisionshöhen unbekannt bleiben.

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muss darauf hingewiesen werden, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Empfehlungen erteilen darf, bei deren Befolgung es an Provisionen verdient. Diese Information muss verständlich sein. Da der Hinweis jedoch auf einem dauerhaften Datenträger erfolgen muss und eine Standardisierung zulässig ist, wird angesichts der Vielzahl weiterer Informationen103 der Hinweis darauf, dass die Beratung in einer dem beratenden Verkauf ähnlichen Situation stattfindet, öfter nicht die gebührende Aufmerksamkeit finden.104 Dem Selbstschutz der Anleger dient ferner die Geeignetheitserklärung gemäß § 64 IV WpHG. Danach ist den Anlegern auf einem dauerhaften Datenträger ein Überblick über die Beratung zu verschaffen und dabei zu erläutern, warum die Empfehlung für sie geeignet ist. Es muss darauf eingegangen werden, wie105 die Empfehlung mit den Anlagezielen, der geplanten Anlagedauer vereinbar ist, warum sie der Risikobereitschaft des jeweiligen Anlegers gerecht wird und warum sie seinen Kenntnissen, Erfahrungen und finanziellen Verhältnissen entspricht. Keinen Schutz bietet die Geeignetheitserklärung davor, dass die in die Geeignetheitserklärung eingegangenen Interessen und Fähigkeiten des Anlegers erst in einer durch das Eigeninteresse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens beeinflussten Kommunikation106 mit dem Berater herausgearbeitet worden sind. Im Übrigen hängt die Antwort auf die Frage, wie gut die Geeignetheitserklärung in der Lage ist, den Selbstschutz der Anleger zu aktivieren, wesentlich davon ab, wie die Erklärung gestaltet ist. Abstrakte Ausführungen, zumal wenn sie formelhaft erfolgen, können leicht sowohl die Aufmerksamkeit als auch die kognitiven Fähigkeiten der Kunden überfordern und lassen für die Kunden wesentliche Details unter den Tisch fallen. Detaillierte Darstellungen führen wiederum zu dem Problem, dass sie wegen der dabei auftretenden Informationsüberflutung nur flüchtig gelesen und selektiv zur Kenntnis genommen werden.107 Außerdem treiben detaillierte Geeignetheitserklärungen den Aufwand für die Beratung zusammen mit anderen Informationspflichten in eine Größenordnung, die die Gefahr provoziert, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit Beratungsverzicht antworten.108 103

Das Problem der Informationsüberflutung wird von Zahrte in Münchener Kommentar HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 20 nicht ausreichend berücksichtigt. 104 Münchener Kommentar/Zahrte HGB (4. Aufl.), Anlageberatung Rz. 15 zufolge sei für den Anleger dort, wo der Berater eigene Produkte vertreibe, es offenkundig, dass er es mit einem Verkäufer zu tun habe. 105 Koller in Assmann/Schneider Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl., § 64 WpHG Rz. 48. 106 Siehe dazu oben Text bei Fn. 14. 107 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass nach einer BaFin-Umfrage (BaFin- Journal 2019 Heft 6 S. 15) 38% der Befragten sich nicht mit der Geeignetheitserklärung näher befasst haben. 108 Vgl.Paul/Schröder/Schumacher, ZBB 2019, 126, 131, 134 f.

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Auch den verschiedenen Informationsblättern (§ 64 II WpHG) kann in der Praxis nur begrenzt eine Warnfunktion zuerkannt werden, weil sich trotz ihrer Kürze die Kunden die Zeit nehmen müssen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie in kritische Beziehungen zu dem Beratungsgespräch zu bringen.109 Dies wird z.B. dann unterbleiben, wenn bei dem Beratungsgespräch Handlungsdruck aufgebaut worden ist. Vor allem wird – wie bei jedem beratenden Verkauf – nicht darüber aufgeklärt, dass auf dem Markt Alternativen zu dem empfohlenen Finanzinstrument existieren. Das Informationsblatt im Sinn des § 64 II WpHG soll zwar einen Marktvergleich erleichtern (§ 4 I WpDVerOV).110 Zum Marktvergleich kommt es jedoch nur, wenn sich ein Anleger auch von anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen beraten lässt. Damit ist in aller Regel aber nur zu rechnen, wenn der Anleger bereits eine Geschäftsverbindung zu anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen aufgebaut hat. Hinzu kommt die von den Warenmärkten bekannte Technik, den Marktüberblick dadurch zu erschweren, dass in Details von konkurrierenden Finanzinstrumenten abgewichen wird und dass auf den Märkten von Vertrauensgütern, zu denen die Finanzinstrumente zählen, die Bereitschaft im Allgemeinen schwach ausgeprägt ist, den Markt zu erkunden.

IV. Ergebnisse Das den Abschnitt 11 „Verhaltenspflichten, Organisationspflichten, Transparenzpflichten“ des WpHG in § 63 I einleitende allgemeine Gebot an die Wertpapierdienstleistungsunternehmen, im „bestmöglichen Interesse“ ihrer Kunden zu handeln, begründet im Bereich der nicht-unabhängigen Anlageberatung keine wörtlich zu nehmende Verpflichtung, sondern ist nur als Leitidee zu verstehen. Sie wurde nur sehr begrenzt umgesetzt. Das Gebot der Fremdnützigkeit voll durchzusetzen, sofern man dies überhaupt für machbar hält, wäre nämlich bei der nicht-unabhängigen Anlageberatung mit finanziellen Kosten verbunden gewesen, die in einer gewinnorientierten Marktwirtschaft die Anreize zur Anlegerberatung ausgelöscht hätten. Nicht nur die Kosten wären bei einer Gewährleistung der Fremdnützigkeit eminent gewesen. Um die Fremdnützigkeit der Beratung zu sichern, hätte man auch den Beratungsvorgang vollständig in Ton und Bild überwachen und damit in die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten eingreifen müssen. Das WpHG hat sich dafür entschieden, die Kosten des Anlegerschutzes mittels standardisierten Informationen gering zu halten und den Wertpa109 Zur Informationsüberflutung im Zusammenhang mit den Informationsblättern s. Koller, ZBB 2011, 361, 368. 110 Kritisch Paul/Schröder/Schumacher, ZBB 2019, 126, 136.

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pierdienstleistungsunternehmen Gelegenheit zu geben, mittels der Provisionen Gewinne zu erzielen. Auch die Vertriebspolitik sowie die Mitarbeiterführung bleibt weitgehend den Vorstellungen verhaftet, die Unternehmen leiten, die am Markt als Verkäufer auftreten. Im Grunde dürfen mithin Wertpapierdienstleistungsunternehmen als beratende Verkäufer agieren. Es werden lediglich Auswüchse unterbunden. Dies hat zur Folge, dass die §§ 63 ff. WpHG bei der nicht- unabhängigen Anlageberatung im Wesentlichen nur rational agierende, informationssuchende Anleger schützt, die intellektuell fähig und bereit sind, ein großes Informationsangebot aufzunehmen sowie zu verarbeiten, und die außerdem ein gesundes Misstrauen gegen Empfehlungen jeder Art mitbringen. Wenn in der Literatur davon die Rede ist, dass das WpHG die rationalen Anleger schützen wolle, so wird damit ein irreführender Ansatz gewählt. Das WpHG will zwar grundsätzlich alle Anleger schützen, kann dies aber je nach Art der Wertpapierdienstleistung mit verhältnismäßigen Mitteln nur in unterschiedlicher Intensität. Im Bereich der nicht- unabhängigen Anlageberatung bleiben jedenfalls die stärker irrational handelnden Anleger, zumal wenn ihre Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungsfähigkeit begrenzt ist, d.h. diejenigen Anleger, die an sich besonders schutzbedürftig sind, weitgehend ungeschützt, weil sie den Eigeninteressen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens wenig entgegenzusetzen haben. Eine Verbesserung des Schutzes der zuletzt genannten Anlegergruppe lässt sich nur erreichen, wenn es gelingt, ihr einen Schutz zukommen zu lassen, der ihren kognitiven Fähigkeiten und ihrem typischen irrationalen Verhalten Rechnung trägt. Dies würde massive paternalistische Vorgaben bedingen, die der Komplexität der Finanzinstrumente Rechnung tragen.111 Es spricht alles dafür, dass dies nur gelingen kann, wenn die angebotene Palette der Finanzinstrumente auf diese besondere Kundengruppe zugeschnitten wird. Die Crux liegt dann darin, im Einzelnen zu bestimmen, wer zu dieser Kundengruppe zählt, die sich bei der Beratung paternalistischen Zwängen unterwerfen muss. Jedenfalls sollte man den Eindruck vermeiden, dass alle Anleger in ihrem bestmöglichen Interesse beraten werden, sondern allgemein das Bewusstsein verstärken, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen – durchaus legitim – im Grunde wie Verkäufer beraten.

neue rechte Seite! 111

Einen Schritt in diese Richtung macht § 63 XI WpHG.

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„Nach fest kommt ab“ – Zur Kursrelevanz von Zwischenschritten, verständigen und irrationalen Anlegern (Zugleich eine kurze Zeitreise vom Beginn des Deutschen Kapitalmarktrechts zur Europäischen Regulierung) LUTZ KRÄMER

Dem Jubilar als Doyen des deutschen Kapitalmarktrechts einen Festschriftbeitrag zuzueignen, der neue oder überraschende Aspekte des Insider-, Übernahme- oder Prospektrechts beleuchtet, bedarf einer gewissen Hybris des Praktikers: hat der Jubilar doch seit seiner bahnbrechenden Habilitationsschrift im Jahre 1975 mit dem klar verorteten Begriff des Kapitalanlegerschutzes ein deutsches Kapitalmarktrecht gefordert und dies jeweils weit vor den Vorarbeiten zu ersten europäischen Richtlinien und nationalen Gesetzen begründet.1 Der vorliegende Beitrag unternimmt daher nicht den Versuch wissenschaftlicher Durchdringung, sondern skizziert aus der Sicht eines ehemaligen Bankpraktikers- und heutigen Rechtsanwalts anhand einiger Anekdoten, wie notwendig einige vom Jubilar vor der Zeit hellsichtig geforderten und rechtsvergleichend begründeten Kodifikationen waren (dazu unter I.). Gerade mit Blick auf die fortbestehenden Herausforderungen grenzüberschreitend agierender Investoren und Unternehmen nimmt deren Bedeutung und Ausdifferenzierung ständig zu.2 Das Europäische 1 Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, Beck 1975; instruktiv zu 50 Jahren Kapitalmarktrechtsentwicklung Hopt, WM 2009 1873 ff.; vorausschauend auch die Begründung und Forderung nach einer Business Judgement Rule Hopt, Festschrift für Mestmäcker 1996, S. 909 ff. sowie rechtsvergleichend Hopt/Wymeersch/Kanda/Baum, Eds., in Corporate Governance in Context – Corporations, States and Markets in Europe, Japan and the US – Oxford 2005. 2 Erwähnt sei das zurzeit fast ausschließlich aus London und den USA in den deutschen Kapitalmarkt hineindiffundierende Phänomen der aggressiven publizistischen Angriffe sowie short selling-Attacken (insbesondere Ströer AG, Aurelius AG und Wirecard AG und jüngstens – etwas abgewandelt – der Varta AG); zum Rechtsschutz gegen short selling-Attacken Schockenhoff/Cullmann, Die AG 2016, S. 517 ff. sowie jüngstens Voß zur Wirecard-Verfügung der BaFin in: Festschrift 25 Jahre WpHG, Leerverkäufe, S. 795 ff., 745 ff. Des Weiteren nach wie vor auch in Europa unterschiedliche Schutzhöhe für Minderheitsaktionäre bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals mit und ohne Bezugs-

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Marktmissbrauchsrecht ist in weiten Teilen leider bloße Regulierung ohne systematische Geschlossenheit (dazu II.).3 Die über 45-jährige Forschungstätigkeit des Jubilars prägt die vier Themenbereiche Insiderrecht, Übernahmerecht, Vorstands- und Aufsichtsratspflichten und Corporate Governance4 sowie den Anlegerschutz einschl. Prospekthaftung.5 Von diesen soll im Folgenden der erste Bereich herausgegriffen und die Entwicklung und fortschreitende Regulierung des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität weit vor dem Inkrafttreten des Wertpapierhandelsgesetzes im Jahre 1994 bis zum heutigen Tage skizziert werden, die der Jubilar in seiner Habilitationsschrift6 und auch in seinem Juristentagsgutachten von 1976 rechtsvergleichend gefordert hatte7.

I. Insiderrecht als Kernbestandteil eines ernstzunehmenden Kapitalmarkts So selbstverständlich das Insiderrecht aus Sicht der heutigen Unternehmen, Investoren, Wissenschaftler und Rechtspraktiker ist, desto beharrlicher hatte sich gerade Deutschland ungeachtet seiner Großindustrie mit Weltgeltung8 und dem Banken-Establishment mit nicht nur in der Rückschau verfehltem Verweis auf selbstverpflichtende Insiderhandelsrichtlinien gegen eine zivil- und strafrechtliche Sanktionierung von Insiderverstößen gesträubt. Die Notwendigkeit der Normierung, Pönalisierung und vor allem effizienten Strafverfolgung wurde dem Verfasser bereits während seiner

recht in Luxemburg einerseits (Art. 420-26 der Loi du 10 août 1915 sur les sociétés commerciales) und dem deutschen Aktiengesetz andererseits, insbesondere §§ 202, 186 Abs. 3 Satz 4 AktG und die divergierende Überwachungsdichte durch nationale Aufsichtsbehörden andererseits. 3 Lesenswert das Vorwort von Klöhn in seinem Kommentar zur Marktmissbrauchsverordnung, 2018, zum Unterschied zwischen Recht und Regulierung. 4 Hier ist insbesondere die Kommentierung der §§ 93–116 AktG im Großkommentar zum Aktienrecht zu erwähnen. 5 Hierzu insbesondere Hopt, 50 Jahre Anlegerschutz und Kapitalmarktrecht: Rückblick und Ausblick, WM 2009, 1873–1881; Hopt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung – Recht und Reform in der Europäischen Union, der Schweiz und den USA, Mohr Siebeck 2005. Der Standard-HGB Kommentar Baumbach/Hopt (37. Auflage) erscheint daneben als wiederkehrendes „erdendes“ Element. 6 Vergleiche Fußnote 1, sowie ZGR 1991, 22 f., Zum europäischen und deutschen Insiderrecht. 7 „In wie weit empfiehlt sich eine allgemeine gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes?“ – Gutachten für den 51. DJT,1976 in Stuttgart; vergleiche zu den Beschlüssen in der Abteilung „Anlegerschutz“ auch NJW 1976, 2007 ff. 8 Hierfür standen exemplarisch die – damals noch – drei Chemieunternehmen BASF, Bayer und die inzwischen „untergegangene“ Hoechst AG, die bereits in den 80er-Jahren zu den weltgrößten Chemie- bzw. Pharmaunternehmen gehörten.

Kursrelevanz von Zwischenschritten, verständigen und Irrationalen Anlegern

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Bankausbildung in einer großen Privatbank in Düsseldorf 1980 eindrücklich vor Augen geführt: Der persönlich haftende Gesellschafter der Privatbank ging auf den Leiter des Börsensekretariats in Gegenwart des Verfassers nach einer Aufsichtsratssitzung coram publico mit den Worten zu, er möge doch die „GHHPosition umgehend veräußern“,9 „ich komme gerade aus der Aufsichtsratssitzung, es gibt dort keine guten Nachrichten“. Wenngleich als Auszubildender nicht juristisch vorbelastet, waren in der Parallelwertung des Verfassers die Begriffe Insiderhandel, unzulässiges Ausnutzen eines Informationsvorsprungs und Interessenkonflikt unmittelbar präsent. Fragen in Bezug auf die Zulässigkeit dieses Vorgehens wurden unter Verweis auf die vorbezeichneten Selbstverpflichtungen und die jeweilige Notwendigkeit von deren Unterzeichnung beantwortet. Kurze Zeit darauf, im Jahre 1984, wurde der Verfasser anlässlich eines Bankpraktikums während der Semesterferien in einer amerikanischen Bank in Frankfurt mit der US-amerikanischen Sicht auf die Kompilation von Interessenkonflikten und das Fehlen eines institutionalisierten Insiderrechts10 konfrontiert: Der aus New York stammende Leiter der Kreditabteilung beantwortete die Frage, wie eine vergleichsweise kleine Bankniederlassung ihre Kreditentscheidungen in der deutschen Industrielandschaft treffe, pragmatisch wie folgt: „Wir orientieren uns bei unseren Kreditvergabeentscheidungen ganz wesentlich an der Deutschen Bank: sobald die Deutsche Bank ein Engagement substantiell vermindert oder aus diesem aussteigt, ist es für uns allerhöchste Zeit, dies auch zu tun“. „Durch ihre Vertretung in Aufsichtsräten, Beiräten, den Deutschen Börsen sowie ihren Industrie- und Investmentfondbeteiligungen ist sie in einer Weise informiert, wie dies eine Auslandsbank nicht leisten kann. Angesichts eines fehlenden Insiderrechts und der fehlenden Sanktionierung der Ausnutzung von Interessenkonflikten bietet sie für uns immerhin ein Frühwarnsystem.“ 11 9 Gemeint waren: die Aktien der Gutehoffnungshütte Aktienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb, damals ein führendes Industrieunternehmen und Muttergesellschaft der MAN AG, unter dem legendären Vorstandsvorsitzenden Manfred Lennings. Wenig später offenbarte sich die schwere Krise der MAN AG. 10 Allerdings ist das US-amerikanische Insiderrecht mit seinem relationship-Ansatz im Vergleich zur marktorientierten MMVO bis jetzt auch nicht umfassend kodifiziert. Das soll sich nunmehr durch den Insider Trading Prohibition Act ändern, mit dem der Securities Exchange Act 1934 nun um eine neue Sec. 16A ergänzt werden soll. 11 Überflüssig anzumerken, dass sich der Jubilar folgerichtig auch mit den Interessenkonflikten der Bankenvorstände als Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Doppel- bzw. Dreifach-Funktion als Bankvorstand, Aufsichtsratsmitglied und Organvertreter eines anlegerberatenden Instituts eingehend befasst hat: „In der hitzigen, teilweise ideologischen Debatte über die Reform des Aktien- und Bankrechts 1997 und 1998 wurde vorgeschlagen, die Freiräume der Banken, Unternehmensbeteiligungen zu halten, Vertreter in Aufsichtsräte zu entsenden und Stimmrechtsvollmachten einzuholen, strikt zu begrenzen.“ – Hopt, ZGR 2002, 333, 366.

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Erst als sich diese verbreitete Sicht ausländischer Banken und Investoren in der offiziellen Ankündigung der Securities Exchange Commission manifestierte, man werde deutsche Unternehmen nicht mehr an der New York Stock Exchange zulassen, setzte ein Stimmungsschwung ein, der – wenn auch erst sehr spät – in den §§ 12 ff. WpHG im Jahre 1994 mündete.12 Der unermüdliche – stets rechtsvergleichende – Einsatz für Insiderrecht, Anlegerschutz und Corporate Governance erforderte eine Äqui-Distanz zu Rechtsprechung und Praxis, hatte aber entscheidende Vorteile: Als Assistent des Chefsyndikus der Dresdner Bank wurde der Verfasser Zeuge folgender Kommentierung zu möglichen Gutachtern betreffend den weiteren Umgang mit der Vielzahl von Anlegerbeschwerden im Zusammenhang mit der fallierten Bond –Anleihe: „Ich will kein Mietmaul bezahlen, sondern wirklich wissen, wie die Rechtslage ist. Zum Anlegerschutz im Recht der Banken nehmen wir Hopt.“13

II. Kameraschwenk: Vom unterentwickelten Kapitalmarktrecht zum Information Overload und Lamfalussy Level 1–4 Nachdem das Wertpapierhandelsgesetzbuch als ehemaliges Grundgesetz des deutschen Kapitalmarktrechts14 im Jahr 2016 durch die Europäische Marktmissbrauchsverordnung15 weitgehend abgelöst und um die wesentlichen Regelungsmaterien Insiderrecht, Ad-hoc-Publizität, Directors‘ Dealings und Marktmanipulation „entkernt“ worden ist, lohnt sich ein Blick auf das Erreichte, aber auch auf die Gefahren des gerade den deutschen Juristen nachgesagten Perfektionismus in der Auslegungspraxis, ungeachtet der fehlenden systematischen Geschlossenheit der MMVO.16 Angesichts der euro12 Vergleiche hierzu die Stellungnahme der Securities Exchange Comission vom April 1991, hierzu näher Hopt, Auf dem Weg zum deutschen Insidergesetz, Festschrift für Beusch, S. 393, S. 395. 13 Neben der Sachnähe, Pragmatik und Kenntnis der Bankpraxis sollte bei Parteigutachten die folgende peinliche Formulierung des OLG München zu einem ebenfalls sehr renommierten Gutachter tunlichst vermieden werden: „die Ausführungen des Gutachters sind zweifellos interessant; noch mehr haben den Senat jedoch die diametral entgegengesetzten Ausführungen des Gutachters in seinem Kommentar zum [...] überzeugt.“ [Zitat bewusst leicht verfremdet und Namen sowie Quelle aus Gründen der Rücksichtnahme nicht aufgeführt]. Die Entschädigung weiterer Anlegergruppen im Vorfeld zur BondRechtsprechung des BGH („anleger- und objektgerechter Rat“) erwies sich als weitsichtig. 14 „Das Wertpapierhandelsgesetz 1994 ist als Grundgesetz des deutschen Kapitalmarktrechts konzipiert“ – Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapierhandelsgesetz, ZHR (159) 1995, 135, 135. 15 Verordnung (EU)-Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 16. April 2014, in Kraft getreten am 3. Juli 2016 („MMVO“). 16 Zur Problematik der „Overload“-Information in Form der bewussten Verschleierung und des Versteckens wichtiger Informationen in einem vom Anleger nicht mehr

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päischen Vereinheitlichung durch die MMVO und deren unmittelbarer Geltung liegt der Schwerpunkt nunmehr auf einer Inanspruchnahme von optionalen Verschärfungen im Rahmen der Verordnung.17 Des Weiteren obliegt es den nationalen Aufsichtsbehörden, vor Etablierung umfassender Richtlinien der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA,18 wesentliche Fallgestaltungen im Rahmen von sogenannten frequently asked questions (FAQs) zu beantworten und jedenfalls für die Praxis verbindlich festzulegen. Das während des Schreibens dieses Festschriftbeitrags gerade in der Konsultation befindliche und die FAQs erweiternde Modul C des Emittentenleitfadens zum Insiderrecht, der ad-hoc-Publizität und Marktmanipulation soll im Folgenden exemplarisch aus Sicht der Praxis beleuchtet werden. 1. Der verständige Anleger – Rationales und Irrationales Zentraler Maßstab für die Einwertung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung ist nach der Rechtsprechung und – inzwischen auch wieder – der BaFin-Praxis der verständige Anleger. Hierbei handelt es sich um die seltene Spezies, die zwar über keine überdurchschnittlichen Fähigkeiten verfügen soll, gleichwohl aber zum Lesen und Verstehen einer Unternehmensbilanz befähigt sein muss.19 Mit dieser Fiktion kann die Praxis gleichwohl aus zwei Gründen gut leben: zum einen sind Privatanleger in der Platzierungspraxis von Kapitalerhöhungen und Börsengängen so gut wie verschwunden, jedenfalls nicht mehr Emissions (-preis-)relevant: waren zu Zeiten des Neuen Marktes und auch noch vor der Bankenkriese in 2008/2009 durchaus noch Tranchen für Privateinleger und/oder Platzierungsanteile von 20–30% und bei sogenannten household

handhabbaren Informationengrab Köndgen, Festschrift Hopt, De Gruyter 2010, S. 2113, 2134 sowie Koch, BKR 2012, 485 dort zur verwandten Thematik in der Prospekthaftung. 17 Sog. „Gold-Standard“ so z.B. zur zwingenden Übersendung der Selbstbefreiungsentscheidung und deren Begründung schon bei Übersendung der ad-hoc-Mitteilung an die nationale Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 17 Abs. 4, Unterabs. 3 Satz 2 MMVO. Im Gegensatz zur BaFin hat z.B. die italienische Aufsichtsbehörde (Commissione Nazionale per le Societa e la Borsa) von der Übersendungspflicht keinen Gebrauch gemacht und ersucht nach Auskunft führender italienischer Kapitalmarktrechtler die Emittenten praktisch nie zu einer solchen Übersendung im Nachgang der ad-hoc-Mitteilung. Auch andere in den BaFin-FAQs enthaltenen Auffassungen gehen über die Auslegungspraxis anderer EUAufsichtsbehörden hinaus. 18 European Securities and Markets Authority Guidelines. 19 Vergleiche hierzu BGH, Urt. v. 12.7.1982 – II ZR 175/81, ZIP 1982, 923–928, 924sowie zu diesem Spannungsverhältnis eingehend Veil, ZBB 2006, 162, 164f., Langenbucher, Die AG 2016, S. 417 ff. Zu Recht kritisch gegenüber dem von der BaFin inzwischen aufgegebenen Begriff des Anlegers, der auch die Reaktion spekulativ und irrational handelnder Anleger berücksichtigen müsse (Merkner/Sustmann, Börsen-Zeitung 26. August 2017, S.9).

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names im Einzelfall noch darüber üblich,20 so sind bei den Börsengängen der letzten Jahre die Anteile von Privatanlegern unter 3%, zum Teil auch unter 1% geschrumpft21. Jüngste Börsengänge wurden sogar gänzlich ohne Privatanleger oder im Wege des sogenannten „soft“ oder direct listing22 durchgeführt. Die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen im Rahmen der europäischen Informationssysteme definiert den relevanten Investorenkreis ebenfalls inzident außerhalb des (typischen) Privatanlegers, der hiervon selbst unter Berücksichtigung der Smartphones bzw. social media-Kanäle regelmäßig erst mit einer gewissen Verzögerung erfahren und reagieren wird.23 Umso unverständlicher war es, dass die BaFin zwischenzeitlich unter Berufung auf ein BGH-Urteil in Sachen IKB24 und in erweiternder Anwendung der Lafonta-Rechtsprechung des EuGH gefordert hatte, dass Unternehmen bei ihrer Entscheidung, ob eine präzise Information als Insiderinformation ad-hoc zu veröffentlichen sei, auch eine mögliche irrationale Bewertung dieser Information durch einzelne Anleger berücksichtigen sollten. Dieses Erfordernis betraf insbesondere die ex-ante-Einschätzung der potentiellen Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung. Die hiergegen vorgebrachte Kritik, irrationales Verhalten könne letztlich jede Kursentwicklung ex-post begründen, sei ex-ante vom rationalen Anleger nicht mit der gebotenen Rechtssicherheit vorherzusehen, im Kapitalmarkt mit statistischer Signifikanz schwer feststellbar und führe im Übrigen zu einem unzulässigen Zirkelschluss,25 hat nunmehr in Modul C des Emittentenleitfadens zu einer Rückbesinnung auf den (wirklich) verständigen Anleger geführt.26 Dieser Ausflug in die Irrungen und Wirrungen des relevanten Beurteilungsmaßstabs zeigt eindrücklich, wie ausdifferenziert inzwischen das Be20 Z.B. im Falle des zweiten Börsengangs der Deutsche Telekom AG (Prospekt Deutsche Telekom AG, 1999; siehe dazu auch „Jeder dritte Zeichner bekommt 25 Aktien“, Spiegel, 16. April 2000) oder der MTU Aero Engines („MTU siebenfach überzeichnet“, Manager Magazin, 5. Juni 2005). 21 Dazu „Privatanleger verschlafen Börsengänge“, FAZ, 11. Juni 2015; „Darum kommen Privatanleger bei großen Börsengängen immer zu kurz“, Focus, 11. Juni 2015; Stocker, „Privatanleger zeigen wenig Interesse“, Die Welt, 28. März 2018. 22 Dazu jüngst Börsen-Zeitung vom 21.12.2019 Seiler/Rath, Direct Listing als Alternative zum IPO. 23 Allgemein zur Problematik des computergestützten sogenannten Algo-Tradings vergleiche Söbbing, ZIP 2019, 1603 sowie zu den aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die entsprechenden Computersysteme § 80 Abs. 2 WpHG. 24 BGH, Urt.v. 13.12.2011 – XI 51/10, ZIP 2012, 318–326. Dazu Merkner/Sustmann/ Retsch: Die AG 2019, S. 621 ff., S. 623. 25 Dazu auch Merkner/Sustmann, Börsen-Zeitung vom 14. Juli 2018, sowie oben Fn. 18 Klöhn in: Festschrift 25 Jahre WpHG Insiderinformation, S. 523 ff., S. 546 ff. 26 Siehe Seite 21 des Entwurfs [Stand 1. Juli 2019]. Hierbei wird zutreffend wieder auf fundamental wertrelevante Informationen abgestellt. Zur wichtigen Filterfunktion des „verständigen Anlegers“ Merkner/Sustmann/Retsch: aaO, S. 624.

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mühen der nationalen Aufsichtsbehörden ist, jede Einzelfallentscheidung von Ober- und Bundesgerichten nachzuzeichnen und vermeintlich eine vollständige Transparenz unter der Apotheose des Anlegerschutzes zu gewährleisten. Nicht nur an dieser Stelle ist eine Rückbesinnung auf das vom Jubilar stets geforderte Augenmaß sowohl bei der berechtigten Informationsgewährung als auch beim Ausgleich zwangsläufig bestehender Informationsasymmetrie zwischen Finanzintermediären und Anlegern geboten. 2. Der Zwischenschritt bei gestreckten Sachverhalten: „hard cases make bad law“ oder „nach fest kommt ab“ Der vom EuGH im Ergebnis richtig entschiedene Fall Geltl/Daimler27, bei der die auch aus ex-ante-Sicht erkennbar kurserhebliche Amtsmüdigkeit des gescheiterten Vorstandsvorsitzenden von der ersten Information an den Aufsichtsratsvorsitzenden bis zur entsprechenden Personalausschuss- und Aufsichtsratssitzung über acht Wochen dauerte, hat zunächst in Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 MMVO und sodann durch die ESMA Guidelines 201628 für alle sogenannten gestreckten Sachverhalte seine Ausprägung erfahren. Die relevanten Anwendungsfälle stellen an der Schnittstelle der unterschiedlichen Board-Systeme und damit internationaler Corporate Governance mit Fragen zur sachgerechten Organbestellungspraxis sowie M&A-Transaktionen börsennotierter Unternehmen noch immer ein Eldorado für die Forschungs- und Publikationstätigkeit des Jubilars dar.29 3. Zwischenschritte bei M&A-Transaktionen – Die Sicht der Praxis Bereits im derzeit noch geltenden Emittentenleitfaden der BaFin wird auf die insiderrechtliche Relevanz von Zwischenschritten hingewiesen, allerdings durch das Kriterium der Mindestwahrscheinlichkeit in Bezug auf den Eintritt des Endereignisses in Höhe von 50% + x eine praxistaugliche und bisher akzeptierte Leitlinie für die Beurteilung des Vorliegens einer Insiderinformation und damit auch inzident der Kurserheblichkeit konkretisiert.30 Nunmehr weist die BaFin im Modul C jedoch ausdrücklich darauf hin, dass eine Insiderinformation bereits deutlich früher entstehen könne und folgt damit der 27

EuGH, Urt. v. 28.6.2012 (Geltl/Daimler) – Rs. C-19/11, ZIP 2012, 1282 ff. ESMA/2016/1130, Final Report, 13 July 2016 (Guideline on legitimate interests, Rz. 94 f.) 29 So z.B. Hopt/Kumpan Insidergeschäfte und Ad-hoc-Publizität bei M&A in ZGR 2017, 765–828 sowie Insiderrecht, MMVO und two-board-Systeme, dazu Hopt, ECFR 2013, 167–193; Hopt/Roth in Hirte/Mülbert/Roth, AktG, § 105 Rn. 6; zuletzt Hopt in: Festschrift 25 Jahre WpHG, S. 503 ff., S. 519. 30 BaFin Emittentenleitfaden 2013, Abschnitt III. 2.1.1.1. 28

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aus dem US-amerikanischen Recht bekannten sogenannten Probability/Magnitude-Doctrine.31 In der Folge hat die Praxis versucht, zwischen zwei Typen von Zwischenschritten zu unterscheiden, nämlich solchen, die ihre Insiderrelevanz ausschließlich aus dem zukünftigen Endereignis und dessen Eintritt ableiten, und solchen, die losgelöst von dessen Eintrittswahrscheinlichkeit insiderrelevant seien.32 Wie zu zeigen sein wird, geht diese dogmatisch begründete Unterscheidung, die zu recht eine insiderrechtlich bedenkliche Vorverlagerung vermeiden will, am eigentlichen Kern der Sache vorbei: jeder einzelne Zwischenschritt muss nämlich nach der klaren Definition von Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 MMVO (potentielle) Preisrelevanz aufweisen. Es ist daher unter Ausleuchtung des kapitalmarkt- relevanten Sachverhalts zu fragen, ob aus der Sicht eines verständigen Anlegers die typischen Zwischenschritte einer M&A-Transaktion bei fundamentalwert-orientierter Betrachtung33 im Einzelfall Kursrelevanz aufweisen oder nicht. Hierzu bedarf es einer sachverhaltsfokussierten Analyse typischer Zwischenschritte der wesentlichen M&A-Konstellationen. Modul C des Leitfadenentwurfs führt auf Seite 28 folgende acht Zwischenschritte als typisierende Anknüpfungspunkte bei einzelnen M&ATransaktionen ohne Differenzierung nach Transaktionstypen auf: • Abschluss von Vertraulichkeitsvereinbarungen, • bilaterale Treffen mit konkretem Hintergrund jedenfalls dann, wenn bereits Vorbereitungshandlungen vorgenommen wurden und wesentliche Eckpunkte besprochen werden, • Abschluss eines „Letter of Intent“, • Einsetzen von gegenseitigen Arbeitsgruppen zur Umsetzbarkeit einer Fusion, • Übersendung von „Term Sheets“, • grundsätzliche Einigung durch wesentliche Entscheidungsträger über zentrale Punkte (auch vor Gremienbefassungen), • Ausräumen wesentlicher Hindernisse, • Durchführung einer Due Diligence.

Schon die Abfolge der Zwischenschritte wird häufig stark abweichen.34 Die fehlende Berücksichtigung der wesentlichen Transaktionskonstellatio31

Nunmehr Modul C des Leitfadenentwurfs vom 1. Juli 2019, Abschnitt I. 2.1.4.3. Dies wurde in der Literatur vielfach zu Recht als Paradigmenwechsel bezeichnet; so z.B. von Vetter/Engel/Lauterbach, die AG 2019, S. 160 ff.; dem folgend Merkner/Sustmann/ Retsch aaO S. 625. 32 Vetter/Engel/Lauterbach aaO; S. 160 ff. sowie auch Groß/Royé, BKR 2019, S. 272, S.276. 33 Hierzu zutreffend: Klöhn in Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rz. 283 sowie Hopt/Kumpan in Bankrechts-Handbuch, 5. Auflage 2007, § 107 Rz. 55. 34 Als Beispiel sei nur eine frühzeitige Due Diligence-Phase durch die potentiellen Erwerbsinteressenten in einem Auktionsprozess genannt, in dem typischerweise ein vom Veräußerer erstellter Vendor Due Diligence Report oder auch ein Legal Factbook zur Vorbereitung der fokussierten Due Diligence übersandt wurde.

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nen ist ein grundsätzlicher Mangel der derzeitigen „ZwischenschrittDiskussion“. Auch wenn die Mehrzahl der Stellungnahmen zur BaFinKonsultation die derzeitige Behandlung der Zwischenschritt-Thematik als zu pauschal und/oder weitgehend kritisieren,35 wird eine detaillierte Sachverhaltsanalyse nur ausnahmsweise konsequent angewendet. Im Folgenden wird daher der Versuch unternommen, eine realitätsnahe Darstellung der in der Praxis nachweisbaren Kurs(un-)erheblichkeit einzelner Zwischenschritte -konstellationsabhängig typisierend – zu definieren: Dazu ist zunächst die Käufer- oder Verkäuferstellung des Emittenten im Transaktionsprozess zu berücksichtigen. Wie zu zeigen sein wird, beruht einer der wesentlichen Mängel der bisher insuffizienten Analyse auf dieser mangelnden Differenzierung. a) Bieterverfahren aus Käufersicht Im Bieterverfahren tritt eine Kursrelevanz selbst im Falle eines großvolumigen Targets bei börsennotierten Käufen erst dann ein, wenn ein Käufer weiß oder wissen muss, dass er mit seinem Angebot in die letzte Verhandlungsrunde mit einem oder maximal zwei weiteren Wettbewerbern gekommen ist, sein Angebot aufgrund des (indikativen) Kaufpreises ersichtlich das Interesse der Verkäuferin hat und damit eine Einigung jedenfalls gute Aussichten auf Erfolg hat. Bloße Hoffnungswerte auf einen Zuschlag im Bieterverfahren lösen bei verständigen Anlegern keine Anlageentscheidungen aus, denn sie sind nicht (Fundamental-) werterhöhend. Sämtliche vorherigen Schritte, wie etwa die Durchführung – und erst recht der Beginn – einer Due Diligence (sei es in einer oder auch zwei – dann letztlich vertieften – Stufen), sind aufgrund der Vielzahl der Wettbewerber weder für sich genommen noch im Hinblick auf den Abschluss der Transaktion typischerweise kursrelevante Zwischenschritte. Ein verständiger Anleger wird alleine aufgrund der Teilnahme „seines“ Unternehmens an einem Bieterwettbewerb noch keine Kauf- oder Verkaufsentscheidung treffen, sondern auf eine Bestätigung der Erwerbsaussicht (z.B. durch eine Pressemitteilung des Veräußerers zur Verhandlung mit einem oder zwei verbliebenen Interessenten) im Sinne einer zumindest potentiellen Änderung des Investitionsobjekts zuwarten. b) Bieterverfahren aus Verkäufersicht Potentiell früher insiderrelevant sind dagegen Bieterverfahren aus Sicht eines börsennotierten Veräußerers: Sofern ein Entschluss zur Veräußerung einer Beteiligung zu einem bestimmten Mindestpreis bei Einräumung übli35 Beispielhaft seien die Stellungnahmen des Deutschen Aktieninstituts von Merkner/ Sustmann, CMS, Fieldfisher sowie White & Case genannt.

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cher Gewährleistungen gefasst wurde, kann sich der Veräußerungsprozess im Einzelfall bereits in der zweiten Runde aufgrund bestätigter Interessebekundungen mehrerer Interessenten wegen ausreichender Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung zu einer Insiderinformation verdichtet haben. Dem Veräußerer kann zu diesem Zeitpunkt klar sein, dass er das Unternehmen mit guten Aussichten an einen der u.U. noch vier oder fünf verbliebenen Interessenten wird veräußern können, da durch das Konkurrenzverhältnis der erstrebte Mindestverkaufspreis mit guten Aussichten als erreichbar erscheint. In einer solchen Konstellation müsste der Veräußerer eine etwaige abweichende Einschätzung aufgrund der Besonderheit der zum Verkauf stehenden Beteiligung und der Komplexität des Sektors (z.B. Verteidigung, Energie etc.; Vielzahl geheimhaltungsbedürftiger Informationen; Vorliegen von Veräußerungsbeschränkungen, Kartellhürden etc.) mit Sonderumständen begründen, die eine Veräußerung ungeachtet des erzielbaren Mindestpreises im konkreten Fall als (noch) nicht aussichtsreich und damit aus Sicht eines verständigen Anlegers ausnahmsweise noch nicht kurserheblich erscheinen lassen. Ergänzend im Blick zu behalten ist allerdings stets, dass die Einleitung eines Bieterverfahrens durch eine börsennotierte Gesellschaft bei Prozessstart häufig bereits bekannt (gemacht) sein wird. In diesem Fall rechnet der Markt aufgrund seines Kenntnisstandes bereits mit der Vornahme typischer Prozessschritte wie etwa einer Due Diligence, und wegen des geringeren Informations-Deltas zum Stand des Auktionsprozesses kann die Schwelle zur Insiderinformation tendenziell erst später erreicht sein. c) Exklusive M&A-Verhandlungen aus Käufersicht Der börsennotierte Kaufinteressent wird im Falle einer Exklusivitätsvereinbarung dann die Schwelle zur Insiderinformation überschreiten, wenn sein maximales Kaufpreislimit erreichbar erscheint und entweder – ausnahmsweise – eine vertiefte Due Diligence aus seiner Sicht nicht mehr erforderlich ist oder aufgrund des Unternehmensgegenstands, seiner Historie oder etwaiger Vorkenntnisse ausnahmsweise keine erheblichen Risiken mehr erwarten lässt. Allein der Abschluss einer Exklusivitätsvereinbarung und erste Vorgespräche auf Vorstandsebene mit Explorationscharakter sind demgegenüber erfahrungsgemäß noch so weit von einem möglichen Vertragsschluss entfernt, dass mangels besonderer Umstände des Einzelfalls ein fundamental orientierter verständiger Anleger hierauf noch keine Kaufoder Verkaufsentscheidung gründen wird. Hinzu kommt, dass ein Eintritt in unmittelbar exklusive Verhandlungen erfahrungsgemäß vor allem bei „schwierigen“ Verkaufsobjekten mit einem ohnehin begrenzten Interessentenkreis und schwieriger Kaufpreisfindung erfolgen wird.

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d) Exklusive M&A-Verhandlungen aus Verkäufersicht Wie im Bieterverfahren wird auch im von Anfang an exklusiven M&AVerkaufsprozess der börsennotierte Verkäufer einer Beteiligung schneller die insiderrelevante Schwelle erreichen als der Käufer: Da der Verkäufer zumeist intern einen Mindestpreis „festgelegt“ hat und die von ihm maximal zu gewährenden bzw. geforderten Garantien häufig relativ schnell bekannt sein werden, kann er im Laufe der Verhandlungen eher einschätzen, wie nahe oder fern ein möglicher Vertragsabschluss ist. Der Abschluss einer Exklusivitätsvereinbarung lässt dagegen auch hier noch keine Rückschlüsse auf eine Eignung zur Kursbeeinflussung zu, da die Zusicherung von Exklusivität in solchen Fällen oft erst die Voraussetzung für eine intensive Befassung des potentiellen Käufers mit dem „schwierigen“ Kaufgegenstand ist. Hier kann in einem weiteren Schritt die Rücksendung eines kommentierten Term Sheet-Entwurfs anzeigen, ob bereits eine Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung angenommen werden muss. Aus Verkäufersicht sollte daher bei exklusiven M&A-Verhandlungen schon ab der ersten schriftlichen Kommentierung eines ausführlichen Term Sheets durch den Käufer sorgfältig geprüft werden, ob die Schwelle zur Insiderinformation überschritten sein könnte. e) Öffentliche Übernahmen und Squeeze-out-Verfahren Unterzieht man die Transaktionsstrukturen einer genaueren Analyse und differenziert nach Käufer/bzw. Verkäuferstellung des Emittenten, so wird auch offenbar, warum die BaFin in ihren Beispielen zumeist lediglich auf öffentliche Übernahmen und Squeeze-Out-Verfahren rekurriert: in diesen Fällen ist nämlich aufgrund der rechtlich geregelten Mindesterwerbspreise gemäß WpÜG-AngVO und der vor einem Squeeze-Out durchzuführenden Unternehmensbewertung nach IDW S 1 in aller Regel eine potentiell erhebliche Kursrelevanz aufgrund zu zahlender Prämien bzw. im Vergleich zum aktuellen Börsenkurs höherer Ertragswerte zu erwarten. Zwischenschritte auf dem Weg zur Veröffentlichung einer Übernahmeabsicht bzw. eines Squeeze-Out-Verlangens sind daher besonders insidersensibel: Ein verständiger Anleger wird schon bei einer noch entscheidungsoffenen intensiven Befassung eines potenziellen Bieters mit einer Unternehmensübernahme oder eines Hauptaktionärs vor einer Squeeze-out-Entscheidung in der Regel einen Kauf der betreffenden Aktie erwägen: Das Investitionsobjekt kann nur teurer werden – ohne Verlustrisiko. Die von der BaFin gleichsam als „Regelbeispiel“ immer wieder angeführten Unternehmensübernahmen und Squeeze-Out-Verfahren unterscheiden sich deshalb hinsichtlich ihrer Kursrelevanz und deren zeitlichen Vorliegens ganz wesentlich von den mitunter sehr zähen, im Ausgang völlig offenen und hinsichtlich der Preisfindung

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und anderer Parameter selbst im Ergebnis nicht immer kursrelevanten Private M&A – und Aktionsverfahren. Der Emittentenleitfaden muss die vorbezeichneten Transaktionstypen zwar nicht notwendigerweise im Einzelnen nachzeichnen. Eine allgemeine ergebnisoffene Formulierung, wonach die Emittenten bei ihrer Beurteilung der Insiderrelevanz einzelner Zwischenschritte stets die Besonderheiten des Transaktionstyps und ihrer Prozesssituation bedenken und sauber dokumentieren sollten, würde aber durch die Anerkennung des Primats der konkreten Subsumtion des relevanten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff „Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung“ helfen. Letztlich geht es in dieser extrem faktenbasierten Rechtsmaterie um einen Sonderfall der Business Judgement Rule im Insiderrecht: im Falle plausibler Annahmen und sauberer Dokumentation haben die Emittenten eine Einschätzungsprärogative, deren Ergebnis im Nachgang sowohl von der Aufsicht als auch von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist.

III. Summa aus dreißig Jahren Kapitalmarktpraxis36 1. Das Deutsche Kapitalmarktrecht ist erst sehr spät erwachsen geworden. Dieser Zeitpunkt ist nicht schon 1994 mit dem Inkrafttreten des Wertpapierhandelsgesetzes zu verorten, sondern erst mit Inkrafttreten des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes im Januar 2002 sowie der Verabschiedung und Inkrafttreten des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes ab 1. Juli 2002 mit den ersten Lehren aus den Entwicklungen im damaligen Neue Markt-Segment. 2. Gegen viele integrale Bestandteile eines funktionierenden Kapitalmarkts hat sich Deutschland (zu) lange gesträubt. Beispielhaft seien die verspätete – ernsthafte – Corporate Governance – Diskussion sowie vor allem die extrem verzögerte Substitution des unzureichenden soft law der Insiderhandelsrichtlinien durch das Wertpapierhandelsgesetz (erst) im Jahre 1994 genannt. 3. Die unter dem Dach der BaFin gebündelte Banken-, Versicherungsund Wertpapieraufsicht hat sich in den letzten zwanzig Jahren qualitativ und in der Rechtsdurchsetzung auch im internationalen Vergleich auf hohem Niveau etabliert. Der Austausch mit Marktteilnehmern, Wissenschaft und Rechtspraxis im Rahmen von Konferenzen und Konsultationen funktioniert grundsätzlich gut. 36 Seit Inkrafttreten des WpHG dürfte der Verfasser als Rechtsanwalt in zwei internationalen Kanzleien nach überschlägiger Schätzung mit etwa 1000 insiderrelevanten Sachverhalten befasst gewesen sein.

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4. Die Erstreckung der MMVO auf sämtliche börsennotierte Gesellschaften ungeachtet des Marktsegments und der Marktkapitalisierung vergrößert den „Graben“ zwischen der noch nicht oder nicht mehr börsennotierten Gesellschaft und „public companies“. Die beständige Zunahme des zuvor nur in anglo-amerikanischen Kapitalmärkten anzutreffenden „taking private“ ist eine nicht mehr zu ignorierende machtvolle Gegenreaktion. Sie steht im diametralen Gegensatz zu der rechtspolitisch lautstark geforderten Öffnung der Kapitalmärkte für innovative start-ups und den Mittelstand. 5. Nach Inkrafttreten der MMVO und zuletzt der novellierten Prospektverordnung ist gleichwohl eine Neigung festzustellen, über das bereits ausdifferenzierte vierstufige Regelungsgeflecht aus MMVO, Delegierten Verordnungen und ESMA Guidelines hinaus mit Hilfe nationaler FAQs und Leitfäden eine nationale Auslegungspraxis zu etablieren, die sowohl im Insiderrecht als auch bei der Prospektbilligung auf einen nationalen „Goldstandard“ hinaus liefe. Diese im Rahmen der EU – Richtlinienumsetzung gängige Praxis sollte aber im Bereich von EU – Verordnungen gerade vermieden werden. 6. Die Auslegung kapitalmarktrechtlicher Normen ist wie kaum ein anderes Rechtsgebiet sachverhaltsfokussiert und erfordert die interdisziplinäre Durchdringung aller im Einzelfall maßgeblichen Sachverhaltsaspekte. Transaktionserfahrung ist für die sachgerechte Anwendung gerade insiderrechtlicher und übernahmerechtlicher Normen unerlässlich. 7. Erfahrene Vorstandsmitglieder börsennotierter Gesellschaften können Gewichtung und Bewertung (potentiell) wesentlicher Sachverhaltsaspekte unter Rückgriff auf ihre Erfahrung sowie historische Kursreaktionen der Sektor-relevanten Peer Group grundsätzlich am besten leisten. Solange ihre notgedrungen prognostische Einschätzung auf Basis plausibler Annahmen und sorgfältig dokumentierter Sachverhaltsermittlung erfolgt, hat der Vorstand eine Einschätzungsprärogative bzgl. der Kursrelevanz. 8. Im Insiderrecht und insbesondere bei Zwischenschritten gestreckter Sachverhalte ist die potentielle Kursrelevanz das für die Rechtsanwendung wichtigste konstitutive Kriterium. Eine sorgfältige Dokumentation der spezifischen Transaktionsstruktur vorausgesetzt, ist die ex-ante-Einschätzung der Preisrelevanz einzelner Schritte in Voraussetzungen und Rechtsfolgen mit denen der Business Judgement Rule vergleichbar. Werden deren Kriterien eingehalten, muss es bei der Einschätzungsprärogative des Vorstands bleiben: Er alleine kennt den Verhandlungsverlauf, die beiderseitigen Interessen und Ziele und kann aus Verhaltensmustern auf die künftige Verhandlungsreaktion schließen.

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9. Eine nachträgliche (hindside bias-) Fiktion ursprünglich „richtiger“ Kursrelevanz verringert die durch die Europäische Normenpyramide ohnehin bereits beeinträchtigte Rechtssicherheit und das Vertrauen der bußgeldunterworfenen Unternehmen erheblich. Die Marktintegrität wird durch eine sich tendenziell überschätzende ex-post-Kontrolle nicht gestärkt. Eine sorgfältig dokumentierte Emittentenentscheidung zur potentiellen Kursrelevanz unterliegt daher nur einer eingeschränkten Überprüfung durch die BaFin und die Gerichte. Nur auf diese Weise kann die für eine u.U. drastische Bußgeldsanktionierung erforderliche Rechtssicherheit gewährleistet werden. 10. Es ist den Marktteilnehmern sowie der deutschen und europäischen Kapitalmarktaufsicht zu wünschen, dass sie zu der den Jubilar auszeichnenden souveränen Mischung aus Sachverhaltsdurchdringung, tiefem Normverständnis und Pragmatik findet.

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Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten Hartmut Krause

Fragen über Fragen zur angemessenen Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten HARTMUT KRAUSE

I. Einleitung Übernahmerecht nimmt im Lebenswerk des Jubilars einen wesentlichen Platz ein. Mit zahlreichen grundlegenden, im In- und Ausland veröffentlichten Beiträgen1, seinem Wirken in der früheren Übernahmekommission und in dem an ihre Stelle getretenen Übernahmebeirat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und mit seiner Arbeit in der von der Europäischen Kommission zur Revitalisierung der Übernahmerichtlinie einberufenen High Level Group of Company Law Experts steht Klaus J. Hopt wie kein zweiter deutscher Rechtswissenschaftler für die Herausbildung und Weiterentwicklung eines modernen Übernahmerechts in Deutschland und Europa. Als Forscher wie als Lehrer interessierten ihn – und interessieren ihn immer noch – nicht nur die großen, grundsätzlichen Themenstellungen, sondern auch die praktischen Fragen, die den Schreibtisch des Rechtsanwenders erreichen. Zahlreiche Aufsätze über „Grundsatz- und Praxisprobleme“2 belegen nicht nur seinen extrem vielschichtigen Zugriff auf die jeweiligen 1 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Hopt, Übernahmeangebote im europäischen Recht, FS Rittner, 1991, 187; ders., Aktionärskreis und Vorstandsneutralität, ZGR 1993, 534; ders., Europäisches und deutsches Übernahmerecht, ZHR 161 (1997), 368; ders., Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen – zur aktien- und übernahmerechtlichen Rechtslage in Deutschland und Europa, FS Lutter, 2000, 361; ders., Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; ders., Europäisches Übernahmerecht, 2013. Außerdem Hopt/Wymeersch, European Takeovers: Law and Practice, 1992; Report of the High Level Group of Company Law Experts on Issues Related to Takeover Bids in the European Union, 2002; Ferrarini/Hopt/Winter/Wymeersch, Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004. 2 Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapierhandelsgesetz, ZHR 159 (1995), 135; ders., Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 383; ders., Die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat: Grundsatz und Praxisprobleme – unter besonderer Berücksichtigung der Banken, ZIP 2013, 1793.

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Rechtsprobleme, sondern auch seinen scharfen Blick für die Mühen der Ebene und seinen ausgeprägten Sinn für pragmatische, praxistaugliche Lösungen. In seinen Lehrveranstaltungen durfte man an der Entfaltung dieser außergewöhnlichen Fähigkeiten – sozusagen in Echtzeit – teilhaben. Sein Interesse für das Übernahmerecht und sein Sinn für das Praktische mögen es rechtfertigen, ein Praktikerthema zu behandeln und verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der angemessenen Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten zu beleuchten. Angesichts der mannigfaltigen Fragestellungen, die das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG)3 im Zusammenhang mit der Gegenleistung bereithält, kann der folgende Beitrag nur eine Auswahl von Problemen diskutieren. Die Darstellung folgt dem zeitlichen Ablauf eines Übernahmevorhabens: Zunächst untersucht sie die Bindung des Bieters an Angaben in seinen eigenen Veröffentlichungen. Danach wendet sie sich ausgewählten Einzelfragen im Zusammenhang mit der Höhe der Gegenleistung zu. Außerdem nimmt sie Vereinbarungen in den Blick, von denen eine nicht unerhebliche Umgehungsgefahr ausgeht. Schließlich widmet sie sich Problemen, mit denen der Rechtsanwender bei Delisting-Angeboten umzugehen wissen muss.

II. Bindung an Angaben in Pflichtveröffentlichungen? Jedes öffentliche Angebot ist mit Publizität verbunden. Hierzu zählen Pflichtveröffentlichungen (wie etwa die Angebotsunterlage oder, zeitlich vorgelagert, die Mitteilung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots) und freiwillige Veröffentlichungen (etwa begleitende Pressearbeit der Beteiligten oder eine Anzeigenkampagne). Hat der Bieter in einer Pflichtveröffentlichung oder in einer freiwilligen Veröffentlichung Angaben zu Art und Höhe der Gegenleistung gemacht, stellt sich die Frage, ob er sich im weiteren Verlauf des Angebots hieran festhalten lassen muss. Als mögliche Rechtsgrundlagen einer derartigen Bindung wären § 21 Abs. 1 WpÜG mit seinem numerus clausus der zulässigen Änderungen eines Angebots, die Marktmissbrauchsverordnung (MAR)4 mit ihrem Verbot der Marktmanipulation und eine eventuelle Selbstbindung des Bieters nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo zu untersuchen. Wie sich sogleich zeigen wird, lassen sich klare abstrakt-generelle Maßstäbe für oder gegen eine bestimmte Bindungswirkung, die für sämtliche Veröffentlichungsformen Geltung beanspruchen, we3 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3822), zuletzt geändert durch Artikel 18 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2602). 4 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173/1.

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der aus dem Übernahmerecht noch aus dem Marktmissbrauchsrecht5 noch aus der culpa in contrahendo gewinnen. Vielmehr ist zu unterscheiden: 1. Angaben in der Angebotsunterlage Angaben in der Angebotsunterlage, die die Art und die Höhe der Gegenleistung bezeichnen, sind für den Bieter verbindlich. Der Bieter darf lediglich die Gegenleistung erhöhen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG) oder wahlweise eine andere Gegenleistung anbieten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG). In der Transaktionspraxis ist die Frage aufgetreten, ob ein Bieter, der in der Angebotsunterlage „verbindlich und unwiderruflich“ erklärt, dass er die angebotene Gegenleistung nicht erhöhen werde (sog. Verbesserungssperre oder No-Increase-Statement)6, an diese Erklärung rechtlich gebunden ist. Ob eine derartige Bindungswirkung besteht, ist umstritten. Nach einer Ansicht soll ein No-Increase-Statement keine Bindungswirkung haben und eine spätere Änderung des Angebots zulässig sein. Die Erhöhung der Gegenleistung sei eine gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG generell zulässige Änderung des Angebots, die Abweichung vom No-Increase-Statement verbessere die Position der Aktionäre, und eventuelle Interessenkonflikte könnten über das Rücktrittsrecht des § 21 Abs. 4 WpÜG gelöst werden7. Nach der Gegenauffassung kommt dem No-Increase-Statement Bindungswirkung zu. Der Bieter, der von seinem No-Increase-Statement abweicht, ändere das Angebot nicht nur dadurch, dass er die Gegenleistung erhöhe. Vielmehr sei auch das No-Increase-Statement Angebotsbestandteil. Eine Abweichung von diesem Angebotsbestandteil sei eine materielle Änderung des Angebots, die im numerus clausus der zulässigen materiellen Änderungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 WpÜG nicht vorgesehen – und damit unzulässig sei8. Wenngleich man das No-Increase-Statement auch als Annex der angebotenen Gegenleistung begreifen und das spätere Abweichen als einen Anwendungsfall des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG ansehen kann, erscheint die zweite Ansicht überzeugender. Anderenfalls würde man dem No-Increase-Statement jedwede rechtliche Bedeutung absprechen9. Auch in ausländischen Rechtsordnungen ist das No-Increase-Statement grundsätzlich rechtlich bindend10.

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Hippeli/Klepsch, WM 2016, 1205, 1212. Vgl. Übernahmeangebot Beauty Holding Three AG/Douglas Holding AG vom 31.10.2012, S. 8; Übernahmeangebot FPS Beteiligungs AG/RHÖN KLINIKUM Aktiengesellschaft vom 18.5.2012, S. 8. 7 Thun in Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 3. Aufl. 2017, § 21 Rz. 29. 8 Diekmann in Baums/Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 21 Rz. 30; Santelmann in Steinmeyer, WpÜG, 4. Aufl. 2019, § 21 Rz. 5; Hippeli/Klepsch, WM 2016, 1205, 1206. 9 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 33a. 10 Vereinigtes Königreich: Rule 32.2 Takeover Code; Österreich: § 15 Abs. 1 Satz 2 ÜbG. 6

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Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich die Gegenleistung durch Parallelerwerb des Bieters oder mit ihm gemeinsam handelnder Personen gemäß § 31 Abs. 4 WpÜG automatisch erhöhen kann11. Dies muss selbst dann gelten, wenn der Bieter in der Angebotsunterlage „verbindlich und unwiderruflich“ erklärt, dass weder er noch mit ihm gemeinsam handelnde Personen noch deren Tochterunternehmen bis zum Ende der Annahmefrist Aktien der Zielgesellschaft börslich oder außerbörslich zu einem höheren Preis erwerben oder einen solchen vereinbaren werden (Parallelerwerbssperre)12, dann aber gleichwohl ein Parallelerwerb zu einem höheren Preis stattfindet. Von der Rechtsfolge des § 31 Abs. 4 WpÜG kann sich der Bieter nicht durch einseitige Erklärung freizeichnen. Zudem erscheint die Rückabwicklung eines börslichen Parallelerwerbs ausgeschlossen. Sollte die Abweichung vom No-Increase-Statement Marktverzerrungen oder die Schädigung Dritter herbeiführen, kann sie bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen als Ordnungswidrigkeit (§ 120 Abs. 2 Nr. 3 WpHG i.V.m. § 25 WpHG und Art. 12, 15 MAR) oder Straftat (§ 119 Abs. 1 WpHG) sanktioniert werden und Schadensersatzansprüche gemäß § 826 BGB nach sich ziehen. Demgegenüber scheiden Ansprüche aus culpa in contrahendo aus, weil zwischen dem Bieter und den Aktionären der Zielgesellschaft kein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht13. Selbst wenn man dies anders sehen wollte14, könnten sich Aktionäre der Zielgesellschaft nicht auf eine culpa in contrahendo berufen, wenn sie ihre Aktien an einen Dritten verkaufen und nach der Erhöhung der Gegenleistung unter dem Angebot feststellen, dass sie ihre Aktien „zu billig“ verkauft haben. Ihre Entscheidung, an einen Dritten zu verkaufen, ist untrennbar mit der Entscheidung verbunden, das Angebot des Bieters nicht weiter zu berücksichtigen. Wenn zunächst ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit dem Bieter entstanden wäre, würde es mit dieser Entscheidung erlöschen15. 2. Angaben in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots Auch für Angaben in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 1 WpÜG)16 oder in der Veröffentlichung der 11

Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 33b. Vgl. Übernahmeangebot Beauty Holding Three AG/Douglas Holding AG vom 31.10.2012, S. 8; Übernahmeangebot FPS Beteiligungs AG/RHÖN KLINIKUM Aktiengesellschaft vom 18.5.2012, S. 8. 13 LG Köln v. 20.10.2017 – 82 O 11/15 – Postbank II – juris, Rz. 601. 14 LG Stuttgart v. 17.9.2018 – 31 O 1/15 KfH SpruchG – juris, Rz. 284 ff. 15 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 33b. 16 Vgl. Veröffentlichung der Beauty Holding Two GmbH v. 15.10.2012 (Advent International/Douglas Holding AG). 12

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Kontrollerlangung (§ 35 Abs. 1 WpÜG) ist umstritten, ob ihnen Bindungswirkung zukommt oder nicht. Nach zutreffender Auffassung ist eine Bindung des Bieters an diese Angaben zu verneinen. Zunächst existiert für Mitteilungen gemäß § 10 WpÜG – anders als für Angebotsunterlagen – kein numerus clausus der zulässigen Änderungen17. Auch steht es dem Bieter frei, seine Angebotsabsicht aufzugeben und von der Übermittlung einer Angebotsunterlage abzusehen18 – auch wenn er damit in Kauf nimmt, dass dieser Abbruch des Angebotsverfahrens die Untersagung des Angebots durch die BaFin nach sich zieht (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 WpÜG) und der Bieter und bestimmte weitere mit ihm gemeinsam handelnde Personen erst nach Ablauf eines Jahres ein weiteres Angebot abgeben können (§ 26 Abs. 1 WpÜG). Auch im Übrigen bestehen weder übernahmerechtliche noch marktmissbrauchsrechtliche Bindungen19. Soweit die Gegenauffassung den Bieter, wenn er ein Angebot abgibt, an seinen Angaben festhalten will und dies damit begründet, dass sich die Kapitalmarktteilnehmer im Regelfall auf diese Veröffentlichungen verlassen und sich am Markt entsprechende Preise bilden20, ist dem entgegenzuhalten, dass die Herbeiführung von Marktverzerrungen als Ordnungswidrigkeit (§ 120 Abs. 2 Nr. 3 WpHG i.V.m. § 25 WpHG und Art. 12, 15 MAR) und die vorsätzliche Schädigung Dritter bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen als Straftat (§ 119 Abs. 1 WpHG) sanktioniert werden können. Weiterhin können sie Schadensersatzansprüche der Aktionäre gemäß § 826 BGB nach sich ziehen. Angesichts dessen erscheinen weitergehende übernahmerechtliche Verpflichtungen zum Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft nicht erforderlich21. 3. Angaben in sonstigen Veröffentlichungen Für Angaben in begleitenden Pflichtveröffentlichungen (z.B. Ad hocMitteilungen) oder freiwilligen Presse- und sonstigen Veröffentlichungen des Bieters22 muss dasselbe gelten wie für Angaben in Veröffentlichungen gemäß § 10 WpÜG bzw. § 35 Abs. 1 WpÜG23. Auch hier gibt es keinen nu17

Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 33c. Assmann in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 10 Rz. 51 ff. 19 Hippeli/Klepsch, WM 2016, 1205, 1212. 20 Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 11; Schulz, M&A-Review 2003, 161, 163. 21 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 33c. 22 Z.B. Pressemitteilungen der Pulver BidCo GmbH vom 30.4., 5.5. und 8.5.2019 anlässlich ihres Übernahmeangebots an die Aktionäre der Scout24 AG (keine Erhöhung der Gegenleistung, keine Absenkung der Annahmeschwelle, keine Verlängerung der Annahmefrist) unter https://scout24-angebot.de/websites/1023_ma/German/1000/bekanntma chungen.html (Abruf 30.12.2019). 23 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 33d. 18

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merus clausus zulässiger Änderungen. Die Herbeiführung von Marktverzerrungen und die schuldhafte Schädigung Dritter können bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen als Ordnungswidrigkeit oder Straftat sanktioniert werden und gemäß § 826 BGB Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. Weitergehende übernahmerechtliche Verpflichtungen des Bieters erscheinen daher nicht erforderlich.

III. Höhe der Gegenleistung Im Folgenden sollen ausgewählte Fragen im engeren Zusammenhang mit der Höhe der Gegenleistung beleuchtet werden. 1. Ausschüttung von Dividenden Bei der Terminierung von Übernahme- und Pflichtangeboten wird es sich nicht immer vermeiden lassen, dass die Zielgesellschaft während der (weiteren) Annahmefrist oder, wenn regulatorische Freigaben erst nach dem Ablauf der (weiteren) Annahmefrist erteilt werden, im Zeitraum zwischen dem Ablauf der (weiteren) Annahmefrist und dem Vollzug des Angebots eine Dividende bezahlt. Außerhalb eines Verfahrens nach dem WpÜG führt die Ausschüttung einer Dividende regelmäßig dazu, dass der Aktienkurs der Zielgesellschaft entsprechend sinkt. Wenn der Bieter diesen Effekt bei der Bemessung der Gegenleistung nicht berücksichtigt, läuft er Gefahr, dass er für die Aktien der Zielgesellschaft ex Dividende eine höhere als die von ihm für angemessen gehaltene Gegenleistung bezahlt24; die Auszahlung einer Dividende vor Vollzug des Übernahmeangebots führt nämlich nicht automatisch zu einer Herabsetzung der Gegenleistung25 (auch dann nicht, wenn die ausbezahlte Dividende höher ausfällt als eingepreist). Wegen § 21 Abs. 1 Satz 1 WpÜG kann die Angebotsunterlage nicht vorsehen, dass sich die Gegenleistung vermindert, wenn die Zielgesellschaft eine Ausschüttung vornimmt. Eine Bedingung, dass das Angebot ausfällt, wenn die Dividende einen bestimmten Betrag übersteigt, wird nicht immer interessengerecht sein. Die Angebotsunterlage kann aber vorsehen, dass sich die Gegenleistung erhöht, wenn das Angebot vor der antizipierten Dividendenzahlung vollzogen 24

Hierzu ausführlich Oppenhoff/Illert, in FS Marsch-Barner, 2018, S. 397, 399 ff. Reinhardt/Kocher in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, 2017, § 15 Rz. 159; Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 3. Aufl. 2017, § 31 Rz. 88; Wirbel in Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Hdb., 2017, § 57 Rz. 76; a.A. Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 4. Aufl. 2017, Rz. 60.255; Kremer/ Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rz. 24; Marsch-Barner in Baums/ Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 31 Rz. 34; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, Anh. § 31, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 35. 25

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wird26. Die Gegenleistung setzt sich dann aus zwei Komponenten zusammen: einem Basispreis, der den Maßstäben der § 31 WpÜG i.V.m. §§ 4, 5 WpÜG-AngVO entsprechen muss27, und einem Erhöhungsbetrag, dessen Fälligwerden davon abhängt, ob das Angebot vor oder nach dem Dividendentermin vollzogen wird28. Die Zahlung einer Dividende durch den Bieter bewegt sich außerhalb des Regelungsbereichs des § 31 WpÜG29. Wenn das Angebot allein eine Geldleistung vorsieht, leuchtet das unmittelbar ein. Bei Tauschangeboten erscheint dies jedoch nicht zwingend30. 2. Berücksichtigung von Earn-Out-Vereinbarungen Earn-Out-Vereinbarungen sind in der Transaktionspraxis ein probates Instrument, um unterschiedliche Auffassungen des Käufers und des Verkäufers über den angemessenen Kaufpreis eines Zielunternehmens zu überwinden. In der Earn-Out-Klausel des Kaufvertrages verständigen sich Käufer und Verkäufer darauf, dass bei Vollzug des Kaufvertrages ein Basispreis gezahlt wird und – abhängig davon, dass das Zielunternehmen nach dem Vollzug des Kaufvertrages bestimmte vertraglich definierte (finanzielle) Ziele erreicht – nach dem Erreichen dieser Ziele vertraglich definierte weitere Zahlungen fällig werden31. Wenn eine Earn-Out-Vereinbarung zum Einsatz gelangt, geschieht dies typischerweise bei der Veräußerung eines nicht börsennotierten Unternehmens. Aber auch dann, wenn sich ein verkaufswilliger Kontrollaktionär einer börsennotierten Zielgesellschaft von seinem Aktienpaket trennen will, ist eine Earn-Out-Vereinbarung zwischen dem Kontrollaktionär und dem Bieter denkbar. Ob und wie Earn-Out-Vereinbarungen und die hierunter möglichen Zahlungen bei der Bemessung der Gegenleistung von Übernahme- und Pflichtangeboten zu berücksichtigen sind, ist umstritten32. Die praktische Schwierigkeit 26 Oppenhoff/Illert, in FS Marsch-Barner, 2018, S. 397, 407; Wirbel, in Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Hdb., 2017, § 57 Rn. 76; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36b. 27 Oppenhoff/Illert, in FS Marsch-Barner, 2018, S. 397, 407; Oppenhoff in Drinhausen/ Eckstein, BeckHdB AG, § 23 Rz. 139; Wirbel, in Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Hdb., 2017, § 57 Rn. 76; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36b. 28 Vgl. Übernahmeangebot der Vodafone Vierte Verwaltungsgesellschaft mbH an die Aktionäre der Kabel Deutschland Holding AG vom 30.7.2013; Übernahmeangebot der E.ON Verwaltungs AG an die Aktionäre der der Innogy SE vom 27.4.2018. 29 Jahresbericht der BaFin 2011, S. 224. 30 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36c. 31 Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, 3. Aufl. 2018, S. 98 ff.; Werner, DStR 2012, 1662. 32 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36a.

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besteht regelmäßig darin, dass Earn-Out-Zahlungen regelmäßig erst dann geschuldet sind, wenn bestimmte, in der Vereinbarung definierte Voraussetzungen in der Zukunft eintreten. Bei Freigabe der Angebotsunterlage durch die BaFin gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG ist daher ungewiss, ob Earn-OutZahlungen geleistet werden oder nicht. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin und der herrschenden Meinung in der Literatur33 ist der Bieter verpflichtet, den Aktionären, die das Angebot annehmen, einen korrespondierenden Nachzahlungsanspruch einzuräumen34. Der Nachzahlungsanspruch ist Teil der unter dem Angebot geschuldeten Gegenleistung; daher hat der Bieter gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG auch die Finanzierung des Nachzahlungsanspruchs sicherzustellen und gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG eine Bestätigung hierüber beizubringen35. Wenn Earn-Out-Zahlungen fällig werden, hat der Bieter dies der BaFin analog § 23 WpÜG i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 WpÜG mitzuteilen36. 3. Freistellungsvereinbarungen (Reverse Indemnity) Bei verhandelten Unternehmenskäufen können Verkäufer häufig durchsetzen, dass der Käufer den Verkäufer, seine Konzerngesellschaften und die in diesen Gesellschaften und dem Zielunternehmen tätigen Organmitglieder und Arbeitnehmer von bestimmten Risiken freistellen muss (sog. Reverse Indemnity). Mitunter nehmen Gesellschafter und deren Repräsentanten in der Zielgesellschaft eine sehr aktive Rolle wahr, was die Gefahr einer persönlichen Haftung wegen der Verletzung von Pflichten als Mitglied eines Aufsichtsrats oder Beirats oder als faktischer Geschäftsführer erhöht. Nach dem Vollzug des Kaufvertrages könnte der Käufer die Zielgesellschaft veranlassen, solche Ansprüche gegen die vorgenannten Personen geltend zu machen – und damit das System der abschließenden Regelung der Haftungsansprüche im Kaufvertrag unterlaufen. Dieser Vorstoß geht hingegen ins Leere, wenn der Kaufvertrag eine Reverse Indemnity enthält: Dann nämlich muss der Käufer den begünstigten Personenkreis von einer derartigen Inanspruchnahme durch die Zielgesellschaft freistellen37. 33 A.A. Süßmann, WM 2003, 1453, 1461 f.; Tuttlies/Bredow, BB 2008, 911, 911 f. (keine Berücksichtigung); vermittelnd Tominski/Kuthe, BKR 2004, 10, 15; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, § 31 Rz. 35a. 34 Berrar/Schnorbus, CFL 2019, 106, 109; Reinhardt/Kocher in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, 2017, § 15 Rz. 153; Tuttlies/Bredow, BB 2008, 911, 912; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36a. 35 Berrar/Schnorbus, CFL 2019, 106, 109; Berrar/Schnorbus in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, 2017, § 10 Rz. 55; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36a. 36 Berrar/Schnorbus, CFL 2019, 106, 109; Tuttlies/Bredow, BB 2008, 911, 913; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36a. 37 Kästle/Oberbracht, Unternehmenskauf – Share Purchase Agreement, 3. Aufl. 2018, S. 232 f.

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Auch bei der Übernahme börsennotierter Gesellschaften ist es denkbar, dass Aktienverkäufer mit einer starken Verhandlungsposition – etwa im Vorstand tätige, an der Zielgesellschaft maßgeblich beteiligte Gründer – dem Bieter die Verpflichtung abringen, sie und ihre Vorstandskollegen von sämtlichen Verbindlichkeiten und Kosten freizustellen, die ihnen dadurch entstehen, dass die Zielgesellschaft sie nach Abwicklung des Übernahmeangebots wegen einer möglichen Verletzung ihrer Vorstandspflichten in Anspruch nimmt38. Wenn es bei Vereinbarung der Freistellungsverpflichtung keinerlei Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen des Vorstands gibt, die derartige Ansprüche der Zielgesellschaft begründen könnten, ist es völlig ungewiss, ob der Bieter jemals aus seiner Freistellungsverpflichtung in Anspruch genommen wird. Dann bedeutet die Freistellung keinen geldwerten Vorteil und ist für die Gegenleistung des Angebots irrelevant. Aber selbst wenn man den Freistellungsanspruch als einen geldwerten Vorteil ansehen wollte, wäre dieser jedenfalls nicht im Sinne des § 33d WpÜG ungerechtfertigt. Ungerechtfertigt ist ein Vorteil nur, wenn der Vorstand damit zu einem nicht am Interesse seiner Gesellschaft oder ihrer Anteilseigner orientierten Verhalten bewegt werden soll39. Dies ist der Fall, wenn für die Gewährung dieses Vorteils kein sachlich nachvollziehbarer Grund besteht40. Wenn voneinander unabhängige Parteien eine Freistellungsverpflichtung der hier erörterten Art aushandeln, ist allein schon deswegen davon auszugehen, dass ein sachlich nachvollziehbarer Grund vorliegt; unter unverbundenen Dritten hat niemand etwas zu verschenken. Typischerweise möchte der Bieter eine hohe Annahmequote erzielen, um die Geschäfte der Zielgesellschaft auf der Grundlage einer stabilen und verlässlichen Aktionärsstruktur erfolgreich fortzuführen und in seinen eigenen Konzern zu integrieren. Hierfür benötigt er die Aktien der Vorstandsmitglieder – in manchen Fällen dringender, in anderen Fällen weniger dringend. Die Vorstandsmitglieder suchen Kaufpreissicherheit, genauso wie der Verkäufer eines nicht börsennotierten Unternehmens: Wenn es ihre Verhandlungsposition erlaubt, werden sie zum Verkauf ihrer Aktien nur bereit sein, wenn ihnen die Gegenleistung, die sie für ihre Aktien erhalten, nach Abwicklung des Übernahmeangebots nicht wieder genommen werden kann. Anders als andere 38 Wegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG kann die Zielgesellschaft auf ihre Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder wegen Pflichtverletzung nicht ohne weiteres – und schon gar nicht kurzfristig – verzichten. 39 BegrRegE WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 59; Hirte in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33d Rn. 15; Schlitt in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, § 33d Rn. 11; Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 3. Aufl. 2017, § 33d Rn. 3. 40 Hirte in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33d Rn. 15; Schlitt in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, § 33d Rn. 11.

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Aktionäre leben sie mit dem Risiko, dass sie von der Zielgesellschaft wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch genommen werden. Auch wenn dieses Risiko extrem gering sein sollte, lässt sich ohne weiteres nachvollziehen, dass ein Vorstandsmitglied dieses Risiko eliminieren möchte und dass ihm dies auch gelingt, wenn es seine Verhandlungsposition erlaubt. Dann stützt sich die Freistellungsverpflichtung auf sachlich nachvollziehbare Gründe. Gleiches gilt, wenn die Vorstandsmitglieder die Geschäfte der Zielgesellschaft nach dem Vollzug des Angebots fortführen und ihr Know-how und ihre Erfahrung einbringen sollen, weil dies nach Einschätzung des Bieters für den geschäftlichen Erfolg der Zielgesellschaft wichtig ist. Die Vorstandsmitglieder werden zum Verkauf ihrer Aktien und zum Verbleib im Unternehmen kaum bereit sein, wenn sie befürchten müssen, dass ein neu besetzter Aufsichtsrat die Zielgesellschaft mit Nachforschungen zu eventuellen Pflichtverstößen „auf den Kopf“ stellen lässt, während sie sich zum Nutzen des Bieters und der Zielgesellschaft einsetzen41. Auch in einem solchen Fall stützt sich die Freistellungsverpflichtung auf sachlich nachvollziehbare Gründe. Im Übrigen werden in beiden geschilderten Fällen weder die Zielgesellschaft noch ihre Aktionäre durch die Freistellungsverpflichtung in irgendeiner Form benachteiligt. Sollten Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder bestehen, kann die Zielgesellschaft sie weiterhin uneingeschränkt geltend machen; zur Freistellung verpflichtet ist der Bieter, nicht die Zielgesellschaft. Wenn man den Freistellungsanspruch als einen geldwerten Vorteil ansehen wollte, wäre er gleichwohl bei der Bemessung der Gegenleistung des Übernahmeangebots nicht zu berücksichtigen. Der Freistellungsanspruch wird nicht als Gegenleistung für den Erwerb der Aktien gewährt. Er ist regelmäßig das Ergebnis der Verhandlungen zwischen einem Vorstand mit starker Verhandlungsposition, der (anders als Aktionäre, die nicht im Vorstand dienen) ohne Freistellung keine Kaufpreissicherheit hat, und einem Bieter, der sich der Unterstützung der Vorstandsmitglieder auch über das Angebotsverfahren hinaus vergewissern möchte (auch das können andere Aktionäre nicht liefern). Eine Erhöhung der Gegenleistung wird daher auch nicht dadurch ausgelöst, wenn zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich Zahlungen aufgrund der Freistellungsvereinbarung erfolgen. 4. Alternative Gegenleistungen (Wahlgegenleistungen) Der Bieter kann den Aktionären der Zielgesellschaft die Wahl zwischen verschiedenen alternativen Gegenleistungen anbieten. Eine Wahlschuld (§ 262 BGB) ist im WpÜG nicht ausdrücklich vorgesehen, wird aber in § 21 41 Dieses Interesse haben sogar solche Vorstandsmitglieder, die gar keine Aktien haben, die sie dem Bieter verkaufen könnten.

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Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG vorausgesetzt42. Hiernach kann der Bieter sein Angebot ändern, indem er wahlweise eine andere Gegenleistung anbietet. Dann aber muss es erst recht möglich sein, von vornherein zwei alternative Gegenleistungen zur Wahl zu stellen43. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin muss auch eine vom Bieter wahlweise alternative Gegenleistung die gesetzlichen Mindestpreisvorschriften einhalten44. Ausnahmen hat die BaFin bislang nur in Bezug auf die Art der Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 245, nicht jedoch in Bezug auf die Höhe der Gegenleistung zugelassen. Angehörige der BaFin haben dies damit begründet, dass die Angemessenheit der Gegenleistung grundlegend in § 31 Abs. 1 WpÜG (und nicht Abs. 2) geregelt sei, diese Vorschrift und ihre Konkretisierungen in den §§ 4 ff. WpÜG-AngVO keine Differenzierung zwischen einer primären und einer alternativen Gegenleistung vorsähen, die Gesetzesbegründung nur für den Fall des § 31 Abs. 2 WpÜG eine Ausnahme vorsehe und auch die Aktionäre, die die alternative Gegenleistung annehmen, auf den Schutz des § 31 WpÜG vertrauen und bei Parallel- und Nacherwerb von den Regelungen in § 31 Abs. 4 und 5 WpÜG profitieren sollten. Außerdem fürchten die BaFin-Angehörigen Umgehungsgestaltungen zugunsten von Paketaktionären, die sie mit dieser weiten Auslegung des § 31 WpÜG verhindern wollen46. Diese Position ist zurückzuweisen. Nach zutreffender Ansicht finden die Vorschriften der § 31 WpÜG und §§ 3 ff. WpÜG-AngVO auf eine wahlweise angebotene alternative Gegenleistung keine Anwendung. Nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG hat der Bieter nur „eine“ angemessene Gegenleistung anzubieten. Dieser Anforderung ist Genüge getan, wenn eine von zwei alternativen Gegenleistungen die Maßstäbe des § 31 WpÜG erfüllt. Dass diese Gegenleistung den Anforderungen des § 31 Abs. 2 und 3 WpÜG an die Art der Gegenleistung genügt und der Höhe nach angemessen ist, ist sozusagen das Pflichtprogramm. Weitere Gegenleistungen und deren Ausgestaltung sind im Gesetz nicht angesprochen; für den Bieter sind sie die Kür – mit all ihren Freiheiten. Auch zum Schutz der Aktionäre ist es nicht erforderlich, die Kür den Anforderungen des § 31 WpÜG zu unterwerfen. Für die Aktionäre ist es von Vorteil, wenn ihnen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus eine Wahlmöglichkeit eingeräumt wird. Es 42

Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 31 Rz. 94. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36d, 38; Kremer/Oesterhaus, KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rz. 37; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 31 Rz. 61; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 31 Rz. 94; Boucsein/Schmiady, AG 2016, 597, 600. 44 Boucsein/Schmiady, AG 2016, 597, 600; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 7; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 26. 45 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 38. 46 Boucsein/Schmiady, AG 2016, 597, 600 f. 43

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steht ihnen frei, die eine (den gesetzlichen Anforderungen entsprechende) oder die andere (nach Art und Höhe frei ausgestaltete) Gegenleistung zu wählen. Sie können selbst entscheiden, ob sie die gesetzlich geregelte oder die alternative Gegenleistung attraktiver finden, und dementsprechend die eine Gegenleistung auswählen und die andere ausschlagen. Aus diesen Gründen geht die herrschende Literatur völlig zutreffend davon aus, dass die Vorschriften der § 31 WpÜG und §§ 3 ff. WpÜG-AngVO auf eine wahlweise angebotene alternative Gegenleistung keine Anwendung finden47. Die Angebotsunterlage muss über die unterschiedliche Qualität der zur Wahl gestellten Gegenleistungen informieren48. Dem Bieter steht es frei, die Wahlgegenleistung besonders attraktiv auszugestalten – nicht nur in Bezug auf die Höhe, sondern auch dadurch, dass er sich in der Angebotsunterlage zur Anpassung der Wahlgegenleistung analog § 31 Abs. 3 bis 5 WpÜG verpflichtet. 5. Manipulierte Börsenkurse Wenn die Aktien der Zielgesellschaft zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, muss gemäß § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO die Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs dieser Aktien während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG entsprechen. Fraglich ist allerdings, was passiert, wenn sich der Börsenkurs der Zielgesellschaft nicht frei von Manipulationen oder Verstößen gegen insiderrechtliche Vorschriften gebildet hat. Diesen Fall hat der Gesetzgeber der WpÜGAngVO von 2001 – anders als der Gesetzgeber des § 39 BörsG von 201549 – 47 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36e; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rz. 37; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 31 Rz. 95; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 31 Rz. 61; Diekmann in Baums/Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 21 Rz. 21; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, § 21 Rz. 29, § 31 Rz. 65; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 21 Rz. 15; Berrar/Schnorbus in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, 2017, § 10 Rz. 158, 160; a.A. Boucsein/ Schmiady, AG 2016, 597, 600 f.; Sohbi in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 31 WpÜG Rz. 23. 48 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36g; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rz. 37; Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 3. Aufl. 2017, § 31 Rz. 23; Sohbi in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 31 WpÜG Rz. 23; a.A. Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, § 31 Rz. 65 (für Wahlgegenleistungen, die den Vorschriften der § 31 Abs. 1 WpÜG, §§ 3 ff. WpÜG-AngebotsVO genügen). 49 Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 20.11. 2015 (BGB. I S. 2029, 2039), Art. 2 (Änderung des Börsengesetzes).

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nicht gesehen. Folglich liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, die durch die analoge Anwendung des § 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG gefüllt werden kann. Nach dieser Vorschrift ist eine Unternehmensbewertung erforderlich, wenn der Emittent entgegen Art. 17 Abs. 1 MAR eine wahre Insiderinformation nicht zeitgerecht veröffentlicht hat, wenn er eine unwahre Insiderinformation veröffentlicht hat oder wenn der Emittent oder der Bieter gegen das Verbot der Marktmanipulation gemäß Art. 15 MAR verstoßen hat. In allen genannten Fällen bleibt es jedoch beim gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs, wenn die Verstöße nur unwesentliche Auswirkungen auf den errechneten Durchschnittskurs haben. Diese Regelungen sind auch bei Übernahme- und Pflichtangeboten interessengerecht50. 6. Ausländische Börsenkurse Wenn die Aktien der Zielgesellschaft ausschließlich zum Handel an einem organisierten Markt in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind, muss gemäß § 6 Abs. 1 WpÜG-AngVO die Gegenleistung mindestens dem durchschnittlichen Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG des organisierten Marktes mit den höchsten Umsätzen in den Aktien der Zielgesellschaft entsprechen. Anders als in § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO ist der einfache, nicht der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs maßgeblich. Wenn man einmal dahinstehen lässt, ob die Vorschrift des § 6 WpÜGAngVO nach dem Inkrafttreten des § 1 Abs. 2 WpÜG in der Fassung des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes51 überhaupt noch einen Anwendungsbereich hat52, ist festzustellen, dass sich die Praxis auf den Wertpapiermärkten der Europäischen Union seit dem Inkrafttreten des § 6 Abs. 3 Satz 1 WpÜG-AngVO im Januar 2002 nicht unerheblich weiterentwickelt hat. Überholt ist unter anderem die Annahme des Gesetzgebers, dass gewichtete durchschnittliche Börsenkurse nur anhand des Handels an deutschen Wertpapierbörsen gewonnen und nur von deutschen Behörden zur Verfügung gestellt werden können. So übermittelt etwa die zuständige Stelle in Polen ausschließlich einen gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs53. Den einfachen Durchschnittskurs auf der Basis von Schlusskursen muss der 50 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 5 WpÜGAngVO Rz. 28a. 51 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 8. Juli 2006, BGBl I S. 1426. 52 Hierzu Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 6 WpÜG-AngVO Rz. 1a. 53 Erfahrung aus einem Mandat des Verfassers.

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Bieter aufwendig (und fehleranfällig) nachrechnen. Zudem kann ein solcher Durchschnittskurs nicht die Glaubwürdigkeit eines von einer staatlichen Stelle zur Verfügung gestellten Durchschnittskurses in Anspruch nehmen. Hiernach ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 Satz 1 WpÜG-AngVO teleologisch zu reduzieren und durch die analoge Anwendung des § 5 Abs. 3 Satz 1 WpÜG-AngVO zu ersetzen, wenn die maßgebliche ausländische staatliche oder aus anderen Gründen als zuverlässig einzuschätzende Stelle einen entsprechenden gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs zur Verfügung stellt54. Die Heranziehung des gewichteten Durchschnittskurses ist in derartigen Fällen nicht nur praktikabler, sondern entspricht im Zweifel auch eher dem vorherrschenden Gerechtigkeitsdenken und dem jeweiligen ausländischen Recht. Zudem sichert Art. 26 MiFIR55 einen Informationsanspruch der zuständigen staatlichen Stellen. Die ursprünglichen Bedenken des Gesetzgebers dürften damit an Gewicht verloren haben.

IV. Dem Aktienerwerb gleichgestellte Vereinbarungen Die Vorschrift des § 31 WpÜG verwendet den Begriff des Erwerbs grundsätzlich zur Bezeichnung des Verfügungsgeschäfts, das dem Bieter das Eigentum an Aktien der Zielgesellschaft verschafft56. Um die Umgehung der Mindestanforderungen an die Gegenleistung zu verhindern, sehen § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG und § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO vor, dass Vereinbarungen, auf deren Grundlage die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, dem Erwerb von Aktien gleichstehen. Der Gesetzgeber hatte insbesondere Kauf- bzw. Tauschverträge mit hinausgeschobenem Erfüllungszeitpunkt und Optionsgeschäfte, die zum Bezug von Aktien berechtigen, im Blick57. 1. Wandel- und Optionsschuldverschreibungen Von der Vorschrift des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG erfasst ist auch der Erwerb von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen58. In der Sache

54 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 6 WpÜGAngVO Rz. 8a. 55 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. EU L 173, 12.6.2014, S. 84. 56 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 54. 57 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 57. 58 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 151a; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 31 Rz. 150; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rz. 98.

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Celesio würdigte der BGH einen zwischen dem Bieter und einem Dritten geschlossenen Kaufvertrag über von dem Dritten gehaltene Wandelschuldverschreibungen als eine Vereinbarung, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden konnte (§ 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG und § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO)59. Nach dem BGH kommt es nicht darauf an, ob die Wandelschuldverschreibungen originär oder derivativ erworben werden60, ob die Wandelschuldverschreibungen eine Barzahlungsoption für die Emittentin vorsehen61 oder ob der Bieter das Wandlungsrecht kurzfristig nach dem Erwerb der Wandelschuldverschreibungen ausübt oder nicht62. Vielmehr versteht der BGH § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG als eine weit auszulegende Umgehungsschutzvorschrift63. Für die Praxis ist damit geklärt, dass auch der derivative Erwerb von Wandelschuldverschreibungen unter das Mindestpreisregime des § 31 WpÜG fällt. Die vom BGH bevorzugte weite Auslegung der Vorschrift liegt sicherlich an der Grenze dessen, was ihr Wortlaut hergibt64. Sie steht damit in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem ansonsten eher formalen Charakter übernahme- und kapitalmarktrechtlicher Vorschriften, die der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit einen hohen Stellenwert einräumen65. Wann und auf welche Weise Abschläge für die Verzinsung der Wandelanleihe zu machen sind, ist ungeklärt. In der Celesio-Entscheidung ermittelte der BGH die angemessene Gegenleistung, indem er den Kaufpreises der Wandelschuldverschreibungen durch die Zahl der erworbenen Aktien dividierte66. Für den BGH war maßgebend, dass der Bieter mit dem Erwerb gezeigt habe, welchen Preis er im zeitlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot als angemessen angesehen habe67. Wenn – wie im entschiede59

BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 13 ff. So aber LG Frankfurt am Main v. 2.12.2014, 3/5 O 44/14 – Celesio – juris, Rz. 51; Süßmann in Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, 3. Aufl. 2017, § 31 Rz. 64. 61 So Technau, Konzern 2016, 313, 316; wohl auch Stephan, Konzern 2018, 45, 51; hierzu noch unten sub D.2. 62 So OLG Frankfurt v. 19.1.2016 – 5 U 2/15 – Celesio – juris, Rz. 42 f.; kritisch hierzu Stephan, Konzern 2018, 45, 52. 63 BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 30; Reinhardt/Kocher in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, 2017, § 1 Rz. 125; Santelmann/Nestler in Steinmeyer, 4. Aufl. 2019, § 31 Rn. 104; Stephan, Konzern 2018, 45, 51 f.; Wackerbarth, EWiR 2018, 37, 38; Aisenbrey, AG 2018, 102, 104 f.; Ulmer, WuB 2018, 235; Hasselbach/Rauch, BB 2019, 194, 199 f.; im Ergebnis auch Brellochs, ZGR 2018, 811 ff.; kritisch Hippeli, jurisPR-HaGesR 3/2016 Anm. 1; Oppenhoff/Illert, DB 2017, Beilage 03 zu Heft 51–52, S. 24, 25. 64 Brellochs, ZGR 2018, 811, 821; a.A. Oppenhoff/Illert, DB 2017, Beilage 03 zu Heft 51–52, S. 24, 25. 65 Brellochs, ZGR 2018, 811, 825, 828; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 151a. 66 BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 35. 67 BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 36. 60

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nen Fall – der Erwerb der Wandelschuldverschreibungen und die Ausübung des Wandlungsrechts zeitnah aufeinander folgen, mag man dem zustimmen; verallgemeinerungsfähig ist diese Erwägung aber nicht. Denn der Preis einer Wandelschuldverschreibung setzt sich zusammen aus dem Wert der Aktie und der Verzinsung; dieser Wert ist regelmäßig höher als der Wert der Aktie. Demzufolge können – wie auch der BGH eingeräumt hat68 – im Einzelfall Abschläge für die Verzinsung geboten sein69. 2. Wandelschuldverschreibungen mit Barzahlungsoption der Emittentin, Pflichtwandel- und Pflichtumtauschanleihen Von der Vorschrift des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG grundsätzlich nicht erfasst sind dagegen Wandelschuldverschreibungen mit Barzahlungsoption der Emittentin70, Pflichtwandel- und Pflichtumtauschanleihen71. Bei derartigen Wertpapieren entscheidet die Emittentin, ob sie Aktien liefert oder eine Geldleistung erbringt; der Bieter hat kein Recht, die Übereignung von Aktien zu verlangen. Der BGH sieht den Anwendungsbereich der Vorschrift offensichtlich extensiver: Solange offen sei, ob der Bieter mit der Wandlung rechnen kann, bestehe kein Grund, den für Wandelschuldverschreibungen mit Barzahlungsoption gezahlten Preis nicht zu berücksichtigen. Wie beim Erwerb einer Option zeige der Bieter mit dem Erwerb, welchen Preis er für die Übereignungsmöglichkeit für angemessen halte72. In dieser Allgemeinheit ist diese Position mit dem Wortlaut des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG jedoch nicht zu vereinbaren73. Ist die Aktienalternative beim Erwerb des Wertpapiers allerdings deutlich „im Geld“ oder kann der Bieter aufgrund anderer Umstände mit der Lieferung der Aktien rechnen, käme es in Betracht, die vorgenannten Instrumente für Zwecke des § 31 Abs. 6 WpÜG zu berücksichtigen. Das OLG Frankfurt hat die Anwendung der Vorschrift nur für den Fall bejaht, dass der Bieter die Anleihen innerhalb der Frist des § 31 Abs. 3 WpÜG sowohl erworben als auch tatsächlich gewandelt hat74.

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BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 36. Kritisch daher Brellochs, ZGR 2018, 811, 829 ff.; Derlin, BB 2018, 212; Hasselbach/ Rauch, DB 2019, 194, 200; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 151b; Kahnert/Waldhauer, DB 2018, 306, 307; Stephan, Konzern 2018, 45, 51 f.; Ulmer, WuB 2018, 235, 239. 70 Technau, Konzern 2016, 313, 316; a.A. BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 27. 71 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 157a. 72 BGH v. 7.11.2017 – II ZR 37/16 – Celesio – juris, Rz. 27. 73 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 157a; Stephan, Konzern 2018, 45, 51. 74 OLG Frankfurt v. 19.1.2016 – 5 U 2/15 – Celesio – juris, Rz. 34. 69

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3. Abfindungsansprüche gemäß § 305 Abs. 1 AktG Aus denselben Gründen sind auch Ansprüche gemäß § 305 Abs. 1 AktG, die das herrschende Unternehmen verpflichten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben, keine Vereinbarungen im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG75. Ganz abgesehen davon, dass die Übertragung der Aktien gegen eine gesetzliche Abfindung erfolgt (und somit dem Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG unterfällt), gewährt § 305 Abs. 1 AktG nicht dem herrschenden Unternehmen (Bieter), sondern dem Aktionär das Recht, seine Aktien an den Bieter zu veräußern76. Wie auch bei Put-Optionen, Pflichtwandel- und Pflichtumtauschanleihen kann unter Umständen etwas Anderes gelten, wenn der Anspruch deutlich „im Geld“ ist bzw. der Bieter aus anderen Gründen damit rechnen kann, dass die Aktien an ihn übereignet werden. Bei Ansprüchen aus § 305 Abs. 1 AktG ist dies jedoch nicht der Fall, angesichts langwieriger Spruchverfahren jedenfalls nicht innerhalb überschaubarer Zeiträume. 4. Zeitlich gestreckter Erwerb Dass dem Erwerb von Aktien Vereinbarungen gleichstehen, auf deren Grundlage die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, ist ausdrücklich auch für den Vorerwerb angeordnet (§ 4 Satz 2 WpÜG-AngVO i.V.m. § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG). Hierdurch soll die Umgehung der Regelung über die Maßgeblichkeit des Vorerwerbspreises verhindert werden77. Allerdings sind nur während des Vorerwerbszeitraums geschlossene Vereinbarungen zu berücksichtigen78. Unter diese Regelung fällt u.a. die Vereinbarung von Call-Optionen auf Aktien der Zielgesellschaft; wann die Option ausgeübt wird und ob der Übertragungsanspruch überhaupt fällig ist, spielt keine Rolle79. Vereinzelt wird argumentiert, dass der Begriff der „Vereinbarung, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann“, auch gestreckte Erwerbsvorgänge erfasse, bei denen zwischen dem schuldrechtlichen und dem dinglichen Geschäft erhebliche Zeit vergeht. Demnach sei eine „Vereinbarung“ nicht nur ein zu einem bestimmten Zeitpunkt abge75

Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 157b. LG Frankfurt am Main v. 21.3.2019 – 3-5 O 138/18 – Stada – juris, Rz. 31 ff.; kritisch Süßmann, NZG 2019, 771. 77 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 80. 78 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 4 WpÜGAngVO Rz. 24. 79 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 155. 76

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schlossener Vertrag, sondern auch ein Rechtsgeschäft, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (wie etwa eine Pflichtumtauschanleihe, die nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums zur Lieferung von Aktien der Zielgesellschaft berechtigt und verpflichtet). Folglich sei eine derart vereinbarte Gegenleistung maßgeblicher Vorerwerb nicht nur für die im Sechsmonatszeitraum des § 4 Satz 1 WpÜG-AngVO, sondern auch für die während der gesamten Laufzeit des Rechtsgeschäfts abgegebenen Übernahme- und Pflichtangebote80. Diese Auslegung des § 31 Abs. 6 WpÜG steht allerdings im Widerspruch zu seinem Wortlaut und geht über die von § 4 Satz 2 WpÜG-AngVO gewollte Gleichstellung des Verpflichtungs- und des Verfügungsgeschäfts hinaus81. Sie würde den für Vorerwerbe maßgeblichen Referenzzeitraum massiv ausweiten, obwohl der Gesetzgeber bei Umsetzung der Übernahmerichtlinie klar zu erkennen gegeben hat, dass ein länger als sechs Monate zurückliegender Erwerb keinen hinreichenden Bezug zur gegenwärtigen Bewertung hat82. Zutreffend ist daher die – auch vom BGH vertretene83 – Ansicht, dass die Veräußerung von Aktien, die vor dem Beginn des sechsmonatigen Vorerwerbszeitraums schuldrechtlich vereinbart und nach dem Ende des einjährigen Nacherwerbszeitraums dinglich vollzogen wird, von § 4 WpÜG-AngVO nicht erfasst wird84.

V. Delisting-Angebote Nach dem Vollzug eines Übernahme- oder Pflichtangebots arbeiten Bieter regelmäßig darauf hin, dass sich die Zielgesellschaft von der Börse zurückzieht – genauer gesagt: dass die Zielgesellschaft bei den Zulassungsstellen der relevanten Wertpapierbörsen beantragt, die Zulassung ihrer Aktien zum Handel im regulierten Markt zu widerrufen (Delisting). Darüber hinaus streben viele Bieter den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§§ 291 ff. AktG) mit der Zielgesellschaft und den Squeeze-out der Minderheitsaktionäre (§§ 327a ff. AktG, ggf. auch in Verbindung mit § 62 Abs. 5 UmwG) an.

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Wackerbarth, ZIP 2012, 253, 256 f. BGH v. 29.7.2014 – II ZR 352/12, AG 2014, 662, 665; OLG Köln v. 31.10.2012 – I 13 U 166/11, AG 2013, 391, 3395; LG Köln v. 29.7.2011 – 82 O 28/11, ZIP 2012, 229, 233. 82 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 26. 83 BGH v. 29.7.2014 – II ZR 352/12, AG 2014, 662, 665. 84 Löhdefink/Jaspers, ZIP 2014, 2261, 2269; von Falkenhausen, NZG 2014, 1368, 1370; Schmidt, WuB 2014, 609, 612; Block, jurisPR-HaGesR 1/2015 Anm. 1, C.II.; Paschos, DB 2014, 2276, 2277; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 4 WpÜG-AngVO Rz. 24a. 81

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1. Entsprechende Anwendung des § 31 WpÜG Der Rückzug von der Börse darf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen (§ 39 Abs. 2 Satz 1 BörsG). Bei Wertpapieren von Zielgesellschaften im Sinne des WpÜG ist der Widerruf der Zulassung nur zulässig, wenn ein Angebot zum Erwerb aller vom Widerruf der Zulassung betroffenen Wertpapiere veröffentlicht wird, das den Vorschriften des WpÜG entspricht und auf den Widerrufsantrag der Zielgesellschaft hinweist (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BörsG), es sei denn, dass noch eine weitere Zulassung zum Handel an einem regulierten Markt im Inland oder an einem organisierten Markt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besteht und diese Zulassung fortbestehen soll (§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BörsG). Auf derartige Delisting-Angebote finden die Vorschriften des § 31 WpÜG entsprechende Anwendung (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). DelistingAngebote sind regelmäßig einfache Erwerbsangebote85. Über Art und Höhe der Gegenleistung von einfachen Erwerbsangeboten enthält das WpÜG keine Vorschriften. Wegen der Verweisung in § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG gelten die Maßstäbe des § 31 WpÜG jedoch auch dann entsprechend, wenn das Delisting-Angebot ein einfaches Erwerbsangebot ist86. Darüber hinaus trifft die Vorschrift des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG zwei weitere Anordnungen: Die Gegenleistung muss in einer Geldleistung in Euro bestehen. Außerdem muss sie – sofern nicht einer der Ausnahmetatbestände des § 39 Abs. 3 Satz 3 oder Satz 4 BörsG vorliegt – mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Wertpapiere während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung des Bieters über die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) oder über den Kontrollerwerb (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) entsprechen. Diese spezielleren Regelungen gehen den allgemeinen Regelungen des § 31 WpÜG vor87. Weil § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG auf den gesamten § 31 WpÜG und damit auch auf seinen Abs. 7 verweist, gelten für Delisting-Angebote auch die §§ 3 bis 7 der WpÜG-AngVO entsprechend88. Das wird auch von der BaFin so gesehen89. 85 86

Klepsch/Hippeli, RdF 2016, 194, 195. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 25a,

36f. 87

Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36f. BT-Drs. 18/6220, S. 84; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 25a; Bayer, NZG 2015, 1169, 1174; Goetz, BB 2015, 2691, 2692; Groß, AG 2015, 812, 817; Kocher/Seiz, DB 2016, 153, 155. 89 Klepsch, BaFin-Journal, Januar 2016, 23, 24; Klepsch/Hippeli, RdF 2016, 194, 195. 88

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2. Alternative Gegenleistungen (Wahlgegenleistungen) Wie gerade erwähnt muss die Gegenleistung eines Delisting-Angebots in einer Geldleistung in Euro bestehen (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). Wie bei Übernahme- und Pflichtangeboten spricht allerdings nichts dagegen, dass der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft neben dieser Pflichtgegenleistung auch eine alternative Gegenleistung anderer Art anbietet, die die Anforderungen des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG nicht erfüllt (Wahlgegenleistung). In Betracht kommen eine Geldleistung in anderer Währung als Euro, Wertpapiere, die keine Aktien sind (z.B. Aktienoptionen90) oder denen die für eine Pflichtgegenleistung erforderliche Liquidität oder Börsenzulassung fehlt. Für Übernahme- und Pflichtangebote erkennt die BaFin an, dass es für einen Aktionär wirtschaftlich durchaus vernünftig sein kann, bei unterschiedlichen Gegenleistungen die weniger liquide Gegenleistung zu wählen91. Auch bei Delisting-Angeboten stellt sich die Frage, ob die wahlweise angebotene alternative Gegenleistung die gesetzlichen Anforderungen an die Höhe der Gegenleistung erfüllen muss. Wenn man der Verwaltungspraxis der BaFin zu Wahlgegenleistungen bei Übernahme- und Pflichtangeboten92 folgt, muss man das für Delisting-Angebote wohl genauso sehen. Wie oben ausgeführt93, ist die Position der BaFin jedoch zurückzuweisen. Dann kann für Delisting-Angebote nichts Anderes gelten94. 3. Börsenkurs Bei einem Delisting-Angebot muss die Gegenleistung dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Zielgesellschaft während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung des Bieters über seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (§ 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) bzw. über das Erlangen der Kontrolle (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) entsprechen (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). Dies setzt voraus, dass der Börsenkurs hinreichend liquide ist und sich der Börsenkurs der Zielgesellschaft frei von Manipulationen und Verstößen gegen insiderrechtliche Vorschriften gebildet hat:

90 Vgl. Übernahmeangebot 2016091 Ontario/IXOS Software: Angebotsunterlage v. 1.12.2003, S. 10, 18 ff.; Gemeinsame Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats v. 2.12.2003. S. 5 ff. 91 Boucsein/Schmiady, AG 2016, 597, 600. 92 Boucsein/Schmiady, AG 2016, 597, 600; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 21 WpÜG Rz. 7; Hasselbach in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 26. 93 Siehe oben sub C.4. 94 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 65b.

Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten

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Wenn der Börsenhandel in den Aktien der Zielgesellschaft nicht hinreichend liquide ist, kann auch bei einem Delisting-Angebot eine Unternehmensbewertung erforderlich werden. Gemäß § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG ist dies dann der Fall, wenn während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung des Bieters nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind und wenn mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5% voneinander abweichen. Die Referenzperiode für DelistingAngebote beträgt also sowohl für den durchschnittlichen Börsenkurs als auch für die Feststellung der hinreichenden Liquidität des Börsenhandels sechs Monate95. Auch dann, wenn sich der Börsenkurs der Zielgesellschaft nicht frei von Manipulationen und Verstößen gegen insiderrechtliche Vorschriften gebildet hat, ist eine Unternehmensbewertung erforderlich. Ein derartiger Verstoß begründet regelmäßig Zweifel an der Aussagekraft des durchschnittlichen Börsenkurses im Hinblick auf eine sachgerechte Unternehmensbewertung, sodass in diesen Fällen in der Regel von einer am Börsenkurs orientierten Bewertung des Emittenten abgesehen werden sollte96. Gemäß § 39 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 Nr. 1 1. Alt. BörsG ist eine Unternehmensbewertung erforderlich, wenn der Emittent entgegen Art. 17 Abs. 1 MAR eine wahre Insiderinformation nicht zeitgerecht veröffentlicht hat. „Entgegen“ Art. 17 Abs. 1 MAR nicht veröffentlicht ist eine Insiderinformation dann, wenn der Emittent gegen die Vorschriften über die Veröffentlichung von Insiderinformationen verstoßen hat. Wenn der Emittent rechtmäßig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Veröffentlichung der Insiderinformation gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR aufzuschieben, ist kein Verstoß gegeben97. Eine Unternehmensbewertung ist ebenfalls erforderlich, wenn der Emittent eine unwahre Insiderinformation veröffentlicht (§ 39 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 Nr. 1 2. Alt. BörsG) oder wenn der Emittent oder der Bieter gegen das Verbot der Marktmanipulation gemäß Art. 15 MAR verstoßen (§ 39 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 Nr. 2 BörsG). In allen genannten Fällen bleibt es jedoch beim gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs, wenn die Verstöße nur unwesentliche Auswirkungen auf den errechneten Durchschnittskurs haben (§ 39 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 BörsG). Die Beweislast hierfür liegt beim Bieter98. Stellt sich erst nach der Abwicklung des Delisting-Angebots heraus, dass der zugrunde gelegte gewichtete durchschnittliche Börsenkurs von Manipulationen oder Verstößen gegen insiderrechtliche Vorschriften beeinflusst 95 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 5 WpÜGAngVO Rz. 38b. 96 BT-Drucks. 18/6220, S. 85. 97 BT-Drucks. 18/6220, S. 85. 98 BT-Drucks. 18/6220, S. 85.

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war, ist die Unternehmensbewertung nachträglich durchzuführen. Aktionäre, die das Delisting-Angebot angenommen haben, haben dann nach den Grundsätzen der Postbank-Entscheidung des BGH99 – auf die sich die Gesetzesbegründung ausdrücklich bezieht100 – einen Nachzahlungsanspruch gegen den Bieter101. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass ein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 oder Art. 15 MAR durch ein Gericht oder die zuständige Behörde rechts- oder bestandskräftig festgestellt wurde102; der Wortlaut der Vorschrift gibt dies nicht her, und nach dem Schutzzweck der Vorschrift ist dies auch nicht geboten. Es sollte genügen, dass der Verstoß vom Anspruchsteller nachgewiesen werden kann103. Aktionäre, die das DelistingAngebot nicht angenommen haben, haben demgegenüber keine Ansprüche gegen den Bieter, wenn man von Ansprüchen gemäß § 826 BGB einmal absieht104. 4. Spezialfall: Doppelnatur des Angebots In dem besonderen Fall, dass ein Übernahme- oder Pflichtangebot, das keine Bedingungen i.S.d. § 18 WpÜG enthält, gleichzeitig die Grundlage für einen Delisting-Antrag der Zielgesellschaft legen soll, muss das Angebot die Anforderungen sowohl des § 31 WpÜG als auch des § 39 BörsG erfüllen. Dies führt zur kumulativen Anwendung der Dreimonatsfrist des § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO und der Sechsmonatsfrist des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG. Vereinzelt wird vertreten, dass der Bieter in einer derartigen Situation faktisch die Wahl habe, ob er den dreimonatigen oder den sechsmonatigen Durchschnittskurs als Gegenleistung anbietet: Er könne die Übernahme im Gewande des Delisting-Angebots verwirklichen, und sodann könne die Zielgesellschaft davon absehen, den Delisting-Antrag zu stellen105. Richtig ist daran, dass das Delisting gemäß § 39 Abs. 2 BörsG nur dann funktioniert, wenn Bieter und Zielgesellschaft ihre jeweiligen Rollen spielen: Das Delisting-Angebot veröffentlicht typischerweise der Bieter, den Delisting-Antrag kann nur die Zielgesellschaft stellen. Dass der Bieter in der genannten Situation zwischen einem drei- und einem sechsmonatigen Durchschnittskurs wählen können soll, erscheint hingegen unzutref99

BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12 – Postbank I – juris, Ls. 1 und Rz. 19, 22 ff. BT-Drucks. 18/6220, S. 86. 101 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 166b ff. und § 5 WpÜG-AngVO Rz. 38c; so bereits Brellochs, AG 2014, 633, 645; Buckel/Glindemann/Vogel, AG 2015, 373, 380. 102 So aber BT-Drucks. 18/6220, S. 85. 103 Drygala, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, 2016, 75, 83; Harnos, ZHR 179 (2015), 750, 767; Wackerbarth, WM 2016, 385, 387. 104 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 5 WpÜGAngVO Rz. 166g ff. 105 Wackerbarth, WM 2016, 385, 386. 100

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fend: Wenn die Gegenleistung hinter dem dreimonatigen Durchschnittskurs zurückbleibt, wird die BaFin die Veröffentlichung des Übernahme- bzw. Pflichtangebots nicht gestatten; und wenn die Gegenleistung hinter dem sechsmonatigen Durchschnittskurs zurückbleibt, wird die Zulassungsstelle der betroffenen Wertpapierbörse die Zulassung zum Börsenhandel nicht widerrufen106. 5. Aktienerwerb durch den Bieter Die entsprechende Anwendung des § 31 WpÜG und der §§ 3 bis 7 der WpÜG-AngVO auf Delisting-Angebote geht mit verschiedenen Unstimmigkeiten einher, die in der Praxis insbesondere dem Bieter Probleme bereiten. Wenig überraschend sind diese Unstimmigkeiten aus Kreisen der Praxis bereits kritisiert worden107. a) Kein privilegierter Nacherwerb nach erfolgtem Delisting Ein Problem besteht darin, dass nach einem vollständigen Rückzug von der Börse kein börslicher Nacherwerb im Sinne des § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG mehr möglich ist. Das gesetzliche Regime für den Nacherwerb nach einem Delisting-Angebot ist daher ohne ersichtlichen Grund strenger als das Regime für den Nacherwerb nach Übernahme- und Pflichtangeboten. Dass jeder Nacherwerb gegen höhere Gegenleistung einen Nachzahlungsanspruch gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 WpÜG nach sich zieht, sei – so die Kritik – eine Unstimmigkeit, die der Gesetzgeber offensichtlich übersehen habe108. Bei näherem Hinsehen erscheint dies nicht ganz richtig. Der Gesetzgeber des WpÜG hat den börslichen Nacherwerb in § 31 Abs. 5 Satz 1 WpÜG privilegiert, weil der Bieter nicht darunter leiden sollte, wenn er steigenden Märkten lediglich hinterherlaufe; diese Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wurde von Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen109. Nach einem vollständigen Delisting werden die Aktien der Zielgesellschaft nicht mehr im regulierten Markt gehandelt; nach den Maßstäben des WpÜG gibt es dann keinen Markt mehr, dem der Bieter hinterherlaufen könnte. Wenn der Gesetzgeber des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG von diesem Standpunkt ausgegangen ist und daher keine weitergehende Ausnahme von der Gleichbehandlungspflicht vorgesehen hat, erscheint dies folgerichtig110.

106 107 108 109 110

Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36h. Eingehend Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 646. Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 644. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 133. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 150b.

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b) Delisting-Angebot kein privilegierter Nacherwerb nach Übernahme- oder Pflichtangebot Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Vorschrift des § 31 Abs. 5 WpÜG, soweit sie direkt – d.h. auf Übernahme- und Pflichtangebote – Anwendung findet, keine Ausnahme für den Nacherwerb von Aktien im Rahmen eines nachfolgenden Delisting-Angebots enthält. Wenn ein Bieter innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines Übernahme- oder Pflichtangebots ein Delisting-Angebot veröffentlicht, kann es sein, dass er Aktien der Zielgesellschaft für bis zu 24 Monate nicht zu einem höheren Preis als dem des ursprünglichen Übernahme- oder Pflichtangebots erwerben kann. Denn ein Nacherwerb des Bieters zu einem höheren Preis als im Übernahmeangebot stellt einen Vorerwerb für das nachfolgende Delisting-Angebot dar; er bestimmt daher den Preis des Delisting-Angebots. Sollte der Bieter im Delisting-Angebot eine höhere Gegenleistung anbieten wollen als im vorangegangenen Übernahmeangebot, wäre die Zahlung einer höheren Gegenleistung im Delisting-Angebot ein gemäß § 31 Abs. 5 WpÜG ausgleichspflichtiger Nacherwerb im Rahmen des vorangegangenen Übernahmeangebots111. Selbst wenn der Bieter innerhalb eines Jahres nach dem Übernahmeangebot keine Aktien erwirbt, aber in den 12 Monaten nach dem Delisting-Angebot Aktien zu einem Preis erwirbt, der die im Rahmen des Delisting-Angebots gezahlte Gegenleistung übersteigt, erhöht sich mit der Erhöhung des Delisting-Preises gemäß § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG i.V.m. § 31 Abs. 5 WpÜG auch der Übernahmepreis gemäß § 31 Abs. 5 WpÜG112. Auch wenn man das Zusammenspiel der Vorschriften von Übernahmeund Delisting-Angeboten in einzelnen Facetten durchaus anders einschätzen kann, ist es im Kern völlig zutreffend, dass der Bieter, der ein Delisting anstrebt, praktisch keinen Spielraum hat, Aktien der Zielgesellschaft zu einem höheren Preis als dem Preis des ursprünglichen Übernahme- bzw. Pflichtangebots zu erwerben, wenn er keine Nachzahlungsansprüche auslösen will. Aber auch hier gilt, dass der Gesetzgeber des WpÜG eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz nur für gerechtfertigt hielt, wenn der Bieter steigenden Börsenkursen hinterherläuft oder gesetzliche Abfindungspflichten erfüllt113. Die Veröffentlichung eines Delisting-Angebots fällt weder in die eine noch in die andere Kategorie. Daher erscheint es auch in diesen Fällen folgerichtig, dass der Gesetzgeber des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG keine weitergehenden Ausnahmen von der Gleichbehandlungspflicht vorgesehen hat114. 111 112 113 114

Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 645. Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 645. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 133. Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 150c.

Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten

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c) Zusammenspiel von Delisting-Angebot und Unternehmensverträgen Schließlich ist problematisch, wie die Gegenleistung des Delisting-Angebots zu bemessen ist, wenn Bieter und Zielgesellschaft nach vollzogenem Übernahme- oder Pflichtangebot einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abschließen und das Delisting-Angebot nach Abschluss dieses Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags veröffentlicht wird. Im Rahmen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags sind die Aktionäre der Zielgesellschaft bis zum Ablauf von mindestens zwei Monaten nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Spruchverfahrens jederzeit berechtigt, ihre Aktien gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung an den Bieter zu veräußern (§ 305 AktG). Macht auch nur ein Aktionär von diesem Recht Gebrauch, ist dies für Zwecke des Übernahme- bzw. Pflichtangebots ein gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG privilegierter außerbörslicher Nacherwerb, der keine Nachzahlungsansprüche auslöst. Für Zwecke des DelistingAngebots ist eine derartige Transaktion ein Vorerwerb, auf den § 4 WpÜGAngVO seinem Wortlaut nach anwendbar ist. Dass diese Vorschrift keine mit § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG vergleichbare Ausnahme vorsieht, ist ein offener Wertungswiderspruch115. Nicht zuletzt deswegen, weil die Höhe der Abfindung unter einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag regelmäßig in einem langwierigen Spruchverfahren geprüft und nicht selten erhöht wird, wurde angemerkt, dass der Mindestpreis eines DelistingAngebots vor Abschluss des Spruchverfahrens gar nicht feststehen könne116. Richtigerweise ist zu unterscheiden: Wenn man § 4 WpÜG-AngVO wortlautgemäß anwenden will, müsste die in der Angebotsunterlage genannte Gegenleistung mindestens der Abfindung gemäß § 305 AktG Abfindung entsprechen. Darüber hinaus müsste die Angebotsunterlage – wie bei einem Earn-Out117 – vorsehen, dass die Aktionäre, die das Delisting-Angebot annehmen, einen Nachzahlungsanspruch haben, wenn die Abfindung im Rahmen des Spruchverfahrens erhöht wird. Offen wäre allerdings, wie das Delisting-Angebot mit Ausgleichszahlungen (§ 304 AktG) und gesetzlichen Zinsen (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) umzugehen hätte, die die Aktionäre, die das Delisting-Angebot nicht annehmen, bis zum Abschluss des Spruchverfahrens und ihrer gegebenenfalls erst dann erklärten Annahme des Abfindungsangebots gemäß § 305 AktG noch entgegennehmen können. Weil diese Zahlungen nach Ansicht des BGH

115 116 117

Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 150d. Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 645. Siehe oben sub C.2.

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Fruchtziehung und nicht Teil des Abfindungskapitals sind118, dürften sie für Zwecke des § 31 WpÜG nicht berücksichtigt werden119. Damit stünden die Aktionäre, die das Delisting-Angebot annehmen, grundsätzlich nicht besser und nicht schlechter als Aktionäre, die zeitgleich das Abfindungsangebot gemäß § 305 AktG annehmen (wenn man davon absieht, dass bis zur Annahme des Abfindungsangebots bereits ein gewisser Zins aufgelaufen sein kann). All dies ist jedoch rechtlich unsicher. Wenn man – anders als oben angenommen – Ausgleichszahlungen und Zinsen für Zwecke des § 31 WpÜG berücksichtigen will, würde die Abwicklung von Delisting-Angeboten sehr kompliziert. Zudem besteht der oben aufgezeigte Wertungswiderspruch. Man darf davon ausgehen, dass der Gesetzgeber des § 39 BörsG diese Themen nicht gesehen hat120 und demnach eine ungeplante Regelungslücke vorliegt121. Mehr noch: Mit dem Verweis auf § 31 WpÜG dürfte der Gesetzgeber des § 39 BörsG angenommen haben, auf ein einfaches, leicht zu handhabendes kapitalmarktorientiertes Regulatorium zur Bestimmung der Gegenleistung zurückzugreifen. Wenn man diese Regelungslücke füllen und den gesetzgeberischen Willen umsetzen möchte, läge es nahe, den Anwendungsbereich des § 4 WpÜG-AngVO teleologisch zu reduzieren und den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft aufgrund einer gesetzlichen Abfindung entsprechend dem Rechtsgedanken des § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG von seinem Geltungsbereich auszunehmen122. Die Rechte der Aktionäre würden dadurch nicht verkürzt; sie können frei entscheiden, ob sie das Delisting-Angebot oder das Abfindungsangebot gemäß § 305 AktG annehmen wollen. Ein Bieter wird der Unsicherheit über die teleologische Reduktion des § 4 WpÜG-AngVO bis auf Weiteres aus dem Weg gehen müssen. Sollte ein Gericht die Vorschrift wortlautgemäß anwenden, drohen ihm finanziell untragbare Konsequenzen. Hiernach wird ein Bieter nach gelungener Übernahme zunächst das Delisting-Angebot veröffentlichen und erst nach Ablauf der Annahmefrist dieses Angebots einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abschließen.

118 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 284/01, BGHZ 152, 29, 32 ff.; BGH v. 2.6.2002 – II ZR 85/02, BGHZ 155, 110, 116 ff.; BGH v. 10.12.2007 – II ZR 199/06, BGHZ 174, 378 Rz. 8; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 305 Rz. 53 m.w.N. 119 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 150e. 120 Zutreffend Leyendecker/Herfs, BB 2018, 643, 645. 121 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 150f. 122 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 150f; a.A. Hoffmann in Spindler/Stilz, § 119 AktG Rz. 45a (der allerdings zu verkennen scheint, dass das Abfindungsangebot gemäß § 305 AktG bis zum Ablauf von mindestens zwei Monaten nach dem rechtskräftigen Abschluss des Spruchverfahrens jederzeit angenommen werden kann).

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VI. Thesen 1. Angaben in der Angebotsunterlage, die die Art und die Höhe der Gegenleistung bezeichnen, sind für den Bieter verbindlich. Dies gilt nach zutreffender Auffassung auch für eine in der Angebotsunterlage enthaltene verbindliche und unwiderrufliche Erklärung des Bieters, dass er die angebotene Gegenleistung nicht erhöhen werde (sog. Verbesserungssperre oder No-Increase-Statement). An Erklärungen in der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots, in der Veröffentlichung der Kontrollerlangung, in begleitenden Pflichtveröffentlichungen oder freiwilligen Presse- und sonstigen Veröffentlichungen ist der Bieter hingegen nicht gebunden. Allerdings können die Herbeiführung von Marktverzerrungen und die schuldhafte Schädigung Dritter als Ordnungswidrigkeit oder Straftat sanktioniert werden und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. 2. Die Auszahlung einer Dividende vor Vollzug des Übernahmeangebots führt nicht automatisch zu einer Herabsetzung der Gegenleistung. Ein Bieter, der vermeiden will, dass er für die Aktien der Zielgesellschaft ex Dividende eine höhere als die von ihm für angemessen gehaltene Gegenleistung bezahlt, muss sich daher kautelarisch schützen. Wegen § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG kann die Angebotsunterlage nicht anordnen, dass sich die Gegenleistung vermindert, wenn die Zielgesellschaft eine Ausschüttung vornimmt. Sie kann aber vorsehen, dass sich die Gegenleistung aus zwei Komponenten zusammensetzt: einem Basispreis, der den gesetzlichen Vorgaben entspricht, und einem Erhöhungsbetrag, dessen Fälligwerden davon abhängt, ob das Angebot vor oder nach dem Dividendentermin vollzogen wird. 3. Vereinbart der Bieter beim Erwerb einer Kontrollbeteiligung einen Earn-Out, muss er sich nach der Verwaltungspraxis der BaFin und der herrschenden Meinung in der Literatur in der Angebotsunterlage verpflichten, den Aktionären, die das Angebot annehmen, einen korrespondierenden Nachzahlungsanspruch einzuräumen. Der Nachzahlungsanspruch ist Teil der unter dem Angebot geschuldeten Gegenleistung; daher hat der Bieter auch die Finanzierung des Nachzahlungsanspruchs sicherzustellen und eine Finanzierungsbestätigung beizubringen. Wenn Earn-Out-Zahlungen fällig werden, hat der Bieter dies der BaFin mitzuteilen. 4. Vereinbaren der Bieter und verkaufswillige Vorstandsmitglieder, dass der Bieter die Vorstandsmitglieder von einer etwaigen persönlichen Inanspruchnahme durch die Zielgesellschaft wegen Pflichtverletzung freistellen muss (Reverse Indemnity), liegt hierin jedenfalls dann kein geldwerter Vorteil, wenn es bei Vereinbarung der Freistellungsverpflichtung keinerlei An-

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haltspunkte für Pflichtverletzungen des Vorstands gibt. Jedenfalls wäre davon auszugehen, dass ein sachlich nachvollziehbarer Grund für die Freistellungsverpflichtung besteht und sie daher keinen im Sinne des § 33d WpÜG ungerechtfertigten Vorteil darstellt, wenn sie von voneinander unabhängigen Parteien ausgehandelt worden ist. Der Freistellungsanspruch ist auch nicht mindestpreisrelevant; er wird nicht als Gegenleistung für den Erwerb der Aktien gewährt. 5. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin muss auch eine vom Bieter wahlweise angebotene alternative Gegenleistung die gesetzlichen Mindestpreisvorschriften einhalten. Diese Position ist zurückzuweisen. Nach zutreffender Ansicht finden die gesetzlichen Vorschriften auf eine wahlweise angebotene alternative Gegenleistung keine Anwendung123. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG und ist auch zum Schutz der Aktionäre nicht erforderlich. Für die Aktionäre ist es von Vorteil, wenn ihnen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus eine Wahlmöglichkeit eingeräumt wird. Es steht ihnen frei, die eine (den gesetzlichen Anforderungen entsprechende) oder die andere (nach Art und Höhe frei ausgestaltete) Gegenleistung zu wählen. 6. Wenn sich der gemäß § 5 WpÜG-AngVO für die Bemessung der Gegenleistung maßgebliche gewichtete durchschnittliche Börsenkurs der Zielgesellschaft nicht frei von Manipulationen oder Verstößen gegen insiderrechtliche Vorschriften gebildet hat, ist es interessengerecht, § 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG analog anzuwenden. Nach dieser Vorschrift ist eine Unternehmensbewertung erforderlich, wenn der Emittent eine wahre Insiderinformation nicht zeitgerecht veröffentlicht hat, wenn er eine unwahre Insiderinformation veröffentlicht hat oder wenn der Emittent oder der Bieter gegen das Verbot der Marktmanipulation verstoßen hat. In allen genannten Fällen bleibt es jedoch beim gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs, wenn die Verstöße nur unwesentliche Auswirkungen auf den errechneten Durchschnittskurs haben. 7. Wenn die Aktien der Zielgesellschaft ausschließlich zum Handel an einem organisierten Markt in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind, muss gemäß § 6 Abs. 1 WpÜG-AngVO die 123 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 31 Rz. 36e; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm. WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rz. 37; Haarmann in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 31 Rz. 95; Marsch-Barner in Baums/Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 31 Rz. 61; Diekmann in Baums/Thoma/Verse, WpÜG (Stand 2016), § 21 Rz. 21; Wackerbarth in MünchKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2017, § 21 Rz. 29, § 31 Rz. 65; Schröder in FrankfKomm. WpÜG, 4. Aufl. 2018, § 21 Rz. 15; Berrar/Schnorbus in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, 2017, § 10 Rz. 158, 160; a.A. Boucsein/ Schmiady, AG 2016, 597, 600 f.; Sohbi in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 31 WpÜG Rz. 23.

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Gegenleistung mindestens dem einfachen – nicht dem gewichteten – durchschnittlichen Börsenkurs des organisierten Marktes mit den höchsten Umsätzen in den Aktien der Zielgesellschaft während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung über die Entscheidung zur Abgabe des Angebots oder des Kontrollerwerbs entsprechen. Wenn man davon ausgeht, dass die Vorschrift des § 6 WpÜG-AngVO nach der Umsetzung der Übernahmerichtlinie noch einen Anwendungsbereich hat, und wenn die maßgebliche ausländische staatliche oder aus anderen Gründen als zuverlässig einzuschätzende Stelle einen entsprechenden gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs zur Verfügung stellt, ist analog § 5 Abs. 3 Satz 1 WpÜG-AngVO der entsprechende gewichtete durchschnittliche Börsenkurs maßgeblich. 8. Der BGH hat einen zwischen einem Bieter und einem Dritten geschlossenen Kaufvertrag über von dem Dritten gehaltene Wandelschuldverschreibungen als eine Vereinbarung gewürdigt, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann (§ 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG). Für die Praxis ist damit geklärt, dass auch der derivative Erwerb von Wandelschuldverschreibungen unter das gesetzliche Mindestpreisregime fällt. Die vom BGH bevorzugte weite Auslegung der Vorschrift liegt sicherlich an der Grenze dessen, was ihr Wortlaut hergibt. Sie steht damit in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem ansonsten eher formalen Charakter übernahme- und kapitalmarktrechtlicher Vorschriften, die der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit einen hohen Stellenwert einräumen. Demgegenüber ist ungeklärt, wann und auf welche Weise Abschläge für die Verzinsung der Wandelanleihe zu machen sind. Im Einzelfall sollten Abschläge für die Verzinsung geboten sein. 9. Von der Vorschrift des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG grundsätzlich nicht erfasst sind dagegen Wandelschuldverschreibungen mit Barzahlungsoption der Emittentin, Pflichtwandel- und Pflichtumtauschanleihen. Bei derartigen Wertpapieren entscheidet die Emittentin, ob sie Aktien liefert oder eine Geldleistung erbringt; der Bieter hat kein Recht, die Übereignung von Aktien zu verlangen. Der BGH sieht dies anders: Solange offen sei, ob der Bieter mit der Wandlung rechnen kann, bestehe kein Grund, den für Wandelschuldverschreibungen mit Barzahlungsoption gezahlten Preis nicht zu berücksichtigen. Wie beim Erwerb einer Option zeige der Bieter mit dem Erwerb, welchen Preis er für die Übereignungsmöglichkeit für angemessen halte. In dieser Allgemeinheit ist diese Position mit dem Wortlaut des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG jedoch nicht zu vereinbaren. Ist die Aktienalternative beim Erwerb des Wertpapiers allerdings deutlich „im Geld“ oder kann der Bieter aufgrund anderer Umstände mit der Lieferung der Aktien rechnen, käme es in Betracht, die vorgenannten Instrumente für Zwecke des § 31 Abs. 6 WpÜG zu berücksichtigen.

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10. Ansprüche gemäß § 305 Abs. 1 AktG, die das herrschende Unternehmen verpflichten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben, sind keine Vereinbarungen im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG. Ganz abgesehen davon, dass die Übertragung der Aktien gegen eine gesetzliche Abfindung erfolgt (und somit dem Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG unterfällt), gewährt § 305 Abs. 1 AktG nicht dem herrschenden Unternehmen (Bieter), sondern dem Aktionär das Recht, seine Aktien an den Bieter zu veräußern. Die Situation, dass der Anspruch deutlich „im Geld“ ist bzw. der Bieter aus anderen Gründen damit rechnen kann, dass die Aktien an ihn übereignet werden, dürfte angesichts langwieriger Spruchverfahren jedenfalls nicht innerhalb überschaubarer Zeiträume eintreten. 11. Schließt der Bieter mit einem Aktionär eine Vereinbarung, die den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft über das Ende der Nacherwerbsfrist hinaus aufschiebt, ist diese Vereinbarung für die Bestimmung der Gegenleistung nur dann relevant, wenn sie während des Vorerwerbszeitraums abgeschlossen wird. Vereinzelt wird argumentiert, eine „Vereinbarung“ im Sinne des § 31 Abs. 6 WpÜG sei nicht nur ein zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossener Vertrag, sondern auch ein Rechtsgeschäft, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (wie etwa eine Pflichtumtauschanleihe, die nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums zur Lieferung von Aktien der Zielgesellschaft berechtigt und verpflichtet). Diese Auslegung steht im Widerspruch zum Wortlaut der Vorschrift und zum Willen des Gesetzgebers, der bei der Umsetzung der Übernahmerichtlinie klar zu erkennen gegeben hat, dass ein länger als sechs Monate zurückliegender Erwerb keinen hinreichenden Bezug zur gegenwärtigen Bewertung hat. 12. Die Gegenleistung eines Delisting-Angebots muss in einer Geldleistung in Euro bestehen (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG). Wie bei Übernahme- und Pflichtangeboten spricht allerdings nichts dagegen, dass der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft neben dieser Pflichtgegenleistung auch eine alternative Gegenleistung anderer Art anbietet, die die Anforderungen des § 39 Abs. 3 Satz 2 nicht erfüllt (Wahlgegenleistung). Auch bei DelistingAngeboten stellt sich die Frage, ob die wahlweise angebotene alternative Gegenleistung die gesetzlichen Anforderungen an die Höhe der Gegenleistung erfüllen muss. Wenn man die Verwaltungspraxis der BaFin zu Wahlgegenleistungen bei Übernahme- und Pflichtangeboten für fehlerhaft hält, kann man dies für Delisting-Angebote nicht anders sehen. 13. Stellt sich nach der Abwicklung des Delisting-Angebots heraus, dass der zugrunde gelegte gewichtete durchschnittliche Börsenkurs nicht unerheblich von Manipulationen oder Verstößen gegen insiderrechtliche Vor-

Gegenleistung bei Übernahme-, Pflicht- und Delisting-Angeboten

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schriften beeinflusst war (§ 39 Abs. 3 Satz 3 BörsG), ist eine nachträgliche Unternehmensbewertung durchzuführen. Aktionäre, die das DelistingAngebot angenommen haben, haben dann nach den Grundsätzen der Postbank-Entscheidung des BGH – auf die sich die Gesetzesbegründung ausdrücklich bezieht – einen Nachzahlungsanspruch gegen den Bieter. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass ein Verstoß durch ein Gericht oder die zuständige Behörde rechts- oder bestandskräftig festgestellt wurde. Aktionäre, die das Delisting-Angebot nicht angenommen haben, haben demgegenüber keine Ansprüche gegen den Bieter (wenn man von Ansprüchen gemäß § 826 BGB einmal absieht). 14. In dem besonderen Fall, dass ein Übernahme- oder Pflichtangebot, das keine Bedingungen enthält, gleichzeitig die Grundlage für einen Delisting-Antrag der Zielgesellschaft legen soll, muss das Angebot die Anforderungen sowohl des § 31 WpÜG als auch des § 39 BörsG erfüllen. Dies führt zur kumulativen Anwendung der Dreimonatsfrist des § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO und der Sechsmonatsfrist des § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG. 15. Nicht nur die Vorschrift des § 31 WpÜG, sondern auch die §§ 3 bis 7 der WpÜG-AngVO finden bei Delisting-Angeboten entsprechende Anwendung. Dies wirft verschiedene Praxisprobleme auf: Erstens ist nach einem vollständigen Rückzug von der Börse kein börslicher Nacherwerb im Sinne des § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG mehr möglich. Zweitens sieht die Vorschrift des § 31 Abs. 5 WpÜG, soweit sie direkt – d.h. auf Übernahme- und Pflichtangebote – Anwendung findet, keine Ausnahme für den Nacherwerb von Aktien im Rahmen eines nachfolgenden Delisting-Angebots vor. Und drittens ist unsicher, wie die Gegenleistung des Delisting-Angebots zu bemessen ist, wenn das Delisting-Angebot nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zwischen dem Bieter und der Zielgesellschaft veröffentlicht wird. Für Zwecke des Delisting-Angebots ist eine derartige Transaktion ein Vorerwerb; § 4 WpÜG-AngVO sieht aber keine mit § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG vergleichbare Ausnahme vor. Man darf davon ausgehen, dass hier eine ungeplante Regelungslücke vorliegt, die durch eine teleologische Reduktion des § 4 WpÜG-AngVO und entsprechende Anwendung des in § 31 Abs. 5 Satz 2 WpÜG enthaltenen Rechtsgedankens geschlossen werden kann. In der Praxis wird ein Bieter nach gelungener Übernahme zunächst das Delisting-Angebot veröffentlichen und erst nach Ablauf der Annahmefrist dieses Angebots einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abschließen.

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D&O-Versicherung und aktienrechtliche Zuständigkeit im Spannungsfeld von Interessenkonflikten CHRISTOPH KUMPAN1

I. Einleitung Der vorliegende Beitrag ist Ausdruck meiner besonderen Dankbarkeit und Wertschätzung für den Jubilar und steht stellvertretend für die vielfache Förderung, die ich durch ihn erfahren habe. Auch nach der Habilitation kümmert er sich noch immer mit großer Anteilnahme um seine Schülerinnen und Schüler und ist immer bereit, mit hilfreichem Rat zur Seite zu stehen. So auch bei dem Vortrag, der diesem Beitrag zugrunde liegt und den er, wie viele andere Projekte, fördernd und kritisch begleitet hat. Die Verbreitung der hier geäußerten Gedanken hat er in besonderer Weise unterstützt, indem er diesen Vortrag schon vor Erscheinen seiner Schriftfassung in seiner Kommentierung im Großkommentar zum Aktiengesetzt berücksichtigt hat.2 Den großen Festtag des Jubilars möchte ich daher zum Anlass nehmen, ihm diese nun erscheinende Schriftfassung in Dankbarkeit zu widmen. Der Beitrag untersucht die Frage der gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeit für Entscheidungen über den Abschluss einer D&O-Versicherung und beschäftigt sich dabei insbesondere mit dem Aufsichtsrat und Interessenkonflikten, die das Oeuvre des Jubilars besonders prägen. D&O-Versicherungen spielen für Gesellschaften und deren Organe eine immer größere Rolle, seit die Organhaftung auch in der Folge der ARAG/GarmenbeckRechtsprechung3 immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.4 So hat mittlerweile nahezu jede größere deutsche börsennotierte Gesellschaft für ihre Or1 Mein Dank gilt neben Klaus Hopt auch Walter Doralt, Nina Marie Güttler, Patrick Leyens und Felix Steffek für hilfreiche Anregungen und Kritik. 2 Siehe GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 454 Fn. 1718, 1719, 1723–1725; der zweite Teil des Vortrags, der hier nicht abgedruckt ist, ist aaO in Fn. 1735, 1741 berücksichtigt. 3 BGHZ 135, 244. 4 GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 39 ff.; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1002.

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ganmitglieder eine D&O-Versicherung abgeschlossen.5 Im Zusammenhang mit dem Abschluss der D&O-Versicherung gab und gibt es noch immer zahlreiche umstrittene gesellschaftsrechtliche Fragen. So wurde etwa intensiv erörtert, ob die D&O-Versicherung mit der verhaltenssteuernden Organhaftung vereinbar6 oder ob die Gesellschaft sogar zum Abschluss einer D&O-Versicherung verpflichtet ist7. Die früher zum Teil in Zweifel gezogene generelle Zulässigkeit der D&O-Versicherung8 hat der Gesetzgeber mittlerweile mit der Einführung der Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG bejaht.9 Dagegen ist die hier erörterte Frage, wer für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Versicherung zuständig ist, noch immer umstritten. Der vorliegende Beitrag tritt der Meinung bei, wonach diese nicht beim Vorstand liegt, sondern beim Aufsichtsrat bzw. der Hauptversammlung. Dabei werden die im Zusammenhang mit der D&O-Versicherung entstehenden Interessenkonflikte in den Blick genommen, ein Ansatz, der in der 5 GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 450 (allgemein üblich); KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 243 (gehöre zum Standard börsennotierter AGs); Kremer/Bachmann/Lutter/v.Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rdnr. 672; Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737; ausführlicher Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 167 ff. Zur insofern gleichen Situation in den USA Griffith, in Hill/McDonnell, Research Handbook on the Economics of Corporate Law, 2012, S. 337. 6 Siehe etwa Fleischer, in Fleischer, Hdb des Vorstandsrechts, 2006, § 12 Rdnr. 9; vgl. auch Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 226. 7 Z.B. Vetter AG 2000, 453, 454 f., 458 (im Rahmen des Risikomanagements); Koch, ZGR 2006, 184 ff., 212 (zur Existenzsicherung der Gesellschaft). Nur ausnahmsweise im Einzelfall, nicht generell: Lange, DStR 2002, 1626, 1630; Seibt/Saame, AG 2006, 901, 902 f. Ablehnend GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 450, Rdnr. 455 (nur ausnahmsweise rechtlich geboten); Hüffer/Koch/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 58; KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 243; MünchKomm AktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 225; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 236, 237; W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 67 ff.; Fleischer, in Fleischer, Hdb des Vorstandsrechts, 2006, § 12 Rdnr. 13 ff. (mit Differenzierungen); Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 56 f.; Schmitt, Organhaftung und D&O-Versicherung, 2007, S. 205 ff.; Dreher, ZHR 165 (2001), 293, 308; Koch, GmbHR 2004, 160, 168; Kort, DStR 2006, 799, 801; Lange, DStR 2002 1626, 1630; Lohr, NZG 2000, 1204, 1212. Keine Pflicht zum Versicherungsabschluss auch nach RechtsA, BT-Drs. 16/13433, S. 11. 8 Etwa Habetha, Direktorenhaftung und gesellschaftsfinanzierte Haftpflichtversicherung, 1995, S. 171 ff. Siehe zu dieser Diskussion z.B. auch die Ausführungen bei Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 57 f.; Schmitt, Organhaftung und D&O-Versicherung, 2007, S. 110 ff.; Fleischer, in Fleischer, Hdb des Vorstandsrechts, 2006, § 12 Rdnr. 7 ff.; Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 111; Dreher, AG 2008, 429 ff. 9 GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 451; Hüffer/Koch/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 58; KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 244; MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 224; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 226; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1001; HoffmannBecking, ZHR 181 (2017) 737, 738; siehe auch K. Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 50.

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bisher geführten Diskussion bislang nicht ausreichend gewürdigt worden ist.10 Interessenkonflikte sind im vorliegenden Zusammenhang bisher eher verengt bezogen auf die Frage diskutiert worden, ob Prämienzahlungen für die D&O-Versicherung eine Form der Vergütung darstellen (III.1.). Interessenkonflikte müssen aber viel breiter berücksichtigt werden (III.2.). Um dies zu verdeutlichen, bedarf es zunächst eines kurzen Blicks auf die Ausgestaltung der D&O-Versicherung (II.).

II. Gestaltung und Entwicklung der D&O-Versicherung Bei der D&O-Versicherung handelt es sich um eine von der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin geschlossene Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für fremde Rechnung.11 Versicherte Personen sind insbesondere die Organmitglieder (Geschäftsführer, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder), die regelmäßig nicht einzeln sondern als Gruppe versichert werden.12 Versichert sind Ersatzansprüche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen13 für Vermögensschäden, die aufgrund von Pflichtverletzungen durch Organmitglieder bei Ausübung ihrer Tätigkeit entstehen.14 Umfasst ist damit auch die vorgelagerte Anspruchsabwehr. Die Gesellschaft bezahlt also eine Versicherung für bei ihr selbst eingetretene Schäden, die von der versicherten Person verursacht worden sind; gleichzeitig ist im Fall einer Haftung kein Regress bei der versicherten Person vorgesehen, sodass deren Privatvermögen geschützt bleibt.15

10 Für eine Untersuchung von Interessenkonflikten im Zusammenhang mit D&O-Versicherungen allerdings mit etwas anderer Ausrichtung (Interessenkonflikte des Versicherers und des Aufsichtsrats bei der (späteren) Durchsetzung von Ansprüchen) Armbrüster, NJW 2016, 897; Peppersack, r+s 2018, 117, 119; kurz auch v. Schenck, NZG 2015, 494, 497 f. 11 Dazu GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 451; KölnKommAktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 241; Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 53 ff.; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 1 Rdnr. 6 ff.; W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 1 ff.; Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 493; Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 112 ff.; Armbrüster, FS K. Schmidt, 2019, S. 23, 24 ff. 12 W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 5; Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 121; siehe auch Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 1 Rdnr. 11, 13. 13 Dies kann auf privatrechtliche Haftpflichtbestimmungen beschränkt oder auch auf öffentlich-rechtliche erweitert sein. Dazu Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 54. 14 Ziff. 1.1. AVB-AVG. 15 Armbrüster, FS K. Schmidt, 2019, S. 23, 25; Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017), 737; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1011.

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1. Entwicklung der D&O-Versicherung Die D&O-Versicherung hat sich zunächst im Wesentlichen im angloamerikanischen Rechtsraum entwickelt.16 Über US-amerikanische Versicherungsgesellschaften kam die D&O-Versicherung ab Mitte der 1980er Jahre nach Deutschland17 und hat hier seit Ende der 1990er Jahre eine immer größere Bedeutung erlangt. Dafür verantwortlich war auch die zunehmende Verschärfung der Organhaftung durch die Gesetzgebung18 und die Rechtsprechung. Insbesondere das ARAG/Garmenbeck-Urteil des BGH19 hat bewirkt, dass die lange wenig präsente Organhaftung erheblich an Bedeutung gewonnen hat.20 In der Folge kam es – auch im Zuge des Zusammenbruchs des Neuen Marktes und der Häufung von Insolvenzen – zunehmend zu Haftungsklagen gegen Manager.21 Aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage in den USA und in Deutschland gab es einen gewissen Anpassungsbedarf, der sich bis heute noch an der einen oder anderen Stelle bemerkbar macht. Das gilt insbesondere im Hinblick auf das unterschiedliche Haftungsgefüge.22 Während in den USA der Schwerpunkt auf der Außenhaftung der Organmitglieder liegt, geht es in Deutschland vor allem um die Innenhaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft.23 Die Entwicklung der D&O-Versicherung verläuft sehr dynamisch, stetig werden neue Produkte entwickelt. Die Konditionen unterliegen daher ständigen Veränderungen, die gerade in den letzten Jahren zu erheblichen Neuerungen geführt haben, wie z.B. eine Verbesserung des

16 Dazu Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 91 ff.; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 1 Rdnr. 43 ff.; Schmitt, Organhaftung und D&O-Versicherung, 2007, S. 97 ff.; Ringleb/Kremer/Lutter/v.Werder/Ringleb, DCGK, 5. Aufl. 2014, Rdnr. 505 ff.; Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 110 f.; Henssler, RWSForum 20 (2001), S. 131 ff. Allerdings gab es bereits im 19. Jahrhundert Vorläufer der D&O-Versicherung in Deutschland. 17 Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 1 Rdnr. 47; Steiner, in Schettgen-Sarcher et al. (Hrsg.), Compliance Officer, S. 103, 110. 18 Z.B. durch das KonTraG, UMAG und MoMiG. Zur Entwicklung Habersack/ Schürnbrand, in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I, 2007, 17. Kap. Rdnr. 10 ff.; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 1 Rdnr. 51 ff. 19 BGHZ 135, 244. 20 GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 42; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1002. 21 Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 1 Rdnr. 52. 22 Vgl. dazu u.a. KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 241; W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 28; Ringleb/Kremer/Lutter/v.Werder/Ringleb, DCGK, 5. Aufl. 2014, Rdnr. 511. 23 MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 220 f.; Steiner, in SchettgenSarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 124; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 999 mwN; Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737.

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Schutzumfangs oder die Verringerung von Ausschlüssen.24 So werden mittlerweile etwa auch vermehrt Leistungspflichten des Versicherers für strafrechtliche Verfahren vereinbart.25 Eine beachtenswerte Entwicklung in den vergangenen Jahren ist die zunehmende Trennung der Versicherungsdeckung für den Vorstand auf der einen und den Aufsichtsrat auf der anderen Seite: Bei dem sog. TwoTowers- oder Twin-Towers-Modell werden für Vorstand und Aufsichtsrat Versicherungsverträge mit je separaten Deckungssummen abgeschlossen.26 Damit soll Interessenkonflikten entgegengewirkt werden, die ohne eine Trennung unausweichlich eintreten würden:27 Denn würde der Aufsichtsrat – im Fall einer gemeinsamen Versicherung von Vorstand und Aufsichtsrat – die Ansprüche der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder verfolgen, wäre die Versicherung verpflichtet, die Kosten für die Abwehr dieser Ansprüche zu finanzieren, ebenso wie im Anschluss ggf. die Kosten für den Schadensersatz. Würde sodann – noch in derselben Versicherungsperiode – der Aufsichtsrat ebenfalls verklagt, weil ihm die Verletzung seiner Überwachungspflicht vorgeworfen würde, bestünde die Gefahr, dass dann von der Versicherungssumme nicht mehr viel übrig bliebe, um auch die Abwehr- und Schadensersatzkosten für die Aufsichtsratsmitglieder zu übernehmen. Eine weitere Möglichkeit, um solchen Interessenkonflikten entgegenzuwirken, ist die Two-Trigger-Policy.28 Bei dieser wird eine allgemeine D&OVersicherung für alle Organmitglieder zusammen abgeschlossen und zusätzlich für Aufsichtsratsmitglieder bei einem weiteren Versicherer eine ergänzende Deckung vereinbart, die bei Auftreten bestimmter Ereignisse (Trigger) zum Tragen kommt, wie z.B. dass die Deckungssumme aus der Globalpolice ausgeschöpft ist.29 2. Positive und problematische Wirkungen der D&O-Versicherung Das Bedürfnis für die D&O-Versicherung basiert vor allem darauf, dass Organmitglieder vielfach nicht in der Lage sind, die enormen Summen allei24

W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1013. Zu den verschiedenen Entwicklungen a.a.O., 1014 ff., 1018 ff. 25 W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1018 f. m.w.N. 26 Siehe in diesem Zusammenhang Reichert/Suchy, NZG 2017, 88 ff.; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1016 ff.; Armbrüster, NJW 2016, 897, 899; siehe auch v. Schenck, NZG 2015, 494, 500. 27 Dazu und zum Folgenden Armbrüster, NJW 2016, 897; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1015; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497 f. 28 Armbrüster, NJW 2016, 897, 899; W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1017 f.; ausführlicher Reichert/Suchy, NZG 2017, 88. 29 W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1017. Zu den Triggern ausführlicher Reichert/Suchy, NZG 2017, 88, 89 ff.

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ne aufzubringen, die sie in einem Organhaftungsfall zahlen müssten.30 Hier soll die D&O-Versicherung die Organmitglieder von der steten Angst befreien, aufgrund einer möglicherweise übergroßen Haftung um die eigene Existenzgrundlage gebracht zu werden.31 Nur im Schutz einer D&O-Versicherung seien die Geschäftsleiter imstande, strategisch wichtige, aber oft risikoreiche Entscheidungen zu treffen.32 Und neue Führungskräfte sollen sich heute überhaupt nur noch bei Vorhandensein einer D&O-Versicherung gewinnen lassen.33 Bedeutung hat die D&O-Versicherung aber auch für die Gesellschaften unmittelbar selbst, weil sie andernfalls auf hohen Schadenssummen sitzen bleiben könnten. Zugleich erleichtert die Versicherung den Aktiengesellschaften die Entscheidung zwischen der Anspruchsverfolgung und dem Absehen davon, um z.B. die eigene Attraktivität für Führungskräfte zu erhalten, den Betriebsfrieden zu wahren oder ähnliches. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass eine vorhandene D&OVersicherung zu einer besonderen Anreizsituation führen kann: Ihr Vorhandensein kann dazu führen, dass sich die „Beißhemmung“ des Aufsichtsrats verringert.34 Denn das betroffene Organmitglied wird von Haftungsansprüchen nicht mehr persönlich betroffen bzw. nur noch in dem Umfang des Selbstbehalts. Das verstärkt den Verfolgungsanreiz und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit der Haftung – im Sinne eines „Deckung erzeugt Haftung“.35 Zudem muss die Gesellschaft die Organmitglieder geradezu mit hohen Klageforderungen überziehen, um letztlich die Versicherungsleistung zu erhalten.36 Vom Gesetzgeber ist eine effektivere Durchsetzung der Organhaftung zwar durchaus gewollt, dies bringt aber die Gefahr mit sich, dass die 30 Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 139; siehe auch Schmitt, Organhaftung und D&O-Versicherung, 2007, S. 201; Lohr, NZG 2000, 1204, 1212. 31 Vgl. Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 109. 32 Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 109; vgl. auch Seibt/ Saame, AG 2006, 901, 906. Dieses Argument als das einzig relevante haltend HoffmannBecking, ZHR 181 (2017) 737 (739 f.). 33 Dreher, ZHR 165 (2001), 293, 310; Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 139; vgl. auch Seibt/Saame, AG 2006, 901, 906. Kritisch dazu Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737 (739) (diesbezüglich auch andere Lösung möglich). 34 Zu dieser Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 239. Ein Sinken der Hemmschwelle ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn nicht von Anfang an klar ist, dass es sich um einen exorbitanten, nur zu einem kleinen Teil gedeckten Schaden handelt. 35 Vgl. dazu z.B. Hemeling, in Verhandlungen des 69. DJT 2012, Bd. II/1, 2013, N 31, 38 (Existenz einer D&O-Versicherung führt vielfach erst zur Geltendmachung von Schadensansprüchen); ihm folgend Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 796. Siehe auch Hüffer/Koch/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 1; v. Schenck, NZG 2015, 494, 495; siehe auch Reichert/Suchy, NZG 2017, 88, 92; ebenso schon Pammler, Die gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung im Spannungsfeld des Aktienrechts, 2006, S. 65 ff.; Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 620; Dreher, AG 2008, 429, 434. 36 Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737 (744).

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im Rahmen der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung vom BGH vorgesehenen Prüfungsaspekte, die gegen eine Anspruchsverfolgung sprechen können, also etwa die Beitreibbarkeit von Forderungen, besondere Ausschlussgründe etc.,37 weniger Beachtung finden, wenn eine D&O-Versicherung abgeschlossen wurde. Für das betroffene Organmitglied kann das Vorhandensein einer D&OVersicherung eine lediglich trügerische Sicherheit bilden.38 Dies ist z.B. der Fall, wenn die Deckungssumme der Versicherung für die Deckung des Schadens nicht ausreicht, sei es, dass die Anspruchsabwehr bereits einen Großteil der Summe verschlungen hat, sei es, dass der Schaden so groß ist, dass er von vornherein die Versicherungssumme übersteigt.39 Letzteres war etwa bei der Korruptionsaffäre bei Siemens der Fall, die für Siemens zu Gesamtkosten in Höhe von ca. 2,5 Mrd. Euro geführt haben soll.40 Die Deckungssumme der Versicherung deckte nur ein Zehntel dieses Schadens (250 Mio. Euro) – im Rahmen eines Vergleichs mit den Versicherungsgesellschaften zahlten diese letztlich sogar nur 100 Mio. Euro.41 In solchen Fällen haftet das Organmitglied für den darüber hinausgehenden, nicht gedeckten Anteil weiter.42 Dieser Anteil kann aber, wie im Fall Siemens, so groß sein, dass das betroffene Organmitglied finanziell völlig überfordert wird und letztlich seine Existenzgrundlage verliert. Neben der begrenzten Deckungssumme sind außerdem die zahlreichen Ausschlüsse, die in den Policen enthalten sind, zu beachten, die den Organmitgliedern – wenn sie diese nicht selbst ausgehandelt haben – nicht unbedingt bekannt sind.43 37

BGHZ 135, 244, 253. GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 455 (Illusion, auf der sicheren Seite zu sein); vgl. auch Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 508; Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737 (740). Sie stellt kein „Rundum-sorglos-Paket“ dar, siehe Franz, DB 2009, 2764. Auch die Bundesregierung sieht die Beschränkungen der D&O-Versicherung, siehe BT-Drs. 16/12623, S. 5. 39 Stv. Armbrüster, NJW 2016, 897; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497; siehe auch Peppersack, r+s 2018, 117, 118. 40 Hartmann, Soviel kostet Siemens der Schmiergeld-Skandal, Die Welt Online, 26.5.2008. Im Internet unter http://www.welt.de/wirtschaft/article2034103/So-viel-kostetSiemens-der-Schmiergeld-Skandal.html (zuletzt abgerufen am 6.3.2015); o.V., Ex-Vorstand Neubürger soll 15 Millionen Euro zahlen, in Manager-Magazin vom 11.12.2013, im Internet abrufbar unter www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/ex-siemens-mana ger-neubuerger-soll-15-mio-schadensersatz-zahlen-a-938453.html (zuletzt abgerufen am 29.7.2015); allgemein Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737 (740). 41 DW, Versicherungen zahlen für Siemens-Skandal, in Die Welt vom 4.9.2009, im Internet abrufbar unter www.welt.de/wirtschaft/article4465908/Versicherungen-zahlen-fu er-Siemens-Skandal.html (zuletzt abgerufen am 29.7.2015). 42 Vgl. hierzu Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 796. 43 Bachmann, Gutachten E, in Verhandlungen des 70. DJT 2014, E 47. Zu Ausschlüssen ausführlich Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 11; außerdem Griffith, in Hill/McDonnell, Research Handbook on the Economics of Corporate Law, 2012, S. 337, 339 f.; Seibt/Saame, AG 2006, 901, 907 ff. Zu den Tücken der D&O-Ver38

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Schließlich wird auch das sog. claims-made-Prinzip als problematisch angesehen.44 Danach hängt der Schutz durch die Versicherung nicht davon ab, ob in dem Jahr der Pflichtverletzung der Versicherungsvertrag bestand, sondern ob der Versicherungsvertrag in dem Jahr besteht, indem das geschädigte Unternehmen den Ersatzanspruch geltend macht.45 In den Vorjahren nicht in Anspruch genommene Deckungssummen werden dabei nicht gutgeschrieben.46

III. Anknüpfungspunkt für die Entscheidung über die aktienrechtliche Zuständigkeit Die D&O-Versicherung hat also ihre Licht- und Schattenseiten, die nicht zuletzt durch ihre vertragliche Gestaltung geprägt werden. Umso wichtiger ist daher, wer darüber entscheidet, ob und mit welchem genauen Inhalt eine D&O-Versicherung abgeschlossen wird. Ganz herrschend wird vertreten, dass für die Entscheidung über den Abschluss des D&O-Versicherungsvertrages allein der Vorstand zuständig sei.47 Bei genauerer Betrachtung verletzt dies jedoch die im Aktiengesetz festgelegte Zuständigkeitsordnung. Denn für die Entscheidung über den Abschluss von D&O-Versicherungsverträgen für Vorstands- oder auch Aufsichtsratsmitglieder kann der Vorstand nicht die Kompetenz haben. Dass auch die Praxis in dieser Hinsicht sensibilisiert ist, zeigt das Aufkommen des sog. Two-Towers- oder Twin-TowersModells.48 1. Traditioneller Anknüpfungspunkt: Die D&O-Versicherung als Vergütungskomponente Die Beantwortung der Frage, ob der Vorstand für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Versicherung zuständig ist, wird regelmäßig darsicherung etwa auch Conradi, AnwBl 2012, 803. Kein Argument ist dagegen – jedenfalls heute –, dass die versicherten Personen keine Kenntnis von der D&O-Versicherung haben könnten (so Dreher, AG 2008, 429, 436). Denn ohne das Bestehen einer solchen würden viele (potentielle) Organmitglieder ihre Stellung gar nicht mehr antreten, siehe Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 139. 44 Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017) 737 (740). 45 Zum claims-made-Prinzip z.B. Ihlas, D&O, 2. Aufl 2009, S. 366 f.; Lange, D&OVersicherung und Managerhaftung, 2014, § 9 Rdnr. 9 ff.; Lange, in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Aufl. 2016, § 21 Rdnr. 68 ff.; v. Schenck, NZG 2015, 494, 495 f. 46 v. Schenck, NZG 2015, 494, 496. 47 Stv. Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, 491, 492 (der dies als rechtlich geklärt erachtet). 48 Siehe oben II.1.

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an festgemacht, ob es sich bei den für die D&O-Versicherung gezahlten Prämien um eine „Geschäftsaufwendung“ oder um eine „Vergütung“ handelt.49 Dafür entscheidend soll sein, ob die D&O-Versicherung primär im privaten Interesse des Organmitglieds liegt (dann Vergütung und keine Zuständigkeit des Vorstands), oder eher dem Gesellschaftsinteresse dient (dann keine Vergütung und Zuständigkeit des Vorstands).50 Ein wesentliches Argument gegen die Einstufung als Vergütung ist der Hinweis auf die üblichen Gestaltungsformen der D&O-Versicherung, bei denen die Gesellschaft sowie alle ihre Organmitglieder erfasst werden. Diese Ausgestaltung lasse die Deckungswirkung für das einzelne Organmitglied in den Hintergrund treten und erschwere die Ermittlung des auf das jeweilige Organmitglied entfallenden Prämienanteils.51 Des Weiteren werden steuerrechtliche Einordnungen und Regelungen als Argument für die fehlende Vergütungseigenschaft der Prämienzahlungen herangezogen.52 Das Finanz-

49 Für eine Einordnung als Vergütung etwa Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, Aktiengesetz, 2013, § 93 Rdnr. 95; Pammler, Die gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung im Spannungsfeld des Aktienrechts, 2006, S. 167 ff.; W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 78; Armbrüster, FS K. Schmidt, 2019, 23 (29 ff.); aA KölnKomm-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 246; K. Schmidt/ Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 56; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 234; Dreher, ZHR 165 (2001), 293, 302 ff., insb. 308 f.; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 49 ff.; Kort, DStR 2006, 799, 802; Lange, ZIP 2001, 1524, 1526 ff., insb. 1528; Mertens, AG 2000, 447, 452; Mertens, AG 2000, 447, 457; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497; zurückhaltend Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rdnr. 681 mit 686; richtigerweise auf den Interessenkonflikt abstellend MünchKommAktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 248. 50 Für das Gesellschaftsinteresse und damit für eine Alleinkompetenz des Vorstands etwa GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 454; KölnKommAktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 242, 246; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl. 2019, § 113 Rdnr. 16 (jedenfalls für die heute den Regelfall bildende Gruppenversicherung); Fleischer, in Fleischer, Hdb des Vorstandsrechts, 2006, § 12 Rdnr. 12; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 279 ff., insb. S. 305; Dreher, ZHR 165 (2001), 293 ff., 321 f.; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 52 ff.; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 3 Rdnr. 4; Lange, ZIP 2001, 1524, 1528; vgl. auch Hüffer/ Koch/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 58a. 51 KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 246; W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 73. 52 Siehe etwa Hüffer/Koch/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 58a; KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdnr. 246; K. Schmidt/Lutter/Krieger/SailerCoceani, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 56; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 3 Rdnr. 6; außerdem GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2019, § 113 Rdnr. 72; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 308; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 54; Kort, DStR 2006, 799, 801. Zur steuerlichen Behandlung von D&O-Versicherungsprämien Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 586 ff.; Küppers/Dettmaier/Koch, DStR 2002, 199 ff.; Loritz/Wagner, DStR 2012, 2205, 2209 f.; Steiner, in Schettgen-Sarcher, Compliance Officer, 2014, S. 103, 128.

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ministerium Niedersachen53 und das Bundesfinanzministerium54 haben Prämienzahlungen für D&O-Versicherungen bei entsprechender Ausgestaltung der Versicherung55 als Betriebsaufwendungen eingeordnet und nicht als Vergütungsbestandteile (sodass diese nicht einkommenssteuerpflichtig sind). Diese Entscheidungen wurden in der gesellschaftsrechtlichen Literatur herangezogen, um die Zuständigkeit des Vorstands zu begründen. Denn wenn die Aufwendungen schon im Steuerrecht nicht als Vergütungsbestandteile angesehen werden – wo doch das Steuerrecht bzw. die Finanzbehörden möglichst alles erfassen wollen –, müsste dies erst recht für das Gesellschaftsrecht gelten.56 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass eine steuerrechtlich sachgerechte Einordnung der Prämien als Betriebsaufwendung die Zuständigkeitsfrage im Gesellschaftsrecht nicht präjudiziert. Vielmehr lassen es die Besonderheiten des Steuerrechts geraten erscheinen, mit Argumenten hinsichtlich der Einheit der Rechtsordnung, die auf dieses Rechtsgebiet gründen, vorsichtig zu sein.57 Zudem wird dieses Argument immer weniger tragfähig – dies gilt auch für das erstgenannte Argument bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung der Versicherung. Denn aufgrund des Wettbewerbs werden die üblichen Gestaltungen der D&O-Versicherung tendenziell immer stärker auf die einzelnen Organmitglieder zugeschnitten (z.B. PR-Kampagne für ein Organmitglied, falls ein Haftungsfall vorliegt58).59 Auch wenn D&O-Versicherungen für alle Organmitglieder einer Gesellschaft „im Paket“ abgeschlossen werden, treten die individuellen Aspekte doch immer stärker in den Vordergrund. Damit entfernen sich diese Gestaltungen immer weiter von derjenigen, von der die Finanzministerien seinerzeit ausgingen und es ist nicht auszuschließen, dass 53 Erlass des Finanzministeriums Niedersachsen vom 25.1.2002 – S 2332 – 161 – 35/S 2245 – 21 – 31 2, abgedruckt in DB 2002, 399 f. 54 Schreiben des BMF vom 24.1.2002 – IV C 5 – S 2332 – 8/02, paraphrasiert wiedergegeben in AG 2002, 287. 55 Voraussetzung ist insbesondere, dass der D&O-Versicherungsvertrag besondere Klauseln zur Firmenhaftung enthält, das Management als Ganzes versichert wird und die Prämienkalkulation nicht anhand individueller Merkmale der versicherten Organmitglieder erfolgt. Siehe Fn. 53 und Fn. 54. 56 Dem liegt der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung zugrunde. 57 So auch W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1023; Schüppen/Sanna, ZIP 2002, 550, 553. Grds. auch Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 308 (der im Steuerrecht aber nur eine wertungsmäßige Bestätigung des aktienrechtliches Ergebnisses sieht). 58 Siehe z.B. HISCOX, Antrag auf den Abschluss einer D&O Versicherung für kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland Selbstbehaltsdeckung 09/2014, S. 7 (Ziffer VI.3.2.5), im Internet abrufbar unter https://www.hiscox.de/makler-portal/ wp-content/uploads/2013/08/Antragsmodell_Hiscox_SB_DO_09.2014.pdf (abgerufen am 29.7.2015); DOMCURA, Produkte, unter https://www.domcura-ag.de/index.php/do-ver sicherung.html (Abschnitt „einige Highlights“, abgerufen am 29.7.2015); siehe dazu auch W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 3. 59 Siehe auch W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1023.

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es künftig zu einer anderen Bewertung von D&O-Versicherungen durch die Steuerbehörden kommt. Damit entfällt neben dem Argument der fehlenden Individualisierung dann auch das Argument der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung. Angesichts des mittlerweile erreichten Individualisierungsgrades der D&O-Versicherung lassen sich die oben angeführten Argumente gegen die Einordnung von D&O-Versicherung als Vergütung nicht mehr halten.60 Auch der Umstand, dass das Vorhandensein einer D&O-Versicherung mittlerweile notwendig ist, um überhaupt Organwalter zu gewinnen, zeigt, dass die Organwalter ein besonderes Eigeninteresse an der D&O-Versicherung haben.61 Und schließlich muss auch bedacht werden, dass eine wesentliche Leistung der D&O-Versicherung die Finanzierung der Anspruchsabwehr ist. Es erscheint schwer nachvollziehbar, dass die Gesellschaft ein überragendes Interesse daran haben sollte, die Abwehr der eigenen Forderung möglichst großzügig (und schon im Voraus) finanziell zu fördern.62 2. Perspektivenverbreiterung: Abstellen auf den Interessenkonflikt der Organmitglieder Ohnehin ist aber die Fokussierung auf die umstrittene Vergütungseigenschaft der Prämienzahlungen zu eng. Sachgerechter ist es, die Perspektive zu weiten und die gesamte Zuständigkeitsordnung im Aktiengesetz in den Blick zu nehmen. Dann wird deutlich, dass die Vergütungsregelung in § 87 AktG ein wesentlicher aber nicht der einzige Anknüpfungspunkt für die Zuordnung von Zuständigkeiten beim Abschluss von D&O-Versicherungen sein kann. Diese Anknüpfung steht vielmehr in dem größeren Zusammenhang der Interessenkonflikte. Der Begriff Interessenkonflikt ist hier zu verstehen als ein Konflikt von Interessen, die ein Organmitglied bei seinen Entscheidungen berücksichtigen muss (oder, bei Eigeninteressen, möchte) und die von ihm in der jeweiligen Situation eine andere, unterschiedliche, möglicherweise das jeweils andere Interesse sogar ausschließende Entscheidung verlangen.63 Die Festlegung der eigenen Vergütung durch ein Organmitglied, die dann von der Gesellschaft zu zahlen ist, stellt den Fall eines solchen Interessen60

Siehe dazu jüngst ausführlich W. Doralt, ZGR 2019, 996. Armbrüster, FS K. Schmidt, 2019, S. 23, 31. 62 W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1023. Siehe in diesem Zusammenhang auch Armbrüster, FS K. Schmidt, 2019, S. 23, 31. 63 Zu Interessenkonflikten ausführlich Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014; außerdem Hopt, ZGR 2002, 333; ders., ZGR 2004, 1; Koller, BB 1978, 1733; ders., in FS Piper, 1996, S. 899; Kumpan, in Hopt/Tzouganatos, Das Europäische Wirtschaftsrecht vor neuen Herausforderungen, 2014, 119; Kumpan/Leyens, ECFR 2008, 72; Lutter, FS Priester, 2007, 417. 61

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konflikts dar. In dieser Situation würden die Eigeninteressen des Organmitglieds und seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft in einen Konflikt geraten – einen Interessenkonflikt.64 Denn das Organmitglied könnte geneigt sein, sich auf Kosten der Gesellschaft eine besonders hohe Vergütung zu verschaffen. Um diesen Interessenkonflikt zu vermeiden, regelt § 87 AktG, dass der Vorstand seine Vergütung nicht selbst bestimmen darf. Dieser Konflikt ist aber nicht der einzige, dem ein Organmitglied im Verhältnis zu seiner Gesellschaft ausgesetzt ist. Die Auseinandersetzung mit der Vergütungsfrage nimmt also nur einen Teilaspekt in den Blick. Des Weiteren kann ein Interessenkonflikt entstehen, wenn ein Vorstandsmitglied mit der Gesellschaft Geschäfte abschließt. Auch hier besteht die Gefahr, dass das Eigeninteresse des Organmitglieds mit seiner Treuepflicht in Konflikt gerät und das Mitglied auf besonders gute Bedingungen für sich hinwirkt. In diesem Fall ordnet § 112 AktG an, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern vertritt und vermeidet so, dass der Interessenkonflikt zu Lasten der Gesellschaft gelöst wird. Weitere als Interessenkonfliktregelungen einzuordnende Vorschriften finden sich in § 100 und § 105 AktG.65

IV. Interessenkonflikt beim Abschluss einer D&O-Versicherung Geschäfte der Gesellschaft, bei denen der Vorstand bzw. einzelne Vorstandsmitglieder persönlich profitieren, sind vor diesem aktiengesetzlichen Hintergrund auf mögliche Interessenkonflikte hin zu untersuchen. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Entscheidung über eine D&O-Versicherung und den Abschluss einer solchen. Sieht man sich die abstrakte Interessenlage an, wird deutlich, dass der Abschluss einer D&O-Versicherung immer im Interesse der versicherten Organmitglieder liegt. Denn sie werden durch die Versicherung – jedenfalls soweit der Versicherungsschutz reicht – von der Erfüllung von Schadensersatzansprüchen oder jedenfalls von Regressansprüchen der Gesellschaft entlastet.66 Grundsätzlich hat zwar auch die

64 Der Begriff „Interessenkonflikt“ wird hier als Oberbegriff für die Pflichtenkollision und den Interessenkonflikt im engeren Sinne (Konflikt mit Eigeninteressen) verwendet. 65 Ausführlich Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 437 ff. 66 P. Doralt/W. Doralt, FS Koziol, 2010, S. 565, 581 (Schutz des Privatvermögens sei ein ganz massives Interesse); Kiethe, BB 2003, 537, 539; Lange, DStR 2002 1626, 1628; Ulmer, FS Canaris, 2007, S. 451, 460; vgl. auch Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 234 (nicht zu leugnende Begünstigung der Organmitglieder); Dreher, ZHR 165 (2001), 293, 314; Mertens, AG 2000, 447, 451 (erhebliche Verbesserung der Vermögenssituation); Seibt/Saame, AG 2006, 901, 902 (Schutz der privaten Vermögenssphäre).

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Gesellschaft ein Interesse am Abschluss einer D&O-Versicherung (z.B. Absicherung der Gesellschaft gegen Forderungsausfälle bei Durchsetzung der Organhaftung, Stärkung der unternehmerischen Risikobereitschaft der Organmitglieder, Rekrutierung qualifizierten Führungspersonals).67 Dass – wie vielfach betont68 und oben schon bezweifelt – die Versicherung im überwiegenden Interesse der Gesellschaft liegen soll, ändert aber nichts daran, dass die Organmitglieder ein eigenes Interesse an ihr haben – und nur darauf kommt es an. Denn aufgrund des eigenen Interesses eines Organmitglieds kann es zu einem Konflikt zwischen dessen Interessen und den Interessen der Gesellschaft kommen.69 1. Unterschiedliche Kosten-Nutzen-Analyse So gestaltet sich schon die Kosten-Nutzen-Analyse für die Organmitglieder anders als für die Gesellschaft – nicht zuletzt, weil regelmäßig die Gesellschaft und nicht die Organmitglieder die Prämien für die Policen bezahlt.70 Zahlt das Organmitglied aber nicht die Prämie, sind seine Kosten für die Versicherung mit Null anzusetzen. Da das Organmitglied als versicherte Person von der Versicherung unmittelbar profitiert, lohnt sich damit der Versicherungsabschluss für das Organmitglied immer. Bei der Gesellschaft hingegen ist die Prämienzahlung auf der Kostenseite voll zu berücksichtigen. Schon dadurch weicht die Kosten-Nutzen-Analyse der Gesellschaft von der eines versicherten Organmitglieds ab. Bei einer Ausgestaltung der Versicherung dahingehend, dass die Versicherungssumme auch die Kosten der Verteidigung des Organmitglieds im Prozess abdeckt, kommt es zudem noch zu Abweichungen auf der Nutzenseite. Klagt eine Gesellschaft (im Fall der Innenhaftung) gegen ein Mitglied eines ihrer Organe und obsiegt, können in diesem Fall die Abwehr- bzw. Verteidigungskosten bereits einen nicht unerheblichen Teil der Versicherungssumme aufgezehrt haben, sodass 67 Zu den Interessen der Gesellschaft etwa Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 233; Dreher, ZHR 165 (2001), 293, 315 f.; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 52 ff.; Kiethe, BB 2003, 537, 539; Lange, DStR 2002, 1626, 1628 f.; Seibt/Saame, AG 2006, 901, 902, 906 f.; Ulmer, FS Canaris, 2007, S. 451, 460. 68 Etwa MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl. 2019, § 113 Rdnr. 16; Spindler/Stilz/ Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 234; Dreher, ZHR 165 (2001), 293, 315; Dreher/ Thomas, ZGR 2009, 31, 52 ff.; Lange, DStR 2002 1626, 1629. 69 Siehe z.B. auch Spindler/Stilz/Spindler, AktG, 4. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 28. 70 Siehe auch Spindler/Stilz/Spindler, AktG, 4. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 28 (im Prinzip bestehe die Gefahr eines Interessenkonflikts); Eßwein, AG 2015, 151, 155. An dieser Stelle geht es nicht darum, dass die Übernahme der Versicherungsprämien die Gewinnung besonders qualifizierter Führungskräfte ermöglicht und daher die höheren Kosten von der Gesellschaft möglicherweise gerne in Kauf genommen werden. Auch in diesem Fall würde sich die Frage stellen, wer darüber entscheidet, welche Führungskräfte gewonnen und wie viele Gelder dafür aufgewendet werden sollen.

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die Gesellschaft unter Umständen entsprechend weniger erhält.71 Damit ist für die Gesellschaft der Nutzen der Versicherung geringer als die Gesamtversicherungssumme und damit geringer als für das einzelne Organmitglied. Denn letzteres profitiert nicht nur von der Übernahme der Kosten für den Schadensersatz, sondern auch davon, dass die Versicherung die Verteidigungskosten übernimmt. Aber auch bei einer anderen Ausgestaltung ist es die Gesellschaft, die gegenüber dem Versicherer tätig werden muss und die damit verbundenen Kosten trägt – Kosten, die das Organmitglied so nicht treffen. Sind aber die Kosten für die Gesellschaft höher und der Nutzen geringer als für das betreffende Organmitglied, verläuft die Kosten-NutzenAnalyse für beide unterschiedlich und kann letzten Endes zu divergierenden Ergebnissen für beide führen. Verschärft wird diese Situation, wenn zwischen unterschiedlichen Angeboten verschiedener Versicherungen entschieden werden muss. Denn die Versicherungsbedingungen können z.T. erheblich differieren, etwa hinsichtlich der Deckungssummen, aber auch hinsichtlich der sonstigen Ausgestaltung. So kann eine Versicherung hinsichtlich der Beiträge günstiger, in Bezug auf die Deckung aber restriktiver, eine andere Versicherung dagegen teurer, aber bei der Deckung entgegenkommender sein.72 Gesellschaft und betroffenes Organmitglied können somit unterschiedliche Versicherer präferieren. 2. Bemessung und Versicherung des Selbstbehalts sowie personenbezogene Vorteile Des Weiteren kommt es zu einer unterschiedlichen Interessenrichtung aufgrund des – jedenfalls für Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG zwingend zu vereinbarenden – Selbstbehalts. Da ein Selbstbehalt die Vorstandsmitglieder belastet, haben diese ein Interesse daran, diesen möglichst klein zu halten. Je geringer der Selbstbehalt ist, desto weniger müssen die Organmitglieder die Haftung fürchten, aber eine umso größere Summe muss die D&O-Versicherung abdecken und eine umso höhere Prämie wird die Gesellschaft zahlen müssen. Hinzukommt, dass Versicherungsgesellschaften häufig die gleichzeitige Versicherung des Selbstbehalts anbieten.73 Hier bietet es sich für verhandelnde Vorstandsmitglieder an, eine vergleichsweise niedrigere Prämienzahlung für die Selbstbehaltsversicherung und eine vergleichsweise (wenn auch 71 Grund dafür ist insbesondere die regelmäßig begrenzte Deckungssumme der Versicherungspolicen. 72 Eßwein, AG 2015, 151, 155. 73 Zur Versicherbarkeit des Selbstbehalts z.B. W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 31 Fn. 41. Zur Ausgestaltung der Selbstbehaltsversicherung etwa Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 17; ders., r + s 2010, 92.

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möglicherweise für die Versicherungsgesellschaften nur geringfügig) höhere Prämienzahlung für die von der Gesellschaft zu finanzierende D&O-Versicherung zu vereinbaren. Auch das aber geht zu Lasten der Gesellschaft, die dann auch in diesem Fall höhere Prämien für die D&O-Versicherung zahlen muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass D&O-Versicherungen zunehmend um personenbezogene Vorteile ergänzt werden, wie etwa die Fortzahlung der Bezüge bei Verlust der Organstellung oder eine PR-Kampagne für das betroffene Organmitglied.74 Diese erhöhen tendenziell die Prämie, insbesondere weil sie die Organmitglieder veranlassen, (u.U. teurere) Policen derjenigen Versicherungsgesellschaften zu bevorzugen, die solche Leistungen anbieten. Solche besonderen Vorteile verstärken die Gefahr von Interessenkonflikten der betroffenen Organmitglieder, wenn diese für den Abschluss der D&O-Versicherung zuständig sind. Hier kollidieren die Interessen der Gesellschaft und diejenigen der zu versichernden Organmitglieder – es kommt also zu einem Interessenkonflikt.75

V. Umgang mit Interessenkonflikten beim Abschluss von D&O-Versicherungen 1. Zuständigkeitsverlagerung als Instrument für den Umgang mit Interessenkonflikten In Fällen, in denen die Gefahr besteht, dass der Vorstand nicht im Interesse der Gesellschaft handelt, sieht das Aktiengesetz üblicherweise einen Zustimmungsvorbehalt für den Aufsichtsrat vor. In besonders gewichtigen Fällen sieht der Gesetzgeber einen Zustimmungsvorbehalt jedoch nicht als ausreichend an und hat daher eine Zuständigkeitsverlagerung angeordnet.76 Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen ein Vorstandsmitglied mit der Gesellschaft Geschäfte abschließt. Den dabei zu gewärtigenden Interessenkonflikt sieht der Gesetzgeber als so schwerwiegend an, dass er in § 112 AktG geregelt hat, dass gegenüber Vorstandsmitgliedern der Aufsichts74

W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 3. 75 Angesichts dieser deutlichen Konfliktlage ist es unerheblich, ob der Abschluss der D&O-Versicherung in Erfüllung anstellungsvertraglicher Verpflichtungen erfolgt. Gleiches gilt für das Argument, dass die Gesellschaft einen solventen Schuldner erhält und daher ein Interesse am Abschluss der D&O-Versicherung hat (zu diesen Argumenten z.T. krit. Eßwein, AG 2015, 151, 154). Zur Anwendung von § 112 AktG bei der Geltendmachung von abgetretenen Freistellungsansprüchen bzw. modifizierten Deckungsansprüchen der Gesellschaft gegen die D&O-Versicherung Grooterhorst/Looman, NZG 2015, 215, 218. 76 Zur Zuständigkeitsverlagerung als Mittel der Vermeidung bzw. Lösung von Interessenkonflikten Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 349 ff.

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rat die Gesellschaft vertritt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass bei Rechtsgeschäften die Gesellschaftsinteressen unbeeinflusst von sachfremden Erwägungen des Vorstands wahrgenommen werden.77 Auch die Regelung über die Festsetzung der Vergütung von Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat in § 87 AktG beruht auf diesem Grundsatz. Bei diesen Regelungen ist zu beachten, dass es nicht darauf ankommt, ob sich tatsächlich ein Interessenkonflikt manifestiert oder nicht. Es reicht aus, dass ein Interessenkonflikt möglich ist bzw. abstrakt vorliegt und daher die Gefahr einer Benachteiligung der Gesellschaft besteht. Die Gefahr eines Interessenkonflikts und damit eine zumindest abstrakte Gefährdung der Gesellschaft besteht aber nicht nur, wenn Vorstandsmitglieder mit der Gesellschaft unmittelbar selbst Geschäfte abschließen, sondern ganz allgemein dann, wenn sie von Geschäften der Gesellschaft, für die sie handeln, unmittelbar und gewollt selbst profitieren.78 Direkte Geschäfte zwischen Organmitglied und Gesellschaft sind nur eine, wenn auch deutliche, Ausprägung dieser besonderen Konfliktsituation. Dementsprechend stellen die Regelungen in § 87 AktG und § 112 AktG besondere Ausprägungen des Regelungsgedankens dar, dass die Gesellschaft davor geschützt werden muss, dass Organmitglieder beim Handeln für die Gesellschaft in Konflikt mit eigenen Interessen geraten, weil sie unmittelbar und von der Anlage des jeweiligen Geschäfts her gewollt (und nicht nur zufällig) von diesem Handeln profitieren. In solchen besonderen Fällen geht die Zuständigkeit auf das kontrollierende Organ über. 2. Übertragung auf den Abschluss von D&O-Versicherungsverträgen Ein solcher Interessenkonflikt aufgrund unmittelbar und gewollt eigenen Profitierens vom Handeln der Gesellschaft besteht auch beim Abschluss einer D&O-Versicherung durch den Vorstand für die Vorstandsmitglieder. Denn bei der D&O-Versicherung ist der Versicherte – und damit der Begünstigte – der Vorstand bzw. die einzelnen Vorstandsmitglieder. Diese profitieren unmittelbar und beabsichtigt von dem Abschluss der D&OVersicherung, denn ihre Haftung soll verringert werden. Damit kommt der Gedanke des Schutzes der Gesellschaft hier in gleicher Weise zum Tragen, wie bei § 87 AktG und § 112 AktG. Dabei ist es, wie diese Regelungen zeigen, nicht erforderlich, dass in der jeweiligen Situation ein konkreter Interessenkonflikt besteht. Das Vorliegen einer bloß abstrakten Konfliktlage

77 BGHZ 103, 213, 216; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 1; Eßwein, AG 2015, 151. 78 Dies ist stärker als ein „auch persönliches Interesse“ des Vorstands. Ein solches soll für die Anwendung von § 112 AktG nicht ausreichen. Siehe GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 62; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 8.

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reicht vielmehr aus.79 Diese abstrakte Konfliktlage beim Abschluss einer D&O-Versicherung durch den Vorstand „für sich selbst“ oder für das ihn überwachende Kontrollorgan Aufsichtsrat ist auch für Dritte leicht zu erkennen. Diese müssen also nicht mühsam eruieren, welche wirtschaftliche Bedeutung das Geschäft – der Abschluss der D&O-Versicherung – für den Vorstand hat. Denn beim Abschluss einer D&O-Versicherung durch den Vorstand tritt diese Bedeutung für ihn selbst klar zutage. Dementsprechend wird die Sicherheit des Rechtsverkehrs durch eine Zuständigkeitsverlagerung beim Abschluss einer D&O-Versicherung nicht beeinträchtigt.80 Allgemeiner ließe sich darüber hinaus erwägen, dass diese Interessenkonfliktsituation von § 112 AktG sogar unmittelbar erfasst wird. Der Begriff „gegenüber“ in § 112 AktG darf nicht ausschließlich rechtlich, sondern muss in einem wirtschaftlichen Sinne verstanden werden. Erfasst werden damit nicht nur solche Situationen, in denen der Vorstand der Gesellschaft als Vertragspartner gegenübersteht,81 sondern auch solche, in denen der Vorstand durch ein Handeln der Gesellschaft unmittelbar und gewollt selbst positiv oder negativ betroffen wird – jedenfalls, wenn dies für Dritte leicht erkennbar ist. Auch dann steht er der Gesellschaft „gegenüber“. Dass es nicht auf den Status als Vertragspartner ankommt, ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal „gerichtlich und außergerichtlich“. Denn „gerichtliche“ Vertretung setzt keinen Vertrag bzw. Vertragsverhandlungen voraus. Daher fällt z.B. auch der Abschluss eines Vertrages zugunsten Dritter durch die Gesellschaft, bei der Vorstandsmitglieder die Begünstigten sind, unter § 112 AktG. 3. Erste Folgerung: Keine Zuständigkeit des Vorstands für die Entscheidung über und den Abschluss von D&O-Versicherungen Aus dem Vorangegangenen folgt, dass der Vorstand weder für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Versicherung noch für den Vertragsabschluss selbst zuständig sein kann. Die Zuständigkeit verlagert sich vielmehr – jedenfalls für die D&O-Versicherung des Vorstands – nach § 112 AktG (ggf. analog) auf den Aufsichtsrat.82 Würde der Vorstand – für die Ge79 D.h. eine abstrakte Gefährdung der Gesellschaftsinteressen, vgl. MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 8 (typisierende Betrachtung); Spindler/ Stilz/Spindler, AktG, 4. Aufl. 2019, § 112 AktG Rdnr. 1 (typisierte Interessenkollision); Eßwein, AG 2015, 151. 80 Diese Befürchtung findet sich etwa bei GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 62. 81 Stv. Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rdnr. 234. 82 So auch (mit dem Argument des Vergütungscharakters) W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1026.

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sellschaft handelnd – die Versicherung für sich abschließen, würde er unmittelbar einem Interessenkonflikt ausgesetzt sein. Denn vom Abschluss der D&O-Versicherung und damit von dem auf den Vertragsschluss gerichteten Handeln der Gesellschaft profitieren die Vorstandsmitglieder unmittelbar. Damit bestünde die Gefahr, dass die Police stärker auf die persönlichen Interessen der Vorstandsmitglieder zugeschnitten ist als auf die Situation der Gesellschaft. Aber auch für den Abschluss einer D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat kann der Vorstand nicht zuständig sein. Würde er (nur) die D&OVersicherung für den Aufsichtsrat abschließen, würde dies bedeuten, er schlösse die Police für die Mitglieder des ihn überwachenden Organs ab.83 In diesem Fall besteht für ihn der Anreiz, deren Interessen mehr Beachtung schenken, als in der jeweiligen Situation sachgerecht wäre, und eine für die Aufsichtsratsmitglieder möglichst günstige Police abzuschließen, die deren Interessen stärker berücksichtigt als die der Gesellschaft. Denn so kann er sich die Aufsichtsratsmitglieder gewogen machen und ihre „Beißhemmung“ erhöhen. Dass der Gesetzgeber auch solche mittelbaren Interessenkonflikte vermieden sehen möchte, zeigt § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG, wonach Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens nicht Mitglied des Aufsichtsrats sein können. Da es nur auf den möglichen bzw. abstrakten Interessenkonflikt ankommt und nicht auf einen tatsächlichen Interessenkonflikt im konkreten Fall, ist es unerheblich, ob der Vorstand einen gewichtigen Selbstbehalt aushandelt, der erheblich über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht, und daher davon ausgegangen werden kann, dass der mögliche Interessenkonflikt in diesem konkreten Fall keine Auswirkungen hatte. 4. Zweite Folgerung: Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat Aus den gleichen Gründen liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Versicherung des Aufsichtsrats (in analoger Anwendung von § 112 AktG) bei der Hauptversammlung.84 Hierbei ist allerdings zu berücksichti83 Vgl. dazu auch W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 86. 84 W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1026 (aufgrund des Vergütungscharakters); Ulmer, ZHR 171 (2007), 119, 122; a.A. bzgl. des Hauptversammlungsbeschlusses GroßkommAktG/ Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 454; Hüffer/Koch/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 58a; Spindler/Stilz/Spindler, AktG, 4. Aufl. 2019, § 112 Rdnr. 21 (nicht erforderlich), dagegen differenzierend in § 116 Rdnr. 160; W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 84, 89. Melot de Beauregard/Gleich, NJW 2013, 824, 829 wollen zumindest die Entscheidung über die Höhe des Selbstbehalts

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gen, dass die Hauptversammlung aufgrund der Komplexität der Materie schnell überfordert sein wird.85 Damit stößt das Instrument der Zuständigkeitsverlagerung an seine Grenzen. Im schlimmsten Fall könnte es dazu kommen, dass die Hauptversammlung gar nicht in der Lage ist, überhaupt über eine D&O-Versicherung zu befinden. Vor diesem Hintergrund muss eine Abwägung der Vor- und Nachteile bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Gefahr eines Interessenkonflikts beim Aufsichtsrat dazu führen, dass das Instrument der Zuständigkeitsverlagerung an die Gesellschaftswirklichkeit angepasst werden muss. Dementsprechend ist zwischen der grundsätzlichen Absegnung und der Ausarbeitung und Verhandlung der Details der Versicherung zu unterscheiden. Letzteres, also der eigentliche Vertragsabschluss, kann nicht durch die Hauptversammlung erfolgen. Für eine dogmatische Herleitung fehlt es hier schon an einer § 112 AktG vergleichbaren Regelung für das Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Hauptversammlung. Die grundsätzliche Entscheidung über die Versicherung kann – und muss – jedoch durchaus die Hauptversammlung zu erfolgen. Dafür ist sie großzügig zu informieren und muss sie dann die Parameter und Eckpunkte absegnen.86 Da der Vertrag nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam wird, ist § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG zu beachten, wonach der wesentliche Inhalt des Vertrages bekanntzumachen ist. Insbesondere muss die Bekanntmachung die Aktionäre in die Lage versetzen, die den Vertrag kennzeichnenden und kritischen Aspekte zu erkennen.87 Die Detailarbeit für die D&O-Versicherung des Aufsichtsrats ist dann aber entweder vom Aufsichtsrat vorzunehmen oder dem Vorstand zu überlassen. Für die Vornahme durch den Vorstand spricht neben seiner Geschäftsführungsbefugnis, dass bei persönlicher Involvierung von – eigentlich handlungsbefugten – Organmitgliedern das Aktiengesetz eine Zuständigkeitsverlagerung vornimmt. Dieser Gesichtspunkt würde für eine Rückverlagerung der Zuständigkeit auf den Vorstand sprechen. Für die Befassung des Aufsichtsrats spricht, dass dadurch der Vertragsabschluss erheblich erleichtert wird, weil der Versicherer immer denselben Ansprechpartner hat und einheitliche Versicherungsbedingungen zu günstigeren Konditionen ausgehandelt werden können. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn – wie regelmäßig – die D&O-Versicherung als Paket für die für Vorstandsmitglieder auf den Aufsichtsrat übertragen (als Annexkompetenz nach §§ 111 Abs. 1, 112 AktG). 85 GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdnr. 454. 86 W. Doralt, in v. Schenck, Arbeitsbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2014, § 15 Rdnr. 84. Dazu gehören etwa die Kosten der Versicherung, die versicherte Schadenssumme und die Höhe der Selbstbehalte. 87 MünchKommAktG/Kubis, 4. Aufl. 2018, § 124 Rdnr. 24; Fleischer, AG 2015, 133, 136 (bzgl. Vergleich).

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gesamte Gesellschaft vereinbart wird. Andererseits müssen aber auch unter Umständen unterschiedliche Selbstbehalte vereinbart werden, sodass ohnehin nicht von einheitlichen Bedingungen ausgegangen werden kann. Hier ist im Sinne des mittlerweile immer bedeutender werdenden Two-TowersModells zu überlegen, ob nicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten und möglichem gegenseitigem „back-scratching“ für jedes zu versichernde Organ bzw. dessen Mitglieder eine eigenständige D&O-Versicherung bei unterschiedlichen Versicherungsgesellschaften abgeschlossen werden sollte.88 5. Praktikabilitätserwägung: Einschaltung des Abschlussprüfers Aufgrund dieser besonderen Situation bei der D&O-Versicherung des Aufsichtsrats, die zu einer höheren Gefahrengeneigtheit im Hinblick auf Interessenkonflikte führt als die Situation beim Vorstand, wo eine Zuständigkeitsverlagerung problemlos möglich ist, muss bei der D&O-Versicherung des Aufsichtsrats eine weitere Sicherung vorgesehen werden. Die Gefahr des Interessenkonflikts kann hier verringert werden, indem eine externe sachkundige Kontrollinstanz einbezogen wird.89 Als eine solche Kontrollinstanz, die das Unternehmen bereits kennt und daher mit geringem Mehraufwand eine Prüfung vornehmen könnte, bietet sich der Abschlussprüfer des Unternehmens an. Dieser ist sachkundig und verfügt zudem über eine spezifische Kenntnis des Unternehmens. Neben einer grundsätzlich möglichen formalen Prüfung wäre er daher in der Lage, zumindest eine grobe inhaltliche Abschätzung der Versicherungsbedingungen vorzunehmen, um die Gefahr von Interessenkonflikten zu minimieren. Insbesondere sollte er prüfen, ob das richtige Organ mit dem Versicherer verhandelt hat, ob gegebenenfalls die Hauptversammlung ausreichend informiert worden ist etc. Auch ein krasses Abweichen von einer gewöhnlichen Prämienbemessung könnte durch eine solche (grobe) Prüfung festgestellt werden. Dagegen wäre es zu weitgehend, vom Abschlussprüfer eine detaillierte Prüfung des Inhalts der Policen oder eine exakte Kontrolle der Prämienbestimmung zu verlangen.90

88 Siehe auch W. Doralt, ZGR 2019, 996, 1016 f. Ohnehin sind für die Organe Vorstand und Aufsichtsrat z.T. unterschiedliche Regelungen zu treffen, z.B. hinsichtlich des Selbstbehalts. 89 Dies gilt für alle Interessenkonflikte, die sich nicht durch eine interne Verlagerung der Zuständigkeit vollständig lösen lassen. 90 Zum Umgang mit Interessenkonflikten des Abschlussprüfers bei seiner Tätigkeit für die Gesellschaft Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 416 ff. m.w.N.

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VI. Zusammenfassung Die vorangegangenen Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die D&O-Versicherung wird verbreitet als existenzielle Voraussetzung für die Tätigkeit der Organmitglieder angesehen. Dieses Sicherheitsgefühl kann sich jedoch im Einzelfall als trügerisch erweisen, weil die Versicherung einerseits besondere Verfolgungsanreize setzt, andererseits aber vorangegangene Abwehrprozesse und Ausschlüsse in den Policen dazu führen können, dass die Versicherungssumme nicht ausreicht oder die Versicherungsgesellschaften den Schaden nicht oder nicht in vollem Umfang übernehmen. 2. Für den Abschluss der D&O-Versicherung ist nicht der Vorstand zuständig. Auf die Einstufung der D&O-Versicherung bzw. der Prämienzahlungen als Vergütung oder Aufwendung kommt es dabei nicht an. Vielmehr ist allgemeiner auf den (abstrakten) Interessenkonflikt der verhandelnden Organmitglieder abzustellen. Dieser besteht immer dann, wenn Organmitglieder für die Gesellschaft handeln und dabei unmittelbar und beabsichtigt eigene Vorteile daraus erzielen. Für solche Fälle lässt sich dem Aktiengesetz der Rechtsgedanke entnehmen, dass es zu einer Zuständigkeitsverlagerung kommen muss. Dies gilt insbesondere auch für den Abschluss einer D&OVersicherung. Ein anderer dogmatischer Weg kann beschritten werden, wenn dieser Interessenkonflikt direkt in § 112 AktG verortet wird, indem man das Wort „gegenüber“ in § 112 AktG in einem wirtschaftlichen Sinn versteht. 3. Die D&O-Versicherung für den Vorstand muss daher vom Aufsichtsrat abgeschlossen und die D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat zumindest von der Hauptversammlung nach umfänglicher Information abgesegnet werden. Im letzteren Fall sollte außerdem eine externe Kontrollinstanz die Police zumindest formal sowie auf krasse inhaltliche Benachteiligungen der Gesellschaft überprüfen. Dafür bietet sich der Abschlussprüfer an.

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Regulierungsstrategien von Gemeinwohlinteressen im Aktienrecht

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Regulierungsstrategien von Gemeinwohlinteressen im Aktienrecht Thilo Kuntz

Regulierungsstrategien zur Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen im Aktienrecht THILO KUNTZ

I. Einleitung Klaus Hopt ist einer der Väter der modernen Corporate GovernanceDiskussion in Deutschland, die er früh international-rechtsvergleichend und interdisziplinär ausgerichtet vorangetrieben hat. Bahnbrechende Beiträge wie die von ihm mit verfassten und herausgegebenen Bände zur Anatomy of Corporate Law1 sowie, früher schon, zu Comparative Corporate Governance2 legen hiervon Zeugnis ab.3 Mit seiner großen Kommentierung zu § 93 AktG4 hat er die Vorstandspflichten ebenso eindrucksvoll weiterentwickelt wie sie in vielen seiner Aufsätze im Fokus standen.5 Der Verfasser dieser Zeilen hofft deshalb, mit einem kleinen Beitrag zum Pflichtenkreis des Vorstands auf das Interesse des Jubilars zu stoßen. Spätestens seit der Finanzkrise steht die Debatte um die „richtige“ Ausrichtung der Vorstandspflichten wieder auf der Tagesordnung. Diskussionen über die Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen,6 die UN 1

2004 erstmals erschienen: Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, A Comparative and Functional Approach; aktuell 3. Aufl. 2017. 2 Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (eds.), Comparative Corporate Governance – The State of the Art and Emerging Research, 1998. 3 Aus neuerer Zeit zu nennen wäre etwa der gemeinsam mit seinem Schüler Andreas M. Fleckner herausgegebene Band Comparative Corporate Governance, A Functional and International Analysis, 2013. 4 Erstmalig: Hopt, in: GroßkommAktG, 4. Aufl., Lieferung 11, 1999; aktuell gemeinsam mit seinem Schüler Markus Roth: Hopt/Roth, in: GroßkommAktG, Band 4/2, 5. Aufl. 2015. 5 Aus den letzten Jahren z.B. „Die Reform der Organhaftung nach § 93 AktG – Bemerkungen zu den Beschlüssen des 70. Deutschen Juristentages 2014“, in: Festschrift für Wulf-Henning Roth, 2015, S. 225, sowie „Die Treuepflicht des Vorstands der Aktiengesellschaft“, in: Gedächtnisschrift für Leonidas Georgakopoulos, Athen (Bank von Griechenland) 2016, Bd. I, S. 293 (gemeinsam mit seinem Schüler Markus Roth). 6 Aus neuerer Zeit befürwortend etwa Humbert, ZGR 2018, 295; Payandeh, in: FS K.Schmidt zum 80. Geburtstag, Band II, 2019, S. 131; außerdem aus der inzwischen kaum noch zu überblickenden Diskussion Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387.

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Guiding Principles on Business and Human Rights,7 die OECD Principles of Corporate Governance8 und der UN-Report zur Fiduciary Duty for the 21st Century9 tragen dazu bei, Shareholder Value als Konzept zu hinterfragen.10 Der erste Bericht der British Academy zum Projekt zur Future of the Corporation fordert stärkere gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ein.11 In Frankreich verpflichtet Art. 1833 Abs. 2 des Code Civil seit Inkrafttreten der loi PACTE die Geschäftsleitung, die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Gesellschaft und Umwelt zu berücksichtigen.12 Für ein Rauschen im Blätterwald v.a. in den USA sorgte die Forderung und das Bekenntnis der Unterzeichner einer Erklärung der Business Roundtable, auch die Interessen anderer Gruppen als diejenigen der Anteilseigner zu beachten.13 Was auch immer von diesen Initiativen zu halten ist und welche Überzeugungskraft der Einzelne unter den Überschriften Stakeholder Value, ESG14 und CSR15 diskutierten Konzepten zuschreiben mag,16 so lässt sich doch eines nicht bestreiten: Sie gewinnen über den politischen Raum hinaus international zunehmend materiell-rechtliches Gewicht. Die Ansätze unterscheiden sich allerdings teilweise stark. Ein breiterer regulierungstheoretischer Rahmen fehlt bislang. Daran knüpft dieser Beitrag an. Er behandelt nicht das bereits reichlich diskutierte „Ob“ einer Berücksichtigung von Stakeholderinteressen. Insoweit sind vermutlich alle Argumente ausgetauscht. Vielmehr widmen sich die folgenden Überlegungen im Ausgangspunkt der Frage, welche Regulierungsstrategien zur Berücksichtigung von Stakeholderinteressen in Betracht kommen, wenn man sich dafür entscheidet, sie rechtlich zu verankern. Um die Analyse nicht in den Wol7

https://www.unglobalcompact.org/library/2. OECD (2015), G20/OECD Principles of Corporate Governance, OECD Publishing, Paris. http://dx.doi.org/10.1787/9789264236882-en, abrufbar unter https://www.oecd.org/ corporate/principles-corporate-governance.htm. 9 https://www.fiduciaryduty21.org/. 10 Außerdem bieten diese und andere Regelwerke einen Ansatz, ein transnationales Recht fiduziarischer Pflichten zu etablieren, s. Kuntz, 5 UC Irvine J. Int’l, Transnt’l, and Comp. L. 47 (2020), Vorversion abrufbar unter www.ssrn.com. 11 Reforming business for the 21st century: a framework for the future of the corporation, https://www.thebritishacademy.ac.uk/programmes/future-of-the-corporation. 12 Näher unten II.1. 13 https://www.businessroundtable.org/business-roundtable-redefines-the-purpose-ofa-corporation-to-promote-an-economy-that-serves-all-americans. Freilich enthielt das Bekenntnis bei näherer Betrachtung weniger revolutionären Inhalt, als in der Presse kolportiert wurde, s. etwa Enriques, The Business Roundtable CEOs’ Statement: Same Old, Same Old, https://www.law.ox.ac.uk/business-law-blog/blog/2019/09/business-roundtab le-ceos-statement-same-old-same-old. 14 Environmental, Social and Governance. 15 Corporate Social Responsibility. 16 Rechtsvergleichender Überblick mit Schwerpunkt auf Geschäftsleiterpflichten bei Fleischer, AG 2017, 509; monographisch und breiter ausgreifend Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017. 8

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ken der reinen Theorie durchzuführen, stützt sich der Beitrag auf in der nationalen und internationalen Praxis vorhandene Ansätze, seien es Beispiele aus der Gesetzgebung oder von Wirtschaftsteilnehmern freiwillig getroffene Arrangements. Der anschließende Abschnitt II. widmet sich zwei privatrechtlichen Regulierungsansätzen, konkret der Erweiterung der Geschäftsleiterpflichten auf der einen und der Ermächtigung von Stakeholdern auf der anderen Seite. Im Abschnitt III. rückt die Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Durchsetzung von Stakeholderinteressen in den Blick. Am Ende steht in Abschnitt IV. ein kurzes Fazit.

II. Privatrechtliche Regulierungsansätze: Von der Geschäftsleiterpflicht zur Ermächtigung der Stakeholder Wer sich einer privatrechtlichen Regulierungsstrategie bedienen möchte, kann auf zwei Ansätze zurückgreifen. Seit langem bekannt ist die Lösung, die Geschäftsleitung zu verpflichten, bei ihren Entscheidungen die Interessen von Stakeholdern zu berücksichtigen, nicht allein diejenigen der Anteilseigner. Die nicht mehr taufrische Debatte17 hat jüngst wieder erheblichen Schwung erhalten. Zwar haben sich Vorschläge, aus den CSRBerichtspflichten gemäß den §§ 289b ff. HGB implizit allgemein verhaltensbezogene Vorstandspflichten abzuleiten,18 in Deutschland bislang nicht durchgesetzt.19 Doch geht die Diskussion in anderen Kontexten weiter und nimmt an Intensität zu. Neben den eingangs genannten Kontroversen um die Haftung für Menschenrechtsverletzungen und den Regulierungsansätzen internationaler Organisationen liefert das französische Recht neuerdings Impulse (dazu 1.). Statt an der Pflicht der Geschäftsleiter anzuknüpfen, kommt in Betracht, die Stakeholder selbst zu ermächtigen. Im deutschen Recht verfolgen die Regeln zur Arbeitnehmermitbestimmung dieses Ziel. Das ist hinlänglich bekannt und nicht nochmals zu untersuchen. Neuer und deshalb diskussionswürdig sind dagegen zwei andere Möglichkeiten: Stakeholder Boards und die Gewährung subjektiver Rechte für Stakeholder (unten 2.).

17 Überblick über verschiedene Ansätze bei Fleischer, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, 185, 190 ff. 18 So v.a. Hommelhoff, NZG 2017, 1361, 1362. 19 S. nur Bachmann, ZGR 2018, 231, 235 f.; Fleischer, AG 2017, 509, 522; Schön, ZHR 189 (2016), 279, 285 ff.

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1. Geschäftsleiterpflichten als Regulierungsobjekt am Beispiel der loi PACTE Die französische loi PACTE vom 22.5.201920 veränderte die Geschäftsleiterpflichten im Sinne eines Stakeholder-orientierten Ansatzes. Gemäß dem nunmehr geltenden Art. 1833 Abs. 2 des Code Civil ist die Gesellschaft in ihrem intérêt social (d.h. demjenigen der Gesellschaft) zu führen, unter Berücksichtigung der sozialen Auswirkungen ihrer Aktivität und der Konsequenzen für die Umwelt.21 Diese Regelung beruht, liest man den die Gesetzgebungsarbeiten vorbereitenden rapport Notat/Senard,22 auf einem pragmatisch begründeten Zugeständnis an die im Übrigen eher als „unfranzösisch“ betrachtete Stakeholder-Theorie US-amerikanischer Prägung (la théorie des parties prenantes).23 Bereits im Vorfeld brachten Kritiker dieser Regulierungsstrategie auf den Punkt, was vor allem in den USA seit langem als too many masters-Problem bekannt ist: Letztlich erheben Regelungen wie Art. 1833 Abs. 2 Code Civil die Geschäftsleitung in die Position eines Schiedsrichters, die es ihr erlaubt, komfortabel geschützt durch eine starke Informationsasymmetrie, jede ihrer 20 Loi n° 2019-486 du 22 mai 2019 relative à la croissance et la transformation des entreprises, JORF n°0119 du 23 mai 2019, abrufbar in der konsolidierten Fassung mit den letzten in Kraft getretenen Regeln (zum 1.1.2020) unter https://www.legifrance.gouv.fr/ affichTexte.do;jsessionid=69D73FCBDCCA7AD8AF14297BBA5582D2.tplgfr30s_3?cid Texte=LEGITEXT000038497477&dateTexte=20200101. 21 “La société est gérée dans son intérêt social, en prenant en considération les enjeux sociaux et environnementaux de son activité.“ Im Überblick hierzu und zum Problem, was unter „intérêt social“ zu verstehen ist, Conac, FS K.Schmidt (Fn. 6), Band I, S. 213, 216 f. 22 Nicole Notat/Jean-Dominique Senard, L’entreprise, objet d’intérêt collectif, Rapport aux Ministres de la Transition écologique et solidaire, de la Justice, de l’Économie et des Finances du Travail, 9. Mai 2018, abrufbar unter https://www.economie.gouv.fr/missionentreprise-et-interet-general-rapport-jean-dominique-senard-nicole-notat. Zu früheren, noch deutlich weiter gehenden Vorschlägen in Frankreich Schmidt, Recueil Dalloz 2017, 2380, 2382 ff. 23 Der US-Stakeholder-Ansatz steht nach Meinung von Notat/Senard im Widerspruch zur französischen Sichtweise, die sich dadurch auszeichne, über Partikularinteressen hinauszugehen, indem der citoyen Abstand zu seinen eigenen Interessen nehme und wegen der dem Einzelnen übergeordneten Position des Gesetzgebers, rapport Notat/Senard (Fn. 22), S. 39, 51; s. auch den Verweis auf den 1995 veröffentlichten rapport Viénot auf S. 43. Weniger dramatisch indes Trébulle, Bull. Joly Société 2006, 1337 und ders., Bull. Joly Société 2007, 1. Der Bericht unterscheidet, für die Arbeitnehmermitbestimmung wichtig, im Übrigen zwischen den parties prenantes (Stakeholder allgemein) und den parties constituantes, die sich aus den Gesellschaftern (associés) und Arbeitnehmern (salariés) zusammensetzen, s. den Bericht aaO. Dass dies nicht so recht zum Vorschlag passt, der in Art. 1833 Code Civil umgesetzt wurde, sehen Notat/Senard durchaus. Insoweit verweisen sie allgemein auf die Bekämpfung des „court-termisme“ und darauf, die Tür für eine „plus grande responsabilité environnementale“ öffnen zu wollen. Darüber hinaus expliziere die Änderung nur „un certain nombre de pratiques existantes, et à faire entrer la RSE […] dans le gouvernement d’entreprise.“ – rapport Notat/Senard aaO., S. 45.

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Entscheidungen mittels Verweises auf das Gemeininteresse und die Bedürfnisse dieser oder jener Gruppe zu rechtfertigen.24 Dass die Literatur diese Gefahr nicht nur imaginiert, lässt sich anhand der Entwicklungen von constituency statutes in den USA belegen: Im Zuge der Welle feindlicher Übernahmen in den 1980er Jahren suchten Mitglieder von Boards of Directors nach Möglichkeiten, die Übernahme zu erschweren, um ihre damit regelmäßig verbundene Abberufung zu vermeiden.25 Auf ihre Initiative hin enthielten zunächst häufig Satzungen (corporate charters) und by-laws Klauseln, die es dem Management erlaubten, im Fall einer Übernahme auch die Interessen von Arbeitnehmern, Kunden und anderen Stakeholdern zu berücksichtigen.26 Bundesstaatliche Gesetzgeber übernahmen solche Vorbilder oder schufen ähnliche Regeln.27 Spektakulär ist etwa das Beispiel Minnesotas, in dem in einer nächtlichen Sondersitzung ein constituency statute in Kraft gesetzt wurde, das dazu diente, dem Management zu helfen, eine drohende Übernahme von Dayton Hudson abzuwehren, einem in Minnesota ansässigen Einzelhändler mit 34.000 in diesem Bundesstaat ansässigen Beschäftigten.28 Die fast schon ironisch anmutende Pointe, Stakeholderinteressen auf diese Weise zu berücksichtigen, liegt darin, dass sie dem Management ermöglicht, sich zu enthaften und vor Amtsenthebung zu schützen.29 Nota bene: Das ist kein Beleg, dass der hier kritisierte pflichtbezogene Ansatz nicht dazu führt, dass die Geschäftsleiter den Drittparteien keine Beachtung schenken. Wer mit in der Beratungspraxis tätigen Personen spricht, erfährt schnell, dass deutsche Vorstände sich stark mit diesem Thema befassen, nicht erst seit der Einführung der §§ 289b ff. HGB.30 Das mag auch nicht nur die Koloratur 24 Treffend Schmidt, Recueil Dalloz 2017, 2380, 2383: „Cette position clé du dirigeant, confortée par une forte asymétrie de l’information, lui confère un pouvoir qui lui permet de justifier ses actions par l’invocation d’un intérêt général dont il serait, en fait, le seul gardien et dépositaire.“ 25 Überblick etwa bei Committee on Corporate Laws, American Bar Association, 45 Bus. Law. 2253 (1990). 26 S. etwa das Klauselbeispiel bei Springer, 1999 Ann. Surv. Am. L. 85, 94. 27 Näher zu diesen Hintergründen, insbesondere ab dem 1986 gefällten Revlon-Urteil des Delaware Supreme Court, Bainbridge, 19 Pepp. L. Rev. 971, 993 ff. (1992); Springer, 1999 Ann. Surv. Am. L. 85, 92 ff. 28 Los Angeles Times, Minnesota Passes Law to Help Thwart Takeover of Dayton Hudson, June 26, 1987, abrufbar unter https://www.latimes.com/archives/la-xpm-198706-26-fi-6717-story.html. 29 Deutlich etwa Jensen, Journal of Applied Corp. Finance 14 (2001), 8, 14: „[S]takeholder theory effectively leaves managers and directors unaccountable […]. [It] plays into the hands of managers by allowing them to pursue their own interests at the expense of the firm’s financial claimants and society at large.“; s. außerdem Easterbrook/Fischel, Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 38; Macey, 21 Stetson L. Rev. 23, 31 ff. (1991); aus deutscher Sicht aufgegriffen etwa von Fleischer, AG 2001, 171, 177. 30 Vgl. etwa den von Seibt beschriebenen „Trend 3“, Fünf neue Großtrends bei Firmenkäufen, Manager-Magazin vom 22.11.2019, abrufbar unter https://www.manager-

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sein, um mit Blick auf § 93 Abs. 1 S. 1 AktG nachweisen zu können, sich informiert und eine abgewogene Entscheidung getroffen zu haben. Doch bleibt es dabei, dass in Fällen, die aus Sicht mindestens einer der betroffenen Interessengruppen, seien es die Anteilseigner oder ein Stakeholder, unvertretbar erscheint, jederzeit das Hohelied der informierten Entscheidung erklingt, bei der im Rahmen der notwendigen Abwägung eben ein anderes gesetzlich geschütztes Interesse wichtiger erschien. Pflichtenbezogene Ansätze helfen damit im Ergebnis kaum weiter, jedenfalls nicht für sich genommen.31 2. Ermächtigung als Regulierungsstrategie Wer es für sinnvoll hält, dass die Geschäftsleiter für ihre Entscheidungen auch andere Interessen als die der Anteilseigner in den Blick nehmen, muss angesichts der Schwächen des pflichtbezogenen Ansatzes eine andere Regulierungsstrategie wählen. Das Problem liegt darin, wie sich in Anspielung an einen berühmten Aufsatz formulieren lässt, dass Bäume traditionell keine Klagebefugnis haben.32 Stehen den Stakeholdern keine Mittel zu, ihre Rechte durchzusetzen, bleibt es bei der Rolle der Geschäftsleiter als Schiedsrichter. Wenn dies so ist, muss die Perspektive von der Pflicht zum Schutzobjekt wechseln. Die Regulierungsstrategie zielt dann darauf ab, den geschützten Interessenträgern (im weitesten Sinne) Instrumente zur Verfügung zu stellen, sich Gehör zu verschaffen. Das lässt sich auf verschiedene Weisen bewerkstelligen. Zunächst kommt in Betracht, an der internen Corporate Governance anzusetzen und Stakeholder Advisory Boards einzurichten, die einige Mitbestimmungsmöglichkeiten und Konsultationsrechte vorsehen (dazu a]). Darüber hinaus ist es denkbar, externe Kontrollinstrumente anzubieten, vor allem über die Erweiterung des deliktsrechtlichen Schutzes (b]). So haben, um das weiter oben zitierte Beispiel fortzuführen, in einigen Regionen der Welt inzwischen auch Bäume Klagebefugnis. a) Stakeholder Advisory Boards und comités de parties prenantes Als erstes ließe sich daran denken, nach dem Modell der deutschen unternehmerischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat die Zahl der repräsentierten Gruppen zu erweitern. So vertreten etwa im VW-Aufsichtsrat Repräsentanten des Bundeslandes Niedersachsen die öffentlichen Interessen.33 Da es inmagazin.de/unternehmen/artikel/m-a-trends-bei-fusionen-und-uebernahmen-a-12973414.html. 31 Dazu, dass der deutsche Aufsichtsrat angesichts seiner Zusammensetzung ein wenig taugliches Gegenmittel darstellt, unten III.2.b)dd). 32 Vgl. Stone, Should Trees Have Standing?, 45 S. Cal. L. Rev. 450 (1972). 33 Freilich vertritt das Bundesland Niedersachsen ebenso wie typischerweise die in Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen sitzenden Repräsentanten politischer Parteien oder Gebietskörperschaften zunächst die Anteilseignerinteressen des Bundeslandes oder

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soweit allerdings, soweit ersichtlich, keine praktisch relevanten Modelle gibt und die Diskussion selbst sehr eifriger Verfechter von ESG-Standards vor allem international nicht so weit geht, Stakeholdern in einem Board mit den deutschen Mitbestimmungsregeln vergleichbare Befugnisse zu verschaffen, bleiben diese Varianten hier außer Betracht. Seit einigen Jahren gelebte Praxis und deshalb einen Blick wert sind dagegen Stakeholder Advisory Boards und comités de parties prenantes. So verwies der rapport Notat/Senard in der französischen Diskussion im Vorfeld der loi PACTE34 auf das Vorbild solcher Gremien und empfahl, Anreize dafür zu setzen, derartige Komitees einzurichten.35 Diese erlaubten den Geschäftsleitern, ihre Entscheidungen mit Abstand betrachten zu können und zusätzliche Ansichten über die raison d’être des Unternehmens einzuholen. Zudem stelle dies einen externen Antrieb für die Berücksichtigung von ESG-Gesichtspunkten bereit und gestatte gelegentlich de trouver des solutions à des situations difficiles.36 Dazu befragte Geschäftsleiter hätten von positiven Erfahrungen mit bereits existierenden Gremien dieser Art berichtet.37 Ein Beispiel hierfür ist das entsprechende Komitee der AXA Versicherung:38 Es besteht aus dem directeur général als Vorsitzendem, zwei Mitgliedern des conseil d’administration sowie sieben Repräsentanten der société civile. Nach eigenen Angaben dient es dazu, eine kohärente Strategie im Hinblick auf die Herausforderungen der Welt zu entwickeln, in der sich das Unternehmen bewegt. Außerdem erlaube es, de maximiser son impact positif sur ses clients et les communautés dans lesquelles le groupe est présent. Auf deutscher Seite hat etwa die BASF AG einen Stakeholder Advisory Council mit ähnlichen Funktionen eingerichtet.39 Es ist zweifelhaft, ob solche Gremien das oben skizzierte Defizit beheben. Sie zwingen die Geschäftsleiter allenfalls dazu, ihre Entscheidungen gegenüber den Komitee-Mitgliedern zu erklären. Indes ändert es nichts an der der Gebietskörperschaft. Doch gibt es Bindungen der Anteilseigner an Zwecke des Gemeinwohles, die bei der Ausübung des Aufsichtsratsmandates eine Rolle spielen, vgl. etwa für Niedersachsen den Vertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und über die Errichtung einer „Stiftung Volkswagenwerk“ (Anlage zum Gesetz über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung) und die Verwendungsvorgaben in § 3. 34 Oben Fn. 20. 35 Rapport Notat/Senard (Fn. 22), S. 51 f. Zu solchen comités auch Mercier, Bull. Joly Sociétés 2019, 44, 47. 36 Alles rapport Notat/Senard (Fn. 22), S. 51. 37 Rapport Notat/Senard aaO. 38 Folgende Angaben nach denen der AXA Versicherung, abrufbar unter https://www. axa.com/fr/page/comite-consultatif-parties-prenantes. 39 https://www.basf.com/global/de/who-we-are/sustainability/management-goals-and -dialog/stakeholder-dialog/stakeholder-advisory-council.html.

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Schiedsrichterfunktion der Geschäftsleiter oder daran, dass im Konfliktfall einem beratenden Board oder comité keine Möglichkeiten zur Verfügung stehen, effektiv in den Entscheidungsprozess einzugreifen, wie dies etwa Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in gewissen Grenzen können, oder im Anschluss Sanktionen vor Gericht durchzusetzen. Eine Lösung für das Enthaftungsproblem bietet dieser Ansatz also für sich genommen nicht. Darüber hinaus bleibt im deutschen Aktienrecht § 93 Abs. 4 S. 1 AktG zu berücksichtigen. Dem Vorstand steht offen, die Angelegenheit der Hauptversammlung vorzulegen und einen enthaftenden Beschluss herbeizuführen.40 b) Einräumung durchsetzbarer Rechte am Beispiel der „environmental personhood“ Scheitert die Durchsetzung von Interessen daran, dass die betroffenen Stakeholder keine Möglichkeiten zur rechtlichen Effektuierung haben, besteht ein Ausweg darin, sie mit subjektiven Rechten auszustatten. So kursieren verschiedene Vorschläge, deliktsrechtlichen Schutz zu gewähren, wenn „Konzerne“ Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben.41 Letztlich bleibt dieses Konzept jedoch herkömmlichen Mustern verhaftet. Klagebefugt sind natürliche Personen, die als solche rechtsfähig sind. Das Problem liegt hier vor allem darin, deutsches Deliktsrecht anzuwenden. Wer dies bejaht, bewegt sich danach prinzipiell in bekannten Bahnen. Der Ansatz ist zudem auf bestehende Rechtsträger beschränkt. Viele Stakeholder, insbesondere „die Umwelt“, bleiben auf seiner Grundlage weiterhin außen vor. Interessanter ist eine andere Entwicklung, die möglicherweise mit (noch) mehr Sprengkraft einhergeht, im gesellschaftsrechtlichen Diskurs jedoch bislang noch keine Berücksichtigung findet. Anders als Anfang der 1970er Jahre, als Christopher Stone seinen berühmten Aufsatz veröffentlichte, auf den der Text bereits oben anspielte,42 und anders als noch 1988, als das Verwaltungsgericht Hamburg Seehunden die verwaltungsverfahrensrechtliche Beteiligtenfähigkeit absprach,43 lässt sich dies nicht mehr als lachhafte Vision abtun, die bei einem Arzt besser als in der wissenschaftlichen Diskussion aufgehoben sei. Unterabschnitt aa) skizziert die Grundlagen, anschließend geht es um die Regulierungsdefizite aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive (bb]). 40 Einwenden ließe sich, dieser müsse rechtmäßig sein, was er nicht sei, wenn die Hauptversammlung die Interessen der Stakeholder außer Acht lasse. Aber dann bedarf es zunächst einer Anfechtung des Beschlusses (einmal unterstellt, dass kein Nichtigkeitsgrund vorliegt) – anfechtungsberechtigt sind die Stakeholder nicht, s. § 245 AktG. 41 Etwa Payandeh, FS K.Schmidt (Fn. 6), S. 131, 139 ff. Weitere Nachw. zur Diskussion oben in Fn. 6. 42 Oben bei Fn. 32. 43 VG Hamburg, NVwZ 1988, 1058; s. dazu das Heft 4 der ZUR 2018, das sich „30 Jahren Robbenklage“ widmet.

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aa) Grundlagen Jedenfalls in einigen Regionen der Welt sind heute Bäume und generell „die Natur“ partei- und prozessfähig. Unter den Überschriften „Natur als Rechtsperson“ sowie „environmental personhood“ verhandeln dem Umweltrecht zugetane Personen die Tendenz vor allem in Ländern mit Common Law-Tradition, Flüssen, Naturparks oder ganzen natürlichen Gemeinschaften und Ökosystemen einen besonderen rechtlichen Status zu verleihen.44 Einige Beispiele: Bereits 2006 schuf eine Gemeinde im US-Bundesstaat Pennsylvania die heute noch gültige Sewage Sludge Ordinance, welche die illegale Entsorgung von Klärschlamm betrifft.45 Der für diesen Beitrag maßgebliche Aspekt dieser Verordnung liegt darin, dass sie den Bewohnern der Gemeinde ein „fundamental and inalienable right to a healthy environment“ einräumt46 und ihnen die Möglichkeit gewährt, individuell auf Einhaltung dieses Rechts zu klagen.47 Die Regelung gilt als Keimzelle verschiedener neuerer Gemeindesatzungen insbesondere in Regionen, in denen Unternehmen Fracking betreiben.48 Im Unterschied zur eben beschriebenen Ordinance stellen diese allerdings nicht die Rechte der Bewohner heraus, sondern betonen, „[n]atural communities and ecosystems“ besäßen „inalienable and fundamental rights to exist and flourish“.49 Die Bürger erhalten jeweils die Befugnis, zugunsten dieser Gemeinschaften und Ökosysteme Klage zu erheben.50 In Neuseeland 44 Z.B. Fischer-Lescano, ZUR 2018, 205; Gordon, 43 Col. J. Environ. L. 49 (2018); Magallanes, in: Martin/Te Aho/Humphries-Kil (eds.), ResponsAbility: Law and Governance for Living Well with the Earth, 2019, S. 216 ff.; O’Donnell/Talbot-Jones, Ecology & Society 23 (2018), 7. 45 Tamaqua Borough Legislation, Chapter 206, Art. § 260-55 ff., Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance, abrufbar unter https://www.ecode360.com/30168508?high light=ordinance,sewage%20sludge%20ordinance&searchId= 12686515219985595. 46 Ordinance (Fn. 45), § 260-61 G.: „All residents of Tamaqua Borough possess a fundamental and inalienable right to a healthy environment, which includes the right to unpolluted air, water, soils, flora, and fauna. All residents of the Borough possess a fundamental and inalienable right to the integrity of their bodies, and thus have a right to be free from unwanted invasions of their bodies by pollutants.“ 47 S. Ordinance (Fn. 45), § 260-65 G., § 260-66 B. 48 Überblick bei Magallanes, in: Martin/Te Aho/Humphries-Kil (Fn. 44), S. 216. 49 Z.B. die home rule charter im Code of Ordinances der Stadt Pittsburgh, Pennsylvania, § 104. The City of Pittsburgh Bill of Rights. b.: „Rights of Natural Communities. Natural communities and ecosystems, including, but not limited to, wetlands, streams, rivers, aquifers, and other water systems, possess inalienable and fundamental rights to exist and flourish within the City of Pittsburgh. Residents of the City shall possess legal standing to enforce those rights on behalf of those natural communities and ecosystems.“, abrufbar unter https://library.municode.com/pa/pittsburgh/codes/code_of_ordinances?no deId=HORUCHPIPE_PR. Weitere Bsp. bei Magallanes, in: Martin/Te Aho/HumphriesKil (Fn. 44). 50 S. Satz 2 von § 104b. der home rule charter Pittsburghs, Fn. 49.

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erhielt der Whanganui-Fluss 2017 Rechtspersönlichkeit, schon 2014 Te Urewera, bis dahin ein Nationalpark.51 Ein indischer High Court verlieh den Flüssen Ganges und Yamuna den Status juristischer Personen.52 Die Rechte und Pflichten dieser „Natur-Rechtspersonen“ nehmen eigens dafür ernannte Wächter wahr.53 Ecuador und Bolivien haben ähnliche Regelungen sogar auf Verfassungsebene eingeführt.54 Weitere Beispiele ähnlicher schon getroffener und angekündigter Maßnahmen ließen sich aufzählen.55 Über das deutsche Umweltrecht gehen solche Vorgaben deutlich hinaus. Das Grundgesetz enthält in Art. 20a lediglich eine Staatszielbestimmung, Private können aus ihr keine Klagebefugnis gegen Kapitalgesellschaften ableiten.56 Zwar vertritt im Umweltstrafrecht die Staatsanwaltschaft in gewisser Weise die Interessen der Umwelt. Doch beschränkt schon das Gesetzlichkeits- und Bestimmtheitsgebot den Bereich der Möglichkeiten, außerhalb des Anwendungsbereiches gesetzlicher Einzeltatbestände gegen einen Vorstand vorzugehen. Weder die Staatsanwaltschaft noch die allgemeine Verwaltung vermag wegen allgemeiner Erwägungen zum Umweltschutz tätig zu werden. Es bedarf vielmehr immer einer bestimmt gefassten Ermächtigungsgrundlage.57 Die hier angesprochenen ausländischen Regelungen verlassen dagegen den Weg einer bloßen Schutzpflicht und ermächtigen in einer dem deutschen Recht fremden Weise zur Rechtswahrnehmung. Auf die gesellschaftsrechtliche Problematik bezogen bedeutet dies, dass die Geschäftsleitung ihre Stellung als alleiniger Schiedsrichter58 verliert. In diese Position rücken nun 51 Dazu etwa Collins/Esterling, 20 Melb. J. Int’l L. 1 (2019); Hutchison, 39 Alt. L. J. 179 (2014), insbesondere auch zu den religiös-kulturellen Hintergründen. S. außerdem Magallanes, in: Martin/Te Aho/Humphries-Kil (Fn. 44). 52 Mohammed Salim v State of Uttarakhand (March 20, 2017), Writ Petition (PIL) No. 126 of 2014, High Court of Uttarakhand, abrufbar unter http://lobis.nic.in/ddir/uhc/RS/ orders/22-03-2017/RS20032017WPPIL1262014.pdf. Ob die nächste Instanz die Entscheidung mitträgt, wird sich noch zeigen. Der Supreme Court hat jedenfalls den Vollzug einstweilen ausgesetzt, s. dazu die Hinweise bei Magallanes, in: Martin/Te Aho/Humphries-Kil (Fn. 44) in Fn. 90 und den Text zu dieser und den folgenden Fußnoten. Nach den Recherchen des Autors dieses Beitrages hat der Supreme Court noch nicht abschließend entschieden. 53 Im Fall des Whanganui-Flusses sind dies zwei Personen, eine ernannt von der Krone, der andere vom Stamm der Whanganui. In Indien ernannte der High Court die Provinz Uttarakhand zu einer Art Vormund (zur juristischen Konstruktion O’Donnell/TalbotJones, Ecology & Society 23 [2018], 7, 10). 54 Hierzu etwa Gordon, 43 Col. J. Environmental L. 49, 53 (2018); Lalander, Critical Sociology 42 (2016), 623 (Ecuador). 55 S. die Darstellung der Lobbyvereinigung „Community Environmental Legal Defense Fund“ im zeitlichen Ablauf, abrufbar unter https://celdf.org/advancing-communityrights/rights-of-nature/rights-nature-timeline/. 56 S. konkret zur Bedeutung von Art. 20a GG Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 4 Rn. 4 ff. 57 Näher Schlacke (Fn. 56), § 4 Rn. 36 ff. 58 Oben Text bei Fn. 24.

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auch diejenigen ein, die als Wächter die Rechte der environmental persons wahrnehmen. Dabei verengt sich ihre Rolle darauf, für die Interessen nur des Stakeholders einzutreten, hinsichtlich dessen sie Fürsorgepflichten haben. Anders als ein Vorstand, der eine Entscheidung trifft, müssen sie keine Interessen gegenüber anderen Beteiligten abwägen. Diese Strategie ließe sich auf weitere Drittbetroffene von Unternehmensentscheidungen übertragen. Schon jetzt sitzen Repräsentanten von Gemeinden und Bundesländern in Aufsichts- und Beiräten verschiedener Gesellschaften, am prominentesten bei VW.59 Arbeitnehmervertreter sind jedenfalls in größeren Unternehmen sowohl über den Aufsichtsrat als auch über den Betriebsrat präsent. bb) Regulierungsdefizite: Verteilungskonflikte und Anticommons-Probleme Im Ergebnis drohen bei einem Ansatz der Ermächtigung einzelner Stakeholder erhebliche Verteilungskonflikte. Zunächst dürfte es nicht selten dazu kommen, dass mehrere Interessengruppen auf derselben Seite stehen und sich gegen andere verbünden. Sowohl Arbeitnehmervertreter als auch die Aktionäre haben vielfach ein eher distanziertes Verhältnis zu einem extensiv gelebten Umweltschutz. In anderen Situationen stehen sich Arbeitnehmervertreter und Repräsentanten von Gemeinden oder Bundesländern sehr nahe, wenn es um Standortschließungen geht, während diese Maßnahme möglicherweise nicht nur kostenbewusste Anteilseigner begrüßten, sondern auch Umweltwächter, die sich über das nahende Ende des Schadstoffausstoßes freuen. Solche Verteilungskonflikte als Folge der Zuweisung von Beteiligungsund Klagerechten an mehrere Beteiligte sind – selbstverständlich – kein Novum. Seit längerem diskutieren Wissenschaft und Politik etwa Infrastrukturvorhaben, die in den Anwendungsbereich der „FFH“-Richtlinie60 fallen und hinsichtlich derer Naturschutzverbände weit reichende Einflussmöglichkeiten genießen. Projekte dieser Art sind streitanfällig, ihre Abwicklung nimmt häufig Jahrzehnte in Anspruch. Das sehen selbst solche Teilnehmer des umweltrechtlichen Diskurses als Problem, die den Klage- und Beteiligungsrechten von Naturschutzverbänden positiv gegenüberstehen.61 Der Sache nach geht es bei derartigen Blockaden um ein Problem, das sich rechtsökonomisch als die Gefahr einer Anticommons-Tragödie erfassen lässt: Anticommons-Probleme entstehen, wenn mehrere Berechtigte Zugriff auf eine beschränkte Ressource haben, andere von der Nutzung ausschließen 59

Vgl. hierzu ergänzend die Hinweise in Fn. 33. Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen vom 21. Mai 1992, ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7. 61 Etwa Wegener, ZUR 2010, 227. Für eine deutlich kritischere Sicht etwa Vallendar, UPR 2008, 1. 60

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können und keine der berechtigten Parteien Vorrang genießt.62 Hier ergibt sich die Gefahr, dass die Ressource am Ende nicht oder nicht in dem Maße genutzt wird, wie es dem sozialen Optimum entspräche und der Fall wäre, lägen die maßgeblichen Rechte in der Hand einer Person oder gäbe es eine eindeutig geregelte Nutzungshierarchie.63 Im Unterschied zur bekannten Tragödie der Allmende kommt es also nicht zur Übernutzung eines Gutes, sondern zur „Unternutzung“. Im hier relevanten Kontext ist die Ressource der Einsatz von Mitteln der Kapitalgesellschaft. Die Tragödie entspinnt sich dann, wenn widerstreitende ermächtigte Stakeholder den Vorstand dazu zwingen wollen, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen und dies dazu führt, dass objektiv sinnvolle Maßnahmen unterbleiben. Fehlt es an einer prozeduralen Einhegung der Befugnisse und ihrer hierarchischen Ordnung,64 führt die Ermächtigungsstrategie im Ergebnis zu einer ineffizienten Ressourcenverteilung. Für Kapitalgesellschaften ist das deshalb besonders problematisch, weil sich hier Handlungsunfähigkeit und verzögerte Entscheidungsprozesse abhängig vom wirtschaftlichen Umfeld sehr schnell auf die finanzielle Stabilität der Gesellschaft auswirken und sie möglicherweise in eine Krise oder sogar in die Insolvenz gerät. Dann verlieren (fast) alle Stakeholder, ausgenommen möglicherweise „die Umwelt“, legt man eine radikale Sichtweise zugrunde, nach der unter Umständen keine unternehmerisch-industrielle Aktivität die beste Lösung für die Umwelt ist.

III. Öffentlich-rechtliche Durchsetzung der Sorgfaltspflicht: Vorbild Australien? Weisen die beiden skizzierten privatrechtlichen Regulierungsansätze nach dem oben Gesagten erhebliche Nachteile auf, bleibt als weiterer Lösungsweg eine öffentlich-rechtliche Strategie zu erörtern, die ihr Vorbild in Australien findet. Die Australian Securities and Investments Commission (ASIC) hat die Befugnis, Verstöße gegen die statutory duty of care zu verfolgen. Der australische Corporation Act 2001 (CA 2001) sieht sog. civil penalty provisions vor, deren sich die ASIC bedienen kann. Diese Variante hat in Deutschland bislang nur wenig Aufmerksamkeit gefunden – als erster verwies in der deutschsprachigen Literatur der Jubilar auf das Modell –65 und

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Heller, 111 Harv. L. Rev. 621, 668 (1998). Heller, 111 Harv. L. Rev. 621, 677 (1998). 64 Ein Beispiel für ein solchermaßen geordnetes Verfahren ist etwa das Insolvenzplanverfahren. 65 Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 516. Andeutungen im Kontext des Kapitalmarktrechts auch bei Maume, ZHR 180 (2016), 358, 387. 63

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wird kaum näher untersucht.66 Der folgende Abschnitt 1. erörtert zunächst die Grundlagen. Anschließend steht im Vordergrund, welche Vor- und Nachteile dieses Modell bietet, Stakeholderinteressen durchzusetzen (2.). 1. Durchsetzung der Sorgfaltspflicht im öffentlichen Interesse in Australien Das australische Gesellschaftsrecht hat seit Beginn der 1990er Jahre eine Entwicklung durchlaufen, die Beobachter als publicisation of corporate law bezeichnen.67 Zwei Aspekte sind im gegebenen Zusammenhang hervorhebenswert. Zum einen schuf der australische Gesetzgeber statutory fiduciary duties im Versuch, die auf der Equity-Tradition beruhenden und dem Fiduciary Law entstammenden Regeln zu kodifizieren.68 Zum anderen führte er 1993 ein civil penalty-Regime ein, das der australischen Kapitalmarktaufsicht gestattet, Verletzungen dieser Pflichten zu verfolgen. Gemäß sec. 50 des heutigen ASIC Act ist die Behörde befugt, ein civil proceeding einzuleiten, wenn es „appears to ASIC to be in the public interest for a person to begin and carry on a proceeding for […] breach of duty […].“ ASIC darf in diesem Fall im Namen der Company oder sogar einer Privatperson (deren schriftliches Einverständnis vorausgesetzt) gerichtlich gegen die Geschäftsleitung vorgehen.69 Der Corporations Act 2001 definiert in sec. 1317DA i.V.m. 1317E Abs. 1 i.V.m. Item 1 der dort dargestellten Tabelle die statutory fiduciary duty als civil penalty provision.70 Sec. 1317J CA 2001 erlaubt der ASIC, im Fall solcher Verstöße, eine declaration of contravention i.S.v. sec. 1317E Abs. 1 CA 2001, nach sec. 1317G CA 2001 die Festsetzung eines Bußgeldes (pecuniary penalty order) oder gemäß sec. 1317H die Anordnung von Schadensersatzzahlungen (compensation order) zu beantragen. Darüber hinaus gestattet sec. 206C Abs. 1 CA 2001, dass die ASIC bei einem Gericht beantragt, einen Manager als ungeeignet für die Geschäftsleitung zu erklären, sofern diese Person einer declaration of convention zuwidergehandelt hat (disqualification order). Die 2018 eingeführte sec. 1317GAB sieht die Möglichkeit einer relinquishment order vor, welche die betroffene Person verpflichtet, die infolge eines Verstoßes gegen eine civil penalty provision erlangten Vorteile herauszugeben.71

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S. aber immerhin die deutsche Autorin Thaten, EBOR 19 (2018), 275, 290 ff. Grundlegend Whincop/Keyes, 25 Fed. L. Rev. 51, 54, 81 (1997). 68 Whincop/Keyes, 25 Fed. L. Rev. 51, 81 (1997). 69 Australian Securities and Investments Commission Act 2001, abrufbar unter https://www.legislation.gov.au/Details/C2019C00118. 70 Abrufbar unter https://www.legislation.gov.au/Details/C2018C00031/Html/Volu me_5. 71 Erlangte Vorteile umfasst auch vermiedene Nachteile. Der Sache nach handelt es sich hier um das, was im common law ansonsten unter disgorgement bekannt ist, s. Hawkins/ Anderson, Bills Digest No. 62, 2018–19, S. 11. 67

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Die Begründung für civil penalty provisions im Gesellschaftsrecht wie auch in anderen Rechtsgebieten72 beruht darauf, eine eigenständige Kategorie von Sanktionen für Verhaltensweisen zu schaffen, die als nicht gravierend genug betrachtet werden, um sie strafrechtlich nach strafverfahrensrechtlichen Prozessregeln zu bewerten.73 Bis zur Einführung solcher Vorgaben im Corporation Act 1989 im Jahr 1993 standen im australischen Gesellschaftsrecht abgesehen von den klassischen privatrechtlichen Möglichkeiten, Fehlverhalten zu rügen,74 lediglich strafrechtliche Sanktionen zur Verfügung, die häufig Freiheitsstrafen vorsahen. Dies empfanden viele Beobachter als zu drakonisch, einschließlich der Gerichte, die nur zögerlich entsprechende Urteile fällten und stattdessen „modest fines“ verhängten.75 Aus Sorge, dies lasse das Recht „into disrepute“ fallen, empfahl eine Reformkommission die Einführung einer gewissermaßen mittleren Kategorie zwischen den beiden hergebrachten Regimen.76 Diese besonderen Sanktionen unterscheiden sich jedenfalls in der Theorie nicht nur wegen der geringeren Härte vom Strafrecht, sondern auch hinsichtlich der Beweisstandards, die stärker den zivilprozessualen Regeln ähneln.77 Das Sanktionenregime einschließlich der Ermächtigung der ASIC zur Rechtsdurchsetzung ist einer der wesentlichen Gründe, wieso die Gerichte und weite Teile der australischen wissenschaftlichen Literatur der statutory duty of care jedenfalls auch eine public nature zuschreiben.78 Eine der wesentlichen Konsequenzen liegt darin, dass damit den Anteilseignern die Kompetenz entzogen ist, eine Pflichtverletzung durch zustimmenden Beschluss zu billigen.79 Entsprechend sieht sich die ASIC ihrem Selbstver72 Die Idee der civil penalty provision im australischen Recht ist schon älter. Es gab Vorläufer in anderen Rechtsgebieten als dem Gesellschaftsrecht. S. etwa Gillooly/WallaceBruce, 13 U. Tasmania L. Rev. 269 (1994). 73 Näher Report 95 der Australian Law Reform Commission (ALRC) „Principled Regulation: Federal Civil and Administrative Penalties in Australia“, Dezember 2002, S. 74 ff., 112 ff., abrufbar unter https://www.alrc.gov.au/publication/principled-regulationfederal-civil-and-administrative-penalties-in-australia-alrc-report-95/. 74 D.h. vor allem: Schadensersatzklagen. 75 Senate Standing Committee on Legal and Constitutional Affairs, „Company Directors’ Duties“, 1989, S. 188, abrufbar unter https://www.aph.gov.au/Parliamentary_Busin ess/Committees/Senate/Legal_and_Constitutional_Affairs/Completed_inquiries/pre1996/ directors/index. 76 Senate Standing Committee (Fn. 75), S. 188 ff., 191. 77 S. dazu und zur Kritik Gillooly/Wallace-Bruce, 13 U. Tasmania L. Rev. 269, 270 f. (1994). 78 S. nur ASIC v Cassimatis (No 8), [2016] FCA 1023 Rn. 455 (Edelman J); Welsh, 42 Fed. L. Rev. 217, 223 ff. (2014). 79 Deutlich Forge v Australian Securities and Investments Commission [2004] NSWCA 448 Rn. 381 (McColl JA; Handley and Santow JJA agreeing): „In this sense civil penalty proceedings involve public rights. The shareholders cannot remove the declaration of contravention by ratifying the original acts.“; zustimmend zitiert etwa in ASIC v Cassimatis (No 8), [2016] FCA 1023 Rn. 457 (Edelman J).

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ständnis nach als Hüterin des Gemeinwohles, die nicht schon dann tätig wird, wenn eine einzelne Person einen Schaden erlitten hat.80 Das deckt sich mit der empirischen Beobachtung, dass sie deutlich seltener compensation orders beantragt als die anderen civil penalties.81 2. Vor- und Nachteile des Modells mit Blick auf die Durchsetzung von Stakeholderinteressen a) Vorteile Das australische Modell bietet einen Ansatz, einen Ausweg aus dem oben unter II.2.b)bb) skizzierten Anticommons-Problem zu finden. Statt eine Vielzahl privater Stakeholder zu ermächtigen, gegen die Gesellschaft vorzugehen, ließe sich die Rechtsdurchsetzung zentralisieren. Diese Lösung hielte im Ausgangspunkt an der bisherigen Regulierungsarchitektur fest, die auf den Geschäftsleiterpflichten als Fundament ruht. Das Blockadeproblem, das die Hinwendung zu einem anspruchsorientierten System mit sich bringt, entfiele, weil nicht die Gefahr bestünde, dass mehrere Interessengruppen gleichzeitig klagen und so die Gesellschaft lähmen. Darüber hinaus gleicht die Ermächtigung einer Aufsichtsbehörde zur Rechtsdurchsetzung jedenfalls teilweise Kollektivhandlungsprobleme aus, die dadurch entstehen, dass Betroffene dann auf private Anspruchsverfolgung verzichten, wenn deren Kosten in einem ungünstigen Verhältnis zu den erwarteten Ausgleichszahlungen82 stehen. Das zeigen ein empirischer Vergleich der Systeme im allein auf privates Enforcement setzenden Vereinigten Königreich und Australien sowie die Fallentwicklung seit der Einführung des civil penalty-Regimes in Australien.83 In Australien ist es deutlich wahrscheinlicher als im Vereinigten Königreich, dass ein seine Pflichten verletzendes Mitglied der Geschäftsleitung sanktioniert wird.84 Selbst an die SEC gewöhnte US-amerikanische Beobachter erkennen an, ASIC sei „mindestens genauso aggressiv“ wie die eigene Aufsicht und verfolge Rechtsverletzungen relativ zur Marktgröße sogar intensiver.85 80

ASIC, ASIC’s Approach to Enforcement, Information Sheet 151, S. 6 unter „Compensation Action“, abrufbar unter https://download.asic.gov.au/media/1339118/INFO _151_ASIC_approach_to_enforcement_20130916.pdf. 81 S. Welsh, 42 Fed. L. Rev. 217, 236 ff. (2014). 82 Gemeint ist das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, den Anspruch erfolgreich geltend zu machen, und der Höhe einer Schadensersatzzahlung. 83 Eingehend Varzaly, EBOR 15 (2015), 281. 84 Varzaly, EBOR 15 (2015), 281, 316. S. aber noch unten b)cc). 85 Coffee, 156 U. Penn L. Rev. 229, 281 f. (2007). Deutlich zurückhaltender dagegen Hedges/Bird/Gilligan/Godwin/Ramsay, 40 Melb. U. L. Rev. 905 (2014), die auf Grundlage eines Datensatzes, der Verfahren von 2005 bis 2014 analysiert, zu dem Schluss kommen, jedenfalls die civil penalty provisions würden deutlich seltener genutzt als die criminal

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Zudem ist eine staatliche Instanz jedenfalls insofern unparteiisch, als sie nicht schon kraft ihrer Stellung gegenüber oder innerhalb der Gesellschaft ein Interesse daran hat, letztere beständig zu eigenen Gunsten zu beeinflussen. Sie erzielt keine direkten Vorteile, wie sie etwa Arbeitnehmer (Sicherung von Arbeitsplätzen, mehr Lohn), Anteilseigner (Dividendenmaximierung) oder „die Umwelt“ (Minimierung von Emissionen) zu vereinnahmen suchen. b) Nachteile aa) Auswahlentscheidungen der Aufsicht und Gefahr der Einflussnahme; regulatory capture An dem zuletzt genannten Punkt lässt sich indes kritisch anknüpfen. Zunächst stellt sich das aus dem Kartellrecht schon lange bekannte Problem, dass angesichts begrenzter Ressourcen keine vollständige Kontrolle des Marktes oder sämtlicher Gesellschaften möglich ist. Eine Aufsichtsbehörde muss auswählen. Das gilt nicht nur für die Frage, ob sie überhaupt tätig wird, sondern auch mit Blick darauf, welches Verfahren sie wählt und welche Sanktion sie anstrebt.86 Derlei Auswahlentscheidungen wiederum sind der Gefahr politischer Einflussnahme ausgesetzt. So bietet die Möglichkeit, einen missliebigen Aufsichtsleiter zu ersetzen, ebenso die Chance, Druck auf die Rechtsdurchsetzungsintensität und -richtung auszuüben, wie die politisch „passende“ Auswahl von Behördenmitarbeitern, um einen bestimmten Aufsichts“trend“ zu verstärken.87 Eine jüngere Studie zur Merger Review in den USA belegt jedenfalls eine auffällige Korrelation zwischen guten Kontakten zu Politikern, die in Gremien sitzen, welche die zuständigen Behörden beaufsichtigen, und für die betreffenden Marktteilnehmer günstigen Behördenentscheidungen.88 Welche Gefahren sich insoweit ergeben, hängt indes mit der Struktur der politisch-ministeriellen Kontrolle und mit den Mitteln zusammen, die den politischen Akteuren zur Beeinflussung konkret zur Verfügung stehen. Die politisch motivierte und nicht zwingend kompetenzorisanctions. Das dürfte sich mit den Bankenskandalen der Jahre 2018 und 2019 deutlich verändert haben. 86 S. hierzu etwa Hughes (ASIC commissioner), ASIC’s approach to enforcement after the Royal Commission, Rede vom 30. August 2019, abrufbar unter https://asic.gov.au/ about-asic/news-centre/speeches/asic-s-approach-to-enforcement-after-the-royal-commis sion/. 87 Instruktiv hierzu die formale Analyse von Shotts/Wiseman, 72 J. Pol. 209 (2010). 88 Mehta/Srinivasan/Zhao, Political Influence and Merger Antitrust Reviews, Harvard Business School Working Paper 19-114, 2019, abrufbar unter https://www.hbs.edu/facul ty/Publication%20Files/19-114_1379a335-4e52-4c61-87ce-80b28345c588.pdf., erscheint im Journal of Accounting Research.

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entierte Besetzung jedenfalls von Spitzenpositionen mag man mit guten Gründen beklagen. Doch handelt es sich nicht um ein Problem, das spezifisch Aufsichtsbehörden betrifft, man denke nur an die parteipolitischen Ränkespiele um die Besetzung von Gerichten und Einflussnahmen auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Etwas anders gelagert ist der denkbare Verweis auf vollzogene oder drohende regulatory capture durch Interessengruppen. Hier geht es nicht darum, dass übergeordnete Kontrollinstanzen, d.h. die „Aufsicht der Aufsicht“ unziemlichen Einfluss nimmt, sondern sich Marktteilnehmer Zugang zur Behörde verschaffen und diese in der Konsequenz ihre Durchsetzungsstrategien und -entscheidungen an dem Interesse der begünstigten Kreise ausrichtet, nicht aber am Allgemeinwohl.89 Entsprechende Vorwürfe sind etwa gegen die US-amerikanische SEC seit längerem im Umlauf.90 Doch abgesehen davon, dass insbesondere die einschlägige Literatur der 1970er Jahre etwas grob geschnitzt war,91 ist im gegebenen Zusammenhang nicht recht klar, wohin das Argument der Gefahr von regulatory capture führen sollte. Absolut genommen, spräche es gegen jede Form staatlicher Marktaufsicht. Dass dies nicht sinnvoll sein kann, bedarf keiner weiteren Begründung. Die Gefahr der Vereinnahmung der Aufsicht lässt sich immerhin durch eine sinnvoll konstruierte Struktur übergeordneter Kontrolle zumindest eindämmen.92 Am Ende stellt sich die entscheidende Frage, ob in einer Gesamtabwägung der Nutzen der behördlichen Aufsicht im Vergleich zu der Ermächtigung privater Akteure im oben unter II.2.b) beschriebenen Sinne größer ist als die potentiellen gesamtwirtschaftlichen Kosten. Angesichts der Gefahr der vollständigen Blockade von Entscheidungen und mit Blick auf den Umstand, dass am Ende eine Gruppe u.U. gleichermaßen nur Partikularinteressen durchsetzt,93 erscheint hier die Lösung, eine Behörde mit dem Schutz von Stakeholder-Interessen zu betrauen, als die bessere Variante. bb) Übermäßige Rechtsverfolgung Einige Kritiker des australischen Ansatzes verweisen auf die Gefahr übermäßiger Rechtsdurchsetzung mit einer für – potentielle – Geschäftsleiter ab89 Grundlegend für die Regulierung Stigler, Bell J. Econ. & Mgmt. Sc. 2 (1971), 3; aus neuerer Zeit z.B. Laffont/Tirole, Q. J. Econ. 106 (1991), 1089. 90 Pars pro toto: Brown, 19 U. Penn J. Bus. L. 701, 702 (2017): „This paper presents compelling evidence that the SEC has been effectively captured by the mutual fund industry.“ 91 Für ein differenzierteres Bild anschaulich Levine/Forrence, 6 J. L., Econ., & Org. 167 (1990). 92 Zu anderen Faktoren, die den Spielraum unbeobachteten Handelns für Behörden einengen, Levine/Forrence, 6 J. L., Econ., & Org. 167, 185 ff. (1990). 93 Vgl. oben II.2.b)bb).

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schreckenden Härte (over-deterrence).94 Das gilt auch mit Blick darauf, dass die vermeintlich nichtstrafrechtlichen Sanktionen, sofern sie auf einen Geldbetrag lauten, ohne Weiteres herkömmliche Strafzahlungen überschreiten können.95 Diese Einwände überzeugen allerdings nur begrenzt, zumindest sofern die Behörde nicht eigenständig Rechtsverletzungen feststellen und vollstrecken darf – eine aus den USA bekannte Methode, Durchsetzungserfolge zu erzwingen.96 Muss die Aufsicht nach dem australischen Modell ein gerichtliches Verfahren anstrengen, erscheint die Gefahr weniger groß, weil die Höhe etwaiger Bußgelder nicht in das Belieben der Behörde gestellt ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Gerichte unabhängig sind und nicht, wie die administrative law judges der SEC, Teil der Institution sowie, bis zu einer Entscheidung des US Supreme Court aus 2018, von Behördenmitarbeitern ernannt werden.97 Zudem ist es denkbar, feste oder nach oben gekappte Größen festzuschreiben, wie dies in Australien jedenfalls mit Blick auf natürliche Personen geschieht.98 Zudem kommen D&O-Versicherungen 94 S. Gillooly/Wallace-Bruce, 13 U Tasmania L. Rev. 269, 270 f. (1994). In die gleiche Richtung argumentieren Vertreter der contractarian theory of corporate law wenn sie (insbesondere im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule) betonen, eine zu strenge Kontrolle der Geschäftsleiter wirke übermäßig abschreckend. S. dazu Keay, Comm. L. World Rev. 89, 96 ff. (2014). 95 Gillooly/Wallace-Bruce, aaO. 96 Vgl. zu „Erfolgsrezepten“ des US-amerikanischen Enforcement-Regimes Arlen/Buell, The Law of Corporate Investigations and the Global Expansion of Corporate Criminal Enforcement, NYU School of Law, Public Law Research Paper No. 19–43, 13. November 2019, abrufbar unter www.ssrn.com, 93 S. Cal. L. Rev. – (2020). 97 Im Fall der SEC ernannte noch nicht einmal die Behördenspitze (die commissioners), sondern staff members. Das erklärte der Supreme Court für verfassungswidrig. S. zum Ganzen instruktiv Lucia v. SEC, 138 S. Ct. 2044 (2018), 585 US – (2018). Dass unter diesen Umständen die Erfolgsquote der SEC vor ihrer Verwaltungsgerichtsbarkeit wesentlich höher ist als diejenige in Verfahren vor den federal courts und sie deutlich häufiger verwaltungsrechtlich vorgeht, dürfte niemanden wundern (s. zur Empirie Choi/Pritchard, 37 Yale J. on Reg. 1 [2017]; Eaglesham, SEC Wins with In-House Judges, Wall Street Journal [US edition], 6.5.2015). 98 Waren die civil pecuniary penalties lange auf AUSD 200.000 für natürliche Personen (individuals) und 1.000.000 AUSD für Gesellschaften gedeckelt (sec. 1317G Abs. 3 CA 2001 a.F.), hat eine Änderung aus dem März 2019 zu einer erheblichen Verschärfung geführt (sec. 1317G Abs. 4 CA 2001 n.F.). Die Grenzen für natürliche Personen betragen jetzt den größeren Wert von (i) AUSD 1,05 Mio. oder (ii) dem Dreifachen des erzielten Vorteils oder des vermiedenen Nachteils, sofern das Gericht den Wert des Vor- oder Nachteils bestimmen kann. Für Gesellschaften stiegen die Werte auf (i) AUSD 10,05 Mio oder (ii) das Dreifache des erzielten Vorteils oder des vermiedenen Nachteils, sofern das Gericht den Wert des Vor- oder Nachteils bestimmen kann, oder (iii) 10% des Jahresumsatzes bis zu einer Höhe von AUSD 525 Mio. gemessen über den Zeitraum von 12 Monaten bis zum Ende des Monats, in dem die Gesellschaft den Verstoß begangen oder begonnen hat. Grundlage ist die Strengthening Corporate and Financial Sector Penalties Bill 2018, königliche Zustimmung März 2019, abrufbar unter https://www.aph.gov.au/Par liamentary_Business/Bills_Legislation/Bills_Search_Results/Result?bId=r6213. Der austra-

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sowie risikoadäquate Vergütungen als Anreize in Betracht, Geschäftsleiter trotz der Haftungsrisiken zu gewinnen.99 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass eine zu harsche Verfolgung (vermeintlicher) Pflichtverletzungen genauso schädlich ist wie eine zu laxe. Inzwischen legen einige der größten institutionellen Investoren der Welt Wert auf die Einhaltung von ESG- und CSR-Standards, prononciert etwa BlackRock, zumindest den öffentlichen Pressemitteilungen nach.100 Fehlt es an einer ausreichenden Verfolgung relevanter Pflichtverletzungen, wäre dies sogar schädlich.101 cc) Unzureichende Rechtsverfolgung am Beispiel des Vergleichs Kenneth M Hayne, Autor des einflussreichen Reports der Royal Commission into Misconduct in the Banking, Superannuation and Financial Services Industry,102 übte harsche Kritik an der ASIC, weil sie seines Erachtens Rechtsverstöße nur unzureichend verfolgt. Der Ausgangspunkt der Behörde liege offenbar darin zu überlegen, wie sich die Angelegenheit durch Vereinbarung regeln lasse. Dies dürfe allerdings für einen conduct regulator nicht der Ansatz sein.103 Seinem Eindruck nach bestehe eine „deeply entrenched culture of negotiating outcomes rather than insisting upon public denunciation of, and punishment for, wrongdoing.“104 Diese Gefahr unzureichender Rechtsverfolgung ist bei der Ermächtigung einzelner privater Akteure im oben unter II.2.b) beschriebenen Sinne in der Tat weniger prominent, weil diese nicht dem Anreiz zur zügigen Erledigung lische Gesetzgeber begründet die Änderungen mit drei Argumenten: (i) eroded deterrent effect of civil penalties due to the effects of inflation, (ii) community expectations as an appropriate sanction for misconduct in the corporate and financial sector, (iii) Angleichung an die Beträge von comparable overseas jurisdictions, s. Revised Explanatory Memorandum zur Bill 2018, S. 34, Punkte 1.83 und 1.84, abrufbar aaO. 99 Für Australien Bird, 17 Comp. & Sec. L. J. 141, 148 (1999). 100 BlackRock trägt die Initiative „Fiduciary Duty for the 21st Century“ (oben Fn. 9) mit, s. https://www.unpri.org/signatories/signatory-directory. S. außerdem Larry Fink, Letter to CEOs, 2019, https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larryfink-ceo-letter. 101 Allgemein zum Investorenvertrauen als Argument gegen zu laxe Verfolgung von Pflichtverletzungen Keay, 43 Comm. L. World Rev. 89, 98 f. (2014). 102 Royal Commission into Misconduct in the Banking, Superannuation and Financial Services Industry, Final Report, provided by Commissioner Hayne, Three Volumes, vorgelegt am 1.2.2019. Dem Final Report ging ein Interim Report voraus, vorgelegt am 28.9.2018. Beide Reports sind abrufbar unter https://financialservices.royalcommis sion.gov.au/Pages/reports.aspx#final. 103 Royal Commission (Fn. 103), Volume 1, S. 424: „In the Interim Report, I said that ‘[w]hen deciding what to do in response to misconduct, ASIC’s starting point appears to have been: How can this be resolved by agreement?’ I said also that ‘[t]his cannot be the starting point for a conduct regulator’. I remain of those views.“ 104 Royal Commission (Fn. 103), Volume 1, S. 425. S. dazu die Verteidigungsrede von Hughes (Fn. 86).

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und möglichst ressourcenschonender Abwicklung unterliegen. Das allerdings vergrößert im Gegenzug die Gefahr, dass ein Anticommons-Problem entsteht.105 Wie der zitierte Bericht implizit belegt, liegt ein Mittel, einer zu großen Milde der Aufsicht entgegenzuwirken, darin, eine effektive Kontrolle und Rechenschafts- sowie Rechtfertigungspflichten vorzusehen. Im Übrigen, das sollte nicht aus dem Blick geraten, verweisen Beobachter der US-SEC gerade auf die Möglichkeit, in weitem Umfang Vergleiche zu schließen, als Grund dafür, warum die US-amerikanische Aufsicht im Verhältnis zu anderen Institutionen außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika so erfolgreich sei.106 Derartige deals können, darauf beruht der Erfolg der SEC aus Sicht des externen Betrachters, ein Instrument sein, das sogar zu übermäßiger Rechtsverfolgung führt. Dies gilt dann, wenn der Behörde Mittel zur Verfügung stehen, Betroffene geradezu in eine Einigung zu zwingen, weil ein gerichtliches Verfahren zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Ist die Behörde etwa in der Lage, private Konten zu sperren und den Druck durch flankierende Maßnahmen zu erhöhen, mag manch eine Person sich eher für einen Vergleich entscheiden, als ein langwieriges Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang zu durchlaufen, selbst wenn sie meint, im Recht zu sein. dd) Das ungeliebte Aktienamt oder: Warum nicht der Aufsichtsrat? In der deutschen Corporate Governance-Diskussion geht seit längerem ein Gespenst um, das „Schreckgespenst“ des Aktienamtes.107 Den Vorzug gab der deutsche Gesetzgeber traditionell dem Modell der privaten Selbstregulierung, das auf die Organe der Gesellschaft rekurriert, ein, wie Debattenteilnehmer hervorheben, „betont staatsfernes Regelungskonzept“.108 Diese staatsferne Selbstregulierung beruht vor allem darauf, dass der Aufsichtsrat den Vorstand kontrolliert.109 Hier liegt für die in diesem Beitrag diskutierte Thematik das regulatorische Problem: Dehnt der Gesetzgeber die Vorstandspflichten aus und reichert er sie um Stakeholderinteressen an, die über diejenigen der Arbeitnehmer hinausgehen, ist der Aufsichtsrat schlicht nicht mehr zur Kontrolle geeignet, soll er weiterhin nur einen beschränkten Kreis an Interessengruppen repräsentieren. Mögen die Mitglieder des Aufsichtsrats zwar abstrakt dem Gesellschaftsinteresse und damit auch den Stakeholdern insgesamt verpflichtet 105

Vgl. oben II.2.b)bb). Arlen/Buell, The Law of Corporate Investigations (oben Fn. 96). 107 S. nur Hommelhoff, NZG 2005, 1329, 1334. 108 Hommelhoff, NZG 2005, 1329, 1334. In eine ähnliche Kerbe schlagen insbesondere die US-amerikanischen Contractarians, s. dazu Keay, 43 Comm. L. World Rev. 89, 92 f. (2014). 109 Vgl. Hommelhoff, NZG 2005, 1329, 1334. 106

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sein, haben doch konkret die Mitglieder des Organs, vertreten sie Gesellschafter und Arbeitnehmer, keinen Anreiz, sich für die übrigen Stakeholder einzusetzen. Das gilt insbesondere dann, wenn dies für die vertretenen Gruppen Nachteile mit sich brächte. Die Haftung nach § 116 AktG verliert insoweit ihre Funktion als Steuerungsinstrument, weil es nach derzeitigem Recht keine Instanz gibt, die befugt wäre, sie geltend zu machen und die ein Interesse hieran hat. Besondere Vertreter wählt die Hauptversammlung, § 147 Abs. 2 S. 1 AktG. Wer dennoch an privater Regulierung festhalten möchte, muss deshalb ergänzend eine Ermächtigungsstrategie im oben unter II.2.b) besprochenen Sinn verfolgen. Dass dies mit erheblichen Risiken und Fehlanreizen einhergeht, bedarf hier keiner Wiederholung. Insofern erscheint die Lösung, eine Aufsicht als eine Art „Aktienamt“ einzusetzen, als diejenige, mit der am wenigsten Nachteile verbunden sind. Der Einwand, diese Lösung stehe in konzeptionellem Widerspruch zum deutschen dualistischen System mit dem Aufsichtsrat als wesentlichem Kontrollorgan, überzeugt nicht. Schon das geltende Recht gibt der BaFin insbesondere im Bankaufsichtsrecht Instrumente an die Hand, die es ihr erlauben, direkt in die Verhältnisse der Gesellschaft und zu Lasten von Geschäftsleitern einzugreifen. § 6 Abs. 3 S. 1 KWG gestattet ihr, im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben gegenüber den Instituten und ihren Geschäftsleitern Anordnungen zu treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen zu verhindern oder zu unterbinden oder um Missstände in einem Institut zu verhindern oder zu beseitigen, welche die Sicherheit der dem Institut anvertrauten Vermögenswerte gefährden können oder die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen beeinträchtigen. § 33 Abs. 1 Nrn. 2, 4, 4a, 4b KWG bieten die Grundlage, die Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften zu untersagen, wenn bestimmte Mängel aufseiten der Geschäftsleiter vorliegen. § 36 Abs. 1 KWG ermöglicht der Aufsicht die Abberufung von Geschäftsleitern.110 Dass es einer sorgfältigen Abstimmung der aufsichtsrechtlichen Befugnisse mit denen des Aufsichtsrates bedürfte, wird damit nicht bestritten.111 Fremd jedoch, das ist der entscheidende Punkt, ist eine solche Aufsichtslösung dem deutschen Recht nicht. Es steht auch nicht zu befürchten, dass die öffentliche Rechtsdurchsetzung zu einer Demotivation des Aufsichtsrates führt, die eigenen privaten Kompetenzen wahrzunehmen. Aus empirischer Sicht lässt sich insoweit auf Australien verweisen, wo die Ermächtigung der ASIC keinen Rückgang von Shareholder Derivative Suits nach sich zog.112 Im Lichte von § 116 AktG lie110

Gegenstücke finden sich in ausländischen Gesellschaftsrechten, etwa im englischen Recht. S. Keay, 43 Comm. L. World Rev. 89, 95 (2014). 111 Vgl. auch Thaten, EBOR 19 (2018), 275, 294 ff. 112 Keay, 43 Comm. L. World Rev. 89, 103 f. (2014).

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ße sich sogar argumentieren, dass aus Sicht des Aufsichtsrates ein verstärkter Anreiz besteht, vermuteten Pflichtverletzungen nachzugehen. Zum einen wäre jeder Erfolg der Aufsicht Indiz für das Versagen des Aufsichtsrates. Zum anderen erscheint es naheliegend, dass angesichts des unter aa) skizzierten Auswahlproblemes die Wahrscheinlichkeit eines behördlichen Eingreifens sinkt, wenn ein als aktiv wahrgenommener Aufsichtsrat die Geschäftsleitung kontrolliert.

IV. Wesentliche Ergebnisse Wer sich dafür entscheidet, die Verantwortung von Geschäftsleitern zu erweitern und sie darauf zu verpflichten, neben den Interessen der Anteilseigner noch andere Gruppen zu berücksichtigen, steht vor einem schwierigen regulatorischen Problem. Der nach wie vor verfolgte Ansatz, zuletzt etwa in Frankreich, (allein) an den Geschäftsleiterpflichten anzusetzen, führt im Ergebnis nicht weiter, weil angesichts des too many masters-Problems eher ein sicherer Hafen entsteht denn eine Regel mit sanktionsbewehrtem „Biss“. Auch andere privatrechtliche Regulierungsstrategien erscheinen wenig erfolgversprechend. Die Einrichtung beratender Organe und Gremien mag zwar dafür gut sein, bestimmte Gesichtspunkte in das Blickfeld der Geschäftsleitung zu rücken und sie zu diskutieren. Sie ändert aber nichts daran, dass am Ende die Geschäftsleitung die Abwägung vornimmt und sich letztlich zu Entscheidungen entschließt, die keiner Partei außer ihr selbst dienen oder letztlich doch allein den Shareholder Value-Gedanken verfolgen, verdeckt durch das Feigenblatt der vorausgegangenen Erörterung der Interessen anderer Beteiligter. Einzelne Gruppen mit subjektiven Rechten auszustatten, führt jedoch zur Gefahr eines Anticommons-Problems und damit der Blockade der Gesellschaft. Als Lösung, die einerseits die Interessen der Stakeholder berücksichtigt, andererseits aber nicht den skizzierten Schwierigkeiten privater Regulierungsansätze unterliegt, bleibt eine öffentlichrechtliche Regulierungsstrategie. Ein Vorbild findet sich in Australien, wo die Aufsichtsbehörde weit reichende Befugnisse genießt, Verletzungen der statutory duty of care dann zu verfolgen, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Zwar sieht sich auch dieser Ansatz Bedenken ausgesetzt. Aber verglichen mit den übrigen Möglichkeiten erscheint er überlegen. Eine andere und in diesem Beitrag nicht behandelte Frage ist es indes, ob überhaupt Stakeholderinteressen Eingang in den Verantwortungsbereich der Geschäftsleiter finden sollten oder ob es hierfür nicht bessere und feiner justierbare Stellschrauben gibt, etwa ein modernisiertes Umweltrecht.

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Kapitalmarktunion und marktinduzierte Aktionärsrechte Johannes Adolff und Katja Langenbucher

Kapitalmarktunion und marktinduzierte Aktionärsrechte JOHANNES ADOLFF

UND

KATJA LANGENBUCHER

Banken, Finanzmärkte und die Schnittstelle zum Aktienrecht haben Klaus Hopt spätestens seit seiner Habilitationsschrift zum „Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken“1 fasziniert. Im Börsenrecht, im Bankaufsichtsrecht, dem im Werden begriffenen Kapitalmarktrecht und der Corporate Governance hat er Grundlagenarbeit geleistet. Er hatte dabei den ökonomischen Rahmen stets ebenso fest im Blick wie die rechtsvergleichende Absicherung. Vor diesem Hintergrund darf ein Beitrag zur europäischen Kapitalmarktunion, zu der sich Klaus Hopt zuletzt 2015 geäußert hat,2 mit einem besonderen Fokus auf dem Spannungsverhältnis zum nationalen Aktienrecht der Mitgliedstaaten, auf das wohlwollende Interesse des Jubilars hoffen. Im Folgenden sollen die Pläne der europäischen Kommission für eine Kapitalmarktunion in Erinnerung gerufen (unten I), eine Bestandsaufnahme des Erreichten geliefert (unten II) und die Frage nach der Existenz von „Schnittstellenrecht“ an der Grenze von nationalem Gesellschaftsrecht und europäischem Finanzmarktrecht aufgeworfen werden (unten III).

I. Rückblick: Grünbuch und Aktionsplan zu einer Kapitalmarktunion 2015 Finanzierung für Innovationen, „start-ups“ und nicht börsennotierte kleine und mittlere Gesellschaften bereit zu stellen, langfristige und nachhaltige Anlagen ebenso zu fördern wie Investitionen von Klein- und von institutionellen Anlegern, all dies noch grenzüberschreitend, so lassen sich die vor fünf Jahren formulierten Ziele für eine Kapitalmarktunion zusammen-

1

Hopt, Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, München 1975. Hopt EuZW 2015, 289; siehe außerdem ders. Finanzmarktregulierung – Welche Regelungen empfehlen sich für den deutschen und europäischen Finanzsektor?, Verhandlungen des 68. DJT, Berlin 2010, Bd. II/1; ders. Empfiehlt es sich, im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln? 64. DJT, Berlin 2002, Bd. II/1 (Sitzungsberichte). 2

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fassen.3 Im Vergleich insbesondere mit Japan und den USA war (und ist) der unterentwickelte Zustand weitgehend fragmentierter europäischer Kapitalmärkte zu beklagen. Obwohl die Wirtschaftsleistung der EU derjenigen der USA entspricht, sind die europäischen Aktienmärkte nur halb so groß, die Größe des europäischen Marktes für Schuldverschreibungen beläuft sich auf weniger als ein Drittel des US-Marktes.4 Unternehmensfinanzierung erfolgt überwiegend durch Banken, und zwar insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, deren Fremdkapital so gut wie ausschließlich aus (teilweise syndizierten, aber kapitalmarktfernen) Kreditlinien besteht.5 Dass die Veränderung der historisch gewachsenen, kulturell geprägten nationalen Märkte nicht mittels eines groß angelegten „legislativen Befreiungsschlags“ herbeigeführt werden kann, stand von Anfang an fest.6 Der Aktionsplan der EU Kommission sah deshalb ein Mosaik einzelner legislativer Schritte vor, die „von unten nach oben“7 zum Ausbau der Märkte beitragen sollten. Dieses Mosaik lässt sich grob vereinfachend in drei Bereiche gliedern, denen jeweils eigene regulatorische Pakete gewidmet wurden: die Marktzugangserleichterungen, die Marktinfrastruktur und schließlich die marktinduzierte Governance, welche im Fokus dieses Beitrags steht. 1. Marktzugangserleichterungen Marktzugangserleichterungen setzen an der Entscheidung eines Emittenten an, den öffentlichen Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen. Dabei liegt auf der Hand, dass historisch gewachsene und kulturell verankerte Traditionen sich dem regulatorischen Zugriff weitgehend entziehen. Unternehmen, die daran gewöhnt sind, ihren Fremdkapitalbedarf über eine etablierte und funktionierende Bankbeziehung zu decken, werden häufig keinen Grund sehen, von dieser Praxis abzuweichen. Dies gilt insbesondere, wenn die Beziehungen auf regional verankerten persönlichen Kontakten beruhen, womöglich zu Finanzintermediären der öffentlichen Hand, wie in Deutschland der Sektor der Sparkassen und Landesbanken, oder zu Genossenschaftsbanken, wie sie zum Beispiel für die Niederlande prägend sind. Zumindest in Kontinentaleuropa stehen auch die privaten Anleger dem Kapitalmarkt eher 3 Mitteilung der Kommission vom 30.9.2015 KOM(2015) 468 final, S. 3; Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final; Bremer NZG 2015, 475; Hill WPg 2015, 1097; vertiefend: Kumpan ZGR 2016, 2; Philipp EuZW 2016, 124; U.H. Schneider, AG 2012, 823; Veil ZGR 2014, 544. 4 Mitteilung der Kommission vom 30.9.2015 KOM(2015) 468 endg., S. 3. 5 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 2, 4, 14; Haag ZVglRWiss 2017, 258. 6 Mitteilung der Kommission vom 30.9.2015 KOM(2015) 468 endg., S. 5; Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 6. 7 Allen/Pàstor in: Allen/Faia/Haliassos/Langenbucher, Capital Markets Union and Beyond, MIT Press 2019, S. 215.

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fern. Sie sparen mittels Einlagen bei Kreditinstituten und investieren in Immobilien und Lebensversicherungen. Mithin bestehen historisch gewachsene kulturelle Barrieren sowohl gegenüber dem Debt Capital Market (vor allem auf dem Gebiet der Unternehmensfinanzierung) als auch gegenüber dem Equity Capital Market (vor allem auf dem Gebiet der kapitalgedeckten Altersversorgung). Der europäische Gesetzgeber ist aufgerufen, diejenigen Elemente ausfindig zu machen, mittels derer sich diese Barrieren noch am ehesten überwinden lassen. Manche dieser Elemente werden „enabling law“ sein, legislative Angebote an Emittenten, ein besonderes Finanzierungsformat zu nutzen. Hierzu zählte schon 2015 beispielsweise die Förderung von Wagniskapital und der Fokus auf innovativen Finanzierungsformen, etwa crowdfunding. Auch die Wiederbelebung des Verbriefungsmarkts nach den Erfahrungen der Finanzkrise lässt sich hier einordnen.8 Andere Elemente nehmen die Investoren in den Blick. Hierzu zählt beispielsweise die Modernisierung der Prospektrichtlinie9 oder der Versuch, Kreditinformationen über KMU transparenter und einfacher verfügbar zu machen, um die Attraktivität einer Investition zu erhöhen.10 2. Marktinfrastruktur Während die Marktzugangserleichterungen im juristischen Schrifttum bereits sattsam aufgearbeitet sind, steht die Marktinfrastruktur, also der institutionelle Apparat von Intermediären, welche gemeinsam dafür sorgen, dass Anlagekapital (möglichst effizient) von Investoren zu kapitalsuchenden Unternehmen bewegt wird, weniger im Rampenlicht literarischer Aufmerksamkeit. Für die Kommission war dieser Bereich allerdings schon 2015 integraler Bestandteil der europäischen Planung.11 Ein Mosaikstein dieser Marktinfrastruktur ist das Daten- und Meldewesen. Während in den USA den Investoren in Form des sogenannten „consolidated tape“ bereits seit 1976 relevante Transaktionsdaten wie insbesondere Preis und Handelsvolumen in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden, fehlt ein europäisches „consolidated tape“ bis heute.12 „IT-Lösungen“13 spricht das Grünbuch bereits 2015 an, ohne freilich damals auf konkrete Technolo8 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 2, 11; Hellgardt EuZW 2018, 709. 9 Klöhn ZIP 2018, 1713. 10 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 3. 11 Mitteilung der Kommission vom 30.9.2015 KOM(2015)468 final, S. 4; Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 14. 12 Rüdiger/Lerch WM 2012, 1605, 1607. 13 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 25.

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gien wie etwa blockchain- und cloudbasierte Systeme zurückgreifen zu können. An jeden Wertpapierverkauf schließt sich eine „Abwicklungsphase“ an. Dieses „back end“ oder die „Kanäle“14 über welche Geld und Finanzinstrumente transferiert werden („delivery versus payment“), machen die eigentliche Marktinfrastruktur aus. Hier greifen das Vorhandensein etablierter Institutionen, über welche der Transfer abgewickelt wird, und das rechtliche Regelungsregime mit Blick etwa auf Wertpapier-, Aktien- und Insolvenzaber auch das Immobiliarsachen-, das Vertrags- und das Kollisionsrecht auf das Engste ineinander. Erster Schritt in dieser „Abwicklungskette“ sind die Depotbanken in den Mitgliedstaaten, die unmittelbaren Ansprechpartner des Wertpapierverkäufers. Die zweite beteiligte Institution sind die nationalen Zentralverwahrer jedes Mitgliedstaates15 (in Deutschland: die Clearstream Banking AG, eine Tochter der Deutschen Börse AG). Dort werden veräußerte Wertpapiere vom Konto der Verkäuferbank auf das Konto der Käuferbank gebucht. Zeitgleich wird mit der Bundesbank eine dritte Institution eingebunden, um eine Geldtransaktion auf der Ebene der Zentralbank zu ermöglichen. Der Kaufpreis für das gehandelte Papier wird dem Zentralbankkonto der Käuferbank belastet und dem Zentralbankkonto der Verkäuferbank gutgeschrieben. Erst wenn die Wertpapiertransaktion bei der Clearstream und die Geldtransaktion bei der Bundesbank abgeschlossen sind, werden die entsprechenden Buchungen auf den Konten von Wertpapierkäufer und -verkäufer sichtbar.16 Bei Erscheinen des Grünbuchs noch „Projekt“17 war das Target2Securities System (T2S) von Bundesbank, Banque de France, Banco d’Italia und Banco de España. Heute ist diese IT-Plattform voll funktionsfähig. Auf ihr werden sowohl die Wertpapierkonten der Zentralverwahrer als auch die Geldkonten der Zentralbanken geführt. T2S operiert europaweit und ermöglicht zeitgleich und nach einheitlichen Regeln Geld und Wertpapiere Zug um Zug auszutauschen. Die Geldseite lässt sich in Euro abwickeln, dafür wird Liquidität über das Target2 System bereitgestellt. Mit Blick auf an-

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Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final

S. 25. 15 Verordnung EU 909/2014 vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der EU und über Zentralverwahrer. 16 Umfassend zu Barrieren bei Clearing und Settlement: The Giovannini Group, Crossborder clearing and settlement arrangements in the European Union, November 2001 (Giovannini Report I); dies., Second Report on EU Clearing and Settlement Arrangements, April 2003 mit der Identifizierung von 15 „Barrieren“, die eine effiziente Nachhandelsinfrastruktur erschweren. 17 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 25.

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dere Währungen ist freilich derzeit lediglich die dänische Krone in T2S eingebunden, ein offensichtlicher Nachteil im globalen Wettbewerb.18 Mit der Abwicklung des Wertpapiergeschäfts im engeren Sinne sind die Aufgaben der Marktinfrastruktur allerdings noch nicht erschöpft. Unter den Begriff der Nachhandelsinfrastruktur („post trade“) fasst die EU Kommission eine ganze Reihe unterschiedlicher, teils institutioneller, teils rechtlicher Aspekte,19 etwa die Verwendung von Sicherheiten bei Finanzmarktransaktionen, die Finalität des Settlement, die Marktinfrastruktur für Derivate und zentrale Gegenparteien und die Regulierung der Zentralverwahrer. Auch die einfache und reibungslose Ermöglichung der Ausübung von Investorenrechten („corporate actions“) zählt für die Kommission zur Marktinfrastruktur.20 Es liegt auf der Hand, dass diese „corporate actions“ zugleich die Schnittstelle zu den Gesellschaftsrechtssystemen der Mitgliedstaaten darstellen. So ist eine funktionstüchtige Marktinfrastruktur erforderlich, um rechtssicher denjenigen zu identifizieren, der berechtigt ist, ein Investorenrecht auszuüben. Art und Umfang ihm zustehender Investorenrechte regelt hingegen das nationale Gesellschaftsrecht. Schon im Grünbuch deuten sich die nunmehr in Richtlinienform gegossenen Reformen der Aktionärsrechterichtlinie an, freilich samt der Bedenken, dass diese „doch oft von nationalen Gesetzen und Standards bestimmt“21 werden. 3. Marktinduzierte Governance a) Marktmissbrauchsrecht Mit der marktinduzierten Governance sind all diejenigen rechtlichen Rahmenbedingungen angesprochen, welche an die Wahl einer bestimmten Finanzierungsform anknüpfen. Nimmt man den Emittenten in den Blick, zählt hierzu vor allem das Marktmissbrauchsrecht. Mit der Entscheidung, Wertpapiere öffentlich anzubieten, tritt ein Emittent in ein besonders strenges Informationsregime ein. Ein Jahr vor dem Grünbuch zur Kapitalmarktunion, nämlich am 16. April 2014, trat die Marktmissbrauchsverordnung in Kraft, die ausweislich ihres ersten Erwägungsgrundes ebenfalls die Schaf18 Zu letzterem: DG FISMA, Post-Trade in a CMU, S. 7, erhältlich unter: https://ec.eu ropa.eu/info/consultations/finance-2017-post-trade_en (zuletzt abgerufen am 29.12.2019 um 10.59). 19 https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/financialmarkets/post-trade-services_de, Abrufdatum: 13.6.2020. 20 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 26. 21 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 27.

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fung eines „echten Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen“ im Blick hat.22 Anknüpfend an zwei vorangegangene Richtlinien werden unter anderem der Umgang mit Insiderinformationen (Art. 7 ff., 14, 16, 17 f., 20 f.), Marktsondierungen (Art. 11), die Marktmanipulation (Art. 12 f., 15 f.), Eigengeschäfte von Führungskräften (Art. 19) und die Befugnisse zuständiger Behörden (Art. 22 ff.) geregelt. Bereits im Grünbuch finden sich freilich zentrale Hindernisse beschrieben, die der Standardisierung dieses Informationsregimes weiterhin entgegenstehen. Zwar liegt mit der Marktmissbrauchsverordnung immerhin europäisches Verordnungs-, statt Richtlinienrecht vor. Moniert werden im Grünbuch freilich die nach wie vor bestehenden Unterschiede in der aufsichtsbehördlichen Auslegungs- und Anwendungspraxis in den Mitgliedstaaten.23 Vor allem von den ESAs erhoffte man sich einen entscheidenden Beitrag zur Konvergenz in der Rechtsanwendung. Nicht ausgeschlossen wurde, dass den ESAs langfristig auch eine Rolle in der Rechtsdurchsetzung zukommen könnte. Insbesondere soweit die nationale Divergenz sich marktbehindernd auswirkt, etwa durch ein uneinheitliches Anlegerschutzniveau, Hemmnisse oder geringe Anreize für grenzüberschreitende Investitionen, deutet das Grünbuch „möglicherweise durchaus noch weitere Betätigungsmöglichkeiten“24 für die ESAs an. b) Marktinduzierte Aktionärsrechte Das Marktmissbrauchsrecht ist nicht der einzige Baustein der marktinduzierten Governance. Bei den bereits zur Sprache gekommenen „corporate actions“ handelt es sich um Aktionärsrechte, von denen zahlreiche noch immer weitgehend von nationalem Aktienrecht geprägt sind. Einen Ausschnitt hieraus bilden diejenigen Aktionärsrechte, die gerade an die Börsennotierung anknüpfen – sie sollen im Folgenden als marktinduzierte Aktionärsrechte bezeichnet werden. Derartige marktinduzierte Aktionärsrechte modifizieren das aktiengesellschaftsrechtliche Regime. Sie gelten, weil und solange sich eine Aktiengesellschaft zu Finanzierungszwecken des Kapitalmarkts bedient, nicht etwa allein, weil es sich um eine Aktiengesellschaft handelt. Ihre rechtspolitischen Zielsetzungen haben die Liquidität, Vertrauenswürdigkeit, Funktionstüchtigkeit und Allokationseffizienz des Kapitalmarkts im Blick, nicht die Binnenbeziehungen gesellschaftsrechtlich miteinander verbundener Eigenkapitalinvestoren. Ein Gesellschafterkreis, der sich 22 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung), ABl. vom 12.6.2014 L137/1. 23 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 24 ff. 24 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 25.

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ihnen nicht unterwerfen will, kann dem Kapitalmarkt fern bleiben oder – etwa im Wege eines Delisting oder der Verschmelzung auf eine börsenferne Gesellschaft – den Rückzug vom Kapitalmarkt antreten. Marktinduzierte Aktionärsrechte sind Schnittstellenrecht. Sie entfalten ihre Wirkung innerhalb der Verbandsverfassung der Aktiengesellschaft. In diesem Sinne sind sie (selbstverständlich) Gesellschaftsrecht. So werden sie in den kontinentaleuropäischen Mitgliedsstaaten im Schwerpunkt wahrgenommen. Den rechtspolitischen Zielsetzungen und dem Anwendungsbereich nach handelt es sich aber um reines Kapitalmarktrecht, also um den integralen Teil eines Normengefüges, dessen tiefgreifende gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung von den Mitgliedstaaten deutlich bereitwilliger als richtig, nützlich und notwendig anerkannt wird als im übrigen Gesellschaftsrecht. Der Boden für eine weitere Harmonisierung der marktinduzierten Aktionärsrechte wäre, wie wir meinen, bereitet. Ein Sonderrecht der kapitalmarktnahen Aktiengesellschaft existiert in den Mitgliedsstaaten bereits.25 In großen Teilen ist es sogar europarechtlich vorgegeben. Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland: Die Zahl der Sonderregelungen, welche nur bei Börsennotierung gemäß § 3 Abs. 2 AktG bzw. bei Kapitalmarktorientierung gemäß § 264d HGB26 gelten, hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen beachtlichen Umfang erreicht. Zu den Regelungen, die auf die Börsennotierung abstellen, zählt etwa § 10 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (Zulässigkeit der Ausgabe von Inhaberaktien), § 67 Abs. 6 S. 1, 2 (Auskunft über Daten bzgl. Aktienregister), § 76 Abs. 4 (Geschlechterzielgrößen für den Vorstand), § 87 Abs. 1 S. 2, 3 (nachhaltige Ausrichtung der Vergütungsstruktur), § 93 Abs. 6 (Verjährung von Schadensersatzansprüchen), § 96 Abs. 2, 3 (Geschlechterquote im Aufsichtsrat), § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 (cooling-off Periode), § 104 Abs. 5 (gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern), § 110 Abs. 3 S. 1 (Frequenz von Aufsichtsratssitzungen), § 111 Abs. 5 (Festlegung von Geschlechterzielgrößen), § 120 Abs. 4 (Vergütungsvotum), § 121 Abs. 3 (Informationen bei der Einberufung der Hauptversammlung), Abs. 4a (Bekanntmachung der Einberufung zur Hauptversammlung), § 121 Abs. 7 S. 4 (keine abweichende Fristbestimmung in der Satzung), § 122 Abs. 2 S. 3 (Zugang des Verlangens der Einberufung der Hauptversammlung auf Verlangen einer Minderheit), § 123 Abs. 4 S. 127 (Nachweis des Anteilsbesitzes an Inhaberaktien börsennotierter Gesell25 Siehe bereits Hopt Verhandlungen des 67. DJT, Erfurt 2008, Bd. II/1 (Sitzungsberichte). 26 Voraussetzung für die Kapitalmarktorientierung ist die Inanspruchnahme eines organisierten Marktes im Sinne des § 2 Abs. 11 WpHG oder die Beantragung der Zulassung zum Handel an einem solchen Markt. 27 Die Neufassung des S. 1 durch das ARUG II lässt für Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften die Beachtung des § 67c Abs. 3 AktG n.F. genügen.

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schaften), § 123 Abs. 4 S. 228 (Frist für diesen Nachweis), § 123 Abs. 5 (Nachweis der Teilnahme bei Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften durch Eintragung im Aktienregister), § 124 Abs. 1 S. 2 (30-Tage-Frist bei Ergänzungsverlangen einer Minderheit), Abs. 2 S. 2 (Bekanntmachung bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern), § 124a, 126 Abs. 1 S. 3 (Veröffentlichung von Informationen vor der Hauptversammlung), § 125 Abs. 1 S. 3 ,5 (Mitteilungen an Aktionäre und Vertreter), § 127 Abs. 1 S. 3 (Informationen bei Wahlvorschlägen von Aktionären), § 130 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 (Niederschrift von Hauptversammlungsbeschlüssen), § 130 Abs. 6 (Veröffentlichung von Abstimmungsergebnissen), § 134 Abs. 1 S. 2 (keine abgestuften/Höchstbetragsaktien in der Satzung), § 134 Abs. 3 S. 3, 4 (Ausübung des Stimmrechts durch Bevollmächtigte), § 135 Abs. 5 S. 3 (Nachweis der Stimmberechtigung), § 142 Abs. 2 (Anknüpfungszeitpunkt für Sonderprüfung), § 149 (Bekanntmachung von Haftungsklagen), § 161 (Erklärung zum DCGK), §§ 171 Abs. 2 S. 2, 176 Abs. 1 (Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstands), § 248a (Bekanntmachung zur Anfechtungsklage), § 328 Abs. 3 (Beschränkung von Rechten bei wechselseitiger Beteiligung), § 404 Abs. 1, 2 AktG (Strafbarkeit). Mit dem ARUG II treten die §§ 67a Abs. 1, 67b Abs. 2, 67c Abs. 1 (Übermittlung von Informationen über Unternehmensereignisse), § 67d Abs. 1, 5 (Informationsanspruch der AG gegenüber Intermediären), §§ 87a, 119 Abs. 1 Nr. 3, 120a, 162 (Vergütungssystem börsennotierter Gesellschaften), § 107 Abs. 3 S. 4 (Aufsichtsratsausschuss mit Blick auf related party transactions), § 111b, c (Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bei related party transactions und Veröffentlichung), § 113 Abs. 3 (Beschluss über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder), § 123 Abs. 4 S. 1 (Nachweis bei Inhaberaktien), § 125 Abs. 5 S. 2 AktG (Weiterleitung von Informationen durch Intermediäre) hinzu. Zu den Regelungen, die auf die Kapitalmarktorientierung abstellen, zählt beispielsweise § 100 Abs. 5 AktG, wonach mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss und die Mitglieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen. § 107 Abs. 4 AktG verweist für die Einrichtung eines Prüfungsausschusses auf § 100 Abs. 5 AktG. § 124 Abs. 3 S. 2 AktG verlangt von kapitalmarktorientierten Gesellschaften, den Vorschlag des Aufsichtsrats zur Wahl des Abschlussprüfers auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses zu stützen. Auch § 404a AktG knüpft an die Kapitalmarktorientierung an, wenn die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Aufsichtsratsmitgliedern oder Mitgliedern des Prüfungsausschusses verschärft wird. 28 Die Neufassung des S. 1 durch das ARUG II lässt für Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften ebenfalls die Beachtung der in § 67c Abs. 3 AktG n.F. genügen.

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c) Marktinduzierte Governance und Attraktivität des europäischen Kapitalmarkts Die rechtlichen Rahmenbedingungen der marktinduzierten Governance zählen, ebenso wie das auf die Marktzugangserleichterungen ausgerichtete Regelwerk, zu den zentralen Parametern für die Entscheidung eines Emittenten, den Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen, und für die Entscheidung des Investors, sich am europäischen Kapitalmarkt zu engagieren. Das gilt für das Marktmissbrauchsrecht ebenso wie für die marktinduzierten Aktionärsrechte. Das besonders stark europarechtlich geprägte Marktmissbrauchsrecht zeigt deutlich den Einfluss internationaler, insbesondere US-amerikanischer Standards, wenn beispielsweise Insiderhandel untersagt29 oder directors’ dealings reguliert werden. Bei global tätigen Investoren hofft man durch derartige Standardisierung das Vertrauen zu gewinnen (und zu erhalten), dass der Regelungsrahmen für die europäischen Kapitalmärkte ihren Erwartungen entspricht. Für europäische Emittenten, insbesondere wenn deren Finanzierungskultur bislang bankorientiert war, entstehen hier freilich bisweilen Berührungsängste. Gerade für kleine und mittlere Emittenten mag sich der Gang an den Kapitalmarkt nicht rechnen, wenn die hiermit einhergehenden Compliance-Kosten in Rechnung gestellt werden. Der für marktinduzierte Aktionärsrechte geltende Regelungsrahmen trägt demgegenüber deutlich nationalere Züge. Zwar sind einzelne marktinduzierte Aktionärsrechte harmonisiert, aber keineswegs alle. Schon im Grünbuch 2015 wird deshalb anerkannt, dass große Fortschritte in der Ausarbeitung eines einheitlichen Regelwerks für harmonisierte grenzüberschreitende Kapitalmärkte erzielt wurden, Hemmschuhe sah man allerdings in der Prävalenz von Richtlinien- statt Verordnungsrecht und der Möglichkeit des „goldplating“ durch Mitgliedstaaten.30 Aus der Sicht global tätiger Investoren sind marktinduzierte Aktionärsrechte (als corporate actions) keineswegs nachrangig. Klare und standardisierte Regeln bieten auch in diesem Bereich einen Vorteil im globalen Wettbewerb der Finanzmärkte. Je aufwendiger es nämlich für einen Investor ist, die nationalen Besonderheiten unterschiedlicher corporate actions zu identifizieren, desto unattraktiver ist das Engagement in einem auf diese Weise zersplitterten Kapitalmarkt.

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Siehe schon Hopt Journal of Comparative Corporate Law and Securities Regulation 4 (1982) 379. 30 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 24 ff.

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II. Halbzeitbilanz 2017 In der fortschreitenden Digitalisierung wurde bereits im Grünbuch Potential erblickt, einige der beschriebenen Barrieren eines harmonisierten europäischen Kapitalmarkts zumindest abzumildern.31 Noch deutlicher tritt das in der im Jahr 2017 durchgeführten Bestandsaufnahme zur Kapitalmarktunion hervor, die vor dem Hintergrund des angekündigten Ausscheidens des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zu lesen ist. „Energischeres Handeln“ wird angekündigt und die „transformative Kraft der Finanztechnologie“ soll nutzbar gemacht werden.32 Die zunehmende Automatisierung der „Kanäle“, insbesondere die distributed ledger technology (DLT) dabei als wichtigste Entwicklung mit Blick auf die Nachhandelsinfrastruktur,33 mit einigem Abstand folgt die Kommunikation mit Aktionären.34 Ob die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen den technischen Besonderheiten einer DLT Struktur gerecht werden erscheint in der „post trade“ Konsultation der Kommission als offene Frage. Klassische DLT Strukturen operieren bekanntlich auf dezentralen Netzwerken unter Einbindung zahlreicher Akteure, aber ohne eine isolierbare, zentrale Schnittstelle. Das fügt sich nicht in den Kontext traditioneller Regulierung ein, die auf das Vorhandensein genau solcher zentralen Verantwortlichkeiten aufsetzt.35 Zum anderen wurde im Rahmen der Halbzeitbilanz 2017 insbesondere mit Blick auf die Marktinfrastruktur36 erhebliches Potential zur Vereinfachung der Ausübung von Inhaberrechten durch technologischen Fortschritt ausgemacht. Zugleich birgt dieser aber ganz erhebliche Unklarheiten mit Blick darauf, inwieweit sich digitalisierte Wertpapiere überhaupt rechtlich als solche erfassen lassen. Theoretisch vorstellbar sind dabei zwei unterschiedliche Konzepte: die digitale Repräsentation eines klassischen Wertpapiers durch ein „token“ oder die Schaffung eines vollständig digitalen Finanzinstruments. Ersteres würde im deutschen Recht die Anpassung des auf sachenrechtliche Übereignung zugeschnittenen Rahmens auf ein digitales Übertragungssurrogat voraussetzen. Letzteres würde die vollständige Digitalisierung von Wertpapieren voraussetzen. Nicht zuletzt hängen mit der 31 Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 18.2.2015 KOM(2015) 63 final S. 29; Schalast BB 2017, 34. 32 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, COM(2017) 292 final (EU Komm Halbzeitbilanz), S. 3. 33 Siehe hierzu Noack/Zetzsche 863, 866 ff. 34 DG FISMA, Post-Trade in a CMU, S. 3 ff. 35 DG FISMA, Post-Trade in a CMU, S. 4. 36 S.o. I.2.

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Digitalisierung bestimmter Elemente der Nachhandelsinfrastruktur stets „Cyber-Risiken“ zusammen, die ihrerseits der aufsichtsrechtlichen Regulierung bedürfen.37 Insgesamt sind die bereits im Jahr 2015 identifizierten Herausforderungen im Kern unverändert geblieben.38 Wagniskapital für kleine und mittlere „start-ups“ wird von europäischen Märkten nur unzureichend bereitgestellt, öffentliche Finanzmärkte sind noch immer kleinvolumig, Börsengänge komplex und teuer. Die verschärfte Regulierung im Anschluss an die Finanzkrise hat zu einem Rückgang der Kreditneuvergabe geführt. Kulturelle und verhaltenspsychologische Phänomene, insbesondere die hergebrachte Kapitalmarktskepsis von Kleinanlegern und der zu beobachtende „home bias“, treten hinzu. Zu den erreichten Meilensteinen zählen im Jahr 2017 unter anderem die Prospektverordnung39 und die online Prospekt-Datenbank der ESMA, Legislativvorhaben zur Wagniskapitalfinanzierung und zum crowdfunding40, Pläne zur einfacheren, sichereren und transparenteren Verbriefung sowie der Aktionsplan Finanzdienstleistungen. Von besonderer Bedeutung für das hiesige Thema ist der Bericht einer Expertengruppe zur Nachhandelsinfrastruktur (European Post Trade Forum, EPTF41) im Jahr 2017.42 Als Kernelemente des „post trade“ dort clearing und settlement und damit Regelwerke wie die Marktinfrastrukturverordnung EMIR,43 welche das Derivateclearing durch zentrale Gegenparteien regelt, die Verordnung über Wertpapierzentralverwahrer CSDR,44 wodurch zentrale Verwahrstellen reguliert und das settlement von Wertpapiertransaktionen geregelt werden, sowie die Wertpapierfinanzierungsgeschäfteverordnung SFTR,45 die Transparenzvorschriften zu Wertpapierfinanzierungstransaktionen einführt. Andere, bereits im Giovannini Bericht identifizierte Schwachstellen sind hingegen noch nicht beseitigt. Der Bericht des EPTF rügt etwa die ineffi37

DG FISMA, Post-Trade in a CMU, S. 5. EU Komm Halbzeitbilanz, S. 4. 39 Verordnung 2017/1129 vom 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, ABl. vom 30.6.2017 S. 12. 40 Zu jüngsten Plänen Klein/Nathmann BB 2019, 1158; Klöhn ZIP 2017, 2125; Will/Quarch WM 2018, 1481. 41 European Post Trade Forum Report of 15th May 2017. 42 Zur darauf folgenden Anhörung siehe: DG FISMA, Post-Trade in a Capital Market Union: dismantling barriers and strategy for the future, 2017 Public Consultation. 43 Verordnung 648/2012 vom 4.7.2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister. 44 Verordnung 909/2014 vom 23.7.2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer. 45 Verordnung 2015/2365 vom 25.11.2015 über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und der Weiterverwendung. 38

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ziente, noch heute papiergebundene Abwicklung der Quellensteuer, Rechtsunsicherheit mit Blick auf Netting und Sicherheiten sowie mit Blick auf Eigentumsrechte entlang von Wertpapierverwahrketten, insbesondere angesichts dematerialisierter Wertpapiere, uneinheitlicher settlement Strukturen und unklarer internationalprivatrechtlicher Anknüpfungsnormen.46 Als ganz besonders komplex begreift die genannte Expertengruppe die hier interessierende Schnittstelle zum nationalen Aktienrecht. Dabei geht es um die Einladung zur Hauptversammlung, die Teilnahme- und Abstimmungsrechte und weitere gesellschaftsrechtlich verbriefte Rechte. Angesprochen werden, neben dem asset servicing, ausdrücklich die corporate actions.47 Auch die Art und Weise wie die Gesellschaft Transparenz über ihren Aktionärsbestand erhält, wird als nicht hinreichend standardisiert beklagt, dasselbe gilt für Nachhandelsberichtspflichten. Auf die Empfehlungen des EPTF setzt die Kommission auf, wenn sie weiteren Harmonisierungsbedarf mit Blick auf die Eigentumsübertragung an Wertpapieren und die Ausübung der in diesen verkörperten Rechte anmahnt.48

III. Die Bedeutung von marktinduzierten Aktionärsrechten Aus dem Gesagten geht die Bedeutung der marktinduzierten Aktionärsrechte für die rechtspolitische Agenda der Capital Market Union deutlich hervor. Sie stehen an der Schnittstelle zwischen Marktinfrastruktur und nationalem Aktienrecht. Hat ein Wertpapier seinen Weg durch die „Kanäle“ vom Emittent zum Investor erfolgreich hinter sich gelassen, ist die Frage zu beantworten, welche Rechte es verbrieft und auf welche Weise diese geltend gemacht werden können. Theoretisches Idealziel vereinheitlichter Märkte wären ein standardisierter Datenfluss, ein einheitliches Rechtsregime mit Blick jedenfalls auf die Kernelemente der börsennotierten Gesellschaft und gleichen Regeln folgende Ausübungsbedingungen etwa mit Blick auf Aktienregister, die Teilnahme an der Hauptversammlung, die Stimmrechtsausübung, Dividendenrechte oder Kapitalmaßnahmen. Im Status Quo werden diese Ausübungsbedingungen sehr weitgehend durch nationales Gesellschaftsrecht bestimmt, und damit einem der europarechtlichen Harmonisierung gegenüber zögerlichen Rechtsgebiet, welches nicht selten mit der besonderen Betonung seiner durch Pfadabhängigkeit, Geschichte und Kultur geprägten Eigenständigkeit gegenüber dem Kapitalmarktrecht einhergeht. Ordnet man die marktinduzierten Aktionärsrechte – wie hier vorgeschlagen – eher dem Kapitalmarktrecht zu, so stellt sich die 46 47 48

EPTF Bericht S. 12. EPTF Bericht S. 13, 16. EU Komm Halbzeitbilanz, S. 8.

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Frage, ob sich marktinduzierte Aktionärsrechte identifizieren lassen, welche diejenigen aktienrechtlich verbürgten Positionen erfassen, die für die Attraktivität von Kapitalmärkten von ganz besonderer Bedeutung sind. Modellvorbilder für ein solches vom Kapitalmarktrecht her motiviertes und begründetes Schnittstellenrecht könnten die USA liefern. Gesellschaftsrecht ist auch dort Staatenrecht (mit der unangefochtenen Vorrangstellung von Delaware). Zugleich kommen der SEC – auf der Grundlage von Bundesrecht – zahlreiche Kompetenzen zu, die weit in die Verbandsverfassung börsennotierter Gesellschaften hineinreichen. Das zielt auf eine standardisierte und damit attraktive, weil kostensparende, Vereinheitlichung bestimmter corporate actions über das Gesellschaftsrecht der Staaten hinaus. 1. Modellvorbild: „Gesellschaftsrechtliche“ Kompetenzen der SEC Auf den ersten Blick bestimmt sich das Zusammenspiel der state und der federal law Elemente des US Gesellschaftsrechts nach der internal affairs doctrine. Bei dieser handelt es sich um eine international-privatrechtliche Regel, wonach die Gründung in einem bestimmten Bundesstaat das für dessen „innere Angelegenheiten“, eben die internal affairs, einschlägige Recht bestimmt. Zu diesen inneren Angelegenheiten zählt man beispielsweise Stimm- und Dividendenrechte oder die Kompetenzverteilung zwischen Eigentümern und Organen – mithin aus deutscher Sicht klassische Fragen der Verbandsverfassung der Aktiengesellschaft. External affairs betreffen hingegen die Bindung der Gesellschaft im Außenverhältnis, beispielsweise im Rahmen von Arbeitsverträgen oder Steuern. Das hier einschlägige Recht richtet sich nach demjenigen Staat in welchem das operative Geschäft der Gesellschaft stattfindet.49 Bei näherem Hinsehen wird die internal affairs doctrine freilich in verschiedener Hinsicht aufgeweicht.50 Zunächst einmal handelt es sich bei dieser nicht etwa um eine verfassungsrechtliche Garantie der legislativen Kompetenz von Bundesstaaten im Gesellschaftsrecht.51 Unter der commerce clause der US-amerikanischen Verfassung steht es dem Congress vielmehr frei, jedenfalls solche gesellschaftsrechtlichen Normen zu untersagen, welche den freien Handel zwischen den Staaten behindern – nicht unähnlich 49 CTS Corp. v. Dynamics Corp. of Am., 481 U.S. 69, 91 (1987) („It thus is an accepted part of the business landscape in this country for States to create corporations, to prescribe their powers, and to define the rights that are acquired by purchasing their shares“); jüngst Buccola Tulane Law Review 93 (2018) 339; vergleichend mit der Sitztheorie der EU: Dore Brooklyn Journal of Corporate, Financial & Commercial Law 8 (2014) 318. 50 Hierzu eingehend Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588. 51 Besonders weitgehend Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588, 597 („all corporate law could be federal law“); kritisch hingegen Buxbaum California Law Review 75 (1987) 29, 43 ff.

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der binnenmarktbezogenen Kompetenzen des Europäischen Gesetzgebers. Ganz deutlich wird das, wenn Bundesrecht explizit internal affairs regelt, beispielsweise Einzelheiten der Zusammensetzung und Organisation von Organen.52 Eine im vorliegenden Kontext noch bedeutsamere, gleichsam informelle Einbruchstelle in die internal affairs doctrine bietet das US-amerikanische Kapitalmarktrecht. Kapitalmarktpublizität zählt zu den external affairs, denn betroffen ist nicht die Verbandsorganisation, sondern das Pflichtenprogramm der Gesellschaft im Außenverhältnis. Ermöglicht wird damit aber, dass Bundesbehörden wie die SEC „under the guise of regulating external corporate action – say, disclosure to securities markets – effectively assume control over the underlying governance structure of the corporation, the very internal affairs that state law is said to govern.“53

Die Kompetenzen der SEC sind zwar kapitalmarktbezogen. Weil aber Aktien nicht nur das an Kapitalmärkten gehandelte Instrument darstellen, sondern auch Verbandsrechte verbriefen, lässt sich die Trennlinie weniger scharf definieren, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. So erscheint beispielsweise die Zulässigkeit von Aktienrückkaufprogrammen auf den ersten Blick als internal affair. In einer berühmten Entscheidung des Delaware Supreme Court ging es um deren Zulässigkeit im Kontext einer Unternehmensübernahme. Die Gesellschaft hatte den Aktienrückkauf als Abwehrmaßnahme geplant, indem ein angreifender Großaktionär nicht in das Angebot einbezogen wurde. Das Gericht entwickelte den sogenannten „unocal test“ wonach eine derartige Abwehrmaßnahme unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, nämlich wenn eine ernsthafte Bedrohung der Gesellschaftsstrategie vorliegt und die Abwehrmaßnahme vernünftig und verhältnismäßig ist.54 Die SEC reagierte hierauf mit der all holders rule. Hiernach ist ein Kaufangebot an sämtliche Aktionäre zu richten, der selektive Ausschluss eines Angreifers mithin nicht zulässig. Grundlage hierfür ist die Aktionärsgleichbehandlung anordnende Rule 14d-10 des Securities Exchange Act 1934.55 Ein weiteres Beispiel für den Einbruch von federal law in die Domäne der internal affairs doctrine bilden die sogenannten proxy proposals. Die Kompetenzverteilung zwischen Organen und Eigentümern der Gesellschaft zählt zu den klassischen Fragen der Verbandsverfassung. Bei der Zulässigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen, die sich über die Geschäftsführungsstrate52

Am Beispiel von Sarbanes Oxley: Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588, 597. Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588, 597. 54 Unocal v Mesa Petroleum Co. 493 A.2d 946 (Del. 1985). 55 Cleaves Delaware Journal of Corporate Law 12 (1987) 564; im hiesigen Kontext: Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588, 598. 53

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gie des board verhalten, handelt es sich auf den ersten Blick ohne weiteres um einen der internal affairs doctrine zugehörigen Aspekt.56 Federal law kommt nun freilich ins Spiel, weil die SEC bestimmte Informationen verlangt, welche sie als für die Abstimmungsentscheidung des Investors erheblich begreift. Dem dienen die sogenannte proxy statements. Sie beinhalten Unterlagen, welche die Gesellschaft im Vorfeld einer Hauptversammlung zugänglich macht, und werden auf einer standardisierten Vorlage der SEC (Form DEF 14A/„definitive proxy statement“) veröffentlicht. Teil des proxy statement sind auch shareholder proposals. Hierunter versteht man (nicht bindende) Anträge von Aktionären, welche darauf abzielen, das Management zu einer bestimmten Geschäftsführungsstrategie zu ermutigen. Obgleich diese keine rechtliche Bindungswirkung entfalten, entsteht häufig öffentlicher Druck auf die Geschäftsführung der Gesellschaft. Die Veröffentlichung derartiger proposals bestimmt sich nicht nach state corporate law, sondern wird als Kapitalmarktrecht begriffen und unterfällt deshalb Rule 14a-8 Securities Exchange Act 1934. Sie sind als Teil des proxy statement, und damit auf Kosten der Gesellschaft, zu publizieren. Bei der reinen Pflicht zur Veröffentlichung bleibt die Kompetenzzuweisung an die SEC freilich nicht stehen. Als Kapitalmarktrecht werden auch die Voraussetzungen eingeordnet, unter welchen ein Minderheitsaktionär von der Gesellschaft überhaupt verlangen kann, das eigene shareholder proposal zu veröffentlichen. Derzeit zählt hierzu das ununterbrochene Halten von mindestens $ 2000.– oder 1% der Aktien über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr, gerechnet vom Zeitpunkt des Einbringens des proposal. Insbesondere für shareholder activists ergibt sich übrigens auf diese Weise eine nahezu kosten- und risikolose Strategie die eigenen Vorschläge zur Abstimmung zu präsentieren. Missstände in diesem Zusammenhang haben der SEC jüngst Anstoß gegeben, einen Vorschlag zur Modernisierung dieser Regeln vorzulegen.57 2. Europarechtliche Parallelen Vergleicht man die Konkurrenz des state corporate law mit dem federal securities law in den USA mit der Kompetenzverteilung zwischen nationalen Mitgliedstaaten und EU, drängen sich gewisse Parallelen auf. Aktiengesellschaftsrecht ist zunächst einmal nationales Recht. Jedenfalls das Recht der börsennotierten Gesellschaft hat freilich einen unmittelbaren Bezug zur Attraktivität des europäischen Kapitalmarkts, weil es die Ausgestaltung der dort gehandelten Rechte bestimmt. Ob sich schon aus diesem Grund die 56

Zu diesem Beispiel Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588, 599. SEC 17 CFR Part 240, Procedural Requirements and Resubmission Thresholds under Exchange Act Rule 14a-8 of 5.11.2019. 57

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Vereinheitlichung nationaler Aktienrechte empfiehlt, ist damit keineswegs gesagt. Das zeigt der in den USA wie in Europa als law & economics Dauerbrenner geführte Streit um die Frage, ob eine Angleichung von gesellschaftsrechtlichen Systemen ein race to the top befördert oder ein race to the bottom befürchten lässt.58 Die internal affairs doctrine, ebenso Bastion der Kompetenz der states wie die Betonung der Zuständigkeit europäischer Mitgliedstaaten für die Regelung des Gesellschaftsrechts, erscheint in dieser Auseinandersetzung als ein race to the top implizierend.59 Der Wettbewerb unterschiedlicher Rechtsordnungen, so ein Standardargument, lässt Marktkräfte dazu beitragen, dass sich die „besseren“ Normen durchsetzen.60 Das Beispiel der SEC lehrt nun freilich, dass bei diesem Wettbewerb nicht nur states konkurrieren, sondern ein weiterer Akteur zu berücksichtigen ist, der den Wettbewerb jedenfalls dann beschränkt, wenn sich rechtliche Lösungen durchsetzen, welche dem Kapitalmarktgeschehen abträglich sind.61 Ähnlich lassen sich Teile der europäischen Regulierungsgeschichte lesen. So betrifft beispielsweise das Recht öffentlicher Unternehmensübernahmen neben typisch kapitalmarktbezogenen Fragen eben auch die verbandsrechtliche Kompetenzzuordnung. Der Vereinheitlichungsversuch des europäischen Gesetzgebers62 stellte – lange vor den Plänen zu einer Kapitalmarktunion – einen Schritt in Richtung auf eine Kodifikation marktinduzierter Aktionärsrechte dar, damals in der Hoffnung die Entstehung eines europäischen Marktes für Unternehmensübernahmen zu fördern. Noch deutlicher definiert die erste Aktionärsrechterichtlinie bestimmte, für besonders bedeutsam gehaltene corporate actions.63 Dazu zählen beispielsweise die Gleichbehandlung der Aktionäre,64 ein auch von der erwähnten all holders rule der SEC betontes Element. Auch die Notwendigkeit, bestimmte Informationen zu veröffentlichen, die Investoren vor einer Hauptversammlung zu gewähren sind,65 hat in den proxy statements eine Parallele in den USA. Hinzutreten konkrete Rechte auf Ergänzung der Tagesordnung, der Teilnahme an 58 Siehe hierzu Cheffins/Wells/Bank The Race to the Bottom Recalculated: Scoring Corporate Law Over Time, Temple University Beasley School of Law, Legal Studies Research Paper No. 2014-38; Eidenmüller JZ 2009, 641; Heese, Die Funktion des Insolvenzrechts im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2018; in jüngerer Zeit mit Blick auf Digitalisierungsprojekte: Möslein/Omlor BKR 2018, 236; Omlor DStR 2019, 2544. 59 Siehe jüngst Buccola Tulane Law Review 93 (2018) 339. 60 Woran die Überlegenheiten einer gegenüber der anderen Rechtsordnung zu messen sei, soll hier nicht vertieft werden, kritisch Langenbucher Economic transplants, On lawmaking for corporations and capital markets, 2017, S. 73 ff. 61 So das Kernargument von Roe Harvard Law Review 117 (2003) 588, 599. 62 Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote. 63 Richtlinie 2007/36/EG vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte in börsennotierten Gesellschaften. 64 Art. 4 Richtlinie 2007/36/EG. 65 Art. 5 Richtlinie 2007/36/EG.

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einer Hauptversammlung, der Ausübung des Stimmrechts, von Fragen und Stimmrechtsvertretung.66 Die zweite Aktionärsrechte adressierende Richtlinie67 hat sich mit der Rolle von institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern aber auch der Vergütungspolitik und der Geschäfte mit nahestehenden Personen Kernelemente der corporate governance börsennotierter Gesellschaften vorgenommen.68 Mit der Identifikation von Aktionären über komplexe Ketten von Intermediären hinweg, tritt ein Problem der Marktinfrastruktur hinzu.69 Blickt man auf das Kapitalmarktrecht werden die Parallelen noch deutlicher. Zwar fällt auch dieses zunächst einmal in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Wegen der schwach ausgeprägten europäischen Kapitalmarktkultur ist der Bestand an nationalem Kapitalmarktrecht freilich wesentlich geringer als derjenige an nationalem Gesellschaftsrecht. Beginnend mit der Insiderrichtlinie70, fortschreitend mit der ersten Marktmissbrauchsrichtlinie71 und heute verfestigt in der Marktmissbrauchsverordnung ist ein Bestand an europäischem Kapitalmarktrecht entstanden, welches in mancherlei Hinsicht dem US-amerikanischen securities law gleicht. Das gilt nicht nur inhaltlich, soweit nämlich zahlreiche Konzepte übernommen oder jedenfalls auf diese aufgesetzt wurde.72 Auch die Verschränkung von europarechtlichem Marktmissbrauchs- und nationalem Gesellschaftsrecht erinnert an das Zusammenspiel von state und federal law. Anders als das Gesellschaftsrecht ist Kapitalmarktrecht inzwischen unmittelbar geltendes Verordnungsrecht und damit der Wirkung des federal law nicht unähnlich. Die Durchsetzung des Kapitalmarktrechts erfolgt nicht – wie im Gesellschaftsrecht – vorrangig auf der Basis von private enforcement, sondern bindet Behörden ein. Neben die nationalen Kapitalmarktaufsichtsbehörden tritt außerdem mit der ESMA eine europäische Behörde. Deren Kompetenzen (und finanzielle Ausstattung) sind zwar mit der SEC derzeit nicht vergleichbar. Die Parallele verweist aber doch auf die besonderen Herausforderungen des Kapitalmarktrechts und die naheliegende regulatorische Antwort, Behörden in deren Bewältigung einzubinden.

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Art. 6–13 Richtlinie 2007/36/EG. Richtlinie 2017/828 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre. 68 Erwägungsgründe (2), (14), (28), (42). 69 S. oben I 2 und Erwägungsgründe (4), (8). 70 Richtlinie des Rates vom 13.11.1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte (89/592/EWG). 71 Richtlinie 2003/6/EG vom 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch). 72 Siehe beispielhaft Langenbucher in Klöhn/Mock, Festschrift 25 Jahre WpHG, 2019, S. 551. 67

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IV. Ausblick: Ein Verordnungsrecht von marktinduzierten Aktionärsrechten Welche Fingerzeige lassen sich aus der Zusammenschau der Pläne für eine Vertiefung der Kapitalmarktunion und der Bedeutung von nationalem Gesellschaftsrecht ablesen? Die am Kapitalmarkt gehandelten Instrumente werden durch nationales Aktienrecht formatiert. Ähnlich dem state corporate law in den USA ist in Europa ein historisch und kulturell geprägter Flickenteppich an Gesellschaftsrechtsordnungen gewachsen. Hierdurch entstehen für Kapitalmarktinvestoren erhebliche Informations- und Transaktionskosten. In Europa gilt dies in noch wesentlich größerem Umfang als in den USA, weil es an einem europäischen Pendant zur Vorreiterrolle von Delaware fehlt. Deutlich vorangeschritten ist in Europa ein standardisiertes Kapitalmarktverordnungsrecht. Für das Gesellschaftsrecht liegt hingegen bislang nur Richtlinienrecht vor, mit dem schon 2015 von der Kommission monierten Problem der divergierenden nationalen Umsetzungen und der jedenfalls teilweise gegebenen Möglichkeit des goldplating. Ein sich aufdrängender Vorschlag liegt damit in der Identifikation bestimmter Elemente des nationalen Gesellschaftsrechts, die als marktinduzierte Aktionärsrechte von hervorgehobener Bedeutung für einen liquiden, verlässlichen, transparenten und effizienten Kapitalmarkt begriffen werden können. Für diesen begrenzten Bestand wäre ein Verordnungsrecht die naheliegende Lösung. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, nunmehr zur Identifizierung und Ausgestaltung der einzelnen marktinduzierten Aktionärsrechte zu schreiten, welche zum Gegenstand der tiefgreifenden Harmonisierung auf der Grundlage einer Verordnung gemacht werden könnten. Wofür wir an dieser Stelle de lege lata werben wollen, ist der Perspektivenwechsel welcher diesem Prozess der Identifizierung und Ausgestaltung zugrunde gelegt werden sollte. Bei der Zuordnung der marktinduzierten Aktionärsrechte (mehr) zum Kapitalmarktrecht oder (mehr) zum Gesellschaftsrecht handelt es sich u.E. – zumindest im Kontext der Rechtsetzung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts – nicht um eine bedeutungslose Etikettierungsfrage. Vielmehr lohnt es sich u.E., diese Zuordnung schärfer in den Blick zu nehmen. Offen, klar und konturenscharf aus der kapitalmarktrechtlichen Sicht begründete Aktionärsrechte fügen sich bruchlos in die Agenda der Kapitalmarktunion ein. Die rechtspolitische Rechtfertigung ihrer unionsweiten Harmonisierung bereitet in dem Maße geringere Schwierigkeiten in welchem man einen funktionierenden unionsweiten Kapitalmarkt für wünschenswert hält. Vor diesem Hintergrund sollte sich der europäische Gesetzgeber bei der Harmonisierung der marktinduzierten Aktionärsrechte offen, eindeutig und nachvollziehbar an den Zielsetzungen der Kapitalmarktunion orientieren. Damit steigen seine Chancen, sich gegenüber dem Vorwurf des Übergriffs

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in nationales Gesellschaftsrecht durchzusetzen. Überdies wirkt – und dies erscheint uns als der wichtigere Aspekt – ein derart klarer Fokus auf kapitalmarkrechtliche Zielsetzungen für den Gemeinschaftsgesetzgeber disziplinierend. Für jeden Regelungsvorschlag muss gezeigt werden, in welcher Weise die (Voll-)Harmonisierung bestimmter marktinduzierter Aktionärsrechte die Liquidität, Vertrauenswürdigkeit, Funktionstüchtigkeit und Allokationseffizienz des Kapitalmarkts verbessern kann. Soweit dies gelingt, sollte die Harmonisierung der marktinduzierten Aktionärsrechte weiter vorangetrieben werden. Wo dies nicht gelingt, sollte sich der europäische Gesetzgeber dagegen Schranken auferlegen, und der Versuchung widerstehen, im Vorhaben einer Kapitalmarktunion Regelungselemente unterzubringen, die im Kern anderen rechtspolitischen Anliegen geschuldet sind.

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Die variable Größe des Aufsichtsrats einer Genossenschaft Dieter Leuering

Die variable Größe des Aufsichtsrats einer Genossenschaft DIETER LEUERING

I. Einleitung Rund 875 deutsche Banken sind als Genossenschaft organisiert. Ihre Corporate Governance, mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex 2020 verstanden als „der rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens“1, richtet sich nach dem GenG, überlagert durch das deutsche und europäische Bankaufsichtsrecht.2 Auch wenn Bankspezifika hier außen vor bleiben sollen,3 hofft Verf., dass sein Werkstattbericht zum Recht des Aufsichtsrats der Genossenschaft auf das wohlwollende Interesse des Jubilars trifft. Er hat die CorporateGovernance-Diskussion, die in vielfältiger Weise mit dem Aufsichtsratsrecht verbunden ist,4 wie kein Zweiter in Deutschland von der ersten Stunde an geprägt. Into the heart of the matter: Genossenschaften mit mehr als 20 Mitgliedern verfügen zwingend über einen Aufsichtsrat, § 9 Abs. 1 Satz 2 GenG. Kleinstgenossenschaften ist es demgegenüber gestattet, auf die Bildung eines Aufsichtsrats zu verzichten, § 9 Abs. 1 Satz 2 GenG. Stellung, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder richten sich in erster Linie nach den §§ 36 bis 41 GenG. Eine Genossenschaft kann der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer unterfallen.5 Diese kann sich aus dem MitbestG oder dem DrittelbG ergeben, ferner aus dem SCE-Beteiligungsgesetz, das hier allerdings außen vor bleiben soll. Montan-MitbestG und MitbestErgG finden 1

Hintergrund und Einordnung der Definition bei Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 (934). Zum „Bankgesellschaftsrecht“ Hopt, ZIP 2013, 1793, 1796; Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 32 ff. m.w.Nachw. 3 Dazu Hopt, Governance of Financial Institutions after the Financial Crisis, Journal of Corporate Law Studies 2013, S. 219–253 (passim); Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011 (passim). 4 Hopt/Roth, Vorwort zu Band 5 des Großkomm. zum AktG, §§ 95–116, 5. Aufl. 2019, VII. 5 Zu den Auswirkungen der Mitbestimmung auf die Corporate Governance s. Hopt, in: Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011, S. 12 f. 2

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auf Genossenschaften keine Anwendung. Beschäftigt ein von einer Genossenschaft betriebenes Unternehmen in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer, unterfällt es dem MitbestG, so § 1 Abs. 1 MitbestG. Sind im Unternehmen der Genossenschaft in der Regel weniger als 2.001 Arbeitnehmer, aber mehr als 500 beschäftigt, unterfällt sie dem DrittelbG, so § 1 Abs. 3 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 1 DrittelbG. Auch Kleinstgenossenschaften müssen dann einen Aufsichtsrat einrichten.6 Jedes Mitbestimmungsregime hat Auswirkungen auf die Größe des Gremiums.

II. Größe des nicht mitbestimmten Aufsichtsrats Nach § 36 Abs. 1 S. 1 GenG besteht der Aufsichtsrat einer Genossenschaft aus drei Personen, sofern nicht die Satzung eine höhere Zahl festlegt. Es ist allgemein anerkannt, dass die Satzung auch lediglich eine Mindestund/oder Höchstzahl von Aufsichtsratsmitgliedern vorgeben und die Festlegung der konkreten Aufsichtsratsgröße der Generalversammlung überlassen kann.7 Das Genossenschaftsrecht weicht hier vom Recht der AG ab, für die § 95 Satz 2 AktG eine in der Satzung bestimmte (d.h. konkret festgelegte8) Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern vorschreibt. Dies war eine Neuerung des AktG 1965, denn § 86 Abs. 1 AktG 1937 als Vorgängernorm forderte keine bestimmte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern.9 Und so war es zu § 86 Abs. 1 AktG 1937 herrschende Lehre10, dass die Satzung innerhalb der gesetzlichen Höchst- und Mindestzahl „auch der Hauptversammlung freie Hand lassen [kann], z.B. [zu] bestimmen, dass der Aufsichtsrat aus mindestens drei Mitgliedern bestehen solle“11. Dementsprechend stellte der Gesetzgeber bei Erlass des AktG 1965 fest, dass „die Satzungen von Aktiengesellschaften zur Zeit vielfach keine bestimmte, sondern eine sogenannte variable Zahl von 6

Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 1252. KG, Beschl. v. 7.3.1907 – 1 X 157/07 = KGJ 34, 175: „allgemein anerkannt“; Hopt/ Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 43; Holthaus/Lehnhoff, in: Lang/ Weidmüller, GenG, 38. Aufl. 2015, § 36 Rn. 9; Beuthien, GenG, 16. Aufl. 2018, § 36 Rn. 1. 8 Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 34 a.E. und 61. 9 § 86 Abs. 1 AktG 1937 hatte folgenden Wortlaut: „Der Aufsichtsrat besteht aus drei Mitgliedern. Die Satzung kann eine höhere Zahl festsetzen.“ 10 So Baumbach/Huck, AktG, 13. Aufl. 1968, § 95 Rn. 1; auch Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2014, § 95 Rn. 1: „seinerzeit h.M.“ 11 So Baumbach/Huck, AktG, 11. Aufl. 1961, § 86 2) A.; ferner Godin/Wilhelmi, AktG, 2. Aufl. 1950, § 86 Anm. 2; Teichmann/Koehler, AktG, 3. Aufl. 1950, § 86 Anm. 2: „Innerhalb des Rahmens kann die Satzung eine bestimmte Zahl als Mußzahl festsetzen, z.B. sechs. Doch ist das weniger rätlich“; a.A. W. Schmidt/Meyer-Landrut, in: Großkomm. zum AktG, 2. Aufl. 1961, § 86 Anm. 2; alle m.w.Nachw. 7

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Aufsichtsratsmitgliedern vor[-sehen]“12. Erst § 95 AktG fordert eine „bestimmte Zahl“ von Aufsichtsratsmitgliedern.13 Mit der Abschaffung der variablen Mitgliederzahlen sollte insbesondere mit Blick auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat verhindert werden, dass die Hauptversammlung ohne Satzungsänderung, also mit einfacher Mehrheit, die Größe des Aufsichtsrats verringern kann, um auf diesem Weg unerwünschte Aufsichtsratsmitglieder aus dem Amt zu entfernen oder am Eintritt in den Aufsichtsrat zu hindern.14 Parallel wurde dieselbe Änderung im Recht des VVaG vorgenommen, denn auch im damaligen § 35 VAG (heute § 189 VAG 2015) wurde mit dem EG AktG 196515 das Erfordernis einer „bestimmten Zahl“ eingefügt, um den Gleichlauf zwischen VVaG und Versicherungs-AG beizubehalten.16 Das GmbHG verweist demgegenüber in § 52 nicht auf § 92 Satz 2 AktG.

III. Größe des paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats Der Aufsichtsrat einer nach dem MitbestG mitbestimmten Genossenschaft ist zu gleichen Teilen mit Vertretern der Arbeitnehmer und der Anteilseigner zu besetzen, § 7 Abs. 1 MitbestG. Die Größe des Aufsichtsrats richtet sich nach der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer: Bei bis zu 10.000 Arbeitnehmern besteht der Aufsichtsrat aus je sechs, bei mehr als 10.000, jedoch nicht mehr als 20.000 Arbeitnehmern aus je acht und bei mehr als 20.000 Arbeitnehmern aus je zehn Arbeitnehmer- und Anteilseignervertetern, so § 7 Abs. 1 Satz 1 MitbestG.17 Die Satzung kann vorsehen, dass die jeweils nächste oder übernächste Stufe der gesetzlich vorgesehenen Aufsichtsratsgröße maßgeblich ist, so § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 MitbestG. Die Regelung des § 7 MitbestG ist zwingend und kann folglich nicht in der Satzung abbedungen werden.18 Auch ist eine Satzungsregel zur Größe 12

Begr. RegE zu § 12 EGAktG, abgedruckt bei Kropff, AktG, 1965, S. 525. Dazu Begr. RegE zu § 95 AktG, abgedruckt bei Kropff, AktG, 1965, S. 125 sowie 525; zur Gesetzesgeschichte des § 95 AktG Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 34. 14 So wörtlich Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 37. 15 § 37 Abs. 1 Nr. 3 EG AktG vom 6.9.1965 (BGBl. I S. 1185). 16 Zwischenzeitlich besteht wieder eine Diskrepanz zwischen § 189 Abs. 1 Satz 3 VAG (ex § 35 VAG) und § 95 Abs. 1 Satz 3 i.d.F. des G v. 22.12.2015 (BGBl. I S. 2565), da die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder eines VVaG stets durch drei teilbar sein muss. 17 Zur rechtspolitischen Diskussion der Größe des Aufsichtsrats Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 44 ff. 18 Annuß, in: Münchener Komm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 7 MitbestG Rn. 1; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2013, Anh. zu § 117 B: § 7 MitbestG Rn. 2. 13

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des Aufsichtsrats an sich gar nicht erforderlich, aber üblich. Wiederholt die Satzung die kraft Gesetzes geltende Rechtslage, kommt dem allein ein deklaratorischer Charakter zu. Das ist unproblematisch. Weicht die Satzung hingegen von der geltenden Rechtslage ab, verstößt sie gegen zwingendes Recht.19 Satzungsändernde Beschlüsse, die gegen das MitbestG verstoßen, werden gemeinhin wegen Verstoßes gegen § 241 Nr. 3 AktG (Verletzung einer im öffentlichen Interesse gegebenen Vorschrift) als nichtig angesehen;20 dies gilt ebenso im Genossenschaftsrecht.21 Dem ist zunächst einmal zuzustimmen. Jedoch ist auch bei der Genossenschaft22 die Heilungsvorschrift des § 242 Abs. 2 AktG zu beachten: Drei Jahre nach Eintragung in das Handelsregister werden eine nichtige Gründungssatzung sowie eine nichtige Satzungsänderung rückwirkend gültig23; das gilt auch für Satzungsbestimmungen, die gegen § 241 Nr. 3 AktG verstoßen.24 Es kann also nicht allein mit einem Blick in die Satzung und das Gesetz festgestellt werden, ob sich dort eine nichtige Satzungsbestimmung findet. Vielmehr muss der Historie der Satzungsregelung und damit der Frage nachgegangen werden, wann die Regelung wie in die Satzung aufgenommen wurde.

IV. Größe des drittelmitbestimmten Aufsichtsrats Unterfällt eine Gesellschaft dem DrittelbG, ist der Aufsichtsrat zu einem Drittel mit Vertretern der Arbeitnehmer zu besetzen, § 4 Abs. 1 DrittelbG. Anders als das MitbestG enthält das DrittelbG keine Regelungen zur Größe des Aufsichtsrats, weshalb die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften gelten. Für AG, KGaA und die drittelmitbestimmte GmbH25 gilt § 95 AktG. Danach wird die Größe des Aufsichtsrats in der Satzung festgelegt und variiert deshalb von Gesellschaft zu Gesellschaft. Die gesetzliche Mindestzahl be19 BGH, NZG 2012, 347; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 1 MitbestG Rn. 16; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 1 MitbestG Rn. 4. 20 Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 88; Noack/Zetzsche, in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2017, § 241 Rn. 118 f.; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 241 Rn. 228 ff. 21 Zur Anwendbarkeit von § 241 Nr. 3 AktG im Recht der Genossenschaft BGHZ 126, 335; Beuthien, GenG, 18. Aufl. 2018, § 51 Rn. 3 und 6; Keßler, in: Berliner Komm. zum GenG, 3. Aufl. 2020, §§ 51 Rn. 4. 22 Zur Anwendbarkeit von § 242 Abs. 2 AktG im Genossenschaftsrecht s. Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 242 AktG Rn. 2 sowie Geibel, ebenda, § 51 GenG Rn. 8; Beuthien, GenG, 18. Aufl. 2018, § 51 Rn. 10 und 12; Holthaus/ Lehnhoff, in: Lang/Weidmüller, GenG, 39. Aufl. 2018, § 51 Rn. 8 und 17; Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, 4. Aufl. 2012, § 51 Rn. 2. 23 Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 Rn. 12 f. 24 BGHZ 144, 365, 367 (GmbH); BGHZ 202, 87 Rn. 14 (AG). 25 § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 DrittelbG.

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trägt drei Mitglieder (§ 95 Satz 1 AktG), die Höchstzahl richtet sich nach der Höhe des Grundkapitals (§ 95 Satz 4 AktG). Des Weiteren verbietet § 95 Satz 2 AktG eine variable Mitgliederzahl, denn diese muss „bestimmt“ sein.26 Bei der drittelmitbestimmten Genossenschaft tritt neben § 36 Abs. 1 S. 1 GenG die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 S. 3 DrittelbG, wonach die Satzung nur eine durch drei teilbare Zahl27 von Aufsichtsratsmitgliedern festsetzen kann. Ein Verweis auf § 95 AktG enthält § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG nicht. Fraglich ist, ob auch die Satzung der drittelmitbestimmten Genossenschaft eine bestimmte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern festlegen muss oder, ob die Festlegung der Größe des Aufsichtsrats – wie bei der nicht mitbestimmten Genossenschaft – der Generalversammlung überlassen werden kann. 1. Meinungsstand in der Literatur Zum Teil wird in der Kommentarliteratur ohne weitere Differenzierung zwischen den einzelnen Gesellschaftsformen vertreten, dass die Satzung drittelmitbestimmter Gesellschaften eine bestimmte Aufsichtsratsgröße festlegen muss.28 Deswegen sei es unzulässig, in der Satzung nur eine Mindestund/oder Höchstzahl vorzuschreiben.29 Genügt die in der Satzung festgesetzte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern nicht diesen Anforderungen oder widerspricht sie den gesetzlichen Vorgaben, sei die entsprechende Satzungsbestimmung nach dieser Ansicht nichtig, weswegen der Aufsichtsrat dann aus der gesetzlich vorgesehenen Zahl von drei Mitgliedern bestehe.30 Man wird hier hinzufügen müssen: stets vorbehaltlich einer Heilung der Regelung nach § 242 Abs. 2 AktG.31 Nach gegenteiliger Auffassung schreibt das DrittelbG im Unterschied zu § 7 MitbestG keine bestimmte Größe des Aufsichtsrats vor. Daher seien die 26 Neben Hopt/Roth (oben Fußn. 8) auch Habersack, in: Münchener Komm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 9; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2014, § 95 Rn. 1 und 14. 27 Teilbarkeit ist eine mathematische Beziehung zwischen zwei ganzen Zahlen. Eine ganze Zahl ist durch eine andere ganze Zahl teilbar, wenn bei der Division kein Rest verbleibt. 28 Kleinsorge, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 4 DrittelbG Rn. 15; Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 4 DrittelbG Rn. 3 mit zahlr. Nachw.; Seibt, in: Henssler/Willemsen/Kalb, 7. Aufl. 2016, § 4 DrittelbG Rn. 2. 29 Kleinsorge, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 4 DrittelbG Rn. 15. 30 Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, DrittelbG § 4 Rn. 3 mit zahlr. Nachw. 31 Oben III. a.E.

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für die jeweilige Rechtsform vorgesehenen allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften heranzuziehen.32 Aus dem DrittelbG folge lediglich, dass dem Aufsichtsrat eine durch drei teilbare Zahl von Mitgliedern angehören muss; eine exakte Anzahl müsse deswegen aber nicht in der Satzung der Genossenschaft bestimmt werden.33 Die dritte und zahlenmäßig größte Gruppe von Autoren äußert sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob eine bestimmte Zahl in die Satzung aufzunehmen ist; sie belässt es bei der Aussage des § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG, wonach die Satzung nur eine durch drei teilbare Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern festsetzen kann.34 2. Stellungnahme Vorab ist festzustellen, dass es dem Satzungsgeber einer drittelmitbestimmten (ebenso wie dem einer nicht mitbestimmten) Genossenschaft freisteht, eine bestimmte Größe des Aufsichtsrats festzulegen.35 Jedoch kann er die Festlegung der Größe des Aufsichtsrats auch der Generalversammlung mit der Maßgabe überlassen, dass die Zahl durch drei teilbar sein muss. § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG selbst ordnet für die Genossenschaft nicht an, dass eine bestimmte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern in der Satzung festgelegt sein muss. Die Genese der Norm zeigt, dass dies auch nicht beabsichtigt war: Das DrittelbG trat im Jahr 2004 an die Stelle der verbliebenen Regelungen des BetrVG 195236; die Vorschriften des BetrVG wurden seinerzeit in das DrittelbG überführt.37 Vorgängernorm zu § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG war § 77 Abs. 3 BetrVG 1952.38 Als § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 erlassen wurde, galt nicht § 95 AktG 1965, sondern dessen Vorgängerreglung § 86 Abs. 1 AktG 1937. Der Gesetzgeber 32 Veil, in: Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2014, § 4 DrittelbG Rn. 3. 33 Veil, in: Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2014, § 4 DrittelbG Rn. 6. 34 Beuthien, GenG, 16. Aufl. 2018, § 36 Rn. 7; Glenk, Genossenschaftsrecht 2. Aufl. 2013, Rn. 472; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 1 Rn. 30 sowie Henssler, ebenda, § 4 Rn. 8; Keßler, in: Berliner Komm. zum GenG, 3. Aufl. 2020, §§ 36, 37 Rn. 114; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 1253; K. Müller, GenG, 2. Aufl. 1996, Anh. § 36 Rn. 1f sowie 22; unklar Holthaus/Lehnhoff, in: Lang/Weidmüller, GenG, 39. Aufl. 2018, § 36 Rn. 89. 35 Veil, in: Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2014, § 4 DrittelbG Rn. 6. 36 §§ 76 bis 87a BetrVG 1952. 37 Umfassende Darstellung bei Seibt, NZA 2004, 767. 38 § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 hatte folgenden Wortlaut: „Auf Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern findet § 76 dieses Gesetzes Anwendung. Das Statut kann nur eine durch drei teilbare Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern festsetzen.“

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des BetrVG 1952 spiegelte in § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 für die Genossenschaft die damals in Kraft befindliche Regelung zur AG39. Diese forderte keine bestimmte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern, sondern ließ eine variable zu. Als dieses Erfordernis dann in das Aktienrecht (und das VAG)40 aufgenommen wurde, blieb die Regelung in § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 zur Genossenschaft unverändert. Bemerkenswert ist noch eine spätere Änderung von § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 durch das Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens41: Am Ende von § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG 1952 wurden die §§ 96 Abs. 2, 97 bis 99 AktG für entsprechend anwendbar erklärt; ein Verweis auf § 95 AktG wurde nach wie vor nicht eingefügt. Hierin kann man durchaus ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers erblicken – wenn man diese Figur denn überhaupt als Argument gelten lassen will.42 Der Gesetzgeber fand bei Erlass des BetrVG 1952 also die Situation vor, dass nach dem AktG in der Satzung einer AG keine bestimmte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern festzuschreiben war. Er spiegelte diese Regelungen für die drittelmitbestimmte Genossenschaft in § 77 Abs. 3 BetrVG. Die aktienrechtliche Regelung wurde 1965 modifiziert, § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 blieb jedoch unverändert. Die damalige Rechtslage in § 86 Abs. 1 AktG 1937 wurde dadurch zunächst in § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 und sodann in § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG konserviert. 3. Ergebnis zu IV. Der Satzungsgeber muss nicht in der Satzung einer drittelmitbestimmten Genossenschaft eine bestimmte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern festlegen. Wenn die Satzung keine exakte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern bestimmt, obliegt deren Festlegung der Generalversammlung. Diese kann die konkrete Anzahl vor der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern im Beschlusswege feststellen,43 dies kann aber auch inzidenter durch die Wahl einer bestimmten Anzahl von Anteilseignervertretern erfolgen44.

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Wortlaut von § 86 Abs. 1 AktG 1937 oben in Fußn. 9. Oben Fußn. 15. 41 G. v. 21. Mai 1979 (BGBl I, S. 545). 42 Zum beredten Schweigen des Gesetzgebers Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 370; dagegen E. Schneider, Logik für Juristen, 1965, S. 179 und 215. 43 Veil, in: Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2014, § 4 DrittelbG Rn. 6. 44 K. Müller, GenG, 2. Aufl. 1996, § 36 Rn. 3; a.A. Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/ Bloehs, GenG, 4. Aufl. 2012, § 36 Rn. 2: vor der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern müsse die Generalversammlung über die konkrete Anzahl der zu besetzenden Aufsichtsratspositionen beschließen. 40

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V. Kein Statusverfahren Sowohl bei der nicht mitbestimmten als auch bei der drittelmitbestimmten Genossenschaft kann die Satzung der Generalversammlung das Recht zuweisen, die Größe des Aufsichtsrats festzulegen. Ändert die Generalversammlung die Größe des Aufsichtsrats im Beschlusswege, stellt sich die Frage, ob dieser Beschluss sofort wirksam oder zunächst ein Statusverfahren gem. §§ 97 f. AktG zu durchlaufen ist. Dem Grunde nach findet das Statusverfahren auf die drittelmitbestimmte Genossenschaft Anwendung, so § 1 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 DrittelbG45, ferner auf die paritätisch mitbestimmte Genossenschaft, § 6 Abs. 2 MitbestG; bei Letzterer kann die Generalversammlung jedoch nicht die Größe des Aufsichtsrats festlegen.46 Für die nicht mitbestimmte Genossenschaft ist kein Statusverfahren angeordnet. Somit stellt sich allein bei der drittelmitbestimmten Genossenschaft die Frage, ob ein Statusverfahren durchzuführen ist, wenn die Generalversammlung die Aufsichtsratsgröße im Beschlusswege ändert. Dies ist zu verneinen: Für den Fall einer Änderung der Größe des Aufsichtsrats einer AG im Wege einer Satzungsänderung ist umstritten, ob ein Statusverfahren zu durchlaufen ist; die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum lehnt dies zu Recht ab.47 Mit einer Satzungsänderung ändert sich nicht die für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats maßgebende gesetzliche Grundlage. Allerdings hat das BAG vor rd. 30 Jahren eine andere Sicht mit der Begründung vertreten, dass auch die Satzung als gesetzliche Vorschrift i.S.d. § 97 Abs. 1 Satz 1 AktG anzuerkennen sei.48 Zu dem gleichen Ergebnis kommt Oetker, der das Statusverfahren im Falle einer quantitativen Änderung des Aufsichtsrats durch Satzungsänderung entsprechend anwenden will.49 Selbst wenn man mit dem BAG die Satzung als gesetzliche Vorschrift i.S.d. § 97 Abs. 1 Satz 1 AktG ansehen wollte, erfährt diese keine Änderung, wenn die Generalversammlung in Ausfüllung eines satzungsrechtlichen Bestimmungsrechts die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder ändert; die satzungsrechtliche Grundlage bleibt unangetastet. Gegen eine analoge Anwendung führt die herrschende Meinung zu Recht an, dass das Statusverfahren den Zweck verfolgt, die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, die durch die mitunter komplexen Anwendungsvoraussetzungen der verschiedenen Formen der 45

Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 97 Rn. 7. Oben III. 47 Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 96 mit zahlr. Nachw.; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 95 Rn. 5. 48 BAG, AG 1990, 361, 362. 49 Oetker, ZHR 149 (1985), 575, 584. 46

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Mitbestimmung entsteht. Ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit des Statusverfahrens selbst besteht bei der Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats im Wege der Satzungsänderung keine Unsicherheit.50 Entsprechendes gilt für einen Beschluss, der die Größe des Aufsichtsrats durch Festlegung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder erst konkretisiert/bestimmt. Mangels Regelungslücke und vergleichbarer Interessenlage besteht daher kein Raum für eine analoge Anwendung.51 Darüber hinaus beruht die quantitative Änderung des Aufsichtsrats auf einer privatautonom getroffenen Entscheidung der Generalversammlung, während die §§ 96 Abs. 4, 97 ff. AktG sich auf gesetzlich zwingende Änderungen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats beziehen, die aus der Anwendung mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften resultieren.52

VI. Veränderung der Größe des Aufsichtsrats in der laufenden Amtsperiode Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen die Veränderung der Größe des Aufsichtsrats während einer laufenden Amtsperiode, insbesondere auf die Stellung der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder, hat. 1. Vergrößerung des Aufsichtsrats Erhöht die Generalversammlung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, hat dies auf die amtierenden Mitglieder und deren Amt keine unmittelbare Auswirkung.53 Die neu geschaffenen Stellen können im Wege der Ergänzungswahl durch das jeweilige Wahlgremium (Generalversammlung, Arbeitnehmer) besetzt werden.54 Neben der Ergänzungswahl durch das zuständige Wahlgremium steht die gerichtliche Bestellung. Zwar enthält das GenG weder eine mit § 104 AktG vergleichbare Vorschrift noch einen entsprechenden Verweis ins Aktienrecht. Auch § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG verweist nicht hierauf. Allerdings entspricht es der einhelligen Sicht der Literatur, dass auch bei der Genossen50 Göz ZIP 1998, 1523, 1526; Uffmann, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2018, § 380 Rn. 18. 51 Vgl. statt vieler Uffmann, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2018, § 380 Rn. 18. 52 Spindler, in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 92 f.; Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des GesR, Bd. 4 – AG, 4. Aufl. 2015, § 30 Rn. 89. 53 Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 92 (zur AG). 54 Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 92; Habersack, in: Münchener Komm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 17; Kort, AG 2008, 137, 139 (alle zur AG).

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schaft vakante Aufsichtsratsposten im Wege der gerichtlichen Bestellung besetzt werden können, wobei entweder eine Analogie zu § 29 BGB55 oder zu § 104 AktG56 befürwortet wird. Überzeugend erscheint es, hier zu differenzieren: Grundsätzlich erfolgt die gerichtliche Bestellung analog § 104 AktG, es sei denn, es geht um einen Fall, in dem die rechtsgeschäftliche oder prozessuale Vertretung der Genossenschaft dem Aufsichtsrat zugewiesen ist; dann erfolgt eine gerichtliche Bestellung analog § 29 BGB.57 – Der gerichtlichen Bestellung kommt in der Genossenschaftspraxis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. 2. Verkleinerung des Aufsichtsrats Verringert die Generalversammlung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, ist danach zu differenzieren, ob die Genossenschaft mitbestimmt ist oder nicht. a) Nicht mitbestimmter Aufsichtsrat Die Verkleinerung eines Aufsichtsrats, in dem keine Vertreter der Arbeitnehmer sitzen, bereitet keine Schwierigkeiten: Die Amtsinhaberschaft der rechtswirksam bestellten Aufsichtsratsmitglieder wird nicht unmittelbar berührt. Da die Bestellung zum Mitglied des Aufsichtsrats frei widerrufbar ist (§ 36 Abs. 3 GenG), kann die Generalversammlung aber im Rahmen der Bestimmung der neuen Größe des Aufsichtsrats einzelne Mitglieder abberufen und so auch die tatsächliche Größe des Gremiums anpassen; hierzu ist sie auch verpflichtet.58 b) Mitbestimmter Aufsichtsrat Die Auswirkungen einer Verkleinerung des Aufsichtsrats im Wege einer Satzungsänderung sowie im Fall einer gesetzlich notwendigen Aufsichtsratsverkleinerung wegen Herabsetzung des Grundkapitals oder Absinken der Arbeitnehmerzahlen auf die laufenden Amtsperioden von Aufsichtsräten wird im Aktien- und GmbH-Recht kontrovers diskutiert.59 Hier kommt 55 Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 104 Rn. 17; Beuthien, GenG, 18. Aufl. 2018, § 36 Rn. 6. 56 Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, 4. Aufl. 2012, § 36 Rn. 11; Holthaus/Lehnhoff, in: Lang/Weidmüller, GenG, 39. Aufl. 2018, § 36 Rn. 21; Geibel, in: Henssler/Strohn, GesR, 4. Aufl. 2019, § 36 GenG Rn. 3. 57 Keßler, in: Berliner Komm. zum GenG, 3. Aufl. 2020, §§ 36, 37 Rn. 114. 58 Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 95 Rn. 5; Habersack, in: Münchener Komm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 18 (beide zur AG). 59 Nachweis des Streitstands bei Hopt/Roth, in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 99 ff.; ferner Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 95 Rn. 5: „nicht voll ausdiskutierte Schwierigkeiten“.

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es zu einem Konflikt zwischen dem Grundsatz der Amtskontinuität sowie der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsarbeit und dem an sich maßgeblichen Zeitpunkt der durch den Beschluss getroffenen privatautonomen Entscheidung. Heute besteht weitgehend Einigkeit, dass die nachträgliche Verkleinerung des Aufsichtsrats durch Satzungsänderung jedenfalls nicht automatisch zum Mandatsverlust führt.60 Die Verringerung der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats wird erst mit Ablauf der laufenden Amtsperiode der Arbeitnehmervertreter wirksam.61 Auch wird für die mitbestimmte Gesellschaft ganz überwiegend davon ausgegangen, dass kein Abberufungsrecht hinsichtlich der überzähligen Mitglieder des Aufsichtsrats besteht; durch nachträgliche Satzungsänderung darf nicht in die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat für die Dauer ihrer Amtsperiode eingegriffen werden.62 Der Grund liegt in den besonderen Schutzvorschriften des § 103 Abs. 3 und 4 AktG, die ein vorzeitiges Ausscheiden der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen. Deren Wertungen würden umgangen, wenn in den Fortbestand der Amtsstellung der Arbeitnehmervertreter nachträglich durch Beschluss der Anteilseigner eingegriffen werden könnte. Möglich bleibt die Verkleinerung des Aufsichtsrats aufgrund eines freiwilligen Verzichts von Mandatsträgern.63 Dieser Bestandsschutz zugunsten der Arbeitnehmervertreter führt dazu, dass auch in die Amtsperiode der von den Anteilseignern bestellten Aufsichtsräte (entgegen der allgemeinen Regeln) nicht vorzeitig eingegriffen werden kann. Das ist zum einen aus Gründen der Gleichbehandlung geboten,64 zum anderen würde die einseitige Verringerung der Zahl der Anteilseignervertreter zu einem Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften des DrittelbG über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats führen.65 Der Schutz vor dem vorzeitigen Eingriff in die Amtsperioden der Arbeitneh60

Für die AG statt vieler Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 95 Rn. 5. OLG Dresden ZIP 1997, 589, 591; OLG Hamburg AG 1989, 64, 66; Oetker, in: Erfurter Komm. zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, DrittelbG, § 4 Rn. 5; Kleinsorge, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 12 DrittelbG Rn. 14; Seibt, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 4 DrittelbG Rn. 4; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, DrittelbG § 4 Rn. 11; Uffmann, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2018, § 380 Rn. 18. 62 Statt vieler Uffmann, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2018, § 380 Rn. 18; Spindler, in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 93; Habersack, in: Münchener Komm. zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rn. 19. 63 Statt vieler Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des GesR, Bd. 4 – AG, 4. Aufl. 2015, § 30 Rn. 89. 64 Spindler, in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 93. 65 OLG Hamburg AG 1989, 64, 66 (im Verhältnis zu den Vorschriften der Gruppenparität). 61

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mervertreter im Aufsichtsrat entfaltet insoweit grundsätzlich Ausstrahlungswirkung auf die Mandate der Anteilseignerseite.66 Diese Grundsätze sind in entsprechender Weise auf eine drittelmitbestimmte Genossenschaft übertragbar. Zwar fehlt es im Genossenschaftsrecht einer zu § 103 Abs. 3 und 4 AktG vergleichbaren Regelung, was auf den ersten Blick darauf hindeuten könnte, dass ein besonderer Schutz zugunsten der Aufsichtsräte der Arbeitnehmerseite nicht existiert. So enthält § 36 Abs. 3 GenG lediglich eine zu § 103 Abs. 1 AktG vergleichbare Regelung, die vom Grundsatz der freien Abberufbarkeit der Aufsichtsräte durch die Generalversammlung ausgeht.67 Gleichwohl sprechen die besseren Gründe dafür, dass auch im Genossenschaftsrecht der Beschluss der Generalversammlung, der auf eine Verringerung der Mitgliederzahl im Aufsichtsrat gerichtet ist, im Falle einer drittelmitbestimmten Genossenschaft nicht dazu führt, dass die überzähligen Mitglieder des Aufsichtsrat unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 GenG frei abberufen werden können. Denn dies würde zu einer Umgehung der mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften über die Abberufung von Aufsichtsräten der Arbeitnehmerseite, vorliegend § 12 DrittelbG, führen.

VII. Ergebnis 1. Sowohl bei der nicht als auch bei der drittelmitbestimmten Genossenschaft kann der Generalversammlung in der Satzung das Recht zugewiesen werden, die Größe des Aufsichtsrats im Beschlusswege festzulegen. Die Größe eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats ergibt sich demgegenüber unmittelbar aus dem MitbestG. 2. Ändert die Generalversammlung einer nicht oder einer drittelmitbestimmten Genossenschaft aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung in der Satzung die Größe des Aufsichtsrats, ist kein Statusverfahren gem. §§ 97 f. AktG zu durchlaufen. Der Beschluss entfaltet vielmehr sofortige Wirksamkeit. 3. Erhöht die Generalversammlung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, können die neu geschaffenen Stellen im Wege der Ergänzungswahl durch das jeweilige Wahlgremium (Generalversammlung, Arbeitnehmer) besetzt werden. Des Weiteren können sie im Wege der gerichtlichen Bestellung besetzt werden. 66 Im Erg. ebenso Veil, in: Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2014, § 4 DrittelbG Rn. 10. 67 Zum allgemeinen Recht der Generalversammlung, die Bestellung des Aufsichtsrats zu widerrufen z.B. Geibel, in: Henssler/Strohn, GesR, 4. Aufl. 2019, § 36 GenG Rn. 4; Fandrich, in: Pöhlmann u.a., GenG, 4. Aufl. 2012, § 36 Rn. 16.

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4. Verringert die Generalversammlung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, führt dies nicht automisch zu einem Mandatsverlust; vielmehr wird die Verringerung der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats erst mit Ablauf der laufenden Amtsperiode der Arbeitnehmervertreter wirksam. Dasselbe gilt für die Amtsperiode der von den Anteilseignern bestellten Aufsichtsratsmitglieder.

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Der UK Stewardship Code 2020 – Hintergründe, Konzeption und Berichtspflichten im Vergleich zu §§ 134a bis 134c AktG – PATRICK C. LEYENS

I. Einführung Mit dem UK Stewardship Code 2020 liegt die Neufassung der innerhalb der Europäischen Union wie international viel beachteten britischen Wohlverhaltensregeln für institutionelle Investoren und Vermögensverwalter vor.1 Der untergesetzliche Kodex dient der Standardsetzung, Anleitung und Transparenz im Zusammenspiel der Akteure bei indirekten Investitionen. In den Anfängen standen beim Stewardship allein die Interessen von wirtschaftlich Endberechtigten wie beispielsweise Versicherungsnehmern oder Inhabern von Fondsanteilen im Fokus. Darüber geht die Neufassung des Kodexwerks hinaus und hält institutionelle Investoren als rechtliche Eigner der Aktien oder festverzinslichen Papieren sowie die von ihnen eingesetzten Vermögensverwalter dazu an, sich für die Umsetzung von ESG-Zielen (environment, society, governance) zu engagieren. Erstmals werden in den Adressatenkreis auch Dienstleister wie Anlageberater, Stimmrechtsberater, Datenbereitstellungs- und Analysedienste einbezogen, die für die Wahrnehmung von Stewardship-Verantwortung zweifelsohne eine wichtige Rolle spielen. Bereits die High-Level-Group of Company Law Experts, deren deutsches Mitglied Klaus J. Hopt war, hatte sich in ihrem hoch einflussreichen Abschlussbericht von 2002, also lang vor der Erstfassung des UK Stewardship Code 2010, für die Offenlegung der Investitions- und Abstimmungspolitik institutioneller Investoren ausgesprochen.2 In der nach langem Ringen verabschiedeten Aktionärsrechterichtlinie II von 2017 wurden schließlich Offenlegungspflichten verankert, die ersichtlich an die seinerzeit geltende 1 Financial Reporting Council, The UK Stewardship Code 2020, abrufbar unter: https://www.frc.org.uk sowie beim European Corporate Governance Institute (ECGI) unter: https://ecgi.global (nachfolgend: UK Stewardship Code 2020). 2 High Level Group of Company Law Experts, Modern Regulatory Framework for Company Law (Jaap Winter), European Commission, Brüssel, November 2002, item III.7, S. 11, und 3.3, S. 56 ff.

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Vorgängerfassung des UK Stewardship angelehnt sind.3 Die deutschen Erträge finden sich in den §§ 134a bis 134c AktG als Pflichten institutioneller Anleger und Vermögensverwalter zur Veröffentlichung ihrer Mitwirkungspolitik, eines Mitwirkungsberichts sowie ihres Abstimmungsverhaltens. Zur Ausfüllung der wenig konkreten Regeln hat die DVFA 2019 StewardshipLeitlinien vorgelegt, die sich allerdings bloß auf Kernelemente beschränken.4 Daneben bestehen die im selben Jahr neugefassten Wohlverhaltensregeln des BVI fort.5 Der auch in Deutschland als einflussreich geltende UK Stewardship Code 2020 unterscheidet sich von genannten Regelwerken nicht nur durch seinen deutlich höheren Detaillierungsgrad, sondern auch durch den weiter gezogenen Adressatenkreis.6 Vor allem verlangt er nicht nur die Kundgabe und den Abgleich mit selbst gesetzten Leitlinien (comply or explain), sondern an seinen Zielen orientierte Maßnahmen und eine Erläuterung dadurch erzielter Ergebnisse (apply and explain). Dieser Ansatz könnte die weitere Entwicklung auf Ebene des Europäischen Unionsrechts vorzeichnen, dies schon wegen des starken Einflusses der britischen Vorstöße für die Corporate-Governance-Bewegung insgesamt.7 Schon heute wird erwogen ein vergleichbares Kodexwerk für deutsche institutionelle Investoren und Vermögensverwalter zu entwickeln.8 Auf derzeitigem Stand bietet der UK Stewardship Code 2020 dank seines Detailreichtums und trotz seiner Herkunft aus dem Ausland eine für die deutsche Praxis hilfreiche Anleitung zum sachgerechten Umgang mit den neuen aktiengesetzlichen Vorgaben. Der vorliegende Beitrag dient dazu, die Chancen für Regelsetzung und Rechtsanwendung genauer zu erfassen und zeichnet dazu zunächst die Entwicklung der britischen Stewardship-Bewegung in ihren Eckpunkten nach (II.). Es folgt ein Überblick zu den wesentlichen Merkmalen des neuen 3 Richtlinie (EU) 2017/828 vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. EUL Nr. 132 v. 20.5.2017, S. 1, Art. 3g ff. (nachfolgend: Aktionärsrechterichtlinie II). Bereits zuvor wurde dem UK Stewardship Code Modellcharakter zugesprochen; vgl. European Commission, Feedback Statement, Summary of responses to Commission Green Paper on Corporate Governance in Financial Institutions, November 2010, S. 17. 4 Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V., StewardshipLeitlinien: die Kernelemente, 5.9.2019, abrufbar unter: https://www.dvfa.de. Zum erhöhten Druck auf passive Investoren Börsen-Zeitung (br), Nr. 182 v. 21.9.2019, S. 8. 5 Bundesverband Investment- und Asset Management e.V., Wohlverhaltensregeln des BVI, 1.7.2019. 6 Einordnung bei Herresthal, in: Münch. Komm. HGB, Bd. 6, 4. Aufl., 2019, Teil 2 O. Vermögensverwaltung, Rn. 13; Jung/Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, 2019, § 30 Rn. 363, § 33 Rn. 118. 7 Hopt/Leyens, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Hdb. Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl., 2020 i.E., Abschn. B.II.2. zum britischen Einfluss und zu den möglichen Auswirkungen des Brexit. 8 Baums, ZHR 183 (2019) 605, 610. Eingehend Hein, Die Stewardship-Verantwortung institutioneller Investoren, 2018, S. 336.

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UK Stewardship Code 2020 (III.) und sodann die Durchsicht der neugefassten Grundsätze im Einzelnen (IV.), jeweils mit vergleichender Einordnung zu den §§ 134a bis 134c AktG. Abschließende Überlegungen betreffen die Zukunft eines durch Kodexwerke gesteuerten Stewardship in der Europäischen Union und in Deutschland (V.).

II. Entwicklung des UK Stewardship Code 1. Ursprungsfassung von 2010 Die Ursprungsfassung des UK Stewardship Code trat 2010 in Kraft.9 Seit Ende des 20. Jahrhunderts war verstärkt ein Wandel der Eigentümerstrukturen bei britischen Aktiengesellschaften zu beobachten, weg vom Individualeigentum und hin zur indirekten Beteiligung durch institutionelle Investoren.10 Bereits in dem für die europäische Corporate Governance grundlegenden Bericht der Cadbury-Kommission von 1992 wurde die Bedeutung einer aktiven Beteiligung institutioneller Investoren betont.11 Die CadburyKommission begrüßte den ein Jahr zuvor vom Institutional Shareholders’ Committee veröffentlichten Empfehlungskatalog, enthielt sich aber weitergehender Forderungen.12 In der Folgezeit kreiste die Diskussion um die Einführung gesetzlicher Pflichten zur Wahrnehmung von Aktionärsrechten, was allerdings schon angesichts der stark angestiegenen Beteiligung ausländischer Investoren auf Umsetzungsprobleme gestoßen wäre.13 Die Diskussion verschärfte sich durch den im Auftrag der Regierung erstellten Bericht der Myners-Kommission von 2001.14 Der Kommissionsvorsitzende prägte 9

Zu Entwicklung und Chancen zuletzt Davies, The UK Stewardship Code 2010–2020 from Saving the Company to Saving the Planet?, ECGI, Law Working Paper No. 506/ 2020, 12.03.2020, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3553493. Überwiegend kritisch Cheffins, 73 Mod. L. Rev. 1004, 1007 ff. (2010); auch Arsalidou, ECFR 2012, 342, 343 ff.; MacNeil, 5 Capital Markets L.J. 2010, 419, 436 f.; Sergakis, 47 RJTUM 109, 121 ff. (2013). Aus deutscher Sicht Fleischer, ZGR 2012, 160, 191; ders./Strothotte, AG 2011, 222, 223. Ausführlich Faure, Verantwortung institutioneller Aktionäre im deutschen Aktienrecht, 2019, S. 124 ff.; Hein (oben Fn. 8), S. 72. 10 Cheffins, 73 Mod. L. Rev. 1004, 1017 f. (2010). Eingehend ders., Corporate Ownership and Control: British Business Transformed, 2008, S. 1, 11, 344. 11 Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (Cadbury-Report), London, Dezember 1992, S. 48 ff. (Rn. 6.9). 12 ISC, Code on the Responsibilities of Institutional Investors, Stand: November 2009. Im Jahr 2011 erfolgte die Umbenennung in Institutional Investor Committee. 13 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, 10. Aufl., 2016, S. 414 ff. (Rn. 15–25 ff., 15–28). 14 Myners, Institutional Investment in the United Kingdom: A Review, 6.3.2001, S. 5 (Rn. 11) mit der Feststellung, „pension fund trustees, whether of defined benefit or defined contribution schemes, are able to bring limited time and expertise to the investment decision-making aspects of their work.“ (Kursivdruck hinzugefügt).

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das viel zitierte Bild der „abwesenden Gutsbesitzer“ („absentee landlords“) und warnte vor einer eigentümerlosen Kapitalgesellschaft („ownerless corporation“).15 Angeleitet durch die Vorschläge der europäischen High-LevelGroup16 von 2002 trat mit dem Aktionsplan von 2003 die Forderung nach einer Offenlegung der Anlagestrategie sowie der Strategie für die Ausübung von Stimmrechten in den Vordergrund.17 Diesen Ansatz griff der vom Financial Reporting Council (nachfolgend: FRC) veröffentlichte und seitdem verwaltete UK Stewardship Code 2010 auf.18 Der vom FRC verabschiedete Kodex richtete sich an den Empfehlungen des Walker-Berichts von 2009 aus, dessen Forderungen nach stärkerer Inpflichtnahme institutioneller Investoren unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise auf Gehör gestoßen waren.19 Inhaltlich basierte der Kodex auf dem zwischenzeitlich überarbeiteten Empfehlungskatalog des Institutional Shareholders’ Committee.20 Bei seiner Veröffentlichung wurde der UK Stewardship Code 2010 gefeiert als „first of its kind in the world and a major step forward.“21 Mittlerweile finden sich vergleichbare Kodexwerke auch in anderen Ländern Europas wie Dänemark, Italien, Niederlande und beispielsweise auch in Australien, Japan und längst in den USA.22 Der UK Stewardship Code von 2010 steht in einer langen Tradition britischer Selbstregulierung, als deren international viel beachteter Erfolg vor allem der Londoner City Code on Takeovers and Mergers von 1968 gilt.23 15 Speech at the Association of Investment Companies, 21.4.2009, und Speech at the IMA Annual Dinner, 19.5.2009. Aus deutscher Sicht Faber, in: Hommelhoff/Hopt/ v.Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl., S. 219, 230. 16 Oben Fn. 2. 17 Europäische Kommission, Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, Mitteilung v. 21.5.2003, KOM(2003) 284 endg., S. 15 f. (Rn. 3.1.1). Zum Aktionsplan Dazu K.J. Hopt, ZIP 2005, 461. 18 Die Grundsätze richteten sich dem Wortlaut nach an institutionelle Investoren (näher sogleich) und verlangten: 1. Publicly disclose their policy on how they will discharge their stewardship responsibilities. 2. Have a robust policy on managing conflicts of interest in relation to stewardship which should be publicly disclosed. 3. Monitor their investee companies. 4. Establish clear guidelines on when and how they will escalate their stewardship activities. 5. Be willing to act collectively with other investors where appropriate. 6. Have a clear policy on voting and disclosure of voting activity. 7. Report periodically on their stewardship and voting activities. 19 Walker, A review of corporate governance in UK Banks and other financial industry entities, Final recommandations, 26.11.2009, S. 82 (Rn. 5.3.2 ff.), 87, Annex 8. 20 Oben Fn. 12. Zur Kritik wegen zu einseitiger Berücksichtigung der Brancheninteressen Roach, 11 JCLS 463, 468 (2011). 21 Department for Business, Innovation & Skills, Edward Davey responds to Financial Reporting Council Stewardship Code, Press release, 1.7.2010. 22 Die Kodexwerke sind abrufbar beim ECGI (Fn. 1). 23 The Panel on Takeovers and Mergers, The City Code on Takeovers and Mergers, Stand: 12.9.2016, abrufbar unter: http://www.thetakeoverpanel.org.uk. Näher Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013, S. 12; ders., ZGR 2000, 779, 787. Zur Empirik der in-

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Strukturelle Ähnlichkeiten weist der UK Stewardship Code 2020 zum ebenfalls vom FRC herausgegebenen UK Corporate Governance Code 2018 auf.24 Während börsennotierte Unternehmen aber durch die Londoner Listing Rules zur Abgabe einer Entsprechenserklärung zum UK Corporate Governance Code verpflichtet wurden, setzte der UK Stewardship Code auf die Selbstbindung seiner Adressaten.25 Unterzeichner (signatories) dürfen sich auf die Befolgung berufen, wenn sie eine den Anforderungen des UK Stewardship Code entsprechende Erklärung abgeben und – so noch die Fassung von 2010 – Abweichungen begründen (comply or explain).26 Hauptadressaten waren trotz des auf institutionelle Investoren ausgerichteten Wortlauts die Vermögensverwalter.27 Von der Finanzaufsicht, also der Financial Conduct Authority (nachfolgend: FCA), zugelassene Vermögensverwalter wurden schon im Jahre der Verabschiedung des Kodexwerks zur Abgabe einer Erklärung verpflichtet, in der bei Nichtbefolgung die alternativ gewählte Strategie angegeben werden musste.28 Mittelbaren Befolgungsdruck baute zudem der Pensions Regulator auf, dessen Vorgaben auf den UK Stewardship Code verweisen.29 Diese Beobachtungen dürfen über die Erfolge beim Aufbau von Markt- und Wettbewerbsdruck nicht hinwegtäuschen. Bereits zur Ursprungsfassung soll es 7 öffentliche Unterstützungsschreiben machtvoller Pensionsfonds gegeben haben, darunter von CalPers, dem größten Pensionsfonds der USA.30 2. Kodexrevision von 2012 und Befolgungsmessung von 2015 Die Überarbeitung des UK Stewardship Code im Jahr 2012 folgte den Empfehlungen der Kay Review.31 Angestoßen wurde eine Intensivierung formellen Rechtsdurchsetzung durch das Takeover Panel Armour, in: Pacces (Hrsg.), The Law and Economics of Corporate Governance, 2010, S. 213, 235 ff. Übergreifende Einordnung bei Davies/Worthington (oben Fn. 13), S. 418 (Rn. 15–30). 24 Hopt, in: FS Seibert 2019, S. 389, 391 zur Neufassung des UK Corporate Governance Code von 2018. 25 Grundlagen bei Leyens, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl., 2018, § 161 (Rn. 8, 79 ff.). 26 UK Stewardship Code 2010, S. 1 (preface), principle 7. 27 UK Stewardship Code 2010, S. 2 (preface). 28 FCA, Handbook, Conduct of Business Sourcebook, rule 2.2.3, Stand: 6.12.2010: „A firm, other than a venture capital firm, which is managing investments for a professional client that is not a natural person must disclose clearly on its website, or if it does not have a website in another accessible form: (1) the nature of its commitment to the Financial Reporting Council’s Stewardship Code; or (2) where it does not commit to the Code, its alternative investment strategy“. 29 The Pensions Regulator, Managing DC benefits, 4. Investment governance, Stand: Juli 2019. 30 Näher Faure (oben Fn. 9), S. 132. 31 The Kay Review of UK Equity Markets and Long-Term Decision Making, Final Report, July 2012.

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der Stewardship-Aktivitäten.32 Die gesteigerten Erwartungen betrafen vor allem den Dialog mit der Verwaltung der Geschäftsleitung.33 In der Folgezeit mehrte sich allerdings die Kritik an den bloße Zielvorstellungen aufnehmenden, aber keine konkreten Verhaltensstandards und Erträge des Einsatzes wiedergebenden Berichten.34 Eine Untersuchung des FRC von 2015 identifizierte zahlreiche Schwächen der Aussagekraft abgegebener Befolgungserklärungen.35 Rund 20% der untersuchten Erklärungen waren auch zwei Jahre nach den Änderungen von 2012 nicht angepasst worden, was nicht nur Zweifel an der Erklärungsqualität, sondern auch und gerade an der Befolgung der inhaltlichen Vorgaben aufwarf.36 Vor allem diesem Problem könnte sich auch die Aktionärsrechterichtlinie II und ihre deutsche Umsetzung durch die §§ 134b und 134c AktG zu stellen haben. Das FRC reagierte 2015 mit einer Form des naming and shaming – aus dem Umgang mit dem UK Corporate Governance so nicht bekannt37 – und unterteilte die Unterzeichner auf seiner Website in drei Kategorien (tiering exercise).38 Tier 1 nahm nur die Unterzeichner auf, deren Erklärungen nicht zu beanstanden waren, tier 2, diejenigen, deren Erklärungen Mängel aufwiesen und tier 3, Unterzeichner, die eine Befolgung ablehnten.39 3. Konsultation und Kodexentwurf von 2019 Bis Januar 2019 verzeichnete das FRC 280 Kodexunterzeichner, darunter 12 Dienstleister. Anlass zu der dann folgenden grundlegenden Überarbeitung hatte der Kingman-Bericht von Ende 2018 gegeben, dem zufolge dem UK Stewardship Code nach wie vor die Durchsetzungsstärke fehlte.40 Die Ergebnisse des gemeinsam von der für die Finanzaufsicht zuständigen FCA und dem FRC unter dem Titel, „Building a regulatory framework for effective stewardship“41 durchgeführten Konsultationsverfahrens sind in einem 32 FRC, Revisions to the UK Stewardship Code, Feedback Statement, September 2012. Zu den Hintergründen Hannigan, Company Law, 5. Aufl., 2018, S. 149 (Rn. 6–56 ff.). 33 Übergreifend Stewardship Code 2012, S. 2 (Stewardship and the Code), Nr. 4. 34 MacNeil, 5 Capital Markets L.J. 2010, 419, 436 f. Aus deutscher Sicht Fleischer/ Strothotte, AG 2011, 221, 223. 35 FRC, Developments in Corporate Governance and Stewardship 2014, Januar 2015, S. 20 ff. 36 FRC (oben Fn. 35), S. 22. Dazu Faure (oben Fn. 9), S. 133. 37 Leyens, in: Großkomm. AktG (oben Fn. 25), § 161 Rn. 42. 38 Näher Davies/Worthington (oben Fn. 13), S. 418 (Rn. 15–30). 39 Die Kategorie des tier 3 wurde im Jahr 2017 wieder entfernt. Hintergründe bei FCA/ FRC, Building a regulatory framework for effective stewardship, Discussion Paper 19/1, Januar 2019, S. 43 (Appendix 1). Siehe auch Micheler, Stewardship in the UK – The 2019 Draft Stewardship Code in Context, Working Paper, 1.10.2019, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3471081. 40 Kingman, Independent Review of the Financial Reporting Council, Dezember 2018, S. 8, Abschn. 12: „a major and well-intentioned intervention“ but „not effective in practice“. 41 FCA/FRC (oben Fn. 39).

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Feedback Statement von Oktober 2019 zusammengefasst.42 Schon der Titel, noch mehr die Zusammenarbeit mit der Finanzaufsicht verdeutlichen die dem Stewardship beigemessene Bedeutung. In ihrer Struktur lehnte sich die sodann veröffentlichte Entwurfsfassung von 2019 eng an den 2018 neugefassten UK Corporate Governance Code an.43 Wie dieser unterteilte sie in Grundsätze (principles) und Einzelbestimmungen (provisions). Im Konsultationsverfahren wurde die Vorzugswürdigkeit gegenüber verpflichtender Regulierung betont, dies schon, weil zunächst die Umsetzung mit den durch die Aktionärsrechterichtlinie II eingeführten Offenlegungspflichten abgewartet werden sollte.44 Der Entwurf von 2019 stieß aber auch auf Kritik, auf die das FRC mit bemerkenswerter Offenheit reagierte.45 Aus Sicht der übergreifenden Regelungsfragen sind die Berichtsmodalitäten von besonderem Interesse. Gefordert wurde, dass sich die Adressaten nicht lediglich auf die Nennung für sie vorteilhafter Beispiele ihrer Stewardship-Aktivitäten beschränken dürfen sollten.46 Das FRC führte daraufhin die Pflicht ein, auch über Rückschläge zu berichten.47 Damit leitete das FRC den Übergang auf die modalitätenbezogene Berichterstattung des Befolgeund-Begründe (apply and explain) ein, also die Abkehr vom milderen Ansatz des Befolge-oder-Begründe (comply or explain) ein.48 Weitere Schwerpunkte der Diskussion betrafen den Zielkonflikt zwischen einerseits Flexibilität gewährenden Kodexregeln und andererseits Klarheit der Anforderungen für die Anerkennung als Unterzeichner (signatory).49 Angemahnt wurden außerdem Differenzierungen zwischen den Investitionsformen,50 Eignern, Verwaltern und Dienstleistern51 und zusätzlich 42 FCA, Building a regulatory framework for effective stewardship, Feedback to DP19/ 1, Feedback Statement 19/7, October 2019, S. 4 (Rn. 1.12). 43 Einzelheiten zur Neufassung des UK Corporate Governance Code von 2018 bei Hopt (oben Fn. 24), S. 389, 391. 44 FCA (oben Fn. 42), S. 27 (Rn. 3.84). 45 FRC, Consulting on a revised UK Stewardship Code, Feedback Statement, Oktober 2019. Einzelheiten im Folgenden. 46 FRC (oben Fn. 45), S. 6 (Rn. 2.21). 47 Heutiger Grundsatz 6, allgemein auch UK Stewardship Code, S. 6. Zur Diskussion FRC (oben Fn. 45), S. 6 (Rn. 2.21). 48 Umgesetzt durch den heute einheitlichen Stewardship Report mit der Maßgabe einer modalitätenbezogenen Berichterstattung (apply and explain). Zur Diskussion FRC (oben Fn. 45), S. 5 (Rn. 2.10 ff.). 49 Deshalb allgemeine Anleitung zur Berichterstattung (how to report) vorangestellt, außerdam zahlreiche Ergänzungen und Vereinfachungen. Zur Diskussion FRC (oben Fn. 45), S. 4 (Rn. 2.13 ff.). 50 Siehe heutige Grundsätze 6–9, 11 und 12. Zur Diskussion FRC (oben Fn. 45) S. 4 (Rn. 2.5 ff.). Gleichförmig FCA (oben Fn. 42), S. 14 (Rn. 3.18), S. 16 (Rn. 3.23 ff., Rn. 3.26). 51 Deshalb eigenständige Grundsätze für Dienstleister. Zur Diskussion FRC (oben Fn. 45), S. 4 f. (Rn. 2.5 ff.). Gleichförmig Financial Conduct Authority, FCA (oben Fn. 42), S. 14 (Rn. 3.18), S. 16 (Rn. 3.23 ff., Rn. 3.26).

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Klarstellungen zum Zusammenspiel mit den aufsichtsrechtlichen Vorgaben.52 Letzteres also das Zusammenspiel von untergesetzlichen Kodexregeln und aufsichtsrechtlich zwingenden Vorgaben wird hier wie bei der Corporate Governance insgesamt weiter beschäftigen. Dies zeigt sich auch an der Paralleldiskussion um den mittelfristig wohl unausweichlichen Corporate Governance Kodex für Finanzinstitute.53

III. UK Stewardship Code 2020 im Überblick 1. Adressaten (asset owners, asset managers, service providers) Der neue UK Stewardship Code 2020 trat am 1.1.2020 in Kraft.54 Seine Adressaten sind institutionelle Investoren (asset owners), die für sie tätigen Vermögensverwalter (asset managers) sowie, neuerdings durch eigenständige Grundsätze angesprochen, Dienstleister (service providers), zu denen der Kodex u.a. Anlageberater, Stimmrechtsberater, Datenbereitstellungs- und Analysedienste zählt. Demgegenüber sind von § 134a AktG lediglich Lebensversicherer, deren Rückversicherer, außerdem Pensionskassen sowie Pensionsfonds und neben diesen die Vermögensverwalter erfasst, zusätzlich nach § 134d AktG die Stimmrechtsberater.55 Als institutionelle Investoren gelten, anders als nach dem international üblichen Sprachgebrauch, nur die Versicherer. Diese an Aufsichtssegmenten (VAG und KAGB) orientierte Definition des Anwendungsbereichs steht schon angesichts der weiteren Kapitalsammelstellen hinter der als funktional zu bezeichnenden Herangehensweise des UK Stewardship Code 2020 zurück.56

52 Deshalb der heutige Annex zu UK „Regulatory Requirements“. Zur Diskussion FRC (oben Fn. 45), S. 4 ff., 6 (Rn. 2.13 ff., 2.16, 2.19). 53 Hopt, in: Kenadjian/Dombret (Hrsg.), Getting the Culture and the Ethics Right, Towards a New Age of Responsibility in Banking and Finance, 2016, S. 75 mit Plädoyer für ein spezifisch an die Finanzindustrie (Banken) gerichtetes Empfehlenswerk; ders., WM 2019, 1771, 1774. 54 Der erste Bericht für das Jahr 2020 braucht erst zum 31.3.2021 eingereicht zu werden. Damit wird den unternehmensindividuell gewählten Berichtszeitpunkten Rechnung getragen, dies allerdings mit der Folge, dass das FRC erst im dritten Quartal 2021 eine Liste der Unterzeichner (signatories) veröffentlichen wird; FRC (oben Fn. 45), S. 7 (Rn. 2.24). 55 Koch, BKR 2020, 1, 3 ff. zu Regelungsansatz und Begrifflichkeit. Einzelheiten näher bei Tröger, ZGR 2019, 126, 141. 56 Baums, ZHR 183 (2019) 605, 607: Anwendungsbereich „äußerst beschränkt“. Nicht erfasst werden betriebliche Unterstützungskassen (§ 1b Abs. 4 BetrAVG) oder auch Kreditinstitute.

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2. Berichtspflicht (stewardship report, apply and explain) Die wesentliche Neuerung der Fassung von 2020 besteht in der Ausrichtung der Publizität auf konkrete Stewardship-Aktivitäten und ihrer Ergebnisse (Erfolgsmessung, statt bloßer Wiedergabe von Stewardship-Richtlinien). Gefordert ist eine modalitätenbezogene Berichterstattung (apply and explain statt comply or explain). Der nach der finalen Fassung vorgesehene einheitliche Stewardship Report geht damit über die Offenlegungspflichten nach § 134b AktG (selbstgesetzte Mitwirkungspolitik, Mitwirkungsbericht, Abstimmungsverhalten) und § 134c AktG (Einhaltung der selbstgesetzten Anlagestrategie) hinaus und fordert eine insgesamt größere Berichtstiefe. 3. Kodexstruktur (principles, reporting expectations, activity and outcome) Der neue UK Stewardship Code 2020 fällt deutlich detaillierter und mit 32 Seiten erheblich länger aus als die Vorgängerfassung (2012 bloß 10 Seiten). Auf eine kurze Einleitung folgen allgemeine Anleitungen der Berichterstattung (how to report). Das Herzstück bilden die noch einzeln zu besprechenden Grundsätze (principles). Am Schluss steht eine grobe Zusammenstellung der regulatorischen Rahmenbedingungen (annex). Die noch im Entwurf von 2019 enthaltene Kategorie der Einzelbestimmungen (provisions) sind wegen des Übergangs auf die modalitätenbezogene Berichterstattung entfallen (apply and explain). Den Grundsätzen sind jeweils konkrete Berichtserwartungen angefügt (reporting expectations), die zumeist, nicht immer, Anmerkungen zur verbesserten Einordnung aufnehmen (context). Stets finden sich dort Konkretisierungen zu den Erwartungen an die weitere Erläuterung der jeweiligen Maßnahme (activity) und Erfolgsmessung (outcome). Einige Grundsätze sind mit erläuternden Beispielen versehen (examples). Gegliedert sind die Grundsätze nach Adressaten: 12 Grundsätze (vormals 7) richten sich an Eigner und Vermögensverwalter, wobei in vier Themen unterteilt wird (purpose and governance, investment approach, engagement, exercising rights and responsibilities). Weitere 6 Grundsätze richten sich spezifisch an die Dienstleister, wobei 5 dieser Grundsätze inhaltlich zum ersten Abschnitt der vorangegangenen Abteilung korrespondieren (purpose and governance).57 Durch einen 6. Grundsatz wird die Unterstützung der Auftraggeber bei der Wahrnehmung von deren Stewardship-Verantwortung eingefordert (supporting client’s stewardship). Die neu gefasste Definition von Stewardship steht im Zeichen der ESGBewegung, geht also über die Interessen der wirtschaftlich Endberechtigten (beneficiaries) hinaus: „Stewardship is the responsible allocation, manage57

Zum Begriff oben Abschn. III.1.

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ment and oversight of capital to create long-term value for clients and beneficiaries leading to sustainable benefits for the economy, the environment and society.“58 Insoweit korrespondiert der UK Stewardship Code 2020 mit dem UK Corporate Governance Code 2018.59

IV. Grundsätze des UK Stewardship Code 2020 1. Ziele und Organisation a) Grundsatz 1: Ziele, Überzeugungen, Strategie, Unternehmenskultur Der erste Teil des UK Stewardship Code 2020 betrifft Anteilseigner und Vermögensverwalter (asset owners and asset managers) und beginnt mit einem Abschnitt zu Zielen und Organisation der Adressaten (purpose and governance). Von den dort zu findenden 5 Grundsätzen ist der erste am wichtigsten. Dort findet sich die bereits angesprochene Definition von Stewardship,60 die mit der Forderung nachhaltiger Erträge für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft – aus Sicht des deutschen Koalitionsmodells des § 76 AktG durchaus anschlussfähig61 – materielle Zielvorgaben der ESGBewegung aufnimmt. Das britische Ringen um den sachgerechten Umgang mit anderen als Ertragszielen ist aus der Diskussion um sec. 172 Companies Act 2006 bekannt. Geschäftsleiter haben hiernach auch die Interessen der stakeholder zu berücksichtigen (enlightened shareholder-value), wobei nach wie vor unklar ist, wie bei Zielkonflikten zu verfahren ist.62 Die explizite Aufnahme von ESG-Zielen erfuhr immerhin durch rund ein Drittel der Stellungnahmen Zuspruch, auch und vielleicht gerade wegen des Gleichlaufs zum UK Corporate Governance Code 2018.63 Kaum verwunderlich, wollen Investoren an denselben Maßstäben gemessen werden wie die Emittenten, in die sie investieren.64 Die FCA betonte, dass Pensionsfonds bereits nach derzeitigen regulatorischen Vorgaben zum Umgang mit 58

Stewardship Code 2019, S. 4 (introduction), auch principle 1. Zu letzterem Hopt (oben Fn. 24), S. 395. 60 Oben Abschn. III.3. 61 Vgl. DCGK 2020, S. 2 (Präambel). Näher Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929, 934. 62 Vergleichend Enriques u.a., in: Kraakman u.a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl., 2017, S. 79, 98. 63 UK Corporate Governance Code 2018, principle A.: A successful company is led by an effective and entrepreneurial board, whose role is to promote the long-term sustainable success of the company, generating value for shareholders and contributing to wider society. Zum UK Stewardship Code 2020: FRC (oben Fn. 45), S. 4 (Rn. 2.2 f.). Insoweit gleichförmig FCA (oben Fn. 42), S. 11 (Rn. 3.5 ff.). 64 FRC (oben Fn. 45), S. 7 (Rn. 2.29). 59

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anderen als Ertragszielen Stellung zu beziehen hätten und dass ein weiterer Ausbau dieser Pflichten unter dem EU Aktionsplan zu Sustainable Finance65 zu erwarten sei.66 Von den hierzu aufgenommenen Berichtserwartungen werden die der Investitionsstrategie zugrunde liegenden Überzeugungen hervorgehoben (investment beliefs). Dies erschien auch und gerade den Adressaten wichtig, weil Kunden und wirtschaftlich Endberechtigten nur auf diese Weise der vom Anbieter gewählte Ansatz verständlich zu machen ist.67 Aus deutscher Sicht ist anzumerken, dass die Interessen der Arbeitnehmerschaft nicht ausdrücklich genannt und auch nicht durch die Erläuterungen einbezogen werden. Der in sec. 172 Companies Act 2006 niedergelegte Verhaltensmaßstab schließt diese Lücke nicht, weil er die Geschäftsleiter des eigenen Unternehmens betrifft („A director of a company…“), also nicht per se den Umgang mit den Interessen der Arbeitnehmerschaft einer Portfoliogesellschaft. Ähnlich unbestimmt ist die von § 134b Abs. 1 Nr. 2 AktG gewählte Formulierung „Überwachung wichtiger Angelegenheiten der Portfoliogesellschaften“. ach der Regierungsbegründung geht es um die Ziele der Aktionärsrechterichtlinie II „in Bezug auf Strategie, finanzielle und nicht finanzielle Leistung und Risiko, Kapitalstruktur, soziale und ökologische Auswirkungen und Corporate-Governance“.68 Ausdrücklich angesprochen werden die Arbeitnehmerinteressen auch hier nicht. Nach Nr. 3 soll es auf den „Meinungsaustauch mit den Gesellschaftsorganen und den Interessenträgern der Gesellschaft“ ankommen, wobei – wiederum erst aus der Regierungsbegründung zu erschließen – mit dem Begriff der „Interessenträger“ neben den Aktionären und Gesellschaftsorganen, „die Beschäftigten, die Kunden sowie Lieferanten“ gemeint sind.69 b) Grundsatz 2: Organisation, Ausstattung und Anreizsteuerung Grundsatz 2 betrifft die seit jeher für die Wahrung der Interessen von Endberechtigten wichtige Organisation, die Personal- und Mittelausstattung sowie die Anreizstrukturen für die Wahrnehmung von StewardshipVerantwortung (signatories’ governance, workforce, resources and incentives). Regulierte Unternehmen haben zwar ohnehin detaillierte aufsichtsrechtliche Vorgaben einzuhalten, unterliegen aber deshalb nicht zwingend der bei Unterwerfung unter den UK Stewardship Code 2020 begründeten Pflicht zur öffentlichen Stellungnahme. 65 Europäische Kommission, Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums, Mitteilung, 8.3.2018, COM(2018) 97 final. 66 FCA (oben Fn. 42), S. 13. 67 FRC (oben Fn. 45), S. 8 (Rn. 2.37). 68 RegE ARUG II, BT-Drs. 19/9739 v. 29.4.2019, S. 101. 69 RegE ARUG II (oben Fn. 68), S. 101.

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c) Grundsatz 3: Interessenkonflikte Der in Grundsatz 3 behandelte Umgang mit Interessenkonflikte (signatories manage conflicts of interest to put the best interests of clients and beneficiaries first) führen im Ergebnis zu einer Berichtspflicht, die § 134b Abs. 1 Nr. 5 AktG entspricht, wobei hier dort unionsweit zwingende Regeln zu beachten sein können.70 Mit jeweils bloß einem Satz fallen die vom UK Stewardship Code 2020 zu Einordnung, Maßnahmen und Erfolgsmessung gegebenen Erläuterungen knapp aus. Nicht weiter angeleitet wird insbesondere der Umgang mit den im Konsultationsverfahren diskutierten Praxisproblemen bei einem Portfolio aus unterschiedlichen Titeln desselben Emittenten mit abweichenden Laufzeiten.71 Schwierigkeiten ergeben sich auch und gerade bei der Berichterstattung über den gruppenweiten Umgang mit konfligierenden Interessen. Die Umsetzung der im Recht der Interessenwahrung übergreifende Geltung beanspruchenden Grundsätze – Offenlegung, Konfliktmanagement, Abstandnahme vom Geschäft72 – erweist sich für die Finanzintermediation in Unternehmensgruppen als Herausforderung.73 Im Zusammenhang mit der Stewardship-Verantwortung kommt weitere Schicht hinzu. In Erwägungsgrund 17 der Aktionärsrechterichtlinie II sind Konflikte angesprochen, die „insbesondere dann auftreten können, wenn die institutionellen Anleger, die Vermögensverwalter oder mit diesen verbundene Unternehmen, erhebliche Geschäftsbeziehungen zu der Gesellschaft unterhalten, in die investiert wurde.“ Angesichts der Vielgestaltigkeit solcher Beziehungen und zusätzlich der nur für einen Teil der Adressaten geltenden regulatorischen Vorgaben bietet sich auf Kodexebene wohl letztlich nur ein an Beispielen orientierter Ansatz an. Anders als die §§ 134a ff. AktG nennt der UK Stewardship Code 2020 solche Beispiele: Anteilseignerstrukturen, geschäftliche Beziehungen zwischen Anteilseignern und Vermögensverwaltern und/oder verwalteten Vermögenswerten, Unterschiede der jeweiligen Mitwirkungspolitik, wechselseitige Mitgliedschaft in den Verwaltungsorganen, abweichende Zielvorstellungen der Verwalter von Aktieninvestitionen und festverzinslichen Papieren sowie von den Interessen des Verwalters abweichende Interessen des Kunden oder Endberechtigten.

70 § 3 Abs. 2 KAVerOV zu OGAW und Publikums-AIF; Art. 30–37 DelVO (EU) Nr. 231/2013 v. 19.12.2012, ABl. EUL 83 v. 22.3.2013, S. 1. 71 FCA (oben Fn. 42), S. 17 (Rn. 3.29). 72 Hopt, ZGR 2004, 1, 25 ff. zu den Grundsatzfragen; ders., in: FS Doralt 2004, S. 213, 224 zu Prävention und Repression. Umfassend Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 293, 459. 73 Zum Bankensektor Kumpan/Leyens, ECFR 2008, 78, 85 ff., 92.

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d) Grundsatz 4: Funktionsfähigkeit des Finanzsystems Die in Grundsatz 4 niedergelegte Verantwortung für den Markt als Ganzes (signatories identify and respond to market-wide and systemic risks to promote a well-functioning financial system) findet weder in der Aktionärsrechterichtlinie II, noch im Aktiengesetz eine direkte Entsprechung. In der so umschriebenen Verantwortung spiegelt sich der den UK Stewardship Code insgesamt anleitende systemweite Ansatz wider (system wide approach),74 aus dem sich auch die Einbeziehung der Dienstleister erklärt.75 Die Einbeziehung des Kapitalmarkts ist für die Corporate Governance insgesamt von Bedeutung und wird in der (wichtige) Einzelfaktoren betonenden ESG-Bewegung aber bisweilen übergangen. Dies ist ein Schwachpunkt der ESG-Bewegung, von dem auch der neugefasste DCGK 2020 betroffen ist.76 Die Schwierigkeit liegt in der Konkretisierung der zu berücksichtigenden Markt- und Systemrisiken. Der UK Stewardship Code 2020 nennt hierzu Beispiele, darunter zunächst die aus Sicht der Endberechtigten eher selbstverständlichen Risiken aus Änderungen von Zinssätzen, geopolitischen Entwicklungen und Wechselkursen. Als systembedeutsam gelten im Weiteren aber auch Risiken, die den Zusammenbruch einer Industrie, eines Finanzmarkts oder einer (Volks-)Wirtschaft verursachen können. Nicht abschließend, aber in der Sache gleichwohl zu eng, ist wiederum die beispielhafte Nennung des Klimawandels. Gerade im Zusammenspiel mit der in Grundsatz 1 betonten Langfristorientierung77 wäre eine Positionierung zum Umgang mit Marktblasen oder andersförmigen Überhitzungen zu erwarten gewesen. Einzuräumen ist, dass eine gehaltvolle Berichterstattung dazu von den Adressaten entweder nicht zu erwarten oder jedenfalls durch Kodexregeln nicht zufriedenstellend anzuleiten ist. e) Grundsatz 5: Fortlaufende Überprüfung und Absicherung Grundsatz 5 verlangt die fortlaufende Überprüfung der Mitwirkungspolitik, dazu eingerichteter Verfahren und der Ergebnisse der StewardshipAktivitäten (signatories review their policies, assure their processes and assess the effectiveness of their activities). Dieser neu aufgenommene Grundsatz ist als Reaktion auf die Schwächen der Berichterstattung zur Vorgängerfassung des Kodexwerks einzuordnen, die maßgeblich in der Statik der abgegebenen Erklärungen erkannt wurden.78 Die eigentliche Stoßrichtung erschließt sich erst aus den begleitenden Berichtserwartungen. Zum einen 74 75 76 77 78

FCA (oben Fn. 42), S. 5 (Rn. 1.15). Dazu unten Abschn. IV.5. Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929, 938 ad Präambel Abs. 2 DCGK 2020. Oben Abschn. IV.1.a. Oben Abschn. II.2.

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findet sich dort die übergreifende Forderung nach fairen, ausgewogenen und verständlichen Berichten (fair, balanced and understandable), was auf einen an Rechnungslegungsgrundsätzen orientierten Maßstab hindeutet, und – wie sodann Grundsatz 6 verdeutlicht – die Erwartung einer Berichterstattung über mögliche Misserfolge einschließt.79 Zum anderen soll durch interne oder externe Prüfungen eine der Überwachung durch das FRC vorgelagerte Absicherung der Berichterstattung geleistet werden. Die Vorgängerversion enthielt hierzu eine, allerdings allein Vermögensverwalter betreffende Vorgabe zur Einholung einer unabhängigen Bewertung nach anerkannten Standards (AAF).80 2. Leitlinien des Investitionsverhaltens a) Grundsatz 6: Interessen von Kunden- und Endberechtigten Die im zweiten Abschnitt zum Thema Leitlinien des Investitionsverhaltens (investment approach) niedergelegten Regeln beginnen in Grundsatz 6, auf den ersten Blick harmlos, mit dem Aufruf, die Interessen von Kunden und Endberechtigten zu wahren (signatories take account of client and beneficiary needs client …) und Bericht über die darauf gerichteten Aktivitäten und deren Ergebnisse zu erstatten (… and communicate the activities and outcomes of their stewardship and investment to them). Dies geht über das von § 134b Abs. 2 AktG verlangte comply or explain zur Umsetzung der eigenen Mitwirkungspolitik i.S.v. Abs. 1 der Vorschrift hinaus.81 Wiederum erschließt sich die Stoßrichtung des UK Stewardship Code 2020 erst aus den Berichtserwartungen. Offengelegt werden sollen u.a. statistische Angaben zu Endberechtigten, zu den Zeithorizonten der Investitionen,82 zu den Ergebnissen des (aktiv zu verfolgenden) Austauschs und, dies ist hervorzuheben, zu Ergebnissen der Mitwirkung, die von den eigenen Erwartungen abweichen. Besonders letzteres verdeutlicht den Druck auf eine gehaltvolle Berichterstattung nach Maßgabe des apply and explain, zumal das FRC die Berichterstattung auch weiterhin jährlich überprüfen wird. Ohne schlechte Nachrichten in eigener Sache, also Berichte über ergebnislos gebliebene Vorstöße, wird selten auszukommen sein.83 Außer Frage steht, dass eine gehaltvolle Berichterstattung zu solchen Misserfolgen gerade durch ein unverbindliches Kodexwerk nicht ohne Wei79

Näher unten Abschn. IV.2.a. Assurance report on internal controls of service organisations made available to third parties, AAF 01/06. Vgl. Stewardship Code 2012, principle 7, guidance. 81 Näher bereits oben Abschn. III.2. 82 Zu den damit zusammenhängenden und bislang ungelösten Praxisproblemen oben Abschn. IV.1.c. 83 UK Stewardship Code 2020, S. 6, und principle 6, reporting expectations, outcomes. 80

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teres verlässlich sicherzustellen ist. Kritiker warnen vor überzogenen Erwartungen an die Kodexregulierung.84 Weiter ist zu überlegen, ob die Berichtspflicht schon deshalb zu weit geraten ist, weil sie letztlich dazu anrät, allein auf erfolgversprechende Maßnahmen zu setzen (chilling effect). Hierin liegt ein allgemeines und bislang ungelöstes Anreizproblem der Berichterstattung nach Maßgabe des apply or explain, dass durch die beschriebene Einteilung der Unterzeichner in zwei Kategorien (tiering exercise)85 noch verschärft werden könnte. In tier 2, also in der schlechteren Kategorie, hätte das FRC diejenigen Adressaten aufzulisten, die ohne plausible Erläuterung allein über Erfolge berichten.86 b) Grundsatz 7: Integriertes Stewardship- und Investmentverhalten Grundsatz 7 steht im Zeichen der ESG-Bewegung und verlangt – einigermaßen unbestimmt – eine systematische Integration der Ziele von Stewardship und Investitionsverhalten (signatories systematically integrate stewardship and investment…) und zwar unter Berücksichtigung der aus Sicht der ESG-Bewegung wesentlichen Aspekte (… including material environmental, social and governance issues, and climate change). Von den §§ 134b, 134c AktG wird demgegenüber die Förderung mittel- bis langfristiger Investitionen betont. ESG-Ziele werden dadurch bloß indirekt einbezogen. Letztlich entscheidend ist der unter Grundsatz 7 konkret angesprochene Umgang mit dem Austrittsrecht (exit), das die wohl wirkungsvollste Einwirkungsmöglichkeit verbürgt.87 In der Praxis ist ein gestuftes Vorgehen zu beobachten (voice, escalate, vote, exit),88 mit Varianten im Einzelnen.89 Die nach dem UK Stewardship Code 2020 erforderliche Berichterstattung über Austrittsentscheidungen und deren Gründe wird in aller Regel zu einer disziplinierenden Wirkung beitragen.90 Im Übrigen dürfte die aus Sicht der Praxis eigentliche Frage zumeist nicht im Ob der Berücksichtigung von ESG-Zielen, sondern im Wie, also der Priorisierung dieser Ziele und dem Umgang mit gegenläufigen Ertragszielen bestehen. Schon in der Theorie sind dazu keine abschließenden Antworten zu geben.91 Folgerichtig nimmt der UK Stewardship Code 2020 eine Selbstbeschränkung vor und gewährt den Adressaten Freiraum.92 In der Praxis sind die Größe des Anteilsbesitzes, die seit der letzten relevanten Aktivität 84 85 86 87 88 89 90 91 92

Nachw. oben Fn. 10. Oben Abschn. II.2. Weiter zur Durchsetzung unten Abschn. V.3. FRC (oben Fn. 45), S. 4 (Rn. 2.1). Gleichförmig FCA (oben Fn. 42), S. 18. FCA (oben Fn. 42), S. 18. Leyens, ZGR 2019, 544, 555. FCA (oben Fn. 42), S. 18. Zum Stand der Diskussion Hopt/Leyens (oben Fn. 7), Abschn. B.I.1., C.I. ff.. FCA (oben Fn. 42), S. 14.

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verstrichene Zeit, die unternehmensindividuellen Problemlagen des Investitionsobjekts und dessen Positionierungen hinsichtlich einzelner bedeutsamer Aspekte von Bedeutung.93 Die Gewichtung dieser Kriterien ist aber auch auf Ebene des Einzelunternehmens nicht festzuschreiben. Der Freiraum bei der Priorisierung ist auch deshalb wichtig, weil erfolgversprechende Maßnahmen Kosten verursachen und ggf. nur durch Bündelung der Ressourcen oder auch erst im Zusammenwirken mit anderen Investoren leistbar sind.94 Im Einklang hiermit kommt es auch für die Berichterstattung auf die Schwerpunktsetzung an. Den Berichtserwartungen ist zu entnehmen, dass keine Aufzählung fund-by-fund erforderlich sein soll. Vielmehr reichen Angaben zum Umgang auf übergeordneter Verwaltungsebene aus, wenn verdeutlicht wird, wie sich der Stewardship-Ansatz hinsichtlich der Fonds, Anlagekategorien und geographisch unterscheidet. c) Grundsatz 8: Umgang mit Vermögensverwaltern und Dienstleistern Grundsatz 8 spricht die Verkettung der von den Kodexadressaten erbrachten Leistungen an (signatories monitor and hold to account managers and/or service providers).95 Dieser Ansatz ist auch in den aktiengesetzlichen Regeln angelegt, wenngleich eher bruchstückhaft. Nach § 134c Abs. 2 AktG hat der institutionelle Anleger bei Einsatz eines Vermögensverwalters (zwingend) dazu Stellung zu beziehen, ob die getroffenen Vereinbarungen auf Profil und Laufzeit der Verbindlichkeiten des institutionellen Anlegers abgestimmt wurden bzw. warum dies nicht geschehen ist. Vermögensverwalter sind nach § 134c AktG umgekehrt verpflichtet, den institutionellen Anlegern zum Einsatz von Stimmrechtsberatern zu berichten. Nach den begleitenden Berichtserwartungen ist ein Abgleich zwischen Auftrag und Ergebnis erforderlich, ggf. unter Angabe von Maßnahmen bei nicht zufriedenstellender Erledigung. Die insoweit beibehaltene Entwurfsfassung von 2019 stieß auf Zustimmung.96 Kritik erfuhr sie, dies erwartungsgemäß, mangels Differenzierung nach der meist größenbedingten Leistungsfähigkeit.97 Von der naheliegenden Ausrichtung der Pflichten an einem allgemeinen (häufig verwässernden) Proportionalitätsprinzip sieht der UK Stewardship Code 2020 ab. Stattdessen verlangt er den Abgleich von Aktivi93

FCA (oben Fn. 42), S. 18 f. FCA (oben Fn. 42), S. 18 (Rn. 3.35), S. 21 (Rn. 3.40). 95 Siehe bereits oben Abschn. I (Einführung). Graphische Darstellung der Zusammenhänge bei FCA (oben Fn. 42), S. 29; Jung/Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, 2019, § 30 Rn. 381. 96 FCA (oben Fn. 42), S. 15 (Rn. 3.19). 97 Übergreifend Abschn. II.3. 94

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tät und Ergebnis und eine modalitätenbezogene Berichterstattung (appply and explain), wobei die Maßnahmen frei bleiben und auch kein Druck infolge einer Verpflichtung zu Abweichungserklärungen aufgebaut wird (kein comply or explain).98 Zur Konkretisierung werden Beispiele genannt: Abgleich mit übergreifenden Zielen (Anteilseigner, Vermögensverwalter), Stimmabgabe nach Maßgabe der Politik der Verwaltungsgesellschaft (Vermögensverwalter/Stimmrechtsberater) und Überwachung der Leistungen sonstiger Dienstleister (Vermögensverwalter/Datenbereitstellungsdienste). 3. Engagement bei Emittenten a) Grundsatz 9: Mitwirkung Die im dritten Abschnitt zum Thema Mitwirkung (engagement) zu findenden Regeln widmen sich mit Grundsatz 9 zunächst dem Investorendialog (signatories engage with issuers to maintain or enhance the value of assets). Für das einstufig organisierte Board of Directors ist der Investorendialog seit langem best practice.99 Nach deutschem Aktienrecht sind Zulässigkeit und Opportunität einer direkten Kommunikation zwischen Aufsichtsrat und Investoren umstritten, obwohl der Aufsichtsrat für wesentliche Entscheidungen wie Bestellung, Abberufung und Vergütung des Vorstands, zudem vermittelt über die Geschäftsordnungskompetenz, für die sog. Vorstandsarchitektur100 verantwortlich ist und überdies bei Strategiefragen einbezogen werden muss.101 Der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie II durch § 134b Abs. 1 Nr. 3 AktG (Meinungsaustauch mit den Gesellschaftsorganen) ist ein Bewusstsein für diesen Streit nicht anzumerken. Die Regierungsbegründung zum ARUG II schweigt.102 Wenn, wie noch zu besprechen, über die Schaffung eines europäischen Kodexwerks nachgedacht wird, müsste überlegt werden, wie den Besonderheiten des zweistufigen Aufsichtsratsmodells Rechnung zu tragen ist.103 Für eine gehaltvolle Berichterstattung ist – wie vom UK Stewardship Code 2020 vorgesehen – entscheidend, dass infolge des Investorendialogs angestoßene

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FRC (oben Fn. 45), S. 9 (Rn. 2.38 ff.). UK Corporate Governance Code 2018, provision 3. 100 Siehe v. Werder, DB 2017, 977, 982. 101 Zum Stand Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, 5. Aufl., 2018, § 107, Rn. 152 ff., 155. Befürwortend die Leitsätze der Arbeitsgruppe Developing Shareholder Communication, AG 2016, R300; zu diesen Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016 725, 726. Stark einschränkend Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010 f.; E. Vetter, AG 2014, 387, 392 f. Zum Parallelproblem bei der gemeinsamen Berichterstattung von Vorstand und Aufsichtsrat des Emittenten Leyens, in: FS Vetter 2019, S. 397, 412. 102 RegE ARUG II (oben Fn. 68), S. 101. 103 Dazu unten Abschn. V.2. und 3. 99

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Verhaltensänderungen (outcomes), darunter vor allem die Investitionsentscheidungen (buy, sell, hold), benannt werden. b) Grundsatz 10: Zusammenwirken mit anderen Investoren Grundsatz 10 nimmt – aus Sicht der Adressaten einigermaßen unkritisch – eine positive Haltung gegenüber dem Zusammenwirken mit anderen Investoren ein (signatories, where necessary, participate in collaborative engagement to influence issuers). Auch § 134b Abs. 1 Nr. 4 AktG sieht hierzu eine Berichtspflicht vor. Bereits die OECD hatte sich mit zurückhaltend gewählter Formulierung für Koordinationsmöglichkeiten ausgesprochen.104 Zum Aufbau von Druck auf die Verwaltung ist die Koordination bei einem typischerweise 5% nicht überschreitenden Anteilsbesitz unausweichlich. In der Praxis besteht Einigkeit, dass ein Zusammenwirken bei Stewardship-Aktivitäten erfolgversprechend und sinnvoll sein kann, insbesondere wenn individuelle Vorstöße nicht den gewünschten Erfolg bringen oder aus Kostengründen unterbleiben.105 Die Stimmenbündelung gilt auch aus Sicht der kodexkritischen Literatur als wichtiges (einziges) Mittel, um zu verhindern, dass die Führungsebene „macht was sie will“.106 Die kapitalmarktrechtlichen Folgen eines Zusammenwirkens sind durch die von der ESMA veröffentlichte Liste der im Zusammenhang mit Übernahmen erlaubten Tätigkeiten (white list) allerdings nicht abschließend geklärt, was auch die FCA erkennt.107 Im Konsultationsverfahren zur Neufassung des UK Stewardship Code kreiste die Diskussion gleichwohl mehr um die Begrifflichkeit (collaborative engagement oder act collectively)108 und die hieran vom FRC gestellten Erwartungen, denn um die tieferliegenden kapitalmarktrechtlichen Fragen. Der finale Kodextext ist anders als der Entwurf von 2019 als (flexiblerer) Grundsatz und nicht mehr als Einzelbestimmung gefasst, die im Falle der Abweichung eine konkrete Begründung gefordert hätte. Unausweichlich sind aber Angaben dazu, ob die erwünschten Ergebnisse zu erzielen waren, was letztlich zur Offenlegung des Zusammenwirkens zwingt. Angesichts der kapitalmarktrechtlichen Sanktionen bei Überschreitung zulässiger Freiräume könnte es aus Sicht der Beteiligten naheliegen, von für das Stewardship sinnvollen Maßnahmen, aus Gründen der anderenfalls bestehenden Dokumentationspflicht und der dadurch be104 OECD, G20/OECD, Grundsätze der Corporate Governance, 2015, überarbeitet 2016, S. 26 (Abschn. II.D): „Die Aktionäre, einschließlich der institutionellen Anleger, sollten – außer im Falle von Missbrauchsgefahr – das Recht haben, sich miteinander in Fragen betreffend ihre in den Grundsätzen definierten grundlegenden Aktionärsrechte zu beraten.“ 105 FCA (oben Fn. 42), S. 18 (Rn. 3.35 ff., 3.40). 106 Cheffins, 73 Mod. L. Rev. 2010, 1004, 1020. Eingehend Faure (oben Fn. 9), S. 142. 107 FCA (oben Fn. 42), S. 22 (Rn. 3.57). 108 FRC (oben Fn. 45), S. 9 (Rn. 2.41 f.).

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günstigten Verfolgung durch die Finanzaufsicht, abzusehen (wiederum Gefahr eines chilling effect).109 c) Grundsatz 11: Intensivierung der Mitwirkung In Grundsatz 11 findet sich eine, den §§ 134b bis 134c AktG nicht zu entnehmende, Anleitung des Vorgehens bei Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Emittenten (signatories, where necessary, escalate stewardship activities to influence issuers). Diese Regel kann als Selbstverständlichkeit aufgefasst werden, ist aber als Klarstellung wichtig, weil eine nicht überzeugende Unternehmenspolitik keine Unterstützung finden darf. Die Praxisbeispiele betreffen für Anteilseigner die Formulierung von Erwartungen und für Vermögensverwalter die Auswahl zwischen den darauf abzustimmenden Investitionsentscheidungen. Nicht aufgenommen wurde der Vorschlag zur Einrichtung eines Verfahrens für die Weitergabe vertraulicher Bedenken gegen Investitionsobjekte (whistleblowing).110 Das FRC verweist auf die hinreichende Möglichkeiten zur öffentlichen Kundgabe von Kritik (dies ohne Anreizbetrachtung) und zu Äußerungen im neu eingeführten Investor Forum (dies in Deutschland nicht erfolgreich, § 127a AktG; im UK derzeit Reformbestrebungen). 111 4. Ausübung von Rechten und Wahrnehmung von Verantwortung: Grundsatz 12 Der letzte Abschnitt zur Wahrnehmung von Rechten und Verantwortung (exercising rights and responsibilities) enthält unter der laufenden Nummer 12 nur einen Grundsatz, der die übergreifende Zielrichtung des UK Stewardship Code 2020 bündig zusammenfasst (signatories actively exercise their rights and responsibilities). Im Vergleich zu § 134b Abs. 1 Nr. 1 AktG fällt auf, dass von einer aktiven Rolle institutioneller Investoren und Vermögensverwalter ausgegangen wird. Dabei soll die Berichterstattung nach der unter den Konsultationsteilnehmern wohl durchweg geteilten Vorstellung des FRC auch andere als Aktieninvestitionen erfassen, insbesondere festverzinsliche Investitionen, zumal diese den größten Teil der Pensionsbestände ausmachen.112 Im Bericht zur Ausübung der Aktionärsrechte soll auf den grundsätzlichen Umgang mit den Empfehlungen von Stimmrechtsberatern sowie auf die konkreten Gründe für die Stimmabgabe oder -enthaltung eingegangen werden. Korrespondierend hierzu ist bei Investitionen in fest109

Siehe bereits Abschn. IV. 2.a. Übergreifend zum Problemkreis Hopt, ZGR 2020, i.E. (Vortrag beim ZGRSymposium 2020). 111 FRC (oben Fn. 45), S. 9 (Rn. 2.43 ff.). 112 FRC (oben Fn. 45), S. 8 (Rn. 2.33 ff.). Gleichförmig FCA (oben Fn. 42), S. 14 (Rn. 3.18), S. 17 (Rn. 3.28 ff.). 110

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verzinsliche Papiere insbesondere über den Einsatz für Verbesserungen der Anleihebedingungen zu berichten. 5. Zusammenspiel mit den Grundsätzen für Dienstleister (service providers) Abschließend sei kurz auf das Zusammenspiel der beschriebenen Grundsätze für institutionelle Investoren und Vermögenverwalter mit den im zweiten Teil des UK Stewardship Code 2020 zu findenden den Grundsätzen für Dienstleister (service providers) eingegangen.113 Zu den Adressaten zählen insbesondere, also nicht ausschließlich, Anlageberater, Stimmrechtsberater, Datenbereitstellungsdienste und Analyseanbieter.114 Im Rahmen des Konsultationsverfahrens wurde kontrovers diskutiert, ob die geltenden Anforderungen genügen. In rund zwei Dritteln der Stellungnahmen wurde der große Einfluss und die deshalb zu fordernde Verantwortung der Dienstleister hervorgehoben.115 Betont wurde, dass ESG-Ziele für Dienstleister nicht zwingend eine Priorität darstellen.116 Die vom UK Stewardship Code 2020 neu aufgenommenen sechs Grundsätze korrespondieren, wie besprochen,117 zu denen des ersten Abschnitts von Teil 1, sehen aber als Grundsatz 6 zusätzlich die Unterstützung der Auftraggeber vor (supporting client’s stewardship). In Bezug auf die besonders kontrovers diskutierte Rolle der Stimmrechtsberater entsprechen die Kodexthemen (weitgehend) denen der Aktionärsrechterichtlinie II bzw. § 134d Abs. 2 AktG.118 Der wichtigste Unterschied besteht zum einen in dem größeren Adressatenkreis, zum anderen darin, dass nicht nur über die getroffenen Vorkehrungen, sondern auch zu den konkreten Ergebnissen zu berichten ist. Stimmrechtsberater, die wie nach § 134d Abs. 1 AktG oder der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie II im UK119 vorgesehen, einem eigenen Verhaltenskodex folgen, haben bei Nichteinhaltung Abweichungsbegründungen abzugeben (comply or explain).120 Der nach dem UK Steward113 Agenturtheoretische Grundlagen speziell mit Blick auf Stimmrechtsberater bei Tröger, ZGR 2019, 126, 150 ff. noch zum RefE ARUG II. 114 Stewardship Code 2020, S. 23. 115 FRC (oben Fn. 45), S. 10 (Rn. 2.47 ff.). 116 FCA (oben Fn. 42), S. 21 (Rn. 3.44 ff.) zu Anlageberatern, S. 24 (Rn. 3.68 ff., 3.72) zu Stimmrechtsberatern, S. 23 (Rn. 3.64) zu Datenbereitstellungsdiensten. 117 Abschn. III.3. 118 Zu den Diskussionsthemen zählten u.a. die Methodentransparenz, die häufig unklare Bewertung von ESG-Einzelfragen wie Plastikmüllvermeidung und der Umgang mit Interessenkonflikten; FCA (oben Fn. 42), S. 23 f. (Rn. 3.68 ff., 3.70), S. 33 (Rn. 4.27). 119 Proxy Advisors (Shareholders’ Rights) Regulations 2019, S.I. 2019 No. 926. 120 Velte, AG 2019, 893 mit Zweifeln am Regelungsansatz („zahnloser Papiertiger?“). Näher zu dem von der ESMA veranlassten Verhaltenskodex Zetzsche/Preiner, AG 2014, 685.

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ship Code 2020 am apply or explain auszurichtende Bericht wirkt sich dann auf Art und Tiefe der Begründungen aus.

V. Zukunft des Stewardship durch Kodexregeln 1. UK Stewardship Code 2020 als Regelungsvorbild? Der Nutzen untergesetzlicher Wohlverhaltensregeln für die Verwirklichung von Stewardship-Verantwortung und ESG-Zielen ist nach wie vor umstritten. Zweifel und Kritik betreffen einerseits Systemfragen und andererseits Umsetzungsprobleme.121 Systemfragen stellen sich maßgeblich in Bezug auf die mit einer Stärkung der Rolle institutioneller Investoren und der für sie tätigen Vermögensverwalter verbundenen Verlagerung von Entscheidungsmacht. International wird dies unter dem Stichwort des Agenturkapitalismus (agency capitalism) diskutiert.122 Die Bedenken richten sich gegen eine mangelnde Güte des Einsatzes, Gefahren infolge von Interessenkonflikten bei zunehmender Konzentration des Aktieneigentums in kleinen Gruppen (common ownership), letzteres auch von der Monopolkommission unter Beobachtung gestellt.123 Die Einwände sind ernst zu nehmen. Jedenfalls auf die Kritik mangelnder Güte reagieren die Anbieter aber offenbar zunehmend durch den Ausbau ihrer mit Stewardship-Aktivitäten befassten Abteilungen.124 Noch schlechter absehbar sind die Folgen einer mittelbaren Steigerungen des Einflusses zuarbeitender Dienstleister (corporate governance industry).125 Der Einfluss von Intermediären, zu denen auch Stimmrechtsberater zählen, kann sich zu einer Form der privaten Marktzugangskontrolle verdichten (gatekeeping).126 Dies gilt nicht nur bei Rechtspflicht zur Inanspruchnahme der Beratungs- und Informationsangebote, sondern bereits bei wirtschaftlicher Unausweichlichkeit marktüblicher Intermediationsleistungen.127 Zusammengenommen mahnen diese Einwände zur Vorsicht gegenüber zu weit gezogenen Aktionärsrechten, infolge derer nicht allein nütz121

Zum Ganzen Hopt/Leyens (Fn. 7), Abschn. II.3. Gilson/Gordon, 113 Colum. L. Rev. 863, 901 (2013). Für eine starke Rolle institutioneller Investoren Bebchuk, 118 Harv. L. Rev. 833 (2005), dagegen Strine, 114 Colum. L. Rev. 499 (2012). 123 Monopolkommission, Wettbewerb 2018, XXII. Hauptgutachten, S. 176 ff. 124 FCA (oben Fn. 42), S. 18. 125 Rose, 32 J. Corp. L. 887 (2007). 126 Grundlegend Kraakman, 2 J. L. Econ & Org. 53 (1986). Siehe weiter Coffee, Gatekeepers: The Role of the Professions and Corporate Governance, Oxford 2006, S. 2. 127 Leyens, Informationsintermediäre des Kapitalmarkts: Private Marktzugangskontrolle durch Abschlussprüfung, Bonitätsrating und Finanzanalyse, 2017, S. 177 ff. mit Nachw. zur Empirik. 122

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liches Engagement, sondern, dies ungewollt, auch schädlicher Aktivismus begünstigt würde.128 Für die Umsetzung kommt es auf die Bereitschaft zum Einsatz für das Stewardship an. Nach Meinung mancher unterbleibt die Mitwirkung, ebenso wie eine gehaltvolle Berichterstattung, weil die Befolgung eines untergesetzlichen Kodexwerks wie des UK Stewardship Code 2020 den Adressaten keine zusätzlichen Erträge verspreche. Es fehle am „business case“.129 Einzelne Studien zum UK Stewardship Code 2010 scheinen Kritikern Recht zu geben.130 Richtigerweise ist auch insoweit zu differenzieren und zwar nach den Einzelthemen. Für unternehmensintern anzulegende Vorkehrungen gegen Interessenkonflikte und andere der Umsetzung von Kundeninteressen dienende Kodexregeln wird sich der business case schlecht verneinen lassen. Schwerer zu beurteilen sind die Anreize zur Umsetzung gesamtgesellschaftlich wichtiger ESG-Ziele. Gegen die Annahme hinreichender Befolgungsanreize sprechen die aus der ökonomischen Agenturtheorie bekannten Probleme hoher Kosten des Individualeinsatzes zur Verwirklichung kollektiver Ziele bei fehlender Kompensation (free riding, rational apathy).131 Praxiserfahrungen mit dem Einsatz aktiv verwalteter Fonds bei GovernanceThemen weichen von dieser Erwartung ab. Der aktive Einsatz kann Fondsverwaltern zufolge wegen der durch spezifische Investitionsvorgaben und Anlageleitlinien begründeten Marktenge alternativlos sein, beispielsweise bei thematischen oder regionalen Begrenzungen möglicher Investitionen.132 Im Einzelnen ist zweifelsohne vieles unklar, insbesondere mit Blick auf die Anreize bei passiv verwalteten Fonds. Jedenfalls führende Anbieter, auch die passiv verwalteter Fonds, können sich aber offenbar schon wegen ihrer schieren Größe und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit, nicht zuletzt der von Regelsetzern, kaum auf eine vollständige Kontrollapathie zurückziehen.133

128 Leyens, ZGR 2019, 544 f., 582 ff. mit dem Vorschlag einer Abstufung der Aktionärsrechte nach Maßgabe der Hauptversammlungskompetenzen (abgestufte Aktionärsrechte). 129 Statt vieler Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, 227. 130 Law Commission, Pension Funds and Social Investment, Law Com. No. 374, 2017, S. 7 (Rn. 1.41), S. 111 (Rn. 9.7); Pensions Policy Institute and Ignition House, Transitions to Retirement: Supporting DC members with defaults and choices up to, into, and through retirement, 2015, S. 19–34; Competition & Markets Authority, Investment Consultants Market Investigation, Final Report, 2018, S. 113 ff. (Rn. 6.1 ff.), 142 (Rn. 6.18 ff.). 131 Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, 225. Ebenso zu § 134d AktG Koch, BKR 2020, 1, 9. 132 Näher Leyens, ZGR 2019, 544, 554 f. 133 Zu Erfahrungen im UK vgl. FCA (oben Fn. 42), S. 18. Differenzierende Bewertung der Chancen bei Davies (oben Fn. 9), S. 21 ff., 29 f. Aus den USA mit Fokus auf die big three, also BlackRock, State Street und Vanguard Bebchuk/Hirst, 119 Colum. L. Rev. 2029, 2033 (2019).

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Als „Achillesferse“134 des UK Stewardship Code gilt seit seiner erstmaligen Veröffentlichung die begrenzte Reichweite nationaler Wohlverhaltensregeln. Im UK war der Anteilsbesitz der britischen Pensionsfonds und Versicherungen zwischen 1993 und 2008 von 52% auf 26% gefallen, bei gleichzeitiger Zunahme des Anteilsbesitzes ausländischer institutioneller Investoren.135 In Deutschland zeichnet sich mit einem Anteilsbesitz ausländischer institutioneller Investoren von über 60% im DAX 30,136 ähnlich auch im österreichischen ATX Prime,137 eine deutliche Zunahme ausländischer Investoren ab. Die Kritik einer mangelnden Erfassung ausländischer Investoren müsste allerdings folgerichtig auch gegenüber der Aktionärsrechterichtlinie II erhoben werden.138 Im Vergleich zu den diese Richtlinie umsetzenden gesetzlichen Vorgaben bietet die Kodexregulierung Vorteile. Die freiwillige Unterwerfung hängt gerade nicht vom Sitz der betreffenden Institution ab, sondern richtet sich nach dem Markt, auf dem der Kodexadressat tätig werden möchte. Soweit es den britischen Markt anbelangt, verweist die FCA auf eine hohe Anzahl ausländischer Unterzeichner des UK Stewardship Code.139 2. Europäischer Stewardship Code? Für die europäische Aktionärsrechterichtlinie II hat der UK Stewardship Code, seinerzeit noch in der Fassung von 2012, ersichtlich Pate gestanden. Nach den zwischenzeitlich gesammelten britischen Erfahrungen könnte sich der unionsrechtlich für die Publizitätspflicht gewählte Ansatz als Schwachpunkt erweisen. Nach den unionsrechtlichen Regeln ist bloß über selbstgewählte Vorkehrungen und Maßnahmen, nicht aber über die (ggf. ausgebliebenen) Ergebnisse des Einsatzes zu berichten.140 Zur Vorgängerversionen des heutigen UK Stewardship Code 2020 war treffend bemerkt worden, dass Befolgungserklärungen zu selbstgesetzten Regeln naturgemäß nicht schwerfallen, zumal der Regelinhalt bei Bedarf leicht zu ändern ist.141 Denk134

Cheffins, 73 Mod. L. Rev.1004, 1024 (2010). Cheffins, ebd. 1017 f., 1024 (2010). Einordnend Davies/Worthington (oben Fn. 13), S. 413 (Rn. 15–24). 136 DIRK/Iprio, Investoren der Deutschland AG 5.0, Juni 2018, S. 7, abrufbar unter: https://www.dirk.org; Ernst & Young, Wem gehört der DAX? Analyse der Aktionärsstruktur der Dax- Unternehmen, 26.4.2012, S. 8. Mit einzelnen Abweichungen W. Bayer/T. Hoffmann, Aktienrecht in Zahlen, AG-Report 2015, R91. 137 Wiener Börse, Institutionelle Investoren und österreichische Aktien im Jahr 2018, S. 2 ff. 138 Implizit Baums, ZHR 183 (2019) 605, 610. 139 FCA (oben Fn. 42), S. 18. Zur Kritik Faure (oben Fn. 9), S. 139; Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, 223. 140 Zu den Schwächen Abschn. II.3. 141 Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, 223. 135

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bar ist, dass die Europäische Kommission wie bei der Corporate Governance mit einer Empfehlung zur Berichtsqualität nachsteuert, ob mit Erfolg, ist hier wie dort ungewiss.142 Im Zeichen der Europäischen Integration läge die Schaffung eines unionsweite Geltung beanspruchenden Kodexwerks nach Vorbild des UK Stewardship Code 2020 nahe. Gegen einen Europäischen Corporate Governance Kodex wurde zu Recht die Heterogenität der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte eingewandt.143 Dieser Einwand verfängt in Bezug auf die Themen des UK Stewardship Code 2020 nicht im selben Maße. Inwieweit Unterschiede in den nationalen Aufsichtsrechten entgegenstehen, wäre zu prüfen. Rechtskonstruktiv kann auf solche Unterschiede mit Ausnahmevorschriften reagiert werden, dies beispielsweise wie nach der Neufassung des DCGK 2020.144 Angesichts des unionsrechtlichen Trends zur Vollharmonisierung in kapitalmarktbezogenen Fragen und der dazu errichteten Aufsichtsarchitektur, sind solche Unterschiede vermutlich ohnehin bloß Momentaufnahmen. Mit einem European Stewardship Code könnte gleichwohl nicht, jedenfalls nicht auf kurze Frist zu rechnen sein. Gegen einen schnellen Erfolg spricht schon das lange Ringen um die Verabschiedung der Aktionärsrechterichtlinie II. Mittelfristig wird sich voraussichtlich die rasch fortschreitende Nachhaltigkeitsbewegung (sustainable investment) als Treiber erweisen und vermutlich auch wichtige Teilstücke eines europäischen Kodexwerks liefern. 3. German Stewardship Code als Rechtsanwendungshilfe? Aus deutscher Sicht wird der UK Stewardship Code neben den UN Principles for Responsible Investment bereits heute als wichtigste Inspirationsquelle für einen sachgerechten Umgang mit der Stewardship-Verantwortung beschrieben.145 Die jüngst veröffentlichten Leitlinien (Kernelemente) der DVFA und die Wohlverhaltensregeln des BVI spiegeln den Einfluss wider.146 Die gesetzlichen Pflichten aus §§ 134b, 134c AktG schaffen bei Lichte besehen nur einen Rahmen für die Publizität, bieten aber selbst keine Anleitung zu deren Ausfüllung. Dadurch wird die Forderung nach einem am britischen Kodex orientierten German Stewardship Code genährt.147 Für die 142 Europäische Kommission, Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung („Comply or Explain“), Empfehlung v. 9.4.2014, 2014/208/EU, ABl. EU L 109 v. 12.4.2014, S. 43. Näher Leyens, in: Großkomm. AktG (oben Fn. 25), § 161 Rn. 99, 112. 143 High Level Group of Company Law Experts (oben Fn. 2), item III.16., S. 72. 144 Angabe nicht befolgter Empfehlungen nach DCGK F.4. Dazu Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929, 941, 992. Siehe auch Nachw. oben Fn. 53. 145 Habersack, in: MünchKomm-AktG, 5. Aufl., 2019, Einl. Rn. 112. 146 Nachw. oben Fn. 4. 147 Baums, ZHR 183 (2019) 605, 610. Eingehend Hein (oben Fn. 8), S. 336.

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Rechtsanwender böte ein solcher Kodex den Vorteil einheitlicher Anleitung zum Umgang mit den gesetzlichen Vorgaben.148 Der Kodex könnte zudem einen geordneten Informationskanal für Angaben zu der über die gesetzlichen Mindestvorgaben hinausgehenden best practice anleiten. Streitpunkt wird die Ausgestaltung der Berichtspflicht sein. Für die jährliche Erklärung zur Corporate Governance hatte die Europäische Kommission in einer Empfehlung von 2014 eine stärker modalitätenbezogene Berichterstattung verlangt.149 Die Empfehlung wies in Richtung eines apply or explain, statt comply or explain. Hiergegen bauten sich Widerstände auf, bis hin zur vehementen Ablehnung durch die für den DCGK verantwortliche Regierungskommission.150 Für Stewardship-Pflichten könnte sich eine auf Befolgungsmodalitäten ausgerichtete Publizitätspflicht gleichwohl anbieten, den britischen Erfahrungen folgend, auch um eine gehaltvolle Berichterstattung sicherzustellen. Ob apply or explain oder comply or explain ist letztlich nicht maßgebend. Der entscheidende Unterschied zwischen den unionsrechtlichen bzw. aktienrechtlichen und den Berichtspflichten nach dem UK Stewardship Code 2020 besteht darin, dass nach letzterem nicht nur über Vorkehrungen und Maßnahmen, sondern ggf, auch über ausgebliebene Ergebnisse der Mitwirkung zu berichten ist. Eine wichtige Folgefrage, die gleichermaßen einen European und einen German Stewardship Code betrifft, ist die nach seiner Durchsetzung. Für die Corporate Governance ist mittlerweile anerkannt, dass Marktkräfte über die Zeit zur Verfestigung von Wohlverhaltensregeln beitragen können.151 Zu berücksichtigen sind aber die größere Anzahl und die heterogenere Zusammensetzung der Adressaten eines Stewardship Code. Die Erfahrungen mit dem UK Stewardship Code haben gezeigt, dass bloße Lippenbekenntnisse wenig nützen. Durchaus zu erwägen wäre eine Durchsicht der Stewardship Reports, wie sie das britische FRC leistet.152 Die Errichtung einer dem FRC entsprechenden (halbstaatlichen) Aufsichtsstelle ist bislang aber nicht in Sicht. 148 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, BT-Drs. 14/7515 v. 14.8.2001, Rn. 6 f. zur Zusammenführung der Kodexwerke des Berliner Initiativkreises und der Frankfurter Grundsatzkommission zum einheitlichen DCGK. 149 Nachw. oben Fn.138. Befürwortend von Werder, DB 2015, 847, 851 f.; aus unionsrechtlicher Sicht auch Leyens, ZEuP 2015, 388, 411. 150 Regierungskommission DCGK, Stellungnahme zur Empfehlung der EU-Kommission vom 9. April 2014 zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung („Comply or Explain“), 30.1.2015, S. 4, schärfer die Pressemitteilung v. 1.2.2015; jeweils abrufbar unter unter: www.dcgk.de. Befürwortend hingegen FRC, Stephen Haddrill responds to Commission Recommendation on the quality of corporate governance reporting, Press Release, London 9.4.2014, abrufbar unter: www.frc.org.uk. 151 Kritisch wegen Unterschieden der Informationsverarbeitung in den nationalen Kapitalmärkten noch Micheler, EBOR 2013, 129. 152 Zur Qualitätssicherung bei der Entsprechenserklärung zum DCGK Roth, NZG 2012, 881, 883 (ad 68. DJT 2012).

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VI. Zusammenfassung und Thesen 1. Der UK Stewardship Code ist der in Großbritannien traditionell starken Selbstregulierung der Wirtschaft durch Publizitätspflichten entsprungen. Die Neufassung von 2020 bietet Anlass dazu, über künftige Entwicklungen auf Ebene des Europäischen Unionsrechts nachzudenken. UK Stewardship Code 2020 hält, trotz seiner Herkunft aus dem Ausland, eine auch aus Sicht der deutschen Praxis hilfreiche Anleitung für die Ausfüllung der im Sinne bloßer Rahmenvorgaben gestalteten §§ 134b, 134c AktG bereit. 2. Die britische Stewardship-Bewegung bietet ein seit der Erstfassung des Kodexwerks von 2010 gewachsenes Repositorium an Erfahrungen, auf das Regelsetzer bei der künftigen Ausformung von Stewardship-Pflichten (ebenso wie Rechtsanwender) bei der Erfüllung bereits bestehender Berichtspflichten zurückgreifen können. 3. Für die Neufassung des UK Stewardship Code 2020 kennzeichnend sind die Einbeziehung von ESG-Zielen bei vergleichsweise weit gezogenem Adressatenkreis (asset owners, asset managers, service providers), die über die unionsrechtlichen Vorgaben hinausgehende Berichtspflicht des Befolgeund-Begründe (apply and explain) und zwar als Abgleich zwischen selbstgesetzter Maßnahme und konkretem Ertrag (activity and outcome). 4. Die gegenüber der Vorgängerfassung erheblich erweiterten Grundsätze des Stewardship Code 2020 richten sich, nach Adressaten differenzierend, einerseits an institutionelle Investoren und Vermögensverwalter (12 principles), andererseits an Dienstleiter (6 principles), und zeigen dabei die für die Rechtspraxis wichtigen Wirkungszusammenhänge zwischen den beiden Adressatengruppen auf. 5. Die Zukunft der Stewardship-Bewegung innerhalb der Europäischne Union wird der UK Stewardship Code 2020 aller Voraussicht nach anleiten, wie bereits zuvor seine Vorgängerfassung (Stichwort: EU Stewardship Code), zeitlich vorgelagert möglicherweise die weitere Ausformung nationaler best-practice (Stichwort: German Stewardship Code).

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Haftungsfragen bei Immobilientransaktionen

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Haftungsfragen bei Immobilientransaktionen Jan Lieder

Haftungsfragen bei Immobilientransaktionen unter Beteiligung von Kapitalverwaltungsgesellschaften JAN LIEDER

I. Einführung Beteiligen sich institutionelle Anleger an Immobilientransaktionen, was gerade in Zeiten steigender Grundstückspreise attraktiv erscheint,1 dann erfolgt der Erwerb der Liegenschaften in der Praxis regelmäßig unter Beteiligung von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG).2 Bei KVG handelt es sich um Unternehmen, die Investmentvermögen für Rechnung der Anleger verwalten (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KAGB). Zu diesem Zweck schließt die KVG mit den Anlegern Investmentverträge ab, die in schuldrechtsdogmatischer Hinsicht als Geschäftsbesorgungsverträge mit Dienstleistungscharakter iSd. §§ 675, 611 BGB einzustufen sind.3 Die Strukturierung der Immobilientransaktion ist durch die Restriktionen des Kapitalanlagerechts weitgehend vorgezeichnet. Vor allem kann Anlagekapital in Immobilien nach Maßgabe des § 91 Abs. 3 KAGB ausschließlich in Form eines Sondervermögens investiert werden, während sowohl eine Investment-AG mit veränderlichem Kapital (§ 91 Abs. 1 KAGB) als auch eine Investment-KG (§ 91 Abs. 2 KAGB) ausscheiden.4 Diese Beschränkung 1 Besonders anschaulich der Immobilienpreisindex abrufbar unter: https://www.deutsch landinzahlen.de/tab/deutschland/finanzen/preise/immobilienpreisindex (13.12.2019). 2 Allgemein zu den Akteuren und zum kapitalanlagerechtlichen Investmentvieleck Burgard/Heimann WM 2014, 821 (826 f.); Hoch/Preller BKR 2019, 22 ff.; Köndgen FS Baums I, 2017, 707 (721 ff.); vgl. weiter Söhnchen/Zentis/Berka/Eichler/Huperz BB 2018, 1090 (1094): „Zu den aktivsten Anlegergruppen am Immobilienmarkt gehören seit vielen Jahren Kapitalverwaltungsgesellschaften (…)“. 3 Vgl. BGH NJW-RR 2016, 1385 Rn. 26; Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 91 Rn. 14; Polifke in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 162 Rn. 2; Burgard/Heimann WM 2014, 821 (826); Nietsch WM 2017, 1677 (1678); für ein Schuldverhältnis sui generis mit Geschäftsbesorgungselementen Köndgen/Schmies in Schimansky/Bunte/Lwowski BankR-HdB, 5. Aufl. 2017, § 113 Rn. 203; Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, 2015, 576 f.; für ein Verwaltungstreuhandverhältnis eigener Art Geibel in Derleder/Knops/Bamberger, Bank- und Kapitalmarktrecht II, 3. Aufl. 2017, § 58 Rn. 43. 4 Vgl. auch Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 91 KAGB Rn. 10, 36.

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geht zurück auf die Rechtslage unter Geltung des Investmentgesetzes (InvG),5 das freilich noch keine Investment-KG kannte.6 Bei Verwaltung eines Immobilien-Investmentvermögens hat die KVG zunächst eine geeignete Immobilie zu erwerben und diese sodann ordnungsgemäß zu bewirtschaften, also zu vermieten und instandzuhalten.7 Eine externe KVG, die in der Rechtsform einer AG, GmbH und GmbH & Co. KG betrieben werden kann (§ 18 Abs. 1 KAGB) und für die Verwaltung eines oder mehrerer Sondervermögen im kapitalanlagerechtlichen Sinne verantwortlich zeichnet (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 KAGB),8 wird daher regelmäßig selbst – wenn auch für Rechnung des jeweiligen Sondervermögens – die Grundstückskaufverträge abschließen und die Immobilien erwerben. Aus dieser besonderen Transaktionsstruktur resultieren zahlreiche Rechtsfragen. Erstens fragt sich, wer für die Kaufpreisforderung haftet. In Betracht kommt eine Haftung der KVG mit ihrem Eigenvermögen, aber auch eine Haftung des Sondervermögens, für dessen Rechnung das Grundstück erworben wird. Zweitens ist zu klären, ob zwischen der KVG und dem Sondervermögen Aufwendungsersatz-, Freistellungs- und Bereicherungsansprüche in Betracht kommen. Soweit die KVG für das Sondervermögen tätig wird, hat sie weiterhin ein Interesse daran, ihre Haftung im Außenverhältnis gegenüber dem Vertragspartner des Grundstückskaufvertrags zu beschränken, etwa auf die Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs im Innenverhältnis. Die Zulässigkeit einer solchen Haftungsbeschränkung ist ebenso fraglich wie die formularvertragliche Erweiterung des Aufwendungsersatzanspruchs. Diese aktuellen Rechtsfragen rund um die Kapitalverwaltungsgesellschaft sind im Schrifttum9 bisher kaum im Zusammenhang erörtert worden. Ihre Behandlung erfolgt hier zu Ehren von Klaus J. Hopt in der Hoffnung, sie möge sein geschätztes Interesse finden.

II. Investmentsondervermögen Das Investmentsondervermögen ist ein eigenwilliges Gebilde. Als nicht rechts- und nicht handlungsfähige Vermögensmasse ist es von den anderen Teilvermögen und dem eigenen (Verwaltungs-)Vermögen der KVG in haf5 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/12294, 235; Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 92 Rn. 8. 6 Für sachlich zutreffende Kritik vgl. Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 91 Rn. 10; Fischer/Friedrich ZBB 2013, 153 (157). 7 Hoch/Preller BKR 2019, 22 (25). 8 Für Einzelheiten siehe Bentele in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 17 KAGB Rn. 23; Winterhalder in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 17 Rn. 35 ff.; Fischer/Friedrich ZBB 2013, 153 (155). 9 Siehe aber DNotI, DNotI-Report 2018, 3.

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tungs- und insolvenzrechtlicher Hinsicht abgesondert.10 Die mangelnde Rechtsträgereigenschaft des Sondervermögens wird durch die Einschaltung der KVG kompensiert, die zugleich als Treuhänderin des Anlagevermögens fungiert. Das Sondervermögen wird durch ein vertragliches Investmentgeschäft gebildet und dient in seiner rechtlichen Verselbstständigung gegenüber anderen Vermögensmassen primär Zwecken des Anlegerschutzes.11 Die in einem bestimmten Sondervermögen investierten Anleger sollen von den Risiken abgeschirmt werden, die mit der Verwaltung eines anderen Sondervermögens sowie mit dem allgemeinen Betrieb der KVG verbunden sind. Dementsprechend ist das Sondervermögen zum einen vom Eigenvermögen der KVG sowie anderen von derselben KVG verwalteten Sondervermögen getrennt zu halten (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 2 KAGB). Zum anderen ist das Sondervermögen bei Insolvenzeröffnung über das Vermögen der KVG auch nicht Teil deren Insolvenzmasse (vgl. § 99 Abs. 3 Satz 2 KAGB).12 Daraus folgt das für die Haftung bei Immobilientransaktionen so bedeutsame kapitalanlagerechtliche Trennungsprinzip, das die haftungs- und insolvenzrechtliche Verselbstständigung des Sondervermögens vom Eigenvermögen der KVG und anderen von der KVG – als „fremde“ Vermögen der Anleger – verwalteten Sondervermögen bezeichnet.13 Bei dem Investmentsondervermögen handelt es sich indes um keine Partikularität des Kapitalanlagerechts,14 sondern um den Unterfall einer verselbstständigten, spezifischen Regelungen unterworfenen Rechtsgesamtheit, wie sie auch im Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht15 sowie im 10 Vgl. Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 92 Rn. 2 ff. iVm. Volhard/Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 52 f.; Jakovou in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Komm., 2. Aufl. 2016, 39. Kap. Rn. 130 f.; Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 91 KAGB Rn. 14 f., § 92 KAGB Rn. 23 f.; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 91 Rn. 1; Einsele AcP 214 (2014), 793 (799 f.); Hoch/Preller BKR 2019, 22; Lieder AcP 218 (2018), 109 (133); Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 86; Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 86. 11 Dazu ausf. (noch zum InvG) Möllers BKR 2011, 353 (354 f.); vgl. weiter Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 92 Rn. 4; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 91 Rn. 1. – Zur Gewährleistung eines höheren Maßes an Vertrauensschutz durch Schaffung des KAGB vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 17/ 12294, 2. 12 So bereits Lieder AcP 218 (2018), 109 (133 f.). 13 Dazu ausf. Lieder AcP 218 (2018), 109 (137 f.); vgl. weiter (noch zum InvG) Möllers BKR 2011, 353 (354 f.); Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 92 Rn. 9. 14 Zur historischen Entwicklung des Sondervermögens im Investmentrecht vgl. Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 82 ff. 15 Dazu ausf. Mössner in BeckOGK, BGB, Stand: 1.7.2019, § 90 Rn. 136 ff.; Stieper in Staudinger, BGB, 2017, § 90 Rn. 76 ff.; Stresemann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, § 90 Rn. 44.

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Insolvenzrecht16 anzutreffen ist. Allen diesen Sondervermögen ist gemeinsam, dass die separierte Vermögensmasse einem einheitlichen Zweck zu dienen bestimmt ist.17 Vielfach wird die Integrität des Sondervermögens durch das Regelungsinstrument der (dinglichen) Surrogation geschützt,18 wie es beim Investmentvermögen nach § 92 Abs. 2 KAGB der Fall ist.19 Im Übrigen entspricht es dem vermögensrechtlichen Prinzip der Typenlimitierung,20 dass Sondervermögen nur geschaffen werden können, wenn dies kraft Gesetzes anerkannt ist, nicht aber auf privatautonomer Grundlage.21 Einem Sondervermögen in wirtschaftlicher Hinsicht zugeordnete Immobilien werden nach § 245 KAGB treuhänderisch von der KVG gehalten. Ein Grundstückserwerb zu Miteigentum der am Sondervermögen beteiligten Anleger kommt – vorbehaltlich § 284 Abs. 2 KAGB22 – nicht in Betracht. Die von § 245 KAGB angeordnete Geltung des Treuhandmodells basiert in diesem Zusammenhang nicht auf rechtlichen Gründen, sondern auf reinen Zweckmäßigkeitserwägungen.23 Die Einschaltung der KVG als Treuhänderin soll schlicht verhindern, dass bei jeder Änderung im Anlegerkreis oder der Beteiligungsquote die im Grundbuch notwendigen Eintragungen angepasst werden müssen. Der mit solchen Grundbucheintragungen nach dem Miteigentumsmodell andernfalls verbundene zeitliche und finanzielle Auf-

16 Dazu zuletzt eingehend Windel ZIP 2019, 441 ff.; dort auch zur historischen Entwicklung echter (separierter) Sondermassen. 17 Vgl. Mössner in BeckOGK, BGB, Stand: 1.7.2019, § 90 Rn. 136; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I, 15. Aufl. 1959, § 132 I; Hübner, BGB AT, 2. Aufl. 1996, Rn. 295; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 26 Rn. 31. 18 Vgl. Kregel in RGRK, BGB, 12. Aufl. 1982, § 90 Rn. 37; Mössner in BeckOGK, BGB, Stand: 1.7.2019, § 90 Rn. 138; J. Schmidt in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, Vor § 90 Rn. 7; Marly in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, Vor § 90 Rn. 13; Stresemann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, § 90 Rn. 44. 19 Dazu sogleich allgemein unten III; zu Reichweite und teleologischer Reduktion in Grenzfällen näher unten VI 2 b. 20 In diesem Sinne auch Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 91 KAGB Rn. 3: „numerus clausus der Rechtsformen“; Hervorhebung auch im Original; ähnlich Zetzsche/Nast in Assmann/Wallach/Zetzsche, KAGB, 2019, § 91 Rn. 1; Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 91 KAGB Rn. 9: „strikter Rechtsformenzwang“; vgl. weiter Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 91 Rn. 1 aE; Freitag NZG 2013, 329 (330); Zetzsche/Preiner WM 2013, 2101 (2102). 21 Vgl. allgemein Mössner in BeckOGK, BGB, Stand: 1.7.2019, § 90 Rn. 136 aE; Wolf/ Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 26 Rn. 30; zum KAGB in diesem Sinne Begr. RegE, BT-Drucks. 17/12294, 235; Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 91 KAGB Rn. 3 aE. 22 Zu dieser Rückausnahme vgl. Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 92 Rn. 15; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 92 Rn. 24. 23 Dazu bereits näher Lieder AcP 218 (2018), 109 (136).

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wand sowie allfällige rechtliche Unsicherheiten sollen bei Immobilienfonds vermieden werden.24

III. Haftung der Kapitalverwaltungsgesellschaft Tritt nun die KVG gegenüber dem Veräußerer in Erscheinung und handelt dabei im eigenen Namen, kommt der Kaufvertrag unmittelbar mit der KVG zustande, und zwar auch dann, wenn sie für Rechnung eines Dritten (Sondervermögen, Anleger) gehandelt hat.25 Auf diesen Fall der mittelbaren Stellvertretung finden die bürgerlichrechtlichen Vorschriften der Stellvertretung keine Anwendung.26 Vielmehr wird durch das Rechtsgeschäft allein der im eigenen Namen handelnde mittelbare Vertreter berechtigt und verpflichtet. Dementsprechend haftet die KVG als Vertragspartei auch für die Zahlung des Kaufpreises nach § 433 Abs. 2 BGB. Damit korrespondiert zum einen die der KVG zugewiesene Verfügungsbefugnis. Nach Maßgabe des § 93 Abs. 1 KAGB ist die KVG befugt, über die zum Sondervermögen gehörenden Gegenstände zu verfügen und alle Rechte aus ihnen auszuüben.27 Zum anderen ordnet § 92 Abs. 2 KAGB eine Surrogation dergestalt an, dass alle für das Sondervermögen oder mit dessen Mitteln erworbenen Gegenstände dem Sondervermögen – und gerade nicht dem Eigenvermögen der KVG – zugeordnet werden.28 Umgekehrt ist die KVG gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 KAGB indes nicht berechtigt, im Namen der Anleger Verbindlichkeiten einzugehen. Selbst wenn die KVG gegen dieses gesetzliche Verbot verstößt, sich etwa von den Anlegern zur Vertretung ermächtigen lässt oder andere Vereinbarungen trifft, die auf eine unmittelbare Inanspruchnahme des Sondervermögens oder der Anleger gerichtet sind, scheidet eine Verpflichtung der Anleger aus, weil solche Abreden nach § 93 Abs. 2 Satz 3 KAGB unwirksam 24 Vgl. Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 92 Rn. 8; Kautenburger-Behr in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 245 Rn. 3; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, § 245 Rn. 1. 25 Vgl. allgemein Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 117. 26 Vgl. nur Ellenberger in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Einf v § 164 Rn. 6; Schäfer in BeckOK, BGB, Stand: 1.11.2019, § 164 Rn. 6; Brox/Walker, BGB AT, 43. Aufl. 2019, § 23 Rn. 8. 27 Zur rechtsdogmatischen Einordnung näher Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 3; München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 3; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 3; Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 114 f.; Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 48 ff. 28 Zur dogmatischen Einordnung dieser Form der Surrogation vgl. Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 92 KAGB Rn. 25; terminologische Kritik bei Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 2043.

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sind.29 Diese rechtliche Rahmung dient einmal mehr dem effektiven Schutz berechtigter Anlegerinteressen, indem namentlich verhindert wird, dass (Eigen-)Gläubiger der KVG auf die Vermögensgegenstände des Sondervermögens zugreifen.30 Damit ist die erste, eingangs formulierte Frage schnell und eindeutig beantwortet: Im Außenverhältnis gegenüber dem Verkäufer haftet allein die KVG auf Erfüllung des Kaufpreisanspruchs nach § 433 Abs. 2 BGB. Demgegenüber ist das Sondervermögen als solches nicht rechtsfähig und kommt folglich auch nicht als Haftungssubjekt in Betracht. Es ist daher nur konsequent, wenn § 93 Abs. 2 Satz 1 KAGB ausdrücklich anordnet, dass ein Sondervermögen für die Verbindlichkeiten der KVG nicht einzustehen hat, und zwar auch dann nicht, wenn das Rechtsgeschäft für Rechnung der Anleger getätigt wird. Mittelbar werden hiermit zugleich die Anleger von einer Haftung im Außenverhältnis abgeschirmt. Schließlich entspricht es dem kapitalanlagerechtlichen Trennungsprinzip sowie dem Gedanken des investmentrechtlichen Anlegerschutzes, dass auch alle anderen, von der KVG verwalteten Sondervermögen für die von der Verwaltungsgesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten nicht haften.

IV. Aufwendungsersatzanspruch 1. Wirtschaftliche Verantwortung Auch wenn das Sondervermögen aus dem Grundstückskaufvertrag mangels Rechtsfähigkeit weder berechtigt noch verpflichtet wird, ist ihm das für seine Rechnung getätigte Rechtsgeschäft doch jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht zugeordnet.31 Das Sondervermögen trägt zumindest mittelbar für die in seinem Interesse abgeschlossenen Rechtsgeschäfte der KVG die wirtschaftliche Verantwortung.32 Aus diesem Grund kann sich die KVG nach Maßgabe des § 93 Abs. 3 Hs. 1 KAGB wegen ihrer investmentvertraglichen Ansprüche auf Vergütung gem. §§ 675, 611 Abs. 1 BGB und Aufwendungsersatz gem. §§ 675, 670 BGB aus dem Sondervermögen 29 Vgl. München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 16; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 13, 15; Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 166. 30 Vgl. Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 7; Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 92 KAGB Rn. 32 aE. 31 Das Sondervermögen vermittelt wiederum die wirtschaftliche Verantwortung der Anleger; vgl. Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 92 KAGB Rn. 6; Peters in Münch. Komm. z. InsO, 4. Aufl. 2019, § 35 Rn. 275; Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 87. 32 Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 8; DNotI, DNotI-Report 2018, 3 (5).

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befriedigen.33 Im Hinblick auf § 670 BGB besteht ein Ersatzanspruch freilich nur dann, wenn die KVG die getätigten Aufwendungen auch für erforderlich halten durfte. Das hängt maßgeblich davon ab, ob sich das für Rechnung des Sondervermögens abgeschlossene Rechtsgeschäft im Rahmen des Gesetzes und der Anlagebedingungen bewegt.34 Im Übrigen ist die Haftung des Sondervermögens für den Aufwendungsersatzanspruch – faktisch – auf das vorhandene Vermögen beschränkt, weil die am Sondervermögen beteiligten Anleger für den Ersatzanspruch mit ihrem Privatvermögen wegen § 93 Abs. 3 Hs. 2 KAGB ebenso wenig in die Haftung genommen werden können wie für die Erfüllung des Kaufpreisanspruchs aus der Immobilientransaktion. Das Sondervermögen fungiert in diesem Zusammenhang als letzte Haftungsinstanz.35 Auch trifft die Anleger nach einhelliger Auffassung keine Nachschusspflicht.36 Damit sind die berechtigten Interessen des Anlegerschutzes effektiv gewährleistet.37 Die technische Abwicklung des Aufwendungsersatzes erfolgt über die Verwahrstelle. Die KVG kann die Verwahrstelle zur Befriedigung anweisen (§§ 76 Abs. 2, 79 Abs. 1 Alt. 2 KAGB). Vor etwaigen Auszahlungen an die KVG hat die Verwahrstelle nach § 83 Abs. 6 KAGB deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen.38 2. Rechtsdogmatische Einordnung Schwierigkeiten bereitet indes die dogmatische Konstruktion des Aufwendungsersatzanspruchs. Umstritten ist namentlich der Schuldner des Ersatzanspruchs.

33 Vgl. Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 9; Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 91 Rn. 17; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 8, 10; Hoch/Preller BKR 2019, 22 (24). 34 Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 9; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 11; München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 18; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 17. 35 Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 10; DNotI, DNotI-Report 2018, 3 (5). 36 Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 8; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 10; München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 18; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 16 aE; Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 177. 37 Vgl. Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 8; Hoch/ Preller BKR 2019, 22 (24); Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 122; Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 177. 38 Vgl. Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 92 Rn. 4, § 93 Rn. 8.

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a) Keine Haftung des Sondervermögens Die herkömmliche Auffassung betrachtet das Sondervermögen als Anspruchsgegner der KVG.39 Das kann aber schon deshalb nicht richtig sein, weil das Sondervermögen nach einhelliger Auffassung nicht rechtsfähig ist40 und daher als Rechtssubjekt notwendig ausscheiden muss.41 b) Keine Haftung der Verwahrstelle Auch die Verwahrstelle kommt als Schuldner des Aufwendungsersatzanspruchs nicht in Betracht,42 weil sie nicht aus eigener Machtvollkommenheit über das Sondervermögen verfügen kann, sondern Verfügungen der KVG auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen hat.43 Namentlich § 79 Abs. 1 KAGB trifft nur Regelungen über die Art und Weise der Zahlungsabwicklung, begründet indes keinen Anspruch im materiellrechtlichen Sinne.44 Das 39 Vgl. etwa Glander/Mayr in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 162 Rn. 94: „Vielmehr erfolgt jede Zahlung aus dem Investmentvermögen stets an die Verwaltungsgesellschaft, da nur ihr gem. § 93 Abs. 3 unmittelbare Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche gegen das Investmentvermögen zustehen können“; Hervorhebungen im Original weggelassen; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 8: „Die KVG ist – bei Befolgung von KAGB und Anlagebedingungen – berechtigt, die ihrerseits beglichenen Verbindlichkeiten im verkürzten Zahlungsweg unmittelbar gegen das Sondervermögen als Aufwendungsersatz geltend zu machen.“ Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 10: Die Vorschrift „regelt insoweit den zulässigen Haftungsadressaten. § 93 Abs. 3 Halbs. 1 KAGB bestimmt, dass ausschließlich das Sondervermögen für Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche der KVG aufkommt“; Hervorhebungen im Original weggelassen; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 18: „Ein Freistellungsanspruch gegen das Sondervermögen ist dagegen nicht ausgeschlossen (…).“ 40 Siehe nochmals oben II. 41 So auch Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 118. 42 So aber Zetzsche/Nast in Assmann/Wallach/Zetzsche, KAGB, 2019, § 93 Rn. 17: „Anspruchsgegner ist mangels Rechtsfähigkeit des Sondervermögens die Verwahrstelle“; Hervorhebungen im Original weggelassen; sachlich übereinstimmend München in Baur/ Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 100 KAGB Rn. 4: „Berechtigte Ansprüche Dritter gegen die KVG aus Rechtsgeschäften, die sich auf ein Sondervermögen beziehen und die die KVG nicht mehr erfüllt, können unter Inanspruchnahme des fortbestehenden Rechts der KVG gegen die Verwahrstelle auf Ersatz von Aufwendungen aus dem Sondervermögen (§ 79 Abs. 1) geltend gemacht werden.“; vgl. weiter München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 12: „Anspruch der KVG gegen die Verwahrstelle, ihr aus dem Sondervermögen die von ihr gemachten Aufwendungen anzuzahlen“. – Allgemein zu einer möglichen Haftung der Verwahrstelle Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 150 ff. 43 So auch Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 91 Rn. 19. 44 Dreibus in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 79 Rn. 1; Herring in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 79 KAGB Rn. 1; Klusak in Weitnauer/ Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 79 Rn. 2, 5; Schäfer in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 79 Rn. 4; Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 120.

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folgt letztlich auch daraus, dass die Verwahrstelle selbst nicht Trägerin des Sondervermögens ist. c) Keine Haftung der Anleger Schließlich taugen auch die im Sondervermögen investierten Anleger nicht als Anspruchsgegner.45 Zum einen sind bei Immobilientransaktionen auf Grundlage der Treuhandlösung – anders als beim Miteigentumsmodell – nicht die Anleger Träger des Sondervermögens; das Sondervermögen ist in rechtlicher Hinsicht vielmehr der KVG zugeordnet.46 Zum anderen ist die Haftung der Anleger nach § 93 Abs. 3 Hs. 2 KAGB explizit ausgeschlossen. Diese Klippe lässt sich auch nicht mit der Begründung umschiffen, die Haftung der Anleger für den Aufwendungsersatzanspruch sei auf das der KVG zugeordnete Sondervermögen beschränkt und die Leistung der Anleger erfolge durch deren Verzicht auf eine Rückübertragung des Sondervermögens und dessen Freigabe zur Befriedigung der KVG.47 Denn solche argumentativen Winkelzüge, die – unter Verstoß gegen § 93 Abs. 3 Hs. 2 KAGB – gleichwohl die Anleger für die Durchsetzung des Aufwendungsersatzanspruchs instrumentalisieren, wirken gekünstelt und sind daher abzulehnen. d) Interpersonale Haftung der Kapitalverwaltungsgesellschaft Stattdessen besteht für den Aufwendungsersatzanspruch eine interpersonale Haftung der KVG. Sie fungiert mit den unterschiedlichen, ihr rechtlich zugeordneten Vermögensmassen zugleich als Gläubiger und Schuldner des Ersatzanspruchs. Die Gläubigerstellung ist dabei dem Eigenvermögen der KVG zugewiesen, während die Schuldposition dem – ebenfalls von der KVG gehaltenen – Sondervermögen zuzuordnen ist.48 Beide Vermögensmassen sind in haftungs- und insolvenzrechtlicher Hinsicht nach dem kapitalanlagerechtlichen Trennungsprinzip voneinander verselbstständigt und 45 So aber Behme in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 100 Rn. 9: „Sind diese Verbindlichkeiten bereits vor Erlöschen des Verwaltungsrechts entstanden, steht der Kapitalverwaltungsgesellschaft gegenüber den Anlegern ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zu, der aus dem Sondervermögen zu befriedigen ist“; Geibel in Derleder/Knops/Bamberger, Bank- und Kapitalmarktrecht II, 3. Aufl. 2017, § 58 Rn. 99: „(S)ie (scil.: die KVG) (hat) lediglich einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Anleger und kann sich deswegen aus dem Sondervermögen befriedigen“. Zumindest missverständlich Anders in Weitnauer/ Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 100 Rn. 18: „Die Anleger bzw. das Sondervermögen können nicht mit Verbindlichkeiten gegenüber Dritten belastet werden; eigene Verbindlichkeiten sind nur Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche innerhalb des Investmentdreiecks.“ 46 Kritisch auch Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 119 f. 47 Erwägend Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 91 Rn. 19. 48 In diesem Sinne auch Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 122 f.; dem folgend Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 91 Rn. 19.

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durch unterschiedliche Zweckbindungen gekennzeichnet. Dies bildet die rechtskonstruktive Grundlage für die Anerkennung eines Aufwendungsersatzanspruchs der KVG (Eigenvermögen) gegen die KVG (Sondervermögen). Nicht ohne Grund wird die KVG insofern als „gespaltenes Rechtssubjekt“ angesehen, das auf der einen Seite Trägerin ihres Eigenvermögens und auf der anderen Seite Trägerin von Sondervermögen ist.49 Gegen die Anerkennung einer solchen interpersonalen Haftung kann auch nicht ins Feld geführt werden, dass die Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Hand infolge Konfusion zum Fortfall der vereinigten Vermögensposition führe.50 Denn der dogmatische Grund für das Erlöschen des konfudierten Forderungsrechts ist – entgegen verbreiteter Auffassung51 – nicht in dem vermeintlichen Erfordernis notwendiger Personenverschiedenheit von Gläubiger und Schuldner zu erblicken. Stattdessen legen zahlreiche erbrechtliche Sondervorschriften (vgl. §§ 1976 ff., 1991 Abs. 2, 2143, 2175, 2377 BGB) beredtes Zeugnis darüber ab, dass Forderung und Schuld in einer Person durchaus nebeneinander bestehen können. Nach zutreffender Auffassung beruht das Erlöschen durch Konfusion vielmehr darauf, dass es bei einer personellen Vereinigung von Schuldner- und Gläubigerposition typischerweise an einem schutzwürdigen Interesse für die Aufrechterhalten der vereinigten Vermögensposition fehlt.52 Da eine Forderung durch Leistungserbringung an sich selbst erfüllt werden müsste, macht es bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung schlicht keinen Sinn, den Leistungsanspruch nach der Vereinigung fortbestehen zu lassen. Der Fortfall der konfudierten Forderung entspricht folglich dem Gebot der Zweckmäßigkeit.53 Da das Erlöschen der vereinigten Vermögensposition dogmatisch nicht zwingend ist, sondern auf Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten beruht, sind es auch Gründe der Zweckmäßigkeit, welche eine taugliche Grundlage für die Anerkennung von Ausnahmen bilden.54 Dementsprechend ist heute aner49

Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 97, 122. Zur Konfusion allgemein RGZ 147, 233 (243); BGHZ 48, 214 (218); BGH NJW 1981, 447 (448); 1982, 2381 (2382); 1995, 2287 (2288); BGH NJW-RR 2009, 1059 Rn. 19; Busche in Staudinger, BGB, 2017, § 398 Rn. 32; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Vor § 362 Rn. 4; Roth/Kieninger in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, § 398 Rn. 18; aA nur Wacke FS Medicus II, 2009, 543 ff., 583. 51 BGHZ 48, 214 (218); 115, 116 (122); BGH NJW 1982, 2381 (2382); Buck-Heeb in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, Vor § 362 Rn. 3; Kreße in NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 398 Rn. 8; Ludwig DNotZ 1987, 403 (418 f.). 52 Dazu und zum Folgenden bereits Lieder in BeckOGK, BGB, Stand: 1.9.2019, § 398 Rn. 187; vgl. weiter Olzen in Staudinger, BGB, 2016, Vor § 362 Rn. 28; Gernhuber, Erfüllung, 2. Aufl. 1994, § 19, 3b; Bosak JA 2009, 596 (597); Kohler JZ 1983, 13 (17). 53 Weiterführende Hinweise bei Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, 575 ff. 54 Dazu und zum Folgenden ausf. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, 577 ff.; zusf. Lieder in BeckOGK, BGB, Stand: 1.9.2019, § 398 Rn. 188. 50

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kannt, dass ein konfudiertes Forderungsrecht ausnahmsweise fortbesteht, wenn an seiner Aufrechterhaltung ein besonderes Kontinuitätsinteresse besteht.55 Das ist insbesondere zu bejahen, wenn die vereinigte Vermögensposition mit dem Sicherungsrecht eines Dritten belastet ist (Drittinteresse),56 aber auch dann, wenn der Schuldner-Gläubiger ein eigenes Sicherungs-,57 Befreiungs-58 oder Erwerbsinteresse59 hat. Zudem ist man sich heute darüber einig, dass bei Personengleichheit des Inhabers von unterschiedlichen Eigenund Sondervermögen dieser in beiden Eigenschaften an einem Rechtsverhältnis beteiligt sein kann, und zwar dergestalt, dass der Inhaber des Eigenvermögens dem Sondervermögen etwas schuldet oder etwas von diesem beanspruchen kann, wie zB in den Fällen des § 1978 Abs. 3 BGB sowie der §§ 100, 278 InsO.60 Mit Blick auf den Aufwendungsersatzanspruch hat die KVG ein berechtigtes Interesse daran, sich aus dem – von ihr verwalteten – Sondervermögen wegen des im Interesse der hieran beteiligten Anleger im Außenverhältnis getätigten Rechtsgeschäfts zu befriedigen. Wirtschaftlicher Hintergrund sind die beiden von der KVG gehaltenen Vermögensmassen, die in haftungs- und insolvenzrechtlicher Hinsicht verselbstständigt sind und zudem unterschiedlichen Zweckbindungen unterliegen. Die KVG wird im Zuge des Immobilienerwerbs nur als mittelbarer Stellvertreter und hiernach als Treuhänder der erworbenen Grundstücke tätig, während die Immobilien nach § 92 Abs. 2 Satz 1 KAGB in wirtschaftlicher Hinsicht einem Sondervermögen zugeordnet werden. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn die KVG ihren Aufwendungsersatzanspruch nach § 93 Abs. 3 Hs. 1 KAGB gegen das – ebenfalls von ihr treuhänderisch gehaltene – Sondervermögen durchsetzen kann. Das führt zu dem wertungskohärenten Ergebnis, dass das Sondervermögen letztlich die Lasten des Grundstückser55 BGH NJW 1981, 447 (448); 1995, 2287 (2288); NJW-RR 2009, 1059 Rn. 20; BuckHeeb in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, Vor § 362 Rn. 3; Fetzer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 362 Rn. 4; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Vor § 362 Rn. 4; Olzen in Staudinger, BGB, 2016, Vor § 362 Rn. 29 ff.; Larenz, SchuldR AT, 14. Aufl. 1987, § 19 I. 56 Vgl. BGH NJW 1995, 2287 (2288); NJW-RR 2009, 1059 Rn. 20; Dennhardt in BeckOK, BGB, Stand: 1.11.2019, § 362 Rn. 7; Gernhuber, Erfüllung, 2. Aufl. 1994, § 19, 6c; weiterführend Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, 577 ff. 57 OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1406 (1407); Müller in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 13. Aufl. 2018, § 398 Rn. 7; Gernhuber, Erfüllung, 2. Aufl. 1994, § 19, 6c; Kollhosser/ Jansen JA 1988, 305 (307). 58 BGH NJW-RR 2009, 1059 Rn. 21 ff.; Lieder in BeckOGK, BGB, Stand: 1.9.2019, § 398 Rn. 188. 59 Buck-Heeb in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, Vor § 362 Rn. 3; Olzen in Staudinger, BGB, 2016, Vor § 362 Rn. 31; Gernhuber, Erfüllung, 2. Aufl. 1994, § 19, 6c; Kollhosser/ Jansen JA 1988, 305 (307, 310). 60 Vgl. Mössner in BeckOGK, BGB, Stand: 1.7.2019, § 90 Rn. 140; Stieper in Staudinger, BGB, 2017, § 90 Rn. 78; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I, 15. Aufl. 1959, § 132 II 4 f.

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werbs zu tragen hat und die KVG die im Außenverhältnis übernommenen Lasten an das Sondervermögen weitergeben kann. Folglich kann der Gesichtspunkt der Konfusion aus rechtsdogmatischer Perspektive der Anerkennung eines interpersonalen Aufwendungsersatzanspruchs der KVG (Eigenvermögen) gegen die KVG (Sondervermögen) nicht entgegengehalten werden. 3. Haftungsbeschränkung für Kaufpreisanspruch In der Vergangenheit beschränkte die Kautelarpraxis die Haftung der KVG für den Kaufpreisanspruch gegenüber dem Verkäufer oftmals auf das Bestehen und die konkrete Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs.61 Der tiefere Grund für diese Vertragsgestaltung liegt in dem Risiko, das die KVG zu tragen hat, wenn sie sich im Außenverhältnis gegenüber dem Verkäufer zur Zahlung des Kaufpreisanspruchs verpflichtet, ihr im Innenverhältnis gegenüber dem Sondervermögen indes kein entsprechender Aufwendungsersatzanspruch zusteht. Obgleich der Wunsch der KVG nach einer Haftungsbeschränkung durchaus nachvollziehbar ist, erweist er sich aus rechtlicher Perspektive als problematisch, weil der Verkäufer durch eine solche Vertragsgestaltung einseitig mit dem Risiko eines unzureichenden Sondervermögens belastet wird.62 Da wir uns gegenwärtig in Zeiten eines Verkäufermarktes befinden63 und sich Verkäufer regelmäßig auf solche Gestaltungen nicht (mehr) einlassen, werden entsprechende Haftungsbeschränkungsklauseln heute auch kaum noch verwendet. Freilich ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Lage auf dem Immobilienmarkt in Zukunft wieder ändert, so dass es geboten erscheint, solche Vereinbarungen einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. a) Bestimmtheitsgrundsatz Zunächst stellt sich die Frage, ob die von den Parteien getroffene Abrede hinreichend bestimmt ist. Auch wenn das Bestimmtheitsprinzip vor allem bei dinglichen Rechtsgeschäften von Bedeutung ist,64 bedürfen auch schuld61 Vgl. Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 92 Rn. 4: „(…), da sich die KVG typischerweise gegenüber Dritten nur in Höhe ihres Aufwendungsersatzanspruchs verpflichtet“; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 92 Rn. 10: „Häufig ist daher zu beobachten, dass sie (scil.: die KVG) ihre persönliche Haftung auf das Bestehen und den Umfang ihres – gegebenenfalls abgetretenen – Aufwendungsersatzanspruchs gegen das Sondervermögen zu beschränken versucht.“ 62 Kritisch aus notarieller Perspektive auch DNotI, DNotI-Report 2018, 3 (5). 63 Zu den Auswirkungen des Verkäufermarktes auf Immobilientransaktionen im Allgemeinen Söhnchen/Zentis/Berka/Eichler/Huperz BB 2018, 1090 (1091). 64 Zum Bestimmtheitsgrundsatz bei dinglichen Rechtsgeschäften ausf. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, 301 ff.

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rechtliche Vereinbarungen eines Mindestmaßes an Bestimmtheit,65 wobei die Leistungsbestimmung nach Maßgabe der §§ 315 ff. BGB auch einer Vertragspartei oder einem Dritten überantwortet werden kann.66 Ausreichend ist die bloße Bestimmbarkeit der Leistungspflicht, die sich auch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB ergeben kann. Im Interesse einer möglichst weitgehenden Verwirklichung des Parteiwillens mittels Aufrechterhaltung des Vertrags (favor contractus) sind an das schuldvertragliche Bestimmtheitsgebot keine überzogenen Anforderungen zu stellen.67 Für den Abschluss des Kaufvertrags und die Festlegung des Kaufpreises genügt es insoweit, dass die Parteien sich darüber einig sind, auf welche Art und Weise der Kaufpreis bestimmt werden soll.68 Insbesondere können sich die Vertragsparteien eines bestimmten, im Einzelnen festgelegten und objektiven Kriterien folgenden Preisfindungsverfahrens unterwerfen oder einem Dritten die Preisbestimmung überlassen.69 Ein bestimmbarer Kaufpreis liegt außerdem vor, wenn ein überprüfbarer Maßstab70 oder außerhalb des Kaufvertrags liegende Umstände in Bezug genommen werden.71 Dementsprechend ist es als zulässig anzusehen, wenn sich die Parteien eines Kaufvertrags darauf verständigen, dass der Kaufpreis von Bestand und Höhe eines Aufwendungsersatzanspruchs des als mittelbarer Stellvertreter agierenden Käufers gegen den wirtschaftlichen Berechtigten abhängen soll. Zumindest im Zeitpunkt der Durchsetzung des Kaufpreisanspruchs können im Prozess inzidente Feststellungen über das Bestehen und den Umfang des Aufwendungsersatzanspruchs getroffen werden. Hierdurch wird der Richter auch nicht über Gebühr mit einer willkürlichen Vertragsergänzung belastet;72 65 Dazu näher Bachmann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 241 Rn. 12 f.; Olzen in Staudinger, BGB, 2015, Einl. SchuldR Rn. 60 ff. 66 Vgl. aus der Rechtsprechung exemplarisch BGHZ 48, 25 (29 f.); 57, 47 (49). 67 Bachmann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 241 Rn. 13; Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, § 9, 1; aus rechtsökonomischer Perspektive kritisch Ayres/Gertner Yale L.J. 99 (1989), 87 (93). 68 Grunewald in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 433 Rn. 2; Weidenkaff in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 433 Rn. 39; Westermann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 433 Rn. 17; Larenz, Schuldrecht II/1, 13. Aufl. 1986, § 42 I a. 69 Büdenbender in NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 433 Rn. 48; Faust in BeckOK, BGB, Stand: 1.11.2019, § 433 Rn. 55; Grunewald in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 433 Rn. 2; Weidenkaff in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 433 Rn. 39; Westermann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 433 Rn. 17; vgl. weiter Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 433 Rn. 91, 92 ff. 70 BGH NJW 1983, 1854; 1997, 2671; BB 2006, 1356 (1357); Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 433 Rn. 89. 71 BGH NJW 1990, 1902 (1903); Büdenbender in NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 433 Rn. 48; Grunewald in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 433 Rn. 3; Westermann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 433 Rn. 17. 72 Zur Vermeidung dieses Problems durch Anerkennung des schuldrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes vgl. BGHZ 55, 248 (251); Bachmann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 241 Rn. 13; Köhler, BGB AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 3.

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er hat lediglich den Umfang des Aufwendungsersatzanspruchs zu verifizieren. Die mit dieser Regelung verbundene Unsicherheit haben die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss bewusst in Kauf genommen, was vom Grundsatz der Vertragsfreiheit gedeckt ist. b) Wucherähnliches Geschäft Auch in materieller Hinsicht eröffnet der systemprägende Grundsatz der Privatautonomie die individuelle Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung respektive eines unangemessenen Kaufpreises, soweit nur die allgemeinen Schranken der §§ 134, 138 BGB eingehalten werden.73 Da gesetzliche Verbote nicht ersichtlich sind,74 kann sich eine Schranke allein aus der Generalklausel der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ergeben. Die insofern relevante Fallgruppe des wucherähnlichen Geschäfts setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen der vertraglich vereinbarten Leistung und Gegenleistung ein besonders grobes Missverhältnis besteht.75 Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH anzunehmen, wenn die Leistung dem doppelten respektive halben Wert der Gegenleistung entspricht.76 In subjektiver Hinsicht muss ein Vertragspartner mit verwerflicher Gesinnung eine wirtschaftlich schwächere Position, evidente Anzeichen für einen Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche des anderen Teils zum eigenen Vorteil bewusst ausgenutzt haben.77 Das Vorliegen einer verwerflichen Gesinnung wird nach Auffassung der Rechtsprechung vermutet, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung das bezeichnete besonders grobe Missverhältnis besteht.78 73

Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 433 Rn. 80; Berger in Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 433 Rn. 14, 16; Westermann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, Vor § 433 Rn. 9; Larenz, Schuldrecht II/1, 13. Aufl. 1986, § 42 I a. 74 Für eine Zusammenstellung der Schranken der Vertragsfreiheit mit Blick auf die Höhe des Kaufpreises vgl. Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 433 Rn. 81 ff.; Büdenbender in NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 433 Rn. 17; Grunewald in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 433 Rn. 49; Westermann in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 433 Rn. 22. 75 Bei Hinzutreten weiterer objektiver und (oder) subjektiver Gesichtspunkte kann auch ein (nur) auffälliges Missverhältnis genügen; vgl. dazu BGHZ 160, 8 (16 f.); Armbrüster in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, § 138 Rn. 113, 115; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 138 Rn. 34a; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 1161; Köhler, BGB AT, 43. Aufl. 2019, § 13 Rn. 22. 76 BGHZ 104, 102 (105); BGH NJW-RR 1989, 1068; NJW 1992, 899 (900); 2000, 1254 (1255); Armbrüster in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, § 138 Rn. 114; Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 433 Rn. 86. 77 BGHZ 146, 298 (301 ff.); BGH NJW 2010, 363 Rn. 10; Armbrüster in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2018, § 138 Rn. 114; Brox/Walker, BGB AT, 43. Aufl. 2019, § 14 Rn. 30; Köhler, BGB AT, 43. Aufl. 2019, § 13 Rn. 30; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl. 2016. 78 BGHZ 125, 135 (140); 146, 298 (304 f.); BGH NJW 2002, 3165 (3166); 2010, 363 Rn. 12; NJW-RR 2017, 1261 Rn. 20; Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 433 Rn. 86.

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Diese Vermutung greift bei Immobilientransaktionen freilich nur ein, wenn die Vertragsparteien davon ausgehen mussten, dass zwischen dem Grundstückswert und dem Aufwendungsersatzanspruch eine erhebliche Disparität bestand. Das setzt konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass das Sondervermögen zur Erfüllung des Aufwendungsersatzanspruchs nicht annähernd ausreicht. Zudem ist aus rechtspraktischer Perspektive zu berücksichtigen, dass der Verkäufer wissen sollte, dass das Eigenvermögen der KVG regelmäßig nicht zur Erfüllung des Kaufpreisanspruchs ausreicht, sondern notwendig auf das Sondervermögen zugegriffen werden muss. Vor diesem Hintergrund werden sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen für ein wucherähnliches Geschäft nur selten gegeben sein. Davon abgesehen kann ein möglicher Sittenverstoß durch ergänzende vertragliche Regelungen weitgehend ausgeschlossen werden. Als taugliche Gestaltungsmöglichkeiten kommen die Vereinbarung eines rechtsgeschäftlichen Rücktrittsrechts bei unzulänglichem Aufwendungsersatz sowie die Bestellung von Sicherheiten für den Kaufpreisanspruch in Betracht.79 Zwar dürfen zum Sondervermögen gehörende Gegenstände nach § 93 Abs. 4 Satz 1 KAGB nicht verpfändet oder sonst belastet, zur Sicherheit übereignet oder abgetreten werden. Anderes gilt nach Maßgabe des § 93 Abs. 4 Satz 2 KAGB aber für die Finanzierung einer Immobilie gem. § 254 KAGB, die ohne Grundschuldbestellung, (Sicherungs-)Abtretung oder Verpfändung von Miet- oder Versicherungsforderungen schwerlich realisierbar ist. Dementsprechend kommt auch für die Durchsetzung eines Aufwendungsersatzanspruchs eine Sicherheitenbestellung in Betracht. 4. Haftungsbeschränkung für Garantiekatalog Ganz ähnlich gelagerte Fragen stellen sich, wenn die KVG eine zum Sondervermögen gehörende Immobilie verkauft und in diesem Zusammenhang gegenüber dem Käufer Mängel verschweigt oder Garantien übernimmt. In der Kautelarpraxis kommt es in dieser Fallgestaltung nicht selten vor, dass die KVG ihre Haftung aus dem Garantiekatalog wiederum auf die Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs zu beschränken sucht. a) Erforderliche Aufwendungen Während im Ankaufsszenario ein Aufwendungsersatzanspruch regelmäßig besteht, weil die KVG ihre Aufwendungen für erforderlich halten durfte, ist die Erforderlichkeit der Aufwendung iSd. § 670 BGB im Verkaufsszenario sorgfältig zu prüfen. Zwar lässt sich die Haftung wegen verschwiegener Mängel oder wegen eines Garantieverstoßes zwangslos als Fol79

Vgl. auch DNotI, DNotI-Report 2018, 3 (5).

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gekosten des Vertragsschlusses unter den Aufwendungsbegriff fassen.80 Die Erforderlichkeit wird aber typischerweise zu verneinen sein, weil sich solche Aufwendungen regelmäßig außerhalb der gesetzlichen Vorgaben und Anlagebedingungen bewegen werden.81 b) Vertraglicher Ersatzanspruch Im Rahmen des mit den Anlegern geschlossenen Verwaltungsvertrags kann sich die KVG allerdings einen weitergehenden Ersatzanspruch einräumen lassen, der auch objektiv nicht erforderliche Aufwendungen umfasst. Denn der Ersatzanspruch nach § 670 BGB unterliegt der Disposition der Vertragsparteien.82 Zulässig ist es danach etwa, wenn der Ersatzanspruch allein an die objektive Erforderlichkeit der Aufwendungen anknüpft oder aber für den Fall gewährt wird, dass der Beauftragte sich über die Erforderlichkeit in einem schuldhaften Irrtum befand.83 Soweit der Beauftragte die Anwendungen indes wegen eines Gesetzes- oder Sittenverstoßes nicht für erforderlich halten durfte, scheitert auch die Vereinbarung eines erweiterten Ersatzanspruchs an §§ 134, 138 BGB.84 Formalvertraglich kann Aufwendungsersatz wegen § 307 Abs. 2 BGB nicht wirksam vereinbart werden, soweit Aufwendungen im Eigeninteresse des Beauftragten in Rede stehen.85 Bei dem Investmentvertrag nebst investmentrechtlicher Anlagebedingungen gem. § 162 Abs. 1 KAGB handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 und Abs. 2 BGB,86 weil er als Bestandteil der Verkaufsunterlagen (vgl. § 297 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Hs. 1 KAGB) typischerweise dem Anleger ohne Verhandlungsmöglichkeit von der KVG einseitig gestellt wird. Er unterliegt folglich einer Inhaltskontrolle nach Maß-

80 Vgl. RGZ 75, 208 (212); BGHZ 8, 222 (225); BGH NJW-RR 1993, 1227 (1228); 2016, 2387 Rn. 17; LG Hannover NJW-RR 2017, 360; Martinek/Omlor in Staudinger, BGB, 2017, § 670 Rn. 7; Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 12, 21. 81 Zu diesem Erfordernis siehe nochmals oben IV 1. 82 Vgl. BGH NJW 2012, 2337 Rn. 19; BAG NJW 2004, 2036 (2038); Berger in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 670 Rn. 4; Martinek/Omlor in Staudinger, BGB, 2017, § 670 Rn. 5; Riesenhuber in BeckOGK, BGB, Stand: 15.10.2019, § 670 Rn. 4; Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 3. 83 Vgl. Berger in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 670 Rn. 4,12; Fischer in BeckOK, BGB, Stand: 01.11.2019, § 670 Rn. 12; Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 3; Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 670 Rn. 1, 4. 84 Vgl. BAG NJW 2001, 1962 (1963); BGH NJW 1962, 2010 (2011); Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 3; Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 670 Rn. 4. 85 BGH NJW 2012, 2337 Rn. 17 ff.; Berger in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 670 Rn. 4; Martinek/Omlor in Staudinger, BGB, 2017, § 670 Rn. 5 aE; Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 3 aE. 86 Vgl. Glander/Mayr in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 162 Rn. 22, 99; Fehrenbach/Maetschke WM 2010, 1149.

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gabe der §§ 307 ff. BGB,87 was der BGH88 mit Blick auf die Erweiterung der Ersatzfähigkeit von Aufwendungen inzwischen auch ausdrücklich anerkannt hat. Insbesondere scheitert eine Angemessenheitsprüfung nicht an § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.89 Dementsprechend sind erweiternde Vereinbarungen über Aufwendungsersatz am Maßstab des § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB zu messen. In diesem Sinne wird der Vertragspartner unangemessen benachteiligt, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen zulasten seines Vertragspartners durchzusetzen sucht, ohne dessen Belange hinreichend im Rahmen eines angemessenen Interessenausgleichs zu berücksichtigen.90 Dabei geht es freilich zu weit, einen erweiterten Aufwendungsersatz stets an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB scheitern zu lassen,91 weil darin mit Blick auf die investmentvertragliche Risikoverteilung nicht notwendig eine unangemessene Benachteiligung des Anlegers zu erblicken ist. Stattdessen ist der Rechtsgedanke des § 309 Nr. 7 lit. b BGB fruchtbar zu machen, der im unternehmerischen Verkehr auch im Rahmen der Generalklausel des § 307 iVm. § 310 Abs. 1 BGB Berücksichtigung finden kann.92 Danach scheidet jedenfalls eine Anspruchserweiterung aus, wenn der Aufwendungsersatz auf Ausgleich eines durch grobe Fahrlässigkeit verursachten Schadens gerichtet ist. Eine solche Klausel ist mit wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen, weil sich der Aufwendungsersatzanspruch wesentlich vom gesetzlichen Kriterium der Erforderlichkeit iSd. § 670 BGB entfernt. Darüber hinaus steht dem aus der Sicht der Anleger nachteiligen Effekt der Anspruchserweiterung kein tauglicher Vorteil gegenüber, der zur Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Anlegerinteressen in Betracht käme.93 Insbesondere ist für Anleger die maximale Belastung mit Ersatzansprüchen wegen – nicht objektiv erforderlicher – Aufwendungen nicht vorhersehbar. Insofern unterscheidet sich die Fallgestaltung hier maßgeblich von den – formularvertraglich im Grundsatz 87 Dazu näher Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 17; Hoch/Preller BKR 2019, 22 (25); vgl. weiter Freitag in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 92 Rn. 11. 88 BGH NJW-RR 2016, 1385 Rn. 15, 29 f.; 2016, 1387 Rn. 11, 24 ff. 89 BGH NJW-RR 2016, 1387 Rn. 12 ff.; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 17; offengelassen noch von BGH NJW-RR 2016, 1385 Rn. 15; OLG Frankfurt aM BB 2015, 2319 (2320). 90 Vgl. BGHZ 175, 102 Rn. 19; BGHZ 184, 345 Rn. 31; BGH NJW 2011, 1726 Rn. 24; NJW-RR 2013, 910 Rn. 11; 2016, 842 Rn. 29; 2016, 1387 Rn. 25. 91 So aber Köndgen/Schmies in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-HdB, 5. Aufl. 2017, § 113 Rn. 217 unter Hinweis auf Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 2439. 92 Vgl. BGH NJW 2007, 3774 Rn. 11; 2014, 211 Rn. 30; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 309 Rn. 55; Kollmann in NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 309 Rn. 113; Roloff in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 309 Rn. 78. 93 Zu diesem Aspekt (im Ergebnis einen Vorteil aber bejahend) BGH NJW-RR 2016, 1387 Rn. 34 f.

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zulässigen94 – Pauschalgebühren, mit welchen im Rahmen der Verwaltung des Sondervermögens entstehende Aufwendungen abgedeckt werden sollen.95 c) Reichweite der Freizeichnung Davon abgesehen kann sich die KVG auch nicht vollends von der Haftung für ihre Verkäuferpflichten im Außenverhältnis gegenüber dem Käufer freizeichnen. Eine Haftungsbeschränkung ist besonders nach § 444 BGB unwirksam, wenn die KVG Mängel arglistig verschweigt oder Garantien für die Beschaffenheit der Immobilie übernommen hat. Ein arglistiges Verschweigen ist der KVG vorzuwerfen, wenn sie den Mangel für möglich hielt.96 Eine bloß fahrlässige Unkenntnis des Mangels genügt hingegen nicht.97 Davon abgesehen gelangt § 444 BGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung98 auch dann zur Anwendung, wenn der Verkäufer falsche Angaben ohne tatsächliche Grundlage – dh „ins Blaue hinein“ – tätigt. Für die KVG wird es sich daher regelmäßig empfehlen, vor dem Grundstücksverkauf eine sorgfältige Due Diligence durchzuführen.99 Der Verkäufer kann die Haftung dann – ungeachtet § 444 BGB – ausschließen oder beschränken, wenn er den Käufer vollständig über mangelbegründende Tatsachen in Kenntnis setzt und so die Wirkungen des § 442 BGB auslöst.100

V. Freistellungsanspruch Besteht nach dem bisher Gesagten ein Aufwendungsersatzanspruch, stellt sich die Folgefrage, ob die KVG nach § 257 Satz 1 BGB Befreiung von der für Rechnung des Sondervermögens eingegangenen Verbindlichkeit verlan94 Vgl. auch Riesenhuber in BeckOGK, BGB, Stand: 15.10.2019, § 670 Rn. 4; Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 3. 95 Vgl. BGH NJW-RR 2016, 1387 Rn. 35. 96 So (zur Vorgängerregelung des § 31 InvG) Schmitz in Berger/Steck/Lübbehüsen, InvG/InvStG, 2010, § 31 InvG Rn. 22; vgl. weiter allgemein BGH NJW 2012, 2793 Rn. 10; 2016, 2315 Rn. 16; 2017, 150 Rn. 21; 2018, 389 Rn. 11; 2019, 2380 Rn. 22. 97 BGH NJW-RR 2003, 989 (990); 2012, 1078 Rn. 24; Büdenbender in NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 444 Rn. 15; Matusche-Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 444 Rn. 43, § 438 Rn. 98; Weidenkaff in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 444 Rn. 11. 98 BGH NJW 1981, 1441 (1442); 2006, 2839 (2840); NJW-RR 2012, 1078 Rn. 26; OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 918 (919); Matusche-Beckmann in Staudinger, BGB, 2014, § 444 Rn. 45. 99 Zu den praktischen Schwierigkeiten der Durchführung von Due Diligences in Zeiten eines Verkäufermarktes vgl. Söhnchen/Zentis/Berka/Eichler/Huperz BB 2018, 1090 (1091). 100 Vgl. Weidenkaff in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 444 Rn. 3; Berger in Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 444 Rn. 11; Grunewald in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 444 Rn. 9; Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 13. Aufl. 2018, § 444 Rn. 8.

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gen kann und – wenn ja – auf welche Art und Weise ihr Freistellung zu gewähren ist. Zwar sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 257 Satz 1 BGB typischerweise erfüllt. Schwierigkeiten bereitet indes die systematische Einbettung des Freistellungsanspruchs in das kapitalanlagerechtliche Beziehungsgeflecht. 1. Meinungsstand Zum Teil wird das Bestehen eines Befreiungsanspruchs mit Blick auf den Rechtsgedanken des § 93 Abs. 3 KAGB und eine damit verbundene potenzielle Belastung der Anleger von vornherein verneint.101 Demgegenüber billigt die überwiegend vertretene Gegenauffassung der KVG einen Freistellungsanspruch zwar dem Grunde nach zu, streitet im Übrigen aber über die Modalitäten der Befreiung im Einzelnen. Während einerseits angenommen wird, der Freistellungsanspruch sei auf Leistung im Innenverhältnis gerichtet und könne analog § 93 Abs. 2 Satz 1 KAGB gerade keine Haftungsübernahme des Sondervermögens oder der Anleger im Außenverhältnis bewirken,102 wird andererseits mit Blick auf die praktische Handhabung konzediert, dass Gläubiger regelmäßig zur Befriedigung ihrer Forderungen unmittelbar auf das Sondervermögen zugriffen103 und die Frage nach einem Freistellungsanspruch daher eher theoretische Bedeutung habe.104 2. Stellungnahme Die kapitalanlagerechtlichen Besonderheiten stehen der Freistellung der KVG gem. § 257 Satz 1 BGB nach zutreffender Auffassung nicht entgegen. Die KVG kann dergestalt Freistellung verlangen, dass die Gläubiger des Grundstückskaufvertrags unmittelbar auf das Sondervermögen zugreifen. Das bedeutet mit Blick auf die einheitliche Inhaberschaft unterschiedlicher Vermögensmassen, dass sich der Anspruch zwar jeweils gegen die KVG richtet, diese aber die Verwahrungsstelle anweisen kann, die Gläubiger aus dem Sondervermögen zu befriedigen. Das Eigenvermögen der KVG bleibt hingegen von einer Inanspruchnahme unberührt. Die restriktive Auffassung ist abzulehnen, weil sie die Reichweite des § 93 Abs. 3 KAGB überspannt. Die Vorschrift verlangt nach ihrem Regelungs101 So (noch zur Vorgängerregelung des § 31 Abs. 3 InvG) Schmitz in Berger/Steck/ Lübbehüsen, InvG, 2010, § 31 Rn. 22. 102 So Beckmann in Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment-HdB, Stand: 02/2017, § 93 Rn. 91. 103 So Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 18; gleichermaßen für einen Freistellungsanspruch Zetzsche/Nast in Assmann/Wallach/Zetzsche, KAGB, 2019, § 93 Rn. 22. 104 Dezidiert Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 12.

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zweck lediglich, dass die Anleger von jeglicher Haftung und Nachschüssen aus dem Investment freigehalten werden.105 Dies gewährleistet die hier vertretene Position bereits dergestalt, dass sie lediglich zu einer Befriedigung unmittelbar aus dem – von der KVG gehaltenen – Sondervermögen führt, während auf die Anleger – in Übereinstimmung mit § 93 Abs. 3 Hs. 2 KAGB – nicht zugegriffen werden kann.106 Zugleich ist deshalb für einen angemessenen Anlegerschutz gesorgt, weil die Zuordnung des Außenhaftungsanspruchs zum Sondervermögen mit einer Haftungsbeschränkung auf das jeweilige Sondervermögen einhergeht und sich der Anspruch im Übrigen allein gegen die KVG, nicht aber gegen die Anleger richtet. Das deckt sich im Ergebnis mit einer Zwangsvollstreckung in das Eigenvermögen der KVG. Deren Gläubiger können – auch ohne Freistellung – auf den Aufwendungsersatzanspruch zugreifen, der zum Eigenvermögen der KVG gehört. Dies erfolgt nach §§ 829, 835 ZPO durch Pfändung und Überweisung.107 Daraufhin können die Gläubiger der KVG (Eigenvermögen) auf das Sondervermögen zugreifen und für die Kaufpreisschuld Befriedigung erlangen. Darüber hinaus werden die berechtigten Interessen der Anleger auch durch die tatbestandlichen Voraussetzungen des Aufwendungsersatzanspruchs geschützt. Denn die Freistellung nach § 257 BGB kann nur insoweit verlangt werden, als auch der Aufwendungsersatzanspruch besteht, was wiederum davon abhängt, dass die KVG die Aufwendung für erforderlich halten durfte.108 Und schließlich spricht auch die rechtliche Qualifikation des Befreiungsanspruchs nach § 257 BGB nicht gegen die Anwendung auf den Aufwendungsersatzanspruch, weil die Befreiung von einer Verbindlichkeit die reguläre Rechtsfolge des Ersatzanspruchs darstellt, wenn die Anwendung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand.109

VI. Bereicherungsanspruch Das Gesamtbild der Haftung bei Immobilientransaktionen ist erst dann komplett, wenn auch etwaige Bereicherungsansprüche der KVG in die Betrachtung einbezogen werden. 105

Siehe nochmals oben III. In diesem Sinne auch Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 127. 107 Vgl. Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 8; München in Baur/ Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 12; DNotI, DNotI-Report 2018, 3 (5); Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 166. 108 Siehe nochmals oben IV 1. 109 Dazu ausf. Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 126 f. in Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Krüger in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 257 Rn. 1. 106

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1. Ausgangslage Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung rücken in den Fokus, wenn ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB ausscheidet, weil von der KVG abgeschlossene Rechtsgeschäfte gegen gesetzliche Vorschriften oder die Anlagebedingungen verstoßen (vgl. §§ 79 Abs. 1, 89a Abs. 1 KAGB).110 Die bezeichneten Verstöße schlagen – abgesehen von Fällen des Missbrauchs der Vertretungsmacht und Kollusion111 – nicht auf das von der KVG im Außenverhältnis abgeschlossene Rechtsgeschäft durch (vgl. auch § 75 Abs. 2 Satz 2 KAGB).112 Stattdessen ist die KVG gegenüber dem Vertragspartner wirksam berechtigt und verpflichtet, hat aber mangels Erforderlichkeit iSd. § 670 BGB keine rechtliche Handhabe, ihre Aufwendungen aus dem Sondervermögen zu bestreiten. Gleichwohl wird das erworbene Grundstück – bei wortlautgetreuer Anwendung des § 92 Abs. 2 KAGB113 – dem Sondervermögen zugewiesen, nicht etwa dem Eigenvermögen der KVG.114 2. Meinungsstand Das wirft die umstrittene Frage auf, ob der KVG (Eigenvermögen) in diesem Fall ein (interpersonaler) Bereicherungsanspruch gegen die KVG (Sondervermögen) zusteht. Zum Teil wird ein solcher Bereicherungsanspruch bejaht, und zwar analog § 684 Satz 1 iVm. §§ 812 ff. BGB.115 Die Gegenauffassung verneint hingegen Bereicherungsansprüche unter Hinweis auf den abschließenden Charakter des § 93 Abs. 3 KAGB. Die KVG sei nach dieser Vorschrift auf den Vergütungsanspruch und Aufwendungsersatz beschränkt.116

110 Zum Ausschluss des Aufwendungsersatzanspruchs in diesen Fällen vgl. auch Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 9; Moroni in Moritz/ Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 11; München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 18; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 17; Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 177. 111 Zu diesen Ausnahmen vom auch im Recht der Stellvertretung geltenden Abstraktionsprinzip ausf. Lieder JuS 2014, 393 ff. 112 Anders in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 2. Aufl. 2017, § 93 Rn. 4; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 93 Rn. 6; Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 7 f.; Zetzsche/Nast in Assmann/Wallach/Zetzsche, KAGB, 2019, § 93 Rn. 9. 113 Zur hier befürworteten teleologischen Reduktion des § 92 Abs. 2 KAGB siehe sogleich unten III 2 b. 114 Zur Problemlage vgl. auch Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 128. 115 Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 2440; Sachtleber, Zivilrechtliche Strukturen von open-end-Investmentfonds in Deutschland und England, 2011, 68. 116 Nietsch in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 17; (zur Vorgängervorschrift des § 1 InvG) Schmitz in Berger/Steck/Lübbehüsen, InvG, 2010, § 31 Rn. 23.

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3. Stellungnahme Auch wenn § 93 Abs. 3 KAGB nicht geeignet ist, weitergehende (Bereicherungs-)Ansprüche auszuschließen, ist die vorliegende Problemstellung wertungskohärent besser mittels teleologischer Reduktion der Surrogationsvorschrift des § 92 Abs. 2 KAGB zu bewältigen. a) Kein abschließender Charakter des § 93 Abs. 3 KAGB Dass die in § 93 Abs. 3 KAGB normierten Ersatzansprüche abschließenden Charakter haben sollten, ist weder dem Regelungskontext noch dem Regelungsziel der Vorschrift zu entnehmen.117 Selbst wenn solche Ansprüche der KVG nicht ausdrücklich zugewiesen worden wären, folgten sie zwangslos aus dem Investmentvertrag und richteten sich gegen die Anleger. Eine Haftung der Anleger sollte zur Gewährleistung effektiven Anlegerschutzes aber tunlichst vermieden werden. Nur aus diesem Grund kann sich die KVG aus dem Sondervermögen befriedigen, während die Anleger selbst nicht in Anspruch genommen werden können (vgl. § 93 Abs. 3 Hs. 2 KAGB). Das Regelungsziel des § 93 Abs. 3 KAGB ist demnach auf die Bestimmung des maßgeblichen Anspruchsgegners gerichtet, während sich der Anspruchsinhalt nach den allgemeinen Grundsätzen des Bürgerlichen Rechts bestimmt. Es ist daher nur konsequent, wenn sich Bestehen und Inhalt anderweitiger Ersatzansprüche ebenfalls nach den allgemeinen Prinzipien richten. In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass der Geschäftsführer – soweit er nicht iSd. § 670 BGB erforderliche Aufwendungen getätigt hat – nach §§ 812 ff. BGB vom Geschäftsherren einen Bereicherungsausgleich verlangen kann, soweit es an einem Rechtsgrund fehlt.118 Gleiches muss im Grundsatz auch für die KVG (Eigenvermögen) gegen die KVG (Sondervermögen) gelten. Dafür spricht bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung und in wertungsmäßiger Parallele zu § 684 Satz 1 BGB der Umstand, dass die Verneinung von Bereicherungsansprüchen zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Anleger führen würde. Zwar wird man in diesem Zusammenhang auch die Grundsätze der aufgedrängten Bereicherung zur Anwendung bringen müssen.119 Soweit aber das – nach wortlautgetreuer Anwendung des § 92 Abs. 2 KAGB120 – dem Sondervermögen zugewiesene Grundstück für die Anleger nach subjektiven Maßstäben verwendbar ist, stellt es für die KVG eine nicht hinnehmbare Härte dar, den Sachwert im Innenverhältnis an das 117

Im Ergebnis ebenso Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 128. Vgl. Schäfer in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2020, § 670 Rn. 7. 119 Zu diesem Aspekt vgl. statt aller Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 684 Rn. 1 iVm. § 812 Rn. 52. 120 Zur hier befürworteten teleologischen Reduktion des § 92 Abs. 2 KAGB siehe sogleich unten III 2 b. 118

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Sondervermögen zu verlieren, im Außenverhältnis aber weiterhin in voller Höhe gegenüber dem Verkäufer verhaftet zu sein. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht unter Hinweis auf eine disziplinierende Wirkung eines Bereicherungsausschlusses rechtfertigen. Denn zum einen sind dem deutschen Haftungsrecht punitive Elemente prinzipiell fremd.121 Zum anderen erfolgt eine Sanktionierung der KVG mittels Aufsichts- und Schadensersatzrechts.122 Insbesondere droht bei schuldhafter Verletzung von Pflichten aus dem Verwaltungsvertrag eine Schadensersatzhaftung nach § 280 Abs. 1 BGB gegenüber den Anlegern.123 b) Teleologische Reduktion des § 92 Abs. 2 KAGB Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs sind indes nur dann erfüllt, wenn das von der KVG erworbene Grundstück auch tatsächlich dem Sondervermögen nach § 92 Abs. 2 KAGB zugewiesen wird. Dies ist im Fall eines regelwidrigen Grundstückserwerbs indes zu verneinen. In rechtsmethodischer Hinsicht ist § 92 Abs. 2 KAGB orientiert an seinem Normzweck teleologisch zu reduzieren.124 Das Regelungsziel des § 92 Abs. 2 KAGB ist auf die Sicherung des Bestands des Sondervermögens gerichtet.125 Die Integrität des Sondervermögens wird aber von vornherein nicht berührt, wenn aus dem von der KVG im Außenverhältnis abgeschlossenen Rechtsgeschäft kein Aufwendungsersatzanspruch resultiert. Folglich ist auch der Schutzzweck des § 92 Abs. 2 KAGB im Fall des regelwidrigen Grundstückserwerbs nicht tangiert. Zugleich werden durch die Zuweisung des Erwerbsgegenstands an die KVG (Eigenvermögen) etwaige Haftungsrisiken abgeschirmt, die sich für das Sondervermögen aus dem Erwerb unzulässiger Vermögensgegenstände ergeben können. Folglich gewährleistet die teleologische Reduktion des § 92 Abs. 2 KAGB den Schutz berechtigter Anlegerinteressen noch effektiver als ein Bereicherungsausgleich, der stets mit dem Insolvenzrisiko des Anspruchsgegners und im Übrigen mit den bekannten Schwächen der Anspruchsrealisierung nach Maßgabe der §§ 812 ff. BGB behaftet ist.126 121 Vgl. nur BGH NJW 1992, 3096 (3103); Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Vor § 249 Rn. 2; Oetker in Münch. Komm. z. BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 8. 122 Dazu ausf. Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 128 f. 123 Köndgen/Schmies in Schimansky/Bunte/Lwowski BankR-HdB, 5. Aufl. 2017, § 113 Rn. 248; München in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 93 KAGB Rn. 10; Einsele, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2018, § 10 Rn. 40; Hoch/Preller BKR 2019, 22 (25); Krause, Investmenttreuhand und Investmentgesamthand, 2018, 144. 124 So auch Fürbaß, Das Investmentsondervermögen, 2016, 129 f. 125 Vgl. Lichtenstein in Baur/Tappen, Investmentgesetze, 3. Aufl. 2015, § 92 KAGB Rn. 25; Moroni in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 92 Rn. 20; Zetzsche/Nast in Assmann/Wallach/Zetzsche, KAGB, 2019, § 92 Rn. 18. 126 Zu den Schwächen des Bereicherungsausgleichs vgl. exemplarisch Buck-Heeb in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 812 Rn. 89; Schmidt-Kessel/Hadding in Soergel, BGB,

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Das hat zur Folge, dass der regelwidrig erworbene Vermögensgegenstand ausnahmsweise nicht dem Sondervermögen, sondern dem Eigenvermögen der KVG zugeordnet wird. Für einen Bereicherungsausgleich ist vor diesem Hintergrund mangels Vorteilserlangung durch das Sondervermögen von vornherein kein Raum.

VII. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Für den Kaufpreisanspruch aus einer Immobilientransaktion für Rechnung eines Investmentsondervermögens haftet im Außenverhältnis ausschließlich die KVG. Keine Haftung trifft hingegen die Anleger, das relevante Sondervermögen und die anderen von der KVG verwalteten Sondervermögen. 2. Der zum Eigenvermögen der KVG gehörende Aufwendungsersatzanspruch nach § 93 Abs. 3 Hs. 1 KAGB richtet sich als interpersonaler Anspruch gegen die KVG als Trägerin des Sondervermögens. 3. Eine Haftungsbeschränkung für den Kaufpreisanspruch der KVG im Außenverhältnis gegenüber dem Verkäufer auf das Bestehen und die konkrete Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs im Innenverhältnis kann ohne Verstoß gegen den schuldrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz vereinbart werden. Regelmäßig wird eine solche Vereinbarung auch nicht als wucherähnliches Geschäft einzustufen sein. Rechtliche Bedenken können durch die kautelarjuristische Vereinbarung eines vertraglichen Rücktrittsrechts und die Bestellung von Sicherheiten weitgehend ausgeräumt werden. 4. Eine investmentvertragliche Erweiterung des Ersatzanspruchs nach § 93 Abs. 3 KAGB auf Aufwendungen, welche die KVG nicht für erforderlich halten darf, hält typischerweise einer formalvertraglichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand. 5. Die KVG kann als Trägerin ihres Eigenvermögens nach § 257 Satz 1 BGB von sich als Inhaberin des Sondervermögens dergestalt Freistellung verlangen, dass Gläubiger des Grundstückskaufvertrags unmittelbar auf das – von der KVG gehaltene – Sondervermögen zugreifen können. 6. Entspricht der Grundstückserwerb nicht den Anlagebedingungen oder ist er aus einem anderen Grund regelwidrig und steht der KVG daher kein Aufwendungsersatzanspruch nach § 93 Abs. 3 Hs. 1 KAGB zu, ist die Sur13. Aufl. 2012, Vor § 812 Rn. 24; Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 812 Rn. 68; Emmerich, Schuldrecht BT, 15. Aufl. 2018, § 19 Rn. 1; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 9. Aufl. 2019, § 12 Rn. 14.

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rogationsvorschrift des § 92 Abs. 2 KAGB dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die regelwidrig erworbene Immobilie ausnahmsweise nicht dem Sondervermögen, sondern dem Eigenvermögen der KVG zugewiesen wird.

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Gerichtsstand der Prüferhaftung bei Drittklagen gegen Sachverständige

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Gerichtsstand der Prüferhaftung bei Drittklagen gegen Sachverständige Heinz-Peter Mansel

Vertrags- und Deliktsgerichtsstand der Prüferhaftung bei squeeze-out-bedingten Drittklagen gegen Sachverständige HEINZ-PETER MANSEL

Klaus Hopt hat Wegweisendes zum internationalen Handelsrecht geleistet und dabei auch dem Recht der Wirtschaftsprüfung und der Haftung der Wirtschaftsprüfer immer wieder neue Impulse gegeben. Er war Mitglied der Münchener Fakultät, als der Verfasser promoviert wurde. Seitdem haben sich unsere Wege in der Welt der Wissenschaft vielfach gekreuzt. Ihm ist dieser kleine Beitrag zu einem Seitenthema der Prüferhaftung in hoher Wertschätzung gewidmet.

I. Problemstellung Bei (grenzüberschreitenden) gesellschaftsrechtlichen Umwandlungen, Spaltungen und Verschmelzungen kann es zu Abfindungszahlungen an Minderheitsaktionäre der übertragenen Gesellschaft kommen, wenn deren Anteile im Wege des Umstrukturierungsverfahrens gegen Ausgleichszahlungen an die Mehrheitsaktionäre übertragen werden.1 Im Falle des Aktienumtauschs können sie unter Umständen mittels eines Spruchverfahrens auf ein besseres Umtauschverhältnis der Gesellschaftsanteile hinzuwirken versuchen.2 Die Höhe der gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüche bzw. das Umtauschverhältnis wird regelmäßig mittels eines Sachverständigengutachtens ermittelt. Wird der mit der Bewertung beauftragte sachverständige Prüfer nun mit der Behauptung verklagt, der Prüferbericht zur Ermittlung der Höhe der Barabfindung bzw. des Umtauschverhältnisses sei fehlerhaft, 1 Siehe auch Art. 86j des (seit dem 27.11.2019 aufgegeben) Vorschlags für eine EURichtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen COM/2018/241 final – 2018/0114 (COD) gewährt Gesellschaftern, die eine grenzüberschreitende Umwandlung ablehnen, ein Austrittsrecht verbunden mit einem Anspruch gegen die Gesellschaft, die anderen Gesellschafter bzw. Dritte darauf, dass der Anspruchsgegner die Anteile gegen angemessene Barabfindung übernehmen. 2 Schaub, Das Abfindungsangebot nach § 29 UmwG, NZG 1998, 626.

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so stellt sich bei einer grenzüberschreitenden Fusion die Frage nach der internationalen Zuständigkeit für eine entsprechende Schadensersatzklage des ausgleichsberechtigten Minderheitsaktionärs gegen den Prüfer. Bei einem Umtausch der Aktien kann der Schaden im Haftungsfall aus der Differenz zwischen dem im Prüfbericht angegebenen Umtauschverhältnis, das von den Mehrheitsaktionären anlässlich der Hauptversammlung genehmigt wurde, auf der einen Seite, und dem Umtauschverhältnis, das bei einer korrekten Bestimmung des tatsächlichen Umtauschverhältnisses der Aktien hätte festgesetzt werden müssen, auf der anderen Seite bestehen. Sofern von dem klagenden Minderheitsaktionär vorgetragen wird, infolge eines Prüffehlers sei es zu einer Minderberechnung der Ausgleichszahlung an ihn gekommen, liegt sein Schaden darin. Zwar ist der Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO für die gerichtliche Überprüfung der angemessenen Höhe der Abfindungszahlung eröffnet,3 nicht aber für eine solche Schadensersatzklage am Gesellschaftssitz gegen den Prüfer.4 Der Prüfer kann an seinem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden (Art. 4 in Verbindung mit Art. 62 bzw. Art. 63 EuGVVO). Zu klären bleibt, ob die Schadensersatzklage von den Minderheitsaktionären auch im Vertrags- oder Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 (siehe II.) bzw. Nr. 2 EuGVVO (siehe III.) erhoben werden kann.

II. Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVVO) 1. Vertrag Der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist eröffnet, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ ist autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung der Vorschrift zu gewährleisten.5 Eine Qualifikation nach der lex causae oder nach der lex fori kommt 3 Siehe EuGH, Urteil vom 7.3.2018 – Rs. C-560/16, E.ON ./. Czech Holding, BeckRS 2018, 2500 = RIW 2018, 283; Anm. Mankowski, LMK 2018, 405156; Anm. Seulen, IWRZ 2018, 133; Anm. Meilicke/Lochner, EWiR 2018, 389; Anm. Schmidt, EuZW 2018, 813, Rn. 45; dazu ferner Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2018: Endspurt!, IPRax 2019, 85, 104; Mansel, Zum Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO beim verschmelzungsbedingten Squeeze-out und Drittklagen gegen sachverständige Prüfer, FS Kronke, 2020, 321, 327 f. 4 Näher Mansel, FS Kronke, 2020, 321, 329. 5 EuGH, Urteil vom 22.3.1983, Rs. C-34/82, Peters, Slg. 1983, 00987, Rn. 10, IPRax 1984, 85 m. Anm. Schlosser, 65; EuGH, Urteil vom 17.6.1992, Rs. C-26/91, Handte ./. TMCS, Slg. 1992, I-03967, Rn. 10; EuGH, Urteil vom 17.9.2002, Rs. C-334/00, Tacconi ./. Wagner, Slg. 2002, I-07357, Rn. 19, IPRax 2003, 143 m. Anm. Mankowski, 127; EuGH, Urteil vom 5.2.2004, Rs. C-265/02, Frahuil, Slg. 2004, I-01543, Rn. 22.

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nicht in Betracht.6 Das Vorliegen eines Vertrages gem. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO setzt nach der Rechtsprechung des EuGH eine freiwillig eingegangene Verpflichtung voraus.7 Dabei bedeutet Freiwilligkeit willensgesteuertes Handeln.8 Vertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO kann der zwischen dem Prüfer und den beiden fusionswilligen Gesellschaften sein, denn es liegt insoweit eine freiwillig eingegangene Verpflichtung i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO vor. 2. Personenkreis Der besondere Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO gilt nicht nur für Klagen gegen die originären Vertragsparteien.9 Er steht auch für Verfahren gegen deren jeweilige Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger offen.10 Erforderlich ist aber, dass in dem fraglichen Verhältnis der originären Vertragsparteien eine freiwillig eingegangene Verpflichtung im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO vorliegt.11 Der Vertrag mit dem Prüfer wird jedoch nicht von den klagenden Minderheitsaktionären, sondern den zu bewertenden Gesellschaften abgeschlossen. Die Minderheitsaktionäre sind daher keine Vertragspartei, sondern vertragsfremde Dritte. Ebenso wenig wie eine „Vertragskette“ für die Begründung des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ausreichend ist,12 6 Geimer/Schütze/Paulus, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 58. Ergänzungslieferung Oktober 2019, Bd. I, B Vor I, Art. 7 EuGVVO, Rn. 24 f.; MüKo/ Gottwald, ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 7 EuGVVO, Rn. 4; Stein/Jonas/Wagner, ZPO, Bd. 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 12; Wagner, in: Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 269. 7 EuGH, Urteil vom 17.6.1992, Rs. C-26/91, Handte ./. TMCS, Slg. 1992, I-03967, Rn. 15; EuGH, Urteil vom 27.10.1998, Rs. C-51/97, Réunion européenne, Rn. 17; EuGH, Urteil vom 17.9.2002, Rs. C-334/00, Tacconi ./. Wagner, Slg. 2002, I-07357, Rn. 23, IPRax 2003, 143 m. Anm. Mankowski, 127; EuGH, Urteil vom 5.2.2004, Rs. C-265/02, Frahuil, Slg. 2004, I-01543, Rn. 24; EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C-375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc., Rn. 39. 8 Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR (2016), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 20; zum grundsätzlichen Erfordernis der Freiwilligkeit und einer Ausnahme siehe Weppner, Der gesellschaftsrechtliche Minderheitenschutz bei grenzüberschreitender Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 2010, S. 116. 9 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 14; MüKo/Gottwald (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 11; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 11. 10 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 14; MüKo/Gottwald (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 11; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 11. 11 EuGH, Urteil vom 6.10.1976, Rs. 14/76, De Bloos ./. Bouyer, Slg. 1976, 1497, Rn. 9/12 ff.; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 16. 12 EuGH, Urteil vom 17.6.1992, Rs. C-26/91, Handte ./. TMCS, Slg. 1992, I-3967, Rn. 17–20; EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C-375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc, Rn. 30; Bauer, Die internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Klagen unter besonderer Berücksichtigung des EuGVÜ, 2000, S. 134; Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, 6. Aufl. 2018, Rn. 188; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 17, 21.

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würde die Konstruktion des Gutachtenvertrags als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Minderheitsaktionäre zu einer ausreichenden vertraglichen Verpflichtung im Sinne des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO führen, denn der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird im Verhältnis zu dem geschützten Dritten unionsrechtlich ganz überwiegend nicht als vertraglich, sondern als deliktisch qualifiziert.13 Zwar hat der EuGH in seinem Brogsitter-Urteil entschieden, dass Ansprüche, die nach nationalem Recht als außervertraglich angesehen werden, von dem Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO erfasst werden können, wenn das anspruchsbegründende Verhalten (auch) als Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen angesehen werden kann und eine Auslegung des Vertrags zur rechtlichen Beurteilung unerlässlich erscheint.14 Allerdings betrifft das Brogsitter-Urteil allein die Beziehung der Vertragsparteien untereinander, nicht jedoch die Beziehung zwischen einer der Parteien des Vertrages und einem Dritten.15 Auch unter Berücksichtigung dieser, den Vertragsgerichtsstand weit fassenden EuGH-Entscheidung, gelangt man zu keiner Zuständigkeitsbegründung gem. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO in Bezug auf Dritte.16 3. Spruchverfahren Ein Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO für die Klage gegen die Prüfer kann ferner nicht damit begründet werden, dass Zuzahlungs- oder Barabfindungsansprüche der Minderheitsaktionäre im Rahmen des Spruchverfahrens als vertragliche Ansprüche i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO einzustufen sind. Zuzahlungs- und der Barabfindungsanspruch sind zu unterscheiden.17 Da der Barabfindungsanspruch unmittelbar aus dem Verschmelzungsplan folgt (§ 7 Abs. 1 SEEG, Art. 20 Nr. 1 lit. b SE-VO, §§ 122i, 29 Abs. 1 UmwG), wird er vertraglich eingestuft. Der Zuzahlungsanspruch ist ein gesetzlicher Anspruch

13 Siehe unten unter III. Für deliktische Qualifikation OGH, Urteil vom 7.8.2008, 6 Ob 133/08i, RIS-Justiz RS0117398; OGH 7 Ob 291/02y, unlaex AT-14; Geimer/Schütze (o. Fn. 6), Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 49 m.w.N.; Kropholler/von Hein, EuZPR 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 75 m.w.N.; Schlosser/Hess, EuZPR, 4. Aufl. 2015, Art. 7 EuGVVO, Rn. 6; Mayr/Wittwer, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2017, Rn. 3.213; Gebauer, FS Schütze 2015, 95, 105 f.; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 18; Stein/Jonas/Wagner (o. Fn. 6), Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 26 f.; Wied, Zivilprozessuale Qualifikationsprobleme im Spannungsfeld von Vertrag und Delikt, 2010, S. 156 m.w.N., auch zur Gegenmeinung, in Fn. 820. 14 EuGH, Urteil vom 13.3.2014, Rs. C-548/12, Marc Brogsitter ./. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., Rn. 24 f. 15 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 20. 16 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 20. 17 Hierzu und zum Folgenden Weppner (o. Fn. 8), S. 116 f.

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gem. §§ 6 Abs. 1 SEEG, 15 Abs. 1 UmwG. Für die verordnungsautonome Qualifikation maßgebend ist jedoch nicht die Anspruchsgrundlage, sondern das dem jeweiligen Anspruch zugrundeliegende anspruchsbegründende Verhalten. Hinsichtlich des Zuzahlungsanspruchs wird deshalb vertreten, auf das ihm zugrundeliegende gesellschaftsrechtliche Mitgliedschaftsverhältnis abzustellen, aus dem sich die Pflicht der Gesellschaft ergibt, dem jeweiligen Gesellschafter einen seinem Anteil entsprechenden Ausgleich anzubieten. Da das gesellschaftliche Mitgliedschaftsverhältnis nach der Rechtsprechung des EuGH als vertraglich18 zu qualifizieren ist,19 ist auch der aus einer zu niedrigen Festsetzung des Umtauschverhältnisses resultierende Zuzahlungsanspruch vertraglich zu qualifizieren.20 Aber auch wenn ein Zuzahlungs- oder der Barabfindungsanspruch des Spruchverfahrens als vertraglich i.S.d. EuGVVO qualifiziert werden kann,21 betrifft eine Klage eines Minderheitsaktionärs auf einen Schadensersatz gegen den Prüfer gerade keine Abfindungsansprüche im Rahmen des Spruchverfahrens. 4. Zwischenergebnis Folglich kann die Drittklage gegen einen Prüfer bei Unternehmensbewertungen nicht auf den Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO gestützt werden.

III. Besonderer Gerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) In Betracht kommt allerdings bei Klagen von Dritten gegen einen solchen Prüfer der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Nach der Rechtsprechung des EuGH gewährt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO im Verhältnis zu den anderen Gerichtsständen des Art. 7 EuGVVO eine Kognitionsbefugnis einzig für Ansprüche, die aus einer unerlaubten Handlung folgen.22 Es besteht

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Im Rahmen der EuGVVO wird die Satzung einer Gesellschaft als Vertrag angesehen, der sowohl die Beziehung zwischen den Aktionären untereinander als auch die Beziehungen zwischen diesen und der Gesellschaft regelt, siehe Nießen, NZG 2006, 441, 443; Weppner (o. Fn. 8), S. 114 ff. 19 EuGH, Urteil vom 22.3.1983, Rs. C-34/82, Peters, Slg. 1983, 00987, Rn. 13 f., IPRax 1984, 85 m. Anm. Schlosser, 65; Gaudemet-Tallon (o. Fn. 12), Rn. 187; Stein/Jonas/Wagner (o. Fn. 6), Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 29 ff.; Wagner, in: Lutter (o. Fn. 6), S. 271 f. 20 So Weppner (o. Fn. 8), S. 116 f. 21 So Weppner (o. Fn. 8), S. 116 f. (eingehend auch zum Vorstehenden). 22 EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-189/87, Kalfelis ./. Schröder, Slg. 1988, I-05565, Rn. 21, IPRax 1989, 288 m. Aufsatz Gottwald, 272; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 145; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 113.

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für das gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständige Gericht keine Annexkompetenz für andere, nicht-deliktische Ansprüche.23 1. Unerlaubte oder gleichgestellte Handlung Der Begriff der unerlaubten Handlung (Delikt) ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH autonom auszulegen und zu qualifizieren.24 Eine Klage aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die unerlaubten Handlungen gleichsteht, ist eine Klage, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll, die nicht an einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anknüpft.25 Entscheidend ist deshalb, ob eine freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt.26 Wenn eine freiwillige Verpflichtung zwischen Kläger und Beklagten vorliegt, ist Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anwendbar; wenn dies nicht der Fall ist, ist grundsätzlich der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eröffnet. Erforderlich ist ferner ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem diesem zugrundeliegenden, ihn auslösenden Ereignis.27 Neben den im Jenard-Bericht zum EuGVÜ beispielhaft erwähnten Straßen23

EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-189/87, Kalfelis ./. Schröder, Slg. 1988, I-05565, Rn. 21, IPRax 1989, 288 m. Aufsatz Gottwald, 272; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 145. 24 EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-189/87, Kalfelis ./. Schröder, Slg. 1988, I-05565, Rn. 16, IPRax 1989, 288 m. Aufsatz Gottwald, 272; EuGH, Urteil vom 1.10.2002, Rs. C167/00, Verein für Konsumenteninformation ./. Karl Heinz Henckel, Slg. 2002, I-08111, Rn. 35; EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C-375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc, Rn. 53; ebenso BGH NJW 2006, 689, Rn. 6; Gaudemet-Tallon (o. Fn. 12), Rn. 223; Magnus/ Mankowski/Mankowski, European Commentaries on Private International Law, vol. 1, Brussels Ibis Regulation, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 238; MüKo/Gottwald (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 47; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 109. 25 EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-189/87, Kalfelis ./. Schröder, Slg. 1988, I-05565, Rn. 17, IPRax 1989, 288 m. Aufsatz Gottwald, 272; EuGH, Urteil vom 1.10.2002, Rs. C167/00, Verein für Konsumenteninformation ./. Karl Heinz Henckel, Slg. 2002, I-08111, Rn. 36; EuGH, Urteil vom 13.3.2014, Rs. C-548/12, Brogsitter, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C-375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc., Rn. 44; EuGH, Urteil vom 21.4. 2016, Rs. C-572/14, Austro-Mechana, Rn. 32. 26 EuGH, Urteil vom 17.9.2002, Rs. C-334/00, Tacconi SpA ./. Wagner, Slg. 2002, I-07357, Rn. 21, IPRax 2003, 143 m. Anm. Mankowski, 127; Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 238; MüKo/Gottwald (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 50; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 109. 27 EuGH, Urteil vom 30.11.1976, Rs. C-21/76, Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, 1735, Rn. 15 f.; EuGH, Urteil vom 5.2.2004, Rs. C-18/02, Danmarks Rederiforening ./. LO Landesorganisation i Sverige, Slg. 2004, I-1441, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 16.7.2009, Rs. C-189/08, Zuid-Chemie ./. Philippo’s Minderalenfabriek, Slg. 2009, I-6919, Rn. 28; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 159; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 109.

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verkehrsunfällen,28 fallen unter Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zahlreiche weitere Ansprüche, die auf einer außervertraglichen Rechtsgutsverletzung beruhen.29 Darunter zählen zum Beispiel Ansprüche der Gläubiger einer Aktiengesellschaft gegen die Gründungsgesellschafter wegen eindeutig materieller Unterkapitalisierung der Aktiengesellschaft.30 Nach der Rechtsprechung des EuGH erfasst der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO z.B. Klagen, „die von einem Gläubiger einer Aktiengesellschaft erhoben werden, um zum einen ein Mitglied des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft und zum anderen einen Anteilseigner der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftbar zu machen, weil sie es zugelassen haben, dass die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb weiterführt, obwohl sie unterkapitalisiert war und einem Liquidationsverfahren unterworfen werden musste.“31 Nach der französischen Cour de cassation ist die auf Art. 1382 frz. Code civil gestützte Klage gegen eine Muttergesellschaft wegen Einmischung in die Leitung der Tochtergesellschaft vom Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F. (= Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) erfasst.32 In den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO können ferner Ansprüche zwischen Gesamtschuldnern fallen, sofern die Gesamtschuld nicht auf einem Vertrag beruht, sondern auf einer gesetzlichen Anordnung.33 Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine Klage i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vor, wenn mit der Klage eine Schadenshaftung der Beklagten geltend gemacht wird und diese nicht an einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anknüpft. Zur Feststellung der Natur der geltend gemachten Ansprüche ist nach dem EuGH zu prüfen, „ob sie unabhängig von ihrer Qualifizierung nach nationalem Recht vertraglicher Natur sind“34. Dies ist dann der Fall, „wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann“35. 28 Jenard-Bericht, Bericht zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968, BTDrucks. VI Nr. 1973, S. 26. 29 Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 110. Vgl. auch Geimer/ Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 170. 30 OLG Köln, Beschluss vom 15.4.2004, 16 W 11/04, NZG 2004, 1009, EWiR 2005, 389 m. Anm. Rosse; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 173; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 110. 31 EuGH, Urteil vom 18.7.2013, Rs. C-147/12, ÖFAB, Rn. 42; Gaudemet-Tallon (o. Fn. 12), Rn. 224. 32 Cass. civom 1re, Urteil vom 26.10.2011, n°10-17.026, Bull. civom I 2011, n°190; Gaudemet-Tallon (o. Fn. 12), Rn. 224; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 110. 33 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 177. 34 EuGH, Urteil vom 1.10.2002, Rs. C-167/00, Henkel, Slg. 2002, I-8111, Rn. 37; EuGH, Urteil vom 13.3.2014, Rs. C-548/12, Marc Brogsitter ./. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., Rn. 21. 35 EuGH, Urteil vom 13.3.2014, Rs. C-548/12, Marc Brogsitter ./. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., Rn. 24.

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„Dies wiederum ist grundsätzlich der Fall, wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen dem Beklagten und dem Kläger unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das dem Beklagten vom Kläger vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist.“36 Wird einem Prüfer vorgeworfen, bei der Erfüllung seiner Aufgabe als Sachverständiger bei der Ermittlung der Unternehmenswerte von Gesellschaften und des Umtauschverhältnisses der Aktien Fehler gemacht zu haben, so liegt meist kein Vertrag zwischen den geschädigten Anteilseignern und dem Prüfer vor. Dementsprechend kann das dem Prüfer vorgeworfene Verhalten nicht als Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen im Verhältnis des Prüfers zu den Minderheitsaktionären angesehen werden, wie es die EuGH-Rechtsprechung zur Annahme eines Vertrages verlangt.37 Daher kommt es bei dem Schadensersatzanspruch gerade nicht auf die Auslegung eines Vertrages zwischen dem beklagten Prüfer und den klagenden Minderheitsaktionären an, um zu klären, „ob das dem Beklagten vom Kläger vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist.“38 Demnach knüpft der Anspruch nicht an einen Vertrag an. Es wird vielmehr eine außervertragliche Rechtsgutsverletzung geltend gemacht. Dazu zählen gegebenenfalls auch Ansprüche des geschützten Dritten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegen eine der Vertragsparteien. 2. Ort des schädigenden Ereignisses Gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kann eine Klage, bei der eine unerlaubte Handlung Gegenstand des Verfahrens ist, vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an welchem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt dieser Ort sowohl am Ort des ursächlichen Handelns bzw. Unterlassens (Handlungsort) als auch am Ort der Rechtsgutsverletztung (first impact, Erfolgsort) (Ausdruck des sogenannten Ubiquitätsprinzips).39 Denn jeder von beiden Orten kann „je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und 36

EuGH, Urteil vom 13.3.2014, Rs. C-548/12, Marc Brogsitter ./. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., Rn. 25. 37 Siehe oben unter II. 1. 38 EuGH, Urteil vom 13.3.2014, Rs. C-548/12, Marc Brogsitter ./. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., Rn. 25. 39 EuGH, Urteil vom 30.11.1976, Rs. C-21/76, Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, 1735, Rn. 24/25; EuGH, Urteil vom 7.3.1995, Rs. C-68/93, Shevill ./. Presse Alliance, Slg. 1995, I-00415, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 19.9.1995, Rs. C-364/93, Marinari ./. Lloyds Bank, Slg. 1995, I-2719, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C-375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc., Rn. 45; EuGH, Urteil vom 16.6.2016, Rs. C-12/15, Universal Music International Holding ./. Schilling u.a., Rn. 28, IPRax 2018, 193 m. Anm. Huber/GeierThieme, 155.

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für die Gestaltung des Prozesses in eine besonders sachgerechte Richtung weisen“40. Deshalb wäre es nicht angebracht, zwischen beiden Orten bzw. Anknüpfungspunkten zu entscheiden. Der EuGH räumt dem Kläger vielmehr die Wahlmöglichkeit ein, seine Klage entweder an dem Ort, an dem sich der Schadenserfolg verwirklicht hat, oder am Ort des ursächlichen Geschehens zu erheben.41 Der Beklagte kann die klägerisch gewählte Zuständigkeit an einem der beiden Orte nicht aus dem Grunde rügen, der andere Ort des schädigenden Ereignisses sei geeigneter.42 Handlungs- und Erfolgsort sind vom reinen Schadensort, an dem nur mittelbare oder bloße Folgeschäden eintreten, abzugrenzen.43 Die Vorschrift des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kann „nicht so weit ausgelegt werden, daß sie jeden Ort erfasst, an dem die schädlichen Folgen eines Umstands spürbar werden können, der bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist.“44 Folglich ist der Ort, an dem der Geschädigte lediglich einen Vermögensschaden in der Folge eines in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen und dort von ihm erlittenen Erstschadens erlitten hat, kein Ort des schädigenden Ereignisses i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.45 a) Handlungsort Der Handlungsort ist der Ort des schadensbegründenden Geschehens.46 Der „Ort des ursächlichen Geschehens“47 liegt dort, wo eine schadensstif-

40 EuGH, Urteil vom 30.11.1976, Rs. C-21/76, Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, 1735, Rn. 15/19; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 184. 41 EuGH, Urteil vom 30.11.1976, Rs. C-21/76, Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, 1735, Rn. 15/19, 24/25; EuGH, Urteil vom 7.3.1995, Rs. C-68/93, Shevill ./. Presse Alliance, Slg. 1995, I-00415, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 19.9.1995, Rs. C-364/93, Marinari ./. Lloyds Bank, Slg. 1995, I-2719, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc., Rn. 45; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 186; Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 252. 42 Gaudemet-Tallon (o. Fn. 12), Rn. 228. 43 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 187; Mankowski, EuZW 2016, 583, 585. 44 EuGH, Urteil vom 19.9.1995, Rs. C-364/93, Marinari ./. Lloyds Bank, Slg. 1995, I2719, Rn. 14. 45 EuGH, Urteil vom 19.9.1995, Rs. C-364/93, Marinari ./. Lloyds Bank, Slg. 1995, I2719, Rn. 21; EuGH, Urteil vom 16.6.2016, Rs. C-12/15, Universal Music International, Rn. 40, IPRax 2018, 193 m. Anm. Huber/Geier-Thieme, 155; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 187; Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 323. 46 Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 264; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 134. 47 EuGH, Urteil vom 30.11.1976, Rs. C-21/76, Bier ./. Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, 1735, Rn. 15.

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tende Handlung ausgeführt wurde.48 Bei mehraktigem Handeln einer Person, d.h. bei Vornahme von mehreren haftungsbegründenden Handlungen, ist der Handlungsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO derjenige Ort, an dem der maßgebliche Tatbeitrag geleistet wurde.49 Vorbereitungshandlungen bleiben dabei außer Betracht.50 Nur wenn sich ein maßgeblicher Tatbeitrag nicht feststellen lässt, etwa weil alle Tatbeiträge als gleichwertig anzusehen sind, bestehen auch mehrere Handlungsorte i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.51 Zum Beispiel setzt der Konzernhaftungstatbestand des § 317 AktG zwei gleichwertige Handlungen voraus: Die Veranlassung einer die abhängige Gesellschaft benachteiligenden Maßnahme und das Unterlassen, diesen Nachteil wieder auszugleichen. Daher kann eine Zuständigkeit sowohl an dem Ort bejaht werden, an dem die nachteilige Maßnahme veranlasst wurde, als auch an dem Ort, an dem der Nachteilsausgleich hätte stattfinden müssen.52 Sind an einer unerlaubten Handlung Mehrere beteiligt, so ist nach der Rechtsprechung des EuGH keine wechselseitige Handlungsortzurechnung vorzunehmen.53 Jede Person ist nur an dem Ort des eigenen Tatbeitrags gerichtspflichtig.54 Demnach ist sogar bei Vorliegen einer gemeinsamen unerlaubten Handlung, jeder Beklagte in Bezug auf seinen eigenen Tatbeitrag an dem Ort seines Handlungsbeitrags zu verklagen. Somit ist daher allein auf die Handlung des bzw. der Prüfer abzustellen. Liegt eine Prüfungsgesellschaft vor, so ist das Handeln ihrer Organe relevant. Behauptet der Kläger, durch das Bewertungsgutachten sei das Um48 EuGH, Urteil vom 10.6.2004, Rs. C-168/02, Kronhofer ./. Maier, Slg. 2004, I-06009, Rn. 18 ff.; Baumbach/Lauterbach, 76. Aufl. 2018, Art. 7 EuGVVO Rn. 22; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 188. 49 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 193; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 135. 50 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 193; Kropholler/von Hein (o. Fn. 6), Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 83a; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 135. 51 Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 194; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 135. 52 Bachmann, Internationale Zuständigkeit bei Konzernsachverhalten, IPRax 2009, 140, 145; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 135. 53 EuGH, Urteil vom 16.5.2013, Rs. C-228/11, Melzer ./. MF Global IUK Ltd., Rn. 41, IPRax 2013, 555 m. Anm. von Hein, 505; EuGH, Urteil vom 3.4.2014, Rs. C-387/12, Hi Hotel ./. Spoering, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 5.6.2014, Rs. C-360/12, Coty Germany ./. First Note Perfumes NV, Rn. 50; so auch dem EuGH folgend BGH, Urteil vom 18.10.2016 – VI ZR 618/15, Rn. 14 ff., IPRax 2017, 480, 481 f. Rn. 20–22, m. Anm. Maultzsch, 442; Gaudemet-Tallon (o. Fn. 12), Rn. 236; Geimer/Schütze/Paulus (o. Fn. 6), Art. 7 EuGVVO, Rn. 195; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 137; Wagner, EuZW 2013, 544, 546. Kritisch Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 282 ff. 54 Kontogeorgou, Das IPR der Kapitalmarktdelikte, 2018, S. 146; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 137.

Gerichtsstand der Prüferhaftung bei Drittklagen gegen Sachverständige

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tauschverhältnis der Aktien fehlerhaft bewertet worden und dass durch diese Festsetzung insbesondere die Minderheitsaktionäre der Gesellschaft geschädigt worden seien, so ist der Ort der Gutachtenserstellung relevant. In der Regel erfolgt die Auftragsausführung am Prüfersitz. In dem Vertrag zwischen dem Prüfer und den zu bewertenden Gesellschaften, in welchem der Prüfauftrag geregelt wird, wird bei grenzüberschreitenden Prüfaufträgen regelmäßig der Ort der Vertragsausführung vertraglich bestimmt. Zudem wird in diesen Verträgen auch geregelt, dass die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen heranzuziehen sind, die am Prüfersitz in Kraft sind. In Deutschland sind das die IDW Standard: „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW), also die für die Wirtschaftsprüfer in Deutschland geltenden beruflichen Grundsätze. So, wie bei der Herstellung einer Sache auf den Ort der Herstellung als Handlungsort abzustellen ist,55 liegt der Handlungsort bei der Herstellung eines Gutachtens in dem Staat der Abfassung des Gutachtens. Regelmäßig wird dieser Ort am Sitz des Prüfers liegen, nicht aber am Sitz einer der beiden bewerteten Gesellschaften. b) Erfolgsort Der Erfolgsort ist der Ort, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.56 Maßgebend ist einzig der Ort des sogenannten Primärschadens. Genauer ist das der Ort, an welchem das geschützte Rechtsgut (Ort der Rechtsgutsverletzung57) verletzt wurde, nicht aber der Ort, an dem es lediglich zu Folgeschäden kam.58 Der EuGH betont, dass für den Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO „nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes – 55 Siehe EuGH, Urteil vom 16.1.2014, Rs. C-45/13, Andreas Kainz/Pantherwerke AG, NJW 2014, 1166; siehe auch zum Handlungsort durch Vervielfältigung von Tonträgern am Vervielfältigungsort Schack, Anmerkung zu EuGH NJW 2013, 3627, 3629. 56 EuGH, Urteil vom 17.7.2009, Rs. C-189/08, Zuid-Chemie, Slg. 2009, I-06917, Rn. 27; Kropholler/von Hein (o. Fn. 6), Art. 5 EuGVVO a.F., Rn. 83d; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 121. 57 Mankowski, EuZW 2016, 583, 586; Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 318. 58 EuGH, Urteil vom 11.1.1990, Rs. C-220/88, Dumez France ./. Hessische Landesbank, Slg. 1990, I-00049, Rn. 22; EuGH, Urteil vom 19.9.1995, Rs. C-364/93, Marinari ./. Lloyds Bank, Slg. 1995, I-2719, Rn. 14; EuGH, Urteil vom 10.6.2004, Rs. C-168/02, Kronhofer ./. Maier, Slg. 2004, I-06009, Rn. 19 f.; EuGH, Urteil vom 17.7.2009, Rs. C-189/08, Zuid-Chemie, Slg. 2009, I-06917, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 16.6.2016, Rs. C-12/15, Universal Music International, Rn. 40, IPRax 2018, 193 m. Anm. Huber/Geier-Thieme, 155; Mankowski, EuZW 2016, 583, 585; Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussels Ibis Regulation, Rn. 318, 323; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 121.

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als Ort des Mittelpunktes seines Vermögens – bezieht, weil dem Kläger nach seinem Vorbringen durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist.“59 Da die Bestimmung des Vermögensmittelpunkts von ungewissen Umständen abhängt, würde solch eine Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dem Regelungsziel der EuGVVO nach einem vorhersehbaren Gerichtsstand widersprechen.60 Außerdem würde diese Auslegung zumeist die Zuständigkeit der Gerichte des Klägerwohnsitzes begründen können, was dem gem. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlichen Beklagtenwohnsitz (actor sequitur forum rei) zuwiderlaufen würde.61 Bei reinen Vermögensschäden, die einen in einem anderen Vertragsstaat angelegten Vermögensteil des Geschädigten geschmälert haben, liegt der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO daher nicht am Klägerwohnsitz als Ort seiner Vermögenszentrale.62 Nur wenn der Vermögensschaden unmittelbar auf einem Depotkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich des Klägerwohnsitzes realisiert wird, kommt der mit dem Klägerwohnsitz identische Sitz der Bank als möglicherweise zu bejahender Erfolgsort in Betracht.63 Der EuGH betont in seiner neueren Rechtsprechung klar einschränkend, dass der Erfolgsort des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht an dem Ort liegen kann, „an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.“64 Gegen die Annahme, der Erfolgsort läge per se an dem jeweiligen Klägerwohnsitz als Ort der sogenannten Vermögenszentrale, spricht auch bei Konstellationen der Drittklage gegen den Bewertungsprüfer folgende Überlegung: Stellte man bei Verlusten infolge zu wenig ausgegebener Umtauschaktien (bzw. zu geringer Ausgleichszahlung) auf den Sitz des betroffenen Aktionärs ab, so gelangte man bei breit gestreutem Anteilsbesitz zu einer unübersehbaren Vielzahl von Deliktsgerichtsständen und 59

Urteil vom 10.6.2004, Rs. C-168/02, Kronhofer ./. Maier, Slg. 2004, I-06009, Rn. 21. EuGH, Urteil vom 10.6.2004, Rs. C-168/02, Kronhofer ./. Maier, Slg. 2004, I-06009, Rn. 20; Bachmann, IPRax 2009, 140, 144; Kontogeorgou (o. Fn. 54), S. 137. 61 EuGH, Urteil vom 10.6.2004, Rs. C-168/02, Kronhofer ./. Maier, Slg. 2004, I-06009, Rn. 13 f., 20; Magnus/Mankowski/Mankowski (o. Fn. 24), Art. 7 Brussel Ibis Regulation, Rn. 323; Mäsch, IPRax 2005, 509, 514. S. hierzu auch Odenthal, Internationales Deliktsrecht der Rom II-VO und die Haftung für reine Vermögensschäden, 2012, S. 176 ff. 62 Kontogeorgou (o. Fn. 54), S. 137 f. mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 10.6.2004, Rs. C-168/02, Kronhofer ./. Maier, Slg. 2004, I-06009, Rn. 18 f. 63 EuGH, Urteil vom 28.1.2015, Rs. C-375/13, Kolassa ./. Barclays Bank plc, Rn. 55; so auch BGH, Urteil vom 18.10.2017 – VI ZR 618/15, Rn. 13, IPRax 2017, 480; Maultzsch, IPRax 2017, 442, 444; Kontogeorgou (o. Fn. 54), S. 138. 64 EuGH, Urteil vom 16.6.2016, Rs. C-12/15, Universal Music International, Rn. 40, IPRax 2018, 193 m. Anm. Huber/Geier-Thieme, 155. 60

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damit zu einem Ergebnis, welches die Rechtsprechung des EuGH gerade vermeiden will.65 Die aktuelle Judikatur des EuGH wird dahin gehend verstanden, dass der Erfolgsort unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck des Deliktsgerichtsstands zu bestimmen ist.66 Zur Bestimmung des Erfolgsorts gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist deshalb der Lageort des jeweils geschädigten Vermögens eines der verschiedenen Indizien des Erfolgsortes.67 Bei einer Schädigung von Aktionärsvermögen durch eine Kurswertminderung ist Erfolgsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO der Ort, an dem die betreffende Aktiengesellschaft ansässig ist, sofern die zur Schädigung führende Handlung nach dem Aktienerwerb vorgenommen wurde und nicht im Aktienerwerb selbst liegt.68 In Fällen von fehlerhaften Übernahmeangeboten ist der Erfolgsort am Börsenort, an dem die Aktien der Zielgesellschaft gehandelt werden,69 sofern die schädigende Handlung unmittelbar auf die Manipulation des Marktgeschehens zielte.70 Erfolgsort für eine unterlassene bzw. falsche Kapitalmarktinformation ist nach dem OLG Frankfurt a.M. der Sitz der Börse, an dem die betreffenden Aktien der Beklagten zum Handel zugelassen sind, da sich dort der Marktpreis bildet und damit auch die behauptete Schädigungshandlung beeinflusst worden sein kann.71 Der Ort der Verwahrung der Aktien oder sonstiger Wertpapiere ist hingegen kein zuständigkeitsbegründender Ort der schädigenden Handlung.72 Zu klären ist, wie der Erfolgsort bei gutachterverursachten Bewertungsschäden zu bestimmen ist. In den hier untersuchten Konstellationen der Schadensersatzdrittklage gegen einen Bewertungsprüfer liegt bei zu niedrig angesetztem Umtauschverhältnis der Aktien der an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften der Erfolgsort am Sitz der fusionierten Gesellschaft, denn infolge eines zu niedrigen Umtauschverhältnisses wird der klagende Minderheitsaktionär an dem Vermögen der Zielgesellschaft über die zu ge65 Allgemein zu dieser Überlegung mit weiteren Nachweisen Bachmann, Internationale Zuständigkeit bei Konzernsachverhalten, IPRax 2009, 140, 144. 66 Huber/Geier-Thieme, Der Deliktsgerichtsstand im europäischen Zuständigkeitsrecht bei sogenannten „unmittelbaren Vermögensschäden“, IPRax 2018, 155, 157. 67 Diesen betonend: Mäsch, IPRax 2005, 509, 514; Odenthal (o. Fn. 61), S. 181. 68 Bachmann, Internationale Zuständigkeit bei Konzernsachverhalten, IPRax 2009, 140, 143; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 128. 69 Kontogeorgou (o. Fn. 54), S. 144. 70 Bachmann, IPRax 2009, 140, 143; Bachmann, Die internationale Zuständigkeit für Klagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation, IPRax 2007, 77, 82. 71 OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 5.8.2010 – 21 AR 50/10, Rn. 24 ff., EWiR 2010, 725 m. Anm. Mankowski. 72 Bachmann, Die internationale Zuständigkeit für Klagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation, IPRax 2007, 77, 82; Bachmann, Internationale Zuständigkeit bei Konzernsachverhalten, IPRax 2009, 140, 144; von Hein, Deliktischer Kapitalanlegerschutz im europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2005, 17, 21 f.; Rauscher/Leible (o. Fn. 8), Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 128.

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ringe Anzahl der Aktien nicht angemessen beteiligt. Den Erfolgsort am Sitz der Gesellschaft anzusiedeln, trägt zudem dem von dem EuGH betonten Anliegen der EuGVVO, vorhersehbare Verhältnisse zu schaffen, adäquat Rechnung und begünstigt typischerweise weder die eine (beklagter Prüfer) noch die andere (klagende Minderheitsaktionäre) Seite.

II. Ergebnis Wird bei einer grenzüberschreitenden Fusion der mit der Bewertung beauftragte sachverständige Prüfer von Aktionären der fusionierten Gesellschaften verklagt, weil der Prüferbericht zur Ermittlung der Höhe der Barabfindung bzw. des Umtauschverhältnisses fehlerhaft sein soll, so kann der Prüfer an seinem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden (Art. 4 in Verbindung mit Art. 62 bzw. Art. 63 EuGVVO). Der Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO für die gerichtliche Überprüfung der angemessenen Höhe der Abfindungszahlung ist hingegen für solche Drittklagen nicht eröffnet (siehe I.). Diese Drittklage gegen einen Prüfer kann bei Unternehmensbewertungen nicht auf den Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO gestützt werden (siehe II.). In Betracht kommt bei solchen Klagen von Dritten der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Bei der Herstellung eines Gutachtens liegt der deliktische Handlungsort in dem Staat der Abfassung des Gutachtens. Regelmäßig wird dies der Ort am Sitz des Prüfers sein, nicht aber am Sitz einer der beiden bewerteten Gesellschaften (siehe II 2 a). Bei zu niedrig angesetztem Umtauschverhältnis der Aktien der an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften ist der Erfolgsort am Sitz der Zielgesellschaft zu sehen (siehe II 2 b). Der Gerichtsstand nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO aufgrund einer Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite bleibt hier ausgeklammert.

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Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht rechtsvergleichend

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Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht rechtsvergleichend Hanno Merkt

Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht rechtsvergleichend HANNO MERKT

I. Einführung Die Gleichbehandlung der Mitglieder im privatrechtlichen Verband ist ein ebenso fundamentaler wie unmittelbar einleuchtender Grundsatz des modernen Verbandsrechts. Seine universelle Bedeutung lässt sich daran ermessen, dass er sich auf inter- bzw. supranationaler Ebene an unterschiedlichen Stellen normiert findet, so in den OECD Principles of Corporate Governance1 und in Europa zwar nicht im Primärrecht der EU,2 jedoch im Sekundärrecht, und zwar sowohl in der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen (Kapital-) Richtlinie von 19763 als auch in der Börsenzulassungsrichtlinie von 1979.4 Die transnationale Geltung des Gleichheitsgebots lässt darauf schließen, dass es auch auf nationaler Ebene verbreitet Geltung beansprucht. Dieser Befund gibt Anlass für eine rechtsvergleichende Betrachtung zur Geltung, Übereinstimmung und Divergenz in der Ausgestaltung des Gleichheitsgrundsatzes in unterschiedlichen Rechtsordnungen. Hier stellt 1

Siehe Chapter II „The rights and equitable treatment of shareholders and key ownership functions“ der G20/OECD Grundsätze der Corporate Governance, 2015, 18 ff. und dazu Uwe H. Schneider, AG 2004, 429, 433. 2 Der EuGH entschied im Jahre 2009, dass aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz keine spezifische Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre folge, EuGH, Urt. v. 15.10.2009 – C-101/08 (Audiolux SA u.a./Groupe Bruxelles Lambert SA u.a.), NZG 2009, 1350, Rdnrn. 60 ff.; dazu Habersack/Tröger, NZG 2010, 1; MünchKomm AktG/Götze, 5. Aufl., 2019, § 53a AktG Rdnr. 1. 3 Art. 42 der Richtlinie 77/91/EWG (Kapitalrichtlinie) vom 13. Dezember 1976, ABl. L 26 vom 31. Januar 1977, 1. 4 Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Schema C, Ziff. 2 a) der Richtlinie 79/279/EWG (Börsenzulassungsrichtlinie) vom 5. März 1979, ABl. L 66 vom 16. März 1979, 21, inzwischen ersetzt durch Art. 65 Abs. 1 der Richtlinie 2001/34/EG vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (Börsenrechtsrichtlinie), ABl. L 184 vom 6. Juli 2001, 26 und Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2004/109/EG vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie), ABl. L 390 vom 31. Dezember 2004, 38.

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sich eine ganze Reihe von Fragen: Wie gehen unterschiedliche Rechtsordnungen mit dem Problem der Ungleichbehandlung um? Gibt es bestimmte Regelungsmuster? Wird eine Lösung eher in weiten gesetzlichen Generalklauseln oder eher in einer am Einzelfall orientierten Judikatur gesucht? Ferner die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung, nach dem gegenständlichen Anwendungsbereich (Gesellschaftsformen, Mehrheits-, Minderheitsgesellschafter) und nach der Sanktionierung. Antworten auf diese und andere Fragen im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz können für die weitere Rechtsentwicklung von Bedeutung sein. Das zeigt sich ganz aktuell und praktisch an der in vielen Ländern geführten Diskussion um die Frage, ob es institutionellen Investoren erlaubt sein soll, im Gegenzug zu ihrem besonderen Engagement für ein bestimmtes Unternehmen in Bezug auf Informationen über das Unternehmen bevorzugt behandelt zu werden. Darauf wird später zurückzukommen sein.5 Rechtsvergleichende Untersuchungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz sind bislang nur vereinzelt unternommen worden.6 Der vorliegende Beitrag möchte das US-amerikanische, das englische, das französische, das schweizerische und das deutsche Recht vergleichen.7

II. Grundfragen 1. Gesetzliche oder richterrechtliche Grundlage Eine gesetzliche Normierung hat der Gleichbehandlungsgrundsatz in den USA, in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich gefunden, nicht hingegen in England8 und in Frankreich.9 5

Siehe unten IV. 4. und 5. Etwa von Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, 114 ff.; insbesondere ist nicht ersichtlich, ob sich der Europäische Gesetzgeber bei der Harmonisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den zuvor genannten Richtlinien auf rechtsvergleichende Studien gestützt hätte. In beiden Richtlinien heißt es nur lapidar: „Die Gesellschaft muss den Aktionären, die sich in denselben Verhältnissen befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.“ 7 Dabei stützt sich dieser Beitrag auf den Generalbericht, der für die Jahrestagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung 2019 erstattet wurde, siehe Merkt, in: Jung (Hrsg.), Verhandlungen der Fachgruppe für vergleichendes Handels- und Wirtschaftsrecht anlässlich der 37. Tagung für Rechtsvergleichung vom 19. bis 21. September 2019 in Greifswald, Tübingen 2020; dort auch die Länderberichte von Cox (USA); Hare (England), François (Frankreich) und Kunz (Schweiz). 8 England hat weder die Kapital- noch die Börsenzulassungsrichtlinie zum Anlass genommen, den Gleichbehandlungsgrundsatz gesetzlich zu regeln, das gilt namentlich für den Companies Act 1985, Verse (Fn. 6) 131. 9 Auch in Frankreich wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz der Kapital- und der Börsenzulassungsrichtlinie nicht in Gesetzesrecht umgesetzt, Verse (Fn. 6) 115. 6

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In Frankreich gibt es keine Positivierung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gesellschafter.10 Insbesondere hat der Gesetzgeber es nicht für notwendig befunden, Art. 42 der Kapitalrichtlinie und Art. 4 Abs. 2 der Börsenzulassungsrichtlinie (bzw. deren Nachfolgenorm des Art. 17 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie) in Gesetzesrecht umzusetzen. Und auch in der Literatur wurde von beiden Regelungen kaum Notiz genommen. Erklären lässt sich das wohl mit der in Frankreich verbreiteten Auffassung, dass eine gesetzliche Verankerung in der Sache entbehrlich ist, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz als allgemeiner Grundsatz des Gesellschaftsrechts schon zuvor anerkannt war,11 eine Auffassung, die übrigens auch für das deutsche Recht vertreten wurde bzw. wird.12 Andere, radikalere Stimmen halten den Gleichbehandlungsgrundsatz im französischen Recht für obsolet, inexistent oder für einen Mythos.13 Ganz ähnlich wie in Frankreich sah sich auch der englische Gesetzgeber nicht veranlasst, auf die Harmonisierung der Europäischen Rechts mit einer Umsetzung im Gesetzesrecht zu reagieren.14 Lediglich der übernahmerechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz fand im City Code on Takeovers and Mergers,15 bei dem es sich im Ursprung und Kern um eine Selbstregulierung handelt,16 sowie in den Listing Rules der Londoner Börse17 eine normative Gestalt. Im Übrigen betrachtet man den Grundsatz der Gleichbehandlung als selbstverständlich.18 In der Rechtsprechung werden Ungleichbehandlungen nicht mit einem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot korrigiert, sondern mit anderen Instrumenten, darunter besonders im Bereich der personalistisch strukturierten Gesellschaften vor allem das Institut des unfair prejudice, der in Sec. 994 Companies Act 2006 kodifiziert ist,19 und das in gewisser Weise und für zahlreiche Fallgruppen als funktionales Äquivalent des Gleichbehandlungsgrundsatzes angesehen werden kann.20 In jenen EU-Mitgliedstaaten, die den Gleichbehandlungsgrundsatz gesetzlich kodifiziert haben, ist der Grund für die Kodifikation in der europäi10

Siehe François (Fn. 7) 1. Dennecker, Rev. Soc. 1977, 661, 679. 12 Etwa Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., 2018, § 53a AktG Rdnr. 1 m.w.N. 13 Nachweise bei François (Fn. 7) 8. 14 Hare (Fn. 7) 1. 15 General Principles 1 des City Code on Takeovers and Mergers. 16 Instruktiv dazu Roßkopf, Selbstregulierung von Übernahmeangeboten in Großbritannien, 2000, 86 ff.; ferner Merkt, in: Christian Bumke/Anne Röthel (Hrsg.), Autonomie im Recht – Gegenwartsdebatten über einen rechtlichen Grundbegriff, 2017, 167. 17 LR 7.6.3 Premium Listing Principle 5 und dazu Ferran/Chan Ho, Principles of Corporate Finance Law, 2. Aufl., 2014, 367 sowie Mayson/French/Ryan, Company Law, 36. Aufl., 2019–2020, 206. 18 Edwards, EC Company Law, 1999, 57; Hare (Fn. 7) 1. 19 Davies/Worthington, in: Gower, Company Law, 10. Aufl., 2016, 661 ff. 20 Verse (Fn. 6) 150 f. 11

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schen Rechtsharmonisierung zu sehen. Sowohl Deutschland (1979)21 als auch Österreich (1989)22 haben den Gleichbehandlungsgrundsatz in Umsetzung der Kapitalrichtlinie von 1976 bzw. der Börsenzulassungsrichtlinie von 1979 gesetzlich verankert, was zugleich erklärt, warum der Grundsatz gesetzlich zunächst bzw. primär im Aktienrecht bzw. im Recht der börsennotierten AG geregelt wurde, nachdem er in allen drei Ländern zuvor bereits als allgemeiner verbandsrechtlicher Grundsatz in der Rechtsprechung bzw. gewohnheitsrechtlich anerkannt war.23 In der Schweiz gibt es ein gesetzliches Gleichbehandlungsgebot für Aktiengesellschaften,24 für GmbHs25 und für Genossenschaften,26 während für die einfache Gesellschaft27 und die Kollektiv- sowie die Kommanditgesellschaft28 der Gleichbehandlungsgrundsatz in verschiedenen dispositiven Bestimmungen zum Ausdruck kommt.29 In den USA liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Gesellschaftsrecht bei den Gliedstaaten, weshalb man genau genommen nicht von dem USamerikanischen Gesellschaftsrecht sprechen kann.30 Soweit hier vom USamerikanischen Gesellschaftsrecht die Rede ist, ist das Recht in der Mehrzahl der Gliedstaaten gemeint. Das Recht der Kapitalgesellschaften (business corporations) enthält in zahlreichen gliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsgesetzen, darunter das in der Praxis besonders wichtige Delaware General Corporation Law (Del. Gen. Corp. L.)31 sowie der einflussreiche Model Business Corporation Act (MBCA),32 die Bestimmung, dass die Rechte und Pflichten der Inhaber von Aktien derselben Aktiengattung identisch sein müssen, soweit nicht das objektive Recht ausdrücklich etwas anderes vorsieht.33 Allerdings stützen sich Gerichte vielfach nicht explizit auf diese ge21

Eingeführt als § 53a AktG. Zunächst im Jahre 1989 mit Einführung des BörseG als Verpflichtung der Emittenten amtlich notierter Aktien zur Gleichbehandlung ihrer Aktionäre in § 83 Abs. 1 BörseG, seit 1996 in § 47a österr. AktG, der mit der deutschen Regelung in § 53a AktG wortgleich ist. 23 Für Deutschland etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 16 II 4 b) aa); MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 1; Gessler/Hefermehl/Eckardt, AktG, 1973 ff., § 11 AktG Anm. 5; für Österreich F. Bydlinski, Der Gleichheitsgrundsatz im österreichischen Privatrecht, 1961, 9; MünchKomm AktG/Wendt (Fn. 2) Rdnr. 43. 24 Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 und Art. 717 Abs. 2 OR. 25 Art. 808c und Art. 813 OR. 26 Art. 854 OR. 27 Artt. 531 ff. OR. 28 Artt. 557, 598 OR. 29 Kunz (Fn. 7) 1 f. 30 Cox (Fn. 7), 1; näher auch Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2013, Rdnrn. 216 ff. 31 Delaware General Corporation Law § 151 (f) 3. 32 Model Business Corporation Act § 6.01(a) (2016). 33 Cox (Fn. 7) 1. 22

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setzlichen Bestimmungen, sondern betrachten den Gleichbehandlungsgrundsatz als einen allgemein anerkannten und im Richterrecht fest etablierten Grundsatz des common law, der aus der Treuepflicht (fiduciary duty, obligation to act in good faith)34 abgeleitet wird.35 Speziell für börsennotierte Gesellschaften, die dem Bundeskapitalmarktrecht in Gestalt des Securities Act (SA) von 1933 und des Securities Exchange Act (SEA) von 1934 unterliegen, enthält der SEA eine spezielle Ausformung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für das Recht der Unternehmensübernahme.36 Danach steht ein Übernahmeangebot allen Wertpapierinhabern der Klasse offen, an die sich das Angebot richtet, und die Gegenleistung, die einem Wertpapierinhaber im Rahmen des Übernahmeangebots gezahlt wird, muss die höchste Gegenleistung sein, die ein anderer Wertpapierinhaber für Wertpapiere im Rahmen des Übernahmeangebots erhält.37 2. Materiellrechtliche Grundlage In der Frage, auf welche allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt wird, lassen sich deutliche Übereinstimmungen feststellen. Hervorzuheben ist dabei der Grundsatz von Treu und Glauben. Er bildet namentlich im common law eine zentrale Grundlage für das Gleichbehandlungsgebot. In den USA werden insoweit allerdings Differenzierungen getroffen: Der Grundsatz von Treu und Glauben (obligation of good faith) und das Gebot der Fairness (fair dealing) als Quelle des Gleichbehandlungsgebots gelten für einfache bzw. Minderheitsgesellschafter, nicht hingegen für Mehrheitsgesellschafter oder Vorzugsaktionäre. Der Schutz solcher Gesellschafter ist nicht Aufgabe des objektiven Rechts, sondern des private ordering, also der Satzungsbestimmungen oder der vertraglichen Regelungen, die den Beteiligungen zugrunde liegen. Die größte Bedeutung erlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Gesellschaften mit geschlossenem Gesellschafterkreis (close corporations), in denen die Gesellschafter häufig in die tägliche Geschäftsführung eingebunden sind. Hier gründet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der berechtigten Erwartung der Gesellschafter (reasonable expectation). Wird diese Erwartung des Minderheitsgesellschafters enttäuscht, wird in der Regel eine Verletzung des Grundsat-

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Cox (Fn. 7) 1. Exemplarisch aus der Rechtsprechung von Delaware Martin v. American Potash & Chemical Corp., 92 A.2d 295 (Del. S.Ct. 1952); Hurst v. General Dynamics Corp., 583 A.2d 1334 (Del. Ch. 1990); Grover v. Simmons (In re Sea-Land Corp. Shareholders Litig.), 642 A.2d 792 (Del. Ch. 1993); Ford v. VMware, Inc., 2017 Del. Ch. LEXIS 70. 36 Cox (Fn. 7) 1. 37 Sec. 14d-10 SEA, 17 CFR § 240.14d-10 – Equal Treatment of security holders. 35

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zes von Treu und Glauben vorliegen.38 Die Rechtsprechung bejaht solche Treuepflichten in kleinen Gesellschaften mit geschlossenem Gesellschafterkreis eher als in Publikumsgesellschaften.39 Das gilt insbesondere für die moderne Gesellschaftsform der „limited liability company“ (LLC):40 Sie zeichnet sich einerseits durch große Satzungsautonomie aus, jedoch folgen viele Gliedstaaten dem Ansatz von Delaware, wonach dem Gesellschaftsvertrag der LLC ein „implied covenant of good faith and fair dealing“ innewohnt, der der Satzungsautonomie entzogen ist.41 Anders ist die Akzentsetzung in England.42 Hier stützt man sich auf den im common law entwickelten Gedanken des bona fide for the benefit of the company as a whole.43 Dabei steht der Schutz der Gesellschaft, nicht der einzelnen Gesellschafter im Vordergrund, was mit der Grundhaltung des englischen Rechts übereinstimmt, einzelnen Gesellschaftern Individualrechte gegenüber den Gesellschaftsorganen nur äußerst zurückhaltend zu gewähren.44 Für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung führt dieser vergleichsweise strenge Standard allerdings nur in sehr seltenen Fällen zum Schutz vor Ungleichbehandlung. Schon dann, wenn die Gesellschaftermehrheit gutgläubig annimmt, dass eine Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse entspricht, scheidet eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Regel aus.45 Einzelne Versuche der Rechtsprechung, aus diesem Grundsatz ein Diskriminierungsverbot zu entwickeln, trafen nicht auf Resonanz, zumal die Wirksamkeit dieses Diskriminierungsschutzes wegen des sehr formalen Verständnisses der Diskriminierung sehr eingeschränkt war: Eine materielle Ungleichbehandlung, die daraus resultiert, dass die Mehrheit Rechte der Gesellschafter per Beschluss beschneiden kann, soll nicht unter diesen Diskriminierungsbegriff fallen, solange nur sämtliche Gesellschafter in identischer Weise, d.h. formell gleich von dem Beschluss betroffen sind.46 Die Gerichte haben hier zwischen der formellen Gleichbehandlung als matter of law und der materiellen Gleichbehandlung als matter of business unterschieden.47 Weitere Rechtsfiguren, die von der Rechtsprechung zum Zweck 38

Cox (Fn. 7) 2. Moll, Minn.L.Rev. 86 (2002) 717. 40 Zur jungen Geschichte der LLC, die in den einzelstaatlichen Gesetzen wirkliche Verbreitung erst in den 1990er Jahren gefunden hat, näher Merkt (Fn. 30) Rdnrn. 165 f. 41 §§ 18–1101(d) und (e) Del. Gen. Corp. L. und dazu Cox (Fn. 7) 2. 42 Hare (Fn. 7) 2. 43 Die Formulierung geht zurück auf Lindley MR in Allen v. Gold Reefs of West Africa (1900) 1 Ch. 671, näher dazu Hannigan, Company Law, 5. Aufl., 2018, Rdnr. 5–30, dort auch zur Frage, ob company as a whole sich auf die Gesellschaft selbst oder die Gesamtheit der Gesellschafter bezieht. 44 Davies/Worthington (Fn. 19) Rdnr. 16-7. 45 Shuttlewood v. Cox Bros. & Co. (Maidenhead) Ltd., (1927) KB 9, 18. 46 Hannigan (Fn. 43) Rdnr. 16–46. 47 Greenhalgh v. Arderne Cinemas Ltd. (1951) 1 Ch. 286, 291. 39

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des Minderheitsschutzes herangezogen werden, sind der Gedanke des proper purpose,48 des fraud on the minority49 und der fairness as between different shareholders.50 Allerdings konnte sich daraus kein allgemeiner positiver Gleichbehandlungsdanke entwickeln, sondern es blieb bei der zurückhaltenden gerichtlichen Kontrolle im Sinne eines negativen Verbots massiver Eingriffe in die formale Gleichstellung der (Minderheits-) Gesellschafter. Mit der Einführung einer gesetzlichen Regelung zum Schutz vor unfair prejudice in Sec. 994 (1) Companies Act 2006, die nach ihrem Ansatz ebenfalls nur einen zurückhaltenden negativen Schutz vor gravierenden formalen Ungleichbehandlungen gewährt, hat sich die Frage nach den zugrunde liegenden Rechtsgrundsätzen weitestgehend erledigt. Heute wird das Verbot des unfair prejudice verbreitet als Ausformung des Verbots der Verletzung gesellschaftsvertraglicher Rechte oder des Treuegedankens verstanden.51 Anders als das common law misst das französische Recht dem Treuegedanken als Begründung des Gleichbehandlungsgebots keine Bedeutung bei. Vielmehr stützt sich das Gleichbehandlungsgebot unmittelbar auf das principe d´egalité des actionnaires bzw. associés.52 In der Literatur wird dieses Gleichbehandlungsgebot in Verbindung gebracht mit der affectio societatis, die als willensgeleitetes, aktives und gleichberechtigtes Zusammenwirken der Gesellschafter definiert wird.53 Abgeleitet bzw. dogmatisch fundiert werden das principe d´égalité des actionnaires für die société anonyme im Aktienrecht und das principe d´égalité des associés für die société à responsabilité limité im Wege einer Gesamtanalogie zu Vorschriften, die den fundamentalen Gedanken der Gleichbehandlung zum Ausdruck bringen,54 etwa Art. L 225-204 Abs. 1 S. 2 des Code de Commerce, wonach eine Kapitalherabsetzung nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit der Aktionäre verstoßen darf, oder Art. L 225-235 Abs. 5 Code de Commerce, wonach der Abschlussprüfer auch prüfen muss, ob die Gesellschafter gleich behandelt werden. Im Übrigen unterscheidet das französische Recht zwischen proportionaler und arithmetischer Gleichbehandlung. Für Stimm- und Gewinnbezugsrechte gilt der Grundsatz der proportionalen Gleichbehandlung, während jeder Gesellschafter – ungeachtet der Anzahl seiner Stimmrechte – das Recht auf Mitwirkung an Gesellschafterbeschlüssen hat. Leoninische Klauseln, die den gesamten Gewinn einem einzelnen Gesellschafter zuweisen oder ihn vom Gewinnbezug vollständig ausschliessen oder ihm sämtliche 48 49 50

Howard Smith Ltd. v. Ampol Petroleum Ltd. (1974) AC 821. Daniels v. Daniels (1978) Ch. 406, 413 f. Mutual Life Insurance Co. of New York v. Rank Organisation Ltd. (1985) BCLC

11. 51 52 53 54

O’Neill v. Phillips (1999) 2 BCLC 1, 11 und dazu Verse (Fn. 6) 145. Verse (Fn. 6) 116 f. Näher François (Fn. 7) 1. François (Fn. 7) 9.

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Verluste zuweisen oder ihn von der Verlusttragung vollständig befreien sind unzulässig. 55 Allerdings wurde ebenso herausgearbeitet, dass sich hinter diesem Gleichbehandlungsgrundsatz ein deutlich weiteres und weniger konkret gefasstes Institut verbirgt als wir es etwa aus dem deutschen und österreichischen Recht kennen, nämlich die Gesamtheit der gesetzlichen und richterrechtlichen Regeln, die eine Gleichbehandlung der Gesellschafter gewährleisten sollen.56 Angesichts dieser relativen Konturlosigkeit überrascht es nicht, dass sich die Rechtsprechung für die Beschränkung der Verbandsmacht gegenüber dem einzelnen Gesellschafter im konkreten Fall nicht auf das principe d´égalité, sondern auf das Institut des abus de majorité bzw. abus de minorité, also das Missbrauchsverbot stützt. Während beim abus de majorité die Interessen der Mehrheitsgesellschafter über die Interessen der Minderheit gestellt werden, geht es beim abus de minorité darum, dass die Interessen der Minderheit dem Gesellschaftsinteresse zuwider laufen.57 Systematisch wird das Missbrauchsverbot als Unterfall des principe d´égalité angesehen, wobei zentrales Tatbestandsmerkmal die gezielte bzw. vorsätzliche Ungleichbehandlung (rupture d´égalité) ist.58 Dabei lassen sich Fälle, in denen es um distributive Gerechtigkeit geht (z.B. Stimmmacht, Gewinnbezug), von Fällen der kommutativen Gerechtigkeit (etwa Teilnahme an der Gesellschafterversammlung) unterscheiden,59 ein Ansatz, der auch für das deutsche Recht vorgeschlagen wurde.60 Ähnlich verhält es sich in der Schweiz: Auch hier wird seit langem diskutiert, ob sich das Gleichbehandlungsgebot dogmatisch aus dem allgemeinen Verbot des Rechtsmissbrauchs in Art. 2 Abs. 2 des ZGB ableitet bzw. ob der Gleichbehandlungsgrundsatz eine Spezialregelung zu Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt. Und auch die Rechtsprechung des BG war in dieser Frage nicht einheitlich. Zum Teil wurde neben dem Rechtsmissbrauchsverbot das Gebot von Treu und Glauben herangezogen. Mit der ausdrücklichen Regelung des Gleichbehandlungsgebots im Aktienrecht hat allerdings diese Diskussion zunehmend an Bedeutung verloren.61 Auch in Deutschland wird der Begründungsansatz für den Gleichbehandlungsgrundsatz kontrovers diskutiert. Dabei sind als besonders prominente Vertreter einerseits – im Anschluss an Ludwig Raisers These von der austei55

François (Fn. 7) 8. Verse (Fn. 6) 116 f. 57 François (Fn. 7) 3. 58 Mestre, Rev. Soc. 1989, 399, 404; D. Schmidt, Les droits de la minorité dans la société anonyme, 1970, Nr. 202; Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des Sociétés, 32. Aufl., 2019, Nr. 441. 59 François (Fn. 7) 8. 60 Verse (Fn. 6) 76 ff. 61 Näher Kunz (Fn. 7) 4. 56

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lenden Gerechtigkeit62 – Götz Hueck mit der Lehre vom Gemeinschaftsverhältnis63 und andererseits Ernst Cohn64 sowie Franz Bydlinski65 mit der Lehre vom Willen der Beteiligten hervorgetreten. Hier wird der vertragliche Charakter des Gesellschaftsverhältnisses betont. Vielfach wird der Gleichbehandlungsgrundsatz auch in Verbindung zur Treuepflicht gebracht, wobei eine starke Strömung im Gleichbehandlungsgrundsatz einen Spezialfall der Treuebindung sieht.66 Andere sehen im Gleichbehandlungsgrundsatz eine notwendige Ausübungskontrolle der Verbandsmacht, sofern eine Person oder Institution in der Lage ist, ihren Willen ohne Rücksicht auf den Konsens der Betroffenen durchzusetzen.67 In jüngerer Zeit hat diesen Ansätzen Dirk A. Verse die These entgegengestellt, dass es sich beim Gleichbehandlungsgrundsatz im Gesellschaftsrecht um ein Instrument zur Verwirklichung der ausgleichenden Gerechtigkeit zwischen Gesellschaft und Gesellschafter handelt, das an die Stelle des fehlenden Konsenserfordernisses tritt.68 Auch im österreichischen Recht wird ein enger Zusammenhang zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Treuepflicht gesehen.69 3. Wie wird der Gleichbehandlungsgrundsatz inhaltlich gerechtfertigt? Auch hier lassen sich unterschiedliche Ansätze feststellen. Im common law wird der Gleichbehandlungsgrundsatz – wie zuvor dargelegt – vornehmlich aus der vertraglich begründeten Treuepflicht der Geschäftsführung gegenüber den Gesellschaftern abgeleitet, die wiederum ihre Grundlage im Stellvertretungsrecht (law of agency) hat. Der Vertreter hat im Geschäftskreis des Geschäftsherrn gewisse Pflichten zu beachten. Im Gesellschaftsrecht ist die Gesellschaft der Geschäftsherr und die Geschäftsführung ihr Vertreter. Die Erfüllung der Stellvertreterpflichten gegenüber der Gesellschaft kommt indirekt allen Gesellschaftern zugute, weshalb die Gesellschafter die Beachtung der Vertreterpflichten im Weg der derivative action durchsetzen können. Ein weiterer Rechtfertigungsansatz ist der Gedanke der berechtigten Erwartung (reasonable expectation) der Vertragsparteien. Sowohl im englischen Recht als auch in den USA wird das Gleichbehand62

L. Raiser, ZHR 111 (1948) 75, 92 ff.; ders., JZ 1959, 421, 422. G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958, 96 ff. 64 Cohn, AcP 130 (1932) 129, 152 ff. 65 F. Bydlinski (Fn. 23) 21 ff., 46 ff. 66 Etwa OLG Stuttgart, AG 2000, 229, 230; Lutter, JZ 1976, 225, 228; weitere Nachweise bei Verse (Fn. 6) 87 Fn. 33. 67 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, § 8 II 2 a); zustimmend K. Schmidt (Fn. 23), § 16 II 4 b) aa). 68 Verse (Fn. 6) 76 ff. 69 Krejci, Gesellschaftsrecht, Band I, 2004, 203; MünchKomm AktG/Wendt (Fn. 2) Rdnr. 44. 63

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lungsgebot in Fällen herangezogen, in denen ein von der Mehrheit getroffener Beschluss dem widerspricht, was die Gesellschafter zwar nicht ausdrücklich in der Satzung vereinbart haben, worüber aber beim Eintritt in die Gesellschaft oder zu einem späteren Zeitpunkt gleichwohl ausdrücklich oder stillschweigend Einvernehmen zwischen allen Gesellschaftern bestand.70 Dieser Gedanke hat in den USA für die LLC auch Eingang in das Gesetzesrecht gefunden, siehe etwa § 18–101(7) Del. Gen. Corp. L.71 Diesem stärker vertragsrechtlich orientierten Rechtfertigungsansatz gegenüber stehen jene Rechtsordnungen, die – wie etwa Frankreich und die Schweiz – das Gleichbehandlungsgebot als Korrektiv des gesellschaftsrechtlichen Mehrheitsprinzips begreifen. Für Frankreich ergibt sich das unmittelbar aus dem Institut des abus de majorité, das zur Anfechtung berechtigt, wenn der Mehrheitsbeschluss dem Gesellschaftsinteresse widerspricht und der Beschluss nur gefasst wurde, um die Mehrheit gegenüber der Minderheit zu bevorzugen, d.h. wenn eine gezielte Ungleichbehandlung (rupture d‘égalité) vorliegt.72 Hingegen wurde der aktienrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in der Schweiz zwar früher auf den vertraglichen Charakter der Gesellschaft zurückgeführt, doch begründen Lehre und Judikatur den Grundsatz heutzutage in erster Linie mit dem Mehrheitsprinzip des Körperschaftsrechts. Da die Willensbildung in der Körperschaft von der Mehrheit dominiert wird, bedarf es zum Schutz der Minderheit vor Machtmissbrauch bzw. Mehrheitswillkür des Gleichbehandlungsgebots als ausgleichendem bzw. korrigierendem Element. Damit kompensiert das Gleichbehandlungsgebot den durch das Mehrheits- und Drittorganschaftsprinzip bedingten Konsensmangel.73 Für das deutsche Recht lässt sich eine einheitliche Rechtfertigung des Gleichbehandlungsgebots nicht feststellen. Vielmehr konkurrieren hier unterschiedliche Konzepte: Manche sehen das Gleichbehandlungsgebot als Korrektiv der einseitigen Gestaltungsmacht gerechtfertigt,74 andere rechtfertigen es als Attribut eines jeden Zusammenschlusses mehrerer Personen zu einer Gemeinschaft und der daraus resultierenden Bindung des Einzelnen,75 wieder andere sehen die Rechtfertigung im Willen der Gesellschafter, die sich aus freien Stücken zusammengeschlossen und der Verbandsmacht unterworfen haben, die sich aber dieser Verbandsmacht keineswegs auf Gnade oder Ungnade ausliefern wollten, weshalb der Gleichbehandlungsgrundsatz 70 Für England etwa O’Neill v. Phillips (1999) 2 BCLC 1, 10 f.; Re Saul D. Harrison Sons plc (1995) 1 BCLC 14, 19; Davies/Worthington (Fn. 19) Rdnr. 20-6; für die USA Meiselman v. Meiselman, 309 N.C. 279, 307 S.E.2d 551 (1983) sowie Cox (Fn. 7) 3. 71 Cox (Fn. 7) 3. 72 Verse (Fn. 6) 118 m.w.N. 73 Kunz (Fn. 7) 7 m.w.N. 74 L. Raiser (Fn. 62) 92 ff.; 422. 75 G. Hueck (Fn. 63) 96 ff.

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dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entspreche.76 Hier ist die Nähe zur vertragsrechtlichen Legitimation des common law unübersehbar.

III. Anwendungsbereich 1. Subjektiver Anwendungsbereich Für die Mitgliedstaaten der EU ist vorauszuschicken, dass die Kapitalrichtlinie nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nur für die Rechtsform der AG gilt. Hier sah man, anders als im Recht der personalistisch strukturierten Kapital- und Personengesellschaften, erhöhten Harmonisierungsbedarf.77 In Frankreich hat der Gesetzgeber eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot für die société par actions simplifiée (SAS) vorgesehen. Die SAS zeichnet sich durch ein gegenüber der société anonyme deutlich schlankeres Gesetzgebungsregime und eine hierzu korrespondierende, erheblich größere Satzungsautonomie aus. Hier kann in der Satzung vorbehaltlich einer Liste von Maßnahmen, die nur kollektiv unter Mitwirkung von sämtlichen Gesellschaftern beschlossen werden können (darunter vor allem Kapital- und Strukturmaßnahmen), eine Ungleichbehandlung der Aktionäre vorgesehen werden. Insbesondere kann die Satzung regeln, dass der Geschäftsführer nicht von sämtlichen, sondern von nur einem Gesellschafter allein berufen und abberufen wird, was allerdings in der Praxis nur selten vorkommt.78 Soweit man in England überhaupt von der Geltung eines im common law etablierten Gleichbehandlungsgedankens im Gesellschaftsrecht sprechen kann,79 findet er sich – soweit ersichtlich – unterschiedslos im Recht sämtlicher Gesellschaftsformen, wobei speziell der zentrale Tatbestand des unfair prejudice in Sec. 994 (1) Companies Act 2006 vor allem in personalistisch strukturierten private companies praktische Bedeutung erlangt, in denen die Mehrheitsgesellschafter häufig auch Geschäftsführer sind.80 Auch in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz gilt das Gleichbehandlungsgebot grundsätzlich unterschiedslos für alle (Kapital-) Gesell-

76 Cohn (Fn. 64), 152 ff.; F. Bydlinski (Fn. 23) 21 ff., 46 ff.; zustimmend etwa Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl., 1996, 237; Bachmann, ZHR 170 (2006) 144, 161 ff. 77 Verse (Fn. 6) 11. 78 François (Fn. 7) 10. 79 Siehe oben unter II. 2. 80 Zur Vorgängernorm Sec. 459 Companies Act 1985 Verse (Fn. 6) 142 m.w.N.; da die Norm bei der Überführung in Sec. 994 (1) Companies Act 2006 inhaltlich nicht geändert wurde, bleibt frühere Rechtsprechung weiter maßgeblich, Davies/Worthington (Fn. 19) Rdnr. 20-1; Hare (Fn. 7) 4.

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schaftsformen.81 In Deutschland wurde es vom Reichsgericht zwar ursprünglich Ende des 19. Jahrhunderts für die AG postuliert,82 jedoch fand es bald Eingang auch in das Recht der GmbH.83 Dass das Gleichbehandlungsgebot in erster Linie im Recht der Kapitalgesellschaften in Erscheinung tritt, folgt daraus, dass es typischerweise dort Bedeutung erlangt, wo Mehrheitsentscheidungen der Mitgliederversammlung oder Entscheidungen der Geschäftsführung getroffen werden, die ohne Zustimmung der Minderheitsgesellschafter zustande gekommen sind. Dies ist bei Kapitalgesellschaften wegen des dort geltenden Mehrheitsprinzips und dem Grundsatz der Fremdorganschaft weitaus öfter der Fall als im Personengesellschaftsrecht.84 In den USA gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz in den meisten Gliedstaaten im Recht der close corporation, doch kann er auch in der public corporation zur Anwendung gelangen.85 Aus dem Rahmen fällt Delaware, wo die Rechtsprechung den Standpunkt vertritt, dass Fairness keine Gleichbehandlung der Gesellschafter voraussetzt. Ebenso ist man mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz zurückhaltend, wenn es um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Aktiengattungen oder innerhalb einer Gattung geht. Hier ist auf die Satzung bzw. auf Absprachen unter den Betroffenen abzustellen.86 2. Geltung für Gesellschaftsorgane und Gesellschafter? Im US-amerikanischen Recht stellt sich die Frage nach dem Kreis der Verpflichteten in erster Linie für close corporations.87 Hier geht es typischerweise um den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern (freeze out bzw. squeeze out).88 Nach common law kann gegen freeze outs und squeeze outs nicht eingewendet werden, sie verletzten Treuepflichten der Mehrheits- gegenüber den Minderheitsgesellschaftern.89 Anders sieht es die Rechtsprechung in Massachusetts. In der Leitentscheidung in Donahue v. Rodd Electrotype Co. zog der Supreme Court of Massachusetts aus der Ähnlichkeit von close corporation und partnership (etwa vergleichbar der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts) den Schluss, dass die Gesellschafter der close corporation wie die partners der partnership einer strikten Treuepflicht (strict fiduciary duty) unterworfen sind und die Mehrheitsgesellschafter ge-

81 Für Deutschland K. Schmidt (Fn. 23), § 16 II 4 b) aa); für Österreich MünchKomm AktG/Wendt (Fn. 2) Rdnr. 42; für die Schweiz Kunz (Fn. 7) 9 f. 82 RGZ 3, 123, 163; 41, 97, 99. 83 RGZ 68, 210, 213; 80, 385, 390. 84 Verse (Fn. 6) 11. 85 Cox (Fn. 7) 4. 86 Cox (Fn. 7) 4. 87 Cox (Fn. 7) 5. 88 Zum Unterschied Merkt (Fn. 30) Rdnrn. 717 f. 89 Merkt (Fn. 30) Rdnr. 420.

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genüber den Minderheitsgesellschaftern zu äußerster Redlichkeit und Loyalität (utmost good faith and loyalty) verpflichtet sind.90 Dieser Grundsatz wurde später mehrfach bekräftigt.91 Verlangt wird von den Mehrheitsgesellschaftern freilich nicht schierer Altruismus, sondern nur, zwischen ihren eigenen Interessen und den Interessen der Minderheitsgesellschafter abzuwägen.92 Diese Pflicht setzt allerdings bereits dann ein, wenn einer von zwei Gesellschaftern mit gleichen Beteiligungen Anstrengungen unternimmt, die Mehrheit zu erlangen.93 Hingegen entschied der Supreme Court von Delaware, es wäre unangebracht, wenn die Rechtsprechung besondere Treuepflichten ohne gesetzliche Vorgaben schaffe.94 In England wird die Frage, wen die Gleichbehandlungspflicht trifft, wenig problematisiert. Allerdings hat die Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass die Gesellschaftsorgane nach bestem Wissen im Interesse der Gesellschaft zu handeln haben.95 Daraus leitet sich auch das Gebot ab, dass die Gesellschafterversammlung einen Minderheitsgesellschafter nicht ohne triftigen Grund ausschließen darf. Ebenso dürfen die directors ihr Handeln nicht am Interesse einzelner (herrschender) Gesellschafter ausrichten, sondern müssen sich am Interesse der Gesellschaftergesamtheit orientieren.96 Allerdings ist die Kontrolldichte gering, was nicht zuletzt daran liegt, dass es auf die subjektive Sichtweise der handelnden directors ankommt.97 Unklar ist, ob es sich in den Fällen, in denen die Gesellschafterversammlung mit Mehrheit zu Lasten der Minderheit entscheidet, ausschließlich um eine Organpflicht der Gesellschafterversammlung oder auch um eine Pflicht des (Mehrheits-) Gesellschafters handelt. Im französischen Recht trifft sowohl den Mehrheits- als auch den Minderheitsgesellschafter eine mit einem Schadensersatzanspruch sanktionierte Pflicht, vom Missbrauch der Stimmmacht abzusehen.98 90 Donahue v. Rodd Electrotype Co. of New England, Inc., 328 N.E.2d 505 (Mass.1975) und dazu Clark, Corporate Law, 1986, 528 ff.; kritisch Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, 246. Des Weiteren ist auch eine Treuepflicht der Minderheitsgesellschafter gegenüber der Mehrheit anerkannt, siehe Rexford Rand Corp. v. Ancel, 58 F.3d 1215 (7th Cir.1995). 91 Nachweise bei Merkt (Fn. 30) Rdnr. 420. 92 Wilkes v. Springside Nursing Home, Inc., 353 N.E.2d 657 (Mass.1976). 93 Hallahan v. Haltom Corp., 385 N.E.2d 1033 (Mass.App.Ct.1979). 94 Nixon v. Blackwell, 626 A.2d 1366 (Del.1993), dazu aber Ragazzo, Toward A Delaware Common Law of Closely Held Corporations, Wash. U.L.Q. 77 (1999) 1099–1151; ebenfalls kritisch zur dargestellten Entscheidung Donahue: Toner v. Baltimore Envelope Co., 498 A.2d 642 (Md.1985); Kos v. Central Ohio Cellular, Inc., 641 N.E.2d 265 (Ohio Ct.App.1994). 95 Hare (Fn. 7) 9 f. 96 Verse (Fn. 6) 132 ff. 97 Etwa Re Smith v. Fawcett Ltd. (1942) Ch. 304, 306; Regentcrest plc v. Cohen (2001) 2 BCLC 80, 105. 98 François (Fn. 7) 17.

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Hingegen bindet das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot im deutschen Recht ausschließlich die AG und ihre Organe. Einzelne Aktionäre werden nach ganz herrschender Auffassung nicht gebunden.99 Allerdings wird in vielen Fällen, in denen es um Ungleichbehandlung von Aktionären durch Aktionäre geht, die Treuepflicht der Aktionäre untereinander verletzt sein,100 was wiederum zu der bereits angesprochenen Frage nach dem Verhältnis von Gleichbehandlungsgebot und Treuepflicht führt. 3. Gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nur für bewusste oder auch für unbewusste Ungleichbehandlungen? Für die USA dürfte wohl davon auszugehen sein, dass eine unbeabsichtigte oder fahrlässige Ungleichbehandlung keine hinreichende Grundlage für einen Anspruch aus Verletzung des Gleichbehandlungsgebots darstellt.101 Auch das französische Recht beschränkt den Tatbestand des abus de majorité auf Fälle bewusster Ungleichbehandlung, d.h. die Mehrheit der Gesellschafter muss sich bewusst sein, dass sich die betreffende Maßnahme auf Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter ungleich auswirkt, in den Worten der Leitentscheidung der Cour de Cassation im Fall Picard: Es muss sich nach dieser Entscheidung um eine rupture intentionelle d’égalité handeln.102 Die Beweislast liegt zwar grundsätzlich beim klagenden Minderheitsaktionär, doch helfen die Gerichte, indem sie nicht selten aus den objektiven Umständen auf das Bewusstsein schließen.103 Der Beschränkung hinsichtlich des subjektiven Tatbestands gegenüber steht in objektiver Hinsicht ein sehr weiter Tatbestand der Ungleichbehandlung. Anders als in anderen Rechtsordnungen, die, wie etwa die englische und die schweizerische, den Gleichbehandlungsgrundsatz auf formelle Gleichbehandlung beschränken, bezieht das französische Recht auch die materielle Gleichbehandlung ein. Dass etwa ein Beschluss der Gesellschafterversammlung zwar formal alle Gesellschafter in gleicher Weise betrifft, jedoch materiell einzelne Gesellschafter benachteiligt, weil sie durch den Beschluss nicht in gleicher Weise begünstigt werden wie die anderen Gesellschafter, stellt nach französischem Recht eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar.104 Hingegen stellt nach schweizerischer Gerichtspraxis faktisch eine formale Gleichbehandlung der Aktionäre unter gleichzeitiger Nichtbeachtung der 99

Verse (Fn. 6) 171 ff. Lutter, AcP 180 (1980) 84, 116. 101 Cox (Fn. 7) 5. 102 Cass. com. D. 1961, 661 = JCP 1961, II, 12164. 103 D. Schmidt (Fn. 58) Nr. 219; Guyon, Droit des affaires, Band I, 2001, Nr. 454; Rives-Lange, Rev. jur. com., no spéc. nov. 1991, 65, 69. 104 Trib. Com. Paris Rev. Soc. 1982, 791, 797; Cass. com. Rev. Soc 1995, 46 f.; Cass. com. Bull. Civ. 1973 IV, no 13.; Trib. Com. Paris Dr. soc. 1996, no 215. 100

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wirtschaftlichen Realität keine Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips dar.105 Andererseits umfasst der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Schweiz auch indirekte und rein faktische Verletzungen des Gleichbehandlungsgebots, woraus gefolgert wird, dass auch unbewusste Ungleichbehandlungen erfasst sind.106 Das österreichische Recht sieht es ähnlich: Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei grundsätzlich nicht verletzt, wenn sich die fragliche Maßnahme bei formaler Gleichbehandlung für einzelne Gesellschafter verschieden auswirke. Eine Verletzung liege ausnahmsweise aber dann vor, wenn die Beeinträchtigung einzelner Gesellschafter gerade bezweckt sei.107 Im englischen Recht handelt es sich beim Tatbestand des unfair prejudice um ein objective concept, woraus abgeleitet wird, dass jedes Handeln oder Unterlassen der Gesellschaft bzw. ihrer Organe (directors, Gesellschafterversammlung) ohne Rücksicht auf die subjektive Tatseite als Verletzung des Gleichbehandlungsgebots in Betracht kommt.108 In Deutschland schließlich erfolgt die Bestimmung der ungleichen Behandlung allein anhand objektiver Kriterien. Subjektive Elemente wie Vorsatz, Absicht, Kenntnis, Bewusstsein etc. spielen keine Rolle.109 In der Literatur wurde darauf hingewiesen, dass das Sondervorteilsverbot gem. § 243 Abs. 2 S. 1 AktG wegen seines Vorsatzelements („… zu erlangen suchte …“)110 dem französischen abus de majorité ähnelt.111

IV. Inhalt 1. Unterschiede zwischen dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Personengesellschafts- und Kapitalgesellschaftsrecht? Die US-amerikanische Rechtsprechung hat den Gleichbehandlungsgrundsatz – wie zuvor dargelegt –112 im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft (close corporation) entwickelt und von dort in die neue Rechtsform der LLC übertragen. Für beide Gesellschaftsformen wurden maßgebliche Prinzipien und Grundsätze aus dem Personengesellschaftsrecht der partnership übernommen. Welchem Ansatz die Gerichte bei Publikumskapital-

105 106 107 108 109 110 111 112

Kunz, Minderheitenschutz im schweizerischen Aktienrecht, 2001, § 8 Rdnr. 61. Kunz (Fn. 7) 12. Verse (Fn. 6) 157. Dignam/Lowry, Company Law, 10. Aufl., 2018, Rdnr. 11.44; Hare (Fn. 7) 11. Kölner Komm AktG/Drygala, § 53a AktG Rdnr. 12. Kölner Komm AktG/Noack/Zetzsche, § 243 AktG Rdnrn. 447 ff. Verse (Fn. 6) 130. Oben unter II. 2.

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gesellschaften folgen würden, lässt sich mangels aussagekräftiger Judikatur nicht hinreichend sicher sagen.113 Ähnlich liegen die Dinge im englischen Gesellschaftsrecht: Auch hier spielen der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot des unfair prejudice vor allem bei der geschlossenen Kapitalgesellschaft (limited company) eine Rolle.114 Hinzu kommt, dass Sec. 994 (1) Companies Act 2006 in seinem Anwendungsbereich auf companies beschränkt ist. Für die partnership scheint der Grundsatz von marginaler bzw. ohne Bedeutung zu sein. Anders verhält es sich im französischen Recht: Hier ist der Grundsatz der Gleichbehandlung ohne größere Differenzierungen sowohl bei Personenals auch bei Kapitalgesellschaften zu beachten. Das gilt insbesondere für das Verbot leoninischer Klauseln, das Verbot des Stimmrechtsausschlusses in der Satzung und das Erfordernis der affectio societatis. Anders sieht es bei Publikumskapitalgesellschaften und insbesondere bei börsennotierten Gesellschaften aus. Hier findet der Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkte bzw. keine Anwendung, so etwa für das Informationsrecht von Aktionären und das Recht auf Einsicht in die finanzielle und nichtfinanzielle Berichterstattung. Ferner sind Differenzierungen zwischen Stamm- und Vorzugsaktien zulässig. Über entsprechende Bevorzugung muss vom Abschlussprüfer berichtet werden. Zulässig ist schließlich die Zahlung eines Paket- bzw. Kontrollzuschlags.115 Im deutschen Gesellschaftsrecht gehört der Gleichbehandlungsgrundsatz zu den allgemeinen, rechtsformübergreifenden Prinzipien,116 obgleich er nur für die AG in § 53a AktG gesetzlich normiert wurde. Für die GmbH findet er in unterschiedlichen Vorschriften des GmbHG Anklang, etwa in § 19 Abs. 1 GmbHG in Bezug auf die Leistung der Einlagen. Auch im Personengesellschaftsrecht tritt er auf, etwa beim Gewinnverwendungsschlüssel in der BGB-Gesellschaft (§ 722 Abs. 1 BGB) und bei der oHG (§ 121 Abs. 3 HGB), wo in Ermangelung abweichender Regelungen im Gesellschaftsvertrag eine Verteilung nach Köpfen vorgesehen ist.117 Kategoriale Unterschiede zwischen seiner Geltung im Personen- und im Kapitalgesellschaftsrecht lassen sich nicht erkennen. Das schweizerische Recht differenziert nach Gesellschaftsformen: am schwächsten ist der Schutz vor Ungleichbehandlung im Recht der Personengesellschaften. Verboten ist hier nur die sachlich nicht gerechtfertigte, willkürliche Ungleichbehandlung. Unterhalb dieser Schwelle können Ungleichbehandlungen nach Art. 534 Absatz 2 OR durch Mehrheitsentscheid eingeführt werden. Hingegen kann bei der AG vom Gleichbehandlungs113 114 115 116 117

Cox (Fn. 7) 6. Siehe die bei Verse (Fn. 6) 132 ff. ausgewertete Judikatur; Hare (Fn. 7) 12 f. François (Fn. 7) 19 f. K. Schmidt (Fn. 23) § 16 II 4 b) aa). Dazu Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, § 3 III 3 b) bb).

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grundsatz nur insoweit abgewichen werden, als dies für die Verfolgung des Gesellschaftszwecks im Interesse der Gesamtheit aller Aktionäre unumgänglich notwendig erscheint. Ungleichbehandlung ist also dort zulässig, wo sie nicht unsachlich, sondern ein angemessenes Mittel zur Erreichung eines gerechtfertigten Zwecks darstellt (relative Gleichbehandlung). Auch bei der GmbH gilt dieser relative Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechend dem Kapitalanteil der Gesellschafter, allerdings mit der Möglichkeit, im Rahmen personalistischer Ausgestaltung Sonderrechte und Sonderpflichten einzelner Gesellschafter vorzusehen («dispositive Generalregel»). Bei der Genossenschaft gilt hinsichtlich einzelner Fragen die absolute Gleichbehandlung, während andere Vorschriften lediglich eine relative Gleichbehandlung vorsehen.118 2. Kopf- oder Kapitalprinzip? Im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht beurteilt sich Ungleichbehandlung ausschließlich und unabänderbar nach dem Kapitalanteil.119 Gleiches gilt für das englische Recht.120 In Frankreich differenziert man: Während manche Vorschriften auf die Gesellschafter (per capita) abstellen, entscheidet nach anderen Regelungen der Kapitalanteil (per capital). Das Erfordernis der affectio societatis, das Recht zur Mitwirkung an Gesellschafterentscheidungen und auf Gewinnbezug und zur Teilhabe am Verlust betrifft jeden Gesellschafter gleichermaßen und bemisst sich per capita. Der Umfang der Stimmacht und der Umfang des Gewinnbezugsrechts hingegen beurteilen sich per capital.121 Das deutsche Aktienrecht verlangt Gleichbehandlung unter gleichen Voraussetzungen. Bei der als Kapitalgesellschaft konzipierten AG muss die Gleichbehandlung demgemäß grundsätzlich nach Maßgabe der Kapitalbeteiligung erfolgen. Der Umfang der Rechte und Pflichten eines jeden Aktionärs muss in der Regel einem für alle gleichen Maßstab proportional dem Umfang der Kapitalbeteiligung entsprechen. Das gilt für alle Hauptrechte des Aktionärs (Anspruch auf Gewinnbeteiligung, Bezugsrecht, Anspruch auf Beteiligung am Liquidationserlös, Stimmrecht, Inanspruchnahme der Einlagepflicht). Als Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz gilt für die in ihrem Umfang nicht zahlenmäßig abstufbaren Hilfsrechte das Gebot der Gleichbehandlung nach Köpfen, so etwa für das Teilnahmerecht, das Rederecht und das Auskunftsrecht in der Hauptversammlung sowie das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen.122 Hingegen herrscht im 118 119 120 121 122

Kunz (Fn. 7) 15. Cox (Fn. 7) 6. Davies/Worthington (Fn. 19) Rdnrn. 20-1 ff.; Hare (Fn. 7) 13. François (Fn. 7) 20. MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnrn. 11 ff.

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Personengesellschaftsrecht der Grundsatz der Verteilung nach Köpfen, so etwa für die Gewinnverteilung in der BGB-Gesellschaft (§ 722 BGB) und in der oHG (§ 121 Abs. 3 HGB), in beiden Fällen allerdings dispositiv. Gleichwohl finden sich auch hier Abweichungen, so für die sog. Vorausdividende bei der oHG, die sich nach Kapitalanteilen bemisst, ebenso für die Gewinnverteilung der Kommanditisten und der stillen Gesellschafter, die einen «angemessenen» Anteil am Gewinn erhalten sollen (§§ 168 Abs. 2 und 231 Abs. 1 HGB), der anhand der Kapitalbeteiligung ermittelt wird.123 Die Rechtslage in Österreich entspricht im Wesentlichen dem deutschen Recht.124 Recht flexibel verhält sich schließlich das schweizerische Aktienrecht. Weder das Kopf- noch das Kapitalprinzip sind zwingend vorgeschrieben. Es kann etwa nach dem effektiven Kapitaleinsatz, nach dem Nennwert, nach der Anzahl der Aktien oder aber nach der Aktionärsstellung als solcher differenziert werden. Auch das Genossenschaftsrecht ist flexibel. Es kann beispielsweise nach der Nutzungsintensität der genossenschaftlichen Einrichtung oder der Kapitalbeteiligung differenziert werden.125 3. Differenzierungskriterien Im US-amerikanischen und im englischen Gesellschaftsrecht ist als Differenzierungskriterium die Höhe des Kapitalanteils anerkannt.126 Die französische Rechtsprechung gibt zu dieser Frage wenig her. Immerhin gibt es eine quantitative Differenzierung: Wenn die Ungleichbehandlung nicht nennenswert ist, weil der betroffene Mehrheitsgesellschafter von der ungleichen Behandlung nur minimal profitiert, scheidet ein Anspruch des Minderheitsgesellschafters aus.127 Das deutsche Aktienrecht erkennt ebenfalls als zentrales Differenzierungskriterium den Proportionalitätsgrundsatz an. Als Ausnahme dieser Gleichbehandlung nach der Kapitalbeteiligung gilt für in ihrem Umfang nicht zahlenmäßig abstufbare Hilfsrechte grundsätzlich das Gebot der Gleichbehandlung nach Köpfen (Teilnahmerecht, Rederecht und Auskunftsrecht in der Hauptversammlung, Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen).128 Die Rechtslage in Österreich entspricht wiederum im Wesentlichen dem deutschen Recht.129 123 124 125 126 127 128 129

Wiedemann (Fn. 117) § 3 III 3 b) bb). MünchKomm AktG/Wendt (Fn. 2) Rdnrn. 45 ff. Kunz (Fn. 7) 15. Für die USA Cox (Fn. 7) 6; für England Davies/Worthington (Fn. 19) Rdnrn. 20-1 ff. Cour d’appel de Paris Bull. Joly soc. 2001, 1121. MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnrn. 11 ff. MünchKomm AktG/Wendt (Fn. 2) Rdnrn. 45 ff.

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Auch hinsichtlich der Differenzierungskriterien erweist sich das schweizerische Recht als vergleichsweise flexibel. Für AG und GmbH gilt grundsätzlich das Kapitalprinzip, wobei zwischen effektiver Beteiligung (Gewinnbezug und Liquidationsergebnisbeteiligung) und nomineller Beteiligung (Stimmrecht) unterschieden wird. Davon können die Statuten abweichen, sofern die Abweichung sachlich gerechtfertigt erscheint.130 4. Besonderheiten im Konzern? Da das Konzernrecht (law of groups of companies) in den USA nicht gesetzlich geregelt und auch nicht Gegenstand umfassender Rechtsprechung ist, bleibt die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern im weitesten Sinne Aufgabe der Kautelarpraxis. Dabei stehen vertragliche Gestaltungen im Mittelpunkt. An die einmal gegebene Zustimmung zur Bevorzugung einer Konzerngesellschaft müssen sich die übrigen Konzerngesellschaften auch viele Jahre später und nach einem Wechsel im Gesellschafterbestand der benachteiligten Konzerngesellschaften grundsätzlich festhalten lassen.131 Auch in Frankreich ist das Recht der Unternehmensgruppe nicht kodifiziert.132 Die Cour de Cassation hat allerdings in der strafrechtlichen Leitentscheidung im Fall Rozenblum im Jahre 1985 entschieden, dass Zahlungen zwischen Gesellschaften innerhalb einer Unternehmensgruppe keine Veruntreuung darstellen, solange sie wirtschaftlich, sozial oder finanziell mit den Interessen und der Unternehmenspolitik der gesamten Gruppe in Einklang stehen und weder gegenleistungsfrei sind noch die finanzielle Leistungskraft der zahlenden Gesellschaft übersteigen.133 Im deutschen Recht ist das Aktienkonzernrecht bekanntlich in wichtigen Punkten in den §§ 15 ff. und 291 ff. AktG kodifiziert, sodass gewisse Anhaltspunkte dem Gesetz entnommen werden können.134 Zunächst gilt, dass die bloße Existenz einer Unternehmensverbindung das Gleichbehandlungsgebot nicht per se außer Kraft setzt. Das Recht der verbundenen Unternehmen führt allerdings zu Gunsten von Aktionären, die gleichzeitig herrschende Unternehmen sind, zu bedeutenden Modifikationen des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Der Gesetzgeber hat solche Modifikationen explizit geregelt, so etwa, indem er den Abschluss von Unternehmensverträgen erlaubt, indem er einem herrschenden Aktionär bestimmte Einwirkungen auf die AG gestattet und indem er bei 95%-iger Beteiligung sogar ermöglicht, Min130 131 132 133 134

331 ff.

Kunz (Fn. 7) 16. Cox (Fn. 7) 10 unter Verweis auf In re Reading, 711 F.2d 509, 520 (3d Cir. 1983). François (Fn. 7) 25 f. Cass. Crim., 4. Februar 1985, D. 1985, 458 (Rozenblum). Zu den Besonderheiten des Gleichbehandlungsgebots im Konzern Verse (Fn. 6)

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derheitsaktionäre auszuschließen (sog. aktienrechtlicher squeeze out). Ferner müssen alle Konzerngesellschaften innerhalb des Konsolidierungskreises der Muttergesellschaft Rechnung legen. Diese Privilegierung der Konzernmutter gleicht der Gesetzgeber durch besondere Pflichten gegenüber der AG und den außenstehenden Aktionären aus.135 Aber auch dort, wo der Gesetzgeber bei Unternehmensgruppen Modifikationen des Gleichbehandlungsgebots nicht explizit in das Gesetz aufgenommen hat, kann die Gruppeneinbindung einer Gesellschaft einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung der gruppenangehörigen Gesellschaften darstellen. In diesem Fall bedarf es jedoch jeweils der Rechtfertigung. Hingegen besteht keine allgemeine Privilegierung einer gruppenzugehörigen Gesellschaft aufgrund ihrer Stellung in der Unternehmensgruppe.136 Das Recht der Schweiz ist schließlich gegenüber konzernrechtlichen Sonderregelungen sehr zurückhaltend. So gelten innerhalb der Unternehmensgruppe grundsätzlich keine anderen Grundsätze und Maßstäbe als unter unverbundenen Gesellschaften, d.h., alle indirekten und faktischen Benachteiligungen werden ebenfalls am Maßstab des Gleichbehandlungsgebots gemessen. Besonders problematisch erscheinen die Geheimhaltung und die Gleichbehandlung im Konzern, wenn freie Gesellschafter vorhanden sind. Umstritten ist bereits, ob überhaupt Informationsprivilegien für Großgesellschafter, also beherrschende Muttergesellschaften, zugelassen werden können. Hier ist vieles unklar. Eine denkbare Lösung differenziert danach, ob die Tochter börsennotiert ist. In diesem Fall soll zum Schutz der außenstehenden Aktionäre eine Privilegierung nicht in Frage kommen. Informationsprivilegierung soll hingegen gewährt werden, soweit es um die Erstellung der Konzernbilanz und die Konzernleitung geht. Im Übrigen soll der Verwaltungsrat der Untergesellschaft abwägen, wobei einerseits hohe Sensibilität und Wichtigkeit der Information gegen und andererseits besonderer Umfang der Beteiligung der Mutter für eine Privilegierung sprechen sollen.137 5. Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlung Die US-amerikanische Rechtsprechung ist in dieser Frage uneinheitlich. So hat ein Gericht in Delaware in dem bereits zitierten Fall Nixon v. Blackwell im Jahre 1993 entschieden, dass die Gewährung von Sonderrechten für aktive Mitarbeiter, die Aktien der Gattung A hielten und die den im Ruhestand befindlichen Mitarbeitern der Gattung B vorenthalten wurden, keine unzulässige Ungleichbehandlung darstellt, wenn es im Interesse der Gesell135 136 137

MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 26. MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 27. Kunz (Fn. 7) 27.

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schaft liegt, ihre aktive Belegschaft durch die Gewährung von Sonderrechten zu motivieren. Manche Gerichte sind dieser Entscheidung gefolgt, soweit es um die Rechtfertigung von Ungleichbehandlung durch die Gesellschaft geht. Dabei wird die Entscheidung der Gesellschaft weniger als Frage der Gleichbehandlung und der fairen Behandlung und stärker als Problem des business judgment eingestuft. Nach englischem common law erlangt das Gesellschaftsinteresse über das Tatbestandselement des bona fide for the benefit of the company as a whole138 Bedeutung für die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung. Hat die Gesellschaftermehrheit in gutem Glauben angenommen, dass der angegriffene Beschluss dem so verstandenen Gesellschaftsinteresse dient, scheidet ein Anspruch des einzelnen Gesellschafters wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots aus. Ob es sich dabei allerdings um ein Tatbestandselement oder um eine bloße Rechtfertigung handelt, ist unklar. Im französischen Recht gilt nach der bereits erwähnten Picard-Formel,139 dass ein abus de majorité nur vorliegt, wenn neben der Ungleichbehandlung zusätzlich festgestellt wird, dass die angegriffene Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse widerspricht (décision prise contrairement à l`intérêt général de la société). Eine Ungleichbehandlung eines Minderheitsgesellschafters kann also durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt sein. Dabei genügt es nicht, dass das Gesellschaftsinteresse nicht beeinträchtigt wird. Erforderlich ist, dass das Gesellschaftsinteresse in einem Maße gefördert wird, das die Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Ob unter dem Gesellschaftsinteresse nur das Interesse der Aktionäre oder auch anderer am Unternehmen interessierter Gruppen (Arbeitnehmer, Gläubiger, Öffentlichkeit) zu verstehen ist, wird kontrovers beurteilt.140 Auch das deutsche Aktienrecht ist hinsichtlich möglicher Rechtfertigungen der Ungleichbehandlung aus dem Gesichtspunkt des Gesellschafts- oder Unternehmensinteresses sehr zurückhaltend. Der Maßstab für die Frage der Rechtfertigung ist das Unternehmensinteresse.141 Hierzu hat die Rechtsprechung142 mit Unterstützung der Wissenschaft143 die Lehre vom sachlichen Grund entwickelt, zunächst für den Bezugsrechtsausschluss, sodann für Ungleichbehandlungen im Weiteren,144 nach der eine Ungleichbehandlung stets eines sachlichen Grundes bedarf. So kann eine bevorzugte Information etwa eines Ankerinvestors durch ein Gesellschaftsorgan aus Gründen des 138

Siehe bereits oben unter II. 2.; Hare (Fn. 7) 13. Siehe oben Fn. 102. 140 François (Fn. 7) 20; Verse (Fn. 6) 126 f. 141 MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 14. 142 Richtungweisend BGHZ 71, 40 (Kali und Salz). 143 Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. 144 Verse (Fn. 6) 36 ff. 139

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Unternehmensinteresses sachlich gerechtfertigt sein.145 Allerdings besteht in diesen Fällen ein sog. Nachinformationsrecht der übrigen Aktionäre gemäß § 131 Abs. 4 AktG. Grundsätzlich wird angenommen, dass eine Ungleichbehandlung nur dann zulässig ist, wenn sie auf im Unternehmensinteresse wurzelnden Sachgründen von erheblichem Gewicht beruht. Dabei bedarf es einer gewissenhaften Abwägung aller Umstände des Einzelfalles.146 Und es ist zu berücksichtigen, dass den handelnden Organen regelmäßig ein unternehmerisches Ermessen zukommt.147 So kann eine formale Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, wenn den benachteiligten Aktionären zum Ausgleich Vorteile geboten werden. Entsprechend hat der BGH in einem Fall, in dem Genussrechte an Mehrheitsaktionäre unter Ausschluss des Bezugsrechts der Minderheitsaktionäre ausgegeben worden waren, einen Verstoß gegen § 53a AktG abgelehnt, da den Minderheitsaktionären zum Ausgleich verzinsliche und auch im Übrigen nicht ungünstigere Schuldverschreibungen angeboten worden waren.148 Und auch nach österreichischem Recht kann das Gesellschaftsinteresse eine Ungleichbehandlung unter bestimmten Voraussetzungen rechtfertigen.149 Für eine Ungleichbehandlung muss ein schützenswertes Interesse der Aktiengesellschaft vorliegen. Allerdings muss das sachliche Interesse nicht immer ein solches der AG selber sein, auch Interessen der Gläubiger, der Aktionäre, der Arbeitnehmer oder ein öffentliches Interesse können einen Eingriff im Einzelfall rechtfertigen, weil auch diese Interessen nach § 70 öAktG zu berücksichtigen sind. Allein das Interesse eines Gesellschafters kann die Ungleichbehandlung allerdings nicht rechtfertigen.150 Ebenso hat das schweizerische Bundesgericht wiederholt entschieden, dass eine Ungleichbehandlung zulässig ist, wenn sie ein angemessenes Mittel zur Erreichung eines gerechtfertigten Zwecks darstellt. Dabei wird das Gesellschaftsinteresse mit dem Interesse der Gesamtheit aller Aktionäre gleichgesetzt. Nach einer etwas strengeren Entscheidung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz, «… soweit nicht Abweichungen unumgänglich nötig sind, um im Interesse aller den Gesellschaftszweck zu verfolgen.»151 Allerdings gelten unterschiedliche Maßstäbe für die Entscheidung des Mehrheitsgesellschafters in der Generalversammlung und die Entscheidung des Verwaltungsrats: Während der Mehrheitsgesellschafter grundsätzlich seine eigenen Interessen denjenigen der Minderheit voranstellen kann, solange kein 145 Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 612, 628 f.; Fleischer, ZGR 2009, 505, 520 ff.; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 737 ff. 146 MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 16. 147 OLG Köln NZG 2002, 966, 968. 148 BGHZ 120, 141, 151 f. (Bremer Bankverein). 149 OGH SZ 52/158, 770, 775; 53/172, 779, 783; OGH JBl.1988, 445. 150 MünchKomm AktG/Wendt (Fn. 2) Rdnrn. 47 f. 151 BGE 102 II 265, 267.

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Rechtsmissbrauch vorliegt, hat der Verwaltungsrat allein auf das Interesse der Gesellschaft abzustellen und die Interessen von Mehrheit und Minderheit in gleicher Weise zu berücksichtigen.152

V. Rechtsfolgen 1. Wirksamkeit von Beschlüssen (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit) und Rechtsgeschäften Im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht kann eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots prinzipiell drei Rechtsfolgen nach sich ziehen: erstens kann der ungleich behandelte Minderheitsaktionär den durch die Ungleichbehandlung zurechenbar verursachten Schaden ersetzt verlangen, zweitens kann er verlangen, dass die Partei, die die Ungleichbehandlung zu verantworten hat, alle aus der Ungleichbehandlung erlangten Vorteile herausgeben muss (disgorgement of gains) und der Minderheitsgesellschafter wieder so gestellt wird, wie er vor der Verletzung gestanden hat (restitution), und drittens kann er die Aufhebung der fraglichen Maßnahme verlangen bzw. eine vorbeugende Unterlassungsverfügung zur Verhinderung weiterer Beeinträchtigungen beantragen. Die aus dem englischen common law bekannte strenge Zweiteilung in legal relief (insbesondere Schadensersatz) und equitable relief (insbesondere Unterlassung) hat das amerikanische Recht überwunden.153 Auch in England hat der Gesetzgeber durch Einführung der Regelung des unfair prejudice im Companies Act 2006 die überkommene Zweiteilung von legal und equitable relief überwunden. Nach Secs. 994 (1) und 996 (2) Companies Act 2006 sind die Rechtsfolgen in das Ermessen des Gerichts gestellt. In vielen Fällen wird ein sog. purchase order gem. Sec. 996 (2) (e) Companies Act 2006 ergehen, durch den die Gesellschaft bzw. der Mehrheitsgesellschafter verpflichtet werden, dem betroffenen Minderheitsgesellschafter seine Beteiligung gegen angemessene Barabfindung abzukaufen.154 Daneben bzw. stattdessen kann das Gericht gegenüber der Gesellschaft bzw. dem Mehrheitsgesellschafter eine Reihe anderer Anordnungen treffen, etwa bestimmte Maßnahmen zu ergreifen oder Beschlüsse zu erlassen oder aufzuheben.155 Nach französischem Recht gelten hinsichtlich der Sanktionierung des abus de majorité die allgemeinen Grundsätze, die für Rechtsverstöße von 152 153 154 155

Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., 2009, § 13 Nr. 680a; Kunz (Fn. 7) 16. Cox (Fn. 7) 8. Hannigan (Fn. 43) Rdnrn. 19–85 ff. Hare (Fn. 7) 14.

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Gesellschaftsorganen maßgeblich sind. Dabei steht die Rechtsfolge der Nichtigkeit ganz im Vordergrund. Handelt es sich bei dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz um einen Beschluss der Anteilseignerversammlung, so steht dem beschwerten Minderheitsaktionär die Anfechtungsklage mit der möglichen Rechtsfolge der Nichtigerklärung zu Gebote. Dies gilt in gleicher Weise für das gleichheitswidrige Verhalten von Gesellschaftsorganen, etwa im Fall des Abschlusses von Verträgen mit Mehrheitsgesellschaftern. Anfechtungsberechtigt sind die beschwerten Minderheitsgesellschafter, aber auch die Gesellschaft selbst, sofern sie einen Schaden dartun kann. Ergänzend zur Anfechtungsklage besteht ein Anspruch des benachteiligten Minderheitsgesellschafters auf Schadensersatz. Dieser Anspruch richtet sich nicht gegen die Gesellschaft, sondern alleine gegen diejenigen, die den missbräuchlichen Beschluss gefasst haben. Bei Beschlüssen der Anteilseignerversammlung sind demnach die beschlussfassenden Gesellschafter und bei Handlungen der Geschäftsführung unmittelbar die Organmitglieder passiv legitimiert. Anspruchsgrundlage ist regelmäßig die deliktische Generalklausel des Art. 1382 Code civil, die auch den Ersatz bloßer Vermögensschäden vorsieht, ferner die Haftung für Vertragsverletzungen aus Art. 1142 Code civil und im Falle der Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung die Geschäftsleiterhaftung nach Art. 223-22 Code de commmerce für die société á responsabilité limité bzw. Art. 225-251 Code de commerce für die société anonyme. Bei unmittelbarer Schädigung können die Minderheitsgesellschafter Zahlung an sich selbst verlangen, sonst nur Leistung in das Gesellschaftsvermögen. Tatsächlich ist allerdings in der Vergangenheit nur ausnahmsweise Schadensersatz wegen eines abus de majorité zugesprochen worden, was damit erklärt werden mag, dass in aller Regel die Anfechtungsklage ausreichend abhilft. Bei Beschlüssen der Gesellschafterversammlung kommt das Problem hinzu, dass sich oftmals nicht feststellen lässt mit wessen Stimmen der fragliche Beschluss ergangen ist.156 Im deutschen Recht führt der Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nicht zur Nichtigkeit oder zur schwebenden Unwirksamkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses, sondern lediglich zu seiner Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG. Nichtigkeit wird als Rechtsfolge deshalb für unangemessen gehalten, weil die Rechtswidrigkeit im Allgemeinen durch Zustimmung der nachteilig Betroffenen beseitigt werden kann. Eine Nichtigkeit kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn der Beschluss darauf gerichtet ist, das Gleichbehandlungsgebot für die Gesellschaft oder für ihre Beziehung zu bestimmten Aktionären ganz allgemein außer Kraft zu setzen. In diesem Falle kann der Makel auch nicht durch Zustimmung der Betroffenen beseitigt werden. Eine Sondervorschrift in § 212 S. 2 AktG sieht vor, dass bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln jede Abweichung 156

Zum Ganzen Verse (Fn. 6) 128 f.; siehe auch François (Fn. 7) 21 f.

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von dem in S. 1 dieser Vorschrift konkretisierten Gleichbehandlungsgebot den Hauptversammlungsbeschluss nichtig macht.157 Für Österreich, und die Schweiz gilt, dass die Sanktionen von Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Wesentlichen den allgemeinen Vorschriften entnommen werden, die für Rechtsverletzungen derselben Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern maßgeblich sind. Insoweit besteht Übereinstimmung, dass Beschlüsse der Anteilseignerversammlung, die zu Ungleichbehandlungen führen, anfechtbar, aber weder schwebend unwirksam noch nichtig sind.158 Hingegen sind nach schweizerischem Recht Verletzungen des Gleichbehandlungsgebots durch Exekutivorgane der Gesellschaft nicht anfechtbar.159 2. Konsequenzen für die verantwortlichen Personen bzw. für die Gesellschaft Im US-amerikanischen und im englischen Recht wird eine persönliche Haftung der für die Ungleichbehandlung Verantwortlichen – soweit ersichtlich – nicht gesondert thematisiert. Das mag damit zu erklären sein, dass beide Rechtsordnungen relativ flexible Rechtsbehelfe vorsehen. Nach französischem Recht besteht ein Schadensersatzanspruch des benachteiligten Gesellschafters nicht gegen die Gesellschaft, sondern ausschließlich gegen diejenigen, die den missbräuchlichen Beschluss gefasst haben, bei Beschlüssen der Gesellschafterversammlung mithin gegen die beschlussfassenden Gesellschafter und bei Handlungen der Geschäftsführung unmittelbar gegen die Geschäftsleiter. Das deutsche Recht ist in der Frage des Schadensersatzes aus Ungleichbehandlung äußerst zurückhaltend. Soweit eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots durch rechtzeitige Anfechtung des betreffenden Hauptversammlungsbeschlusses oder durch Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG beseitigt werden kann oder infolge Unwirksamkeit der betreffenden Rechtshandlung der AG keine Wirkungen entfaltet, zieht die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots keine Ansprüche von Aktionären nach sich.160 Insbesondere Schadensersatzansprüche des benachteiligten Aktionärs gegen die AG werden weitgehend verneint. Auch hier wird darauf hingewiesen, dass die Streitfrage nicht überschätzt werden sollte, da gleichbehandlungswidrige Hauptversammlungsbeschlüsse in der Regel angefochten bzw. in besonderen Fällen im Wege der Nichtigkeitsklage beseitigt werden können. Nur ganz ausnahmsweise in Fällen qualifizierter Verstöße gegen § 53a 157 158 159 160

Näher MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnrn. 29 ff. Verse (Fn. 6) 161 f. Kunz (Fn. 7) 18. MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 33.

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AktG, die zugleich die strengen Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfüllen, wird von der Literatur ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegen die handelnden Vorstandsmitglieder und aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB gegen die Gesellschaft selbst bejaht.161 In Österreich und in der Schweiz besteht in der Frage der Haftung der Geschäftsleitung unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern Uneinigkeit. Das österreichische Recht steht einem solchen direkten Anspruch zurückhaltend gegenüber, wogegen in der Schweiz bei schuldhaften Gleichbehandlungsverstößen ein Schadensersatzanspruch des betroffenen Gesellschafters unmittelbar gegen das verantwortliche Organmitglied anerkannt ist. Nach Art. 754 Abs. 1 OR ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsführung nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den einzelnen Gesellschaftern für den Schaden haften den sie durch vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen. Ob der klagende Gesellschafter Leistung an sich selbst oder nur in das Gesellschaftsvermögen verlangen kann, hängt davon ab, ob er einen reinen Gesellschafterschaden oder nur eine mittelbare Schädigung durch Wertminderung des Gesellschaftsvermögens geltend macht.162 3. Beseitigungsansprüche Im US-amerikanischen und im englischen Recht ist dem Gericht bei der Sanktionierung der Ungleichbehandlung – wie dargelegt – breites Ermessen eingeräumt. Während im US-Recht neben der Gewinnabschöpfung die restitution als Rechtfolge anerkannt ist,163 sieht in England Sec. 996 (2) Companies Act 2006 ein ganzes Spektrum von denkbaren Sanktionen vor, worunter sowohl die Rückabwicklung als auch eine Ausgleichsleistung fallen dürften.164 Für das französische Recht sind Regelungen zur Rückabwicklung und zur Ausgleichszahlung nicht ersichtlich. Das deutsche Recht ist wiederum relativ streng. Hat die AG unter Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zulasten ihres Vermögens einzelnen Aktionären einen vermögenswerten Vorteil zugewandt, so kann der dadurch benachteiligte Aktionär weder die Zuwendung des gleichen Vorteils noch eine Ausgleichszahlung verlangen. Denn ein solcher Anspruch ist mit dem Verbot der Einlagenrückgewähr gem. § 57 AktG und damit mit dem Verbot der Gleichbehandlung im Unrecht unvereinbar. Hier kann der Ver161 162 163 164

MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnrn. 37 ff. Verse (Fn. 6) 162 f. Cox (Fn. 7) 8. Hannigan (Fn. 43) Rdnrn. 19–80 ff.; Hare (Fn. 7) 15.

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stoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nur durch Geltendmachung des Rückgewähranspruchs aus § 62 Abs. 2 AktG gegen den zu Unrecht begünstigten Aktionär rückgängig gemacht werden. Einen Anspruch auf Geltendmachung des Rückgewähranspruchs haben die benachteiligten Aktionäre hingegen nicht.165 In Österreich und in der Schweiz wird die Frage, ob der einzelne Gesellschafter das Recht hat, die Rückabwicklung einer ungerechtfertigten Bevorzugung eines Mitgesellschafters, etwa eine verdeckte Vermögenszuwendung, im Wege der actio pro socio durchzusetzen, unterschiedlich beurteilt. Während in Österreich eine solche Geltendmachung abgelehnt wird, hat das schweizerische Recht eine actio pro socio bei verdeckten Vermögenszuwendungen an Mitgesellschafter gesetzlich in Art. 678 Abs. 3 OR geregelt.166

VI. Zusammenfassung 1. Der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz findet in sehr unterschiedlichen Rechtsordnungen Geltung, allerdings sind die Unterschiede beachtlich. Während er in Deutschland und Österreich nicht zuletzt mit Blick auf die Europäische Kapitalrichtlinie von 1976 gesetzlich fixiert ist und auch im Recht der Schweiz gesetzliche Regelungen gelten, hält man in Frankreich und England eine gesetzliche Regelung eines ganz allgemeinen Gleichbehandlungsgebots mit Blick auf seine Anerkennung in der Rechtsprechung bzw. auf speziellere Instrumente zur Abwehr von Ungleichbehandlungen für unnötig. Auch in den USA wird der Gleichbehandlungsgrundsatz als etablierter Bestandteil des Richterrechts angesehen. 2. Materiellrechtlich wird der Gleichbehandlungsgrundsatz im common law verbreitet vertragsrechtlich begründet und aus der Treuepflicht bzw. dem Fairnessgebot abgeleitet, während man sich in Frankreich unabhängig von vertraglicher Begründung unmittelbar auf das principe d´egalité des actionnaires bzw. associés stützt. Allerdings zieht die Rechtsprechung wegen der relativen Konturlosigkeit dieses Grundsatzes für die Beschränkung der Verbandsmacht gegenüber dem einzelnen Gesellschafter im konkreten Fall nicht das principe d´égalité, sondern das Institut des abus de majorité bzw. abus de minorité, also das Missbrauchsverbot heran. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland besteht in dieser Frage keine Einigkeit. Während in der Schweiz sowohl der Treuegrundsatz als auch das Missbrauchsverbot diskutiert werden, findet sich in Deutschland eine bunte Vielzahl unterschiedlicher Begründungsansätze, so die These von der austeilenden Ge165 166

MünchKomm AktG/Götze (Fn. 2) Rdnr. 34. Verse (Fn. 6) 161 f.

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rechtigkeit, die Lehre vom Gemeinschaftsverhältnis, die Lehre vom Willen der Beteiligten, die Treuepflicht und die These der Ausübungskontrolle von Verbandsmacht. 3. Während der Gleichbehandlungsgrundsatz nach der Kapitalrichtlinie nur für die AG gilt, hat der französische Gesetzgeber umgekehrt nur die société par actions simplifiée (SAS) von der Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgenommen. In anderen Jurisdiktionen gilt der Grundsatz prinzipiell für alle Gesellschaftsformern, wobei in den USA seine Bedeutung vorwiegend im Recht der close corporation gesehen wird. Uneinheitlich ist das Bild in der Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz auch Organe und Gesellschafter bindet. Die Rechtsprechung in den USA ist uneinheitlich, in England ist unklar, ob nur für die Gesellschafterversammlung oder auch für den einzelnen Gesellschafter ein Gleichbehandlungsgebot gilt. Und in Frankreich trifft das Verbot des Stimmrechtsmissbrauchs sowohl die Mehrheits- als auch die Minderheitsgesellschafter, wogegen in Deutschland durch das Gleichbehandlungsgebot nur die Gesellschaft und ihre Organe gebunden werden. Eine klare Zweiteilung ergibt sich in der Frage, ob nur bewusste oder auch unbewusste Ungleichbehandlung sanktioniert ist: Während sowohl die USA als auch Frankreich zur ersten Gruppe gehören, zählen die Schweiz, Österreich, England und Deutschland zur zweiten Gruppe. 4. In inhaltlicher Sicht lassen sich zunächst zwei Gruppen erkennen: In den USA und in England spielt der Gleichbehandlungsgrundsatz vor allem im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaften eine Rolle, deutlich weniger hingegen im Recht der börsennotierten Gesellschaften. In Frankreich und vor allem in Deutschland gilt er hingegen für alle Gesellschaftsformen. Dazwischen steht das schweizerische Recht. Es differenziert nach Gesellschaftsformen: am schwächsten ist der Schutz vor Ungleichbehandlung im Recht der Personengesellschaften. In der Frage Kopf- oder Kapitalprinzip stehen wiederum USA und England zusammen: Hier entscheidet allein der Kapitalanteil. Hingegen differenziert das französische Recht je nach Vorschrift. Und das deutsche ebenso wie das österreichische Recht orientieren sich für die Kapitalgesellschaft am Kapitalanteil, während für Personengesellschaften das Kopfprinzip gilt. Das schweizerische Recht gewährt in dieser Frage Satzungsautonomie. Ob im Konzern besondere Grundsätze gelten, wird uneinheitlich gesehen. Während das US-Recht diese Frage der Kautelarpraxis überlässt, macht das französische Recht Bevorzugungen innerhalb der Unternehmensgruppe vom Rozenblum-Test abhängig. Am differenziertesten verhält sich das deutsche Recht, das zwar auch für den Konzern am Grundsatz der Gleichbehandlung festhält, jedoch zahlreiche gesetzliche Modifikationen enthält. Auch in der Schweiz bleibt es im Grundsatz beim Gleichbehandlungsgebot, doch ist in Einzelfragen vieles

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unklar. Bei der Frage nach Rechtfertigungsgründen für Ungleichbehandlung verweist das US-Recht in erster Linie auf die business judgment rule, während England Ungleichbehandlungen als gerechtfertigt ansieht, solange sie in gutem Glauben an das Wohl der Gesellschaft vorgenommen werden. Ähnlich verlangt das französische Recht, dass das Gesellschaftsinteresse die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Im deutschen und ähnlich im österreichischen und schweizerischen Recht findet die Lehre vom sachlichen Grund Anwendung, wobei unternehmerisches Entscheidungsermessen besteht. 5. Deutliche Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Rechtsfolgen von Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Das US-Recht sieht sowohl Schadensersatz als auch Vorteilsherausgabe und Restitution vor. Hingegen sieht das englische Recht eine purchase order vor, wonach dem betroffenen Minderheitsgesellschafter seine Beteiligung gegen angemessene Barabfindung abzukaufen ist. In Frankreich steht die Nichtigkeit der betreffenden Maßnahme im Vordergrund, während nach deutschem Recht lediglich Anfechtbarkeit vorgesehen ist. Ähnlich verhält es sich in Österreich und in der Schweiz. Spezifische Konsequenzen für die handelnden Personen sehen weder das US-amerikanische noch das englische Recht vor. Nach französischem und schweizerischem Recht haftet auf Schadensersatz nicht die Gesellschaft, sondern ausschließlich diejenigen, die den missbräuchlichen Beschluss gefasst haben. Nach deutschem und österreichischem Recht besteht hingegen keine persönliche Haftung der Handelnden.

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Corporate Digital Responsibility: Eine aktienrechtliche Skizze Florian Möslein

Corporate Digital Responsibility: Eine aktienrechtliche Skizze FLORIAN MÖSLEIN

Während Corporate Social Responsibility (CSR) im Verbund mit Corporate Governance und Corporate Compliance in der deutschen Aktienrechtswissenschaft als Inbegriff der „großen Gegenwarts- und Zukunftsthemen (auch) des Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrechts“ verstanden,1 teils freilich auch als „zeitgeistige[s] Schlagwort“ kritisiert wird,2 zeichnet sich ab, dass sich diese Troika zu einer Quadriga fortentwickelt: Im Zuge und als Ausdruck der digitalen Transformation tritt neuerdings das Konzept der Corporate Digital Responsibility (CDR) hinzu, das die unternehmerische Verantwortung für Daten und deren Verarbeitung durch digitale Technologien zum Gegenstand hat. Der Begriff selbst hat zunächst in Politik und Unternehmens(beratungs)praxis Verwendung gefunden, ist inzwischen aber auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum zu lesen: „Wer die Corporate Social Responsibility (CSR) gerade verdaut hat, kann sich bald mit der Corporate Digital Responsibility (CDR) als neuem soft law vertraut machen“, so lautet beispielsweise teils die nicht sehr vorfreudige Erwartung.3 Konzeptionell bestehen in der Tat Überschneidungen mit jenen anderen Anglizismen, insbesondere weil auch CDR einen trans- und interdisziplinären Brückenbegriff bildet, also keineswegs nur und nicht einmal primär Rechtsterminus ist, sondern ökonomische, gesellschaftliche und auch ethische Erwägungen einbezieht. Gleichwohl lässt auch Corporate Digital Responsibility zunehmende rechtliche Verdichtung erwarten.4 Inhaltlich zeichnet sich der Begriff indessen durch einen eigenen, spezifischen Gehalt aus; er bezeichnet mehr als lediglich eine Teilmenge der anderen Begriffe. Die charakteristischen Konturen der Corporate Digital Responsibility gilt es im Einzelnen freilich erst auszuloten, weil der Begriff im unternehmensrechtlichen Schrift1

Fleischer, AG 2017, 509; dazu außerdem etwa Mülbert, AG 2009, 766. Hüffer/Koch/Koch, § 76 AktG Rdn. 35. 3 Noack, ZHR 183 (2019), 105, 112; vgl. ferner Spindler/Schuster Elektron. Medien/ Nink, 4. Aufl. 2019, DS-GVO Art. 24 Rn. 18; Möslein, ACI Quarterly 2 (2019), 16, 17; ders., in: Braegelmann/Kaulartz (Hrsg.), Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning, 2020, S. 501, 502; ders., Der Aufsichtsrat, Heft 1 (2020), S. 3. 4 IdS, mit jedoch warnendem Unterton: Noack, ZHR 183 (2019), 105, 113. 2

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tum trotz evidenter Bezüge vorerst nur sehr vereinzelt Widerhall gefunden hat. Wenn die vorliegende Skizze zu beginnen versucht, diese Lücke zu füllen, indem sie erste aktienrechtliche Schlaglichter auf Corporate Digital Responsibility wirft, so geschieht dies in der Hoffnung auf das Interesse der Jubilars: Klaus J. Hopt hat nicht nur jene anderen drei Begriffe mitgeprägt und insbesondere Corporate Governance mit Konferenzen, Sammelbänden und zahlreichen Einzelbeiträgen überhaupt erst zur wissenschaftlichen Teildisziplin gemacht.5 Viel früher als andere interessierte er sich auch für Fragen der Digitalisierung. Lange bevor es diesen Begriff überhaupt gegeben hat, beschäftigte er sich in einer Aufsatzserie aus dem Jahr 1972 mit Rechtsfragen der Datenverarbeitung, Entwicklungen der Rechtsinformatik und rechtsinformatorischen Aspekten im Wirtschaftsrecht.6 Indem Corporate Digital Responsibility ein halbes Jahrhundert später Fragen von Digitalisierung und unternehmerischer Verantwortung miteinander verknüpft, bildet sie eine verbindende Klammer zwischen jenen frühen und den vielfältigen späteren Forschungsinteressen von Klaus Hopt.

I. Begriff 1. Genese Die Wurzeln des Begriffs Corporate (Social) Responsibility reichen bis in die 1970er Jahre zurück.7 Der Begriff der Digitalisierung ist ebenfalls bereits seit spätestens Mitte der 1990er geläufig, als Nicholas Negroponte geradezu prophetisch die anfangs provokante These „Everything that can be digital will be digital“ prägte.8 Die Wortkombination Corporate Digital Responsibility ist demgegenüber ungleich jüngeren Ursprungs und findet erst seit einigen wenigen Jahren Verwendung. Erste Spuren lassen sich in der wirt5 Zur Würdigung vgl. nur die Symposiumsbeiträge zum 60. Geburtstag in: Grundmann/Mülbert (Hrsg.), ZGR 2001, 215–324. 6 Hopt, DVR (Datenverarbeitung im Recht) 1 (1972), S. 1–40; ders., DSWR 1 (1971/72), S. 235–244, 280–283 und 304–308; ders., BB 1972, 1017–1024. 7 Im deutschen Schrifttum grundlegend Teubner, „Corporate Responsibility“ als Problem der Unternehmensverfassung, ZGR 1983, 34; zum Diskussionsstand im US-amerikanischen Recht zuvor D. Engel, Stanford Law Review 32 (1979), 1. 8 Negroponte, Being Digital, 1995. Aus der aktuelleren gesellschaftsrechtlichen Diskussion vgl. etwa auf europäischer Ebene Informal Company Law Expert Group, Report on digitalization in company law, 2016, abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/civil/files/ company-law/icleg-report-on-digitalisation-24-march-2016_en.pdf; sowie Knapp, What are the issues relating to digitalization in company law?, In-Depth Analysis for the Juri Committee. PE 556.961, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/ IDAN/2016/556961/IPOL_IDA(2016)556961_EN.pdf.

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schaftsethischen Diskussion ausmachen, die unter diesem Begriff eine „intelligente Moderation zwischen informationeller Selbstbestimmung (Digital Autonomy) und echter Wertschöpfung (shared value)“ anzustreben und hierfür „die gesamte Klaviatur der Institutionengestaltung [...] mit ihrer großen Spannbreite von Gesetzen, Verordnungen, Anreizen, nudges, freiwilligen Selbstverpflichtungen, Vertrauen und Integrität“ einzubeziehen sucht.9 Begriff und Grundgedanke wurden alsbald von den politischen Akteuren aufgegriffen. In einer Mitteilung des Nationalen IT-Gipfels aus dem Jahr 2016, in der die Übernahme der Schirmherrschaft für die „Charta der digitalen Vernetzung“ durch den damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel verkündet wurde, findet sich beispielsweise die Ankündigung, es solle „ein Erfahrungsaustauch und Unterstützung zur Umsetzung einer Corporate Digital Responsibility“ initiiert werden.10 Seit 2018 gibt es unter dem Titel „Digitalisierung verwantwortungsvoll gestalten“ überdies eine Initiative der Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die dem Ziel dient, Leitlinien für ein verantwortliches unternehmerisches Handeln in der digitalen Welt zu erarbeiten: Im Dialog mit namhaften Unternehmen soll in diesem Rahmen ausgelotet werden, „was Corporate Digital Responsibility (CDR) umfasst, in welchen Bereichen CDR-Aktivitäten notwendig, sinnvoll und angebracht sind sowie welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind“.11 Auf Grundlage von inzwischen zwölf Arbeitstreffen wurden kürzlich bereits erste Arbeitsergebnisse vorgestellt; methodisch bedient sich die Initiative einer sog. Szenarientechnik, um Folgen der digitalen Transformation an praktischen Fallbeispielen darzustellen.12 Dass im Haushaltsplan 2020 unter dem Titel „686 02 Corporate Digital Responsibility“ für dieses Vorhaben mehr als eineinhalb Millionen Euro veranschlagt werden, lieferte jüngst freilich Anlaß für prüfende Nachfragen der oppositionellen FDP-Fraktion an die Bundesregierung zum Geld- und Personalbedarf des BMJV.13 9 Esselmann/Brink, Corporate Digital Responsibility: Den digitalen Wandel von Unternehmen und Gesellschaft erfolgreich gestalten, Spektrum 12 (2016), S. 38, 39; zur Fortentwicklung seither vgl. etwa die Dokumentation eines Workshops, der im Januar 2019 am Zentrum Digitalisierung Bayern (ZD.B) stattgefunden hat: https://unternehmensethik.org/ wp-content/uploads/2019/02/ZDB-CDR-Dokumentation.pdf. 10 Abrufbar unter: https://charta-digitale-vernetzung.de/pressemitteilung/. 11 BMJV, CDR-Initiative – Eine gemeinsame Plattform, 2019, S. 3, abrufbar unter https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/CDR_Initiative/_downloads/cdr_platt form.pdf?__blob=publicationFile&v=3; vgl. dazu auch Noack, ZHR 183 (2019), 105, 112. 12 BMJV, Szenarientechnik der CDR-Initiative – Die Methode erklärt, 2019, S. 3, abrufbar unter https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/CDR_Initiative/_down loads/cdr_szenarientechnik.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 13 Kleine Anfrage der FDP-Fraktion v. 1. Oktober 2019, BT-Drs. 19/13680, S. 2 (Fragen 10–12) und Antwort der Bundesregierung v. 23. Oktober 2019, BT-Drs. 19/14459, S. 3 f.

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Einträgliches Potenzial in Sachen Corporate Digital Responsibility scheinen sich auch die wirtschaftlichen Akteure selbst zu versprechen. Als Vorreiter gelten technikaffine Großunternehmen wie die Deutsche Telekom, Miele oder SAP, die sich u.a. im Rahmen der BMJV-Initiative explizit zu digitaler Unternehmensverantwortung bekennen und auf ihren Unternehmenswebseiten teils ausführlich über ihre eigene Handhabung berichten.14 Hinter solcher Unternehmenspolitik steckt der Gedanke, dass umfassende Strategien zum verantwortungsvollen Umgang mit Technologien die Reputation des einzelnen Unternehmens prägen und dadurch die Beziehungen zu seinen unterschiedlichen Stakeholdern verbessern können – und sich mithin auch wirtschaftlich lohnen. Ob es tatsächlich einen „business case“ für CDR gibt, lässt sich freilich schwer ermessen und daher sicherlich auch trefflich bestreiten – ganz ähnlich wie im Hinblick auf CSR.15 Jedenfalls wittert auch die Beratungsbranche ein neues Geschäftsfeld und verspricht, Standards und Werkzeuge zum Thema digitale Unternehmensverantwortung zu entwickeln, bei Definition und Umsetzung von CDR-Strategien zu beraten und die Operationalisierung dieser Strategien zu begleiten.16 2. Gehalt So zahlreich und unterschiedlich diese einzelnen Initiativen sind, so unscharf erscheint vorerst der Begriff selbst. Seine Verwendung in den unterschiedlichen Kreisen von Wirtschaftsethik, Politik und Unternehmenspraxis bringt mit sich, dass Corporate Digital Responsibility mit teils unterschiedlichem Bedeutungsgehalt verwendet wird – ganz ähnlich wie jene anderen „Wieselwörter“ Corporate Social Responsibility, Corporate Governance und Corporate Compliance.17 Auch fehlen die für Juristen nahe liegenden Anhaltspunkte der Begriffsbestimmung, weil es derzeit weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene Legaldefinitionen von Corporate Digital Responsibility gibt. Die BMJV-Initiative enthält zwar eine Umschreibung, 14 S. die Wortbeiträge in der Pressemitteilung des BMJV, Digitalisierung verantwortungsvoll gestalten: Corporate Digital Responsibility-Initiative legt erste Arbeitsergebnisse vor, v. 9. Okt. 2018, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilun gen/DE/2018/100818_CDR.html; ferner bspw. Miele, Sustainability Report 2019, S. 3, abrufbar unter https://m.miele.com/media/ex/ce/presseartikel/nachhaltigkeit/miele_sust ainability_report_2019.pdf („We are happy to rise to our corporate digital responsibility. The development and introduction of our Miele Privacy Policy is just one example of the steps we took during the reporting period“). Vgl. außerdem Noack, ZHR 183 (2019), 105, 113. 15 Vgl. hierzu nur Fleischer, AG 2017, 509, 518 f. („Schlüsselfrage der CSR-Debatte“). 16 In diesem Sinne etwa PwC, Corporate Digital Responsibility, 5. Juli 2019, abrufbar unter https://www.pwc.de/de/digitale-transformation/corporate-digital-responsibility-cdr. html (unter „Unser Angebot – Wie kann PwC Sie dabei unterstützen?“). 17 Zu diesen Fleischer, AG 2017, 509.

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die allerdings nicht zu Unrecht als „sehr allgemein und verschwurbelt“ gebrandmarkt wird.18 Immerhin liefert diese Umschreibung wichtige Anhaltspunkte für die begriffliche Annäherung. a) Einbeziehung außerrechtlicher Vorgaben Erstens heißt es dort nämlich, CDR bezeichne „freiwillige unternehmerische Aktivitäten, die über das heute gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen und die digitale Welt aktiv zum Vorteil der Gesellschaft mitgestalten“.19 Ähnlich wie bei CSR geht es mithin nicht ausschließlich um die Erfüllung rechtlicher Pflichten, sondern um die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung auch im ethischen Sinne, mit dem Ziel positiver Beiträge zum gesellschaftlichen Zusammenleben – auch mit Blick auf die unternehmerische Reputation.20 Entsprechend sind vielgestaltige außerrechtliche Normen, also in der Tat „die gesamte Klaviatur der Institutionengestaltung“ zu berücksichtigen.21 Mit der Bezugnahme auf heutige Gesetzesvorgaben verdeutlicht die Formulierung des BMJV gleichwohl, dass eine rechtliche Verdichtung jener außerrechtlichen, ethisch-sozialen Verhaltensnormen keineswegs ausgeschlossen, sondern künftig durchaus denkbar und seitens der Initiatoren vielleicht sogar angestrebt ist. Die zentrale Befürchtung der Kritiker entsprechender Initiativen besteht denn auch darin, dass scheinbar freiwillige Leitlinien letztlich „in hartes Recht münden“.22 b) Wertorientierung Zweitens deutet die Umschreibung der BMJV-Initiative an, welche spezifischen ethischen Erwägungen erstrebenswert sind, indem sie „Werte wie Gerechtigkeit, Teilhabe, Vertrauen, Autonomie, Transparenz und Nachhaltigkeit“ aufzählt.23 So abstrakt und vage diese materiellen Ziele formuliert sind, bringen sie gleichwohl normative Wertungen zum Ausdruck, die auf kollektiver, demokratisch aber nicht unmittelbar legitimierter Ebene erfol-

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Noack, ZHR 183 (2019), 105, 112. Corporate Digital Responsibility-Initiative, Digitalisierung verwantwortungsvoll gestalten – Eine gemeinsame Plattform, 2018, abrufbar unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Downloads/DE/News/Artikel/100818_CDR-Initiative.pdf?__blob=publicationFile &v=4 (dort unter I.5.). 20 Näher zur Bedeutung der Unternehmensreputation als Durchsetzungs- und Disziplinierungsmechanismus etwa Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689. 21 S. oben, Fn. 9. 22 Noack, ZHR 183 (2019), 105, 113; ferner mit Blick auf CSR Teicke, CCZ 2018, 274, 275 („Aus Soft Law wird Hard Law“); vgl. zu dieser Transformation aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive außerdem bereits Kocher, GRUR 2005, 647. 23 Nachw. Fn. 19 (dort unter I.8.). 19

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gen und individuellen Maßstäben durchaus vorgreifen können.24 Umgekehrt macht freilich keinen Sinn, Verantwortung ohne jeglichen inhaltlichen Maßstab definieren zu wollen. Ähnlich wie der Begriff des „Unternehmens an sich“ und die Gemeinwohlformel des Aktiengesetzes von 1937 dürfte die Aufzählung diverser, jeweils äußerst unbestimmter Werte allerdings eher dazu dienen, „gesamtgesellschaftliche Widersprüche und aktienrechtliche Interessengegensätze dialektisch aufzuheben und wegzudefinieren“.25 Insofern kaschiert die Umschreibung möglicherweise mehr, als sie positiv zum Ausdruck bringt. Gemeinsam mit der zunehmenden Verrechtlichung lässt sie zugleich eine (weitere) „Indienstnahme des Aktienrechts für gesellschaftspolitische Anliegen“ befürchten,26 hier insbesondere hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung und Privatheit von Kunden, Arbeitnehmern und weiteren Stakeholdern. c) Ausprägung der Unternehmensverantwortung Drittens verortet die Initiative Corporate Digital Responsibility als primär unternehmensrechtliche Fragestellung, indem sie diese als „Teilbereich einer umfassenden Unternehmensverantwortung“ versteht.27 In Anknüpfung an die langen Traditionslinien des Gemeinwohlpostulats28 nimmt die Initiative mit diesem Begriff Bezug auf die aktienrechtliche Grundsatzdiskussion, welchen Zwecken oder Zielen Aktiengesellschaften dienen und wem entsprechende Definitionshoheit zukommt, den Aktionären oder dem Leitungsorgan – oder aber dem staatlichen Gesetz- oder auch anderen, hybriden oder privaten Regelgebern. Die Streitfrage beispielsweise, ob der Vorstand auch Allgemeininteressen wahren und aktiv fördern muss,29 findet im Rahmen von Corporate Digital Responsibility besonders hinsichtlich des Schutzes von Kundendaten eine neue Ausprägung. Als verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt mag – an Stelle der im Rahmen von CSR diskutierten Sozialpflichtigkeit des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dienen. Ähnlich wie bei CSR wäre jedoch zu hinterfragen, ob Verfassungsnormen unmittelbare Gemeinwohl24 Zu entsprechenden Aushandlungsprozessen „in gesellschaftlichen Foren“ im Bereich CSR Spießhofer, IWRZ 2019, 65, bes. 66 und 72. 25 Fleischer, AG 2017, 509, 511; vgl. außerdem Riechers, Das „Unternehmen an sich“, 1996, S. 167. 26 So mit Blick auf gesetzgeberische CSR-Aktivitäten Spindler/Stilz/Fleischer, 4. Aufl. 2019, AktG § 76 Rn. 42; vgl. außerdem Habersack, Gutachten E zum 69. DJT 2012, E 15– E 17, E 33 f. 27 Nachw. Fn. 19 (dort unter I.5.). 28 Dazu namentlich Fleischer, AG 2017, 509, 510–512; vgl. auch ders., ZGR 2018, 703 („Schlüsselfiguren aktienrechtlichen Denkens“). 29 In diesem Sinne bspw. Baas, Leitungsmacht und Gemeinwohlbindung der AG, 1976, 79 ff.; Rittner, FS Geßler, 1971, S. 139, 146 ff.; Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, 155 ff.

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bindung begründen und nicht lediglich einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber statuieren.30 Unabhängig von einer verfassungsrechtlichen Einbettung ist jedenfalls rechtsvergleichend zu beobachten, dass bei den grundlegenden unternehmensrechtlichen Reformdebatten, die derzeit im Vereinigten Königreich, in Frankreich und in den USA geführt werden, immer auch Fragen der digitalen Transformation im Zentrum stehen, oftmals gerade mit Blick auf Unternehmenszweck, Unternehmensinteresse und Unternehmensverantwortung.31 d) Gestaltung der Digitalisierung Während jene anderen begriffsbildenden Merkmale offensichtliche strukturelle Parallelen zu Corporate (Social) Responsibility aufweisen, besteht die eigentlich spezifische Eigenheit von Corporate Digital Responsibility in ihrem Digitalisierungsbezug, der im zweiten Adjektiv dieses Begriffs deutlich zum Ausdruck kommt. Die BMJV-Initiative nimmt entsprechend auf „eine verantwortliche Gestaltung der Digitalisierung bzw. der digitalen Transformation“ Bezug, ohne diese unbestimmten Begriffe jedoch konkreter zu definieren. Im Vergleich zur europäischen Richtlinie zum Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, die Digitalisierung noch (geradezu anachronistisch!) auf elektronische Kommunikation beschränkt,32 darf man ein ungleich breiteres Begriffsverständnis unterstellen. Inzwischen findet nämlich auch unter Gesellschaftsrechtlern die Einsicht Anerkennung, 30 S. mit Blick auf CSR (und Art. 14 Abs. 2 GG): Fleischer, AG 2017, 509, 511; ders., AG 2001, 171, 175; Mülbert, AG 2009, 766, 769 f.; vgl. außerdem Empt, Corporate Social Responsibility – Das Ermessen des Managements zur Berücksichtigung von Nichtaktionärsinteressen im US-amerikanischen und deutschen Aktienrecht, 2004, 134 ff. 31 Mit explizitem Bezug zu „privacy in digital markets“ bspw. The British Academy, Principles for Purposeful Business – How to deliver the framework for the Future of the Corporation: An agenda for business in the 2020s and beyond, 2019, S. 12 (abrufbar unter https://www.thebritishacademy.ac.uk/sites/default/files/future-of-the-corporationprinciples-purposeful-business.pdf). Zum Reformprojekt in Frankreich (sog. „loi PACTE“), das sich neben Zentralfragen des Unternehmensinteresses bspw. auch der digitalen Unternehmensfinanzierung widmet, vgl. Fleischer, ZGR 2018, 703, 729 f.; Chatard/Mann, NZG 2019, 567, 570 f. Auch in der gerade beginnenden, groß angelegten Überarbeitung des American Law Institute‘s Restatement on corporate governance sollen Digitalisierungsfragen nach Aussagen des federführenden Berichterstatters Edward Rock eine wichtige Rolle spielen, s. dazu https://www.ali.org/projects/show/corporate-governance/. 32 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABl. EU 2019 L 186/80; explizit in diesem Sinne der vorbereitende Bericht der Informal Company Law Expert Group (ICLEG), Report on digitalisation in company law, März 2016,http://ec.europa.eu/justice/civil/files/ company-law/icleg-report-on-digitalisation-24-march-2016_en.pdf (20/06/19), S. 6: „By digitalisation, we mean the representation of communication in writing or sound by electronic means, and the concept thus concerns electronic communication“. Kritisch zu diesem engen Verständnis: Möslein European Company Law 16 (2019), 4.

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dass innovative technologische Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, Blockchain- bzw. Distributed-Ledger-Technologien und Plattformökonomie nicht nur zentrale Impulse der digitalen Transformationen verkörpern, sondern gerade auch das Gesellschafts- und Aktienrecht vor neue Herausforderungen stellen.33 Eine technologiespezifische Aufspreizung der digitalen Unternehmensverantwortung erscheint indessen nicht sinnvoll.34 Zu Recht betont man vielmehr, CDR betreffen übergreifend den verantwortungsvollen Umgang mit Daten und deren Umgang durch digitale Technologien, also insbesondere Fragen von Datenschutz, Datensichterheit oder auch Algorithmenkontrolle.35 Anders als in tradierteren Bereichen der Unternehmensverantwortung fehlt es jedoch vorerst noch an einem „etablierten und von den unterschiedlichen Anspruchsgruppen getragenen Kanon von Handlungsfeldern“.36 Deshalb kann man beispielsweise darüber streiten, ob CDR auch „Unternehmensinitiativen gegen den Wegfall von Arbeitsplätzen im Zuge der Automatisierung und Digitalsierung von Produktionsabläufen und Lieferketten“ umfasst.37 Auch wenn das Konzept der Corporate Digital Responsibility insofern an seinen Rändern inhaltlicher Schärfung bedarf, gewinnt es in seinem Kern bereits durch die Datenbezogenheit hinreichend Kontur – und in einer zunehmend datenbasierten, digitalen Gesellschaft rasant an Bedeutung.

II. Normativer Rahmen 1. (Aktien-)Rechtliche Anknüpfung Das geltende Aktienrecht statuiert Corporate Digital Responsibility nicht explizit. Gleichwohl steht es dem Einsatz digitaler Technologien keineswegs indifferent gegenüber, sondern enthält Anhaltspunkte, aus denen sich eine entsprechende Verantwortung entwickeln lässt.38 33 S. etwa Möslein ZIP 2018, 204; Noack ZHR 183 (2019), 105; Sattler BB 2018, 2243; Spindler ZGR 2018, 17; Strohn ZHR 182 (2018), 371; Weber/Kiefner/Jobst NZG 2018, 1131; Zetzsche AG 2019, 1; vgl. ferner Petrin UCL Working Paper No. 3/2019, Reger FAZ, 12. Dezember 2018, S. 18. 34 Ähnlich wohl Richter, PinG 2018, 237 (Diskussion einer Aufspreizung in Corporate Algorithmic Responsibility und Corporate Artificial Intelligence Responsibility). 35 In diese Richtung übereinstimmend Spindler/Schuster Elektron. Medien/Nink, 4. Aufl. 2019, DS-GVO Art. 24 Rn. 18; Richter, PinG 2018, 237, 238; Thorun/Kettner/ Merck, Ethik in der Digitalisierung – Der Bedarf für eine Corporate Digital Responsibility, Arbeitspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2018, S. 2 (abrufbar unter http://library.fes. de/pdf-files/wiso/14691.pdf). 36 Thorun/Kettner/Merck (Vorn.), S. 2. 37 Richter, PinG 2018, 237, 238; s. auch Thorun/Kettner/Merck (Fn. 35), S. 2. 38 Zum Folgenden ausführlicher Möslein, in Ebers u.a. (Hrsg.), Rechtshandbuch Künstliche Intelligenz und Robotik, im Druck für 2020, § 14, Rdn. 32 ff.; ders., in: Braegel-

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a) Informationsbeschaffungspflicht Wenn beispielsweise § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eine Informationsbeschaffungspflicht begründet, indem die Vorschrift statuiert, dass Vorstandsmitglieder unternehmerische Entscheidungen „auf der Grundlage angemessener Information“ zu treffen haben,39 so steht diese Vorgabe jedenfalls einer völligen Entsagung des unternehmensinternen Einsatzes digitaler Technologien entgegen. Weil solche Technologien große Datenmengen ungleich besser verarbeiten können als Menschen, liefern sie unter bestimmten Voraussetzungen nämlich bessere Informationen als ausschließlich menschlicher Sachverstand. Zwar ist (trotz teils weitergehender Forderungen der Rechtsprechung) anerkannt, dass der Vorstand nicht „alle verfügbaren Informationsquellen“ ausschöpfen muss,40 sondern Kosten und Nutzen der Informationsbeschaffung gegeneinander abwägen darf. Diese Abwägung unterliegt aber immerhin einer gerichtlichen Plausibilitätskontrolle.41 Je treffsicherer und erschwinglicher digitale Technologien werden, aber auch je verbreiteter ihr Einsatz in der unternehmerischen Praxis, desto schwerer wird sich der Verzicht auf ihre Unterstützung rechtfertigen lassen. Die Herausbildung einer aktienrechtlichen Pflicht zum angemessenen Einsatz digitaler Technologien scheint daher in Zeiten von „Big Data“ absehbar,42 auch wenn deren Geltung, Umfang und Reichweite weiterhin intensiver Diskussion bedarf.43 Erst recht lässt sich eine solche Pflicht begründen, wenn branchenspezifische Sonderregeln entsprechende Anforderungen explizit formulieren, für den Finanzsektor beispielsweise § 25a KWG in Verbindung mit den Vorgaben der MaRisk.44 mann/Kaulartz (Hrsg.), Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning, im Druck für 2020, S. 501, 507–513. 39 Näher MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 48–53; KKAktG/Mertens/Cahn § 93 Rn. 32–35; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic AktG § 93 Rn. 34; Hüffer/Koch/Koch AktG § 93 Rn. 20–22. 40 In diesem Sinne allerdings BGH Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 (3362) (zur GmbH: „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen“); BGH Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 30; nicht eindeutig hingegen BGH Urt. v. 22.2.2011 − II ZR 146/09, NZG 2011, 549 Rn. 19 (mit Hinweis auf den heutigen Wortlaut des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG). Hierzu kritisch (statt aller) Cahn WM 2013, 1293 (1298); Fleischer NJW 2009, 2337 (2339); Redeke ZIP 2011, 59 (60). 41 So oder ähnlich Bachmann ZHR 177 (2013), 1 (11); Redeke ZIP 2011, 59 (60–64); KKAktG/Mertens/Cahn § 93 Rn. 32; Hüffer/Koch/Koch AktG § 93 Rn. 21; vgl. ferner MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 48 („am Einzelfall angepasster Spielraum“); Grigoleit/Grigoleit/Tomasic AktG § 93 Rn. 34 („Prognosespielraum“). 42 Ähnlich etwa McAfee/Brynjolfsson Harvard Business Review 90 (2012), Heft 10, S. 3; vgl. außerdem R. Müller in M. Hilb, Governance of Digitalization, 2017, S. 43, 50 („additional taks of information governance“). 43 Deutlich zurückhaltender Zetzsche AG 2019, 1 (9); vgl. andererseits jedoch Möslein ZIP 2018, 204 (209 f.); Spindler ZGR 2018, 17 (43); Weber/Kiefner/Jobst NZG 2018, 1131 (1133 f.) 44 Ausführlicher Möslein (Fn. 38), Rn. 33.

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b) Risikovorsorge Andererseits verpflichtet § 91 Abs. 2 AktG den Vorstand, „geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden“ können. Aus dieser Gesetzesvorgabe kann man eine Pflicht der Geschäftsleiter ableiten, „technikimmanenten Risiken angemessen zu begegnen“, indem sie sich insbesondere mit der Funktionsweise und den Risiken der eingesetzten Informationstechnologie vertraut machen und deren Validität ggf. in einem risikogeschützten Bereich testen.45 Wer als Unternehmensleiter digitalen Technologien Entscheidungen überträgt, muss daher zumindest ein gewisses Maß an Technikbeherrschung besitzen, um die Eigenlogik der technologischen Abläufe zu begreifen und dadurch die eigene Letztentscheidungskompetenz bewahren zu können.46 Unternehmensleiter müssen insofern den Überblick über Auswahl und laufende Tätigkeit digitaler Technologien behalten. Ähnlich wie beim Einsatz autonomer Fahrzeuge kann nämlich nur so die Möglichkeit gewährleistet werden, korrigierend einzugreifen. c) Legalitätspflicht Nicht zuletzt spiegelt die Legalitätspflicht digitalisierungsbezogene Pflichten, die in Gesetznormen außerhalb des Aktiengesetzes statuiert sind, aktienrechtlich wider, indem sie dem Vorstand die Letztverantwortung für deren Befolgung zuschreibt. Entsprechende Pflichten werden mit dem Vordringen der digitalen Transformation immer zahlreicher, künftig beispielsweise durch die Neuregelungen zu Verträgen über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen.47 Paradebeispiel im geltenden Recht ist sicherlich Art. 24 DSGVO, der für Datenverarbeitung Verantwortliche verpflichtet, „unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher 45

So zu Recht Zetzsche AG 2019, 1 (7 f.). Allgemeiner zu Leitungspflichten in Zeiten digitaler Veränderung M. Hilb in ders., Governance of Digitalization, 2017, S. 11 (20); R. Müller in M. Hilb, Governance of Digitalization, 2017, S. 43; Featherstone, „Governance in the new machine age“, Australian Institute of Company Directors, 24.3.2017, https://aicd.companydirectors.com.au/advocacy/ governance-leadership-centre/governance-driving-performance/governance-in-the-new-m achine-age (20/06/19). 47 Entsprechender Umsetzungsbedarf besteht auf Grund der (primär vertragsrechtlichen) Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. EU 2019 L 136/1; dazu statt aller Schulze, ZEuP 2019, 695; Staudenmayer, NJW 2019, 2497; Spindler/Sein, MMR 2019, 415. 46

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Personen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen“ umzusetzen, „um sicherzustellen und den Nachweis dafür erbringen zu können, dass die Verarbeitung gemäß dieser Verordnung erfolgt“.48 Im Anschluss an die Rechtsprechung, die den Vorstand im Rahmen der Legalitätspflicht verpflichtet, das Unternehmen so zu organisieren und zu beaufsichtigen, dass keine Gesetzesverstöße aus dem Unternehmen heraus erfolgen können,49 lassen sich aus dieser Gesetzesnorm vielfältige Organisations- und Handlungspflichten des Vorstands in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit ableiten.50 2. Konkretisierung durch internationale (sog. Ethik-)Leitlinien Trotz solcher Anknüpfungspunkte steht die präzisere Konturierung der digitalen Unternehmensverantwortung erst noch aus, auch weil entsprechender Technologieeinsatz ein neues Phänomen darstellt. Um spezifischere Einzelpflichten zu entfalten, etwa hinsichtlich des Einsatzes von Algorithmen, sind punktuell Analogien zu Gesetzesregeln denkbar, die algorithmische Entscheidungen in anderen Zusammenhängen betreffen. In Frage kommt beispielsweise § 80 Abs. 2 WpHG, der den algorithmischen Handel mit Finanzinstrumenten regelt und eine Reihe von Einzelpflichten vorsieht, die Wertpapierdienstleister erfüllen müssen, die solchen Handel betreiben.51 Deutlich reichhaltigeren, weil flächendeckenderen inhaltlichen Ertrag versprechen jedoch andere, allerdings außerrechtliche Rechtserkenntnisquellen. Insbesondere zu den so genannten ethischen Fragen des Einsatzes künstlicher Intelligenz hat nämlich ein überaus dynamischer Normbildungsprozess auf ganz unterschiedlichen Regelungsebenen eingesetzt. Das prominenteste Beispiel ist die Empfehlung des Rates der OECD zu künstlicher Intelligenz vom 22. Mai 2019,52 mit der entsprechende Grundsätze die formelle Anerkennung einer Vielzahl von Regierungen weltweit finden.53 Auf europäischer Ebene unterstützt die Kommission in ihrer Mitteilung „Schaffung von 48 Zur Relevanz für die Unternehmens- und insbesondere Compliance-Organisation namentlich Spindler, CR 2017, 715; Thode, CR 2016, 714; Wybitul, CCZ 2016, 194. 49 Vgl. insbesondere das vielbeachtete Siemens/Neubürger-Urteil des LG München I, NZG 2014, 345; dazu näher Simon/Merkelbach, AG 2014, 318 (319); Fleischer, NZG 2014, 321 (324); Sonnenberg, JuS 2017, 917; Hoffmann/Schiefer, NZG 2017, 401 (402 ff.). 50 Ausführlich Löschhorn/Fuhrmann, NZG 2019, 161. 51 Überblicksweise etwa Fuchs/Fuchs WpHG § 33 Rn. 144a-144m. 52 Die OECD-Empfehlung (Recommendation of the Council on Artificial Intelligence) ist abrufbar unter https://www.oecd.org/going-digital/ai/principles/. 53 Neben den 36 Mitgliedsstaaten haben bislang bereits sechs weitere Staaten unterzeichnet; mit der Abschlusserklärung von Osaka erhielten die Empfehlungen zudem die Unterstützung aller G20-Mitgliedsstaaten, vgl. G20 Ministerial Statement on Trade and Digital Economy vom 9. Juni 2019 , 3 f. und Annex.

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Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz“54 zentrale Forderungen der Ethik-Leitlinien, die eine von ihr eingesetzte Expertengruppe55 nach intensiver Diskussion am 8. April 2019 in vorerst finalisierter Fassung veröffentlicht hatte.56 Aus beiden Regelwerken lassen sich gemeinsame inhaltliche Grundsätze ableiten, die durch Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe letztlich auch zur Entfaltung aktienrechtlicher Pflichtenstandards beitragen und somit Rechtsqualität gewinnen können.57 Welche spezifischen Rechtswirkungen jene angeblich nur ethischen Grundsätze entfalten, etwa bei der Konkretisierung des Vorstandsermessens oder der aufsichtsratlichen Überwachungsaufgabe (§ 93 Abs. 1 S. 2 bzw. § 111 Abs. 1 AktG), ist zwar vorerst noch völlig ungeklärt. Immerhin aber schaffen diese Grundsätze einen Standard, der weltweit staatlichen Rückhalt und zunehmend praktische Anerkennung genießt und sich daher zu einem auch aktienrechtlich relevanten Maßstab der Corporate Digital Responsibility entwickeln könnte. a) Prozedurale Anforderungen Beide Regelwerke zielen zunächst auf organisatorische Vorkehrungen, die fehlerhaften KI-Entscheidungen vorbeugen sollen; sie fordern außerdem ein Mindestmaß an Technikbeherrschung sowie die Bewahrung menschlicher Letztentscheidungskompetenz. So betonen die Grundsätze übereinstimmend, dass menschlichem Handeln und menschlicher Aufsicht Vorrang gebührt, und dass die menschlichen Akteure, die für das jeweilige technische System verantwortlich zeichnen, zugleich auch dessen Verlässlichkeit sicherstellen müssen.58 Nach diesen Maßstäben müssen sich Vorstandsmitglieder, die Aufgaben an künstliche Intelligenz delegieren, mit der Funktionsweise und den Risiken der eingesetzten Informationstechnologie vertraut machen und deren Validität ggf. in einem risikogeschützten Bereich testen. Daraus lassen sich Organisations- bzw. Betreiberpflichten entwickeln, wie sie für andere Technologien, etwa die Atomenergie, ähnlich gelten (aber längst gesetzlich normiert sind).59 54

COM(2019) 168 final. Vgl. Pressemitteilung „Commission appoints expert group on AI and launches European AI Alliance“ vom 14 Juni 2018; die Grundlage hierzu bildete die Mitteilung der Europäischen Kommission, Künstliche Intelligenz für Europa, COM(2018) 237 final, 20. 56 Die Leitlinien sind in Entwurfs- sowie in endgültiger Fassung abrufbar unter: https://ec.europa.eu/futurium/en/ai-alliance-consultation/guidelines#Top. 57 Zum Folgenden Möslein, in: Braegelmann/Kaulartz (Hrsg.), Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning, 2020, S. 501, 509–511; ausführlich zu den einzelnen Regelungsgehalten außerdem ders., in: Linardatos (Hrsg.), Rechtshandbuch RoboAdvice, 2019, § 3 Rdn. 12–20. 58 S. COM(2019) 168 final, 5 f. (Kernanforderungen Nr. I und II); ähnlich OECDEmpfehlung (Fn. 52), unter 1.2. und 1.4. 59 S. dazu statt aller Spindler Unternehmensorganisationspflichten, 2001, 17–41. 55

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Postuliert wird überdies die Offenlegung der technischen Vorgänge, damit sich diese im Nachhinein nachprüfen und rückverfolgen lassen. So verlangen beide Leitlinien über Protokollierung und Dokumentation hinaus, dass sich die algorithmischen Entscheidungsvorgänge gegenüber den beteiligten Personen verständlich erklären lassen.60 Sie fordern sogar eine Rechenschaftspflicht für KI-Systeme,61 die überdies Verantwortlichkeit für KISysteme sowie deren Nachprüfbarkeit verlangt, etwa Bewertbarkeit durch interne und externe Prüfer.62 Somit bedarf es insbesondere der Ermittlung, Bewertung, Dokumentation und Minimierung möglicher negativer Auswirkungen von KI-Systemen.63 b) Materielle Grundsätze Stärker materiellen Gehalt haben demgegenüber diejenigen Grundsätze, die auf Wahrung bestimmter Individualrechte zielen oder sogar Gemeinwohlverpflichtungen von KI-Systemen bzw. -Anbietern postulieren. Auf individueller Ebene zählen die OECD-Grundsätze beispielsweise „Freiheit, Würde und Selbstbestimmung, Schutz der Privatsphäre und Datenschutz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung […] und international anerkannte Arbeitsrechte“ auf,64 während sich die EU-Kommission auf „Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement“ sowie „Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness“ konzentriert.65 Sie geht umgekehrt stärker ins Detail, wenn sie neben Datenschutz beispielsweise Gewährleistung der Integrität der verwendeten Daten sowie Regelung und Kontrolle des Zugangs zu Daten fordert.66 Mit der Forderung nach Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness statuieren die Grundsätze überdies eine Pflicht, (unbeabsichtigte) datenbasierte Verzerrungen zu vermeiden.67 Die Stoßrichtung ähnelt dem aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 53a AktG, der indessen enger, nämlich ausschließlich auf Aktionäre als Begünstigte zuge60 COM(2019) 168 final, 6 (Kernanforderung Nr. IV); OECD-Empfehlung (Fn. 52), unter 1.3. Allgemein zum Erfordernis der Erklärbarkeit von Algorithmen Kroll et al., U. Pa. L.Rev. 165 (2016/17), 633; in der deutschen Diskussion etwa Bitkom e.V. (Hrsg.), Künstliche Intelligenz – Wirtschaftliche Bedeutung, gesellschaftliche Herausforderungen, menschliche Verantwortung, 2017, 128 („Eine generelle Offenlegungspflicht von Algorithmen, auf denen Geschäftsmodelle beruhen, ist auch vor dem Hintergrund der Verbraucherinteressen äußerst problematisch“); Drexl ZUM 2017, 529, 541 f. 61 COM(2019) 168 final, 7 f. (Kernanforderung Nr. VII); OECD-Empfehlung (Fn. 52), unter 1.5. Ausführlicher Möslein, in: Linardatos (Hrsg.), Rechtshandbuch Robo-Advice, 2019, § 3 Rdn. 17. 62 COM(2019) 168 final, 7. 63 S. nochmals COM(2019) 168 final, 7. 64 OECD-Empfehlung (Fn. 52), unter 1.2.a). 65 COM(2019) 168 final, 6 f. (Kernforderungen III. und V.). 66 So COM(2019) 168 final, 6 (Kernforderung III.). 67 COM(2019) 168 final, 7 (Kernforderung V.).

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schnitten ist.68 KI-spezifische und aktienrechtliche Pflichtenstandards können sich insofern überlagern, möglicherweise jedoch auch miteinander kollidieren. Entsprechendes Kollisionspotenzial besteht nicht zuletzt deshalb, weil die Regelwerke schließlich auch Gemeinwohlverpflichtungen von KI-Systemen bzw. -Anbietern postulieren. In den OECD-Grundsätzen heißt es beispielsweise, die Beteiligten sollten sich „proaktiv für eine verantwortungsvolle Steuerung vertrauenswürdiger KI einsetzen, die darauf abzielt, einen Nutzen für die Menschen und den Planeten zu erzielen […] und damit ein inklusives Wachstum, eine nachhaltige Entwicklung und die Lebensqualität zu fördern“.69 Gleichsinnig fordert die Kommission die Förderung der Nachhaltigkeit und ökologischen Verantwortlichkeit von KISystemen sowie die Berücksichtigung ihrer gesamtgesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen.70 So vage diese Programmsätze formuliert sind, so weit reichen ihre potentiellen Auswirkungen: Müssen Unternehmensleiter beim unternehmerischen Einsatz von KI-Systemen beispielsweise sicherstellen, dass Nachhaltigkeitserwägungen Vorrang vor dem Ziel der Gewinnmaximierung zukommt?71 Eine solche Verpflichtung beträfe nicht weniger als die grundlegende Ausrichtung unternehmerischer Entscheidungen, die unter den Schlagworten Shareholder- bzw. Stakeholder-Value im aktienrechtlichen Schrifttum seit langem überaus kontrovers diskutiert wird. 3. Unternehmerische Selbstregulierung Zunehmend engagieren sich überdies einzelne Unternehmen in Sachen Corporate Digital Responsibility, auch außerhalb der erwähnten BMJVInitiative.72 Teils entwickeln sie eigene Regelwerke, so etwa die Deutsche Telekom für den Umgang mit künstlicher Intelligenz.73 Neuerdings mehren sich darüber hinaus entsprechende Regelungsentwürfe größerer Unternehmens- und Interessenverbände, etwa das Gütezeichen des Bundesverbands Künstliche Intelligenz, die Leitlinien des Bundesverbands Digitale Wirt-

68 OLG Düsseldorf AG 1973, 282 (284); OLG Celle AG 1974, 83 (84); Hüffer/Koch/ Koch, § 53a AktG Rn. 4; MüKoAktG/Götze, § 53a AktG Rn. 6. 69 OECD-Empfehlung (Fn. 52), unter 1.1. 70 COM(2019) 168 final, 7 (Kernforderung VI.). 71 Mit ähnlicher Stoßrichtung kürzlich der Aktionsplan der EU-Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums, COM(2018) 97 final vom 18.3.2018; dazu näher Möslein/Mittwoch, WM 2019, 481. 72 S. bereits oben, unter I.1. 73 Die Telekom-Leitlinien datieren vom 19.7.2018; sie sind abrufbar unter https:// www.telekom.com/de/konzern/digitale-verantwortung/details/ki-leitlinien-der-telekom523904.

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schaft oder auch der Global Policy Framework der International Technology Law Association, alle drei vom Frühjahr 2019.74 Die Rechtswissenschaft wird versuchen müssen, diese neue Normenvielfalt inhaltlich zu ordnen und zu systematisieren, um einen Überblick über den dynamischen, fast schon wildwuchsartigen Normentwicklungsprozess auf unterschiedlichsten Ebenen zu behalten. Eine umfassende Kartographierung der unterschiedlichen Leitlinien und Regelwerke, wie sie das Berkman Klein Center for Internet and Society der Universität Harvard kürzlich für die USA vorgelegt hat,75 steht für Deutschland vorerst aus. Insbesondere die OECD-Prinzipien und die europäische Regelungsinitiative lassen sich zugleich als Versuch verstehen, eine von unternehmerischer Selbstregulierung geprägte Normentwicklung einzufangen und ihr einen inhaltlich wie territorial umfassenderen, zugleich aber auch stärker hoheitlich gelenkten Charakter zu verleihen.76 Jedenfalls steht zu erwarten, dass die unterschiedlichen Leitlinien als Rechtserkenntnisquelle dienen und das geltende gesellschaftsrechtliche Pflichtengefüge inhaltlich ausfüllen und ergänzen werden. Die Normsetzung erfolgt vorerst jedoch ausschließlich technologiespezifisch. Demgegenüber erstaunt das Schweigen spezifisch aktienrechtlicher Regelgeber: Angesichts der erwartbaren Ausstrahlung auf Corporate-GovernanceGrundsätze sollte namentlich die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex das Heft des Handelns dringend wieder in die Hand nehmen und Fragen des vertrauenswürdigen unternehmerischen Umgangs mit künstlicher Intelligenz – und allgemeiner der Corporate Digital Responsibility – auf die Tagesordnung setzen, um bei jenen großen aktienrechtlichen Zukunftsfragen für Rechtsklarheit und für inhaltliche „Einheit der Kodexordnungen“ zu sorgen.77

III. Aktienrechtliche Wirkrichtungen Die vielfältigen aktienrechtlichen Wirkrichtungen, die teils bereits angedeutet wurden, lassen sich in dieser bündigen, vorläufigen Skizze nicht vollständig entfalten. Abschließend sollen aber zumindest einige wichtige Implikationen überblicksweise zusammengefasst werden. Nur so lässt sich der 74 Vgl. unter https://ki-verband.de/wp-content/uploads/2019/02/KIBV_Guetesiegel. pdf sowie unter https://www.bvdw.org/fileadmin/bvdw/upload/publikationen/KI/RZ_ BVDW_KI_8Prinzipien_ES_20190122.pdf. 75 Dazu ausführlich und mit Visualisierung unter https://ai-hr.cyber.harvard.edu/. 76 Möslein, Vertrauenswürdigkeit künstlicher Intelligenz und Corporate Governance, Audit Committee Quarterly 2/2019, S. 16. 77 S. nochmals Möslein, Vertrauenswürdigkeit künstlicher Intelligenz und Corporate Governance, Audit Committee Quarterly 2/2019, S. 16.

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künftige aktienrechtliche Forschungs- und möglicherweise auch Reformbedarf ermessen. 1. Unternehmerisches Ermessen und Organverantwortung Zentrale aktienrechtliche Bedeutung gewinnt Corporate Digital Responsibility im Rahmen von Vorstandsermessen und allgemeiner Organverantwortung: Einerseits begrenzt die in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG statuierte Informationsbeschaffungspflicht den Ermessensspielraum des Vorstands, indem sie unter bestimmten Voraussetzungen den Einsatz digitaler Technologien erfordert, andererseits lässt sich aus § 91 Abs. 2 AktG eine Pflicht des Vorstands ableiten, „technikimmanenten Risiken angemessen zu begegnen“.78 Auch auf Ebene des Aufsichtsrats spielt Corporate Digital Responsibility primär im Rahmen der Organverantwortung eine Rolle, weil sie dessen Überwachungsaufgabe gem. § 111 AktG tangiert.79 Ähnlich wie auf Vorstandsebene fragt sich beispielsweise, ob sich der Aufsichtsrat digitaler Technologien bedienen darf oder sogar muss, um seinen Kontroll- und Beratungspflichten nachzukommen.80 Da § 116 AktG auf § 93 AktG verweist, ähneln sich Ermessensspielraum und Pflichtbindung von Vorstand und Aufsichtsrat. Um die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats nicht zu konterkarieren, hat umgekehrt der Vorstand dafür Sorge zu tragen, dass unternehmerische Entscheidungen erklärbar bleiben, auch wenn sie auf Einsatz digitaler Technologien beruhen. Künstliche Intelligenz beispielsweise darf nicht nach Art einer Black Box unbeherrschund damit auch unerklärbar werden.81 Zumindest eine Auskunft über Kernparameter iSv Art. 13 Abs. 2 lit. f DSGVO muss dem Vorstand möglich sein und sollte vom Aufsichtsrat auch eingefordert werden können.82 Soweit sog. Explainable AI zur Verfügung steht, ist der Vorstand zu deren Einsatz verpflichtet, weil dadurch das Maß an Information erhöht wird, das dem Aufsichtsrat die Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe ermöglicht.83 2. Information und Offenlegung Eine zweite Wirkrichtung ist damit bereits angedeutet: Corporate Digital Responsibility beinhaltet vielfältige Informations- und Offenlegungspflich78

Dazu ausführlich bereits oben unter II.1. Näher, auch zum Folgenden: Möslein, Der Aufsichtsrat, Heft 1/2020, S. 2; vgl. außerdem Meckl/Schmidt, BB 2019, 131. 80 Zurückhaltend Noack, ZHR 183 (2019), 105, 141. 81 Vgl. dazu Strohn, ZHR 182 (2018), 371, 373 f.; Wischmeyer, AöR 143 (2018), 1, 8. 82 Möslein, Der Aufsichtsrat, Heft 1/2020, S. 2; einschränkend Noack, ZHR 183 (2019), 105, 140 f. 83 IdS Möslein, Der Aufsichtsrat, Heft 1/2020, S. 2; vgl. außerdem Linardatos, ZIP 2019, 504, 505, m.w.N. 79

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ten der einzelnen Organe, teils innerhalb der Aktiengesellschaft, teils gegenüber Dritten. Im Außenverhältnis ergeben sich diese Pflichten aus den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben, etwa der DSGVO,84 den (künftigen) Regeln zu Verträgen über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen,85 oder auch der Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (P2B-VO), die mit Wirkung zum 12.7.2020 entsprechende Anforderungen insbesondere für Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten vorsieht.86 Im Innenverhältnis lassen sich Offenlegungspflichten demgegenüber aus der Unternehmensverfassung selbst ableiten, weil und soweit die einzelnen Organe oder Personen ihre aktienrechtlich verbürgten Rechte und Pflichten nur auf Grundlage entsprechender Information sinnvoll wahrnehmen können. Dieser Zusammenspiel zwischen aktienrechtlicher Zuständigkeits- und Informationsordnung betrifft nicht nur den Aufsichtsrat, sondern auch die Aktionäre, die in der Hauptversammlung gem. § 131 Abs. 1 AktG entsprechende Informationen einfordern können, etwa über den Einsatz digitaler Technologien.87 Gleichsinnige Erwägungen lassen sich schließlich auch für die Unternehmenspublizität anstellen, und zwar sowohl in ihrer bilanz-, als auch in ihrer kapitalmarktrechtlichen Dimension. Perspektivisch sind möglicherweise ähnliche Entwicklungen zu erwarten wie bei der nichtfinanziellen Pflichtpublizität der CSR-Richtlinie, die Berichterstattung über soziale, ökologische und governancebezogene Themen verlangt.88 Hinsichtlich des Einsatzes digitaler Technologien besteht zumindest bei besonders „digitalaffinen“ Unternehmen (etwa Facebook, Google oder SAP) vergleichbarer Informationsbedarf; zugleich gewinnen gerade diese Unternehmen in einer zunehmend digitalen Wirtschaft und Gesellschaft massiv an Bedeutung.89 In 84 Näher zu den datenschutzrechtlichen Informationspflichten etwa Lorenz, VuR 2019, 213; speziell mit Blick auf die Bankbranche: Lohbeck, WM 2019, 2050. 85 Zu den entsprechenden Richtlinienvorgaben vgl. etwa Schulze, ZEuP 2019, 695, 713; Staudenmayer, NJW 2019, 2497, 2501. 86 Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten, ABl. EU 2019 L 186/57; zu den Informationspflichten, die insbesondere die AGB-Gestaltung betreffen (Art. 3 Abs. 1 P2BVO), vgl. bspw. Voigt/Reuter, MMR 2019, 783, 785 f. 87 Zum technologischen Sachstand als Gegenstand des Auskunftsrechts (allerdings primär bei technologieorientierten Unternehmen) vgl. MüKoAktG/Kubis AktG § 131 Rn. 211 sowie bereits Trouet, NJW 1986, 1302, 1305. 88 Richtlinie (EU) 2014/95 zur Änderung der RL 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl. EU 2014 L 330/1; dazu zuletzt etwa Hell, EuZW 2018, 215; vgl. auch Fleischer, AG 2017, 509, 521 f. 89 Allgemein zum Erfordernis der Regulierung von Digitalunternehmen Papier, NJW 2017, 3025, 3026 und 3030; vgl. ferner Nezik, DIE ZEIT Nr. 39/2019 v. 19. September 2019, abrufbar unter https://www.zeit.de/2019/39/digitalunternehmen-facebook-applegoogle-digitalisierung-regelung („Digitalunternehmen – Regelt das!“).

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ihrem Kern sind alle jene Informations- und Offenlegungspflichten indessen bereits im geltenden Aktienrecht angelegt; zu ihrer spezifischeren inhaltlichen Konturierung lässt sich auf die oben genannten, an sich außerrechtlichen Regelwerke rekurrieren, die – vorerst scheinbar unverbindlich – zahlreiche Informationen und Erklärungen zu digitalem Technologieeinsatz einfordern.90 3. Organbesetzung und -struktur Strukturelle Bedeutung mag Corporate Digital Responsibility schließlich für die Zusammensetzung der Organe der Aktiengesellschaft bekommen. Gemeint ist nicht die vieldiskutierte, einstweilen jedoch futuristische Frage, ob künstliche Intelligenz selbst Mitglied im Leitungs- oder Aufsichtsorgan werden kann – für das deutsche Aktienrecht ist diese Frage angesichts des eindeutigen Wortlauts von §§ 76 Abs. 3 S. 1, 100 Abs. 1 S 1 AktG klar zu verneinen,91 in anderen, ausländischen Aktienrechtsordnungen fällt die Antwort jedoch teils anders aus.92 Im CDR-Zusammenhang geht es stattdessen um die angesichts zunehmender Digitalverantwortung ungleich näher liegende Frage, ob bzw. auf welche Weise auf Vorstands- bzw. Aufsichtsratsebene für ausreichende Digitalkompetenz zu sorgen ist. Immerhin erfordert die Erfüllung der genannten Organisations-, Überwachungs- und Informationspflichten erhebliche technische Kenntnisse und Fertigkeiten („digital fitness“), an denen es Organmitgliedern laut zahlreicher Studien oft noch fehlt.93 Je digitalaffiner das fragliche Unternehmen, desto wichtiger erscheint die Besetzung mit Personen, die erforderliche Digitalkompetenzen mitbringen. Zwingende Vorgaben hierzu sehen die geltenden Regeln indessen nicht vor; selbst aus branchenspezifischen Sachkundeanforderungen wie §§ 25d Abs. 1 S. 1 KWG wird man kein Erfordernis von Digitalisierungsexpertise ableiten können.94 Vielmehr gilt lediglich die allgemeine Anforderung, dass Organmitglieder diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen müssen, die sie brauchen, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.95

90

S. dazu bereits oben unter II.2.a). Vgl. Gehrlein, NZG 2016, 566; auch Noack, ZHR 183 (2019), 105, 136 f. 92 Zur Rechts- und Organfähigkeit künstlicher Intelligenz rechtsvergleichend: Bayern/Burri/Grant/Häusermann/Möslein/Williams AJP 2 (2017) 192; diess. Hastings Science and Technology Law Journal 9 (2017), 135. 93 S. etwa Theisen/Probst, DB 2018, 2885; vgl. außerdem Noack, ZHR 183 (2019), 105, 140. 94 Ebenso Meckl/Schmidt, BB 2019, 131, 133. 95 In diesem Sinne für den Aufsichtsrat BGHZ 85, 293 („Hertie“); hierzu im Digitalisierungszusammenhang Lenz, BB 2018, 2548, 2550 f. 91

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Ähnlich kontrovers wie vergleichbare Qualifikations- und Besetzungsregeln (etwa zu Vielfalt und Geschlechterrepräsentanz) lässt sich jedoch diskutieren, ob solche Vorgaben – sei es in Gesetz oder Kodex, sei es für Vorstand oder Aufsichtsrat – rechtspolitisch sinnvoll wären oder die Zusammensetzung der Organe nicht möglichst dem unternehmerischen Kalkül überlassen bleiben sollte.96 Im ersten Fall wäre überdies die konkrete Ausgestaltung zu bedenken – bezogen auf einzelne Organpositionen (etwa: Erfordernis eines Chief Digital Officer), im Sinne der Einrichtung eines spezifischen (Digitalisierungs-)Ausschuss oder aber übergreifender als allgemeine Qualifikationsanforderung, zum Beispiel mit Fortbildungsverpflichtung.97 Je eingriffsintensiver die jeweilige Vorgabe, desto höher jedoch der Rechtfertigungsbedarf: So lange sich nicht erweist, das Aktiengesellschaften nicht bereits im eigenen Interesse Digitalkompetenz entwickeln, empfiehlt sich vorerst gesetzgeberische Zurückhaltung.

IV. Fazit Insgesamt zeigt sich, dass Corporate Digital Responsibility mit ihren unterschiedlichen Regelungsschichten und Wirkrichtungen das Aktienrecht künftig in nahezu seiner gesamten Breite tangieren könnte. Setzt sich die digitale Transformation rasant fort (wofür viel spricht), so ist Corporate Digital Responsibility mehr als nur zeitgeistiges Schlagwort oder bloßer Hype.98 Ähnlich ihren drei Vorläufern besitzt CDR unter dieser Voraussetzung vielmehr das Potenzial, zu einem der großen Zukunftsthemen des Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrechts zu werden.99 Ebendieses Potenzial mag Klaus Hopt mit seinem Interesse an Rechtsfragen der Informationstechnologien vor fast fünf Jahrzehnten vielleicht ja bereits vorausgespürt haben.

96 Dazu Noack, ZHR 183 (2019), 105, 140; vgl. ferner Lenz, BB 2018, 2548, 2552 („Die Qualifikation der Aufsichtsräte muss sich den wandelnden Anforderungen der Digitalisierung anpassen“). 97 Im gleichen Sinne Meckl/Schmidt, BB 2019, 131, 134. 98 Ähnlich Richter, PinG 2018, 237 (unter dem Titel „CDR – More Than Just a Hype?“); vgl. ferner Nachw. Fn. 2. 99 Vgl. Nachw. Fn. 1.

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Reflections on ESMA at a Cross-roads NIAMH MOLONEY

I. Introduction The contribution by Professor Klaus J Hopt to the development of EU capital market regulation has been immense. His legacy extends from his early pioneering work regarding investor protection, insider dealing, and the role of harmonization in the development of EU securities markets, to his recent path-breaking work on corporate governance and financial institutions. He is in many ways one of the ‘fathers’ of modern EU financial regulation. This short contribution seeks to pay tribute to Professor Hopt’s magisterial leadership by examining one of the more recent and dynamic elements of EU capital market regulation – the European Securities and Markets Authority (ESMA).1 This contribution provides a short initial verdict on ESMA some nine years after its financial-crisis-era establishment in 2011, and as the first major set of reforms to its operation have been adopted under the European Supervisory Authorities Reform Regulation, adopted in March 2019.2 It presents a series of findings on ESMA’s effectiveness and on its legitimacy – the two classic benchmarks against which technocratic agencies are typically assessed. The discussion also briefly considers the March 2019 reforms.

II. Experience with ESMA since 2011 ESMA is one of the three sectoral European Supervisory Authorities (ESAs) that ground the European System of Financial Supervision (ESFS). The ESFS supports the supervision of the single market in financial services by, first, locating primary operational supervision with the national supervisors (national competent authorities, NCAs) who apply the EU’s ‘single rulebook’; and, second, binding these NCAs together, and thereby managing cross-border risk, by means of the different soft supervisory conver1

This chapter draws on the author’s recent book: N Moloney, The Age of ESMA. Governing EU Financial Markets (Hart Publishing, 2018). 2 ESA Reform Regulation, adopted March 2019, final text agreed on 20 November 2019 (2017/0230 (COD)), Regulation (EU) No 2019/2175 [2019] OJ L334/1.

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gence and binding supervision tools conferred on the three sectoral ESAs (ESMA, the European Banking Authority, and the European Insurance and Occupational Pensions Authority). The ESAs are also charged with supporting the development of technical financial market rules by advising the Commission on the adoption of Delegated Acts and by proposing Binding Technical Standards for adoption by the Commission. All three ESAs are creatures of legislative delegation and so of political and institutional compromise.3 Their mandates, scope, powers, and governance are all specified in their founding legislative mandates, adopted in 2010 as part of the massive crisis-era overhaul of EU financial regulation. ESMA’s scope of operation is financial markets, as specified by the different legislative measures that confine its scope and are identified in its founding 2010 Regulation.4 Its core competences are broadly soft in nature and directed to supporting supervisory convergence across NCAs and to advising the Commission on financial market rule-making. There is one major exception to this: ESMA has also been conferred with a suite of direct, binding powers. Some of these were conferred in its constitutive 2010 Regulation. Others were incrementally conferred later, most notably in the 2011 Credit Rating Agency Regulation,5 the 2012 Short Selling Regulation,6 and the 2014 Markets in Financial Instruments Regulation7. ESMA has direct and exclusive supervisory power over EU rating agencies and trade repositories (under the 2011 rating agency reforms and the 2012 reforms to the EU derivatives market under the European Market Infrastructure Regulation); exceptional direct product intervention (prohibition) powers (under MiFIR) and emergency powers to restrict short selling (under the 2012 Short Selling Regulation); and a series of limited powers to require NCAs to take action in the case of an NCA breach of EU law, in a NCA mediation context, and in emergency conditions (under the original 2010 ESMA Regulation). ESMA’s governance is different to that of most EU agencies in that decision-making power is located in ESMA’s technocratic Board of Supervisors, composed of the 27 NCAs, although there are non-voting members of the Board, most significantly the Commission (more usually, scientific/technocratic expertise is located in advisory technical bodies within EU agencies). ESMA’s governance model is thus, very broadly, intergovernmental in that national technocratic representatives (the NCAs) are charged with decisionmaking, although the Board of Supervisors is charged with acting suprana3 See, eg, E Ferran, ‘Crisis-driven Regulatory Reform: where in the world is the EU going?’ in E Ferran, N Moloney, J Hill, and JC Coffee, The Regulatory Aftermath of the Global Financial Crisis (Cambridge University Press, 2011), 1. 4 Regulation (EU) No 1095/2010 [2010] OJ L331/84. 5 Regulation (EU) No 513/2011 [2011] OJ L145/30. 6 Regulation (EU) No 236/2012 [2012] OJ L86/1. 7 Regulation (EU) No 600/2014 [2014] OJ L173/84 (MiFIR).

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tionally in the interests of the EU. The tension between NCAs’ interests and the supranational interests supported by ESMA is one of the defining features of ESMA’s governance. ESMA was an experiment in EU capital market governance when established in January 2011. A product of the financial crisis, it was based on the familiar EU agency model, but, in order to improve supervisory coordination and manage crises, it was given significantly greater binding powers than any other EU agency had up to that point, and it was also given wideranging soft powers to enhance supervisory coordination.8 Certainly by comparison with the politically contested establishment of Banking Union’s Single Supervisory Mechanism9, its genesis – apart from the contestation relating to its limited binding powers – was relatively uncontroversial10. This can be associated with its design as a coordinator of NCAs, the fact that it was not organised as a direct executive actor (unlike the SSM), and, critically, as it did not disrupt the dominance of NCAs as the supervisors of the EU capital market or, accordingly, impose fiscal risks on Member States or their NCAs. The financial crisis had, however, led to widespread political and institutional consensus on the need for stronger institutional support for the supervision of the EU capital market and for a system for managing better cross-border risks and supervisory divergences across NCAs. ESMA’s design as a soft, coordination-based agency was the result. While relatively straightforward to describe, ESMA is nonetheless a highly elusive actor to characterize for the purposes of examination. This is particularly so as close to ten years’ experience suggests that ESMA can wield significantly more influence than its primarily soft law mandate and powers would suggest. It is, clearly, a non-majoritarian, technocratic agency with a delegated and soft-law-oriented mandate. Nonetheless, despite its soft mandate it is shifting from being in a peer/horizonal relationship with NCAs, to being in a more vertical/hierarchical relationship. Further, while constitutionally confined by its legislative mandate, ESMA is a highly dynamic and somewhat entrepreneurial actor. The evidence of its great range of activities suggests that it now exerts burgeoning influence over all aspects of EU capital market regulation. This dynamism is showing little signs of ebbing, both as regards ESMA’s approach but also as regards ESMA’s legis8 The ESAs were early on characterized as a ‘genuinely different arrangement’ (E Chiti, ‘An Important Part of the EU’s Institutional Machinery: features, problems and perspectives of European agencies’ (2009) 46 Common Market Law Review 1395, 1431). 9 eg, M Schoeller, ‘Providing Political Leadership? Three Case Studies on Germany’s Ambiguous Role in the Eurozone Crisis’ (2017) 24 Journal of European Public Policy 1. 10 See eg N Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation (Oxford University Press, 2014), 960–964 and A Spendzharova, ‘Is More ‘Brussels’ the Solution? New European Union Member States’ Preferences about the European Financial Architecture’ (2012) 50 Journal of Common Market Studies 315.

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lative context. The final days of the 2015–2019 European Parliament and Commission term saw three major pieces of legislation adopted, all conferring additional powers on ESMA: the 2019 ESA Reform Regulation; the Investment Firm Prudential Regulation11; and EMIR 2.212. The book on which this short discussion draws takes the form of a ‘deep dive’ into ESMA. It finds ESMA to have multiple and complex characterizations; and probes ESMA’s effectiveness and legitimacy, the two criteria essential to examining technocratic agencies acting under delegated mandates, as regards these different characterizations. Characterization matters here as care must be taken in identifying the particular role ESMA is fulfilling (whether as rule-writer/peer supervisor/coordinator/overseer of NCAs/network actor within the ESFS, for example) and in identifying the particular elements of effectiveness/legitimation in each case. But overall, it can be claimed that ESMA, since 2011, has become a technically expert, responsive, and agile actor; often deploying state-of-the-art tools; purposeful in pursuing its legislative mandate; but also sensitive to its distinct relationship with NCAs and to the single rule-book. All these different elements support ESMA’s effectiveness. ESMA also appears to have resilient and adaptive legitimacy arrangements, albeit that these are coming under increasing pressure. ESMA is edging closer to political territory as its mandate widens and its influence expands. While its related actions may well have effectiveness benefits, ESMA is also exposed as a result to legitimation risks. As a technocratic actor operating under delegated authority, ESMA’s activities must be appropriately legitimated and confined to the technical sphere.13 But its legitimation arrangements appear, so far, to be resilient. They are multi-layered, including ESMA’s constitutive legislation; constitutional controls such as the Meroni principle;14 the intensive proceduralization of its decision-making, often imposed by legislation; accountability arrangements, particularly to the Parliament which has emerged as a robust accountability forum; judicial review; budgetary procedures; and the horizontal or peer accountability that is provided by NCA discussion and challenge on the Board of Supervisors, alongside the vertical accountability NCAs provide back to national political systems.15 It is also clear that

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Agreed March 2019. Regulation (EU) No 2019/2033 [2019] OJ L314/1. Reform of the European Market Infrastructure Regulation, EMIR 2.2, adopted March 2019 (Regulation (EU) No 2019/2099 [2019] OJ L322/1). 13 See, eg, M Thatcher and A Stone Sweet, ‘Theory and Practice of Delegation to Non Majoritarian Institutions’ (2002) 25 West European Politics 1 and P Craig, UK, EU and Global Administrative Law. Foundations and Challenges (Oxford University Press, 2016). 14 Case 9–56 Meroni v High Authority (ECLI:EU:C:1958:7). 15 On the notion of peer/horizontal accountability see M Buess, ‘European Union Agencies and their Management Boards: an assessment of accountability and demoi-cratic legitimacy’ (2015) 22 Journal of European Public Policy 94. 12

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ESMA’s legitimation framework is adaptable and responding to the greater pressure being placed on it. The European Parliament is becoming an increasingly informed and assertive accountability forum for ESMA, particularly through its budgetary resolutions; there is evidence of the other ESAs acting as a check on ESMA; ESMA’s reporting is becoming ever more extensive and sophisticated; and ESMA is increasingly responsive to stakeholder concerns, including as regards its extensive use of soft law ‘Q&As’, for example. But a tipping point is not far off and some enhancement of ESMA’s legitimation arrangements, perhaps through a more politicallyoriented oversight board, may be useful.

III. A Significant Actor – but why now? ESMA is a notable actor in EU financial market governance. But why examine it now, at a point in time when Brexit, the CMU agenda, the evolution of the euro area, fintech, and many other challenges are claiming attention? ESMA claims attention for a number of reasons. Most important among these is its burgeoning influence. ESMA has constructed a vast soft law rule-book which the market regards as an authoritative interpretation of EU law. Among the many recent examples are ESMA’s important 2019 opinions on the impact of the MiFIR Share Trading Obligation in the event of a no-deal Brexit (UK trading venues would then not be ‘equivalent’ to those in the EU and, thus, certain EU shares would no longer be permitted to trade on such venues).16 ESMA is also increasingly using its soft law powers to claim a novel ‘no action’ jurisdiction, advising that it will not, or recommending that NCAs do not, pursue/enforce certain elements of the EU rule-book given practical/operational difficulties.17 Further, ESMA’s reach over NCAs’ practical supervisory practices is, as a result of ESMA’s innovative and activist application of its supervisory convergence mandate, immense. ESMA has, for example, adopted a series of measures on how NCAs should manage relocating UK firms in the Brexit context18; developed an assertive approach to peer review of NCAs19; sits at the centre of a massive data-hub (collecting, 16 ESMA, Public Statement on the Impact of Brexit on the Trading Obligation for Shares, 29 May 2019. 17 As was the case as regards the MiFIR requirement for counterparties to a transaction to have a ‘Legal Entity Identifier’ (LEI) and following widespread evidence of a lack of market readiness for the application of the LEI requirement in January 2018: ESMA, Statement to Support the Smooth Introduction of the LEI Requirements, 20 December 2017. 18 See in overview ESMA, Press Release, ESMA Issues Sector-Specific Principles on Relocations from the UK to the EU 27, 13 July 2017. 19 For a recent example see the 2019 ESMA Peer Review on supervisory actions regarding the quality of data reported under EMIR (17 October 2019).

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organising, and interrogating a vast array of data from the markets and NCAs); and, with EBA and EIOPA, is becoming increasingly assertive in managing cross-border NCA relationships, recently probing the effective of ‘home NCAs’ in supervising the cross-border activities of regulated firms in host Member States20. ESMA’s more limited binding supervisory jurisdiction is also hardening. It has become more assertive in imposing penalties on actors it supervises,21 for example, and, in a major development in summer 2018, has exercised for the first time its binding power under MiFIR to prohibit products on a temporary basis22. Perhaps most notably and in an indication of ESMA’s influence, this potentially highly controversial decision was not contested by NCAs or subject to legal challenge. It is also worth considering whether ESMA’s evolutionary arc is changing. ESMA has, since 2011, developed incrementally. Additional legislative empowerments have been made in a careful, somewhat ad hoc, but incremental manner, while ESMA itself has been judicious in deploying its powers, albeit that it has also been purposeful, ambitious, and somewhat entrepreneurial. As discussed ahead, however, there have been recent indications of more radical change.

IV. The ESMA Report Card – Example (1) Regulatory Governance ESMA has until recently been predominantly concerned with regulatory governance, reflecting the imperative of implementing the massive crisis-era single rule-book. And it is clear that by advising the Commission on Delegated Acts, proposing Binding Technical Standards for Commission adoption, and adopting soft law ESMA has become a decisive influence on EU capital markets law. ESMA is the de facto author of the now massive administrative single rule-book governing EU capital markets. Investigation reveals that the Commission only rarely departs from ESMA’s technical advice on, or proposals for, administrative rules – although it has over-ruled ESMA on a limited number of occasions. While the Commission accordingly remains the constitutional location of administrative rule-making, ESMA has left very distinct imprints on the single rule-book. ESMA has also become the custodian of a vast array of soft law, whether Q&As, guidance, opinions, letters, 20 ESMA, EBA, EIOPA, Report on Cross-Border Supervision of Retail Financial Services, 9 July 2019. 21 Eg the fines imposed on the Fitch rating agency group in March 2019 of some €5 million (ESMA Decisions 28 March 2019). 22 Among a series of restrictions on contracts for differences, ESMA also banned the marketing of binary options (ESMA Decision 2018/795).

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or other forms of soft law, that has quasi-binding effect on the capital markets. Finally, it is becoming increasingly influential on legislation. While ESMA is not a part of the inter-institutional legislative process, it is regularly called on by the institutions for technical support and to provide technical expertise on the regular reviews of key legislation that the Commission carries out. Given the scale of its influence, the question of ESMA’s effectiveness is an acute one. Effectiveness in this context can be related to the extent to which ESMA’s support of the single rule-book is technically expert, given that ESMA was in part established to strengthen the EU’s technical capacity in capital markets; responsive and agile – particularly as regards recognising the need for soft law and being sensitive to market developments; datainformed; and also sensitive to the hybridity of its role – ESMA must support the EU interest but also ensure that local market expertise and interests are appropriately reflected. Overall, the evidence suggests that ESMA can be regarded as effective in this role. The extent of its technical expertise is increasingly clear from the evolution of its proposals/advice and soft law, and its approach is becoming increasingly data-informed. This was particularly the case with the MiFID II/MiFIR23 project in relation to which ESMA provided technical advice on three major Delegated Acts (some 500 pages of technical advice) and also extensive proposals for some 42 major Binding Technical Standards. It is also clear that ESMA adopts an iterative approach, with drafts changing as data emerges or stakeholder consultation suggests difficulties, and that similarly NCA contestation and challenge shapes drafts of measures. There are weaknesses, however, notably as regards revisability. As EU capital market rules become ever more technical, data-driven, and capable of shaping market behaviour (with major examples including the MiFIR market transparency rules; and the EMIR rules governing which derivatives must be cleared through CCPs), the potential for errors increases, particularly where the original rules were based on limited data-sets (as was the case with the MiFIR bond market transparency rules). ESMA cannot, however, withdraw a highly technical rule, even if it is found to have disruptive effects; the full round of administrative rule-making is required before the Commission can act. ESMA’s legitimation arrangements as regards regulatory governance appear strong, notwithstanding the increasing influence it is wielding over the single rule-book. ESMA’s role in administrative rule-making is heavily proceduralized, including under the ESMA Regulation, and the Commission remains the rule-maker. While the Commission in practice relies very heavily on ESMA’s advice, it does not always do so, and it is clear that the 23 Directive 2014/65/EU [2014] OJ L173/349 and Regulation (EU) No 600/2014 [2014] OJ L173/84.

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Commission is careful to ensure that administrative rules follow the related legislative mandate. ESMA also appears alive to legitimation risks. The evidence suggests that it sensitive to its relationship with the Commission and European Parliament, careful to keep both institutions informed. It has also shown some appetite for institutional remedies, constructing with the Commission the ‘early legal review’ process through which the Commission has early sight of ESMA drafts, in an effort to deal early with any mandate/legal issues which might otherwise disrupt the rule adoption process at a later point. ESMA has also been responsive to institutional and market concerns, particularly from the European Parliament, as regards soft law, adopting a set of conventions, for example, for when soft law should be adopted, and establishing a procedure and portal for managing its soft law Q&As.24

V. The ESMA Report Card – Example (2) Supervisory Governance While regulatory governance dominated ESMA’s activities until about 2015/2016, supervisory convergence has increasingly become a mainstay of ESMA’s work, leading to a clear ‘Europeanization’ of operational supervisory practice across NCAs. But while ESMA’s direct supervision powers have attracted much interest and concern as major constitutional innovations, less attention has been paid to ESMA’s soft, coordination-based supervisory convergence powers. They are, nonetheless, capable of significantly shaping how NCAs go about the operational business of supervision – and so may come to have a long-term, long-lasting, ‘sedimentary’ effect25 which is less dramatic than the exercise of direct supervisory powers, but is potentially more powerful in shaping EU supervisory governance. ESMA’s 2016–2020 Strategic Orientation26 committed ESMA to significantly strengthening its supervisory convergence activities. Since then, ESMA’s supervisory convergence activities have increased very significantly27 along with its ability to ‘Europeanize’ supervision by NCAs. This has been recently exemplified by ESMA’s pivotal role in supporting the 24 For a fuller account of ESMA and regulatory governance see N Moloney, The Age of ESMA. Governing EU Financial Markets (Hart Publishing, 2018), chapter 3. 25 C Ford, Innovation and the State: Finance, Regulation and Justice (Cambridge University Press, 2017), 194. 26 ESMA, Strategic Orientation 2016–2020 (2015). 27 Supervisory convergence activities accounted for 56% of ESMA’s resources for 2019 (split into 27% for risk assessment and 29% for other activities), as compared to 11% for single rule-book and 33% for direct supervision activities: ESMA, 2019 Work Programme (2018), 7.

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January 2018 application of the behemoth and transformative MiFID II/ MiFIR. As MiFIR II/MiFIR came into force, ESMA deployed a host of executive and operational tools, including contingency planning relating to any adverse impact on critical infrastructures, as well as the guidance and other soft law measures traditionally used to achieve supervisory convergence. ESMA also ‘operationalized’ key political decisions made under MiFIR. March 2018, for example, saw ESMA produce the data required for the application of the novel and controversial MiFIR ‘volume caps’ which limit the availability of certain waivers from MiFIR’s equity market trading transparency requirements. A temporary prohibition by NCAs on the trading of shares of hundreds of EU firms in ‘dark pools,’ or outside public trading venues, followed.28 While this first, market-critical imposition of the MiFIR volume caps was an expression of a political decision earlier articulated in MiFIR, ESMA operationalized the caps, and has continued to do so. ESMA’s Brexit preparations have further intensified its supervisory convergence activities and have included examination of firms’ contingency planning as well as discussion of live re-location issues, advice on trading with UK counterparties, arrangements for data transfer with UK regulators, and decisions on how to manage the data-set on which the MiFID II/MiFIR transparency system is based without the pivotal data-set from the UK market.29 The great weight of supervisory convergence activity by ESMA calls for some form of classification to support examination. ESMA itself has described its multi-faceted agenda in this area as calling on its roles as facilitator, coordinator, coach, and policeman30 – a vivid expression of the different channels through which ESMA can exert influence. Among the most important of the tools ESMA can use under its founding legislation to drive supervisory convergence are: guidelines, opinions, and other soft law; risk assessment; data-gathering – ESMA has become in the last few years a massive repository on EU capital market data flowing from different legislative requirements, including under EMIR, MiFID II/MiFIR, and the Market Abuse Regulation; peer review; and steering colleges of supervisors. In all these ways, ESMA has come to bring a major operational influence on how

28 More than ¾ of the composition of the FTSE-100 was affected by this first set of temporary trading prohibitions which followed ESMA’s 7 March 2018 assessment of trading volumes: P Stafford, ‘Hundreds of European Stocks Barred from Dark Pools,’ Financial Times, 7 March 2018. Since then, others have followed (see recently ESMA’s updating statement of 6 December 2019). 29 ESMA re-adopted a series of earlier contingency measures prior to the October 2019 ‘cliff edge’ for the UK leaving the EU without a deal. For a review see https://www. esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-update-uk%E2%80%99s-withdrawal-euro pean-union-preparations-possible-no-deal-brexit. 30 ESMA, Strategic Orientation 2016–2020 (2015), 14.

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NCAs engage in the practical business of supervision, and thereby to ‘Europeanize’ supervision in manner that looks set to have lasting effects. Whether or not ESMA’s approach is effective is accordingly worth examining. Effectiveness here can be related to whether ESMA is deploying its supervisory convergence powers in a technically informed, responsive, and agile manner, which, while capable of responding to the EU interest, also reflects NCA supervisory experience and is flexible and sensitive to NCA supervisory autonomy and local market conditions, given that supervisory convergence is, ultimately, a coordination/best practice tool. For the most part, ESMA’s approach can be regarded as effective as it balances between the nudging of convergence and the steering of supervisory action; reflects NCA experience and NCA challenge; and can be associated with a technically informed, responsive, and agile approach which should be sustainable. ESMA is also showing some productive agility by means of its ability to adapt and experiment in an incremental and sustainable manner. But as ESMA’s technocratic influence expands, and as it tests and develops its powers, flexibility and responsiveness may leak away and rigid direction may come to replace iterative and flexible convergence. Legitimation raises distinct challenges here. The logic of ESMA’s role in supporting financial market regulatory governance is politically accepted and well established. But the optimal design of EU-level supervision and ESMA’s role in this design remains sharply contested. Financial market supervision is a broadly national competence, reflecting myriad factors including political reluctance to cede sovereignty over supervisory decisions with potential fiscal implications; varying national market structures which drive different political preferences; functional challenges relating to the supervision at EU-level of a vast population of financial market actors; and national technocratic resistance to the loss of supervisory power and to the reputational risks attendant on acting as an operational arm of a central authority.31 But there are powerful forces driving greater EU-level supervisory centralization, including political and institutional interests in securing stronger financial stability and in completing the integration project and achieving CMU – although it is not clear that integration or financial stability demands supervisory centralization. ESMA’s supervisory convergence powers sit, accordingly, on an unstable fault-line running between current national supervisory competences and potential EU-level supervisory centralization. As ESMA incrementally intensifies its influence over national supervision through its supervisory convergence activities, it risks destabilizing this fault-line by placing itself in a vertical relationship with NCAs as a hierarchically superior overseer of national supervision, and by ratcheting down 31 From the extensive literature see, eg, D Howarth and L Quaglia, The Political Economy of European Banking Union (Oxford University Press, 2016).

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national supervisory autonomy. Strains on the legitimation arrangements which are designed to constrain ESMA’s discretion and restrict bureaucratic expansion may therefore arise. This is all the more a risk as, by contrast with its regulatory governance powers, there is very limited proceduralization of ESMA’s supervisory convergence powers – it has significant discretion here. So far, ESMA’s legitimation arrangements appear fit for purpose, however, and are being bolstered by the form of legitimation provided by challenge by the Board of Supervisors, by the significant enhancements to ESMA’s regular reporting on supervisory convergence in recent years, and internal governance changes within ESMA which allow for more oversight of supervisory convergence activities. There are, nonetheless, indications that responsiveness, agility, and flexibility may leach away if ESMA continues to slide into a more hierarchical posture over NCAs through its supervisory convergence activities, with potentially troubling implications for effectiveness and legitimation. This movement may be accelerated given the additional powers ESMA has been given under the 2019 ESA Reform Regulation.32 Alongside ESMA’s supervisory convergence powers sit ESMA’s muchdiscussed but currently limited direct supervision powers. ESMA’s operating environment here is highly constrained. ESMA’s binding supervision powers are dependent on express legislative grant, limited, and, reflecting the material contestation on supervisory centralization, specified in detail by the co-legislators – the context is very different to that of supervisory convergence. ESMA action is also curbed by the legal constraints which apply to agency action, including the Meroni ruling which can be associated with the extensive conditionality and proceduralization which frames ESMA’s binding powers. Additional points of distinction relate to effectiveness and legitimation. Effectiveness here can be related to whether ESMA is deploying its supervisory powers (whether over market participants or NCAs) to ensure compliance with the EU’s single rule-book, in a technically informed, responsive, and agile manner. The evidence is relatively limited, however, particularly as regards ESMA’s market intervention and NCAdirected powers, and so ESMA’s effectiveness is uncertain. Nonetheless, from the evidence available, particularly as regards the supervision of rating agencies and trade repositories, ESMA’s approach to the direct supervision of regulated actors displays the technically expert, responsive, and agile qualities which can be associated with effectiveness in this area. There are also grounds for optimism as regards its more rarely deployed market intervention/NCA powers, arising from the summer 2018 exercise of ESMA’s 32 For further discussion of ESMA’s supervisory convergence powers see N Moloney, The Age of ESMA. Governing EU Financial Markets (Hart Publishing, 2018), chapter four.

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MiFIR product intervention powers, an exercise which was proportionate, data-informed, and supported by NCAs. Further, the incremental conferral of ESMA’s direct supervision powers by the co-legislators has allowed for political and institutional learning and experimentation, and for ESMA, as a new supervisor in a complex setting, to develop its supervisory approach in a sustainable manner informed by experience – making it more likely that effectiveness risks are containable. The direct supervision setting poses distinct challenges for legitimation. The stylised split between political choice (reserved to representative bodies) and technical decision-making (which can be delegated to nonmajoritarian actors) comes under particular stress in financial market supervisory settings generally as supervision requires material operational discretion, has third party effects, can generate fiscal consequences, and can, through signalling effects, have policy consequences. In the ESMA supervision context, legitimation challenges are all the greater given the ongoing political contestation on its role in supervision and the related need to control bureaucratic adventurism. Looked at in the round, however, the matrix of different legitimation mechanisms which apply appear to be structuring ESMA’s discretion, providing adequate accountability, and containing bureaucratic creep. In particular, ESMA’s direct supervisory powers are generally highly proceduralized and its discretion is limited by the legislative provisions which govern its direct supervisory powers.33

VI. The 2019 Reforms and Conclusion EU capital market regulation usually develops in an incremental manner. Nonetheless, shocks and crises can reshuffle political and institutional interests, change priorities, and generate ingenious legal and political solutions to problems previously thought insurmountable. ESMA is a creature of such a shock – that created by the financial crisis. But since then, ESMA has looked set on an incremental trajectory, shaped by ESMA’s own purposeful and ambitious approach to the application of its powers, and by periodic, ad hoc grants of new powers by the co-legislators. Nonetheless, there have recently been grounds for suggesting a more dramatic acquisition of power by ESMA might be on the horizon. The sharpening political and institutional focus on the CMU project, in combination with the 31 January 2020 withdrawal of the UK from the EU, might have been expected to provide a shock that could potentially lead to significant reforms to ESMA. Indeed, the Commission’s 2017 ESA Reform 33 For further discussion of ESMA’s direct supervision powers see N Moloney, The Age of ESMA. Governing EU Financial Markets (Hart Publishing, 2018), chapter five.

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Consultation suggested some appetite for a significant overhaul of ESMA. This potential shift from incrementalism can be associated with the prospect of more limited political resistance to an empowerment of ESMA (given Brexit and the absence of the UK (traditionally sceptical of centralised governance)), the perceived need to shore up the institutional supports for the EU capital market against any Brexit-related instability/liquidity risks, as well as with the current concern to ensure that CMU is not hindered by supervisory inconsistencies and weaknesses.34 The Commission’s original 2017 proposal for ESA reform was relatively ambitious.35 If adopted, the proposal would have materially strengthened ESMA’s powers over NCAs, bringing ESMA decisively into a vertical relationship with NCAs by giving it more extensive executive supervisory powers. There were three main themes to the reforms. As regards governance, the Commission proposed taking certain powers away from the NCAcomposed Board of Supervisors and placing them in a new, technocratic/bureaucratic (non-representative) Executive Board. These powers included the highly sensitive power to take action against NCAs as well as ESMA’s direct supervisory powers. As regards supervision, the Commission proposed giving ESMA an enhanced set of direct supervision powers, including exclusive direct supervisory powers over certain prospectuses and investment funds and over data services providers, and direct powers to request information from market participants and impose sanctions for noncompliance. Finally, the Commission proposed an enhancement of ESMA’s supervisory convergence powers, including a new power to adopt a ‘Strategic Supervisory Plan’ and to require NCAs to align their priorities with it, and the dilution of NCAs’ role in peer review. The Commission also proposed that ESMA’s funding model be changed by means of a new industrybased subvention. This ambitious proposal did not survive the negotiation process. A coalition of different national interests against supervisory centralization, industry resistance (particularly to the funding model reform), and wide-spread institutional and political hostility to the creation of a new bureaucratic Executive Board and the dilution of the power of the representative Board of Supervisors all served to thin out the proposal. The funding proposals were not adopted. The Executive Board reform was not adopted, although some minor enhancements have been made to the powers of the ESMA Chair and to voting procedures, in part designed to facilitate ESMA in taking action against NCAs. Most of the direct supervision powers proposed for ESMA were not adopted, although ESMA has been conferred with new powers to 34 Commission, Consultation on the Operations of the European Supervisory Authorities (2017). 35 COM(2017)536.

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supervise EU critical benchmarks and data services providers as well as, most significantly, third country, systemically important (‘tier two’) CCPs (this power is conferred under EMIR 2.2). ESMA’s soft supervisory convergence powers have, however, been enhanced, including by means of new ESMA powers to establish Coordination Groups for emerging issues, adopt EU Strategic Supervisory Priorities for NCAs, construct an EU Supervisory Handbook, intensify peer review, and adopt ‘no action’ letters for advising the Commission and NCAs when difficulties might arise with EU rules. Finally, ESMA’s role in the Commission-led ‘equivalence’ process – likely to become highly salient with the departure of the UK from the EU – has been significantly enhanced. It is hard to avoid the impression that, for now at least, the Member States are not supportive of any radical strengthening of ESMA. It is revealing that ESMA’s NCA-based governance has not been disturbed. In addition, the moderating proportionality principle has been embedded into ESMA’s governance, including by means of a requirement for a new internal ESMA committee charged with assessing the proportionality of its actions. The grant of direct supervisory powers over third country CCPs by EMIR 2.2 is, nonetheless, a significant development. Its significance should not be overplayed, however, as it is closely connected with the particular political, economic and market risks raised by CCPs and the impact of Brexit, given the dominance of the City in clearing activities. Further, the original EMIR 2.2 proposal to give ESMA significant supervisory authority over EU CCPs (as well as third country CCPs) was very significantly diluted. The ultimately incremental nature of the ESMA reforms, despite the current uncertainties attending the EU capital market, is not unexpected. Member States have long been wary of supervisory centralization outside of the very specific context of Banking Union’s risk-sharing mechanisms. But the seeds of future developments have been planted. The enhancement of ESMA’s supervisory convergence powers will allow ESMA to continue to exert pressure on NCAs’ supervisory practices, moulding them to an EU template. And ESMA’s third country CCP supervision powers, and related increase in funding, will further enhance its status as a direct supervisor, particularly given the complexities and political sensitivities of CCP supervision. Whether or not these limited reforms are optimal remains to be seen. They are certainly pragmatic and reflective of the current political context. They have avoided the risk of enhancing ESMA’s powers radically at a point when its legitimation might be coming under some pressure. And incrementalism has proved an effective operating model for ESMA reform since 2011. But questions remain as to the resilience of ESMA’s legitimation arrangements. In particular, the opportunity has been missed to consider whether additional legitimating structures, such as an oversight body, are necessary.

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Now is not the time for further reform. How ESMA will apply its new powers, particularly as regards third country CCPs, remains to be seen. The impact of Brexit on the EU capital market and on international capital flows into the EU is not yet clear. Political and institutional interests are still in flux, particularly with a new Commission and European Parliament, and with Member States’ interests still being reshuffled and highly dynamic as the different implications of Brexit emerge. The relationship between ESMA and the ECB/SSM is still evolving. Accordingly, the time is not ripe for further reform. It is, however, ripe for careful observation. And the Council and Parliament could usefully exert their accountability-based oversight powers to ensure that ESMA’s actions are appropriately legitimated as ESMA tests its new powers and expands its influence over EU capital markets.

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Bilanzielle Voraussetzungen und Folgen beim Erwerb von Anteilen an der herrschenden Kapitalgesellschaft durch die abhängige Kapitalgesellschaft FALK MYLICH

I. Einleitung Der Erwerb eigener Anteile gehört zur gängigen Geschäftspraxis von Unternehmen mit und ohne Kapitalmarktbeziehung1. Eine besondere Spielart ist der Erwerb von Geschäftsanteilen bzw. Aktien an der herrschenden Gesellschaft durch eine abhängige Gesellschaft2. Während das AktG den Erwerb eigener Aktien in den §§ 71 ff. ausführlich regelt und in § 71d S. 2 AktG auch auf den Erwerb durch ein abhängiges Unternehmen eingeht, gibt es im GmbHG mit § 33 nur eine Vorschrift, die einige Grundlagen regelt. Für die erwerbende abhängige Gesellschaft regelt § 272 Abs. 4 HGB nur den Bilanzausweis. In der Literatur wird lediglich diskutiert, bei welchem Rechtsträger freie Rücklagen im Erwerbszeitpunkt vorhanden sein müssen. Im vorliegenden Beitrag soll nachgewiesen werden, dass es sich auch beim Erwerb durch einen abhängigen Rechtsträger um ein Kapitalschutzproblem bei der herrschenden Gesellschaft handelt. Das Vermögen des abhängigen Rechtsträgers ist nur partiell betroffen. Darauf aufbauend stellen sich vielfältige Fragen zu den bilanziellen Erwerbsvoraussetzungen, zum bilanziellen Ausweis bei Mutter- und Tochtergesellschaft, zur Folgebewertung und zu Besonderheiten beim Erwerb von Anteilen an einer Konzerngesellschaft, wenn eine Zwischengesellschaft existiert. Auf weitere praktische Fragen und wissenschaftliche Perspektiven wird am Schluss des Beitrags hingewiesen. 1 Zu den Motiven zum Erwerb eigener Anteile ausführlich BENCKENDORFF, Der Erwerb eigener Aktien im deutschen und US-amerikanischen Recht, 1998, S. 49 ff., 60 ff., 68 ff.; JOHANNSEN-ROTH, Der Erwerb eigener Aktien, 2001, S. 29 ff., 47 ff., 56 ff.; MERKT, Großkomm. z. AktG, Bd. 3/2, 5. Aufl., 2017, § 71 Rdn. 16 ff.; OECHSLER, Münchener Komm. z. AktG, Bd. 1, 5. Aufl., 2019, § 71 Rdn. 1 ff.; aus der Perspektive einer GmbH z.B. LÖWISCH, Münchener Komm z. GmbHG, Bd. 1, 3. Aufl., 2018, § 33 Rdn. 21 f.; zu den steuerlichen Vorzügen und Rechtsfragen z.B. LÖWISCH, a.a.O., § 33 Rdn. 149 ff.; WIESE/ LUKAS, GmbHR 2014, 238 ff. 2 BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 269; CAHN, Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S. 151; HOMMELHOFF, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., 2020, § 33 Rdn. 40; JOHANNSEN-ROTH (Fn. 1), S. 241.

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II. Ausgangslage 1. Der Erwerb eigener Anteile Der Erwerb eigener Anteile bedarf einer besonderen Regelung, weil Vermögen an sich selbst erworben wird3, dessen Wertentwicklung an die Wertentwicklung der Gesellschaft gekoppelt ist und somit in deren Insolvenz zur Wertlosigkeit führt4. a) Der Erwerb eigener Aktien Gem. § 71 Abs. 2 S. 2 AktG muss die AG in Höhe des Erwerbspreises eine Rücklage bilden können, ohne dass das Grundkapital, die gesetzliche Rücklage und lt. Satzung zu bildende Rücklagen geschmälert werden dürfen. Der etwas sperrige Wortlaut beruht darauf, dass es nicht auf freie Rücklagen im letzten Jahresabschluss5, sondern auf freie Rücklagen in einer zum Zeitpunkt des Rückerwerbs aufgestellten (fiktiven6) Bilanz ankommt7. Anders als bei unterjährigen Ausschüttungen in der GmbH8 bedarf es nicht einer späteren Rechtfertigung durch einen ausgeglichenen Jahresabschluss9. Seit dem Wechsel vom Brutto- zum Nettoausweis der eigenen Anteile durch das BilMoG im Jahr 2009 sind die eigenen Aktien nicht mehr zu aktivieren10. Gem. § 272 Abs. 1a S. 1 HGB ist der Nennbetrag um den Nennbetrag der eigenen Aktien zu kürzen; der Nennbetrag für die eigenen Aktien ist in der Vorspalte offen abzusetzen. Die Differenz zwischen dem Erwerbspreis 3 BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 84 ff.; CAHN (Fn. 2), S. 151; JOHANNSEN-ROTH (Fn. 1), S. 66 ff. 4 GELHAUSEN, FS Baetge, 2007, S. 189, 194; i.E. auch JOHANNSEN-ROTH (Fn. 1), S.69 5 Auf diesen kann z.B. bei einer nominellen Kapitalerhöhung zurückgegriffen werden; § 209 Abs. 1 AktG, § 57f GmbHG. 6 Es bedarf nicht der Aufstellung einer „echten“ Zwischenbilanz; der Aufwand wäre zu hoch; JOHANNSEN-ROTH (Fn. 1), S. 207. 7 OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 143; LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 68; MERKT (Fn. 1), § 71 Rdn. 333; OECHSLER (Fn. 1), § 71 Rdn. 349. 8 In der AG sind unterjährige Ausschüttungen nicht möglich; ADLER/DÜRING/ SCHMALTZ, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Tbd. 5, 6. Aufl., 1997, § 268 Rdn. 24; HUECK, ZGR 1975, 133, 138. 9 MERKT (Fn. 1), § 71 Rdn. 333; OECHSLER (Fn. 1), § 71 Rdn. 349 mit dem Schlagwort „Stichtagsprinzip“ ohne näheres Eingehen auf das Problem. Der Unterschied zur unterjährigen Ausschüttung liegt darin, dass der Aktionär seine Stellung endgültig verliert. Das Argument wird aber wieder nivelliert, wenn von allen Aktionären in gleicher Höhe Anteile zurückerworben werden; m.E. zu sehr die Unterschiede betonend HÜTTEMANN, FS Herzig, 2010, S. 595, 597 f. 10 Erhebliche Kritik an der früheren Rechtslage bei BEZZENBERGER, Erwerb eigener Aktien durch die AG, 2002, S. 72 ff. Rdn. 88 ff.; zur praktisch relevanten Folge der Uneinbringlichkeit einer Einlage siehe KROPFF, ZIP 2009, 1137, 1138 f.

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und dem Nennbetrag für die eigenen Anteile ist gem. § 272 Abs. 1a S. 2 HGB mit den frei verfügbaren Rücklagen zu verrechnen. Die verbleibende Differenz in Höhe des offen abgesetzten Nennbetrags der erworbenen eigenen Aktien ist nach herrschender Meinung in eine zweckgebundene Rücklage einzustellen, die vor der Veräußerung der eigenen Anteile nicht ausgeschüttet werden kann. Dafür wird eine Analogie zu § 237 Abs. 5 AktG herangezogen11. b) Erwerb eigener GmbH-Anteile Eine GmbH kann eigene Anteile nach den Vorgaben des § 33 GmbHG erwerben. Wie bei § 71 Abs. 2 S. 2 AktG muss der Erwerb gem. § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG aus freiem Vermögen finanziert werden12 Wie im Aktienrecht kommt es auf das freie Vermögen nur im Zeitpunkt des Erwerbs an13. Erworbene GmbH-Anteile sind wie eigene Aktien gem. § 272 Abs. 1a HGB nach dem Netto-Prinzip auszuweisen14. Auch hier ergibt sich ein Differenzbetrag in Höhe des abgesetzten Nennbetrags. Die Notwendigkeit einer Sonderrücklage wird z.T. wegen des umfassenden Charakters von § 30 GmbHG in Frage gestellt15. 2. Der Erwerb von Anteilen am herrschenden Unternehmen Beim Erwerb von Anteilen an der herrschenden Gesellschaft besteht das Kapitalschutzrisiko in gleicher Weise wie beim Erwerb eigener Anteile16. a) Die abhängige AG bzw. GmbH erwirbt Anteile an der sie beherrschenden AG Gem. § 71d S. 2 AktG kann ein abhängiges oder im Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen Anteile an der beherrschenden AG nur erwerben, wenn die Voraussetzungen von § 71 AktG erfüllt sind. § 71d AktG will Umgehungen vermeiden und bezieht sich auf die herrschende AG17. Die 11 HÜTTEMANN, FS Herzig, 2010, S. 595, 601 f.; ebenso, aber ohne Vorschrift KROPFF, ZIP 2009, 1137, 1141 f. 12 LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 67 ff. 13 LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 84; zum Zeitpunkt bei gestreckten Tatbeständen Lieder, GmbHR 2014, 57, 65 ff.; LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 77 ff. 14 LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 144. 15 KROPFF, ZIP 2009, 1137, 1143; LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 145; MOCK, in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2018, § 272 Rdn. 93; SCHIFFERS, GmbHR 2014, 79, 80; allgemein zum freiwerdenden Stammkapital beim Nettoausweis HÜTTEMANN/MEYER, Großkomm z. HGB, Bd. 5, 5. Aufl., 2014, § 272 Rdn. 20. 16 EMMERICH/HABERSACK, Konzernrecht, 11. Aufl., 2020, § 5 Rdn. 4 f.; HOMMELHOFF (Fn. 2), § 33 Rdn. 40. 17 CAHN (Fn. 2), S. 197 f.

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Vorschrift hat nicht die abhängige AG selbst im Blick18. Für die abhängige AG ergibt sich aus § 272 Abs. 4 S. 1, 2 HGB, dass eine Rücklage in Höhe des Erwerbsaufwandes zu bilden ist. In der Konsequenz sind die Anteile am herrschenden Unternehmen zu aktivieren19. § 272 Abs. 4 S. 3 HGB besagt zudem, dass diese Rücklage aus frei verfügbaren Rücklagen zu bilden ist. Es ist unklar, warum ein freier Betrag im Zeitpunkt des Erwerbs bei der herrschenden Gesellschaft vorhanden sein muss, jedoch die gebundene Rücklage bei der abhängigen Gesellschaft zu bilden ist20. Das wird dadurch gelöst, dass sowohl von der herrschenden AG als auch von der abhängigen Gesellschaft erwartet wird, dass sie über freies Vermögen im Zeitpunkt des Erwerbs verfügt21. Hingegen soll es dabei bleiben, dass die ausschüttungsgesperrte Rücklage ausschließlich bei der abhängigen Gesellschaft zu bilden ist22. Die Ausführungen gelten sowohl für die AG als auch für die GmbH als abhängige Gesellschaft, die Anteile an der herrschenden AG erwirbt. b) Die abhängige GmbH bzw. AG erwirbt Anteile an der sie beherrschenden GmbH Im GmbHG fehlt eine Regelung wie in § 71d S. 2 AktG, die einen Erwerb von GmbH-Anteilen durch eine abhängige Gesellschaft den Voraussetzungen wie bei der herrschenden GmbH selbst unterwirft23. Ein im Zuge der GmbH-Reform 1980 geplanter umfassender § 33 Abs. 3 GmbHG zur Erfassung von abhängigen Gesellschaften ist nicht Gesetz geworden24. Daher wird beim Erwerb von Anteilen einer GmbH durch eine von ihr abhängige Gesellschaft angenommen, dass die freien Mittel bei der abhängigen Gesellschaft vorliegen müssen25. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass ein Ver18 DRYGALA, Kölner Komm. z. AktG, 3. Aufl., 2008, § 71d Rdn. 40; MERKT (Fn. 1), § 71d Rdn. 56; OECHSLER (Fn. 1), § 71d Rdn. 47; a.A. BURGARD, AG 2006, 527, 535 f. 19 HÜTTEMANN/MEYER (Fn. 15), § 272 Rdn. 66. 20 CAHN, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., 2019, § 71d Rdn. 43; DRYGALA (Fn. 18), § 71d Rdn. 41; KROPFF, Münchener Komm. z. Bilanzrecht, 2013, § 272 Rdn. 208; gegen die Kritik OECHSLER (Fn. 1), § 71d Rdn. 47. 21 BEZZENBERGER, in: Schmidt/Lutter, AktG, Bd. 1, 3. Aufl., 2015, § 71d Rdn. 18; BURGARD, AG 2006, 527, 535 f.; KROPFF, ZIP 2009, 1137, 1142; KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 208; wohl auch CAHN (Fn. 20), § 71d Rdn. 45; wohl a.A. MOCK (Fn. 15), § 272 Rdn. 232; OECHSLER (Fn. 1), § 71d Rdn. 47. 22 MERKT (Fn. 1), § 71d Rdn. 56. 23 PAURA, in: Ulmer/Habersack/Löbbe, Großkomm. z. GmbHG, Bd. II, 2. Aufl., 2014, § 33 Rdn. 110 ff. 24 EMMERICH, NZG 1998, 622, 624; PAURA (Fn. 23), § 33 Rdn. 112; RAMMING, Wechselseitige Beteiligungen außerhalb des Aktienrechts, 2005, S. 41. 25 ALTMEPPEN, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl., 2019, Rdn. 44; HOMMELHOFF (Fn. 2), § 33 Rdn. 45; LÖWISCH (Fn. 1), § 33 Rdn. 161; WESTERMANN, in: Scholz, GmbHG, Bd. 1, 12. Aufl., 2018, § 33 Rdn. 21; wohl auch THIESSEN, in: Bork/Schäfer, GmbHG, 4. Aufl., 2019, § 33 Rdn. 96.

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stoß gegen § 30 GmbHG bei der Obergesellschaft dann vorliegen könne, wenn deren Gesellschafter eine übermäßige Vergütung von der Untergesellschaft für den Anteil erhalten würden26. Mit Blick auf die gescheiterte Übernahme der aktienrechtlichen Vorschriften will eine andere Ansicht § 33 Abs. 2 GmbHG unter Rückgriff auf §§ 19, 328 AktG anwenden, wenn mehr als 25% der Anteile erworben werden27. Eine fundamental andere Ansicht sieht auch die Vermögensinteressen des herrschenden Unternehmens als gefährdet an und fordert sowohl bei diesem als auch beim erwerbenden abhängigen Unternehmen ein Vorhandensein freier Mittel28. Noch anders stellt Cahn die Dinge dar. Nach seiner Auffassung ist § 33 Abs. 2 GmbHG auf die beherrschende GmbH anzuwenden29, während § 71 Abs. 2 S. 2 AktG bzw. § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG auf die abhängige Gesellschaft nur in Höhe ihrer mittelbaren Eigenbeteiligung anwendbar sein sollen30. 3. Zwischenfazit Ist eine AG beherrschendes Unternehmen, regelt § 71d S. 2 AktG, dass die Kapitalschutzregelungen zum Erwerb eigener Aktien auch dann auf sie anwendbar sind, wenn eine von ihr abhängige Gesellschaft ihre Aktien erwirbt. Ist eine GmbH herrschendes Unternehmen, fehlen Regelungen für den Fall, dass eine von ihr abhängige Gesellschaft Anteile an ihr erwirbt. Für die abhängige Gesellschaft finden sich in § 272 Abs. 4 HGB rechtsformneutrale Regeln zum bilanziellen Ausweis der erworbenen Anteile am herrschenden Rechtsträger. Alles andere ist ungeklärt.

III. Problemaufriss Die Lösungen zum Erwerb eigener Anteile und zum Erwerb von Anteilen an einer beherrschenden Gesellschaft sind widersprüchlich. Bei eigenen Anteilen wird erkannt, dass Vermögen an die Gesellschafter ohne adäquate Gegenleistung gegeben wird31. Es handelt sich dabei um eine Ausschüttung32

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ALTMEPPEN (Fn. 25), Rdn. 44; PAURA (Fn. 23), Rdn. 120. So wohl KERSTIN SCHMIDT, Wechselseitige Beteiligungen im Gesellschafts- und Kartellrecht, 1995, S. 82 ff.; weitere Nachweise bei EMMERICH, NZG 1998, 622, 625 Fn. 21; es bedarf wechselseitig von mindestens 25% Beteiligung am anderen Rechtsträger, aber 25% genügen auch. 28 BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 273; BURGARD, AG 2006, 527, 534; KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 210; RAMMING (Fn. 24), S. 46; ablehnend JOHANNSEN-ROTH (Fn. 1), S. 249. 29 CAHN (Fn. 2), S. 203 ff., 209. 30 CAHN (Fn. 2), S. 208 f. 31 Siehe oben unter II)1). 32 BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 231; BEZZENBERGER, ZHR 180 (2016), 8, 11. 27

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und daneben eine Auseinandersetzung33. Die § 71 Abs. 2 S. 2 AktG bzw. § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG stellen darauf ab, dass ausreichend freies Vermögen vorhanden ist, d.h. dass im konkreten Zeitpunkt der Betrag auch als Gewinn ausgeschüttet werden könnte. Erwirbt eine abhängige Gesellschaft die Anteile, wird ebenfalls Vermögen des herrschenden Rechtsträgers verwendet34. Es ist gleichgültig, ob der Rechtsträger eigene Barmittel, von abhängigen Gesellschaften vereinnahmte Barmittel, Vermögensgegenstände (dazu gehört auch eine Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft) oder eben Vermögen abhängiger Gesellschaften weggibt. Es geht um den bilanziellen Zustand bei ihm, sodass es zunächst nicht auf freies Vermögen bei der abhängigen Gesellschaft ankommen kann35. Die abhängige Gesellschaft erwirbt mit den Anteilen am herrschenden Rechtsträger einen Vermögensgegenstand, dessen Wert unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ist36. In einer Insolvenz der abhängigen Gesellschaft können die Anteile am herrschenden Unternehmen durchaus verwertet werden. In der Insolvenz der abhängigen Gesellschaft wertlos und daher beim Erwerb herauszurechnen ist lediglich der Anteil, den das Vermögen der abhängigen Gesellschaft am gesamten Vermögenswert des herrschenden Rechtsträgers ausmacht37. Die vorangehenden Überlegungen zum Kapitalschutz müssen bei der folgenden Bilanzierung beachtet werden. Die ausschüttungsgesperrte Rücklage ist bei dem Rechtsträger (anteilig) zu bilden, bei dem es zu einer Weggabe von Vermögen kommt.

IV. Theoretische Konzeption des Kapitalschutzes 1. Vermögensschutz beim herrschenden Rechtträger Die herrschende Gesellschaft muss entsprechende freie Mittel haben, dass sie auch selber die Anteile hätte erwerben können. Verfügt sie nicht über die entsprechenden Mittel, ist zu überlegen, ob bzw. inwieweit freie Mittel beim abhängigen Rechtsträger ausreichend sind, wenn diese hypothetisch dem herrschenden Rechtsträger hätten zugeführt werden können.

33 BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 85 f.; BEZZENBERGER, ZHR 180 (2016), 8, 12; MÜLLER/ REINKE, DStR 2015, 1127, 1128 f. 34 OECHSLER (Fn. 1), § 71d Rdn. 47. 35 OECHSLER (Fn. 1), § 71d Rdn. 47. 36 BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 269; CAHN (Fn. 2), S. 171 f.; RAMMING (Fn. 24), S. 50. 37 RAMMING (Fn. 24), S. 50.

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2. Vermögensschutz beim abhängigen Rechtsträger Der abhängige Rechtsträger erwirbt Anteile am herrschenden Rechtsträger. Aus der Perspektive der erwerbenden abhängigen Gesellschaft besteht das Vermögen des herrschenden Rechtsträgers aus zwei Komponenten: Der Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft und am Restvermögen38. a) Das sonstige Vermögen der herrschenden Gesellschaft Als sonstiges Vermögen ist das gesamte Vermögen des herrschenden Rechtsträgers zu bezeichnen mit Ausnahme seiner Beteiligung am abhängigen Rechtsträger. In dieser Höhe erhält die abhängige Gesellschaft einen vollen Gegenwert für den Anschaffungsaufwand. Die Wertentwicklung dieses Vermögensbestandteils ist unabhängig von der Wertentwicklung der abhängigen Gesellschaft selbst. b) Der Eigenwert Aus der Perspektive der abhängigen Gesellschaft und ihrer Gläubiger muss der eigene Wert herausgerechnet werden. Das ist mit folgendem Beispiel zu belegen: Die M-GmbH ist zu 100% an der T-GmbH beteiligt. Die T-GmbH erwirbt 5% der Anteile an der M-GmbH. Im Moment des Erwerbs macht die T-GmbH 20% des Wertes der M-GmbH aus. Ist also im Erwerbszeitpunkt die M-GmbH 100 Millionen € wert, beträgt der Wert der T-GmbH 20 Millionen €. 5% der Anteile haben einen Wert von 5 Millionen € bzw. ohne die T-GmbH 4 Millionen €. Zahlt die T-GmbH an den Veräußerer somit 5 Millionen €, muss in Höhe von 1 Millionen € ein Sonderposten ausgewiesen werden, denn das ist jener Wertanteil, den die TGmbH selber ausmacht. c) Die Ermittlung des Eigenwertes Unklar ist, wie der quotale Eigenwert zu bestimmen ist. So kann es sein, dass die Beteiligung an der abhängigen Kapitalgesellschaft in der Bilanz der herrschenden Gesellschaft nur 5% des Vermögens ausmacht, während sie tatsächlich 15% ihres Vermögens ausmacht. Genauso kann die Beteiligung an der abhängigen Kapitalgesellschaft einen hohen Anteil des Bilanzvermögens ausmachen, jedoch tatsächlich nur einen geringen Bruchteil betragen. Für den tatsächlichen Wert spricht, dass nach diesem Maßstab gezahlt wird. Die Besonderheit, dass es sich beim Erwerb von Anteilen an der beherrschenden Kapitalgesellschaft um eine (mittelbare) Vermögensausschüttung sowohl der herrschenden als auch der abhängigen Gesellschaft an ihre Ge38

So auch CAHN (Fn. 20), § 71d Rdn. 46.

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sellschafter handelt, spricht hingegen für einen Rückgriff auf die Bilanzwerte. Die tatsächlichen Werte beruhen auf Prognosen. Aus Gründen des effektiven Gläubigerschutzes sind daher beide Werte zu ermitteln. Der höhere Beteiligungswert sollte entscheidend sein39. 3. Fazit Theoretisch muss beim Erwerb von Anteilen am beherrschenden Rechtsträger der Kapitalschutz wie folgt funktionieren: Die Beteiligung an der herrschenden Gesellschaft ist gedanklich aufzuspalten. Die Anteile haben einen von der Entwicklung der abhängigen Gesellschaft unabhängigen Wert, soweit der Wert der Beteiligung am abhängigen Rechtsträger rausgerechnet wird. Insoweit gibt es keine Kapitalschutzregeln und keinen Sinn, eine ausschüttungsgesperrte Rücklage beim abhängigen Rechtsträger zu bilden. Hinzu kommt ein Wert, der dem Wert des abhängigen Rechtsträgers entspricht (Eigenwert der abhängigen Gesellschaft). Insoweit muss der abhängige Rechtsträger über ungebundenes Vermögen verfügen oder bezuschusst werden40. In dieser Höhe ist eine ausschüttungsgesperrte Rücklage zu bilden41. Der herrschende Rechtsträger muss über freies Vermögen im Gesamtwert der vom abhängigen Rechtsträger erworbenen Anteile verfügen.

V. Rechtliche Umsetzung 1. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben für den Erwerb a) Das maximal nötige freie bilanzielle Vermögen im Konzern Der Kapitalschutz bei der herrschenden Gesellschaft wird über § 71d S. 2 AktG erreicht, dessen Rechtsgedanke auch im GmbH-Recht anwendbar ist. § 71 Abs. 2 S. 2 AktG bzw. § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG finden entsprechende Anwendung, wenn ein abhängiges oder im Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen die Anteile erwirbt. Beim abhängigen Rechtsträger können § 71 Abs. 2 S. 2 AktG bzw. § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG direkt herangezogen werden, soweit mittelbar eine Eigenbeteiligung erworben wird. Uneingeschränkt würde diese Rechnung dazu führen, dass beim herrschenden Rechtsträger freie Mittel in Höhe des Erwerbspreises vorhanden sein müssen, während bei der erwerbenden abhängigen Gesellschaft freie Mittel in 39 Dadurch lassen sich auch die Bedenken von CAHN (Fn. 20), § 71d Rdn. 46 entkräften, dass ein doppelter Kapitalschutz mangels praktikabler Möglichkeit zur zutreffenden Ermittlung des Eigenwertes der abhängigen Gesellschaft nötig sei. 40 RAMMING (Fn. 24), S. 50. 41 A.A. RAMMING (Fn. 24), S. 51: In voller Höhe.

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Höhe der mittelbaren Eigenbeteiligung vorhanden sein müssen. Diese doppelte Berücksichtigung der Mittel in Höhe der mittelbaren Eigenbeteiligung ist überflüssig. Das ergibt sich aus der Überlegung, dass beim Erwerb der eigenen Anteile durch das herrschende Unternehmen selbst und der unentgeltlichen Weitergabe an die Tochtergesellschaft die freien Mittel auch nur einmal beim erwerbenden herrschenden Unternehmen selbst vorhanden sein müssen. b) Die Aufteilung der freien Mittel auf die einzelnen Konzerngesellschaften Der herrschende Rechtsträger muss daher mindestens über freie Mittel in Höhe des Erwerbspreises abzüglich des anteiligen Wertes der erwerbenden abhängigen Gesellschaft verfügen. Die abhängige erwerbende Gesellschaft muss mindestens über freie Mittel in Höhe des Wertes ihrer mittelbaren Eigenbeteiligung verfügen. Diese Mittel könnten schließlich dem herrschenden Rechtsträger zugeleitet werden, damit dieser die eigenen Anteile erwirbt und sie an die abhängige Gesellschaft weiterreicht. Um Manipulationen auszuschließen, darf es sich bei den freien Mittel nur um Gewinnrücklagen bzw. einen Jahresüberschuss handeln42. Der Wortlaut von § 71 Abs. 2 S. 2 AktG kann insoweit berichtigend ausgelegt werden, weil er nur über den Verweis von § 71d S. 2 AktG angewendet wird. Für § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG gilt das erst recht. c) Zwischenfazit Die herrschende Gesellschaft muss über freies Vermögen in Höhe des Betrags verfügen, den das abhängige Unternehmen als Erwerbspreis zahlt. Das abhängige Unternehmen muss über freies Vermögen in der Höhe verfügen, soweit sich sein eigener Wert in den Anteilen am herrschenden Unternehmen widerspiegelt. Das freie Vermögen des herrschenden Unternehmens kann um diesen Betrag gemindert sein. d) Sonderkonstellation: Satzungsvorgaben zur Bildung ausschüttungsgesperrter Rücklagen bei der herrschenden Gesellschaft Gibt es bei der herrschenden Gesellschaft eine Satzungsklausel, die zur Bildung ausschüttungsgesperrter Rücklagen zwingt, muss diese bei der Zu42 Andernfalls könnte die herrschende Gesellschaft eine Leistung in das Kapital einer existenten Tochtergesellschaft erbringen, § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Für das herrschende Unternehmen ist der Vorgang neutral, weil insoweit die Beteiligung um die nachträglichen Anschaffungskosten erhöht wird. Die abhängige Gesellschaft hat aber nunmehr Ausschüttungspotential.

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sammenrechnung der freien Beträge beachtet werden. Zwar könnte die abhängige Gesellschaft ihre freien Mittel dem herrschenden Rechtsträger zuleiten, doch würde eben nicht der gesamte Betrag zur Ausschüttung zur Verfügung stehen. Die Formel aus dem Zwischenergebnis ist insoweit zu modifizieren: Das freie Vermögen des herrschenden Unternehmens kann um diesen Betrag (d.h. dem anteiligen Eigenwert der abhängigen Gesellschaft) gemindert sein, soweit eine Ausschüttung aus ungebundenem Vermögen der abhängigen Gesellschaft zu ungebundenem Vermögen bei der herrschenden Gesellschaft führt. e) Sonderkonstellation: Kein freies Vermögen bei der abhängigen Gesellschaft Fehlen bei der abhängigen Gesellschaft freie Rücklagen, scheitert ein Erwerb dennoch nicht, wenn das herrschende Unternehmen ausreichend freie Mittel zur Verfügung hat. Es könnte die Anteile an sich selbst erwerben und anschließend der abhängigen Gesellschaft unentgeltlich zukommen lassen. Zahlt die abhängige Gesellschaft den Erwerbspreis für die Anteile an der herrschenden Gesellschaft, müssen nur bei der herrschenden Gesellschaft in dieser Höhe freie Rücklagen vorliegen. Fehlen freie Rücklagen bei der abhängigen Gesellschaft in Höhe des Eigenwertes, genügt eine Kompensationszahlung durch das herrschende Unternehmen, der auch bei einer Unterbilanz oder gar einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in der (Zwischen-)Bilanz der abhängigen Gesellschaft im folgenden Jahresabschluss in eine Rücklage gem. § 272 Abs. 4 HGB einzustellen ist. Beim herrschenden Unternehmen handelt es sich um nachträgliche Anschaffungskosten, die im folgenden Jahresabschluss den Beteiligungsausweis erhöhen. Manipulationen sind in der vorliegenden Konstellation ausgeschlossen, weil der Erwerbspreis in voller Höhe durch ungebundenes Vermögen bei der herrschenden Gesellschaft im Erwerbszeitpunkt gedeckt war43. f) Sonderkonstellation: Kein freies Vermögen der herrschenden Gesellschaft Fehlt es bei der herrschenden Gesellschaft an freiem Vermögen, kann ausreichend ungebundenes Vermögen beim abhängigen Rechtsträger nicht genügen. Schließlich muss bei der herrschenden Gesellschaft durch den Ausgleich vorgetragener Verluste erst einmal ein bilanzieller Zustand hergestellt werden, der Ausschüttungen und den Erwerb eigener Anteile zulässt. In Betracht kommt jedoch eine unterjährige Ausschüttung in der Höhe, dass beim herrschenden Unternehmen ein bilanzieller Zustand hergestellt wird, der den Erwerb der eigenen Anteile zulässt. Die unterjährige Ausschüttung 43

Dadurch unterscheidet sich die Konstellation zu jener in Fn. 42.

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hat nur vorläufigen Charakter. Verschlechtert sich der bilanzielle Zustand der abhängigen Gesellschaft, muss der Betrag zurückgezahlt werden44. Auch funktioniert die unterjährige Ausschüttung nur bei einer abhängigen GmbH, nicht jedoch bei einer abhängigen AG45. Wenn mit Recht auch der vorsichtig geschätzte aufgelaufene Gewinn noch nicht als freies Vermögen einbezogen werden darf46, können auch unterjährige Ausschüttungen der abhängigen Gesellschaft nicht in die Berechnung des bilanziellen Vermögens der herrschenden Gesellschaft einzubeziehen. g) Ergebnis und Formel für den Kapitalschutz im Erwerbszeitpunkt (1) Das herrschende Unternehmen muss über freies Vermögen in einer fiktiven Zwischenbilanz in Höhe des Betrags verfügen, den das abhängige Unternehmen als Erwerbspreis zahlt. Eine unterjährige Ausschüttung einer abhängigen Gesellschaft kann dem freien Vermögen noch nicht hinzugerechnet werden. (2) Das abhängige Unternehmen muss über freies Vermögen in der Höhe verfügen, soweit sich sein eigener Wert in den Anteilen am herrschenden Unternehmen widerspiegelt. (3) Das freie Vermögen des herrschenden Unternehmens kann um diesen Betrag (d.h. dem anteiligen Eigenwert der abhängigen Gesellschaft) gemindert sein, soweit eine Ausschüttung aus ungebundenem Vermögen der abhängigen Gesellschaft möglich ist und zu ungebundenem Vermögen bei der herrschenden Gesellschaft führt. (4) Fehlt es bei der abhängigen Gesellschaft an freiem Vermögen in Höhe des anteiligen Eigenwerts, kann der entsprechende Anteil am Erwerbspreis für die Anteile am herrschenden Unternehmen durch eine Zahlung des herrschenden Unternehmens in das Vermögen der abhängigen Gesellschaft ausgeglichen werden. 2. § 272 Abs. 4 HGB als Grundlage des bilanziellen Ausweises § 272 Abs. 4 HGB statuiert, dass für Anteile am herrschenden Rechtsträger eine Rücklage in Höhe der Erwerbskosten zu bilden ist. Anders als der Kapitalschutz im Erwerbszeitpunkt bezieht sich diese Bilanzierungsregel auf den folgenden Bilanzstichtag47. Die Vorschrift hinterlässt offene Fragen. a) Rechtsträger, bei dem die Rücklage zu bilden ist In 272 Abs. 4 S. 1 HGB heißt es, dass für Anteile am herrschenden Unternehmen eine Rücklage zu bilden ist. Dem Sinnzusammenhang nach soll wohl auf den erwerbenden abhängigen Rechtsträger abgestellt wer44 45 46 47

EKKENGA, Münchener Komm. z. GmbHG, Bd. 1, 3. Aufl., 2018, § 29 Rdn. 99. Siehe Nachweise in Fn. 8. Zutreffend KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 68, 71; a.A. RIECKERS, ZIP 2009, 700, 703. KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 214 i.V.m. 208.

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den48, doch auch die herrschende Gesellschaft kommt dem Wortlaut nach als Adressat für die Rücklagenbildung in Betracht49. Die Systematik spricht nicht zwingend für einen Ausweis beim abhängigen Rechtsträger. Zwar statuiert beim Erwerb eigener Anteile § 272 Abs. 1a HGB mit dem Nettoausweis die Ausbuchung des aufgewendeten Betrags, die Auflösung der Rücklage und das offene Absetzen des anteiligen Nennkapitalbetrags in der Vorspalte, jedoch betrifft das den Fall, dass das herrschende Unternehmen selbst den Erwerbsbetrag aufgewendet hat. In unserem Fall hat die abhängige Gesellschaft den Erwerbsaufwand geleistet. b) Höhe der Rücklage In § 272 Abs. 4 S. 2 HGB heißt es, dass die Rücklage in Höhe der aktivierten Beträge für die Anteile am herrschenden Unternehmen zu bilden ist. Auch hier deutet der Zusammenhang darauf hin, dass es sich um die abhängige Gesellschaft handeln muss, jedoch kann der Wortlaut auch so verstanden werden, dass die Rücklage beim herrschenden Rechtsträger zu bilden ist. Denkbar ist ebenfalls die Aufteilung der Rückklage partiell beim herrschenden und abhängigen Rechtsträger mit dem Ergebnis, dass nur insgesamt der Erwerbswert für die Anteile am herrschenden Rechtsträger abgebildet werden muss. c) Herkunft der Rücklage In § 272 Abs. 4 S. 3 HGB heißt es, dass die Rücklage aus freien Rücklagen gebildet werden darf. Gebundene Rücklagen kommen nicht in Betracht. Daraus ergibt sich, dass ein Jahresüberschuss nicht verwendet werden kann, wenn er zunächst zum Ausgleich eines Verlustvortrags bei bestehender Unterbilanz verwendet werden muss. Ist die Bilanz ausgeglichen, kann gewählt werden, ob freie Rücklagen umgebucht oder ein Jahresüberschuss verwendet wird50. Das Wahlrecht ist zumindest insoweit unbedenklich, soweit es der Gesellschafterversammlung bzw. der Hauptversammlung überlassen wird. Besteht zwischen den Gesellschaften ein Unternehmensvertrag, dürfen – wenn eine Legitimation durch Beschluss der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung besteht – auch vorvertragliche Rücklagen herangezogen werden51. 48 So die gesamte Literatur, z.B. BEZZENBERGER (Fn. 21), § 71d Rdn. 18; DRYGALA (Fn. 18), § 71d Rdn. 39; HOMMELHOFF (Fn. 2), § 33 Rdn. 47; KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 208; PAURA (Fn. 23), § 33 Rdn. 104; RAMMING (Fn. 24), S. 51. 49 Ausdrücklich a.A. RAMMING (Fn. 24), S. 51: Eindeutiger Wortlaut. 50 KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 216; KÜHNBERGER, BB 2011, 1387, 1389; RIECKERS, ZIP 2009, 700, 703. 51 So auch STÖRK/KLIEM/MEYER, Beck’scher Bilanzkomm., 12. Aufl., 2020, § 272 Rdn. 303; a.A. ADLER/DÜRING/SCHMALTZ (Fn. 8), § 272 Rdn. 200; KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 218.

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d) Fazit § 272 Abs. 4 HGB scheint nur auf den ersten Blick klare Aussagen zu treffen, die dem vorliegenden Konzept entgegenstehen. Die Vorschrift kann aber in Übereinstimmung mit den hier vertretenen gesellschaftsrechtlichen Kapitalschutzprämissen interpretiert werden. e) Sonderproblem: Verluste bis zum Jahresende Die h.M. akzeptiert es, dass freies bilanzielles Vermögen allein zum Stichtag des Erwerbs eigener Anteile vorliegt52. Kommt es bis zum Jahresende zu Verlusten, kann der Zustand eintreten, dass nicht ausreichend freie Rücklagen vorhanden sind, um die von § 272 Abs. 4 HGB geforderte Sonderrücklage zu bilden. Gleichwohl muss sie gebildet werden, um den ausschüttungsgesperrten Betrag zu verdeutlichen53. Durch die Bildung der ausschüttungsgesperrten Rücklage wird die Kapitalunterdeckung in Höhe des Rücklagenbetrags vertieft, sodass offensichtlich wird, in welcher Höhe ein Jahresüberschuss zunächst einbehalten werden muss, um einen Verlustvortrag auszugleichen und die Rücklage gem. § 272 Abs. 4 HGB abzudecken. Nach h.M. kann der somit erhöhte Verlust im Folgejahr durch die Auflösung einer gebundenen Kapitalrücklage ausgeglichen werden54. 3. Bilanzieller Ausweis bei der abhängigen Gesellschaft a) Aktivierung der Anteile an der herrschenden Gesellschaft Die erworbenen Anteile an der herrschenden Gesellschaft sind bei der abhängigen Gesellschaft zu aktivieren55. Sollen die Anteile am herrschenden Unternehmen dauerhaft gehalten werden, handelt es sich um Anlagevermögen. Ist herrschende Gesellschaft eine AG, hat diese gem. § 71d S. 5 AktG jederzeit das Recht, sich ihre Anteile von der abhängigen Gesellschaft übertragen zu lassen56. Daher ist eine Einordnung als Anlagevermögen nur zulässig, wenn hinreichend gesichert ist, dass von diesem Recht nicht Gebrauch gemacht wird57. Ist eine GmbH beherrschendes Unternehmen, gilt diese 52

Siehe oben unter II)1). KÜTING/REUTER, in: Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Aufl., 4. EL 2011, § 272 Rdn. 155; wohl auch KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 219; KÜHNBERGER, BB 2011, 1387, 1389; a.A. STÖRK/KLIEM/MEYER (Fn. 51), § 272 Rdn. 306. 54 Insbesondere KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 219. 55 HOMMELHOFF (Fn. 2), § 33 Rdn. 47. 56 Nur Verschaffungsanspruch der Muttergesellschaft, kein Andienungsrecht der Tochtergesellschaft, dazu BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 276; MERKT (Fn. 1), § 71d Rdn. 83. 57 ADLER/DÜRING/SCHMALTZ (Fn. 8), § 266 Rdn. 74; HÜTTEMANN/MEYER (Fn. 15), § 272 Rdn. 66; SCHUBERT/KREHER, Beck’scher Bilanzkomm., 12. Aufl., 2020, § 266 Rdn. 73. 53

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Einschränkung nicht58. Soweit danach Anlagevermögen vorliegt, handelt es sich um Finanzanlagen, die je nach Beziehung zum herrschenden Unternehmen als Anteile an einem verbundenen Unternehmen oder Beteiligung oder Wertpapier auszuweisen sind59. Trotz fehlender Wertpapiereigenschaft gilt das auch für Anteile an der beherrschenden GmbH60. Liegt Umlaufvermögen vor, handelt es sich um Wertpapiere. Trotz fehlender Verbriefung gilt das auch für GmbH-Anteile61. b) Ansatz einer ausschüttungsgesperrten Rücklage Zudem ist gem. § 272 Abs. 4 S. 1 HGB eine gebundene Rücklage in Höhe des Betrags zu bilden, der dem anteiligen Wert der erwerbenden abhängigen Gesellschaft an der herrschenden Gesellschaft entspricht. Weil die Rücklage partiell auch bei der herrschenden Gesellschaft zu bilden ist, muss nicht der gesamte Erwerbsbetrag in die Rücklage eingestellt werden. 4. Bilanzieller Ausweis bei der herrschenden Gesellschaft Bei der herrschenden Gesellschaft tritt auf der Aktivseite keine Änderung ein, denn es handelt sich bei den Anteilen um Vermögensgegenstände der abhängigen Gesellschaft. In Höhe der eigenen Anteile abzüglich des Betrags für die Sperrrücklage ist bei der herrschenden Gesellschaft eine ausschüttungsgesperrte Rücklage zu bilden62. Die Rücklage neutralisiert Ausgaben aus dem Konzernverbund für den Erwerb von Anteilen am herrschenden Rechtsträger, die sich nun im Konzernverbund befinden. Die Rücklage kann erst aufgelöst werden, wenn diese Anteile den Konzernverbund verlassen63. Diese Wertung widerspricht auch nicht den Vorgaben zum Nettoausweis der eigenen Anteile gem. § 272 Abs. 1a HGB. Das Kapital wurde von der abhängigen Gesellschaft aufgewendet. Gleichwohl muss der Nennkapitalbetrag der erworbenen Anteile in der Vorspalte analog § 272 Abs. 1a S. 1 HGB offen abgesetzt werden. Schließlich befinden sich die Anteile dieses Rechtsträgers im Konzernverbund, wenn auch nicht bei ihm selbst, sondern bei einer abhängigen Gesellschaft. Der Rückgriff auf § 272 Abs. 1a S. 1 HGB

58

ADLER/DÜRING/SCHMALTZ (Fn. 8), § 266 Rdn. 75. SCHUBERT/KREHER (Fn. 57), § 266 Rdn. 73. 60 SCHUBERT/KREHER (Fn. 57), § 266 Rdn. 75. 61 ADLER/DÜRING/SCHMALTZ (Fn. 8), § 266 Rdn. 138; SCHUBERT/WAUBKE, Beck’scher Bilanzkomm., 12. Aufl., 2020, § 266 Rdn. 136. 62 Es kann dahingestellt bleiben, ob § 272 Abs. 4 HGB direkt oder analog anzuwenden ist. 63 Dazu siehe sogleich unter und VI)2). 59

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bietet sich an, sodass in Höhe dieses Betrags noch analog § 237 Abs. 5 HGB eine weitere Sperrrücklage zu bilden ist64.

VI. Folgeprobleme 1. Fortlaufende Bewertung der Anteile am herrschenden Unternehmen a) Außerplanmäßige Abschreibungen Sind die Anteile am herrschenden Rechtsträger dem Anlagevermögen zuzuordnen, fehlt die zeitliche Nutzungsbegrenzung, sodass eine planmäßige Abschreibung gem. § 253 Abs. 3 S. 1 HGB nicht in Betracht kommt. Gem. § 253 Abs. 3 S. 5 HGB ist außerplanmäßig abzuschreiben, wenn die Anteile voraussichtlich dauerhaft im Wert gemindert sind. Es handelt sich um Finanzanlagen65, sodass gem. § 253 Abs. 3 S. 6 HGB ein Wahlrecht zur außerplanmäßigen Abschreibung bei nur vorübergehender Wertminderung besteht. Beim Umlaufvermögen kommt es gem. § 253 Abs. 4 HGB auf den Börsen- oder Marktpreis am Stichtag an. Ist ein solcher nicht festzustellen, bedarf es einer Bewertung zum Vergleich mit den Anschaffungskosten. Mit Blick auf die partielle Rücklagenbildung sowohl bei der herrschenden als auch bei der erwerbenden abhängigen Gesellschaft ist gleichwohl festzuhalten, dass Wertverluste im Eigenvermögen bei der abhängigen Gesellschaft, die durch Wertsteigerungen im sonstigen Vermögen der herrschenden Gesellschaft kompensiert werden, nicht zur außerplanmäßigen Abschreibung führen. Bei den Anteilen handelt es sich um nur einen Vermögensgegenstand, sodass diese Kompensation ohne Verstoß gegen den in § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB niedergelegten Einzelbewertungsgrundsatz vorgenommen werden kann. b) Rücklagenkorrektur bei außerplanmäßiger Abschreibung Bei außerplanmäßiger Abschreibung ist die Ursache zu ermitteln. Liegt diese im Vermögen der abhängigen Gesellschaft, sind dort die korrespondierenden Rücklagen zu korrigieren. Beruht die außerplanmäßige Abschreibung auf einer Wertminderung im restlichen Vermögen des herrschenden Rechtsträgers, bleibt die ausschüttungsgesperrte Rücklage bei der herrschenden Gesellschaft bestehen. Sie soll diese Anteile im Konzernverbund – unabhängig von der Wertentwicklung – bis zur Veräußerung neutralisieren. 64 65

Siehe oben unter II)1)a). Siehe oben unter V)3)a).

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c) Wegfall des Grundes für die außerplanmäßige Abschreibung Fallen die Gründe für die außerplanmäßige Abschreibung weg, muss (ertragswirksam) der Ausweis der Anteile an der herrschenden Gesellschaft wieder korrigiert werden. Ggf. ist die Rücklage für Anteile an der herrschenden Gesellschaft wieder im früheren Umfang aufzufüllen. Auf die Gründe für den Wertzuwachs soll es nicht ankommen66. Einmal mehr zeigt sich an diesem Beispiel, dass es sachgerecht ist, pauschal eine ausschüttungsgesperrte Rücklage gem. § 272 Abs. 5 HGB zu bilden, wenn Anteile nach außerplanmäßiger Abschreibung wieder zugeschrieben werden67. 2. Zuordnung und Ausweis eines Veräußerungsgewinns Werden eigene Anteile veräußert, sind gem. § 272 Abs. 1b S. 2 HGB aus einem Erlös, der den Nennbetrag übersteigt, zunächst jene (freien) Rücklagen wieder aufzufüllen, die bei der dem Erwerb nachfolgenden Bilanzierung aufgelöst worden sind. Ein darüber hinausgehender Erlös ist der Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB zuzuordnen. Für die Veräußerung von Anteilen an der herrschenden Gesellschaft fehlt es an Regelungen. Es erscheint passend, zunächst auch wieder die ursprünglichen Rücklagen aufzufüllen. Unklar ist, wie ein Gewinn verbucht wird. Pragmatisch erscheint der folgende Vorschlag: Bildete die Erwerbergesellschaft im Zeitpunkt des Erwerbs von Anteilen an der herrschenden Gesellschaft mehr als 50% von deren Vermögen ab, liegt eine Spekulation auf die eigene Wertentwicklung im Vordergrund. Gewinne aus der Veräußerung dieser Anteile sind analog § 272 Abs. 1b S. 2 HGB in der Kapitalrücklage bei der abhängigen Gesellschaft auszuweisen. Bildete beim Erwerb der Anteile das Vermögen der erwerbenden abhängigen Gesellschaft weniger 50% des Vermögens der herrschenden Gesellschaft ab, kann der Gewinn einer Ausschüttung zugeführt oder in der Gewinnrücklage verbucht werden. Auch bei der herrschenden Gesellschaft ist die Rücklage aufzulösen.

66 ADLER/DÜRING/SCHMALTZ (Fn. 8), § 280 Rdn. 16; KLEINDIEK, Großkomm. z. HGB, Bd. 5, 5. Aufl., 2014, § 253 Rdn. 125; MARX, in: Hachmeister/Kahle/Mock/ Schüppen, Bilanzrecht, 2018, § 253 Rdn. 212; STÖRK/TAETZNER, Beck’scher Bilanzkomm. 12. Aufl., 2020, § 253 Rdn. 637 f.; ZÜNDORF, in: Küting/Weber, Hdb. d. Rechnungslegung, 5. Aufl., 6. EL 2010, § 253 Rdn. 776; nach a.A. muss wenigstens ein Abschreibungsgrund weggefallen sein, so z.B. HERZIG/BRIESEMEISTER, WPg 2010, 63, 70; WOHLGEMUTH/RADDE, in: Kirsch, Rechnungslegung, § 253, 71. EL 2014, Rdn. 455. 67 Dazu ausführlich MYLICH, ZHR 181 (2017), 87, 94; a.A. HAAKER, in: Kirsch, Rechnungslegung, Bd. 2, 99. EL 2019, § 272 Rdn. 115 f.

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3. Zuordnung und Ausweis eines Veräußerungsverlustes Werden die Anteile an der herrschenden Gesellschaft mit Verlust veräußert, wirkt sich das bei der abhängigen Gesellschaft auf den Ertrag aus. Die gebundene Rücklage ist aufzulösen. Bei der herrschenden Gesellschaft ist die gebundene Rücklage ebenfalls aufzulösen. Es entsteht jedoch ein merkwürdiges Ergebnis, wenn der Rücklagenbetrag in die freien Rücklagen umgebucht wird. Schließlich sind die Anteile am herrschenden Rechtsträger mit Verlust veräußert worden und der herrschende Rechtsträger erhält den vollen Betrag der bislang gebundenen Rücklage zur freien Verfügung. Das ist zu rechtfertigen, soweit der Verlust durch die Auflösung des Sperrbetrags bei der abhängigen Gesellschaft kompensiert wird. Darüber hinausgehende Verluste hindern bei der herrschenden Gesellschaft nicht die Auflösung der ausschüttungsgesperrten Rücklagen, jedoch muss damit die Abschreibung der Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft bzw. ein verlorener Zuschuss68 an die Tochtergesellschaft korrespondieren. Damit trägt die herrschende Gesellschaft mögliche Verluste aus dem Beteiligungsengagement ihrer Tochtergesellschaft. Das ist auch sachlich richtig so, denn letztlich sind ihre Anteilseigner aus ihrem Konzernvermögen abgefunden worden. Auch zu § 71d S. 5 AktG wird vertreten, dass die herrschende AG trotz eines Wertverlustes mindestens den Erwerbspreis ihrer Tochtergesellschaft vergüten muss, wenn sie die Herausgabe der eigenen Anteile von dieser verlangt69.

VII. Besondere Konstellationen 1. Erwerb von Anteilen an einer mittelbar herrschenden Gesellschaft Beim Erwerb von Anteilen an einer mittelbar herrschenden Gesellschaft erwirbt eine Enkelgesellschaft Anteile am Gesellschafter ihres Gesellschaf68 Es kann an § 277 Abs. 3 S. 2 HGB angeknüpft werden. Bei einer Leistung zum Verlustausgleich gem. § 302 Abs. 1 AktG wird angenommen, dass die herrschende Gesellschaft keine nachträglichen Anschaffungskosten, sondern einen Aufwand auszuweisen hat; dazu ADLER/DÜRING/SCHMALTZ, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Tbd. 1, 6. Aufl., 1995, § 253 Rdn. 45. § 277 Abs. 3 S. 2 HGB erfasst nach h.M. alle Arten von vertraglichen Verlustübernahmen; dazu ADLER/DÜRING/SCHMALTZ (Fn. 8), § 277 Rdn. 62; KESSLER/FREISLEBEN, Münchener Komm. z. Bilanzrecht, 2013, § 277 Rdn. 64. 69 M.E. zutreffend BENCKENDORFF (Fn. 1), S. 277; denn so wird beim Fallen mindestens der Erwerbspreis vergütet, während beim Steigen der volle Wert zu vergüten ist; a.A. die h.M., die stets auf den Übernahmezeitpunkt durch die Muttergesellschaft abstellt, vgl. HÜFFER/KOCH, AktG, 13. Aufl., 2018, § 71d Rdn. 22 m.w.N.; für den historischen Anschaffungspreis hingegen BEZZENBERGER (Fn. 21), § 71d Rdn. 19; OECHSLER (Fn. 1), § 71d Rdn. 69.

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ters, d.h. an ihrer Muttergesellschaft bzw. noch weitere Konzernebenen darüber. a) Die Kapitalschutzvoraussetzungen Die Muttergesellschaft muss nach den vorgenannten Regeln über freies Vermögen verfügen. Die Enkelgesellschaft muss berechnen, in welcher Höhe sie zum Wert der Muttergesellschaft beiträgt. Nur in entsprechender Höhe muss sie über freies Vermögen verfügen. Die zwischengeschaltete Tochtergesellschaft hat mit der Finanzierung nichts zu tun, doch wird auch ihr Wert geschmälert. Die als Gegenleistung in das Vermögen der Enkelgesellschaft fließenden Anteile an der Muttergesellschaft haben aus ihrer Perspektive insoweit eine Werteinbuße, soweit sie als Tochtergesellschaft zum Wert der Muttergesellschaft beiträgt. In dieser Höhe muss sie über freies Vermögen verfügen. Alternativ kann es einen Kapitalzuschuss durch das sie beherrschende Mutterunternehmen geben. Unzulässig ist es aber beim Vorliegen einer Unterbilanz, auf eine Ausschüttung der Enkelgesellschaft zurückzugreifen. Denn diese muss die Unterbilanz bei der Tochtergesellschaft nicht unbedingt beseitigen70. b) Zwischenfazit für den Kapitalschutz Bei der herrschenden Muttergesellschaft muss freies Vermögen in Höhe des Erwerbspreises durch die Enkelgesellschaft vorliegen. Bei der Tochtergesellschaft muss freies Vermögen vorliegen, soweit die Tochtergesellschaft einen Teil des Wertes der Muttergesellschaft ausmacht. Bei der Enkelgesellschaft muss ebenfalls in der Höhe ungebundenes Vermögen vorliegen, in der sie zum Wert der Muttergesellschaft beiträgt. Das freie Vermögen der Muttergesellschaft darf in Höhe des freien Vermögens der Tochtergesellschaft geschmälert sein, soweit dieses im Fall einer Ausschüttung an die Muttergesellschaft von dieser auch ausgeschüttet werden kann. Andererseits kann die Muttergesellschaft das fehlende freie Vermögen der Tochtergesell-

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Die M-AG ist die Konzernspitze und hat einen Wert von 100 Mio €. Die T-GmbH als Tochtergesellschaft hat einen Wert von 15 Mio €. Die E-GmbH als von der T-GmbH abhängige Gesellschaft hat einen Wert von 6 Mio €. Bei der T-GmbH besteht eine Unterbilanz in Höhe von 1,0 Mio €; die E-GmbH verfügt über freies Vermögen in Höhe von 800.000 €. Die E-GmbH erwirbt für 2 Mio € 2% der Anteile der M-GmbH. Ihr eigener Wert spiegelt sich in Höhe von 6% wieder, sodass sie über 120.000 € freies Vermögen verfügen muss. Die T-GmbH bildet 15% des Wertes der M-AG ab, sodass bei ihr 300.000 € freies Vermögen vorhanden sein muss. Es existiert aber eine Unterbilanz. Eine unterjährige Ausschüttung der T-GmbH wäre nach dem Anteilserwerb bei einer Bindung von 120.000 € noch in Höhe von 680.000 € möglich. Allerdings beseitigt dieser Betrag nicht die Unterbilanz. Anders sieht es aus, wenn die M-AG den Zuschuss zahlt. Zwar wird auch insoweit nicht die Unterbilanz beseitigt, aber das stellt eine zulässige Alternative dar.

Bilanzielle Voraussetzungen und Folgen beim Erwerb von Anteilen

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schaft bzw. Enkelgesellschaft durch eine Zuzahlung zur Bildung der dortigen Rücklage ausgleichen. c) Der bilanzielle Ausweis, insbesondere bei der zwischengeschalteten Gesellschaft Bei der Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft kann auf die entwickelten Prinzipien zum Bilanzausweis verwiesen werden. Die zwischengeschaltete Tochtergesellschaft hat kein Vermögen aufgewendet und kann daher nichts ausweisen. Sie hat aber analog § 272 Abs. 4 S. 1 HGB eine Sperrrücklage zu bilden in Höhe des Betrags, in dem ihr Wert nun gemindert ist. Das ist auch bei einer Unterbilanz der Fall71. 2. Die Zulässigkeit des Erwerbs von Sidestream-Beteiligungen In der Literatur wird das Konzept zum Vermögensschutz beim Aufbau gegenseitiger Beteiligungen, insbesondere mit dem nach vorliegender Sichtweise fehlerhaften überzogenen Kapitalschutz bei der abhängigen Gesellschaft, auch auf den Erwerb einer Sidestream-Beteiligung angewendet72. So wird auf Bewertungsschwierigkeiten und das erhöhte Risiko durch Einflussnahme eines übergeordneten Mutterunternehmens hingewiesen. Außerdem sollen alle wirtschaftlichen Vorteile letztlich der Muttergesellschaft zugutekommen, jedoch bleibt das konzerninterne Haftkapital unverändert73. Dem kann nicht gefolgt werden. Mittelbar werden keine eigenen Anteile erworben. Auch wird kein Vermögen an die Muttergesellschaft als Gesellschafterin ausgeschüttet. Die Muttergesellschaft veräußert Konzernvermögen an die Tochtergesellschaft. Die Argumente der Gegenansicht sind lediglich Bedenken, ob der Vorgang marktüblich abgewickelt werden kann. Zunächst ist die abhängige Gesellschaft entweder über § 311 AktG oder die Treuepflicht geschützt. Bilanzrechtlich steht infrage, ob bei einem derartigen konzerninternen Austauschgeschäft eine Gewinnrealisation stattfinden darf.

VIII. Konsequenzen, offene Fragen und Perspektiven Ohne eine Lösung soll ein Ausblick auf die Konsequenzen des Beitrags einschließlich offener Fragen und der Perspektiven gegeben werden.

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Zu dieser bilanzrechtlichen Möglichkeit siehe oben unter V)2)e). BURGARD, AG 2006, 527, 534, 536. Argumentation bei BURGARD, AG 2006, 527, 534.

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1. Konzernorganisation Bereits der Erwerb einer Beteiligung an der beherrschenden Gesellschafterin erfordert ein Zusammenwirken der Geschäftsleitung sowohl des herrschenden als auch des abhängigen Rechtsträgers. Wenn mehrere Ebenen im Konzern übersprungen werden, müssen wegen der Ermittlung des freien Vermögens und der zutreffenden Rücklagenbildung die Geschäftsleitungsorgane aller zwischengeschalteten Gesellschaften einbezogen werden. Hier steht infrage, welche Pflichten an eine sorgfältige Organisation insbesondere an die Geschäftsleiter der Muttergesellschaft als auch der erwerbenden abhängigen Konzerngesellschaft zu stellen sind. 2. Ermittlung und Dokumentation des ungebundenen Vermögens Allenfalls Einzelaspekte findet man in der Literatur, wie das Vermögen der Gesellschaft zu ermitteln ist, um den Umfang des ungebundenen Vermögens zum Erwerb eigener Anteile zu bestimmen. Das Problem verschärft sich beim Erwerb von Anteilen an der herrschenden Gesellschaft. Einig ist man sich nur, dass eine fiktive Bilanz genügt74, doch steht infrage, wie der Vermögenszustand zu dokumentieren ist. 3. Optionen auf Anteile an der herrschenden Gesellschaft Benötigt eine Konzerngesellschaft Anteile an der Konzernspitzengesellschaft z.B. zur Managervergütung oder als Gegenleistung für potentielle Investoren, kommt auch die Fixierung eines künftigen Erwerbs zum derzeitigen Kurs mittels Optionen in Betracht. Hier stellen sich die Fragen zur Notwendigkeit ungebundenen Vermögens beim Erwerb und bei Ausübung der Optionen aus etwas anderer Perspektive als beim Beteiligungserwerb. Hinzu kommen Sonderfragen zur Bilanzierung. 4. Nebenkosten Nebenkosten beim Erwerb eigener Anteile sind gem. § 272 Abs. 1a S. 3 HGB bzw. bei deren Veräußerung gem. § 272 Abs. 1b S. 4 HGB als Aufwand auszuweisen. Die Behandlung der Nebenkosten bei der Kapitalschutzprüfung ist ungeklärt75. Bislang nirgends diskutiert (soweit ersichtlich) ist die Zuordnung der Nebenkosten für den Kapitalschutz und die Bilanzierung beim Erwerb von Anteilen an der herrschenden Gesellschaft.

74 75

Siehe oben unter II)1)a) und Fn. 6. Diskussion bei KROPFF (Fn. 20), § 272 Rdn. 69.

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Hier steht infrage, inwieweit diese der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft zuzuordnen sind. 5. Anwendung der Konzeption bereits bei wechselseitiger Beteiligung bzw. Entherrschungsvertrag? Das vorgelegte Konzept zum Erwerb von Anteilen an der herrschenden Gesellschaft geht von einer Abhängigkeit im Sinne von § 17 AktG aus. Fraglich ist, ob bereits die wechselseitige Beteiligung im Sinne von § 19 AktG zur Anwendung führen kann. Hingegen liegt es nahe, dass bei Ausschluss der Abhängigkeit durch einen Entherrschungsvertrag die Kapitalschutzund Bilanzierungsregelungen gleichwohl anzuwenden sind. 6. Die Gesellschaft erwirbt an ihrem Minderheitsgesellschafter nachträglich eine beherrschende Position Offen ist auch, ob die Kapitalschutz- und Bilanzierungsregelungen nachträglich eingreifen, wenn eine Gesellschaft eine beherrschende Stellung an ihrem Minderheitsgesellschafter aufbaut76.

IX. Ergebnisse Erwirbt eine Kapitalgesellschaft Anteile an der sie beherrschenden Gesellschaft, muss die beherrschende Gesellschaft gem. § 71d S. 2 AktG i.V.m. § 71 Abs. 2 S. 2 AktG bzw. § 33 Abs. 2 S. 1 GmbHG über ungebundenes Vermögen (d.h. ungebundene Rücklagen oder einen Jahresüberschuss) in dieser Höhe verfügen. Die erwerbende abhängige Gesellschaft benötigt nur freies Vermögen, soweit sie mittelbar einen Anteil an sich selbst erwirbt. In dieser Höhe kann bei der herrschenden Gesellschaft auf ungebundenes Vermögen verzichtet werden. Verfügt die erwerbende abhängige Gesellschaft bzw. eine Zwischengesellschaft im Konzern nicht über das freie Vermögen, kann die Muttergesellschaft den Erwerb durch einen Zuschuss unterstützen. Im folgenden Jahresabschluss aktiviert die erwerbende abhängige Gesellschaft die Anteile zum Erwerbspreis und bildet eine ausschüttungsgesperrte Rücklage in Höhe der mittelbaren Eigenbeteiligung. In Höhe des restlichen Betrags bildet die herrschende Gesellschaft eine ausschüttungsgesperrte Rücklage. Das lässt sich mit dem Wortlaut von § 272 Abs. 4 HGB vereinbaren, denn dieser legt nicht eindeutig fest, bei welchem Rechtsträger die ausschüttungsgesperrte Rücklage zu bilden ist. Werden die Anteile an einen Dritten veräußert, sind die gebundenen Rücklagen aufzulösen und in 76

Knapper Ansatz bereits bei PAURA (Fn. 23), § 33 Rdn. 120.

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ihrem herkömmlichen Posten zu verbuchen. Bildet die erwerbende abhängige Gesellschaft mehr als 50% des Vermögens der Muttergesellschaft, ist ein Gewinn in der Kapitalrücklage zu verbuchen. Macht die abhängige Gesellschaft weniger als 50% des Vermögens der Muttergesellschaft aus, handelt es sich um einen Jahresüberschuss. Die Rücklage ist auch bei einem Veräußerungsverlust aufzulösen. Übersteigt der Veräußerungsverlust jenen Betrag, der bei der abhängigen Gesellschaft als zur Ausschüttung gesperrte Rücklage ausgewiesen war, muss die herrschende Gesellschaft entweder ihre Beteiligung abschreiben oder eine Verlustausgleichszahlung an die abhängige Gesellschaft leisten. Bei einem mehrstufigen Konzern sind auch zwischengeschaltete Gesellschaften in den Kapitalschutz einzubeziehen. Beim Erwerb einer Side-Stream-Beteiligung gelten hingegen die erwähnten Kapitalschutz- und Bilanzierungsregeln nicht.

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Vom Aktienbankrecht zum Aktienintermediärsrecht

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Vom Aktienbankrecht zum Aktienintermediärsrecht Ulrich Noack und Dirk Zetzsche

Vom Aktienbankrecht zum Aktienintermediärsrecht ULRICH NOACK

UND

DIRK ZETZSCHE

I. Auf dem Wege zum Aktienbankrecht 2.0 „Ohne Banken keine (börsennotierten) Aktiengesellschaften.“ Das zeitgenössische Aktienwesen und das moderne Bankensystem sei eng verschränkt. So haben wir unseren Beitrag zur 1. Festschrift für Klaus J. Hopt im Jahr 2010 zusammengefasst. Die Banken wurden zum unverzichtbaren Bindeglied erklärt. Das „Aktienbankrecht“ mache sich die Finanzfunktion der Banken z.B. mittels der Einzahlungsbestätigung, die Informationsfunktion durch Benennung von Banken als Stimmrechtsvertreter und Bonitätsgarant sowie die Marktfunktion im Rahmen der Aktionärsinformation und Aktionärslegitimation zunutze. Die Banken seien der Transmissionsriemen zwischen Gesellschaft und Aktionär und daher werden sie als Intermediäre aktienrechtlich in die Pflicht genommen.1 Nach einer Dekade besteht nicht nur der erfreuliche Anlass, dem Jubilar erneut wissenschaftlich zu gratulieren, sondern auch die zweifelnde Besorgnis, ob wir mit unserer Einschätzung weiter richtig liegen. Seither ist allerhand passiert, was zur Überprüfung der Thesen reizt – und im neuen Jahrzehnt stehen greifbare Entwicklungen bevor, die weit stärker die Rolle der Banken im Aktienwesen verändern könnten. Unsere Überlegungen zu einem „Aktienbankrecht 2.0“ sind dem großen Aktien- und Bankrechtler in Verehrung gewidmet Wir fragen, ob und wie Banken in einem digitalen Aktienwesen noch gebraucht werden, wie es dort um ihre Markt-, Informations- und Finanzfunktion bestellt sein dürfte. Die Antworten haben, da die vor uns liegenden zwanziger Jahre betreffend, einen prognostisch-spekulativen Touch. Damit befinden wir uns allerdings in guter Gesellschaft. Auch die BaFin hat 2019 ihre große Studie zu „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen“2 ausdrücklich als spekulativ bezeichnet. Zunächst ist freilich festzustellen, dass die Rolle der Banken als Intermediäre durch den europäischen Gesetzgeber vor drei Jahren geradezu „ver1 2

Noack/Zetzsche, FS Hopt, 2010, 2283, 2289 ff. BDAI-Bericht, www.bafin.de (Veröffentlichungen 2019).

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steinert“ wurde. Die Aktionärsrechterichtlinie II (ARRL II3) nebst der dazu gehörenden Umsetzungsverordnung (ARRL-VO)4 setzt auf die Intermediäre, welche die Aktionäre identifizieren und informieren (Kapitel Ia ARRL II).5 Da Aktien in der Regel nicht direkt bei einem Intermediär, sondern durch mehrere Intermediäre hintereinander gebucht sind, entsteht eine „Kette“ (s. § 67a III 1, V AktG). Durch diese Kette werden die Informationen von der Gesellschaft über die Intermediäre zu den Aktionären (§ 67b AktG) und von ihnen zurückgeleitet (§ 67c AktG). Die zentrale Frage, wer Aktionär ist, wird indirekt durch die Richtlinie aus dem Jahr 2017 ebenfalls beantwortet: Wer bei dem sog. Letztintermediär (Art. 1 Nr. 6 ARRL-VO, § 67a Abs. 5 S. 2 AktG) ein Aktiendepot unterhält, ist „der Aktionär“. Kraft europarechtlicher Vorgabe gilt demnach ein formeller Aktionärsbegriff, der sich auf die Trennlinie Intermediär/Nichtintermediär bezieht. Ob diese normative Grundordnung eines Dreiecks von AG – Intermediär – Aktionär zukunftsfähig ist,6 soll im Folgenden geprüft werden. Dazu werden in gebotener Kürze die technischen, wirtschaftspraktischen und international-rechtspolitischen Entwicklungen skizziert, die zu einer Neuorientierung drängen (könnten).

3 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. EU Nr. L 132 v. 20.5.2017, 1. 4 Durchführungsverordnung (EU) 2018/1212 der Kommission vom 3.9.2018 zur Festlegung von Mindestanforderungen zur Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Identifizierung der Aktionäre, die Informationsübermittlung und die Erleichterung der Ausübung der Aktionärsrechte, ABl. EU Nr. L 223 v. 4.9.2018, 1 5 Vgl. dazu Bork, Die Regelungen zu „know-your-shareholder“ im Regierungsentwurf des ARUG II, NZG 2019, 738; Diekmann, Identifizierung von Aktionären – Eine Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung der Aktionärsrechte-RL, in FS Marsch-Barner, 2018, S. 145 ff.; Eggers/de Raet, Das Recht börsennotierter Gesellschaften zur Identifikation ihrer Aktionäre gemäß der EU-Aktionärsrechterichtlinie, AG 2017, 464; Einsele, Inhaberaktien vs. Namensaktien: Publizität und Legitimation der Aktionäre, JZ 2019, 121; Foerster, Identifizierung der Aktionäre nach der Änderungsrichtlinie zur Aktionärsrechterichtlinie (2. ARRL) und dem Referentenentwurf ARUG II, AG 2019, 17; Kuntz, Kommunikation mit Aktionären nach ARUG II, AG 2020, 18; Noack, Identifikation der Aktionäre, neue Rolle der Intermediäre – zur Umsetzung der Aktionärsrechte-Richtlinie II, NZG 2017, 561; ders, Neue Regularien für die Hauptversammlung durch das ARUG II und den Corporate Governance Kodex 2020, DB 2019, 2785; Stiegler, Aktionärsidentifizierung nach ARUG II, WM 2019, 620; Zetzsche, Know Your Shareholder, der intermediärsgestützte Aktionärsbegriff und das Hauptversammlungsverfahren – zur Umsetzung des Kapitels Ia der reformierten AktionärsrechteRL –, ZGR 2019, 1; ders., Aktionärsidentifikation, Aktionärslegitimation und das Hauptversammlungsverfahren nach ARUG II, AG 2020, 1. 6 Kritisch Kuntz, Digitale Kommunikation mit Aktionären und Investoren, ZHR 183 (2019), 190.

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II. Die neue Technik: „ABCD“ Mit dem Kürzel ‚ABCD‘ werden international die in den 2010er Jahren sich rapide entwickelnden Technologien beschrieben: Artificial Intelligence, Blockchain,7 Cloud Computing und [Big] Data. Insbesondere die Blockchain bietet im Grundansatz die Möglichkeit, auf Einrichtungen besonderen Vertrauens (Notar, Amt, Bank) zu verzichten, da dieses Vertrauen kollektiv durch die Beteiligten hergestellt wird. Die als Blockchain vernetzten Computernutzer gelangen zu einer Übereinkunft über die Aufnahme, die Reihenfolge und die Authentizität der Daten. Handelte es sich um Buchführung, so würde das zentrale „Hauptbuch“ durch die Masse der verteilten „Kassenbücher“ (ledger) ersetzt. Diesen Schwarm konsensual zu organisieren ist die eigentliche Herausforderung, welche durch verschiedene Techniken bewältigt wird. Bekannt ist Proof of Work, das für die BlockchainAnwendung Bitcoin verwendet wird; bei Proof of Stake entscheiden mit Mehrheit die ökonomischen Interessen (was den Gesellschaftsrechtler aufhorchen lässt); bei der Proof of Authority sind es eigens dafür qualifizierte Blockchain-Teilnehmer (was die Sache wieder in Richtung einer Vertrauensinstanz rückt). Die technischen Einzelheiten mögen hier dahinstehen. Wichtig ist die Einsicht, dass es mathematisch fundierte Verfahren gibt, Vertrauen und Konsens unter Vielen herzustellen – mithin das Problem der byzantinischen Generäle zu lösen.8 Ein zweiter wichtiger Entwicklungsschub ist durch die sog. Künstliche Intelligenz zu verzeichnen. Die Vorstellung eines „Elektronengehirns“ ist schon seit den 1950er Jahren virulent, aber erst im vergangenen Jahrzehnt konnten signifikante Fortschritte gemacht werden. Reichhaltige Datenmengen, die von ausgeklügelten Programmen (machine learning) durchforstet werden, um daraus neue Schlüsse zu ziehen – das sind die innovativen Elemente. Diese KI kann ihren Sektor (aber nur diesen!) kreativ bewältigen, etwa eine Finanzierungstransaktion strukturieren, Informationskanäle steuern oder eine Hauptversammlung vorbereiten. Nimmt man diese Vorgänge zusammen, dann stellt sich noch drängender die Frage: Wozu braucht eine Aktiengesellschaft noch Intermediäre, wenn sie ihre Aktionäre via Blockchain direkt erreicht9 und die Unternehmens-KI wesentliche Relationen beherrscht? Indessen sind die Verheißungen von „ABCD“ zum einen noch lange nicht Realität, zum anderen sind die Bezie7 Im Folgenden auch: DLT (für Distributed Ledger Technology, dem allgemeineren und international üblicheren Begriff). 8 Vgl. Reischuk, Konsistenz und Fehlertoleranz in Verteilten Systemen — Das Problem der Byzantinischen Generäle, in: Paul (Hrsg.) 17. Jahrestagung Computerintegrierter Arbeitsplatz im Büro. Informatik-Fachberichte (1987), S. 65 ff. 9 Beurskens, FS Seibert, 2019, 71 ff.; Kuntz, ZHR 183 (2019), 190, 203 ff., 208 f.

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hungen im Dreieck durchaus komplexer (wie der Beitrag in der 1. FS Hopt gezeigt hat). Der Stand der Digitalisierung der Beziehungen zwischen Emittenten (Gesellschaft) und Anlegern (Aktionär) soll im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Der Blick richtet sich zunächst auf den Fall der Anleihe, denn hier sind im Normalfall nur Vermögensflüsse zu organisieren.

III. Digitale Anleihen und Anteilsrechte 1. Blockchain-Anleihen a) Rechtslage Die Digitalisierung ist bei Anleihen deutlich erkennbar. Hier kommt zupass, dass in vielen Ländern – namentlich den Vereinigten Staaten, Frankreich, Luxemburg und der Schweiz – wertpapierrechtliche Vorgaben für die „Verbriefung“ von Wertpapieren ganz abgeschafft wurden.10 Deutschland soll nach den Plänen der Bundesregierung im Jahr 2020 folgen.11 Man spricht insoweit – leicht widersprüchlich – von „dematerialisierten Wertpapieren“ 12 (besser: Wertrechten bzw. book-entry securities). An die Stelle des an die Urkunde geknüpften Gutglaubensschutzes sind auf die Intermediärsfunktion gestützte bankrechtliche Vorgaben getreten. Das Vertrauen in den Intermediär und seine Buchungskette ersetzt den guten Glauben an das Papier. Exemplarisch dafür ist § 14 DepotG.13 b) Experimente Diese Rechtslage nutzend wird seit ca. drei Jahren mit Blockchain-basierten Anleiheemissionen14 experimentiert. 2017 wurde erstmals eine Ethernominierte Anleihe eines Unternehmens von einem britischen Konsortium unter Beteiligung der Fintech-Neugründung Nivaura (die u.a. von J.P. Morgan finanziert und begleitet wurde) begeben, bei der die Anleihen vollständig über die öffentliche Ethereum-Blockchain abgerechnet, abgewickelt und 10

Zur Entwicklung statt vieler Lehmann, Finanzinstrumente, 2009, S. 61 ff. Blockchain-Strategie der Bundesregierung, www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publika tionen/Digitale-Welt/blockchain-strategie.pdf (2019). 12 Vgl. Lehmann, Finanzinstrumente, 2009, S. 37 ff. Im Vereinigten Königreich wurde grds. am Verbriefungserfordernis festgehalten, jedoch eröffnet s. 769(1)(2) des Companies Act 2006 die Möglichkeit, in den Ausgabebedingungen auf eine Verbriefung zu verzichten. 13 Diese Regeln haben auch in europäische Regelwerke Eingang gefunden, vgl. z.B. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4; 3 Abs. 1 CSD-VO (dazu sogleich). 14 Dazu Casper, Elektronische Schuldverschreibung: es ist Zeit für einen grundlegenden gesetzlichen Neustart, BKR 2019, 219. 11

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deren Inhaberschaft registriert wurden; gleichwohl obliegt die Durchsetzung der Ansprüche keinem Computeralgorithmus (‚Smart Contract‘15 genannt), sondern einem Trustee.16 Die österreichische Bundesfinanzagentur (OeBFA) hat 2018 eine Distributed Ledger Technologie (DLT) auf Ethereum-Basis bei einem anonymen Auktionsverfahren für Staatsanleihen eingesetzt; jedoch ging es nicht um den Verkauf der Anleihen, sondern eine Art digitalen Prüfstempel, die sog. „Daten-Notarisierung“ mit dem Ziel verbesserter Datenauthentifizierung und -speicherung.17 Auch die spanische Bank Santander und die Bank of China haben im Herbst 2019 Anleihen auf Blockchain-Basis emittiert. In Deutschland hat die Daimler AG in Zusammenarbeit mit der Bank LBBW im Jahr 2017 ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht, das zwar medial Schlagzeilen machte, aber keine „echte“ Blockchain-Emission war.18 Zeichner auf Basis der herkömmlichen Rechtslage waren drei Provinzsparkassen, die auch die geschlossene Blockchain bildeten. Im Dezember 2019 wurde berichtet, dass die Deka Bank und die NRW Bank einen Schuldschein über 5 Mio. Euro über die Blockchain-Plattform Finledger erstmals rein digital platziert haben.19 Im Oktober 2018 erhielt ID2S, ein Joint Venture der Citibank und des Telekommunikationskonzerns Orange, an dem führende Adressen der französischen Finanzindustrie beteiligt sind, die Genehmigung der französischen Aufsichtsbehörden als blockchain-basierter Zentralverwahrer nach der CSD Verordnung.20 Im ersten Schritt werden die Abwicklung, Verwahrung (custody), das „asset servicing“ und Emittenten-bezogene Dienstleistungen für Negotiable EUropean Commercial Paper [NEU CP] und andere kurzfristige Finanzinstrumente angeboten; langfristig möchte ID2S den gesamten „corporate action lifecycle“ abbilden, von der Notifizierung, über Dividendenzahlung und ggf. Rücknahmen bis zur Berichterstattung.21 15 Vgl. dazu etwa Möslein, Smart Contracts im Wertpapierhandelsrecht, FS 25 Jahre WpHG, 2019, 465 ff.; ders., Smart Contracts im Zivil- und Handelsrecht, ZHR 183 (2019) 254, 264 ff. 16 www.coindesk.com/who-needs-a-csd-nivaura-to-issue-first-regulated-bond-in-ether eum. 17 https://financefwd.com/de/oesterreich-blockchain-staatsanleihen/. 18 www.dertreasurer.de/news/finanzen-bilanzen/daimler-platziert-schuldschein-via-bl ockchain-58651/. 19 www.dertreasurer.de/news/finanzen-bilanzen/finledger-feiert-debuet-mit-blockchai n-schuldschein-2011711/. 20 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012, Abl. L 257/1 v. 28.8. 2014. 21 https://www.id2s.eu/.

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c) Beurteilung Die Beispiele, die bei weitem nicht vollständig sind, belegen ein spürbares Volumen an DLT-Anleiheemissionen. Das Interesse daran geht auf vier Aspekte zurück. Erstens sind diese Transaktionen recht häufig; ein erhebliches kommerzielles Interesse trifft auf die Notwendigkeit einer kostengünstigen, möglichst automatisierten Abwicklung. Zweitens sind die allgemeinen Bedingungen von Anleiheemissionen verhältnismäßig frei gestaltbar, was die Anpassung an neue Technologien und digitalisierte Prozesse erleichtert. Drittens können Volumen, Laufzeit und Gläubigerrechte grds. gestaltet und so das Risiko des First Movers eingegrenzt werden. Viertens geht es i.d.R. nur um den Geldverkehr, was einfach zu strukturieren ist. Auffällig an diesen Projekten ist, dass neue Akteure aus dem Technologiebereich zum Teil führende Rollen übernehmen. Doch scheint es ohne die Banken nicht zu gehen: Diese finanzieren und kollaborieren mit „innovativen“ FinTechs.22 2. Token auf Vermögensgegenstände a) Begriff Als Token bezeichnet man eine digitalisierte Form eines Vermögensgegenstandes, dem eine bestimmte Funktion oder ein bestimmter Wert beigelegt ist.23 Die BaFin sieht den Token als „Wertpapier“, wenn er übertragbar, hinreichend standardisiert und damit handelbar ist.24 b) Beispiele Zur Erheiterung des Jubilars sei ein südostasiatisches Projekt erwähnt, bei dem Kühe aus Myanmar „tokenisiert“ werden.25 Natürlich geht es nicht um die Umwandlung der Tiere in eine digitale Version, sondern um deren Repräsentation durch je ein Token: Das emittierende Unternehmen soll einzelne Tiere mit digitalen, sendefähigen Stempeln (sog. RFID-Tags) markiert und dabei verschiedene wertbildende Daten der Kühe (Geburtsdatum, Gesund22 Vgl. zur Kooperation von Banken und FinTechs vgl. Hornuf/Klus/Kluwasser/ Schwienbacher, How Do Banks Interact with Fintechs? Forms of Alliances and their Impact on Bank Value, CESifo Working Paper Series No. 7170 (2018), https://ssrn.com/ abstract=3252318. 23 Im Juli 2019 genehmigte die BaFin das erste deutsche Security Token Offering (STO) für blockchainbasiertes Immobilieninvestment; www.btc-echo.de/bafin-genehmigtersten-immobilien-token/. 24 www.bafin.de (Veröffentlichungen 2019: Tokenisierung). 25 https://stmarket.co/en/news/717/Korea-on-Track-to-Legalize-Crypto-as-NationalAssembly-Approves-Bill.html?exclude=576.

Vom Aktienbankrecht zum Aktienintermediärsrecht

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heitszustand, etc.) eingespeichert haben. Diese Daten wurden in einer Blockchain aufgezeichnet. Dann wurde je einem Token ein Tier zugewiesen. Damit können Investoren via ihrer Token Rechte an den Kühen auf der Weide erwerben. Die technische Abbildung sagt freilich über die Ausgestaltung der Investorenrechte nichts aus. Wie steht es um den Ertrag aus Milchproduktion oder Schlachtung? Was ist mit neugeborenen Tieren? Welcher Anteil gebührt dem Bauern? Ohne eine Instanz, die sich darum kümmert, dürfte es nicht gehen. In herkömmlichen Projekten ist das vielfach die Bank als treuhänderischer Verwalter. Klar wird aus dem Beispiel jedoch: Im Grunde kann jeder Vermögensgegenstand tokenisiert werden: Immobilien,26 Kunstwerke,27 Eintrittskarten28 – und: Aktien. c) Tokenisierte Aktien Die neueste Entwicklung geht hin zu tokenized shares. Dabei ist zu klären, was genau sich hinter der „Tokenisierung“ verbirgt. Gemeint sein kann die kraft Gesetzes oder Satzung definierte Ausgabeform einer Aktie (Emission) oder nur eine „Wiederverbriefung“ bestehender Rechte, gleich einem depositary receipt, also einer Bescheinigung über die Existenz von Aktien nach Art und Anzahl. Die erstgenannte Alternative verdient hohe Aufmerksamkeit, denn in diesem Fall wäre der Token die Aktie (und repräsentierte sie nicht nur). Bei urkundsgebundenen Aktienrechten, wie derzeit noch in Deutschland, wäre der Weg einer reinen Token-Emission statt der (Global)Urkunden-Emission allerdings nicht gangbar. Die zweitgenannte Alternative, der Handel mit Token auf bestehende Aktien, ist soweit ersichtlich die bislang gebräuchliche Praxishandhabung der neuen „digital exchanges“29. So will die SIX Digital Exchange (SDX), ein Tochterunternehmen der Schweizer Börse SIX, im 4. Quartal 2020 mit dem Handel tokenisierter Aktien von Nestle und Novatis starten. Im vergangenen Jahr hat sie den Prototyp eines Systems für den Handel von Blockchain/DLT-basierten Vermögensgegenständen nebst eines dezentral organisierten Zentralverwahrers („distributed CSD“) vorgestellt.30 Neben dem „real-time settlement“ soll die prinzipielle Unveränderlichkeit der auf der BC/DLT gespeicherten Daten 26 Die BaFin genehmigte im Juki 2019 das erste deutsche Security Token Offering (STO) für blockchainbasiertes Immobilieninvestment; www.btc-echo.de/bafin-genehmigtersten-immobilien-token/. 27 ARTCELS, s. https://www.prnewswire.com/news-releases/a-r-t-c-e-l-s-digital-plat form-for-blue-chip-art-investments-launches-xxi-the-first-ever-asset-based-contemporary -art-exhibition-300984811.html. 28 www.btc-echo.de/uefa-tokenisiert-tickets-fuer-die-em-2020. 29 Vgl. Chu, Broker-dealers for Virtual Currencies: Regulating Cryptocurrency Wallets and Exchanges, 118 Columb. L. Rev. 2323, 2326 ff. (2018). 30 https://www.sdx.com/en/home/news-events/20190923-six-sdx-update.html.

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zu Zwecken der dauerhaften Wertpapierverwahrung eingesetzt werden; dabei wird dem Handelsteilnehmer ein digitaler privater Schlüssel (i.e. ein Passwort mit 128 Stellen) zugewiesen, der ihm Zugriff auf den Datensatz (= „token“) gewährt, der seinen Anteil repräsentiert. Ebenfalls einen Hintergrund in der Schweiz hat ein im Herbst 2019 gestartetes Pilotprojekt der Deutschen Börse und der Swisscom, bei er es um die Wertpapiergeschäfte mit tokenisierten Aktien einer Schweizer AG geht.31 Hingegen ist die in Estland gestartete Plattform „DX.Exchange“, die zehn NASDAQ-gelistete Aktien wie Tesla, Apple und Facebook als Token handeln wollte, seit November 2019 wieder geschlossen.32 d) Beurteilung Protagonisten tokenisierter Aktien werben mit einer Kombination mitgliedschaftlicher Dignität und technischer Avantgarde:33 Das zwingende Aktienrecht sichere einen Mindestbestand an Vermögens- und Einflussrechten, während die schnellen, kostengünstigen digitalen Verfahren (insb. durch Einsatz von Smart Contracts) eine jederzeitige (= 24/7), transaktionssichere und bequeme Aktienverwaltung ermöglichten. Die Tokenisierung der Aktie verspricht eine Reihe von Vorteilen: • Die Aktienemission kann ohne Intermediär erfolgen, wodurch die Emittenten Kosten einsparen; • Der Aktienhandel kann auf Intermediäre verzichten. Ermöglicht werden sog. „peer-to-peer“-Transaktionen, bei denen Erwerber und Veräußerer direkt kontrahieren. Das Gegenparteirisiko aus Intermediärstätigkeit entfällt, während das Gegenparteirisiko der gewählten Vertragspartei durch zeitliche Koinzidenz von Anteilsübertragung und Zahlung (delivery-vspayment) auf nahezu Null reduziert werden kann. Die nahezu sofortige Abwicklung von Rechteübertragungen („real-time settlement“) reduziert das Ausfallrisiko, die Notwendigkeit einer zentralen Gegenpartei und dieser zu leistenden Sicherheitszahlungen („margin“) entfällt. Die frei werdende Liquidität kann zu Investitionszwecken eingesetzt werden. • Aktionärsvereinbarungen lassen sich leichter durchsetzen, etwa indem wesentliche Absprachen in Smart Contracts hinterlegt werden. Beispiel: Wird eine bestimmte Ausschüttungsquote unter den Vertragsparteien vereinbart, könnte ein Algorithmus so programmiert werden, dass bei Erfüllung der Quote die Stimmrechte aus derart gebundenen Aktien auto31 www.deutsche-boerse.com/dbg-de/media/pressemitteilungen/Deutsche-B-rse-Swiss com-und-Partner-wickeln-erfolgreich-Wertpapiertransaktionen-mit-Tokens-in-der-Schw eiz-ab-1677736. 32 https://blog.dx.exchange/2019/11/03/6595/. 33 https://products.lexr.ch/tokenized-shares.

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matisch zugunsten des Gewinnverwendungsbeschlusses abgegeben werden. • Beteiligungsprogramme für Mitarbeiter können technisch administriert sowie eine in diesem Rahmen vereinbarte Rückgewährspflicht resp. Kaduzierung technisch gewährleistet werden. • Aktionäre sind der Gesellschaft jederzeit automatisch bekannt, was die Aktionärskommunikation und Rechtsausübung gegenüber der Gesellschaft erleichtert. • Sogar noch einen Schritt weiter könnte man denken: Ist die tokenisierte Aktie nahezu kostenfrei übertragbar, könnte sie ebenso wie andere Cryptoassets als Zahlungssubstitut zum Einsatz kommen. Dies gilt nicht nur für die Aktionäre, auch die Gesellschaft könnte manche Akquisition oder Dienstleistung lieber mit Aktien statt bar begleichen wollen. Hier wie dort stellt sich selbstverständlich die Bewertungsfrage, doch sollte diese für ein produktives Unternehmen leichter zu beantworten sein als für rein-virtuelle Güter wie etwa Bitcoin. 3. Ein Blick in andere Rechtsordnungen Die vorstehend aufgeworfenen Aspekte sind selbstverständlich keine deutsche Angelegenheit, sondern ein Anliegen jeder entwickelten Rechtsund Wirtschaftsordnung. Gerade der Jubilar hat immer den Blick (und mehr als das) auf die Vorgänge im Ausland gerichtet. Für die Momentaufnahme des Jahres 2020 gibt es sehr interessante Entwicklungen in US-Bundestaaten und in Europa. Der rechtssichere, namentlich grenzüberschreitende Transfer von Aktienrechten ist ein Dauerproblem, das bereits die Giovannini-Berichten aus dem Jahr 2001 prominent erwähnten. Es hat, wenngleich weit weniger prominent, Eingang in den EU-Kapitalmarktaktionsplan 2015 gefunden, gleichwohl ohne Einbindung innovativer technischer Lösungsansätze. Auch die Berichte spezialisierter Blockchain-Arbeitsgruppen vom Herbst 2019 prägt ein Mangel an Details. In einigen Nachbarstaaten ist die Entwicklung schon sehr viel weiter. Hier wurden technik-zentrierte Gesetzgebungsvorhaben, die auch das Aktienrecht erfassen, bereits umgesetzt oder sind weit vorangeschritten. Namentlich zu nennen sind Frankreich,34 Liechtenstein,35

34 In Frankreich sind seit 2016 vier Gesetzgebungsvorhaben zur Förderung von Blockchain, DLT und Cryptoassets umgesetzt worden. Vgl. dazu Barsan, Regulating the Crypto World – New Developments from France, RDTF 4/2019, 9–30. 35 Vgl. das zum 1.1.2020 in Kraft getretene Gesetz über Token und vertrauenswürdige Technologie (VT)-Dienstleister (Projekt). Teil des Gesetzes ist eine Änderung des Liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts, in dem das Aktienrecht enthalten ist.

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Luxemburg,36 Malta,37 das Vereinigte Königreich38 und einige US-Bundesstaaten.39 Ein Blick in diese Vorhaben zeigt, dass ‚ABCD‘auf die Entstehung von Aktienrechten auf vier verschiedenen Ebenen Einfluss nehmen kann: – – – –

Kreation/Originierung,40 Repräsentation („Tokenisierung“ bestehender Rechte),41 Transfer des Aktienrechts,42 Zuordnung und Verwahrung.43

Bei den ausländischen Vorbildern handelt es sich um „enabling legislation.“ Kein einziger Staat hat eine bestimmte Technologie für verpflichtend/bindend erklärt. Dies erklärt sich mit dem geringen Reifegrad dieser Technologien, häufig aber auch juristischen Details, die der Konretisierung harren. Die Staaten, die vorangeschritten sind, haben meist begleitende Regeln geschaffen, die einem vertrauenswürdigen Dienstleister (sic!) die Zuständigkeit für die Prozesse zuweisen oder die Zuständigkeit des Emittenten beibehalten. Ganz selten nur finden sich Regeln, die auf jegliche Verantwortlichkeit eines Akteures (i.e. Zentralisierung) verzichten. So hat der U.S. Bundesstaat Delaware eine Regelung in das Gesetz eingefügt, die keine Zentralverantwortung mehr verlangt (dazu noch unter IV.1.). Freilich ist nicht sichergestellt, dass die Praxis die Freiräume nutzt – erste Umsetzungsvorschläge mittels des Ethereum Tokens scheinen auf eine zentrale Organisation zu setzen.44 Zudem muss sich der dortige Gesetzgeber nur mit einem Teil36 Vgl. das Gesetz vom 1. März 2019 zur Umsetzung des Gesetzgebungsvorhabens No. 7363. 37 In Malta sind im November 2018 drei Gesetze in Kraft getreten, die zusammen ein innovatives Umfeld für Blockchain/DLT-basierte Geschäftsmodelle gewährleisten sollen: 1) The Virtual Financial Assets Act (Chapter 590 of the Laws of Malta) mit der Virtual Financial Assets Regulations (S.L. 590.01 of the Laws of Malta), 2) The Malta Digital Innovation Authority Act (Chapter 591 of the Laws of Malta) und 3) The Innovative Technology Arrangements and Services Act (Chapter 592 of the Laws of Malta). Vgl. dazu Buttigieg & Efthymiopoulos, The regulation of crypto assets in Malta: The Virtual Financial Assets Act and beyond, Law and Financial Markets (2018); Buttigieg & Sapiano, A critical examination of the VFA framework – the VFA agent and beyond, Law and Financial Markets Review (2019). 38 Vgl. s. 769 des englischen Companies Act (wenngleich die Praxis bislang von den statutarischen Optionen keinen Gebrauch gemacht hat, ist das britische Aktienrecht satzungsdispositiv gestaltet). 39 Namentlich zu nennen sind Delaware (2017) und Wyoming (2019). 40 Vgl. Delaware; Liechtenstein. 41 Wyoming. 42 Liechtenstein, Luxemburg. 43 Liechtenstein, Frankreich, Luxemburg. 44 Vgl. https://medium.com/coinmonks/tokenising-shares-introducing-erc-884-cc4912 58e413.

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bereich der Probleme endgültig befassen, weil für börsennotierte Unternehmen die U.S. securities regulation einen Grundbestand an Schutz gewährt. Selten findet sich ein Radikalmodell wie in Malta und in Liechtenstein, wo ein gänzlich neues Rechtskleid für die Crypto-Ökonomie geschaffen wurde – aber auch dabei wird wiederum auf vertrauenswürdige Intermediäre gesetzt, die für die gesetzlich gewährten Rechte einstehen müssen. Bei Umsetzung der Reformvorhaben in Frankreich sah man sich an der Ausgestaltung der Intermediärsbeziehung, die im Kapitalmarkt- und Bankrecht geregelt ist, gehindert. Grund mögen Zweifel daran sein, ob eine DLTbasierte Kreation und Verwahrung mit der Europäischen ZentralverwahrerVO vereinbart ist, die ihrem Namen nach eine zentrale Verwahrung zu oktroyieren scheint. Auch die Europäische Finalitätsrichtlinie macht gewisse Vorgaben, für die von einzelnen Stimmen eine Unvereinbarkeit mit dezentralen Speichersystemen konstatiert wurde.45 Entsprechend hat man im französischen Aktienrecht die Öffnung für DLT etc. auf nicht börsennotierte AGs beschränkt. Diese Bedenken hat man in Luxemburg, dessen Recht immerhin einer der größten europäischen Zentralverwahrer untersteht, nicht; hier profitieren aber nur gehandelte liquide Finanzinstrumente von der Öffnung des Rechts. Ziel war ein Experimentierraum, der Effizienzsteigerungen bei der Administration der mehr als 15 000 Fonds mit Millionen von Anteilseignern ermöglicht. Der kursorische Blick in Ausland indiziert, dass der Stein der Weisen noch nicht gefunden ist. Die Reformen prägt ein vorsichtiges Vortasten auf der Suche nach der richtigen Kombination aus Fortschrittlichkeit und Risikobegrenzung. Dies betrifft gerade und auch die Rolle des Intermediärs im Gefüge: Quo Vadis, deutsches Aktienrecht?

45 s. Athanassiou, Impact of digital innovation on the processing of electronic payments and electronic contracting: an overview of legal risks, ECB Legal Working Papers No 16 (2017), S. 29 f. („The validity and enforceability of transfer orders and fund transfers performed on a distributed ledger will, inter alia, depend on whether the latter can achieve settlement finality, as one of the key attributes of contemporary, centralized payment systems. … Depending on the specificities of their design, 103 DLT-based networks may not achieve settlement finality in the legal sense of the term (i.e. as systems): this is because the technical finality of transfer orders processed in a DLT environment need not match the commonly-shared legal understanding of the concept of finality. … Besides, it is not clear whether the currently applicable statutory settlement finality safeguards would apply to decentralized multilateral platforms, to the extent that these may not legally qualify as ‚designated systems‘, within the meaning of the Settlement Finality Directive (SFD)105 or any other equivalent legal framework, nor is it clear which entity is to guarantee the finality of transactions if, as in the case of a fully disintermediated platform, there were to be no identifiable entity to operate the platform …)“.

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IV. Anpassungsbedarf im Aktienrecht Vor dem Hintergrund von „ABCD“ (oben II) sollen die Optionen des deutschen Aktien-Gesetzgebers kursorisch erörtert werden. Ausgeblendet wird das Bank- und Kapitalmarktrecht, auch weil es der Gestaltungsbefugnis des deutschen Gesetzgebers weithin entzogen ist. 1. DLT- Originierung: Beziehungsnetzwerk statt Verwahrungsbaum Aktien sind deklarative Wertpapiere. Die Mitgliedschaftsrechte entstehen auch ohne Skripturakt.46 Insoweit wäre es möglich, die Aktie als Token einer Blockchain zu „begeben“. Allerdings ist § 10 Abs. 1, 5 AktG zu beachten, wonach jederzeit eine Urkunde erstellt werden kann, und sei es auch nur als Globalverbriefung. Nach deren Errichtung knüpft sich das für die Übertragbarkeit und Verkehrsfähigkeit maßgebliche Recht an die Existenz der (Global-)Urkunde. Das schafft Friktionen mit dem als Aktie begebenen Token. Hier empfiehlt sich eine Anlehnung an s. 769 (1)(2) des englischen Companies Act 2006, der Satzungsfreiheit in Bezug auf das ob und wie einer Verbriefung gewährt. Demnach könnten die Statuten die Tokenisierung als „Verbriefungsform“ für zulässig erklären. In Deutschland ist die Einführung der elektronischen Aktie geplant (Blockchain-Strategie der Bundesregierung), wofür das BMJV bis zum Jahr 2021 zunächst ein Gutachten einholt.47 Bei der DLT-Ausgabe von Namensaktien stellen sich Probleme aufgrund der Vorgaben zur Führung eines Aktienregisters. Nach § 67 Abs. 1 S. 1 AktG gibt es ein „Aktienregister der Gesellschaft“, das zwar digital geführt werden kann. Unzulässig ist de lege lata indes die dezentrale Führung via DLT. Das Register ist von der Gesellschaft zu führen, funktional zuständig ist der Vorstand.48 Dies ist unvereinbar mit dem DLT-Grundansatz, wo das Netzwerk mit einer Vielzahl von Buchungsstellen (ledger) das Register darstellt und auf eine Führungszentrale verzichtet wird. Will man das vom Vorstand betreute zentrale Aktienregister aufgeben, könnte sich der Weg Delawares anbieten – dort hat man zwar die Verpflichtung der Gesellschaft (!) zur Führung von Registern beibehalten, aber klargestellt, dass (jetzt) „stock ledgers“49 auch eine Vielzahl von Registern zusammen sein kann, und zugleich die funktionale Zuständigkeit eines Vorstandsmitglieds gestrichen. 46

KK-AktG/Dauner-Lieb, 3. Aufl. 2011, § 10 Rn. 20. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/blockchain-stra tegie.pdf (S. 6). 48 KK-AktG/Drygala, 3. Aufl. 2011, § 67 Rn. 7, 9. 49 Gem. s. 219(c) Delaware General Corp. Law, geändert durch Delaware Senate Bill 69 (21-7-2017), lautet: „For purposes of this chapter, ‚stock ledger‘ means one or more re47

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In diesem Fall müssen die Meldepflichten nach § 67 Abs. 4 AktG geändert und eine alternative Regelung für die Löschung aus dem Aktienregister gem. § 67 Abs. 5 AktG getroffen werden, während sich der Anspruch auf Registereinsicht gem. § 67 Abs. 6 AktG erledigt. An dessen Stelle könnte eine ausgewogene Regelung zum Datenschutz treten, etwa dergestalt, dass bis zu einem bestimmten Stimmrechtsanteil ein technischer Schlüssel Anonymität gewährleistet. Geht man diesen Weg, sollte man zudem klarstellen, dass kein Verstoß gegen das Belastungsverbot gegeben ist, so dass eine nachträgliche Anpassung durch Satzungsänderung ohne die Hürde der Individualzustimmung vorgenommen werden kann;50 sonst könnte man in dem Entzug des kollektiven Verbriefungsanspruchs wegen des Wegfalls des sachenrechtlichen Gutglaubensschutzes eine abstrakte Belastung jedes Aktieninhabers sehen. 2. DLT-Repräsentation: Tokenisierung vorhandener Aktien Die nachträgliche Tokenisierung eines geschaffenen Aktienrechts stößt nicht auf aktienrechtliche Hürden. Diese ist jedoch nur begrenzt effizient, da der Rechteinhaber, der eine Art digitales depositary receipt innehat (oben III.2.c), das Gegenparteirisiko der Einheit trägt, die die Rechte aus den Token gewährleistet, etwa verspricht, eine der Anzahl Token entsprechende Aktienanzahl zu halten und die Rechte im Einklang mit den Weisungen des Token-Inhabers auszuüben. In Deutschland kommt auch kein dinglich wirkendes Treuhandrecht in der Insolvenz der Gegenpartei zur Hilfe. Das Gegenparteirisiko mag erklären, warum es auf DLT-Repräsentation ausgerichtete Modelle schwer haben. Diese Hürden wären bei einer Einbeziehung von Token in den Wert„papier“begriff gemindert, weil die bank- und kapitalmarktrechtlichen Spezialvorschriften des DepotG und des europäischen Rechts den Wertpapierinhabern hinreichend Schutz gewähren. 3. DLT-Transfer innerhalb und außerhalb des Wertpapierbegriffs Beim DLT-Transfer gibt es zwei Möglichkeiten. Einerseits kann man die Token rechtlich als Wertpapier behandeln und dann auf dem Bestand des geltenden Rechts aufsetzen. Dies würde nach h.M. zu einer Anwendung cords administered by or on behalf of the corporation in which the names of all of the corporation‘s stockholders of record, the address and number of shares registered in the name of each such stockholder, and all issuances and transfers of stock of the corporation are recorded in accordance with s. 224 of this title. The stock ledger shall be the only evidence as to who are the stockholders entitled by this section to examine the list required by this section or to vote in person or by proxy at any meeting of stockholders.“ 50 Vgl. dazu KK-AktG/Zetzsche, 3. Aufl. 2019, § 180 Rn. 5, 9 f.

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etwa sachenrechtlicher Gutglaubensgrundsätze bei der Übertragung des Tokens führen. Denkbar ist aber auch ein anderer Weg, nämlich der einer Zweiteilung, die berücksichtigt, dass es bei Token keine Sache und keinen Besitz gibt, an den die §§ 932 ff. BGB anknüpfen. Token wären dann wie auch andere Rechte durch Abtretung zu übertragen. Dass dieser Weg für Aktienrechte gangbar ist, wurde schon in den 1970er Jahren gezeigt.51 4. DLT-Rechtszuordnung a) Disintermediation durch Substitution des Verwahrungsbaums? Für die Rechtszuordnung ist zu differenzieren zwischen derjenigen gegenüber der Gesellschaft (vgl. §§ 67 Abs. 2 S. 1, 123 Abs. 4 AktG) und derjenigen gegenüber dem Rechtsverkehr. Gibt es keine Verbriefung, kommt es allein auf die Tradition an, i.e. den Nachweis der Zessionsketten von der Originierung bis zum Aktionär. Bislang war dieser Nachweis problem- und fehlerbehaftet; gingen etwa Vertrag und Beleg verloren, konnte die Nachweiskette im Nichts enden. Dieser missliche Zustand könnte durch digitale Aufzeichnung der Tradition bei tokenisierten Aktien im Ledger der Vergangenheit angehören. Dann träte an die Stelle des intermediärs- ein registergestützter Aktionärsbegriff. Die seit dem Jahr 2001 (NaStraG) vom deutschen Gesetzgeber verfolgte Idee der vollständigen und aktuellen Register könnte Wirklichkeit werden. Dies ginge indes nur, wenn dem Buchungssatz im Ledger Rechtswirkung nicht nur gem. § 67 Abs. 2 S. 1 AktG gegenüber der Gesellschaft, sondern auch im Verhältnis zu Dritten zukommt. Ohne die Erstreckung der Registerwirkung auf Dritte wirkt der Streit im Drittverhältnis auf den Streit um die Aktionärslegitimation ein. Wenn sich etwa zwei Aktionäre in der Kneipe auf dem Bierdeckel statt via DLT und Smart Contract einigen, muss das Verhältnis beider Zuordnungswege bestimmt sein. Eine rechtspolitische Option ist es, den Smart Contract als „exklusiven Weg“ der Übertragung vorschreiben. Aber ist diese überzeugend? Man denke an die zahlreichen Fälle der Sukzession kraft Gesetzes: Erbschaft, Verschmelzung etc. Ein Smart Contract müsste so smart sein, dass er sämtliche Konstellationen des Rechts abbildet und dafür die notwendigen Dokumentationen etc. einlesen kann. Quasi muss der Smart Contract die Weisheit und Berufserfahrung eines Notars samt Belegen und Entscheidungskompetenz bei Rechtsunsicherheit abbilden. Sonst braucht es halt doch wieder eines Intermediärs – zur Entscheidung und Abbildung der „nicht-typischen“ Konstellationen. Die Umsetzung dieser Option bedürfte eines größeren Eingriffs in das Zivilrecht. Der Rechtserwerb durch Registereintragung müsste andere Tra51

Vgl. Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, S. 9 f.

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ditionsformen abschließend verdrängen. Eine solche Regelung müsste Bestimmungen zu Organisation, Dokumentation, Irrtum, Fehlern und Missbrauch enthalten. Im Ergebnis bräuchte man eine Art Depotgesetz für das Aktienregister. b) Disintermediation innerhalb des Verwahrungsbaums? Dies leitet über zur Behandlung der bisherigen Depotbestände. Diese könnten entweder der für Token zu schaffenden Direktregistrierung (s. soeben) unterstellt (also disintermediatisiert) oder weiterhin intermediärsverwahrt sein. Zumal nicht jeder diversifizierte Aktionär einer Vielzahl an Registerketten angehören möchte – allein der Aktualisierungsaufwand des Registerbestands aus Dutzenden Aktien bedeutete hohe laufende Zusatzkosten (!) –, ist die Annahme wohl realistisch, dass viele Aktionäre künftig auch weiterhin über Intermediäre, dann aber sog. Wallet Provider, ihre Aktien halten werden. Diese Annahme liegt etwa der luxemburgischen DLTRegelung zu Grunde, die statt Substitution die Disintermediation innerhalb des Verwahrungsbaums ermöglicht. Bislang ist die Rechtszuordnung bei girosammelverwahrten Aktien gem. § 9a DepotG durch Bezugnahme auf die Verwahrung geregelt. Tritt ein Registernetzwerk unter Intermediärsbeteiligung an die Stelle der Verwahrung, ist dieser Ansatz zu überdenken. So verlangt das Gesetz bei der Ausgabe von Inhaberaktien eine Bestätigung der Intermediäre als Voraussetzung der Rechtsausübung (vgl. § 123 Abs. 4, 67c Abs. 3 AktG). Das deutsche Aktienrecht verlangt jedoch nicht, dass die Intermediäre hierarchisch organisiert sind.52 Denkbar ist daher die Organisation der Zuordnung von Aktien durch ein Netzwerk von Buchungsstellen, in dem sämtliche Intermediäre gleichrangig miteinander und mit der AG verknüpft sind. Dann wäre jeglicher Intermediär, der als ein Endpunkt des Netzwerks agiert (also z.B. Wallets für Aktionäre führt), iSv § 67a Abs. 5 S. 2 AktG Letztintermediär. Intermediäre in der Kette gem. § 67a Abs. 5 AktG gäbe es dann nicht, so dass eine Weiterleitungspflicht innerhalb des Verwahrungsbaums (z.B. § 67a Abs. 3 AktG) ins Leere ginge. 5. Zwischenergebnis Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die durch ABCD angelegte Disintermediatisierung im Kern die Idee vollständiger und aktueller Aktienregister verfolgt. Nur liefert ABCD nicht die Antwort, wie es zur Registereintragung kommt. Den Verlass auf die Tradition und Eintragung nach 52 Eine Diskussion, ob eine hierarchisch-zentrale Organisation der Verwahrung durch die EU-FinalitätsRL oder die CSD-VO geboten ist, wird geführt.

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Eigeninitiative der Parteien will einen nicht recht beruhigen, denn zu viele Fälle kann es geben, in denen die Kette abbricht (zB Todesfall). Dann braucht es zuverlässige Intermediäre, die die Rechtszuordnung wieder im Register abbilden und deren Richtigkeit garantieren. Um diese Funktion zu gewährleisten, wird man nicht umhin kommen, diesen Intermediären auch Einfluss zu gewähren, die wünschenswerte Korrelation von Herrschaft und Haftung herbeizuführen, die private Akteure zur sorgfältigen Pflichterfüllung bewegt. Andernfalls droht der missliche Umstand des Umgangs mit „öffentlichen“ Gütern – von Ronald Coase prägnant als Tragedy of the Commons bezeichnet.

V. Fazit Das „Aktienbankrecht“ haben wir in der 1. Festschrift Hopt beschrieben als das Recht der AG und Aktionäre als „Konsumenten der Intermediärstätigkeit“. Dieses wird von ABCD tiefgreifenden Änderungen unterworfen. Dieser Wandel betrifft die Kreation/Originierung, die Repräsentation, den Transfer und die Zuordnung des Aktienrechts: In den extremen ABCDFormen repräsentiert das Token das Aktienrecht, Transfer erfolgt durch Umschreibung zahlreicher Daten auf bei Aktionären dezentral geführten Buchungsstellen (ledgers) und an die Stelle eines zentralisiert-hierarchisch aufgebauten Verwahrungsbaums tritt ein dezentralisiertes Beziehungsgeflecht unter den Aktionären unter Einbindung der AG. Die Realität näherte sich damit an das Urkonzept des Aktienrechts an, wonach AG und Aktionäre verbunden sind, woraus sich dogmatische Figuren wie die Treupflicht und Gleichbehandlungspflichten ableiten ließen. Aber auch in diesem durch ABCD dezentralisierten Beziehungsgeflecht sind die derzeit von den Banken ausgeübten Funktionen weiterhin gefragt. Jemand muss die Schnittstelle zwischen Aktionär und AG generieren und verwalten: Die Originierungs-Kette (DLT) muss unter Anbindung aller Aktionäre aufgesetzt, Zahlungsflüsse bei Aktienausgabe organisiert und gewährleistet, die Richtigkeit von Repräsentation und Transfer (ggf. zu Zahlungsoder Beleihungszwecken) bestätigt und die Zuordnung durch Einbuchung des Aktienrechts im Ledger mit „Wallet“ des Aktionärs gesichert sein. Aber es werden keine Funktionen „der Banken“ mehr sein, sondern von ABCD geprägte, technische, teilweise über Smart Contracts automatisierte Prozesse. Zu bemerken ist ein Wandel von der Finanz- zur Technikdienstleistung. Die Ersetzung der Kreditinstitute durch den Begriff des „Intermediärs“ in §§ 67 ff. AktG ist aus dieser Perspektive Vorbote einer Ausdehnung des Intermediärsbegriffs. Quintessenz der „Bank“ war deren durch Aufsicht, Zulassung und Bankaktienrecht geprägte Zuverlässigkeit in prozeduraler und finanzieller Hin-

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sicht. Dies qualifizierte die Bank für die Wahrnehmung von Zentralfunktionen im Verwahrungsbaum; die Bank agierte insofern als Finanzinfrastrukturanbieter. In Zeiten von ABCD wird das Vertrauen in Banken partiell ersetzt durch Vertrauen in eine technische Infrastruktur, doch wie ist dieses Vertrauen zu rechtfertigen? Technik ist nicht per se ehrlich und effizient, sondern nur bei „richtiger“ Konfiguration. Die banktypische Zuverlässigkeit muss für „neue“ Intermediäre erst institutionell-organisatorisch hergestellt werden. Dies stellt angesichts der im Werden und Wachsen befindlichen, häufig innovativ-technologisch denkenden Akteure eine Herausforderung dar. Vor diesem Hintergrund ist wohl die plausibelste Annahme die einer partiellen Disintermediation, in doppelter Hinsicht: ein Teil der Dienstleistung wird technisiert, aber gleiches trifft auf die Akteure zu. Manche „Banken“ werden zu Intermediären mit umfangreicher technischer Kompetenz und Dienstleistung. Ergebnis ist eine Art „Hybrid“, bei der die banktypische Solidität weiterhin gefragt ist. Das sich jetzt abzeichnende Ergebnis könnte man als eine Art „hybride Form der Disintermediation“ bezeichnen: nominell (im Gesetz) treten andere „vertrauenswürdige Akteure“ (Intermediäre) an die Stelle der Banken, teils sind dies aber wieder Banken. Zu der Frage, wer im Übrigen Intermediär sein darf, befindet sich das Ausland im Jahr 2020 in der Findungsphase und experimentiert mehr oder minder nah an Vorgaben des klassischen Bank- und Wertpapierdienstleistungsrechts. In Deutschland wird man letztlich auf dieselben Probleme stoßen und wohl ähnliche Lösungen benötigen. Weil Klaus Hopt für Entwicklungen immer offen war, hoffen wir, dass unsere Überlegungen von der Fortentwicklung des Aktienbankrechts zu einem Aktienintermediärsrecht seine Zustimmung finden.

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Zur Corporate Governance von Banken Peter Nobel

Zur Corporate Governance von Banken PETER NOBEL

I. Grundlagen der Bankenregulierung 1. Das Bankgeschäft als öffentlicher Dienst Das schweizerische Bankengesetz (BankG)1 wurde als aufsichtsrechtlicher Erlass in den 1930er Jahren praktisch parallel mit der Neukonzeption des Aktienrechts erarbeitet und beraten2; das BankG 1934, welches in den Grundzügen (und nach vielen Revisionen) immer noch gilt, wurde dann aber bereits per 1. März 1935 in Kraft gesetzt,3 das Aktienrecht folgte am 1. Juli 19374 und ist auch heute noch – mit vielen Reformen – die massgebliche Grundlage. Das BankG ist so offensichtlich am aktienrechtlichen Modell orientiert.5 Dieser Beitrag will prüfen, wie die aktienrechtliche Corporate GovernanceDiskussion immer noch auf den Bankbereich durchschlägt, aber auch, wie sie sich im Bankbereich spezifisch weiterentwickelte und wesentlich mehr Tiefgang erhielt, als die aktienrechtliche Grundlage und selbst deren Weiterentwicklung in der schillernden Governance-Euphorie.6 Die ursprüngliche Idee war damals bemerkenswerterweise, für die Bankenaufsicht die Revisionsstellen beizuziehen, da eine staatliche Aufsicht „den Verantwortungssinn der Verwaltungsorgane schwächen und die Verantwortlichkeit des Staates in gefährlicher Weise in Mitleidenschaft ziehen“7 würde: „Der 1

Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934, SR 952.0. Hugo Bänziger, Vom Sparerschutz zum Gläubigerschutz, in: Eidgenössische Bankenkommission (Hrsg.), Jubiläumsschrift: 50 Jahre eidgenössische Bankenaufsicht, Zürich 1985, S. 3 ff., 42 ff. 3 Vgl. den Wortlaut des Gesetzestextes in BBl 1934 III 601 ff. 4 Peter Nobel, Berner Kommentar, Obligationenrecht, Das Aktienrecht: Systematische Darstellung, Bern 2017, § 3 N 104. Vgl. zum Wortlaut des Gesetzestextes BBl 1936 III 605 ff. 5 BK-Nobel, (Fn. 4), § 4 N 6 f. 6 Die Leitungsprobleme waren in der AG immer akut, schon bevor man das „Corpus“ mit dem „Kybernetes“, dem Steuermann, verband, der dem Wort „Governance“ zugrunde liegt. 7 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen vom 2. Februar 1934, BBl 1934 I 171 ff., 180. 2

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Eingriff eidgenössischer Kontrolleure hätte auch noch andere Unzukömmlichkeiten zur Folge: Die Bankkundschaft, die dem Bankgeheimnis grosse Bedeutung beimisst und darauf will zählen können, würde beunruhigt“8. Das grosse öffentliche Interesse am Banksystem wurde aber trotzdem herausgestrichen: „Der unbeschränkte Einfluss derer, die den Geldmarkt beherrschen und den Kredit verteilen, ist unbestreitbar einer der grossen Machtfaktoren der Gegenwart. Bei diesen Verhältnissen ist die Banktätigkeit eine Art öffentlicher Dienst geworden.“9

Ebenfalls 1935 wurde die Eidgenössische Bankenkommission (EBK), mit fünf Mitgliedern und einem „Sekretariat“ eingerichtet (Art. 23 Abs. 1 aBankG 1934). 2009 wurde sie in Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) umbenannt und ist heute eine Behörde mit Verwaltungsrat (7–9 Mitglieder, Art. 9 Abs. 2 FINMAG10), Direktion (zurzeit neun Mitglieder11) und durchschnittlich 536 Mitarbeitenden12. Das einschlägige Gesetz, das FINMAG von 2007, wollte sich dabei am deutschen Aktienrecht orientieren und den typischen schweizerischen Verwaltungsrat – an sich das oberste geschäftsführende Organ – zu einer Art von amputiertem Aufsichtsrat degradieren. Der Auseinandersetzungsprozess im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens führte dann aber zu einer Öffnung, indem der Verwaltungsrat auch über „Geschäfte von grosser Tragweite“ entscheiden soll (Art. 9 Abs. 1 lit. b FINMAG). Die Corporate Governance der Aufsichtsbehörde selbst ist jedenfalls kein gelungenes Stück.13 Dieser Betrachtungsweise des Bankgeschäfts als „öffentlicher Dienst“ ist es auch in erster Linie zu verdanken, dass der Betrieb einer Bank, also im Wesentlichen die gewerbsmässige Entgegennahme von Publikumseinlagen, einer Bewilligung bedarf Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 BankG). Im ordentlichen Aktienrecht hat sich gegen das Konzessionssystem längst das Normativsystem durchgesetzt, d.h., wer die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, kann frei eine AG gründen.14 Für den Bankbereich ist auch „lediglich“ eine „Polizeibewilligung“ vorgesehen,15 und damit sollen Polizeigüter geschützt werden, die da etwa sind: Öffentliche Sicherheit, Gläubi-

8

Botschaft BankG 1934 (Fn. 7), 180. Botschaft BankG 1934 (Fn. 7), 171. 10 Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG) vom 22. Juni 2007, SR 956.1. 11 FINMA, Jahresbericht 2019, S. 72. 12 FINMA, Jahresbericht 2019, S. 77. 13 Siehe dazu auch Peter Nobel, FINMAG – Ende der Magie?, SJZ 2009, S. 253 ff., 261. 14 Peter Forstmoser/Arthur Meier-Hayoz/Peter Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 4 N 25. 15 Peter Nobel, Schweizerisches Finanzmarktrecht, 4. Aufl., Bern 2019, § 7 N 146. 9

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gerschutz, aber auch der Schutz von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr. Wer die Voraussetzungen erfüllt, hat Anspruch auf diese Bewilligung.16 Die Einhaltung der umfangreichen gesetzlichen Anforderungen wird aber peinlichst genau geprüft, bevor die FINMA die Aufnahme der Geschäftstätigkeit konzediert. Das Bundesgericht hat befunden, dass das wesentlichste Ziel des BankG der Gläubigerschutz sei.17 Haftungsrechtlich hat es auch befunden, dass eine Haftung auch für leichtes Verschulden nicht ohne weiteres wegbedungen werden könne, denn bei den Banken gehe es – trotz der blossen Polizeierlaubnis – um den „Betrieb eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes“ (Art. 100 Abs. 2 und Art. 101 Abs. 3 OR).18 Das verträgt sich schon prima vista nicht ohne weiteres mit dem Corporate Governance-Primat der Eigentümer, d.h. der Aktionäre. 2. Strenge organisatorische und aufsichtsrechtliche Anforderungen für Banken Das BankG enthielt von Anfang an besondere, im Verhältnis zum Aktienrecht weitergehende Anforderungen, nämlich organisatorischer, personeller und finanzieller Art.19 Es sind sozusagen unternehmensrechtliche Eingriffe, die sehr einschneidend sein können. a) Organisatorische Vorkehrungen Organisatorisch ist generell Folgendes vorzukehren: Der Geschäftskreis ist genau zu umschreiben und die der Geschäftstätigkeit entsprechende Verwaltungsorganisation vorzusehen. Vorgeschrieben wurde hier ferner eine dualistische Organisation, nämlich Trennung zwischen Geschäftsleitung und Organ für Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle sowie eine Abgrenzung der Befugnisse dieser Organe,20 damit „eine sachgemässe Überwachung der Geschäftsführung gewährleistet ist“ (Art. 3 Abs. 2 lit. a BankG). An der etwas antiquierten Terminologie des „Oberleitungsorgans“ wurde bislang stets festgehalten, wobei aber klar ist, dass bei Bankaktiengesellschaften damit der Verwaltungsrat gemeint ist und mithin auch die aktienrechtlichen Vorschriften, insbesondere Art. 716a und 716b OR, gelten, wobei die Trennung von Verwaltungsrat und Geschäftsführung bei den Banken aber eben nicht, wie im allgemeinen Aktienrecht, schlicht fakultative „Delegation“, sondern gesetzlich verordnete Trennung ist (Art. 716b

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Nobel (Fn. 15), § 7 N 146. BGE 111 Ib 127. BGE 109 II 116 E. 3a. Nobel (Fn. 15), § 7 N 142 ff. Nobel (Fn. 15), § 7 N 158.

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Abs. 1 OR, Art. 3 Abs. 2 lit. a BankG, Art. 11 Abs. 2 BankV21). Ganz zum Bereich des Aktienrechts wurde (formell allerdings erst seit 2015) die Verantwortlichkeit der Organe, also die persönliche Haftung für sorgfaltswidriges, schädigendes Handeln, geschlagen (Art. 39 BankG; zur Klarstellung betreffend Haftung der Revisoren auch nach dem Aktienrecht siehe Art. 36a Abs. 2bis RAG22). Art. 12 Abs. 1 BankV (vormals ab 1997 Art. 9 aBankV23) verlangt auch eine Funktionentrennung und ein Risikomanagement. Gefordert wird eine wirksame betriebsinterne Trennung von Kreditgeschäft, Handel, Vermögensverwaltung und Abwicklung. Sodann (Art. 12 Abs. 2 BankV): „Die Bank regelt die Grundzüge des Risikomanagements sowie die Zuständigkeit und das Verfahren für die Bewilligung von mit Risiko verbundenen Geschäften in einem Reglement oder in internen Richtlinien. Sie muss insbesondere Markt-, Kredit-, Ausfall-, Abwicklungs-, Liquiditäts- und Imagerisiken sowie operationelle und rechtliche Risiken erfassen, begrenzen und überwachen.“

Durch die Lektüre dieser Bestimmung macht man auch bereits Bekanntschaft mit den einer Bank drohenden Risiken. Heute ist ja alles risikoorientiert und man darf nicht vergessen, dass die Risiken zwar nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit drohen, aber voll und ganz kommen, wenn sie denn kommen.24 b) Gewährserfordernis und Berufsverbot Die wesentliche personelle Anforderung ist darin zu sehen, dass „die mit der Verwaltung und Geschäftsführung der Bank betrauten Personen einen guten Ruf geniessen und Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten“ müssen (Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG). Diese Gewährsanforderung ist auch auf qualifiziert Beteiligte (über 10%) ausgedehnt worden, deren Einfluss sich nicht „zum Schaden einer umsichtigen und soliden Geschäftstätigkeit“ auswirken darf (Art. 3 Abs. 2 lit. cbis BankG). Mit der fit and proper-Anforderung ist auch bereits ein Ansatz zu einer konzernrechtlichen Betrachtungsweise umrissen.25 Das FINMAG enthält zusätzlich auch Regeln zur Sanktion eines Berufsverbots. Dieses kann für höchstens fünf Jahre verfügt werden bei besonders 21 Verordnung über die Banken und Sparkassen (Bankenverordnung, BankV) vom 30. April 2014, SR 952.02. 22 Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren (Revisionsaufsichtsgesetz, RAG) vom 16. Dezember 2005, SR 221.302. 23 AS 1997 103 f. 24 Peter Nobel, Der Risikobegriff und rechtliche Risiken, ZSR 2010 I, S. 3 ff., 3. Ein hoher Banker hat einmal öffentlich gesagt, das sei das Einzige, was ihm aus meinen Vorlesungen geblieben sei, worauf ich sagte, dass dies grundsätzlich auch genüge. 25 Nobel (Fn. 15), § 7 N 168.

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schweren Verletzungen von aufsichtsrechtlichen Regeln und betrifft die Tätigkeit von natürlichen Personen „in leitender Stellung“ bei von der FINMA beaufsichtigten Firmen (Art. 33 FINMAG; sonst nur allenfalls strafrechtliches Tätigkeitsverbot nach Art. 67 StGB). Das Verhältnis der Berufsverbotsregeln zur Gewährsanforderung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG ist allerdings nach wie vor unklar.26 Letztere wird durch das Berufsverbot freilich nicht ersetzt. Anders als bei der Gewährsprüfung, welche die FINMA nur dann vornimmt, wenn die betroffene Person noch bei einem beaufsichtigten Institut tätig ist, kann das Berufsverbot gemäss FINMAG auch nach beendetem Arbeitsverhältnis verhängt werden.27 c) Vorschriften über die Geschäftstätigkeit Für die Banken bestehen aber auch weitreichende Vorschriften über die Geschäftstätigkeit. So ist der dritte Abschnitt des BankG überschrieben mit „Eigene Mittel, Liquidität und andere Vorschriften über die Geschäftstätigkeit.“ Hier wird (neben Eigenmitteln und Liquidität) Folgendes geregelt: Risikoverteilung, Organkredite, Werbebeschränkungen und Informationsweitergabe im Konzern. Finanziell ist das vom Bundesrat vorgeschriebene voll einbezahlte Mindestkapital aufzubringen (heute CHF 10 Mio. gemäss Art. 15 Abs. 1 BankV, allerdings variierend nach Massgabe der geplanten Geschäftstätigkeit). Das Mindestkapital gilt allerdings nur am Anfang. Die Banken müssen ja (und hier erfolgt bereits ein Sprung vom Aktien- ins Unternehmensrecht) über angemessene Eigenmittel und Liquidität für die Geschäftstätigkeit verfügen (Art. 4 BankG). Heute wird dies für die Bank sowohl einzeln wie auch auf konsolidierter Basis verlangt, wobei Beteiligungen ausserhalb des Finanzsektors beschränkt sind (Art. 4 Abs. 1 und 4 BankG). aa) Eigenmittelanforderungen Die Eigenmittelanforderungen und die Vorschriften zur Risikoverteilung sind heute in der Eigenmittelverordnung (ERV)28 geregelt. Deren Grundsatz (Art. 1 ERV) ist bemerkenswert: „1Zum Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger und der Stabilität des Finanzsystems müssen Banken und Effektenhändler entsprechend ihrer Geschäftstätigkeit und Risiken über angemessene Eigenmittel verfügen und ihre Risiken angemessen begrenzen.

26 Siehe dazu auch Peter Nobel, Sanktionen gemäss FINMAG, GesKR 2009, S. 59 ff., 62; ders. (Fn. 15), § 5 N 139 ff. m.w.H.; BGE 142 II 243. 27 Nobel (Fn. 15), § 5 N 140; BGE 142 II 243 E. 2.2. 28 Verordnung über die Eigenmittel und Risikoverteilung für Banken und Effektenhändler (Eigenmittelverordnung, ERV) vom 1. Juni 2012, SR 952.03.

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2 Sie unterlegen Kreditrisiken, Marktrisiken, nicht gegenparteibezogene Risiken und operationelle Risiken mit Eigenmitteln.“

Hier ist daran zu denken, dass das System der Eigenmittelunterlegung, eines der Hauptmerkmale der Arbeiten des Basler Ausschusses29 (beginnend nach dem Herstatt-Skandal 1974 mit der Cooke-Kommission30), auf einer Risikogewichtung der Assets beruht, die dann (linear) mit 8% Eigenmitteln zu unterlegen sind (Art. 42 Abs. 1 ERV). Mit den Risk Weighted Assets (RWA) hielt das Element der Risikodifferenzierung früh Einzug in das Bankaufsichtsrecht. Die ERV kennt auch bereits die Kategorie der „systemrelevanten“ Banken, das Produkt der Too big to fail-Bemühungen. So enthält sie auch besondere Anforderungen für solche Banken, deren Niedergang sogar eine Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen oder eine Finanzkrise auslösen kann (5. Titel, Art. 124 ff. ERV). Es wird hier auch differenziert, ob eine Bank international oder nur national systemrelevant ist (Art. 124a ERV); erstere werden durch das Financial Stability Board (FSB) als Global Systemically Important Banks (G-SIBs) bezeichnet.31 bb) Liquiditätsvorschriften Die Banken müssen sodann über genügend Liquidität verfügen (Art. 4 Abs. 1 BankG). Die Anforderungen im Einzelnen sind in der Liquiditätsverordnung32 geregelt, die auch ein Kapitel mit Sonderanforderungen für systemrelevante Banken enthält (4. Kapitel, Art. 19 ff. LiqV). cc) Gruppenaufsicht Das BankG enthält auch spezielle Regeln zur Aufsicht über Finanzgruppen und Finanzkonglomerate (letztere mit Beteiligung eines Unternehmens aus dem Versicherungssektor, Art. 3c Abs. 2 BankG; Stichwort „Allfinanz“), die wirksam werden wollen, wenn die Unternehmen „eine wirtschaftliche Einheit bilden oder aufgrund anderer Umstände anzunehmen ist, dass ein oder mehrere der Einzelaufsicht unterstehende Unternehmen rechtlich verpflichtet oder faktisch gezwungen sind, Gruppengesellschaften beizustehen“ (Art. 3c Abs. 1 lit. c BankG).33 Bei der konsolidierten Aufsicht 29

Nobel (Fn. 15), § 3 N 362 ff. Benannt nach dem Namen des damaligen, richtungweisenden Vorsitzenden, Peter Cooke, Verantwortlicher für die Bankenaufsicht bei der Bank of England. 31 FSB, 2019 list of global systemically important banks (G-SIBs), 22. November 2019, . 32 Verordnung über die Liquidität der Banken vom 30. November 2012 (Liquiditätsverordnung, LiqV), SR 952.06. 33 Der Ursprung liegt in BGE 116 Ib 331 insb. E. 2 (Credit Suisse-Eigenmittel-Entscheid), wo bereits von Vertrauensverbund die Rede ist. 30

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prüft die FINMA gemäss Art. 24 Abs. 1 BankV namentlich, ob die Finanzgruppe: a. angemessen organisiert ist; b. über ein angemessenes internes Kontrollsystem verfügt; c. die mit der Geschäftstätigkeit verbundenen Risiken angemessen erfasst, begrenzt und überwacht; d. von Personen geleitet wird, die Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten; e. die personelle Trennung zwischen dem mit der Geschäftsführung betrauten Organ und dem Organ für Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle nach Art. 11 einhält; f. die Eigenmittel- und Risikoverteilungsvorschriften einhält; g. über eine angemessene Liquidität verfügt; h. die Rechnungslegungsvorschriften korrekt anwendet; i. über eine anerkannte, unabhängige und sachkundige Prüfgesellschaft verfügt. Mit dem vorbehaltlosen Bekenntnis der Schweiz zum internationalen automatischen Informationsaustausch (AIA) gemäss Art. 26 der OECDMusterkonvention34 am 13. März 2009 ist das Bankgeheimnis im Verkehr mit dem Ausland endgültig aufgehoben worden.35 Auf der Grundlage des Bundesgesetzes über den automatischen internationalen Informationsaustausch in Steuersachen, welches ab 2018 wirksam wurde,36 schloss sich die Schweiz dem AIA an. Damit hat sich auch das Geschäftsmodell der Schweizer Banken grundlegend verändert. Sie setzen heute auf vollumfängliche Transparenz und vertreten die klare Haltung, dass sie nur versteuerte Vermögen verwalten.37 Die Entgegennahme unversteuerter Gelder birgt seit dem 1. Januar 2016 das erhebliche strafrechtliche Risiko der Fiskalgeldwäscherei, da Steuervergehen als Verbrechen zu Vortaten werden. Dies allerdings nur, wenn die hinterzogenen Steuern mehr als CHF 300 000 pro Steuerperiode betragen (Art. 305bis Abs. 1 und 1bis StGB).38 Ebenfalls zu einer Neuausrichtung des Geschäftsmodells führt die neue Finanzmarktarchitektur mit dem Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG)39 und dem Finanzinstitutsgesetz (FINIG)40, welche samt Ausführungsverordnungen am 1. Januar 2020 in Kraft getreten sind. Während das BankG 34

Model Tax Convention on Income and Capital, Fassung vom 21. November 2017. „Die Schweiz will den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen übernehmen“, Medienmitteilung des Bundesrates vom 13. März 2009. 36 AIA-Gesetz (AIAG) vom 18. Dezember 2015, SR 653.1. 37 Nobel (Fn. 15), § 16 N 120 f. 38 Nobel (Fn. 15), § 16 N 121. 39 Bundesgesetz über die Finanzdienstleistungen vom 15. Juni 2018, SR 950.1. 40 Bundesgesetz über die Finanzinstitute vom 15. Juni 2018, SR 954.1. 35

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hauptsächlich auf den Gläubiger-, Funktions- und Vertrauensschutz fokussiert ist,41 steht der Kundenschutz im Brennpunkt der neuen Gesetzgebung.42 Diese Bestrebung ist geprägt von der Einsicht, dass zwischen den Finanzdienstleistern und ihren Kunden oftmals eine erhebliche Informationsasymmetrie besteht.43 Entsprechend auferlegt das FIDLEG den Finanzdienstleistern verschiedene Verhaltensregeln und Informationspflichten (Art. 7 ff.) sowie Prospektpflichten (Art. 35 ff.), welche diejenigen des Aktienrechts ersetzen. 3. Sondervorschriften für die Rechnungslegung Ebenfalls speziell geregelt ist die Rechnungslegung für Banken, die auch eine Konzernrechnung umfasst (Art. 6 BankG). Die Jahresrechnung ist nach den Regeln des (revidierten) OR und des BankG sowie nach den entsprechenden Ausführungsbestimmungen zu erstellen. Schon der erste Artikel der BankV zur Rechnungslegung (Art. 25) enthält aber eine ganze Anzahl von aktienrechtlichen Vorschriften, die als nicht anwendbar erklärt werden. Die FINMA konkretisiert die bankenspezifischen Rechnungslegungsnormen in einer neuen, prinzipienbasierten Verordnung, welche zum 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist.44 Inhaltlich hat sie die Methode zur Bildung von Wertberichtigungen für Kreditausfallrisiken angepasst, indem sie neue Ansätze für erwartete Verluste oder inhärente Ausfallrisiken vorschreibt.45 4. Dualistische Bankenaufsicht Für die Prüfung haben die Banken ein staatlich beaufsichtigtes Revisionsunternehmen zu bestellen und ihre Rechnung ordentlich prüfen zu lassen (Art. 18 BankG). Bei der Bankprüfung ist in der Schweiz zu unterscheiden zwischen dem financial audit (materielle Rechnungsprüfung) und dem regulatory audit (Aufsichtsprüfung).46 Die Revisionsgesellschaften sind heute noch in die Aufsicht eingebunden, indem sie beim regulatory audit zum 41

BGE 99 Ib 104 E. 5; BGE 111 Ib 126; Nobel (Fn. 15), § 7 N 23 m.w.N. Botschaft zum Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und Finanzinstitutsgesetz (FINIG) vom 4. November 2015, BBl 2015 8901 ff., 8902 f., 8918 ff.; ferner statt vieler Peter Nobel, Entwicklungen im Bank- und Kapitalmarktrecht, SJZ 2019, S. 15 ff., 16 sowie ders. (Fn. 15), § 1 N 158, § 10 passim. 43 Rolf Sethe/Moritz Seiler, Dokumentation und Rechenschaftspflicht im geplanten FIDLEG, in: FS für Peter Nobel zum 70. Geburtstag, Bern 2015, S. 431 ff., 454. 44 Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über die Rechnungslegung vom 31. Oktober 2019 (RelV-FINMA), SR 952.024.1. 45 Das bisherige FINMA-Rundschreiben 2015/01 „Rechnungslegung – Banken“ wurde damit stark gekürzt und wird nun als FINMA-Rundschreiben 2020/01 „Rechnungslegung – Banken“ vom 31. Oktober 2019 fortgeführt. 46 Nobel (Fn. 15), § 5 N 106 f., § 7 N 522. 42

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Einsatz kommen und damit als verlängerter Arm der FINMA wirken (Art. 24 Abs. 1 FINMAG i.V.m. Art. 84 FinfraG). Unter regulatory audit versteht man die Prüfung der Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen (Art. 2 Abs. 1 FINMA-PV47). Dieses System der dualistischen Aufsicht, welches nicht immer leicht zu handhaben ist, ist historisch gewachsen und wurde stets als schweizerische Eigenart beibehalten.48 Bereits anlässlich der Schaffung des Bankengesetzes 1934 lehnte der Gesetzgeber ein System der direkten staatlichen Aufsicht über die Banken ausdrücklich ab: „Die Tätigkeit der Banken ist so schwierig und vielgestaltig, dass man nicht an eine staatliche Kontrolle denken kann.“49

Die Aufsichtsprüfung orientiert sich vor allem an den Risiken, welche von den Beaufsichtigten für die Gläubiger, Anleger und die Versicherten sowie für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte ausgehen können (Art. 24 Abs. 2 FINMAG).50 5. Spezielle Kapitalvorschriften für systemwesentliche Institute Nach der Finanzkrise 2008 wurden auch neue Kapitalformen und Kapitalmodalitäten für die systemrelevanten Banken entwickelt, d.h. für Banken, deren Ausfall die schweizerische Volkswirtschaft erheblich schädigen würde (Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 BankG). Die Kapitalvorschriften sind zwar im Bankrecht bzw. in Art. 11 ff. BankG (mit Abweichungen zu den aktienrechtlichen Normen) geregelt, im Aktienrecht aber immerhin Gegenstand von Verweisungen (Art. 651 Abs. 5 OR: Vorratskapital; Art. 653 Abs. 3 OR: Wandlungskapital). Das hängt mit der Diskussion zur Vermeidung eines Too big to fail zusammen. Nach dem BankG dürfen diese weiteren Kapitalformen denn auch „nur zur Stärkung der Eigenkapitalbasis und zur Verhinderung oder Bewältigung der Krise einer Bank geschaffen werden“ (Art. 11 Abs. 3 BankG). Es heisst dann für das Vorratskapital, dass im Übrigen, mit Ausnahme einiger Bestimmungen gemäss Art. 12 Abs. 3 BankG,51 die Vorschriften des OR über das genehmigte Kapital anwendbar 47

Finanzmarktprüfverordnung vom 5. November 2014, SR 956.161. Roger Ammann, in: Schulthess Kommentar zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG, Zürich 2017, Art. 84 N 4 ff.; Nobel (Fn. 15), § 5 N 107. 49 Botschaft BankG 1934 (Fn. 7), 179. 50 Die Grundzüge für den Inhalt und die Durchführung dieser Prüfung sowie die Form der Berichterstattung sind in der FINMA-PV geregelt. Für die technischen Ausführungsbestimmungen hat die FINMA das Rundschreiben 2013/3 Prüfwesen erlassen. Was demgegenüber die Rechnungsprüfung anbelangt, ist die Revisionsaufsichtsbehörde für die Festlegung der Inhalte und Standards zuständig, vgl. Nobel (Fn. 15), § 7 N 522. 51 Nicht zur Anwendung kommen Art. 651 Abs. 1 und 2 (zeitliche und betragsmässige Beschränkung der genehmigten Kapitalerhöhung), Art. 652b Abs. 2 (wichtige Gründe für den Bezugsrechtsausschluss), Art. 652d (Erhöhung aus Eigenkapital) und Art. 656 Abs. 1 48

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sind. Beim Wandlungskapital sollen dagegen gemäss Art. 13 Abs. 8 BankG die Vorschriften des OR zur bedingten Kapitalerhöhung keine Anwendung finden, mit Ausnahme von drei Artikeln.52 6. Bankengesetzliche Sanierungsmassnahmen Mit Art. 25 ff. BankG wurden so auch weitreichende Bestimmungen zu Massnahmen bei Insolvenzgefahr (Schutzmassnahmen und Sanierungsverfahren) und zum Bankenkonkurs eingefügt. Bereits zu Beginn in Art. 25 Abs. 3 BankG heisst es: „Die Bestimmungen über das Nachlassverfahren (Art. 293–336 SchKG), über das aktienrechtliche Moratorium (Art. 725 und 725a des Obligationenrechts) und über die Benachrichtigung des Richters (Art. 729b Abs. 2 des Obligationenrechts) sind auf Banken nicht anwendbar.“

Konkursbehörde und Konkursverwalterin ist im Bankenbereich die FINMA.53 Der Sanierungsplan verlangt als Genehmigungsvoraussetzung (durch die FINMA) u.a. – und das ist bezeichnend und erheblich –, dass er „den Vorrang der Interessen der Gläubiger vor denjenigen der Eigner […] berücksichtigt“ (Art. 31 Abs. 1 lit. c BankG). Anderseits ist es aber auch möglich, die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital vorzusehen, wenn eine Insolvenz nicht auf andere Weise beseitigt werden kann (Art. 31 Abs. 3 BankG). Hier können volkswirtschaftliche Interessen sogar den Gläubigerschutz übertrumpfen.

II. Corporate Governance und ihr Einzug in die (Banken-)Gesetzgebung 1. Shareholder Value und Agency-Theorie als Anknüpfungspunkte Die ordentliche Corporate Governance-Diskussion hat wohl mit dem Shareholder Value-Denken begonnen. Es war das Bestreben, den verantwortlichen Einsatz der Leitungsorgane im Unternehmensinteresse zu verbessern. Die Umschreibung, welche in der Schweiz die Diskussion eröffnete,54 kam aber schlicht daher: und 4 OR (betragsmässige Beschränkung der genehmigten Erhöhung des Partizipationskapitals). 52 Es sind dies Art. 653a Abs. 2 (Mindesteinlage), Art. 653d Abs. 2 (Schutz der Wandelund Optionsberechtigten) und Art. 653i OR (Streichung). 53 Vgl. dazu und zu den damit zusammenhängenden Kompetenzen der FINMA Nobel (Fn. 15), § 7 N 767 ff. 54 Massgeblich Peter Böckli, Corporate Governance: The Cadbury Report and the Swiss Board Concept of 1991, SZW 1996, S. 149 ff.

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„Corporate Governance is the system by which companies are directed and controlled.“55

Dies ermöglichte auch einen vernünftigen Zugang zu der doch ungewohnten Begriffskombination, die sich wie eine Wolke über das gesamte Gesellschaftsrecht senkte und zu einer Art von Omnibus-Rezeptur wurde. Der Ansatzpunkt blieb anfänglich aber das Board: „They must be free to drive their companies forward, but exercise that freedom within a framework of effective accountability. This is the essence of any system of good corporate governance.“56

Damit begann aber auch das Zeitalter der uniformen Ausschüsse der Verwaltungsräte: audit, nomination und compensation.57 So liess sich der Ansatz auch in der seit Berle/Means längst vertrauten Agency-Theorie verorten, welche die Manager als „Agents“ der Shareholder und Eigentümer („Principals“) sehen wollten: „Finally, in the corporate system, the „owner“ of industrial wealth is left with a mere symbol of ownership while the power, the responsibility and the substance which have been an integral part of ownership in the past are being transferred to a separate group in whose hands lies control.“58

2. Hinwendung zu den Stakeholdern Die Corporate Governance-Diskussion ging aber weiter und öffnete sich einem Stakeholder-Ansatz, der das Interessenspektrum der am Unternehmen Beteiligten oder von ihm Betroffenen erweiterte: „Der Corporate-Governance-Rahmen sollte die gesetzlich verankerten oder einvernehmlich festgelegten Rechte der Unternehmensbeteiligten (Stakeholder) anerkennen und eine aktive Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Stakeholdern mit dem Ziel der Schaffung von Wohlstand und Arbeitsplätzen sowie der Erhaltung finanziell gesunder Unternehmen fördern.“59

In Bezug auf die Corporate Governance der Banken rücken die Principles des Basler Ausschusses von 2015 die Stakeholder-Interessen klar in den Vordergrund: 55 Report of the committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (präsidiert durch Adrian Cadbury), 1. Dezember 1992, Introduction, Ziff. 2.5. 56 Cadbury-Report (Fn. 55), The setting for the report, Ziff. 1.1. 57 Siehe etwa Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, § 13 N 412–414. 58 Adolf A. Berle/Gardiner C. Means, The Modern Corporation and Private Property, New York 1932, S. 68. 59 G20/OECD-Grundsätze der Corporate Governance, überarbeitete Fassung vom Januar 2016, S. 41.

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„The primary objective of corporate governance should be safeguarding stakeholders’ interest in conformity with public interest on a sustainable basis. Among stakeholders, particularly with respect to retail banks, shareholders’ interest would be secondary to depositors’ interest.“60

Dabei wird die AG zunehmend als Veranstaltung von Stakeholdern verstanden, wodurch das von der rechtlichen Konstruktion erfasste Interessenspektrum erweitert wird. In der Schweiz hat jedoch vor allem Hans Caspar von der Crone vor einem derartigen Schritt gewarnt.61 Er moniert, dass die Differenz zwischen Shareholdern und Stakeholdern „unsere heutige Wachstumswirtschaft überhaupt erst möglich gemacht hat und auch in Zukunft weiter zur Wirtschaftsdynamik beitragen wird.“62 Daher plädiert er für Beibehaltung dieser Differenz und als Konsequenz davon für die Notwendigkeit, gezielt mit den negativen Externalitäten umzugehen, von denen insbesondere die Arbeitnehmer sowie die Umwelt betroffen sind.63 Das Statement des amerikanischen Business Roundtable scheint die Hinwendung zum breiteren Stakeholder-Ansatz auch für Amerika zu vollziehen, denn es heisst da:„[…] we share a fundamental commitment to all of our stakeholders“.64 Schon im Jahr 2002 publizierte die economiesuisse den Swisscode of best practice for corporate governance mit der Leitidee: „Corporate Governance ist die Gesamtheit der auf das nachhaltige Unternehmensinteresse ausgerichteten Grundsätze, die unter Wahrung von Entscheidungsfähigkeit und Effizienz auf der obersten Unternehmensebene Transparenz und ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle anstreben.“65

2007 wurde der Code um einen Anhang 1 ergänzt, der Empfehlungen zu den Vergütungen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung enthält. Im Übrigen wird er laufend an die Entwicklungen der Gesetzgebung angepasst. Die SIX Swiss Exchange erliess ihrerseits 2008 gestützt auf das Kotierungsreglement und die für die Beurteilung der Effekten und des Emittenten notwendigen Informationen eine Richtlinie zur Corporate Governance

60 Basel Committee on Banking Supervision, Corporate governance principles for banks, Guidelines, Juli 2015, Introduction Ziff. 2; Klaus J. Hopt, Chapter 41: Comparative Law, in: Mathias Reimann/Reinhard Zimmermann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2. Aufl., Oxford 2019, 1137 ff., 1158. 61 Hans Caspar von der Crone/Karin Beyeler/Daniel Dédeyan, Stakeholder im Aktienrecht, ZSR 2003 I, S. 409 ff., insbes. 438 f. 62 von der Crone/Beyeler/Dédeyan (Fn. 61), 439. 63 von der Crone/Beyeler/Dédeyan (Fn. 61), 439. 64 Business Roundtable, Statement on the Purpose of a Corporation, 19. August 2019, 3 Absatz. 65 economiesuisse, Swiss code of best practice for corporate governance, Juli 2002, S. 6.

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(RLCG). Sie ist nach dem Erlass des FinfraG66 revidiert worden und gilt in neuer Form seit dem 1. Mai 2018.67 Sie gilt auch für kotierte Banken und regelt die übersichtliche Darstellung einer Anzahl wesentlicher, aber an sich auch anders eruierbarer Informationen zur rechtlichen Ausgestaltung der Gesellschaften (Konzernstruktur, Kapitalstruktur, VR, GL, Entschädigungen, Aktionärsrechte, Abwehrrechte, Revision, Informationspolitik). Die Angaben sollen Gegenstand eines eigenen Kapitels im Geschäftsbericht sein (Art. 4 RLCG). 3. Debt Governance? Die Anatomy of corporate law68 sprach von einer triple agency, nämlich Aktionäre und Board, Mehrheit und Minderheit der Aktionäre und derjenigen des Unternehmens mit den vertraglich verbundenen Beteiligten (Arbeitnehmer, Gläubiger). Eine erweiterte Auslegeordnung (der 3. Auflage) brachte auch „the firm’s external constituencies“ (S. VIII) ins Spiel und damit auch ausserrechtliche Anliegen wie ethisches Verhalten und Ansehen (Reputation). Insgesamt blieben die Arbeiten aber im Rahmen dessen, was man mit Equity Governance überschreiben könnte. Selbstverständlich werden die Gläubigerprobleme auch in die Betrachtungen einbezogen, doch geht dies nicht bis zur Betrachtung einzelner Gläubigerrechte, welche die Corporate Governance durchaus beeinflussen können. Jedenfalls fehlt es an der Verrückung der Grundlage von der Equity Governance zu dem, was man in Deutschland bereits als Debt Governance zu skizzieren begonnen hat.69 Für die Schweiz wäre hier anzumerken, dass den Gläubigern verschiedene Rechte zukommen;70 so ist zu erwähnen, dass sie heute selbst Mängel in der Organisation der Gesellschaft geltend machen können, was zur Auflösung und Liquidation führen kann (Art. 731b Abs. 1 Ziff. 1 und 3 OR). Dann sind sie legitimiert, allerdings erst im Konkurs und nach der Konkursver66 Bundesgesetz über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturgesetz) vom 19. Juni 2015, SR 958.1. 67 Richtlinie betr. Informationen zur Corporate Governance (Richtlinie Corporate Governance, RLCG) vom 20. März 2018. 68 Reinier Kraakman/John Armour/Paul Davies et al. (Hrsg.), The anatomy of corporate law: a comparative and functional appoach, 3. Aufl., Oxford 2017. 69 Siehe dazu Klaus J. Hopt, Der Aufsichtsrat: Aktienrecht und Corporate Governance, Sonderausgabe aus dem Grosskommentar zum Aktiengesetz §§ 95–116 AktG, Berlin/Boston 2019; ders., Corporate Governance of Banks after the Financial Crisis, in: Eddy Wymeersch/Klaus J. Hopt/Guido Ferrarini (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, A Post-Crisis Analysis, Oxford 2012, S. 337 ff. 70 Lilian Bühlmann, Gläubiger als Stakeholder im Gesellschaftsrecht, SSHW Bd. 324, Zürich/St. Gallen 2015, S. 79 ff.

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waltung, Verantwortlichkeitsansprüche zu erheben (Art. 757 OR). Anleihensgläubiger bilden sodann eine Gläubigergemeinschaft, die im Verzugsfall den Schuldner kontrollieren und auch Eingriffe in die Gläubigerechte vornehmen kann (Art. 1157 ff., 1160, 1170 OR). Gläubiger können auch einen finanziellen Konkurs verhindern, indem sie (in genügendem Umfang) schlicht und einfach ihre Forderungen als nachrangig erklären Art. 725 Abs. 2 OR). Sie können auch einen Konkursaufschub beantragen (Art. 725a Abs. 1 OR). Ein Gläubiger kann aber auch ohne vorgängige Betreibung die Konkurseröffnung verlangen (Art. 190 SchKG). Mit der Konkurseröffnung geht sodann die ganze Liquidationsgovernance auf die Gläubiger über, was nicht selten übersehen wird: „Sämtliches pfändbare Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Konkurseröffnung gehört, bildet, gleichviel wo es sich befindet, eine einzige Masse (Konkursmasse), die zur gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger dient.“ (Art. 197 Abs. 1 SchKG).

Hier bestehen dann auch die bedeutenden (paulianischen) Rechte, um durch Schenkungs-, Überschuldungs- und Absichtsanfechtung Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung wieder zuzuführen (Art. 285 ff. SchKG). Bedeutsam sind sodann die Möglichkeiten von Nachlassverfahren, die auch Sanierungen ermöglichen können und in einem ordentlichen Nachlassvertrag enden, oder „der Konkurs im Frack“, nämlich ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, der zur Liquidation durch die Gläubiger führt (Beispiel Swissair). Auch angesichts all der Gläubigerrechte, deren Bedeutung vor dem Krisenfall stets unterschätzt wird, kann man nicht behaupten, dass im ordentlichen Lauf der Geschäfte ausserhalb des Bankbereichs von so etwas wie Debt Governance gesprochen werden könnte. Mit Sicherheit wurde im Bankbereich in die Governance-Überlegungen aber auch die Öffentlichkeit einbezogen, nämlich vor allem dort, wo im Nachgang zur Finanzkrise und der Too big to fail-Diskussion die Kategorie der systemwesentlichen Institute besonders erfasst wurde (Art. 7 ff. BankG); diese werden durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) bezeichnet (Art. 8 Abs. 3 BankG; bisher wurden UBS, Credit Suisse, die Zürcher Kantonalbank, PostFinance und Raiffeisen als systemwesentlich eingestuft). Art. 7 Abs. 1 BankG enthält folgende Definition: „Systemrelevante Banken sind Banken, Finanzgruppen und bankdominierte Finanzkonglomerate, deren Ausfall die Schweizer Volkswirtschaft und das schweizerische Finanzsystem erheblich schädigen würde.“

So wurden besondere Anforderungen erarbeitet, die aber auch proportional sein sollten, sowie die Wettbewerbsverhältnisse berücksichtigen und international anerkannten Standards Rechnung tragen müssen (Art. 9 BankG;

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die besonderen Anforderungen beziehen sich auf Eigenmittel und Liquidität sowie eine Notfallplanung), denn: „Die Bestimmungen dieses Abschnitts bezwecken, im Zusammenwirken mit den allgemein anwendbaren bankenrechtlichen Vorschriften die von systemrelevanten Banken ausgehenden Risiken für die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems zusätzlich zu vermindern, die Fortführung volkswirtschaftlich wichtiger Funktionen zu gewährleisten und staatliche Beihilfen zu vermeiden“ (Art. 7 Abs. 2 BankG).

Hier verschafft sich wirklich eine External Constituency Raum und Gewicht. Vor den Gläubigern kommen Staat und Steuerzahler. 4. Internationale Corporate Governance-Standards Nach etwelchen Vorarbeiten und unter expliziter Bezugnahme auf die Principles von 201071 sowie auf die OECD-Grundsätze,72 auf die für die Aktionärsrechte verwiesen wird, hat der Basler Ausschuss im Juli 2015 revidierte Corporate governance principles for banks in Form von Guidelines als internationalen Standard veröffentlicht.73 Corporate Governance wird dabei wie folgt umschrieben: „A set of relationships between a company’s management, its board, its shareholders and other stakeholders which provides the structure through which the objectives of the company are set, and the means of attaining those objectives and monitoring performance. It helps define the way authority and responsibility are allocated and how corporate decisions are made.“ (Glossary, S. 1).

Mit ausdrücklichem Hinweis auf das Proportionalitätsprinzip und rechtliche Differenzen zwischen den Ländern (Ziff. 16–22) werden die Anforderungen in 13 Prinzipien niedergelegt (1–3 Board, 4 Senior Management, 5 Gruppenstrukturen, 6–8 Umgang mit Risiken, 9 Compliance, 10 Interne Revision, 11 Entschädigungen, 12 Offenlegung und Transparenz, 13 Rolle des Regulators). Die FINMA schreibt zu ihren Aufsichtsschwerpunkten im Bereich Banken und Effektenhändler in Bezug auf die Corporate Governance für 2019: „Die aktuelle Erfassung der Unternehmensführung von grösseren Banken offenbart bei einzelnen Instituten zusätzlichen Handlungsbedarf. Verbesserungspotential wurde vor allem bei der Gesamtzusammensetzung des Verwaltungsrats und bei der Machtverteilung zwischen Organen und einzelnen Funktionsträgern festgestellt. Damit ist die für eine Bank erforderliche Organisation infrage gestellt. Die FINMA hat daher entschieden, die Entwicklung 71 Basel Committee on Banking Supervision, Principles for enhancing corporate governance, Oktober 2010. 72 S. oben II.2 sowie Fn. 59. 73 Basel Committee on Banking Supervision, Corporate governance principles for banks, Guidelines, Juli 2015, zu den Aktionärsrechten insbes. Ziff. 4 und 20.

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der Führungsstrukturen bei grösseren Banken in Zukunft aktiver und systematischer zu begleiten. Zur Korrektur allfälliger Defizite werden, wo nötig, konkrete Aufsichtsmassnahmen im Einzelfall definiert.“74

5. Corporate Governance-Regulierung der FINMA Die FINMA betrachtet als Grundlagen der besonderen GovernanceRegulierung der Banken neben dem Aktienrecht (besonders Art. 716a OR) vor allem die folgende die Trias: Das Rundschreiben RS 2017/1 „Corporate Governance – Banken“ mit der erweiterten Überschrift „Corporate Governance, Risikomanagement und interne Kontrolle bei Banken“, dann das RS 2008/21 „Operationelle Risiken – Banken“, welches die Eigenmittel- und qualitativen Anforderungen für operationelle Risiken bei Banken regelt, und schliesslich das RS 2010/1 „Vergütungssysteme“, das Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten enthält. a) FINMA-RS 2017/1 „Corporate Governance – Banken“ Das RS „Corporate Governance“ beschäftigt sich mit dem Oberleitungsorgan (VR), der Geschäftsleitung, dem Rahmenkonzept für das institutsweite Risikomanagement, dem internen Kontrollsystem, der internen Revision und abschliessend den Gruppenstrukturen. Es enthält in den Randziffern 2–7 auch eine Anzahl von nützlichen begrifflichen Festlegungen. In den Ausführungen zum Geltungsbereich wird erläutert, dass grundsätzlich das Proportionalitätsprinzip gelten soll, d.h., dass die Anforderungen im Einzelfall „unter Berücksichtigung der Grösse, der Komplexität, der Struktur und des Risikoprofils des Instituts umzusetzen“ sind (Rz 8). Dabei ist auch zu beachten, dass die Banken insgesamt nach den Kriterien von Bilanzsumme, verwaltetem Vermögen, privilegierten Einlagen und Mindesteigenmitteln in fünf (Risiko-)Kategorien eingeteilt werden (Art. 2 Abs. 2 und 3 sowie Anhang 3 BankV). Daneben bestehen natürlich die von der SNB als systemwesentlich bezeichneten Institute.75 Die Anforderungen sind in weitem Umfange risikoorientiert. Unter „Risiko“ ist gemeinhin eine kalkulierte Prognose zu verstehen, die, wenn sie schief geht, zu einer Beeinträchtigung oder zu einem Schaden führt.76 Finanzinstitutionen sind seit je her unterschiedlichen Risiken ausgesetzt, was durch die Volatilität der Finanzmärkte zusätzlich untermauert wird.77 Die 74 FINMA, Jahresbericht 2018, S. 53. Im Jahresbericht 2019, S. 22, fügt die FINMA ergänzend hinzu: „Neben dem regulären Aufsichtsdialog können gezielt weitere geeignete Maßnahmen wie Vor-Ort-Einsätze, Treffen mit ausgewählten Organen oder vertiefte Einblicke in unternehmensinterne Dokumente getroffen werden.“ 75 Siehe dazu oben II.3. 76 Nobel (Fn. 24), 3. 77 Rolf H. Weber, Risikomanagement in Finanzinstitutionen, SZW 2016, S. 558 ff., 558.

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Verhinderung des Eintritts von Risiken ist daher ein gewichtige Aufgabe ihrer Organe: „Das Oberleitungsorgan legt die Geschäftsstrategie fest und erlässt Leitsätze zur Unternehmenskultur. Es genehmigt das Rahmenkonzept für das institutsweite Risikomanagement und trägt die Verantwortung für die Reglementierung, Einrichtung und Überwachung eines wirksamen Risikomanagements sowie die Steuerung der Gesamtrisiken“ (Rz 10).

Das Oberleitungsorgan muss mindestens zu einem Drittel aus unabhängigen Mitgliedern bestehen (Rz 17), wobei aber alle Mitglieder genügende persönliche Voraussetzungen und Verfügbarkeit mitbringen müssen (Rz 16). Institute der Aufsichtskategorien 1–3 haben einen Prüf- und Risikoausschuss zu bilden (Rz 31), systemwesentliche Institute zusätzlich einen Vergütungs- und Nominationsausschuss (Rz 31). Der Geschäftsleitung obliegt die Führung des Tagesgeschäfts, die Antragstellung an den Verwaltungsrat (Rz 48 und 49) und „die Ausgestaltung sowie de[r] Unterhalt zweckmässiger interner Prozesse, eines angemessenen Managementinformationssystems und eines IKS sowie einer geeigneten Technologieinfrastruktur“ (Rz 50). Die unabhängigen Kontrollinstanzen müssen mindestens die Risikokontrolle und die Compliance-Funktion abdecken (Rz 62). Bei den Banken der Kategorien 1–3 ist ein Chief Risk Officer (CRO) zu bestellen, der bei den systemwesentlichen Instituten Mitglied der Geschäftsleitung sein muss (Rz 67 und 68). Die interne Revision ist als wichtige Funktion dem Verwaltungsrat unterstellt (Rz 87). Es fällt wiederum auf, dass die Governance hier sehr stark nicht nur auf Organisation, sondern materiell auf Risiko und Kontrolle ausgerichtet ist. b) FINMA 2008/21 „Operationelle Risiken – Banken“ Das FINMA-Rundschreiben zu den operationellen Risiken „konkretisiert die Art. 89–94 der Eigenmittelverordnung (ERV; SR 952.03) und definiert die qualitativen Grundanforderungen an das Management der operationellen Risiken beruhend auf Art. 12 BankV […]. Es regelt im quantitativen Bereich die Bestimmung der Eigenmittelanforderungen für operationelle Risiken […] sowie die damit einhergehenden Verpflichtungen. Die qualitativen Grundanforderungen entsprechen den Basler Empfehlungen zum einwandfreien Management der operationellen Risiken.“ (Rz 1).

Auf die technischen Bereiche ist hier nicht einzugehen, aber es lohnt sich, den Gehalt des Begriffs der operationellen Risiken zu überschauen: „Mit operationellen Risiken wird die Gefahr von Verlusten bezeichnet, die in Folge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen oder Systemen oder in Folge von externen Ereignissen eintreten.

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Eingeschlossen sind Rechtsrisiken, nicht aber strategische Risiken und Reputationsrisiken.“ (Art. 89 ERV).

Interessant sind die qualitativen Anforderungen an den Umgang mit operationellen Risiken (Rz 117 ff. FINMA-RS 2008/21), wobei auch hier das Proportionalitätsprinzip gelten soll und Anforderungen bestehen, von denen kleine Institute ganz ausgenommen sind (Rz 118). Die Grundsätze entsprechen den Basler Prinzipien von 2011 (Rz. 120)78 und verlangen Folgendes: – Kategorisierung und Klassifizierung von operationellen Risiken (Rz 121 und 122); – Identifizierung, Begrenzung und Überwachung (Rz 128–130); – Interne und externe Berichterstattung (Rz 132–134); – Implementierung einer genügenden Technologieinfrastruktur (Rz 135); – Planung der Kontinuität bei Geschäftsunterbrechung (Rz 136); – Weiterführung von kritischen Dienstleistungen bei der Abwicklung und Sanierung systemrelevanter Banken (Rz 136.1); – Erfassung der Risiken aus dem grenzüberschreitenden Dienstleistungsgeschäft (Rz 136.2–136.5). Die Einhaltung ist von den Prüfgesellschaften zu kontrollieren (Rz 139).

III. Vergütungsvorschriften im Besonderen 1. Empörungsdebatten und erste „Beruhigungsmassnahmen“ Die öffentliche, politische Diskussion über die Entschädigungen in der Finanzwelt war nicht nur bankbezogen, wurde durch die Boni der Banker aber entscheidend angeheizt. Die Theorie hat hier insofern beigetragen, als erläutert wurde, dass der Verwaltungsrat sich bei der Festlegung der eigenen Entschädigung in einem Interessenkonflikt befinde, was bei den Banken besonders relevant war. Oftmals wird die Entschädigungspolitik sogar als für die Finanzkrise mitverantwortlich gemacht.79 Falsche Anreizstrukturen und entsprechend motiviertes Risikoverhalten sollen die Krise forciert haben.80 78 Basel Committee on Banking Supervision, Principles for the Sound Management of Operational Risk, Juni 2011. 79 So hält das Financial Stability Board (FSB) in seinen Principles for Sound Compensation Practices vom 2. April 2009 etwa fest: „Compensation practices at large financial institutions are one factor among many that contributed to the financial crisis that began in 2007.“ (Introduction). 80 Philipp Perren/Peter Oberholzer, Vergütungssysteme und -vorschriften im Finanzbereich, in: St. Galler Handbuch zum Finanzmarktrecht, Bd. I, Zürich/St. Gallen 2018, § 19 N 2.

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Als erstes „Beruhigungsmittel“ publizierte die economiesuisse 2007 einen Anhang 1 zum Swiss code of best practice for corporate governance.81 Die Skandalisierung ging aber weiter und mündete in die sog. „AbzockerInitiative“ vom heutigen Ständerat Thomas Minder,82 die am 3. März 2013 von Volk und Ständen überraschend angenommen wurde. Der Bundesrat erliess dann auf der Grundlage des neuen Art. 95 Abs. 3 BV (so hat es das Aktienrecht in die Bundesverfassung geschafft) die VegüV vom 20. November 201383 als temporäre Verordnung, denn das Ganze wird im Zuge der Aktienrechtsreform weitgehend unverändert ins Gesetzesrecht überführt (vgl. Art. 732 ff. E-OR).84 Wesentlich sind die Pflicht zur Publikation eines Vergütungsberichts (Art. 13 VegüV und Art. 734 E-OR) sowie die Abstimmungen der Aktionäre über die Vergütungen (Art. 18 VegüV und Art. 735 E-OR). Der VegüV unterstehen selbstverständlich auch die börsenkotierten Banken. Aus der Sicht von Corporate Governance erscheint als wesentlichster Umstand, dass die Bestimmung über die Vergütungen dem Verwaltungsrat aus den Händen genommen und den Aktionären anvertraut wird. 2. FINMA-RS 2010/1 „Vergütungssysteme“ Die FINMA erliess ihrerseits per 1. Januar 2010 das Rundschreiben 2010/1: Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten in Ergänzung zu den Regeln des Obligationenrechts. Das RS 2010/1 hält einleitend fest: „Das Vergütungssystem ist Bestandteil der Organisation eines Finanzinstituts und kann dessen Kapital-, Liquiditäts- und Risikosituation massgeblich beeinflussen. Zudem begründen Vergütungen Anreize. Solche Anreize dürfen nicht dazu verleiten, unangemessene Risiken einzugehen, gegen geltendes Recht oder erlassene Weisungen zu verstossen oder Vereinbarungen zu missachten.“ (Rz 1).

Das Rundschreiben will unter Wahrung des Proportionalitätsgrundsatzes alle unterstellten Finanzinstitute erfassen (Rz 4) und richtet sich – anders als der Rahmen der gewohnten, auf die obersten Organe bezogenen Diskussion – an alle vom Finanzinstitut beschäftigten Personen (Rz 18). Dies ist ein deutlich unternehmensbezogener Ansatz, der dem Aktienrecht fernliegt, 81

Siehe dazu bereits oben II.2. Volksinitiative „gegen die Abzockerei“, mit 114’260 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht am 26. Februar 2008; mit Verfügung vom 2. April stellte die Bundeskanzlei deren Zustandekommen fest, BBl 2008 2577 f. 83 Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften, SR 221.331. 84 Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, BBl 2017 399 ff., 447; Rolf Sethe/Meltem Cetinkaya, Entwicklungen im Gesellschafts- und im Wertpapierrecht, SJZ 2019, S. 649 ff., 649. 82

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dessen Vergütungsvorschriften lediglich die kotierten Gesellschaften und dort die Organe erfassen. Das Rundschreiben enthält zehn Grundsätze, wobei vor allem der Verwaltungsrat verpflichtet wird, ein der wirtschaftlichen Lage und dem Risikoprofil des Unternehmens angepasstes Entschädigungssystem auszugestalten und dafür ein Vergütungsreglement zu erlassen (Rz 16 ff.). Ferner ist ein Entschädigungsausschuss des Verwaltungsrates einzusetzen (Rz 21).

IV. Fazit Es ist in der Tat so, dass die Corporate Governance-Regeln für Banken erheblich von den allgemeinen Standards abweichen und wesentlich tiefer gehen. Entsprechend wird hier nicht nur eine Debt-orientierte Governance eingerichtet, sondern es scheinen unter dem Heading von Too big to fail sogar volkswirtschaftliche Interessen auf, die Priorität beanspruchen. Insgesamt greifen die bankrechtlichen leitungsorientierten Vorschriften und die Aufsicht viel tiefer ein, als die aktienrechtlichen Vorgaben, und zwar organisatorisch, personell (Gewähr und Reputation), finanziell (Eigenmittel und Liquidität) sowie mit der konsequenten Risikoorientierung. Corporate Governance der Banken ist vielfältig und es schimmert auch immer wieder eine Durchsetzung mit öffentlichen Interessen durch. Davon zeugt die umfangreiche Regulierung. Die Aktionäre treten in den Hintergrund; Gläubigerbelange überwiegen, und die Öffentlichkeit ist um das Wohlergehen und die Gefahrenabwehr besorgt. Erstaunlich ist, dass die Corporate GovernanceDiskussion an diesem Spezialbereich doch weitgehend vorbeigegangen ist.

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Aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht und Geschäftsgeheimnisgesetz

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Aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht und Geschäftsgeheimnisgesetz Hartmut Oetker

Aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht und Geschäftsgeheimnisgesetz HARTMUT OETKER

I. Einleitung Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht erfuhr trotz ihrer fundamentalen Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und die Zusammenarbeit zwischen den Organen1 erst in § 84 Abs. 1 Satz 2 AktG 1937 eine spezialgesetzliche normative Ausprägung und verpflichtete Mitglieder des Vorstands, über „vertrauliche Angaben“ Stillschweigen zu bewahren. Entsprechendes galt über die in § 99 AktG 1937 angeordnete entsprechende Anwendung des § 84 AktG 1937 für Mitglieder des Aufsichtsrats, wodurch das Aktiengesetz eine Verpflichtung übernahm, die zuvor bereits § 70 Satz 3 BRG für die nach § 70 Satz 1 BRG dem Aufsichtsrat angehörenden Arbeitnehmervertreter begründet hatte. Eine speziell auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bezogene Schutzbestimmung etablierte erst die AktGNovelle im Jahre 1965, indem § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG 1965 der Verschwiegenheitspflicht den „vertraulichen Angaben“ ergänzend die „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ hinzufügte und zugleich in § 404 Abs. 1 AktG 1965 die Offenbarung eines geschützten „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses“ als Unterfall eines „Geheimnisses der Gesellschaft“2 strafrechtlich bewehrte. Gespeist wurde die prononcierte Hervorhebung der „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ als Facette der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht durch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, da die von ihnen gewählten Aufsichtsratsmitglieder vor der AktG-Novelle 1965 bereits über § 76 Abs. 2 Satz 5 BetrVG 1952 i.V. mit § 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1952 nicht nur über vertrauliche Angaben, sondern auch über die ihnen wegen der Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat bekannt gewordenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu wahren hatten. Da der Gesetzgeber für diese im Vergleich zu § 84 Abs. 1 Satz 2 AktG 1937 vermeintlich unterschiedlichen Regelungen sachliche Gründe vermisste, sah er eine einheitliche Regelung für alle Aufsichtsratsmitglieder auch im Hinblick auf den verfas1 2

Treffend statt aller Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 280. Ebenso § 85 Abs. 1 GmbHG.

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sungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) als geboten an.3 Folgerichtig wurde die bisherige Verweisung in § 76 Abs. 2 Satz 5 BetrVG 1952 auf § 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1952 wegen der nunmehr für alle Aufsichtsratsmitglieder geltenden Verweisung in § 116 Satz 1 AktG auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG 1965 entbehrlich und durch § 40 Nr. 1 EG AktG aufgehoben.4 Die von dem Reformgesetzgeber des Aktiengesetzes 1965 diagnostizierte vermeintliche Diskrepanz in der Reichweite der Verschwiegenheitspflicht darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auch zuvor keineswegs gestattet war. Erstens war bereits zu § 84 Abs. 1 Satz 2 AktG 1937 anerkannt, dass die „vertraulichen Angaben“ auch „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ der Gesellschaft umfassen.5 Zweitens unterlagen sowohl Mitglieder des Vorstands als auch Mitglieder des Aufsichtsrats unabhängig von einer vor dem Aktiengesetz 1937 notwendigen Integration der Verschwiegenheitspflicht in die allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 241 HGB a.F.)6 und das Verbot sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) den Bestimmungen zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse außerhalb des Aktiengesetzes. Das galt insbesondere für die Keimzelle des auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bezogenen Geheimnisschutzes, den das Lauterkeitsrecht erstmals in § 9 Abs. 1 UWG 1896 begründete7 und in § 17 Abs. 1 UWG 1907 fortführte. Obwohl die strafrechtliche Sanktionsnorm tatbestandlich bis zur Neufassung des UWG im Jahre 2004 auf „Angestellte, Arbeiter und Lehrlinge“ beschränkt war, wurden gestützt auf den Normzweck verbreitet nicht nur Vorstandsmitglieder, sondern auch Mitglieder des Aufsichtsrats in den Kreis potenzieller Täter einbezogen.8 Mit der Neufassung des UWG im Jahre 2004 und der seitdem in 3

Zum Vorstehenden s. Begr. RegE, BT-Drucks. IV/171, S. 132; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 86 f. 4 Dies trug vor allem auch den Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1952 auf die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer Rechnung; s. Spieker NJW 1965, 1937 (1938). 5 S. statt aller Schmidt, Großkomm. AktG, 2. Aufl. 1961, § 84 Anm. 11; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 85; im Ergebnis auch Spieker NJW 1965, 1937 (1940). Treffend deshalb die Kritik von Schmidt zur Einfügung der „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ in § 93 Abs. 1 AktG (s. Schmidt, Großkomm. AktG, 2. Aufl. 1961, § 84 Anm. 78: „überflüssig“; ebenso Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 283). 6 So für die Mitglieder des Aufsichtsrats Staub/Pinner, HGB, 12./13. Aufl. 1926, § 246 Anm. 10a; ferner v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 82 f. 7 Zur historischen Genese näher Prein, Der Geheimnisschutz im wirtschaftlichen Wettbewerb nach deutschem Recht, 1932, S. 10 ff.; Slawik, Die Entstehung des deutschen Modells zum Schutz von Unternehmensgeheimnissen, 2017, S. 261 ff. 8 So z.B. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, § 17 UWG Rn. 10; Otto, Großkomm. UWG, 1. Aufl. 1991, § 17 UWG Rn. 24; Schafheutle, Wirtschaftsspionage und Wirtschaftsverrat im deutschen und schweizerischen Strafrecht, 1972, S. 88 ff.;

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§ 17 Abs. 1 UWG normierten Anknüpfung an „eine bei einem Unternehmen beschäftigte Person“ wurde die Einbeziehung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder wegen der grammatikalischen Offenheit des Tatbestands in den Anwendungsbereich des echten Sonderdelikts nahezu unstreitig.9 Zudem war anerkannt, dass die strafrechtliche Sanktion in § 404 Abs. 1 AktG in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einer Strafbarkeit nach § 17 Abs. 1 UWG stehen konnte.10 Infolge der Richtlinie (EU) 2016/943 vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung11 hat der Gesetzgeber das tradierte Instrumentarium zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auf eine neue normative Grundlage gestellt. Unter gleichzeitiger Aufhebung des bisherigen strafrechtlichen Schutzes durch § 17 UWG12 ist dies durch das am 26. April 2019 in Kraft getretene „Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG)“ geschehen.13 v. Stebut, DB 1974, 613; a.A. jedoch Arians, in: Oehler (Hrsg.), Der strafrechtliche Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Bd. I, 1978, S. 307 (352). 9 So Brammsen, MünchKomm. LauterkeitsR, 2. Aufl. 2014, § 17 UWG Rn. 35; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: November 2019, § 17 UWG Rn. 18; Hohmann, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 17 UWG aF Rn. 11; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 17 UWG Rn. 14; Möhrenschlager, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007, Kap. 13 Rn. 11; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 17 UWG Rn. 13; Reinbacher, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 17 UWG Rn. 6; Stier/ Hasselblatt, HaKo-UWG, 3. Aufl. 2016, § 17 UWG Rn. 24; a.A. für Aufsichtsratsmitglieder Kotthoff/Gabel, Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2005, § 17 UWG Rn. 9; Wolters, Großkomm. UWG, 2. Aufl. 2015, § 17 UWG Rn. 36. 10 Altenhain, KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2016, § 404 Rn. 42; Brammsen, MünchKomm. LauterkeitsR, 2. Aufl. 2014, § 17 UWG Rn. 78; Geilen, KölnKomm. AktG, 1. Aufl. 1984, § 404 Rn. 90; Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 404 Rn. 63; BeckOK UWG/Kalbfus, 1.10.2019, § 17 UWG Rn. 66; Kiethe, MünchKomm. StGB, 2. Aufl. 2015, § 404 AktG Rn. 86; Reinbacher, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 17 UWG Rn. 84; Oetker, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 404 Rn. 16; Otto, Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1997, § 404 Rn. 53; Schaal, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 404 Rn. 64. Ebenso für das Verhältnis einer Strafbarkeit nach § 85 Abs. 1 GmbHG zu § 17 UWG Altenhain, MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 85 Rn. 54; Boetticher, in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 4. Aufl. 2019, § 85 Rn. 15; Ransiek, in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 85 Rn. 42; Saenger, in: Saenger/ Inhester, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 85 Rn. 3; Schaal, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 85 Rn. 35; Tiedemann/Rönnau, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 85 Rn. 54. 11 ABl. EU Nr. L 157 v. 15.6.2016, S. 1. 12 S. Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung. 13 BGBl. 2019 I S. 466. Abweichend im konzeptionellen Ansatz der österreichische Gesetzgeber, der den traditionellen lauterkeitsrechtlichen Regelungskontext beibehielt und die Vorgaben der Richtlinie in den §§ 26a ff. öUWG umsetzte.

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In Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben regelt dieses nicht nur den Begriff des Geschäftsgeheimnisses (§ 2 GeschGehG) und entsprechende Handlungsverbote (§ 4 GeschGehG), sondern begründet in den §§ 6 ff. GeschGehG zugleich zivilrechtliche Ansprüche gegen den Rechtsverletzer, die von der an die Stelle von § 17 UWG getretenen Strafrechtsnorm in § 23 GeschGehG flankiert werden. Aus Sicht der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht sind infolge der gesetzlichen Neuregelung zwei unterschiedliche Problemkomplexe zu diskutieren. Der erste Fragenbereich umfasst die Anwendung des Geschäftsgeheimnisgesetzes auf Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (dazu II.). Der zweite Aspekt betrifft die Rückwirkungen bzw. Ausstrahlungen der neuen gesetzlichen Vorschriften auf die tradierten aktienrechtlichen Bestimmungen zur Verschwiegenheitspflicht der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (dazu III.).

II. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder als Adressaten des Geschäftsgeheimnisgesetzes 1. Fortbestand der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, den im Geschäftsgeheimnisgesetz etablierten Schutz mit vergleichbaren Regelungen zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu harmonisieren. Zwar korrespondiert die in § 23 GeschGehG neu geschaffene Strafbestimmung mit der Aufhebung des § 17 UWG,14 die Vorschriften zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht blieben jedoch unverändert und werden insbesondere nicht durch das Geschäftsgeheimnisgesetz als lex specialis verdrängt. Das Gesetz hat dies zwar nur in § 1 Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG für § 203 StGB sowie in § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG für die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ausdrücklich angeordnet („bleiben unberührt“). Hieraus kann aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, anderweitige Bestimmungen zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse würden durch das Geschäftsgeheimnisgesetz verdrängt. Vielmehr bleiben diese ebenfalls „unberührt“, was nicht nur für die Bestimmungen zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht gilt.15

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S. oben Fußn. 12. Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, Vorbem. GeschGehG Rn. 82; ebenso Höfer GmbHR 2018, 1195 (1197), mit dem Plädoyer für eine legislative Klarstellung. 15

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2. Sachliche Reichweite des Geheimnisschutzes am Beispiel von Gesetzesverstößen innerhalb des Unternehmens In Deutschland wird der Schutz unternehmensbezogener Geheimnisse traditionell durch das Begriffspaar der „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ umschrieben, was letztlich auf der bereits durch § 9 Abs. 1 UWG 1896 eingeführten Terminologie beruht, die nachfolgend nicht nur von § 17 Abs. 1 UWG 1907 aufgegriffen, sondern auch in zahlreichen weiteren Gesetzen übernommen wurde, um die sachliche Reichweite des unternehmensbezogenen Geheimnisschutzes zu umschreiben bzw. zu konkretisieren. Die Bestimmungen zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG sowie § 404 Abs. 1 AktG stehen insoweit stellvertretend für zahlreiche weitere Vorschriften (z.B. § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, § 85 Abs. 1 GmbHG, § 6 Satz 2 IFG, § 203 StGB). Obwohl die exakte Abgrenzung im Ergebnis letztlich ohne praktische Bedeutung für die Reichweite des Geheimnisschutzes ist, werden den Betriebsgeheimnissen die innerbetrieblichen technischen Komponenten zugeordnet, während die Geschäftsgeheimnisse die kaufmännischen Komponenten und die Stellung des Unternehmens im Wettbewerb umfassen.16 In Übernahme der unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2001/943 wird die tradierte Begrifflichkeit nunmehr durch die Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG überwunden, die ausschließlich auf den Begriff „Geschäftsgeheimnis“ zurückgreift, um die Reichweite des unternehmensbezogenen Geheimnisschutzes zu umschreiben. Da § 2 Nr. 1 GeschGehG – nicht anders als Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2016/943 – alle Informationen erfassen soll, die für ein Unternehmen von wirtschaftlichem Wert sind, gehen beide Legaldefinitionen von einem weiten Begriffsverständnis aus, das den Geheimnisschutz auch auf die traditionell den „Betriebsgeheimnissen“ zugerechneten Informationen erstreckt.17 Offen ist die Einbeziehung solcher Informationen in den Geheimnisschutz, die sich auf Gesetzesverstöße innerhalb des Unternehmens beziehen, was nicht nur die Verletzung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften, sondern auch sonstige Handlungen betreffen kann, durch die innerhalb des

16 S. statt aller BAG 15.12.1987 NJW 1988, 1686 (1686); Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 17 UWG Rn. 4a. 17 Ebenso zu § 2 Nr. 1 GeschGehG Begr. RegE, BT-Drucks. 19/4724, S. 24; Naber/ Peukert/Seeger NZA 2019, 583 (583); Ohly GRUR 2019, 441 (442); Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 1 Rn. 120; Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 165 f. Zu Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2016/943 s. neben Erwägungsgrund 14 („technologische Informationen“) Schubert, in: Franzen/Gallner/ Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Art. 2 RL (EU) 2016/ 943 Rn. 1.

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Unternehmens gegen gesetzliche Vorschriften, z.B. auf den Gebieten des Steuerrechts, des Kartellrechts oder des Umweltschutzrechts, verstoßen wird. Zu § 17 Abs. 1 UWG war die Rechtslage nicht abschließend geklärt. Nicht zuletzt aufgrund der Integration der Norm in den strafrechtlichen Vermögensschutz sprach sich das Schrifttum überwiegend für die Einbeziehung derartiger Informationen in den Schutz durch § 17 Abs. 1 UWG aus.18 Eine Spiegelung findet die lauterkeitsrechtliche Diskussion für die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht, wobei vornehmlich zur strafrechtlichen Sanktionsnorm überwiegend dafür plädiert wird, Informationen über Gesetzesverstöße innerhalb des Unternehmens nicht bereits auf der Tatbestandsebene aus § 404 Abs. 1 AktG auszuklammern.19 Da es zu § 17 Abs. 1 UWG – ebenso wie zu § 404 AktG und § 85 GmbHG – nicht an gegenläufigen Stellungnahmen fehlt,20 die sich auch auf ein älteres Judikat des Reichsarbeitsgerichts stützen können,21 überrascht es nicht, dass die Streitfrage auch zu der RL (EU) 2016/943 kontroverse Positionen auslöst. So 18 Hierfür Brammsen, MünchKomm. LauterkeitsR, 2. Aufl. 2014, § 17 UWG Rn. 24; Ebert-Weidenfeller, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2019, 3. Teil 4. Kap. Rn. 75; Eufinger WM 2016, 2336 (2338); Hohmann, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 17 UWG aF Rn. 32; Janssen/Maluga, MünchKomm. StGB, 2. Aufl. 2015, § 17 UWG Rn. 35 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 17 UWG Rn. 9; Mayer GRUR 2011, 884 (887); Möhrenschlager, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007, Kap. 13 Rn. 10; Reinbacher, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 17 UWG Rn. 23; Rengier, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 17 UWG Rn. 21; Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 118 f.; Többens NStZ 2000, 505 (506); Ullrich NZWiSt. 2019, 65 (66); Wiese, Die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, 2018, S. 34 f.; Wolters, Großkomm. UWG, 2. Aufl. 2015, § 17 UWG Rn. 28 sowie für das österreichische Recht OGH 14.6.2000 WBl. 2000, 572 (572). 19 So Altenhain, KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2016, § 404 Rn. 13; Raum, in: Henssler/ Strohn, GesR, 4. Aufl. 2019, § 404 AktG Rn. 3 a.E.; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 44 ff.; Weiß, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 404 AktG Rn. 19; im Grundsatz auch Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 404 Rn. 29 ff. Ebenso zu § 85 GmbHG Altenhain, MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 85 Rn. 15; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 85 Rn. 6; Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 22. Aufl. 2019, § 85 Rn. 7; Boetticher, in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 4. Aufl. 2019, § 85 Rn. 8; Dannecker, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 85 Rn. 42; BeckOK GmbHG/ Dannecker/Müller, 1.11.2019, § 85 Rn. 42; Hohmann, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 85 GmbHG Rn. 19; Ransiek, in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 85 Rn. 24; Servatius, in: Henssler/Strohn, GesR, 4. Aufl. 2019, § 85 GmbHG Rn. 3; Rönnau, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 85 Rn. 25; a.A. Müller-Michaels, in: Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 404 Rn. 21. 20 So zu § 17 Abs. 1 UWG bereits Rützel GRUR 1985, 557 ff. sowie aus neuerer Zeit Engländer/Zimmermann NZWiSt. 2012, 328 (331 ff.); Hauck WRP 2018, 1032 (1034); Richters/Wodtke NZA-RR 2003, 281 (282); Schnabel CR 2016, 342 (345 ff.). 21 RAG 27.8.1930 JW 1931, 490 (491).

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wird aus dem Ausnahmetatbestand in Art. 5 lit. b RL (EU) 2016/943, der die Aufdeckung einer „illegalen Tätigkeit“ privilegiert, verbreitet geschlossen, dass derartige Informationen in die Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses in Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2016/943 und damit in den Schutz der Richtlinie vor einer Offenbarung einbezogen sind.22 Die gegenläufige Position23 verweist demgegenüber auf Erwägungsgrund 14 zur RL (EU) 2016/943, wonach nur solche Informationen in die Definition des Begriffs „Geschäftsgeheimnis“ einbezogen werden sollen, an deren Geheimhaltung ein „legitimes Interesse“ bzw. eine „legitime Erwartung“ besteht, was bei Gesetzesverstößen innerhalb des Unternehmens zu verneinen sei. Eine Diskrepanz zu Art. 5 lit. b RL (EU) 2016/943 wird dadurch abgewendet, dass sich die Norm auf den Schutz derjenigen Personen beschränken soll, die in gutem Glauben davon ausgehen, dass ein „illegales Verhalten“ vorliegt.24 Liege der Gesetzesverstoß hingegen vor, bedürfe es der Privilegierung durch Art. 5 lit. b RL (EU) 2016/943 nicht, insbesondere sei die Offenlegung nicht vom Schutz eines allgemeinen öffentlichen Interesses abhängig.25 Unabhängig davon wird im Hinblick auf Erwägungsgrund 14 zur RL (EU) 2016/943 die Einbeziehung von Gesetzesverstößen in den Begriff des Geschäftsgeheimnisses auch deshalb angezweifelt, weil entsprechenden Informationen hierüber nicht stets ein Handelswert zukommt.26 Dem steht ungeachtet der eingeschränkten Relevanz der Erwägungsgründe für den normativen Teil der Richtlinie27 entgegen, dass Art. 2 Nr. 1 lit. b RL (EU) 2016/943 den „kommerziellen Wert“ einer Information nicht in den Rang einer eigenständigen Voraussetzung erhebt, sondern aus dem Geheimnis22 Hierfür Alexander WRP 2017, 1034 (1038); BeckOK UWG/Kalbfus, 29.6.2017, § 17 UWG Rn. 58; Oetker ZESAR 2017, 257 (261 f.); Preis/Seiwerth RdA 2019, 351 (354); Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 126 ff.; Schnabel CR 2016, 342 (348); Wiese, Die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, 2018, S. 48; in dieser Richtung auch Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 1 Rn. 115; ebenso zu § 2 Nr. 1 GeschGehG BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 2 Rn. 73 f.; Rönnau, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 85 Rn. 26. 23 Für diese Hauck WRP 2018, 1032 (1034 f.); Schubert, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Art. 2 RL (EU) 2016/943 Rn. 10 ff.; i.E. auch Kalbfus GRUR 2016, 1009 (1011); Schmitt RdA 2017, 365 (369). 24 S. auch Wiese, Die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, 2018, S. 137; a.A. wohl BeckOK GeschGehG/ Hiéramente, 15.10.2019, § 5 Rn. 33.1. 25 So Schubert, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Art. 2 RL (EU) 2016/943 Rn. 12, Art. 5 RL (EU) 2016/943 Rn. 15. 26 S. Wiese, Die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, 2018, S. 48; ebenso zu § 2 Nr. 1 GeschGehG McGuire, in: Büscher, UWG, 2019, § 2 GeschGehG Rn. 40; a.A. BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 2 Rn. 78.1 ff. 27 S. Preis/Seiwerth RdA 2019, 351 (354).

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charakter ableitet („weil sie geheim sind“). Allein aus dem Umstand, dass eine Information nicht allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist, folgt scheinbar bereits ihr kommerzieller Wert.28 Selbst bei einer gegenteiligen Sichtweise29 liegt ein kommerzieller Wert bei Gesetzesverletzungen innerhalb des Unternehmens bereits darin, dass deren Offenbarung mit der Gefahr eines Reputationsschadens einhergeht und das Unternehmen u.U. hoheitlichen Sanktionen aussetzt.30 Die hierdurch vorgezeichnete Kontroverse findet eine Spiegelung in der Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses in § 2 Nr. 1 GeschGehG, die sich im Gegensatz zu dem Entwurf der Bundesregierung aufgrund der Beschlussempfehlungen des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz nicht – wie die österreichische Umsetzungsgesetzgebung (s. § 26b Abs. 1 öUWG) – auf eine Übernahme der unionsrechtlichen Legaldefinition beschränkt, sondern ergänzend in § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG nur solche Informationen in den Geheimnisschutz einbezieht, an deren Geheimhaltung ein „berechtigtes Interesse“ besteht. Hiermit griff der Gesetzgeber im Interesse einer Übernahme der anerkannten Umschreibung zu § 17 UWG eine tatbestandliche Voraussetzung auf, die aufgrund des notwendigen objektiven Beurteilungsmaßstabes31 einen methodischen Hebel liefert, um den Geheimhaltungsschutz unternehmensbezogener Informationen aufzuweichen. So lässt sich – wie in der Diskussion zu § 79 BetrVG – mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass an der Geheimhaltung von Informationen über Gesetzesverstöße innerhalb des Unternehmens bei objektiver Betrachtung kein aus Sicht der Rechtsordnung „berechtigtes Interesse“ besteht,32 so dass derartige Informationen aus dem Schutz durch das Ge28 Gegenläufig Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 121 f. 29 Für diese zu § 2 Nr. 1 GeschGehG Ohly GRUR 2019, 441 (443): zusätzliche Voraussetzung des Geheimnisschutzes. 30 Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 126 f.; ebenso zu § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 2 GeschGehG Rn. 79; BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 2 Rn. 75; Ohly GRUR 2019, 441 (443); Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 1 Rn. 147; Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 267; Ullrich NZWiSt. 2019, 65 (67); a.A. McGuire, in: Büscher, UWG, 2019, § 2 GeschGehG Rn. 40. 31 BGH 5.6.1975, BGHZ 64, 325 (329). 32 So zu § 79 BetrVG Buschmann, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 79 Rn. 9; Fitting, BetrVG, 30. Aufl. 2020, § 79 Rn. 3b; Kania, ErfKomm. ArbR, 20. Aufl. 2020, § 79 BetrVG Rn. 6; Krois, MHdB ArbR, 4. Aufl. 2019, § 295 Rn. 207; Lorenz, in: Düwell, BetrVG, 5. Aufl. 2018, § 79 Rn. 12; Oetker, GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 79 Rn. 16 (a.A. nunmehr aber Oetker, GK-BetrVG, 11. Aufl. 2018, § 79 Rn. 21); Preis, in: Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 4. Aufl. 2009, § 79 Rn. 4; Weber, Die Schweigepflicht des Betriebsrats, 2000, S. 114 ff.; im Grundsatz auch Schwipper, Öffentliche

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schäftsgeheimnisgesetz auszuklammern sind und deren Offenlegung nicht mehr den dort normierten zivilrechtlichen und strafrechtlichen Abwehrmechanismen unterliegen.33 Besondere Bedeutung hat die Voraussetzung eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses für Mitglieder des Aufsichtsrats. Dies zeigt anschaulich die parallele Diskussion zu § 79 BetrVG, die sich zudem auch auf die Frage erstreckt, ob die betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht den Informationsfluss zwischen Betriebsrat und Belegschaft einschränkt, da § 79 Abs. 1 Satz 4 BetrVG lediglich den Informationsaustausch zwischen den betriebsverfassungsrechtlichen Organen privilegiert. Vorherrschend wird die hierin zum Ausdruck kommende Gesetzessystematik so verstanden, dass es dem Betriebsrat bzw. seinen Mitgliedern verwehrt ist, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gegenüber der Belegschaft bzw. dem „Wahlvolk“ zu offenbaren.34 Hiervon weicht indessen eine neuere Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein ab, die im Hinblick auf die Information der Arbeitnehmer über einen geplanten Personalabbau ein „berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens“ verneint, weil der Informationsfluss zwischen Betriebsrat und Belegschaft für die Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben notwendig sei.35 Die Relevanz dieser Relativierung zeigt sich insbesondere bei von den Arbeitnehmern gewählten Vertretern des Aufsichtsrats. Gestützt auf die Informationsinteressen der Arbeitnehmer und dem für die Aufgabenwahrnehmung für notwendig erachteten Informationsfluss zwischen Arbeitnehmervertretern und ihrem „Wahlvolk“ wurde bereits frühzeitig dafür plädiert, bezüglich derartiger Informationen ein berechtigtes Geheimhal-

Meinungsäußerungen des Betriebsrats und seiner Mitglieder, 2012, S. 114 ff.; Waskow, NK-Gesamtes Arbeitsrecht, 2016, § 79 BetrVG Rn. 6; enger Sittart, in: Henssler/ Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 79 BetrVG Rn. 8: Nur aufgrund einzelfallbezogener Interessenabwägung. 33 Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 2 GeschGehG Rn. 78 f.; Hauck GRUR-Prax 2019, 223 (224); a.A. Dann/Markgraf NJW 2019, 1774 (1776); Rody, Der Begriff und die Rechtsnatur von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter Berücksichtigung der Geheimnisschutz-Richtlinie, 2019, S. 267; Ullrich NZWiSt. 2019, 65 (67); wohl auch Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 1 Rn. 164 ff., § 3 Rn. 21 ff. 34 S. Krois, MünchHdB ArbR, 4. Aufl. 2019, § 295 Rn. 207; Oetker, GK-BetrVG, 11. Aufl. 2018, § 79 Rn. 22; Rieble, Arbeitsrecht-Kommentar, 8. Aufl. 2018, § 79 BetrVG Rn. 4; im Grundsatz auch Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, 1988, S. 115 f.; a.A. Buschmann, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 79 Rn. 8. 35 LAG Schleswig-Holstein 20.5.2015 NZA-RR 2016, 77 sowie nachfolgend LAG Hessen 20.3.2017 BeckRS 2017, 109528; zustimmend Buschmann AuR 2015, 355 (356); Fitting, BetrVG, 30. Aufl. 2020, § 79 Rn. 4; Kohte/Schulz-Doll Anm. zu LAG SchleswigHolstein, LAGE § 79 BetrVG 2001 Nr. 2; im Ergebnis auch Brammsen/Schmitt NZA-RR 2016, 81 (82); a.A. LAG Hessen 12.3.2015 BeckRS 2016, 66338.

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tungsinteresse des Unternehmens zu verneinen.36 Dem ist der II. Zivilsenat des BGH in dem Bayer-Urteil zwar nicht gefolgt,37 hat eine Ausnahme im konkreten Einzelfall aber dann erwogen, wenn die Information der Arbeitnehmer durch ein Mitglied des Aufsichtsrats im objektiv zu beurteilenden Unternehmensinteresse liege.38 Dieser methodische Hebel lässt sich in vergleichbarer Weise für die Vertreter der Anteilseignerseite bzw. den Aufsichtsratsvorsitzenden einsetzen, um die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gegenüber Investoren der Gesellschaft oder dem „Wahlvolk“ (Aktionäre, Entsendungsberechtigte) zu legitimieren. Vor Inkrafttreten des Geschäftsgeheimnisgesetzes ließ sich deshalb unter Hinweis auf die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2016/943 die Auffassung vertreten, dass jedenfalls im Anwendungsbereich der Richtlinie die Relativierung durch ein „berechtigtes Unternehmensinteresse“ entfällt und in diesem Segment des Geheimnisschutzes den vorstehend skizzierten Einschränkungen die normative Grundlage entzogen ist.39 Das nunmehr in § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG für das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses geforderte „berechtigte Interesse an der Geheimhaltung“ provoziert zwangsläufig die Frage nach der Richtlinienkonformität der Legaldefinition, worauf bereits die Bundesregierung im Rahmen der Beratungen des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz hingewiesen und sich deshalb ablehnend gegenüber einem von den Regierungsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag positioniert hatte.40 Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen strebte demgegenüber „vor dem Hintergrund jüngerer Rechtsprechung und mit Blick auf die Erwägungsgründe der Richtlinie“ eine „Nachschärfung“ der Definition an, in dem „ausdrücklich ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung verlangt“ wurde.41 Dem schloss sich der Bundestagsausschuss 36 Hierfür vor allem Kittner ZHR 136 (1972), 208 (231); ferner Nagel BB 1979, 1799 (1804); Pfarr MitbestGspr. 1976, 51 (53) sowie Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, 10. Aufl. 2013, Rn. 561 ff., 577; Klinkhammer/Rancke, Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, 1978, S. 12 ff. 37 Ablehnend z.B. auch Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 56; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 215; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 483; Mertens/Cahn, KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 116 Rn. 39. 38 BGH 6.5.1975 BGHZ 64, 325 (331); s. auch BGH 26.4.2016 NJW 2016, 2569 Rn. 33 sowie bereits RAG 1.10.1930 ARS 10, 122 (127); dazu auch Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 64. 39 So Oetker ZESAR 2017, 257 (259); ders., GK-BetrVG, 11. Aufl. 2018, § 79 Rn. 21. 40 S. BT-Drucks. 19/8300, S. 12; ebenso i.S. einer Richtlinienwidrigkeit Oetker ZESAR 2017, 257 (259); Preis/Seiwerth RdA 2019, 351 (354); Rönnau, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 85 Rn. 30; krit. ferner Alexander WRP 2019, 673 (674); Ohly GRUR 2019, 441 (444 f.); zurückhaltend Naber/Penkert/Seeger NZA 2019, 583 (583 f.); s. auch Baranowski/Glaßl DB 2016, 2563 (2564 f.); Kalbfus GRUR 2016, 1009 (1010 f.); McGuire GRUR 2016, 1000 (1006); Rauer/Eckert DB 2016, 1239 (1240). 41 S. BT-Drucks. 19/8300, S. 11.

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für Recht und Verbraucherschutz in seinen Beschlussempfehlungen an und verneinte eine Diskrepanz zur Richtlinie unter Hinweis auf deren Erwägungsgrund 14, wonach nur solche Informationen in den Schutz durch die Richtlinie einbezogen werden sollen, an deren Geheimhaltung ein „legitimes Interesse“ besteht.42 Zudem trage die Hinzufügung eines „berechtigten Interesses“ in § 2 Nr. 1 GeschGehG der nicht weiter konkretisierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung.43 Selbst wenn im Hinblick auf die Forderung nach einem „berechtigten Interesse an der Geheimhaltung“ wegen des in Erwägungsgrund 14 postulierten Ziels einer „homogenen Definition des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses“ von deren Richtlinienwidrigkeit ausgegangen wird, hat dies nicht die Unanwendbarkeit von § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG zur Folge. Diese Diskrepanz löst vielmehr zunächst das unionsrechtlich zwingende Gebot einer richtlinienkonformen Gesetzesanwendung aus,44 die sich jedoch nicht über die Grenzen des nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten hinwegsetzen darf. Für eine Auslegung oder Anwendung des nationalen Rechts contra legem liefert auch die aus Art. 288 Abs. 3 AEUV resultierende Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten keine tragfähige Legitimation.45 Dem Vorschlag, die Richtlinienkonformität durch Annahme einer unwiderlegbaren Vermutung beim Vorliegen der Voraussetzung in § 2 Nr. 1 lit. a und b GeschGehG zu gewährleisten,46 steht die vom Gesetzgeber intendierte „Nachschärfung“47 entgegen, die hierdurch ihren Anwendungsbereich verlieren würde. Dieser Einwand besteht indes nicht, wenn das berechtigte Interesse bei Erfüllung der Voraussetzungen in § 2 Nr. 1 lit. a und b GeschGehG lediglich widerlegbar vermutet wird.48 3. Erlaubte Erlangung von Geschäftsgeheimnissen (§ 3 GeschGehG) Die in § 3 GeschGehG umschriebenen Sachverhalte, in denen die Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses erlaubt bzw. rechtmäßig ist, haben vor al42 BT-Drucks. 19/8300, S. 13 f.; ebenso BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 2 Rn. 70. 43 BT-Drucks. 19/8300, S. 14. 44 S. z.B. EuGH 6.11.2018 NZA 2018, 1467 Rn. 67 ff.; EuGH 11.9.2018 NZA 2018, 1187 Rn. 63 ff., jeweils m.w.N.; ferner BAG 20.2.2019 NZA 2019, 901 Rn. 24; BAG 19.2.2019 NZA 2019, 977 Rn. 17. 45 EuGH 7.8.2018 BeckRS 2018, 17516 Rn. 40; EuGH 19.4.2016 EuZW 2016, 537 Rn. 32; ferner BVerfG 17.11.2017 NJW-RR 2018, 305 Rn. 37 sowie BGH 28.10.2015 NJW 2016, 1718 Rn. 38 ff.; BAG 20.2.2019 NZA 2019, 901 Rn. 25; BAG 19.2.2019 NZA 2019, 977 Rn. 19. 46 So Ohly GRUR 2019, 441 (445). 47 BT-Drucks. 19/8300, S. 11. 48 Hierfür Sprenger ZTR 2019, 414 (417); ähnlich Alexander, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 2 GeschGehG Rn. 77.

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lem für Mitglieder des Aufsichtsrats Bedeutung. Sehr umfassend, aber in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 RL (EU) 2016/943, darf ein Geschäftsgeheimnis nach § 3 Abs. 2 GeschGehG stets dann erlangt werden, wenn dies durch ein Gesetz gestattet ist. In Betracht kommt dies insbesondere, wenn die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgrund gesetzlicher Auskunfts- und Informationsrechte (s. § 90 AktG) von Geschäftsgeheimnissen Kenntnis erlangen. Keine Bedeutung hat demgegenüber der Tatbestand in § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG. Die dort genannten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der „Arbeitnehmervertretung“ beziehen sich ausschließlich auf die betriebsverfassungsrechtlichen Interessenvertretungen, nicht hingegen auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat49; sie bilden keine eigenständige Arbeitnehmervertretung, sondern gehören als gleichberechtigte Mitglieder einem dem Unternehmensinteresse verpflichteten Gesellschaftsorgan an. 4. Der Ausnahmetatbestand in § 5 GeschGehG Nicht weniger bedeutsam für den Geheimnisschutz insbesondere durch § 4 GeschGehG ist die Ausnahme in § 5 GeschGehG, dass die Offenlegung einer von § 2 Nr. 1 GeschGehG geschützten Information nicht von der Verbotsnorm des § 4 GeschGehG erfasst wird, wenn einer der Tatbestände in § 5 GeschGehG erfüllt ist. Die besondere Relevanz dieser Norm zeigt sich abermals bei Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat, insbesondere wenn sie durch die Offenlegung eine rechtswidrige Handlung oder ein berufliches oder sonstiges Fehlverhalten innerhalb des Unternehmens aufdecken (§ 5 Nr. 2 GeschGehG). Die zusätzlich von § 5 Nr. 2 GeschGehG geforderte Voraussetzung, dass die Offenlegung geeignet ist, das öffentliche Interesse zu schützen, steht allerdings im Widerspruch zu Art. 5 lit. b RL (EU) 2016/943,50 der – in der deutschen Fassung – lediglich eine dahingehende Absicht fordert, so dass es auf die objektive Eignung, „das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“, nicht ankommt. Selbst wenn es denkbar ist, dass die von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasste Konstellation des Whistleblowing auch bei Vorstandsmitgliedern oder Mitgliedern des Aufsichtsrats eingreift, wird sie typischerweise nicht solche Sachverhalte erfassen, in denen Mitglieder des Aufsichtsrats von § 2 Nr. 1 GeschGehG erfasste Informationen Außenstehenden offenbaren. Obwohl dies nicht nur die in den Aufsichtsrat gewählten Vertreter der Arbeitnehmer betrifft, ist sie bei ihnen aber vor allem vor dem Hintergrund der tradierten 49 A.A. zu Art. 3 Abs. 1 RL (EU) 2016/943 Schubert, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Art. 4 RL (EU) 2016/943 Rn. 13. 50 S. insoweit auch Ohly GRUR 2019, 441 (448 f.); Schubert, in: Franzen/Gallner/ Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Art. 5 RL (EU) 2016/. 943 Rn. 15.

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herrschenden Meinung zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht besonders relevant, da diese eine Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen sowohl gegenüber Arbeitnehmern als auch gegenüber Mitgliedern betriebsverfassungsrechtlicher Organe untersagt.51 Die von § 79 Abs. 1 Satz 4 BetrVG privilegierte Informationsweitergabe betrifft lediglich die umgekehrte Konstellation einer Information der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch die Mitglieder des Betriebsrats und ähnelt damit dem Ausnahmetatbestand in § 5 Nr. 3 GeschGehG, der ebenfalls ausschließlich den Kommunikationsfluss von den Arbeitnehmern zur Arbeitnehmervertretung erfasst, wenn dies für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist.52 Die Regelung in § 5 Nr. 3 GeschGehG legt zwar nahe, dass der Informationsfluss in umgekehrter Richtung von den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zu den Arbeitnehmern bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Organen wie dem Betriebsrat und ggf. dem Wirtschaftsausschuss nicht erfasst ist.53 Ein derartiger Umkehrschluss vernachlässigt aber, dass die Aufzählung in § 5 GeschGehG lediglich drei Sachverhalte benennt, um Art. 5 lit. a bis c RL (EU) 2016/943 umzusetzen. Mit der Formulierung „insbesondere“ bringt § 5 GeschGehG deutlich zum Ausdruck, dass es sich bei den ausdrücklich benannten Sachverhalten lediglich um exemplarische Konstellationen eines „berechtigten Interesses“ handelt, die deshalb keine abschließende Wirkung entfalten.54 Hierdurch liefert die Regelungstechnik in § 5 GeschGehG einen methodischen Hebel, um die dort aufgezählten Regelbeispiele um weitere Sachverhalte zu ergänzen, in denen ein „berechtigtes Interesse“ an der Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses besteht. Die hierdurch vermittelte Offenheit des Ausnahmetatbestands gibt Art. 5 RL (EU) 2016/943 zwingend vor, der zwar nicht auf die Technik von Regelbeispielen zurückgreift, aber in Art. 5 lit. d RL (EU) 2016/943 eine Generalklausel enthält, wenn die Offenlegung „zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses“ erfolgt. Mittels der alleinigen Anknüpfung an ein „berechtigtes Interesse“ befürwortet der deutsche Gesetzgeber ein extensives Verständnis, um auch Interessen wirtschaftlicher oder ideeller Art zu erfassen, die von der Rechtsordnung gebilligt werden.55 Hierzu zählt die Gesetzesbegründung selbst die Verfolgung legitimer Gruppeninteressen56 und benennt exemplarisch die Unterrichtung über einen bevorstehenden Personalabbau durch die Arbeitneh51 Statt aller Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 214 f.; ferner Oetker, Festschrift für Hopt, Bd. I, 2010, S. 1091 (1092), m.w.N. 52 Weitergehend wohl McGuire, in: Büscher, UWG, 2019, § 5 GeschGehG Rn. 27. 53 So auch BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 5 Rn. 51. 54 Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 2019, § 3 Rn. 9. 55 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/4724, S. 28. 56 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/4724, S. 28.

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mervertretung,57 wodurch augenscheinlich der vom LAG Schleswig-Holstein beurteilte Sachverhalt58 bestätigt und ein gegenläufiges Judikat des LAG Hessen59 korrigiert werden soll. Das in der Regierungsbegründung angeführte Beispiel zeigt, dass das vom Gesetzgeber befürwortete extensive Verständnis auch bei der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen durch Mitglieder des Aufsichtsrats relevant werden kann, wenn sie hierdurch „legitime Gruppeninteressen“ verfolgen. Da die Gesetzesbegründung hierzu selbst die Unterrichtung der Arbeitnehmer über einen geplanten Personalabbau durch eine Arbeitnehmervertretung zählt, sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, für eine vergleichbare Offenlegung durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegenüber Arbeitnehmern bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Organmitgliedern bezüglich der Verfolgung eines „berechtigten Interesses“ zu einer gegenteiligen Würdigung zu gelangen. Der alleinige Rückgriff auf das Vorliegen eines „berechtigten Interesses“, das § 5 GeschGehG zum Maßstab einer nicht von § 4 GeschGehG erfassten Offenlegung erhebt, harmoniert jedoch nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben.60 Die Generalklausel in Art. 5 lit. d RL (EU) 2016/943 fordert nicht nur ein legitimes Interesse, sondern zusätzlich dessen Anerkennung durch das Unionsrecht oder das nationale Recht. Ob diese Voraussetzung bei der Unterrichtung über einen geplanten Personalabbau durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erfüllt ist, erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil das deutsche Recht für diesen Sachverhalt ein differenziertes Beteiligungsprocedere etabliert, um den Informationsinteressen der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertretungen Rechnung zu tragen und dieses gerade auch detaillierte Regelungen dazu trifft, ob hierbei Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens offenbart werden dürfen. Wenn z.B. sowohl § 79 Abs. 1 BetrVG als auch § 106 Abs. 2 BetrVG die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen unterbinden, dann entsteht zumindest ein Widerspruch zu dem inneren System, wenn eine hierdurch untersagte Offenbarung über § 5 GeschGehG privilegiert und als Wahrnehmung eines „berechtigten Interesses“ bewertet wird. Ferner vernachlässigt die allgemein gehaltene Formulierung in § 5 GeschGehG, dass Art. 5 lit. d RL (EU) 2016/943 die Verfolgung gesetzlich anerkannter legitimer Interessen nicht generell privilegiert, sondern zusätzlich fordert, dass die Offenlegung zum Schutz dieser Interessen erfolgt. Hierüber geht die von der Gesetzesbegründung als ausreichend erachtete Verfolgung legitimer Gruppeninteressen deutlich hinaus.

57

Begr. RegE, BT-Drucks. 19/4724, S. 28. LAG Schleswig-Holstein 20.5.2015 NZA-RR 2016, 77; ihm folgend LAG Hessen 20.3.2017 BeckRS 2017, 109528. 59 LAG Hessen 12.3.2015 BeckRS 2016, 66338. 60 Treffend BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 5 Rn. 10.1. 58

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Die damit nahegelegte Abweichung von den Vorgaben in Art. 5 RL (EU) 2016/943 zwingt dazu, das von § 5 GeschGehG für ausreichend erachtete „berechtigte Interesse“ richtlinienkonform und damit einschränkend auszulegen, da andernfalls der von der Richtlinie angestrebte unionsweite Mindestschutz für die von der Richtlinie geschützten Geschäftsgeheimnisse nicht mehr gewahrt wird.61 Die Richtlinie steht zwar einem strengeren Schutz der Geschäftsgeheimnisse durch die nationalen Rechtsordnungen nicht entgegen, das Eingreifen des zu weit formulierten Ausnahmetatbestands in § 5 GeschGehG könnte aber dazu führen, dass die dort angeordnete Befreiung von dem Verbotstatbestand den von der Richtlinie geforderten Mindestschutz unterschreitet. Dies kann nur dadurch abgewendet werden, indem § 5 GeschGehG einschränkend ausgelegt und auf den durch Art. 5 lit. d RL (EU) 2016/943 umschriebenen Regelungskern zurückgeführt wird.62

III. Ausstrahlungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht 1. Relevanz der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG für die §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 404 AktG Bei der Frage nach der Relevanz des Geschäftsgeheimnisgesetzes für die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht steht zunächst im Vordergrund, ob zur Konkretisierung des unverändert in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG und § 404 Abs. 1 AktG enthaltenen Begriffspaars der „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ auf die Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückgegriffen werden kann. Der Wortlaut des § 2 GeschGehG spricht gegen eine Übertragung der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG auf die Reichweite der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht. Wie die Eingangsworte in § 2 GeschGehG verdeutlichen, erheben die dort zusammengefassten Definitionen ihren Geltungsanspruch ausschließlich für „dieses Gesetz“ und meinen damit das „Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen“. Die hiermit signalisierte begrenzte Reichweite wird durch die Begründung des Regierungsentwurfs bekräftigt, die ausdrücklich festhält, dass „die Definitionen (…) lediglich für dieses Gesetz“ gelten,63 ohne dass die mit dem Wort „lediglich“ zum Ausdruck gebrachte eingeschränkte Relevanz der Legaldefinition näher erläutert wird. In diesem Sinne hat auch der Jubilar im Rahmen seiner Erläuterungen 61

Ebenso BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 5 Rn. 10.1. So im Ergebnis auch BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 5 Rn. 10.2. 63 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/4724, S. 24; ebenso McGuire, in: Büscher, UWG, 2019, § 2 GeschGehG Rn. 2. 62

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zu § 116 AktG im Großkommentar zum Aktiengesetz eine Relevanz der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2016/943 für den aktienrechtlichen Geheimnisbegriff ausdrücklich verneint und plädiert damit für eine autonome Begriffsbildung.64 Erste Stellungnahmen im Schrifttum zu anderen Gesetzesbestimmungen, die gleichfalls für den Geheimnisschutz unverändert an das Begriffspaar „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ anknüpfen, deuten indes in eine gegenläufige Richtung.65 In vergleichbarer Weise wird auf § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückgegriffen, um die auf die Treuepflicht gestützten Geheimhaltungspflichten des GmbH-Geschäftsführers66 sowie die Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers aus der allgemeinen Interessenwahrungspflicht (§ 241 Abs. 2 BGB)67 zu konkretisieren. Die erstgenannte Sichtweise und die hiermit scheinbar nunmehr verbundene Notwendigkeit einer autonomen Auslegung der „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG sowie § 404 Abs. 1 AktG widerspricht allerdings der tradierten Anknüpfung an die lauterkeitsrechtliche Konkretisierung in § 17 UWG a.F., die auch für die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht adaptiert wurde,68 ohne dies mit dem Vorbehalt normzweckspezifischer Modifikationen zu versehen.69 Dieser Gleichlauf wird vor allem durch die eingangs skizzierte Entstehungsgeschichte der aktienrechtlichen Vorschriften nahegelegt, da die mit der Aufnahme der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse angestrebte Gleichbehandlung der Anteilseignervertreter mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat70 dazu 64 Hopt/Roth, GroßKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 195 mit Fußn. 870; ebenso zu § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG Ries/Haimerl NZG 2018, 621 (622 f.) sowie zu § 85 GmbHG Höfer GmbHR 2018, 1195 (1197); Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2020, § 85 Rn. 4 (a.A. Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 22. Aufl. 2019, § 85 Rn. 7: Geheimnisbegriff entspricht § 2 Nr. 1 GeschGehG; ebenso Rönnau, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 85, Rn. 16). 65 So zu § 79 Abs. 1 BetrVG Fitting, BetrVG, 30. Aufl. 2020, § 79 Rn. 3a; BeckOK GeschGehG/Fuhlrott, 15.10.2019, § 3 Rn. 25 f.; Kania, ErfKomm. ArbR, 20. Aufl. 2020, § 79 BetrVG Rn. 2; Naber/Peukert/Seeger NZA 2019, 583 (587); Ottmanns/Fuhlrott NZA 2019, 1384 (1387); Preis/Seiwerth RdA 2019, 351 (353); Trebeck/Schulte-Wissermann NZA 2018, 1175 (1177 f.); in der Tendenz für eine Ausstrahlung auch Oetker ZESAR 2017, 257 (261); ders., GK-BetrVG, 11. Aufl. 2018, § 79 Rn. 21. 66 So zwecks Vermeidung von Wertungswidersprüchen Beurskens, in: Baumbach/ Hueck, GmbH-Gesetz, 22. Aufl. 2019, § 37 Rn. 93. 67 Hierfür unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG Preis/Seiwerth RdA 2019, 351 (353); Preis, ErfKomm., 20. Aufl. 2020, § 611a BGB Rn. 711 aE. 68 So z.B. zu § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 165. Für § 404 Abs. 1 AktG s. Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 404 Rn. 19; Kiethe, MünchKomm. StGB, 2. Aufl. 2015, § 404 AktG Rn. 25; Schaal, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 404 Rn. 21. 69 Ebenso für § 85 GmbHG Hohmann, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 85 GmbHG Rn. 12. Ferner zu § 79 BetrVG Thüsing, in: Richardi, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 79 Rn. 5. 70 S. Begr. RegE, BT-Drucks. IV/171, S. 132.

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führte, dass zugleich § 40 Nr. 1 EG AktG die Verweisung in § 76 Abs. 2 Satz 5 BetrVG 1952 auf § 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aufhob und zur Konkretisierung der letztgenannten Norm ebenfalls auf die in Literatur und Rechtsprechung zu § 17 UWG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen wurde.71 Mit der Aufhebung von § 17 UWG ist deshalb nunmehr ein Vakuum entstanden, für dessen Beseitigung sich der Rückgriff auf die Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG aufdrängt, da auf diese Weise der Gleichlauf mit dem bisherigen lauterkeitsrechlichen Verständnis gewahrt bleibt.72 Ein Vergleich mit dem Meinungsspektrum zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht zeigt jedoch, dass eine unreflektierte Fortschreibung des tradierten Gleichlaufs zu einer Absenkung des bisherigen Schutzstandards führen würde. Dies gilt weniger bei den von der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 lit a GeschGehG erfassten Informationen, denen ein kommerzieller Wert beizumessen ist, sondern vor allem bei den von § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG zusätzlich geforderten „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“. Liegen diese bezüglich einer Information vor, dann ist deren Einbeziehung in die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht zwar unproblematisch, was aber nicht in umgekehrter Richtung gilt, da nach bislang vorherrschender Ansicht für ein von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geschütztes „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ ein Geheimhaltungswille ausreichend ist.73 Dieser kann sich in angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen manifestieren,74 muss es aber ebenso wenig, wie umgekehrt der Umkehrschluss auf einen fehlenden Geheimhaltungswillen gerechtfertigt ist, wenn „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ unterblieben sind. Da aus dem Zweck des Geschäftsgeheimnisgesetzes keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass der bislang in anderen Gesetzen etablierte Schutz für 71

Statt aller Dietz, BetrVG, 4. Aufl. 1967, § 55 Rn. 3, m.w.N. Ebenso BeckOK GeschGehG/Fuhlrott, 15.10.2019, § 3 Rn. 25: § 79 BetrVG als dynamische Verweisung auf die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften. 73 Zum Erfordernis eines Geheimhaltungswillens im Rahmen von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 164; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 283; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 Rn. 30; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 134 sowie zu § 404 Abs. 1 AktG Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 404 Rn. 23; Kiethe, MünchKomm. StGB, 2. Aufl. 2015, § 404 AktG Rn. 32; Raum, in: Henssler/ Strohn, GesR, 4. Aufl. 2019, § 404 AktG Rn. 3; Schaal, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2017, § 404 Rn. 24; a.A. Altenhain, KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2016, § 404 Rn. 14; Weiß, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 404 AktG Rn. 21. S. ferner zu § 17 UWG BGH 27.4.2006 GRUR 2006, 1044 (1046) – Kundendatenprogramm; Hohmann, MünchKomm. StGB, 3. Aufl. 2019, § 17 UWG aF Rn. 23; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 17 UWG Rn. 10; Rengier, in: Fezer/Büscher/ Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 17 UWG Rn. 18; a.A. Brammsen, MünchKomm. LauterkeitsR, 2. Aufl. 2014, § 17 UWG Rn. 18; ähnlich Wolters, Großkomm. UWG, 2. Aufl. 2015, § 17 UWG Rn. 30. 74 Oetker ZESAR 2017, 257 (259). 72

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„Geschäftsgeheimnisse“ abgesenkt werden sollte,75 kann dieser nur dann unverändert aufrechterhalten werden, wenn der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG eine verbindliche Ausstrahlung auf andere Gesetze abgesprochen wird. Der Gesetzgeber wäre zwar nicht gehindert gewesen, eine entsprechende Ausstrahlung zu normieren, hierfür hätte es aber deutlicher Hinweise bedurft, die jedoch vor dem Hintergrund des gegenläufigen Gesetzeswortlauts und des Aussagegehalts der Regierungsbegründung76 nicht ersichtlich sind. Das gilt ebenfalls im Hinblick auf das von § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG für den Geheimnisschutz geforderte „berechtigte Interesse“. Dies entspricht zwar auch der vorherrschenden Ansicht zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, wer das Vorliegen eines „berechtigten Interesses“ aber – wie der Jubilar77 – von dem Inhalt des Geheimnisbegriffs trennt, wird nicht durch § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG zu einer Korrektur seiner Position gezwungen. 2. Privilegierte Offenlegung (§ 5 GeschGehG) und aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht Für den Fall, dass die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses in einem der von Art. 5 RL (EU) 2016/943 aufgezählten Sachverhalte erfolgt, gibt die RL (EU) 2016/943 vor, dass ein Antrag auf die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen abgelehnt wird. Der Regierungsentwurf zum Geschäftsgeheimnisgesetz wollte dieser Vorgabe noch durch Schaffung eines Rechtfertigungsgrunds Rechnung tragen.78 Danach sollte die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gerechtfertigt sein, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses insbesondere in den aufgezählten Sachverhalten erfolgte. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens erfuhr die Vorschrift jedoch gravierende Modifikationen. Diese betrafen neben dem Tatbestand in § 5 Nr. 2 GeschGehG vor allem die dogmatische Ausgestaltung als Rechtfertigungsgrund, die bewusst aufgegeben wurde.79 Hierfür wurde nicht nur die amtliche Überschrift der Vorschrift von „Rechtsfertigungsgründe“ in „Ausnahmen“ verändert, sondern auch die der ursprünglichen Konzeption geschuldete Formulierung „ist gerechtfertigt“ zugunsten einer unmittelbaren

75

S. auch oben II 1. S. Begr. RegE, BT-Drucks. 19/4724, S. 24. 77 S. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 283. 78 Ebenso in der Einordnung von Art. 5 RL (EU) 2016/943 Wiese, Die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen, 2018, S. 132. 79 S. BT-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/8300, S. 14; zustimmend Alexander WRP 2019, 673 (677); gegenläufig wohl Ohly GRUR 2019, 441 (448): der Sache nach Rechtfertigungsgründe; ebenso Dann/Markgraf NJW 2019, 1774 (1777); McGuire, in: Büscher, UWG, 2019, § 5 GeschGehG Rn. 9. 76

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Verknüpfung mit den Verboten in § 4 GeschGehG preisgegeben, die in den von § 5 GeschGehG aufgezählten Sachverhalten nicht eingreifen.80 Der Wandel von einem Rechtfertigungsgrund zu einer Tatbestandsausnahme sollte vor allem einem befürchteten abschreckenden Effekt abwenden, der bereits dadurch eintreten könne, dass eine Offenlegung den Verbotstatbestand erfüllt.81 Dementsprechend hält § 2 Nr. 3 GeschGehG ergänzend zu § 2 Nr. 3 des Regierungsentwurfs ausdrücklich fest, dass eine Person, die sich für die Offenlegung auf § 5 GeschGehG stützen kann, kein Rechtsverletzer i.S. des Geschäftsgeheimnisgesetzes ist. Die dahinterstehende legislative Wertung, die Verfolgung eines von § 5 GeschGehG aufgezählten Interesses zu privilegieren, weil dieses gegenüber dem Interesse an der Geheimhaltung den Vorrang genießt, sollte mit der veränderten dogmatischen Struktur jedoch nicht in Frage gestellt werden. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf, ob die in § 5 GeschGehG aufgezählten Sachverhalte auch dann relevant sind, wenn die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zugleich gegen die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht verstößt, was sowohl die Konkretisierung der organschaftlichen Pflichten in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG (i.V. mit § 116 Satz 1 AktG) als auch die strafrechtliche Sanktionsnorm in § 404 Abs. 1 AktG betrifft. Die noch in dem Regierungsentwurf angestrebte Etablierung von „Rechtfertigungsgründen“ war diesbezüglich offen formuliert,82 die nunmehr in § 5 GeschGehG normierte Verknüpfung mit den Verboten in § 4 GeschGehG deutet hingegen auf eine isolierte Relevanz der „Ausnahmetatbestände“ hin. Die ausdrückliche Bezugnahme auf die Verbote in § 4 GeschGehG legt den Umkehrschluss nahe, dass sich die privilegierende Wirkung des § 5 GeschGehG auf diese beschränkt und nicht für anderweitig normierte Verbotstatbestände gilt, die gleichfalls eine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen untersagen oder unter Strafe stellen.83 Das durch § 5 GeschGehG insbesondere bei systematischer Auslegung nahegelegte Exklusivitätsverständnis befindet sich allerdings in einem offenen Widerspruch zu dem Normzweck, wenn die Offenlegung eines Geheimnisses nicht nur nach § 4 GeschGehG verboten ist, sondern zugleich 80

Wiederum anders im konzeptionellen Ansatz § 26d öUWG, der die in Art. 5 RL (EU) 2016/943 aufgezählten Sachverhalte in Anlehnung an den Entwurf der Kommission (s. Art. 4 KOM [2013] 813 endg.) in einer Norm zusammenfasst, in denen die Offenlegung eines Geheimnisses „rechtmäßig“ ist (s. § 26d Abs. 3 Nr. 2 öUWG) und hierdurch die Terminologie in Art. 3 RL (EU) 2016/943 aufgreift. 81 BT-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/8300, S. 14. 82 Dementsprechend für ein Verständnis i.S. eines allgemeinen Rechtfertigungsgrunds Trebeck/Schulte-Wissermann NZA 2018, 1175 (1179). 83 So im Hinblick auf arbeitsrechtliche Rechtsfolgen (Abmahnung, Kündigung) Naber/Peukert/Seeger NZA 2019, 583 (585); in diesem Sinne allg. auch BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 15.10.2019, § 5 Rn. 8, sowie zu § 85 GmbHG Rönnau, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 85 Rn. 52.

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gegen andere Normen verstößt, wie z.B. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG oder § 404 AktG. In dieser Konstellation würde in den von § 5 GeschGehG erfassten Sachverhalten zwar eine Sanktionierung nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz entfallen, diejenige nach anderen Vorschriften aber bestehen bleiben, obwohl sich der Offenlegende hierbei auf ein Interesse stützen kann, das nach der legislativen Wertentscheidung in § 5 GeschGehG gegenüber dem Schutz des Geschäftsgeheimnisses privilegiert ist. Der hierdurch eintretende Wertungswiderspruch, der das mit § 5 GeschGehG verfolgte Anliegen des Gesetzgebers konterkariert, wenn die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses durch andere gesetzliche Vorschriften untersagt wird, rechtfertigt es zwar nicht, die Vorschrift des § 5 GeschGehG bei einem Verstoß gegen die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht unmittelbar anzuwenden, der andernfalls eintretende Widerspruch zu dem Normzweck drängt aber eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf. Hierfür spricht insbesondere die für die Umsetzung der RL (EU) 2016/943 gewählte Technik eines auf die Richtlinie beschränkten Umsetzungsgesetzes, ohne dabei zugleich die Regelungen zum Schutz von „Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“ in zahlreichen anderen Gesetzen in den Blick zu nehmen und im Interesse einer wertungskonsistenten Rechtsordnung etwaige Wertungswidersprüche zu vermeiden bzw. diese aufzulösen, so dass diese Aufgabe dem Rechtsanwender überantwortet ist. In diesem Sinne verneinen erste Stellungnahmen im lauterkeitsrechtlichen Schrifttum in den von § 5 GeschGehG erfassten Sachverhalten eine „unredliche“ Informationsgewinnung i.S. des § 4 Nr. 3 lit. c UWG84 und vermeiden hierdurch einen Wertungswiderspruch, wenn einer nach § 5 GeschGehG privilegierten Person bei Würdigung ihres Verhaltens am Maßstab des § 4 Nr. 3 lit. c UWG unredliches Verhalten vorgeworfen würde. Die aufgezeigten Überschneidungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes mit der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht bestätigen abermals exemplarisch, dass die Vorbehaltsbestimmungen in § 1 Abs. 2 und 3 GeschGehG potenziellen Kollisionslagen nur unvollkommen Rechnung tragen. Wenn die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht trotz der abschließend formulierten Aufzählung in § 1 Abs. 3 GeschGehG ebenfalls von dem Geschäftsgeheimnisgesetz „unberührt“ bleibt,85 dann beantwortet dies nicht die vom Gesetzgeber übersehene Frage nach dem Stellenwert der Privilegierung durch § 5 GeschGehG im Kontext der „unberührt“ bleibenden Rechtsvorschriften. Vor dem Hintergrund des mit § 5 GeschGehG verfolgten Anliegens erweist sich die gesetzliche Regelung deshalb als lückenhaft, so dass die vom Normzweck des § 5 GeschGehG gebotene Schließung der Regelungslücke nur darin bestehen kann, die Privilegierungen in § 5 GeschGehG 84 85

So Alexander WRP 2019, 673 (675) sowie ferner Ohly GRUR 2019, 441 (447 f.). S. oben unter II 1.

Aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht und Geschäftsgeheimnisgesetz

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entsprechend anzuwenden, wenn die Offenlegung eines von § 2 Nr. 1 GeschGehG geschützten Geschäftsgeheimnisses zugleich gegen die Normen anderer Gesetze, wie z.B. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG oder § 404 AktG, verstößt. Die mit der analogen Anwendung von § 5 GeschGehG angestrebte Auflösung eines Wertungswiderspruchs zeigt allerdings auch die begrenzte Reichweite der notwendigen Rechtsfortbildung. Diese kann sich bei einem konsequenten Zuendedenken der legislativen Entscheidung ausschließlich auf Sachverhalte beziehen, die § 5 GeschGehG privilegieren will, erstreckt sich also ausschließlich auf „Geschäftsgeheimnisse“ i.S. von § 2 Nr. 1 GeschGehG. Wie vorstehend gezeigt, ist die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht jedoch weiter und geht über den durch das Geschäftsgeheimnisgesetz etablierten gegenständlichen Schutz hinaus. Das betrifft nicht nur Informationen ohne angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen (s. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG), sondern – beschränkt auf § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG – ebenfalls „vertrauliche Angaben“ unter Einbeziehung der Sachverhalte in § 116 Satz 2 AktG. Auch für die Strafrechtsnorm in § 404 Abs. 1 AktG umschreiben die „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ den Kreis der geschützten „Geheimnisse der Gesellschaft“ nicht abschließend.86 Da die Verletzung dieser Offenbarungsverbote nicht von dem Schutzregime des Geschäftsgeheimnisgesetzes erfasst wird, ist ein Wertungswiderspruch zu der Privilegierung in § 5 GeschGehG nicht konstruierbar, so dass für dessen entsprechende Anwendung jenseits der von § 2 Nr. 1 GeschGehG geschützten „Geschäftsgeheimnisse“ die methodische Legitimation fehlt. Ungeachtet einer analogen Anwendung kann die legislative Wertentscheidung in § 5 GeschGehG indes auch bei der Anwendung anderweitiger Normen zum Geheimnisschutz nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, da der Gesetzgeber mit ihr eine ausdrückliche Abwägungsentscheidung zwischen dem Interesse des Unternehmens an einer Geheimhaltung und kollidierenden anderweitigen Interessen getroffen hat, die der Gesetzgeber ausweislich der Regelung in § 5 GeschGehG als vorrangig bewertet hat. Relevant kann dies z.B. werden, wenn sich der Offenbarende gegenüber einer Verletzung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht auf das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) beruft. Für die in diesem Rahmen geforderte Interessenabwägung ist auch auf die vom Gesetzgeber selbst in § 5 GeschGehG getroffene Abwägungsentscheidung zurückzugreifen.

86 Treffend z.B. Hefendehl, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 404 AktG Rn. 19; Kiethe, MünchKomm. StGB, 2. Aufl. 2015, § 404 AktG Rn. 24; Müller-Michaels, in: Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 404 Rn. 17.

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IV. Zusammenfassung 1. Die in den §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 2, 404 AktG normierte aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht bleibt von den durch das Geschäftsgeheimnisgesetz etablierten Schutzmechanismus ungeachtet der Regelung in § 1 Abs. 3 GeschGehG unberührt und hat insbesondere dann einen eigenständigen Anwendungsbereich, wenn eine Information nicht die Voraussetzungen der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 GeschGehG erfüllt. 2. Die Definition des Geschäftsgeheimnisses in § 2 Nr. 1 GeschGehG entfaltet für die von der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht erfassten „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ keine verbindliche Wirkung. Ein von den §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 2, 404 Abs. 1 AktG geschütztes Geheimnis kann insbesondere auch dann vorliegen, wenn angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen unterlassen wurden. 3. Ist die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses wegen § 5 GeschGehG nicht nach § 4 GeschGehG verboten, dann gilt dies aufgrund einer entsprechenden Gesetzesanwendung auch dann, wenn der Offenbarende mit der Offenlegung zugleich seine aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht verletzt, da nur so ein Wertungswiderspruch zu der in § 5 GeschGehG normierten Privilegierung verhindert werden kann.

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Der Partnerschaftsvertrag im Entwurf des chinesischen Zivilgesetzbuches

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Der Partnerschaftsvertrag im Entwurf des chinesischen Zivilgesetzbuches Knut Benjamin Pißler

Der Partnerschaftsvertrag im Entwurf des chinesischen Zivilgesetzbuches: Vollendung des unvollständigen Mosaiks des Personengesellschaftsrechts? KNUT BENJAMIN PIßLER

I. Einleitung Der Wandel von einem sozialistischen zu einem marktorientierten Wirtschaftssystem, die Eingliederung in die globalen Kapital- und Warenströme, der zunehmende Wohlstand von Millionen von Menschen und das Spannungsfeld zwischen Öffnung und Abgrenzung gegenüber dem Rest der Welt stellen Staat und Gesellschaft Chinas vor große Herausforderungen. Um nach dem Rechtsnihilismus der Kulturrevolution wieder rechtliche Grundlagen zu schaffen, regelte die Volksrepublik China zunächst einzelne Rechtsgebiete durch die Verabschiedung von Einzelgesetzen. Mehrere Anläufe zu einer umfassenden Zivilrechtskodifikation scheiterten zunächst. Gegenwärtig steht diese wieder auf dem Tableau des chinesischen Gesetzgebers: Das Kodifikationsvorhaben soll auf Grundlage der bisherigen Rechtsetzung und Praxiserfahrung der vergangenen Jahrzehnte 2020 in den Erlass eines einheitlichen Zivilgesetzbuches münden. Von besonderem Interesse sind hierbei gerade solche Rechtsinstitute, die zwar die Grundlagen für das Verständnis des zivilrechtlichen Systems bilden, bislang aber nicht oder nur im Hinblick auf einzelne Fragen regelt sind. Eines dieser Rechtsinstitute ist die Partnerschaft, die im chinesischen Recht (insofern ähnlich der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts [GbR] in Deutschland) die Grundform der Personengesellschaften bildet. Dieses Thema ist auch deswegen reizvoll, weil in Deutschland aktuell über eine Reform des Personengesellschaftsrechts diskutiert wird, an der sich der Jubilar im Rahmen des 71. Deutschen Juristentags in Essen 2016 aktiv beteiligt hat.1 Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die aktuellen Entwurfsarbeiten zu einem Zivilgesetzbuch gegeben (II). Sodann erfolgt eine Vor1 Klaus J. Hopt, Empfiehlt sich eine grundlegende Reform des Personengesellschaftsrechts? in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages Essen 2016, Bd. II/2 (Sitzungsberichte), München 2017, Teil O, S. 156–158, 176–178, 198–199.

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stellung der schon vorhandenen Regelungen zur Partnerschaft im geltenden chinesischen Zivilrecht (III), um diese anschließend im Hinblick auf ausgewählte Fragstellungen mit dem Partnerschaftsvertrag zu vergleichen, wie dieser in den vorliegenden Entwürfen eines chinesischen Zivilgesetzbuches vorgesehen ist (IV). Die Ergebnisse werden in einem Fazit zusammengefasst (V).

II. Überblick über die aktuellen Entwurfsarbeiten zu einem Zivilgesetzbuch Die Kodifikation eines Zivilgesetzbuches (ZGB) stand schon seit der Gründung der Volksrepublik immer wieder auf dem Gesetzgebungsplan.2 Bereits kurz nach der Einführung der Politik der Reform und Öffnung im Jahr 1978 wurde diskutiert, ob ein umfassendes Zivilrechtgesetzbuch geschaffen werden sollte. Als sich dies nicht realisieren ließ, plante man, zunächst einen Allgemeinen Teil (AT) zu erlassen, um diesen später durch einen Besonderen Teil (BT) zu ergänzen. Da auch dieses Vorhaben scheiterte, wurden 1986 die „Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ (AGZR)3 als „Mini-BGB“ verabschiedet, die als Kompromiss einen detaillierteren AT und Grundzüge eines BT umfassen.4 In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erhob sich erneut der Ruf nach einem ZGB, da inzwischen eine Reihe von Einzelgesetzen erlassen worden war, die sich als schlecht aufeinander abgestimmt erwiesen. Am misslichsten war die Situation im Schuldrecht, das sich auf drei größere Vertragsgesetze, dazu die Rechtsgeschäftslehre und das Schuldrecht in den AGZR und zahlreiche untergesetzliche Verordnungen verteilte. Deshalb ging man zuerst ein einheitliches Vertragsgesetz an, das nach jahrelanger Vorbereitung in 1999 verabschiedet wurde. 2002 folgte ein weiterer Vorstoß, die bis dahin bereits erlassenen Einzelgesetze (neben dem Vertragsgesetz das Familienrecht5 und das Erbrecht6) mit den noch fehlen2 Die einzelnen Entwürfe von 1955 bis 1985 sind abgedruckt in: He Qinhua [何勤华]/ Li Xiuqing [李秀清] (Hrsg.), Gesamtschau der Entwürfe für ein Zivilgesetzbuch im neuen China [新中国民法典草案总览], Beijing 2003. 3 [中华人民共和国民法通则] vom 12.4.1986; deutsch mit Quellenangabe in: Frank Münzel (Hrsg.), Chinas Recht, 12.4.86/1. Die AGZR wurden am 27.8.2009 durch einen Beschluss des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses revidiert (Beschluss abgedruckt in: Amtsblatt des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses [全国人民代表大会常务委员会公报] 2009, Nr. 6, S. 553 ff.). Die Revision beschränkte sich jedoch darauf, § 7 abzuändern und § 58 Abs. 1 Nr. 6 AGZR zu streichen, wodurch Verstöße gegen „Imperativpläne des Staates“ nicht mehr zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften führen. 4 Yuanshi Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2. Aufl., München: Beck 2017, S. 84. 5 Geregelt im Ehegesetz [中华人民共和国婚姻法] vom 28.4.2001 (deutsch mit Quellenangabe in: Frank Münzel [Hrsg.], Chinas Recht, 10.9.80/1) und im Adoptionsgesetz

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den Büchern (zum AT, Sachenrecht, zu den außervertraglichen Schuldverhältnisse und zum internationalen Privatrecht) zu einem ZGB zusammenzuführen.7 Ein entsprechender Konsultationsentwurf wurde zur Einholung von Meinungen veröffentlicht; es gelang jedoch nicht, das Gesetz zur Verabschiedung zu bringen.8 Offenbar entschloss sich der Gesetzgeber dazu, an dem bereits eingeschlagenen Weg festzuhalten, und zunächst die fehlenden Bücher als Einzelgesetze zu erlassen: 2007 konnte das Sachenrechtsgesetz9, 2009 das Haftpflichtgesetz10 und 2011 das Gesetz zum internationalen Privatrecht11 verabschiedet werden. Die gegenwärtigen Kodifikationsarbeiten begannen 2014 und wurden 2016 auf den Gesetzgebungsplan gesetzt.12 Im März 2017 hat der Nationale Volkskongress (NVK) den „Allgemeinen Teil des Zivilrechts“ (ATZR) verabschiedet, der am 1.10.2017 in Kraft getreten ist.13 Dieser setzt die AGZR nicht außer Kraft, so dass sie (bis zur Verabschiedung des vollständigen ZGB, in dem der ATZR dann den AT bilden wird) weiterhin Geltung haben.14 Zum BT des ZGB15 haben bislang (Mitte Dezember 2019) drei Beratungsrunden im Ständigen Ausschuss des NVK stattgefunden. Eine erste Beratung aller Bücher des BT wurde im August 2018 abgehalten; anschließend wurden diese Bücher im September 2018 als Konsultationsentwurf veröf[中华人民共和国收养法] vom 4.11.98 (deutsch mit Quellenangabe in: Frank Münzel [Hrsg.], a.a.O., 4.11.98/1). 6 Geregelt im Erbgesetz [中华人民共和国继承法] vom 10.4.1985; deutsch mit Quellenangabe in: Frank Münzel [Hrsg.], Chinas Recht, 10.4.85/1. 7 Siehe hierzu Frank Münzel, Entwurf eines Zivilgesetzbuches (ZGB) der VR China, unveröffentlichtes Manuskript (einsehbar unter ). Münzel hat diesen Entwurf ins Deutsche übersetzt, aber leider nicht in seiner Sammlung „Chinas Recht“ veröffentlicht. 8 In der Folgezeit entstanden zahlreiche akademische Entwürfe eines ZGB. Die zwei vielleicht wichtigsten Entwürfe wurden von Forschungsgruppen um Liang Huixing des Rechtsinstituts der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und Wang Liming der Renmin Universität erarbeitet. Der Entwurf von Liang Huixing wurde später (mit einem Vorwort von Hein Kötz versehen) auch auf Englisch veröffentlicht: Liang Huixing (Hrsg.), The draft Civil Code of the People’s Republic of China, Leiden: Nijhoff 2010. 9 [中华人民共和国物权法] vom 16.3.2007; chinesisch-deutsch in: ZChinR 2007, S. 78 ff. 10 [中华人民共和国侵权责任法] vom 26.12.2009; chinesisch-deutsch in: ZChinR 2010, S. 41 ff. 11 Deutsch mit Quellenangabe in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 76 (2012), S. 161 ff. 12 Siehe Christina Eberl-Borges, Einführung in das chinesische Recht, Baden-Baden: Nomos 2018, S. 99. 13 [中华人民共和国民法总则] vom 15.3.2018; chinesisch-deutsch in: ZChinR 2017, S. 208 ff. 14 Zu einem kurzen Vergleich zwischen den AGZR und dem ATZR sowie dem Anwendungsvorrang der neueren Regelungen im ATZR siehe Yuanshi Bu, Chinese Civil Code: The General Part, Müchen: Beck 2019, S. 6 und 25. 15 Die Entwürfe des BT werden unter dem Titel „Bücher des Besonderen Teils des Zivilgesetzes“ [民法典各分编] veröffentlicht.

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fentlicht.16 Das Vertragsrecht ist in diesem Entwurf als 2. Buch in den §§ 254 bis 762 geregelt.17 In der zweiten Runde, die im Dezember 2018, April 2019 und Juni 2019 stattfand, wurden die einzelnen Bücher (zunächst Vertragsrecht18 und Haftungsrecht19, dann Sachenrecht20 und Persönlichkeitsrecht21 und schließlich Familienrecht22 und Erbrecht23) beraten. Die dritte Beratungsrunde im August und Oktober 2019 betraf nur noch das Haftungsrecht24 und das Persönlichkeitsrecht25 sowie das Familienrecht26. Diese Entwürfe wurden alle in Form von Konsultationsentwürfen mit Berichten über die Arbeiten im Ständigen Ausschuss veröffentlicht. Für das Vertragsrecht, in dem die hier gegenständlichen Partnerschaftsverträge geregelt werden, liegen demnach zwei Entwürfe (vom August und vom Dezember 2018) vor. Nach der gegenwärtigen Planung soll noch im Dezember 2019 eine weitere Beratung aller Bücher des ZGB BT im Ständigen Ausschuss des NVK stattfinden. Für März 2020 ist vorgesehen, dass der NVK auf seiner Plenartagung alle Bücher des BT berät. Beobachter rechnen damit, dass es dann auch zu einer Verabschiedung des Gesetzes kommen wird.27

III. Die geltenden Regelungen zur Partnerschaft Regelungen zur Partnerschaft (合伙)28 finden sich bislang einerseits in den §§ 30 bis 35 AGZR sowie in den Ziffern 45 bis 57 einer justiziellen Interpre16 Die Entwürfe sind an verschiedenen Stellen im Internet auffindbar. Da sich die Adresse chinesischer Internetseiten häufig ändert, wird hier stattdessen auf die jeweilige Indexnummer [法宝引证码] der wohl führenden juristischen Datenbank Chinas verwiesen, über die sich die Entwürfe auffinden lassen. Der Konsultationsentwurf vom September 2018 ist einsehbar in der Datenbank LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw.cn [北大法宝], Indexnummer CLI.DL.11595. 17 Es folgen in dem Buch noch zwei kurze Kapitel zur Geschäftsführung ohne Auftrag [无因管理] und zur ungerechtfertigten Bereicherung [不当得利], die in einem 3. Abschnitt „Quasiverträge“ [准合同] untergebracht werden sollen. 18 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.12048. 19 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.12049. 20 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.12458. 21 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.12460. 22 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.12745. 23 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.12746. 24 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.13118. 25 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.13116. 26 Indexnummer (Fn. 16) CLI.DL.13374. 27 Dies bestätigten chinesische Zivilrechtswissenschaftler, die zum Teil selbst an den Entwurfsarbeiten teilnehmen, dem Verfasser gegenüber bei einer Dienstreise nach Nanjing und Beijing im November 2019. 28 Die Übersetzung des Begriffs „合伙“ mit „Partnerschaft“ wurde gewählt, da „Gesellschaft“ (公司) im chinesischen Recht der Begriff für Kapitalgesellschaften ist, die immer

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tation des Obersten Volksgerichts (OVG)29 zu den AGZR (AGZR-Ansichten).30 Diese betreffen die „Partnerschaft von Einzelpersonen“ (个人合伙). 1997 wurde andererseits ein Gesetz über „Partnerschafts-unternehmen“ (合伙企业, PUG) verabschiedet, das in 2006 revidiert wurde31 und es seit 2010 auch ausländischen Investoren ermöglicht, in der Rechtsform eines solchen Unternehmens in China tätig zu werden.32 Das Verhältnis dieser beiden Rechtinstitute (Partnerschaft von Einzelpersonen und Partnerschaftsunternehmen) zueinander ist weitgehend ungeklärt.33 Beide setzen voraus, dass mindestens zwei Personen34 eine (schriftliche35) Vereinbarung schließen, einen gemeinsamen Zweck verfolgen36 und juristische Personen sind. Insofern weicht auch schon Münzel in seinen Übersetzungen von der Terminologie ab, die noch Karl Bünger (China-Referent am Kaiser-WilhelmInstitut für ausländisches und internationales Privatrecht) für die Übersetzung des Zivilgesetzes der Republik China gewählt hatte: Er übersetzte den Begriff „合伙“ dort (im Abschnitt über einzelne Schuldverhältnisse) als „Gesellschaft“. Karl Bünger, Zivil- und Handelsgesetzbuch sowie Wechsel- und Scheckgesetz von China, Marburg: Elwert 1934, S. 201 ff. 29 Justizielle Interpretationen durch das OVG haben primär den Zweck, vorhandene Gesetze auszulegen, um für eine einheitliche Rechtsprechung bei den unteren Gerichten zu sorgen; bisweilen kann eine solche „Interpretation“ aber auch die Grenzen der Auslegung des Gesetzestextes überschreiten, und damit einen quasi-normsetzenden Charakter annehmen; näher hierzu Björn Ahl, Die Justizauslegung durch das Oberste Volksgericht der VR China – Eine Analyse der neuen Bestimmungen des Jahres 2007, in: ZChinR 2007, S. 251 ff. und Knut Benjamin Pißler, Höchstrichterliche Interpretationen als Mittel der Rechtsfortbildung in der Volksrepublik China, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 80 (2016), 372 ff. 30 [最高人民法院关于贯彻执行《中华人民共和国民法通则》若干问题的意见 (试行)] vom 26.1.1988; chinesisch mit Quellenangabe in: Frank Münzel (Hrsg.), Chinas Recht, 12.4.86/1. 31 [中华人民共和国合伙企业法] vom 27.8.2006; chinesisch-deutsch in: ZChinR 2006, S. 407 ff. 32 Siehe Liu Xiaoxiao, Partnerschaftsunternehmen als neues Vehikel für Auslandsinvestitionen in China, ZChinR 2010, S. 37 ff. 33 Siehe etwa Yuanshi Bu, a.a.O. (Fn. 4), S. 195. Bu will die beiden Rechtsinstitute offenbar anhand des Merkmals „Unternehmen“ (in Partnerschaftsunternehmen) abgrenzen, ohne allerdings zu erörtern, was unter diesem Begriff zu verstehen ist. Sie hält eine analoge Anwendung der Regelungen im PUG auf Partnerschaften von Einzelpersonen mit dem Hinweis für denkbar, dass diese Frage „noch nicht abschließend geklärt“ sei, äußert sich aber nicht dazu, inwiefern die (Regelungen zu Partnerschaften in den) AGZR auch auf Partnerschaftsunternehmen anwendbar sind. 34 Eine Unterschreitung dieser Mindestzahl führt zur Auflösung der Partnerschaft (siehe unten unter IV 7, Fn. 109). Eine Obergrenze von 50 Partnern ist nur für beschränkte Partnerschaften vorgesehen, § 61 PUG. 35 § 31 AGZR, § 4 PUG. Eine Ausnahme von diesem Formerfordernis sieht Ziffer 50 AGZR-Ansichten vor. Ohne schriftliche Vereinbarung ist demnach erforderlich, dass mindestens zwei „nicht interessierte Personen“ den Abschluss einer mündlichen Vereinbarung bezeugen. 36 Siehe § 18 Nr. 2 PUG. Für die Partnerschaft von Einzelpersonen wird die gemeinsame Zweckverfolgung nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt, jedoch von der Literatur vor-

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hierfür bestimmte Beiträge erfüllen37, die allerdings auch als Arbeitsleistungen erbracht werden können.38 Ein weiteres Wesensmerkmal ist die Gewinnbeteiligung der Partner.39 Bei den Partnerschaftsunternehmen werden zwei Rechtsformen unterschieden: gewöhnliche Partnerschaftsunternehmen und beschränkte Partnerschaftsunternehmen. Während in den gewöhnlichen Partnerschaftsunternehmen alle Partner als Gesamtschuldner unbeschränkt für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haften40, gibt es im beschränkten Partnerschaftsunternehmen (neben mindestens einem unbeschränkt haftendenden Partner41) auch Partner, die für Unternehmensverbindlichkeiten nur bis zur Höhe der von ihnen übernommenen Einlage haften.42 Diese Rechtformen ähneln insofern der offenen Handelsgesellschaft (OHG) bzw. der Kommanditgesellschaft (KG) im deutschen Recht. Partner, die beratende oder technische Fachdienstleistungen erbringen, können zudem „gewöhnliche Partnerschaftsunternehmen besonderer Art“ errichten, für die eine gesonderte Haftungskonzentration auf den befassten Partner gilt.43 Hier ist eine gewisse Ähnlichkeit mit der deutschen Partnerschaftsgesellschaft festzustellen.

IV. Der Partnerschaftsvertrag im Vergleich zu den geltenden Regelungen In den aktuellen Entwürfen ist der Partnerschaftsvertrag in den §§ 751 bis 762 geregelt. Dort sind die Wesensmerkmale zu finden, die auch für Partnerschaften von Einzelpersonen und Partnerschaftsunternehmen genannt werden: Nach der Definition von Partnerschaftsverträgen in § 751 handelt es sich um Vereinbarungen, die zwei oder mehr Personen mit dem Ziel der gemeinsamen Unternehmung schließen und mit denen Interessen gemeinsam genossen und Risiken gemeinsam getragen werden. Und nach ausgesetzt. Siehe etwa Ma Junju/Yu Yanman [马俊驹/余延满] (Hrsg.), Die Theorie des Zivilrechts [民法原论], Beijing 2006, S. 145. 37 Form, Höhe und Frist zur Leistung der Beiträge sind in der Partnerschaftsvereinbarung festzulegen, § 18 Nr. 4 PUG. Eine Erhöhung oder Verringerung der Beiträge ist durch Vereinbarung oder einstimmigen Beschluss aller Partner zulässig, § 34 PUG. 38 Siehe §§ 30, 31 AGZR, § 16 Abs. 1 PUG. § 16 Abs. 2 und 3 PUG sieht Regeln für die Bewertung von Sacheinlagen und Arbeitsleistungen vor. Beschränkt haftende Partner in beschränkten Partnerschaftsunternehmen dürfen keine Arbeitsleistungen als Beitrag erbringen, § 64 Abs. 2 PUG. 39 Siehe hierzu unten unter IV 6. 40 § 2 Abs. 2 PUG. 41 § 61 Abs. 2 PUG. 42 § 2 Abs. 3 PUG. 43 § 57 PUG. Zur Haftung der Partner siehe unten unter IV 4.

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§ 752 sind die Partner verpflichtet, vereinbarungsgemäß Beiträge zu leisten. 1. Rechts- und Registerfähigkeit Als rechtsfähig gelten im chinesischen Zivilrecht (neben natürlichen Personen) nur juristische Personen.44 Die Partnerschaft von Einzelpersonen und das Partnerschaftsunternehmen sind jedoch keine juristischen Personen.45 Es wäre jedoch weder mit den gesetzlichen Vorgaben noch mit den in der Literatur vertretenen Ansichten zu vereinbaren, ihnen jede Rechtsfähigkeit abzusprechen.46 Man muss vielmehr im Hinblick auf die Rechts- und Registerfähigkeit bei den bestehenden Rechtsinstituten differenzieren: Soweit eine Partnerschaft von Einzelpersonen eine Firma verwendet, ist sie nach den Vorgaben des Obersten Volksgerichts zumindest parteifähig.47 Außerdem kann sie einen Betriebsbereich registrieren lassen, in dem sie tätig wird.48 Im Umkehrschluss ist offenbar auch eine Partnerschaft von Einzelpersonen denkbar, die weder durch eine Firma noch durch eine Geschäftstätigkeit am Rechtsverkehr teilnimmt. Dementsprechend erscheint es denkbar, sie als Innenorganisation (ohne Rechtsfähigkeit) auszugestalten. Partnerschaftsunternehmen müssen hingegen registriert werden49, woraufhin die Registerbehörde einen Gewerbeschein ausstellt.50 Seit 2017 werden 44

§ 36 AGZR, § 57 ATZR. Als solche gelten die in § 76 ATZR genannten gewinnorientierten juristischen Personen (wie etwa die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Aktiengesellschaft) sowie die in § 87 ATZR genannten nichtgewinnorientierten juristischen Personen (wie etwa der Verein und die Stiftung). 46 Die ältere Literatur (zu den AGZR) spricht von einer der „juristischen Person ähnlichen Organisation“, einer „halben juristischen Person“ oder auch von einer „Körperschaft, die keine juristische Person ist“. Jiang Ping/Zhang Peilin [江平/张佩霖], Lehrbuch zum Zivilrecht [民法教程], Beijing 1986, S. 34 f.; Zhang Xinbao [张新宝], Allgemeine Forschung zur Zivilrechtswissenschaft im neuen China [新中国民法学研究综述], Beijing 1990, S. 109. Ähnlich auch die neuere Literatur (die auch das Partnerschaftsunternehmen berücksichtigt), siehe etwa Gao Fuping [高富平], Zivilrechtswissenschaft [民法学], Beijing 2009, S. 152. 47 Ziffer 45 AGZR-Ansichten. Wird keine Firma verwendet, treten die einzelnen Partner im Prozess als Streitgenossen auf. 48 § 33 AGZR. Eine Rechtsfolge für Partnerschaften, die ohne Registrierung eines Betriebsbereichs tätig werden, ist nicht ausdrücklich normiert. Allerdings kann die Überschreitung des (registrierten) Betriebsbereichs zu verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen führen, § 49 Nr. 1 AGZR. 49 Für diese Registrierung von Partnerschaftsunternehmen gibt es (im Gegensatz zu den Partnerschaft von Einzelpersonen) eine umfassende Regelung: Verwaltungsmethode zur Registrierung von Partnerschaftsunternehmen [中华人民共和国合伙企业登记管理 办法] (Registrierungsmethode) vom 19.11.1997 in der Fassung vom 2.3.2019; chinesischenglisch abrufbar unter: Indexnummer (Fn. 16) CLI.2.330894(EN). 50 §§ 9 bis 11 PUG. 45

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Partnerschaftsunternehmen außerdem als Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit bezeichnet, die im eigenen Namen Rechtsgeschäfte vornehmen können.51 Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass auch die Partnerschaft von Einzelpersonen rechtsfähig ist. Aufschluss über die Frage der Rechtsfähigkeit verspricht der Blick auf die Zuordnung des Vermögens der Partnerschaft. Zur Partnerschaft von Einzelpersonen ist bestimmt, dass die Partner am Vermögen, das von der Partnerschaft erwirtschaftet wird, gemeinschaftliche Eigentümer sind.52 Dies spricht auf den ersten Blick gegen eine Rechtsfähigkeit. Hingegen ergibt sich aus § 20 PUG, dass Beiträge der Partner und die im Namen des Partnerschaftsunternehmens erlangten Erträge und sonstige Vermögensgegenstände sämtlich „Vermögen des Partnerschaftsunternehmens“ sind.53 Aus anderen Vorschriften lässt sich eine gewisse Eigenständigkeit des Partnerschaftsvermögens ableiten. So sieht etwa § 21 PUG vor, dass Partner vor der Abwicklung des Partnerschaftsunternehmens keine Teilung des Vermögens des Partnerschaftsunternehmens verlangen dürfen,54 und § 41 untersagt, dass ein Schuldner gegen eine Forderung, die zum Partnerschaftsvermögen gehört, eine ihm gegen einen einzelnen Partner zustehende Forderung aufrechnet.55 Die Entwürfe zum Partnerschaftsvertrag lassen Raum für nicht-rechtsfähige und rechtsfähige Partnerschaften: Sie können als Innenorganisation (ohne Firma und Teilnahme am Geschäftsverkehr) als reines Schuldverhältnis ausgestaltet werden. Allerdings sieht § 752 vor, dass Partner Beiträge leisten müssen. Eine vermögenslose Partnerschaft, bei der kein (gesamthänderisch gebundenes) Partnerschaftsvermögen gebildet wird, erscheint daher 51

§ 102 ATZR. § 32 AGZR. Offenbar nicht geklärt ist, ob hiermit gemeinschaftliches Eigentum nach Bruchteilen (按份共有) oder Gesamthandseigentum (共同共有) gemeint ist. Erwirtschaftete Gewinne sollen nach der herrschenden Meinung Gesamthandseigentum sein, siehe Ma Junju/Yu Yanman, a.a.O. (Fn. 36), S. 156 f. Hinsichtlich der Beiträge der Partner will die Literatur nach den jeweiligen Vermögensgegenständen differenzieren, siehe etwa Liang Shuwen/Hui Huming/Yang Zhenshan [梁书文/回沪明/杨振山] (Hrsg.), Die allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts und ergänzende Bestimmungen mit neuen Erläuterungen [民法通则及配套规定新释新解], Beijing 2000, S. 476 ff.; Wang Liming [王利明] (Hrsg.), [民法], 7. Aufl., Beijing 2018, S. 78. 53 Die Literatur folgert aus § 20 PUG, dass das Vermögen Gesamthandseigentum der Partner sei, siehe Wei Zhenying [魏振瀛] (Hrsg.), Zivilrecht [民法], 3. Aufl., Beijing 2007, S. 104. 54 Das hieraus offenbar abzuleitende Verfügungsverbot gilt allerdings nicht gegenüber gutgläubigen Dritten, § 21 Abs. 2 PUG. 55 Eine Ausnahme hierzu sieht § 42 Abs. 1 PUG im Hinblick auf Gewinnanteile des Partners vor, in die Gläubiger auch vollstrecken können. Eine Vollstreckung in den Anteil des Partners am Partnerschaftsvermögen ist nur unter den Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 zulässig. Für beschränkte Partnerschaftsunternehmen sieht § 74 eine Sonderregelung für die Vollstreckung in Anteile eines beschränkt haftenden Partners am Partnerschaftsvermögen vor. 52

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nur denkbar, soweit die Partner ausschließlich Arbeitsleistungen erbringen, was aber nach den aktuellen Entwürfen zulässig erscheint. Soweit Partnerschaftsvermögen gebildet wird, sah § 753 Abs. 2 des Entwürfe vom August 2018 (entsprechend der Regelung zu Partnerschaften von Einzelpersonen) vor, dass die Partner gemeinschaftliche Eigentümer dieses Vermögens sind. Im Entwurf vom Dezember 2018 ist diese Regelung gestrichen worden. Eine Erklärung hierfür liegt nicht vor.56 In beiden Entwürfen ist aber übereinstimmend regelt, dass Partner vor Beendigung der Partnerschaft nicht die Aufteilung des Partnerschaftsvermögens verlangen dürfen.57 2. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse Auch im Hinblick auf die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse muss zwischen den bestehenden Rechtsinstituten differenziert werden. Allgemein ist aber festzustellen, dass zwischen Geschäftsführung und Vertretung nicht klar unterschieden wird. Für die Partnerschaft von Einzelpersonen ist nur geregelt, dass die Partner über Geschäfte gemeinsam entscheiden.58 Allerding ist es zulässig, dass die Partner einen „Verantwortlichen“ wählen59, der die Partnerschaft nach außen vertritt.60 Partnerschaftsunternehmen sind detaillierteren Regelungen unterworfen: Grundsätzlich sind auch hier alle Partner zur Geschäftsführung berechtigt.61 Eine explizite Vertretungsregelung gibt es nur für den Fall, dass ein Partner beauftragt wird oder mehrerer Partner beauftragt werden, die Partnerschaft nach außen als Repräsentant zu vertreten.62 Die anderen Partner sind dann

56 Denkbar ist, dass der Gesetzgeber die Regelung als überflüssig erachtete, da in § 753 Abs. 1 der Entwürfe geregelt wird, dass Vermögen der Partnerschaft (Beiträge und erzielte Gewinne) zum Partnerschaftsvermögen gehören. Trotz einer Abweichung in der Formulierung könnte dies (parallel zu § 20 PUG) so zu verstehen sein, dass die Partnerschaft Träger des Vermögens ist. 57 § 753 Abs. 2 Satz 2 der Entwürfe. 58 § 34 Abs. 1 AGZR. Dies ist wohl im Sinne einer einstimmigen Entscheidung aller Partner zu verstehen. 59 Ob auch Personen, die nicht Partner sind, als Vertreter gewählt werden können, und in welcher Form diese Wahl durchzuführen ist, wird nicht geregelt. Es spricht aber einiges dafür, dass nur Partner als Verantwortliche fungieren dürfen und die Wahl einstimmig zu treffen ist. 60 § 34 Abs. 2 AGZR. Dieser Verantwortliche hat nach Ansicht der Literatur eine dem Repräsentanten (siehe hierzu sogleich im Text) ähnliche Funktion. Jiang Ping/Zhang Peilin, a.a.O. (Fn. 46), S. 34. 61 § 26 Abs. 1 PUG. 62 § 26 Abs. 2 PUG. Partner, die in beschränkten Partnerschaftsunternehmen nur beschränkt haften, dürfen gemäß § 68 Abs. 1 nicht als Repräsentant fungieren. Nimmt ein beschränkt haftender Partner dennoch namens des Partnerschaftsunternehmens mit Dritten Geschäfte vor, haftet er dem Unternehmen oder anderen Partnern für die hierdurch verursachten Verluste auf Ersatz, § 76 Abs. 2 PUG.

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von der Geschäftsführung ausgeschlossen63, haben aber bestimmte Aufsichts- und Einsichtsrechte64 und können den Auftrag unter gewissen Voraussetzungen aufheben.65 Diese Form der (organschaftlichen) Vertretung als Repräsentant, die grundsätzlich nicht beschränkt werden kann66 und im chinesischen Zivilrecht terminologisch und rechtlich von der Stellvertretung zu unterscheiden ist, ist bislang juristischen Personen vorbehalten gewesen.67 § 105 ATZR weitet den Anwendungsbereich jedoch nunmehr auf Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit wie Partnerschaftsunternehmen aus. In Partnerschaftsunternehmen ist es zulässig, Personen als „Manager“ zu bestellen, die keine Partner sind.68 Mit einer entsprechenden Ermächtigung der Partner kann auch dieser Manager das Unternehmen als Repräsentant nach außen vertreten.69 Die in § 754 der Entwürfe zum Partnerschaftsvertrag enthaltenen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse lehnen sich an die Regelungen zum Partnerschaftsunternehmen an: Geschäfte werden grundsätzlich von allen Partnern gemeinsam geführt; wird ein Partner oder werden mehrere Partner mit der Geschäftsführung beauftragt, haben die anderen Partner die Aufsicht. Die Aufhebung des Auftrags ist allerdings nicht explizit geregelt und es wird offen gelassen, ob Nichtpartner als Manager bestellt werden dürfen. Interessant ist, dass § 755 der Entwürfe vorsieht, dass Partner nur dann ein Entgelt für die Geschäftsführung verlangen dürfen, wenn dies in der Partnerschaftsvereinbarung vorgesehen ist. Die Entlohnung von Partnern ist bislang nur für den speziellen Fall der geschäftsführenden Partner in beschränkten Partnerschaften dahingehend geregelt, dass diese verlangen können, dass eine Entlohnung in der Partnerschaftsvereinbarung festgelegt wird.70 Ob hieraus zu folgern ist, dass eine Entlohnung nur für geschäftsführende Partner dieser Rechtsform zulässig ist, erscheint jedoch zweifelhaft.

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§ 27 Abs. 1 PUG. §§ 27 Abs. 2, 28 PUG. 65 § 29 Abs. 2 PUG. Diese Aufhebung des Auftrags (zur Geschäftsführung) führt offenbar zugleich zur Unwirksamkeit der Vollmacht, das Partnerschaftsunternehmen zu vertreten. Siehe Yuanshi Bu, a.a.O. (Fn. 4), S. 196. 66 § 37 PUG. Soweit eine Beschränkung vorgenommen wurde, kann diese „gutgläubigen Dritten“ nicht entgegengehalten werden. Eine ähnliche Regelung enthält für die organschaftliche Vertretung juristischer Personen allgemein auch § 61 ATZR. 67 Ausführlicher hierzu Anne Daentzer, Das Recht der Stellvertretung in der VR China, Regensburg 2000, S. 51 ff. 68 Soweit die Partnerschaftsvereinbarung nichts Abweichendes regelt, bedarf es hierfür der Zustimmung aller Partner, § 31 Nr. 6 PUG. 69 Siehe etwa Zhu Shaoping [朱少平] (Hrsg.), Kommentierung und Praxisleitfaden zum „PUG der Volksrepublik China“ [《中华人民共和国合伙企业法》释义及实用指南], Beijing 2013, S. 121. Überschreitet der Manager die Ermächtigung, haftet er dem Unternehmen für Schäden nach § 35 Abs. 2 PUG. 70 § 67 Satz 2 PUG. 64

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3. Beschlussverfahren und Mehrheitsklauseln Das Beschlussverfahren hat nur für Partnerschaftsunternehmen eine nähere Ausgestaltung erfahren. Abweichend vom Einstimmigkeitsprinzip in der Partnerschaft von Einzelpersonen71 gilt dort, dass Beschlüsse mit der (einfachen) Mehrheit der Partner nach Kopfteilen gefasst werden können.72 Nur für enumerativ aufgeführte Angelegenheiten73 ist bei Partnerschaftsunternehmen ein einstimmiger Beschluss erforderlich; allerdings kann auch hiervon in der Partnerschaftsvereinbarung abgewichen werden.74 Ob es einen Kernbereich von Angelegenheiten gibt, über den Partner nur einstimmig entscheiden können, wird – soweit ersichtlich – nicht diskutiert.75 Allerdings ist zu bedenken, dass Partnerschaftsunternehmen einer Registrierung bedürfen, bei der auch die Partnerschaftsvereinbarung einzureichen ist.76 Insofern ist anzunehmen, dass an dieser Stelle eine gewisse staatliche Kontrolle stattfindet, damit die Rechte der Partner nicht ausgehöhlt werden. Die Entwürfe zum Partnerschaftsvertrag beschreiten im Hinblick auf das Beschlussverfahren einen Mittelweg zwischen Partnerschaft von Einzelpersonen und Partnerschaftsunternehmen: Es gilt nach § 754 Abs. 1 Satz 2 das Einstimmigkeitsprinzip, von dem aber (offenbar uneingeschränkt und – da keine Eintragung vorgesehen ist – ohne staatliche Kontrolle) durch Vereinbarung abgewichen werden kann. 4. Haftung der Partner Grundsätzlich haften die Partner unbeschränkt und als Gesamtschuldner für Verbindlichkeiten der Partnerschaft.77 Allerdings kommt teilweise sowohl im Gesetz als auch in der Literatur zum Ausdruck, dass Verbindlichkeiten zunächst mit dem Partnerschaftsvermögen zu begleichen seien; soweit dieses ausreiche, dürften Gläubiger keine Erstattung aus dem Privat71 Dieses Einstimmigkeitsprinzip ist daraus zu schließen, dass alle Partner gemeinsam über Geschäfte der Partnerschaft entscheiden müssen (siehe oben unter IV 2). 72 § 30 Abs. 1 Satz 2 PUG. In der Partnerschaftsvereinbarung kann allerdings auch vorgesehen werden, dass Partner nicht nach Kopfteilen, sondern beispielsweise nach Beteiligungsquoten stimmberechtigt sind. 73 Diese umfassen (1) die Änderungen der Firma, (2) die Änderungen des Sitzes des Unternehmens und wesentlicher Betriebsstätten, (3) Verfügungen über unbewegliches Vermögen des Unternehmens, (4) Verfügungen über Vermögensrechte wie Immaterialgüterrechte, (5) die Stellung von Sicherheiten und (6) die Bestellung von Nichtpartnern als Manager. 74 § 31 PUG. 75 Zum Ausschluss von Partnern siehe unten unter IV 7. 76 § 11 Abs. 2 Nr. 4 Registermethode (Fn. 49). 77 Jiang Ping/Zhang Peilin, a.a.O. (Fn. 46), S. 34.

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vermögen der Partner verlangen.78 Dies setzt freilich eine Eigenständigkeit des Partnerschaftsvermögens voraus, was nur bei einem Teil der Partnerschaften des chinesischen Zivilrechts gewährleistet sein dürfte. Für die Partnerschaft von Einzelpersonen ist die gesamtschuldnerische Außenhaftung der Partner in § 35 Abs. 2 Satz 1 AGZR normiert. Im Innenverhältnis haften die Partner im Verhältnis der geleisteten Beiträge, soweit nichts anderes vereinbart worden ist, § 35 Abs. 1 AGZR.79 Lässt sich das Verhältnis auf diese Weise nicht ermitteln, wird auf die Gewinnbeteiligung der Partner abgestellt.80 Ist auch eine solche nicht festzustellen, wird im Hinblick auf Partner, die nur Arbeitsleistungen erbringen, der durchschnittliche Beitrag der anderen Partner zugrunde gelegt.81 Ein Partner, der als Gesamtschuldner in Anspruch genommen wird, hat gegebenenfalls einen Ausgleichsanspruch gegen die anderen Partner, § 35 Abs. 2 Satz 2 AGZR. Da bei Partnerschaftsunternehmen das Vermögen dem (insofern rechtsfähigen) Unternehmen zugerechnet wird, gilt hier, dass Verbindlichkeiten zunächst aus diesem Vermögen zu begleichen sind.82 Subsidiär haften die Partner grundsätzlich unbegrenzt als Gesamtschuldner und haben bei Inanspruchnahme einen Ausgleichsanspruch gegen die anderen Partner.83 Wie die Partner im Innenverhältnis haften, ist nicht geregelt.84 Beschränkt haftenden Partner haften nur bis zur Höhe ihres Beitrags.85 Leisten sie den Beitrag nicht, führt dies nicht zum Wegfall ihrer beschränkten Haftung.86 Allerdings haften sie unbeschränkt, wenn bei einem Dritten der Anschein geweckt worden ist, dass sie gewöhnliche Partner sind.87 Ebenso haftet ein beschränkt haftenden Partner unbeschränkt, wenn er zu einem gewöhnlichen Partner wird88; dies 78

Zhang Xinbao, a.a.O. (Fn. 46), S. 111. Siehe auch Ziffer 47 AGZR-Ansichten, in der das OVG (für Betriebsverluste) klar zwischen der gesamtschuldnerischen Haftung im Außenverhältnis und der Haftung im Verhältnis der Beiträge der Partner im Innenverhältnis unterscheidet. 80 Ziffer 47 AGZR-Ansichten. Ungewöhnlich ist, dass das OVG hiernach bei der „Größe der Haftung“ im Innenverhältnis auch auf den Grad des Verschuldens der Partner (im Hinblick auf Betriebsverluste) abstellt. 81 Ziffer 48 AGZR-Ansichten. 82 § 38 PUG. 83 §§ 39, 40 PUG. 84 Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass sich die Innenhaftung nach den Beiträgen der Partner richtet, die sich aus der Partnerschaftsvereinbarung (und ersatzweise aus der Regelung der Beteiligungsquoten, siehe hierzu unten unter IV 6) ergibt. 85 § 2 Abs. 3 a.E. PUG. 86 Die anderen Partner können diese beschränkt haftenden Partner aber wegen Vertragsverletzung in Anspruch nehmen, § 65 PUG. 87 § 76 Abs. 1 PUG. 88 Eine solche Änderung des Status als Partner bedarf nach § 82 PUG einer Zustimmung aller Partner, soweit die Partnerschaftsvereinbarung keine anderweitige Regelung enthält. 79

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gilt auch für Verbindlichkeiten, die während der Zeit entstanden sind, als er noch beschränkt haftender Partner war.89 Besonderheiten gelten für das gewöhnliche Partnerschaftsunternehmen besonderer Art, die der deutschen Partnerschaftsgesellschaft ähnelt: Der bei seiner Berufsausübung grob fahrlässig oder vorsätzlich handelnde Partner haftet (persönlich90) unbeschränkt, während die anderen Partner nur bis zur Höhe ihrer Beiträge haften.91 Liegt nur ein fahrlässiges Verhalten vor, haften alle Partner unbeschränkt als Gesamtschuldner.92 Diese Unternehmen müssen einen Haftungsfonds einrichten und eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen.93 Offenbar soll damit dem Risiko der Gläubiger reduziert werden, dass der (persönlich) unbeschränkt haftende Partner insolvent ist und das Partnerschaftsvermögen nicht zur Tilgung der Schulden ausreicht.94 Die Entwürfe zum Partnerschaftsvertrag sehen (wie beim Partnerschaftsunternehmen) eine primäre Haftung des Partnerschaftsvermögens vor. Denn Partner haften nach § 757 der Entwürfe nur gesamtschuldnerisch für Verbindlichkeiten, für deren Begleichung das Partnerschaftsvermögen nicht ausreicht. Der Gesetzgeber geht mithin davon aus, dass zunächst die (dann insofern rechtfähige bzw. parteifähige) Partnerschaft selbst in Anspruch genommen wird. Freilich wäre es Klägern anzuraten, ihre Ansprüche zugleich gegen alle Partner geltend zu machen. Der Ausgleichsanspruch ist auch hier ohne eine Regelung dazu festgelegt, wie die Partner im Innenverhältnis haften.95 5. Haftungsmaßstab im Innenverhältnis Zum Haftungsmaßstab im Innenverhältnis sind weder für die Partnerschaft von Einzelpersonen noch für Partnerschaftsunternehmen Regelungen

89 § 83 PUG. Wird ein gewöhnlicher Partner zu einem beschränkt haftenden Partner, so haftet er unbeschränkt als Gesamtschuldner nur für Verbindlichkeiten, die während seiner Zeit als gewöhnlicher Partner entstanden sind, § 84 PUG. 90 Dass dieser Partner in gewöhnlichen Partnerschaftsunternehmen besonderer Art nicht mit seinem Anteil am Partnerschaftsvermögen, sondern seinem Privatvermögen haftet, ist im Umkehrschluss aus § 58 PUG zu folgern: Dort wird (systematisch etwas unglücklich) für gewöhnliche Partnerschaftsunternehmen bestimmt, dass für Verbindlichkeiten, die Partner durch eine grob fahrlässige oder vorsätzlich Berufsausübung verursachen, das Partnerschaftsvermögen haftet. 91 § 57 Abs. 1 PUG. 92 § 57 Abs. 2 PUG. 93 § 59 PUG. 94 § 59 Abs. 2 Satz 3 PUG sieht vor, dass der Staatsrat für diesen Fonds und die Versicherung ein konkretes Verwaltungsverfahren bestimmt. Dies ist aber bislang – soweit ersichtlich – nicht geschehen. 95 § 757 Abs. 2 Entwürfe.

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vorgesehen.96 Auch die Entwürfe schweigen hierzu. Eine Verletzung von Pflichten aus dem Partnerschaftsvertrag sollte daher wie eine allgemeine Vertragsverletzung zu behandeln sein, so dass ein Verschulden nicht vorausgesetzt wird.97 Über die Pflicht zur Förderung des Ziels der gemeinsamen Unternehmung und die Beitragspflicht hinaus gilt nur für Partner in Partnerschaftsunternehmen eine allgemeine Treuepflicht, die durch ein grundsätzliches Verbot von Insichgeschäften98 und ein Wettbewerbsverbot näher konkretisiert wird99; diese gelten allerdings grundsätzlich nur für unbeschränkt haftende Partner.100 Nehmen (unbeschränkt haftende) Partner trotz dieser Verbote Geschäfte vor, fallen Gewinne hieraus an das Partnerschaftsunternehmen.101 6. Beteiligungsquoten an Gewinn und Verlusten Grundsätzlich gilt eine Beteiligung der Partner an Gewinnen als ein Wesensmerkmal der Partnerschaft.102 Eine Ausnahme ist nur für die beschränkten Partnerschaftsunternehmen vorgesehen, bei der die Partnerschaftsvereinbarung vorsehen kann, dass der gesamte Gewinn einem Teil der Partner zugeteilt wird.103 Die Beteiligungsquoten an Gewinn und Verlusten richten sich bei Partnerschaftsunternehmen nach der Vereinbarung der Partner.104 Liegt eine solche Vereinbarung nicht vor, gilt das Verhältnis der von den Partnern tatsächlich geleisteten Beiträge.105 Lässt sich dieses Verhältnis nicht ermitteln,

96 Auf den „Grad des Verschuldens“ kommt es (bei der Partnerschaft von Einzelpersonen) allein für die Frage an, „wie“ (nicht „ob“) die Partner im Innenverhältnis haften (siehe oben Fn. 80). 97 Diese verschuldensunabhängige Haftung kommt auch in den speziellen Regelungen zur Haftung der Partner für Verluste der Partnerschaft in den §§ 96 bis 99 PUG zum Ausdruck. Zur allgemeinen Haftung für Vertragsverletzung siehe etwa Bing Ling, Contract Law in China, Hongkong 2002, S. 400 f. 98 Von diesem Verbot kann in der Partnerschaftsvereinbarung oder mit Zustimmung aller Partner abgewichen werden. 99 § 32 PUG. 100 Für beschränkt haftendende Partner gelten die Verbote nur, soweit diese explizit in der Partnerschaftsvereinbarung festgelegt worden sind, §§ 70, 71 PUG. 101 § 99 PUG. 102 Siehe Ziffer 46 AGZR-Ansichten, wonach Partner (unabhängig von der Form des Beitrags) nur sein kann, wer an Gewinnen der Partnerschaft von Einzelpersonen beteiligt ist. Für Partnerschaftsunternehmen siehe § 33 PUG, wonach die Vereinbarung einer Gewinn- und Verlustverteilung nur an einen Teil der Partner unzulässig ist. 103 § 69 PUG. 104 § 33 PUG. Diese Vereinbarung kann auch nach Abschluss der Partnerschaftsvereinbarung getroffen werden. 105 Ausschlaggebend ist also nicht, was die Partner vereinbart haben (Fn. 37).

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werden die Gewinne und Verluste auf die Partner nach Kopfteilen gleichmäßig verteilt. Die Regelung zu den Beteiligungsquoten an Gewinn und Verlusten in Partnerschaftsunternehmen ist von den Entwürfen zum Partnerschaftsvertrag (in § 756) übernommen worden.106 7. Fortsetzung der Partnerschaft trotz Tod oder Ausscheiden eines Partners Der Tod oder das Ausscheiden eines Partners führt bei den bestehenden Rechtsinstituten als Regelfall nicht automatisch zur Auflösung der Partnerschaft. Die Regelungen sind vielmehr darauf angelegt, die Partnerschaft möglichst fortzuführen. Für die Partnerschaft von Einzelpersonen führt das Ausscheiden eines Partners nicht zur Auflösung. Dies ergibt sich dies allerdings nicht aus dem Gesetz, sondern nur aus der justiziellen Interpretation des OVG zu den AGZR.107 Bei Partnerschaftsunternehmen sind die Auflösungsgründe zwar gesetzlich normiert.108 Der Tod oder das Ausscheiden eines einzelnen Partners zählt jedoch nicht hierzu.109 Beim Tod eines Partners ist zwischen gewöhnlichen und beschränkten Partnerschaftsunternehmen zu unterscheiden: In gewöhnlichen Partnerschaftsunternehmen werden Erben nur dann Partner, wenn dies in der Partnerschaftsvereinbarung vorgesehen ist oder alle Partner dies einstimmig beschließen.110 Erben oder Rechtsnachfolger beschränkt haftender Partner treten hingegen in das Partnerschaftsunternehmen ein, ohne dass es hierzu einer Vereinbarung oder eines Beschlusses bedarf.111 Das PUG normiert eine Reihe von Tatbeständen, nach denen einzelne Partner aus dem Unternehmen (auf eigenen Wunsch) ausscheiden können112, 106 Im Entwurf vom Dezember 2018 wurde noch hinzugefügt, dass mangels Vereinbarung auf die tatsächlich geleisteten Beiträge der Partner abgestellt werden kann. 107 Siehe die Ziffern 52 bis 54 AGZR-Ansichten. Dort ist auch nur der Austritt aus der Partnerschaft (退伙 bzw. 退出合伙) im Hinblick auf die Voraussetzungen des Austritts, die Haftung des austretenden Partners und seine Abfindung geregelt. 108 § 85 PUG. 109 Nach § 85 Nr. 5 PUG muss ein Partnerschaftsunternehmen aber aufgelöst werden, wenn die Zahl der Partner während 30 Tagen die gesetzlich festgelegte Zahl (also zwei Partner) nicht mehr erreicht. 110 § 50 Abs. 1 PUG. Abs. 2 und 3 der Vorschrift sehen Ausnahmen und Einschränkungen vor, wann Erben nicht (unbeschränkt haftendende) Partner werden dürfen. Ihnen ist in diesem Fall eine Abfindung zu leisten. 111 § 80 PUG. 112 §§ 45, 46 PUG. Auch bei Nichtvorliegen der in den §§ 45, 46 normierten Voraussetzungen kann der Partner ausscheiden, muss dem Unternehmen dann jedoch gemäß § 47 den Schaden ersetzen, der durch sein Ausscheiden entsteht.

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automatisch ausscheiden113 oder von den anderen Partnern durch Beschluss ausgeschlossen werden können114. Die normierten Rechtsfolgen des Ausscheidens (Abfindung115 und Haftung116) sehen keine Auflösung des Unternehmens vor. Die bestehenden Regelungen (zur Partnerschaft von Einzelpersonen und zum Partnerschaftsunternehmen) stehen in einem scharfen Kontrast zu den Entwürfen über den Partnerschaftsvertrag: Dieser kann (soweit er nicht befristet ist) jederzeit von einem Partner aufgehoben werden, ohne dass hierfür bestimmte Gründe vorliegen müssen.117 Der Tod eines Partners bewirkt ebenfalls die (zwingende118) Auflösung des Partnerschaftsvertrags.119 Die Rechtsfolgen sind nur knapp im Hinblick auf die Verteilung des Restvermögens der Partnerschaft normiert.120 8. Übertragbarkeit von Partnerschaftsanteilen Regelungen zur Übertragbarkeit von Partnerschaftsanteilen sind allein für Partnerschaftsunternehmen vorgesehen. Die Interpretation des OVG zu den AGZR legt für Partnerschaften von Einzelpersonen nur die Voraussetzung für den Beitritt eines neuen Partners fest.121 Bei Partnerschaftsunternehmen können Anteile unter Partnern frei übertragen werden.122 Für eine Übertragung an Dritte sind grundsätzlich die Zu113 § 48 PUG. Zu den Gründen, die zu einem automatischen Ausscheiden führen, zählt nach Nr. 1 der Vorschrift der Tod dieses Partners, was freilich in einem gewissem Widerspruch zu den Regelungen über den Eintritt der Erben als Partner steht. Für beschränkte Partnerschaftsunternehmen ist nach § 78 die Zahlungsunfähigkeit und mangelnde Geschäftsfähigkeit eines beschränkt haftenden Partners kein Grund für ein automatisches Ausscheiden. 114 § 49 PUG. Unter anderem kann ein Partner ausgeschlossen werden, wenn er seine Beiträge nicht leistet oder dem Unternehmen grob fahrlässig Verluste verursacht. Gegen den betreffenden Beschluss kann der ausgeschlossene Partner gemäß § 49 Abs. 3 Klage erheben. 115 §§ 51, 52 PUG. 116 §§ 53, 54 und (für beschränkte Partnerschaftsunternehmen) § 81 PUG. 117 § 760 Abs. 3 Entwürfe. 118 Eine abweichende vertragliche Vereinbarung ist nicht vorgesehen, so dass die Zulässigkeit zweifelhaft ist. 119 § 761 Entwürfe. Das gilt auch, wenn der Partner eine juristische Person ist, die aufgelöst wird. 120 § 762 Entwürfe. Die Verteilung erfolgt nach Begleichung der Schulden und Abzug der Kosten gemäß den Beteiligungsquoten (siehe oben unter IV 6). 121 Ziffer 51 AGZR-Ansichten. Der Eintritt bedarf demnach (vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung) der Zustimmung aller Partner. Ohne Zustimmung ist der Eintritt in die Partnerschaft als unwirksam anzusehen. Bei Partnerschaftsunternehmen ist der Eintritt neuer Partner in den §§ 43, 44 und (für beschränkte Partnerschaften im Hinblick auf die beschränkte Haftung dieser Partner) in § 77 geregelt. 122 Hierzu bedarf es nach § 22 Abs. 2 PUG nur der Benachrichtigung der anderen Partner.

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stimmung aller anderen Partner und eine Änderung der Partnerschaftsvereinbarung erforderlich.123 Außerdem haben die anderen Partner in diesem Fall ein Vorkaufsrecht.124 Bei beschränkten Partnerschaften ist die Übertragung von Anteilen beschränkt haftender Partner ohne Zustimmung der anderen Partner zulässig.125 Ähnliche Voraussetzungen gelten auch für die Verpfändung von Anteilen der Partner.126 Nach den Entwürfen zum Partnerschaftsvertrag ist eine Übertragung von Anteilen zulässig; die Übertragung an Dritte bedarf jedoch (vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung) der einhelligen Zustimmung aller Partner.127

V. Fazit Das chinesische Zivilrecht hat sich bislang auf eine Art und Weise entwickelt, die sich mit der Metapher von einer Mosaikgesetzgebung beschreiben lässt: Der Gesetzgeber legte jeweils einzelne Teile des Mosaiks in dem Bereich fest, in dem er im Hinblick auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung einen Bedarf sah. Die sehr skizzenhaften Grundlagen der Personengesellschaft in den AGZR aus 1986 ergänzte das OVG kurze Zeit darauf mit einer justiziellen Interpretation, die offensichtlich davon getragen ist, konkrete Einzelprobleme zu lösen, mit denen die unteren Gerichte bei der Anwendung der wenigen Regelungen zu Partnerschaften von Einzelpersonen in der Praxis konfrontiert waren.128 Nicht aufbauend auf sondern parallel zu den Mosaiksteinchen der Partnerschaft von Einzelpersonen entstand rund zehn Jahre später ein Gesetz zu Partnerschaftsunternehmen, für die eine Eintragungspflicht mit einem entsprechenden Verfahren normiert wurde. Es ist nicht zu übersehen, dass hierin ein gewisses Kontrollbedürfnis des chinesischen Staates gegenüber der Geschäftstätigkeit von Privatpersonen zum Ausdruck kommt. Zugleich dienen diese Formalitäten zweifellos dazu, den Rechtsverkehr Sicherheit über die Existenz (und die finanzielle Ausstat-

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§§ 22 Abs. 1, 24 PUG. Abweichende Vereinbarungen sind demnach zulässig. § 23 PUG. 125 § 73 PUG. Hier bedarf es nur einer fristgebundenen Benachrichtigung der anderen Partner. 126 § 25 und (für beschränkte Partnerschaften) § 72 PUG. 127 § 758 Entwürfe. 128 Beispielhaft hierfür lässt sich Ziffer 57 AGZR-Ansichten anführen, in der sich das OVG hinsichtlich der Haftung der Partner mit der Frage beschäftigt, in welchem Verhältnis persönliches Vermögen eines Partners zum „gemeinsamen Familienvermögen“ (家庭共有财产) steht, das dieser Partner in eine Partnerschaft von Einzelpersonen eingebracht hat, wenn der Gewinn der Partnerschaft für die Lebenshaltung der Familienmitglieder verwendet wird. 124

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tung) des Unternehmens zu bieten. Ein weiteres Steinchen des Mosaiks kam durch die Verabschiedung des ATZR hinzu, nach dem Partnerschaftsunternehmen (als Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit) Rechtsgeschäfte im eigenen Namen vornehmen können. Es erhebt sich die naheliegende Frage, ob die Verabschiedung des BT des Zivilgesetzes erwarten lässt, dass die Verbindung zwischen den Partnerschaftsunternehmen und dem dort vorgesehenen Partnerschaftsvertrag hergestellt wird, um das Bild des unvollständigen Mosaiks „chinesisches Personengesellschaftsrecht“ zu vollenden. Nach den bislang vorliegenden Entwürfen darf die Antwort verhalten positiv ausfallen. Ganz überwiegend lassen die Regelungen in den Entwürfen Raum für die Vielfalt von Gestaltungen, die typischerweise bei Personengesellschaften auftreten. Diese werden in China im Vergleich zum deutschen Recht (mit der GbR, der OHG, der KG und der Partnerschaftsgesellschaft) flexibler gehandhabt, da die Partnerschaft als Konsequenz daraus, dass chinesisches Recht nicht zwischen Zivil- und Handelsrecht unterscheidet, im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Zwecke (einschließlich handelsgewerblicher und vermögensverwaltender Zwecke) offen ist. Der Partnerschaftsvertrag scheint als Auffangrechtsform zunächst bloßes Schuldverhältnis zu sein, kann aber mit einem (gesamthänderisch gebundenen) Partnerschaftsvermögen ausgestattet eine gewisse Verbandsorganisation annehmen. Diese ist im Hinblick auf die primäre Haftung des Partnerschaftsvermögens für Verbindlichkeiten der Partnerschaft erforderlich, da die Partnerschaft ansonsten nicht parteifähig als Beklagte in Anspruch genommen werden könnte. Durch die überwiegend dispositiven Regelungen (etwa im Hinblick auf Beschlüsse der Partner, Beteiligungsquoten und die Übertragbarkeit von Partnerschaftsanteilen) gewährleistet das in den Entwürfen vorgesehene Rechtsinstitut, dass es für viele denkbare Gestaltungsformen passend gemacht werden kann. Einzelne Lücken bzw. Unklarheiten (wie etwa die Vertretungsmacht, die nach der gesetzlichen Regelung nicht von der Geschäftsführungsbefugnis unterschieden wird), können von den Partnern durch entsprechende Vereinbarungen beseitigt werden. Hingegen erscheint die starre Regelung zur Auflösung der Partnerschaft bei Tod eines Partners als Fremdkörper in den Entwürfen, da der hierin zum Ausdruck kommende persönliche Charakter des Zusammenschlusses (intuitus personae) ansonsten kaum zu finden ist, wenn man etwa bedenkt, dass Mehrheitsbeschlüsse sehr weitreichend zulässig sind und Partnerschaftsanteile frei übertragbar ausgestaltet werden können. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber bei den weiteren Entwurfsarbeiten zur Fortsetzung der Partnerschaft bei Tod eines Partners zumindest eine abweichende Vereinbarung der Partner zuließe. Für zukünftige Forschungsarbeiten dürfte schließlich eine Untersuchung der Frage vielversprechend sein, wie sich der geplante Partnerschaftsvertrag

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im Zivilgesetz der Volksrepublik China zu seinem (historischen) Vorläufer im Zivilgesetz der Republik China129 verhält: Die in den Entwürfen zum Partnerschaftsvertrag verwendete Terminologie deutet an manchen Stellen an, dass sich der Gesetzgeber hieran orientiert hat.

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Siehe Fn. 28.

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Marktmissbrauchsrecht und Konzernrecht Dörte Poelzig

Marktmissbrauchsrecht und Konzernrecht DÖRTE POELZIG

I. Einleitung Klaus J. Hopt hat sich in seinen vielfältigen und grundlegenden Arbeiten zum Kapitalmarktrecht auch immer wieder der Frage gewidmet, welche Rolle Konzerne spielen. So konstatierte er schon im Jahr 2001, dass das „Thema ‚Kapitalmarkt und Konzerne‘ […] nach deutschem Recht schwierig zu behandeln“ ist.1 Die Ergebnisse seines damaligen Beitrags „zeigen einigermaßen schonungslos auf, dass manches im deutschen Kapitalmarktrecht doch noch sehr lückenhaft, um nicht zu sagen, inkohärent geregelt ist“.2 Der vorliegende Beitrag für die Festschrift zu Ehren des Jubilars soll Anlass sein, um anhand der Marktmissbrauchsverordnung nach nunmehr fast 20 Jahren einen neuerlichen Blick auf die Frage zu werfen, inwieweit Konzerne im Kapitalmarktrecht verantwortlich zeichnen und in welchem Verhältnis Marktmissbrauchs- und Konzernrecht zueinander stehen.3 Konflikte können vor allem auftreten, da das Marktmissbrauchsrecht seit 2016 in der unmittelbar anwendbaren Marktmissbrauchsverordnung (EU) 596/2014 vereinheitlicht wurde, das Konzernrecht von einer Vereinheitlichung auf europäischer Ebene hingegen aber noch immer weit entfernt ist.4 Klaus J. Hopt stellte daher bereits im Jahr 2001 die Frage in den Raum, ob die Spannungen zwischen Kapitalmarktrecht und Konzernrecht „aus europäischer Sicht […] besser durch Konzernrecht oder durch Kapitalmarktrecht oder durch ein Zusammenwirken von Normen aus beiden Rechtsgebieten“ gelöst werden können.5 Diese Frage stellt sich heute mehr denn je,6 denn im europäischen Recht greifen Tendenzen weit um sich, Konzerne unbeeindruckt von den 1 HOPT, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, 2001, S. 31. 2 HOPT, aaO (Fn. 1), S. 31 f. 3 HOPT/KUMPAN, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Handbuch Bankrecht, 5. Aufl., 2017, § 107 Rdn. 138; HOPT/KUMPAN, ZGR 2017, 756, 823 ff. 4 Hierzu HABERACK/VERSE, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 4 Rn. 34 ff.; TEICHMANN, in Hommelhoff/Lutter/Teichmann, Corporate Governance im grenzüberschreitenden Konzern, 2017, S. 3, 16; TEICHMANN, ZGR 2017, 485, 489. 5 HOPT, aaO (Fn. 1), S. 31, 33. 6 HOMMELHOFF, ZGR 2019, 379 ff.; POELZIG, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2017, S. 83, 106; TEICHMANN, ZGR 2017, 485 ff.

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Grenzen des nationalen Gesellschaftsrechts als Einheitsunternehmen in die Verantwortung zu nehmen.7 Ob und inwieweit das Marktmissbrauchsrecht von diesen Angriffen auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip betroffen ist und inwieweit hier Spannungen mit dem Konzernrecht auftreten und gelöst werden, soll im Folgenden näher untersucht werden. Dazu ist zunächst exemplarisch anhand der Ad-hoc-Informationspflicht einer kapitalmarktorientierten Muttergesellschaft für Rechtsverstöße in Tochtergesellschaften die konzerndimensionale Reichweite des Marktmissbrauchsrechts zu bestimmen (II.). Anschließend gilt es zu untersuchen, ob und inwieweit Konzerne als wirtschaftliche Einheit für marktmissbräuchliches Verhalten bußgeldrechtlich in die Verantwortung genommen werden (können) (III.). Der Beitrag schließt mit zusammenfassenden Thesen (IV.).

II. Konzernweite Ad-hoc-Publizitätspflicht für Rechtsverstöße in der Tochtergesellschaft Gem. Art. 17 Abs. 1 MAR sind Emittenten verpflichtet, sie unmittelbar betreffende Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen. Handelt es sich bei dem Emittenten um eine kapitalmarktorientierte Muttergesellschaft, erstreckt die Rechtsprechung die Ad-hoc-Publizitätspflicht mehr oder weniger weitgehend auf Umstände in der Sphäre ihrer Tochtergesellschaften. Beispielhaft hierfür ist die aktuelle Diskussion um die Ad-hocInformationspflicht der Muttergesellschaft für Compliance-Verstöße in der Volkswagen AG rund in der sog. Dieselaffäre.8 Ebenso hat der BGH in der IKB-Entscheidung die „Höhe des Subprime-Anteils der unmittelbar eigenen Investments der [IKB] sowie derjenigen der mit der [IKB] verbundenen Zweckgesellschaften“ als veröffentlichungspflichtige Insiderinformation eingeordnet.9 Die Annahme einer Pflicht zur Veröffentlichung von Umständen in der Tochter kann aber u.U. an gesellschaftsrechtliche Grenzen stoßen, wenn es der Mutter nicht möglich ist, an diese Informationen zu gelangen. Daher stellt sich die Frage, wie das durch die Marktmissbrauchsverordnung geschützte Interesse des Kapitalmarktes an Information und die konzernrechtlichen Grenzen in Ausgleich zu bringen sind.10 Art. 17 Abs. 1 MAR enthält bekanntermaßen keine „Konzernklausel“, sodass die materiell-rechtliche Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Ad-hoc-Publizi7

Hierzu HOMMELHOFF, ZGR 2019, 379 ff.; POELZIG, aaO (Fn. 6), S. 83 ff. Siehe LG Stuttgart, Beschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap = WM 2017, 1451. Zur ähnlichen Problematik der konzerndimensionalen Auskunftspflicht gem. § 131 AktG LG Stuttgart, Urt. v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH = NZG 2018, 665. 9 BGH, Urt. v. 13.12.2011 – XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rdn. 36. 10 Eingehend hierzu GÖTZE/CARL, Der Konzern 2016, 529, 530; KOCHER, NZG 2018, 1410. 8

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tätspflicht nach wie vor11 bei den jeweiligen kapitalmarktorientierten Konzerngesellschaften als rechtlich selbständige Personen liegt.12 Das folgt für die Ad-hoc-Informationspflicht aus dem Begriff „Emittent“, der gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR stets eine juristische Person ist13 und demzufolge nicht der Konzern als wirtschaftliche Einheit sein kann. Damit akzeptiert das Marktmissbrauchsrecht grundsätzlich die Aufteilung von wirtschaftlichen Tätigkeiten auf verschiedene rechtliche Einheiten14 und unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem europäischen Kartellrecht, das in Art. 101, 102 AEUV Unternehmen als wirtschaftliche Einheiten unabhängig von ihrer Rechtsform adressiert.15 1. Unmittelbare Betroffenheit der Muttergesellschaft Die Ad-hoc-Informationspflicht der Muttergesellschaft hängt zunächst davon ab, ob das Ereignis in der Tochtersphäre die Muttergesellschaft „unmittelbar betrifft“.16 Auch wenn Art. 17 MAR die unmittelbare Betroffenheit nicht mehr beispielhaft damit umschreibt, dass die Information im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten ist, ist eine unmittelbare Betroffenheit nach wie vor dann unproblematisch anzunehmen, wenn sich der Umstand im Tätigkeitsbereich der Muttergesellschaft auswirkt.17 Die Muttergesellschaft ist daher jedenfalls von Ereignissen unmittelbar betroffen, die bei vollkonsolidierten Tochterunternehmen (§§ 290 ff. HGB) auftreten und sich im Konzernabschluss oder -lagebericht bzw. Halbjahresfinanzbericht 11

Hierzu HOPT, aaO (Fn. 1), S. 31, 58. HOPT/KUMPAN, aaO (Fn. 3), § 107 Rdn. 138. Siehe bereits HOPT, ZHR 159 (1995), 135, 151; DERS., aaO (Fn. 1), S. 31, 58; FROWEIN, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., 2013, § 10 Rdn. 9. Lediglich Art. 17 Abs. 2 MAR enthält eine bislang nur wenig beachtete Konzernklausel, wonach die Ad-hoc-Publizitätspflicht für Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate, soweit der Marktteilnehmer selbst, Mutterunternehmen oder verbundene Unternehmen Emissionszertifikate besitzen. 13 Zu § 15 WpHG aF.HOPT, aaO (Fn. 1), S. 31, 58. 14 Vgl. SCHÜRNBRAND, ZHR 181 (2017), 357, 361. 15 Demnach sind Konzerne als wirtschaftliche Einheit zu einem Normadressaten des Kartellrechts verklammert, wenn die Mutter bestimmenden Einfluss auf die Tochter ausüben kann und tatsächlich ausübt, „die Tochtergesellschaft also trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt“ (ständige Rspr., statt aller EuGH, Urt. v. 27.4.2017 – C 516/15 P = ECLI:EU:C:2017:314, Rz. 52: Akzo Nobel; EuGH, Urt. v. 17.9.2015 – C 597/13 P = ECLI:EU:C:2015:613, Rz. 35: Total SA). Der EuGH vermutet seit seinem Akzo-Urteil aus dem Jahre 2009 das Vorliegen einer solchen wirtschaftlichen Einheit, wenn die Mutter (annähernd) alle Anteile an der Tochter hält (EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C 97/08 P = ECLI:EU:C:2009:536, Rz. 60: Akzo Nobel; jetzt ständige Rspr., statt aller: EuGH, Urt. v. 16.6.2016 – C 155/14 P = ECLI:EU:C:2016:446, Rz. 28: Evonik Degussa und AlzChem). 16 KOCHER, NZG 2018, 1410. 17 Siehe HOPT/KUMPAN, ZGR 2017, 765, 824. 12

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(§§ 117 iVm. 115 WpHG) widerspiegeln.18 Die Betroffenheit kann aber (ausnahmsweise) auch bei Umständen außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Emittenten gegeben sein.19 Wann dies im Verhältnis der Mutter- zur Tochtergesellschaft der Fall ist, ist jedoch umstritten. Nach teilweise vertretener Auffassung ist die Mutter unmittelbar betroffen, wenn die Ereignisse in der Tochter den Fundamentalwert der von der Mutter begebenen Finanzinstrumente verändern.20 Hierdurch werden allerdings bereits Elemente der Kursrelevanz im Rahmen der unmittelbaren Betroffenheit berücksichtigt.21 Andere grenzen den Tätigkeitsbereich wirtschaftlich wertend und nicht formal nach dem Rechtsträger ab, sodass bei entsprechend hoher Beteiligung die Muttergesellschaft von Ereignissen in der Tochtergesellschaft unmittelbar betroffen sein kann.22 Für eine im Grundsatz formal auf den Rechtsträger abstellende Perspektive der unmittelbaren Betroffenheit spricht jedoch, dass das Marktmissbrauchsrecht im Allgemeinen und die Ad-hoc-Informationspflicht im Besonderen juristische Personen als rechtliche Einheiten adressieren. Sinn und Zweck der unmittelbaren Betroffenheit ist es, die Veröffentlichungspflicht auf diejenigen Insiderinformationen gem. Art. 7 Abs. 1 MAR zu beschränken,23 die dem Verantwortungsbereich des Emittenten so nahestehen, dass ihm die Suche, Analyse und Veröffentlichung als cheapest cost avoider zu den geringstmöglichen Kosten möglich ist, er also über einen Kostenvorteil gegenüber den anderen Marktteilnehmern verfügt.24 Von einem Kostenvor18

HOPT/KUMPAN, aaO (Fn. 3), § 107 Rdn. 145; DIES., ZGR 2017, 765, 824; GRUNDin: Großkomm. z. HGB, Bd. XI Bankvertragsrecht, 6. Teil Rdn. 506; KLÖHN, in: KLÖHN, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 17 MAR Rdn. 97; PFÜLLER, in: Fuchs, Komm. z. WpHG, 2. Aufl., 2016, § 15 Rdn. 207; ASSMANN, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 17 MAR Rdn. 49; KUMPAN/ GRÜTZE, in: Schwark/Zimmer, Komm. z. KapitalmarktR, 5. Aufl. 2020, Art. 17 MAR Rdn. 65; auch SIMON, Der Konzern 2005, 13, 16; SPINDLER/SPEIER, BB 2005, 3021. 19 KLÖHN, aaO (Fn. 18), Art. 17 MAR Rdn. 89. 20 KLÖHN, aaO (Fn. 18), Art. 17 MAR Rdn. 92 f.; anschließend BARTMANN, Ad-hocPublizität im Konzern, 2017, S. 295 f. 21 GÖTZE/CARL, Der Konzern 2016, 529, 530; HABERSACK, DB 2016, 1551, 1556; VEIL/ BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Veil/Rönnau, HdB Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 10 Rdn. 62. 22 VEIL/BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Veil/Rönnau, aaO (Fn. 21), § 10 Rdn. 62 f. im Anschluss an PFÜLLER, in: Fuchs, aaO (Fn. 18), § 15 WpHG Rdn. 208. 23 Siehe auch zur Einführung der gleichlautenden Regelung in Art. 1 Abs. 1 Marktmissbrauchsrichtlinie aF. SEK (2002) 0889 endg. – 2001/0118 (COD), S. 5); zu § 15 WpHG aF BT-Drucks. 15/3174, S. 35 li.Sp. 24 HOPT/VOIGT, in: Hopt/Voigt (Hrsg.), Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 9, 113 f.; KÖNDGEN, FS Druey, 2002, S. 791, 796; SEIBT, ZHR 177 (2013), 387, 393; KLÖHN, WM 2010, 1869, 1878; KLÖHN, NZG 2017, 1285, 1287; KLÖHN, in: Klöhn aaO (Fn. 18), Art. 17 MAR Rdn. 69, 108; KLÖHN, in: KölnKomm z. WpHG, 2. Aufl. 2014, § 15 Rdn. 7, 59; ZETZSCHE, Aktionärsinformation in der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2006, S. 37. Grundlegend zur ökonomischen Begründung STIGLER, The Journal of Political Economy 69 (1961), 213 ff. MANN,

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teil der Mutter ist bei Umständen in ihrem eigenen Tätigkeitsbereich generell auszugehen; bei Umständen in der Tochtersphäre nur dann, wenn der Tätigkeitsbereich der Tochtergesellschaft dem Tätigkeitsbereich der Mutter gleichgestellt werden kann. Daher ist der Emittent jedenfalls von solchen Informationen unmittelbar betroffen, die in Unternehmen auftreten, auf deren unternehmerische Tätigkeit er einen beherrschenden Einfluss ausüben kann.25 Dann steht er der Information grundsätzlich näher als der Markt. 2. Pflicht der Muttergesellschaft zur unverzüglichen Veröffentlichung Grenzen der Informationspflicht der Mutter ergeben sich daraus, dass der Emittent unverzüglich, dh. so bald wie objektiv möglich („as soon as possible“) zu veröffentlichen hat.26 Voraussetzung hierfür ist, dass der Emittent die Information kennt oder sie sich beschaffen kann. Über die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Grenzen der Informationsbeschaffung für die Ad-hoc-Informationspflicht in Konzernstrukturen wird an dieser Stelle gestritten. Eine konzernweite Ad-hoc-Informationspflicht ist jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn die Mutter bereits nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen über einen gesicherten Informationszugang verfügt, d.h. ihr – wie im Falle von §§ 308 Abs. 1, 323 Abs. 1 AktG27 oder § 51 GmbHG – ein Auskunftsanspruch gegen die Tochtergesellschaft zusteht.28 Im faktischen Aktienkonzern fehlt es der Mutter hingegen an einem rechtlich abgesicherten Informationszugang. Ihr steht kein allgemeiner über das beschränkte Auskunftsrecht des Aktionärs gem. § 131 Abs. 1 AktG hinausgehender Informationsanspruch gegen die Tochter zu.29 Der spezielle Auskunftsan-

25 LG Stuttgart, Beschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap = WM 2017, 1451 Rdn. 172; zu § 15 WpHG aF ZIMMER/KRUSE, in: Schwark/Zimmer Komm. z. KapitalmarktR, 4. Aufl. 2010, § 15 WpHG Rdn. 46. 26 HOPT/KUMPAN ZGR 2017, 765, 782; KLÖHN, NZG 2017, 1285, 1286 f.; KLÖHN, in: KLÖHN, aaO (Fn. 18), Art. 17 MAR Rn. 105; HELLGARDT, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, aaO (Fn. 18) §§ 97, 98 WpHG Rn. 94. Nach aA verlangt Art. 17 Abs. 1 MAR Kenntnis des Emittenten als ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (Koch, AG 2019, 273, 276; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, aaO (Fn. 18) Art. 17 MAR Rn. 50; für Wissenserfordernis erst im Rahmen der Haftung gem. § 97 WpHG Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 51 ff.). 27 HABERSACK, in: FS Möschel, 2011, S. 1175, 1187; LUTTER, in: FS Goette, 2011, S. 289, 293; SCHÜRNBRAND, ZHR 181 (2017), 357, 367; VERSE, ZHR 175 (2011), 401, 418. 28 GÖTZE/CARL, Der Konzern 2016, 529, 530; HABERSACK, in: FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 217, 232; zu § 15 WpHG PFÜLLER, in: Fuchs (Fn. 18), § 15 Rdn. 206; SPINDLER/SPEIER, BB 2005, 2031, 2032; aA ASSMANN, in: Assmann/Schneider/Mülbert, aaO (Fn. 18) Art. 17 MAR Rn. 59. 29 HABERSACK, in: FS Möschel, 2011, S. 1175, 1191; VERSE, ZHR 175 (2011), 401, 423. Allgemein zum Fehlen eines Auskunftsrechts statt aller ALTMEPPEN, in: MüKo-AktG,

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spruch gem. § 294 Abs. 3 S. 2 HGB ist auf die Überlassung von Informationen zur Erstellung des Konzernabschlusses beschränkt und ist weder analog anwendbar noch nach seinem Rechtsgedanken verallgemeinerungsfähig.30 Dieser Konflikt zwischen dem marktmissbrauchsrechtlichen Interesse an einer optimalen Informationsversorgung des Kapitalmarktes und den konzernrechtlichen Restriktionen wird teilweise zugunsten des Marktmissbrauchsrechts aufgelöst, indem aus Art. 17 Abs. 1 MAR ein allgemeiner Auskunftsanspruch der Mutter gegen die Tochter abgeleitet wird.31 Der kapitalmarktrechtliche Auskunftsanspruch wird vor allem damit begründet, dass die Ad-hoc-Informationspflicht anderenfalls durch gezielte konzernrechtliche Organisation umgangen und im Widerspruch zum Effektivitätsgrundsatz ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt werden könne.32 Zwar hat der EuGH aus einer auf der Betriebsratsrichtlinie 94/45/EG beruhenden Informationspflicht der Mutter auf der Grundlage des Effektivitätsgebots eine Pflicht aller der „Gruppe angehörenden […] Unternehmen“ abgeleitet, die „Leitung bei der Erfüllung dieser Hauptpflicht zu unterstützen“ und ihr die hierfür „unerlässlichen Informationen […] zur Verfügung zu stellen“.33 Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht auf die Ad-hoc-Informationspflicht übertragen,34 da Art. 11 Abs. 1 der Betriebsratsrichtlinie ausdrücklich auch die Gruppe als solche adressiert und so alle Konzerngesellschaften in die Pflicht nimmt.35 Im Gegensatz hierzu ist die Ad-hoc-Informationspflicht ausdrücklich nur an die Mutter als den jeweiligen Emittenten gerichtet und zudem durch das Gebot der „unverzüglichen“ Veröffentlichung auf das rechtlich und tatsächlich Mögliche beschränkt. Der Auskunftsanspruch der Mutter gegen die Tochter ist daher keine notwendige Folge aus einer unbegrenzten Ad-hoc-Informationspflicht, sondern umgekehrt beschränkt das Fehlen von Auskunftsansprüchen die kapitalmarktrechtliche Ad-hoc-Infor5. Aufl. 2020, § 311 Rdn. 425 m.w.N.; KOCH, in: Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, § 90 AktG Rdn. 7a; § 311 AktG Rdn. 36d. 30 KOCH, in: Hüffer/Koch aaO (Fn. 29), § 311 AktG Rdn. 36d; SCHÜRNBRAND, ZHR 181 (2017), 357, 367; VERSE, ZHR 175 (2011), 401, 423. AA. jedenfalls zur Erfüllung bestehender gesetzlicher Publizitätspflichten HABERSACK, in FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 217, 233; SEMLER, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl., 1996, S. 300 ff.; U.H. SCHNEIDER/S.H. SCHNEIDER, ZIP 2007, 2061, 2064 f. 31 So LG Stuttgart, Beschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap = WM 2017, 1451 Rdn. 195 ff.; VEIL/BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Veil/Rönnau, aaO (Fn. 21), § 10 Rdn. 23; PFÜLLER, in: Fuchs, aaO (Fn. 18) Rdn. 163; U.H. SCHNEIDER, in: Habersack/Mülbert/ Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2013, § 3 Rdn. 31; SINGHOF, ZGR 2001, 146, 164, 170. 32 VEIL/BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Veil/Rönnau, aaO (Fn. 21), § 10 Rdn. 23; ähnlich auch LG Stuttgart, Beschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap = WM 2017, 1451 Rdn. 199. 33 Zur Europäischen Betriebsratsrichtlinie EUGH, Urt. v. 13.10.2004 – C 440/00, ECLI:EU:C:2004:16 Rz. 59 – Kühne & Nagel. 34 AA. VEIL/BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Rönnau/Veil, (Fn. 21), § 10 Rdn. 23. 35 EUGH, Urt. v. 13.10.2004 – C 440/00, ECLI:EU:C:2004:16 Rz. 56 – Kühne & Nagel.

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mationspflicht der Mutter.36 Im faktischen Konzern kann von der Mutter daher mangels Auskunftsanspruchs gegen die Tochter allenfalls verlangt werden, dass sie sich innerhalb der insiderrechtlichen und datenschutzrechtlichen Grenzen aktiv um die gem. §§ 311 ff. AktG statthafte Weitergabe der Information von der Tochter bemüht.37 Verweigert die Tochter die Weitergabe der Information, scheidet die Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht der Mutter mangels objektiver Möglichkeit jedoch aus.38

III. Konzernweite Durchsetzung des Marktmissbrauchsrechts Spannungen zwischen Konzern- und Marktmissbrauchsrecht entstehen auch auf Sanktionsebene. Der europäische Gesetzgeber hat als Konsequenz aus der Finanzmarktkrise vor allem mit strengeren Bußgeldregeln reagiert und sich dabei an den als besonders schlagkräftig bekannten kartellrechtlichen Instrumentarien39 orientiert. Im Kartellrecht verbinden sich Mutterund Tochtergesellschaft nicht nur zu einer wirtschaftlichen Einheit als Normadressat (siehe B.), sondern bilden auch eine „Haftungsklammer“,40 die für Kartellverstöße der Tochter gesamtschuldnerisch mit einem Bußgeld in Höhe von zehn Prozent des Konzerngesamtumsatzes bebußt werden kann. Auf Grundlage von Art. 30 Abs. 2 Buchst. i, j MAR41 kann marktmissbräuchliches Verhalten von juristischen Personen und Personengesellschaften gem. § 120 Abs. 17–22 WpHG mit Bußgeldern bis zu einer Höchstgrenze – je nach Art des Verstoßes – von zwei bis zu 15 Prozent des Jahresgesamtumsatzes bebußt werden. Bei Verstößen einer Tochter- oder Muttergesellschaft ist gem. § 120 Abs. 23 WpHG für die Berechnung der umsatzabhängigen Bußgeldhöchstgrenze „der jeweilige Gesamtbetrag in 36 Gegen einen kapitalmarktrechtlichen Auskunftsanspruch bereits HOPT, aaO (Fn. 1), S. 31, 59. Zu Art. 17 MAR BARTMANN, aaO (Fn. 20), S. 313; BEHN, Ad-hoc-Publizität und Unternehmensverbindungen, 2012, S. 200 ff.; HABERSACK, in FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 217, 233 f.; KLÖHN, in: Klöhn, aaO (Fn. 19), Art. 17 MAR Rn. 133. AA. LG Stuttgart, Beschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap = WM 2017, 1451 Tz. 195 ff.; VEIL/ BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Rönnau/Veil, (Fn. 21), § 10 Rdn. 23. 37 HABERSACK, in FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 217, 233 f.; KLÖHN, in: Klöhn, aaO (Fn. 19), Art. 17 MAR Rn. 133. Im Rahmen der Wissenszurechnung zu den Anforderungen an das Wissensmanagement SCHÜRNBRAND, ZHR 181 (2017), 357, 369. 38 HABERSACK, in: FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 217, 233; SCHÜRNBRAND, ZHR 181 (2017), 357, 368. AA. VEIL/BRÜGGEMEIER, in: Meyer/Rönnau/Veil, (Fn. 21), § 10 Rdn. 23. 39 Zum Ausmaß der Bußgeldsanktionen im Kartellrecht DREHER/KULKA, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 10. Aufl. 2018, Rdn. 1759. 40 FÜLLER, in: KölnKomm. z. KartellR, 2016, Art. 101 AEUV, Rdn. 47. 41 Ähnliche Vorschriften finden sich auch in anderen europäischen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften, siehe nur Art. 70 Abs. 6 Buchst. f, g MiFID II, Art. 38 Abs. 2 Buchst. d Prospektverordnung; Art. 28b Abs. 1 Buchst. c) Transparenzrichtlinie, und im Datenschutzrecht (siehe Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO sowie ErwGr 150 S. 3; hierzu FAUST/ SPITTKA/WYBITUL, ZD 2016, 120; SPINDLER, DB 2016, 937.

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dem Konzernabschluss des Mutterunternehmens maßgeblich, der für den größten Kreis von Unternehmen aufgestellt wird“ (siehe § 120 Abs. 23 S. 2 WpHG). Art. 30 Abs. 2 UAbs. 2 MAR bringt deutlich zum Ausdruck, dass es nicht auf die tatsächliche Aufstellung, sondern lediglich auf die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses iSd. Art. 22 der Bilanzrichtlinie 2013/ 34/EU bzw. § 290 HGB ankommt. Hierfür genügt gem. § 290 Abs. 1 S. 1 HGB, dass die Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss auf andere Gesellschaften ausüben kann.42 1. Bußgeldrechtliche Verantwortung der Muttergesellschaft Zunächst stellt sich die Frage, ob bei kapitalmarktrechtlichen Verstößen der Tochtergesellschaft diese allein oder – wie im europäischen und deutschen Kartellbußgeldrecht gem. Art. 23 VO 1/200343 bzw. § 81 Abs. 3a GWB44 – daneben auch die Muttergesellschaft gesamtschuldnerisch mit einem Bußgeld sanktioniert werden kann. Parallel zum gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip45 gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht das Rechtsträgerprinzip, wonach nur der jeweilige Rechtsträger, also die zuwiderhandelnde Gesellschaft, bebußt werden kann.46 Eine § 81 Abs. 3a GWB vergleichbare Regelung, wonach gegen Unternehmen, die zum Zeitpunkt eines Kartellverstoßes auf die zuwiderhandelnde Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben, eine Geldbuße festgesetzt werden kann, existiert im Marktmissbrauchsrecht nicht. Eine bußgeldrechtliche Konzernverantwortung der Muttergesellschaft für Verstöße ihrer Töchter, an denen Leitungspersonen oder Mitarbeiter der Mutter nicht aktiv mitgewirkt haben, kann daher allenfalls über § 130 OWiG begründet werden, wenn der gesamte Konzern mit einem Unternehmen und die Muttergesellschaft mit dem Unternehmensinhaber iSd. § 130 OWiG gleichgesetzt werden kann und darüber hinaus eine Aufsichtspflicht der Muttergesellschaft für die Einhaltung des Kapitalmarktrechts in den Tochtergesellschaften besteht.47 42

Beschlussempfehlung und Bericht z. MoMiG BT Drucks 16/12407, S. 89 f. Grundlegend EUGH, Urt. v. 14.7.1972 – C 48/69 = ECLI:EU:C:1972:70, Rz. 136/ 141: Imperial Chemical Industries. 44 Konsequent hat der EuGH jüngst entschieden, dass der Unternehmensbegriff im Zivilrecht ebenso zu verstehen ist wie im Bußgeldrecht (EUGH, Urt. v. 14.3.2019 – C 724/17 = ECLI:EU:C:2019:204, Rz. 6 ff.: Vantaan kaupunki = NZKart 2019, 216 Rdn. 47), sodass die Mutter auch zivilrechtlich für Kartellverstöße der Tochter als Teil der wirtschaftlichen Einheit einzustehen hat (BAUERMEISTER, NZKart 2019, 252, 254). 45 Statt aller WIEDEMANN, Gesellschaftsrecht, 1980, § 4 II 3b S. 214; zur Differenzierung zwischen Unternehmen und Unternehmensträger K. SCHMIDT, Handelsrecht, 6. Aufl., 2014, § 3 IV 2, Rdn. 44 ff. 46 LÖBBE, ZHR 177 (2013), 518, 541. 47 Hierzu SPOERR, in: Assmann/Schneider/Mülbert, aaO (Fn. 18), § 120 WpHG Rdn. 418 ff.; POELZIG, aaO (Fn. 6), S. 83, 93 f. Das OLG München hat im Jahr 2014 eine An43

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Gegen ein konzernweites Verständnis des § 130 OWiG spricht, dass § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG ausdrücklich die Leitung des „Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person“ erwähnt. Hieran knüpft § 130 OWiG mit den Begriffen des Betriebs und des Unternehmens an und bezieht sich daher ebenfalls auf die zuwiderhandelnde juristische Person, also die Tochtergesellschaft.48 Dass allein die Tochtergesellschaft als Inhaberin ihres Unternehmens in Betracht kommt, folgt zudem aus der Funktion des § 130 OWiG, Sanktionslücken zu schließen, die durch die Delegation von unternehmensbezogenen Pflichten auf Mitarbeiter entstehen.49 Bei einem Verstoß der Tochtergesellschaft gegen das Marktmissbrauchsrecht kann diese mit einem Bußgeld sanktioniert werden. Eine Sanktionslücke besteht also nicht.50 Die materiell-rechtliche Verantwortlichkeit für die Einhaltung des Marktmissbrauchsrechts liegt nicht beim Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, sondern bei den Konzerngesellschaften als rechtlich selbständige Personen. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied zum europäischen Kartellrecht: Dort haben sich die Verfasser der Verträge in Art. 101, 102 AEUV dafür entschieden, das Unternehmen zu adressieren, das dann dementsprechend auch die bußgeldrechtliche Verantwortung für Kartellverstöße übernehmen soll.51 Die Entscheidung für eine konzernweite Anwendung wendbarkeit des § 130 OWiG je nach der konkreten Einflussnahme befürwortet, im konkreten Fall aber eine Anwendung abgelehnt (OLG MÜNCHEN, Urt. v. 23.9.2014 – 3 Ws 599/14 = BB 2015, 2004 Rdn. 16). Der BGH hat diese Frage bisher noch nicht entschieden (siehe aber BGH, Urt. v. 1.12.1981 – KRB 3/79 = GRUR 1982, 244, 247: TransportbetonVertrieb; BGH, Urt. v. 10.8.2011 – KRB 55/10 = BGHSt 57, 193, 200, Rz. 20: Versicherungsfusion). Im Schrifttum ist man sich über die konzernweite Anwendung des § 130 OWiG uneinig: Dagegen J. KOCH, AG 2009, 564 ff.; KORT, in: Großkomm. z. AktG, 5. Aufl., 2015, § 91 Rdn. 170; ACHENBACH, NZWiSt 2012, 321, 325 ff.; BOSCH, ZHR 177 (2013), 454, 462 ff.; HABERSACK, in: FS Möschel, S. 1175, 1181 f.; HOLLE, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 405 ff.; KARBAUM, AG 2013, 863, 864 f.; RÖNNAU, ZGR 2016, 277, 289 ff.; V. SCHREITTER, NZKart 2016, 253, 256 ff.; TSCHIERSCHKE, Die Sanktionierung des Unternehmensverbundes, 2013, S. 51 ff.; VERSE, ZHR 175 (2011), 401, 409 ff.; dafür ROGALL, in: Karlsruher Komm. z. OWiG, 5. Aufl., 2018, § 130 Rdn. 27; GRUNDMEIER, Rechtspflicht zu Compliance im Konzern, 2011, S. 59 ff.; LÖBBE, ZHR 177 (2013), 518, 543 ff. 48 BRETTEL/THOMAS, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 39. 49 RegE OWiG, BT Drucks. V/1269, S. 68 f. Siehe auch BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93 = BGHZ 125, 366, 374; ACHENBACH, NZWiSt 2012, 321, 327; BLOME, Rechtsträgerprinzip und wirtschaftliche Einheit, S. 103; BÖSE, in: Graf/Jäger/Wittig, Komm. z. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017, § 81 GWB Rdn. 8; GRUNDMEIER, aaO (Fn. 50), S. 75; SCHREITTER, NZKart 2016, 253, 260 f.; THÜSING, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 2 Rdn. 41; TSCHIERSCHKE, aaO (Fn. 50), S. 54 f. 50 Hierzu nur J. KOCH, WM 2009, 1013, 1018. 51 EUGH, Urt. v. 10.4.2014 – C 231/11 P und C 233/11 P = ECLI:EU:C:2014:256, Rz. 44: Siemens Österreich: „Um den Urheber einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zu bestimmen, dem gem. Art. [101 und 102 AEUV] eine Sanktion auferlegt werden kann, haben sich die Verfasser der Verträge dafür entschieden, den Unterneh-

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des Kartellbußgeldrechts ist damit bereits auf der materiell-rechtlichen Ebene des Kartellverbots gem. Art. 101, 102 AEUV gefallen und insoweit als Bestandteil des europäischen Primärrechts verbindlich.52 Eine unmittelbare Bußgeldverantwortung der Muttergesellschaft für das marktmissbräuchliche Verhalten ihrer Töchter lässt sich mithin nicht begründen. Eltern haften im Kapitalmarktrecht – anders als im Kartellrecht – also grundsätzlich nicht für ihre Kinder. 2. Sanktionierung der Tochtergesellschaft auf Konzernniveau Bei einem Verstoß der Tochtergesellschaft kann diese demnach grundsätzlich allein bis zur konzernumsatzabhängigen Bußgeldhöchstgrenze bebußt werden, ohne dass sie die Muttergesellschaft– wie im Kartellrecht53 – auf Regress aus der gesamtschuldnerischen Bußgeldhaftung in Anspruch nehmen könnte.54 Eltern haften im Kapitalmarktrecht – anders als im Kartellrecht – zwar nicht für ihre Kinder. Kinder haften vielmehr allein, aber mit dem Umsatz ihrer Eltern.55 Dabei kann es dem europäischen Gesetzgeber nicht darum gehen, die Vermögensmehrung durch den Marktmissbrauch, von der auch die Muttergesellschaft regelmäßig profitiert,56 bei der Mutter mit abzuschöpfen, denn diese wird gerade nicht mit einem Bußgeld belegt. Mit der Anknüpfung an den Gesamtumsatz soll vielmehr sichergestellt werden, dass sich die Geldbußen im Rahmen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betroffenen bewegen und größere Unternehmen ebenso empfindlich getroffen werden wie kleinere Unternehmen.57 So weist der deutsche Gesetzgeber in den Materialien zur Umsetzung der europäischen Vorgaben darauf hin, dass „[…] der mensbegriff zu verwenden […] Nach ständiger Rechtsprechung bezeichnet der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. […] Verstößt eine solche wirtschaftliche Einheit gegen die Wettbewerbsregeln, so hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen.“. Siehe auch EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C 97/08 P = ECLI:EU:C:2009:536, Rz. 58: KZO. 52 WECK, NZG 2016, 1374, 1375. Hierzu kritisch HOMMELHOFF, ZGR 2019, 379, 404 ff.; POELZIG, aaO (Fn. 6), S. 83, 87 ff. 53 EuGH, Urt. v. 10.4.2014 – C 231/11 P bis C 233/11 P = ECLI:EU:C:2014:256, Rz. 67: Siemens Österreich. 54 So auch kritisch zu § 81 Abs. 4 S. 3 GWB aF vor der 9. GWB-Novelle KLUSMANN, ZGR 2016, 252, 260 f. Positiv hingegen MAUME, ZHR 180 (2016), 358, 384. 55 Vgl. der treffende Titel des Beitrags zu § 81 Abs. 4 GWB aF KLUSMANN, in: FS Canenbley, 2012, S. 291. 56 Zu diesem Aspekt der bußgeldrechtlichen Inanspruchnahme der Muttergesellschaft im Kartellrecht HOMMELHOFF, ZGR 2019, 379, 407. 57 VEIL, ZGR 2016, 305, 315. Vgl. § 81 Abs. 4 GWB aF. BGH, Urt. v. 26.2.2013 – KRB 20/12 = BGHSt 58, 158 Rz. 61 – Grauzementkartell. Siehe ausführlich zu dieser Funktion von Bußgeldhöchstgrenzen ACKERMANN, ZWeR 2010, 329, 338 f.

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gesamte Konzern eine größere Wirtschaftskraft besitzt und damit auch höhere Geldbußen möglich sein müssen“.58 Ähnlich hat der BGH in der Grauzement-Entscheidung zur kartellrechtlichen Konzernumsatzanknüpfung in § 81 Abs. 4 S. 2, 3 GWB aF festgestellt, dass „es für die wirtschaftliche Bewertung entscheidend auf das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit ankommt“ und sich die „Ahndungsempfindlichkeit und der sich hieraus ergebende Abschreckungseffekt […] nicht nach den wirtschaftlichen Daten der juristischen Person, für die gehandelt wurde, sondern nach denjenigen des Gesamtunternehmens“ bestimmt.59 Nach dem EuGH muss „die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen […]“, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.60 Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere auch die Wirtschaftskraft der bebußten Person. Bußgelder sollen abschrecken, aber nicht vernichten.61 Anders als es der BGH auf Grundlage der kartellrechtlichen Rechtsprechung des EuGH postuliert,62 kann es im Marktmissbrauchsrecht für die Ahndungsempfindlichkeit grundsätzlich nicht auf die Perspektive der wirtschaftlichen Einheit ankommen, da nicht das Unternehmen, sondern natürliche und juristische Personen Adressaten des Marktmissbrauchsrechts und damit Täter sind. Ob und inwieweit die zuwiderhandelnde Tochtergesellschaft auf die Wirtschaftskraft des Konzerns zugreifen kann, hängt letztlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und zwar vor allem davon, ob es sich um einen Vertragskonzern oder einen faktischen Konzern handelt. 58

Begr. RegE TranspRLÄndRLUG, BT-Drucks. 18/5010, S. 53. So auch OLG DÜSSELDORF, Urt. v. 26.6.2009 – VI-2a Kart 2 – 6/08 OWi = juris, Rz. 618 (der juristischen Person als Teil eines Konzerns „wächst ein erweiterter Verhaltensspielraum zu“ und sie ist nicht auf ihre „eigenen Ressourcen angewiesen, sondern kann auf die Wirtschaftskraft des Gesamtkonzerns zurückgreifen“. 60 EuGH, Urt. v. 16.7.2015 – C 255/14 = ECLI:EU:C:2015:475, Rz. 20 ff. = EuGRZ 2015, 497 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 25.4.2003 – C 81/12 = EU:C:2013:275, Rz. 63: Asociația Accept; EuGH, Urt. v. 27.3.2014 – C 565/12 = EU:C:2014:190, Rz. 45: LCL Le Crédit Lyonnais. Teilweise wird auch auf den Schuldgrundsatz gem. § 49 EuGrCh abgestellt (so etwa ACHENBACH, wistra 2018, 13, 17; zum Kartellrecht auch THOMAS, in: FS Möschel, 2011, S. 675, 688). Ob und inwieweit der Schuldgrundsatz auf europäische Bußgeldregelungen anwendbar ist, ist jedoch umstritten (näher hierzu KINDHÄUSER/MEYER, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Komm. z. Kartellrecht, 93. Lieferung 04/2019, Bußgeldrechtliche Folgen des Art. 101 AEUV, Rdn. 136 m.w.N.). Der EuGH beschränkt die Geltung des Schuldgrundsatzes auf strafrechtliche Sanktionen und lehnt den strafrechtlichen Charakter von Verwaltungssanktionen ab (EuGH, Urt. v. 11.7.2002 – C 210/00, Slg. 2002, I-6453, Rz. 35 ff.: Champignon Hofmeister). Allgemein zur Anwendbarkeit der EuGrCh auf § 120 WpHG BRAND/HOTZ, ZIP 2017, 1450, 1454; GAEDE, wistra 2017, 41, 46 f.; MÖLLERS/HERZ, JZ 2017, 445, 449 f. 61 PALZER, NZI 2012, 67, 72. 62 EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C 97/08 P = ECLI:EU:C:2009:536, Rz. 77: Akzo Nobel. Auf diesen Aspekt ebenfalls hinweisend ACHENBACH, wistra 2018, 13, 17. 59

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a) Vertragskonzern Im Vertragskonzern steht der Tochter regelmäßig ein Verlustausgleichsanspruch gem. § 302 Abs. 1 AktG zu, sodass sie das Bußgeld der Muttergesellschaft in Rechnung stellen kann.63 Anders als das Kartellrecht sieht das Marktmissbrauchsrecht damit zwar keinen echten Haftungsdurchgriff vor, da die Muttergesellschaft nicht persönlich im Außenverhältnis bebußt werden kann (III.1.). Es handelt sich aber um einen Berechnungsdurchgriff,64 der einer unmittelbaren eigenen Bußgeldverantwortlichkeit der Muttergesellschaft im Außenverhältnis wirtschaftlich gleichkommt. Dies geschieht indes unabhängig von einem eigenen Fehlverhalten der Muttergesellschaft; die Anknüpfung der Bußgeldhöchstgrenze an den Konzernumsatz basiert allein auf der Konzernbeziehung.65 Die Muttergesellschaft wird im Vertragskonzern also ohne eigenes vorwerf- und vermeidbares Verhalten indirekt und pauschal durch das konzernumsatzabhängige Bußgeld über das Innenverhältnis zur Tochtergesellschaft mit in die Verantwortung genommen.66 Da die Mutter auch am Gewinn aus dem marktmissbräuchlichen Verhalten partizipiert, erscheint dies im Hinblick auf den Abschöpfungsanteil der Geldbuße konsequent, mit Rücksicht auf den Ahndungsanteil der Geldbuße aber ohne vorwerfbares Verhalten der Muttergesellschaft problematisch.67 Zu bedenken ist darüber hinaus, dass der Anspruch der Tochtergesellschaft auf Verlustausgleich erst mit dem Bilanzstichtag fällig wird.68 Ist das Bußgeld aber – wie in der überwiegenden Zahl der Fälle zu erwarten – mehr als drei Wochen vor dem Bilanzstichtag zu zahlen, kommt der Verlustausgleich zu spät und kann die Zahlungsunfähigkeit der Tochtergesellschaft gem. § 17 InsO durch ein konzernumsatzabhängiges Bußgeld in der Regel nicht mehr verhindern.69 Die Funktion der Bußgeldhöchstgrenze, abschreckende, aber zugleich verhältnismäßige Sanktionen zu ermöglichen, liefe 63 KREMER/KLAHOLD, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl., 2017, Rdn. 25.13; VERSE/WIERSCH, ZWeR 2015, 21, 26. Zur vergleichbaren Vorschrift des § 81 Abs. 4 S. 3 GWB idF. 2005 vor der 9. GWB-Novelle BUNTSCHECK, in: FS Bechtold, 2006, S. 81, 87; ihm folgend ABERLE, Sanktionsdurchgriff und wirtschaftliche Einheit im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2013, S. 217. 64 Zu dem Begriff BITTER, in: Scholz, Komm. z. GmbHG, 12. Aufl., 2018, § 13 Rdn. 74a; 188 ff. 65 VEIL, ZGR 2016, 305, 317; ACHENBACH, wistra 2018, 11, 17. 66 Kritisch hierzu POELZIG, aaO (Fn. 6), S. 83, 109 f. 67 Zur Differenzierung zwischen Abschöpfungs- und Ahndungsanteil kartellrechtlicher Geldbußen HOMMELHOFF, ZGR 2019, 379, 406 f. Insoweit kritisch auch ACHENBACH, wistra 2018, 11, 17 f. 68 BGH, Urt. v. 11.10.1999 – II ZR 120/98 = BGHZ 142, 382, 385 f. Hierzu statt aller ALTMEPPEN, in: MüKo-AktG, aaO (Fn. 29), § 302 Rdn. 73 f. 69 THOMAS, aaO (Fn. 60), S. 675, 689.

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leer.70 Auf die Wirtschaftskraft der Muttergesellschaft kann daher (nur) abgestellt werden, wenn man – entgegen der h.M.71 – die Muttergesellschaft zu Abschlagszahlungen auch während des laufenden Geschäftsjahres verpflichtet, um die Lebensfähigkeit der abhängigen Gesellschaft zu erhalten.72 b) Faktischer Konzern Im faktischen Konzern hat die Tochter hingegen grundsätzlich keine Möglichkeit, auf die finanziellen Ressourcen der Muttergesellschaft zuzugreifen.73 Die Nachteilsausgleichspflicht der herrschenden Gesellschaft beschränkt sich gem. § 317 Abs. 1 AktG auf die Fälle, in denen sie das abhängige Unternehmen zu nachteiligen Geschäften veranlasst. Sofern die Mutter an dem Verstoß nicht ursächlich mitgewirkt hat, kommt daher ein Regressanspruch der Tochter- gegen die Muttergesellschaft – etwa gem. § 317 Abs. 1 AktG oder gem. § 826 BGB in Form der Existenzvernichtungshaftung74 – nicht in Betracht. Dass die Muttergesellschaft uU. auch ohne gesetzliche Verpflichtung bereit ist, einen Teil der Geldbuße zu übernehmen, um die Insolvenz der Tochter zu vermeiden, kann für die Wirtschaftskraft und damit für die Ahndungsempfindlichkeit der Tochtergesellschaft nicht ausschlaggebend sein.75 Im faktischen Konzern scheidet damit ein Rückgriff bei der Muttergesellschaft aus, so dass die Tochtergesellschaft das auf Konzernniveau berechnete Bußgeld gem. § 120 WpHG allein zu tragen hat. Das drohende Bußgeld kann daher theoretisch allein aufgrund der Konzernzugehörigkeit deutlich höher ausfallen als gegenüber nicht konzernierten Gesellschaften und damit die Ahndungsempfindlichkeit der Tochter unverhältnismäßig überstrapazieren. 70

So auch zur parallelen Problematik im Kartellrecht vor der 9. GWB-Novelle BRETZWeR 2009, 25, 59. 71 BGH, Urt. v. 19.9.1988 – II ZR 255/87 = BGHZ 105, 168 = BGH AG 1989, 27, 29: Hamburger Stahlwerke (kein „rechtlich unzweifelhafter Anspruch“); KOPPENSTEINER, in: KölnKomm. z. AktG, 3. Aufl., 2004, § 302 Rdn. 57; HIRTE, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., 2013, § 302 Rdn. 62; KRIEGER, in: Münch. Hdb. AG, 4. Aufl., 2015, § 70 Rdn. 75; PASCHOS, in: Henssler/Strohn, Komm. z. Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2019, § 302 AktG Rdn. 15; SERVATIUS, in: Grigoleit, AktG, Kommentar, 2013, § 302 Rdn. 14; DEILMANN, in: Hölters, Komm. z. AktG, 3. Aufl., 2017, § 302 Rdn. 23; LIEBSCHER, ZIP 2006, 1221 f.; MERTENS, ZGR 1984, 542, 551 f. 72 So ALTMEPPEN, in: MüKo-AktG, aaO (Fn. 29), § 302 Rdn. 38, 74; DERS., DB 1999, 2453, 2455 f.; PRIESTER, ZIP 1989, 1301, 1307 f.; U.H. SCHNEIDER, ZGR 1984, 497, 534 f.; EMMERICH, in: Emmerich/Habersack, Komm. z. Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl., 2016, § 302 AktG Rdn. 41; VEIL, in: Spindler/Stilz, Komm. z. AktG, 4. Aufl., 2019, § 302 Rdn. 23. 73 So zu § 81 Abs. 4 S. 3 GWB aF vor der 9. GWB-Novelle THOMAS, in: FS Möschel, 2011, S. 675, 688 f. 74 Zur Existenzvernichtungshaftung als Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der GmbH BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 = BGHZ 173, 246, 257 f.: Trihotel. 75 Zu § 81 Abs. 4 S. 3 GWB aF THOMAS, in: FS Möschel, 2011, S. 675, 689. TEL/THOMAS,

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c) Zwischenergebnis Indem die Tochter allein auf Konzernniveau bebußt werden kann, ohne dass die Mutter für das Bußgeld im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch mithaftet, ähnelt das Marktmissbrauchsrecht dem deutschen Kartellbußgeldrecht vor der 9. GWB-Novelle gem. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB aF.76 Der Weg des deutschen Kartellgesetzgebers, diesen „Konstruktionsfehler“77 durch Einführung der gesamtschuldnerischen Bußgeldverantwortung der Muttergesellschaft gem. § 81 Abs. 3a GWB zu beseitigen,78 ist im Marktmissbrauchsrecht jedoch versperrt: Denn anders als im Kartellrecht korrespondiert die konzernweite Bemessungsgrundlage der Bußgeldhöchstgrenze hier nicht mit der materiell-rechtlichen Verantwortlichkeit. Wird die bußgeldrechtliche Konzernverantwortung im europäischen Kartellrecht vor allem damit begründet, dass das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit Adressat des Kartellrechts ist,79 erscheint die Rechtfertigung einer konzernweiten Verantwortung im europäischen Marktmissbrauchsrecht mit Blick auf das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip (noch) schwieriger, da hier natürliche und juristische Personen und nicht Unternehmen als wirtschaftliche Einheit adressiert werden (siehe II.). 3. Bußgeldbemessung Um eine verhältnismäßige Sanktionierung in Konzernverhältnissen sicherzustellen, gewinnen daher die Kriterien der Bußgeldbemessung im Einzelfall erheblich an Bedeutung.80 So weisen auch die Erwägungsgründe ausdrücklich darauf hin, dass die Bußgeldhöchstgrenzen nur bei schweren Verstößen ausgeschöpft werden sollen.81 Demnach hat die BaFin bei der Bußgeldbemessung ua. auch ein angemessenes Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bußgeldadressaten zu wahren (vgl. § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG).82 Maßgeblich ist – anders als für die Bestimmung der Bußgeld76 Kritisch insoweit auch zu § 81 Abs. 4 S. 3 GWB aF THOMAS, in: FS Möschel, S. 675, 687 ff.; KLUSMANN, in: FS Canenbley, 2012, S. 291, 304; ABERLE, aaO (Fn. 68), S. 233 („missglückte Vorschrift“). 77 THOMAS, in: FS Möschel, S. 675, 687. 78 Begr. RegE zur 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, S. 85: Stellt man bei der Bußgeldbemessung auf die Umsätze des Gesamtunternehmens ab, wäre es „inkonsequent, bei der Verhängung und Vollstreckung der so bemessenen Geldbuße allein auf die nach außen handelnde Gesellschaft zuzugreifen und die Konzernstrukturen unberücksichtigt zu lassen.“ 79 EuGH, Urt. v. 10.4.2014 – C 231/11 P und C 233/11 P = ECLI:EU:C:2014:256, Rz. 44: Siemens Österreich. 80 Daher gegen verfassungsrechtliche Bedenken SPOERR, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, aaO (Fn. 18), § 120 WpHG Rdn. 384. 81 Siehe etwa ErwGr 57 S. 4 MAR. 82 NARTOWSKA/WALLA, NZG 2015, 977, 983.

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höchstgrenze gem. § 120 Abs. 23 WpHG und anders auch als in § 81 Abs. 4a GWB – keine Konzernbetrachtung, sondern zu berücksichtigen ist die Finanzkraft der verantwortlichen Person, „wie sie sich zum Beispiel aus dem Gesamtumsatz einer juristischen Person […] ablesen lässt“ (Art. 31 Abs. 1 Buchst. c) MAR). Dem trägt die BaFin dadurch Rechnung, dass sie bei der Bußgeldbemessung auf die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tochter abstellt.83 Hierbei ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit die zuwiderhandelnde Tochtergesellschaft tatsächlich auf die Wirtschaftskraft des Konzerns zugreifen kann, indem ihr beispielsweise ein Anspruch gegen die Mutter auf Verlustausgleich oder auf Abschlagszahlungen zusteht. Freiwillige Leistungen der Muttergesellschaft sollten hingegen außer Betracht bleiben.

IV. Ergebnis 1. Damit ist die von Klaus J. Hopt aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Konzernrecht84 für das europäische Marktmissbrauchsrecht weder strikt zugunsten der einen noch der anderen Regelungsmaterie zu beantworten. Spannungen sind durch eine wohl abgewogene und abgestimmte Anwendung unter Berücksichtigung der kapitalmarktrechtlichen Ziele und der Konzernierungsfreiheit aufzulösen.85 2. Im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht gem. Art. 17 MAR bedeutet dies, dass die Muttergesellschaft sie unmittelbare betreffende kursrelevante Informationen in Tochtergesellschaften nur veröffentlichen muss, soweit sie ihr nach konzernrechtlichen Grundsätzen zugänglich sind. Art. 17 MAR begründet keinen kapitalmarktrechtlichen Auskunftsanspruch. Hierfür spricht vor allem, dass das Marktmissbrauchsrecht – anders als das Kartellrecht – juristische Personen und nicht wirtschaftliche Einheiten adressiert und daher die gesellschaftsrechtlichen Grenzen grundsätzlich akzeptiert. 3. Kinder haften für marktmissbräuchliches Verhalten allein, aber mit Einführung der konzernumsatzabhängigen Bußgeldhöchstgrenzen uU. mit

83 BaFin, WpHG-Bußgeldleitlinien II, BaFin Journal März 2017, 15, 19: Bei einem Rechtsverstoß einer Tochtergesellschaft ist „zwar bei der Bestimmung des Bußgeldrahmens auf den Gesamtumsatz des Konzerns abzustellen, in Schritt drei der Stufe zwei jedoch in der Regel auf die aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tochtergesellschaft“ (VON BUTTLAR/BRÜCK, BaFin Journal März/2017, S. 19). 84 HOPT, aaO (Fn. 1), S. 31, 33. 85 Zur primärrechtlichen Begründung des Bedürfnisses nach „praktischer Konkordanz“ im Verhältnis von Konzernrecht und europäischem Wettbewerbsrecht HOMMELHOFF, ZGR 2019, 379, 408. Zum Verhältnis von Aktienrecht und Marktmissbrauchsrecht HABERSACK, in: FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 217, 234.

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dem Umsatz ihrer Eltern. Das hat im Vertragskonzern einen Berechnungsdurchgriff auf die Muttergesellschaft zur Folge, sodass diese bei Fehlverhalten der Tochter ohne Rücksicht auf ein eigenes Fehlverhalten im Innenverhältnis auf Konzernniveau in Anspruch genommen werden kann. Im faktischen Konzern führt die Konzernumsatzanknüpfung hingegen dazu, dass die Tochtergesellschaft ohne Möglichkeit zum Regress weit über ihre eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus auf Konzernniveau bebußt werden kann. Um gleichwohl eine verhältnismäßige Sanktionierung unter Berücksichtigung der konzernrechtlichen Grenzen sicherzustellen, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der zuwiderhandelnden Tochtergesellschaft bei der Bemessung des Bußgeldes im konkreten Einzelfall ausreichend zu berücksichtigen.

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Das Genossenschaftsmodell des FC St. Pauli – eine erste Würdigung Stefan Prigge

Das Genossenschaftsmodell des FC St. Pauli – eine erste Würdigung STEFAN PRIGGE

I. Einleitung Sicherlich zu den exotischsten Einträgen im Schriftenverzeichnis von Klaus Hopt gehört der Aufsatz „Aktiengesellschaft im Berufsfußball“, erschienen 1991 im Betriebs Berater (Hopt, 1991). Ausweislich der Eröffnungsfußnote lag ihm ein „Vortrag bei dem Seminar ‚Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte zu Problemen des Berufsfußballs‘ des Württembergischen Fußballverbands e.V. in Wangen am 6.10.1990“ zugrunde. Es scheint sich thematisch um ein Unikat zu handeln, denn das sechzigseitige Schriftenverzeichnis per 19.12.2019 weist keine weitere Veröffentlichung zum Fußball aus, auch nicht zum Sport generell. Mit dem Aufsatz von 1991 hat Klaus Hopt eine der sehr frühen rechts- und betriebswirtschaftlichen Arbeiten aus Deutschland zum Profifußball vorgelegt (daneben sei auch auf die Hamburger Dissertation von Doberenz, 1980, hingewiesen), lange bevor Kapitalgesellschaften in der Ersten Fußballbundesliga zulässig waren. Klaus Hopt war mit den Themen seines Aufsatzes – z.B. rechtliche Zulässigkeit des e.V., Professionalität von Geschäftsführung, Entscheidung und Kontrolle, Kapitalbedarf und Finanzierung – seiner Zeit voraus. Sieben Jahre später, im Oktober 1998 hat der Bundestag des Deutschen FußballBundes beschlossen, dass nicht nur e.V.s Bundesligisten sein können, sondern auch Kapitalgesellschaften, wobei aber bestimmte Bedingungen gelten (sog. 50+1-Regel): „Der Mutterverein ist an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50% der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien muss der Mutterverein oder eine von ihm zu 100% beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben. In diesem Fall genügt ein Stimmenanteil des Muttervereins von weniger als 50%, wenn auf andere Weise sichergestellt ist, dass er eine vergleichbare Stellung hat wie ein an der Kapitalgesellschaft mehrheitlich beteiligter Gesellschafter. Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Komplementär die kraft Gesetzes eingeräumte Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis uneingeschränkt zusteht.“ (Deutsche Fußball Liga

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(DFL), Satzung vom 22.6.2015, § 8, Abs. 2) Von dieser Regel gibt es Ausnahmen (ebenfalls DFL, Satzung vom 22.6.2015, § 8, Abs. 2). Mittlerweile bilden die Kapitalgesellschaften die klare Mehrheit unter den Clubs in der Ersten Bundesliga; mit Borussia Dortmund und seit Kurzem der Spielvereinigung Unterhaching sind zwei deutsche Clubs sogar börsennotiert. Das Geschäftsvolumen im Profifußball ist in dieser Zeit explodiert: Wo Klaus Hopt von einem Jahresumsatz der Bundesliga von 1,250 Milliarden DM spricht, sind es mittlerweile 3,813 Milliarden EUR (Saison 2017/18; DFL, 2019). Mit dem Geschäftsvolumen ist auch die Professionalität im Geschäftlichen gewachsen. Aber wie so oft in Fällen mit starken Wachstumsschüben hat die Corporate Governance mit dem Tempo nicht mitgehalten und muss aufholen, wie die Corporate-Governance-Analysen der Erstligisten unter Beteiligung des Autors gezeigt haben (Juschus et al. 2016; 2019). Governance und Finanzierung sind die zwei Seiten derselben Medaille. Entsprechend beschäftigt sich Klaus Hopt in seinem Aufsatz von 1991 mit Rechtsformwahl, professioneller Governance und Finanzierungsfragen der Bundesligisten. Diesem Weg folgend soll in diesem Aufsatz ein vom FC St. Pauli geplantes innovatives Finanzierungsmodell von Finanzierungs- und Governance-Seite analysiert werden. Während sich Klaus Hopt in seinem Aufsatz auf die AG konzentriert, diskutiert der FC St. Pauli ein Genossenschaftsmodell. Mitte Dezember 2018 erschienen in der Presse Berichte über Pressegespräche, die Andreas Rettig, damals kaufmännischer Geschäftsleiter des FC St. Pauli e.V., über ein neues Finanzierungsmodell im Profifußball in Form einer Genossenschaft geführt hat. Entgegen den Erwartungen wurden aber den Mitgliedern auf der Mitgliederversammlung am 27.11.2019 keine Neuigkeiten über das Genossenschaftsmodell mitgeteilt. Präsident Oke Göttlich sprach von noch weiteren internen Abstimmungen, die nötig seien.1 Der vorliegende Beitrag trägt die bislang vorhandenen Informationen über das Genossenschaftsmodell zusammen und würdigt dann das Modell aus Finanzierungs-, Governance- und Anlegersicht.

II. Das Genossenschaftsmodell 1. Grundzüge des Modells Soweit ersichtlich gibt es bislang keine offizielle Verlautbarung seitens des FC St. Pauli e.V., so dass hier die Informationen aus der Berichterstattung in 1 Harms, C. und A. Berthold: FC St. Pauli glänzt wieder mit einem Rekordumsatz. Hamburger Abendblatt, 28.11.2019.

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den Medien ausgewertet werden.2 Aus Kontakten mit dem FC St. Pauli kann der Autor allerdings schließen, dass seine Analyse die wesentlichen Punkte des Planungsstandes per Jahreswechsel 2018/19 berührt. Um das Genossenschaftsmodell besser einschätzen zu können, stellt die folgende Grafik den größeren Zusammenhang der Strukturen dar:3 Prigge_Abb_01.tif

Der Teil in normaler Schrift stellt den Ist-Zustand, der Teil mit unterstrichener Schrift und gestrichelten Linien die Veränderungen durch den Genossenschaftsplan dar. Das Millerntorstadion befindet sich im Eigentum der Millerntorstadion Betriebs-GmbH & Co. KG. Diese Gesellschaft wird vollständig vom FC St. Pauli e.V. gesteuert, der nicht nur 97% der Anteile direkt hält, sondern über die Millerntorstadion Verwaltungs-GmbH einhundertprozentiger Eigentümer der Komplementärin ist und somit das Recht hat, die Geschäftsführung der Betriebs-GmbH & Co. KG zu bestellen.

2 Dierenga, T.: Lieber Genossen als Investoren. Bild, 11.12.2018; Harms, C. und A. Laux: FC St. Pauli will Stadionanteile an Fans verkaufen. Hamburger Abendblatt, 11.12. 2018; Laux, A.: St. Paulis Genossen – ein cleveres Stück Sozialismus. Hamburger Abendblatt, 12.12.2018; o.V.: Neue Geldquelle in Planung. FC St. Pauli plant Genossenschaft. Hamburger Morgenpost, 11.12.2018; o.V.: Alternatives Finanzierungsmodell: FC St. Pauli will Genossenschaft gründen. Sponsors, 12.12.2018; Ruddat, M.: Stadion zu verkaufen. TAZ, 13.12.2018. 3 Bisnode: Firmenprofil Millerntorstadion Betriebs-GmbH & Co.KG für das Geschäftsjahr 2016; Bundesanzeiger: Millerntorstadion Verwaltungs-GmbH, Handelsregister-Bekanntmachungen vom 22.10.2015; Creditreform: Unternehmensinfo kompakt, Millerntorstadion Betriebs-GmbH & Co. KG, 19.12.2018; Millerntorstadion Betriebs-GmbH & Co. KG: Jahresabschluss 2016/17; Millerntorstadion Verwaltungs-GmbH: Jahresabschluss 2012.

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(Hinzukommt über die Verwaltungs-GmbH ein weiteres Prozent Anteil an der Betriebs-GmbH & Co. KG.) Soweit bekannt sehen die Pläne vor, dass eine Genossenschaft gegründet wird, an der Interessierte Genossenschaftsanteile erwerben können. Mit den so eingeworbenen Mitteln würde die Genossenschaft Kommanditanteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG vom FC St. Pauli e.V. kaufen, dem damit Mittel zufließen würden, die auch für den Profifußball eingesetzt werden könnten. Nach den Presseberichten soll die Genossenschaft maximal 46% der Anteile halten und der Anteil des FC St. Pauli e.V. nicht unter 51% sinken. 2. Vom Kauf bis zum Verkauf eines Genossenschaftsanteils Im Detail könnte der Ablauf vom Kauf bis zum Verkauf eines Genossenschaftsanteils durch einen Anleger folgendermaßen aussehen: a) Kauf des Genossenschaftsanteils Interessierte können Genossenschaftsanteile kaufen und damit Mitglied der Genossenschaft werden. Der Vorstand der Genossenschaft kann die so eingeworbenen Mittel verwenden, um vom FC St. Pauli e.V. Kommanditanteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG für die Genossenschaft zu erwerben. Da der Preis der Anteile zu bestimmen ist und dafür vermutlich ein Bewertungsgutachten erforderlich ist, könnte es sich anbieten, die Anteilskäufe gebündelt einmal im Jahr durchzuführen, wenn eine aktuelle Bewertung vorliegt. b) Laufende Erträge sowie Gewinne und Verluste der Genossenschaft Möglicherweise erzielt die Genossenschaft laufende Erträge aus den Anteilen an der Betriebs-GmbH & Co. KG, wenn diese Gesellschaft Ausschüttungen vornimmt. Inwieweit die Genossenschaft ihrerseits Mittel an ihre Mitglieder ausschüttet, kann in der Satzung geregelt werden und ist nach den Presseberichten noch nicht festgelegt. Bilanzielle Gewinne der Genossenschaft aus den gehaltenen Anteilen an der Betriebs-GmbH & Co. KG sind nicht wahrscheinlich, da die Anschaffungskosten für die Kommanditanteile die Obergrenze für den bilanziellen Wertansatz darstellen. Eher denkbar erscheinen bilanzielle Verluste, wenn die Genossenschaft die Anteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG aufgrund voraussichtlich dauerhafter Wertminderung abwerten müsste (unter der Annahme, dass die Anteile im Anlagevermögen gehalten werden). Erzielt die Genossenschaft Gewinne, erhöhen sich die Ergebnisrücklagen im Eigenkapital der Genossenschaft; das Geschäftsguthaben (das Äquivalent zum gezeichneten Kapital in ande-

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ren Gesellschaftsformen) bleibt unverändert. Bei Verlusten verringern sich die Ergebnisrücklagen der Genossenschaft; sollten sie aufgebraucht sein, verringert sich das Geschäftsguthaben. c) Verkauf des Genossenschaftsanteils • Die Mitglieder können die Genossenschaft auch wieder verlassen und ihre Anteile zurückgeben. Rechtlich ist das die Kündigung der Mitgliedschaft. Nach dem Gesetz kann die Kündigung nur mit einer dreimonatigen Frist zum Ende des Geschäftsjahres erfolgen (§65 II GenG). (Für eine außerordentliche Kündigung gelten eigene Regelungen; §67a GenG.) Die Satzung kann die Kündigungsfrist auf höchstens fünf Jahre verlängern (§65 II GenG). Im besten Fall erhalten die zurückgebenden Genossen ihre beim Einstieg gezahlte Einlage zurück. Das entspricht ihrem Anteil am Geschäftsguthaben. Ein möglicher Verlust der Genossenschaft hätte den Wert des Geschäftsanteils reduziert. An einem zwischenzeitlichen Wertzuwachs bei den Anteilen an der Betriebs-GmbH & Co. KG, die die Genossenschaft hält, wären die Genossen nicht beteiligt. Sie erhalten beim Ausstieg keinen Anteil an den Ergebnisrücklagen. In jedem Fall entsteht für die Genossenschaft aus der Anteilsrückgabe ein Finanzierungsbedarf. • Ein zweiter Weg, die Genossenschaft zu verlassen, bestünde für die Genossen darin, ihre Anteile nicht an die Genossenschaft zurückzugeben, sondern an andere Interessierte zu verkaufen. Auch wenn hier grundsätzlich freie Preisbildung herrschen dürfte, ist es unwahrscheinlich, dass aussteigende Genossen hier einen höheren Preis erzielen als bei Rückgabe an die Genossenschaft. Denn Kaufwillige hätten als Alternative immer den Anteilskauf direkt von der Genossenschaft zum Nennwert von Geschäftsguthabensanteilen. Warum sollten sie beim Anteilskauf von ausscheidenden Genossen bereit sein, mehr zu zahlen? Das ergäbe nur dann Sinn, wenn die Genossenschaft keine neuen Anteile ausgibt. Aus dieser Variante des Anteilsverkaufs resultiert kein Finanzierungsbedarf der Genossenschaft. d) Beendigung der Genossenschaft Schließlich ist noch die Regelung bei Beendigung der Genossenschaft zu bedenken. Die Genossenschaft kann entweder ausweislich der Satzung von vornherein auf eine begrenzte Zeit angelegt gewesen sein, oder die Generalversammlung beschließt mit 75%-Mehrheit die Auflösung. Die Verteilung des Genossenschaftsvermögens entspricht in seinen Grundzügen dem oben beschriebenen Vorgehen bei Kündigung der Mitgliedschaft, d.h. die Mitglieder bekommen ihren Anteil am Geschäftsguthaben (ihre Einzahlung), gegebenenfalls vermindert um Verluste. Was passiert, wenn die Genossenschaft keinen Verlust, sondern Gewinn gemacht hat? Gemäß §91 II GenG

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sind die Ergebnisrücklagen nach Köpfen zu verteilen. Allerdings kann durch die Satzung „die Verteilung des Vermögens ausgeschlossen oder ein anderes Verhältnis für die Verteilung bestimmt werden“ (§91 III GenG). Es ist sehr zu erwarten, dass die Satzung vorsieht, dass eventuelle Überschüsse vollständig oder zumindest zu einem sehr großen Teil dem FC St. Pauli e.V. zufallen sollen. Jede andere Regelung würde die ohnehin schon große Liquiditätsbelastung des FC St. Pauli e.V. bei der Auflösung der Genossenschaft noch weiter erhöhen. Wenn die Genossenschaft aufgelöst wird, muss sie ihre Anteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG verkaufen. Vermutlich sollen die Anteile unter der Kontrolle des FC St. Pauli e.V. bleiben, so dass er sie entweder zurückkaufen muss oder eine andere Konstruktion gefunden werden muss, durch die die Mittel für den Kauf dieser Anteile erzielt werden, aber die Kontrolle gleichzeitig beim FC St. Pauli e.V. verbleibt. Neben diesem Grundliquiditätsbedarf in Höhe der Geschäftsguthaben träte dann noch der weitere Liquiditätsbedarf, falls die Genossen bei Auflösung der Genossenschaft an den Ergebnisrücklagen partizipieren sollen. Ein unerwünschter Nebeneffekt einer solchen Partizipation wäre, dass dann Käufe von Genossenschaftsanteilen eher renditegetrieben wären und weniger durch den Wunsch motiviert wären, den Profifußball beim FC St. Pauli e.V. zu fördern. 3. Governance Abschließend seien noch kurz die wichtigsten Governance-Elemente gestreift: Die Satzung ist ein extrem wichtiges Dokument und enthält u.a. Regelungen zur Kündigungsfrist, zur Beteiligung von ausscheidenden Mitgliedern an den Ergebnisrücklagen, zu Voraussetzungen für die Aufnahme in die Genossenschaft oder zu den Stimmrechten. Die Satzung muss bereits bei der Anmeldung der Genossenschaft beim Genossenschaftsgericht vorliegen und bedarf der Unterschrift von drei Mitgliedern (§11 II GenG). Das bedeutet, dass die Gründungsmitglieder einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Machtverteilung in der Genossenschaft haben. Und die Gründungsmitglieder haben es selbst in der Hand, zukünftige Änderungen der Satzung zu erschweren oder praktisch unmöglich zu machen, indem sie das Mindestquorum für Satzungsänderungen sehr hoch ansetzen. Da der FC St. Pauli e.V. der maßgebliche Gründer der Genossenschaft sein wird, besteht hier die Chance, aber auch die Notwendigkeit, wohl bedacht schon viele wichtige Pflöcke einzuschlagen. Die Generalversammlung – bei sehr vielen Genossenschaftsmitgliedern gegebenenfalls die Vertreterversammlung – ist das Organ der Genossenschaftsmitglieder und kann mit einer Mehrheit von mindestens 75% (die Satzung kann einen höheren Prozentsatz vorsehen) Kernelemente der Satzung ändern (§16 II GenG). Die Generalversammlung wählt den Aufsichtsrat und gegebenenfalls den Vorstand. Standardmäßig hat

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jeder Genosse unabhängig von seinem Kapitalanteil eine Stimme in der Generalversammlung (§43 III GenG), die Satzung kann maximal drei Stimmen pro Genosse vorsehen (§ 43 III Nr. 1 GenG). Der Aufsichtsrat überwacht den Vorstand und wählt diesen auch, sofern die Satzung dieses Recht nicht der Generalversammlung zugewiesen hat. Der Vorstand schließlich führt die Geschäfte der Genossenschaft und ist dabei an die Weisungen der Generalversammlung und der Satzung gebunden.

III. Würdigung 1. Generelle Würdigung Der Vorschlag ist als innovativer Vorstoß sehr zu begrüßen, weil er bisher bestehende Grenzen verschiebt, nämlich dass Eigenkapitalbeteiligungen am Profifußball von großen Geldgebern kommen müssen und dass eine Eigenkapitalbeteiligung mit kleineren Beträgen nur bei einer Börsennotierung (Beispiel Borussia Dortmund) möglich ist, aber nicht im Rahmen des e.V. Bisher waren die Möglichkeiten für Mitglieder und Fans, den Profifußball in ihrem Verein finanziell zu unterstützen, auf Fremdkapital beschränkt. Das trat in den Formen der Fananleihe, z.B. beim FC St. Pauli oder bei Schalke 04 (zu Fananleihen z.B. Weimar und Fox, 2012; Huth et al., 2014) oder des Crowdlending, z.B. Hertha BSC Berlin (zum Crowdlending z.B. Fox, 2016; Huth, 2018) auf. Eine Eigenkapitalbeteiligungsmöglichkeit für kleine Beträge erforderte bisher neben der Ausgliederung der Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft auch noch deren Börsennotiz. Schon der erste Schritt, die Ausgliederung, wird von vielen Anhängern kritisch gesehen, vom Börsengang ganz zu schweigen.4 Das Modell des FC St. Pauli weist einen Weg, wie Fans und Mitglieder mit kleinen Beträgen ihrem Profifußballclub in der Form des e.V. Eigenkapital überlassen können. Wenn mehr Finanzmittel aus der Mitte der Anhänger und Mitglieder kommen und damit große Investoren, die womöglich nicht einmal eine emotionale Bindung zum jeweiligen Club besitzen, an Bedeutung verlieren, könnte sich zumindest im Bereich der Finanzierung der Konflikt zwischen Sport und Kommerzialisierung ein wenig entspannen (zu den Anlagemotiven von Fans und Mitgliedern kürzlich Huth, 2019). Man könnte einwenden, dass die Fördermitgliedschaft, die es z.B. beim FC St. Pauli und beim HSV (Supporter) in größerem Umfang gibt, auch ein Weg ist, mit kleineren Beträgen den Profifußball im jeweiligen Verein zu stärken. Denn viele dürften deshalb Fördermitglied geworden sein, weil sie 4 Siehe dazu die Fallstudie von Prigge (2019) zu den widerstreitenden Positionen bei der Ausgliederung der Profifußballabteilung des Hamburger SV in eine AG 2014.

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den Profifußball unterstützen wollen. Allerdings ist diese Unterstützung viel weniger direkt, als den meisten Fördermitgliedern klar sein dürfte: Die Beiträge der Fördermitglieder kommen dem gesamtem e.V. zugute. Die Fördermitglieder unterstützen den Profifußball nur insoweit, als ihre Beiträge es weniger notwendig machen, dass die Profifußballabteilung, sofern sie profitabel ist, die anderen Sparten unterstützt und so mehr Mittel für den Profifußball zur Verfügung stehen. Aber in nicht geringem Umfang unterstützen die Fördermitglieder eher den Breitensport als den Profifußball im jeweiligen Verein. Das gilt für ausgegliederte Profifußballabteilungen wie beim HSV ebenso wie für Fälle wie den FC St. Pauli, in denen die Profifußballabteilung Teil des e.V. ist. 2. Würdigung aus Finanzierungssicht Soeben wurde positiv hervorgehoben, dass das Genossenschaftsmodell sehr innovativ ist, um Eigenkapital in kleinen Beträgen von den eigenen Mitgliedern und Fans einzuwerben, wobei die Profifußballabteilung Teil des e.V. bleiben kann. Allerdings sollte man ein eminent wichtiges Charakteristikum des so eingenommenen Eigenkapitals keinesfalls vernachlässigen: Es ist kündbar. Denn von den schon gebräuchlichen Formen externen Eigenkapitals im deutschen Profifußball unterscheidet sich das genossenschaftliche Eigenkapital dadurch, dass es nicht zwingend unbefristet zur Verfügung steht. Vielmehr kann der Geldgeber seine Mitgliedschaft kündigen und sein Geld zurückfordern. Aktionäre, GmbH-Gesellschafter oder Kommanditisten können das nicht. Hier müssen die Profifußballgesellschaften nicht befürchten, dass das Eigenkapital wieder abgezogen wird. Wollen Genossen ihre Anteile zurückgeben, benötigt die Genossenschaft dafür entsprechende Mittel. Bei normaler Fluktuation, d.h. zufälligen Kündigungen stehen zufällige Eintritte gegenüber, und mit genügend zeitlichem Vorlauf sollte das unter normalen Umständen die Genossenschaft nicht vor Probleme stellen. Anders würde es bei einer Kündigungswelle aussehen. Es mag ein nur theoretischer Extremfall sein, er sollte aber sicherheitshalber mit bedacht werden: Was passiert, wenn es eine – möglicherweise gesteuerte – Kündigungswelle gibt? Damit die Genossenschaft – und damit letztendlich der FC St. Pauli e.V. als wahrscheinlichster Käufer der Anteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG, die die Genossenschaft verkaufen muss – dadurch nicht unter Druck gerät, sollte in der Satzung der gesetzliche Spielraum bei der Kündigungsfrist zumindest insoweit genutzt werden, dass die Genossenschaft im Notfall das Recht hat, die Kündigungsfrist innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu verlängern. Die Kündigungsfrist von vornherein auf fünf Jahre festzulegen könnte übertrieben und auch bei der Mitteleinwerbung hinderlich sein. Bei der Festlegung der Kündigungsfrist wird es darauf ankommen, diese widerstreitenden Interessen auszubalancieren. Ferner sollte vorab ge-

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klärt sein, ob die Genossenschaft über einen eigenen Kreditrahmen verfügen soll, über den solche Nettoanteilskündigungen ebenfalls zwischenzeitlich abgefedert werden könnten. Das Genossenschaftsmodell ermöglicht zwar die Eigenkapitalunterstützung durch kleine Beiträge ohne Ausgliederung oder gar Börsennotierung der Profifußballabteilung. Aber es teilt mit den in Deutschland üblichen Formen der Eigenkapitalbeteiligung vereinsfremder Gesellschafter an den ausgegliederten Profiabteilungen den Nachteil, dass der Zahlungszufluss eher einmaligen, zumindest nicht stetigen, Charakter hat und dass das Volumen endlich ist. Aus Vereinssicht wäre es sicherlich wünschenswert, ein Vehikel zu schaffen, über das laufend Mittel in Form kleinerer Einzelbeträge von den Fans und Mitgliedern gesammelt werden könnten; gewissermaßen eine Fördermitgliedschaft, deren laufende Beiträge aber direkt und nicht über den Umweg Breitensport den Profifußball unterstützen. Ein stetiger Mittelzufluss käme im Genossenschaftsmodel nur zustande, wenn entweder bei großer Nachfrage nach Genossenschaftsanteilen die Ausgabe seitens des FC St. Pauli zeitlich gestreckt wird oder wenn die Nachfrage eher verhalten ist und es länger dauert, die Anteile abzusetzen. Das Gesamtvolumen des Genossenschaftsmodells ist begrenzt; wenn es erreicht ist, gibt es ohnehin keinen Mittelzufluss mehr. Das Gesamtvolumen ist beschränkt, weil nach den derzeitigen Plänen die Genossenschaft höchstens 46% an der Betriebs-GmbH & Co. KG erwerben soll. Das ist eine selbst auferlegte Beschränkung, die sich erweitern ließe. Denn theoretisch könnte der FC St. Pauli e.V. alle Kommanditanteile, die er an der Betriebs-GmbH & Co. KG hält, abgeben, würde aber als Komplementär die Kontrolle über die Betriebs-GmbH & Co. KG behalten.5 Aber auch dann wäre irgendwann mit dem Verkauf aller Anteile durch den FC St. Pauli e.V. das Maximum erreicht. 3. Würdigung der Governance Governance-Analysen sind oft Worst-Case-Analysen. Man versucht herauszufinden, was schiefgehen könnte, wenn übelwollende Akteure in dieser Governance-Struktur agieren. Dazu seien zwei Fragen näher betrachtet: (1) Könnten Übelwollende die Kontrolle über die Genossenschaft 5 In den in eine Kapitalgesellschaft ausgegliederten Profiabteilungen ergibt sich die Begrenztheit der Eigenkapitalbeschaffung durch die 50+1-Regel: Solange der e.V. nicht über ausreichende Mittel verfügt, Kapitalerhöhungen mitzugehen, endet die Möglichkeit, Eigenkapital von vereinsfremden Gesellschaftern zu vereinnahmen dann, wenn 50% minus einem Anteil verkauft wurden. Diese Grenze besteht auch unter der 50+1-Regel nicht für Profiabteilungen, die in der Form einer KG geführt werden, solange der e.V. über den Komplementär die Profiabteilung kontrolliert. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Borussia Dortmund.

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übernehmen? (2) Welchen Schaden könnten sie bei Kontrollübernahme anrichten? Zur ersten Frage nach der Kontrollübernahme: Kontrollübernahme bedeutet, den Inhalt der Satzung zu bestimmen und die Gremien Vorstand und Aufsichtsrat besetzen zu können. Im Kern geht es also um die Macht in der Generalversammlung (oder gegebenenfalls Vertreterversammlung). Ein großer Anteil am Geschäftsguthaben verschafft seinem Besitzer nicht viel Stimmenmacht in der Generalversammlung, da der Grundsatz von einer Stimme pro Mitglied gilt, der auf bis zu drei Stimmen pro Mitglied gelockert werden kann. Aber auch dann ist die Verbindung zwischen Kapitalanteil und Stimmenanteil nur sehr lose. Es kommt ganz maßgeblich auf die Köpfe an. Diese Konstellation verhindert, dass sich ein einzelner kapitalkräftiger Störenfried in die Genossenschaft einkauft (vorausgesetzt, seinem Mitgliedsantrag wird entsprochen) und dann kraft seines Kapitalanteils Macht ausübt. Es verhindert aber auch, dass z.B. der FC St. Pauli e.V. immer einen bestimmten Anteil des Genossenschaftskapitals stellt und dadurch seine Kontrolle absichert. Denn auch große Anteilseigener haben nur eine Stimme (bzw. maximal drei). Damit in diesem Zusammenhang keine offene Flanke entsteht, ist auch die Stimmrechtsvertretung so zu regeln, dass nicht über diesen Weg unerwünschte Machtblöcke entstehen können. Man könnte Anträge auf Mitgliedschaft in der Genossenschaft gründlich prüfen, um Störenfriede rechtzeitig zu erkennen und gar nicht erst in die Genossenschaft eintreten zu lassen. (Was natürlich nicht ausschließt, dass ursprünglich Wohlmeinende im Laufe der Jahre zu Übelwollenden werden können.) Eine solche Regelung wäre in der Satzung zu verankern. In der Presseberichterstattung war z.B. die Rede davon, dass nur Genosse werden kann, wer auch Mitglied im FC St. Pauli e.V. ist. Das könnte man noch verschärfen, indem man z.B. eine mindestens zweijährige Mitgliedschaft im FC St. Pauli e.V. verlangt, bevor eine Aufnahme in die Genossenschaft möglich ist. Nachteil aller Zugangskontrollen ist natürlich, dass sie gleichzeitig das Finanzierungsvolumen reduzieren, das mit der Genossenschaft geschaffen werden kann. Um solchen Unwägbarkeiten möglichst wenig ausgesetzt zu sein, sollte der Start-Governance der Genossenschaft höchste Aufmerksamkeit gewidmet werden. In der Gründungsphase mit wenigen handverlesenen Mitgliedern muss die Satzung so festgelegt werden, dass sie nach Möglichkeit nicht mehr geändert werden muss, weil in ihr das Quorum für eine Satzungsänderung so anspruchsvoll festgelegt wird, z.B. auf 90%, dass es nicht nur für Störenfriede nahezu unmöglich ist, Änderungen vorzunehmen, sondern auch für den FC St. Pauli e.V. selbst. Ein mehr Beweglichkeit erhaltender Ansatz bestünde darin, dass Satzungsänderungen nicht nur ein Quorum in der Generalversammlung erreichen müssen, sondern auch der Zustimmung z.B. der Gründungsmitglieder bedürfen, die damit quasi ein Vetorecht hät-

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ten.6 Es wäre auch zu prüfen, inwieweit juristisch das Pendant zu einer goldenen Aktie im Rahmen einer Genossenschaft nachgebaut werden könnte. Letztendlich ist hier der juristische Rat gefragt, wie man die Balance aus Schutz vor unerwünschten Eingriffen auf der einen Seite und Beibehaltung der Beweglichkeit, um auf Änderungen im Laufe der Jahre reagieren zu können, auf der anderen Seite optimieren kann. Nicht vergessen werden darf in einer solchen Betrachtung, dass Kontrolle auch durch Drohung erlangt werden kann. Wenn eine Gruppe glaubhaft mit dem schnellen Abzug von Mitteln aus der Genossenschaft drohen kann und diese dadurch in die Bredouille bringen könnte, erlangt sie dadurch auch Einfluss.7 Allerdings könnte dies durch lange Kündigungsfristen relativ einfach gemildert werden, solange die Übelwollenden keine Möglichkeit haben, die Kündigungsfristen zu ändern. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit einer unerwünschten Kontrollübernahme in der Genossenschaft gering. Deshalb sei nur andeutungsweise die zweite Frage diskutiert, welcher Schaden bei Kontrollübernahme entstehen könnte. Das Stadion selbst dürfte kaum in die Hände von Aufständischen in der Genossenschaft geraten. Der FC St. Pauli e.V. behält die Mehrheit der Kommanditanteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG und ist vor allen Dingen über die Verwaltungs-GmbH Komplementär und kontrolliert damit die Geschäftsführung. Es hängt von der spezifischen Ausgestaltung der Betriebs-GmbH & Co. KG (Sperrminorität) ab, ob es ein Problem darstellt, wenn die unter Kontrolle von Aufständischen befindliche Genossenschaft mehr als 25% an der Betriebs-GmbH & Co. KG hält. Neben der allgemeinen Lästigkeit und der negativen Wirkung in der Öffentlichkeit, wenn das Genossenschaftsmodell von Aufständischen gekapert wurde, könnten z.B. auch folgende Schwierigkeiten auftreten: Die Genossenschaft könnte ihre Anteile an der Betriebs-GmbH & Co. KG an jemanden anders als an den FC St. Pauli e.V. verkaufen. Das könnte durch ein Vorkaufsrecht des FC St. Pauli e.V. vermieden werden. Die Störenfriede könnten einen Run auf die Genossenschaft initiieren, also den schnellen Abzug der Einlagen wie bei einem Bank Run. Das könnte durch entsprechende Kündigungsfristen in der Satzung verhindert werden. Oder die Aufständischen streben eine umfassende Beteiligung ausscheidender Genossen an den Ergebnisrücklagen an. Auch hier geht es letztlich um die Herrschaft über die Satzung.

6 Diese Überlegungen erinnern an sog. Dead-Hand-Poison-Pills, also Übernahmehindernisse, die sich selbst dann kaum wieder beseitigen lassen, wenn der Vorstand, der sich ursprünglich damit vor feindlichen Übernahmen schützen wollte, schon lange das Unternehmen verlassen hat. 7 Dieser Ansatz erinnert an so manche Volte im Verhältnis zwischen 1860 München und Hasan Ismaik; zu diesem Fall Bauers et al. (2015), S. 6 f.

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Diese Szenarien mögen letztlich alle vergleichsweise unwahrscheinlich sein, legen aber zumindest eines eindringlich nahe: In der Entwicklung der Genossenschaftsstruktur sollten mögliche Einfallstore von Störern im Sinne einer Worst-Case-Analyse akribisch gesucht und untersucht werden, um so, insbesondere präventiv, mögliche Störer gleich abzuschrecken. 4. Würdigung aus Anlegersicht Aus reiner Finanzperspektive ist die Anlage unattraktiv. Bei einer Anlage gibt es grundsätzlich zwei Renditequellen: laufende Ausschüttungen und Kursveränderungen. Aus den Pressegesprächen ging hervor, dass noch diskutiert wird, ob es eine kleine Ausschüttung geben soll, z.B. einen Inflationsausgleich. Falls wir einmal zu einem normalen Zinsumfeld zurückkehren sollten, ist das nicht attraktiv. Hinsichtlich der Kursveränderung besteht Asymmetrie: Der Anleger ist bei Verlusten des Anteils an der BetriebsGmbH & Co. KG voll beteiligt, bei Wertsteigerungen dagegen nur nach Maßgabe der Satzung, wobei dem FC St. Pauli e.V. zu empfehlen wäre, keine solche Beteiligung vorzusehen, bestenfalls eine sehr geringe. Gründe hierfür sind die Liquiditätsbelastung des FC St. Pauli e.V. und die Änderung des Anlagecharakters weg von der Unterstützung der Profifußballabteilung als Teil des FC St. Pauli e.V. hin zu einer größeren Gewichtung der finanziellen Rendite als Anlagemotiv. Es ist nicht zu erwarten, dass die geringe finanzielle Attraktivität die Nachfrage nach den Genossenschaftsanteilen signifikant verringert. Wie eben ausgeführt könnte eine zu starke Betonung der finanziellen Attraktivität den Absatz sogar erschweren oder zumindest einige der gewünschten Geldgeber vertreiben und verstärkt Anleger anziehen, die eher an der finanziellen Rendite als an der Unterstützung einer bestimmten Sichtweise auf den Profifußball interessiert sind. Das könnte insbesondere auf die Anhänger des FC St. Pauli zutreffen, ist aber längst nicht auf sie begrenzt. Die wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass Anleger in Fußballaktien bereit sind, Preise zu zahlen, die im Kapitalmarktvergleich zu hoch sind, sie also eine niedrige finanzielle Rendite hinnehmen (siehe letztens z.B. Prigge und Tegtmeier, 2019). Eine Erklärung für dieses Verhalten besteht darin, dass die Anleger neben der unmittelbaren Rendite aus der Anlage durch Ausschüttung und Wertveränderung auch noch weiteren Nutzen ziehen. Bei Faninvestoren kann das die monetäre Unterstützung ihres Herzensclubs sein. Für diese emotionale Rendite nehmen sie Abschläge in der finanziellen Rendite in Kauf. Insoweit ist die finanzielle Rendite also nur von nachgeordneter Wichtigkeit für Fananleger, was letztens durch Huth (2019) empirisch abgesichert wurde.8 Deshalb ist 8 Zu Anlegertypen im internationalen Profifußball siehe z.B. Buchholz und Lopatta (2017); Rohde und Breuer (2017; 2018); Birkhäuser et al. (2019) enthält eine umfassende

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eine große Nachfrage nach den Genossenschaftsanteilen wahrscheinlich, soweit man das jetzt schon sagen kann, wo viele Ausstattungsdetails noch nicht festgelegt sind.

IV. Abschließende Würdigung Das Genossenschaftsmodell des FC St. Pauli e.V. ist ein sehr innovativer Vorstoß, mit dem erstmals im deutschen Profifußball Eigenkapital in kleineren Beträgen – also geeignet für normale Mitglieder und Fans – und im Rahmen des e.V. eingesammelt werden soll. Er könnte damit im Bereich der Finanzierung den Grundkonflikt zwischen Fußballtradition und Kommerz etwas entschärfen. Allerdings muss ein wesentlicher Unterschied des über die Genossenschaft eingeworbenen Eigenkapitals im Vergleich zum Eigenkapital bei Aktiengesellschaften und anderen Kapitalgesellschaften mitgedacht werden: Es ist kündbar. Diese Eigenschaft macht das Konstrukt auch verwundbar, wenn die Genossenschaft in die Hände von Störern gerät. Vorkehrungen dagegen erscheinen juristisch machbar, erfordern aber eine wohl durchdachte Vorbereitung. Aus finanzieller Sicht ist das Konstrukt für Anleger nicht besonders attraktiv. Dennoch scheint ein großes Anlegerinteresse sehr wahrscheinlich. Aus den Erfahrungen mit Fananleihen und aus der Forschung zu internationalen Fußballaktien weiß man, dass es Mitgliedern und Fans längst nicht nur auf die finanzielle Rendite ankommt. Daneben schätzen sie die emotionale Rendite. Eine zu attraktive finanzielle Ausstattung der Genossenschaftsanteile könnte deshalb sogar kontraproduktiv wirken, wenn dieses Konstrukt als ein Weg gesehen werden soll, die Trennung zwischen Fans und Finanzierung zu verringern. Dieses Genossenschaftsmodell öffnet den Weg für das Sammeln von Eigenkapital von Fans und Mitgliedern, es ist aber kein Instrument, über das ein stetiger Mittelfluss von Fans und Mitgliedern an den Profifußball möglich ist. Hierfür bedarf es weiterer Innovationen. Schließlich ist noch zu beachten, dass die Genossenschaftskonstruktion des FC St. Pauli e.V. ganz maßgeblich darauf beruht, dass mit dem Stadion ein sehr werthaltiger Vermögensgegenstand im Besitz des e.V. ist.

Literaturverzeichnis Bauers, S.B., J. Lammert und G. Hovemann (2015): Beherrschender Einfluss von Investoren im deutschen Profifußball – Eine Bestandsaufnahme und Analyse bestehender Umgehungen der 50+1-Regel. In: Sciamus – Sport und Management, 6. Jg., Nr. 3, S. 1–17. Auflistung von Investorenzahlungen an 305 europäische Fußballclubs von 2004/05 bis 2014/15.

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Entscheidungsbefugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden Jochem Reichert

Entscheidungsbefugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden JOCHEM REICHERT

I. Einleitung Der Aufsichtsratsvorsitzende gilt in heutiger Zeit als wichtiger Repräsentant eines Unternehmens. Doch stellt sich die Frage, inwieweit sein Ansehen in der Öffentlichkeit im Einklang steht mit der Rechtstellung, die ihm das Gesetz zuweist. Im Folgenden soll es insbesondere um die Entscheidungsbefugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden gehen, die ihn in die Lage versetzen, sein Amt zeitgemäß auszufüllen. Das Thema findet hoffentlich Anklang beim Jubilar, der – gemeinsam mit Markus Roth – in der Kommentierung der aktienrechtlichen Vorschriften zum Aufsichtsrat bereits wichtige Impulse zu einer Weiterentwicklung und sinnvollen Ausgestaltung des Kompetenzrahmens gegeben hat.1 1. Praktische Bedeutung Wenngleich es Gegenstimmen gibt,2 ist der Aufsichtsratsvorsitzende nach ganz herrschender Meinung selbst nicht Gesellschaftsorgan, sondern nur ein von Gesetzes wegen mit besonderen Rechten und Pflichten betrautes Mitglied des Gesellschaftsorgans Aufsichtsrat.3 Die ihm zugewiesenen Aufgaben lassen sich entsprechend Ziff. 5.2 Abs. 1 S. 2 DCGK (in der bislang geltenden Fassung) in drei Kategorien unterteilen: Der Aufsichtsratsvorsitzende koordiniert die Arbeit im Aufsichtsrat (1.), leitet dessen Sitzungen (2.) und nimmt die Belange des Aufsichtsrats nach außen wahr (3.).4 Andere unterscheiden zwischen aufsichtsratsinternen Aufgaben der Verfahrensleitung (1.), den Aufgaben im Verhältnis zu den anderen Organen, also Vorstand 1

GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, §§ 107 ff. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 60 f.; Peus, ZGR 1987, 545, 552. 3 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 63; Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 21; Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 678; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 45. 4 Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 678; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 48. 2

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und Hauptversammlung (2.), und die Mitwirkung an externen Erklärungen der Gesellschaft gegenüber dem Handelsregister (3.).5 Die gesetzlich geregelten Kompetenzen des Vorsitzenden finden sich an verschiedenen Stellen im Aktiengesetz und im Mitbestimmungsgesetz.6 So sind nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG die Sonderberichte des Vorstands an den Aufsichtsratsvorsitzenden zu adressieren; nach § 107 Abs. 2 S. 1 AktG hat er die Niederschrift über die Sitzungen zu unterschreiben; § 109 Abs. 2 AktG berechtigt ihn, Aufsichtsratsmitglieder, die nicht zugleich Ausschussmitglieder sind, die Teilnahme an Ausschusssitzungen zu verweigern; u.a. nach § 184 Abs. 1 AktG besteht die Pflicht, bei der Anmeldung von Kapitalmaßnahmen zur Eintragung in das Handelsregister mitzuwirken; dass der Vorsitzende das Recht (und, sofern ein Mitglied oder der Vorstand es verlangt, die Pflicht) hat, den Aufsichtsrat einzuberufen, ergibt sich aus § 110 Abs. 1 S. 1 AktG. Im MitbestG sind das Zweitstimmrecht des Vorsitzenden (§ 31 Abs. 4) und seine Mitgliedschaft im Vermittlungsausschuss (§ 27 Abs. 3) geregelt. Mit einem Blick in die §§ 95 ff. AktG und in das MitbestG erschließt man sich allerdings heutzutage nur unzureichend die in der Praxis tatsächlich anfallende Arbeit und die Erwartungen, die innerhalb und außerhalb des Unternehmens an den Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt werden. Das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden ist von der „dramatischen“ Ausweitung der Aufgaben des Aufsichtsrats während der letzten 25 Jahre besonders betroffen – d.h. von den Vorgaben des KonTraG, des TransPuG, des MoMiG und des BilMoG, ganz zu schweigen von den durch den BGH fortentwickelten Anforderungen7 – da er gleichsam an vordersten Front die Herausforderungen des operativen Geschäfts meistern muss.8 Seit Jahren mehren sich daher die Stimmen, die diese Diskrepanz zwischen der gesetzlich normierten Kompetenz und den tatsächlichen Anforderungen beklagen: Es manifestiere sich der immer häufiger gestellte Befund, „dass das Aktiengesetz der Sonderrolle, die dem Aufsichtsratsvorsitzenden in der Praxis zukommt nicht hinreichend Rechnung trägt.“9 Es gebe „zwischen gesetzlicher Regelung und Rechtswirklichkeit ein breites Delta, das der Aufsichtsratsvorsitzende kraft seiner Autorität und seiner Kompetenz ständig überbrücken muss.“10 Der Aufsichtsrat sei ein schwerfälliges Organ, das als Plenum viel zu selten zusammentrete, um das Tagesgeschäft eng begleiten zu können, darüber hinaus weise „die Geschäftsführungs- und Ver-

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Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 19. MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 47. 7 Vgl. nur BGHZ 135, 244, 255. 8 Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 58. 9 Koch, FS 50 Jahre AG, 2016, S. 65, 92. 10 v. Schenck, AG 2010, 649, 649. 6

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tretungsbefugnis des Aufsichtsrats keine klaren Konturen“ auf.11 Institutionelle Anleger, namentlich aus dem angelsächsischen Bereich, suchten zunehmend das Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, „um mit ihm gemeinsam über die Strategie des Unternehmens und die Qualität der Geschäftsführung zu sprechen.“12 Der Aufsichtsrat werde zunehmend als „Sparringspartner“ des Vorstands verstanden, und es sei „insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende, der auch zwischen den Sitzungen Kontakt mit dem Management“ halte.13 Eben dieser gewandelten Rolle des Aufsichtsvorsitzenden habe „das geltende Aktienrecht bislang nicht hinreichend Rechnung getragen.“14 2. Meinungsspektrum Wie groß das Delta zwischen Recht und Wirklichkeit tatsächlich ist, hängt allerdings natürlich vor allem davon ab, wo man die Grenze zieht zwischen rechtlich zulässigen und rechtlich unzulässigen (Allein-) Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden (jenseits der gesetzlich ausdrücklich anerkannten Kompetenzen). Darüber herrscht in der Literatur keineswegs Einigkeit. Auf den ersten Blick scheint es freilich kaum Meinungsverschiedenheiten zu geben. In den Kommentaren hat sich als Obersatz die Formulierung etabliert, der Aufsichtsratsvorsitzende verfüge über keine organschaftliche Vertretungsmacht, dürfe aber ausnahmsweise „Hilfsgeschäfte“ zur Erfüllung seiner Aufgaben vornehmen.15 Dass hinsichtlich Art und Reichweite solcher „Hilfsgeschäfte“ bislang vieles unklar ist und oft kein Konsens besteht, merkt man erst, wenn in der Praxis konkrete, meist zeitkritische Maßnahmen anstehen, die geeignet erscheinen, vom Aufsichtsratsvorsitzenden beschlossen zu werden, weil die Einberufung eines Ausschusses oder gar des Plenums zu erheblichen Verzögerungen führen würde. Immer wiederkehrende Fälle sind die Beauftragung von Kanzleien oder anderen Beratern mit Gutachten sowie die kapitalmarkrechtliche Selbstbefreiung gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR. Dann zeigt sich, wie weit die Auffassungen in Wahrheit auseinanderliegen.16 Der Meinungsstand soll an dieser Stelle nicht erschöpfend dargestellt werden. Es reicht vorerst aus, die Bandbreite dessen zu benennen, was nach Literaturansicht zulässig bzw. unzulässig ist: Keine Bedenken hat man im 11

v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 958, 961. Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 349. 13 Roth, ZGR 2012, 343, 363. 14 Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 125, 145. 15 Exemplarisch MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 59; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 44; Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 23. 16 Ähnlich Vetter, VGR 2014, 115, 126; v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959. 12

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Allgemeinen bei der Anmietung von den Räumen für die Aufsichtsratssitzung, die Beauftragung eines Dolmetschers oder die Reisekostenerstattung für Auskunftspersonen. In solchen Fällen soll der Aufsichtsratsvorsitzende eigenständig ohne Rücksprache entscheiden dürfen,17 nicht hingegen – zumindest nach einer Ansicht – wenn es um „besondere Honorarvereinbarungen oder die Einholung umfangreicher Rechtsgutachten“ geht (dann: „vorhergehende Beschlussfassung des Aufsichtsrats“).18 Eine leicht abgeschwächte Variante besteht darin, dem Vorsitzenden den Abschluss von Honorarvereinbarungen mit Sachverständigen und Auskunftspersonen nur insoweit zu überlassen, als er diese unter den Vorbehalt stellt, „dass der Aufsichtsrat der Hinzuziehung der betreffenden Person nicht widerspricht.“19 Schon dieser moderaten Abschwächung und Hilfestellung wird indes widersprochen: „Der Aufsichtsratsvorsitzende hat vielmehr den Aufsichtsrat einzuschalten, wenn es im Namen der Gesellschaft z.B. um die Hinzuziehung eines Beraters für weitergehende Arbeiten oder die Beauftragung eines Sachverständigen geht. Dazu genügt es jedoch nicht, wenn der Aufsichtsrat die Auftragsverteilung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden widerspruchlos hinnimmt, denn dies stellt keine Entscheidung des Aufsichtsrats dar. Der Aufsichtsrat kann nach einhelliger Meinung keine stillschweigenden Beschlüsse fassen. Es bedarf deshalb eines ausdrücklichen zustimmenden Aufsichtsratsbeschlusses oder des Beschlusses eines entsprechenden Aufsichtsratsausschusses. Die oben geschilderte verbreitete Unternehmenspraxis ist deshalb bedenklich.“20 Diese „Bedenklichkeit“ der Unternehmenspraxis teilen indes nicht alle. Der Jubilar betont in seiner Kommentierung, die Effektivität der Aufsichtsratsarbeit erfordere „einen weiten Handlungsspielraum des Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Sitzungsvorbereitung“.21 Der Aufsichtsratsvorsitzenden sei „auch ohne vorherige explizite Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats befugt, auch umfangreiche Rechtsgutachten zu vergeben.“22 Andere differenzieren zwischen den originären Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden bei der unmittelbaren Sitzungsvorbereitung und Befugnissen, die der Aufsichtsrat im Voraus an seinen Vorsitzenden delegieren kann. Während in Bezug auf die erste Fallgruppe Vorsicht geboten sei, um den Charakter des Aufsichtsrats als Kollegialorgan nicht zu untergraben,23 dürfe und 17 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 23; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 44. 18 Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 44. 19 MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 59. 20 Vetter, VGR 2014, 115, 127. 21 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 149. 22 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 150. 23 Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 107 AktG Rn. 8.

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müsse der Kreis der delegationsfähigen Befugnisse weiter gezogen werden: „Zumindest beschlussmäßige Delegation von Aufgaben an Vorsitzenden sollte (...) in weiterem Maße, als es bislang für zulässig gehalten wird, gestattet werden.“24 In Übertragung der im Bereich des Vorstandshandeln geläufigen Unterscheidung zwischen nicht delegationsfähigen Leitungsaufgaben und delegationsfähigen Geschäftsführungsaufgaben komme eine Delegation nur dann nicht in Betracht, wenn gesetzliche Kernaufgaben des Aufsichtsrats betroffen sein.25 Schwerer als solche unterschiedlichen Bewertungen einzelner Fälle wiegt, dass es – von der zuletzt erwähnten Abgrenzung zwischen Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben abgesehen, die sich aber bislang nicht durchgesetzt hat – an allgemeinen Prinzipien fehlt, mit deren Hilfe sich auch die in der Literatur noch nicht erörterten Fallkonstellationen einigermaßen verlässlich einer Lösung zuführen lassen. Dazu will der vorliegende Aufsatz einen kleinen Beitrag leisten. Zwar könnte man sich auf den Standpunkt stellen, wie das in einer BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2013 anklingt,26 dass die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrats stets deshalb gewährleistet sei, weil ein Aufsichtsratsvorsitzende, der tätig werde, ohne vorher eine Mehrheitsentscheidung herbeizuführen, entsprechend § 177 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht handle und der Aufsichtsrat diese Handlungsweise noch nachträglich genehmigen könne. Doch kann ein solcher Ansatz allenfalls ein Notbehelf sein (dazu V.). Es ist nie befriedigend, mit der Figur des Vertreters ohne Vertretungsmacht systemische Rechtsprobleme zu lösen und Risiken Personen aufzubürden, die diese Risiken erkennbar nicht tragen sollen.

II. Beschluss- und Sitzungsvorbereitung Im Mittelpunkt steht vorliegend das Agieren des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht während, sondern außerhalb, insbesondere vor einer Aufsichtsratssitzung. Dabei ist vor allem auf § 108 Abs. 1 AktG einzugehen, da die Vorschrift das gravierendste Hindernis für ein eigenständigeres Handeln des Aufsichtsratsvorsitzenden darstellt. Wenn der Aufsichtsrat (nur) „durch Beschluss entscheidet“, scheint wenig Raum für Entscheidungen einzelner Mitglieder des Gremiums, da diese für sich genommen nicht beschlussfähig sind. Die Regelung ist zwingend und kann nicht individuell angepasst werden.27 Ausgenommen von der Pflicht zur Gremiumsentscheidung wären 24

Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 107 AktG Rn. 8; § 108 AktG Rn. 8a. v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959 ff. Dem ebenfalls zuneigend („aber noch nicht ausdiskutiert“): Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 108 AktG Rn. 8a. 26 BGH, ZIP 2013, 1274, 1276 (Rn. 23). 27 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 5. 25

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dann nur die Ausschüsse und auch diese nur in den durch § 107 Abs. 3 AktG gezogenen Grenzen. 1. Entscheidung i.S. von § 108 Abs. 1 AktG Die apodiktische Formulierung in § 108 Abs. 1 AktG ist allerdings nur auf den ersten Blick eindeutig. Was eine Entscheidung im Rechtssinne ist, versteht sich keineswegs von selbst. Entscheidungen im umgangssprachlichen wie im entscheidungstheoretischen Sinne treffen wir im Alltag fortwährend. Schon die Lektüre der Tageszeitung stellt insoweit einen Entscheidungsprozess dar, als wir in der Regel nicht alle Artikel lesen, sondern eine Auswahl treffen. Auch sonst sind Entscheidungen, verstanden als das Ausscheiden von Alternativen, allgegenwärtig, erst recht im Wirtschaftsleben. Dieses weite, umfassende Verständnis des Begriffs „Entscheidung“ kann indes in Bezug auf § 108 Abs. 1 unmöglich gemeint sein.28 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass dann schon der Beschlussantrag das Ergebnis einer Reihe von Entscheidungen wäre, mithin selbst Entscheidungsqualität hätte.29 Das Gleiche würde für die zur Vorbereitung einer Sitzung vom Aufsichtsratsvorsitzenden zusammengestellten Unterlagen gelten, etwa die Handakten im Vorfeld einer Vorstandsbestellung gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 AktG.30 Auch sie sind zweifellos bereits das Resultat einer Auswahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten: Um sie zu erstellen, müssen vorher als irrelevant qualifizierte Informationen ausgeschieden werden. Es ist offenkundig, dass in allen diesen Fällen das Aufsichtsratsplenum nicht durch Beschluss „entscheidet“, da andernfalls die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrats stark beeinträchtig wäre. Wenn demnach auch das Gesetz implizit die Existenz von (Vor-) Entscheidungen unterstellt, die vom Beschlusserfordernis des § 108 Abs. 1 AktG ausgenommen sind, bedeutet das nichts anderes, als dass für die Entscheidungsqualität „normative Gesichtspunkte“ ausschlaggebend sind.31 Die Bestimmung solcher normativen Maßstäbe muss anhand einer Gesamtschau des gesetzlichen Rahmens und der Funktionsweise des Aufsichtsrats erfolgen, was im Folgenden geschehen soll. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass es sich beim Aufsichtsrat um ein Kollegialorgan handelt, das nach der gesetzlichen Konzeption grundsätzlich gemeinschaftlich agiert.32 28

KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 108 Rn. 8. KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 108 Rn. 8; GroßKommAktG/ Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 436. 30 Vgl. Roth, ZGR 2012, 343, 370. 31 KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 108 Rn. 8. 32 Koch, FS 50 Jahre AG, 2016, 65, 83. 29

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2. Normative Entscheidungsmerkmale Da das Gesetz, wie dargelegt, die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden kaum konkretisiert, bedarf es eines Seitenblicks auf andere, verwandte Regelungszusammenhänge, die möglicherweise Rückschlüsse darauf zulassen, welche normativen Gesichtspunkte eine „Entscheidung“ im Rechtssinne konstituieren. Vorzugsweise sollte eine Lösung des Problems anhand von Wertungen erfolgen, die sich speziell auf das Recht des Aufsichtsrats beziehen. Tatsächlich gibt es eine Konstellation im Aufsichtsratsrecht, die ähnliche Fragen aufwirft wie das Verhältnis zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und -plenum. Gemeint ist das in § 107 Abs. 3 S. 4 AktG enthaltene Verbot, die in dieser Vorschrift genannten Aufgaben – namentlich die Bestellung von Vorstandsmitgliedern nach § 84 Abs. 1 S. 1 AktG – einem Ausschuss „an Stelle des Aufsichtsrats zur Beschlussfassung“ zu überweisen. Auch in diesem Fall – im Verhältnis Ausschuss-Plenum – schreibt das Gesetz einen rigiden Plenumsvorbehalt vor, der (scheinbar) keinen Spielraum lässt für eine eigenständige Ausschusstätigkeit im Bereich der durch § 107 Abs. 3 S. 4 AktG „gesperrten“ Aufgabenfelder. Während bei den übrigen Aufgaben Entscheidungsbefugnisse ohne weiteres Ausschüssen übertragen werden können, selbst wenn es sich um gewichtige, für das Unternehmen existentielle Fragen handelt,33 muss der Aufsichtsrat, wenn etwa die Neubesetzung eines Vorstandspostens ansteht, als Plenum zusammentreten, sich beraten und entscheiden. Eine ältere Auffassung34 legte § 107 Abs. 3 S. 4 AktG sehr streng aus und hielt es allenfalls für zulässig, wenn ein Personalausschuss Informationen zusammentrug und in eine systematische Ordnung brachte. Alle darüber hinausgehenden Aktivitäten wurden bereits als ein Verstoß gegen das Delegationsverbot angesehen, da auch schon durch „wertende und analysierende Maßnahmen“ die Entscheidungsgrundlage des Gesamtaufsichtsrats verkürzt werde.35 Diese Ansicht hat sich indes nicht durchgesetzt. Nach heute h.M.36 sind vorbereitende Personalausschüsse statthaft und in ihrer Handlungsfähigkeit nur insoweit beschränkt, als die Letztentscheidung – der definitive Rechtsakt, „der formale Schlussakt“37 – dem Plenum vorbehalten bleibt. Dafür 33 Vgl. GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2019, § 107 Rn. 430; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 90. 34 Dose, ZGR 1973, 300, 312; ähnlich Prühs, DB 1970, 1524, 1528. 35 Dose, ZGR 1973, 300, 312. 36 MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 159; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2019, § 107 AktG Rn. 91; KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 176 f.; GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2019, § 107 AktG Rn. 436. 37 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 346.

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spricht insbesondere der Sinn und Zweck des vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannten Rechts, Ausschüsse zu bilden. Ohne die Arbeit spezialisierter Ausschüsse wäre ein Aufsichtsrat heute schlechthin funktionsunfähig. Angesichts der aufzubereitenden Informationsmengen muss auch und gerade vor Personalentscheidungen eine Vorauswahl durch ein spezialisiertes Gremium getroffen und kann nicht bei jeder Zwischenentscheidung ein Beschluss des Gesamtaufsichtsrats herbeigeführt werden.38 Wenn der letzte, entscheidende Rechtsakt in den Händen des Plenums liegt, ist dem Schutzzweck des § 107 Abs. 3 S. 4 AktG hinreichend Rechnung getragen. Dem Gesamtaufsichtsrat verbleiben genügend Möglichkeiten, zu verhindern, dass man ihn vor vollendete Tatsachen stellt, nicht zuletzt kann er in jedem Stadium der Vorbereitung die Angelegenheit an sich ziehen, wenn er dies für opportun hält.39 Das entspricht offenbar auch der Lesart des BGH, denn dieser hat in einer Entscheidung aus den 1990er Jahren „beschließende Personalausschüsse“ nicht beanstandet, denen weitreichende Befugnisse, etwa bei Abschluss und Änderung von Anstellungs- und Pensionsverträgen, übertragen wurden.40 Die Wertungen, die man für den Sonderfall des § 107 Abs. 3 S. 4 AktG – hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Plenums- und Ausschussentscheidungen – herausgearbeitet hat, lassen sich auch für das Verhältnis zwischen Vorsitzenden und Plenum fruchtbar machen. Es ist nicht einzusehen, warum für den Aufsichtsratsvorsitzenden strengere Maßstäben gelten sollen als für einen von dem expliziten (Beschluss-) Verbot des § 107 Abs. 3 S. 4 AktG betroffenen Ausschuss. In dem einen wie dem anderen Fall soll verhindert werden, dass das Plenum den Überblick über zentrale Vorgänge im Unternehmen verliert und durch einzelne oder wenige Aufsichtsratsmitglieder überspielt wird; das soll jedoch geschehen, ohne den Aufsichtsrat zu überlasten und in eine dysfunktionale Allzuständigkeit hineinzumanövrieren. Demnach bedarf es stets eines Beschlusses (i.S. von § 108 Abs. 1 AktG) des Aufsichtsrates (oder gegebenenfalls des zuständigen Ausschusses) bei Erklärungen, die nach dem Aktiengesetz oder nach der Satzung unmittelbar rechtserhebliche Wirkungen haben.41 Darunter fallen beispielsweise die Einberufung der Hauptversammlung gemäß § 111 Abs. 3 S. 2 AktG, die Prüfung und Billigung des Jahresabschlusses nach §§ 171, 172 AktG, die Zustimmung zu Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern (§§ 114, 115 AktG) und die Zustimmung zu Maßnahmen des Vorstands nach §§ 59 Abs. 3, 88

38

Vgl. KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 177. Vgl. GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 436; KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 176. 40 BGH, BB 1993, 1468, 1472. 41 Vgl. GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 19; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 8. 39

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Abs. 1, 89 Abs. 2, 5 und 111 Abs. 4 S. 2.42 Erfasst sind ferner die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand aus § 93 Abs. 2 AktG und – als Annex – die rechtsgeschäftliche Verfügung über diese Ansprüche, einschließlich der zu Grunde liegenden Kausalgeschäfte.43 Eine darauf bezogene Willensbildung darf der Aufsichtsrat nicht an Einzelne delegieren, nicht an den Aufsichtsratsvorsitzenden und erst recht nicht an andere Aufsichtsratsmitglieder oder gar Externe. Hingegen erscheint es zu weitgehend, für jegliche Arten von Willenserklärungen einen Beschluss des Aufsichtsrats zu verlangen, jedenfalls insoweit davon auch Vorbereitungshandlungen mit Außenwirkungen betroffen wären. Andernfalls würde man in einem entscheidenden Punkt die mit der Fokussierung auf gesetzlich speziell dem Aufsichtsrat zugewiesenen Erklärungen gewonnene Klarheit der Abgrenzung wieder zunichtemachen. Anhand des Maßstabs der gesetzlich konkretisierten „Letztentscheidungen“, des definitiven Rechtsaktes, lassen sich beschlusspflichtige von nicht beschlusspflichtigen Erklärungen und Handlungen vergleichsweise verlässlich unterscheiden. Hilfreich ist der von Holger Fleischer44 in anderem Zusammenhang eingeführte Begriff des decision shaping, der im Gegensatz zum Komplementärbegriff des decision taking zum Ausdruck bringt, dass Führungsaufgaben nicht eigenhändig vorbereitet werden müssen, sofern nur gewährleistet ist, dass am Schluss eine eigenverantwortliche Entscheidung – in diesem Fall des Gesamtaufsichtsrats – erfolgt. Daraus ergibt sich, dass für alle Entscheidungen, die sich nicht dem ultimativen decision taking zurechnen lassen, selbst wenn sie Gesellschaftsmittel binden oder ihnen eine anderweitige Relevanz nicht abzusprechen ist, grundsätzlich nicht der Plenums- bzw. Ausschussvorbehalt gilt. Die Vergabe von umfangreichen Rechtsgutachten, der Abschluss von Honorarvereinbarungen, die Vornahme der kapitalmarktrechtlichen Selbstbefreiung usw.: alles das kann (vorbehaltlich sogleich zu behandelnder Einschränkungen) an den Aufsichtsratsvorsitzenden delegiert werden, sofern er es nicht bereits aus eigenem Recht ausführen darf (dazu II.3.). Damit ist im Ergebnis der Auffassung beizutreten, die von einem „weiten Handlungsspielraum des Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Sitzungsvorbereitung“ ausgeht.45 Zu einem ähnlichen Resultat gelangt die Ansicht, die auf die Unterscheidung zwischen Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben abstellt,46 wie sie für den Vorstand anerkannt ist („Geschäftsführung ist jede rechtsgeschäftli42 MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 8; GroßKommAktG/ Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 19. 43 MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 112 Rn. 4. 44 Fleischer, ZIP 2003, 1, 11. 45 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 149 (s.o.). 46 v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959.; zumindest als „erste Orientierungsmarke“ in Erwägung ziehend Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 108 AktG Rn. 8a.

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che oder tatsächliche Tätigkeit für die AG, Leitung ist die Führung der Gesellschaft“47). Allerdings liegt diese Analogie nicht ganz so nahe, namentlich weil § 111 Abs. 4 S. 1 AktG ausdrücklich verfügt, dass „Maßnahmen der Geschäftsführung“ dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden dürfen.48 Zumindest terminologisch sind dem Aktiengesetz „Geschäftsführungsaufgaben“ des Aufsichtsrats fremd, daher ist fraglich, ob sich ein so weitreichender Rückgriff auf die vorstandsrechtliche Systematik durchsetzen wird, zudem er – wie dargelegt – nicht erforderlich ist, um den Kreis delegationsfähiger Aufgaben zu erweitern. Wenn man schon das Recht des Vorstands als Regelungsvorbild bemühen möchte, müsste man die Leitungsaufgaben als solche in den Blick nehmen, die nach allgemeiner Meinung keineswegs höchstpersönlich erfüllt werden müssen.49 In diesem Kontext taucht ebenfalls die Differenzierung zwischen decision taking und decision shaping auf, die für die Kompetenzabgrenzung zwischen dem Gesamtaufsichtsrat und den (durch § 107 Abs. 3 S. 4 AktG eingeschränkten) Aufsichtsratsausschüssen nach hier vertretener Ansicht maßgeblich ist.50 Erwägenswert ist ferner, das aus dem Staatsrecht bekannte, zunehmend aber auch im Gesellschaftsrecht anerkannte Prinzip der Organadäquanz zu bemühen,51 wonach „aktienrechtliche Entscheidungen von jenem Organ getroffen werden sollen, das dafür nach seiner Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügt.“52 Auch dem BGH ist das Argument der Sache nach nicht fremd, wenn er etwa in der Gelantine-Entscheidung feststellt, dass die Hauptversammlung ihrer ganzen Struktur nach sich nicht für die Mitwirkung an der Leitung einer Gesellschaft eignet.53 Der Grundsatz passt selbstverständlich nicht unmittelbar, da der Aufsichtsratsvorsitzende kein Gesellschaftsorgan ist. Der Rechtsgedanke, dass im Zweifel die sachnähere und funktional geeignetere Institution zuständig sein sollte, erscheint indes grundsätzlich auch auf die Stellung des Vorsitzenden im Verhältnis zum Gesamtaufsichtsrat übertragbar. Freilich ist der dem Aufsichtsratsrecht selbst entlehnte Maßstab des Entscheidungsstadiums (definitiver Rechtsakt vs. Vorbereitungsmaßnahmen) spezieller

47

GroßKommAktG/Kort, 5. Aufl. 2018, § 76 Rn. 29a. Das anerkennt auch v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 957. 49 GroßKommAktG/Kort, 5. Aufl. 2018, 76/49; Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 76 AktG Rn. 8; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 76 AktG Rn. 18. 50 Fleischer, ZIP 2003, 1, 11; Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 76 AktG Rn. 8. 51 Koch, FS 50 Jahre AG, 2016, S. 65, 82 f.; Cahn, AG 2014, 525, 427. Ebenfalls auf Argumentationsfiguren des Staatsorganisationsrecht zurückgreifend und für eine „effektuierende Kompetenzauslegung“ plädierend: Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449, 456 f. 52 Koch, FS 50 Jahre AG, 2016, S. 65, 82. 53 BGHZ 159, 30, 43 ff. 48

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und konkreter, so dass der Gedanke der Organ- bzw. Funktionsadäquanz vorliegend allenfalls subsidiär zur Anwendung kommt. 3. Zuständigkeit aus eigenem Recht? Bislang wurde nicht präzise zwischen der Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden aus eigenem Recht und der rechtlichen Möglichkeit, an ihn Aufgaben zu delegieren, unterschieden. Vielmehr war zunächst der Frage nachzugehen, ob der Aufsichtsvorsitzende überhaupt Entscheidungen treffen kann oder selbst eine entsprechende Ermächtigung durch den Gesamtaufsichtsrat unzulässig wäre. Nachdem feststeht, dass der Plenumsvorbehalt nur für das letztverantwortliche decision taking, nicht indes für das decision shaping gilt, ist es in einem zweiten Schritt notwendig, diese Unterscheidung vorzunehmen, schließlich ist die Kontrolldichte in beiden Fällen nicht die gleiche. Bei einer bloßen Delegationsmöglichkeit sind dem Aufsichtsratsvorsitzenden so lange die Hände gebunden, bis der Gesamtaufsichtsrat ihm Entscheidungsbefugnisse in einem genau beschriebenen Rahmen zugesteht. Die Haltung der Literatur zu dieser Frage ist nicht einheitlich und unübersichtlich. In Bezug auf § 112 AktG erachtet ein Teil der Literatur eine Delegation von Entscheidungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats auch bei Hilfsgeschäften für notwendig, wobei die Meinungen darüber auseinandergehen, ob eine stillschweigende Bevollmächtigung ausreicht54 oder eine ausdrückliche Zuweisung zu verlangen ist.55 Im Übrigen findet sich sowohl die Ansicht, dass der Aufsichtsratsvorsitzende eine vorherige Zustimmung des Plenums grundsätzlich nicht einholen müsse,56 als auch eine engere Auffassung, die unterscheidet zwischen einem alltagsgeschäftlichen Nukleus, für den dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine „ungeschriebene“57 bzw. „konkludente“58 Vertretungsmacht zukomme, und delegationsfähigen Entscheidungen, letztere selbstverständlich nur, soweit man grundsätzlich einen Spielraum für Entscheidungen im Sinne des decision shaping anerkennt.59 Teilweise sieht man das Nicht-Widersprechen durch den Gesamtaufsichtsrat als ausreichend an,60 wie dies „verbreitete Praxis“ sei,61 teilweise besteht man auf einem ausdrücklich zustimmenden Aufsichtsratsbeschluss.62

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Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 444. MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 112 Rn. 20 (mwN). 56 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 150. 57 KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 53. 58 Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 44. 59 Vgl. Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 107 AktG Rn. 8; 108/8a.; v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959 f. 60 KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 53. 61 Vetter, VGR 2014, 115, 126. 62 Vetter, VGR 2014, 115, 127. 55

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Richtigerweise gibt es keine pauschale, vom Einzelfall losgelöste Antwort. Immerhin wird man aber sagen können, dass einfache Hilfsgeschäfte – wie das Anmieten von Tagungsräumen – in jedem Fall ohne Ermächtigung durch das Plenum zulässig sind. Darüber hinaus kommt es auf die konkrete, gesellschaftsspezifische Organisation der Aufsichtsratsarbeit an. Maßstab muss sein, inwieweit in der betreffenden Gesellschaft (auch) Vorbereitungshandlungen im Sinne des decision shaping erkennbar in der Verantwortung des Gesamtaufsichtsrats oder eines Aufsichtsratsausschusses liegen sollen. Das ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn ein Ausschuss existiert, dessen Aufgabe allein darin besteht, Aufsichtsratssitzungen vorzubereiten.63 Dann wäre es problematisch, dem Aufsichtsratsvorsitzenden das Recht zuzugestehen, substantielle Vorbereitungsentscheidungen alleine zu treffen. Wenn im konkreten Fall der Gesamtaufsichtsrat zum Ausdruck gebracht hat, dass ein Ausschuss (und nicht der Vorsitzende) die Verantwortung für die Vorbereitung tragen solle, darf diese Grundsatzentscheidung nicht durch die allgemeine Erwägung überspielt werden, der Aufsichtsratsvorsitzende sei schneller verfügbar und könne effizienter agieren. Umgekehrt spricht nichts gegen eine Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden auch ohne ausdrückliche Delegation, wenn und insoweit keine Ausschüsse existieren, deren Aufgabenbeschreibungen zu der allgemeinen (aber subsidiären) Planungs- und Vorbereitungskompetenz des Vorsitzenden in Widerspruch stehen, und es auch sonst keine Hinweise darauf gibt, dass der Gesamtaufsichtsrat die in Rede stehende Entscheidung sich vorbehalten hat, sie also selbst treffen möchte. Da sich ein impliziter Plenumsvorbehalt nicht immer ausschließen lässt, ist dem Aufsichtsrat zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit indes in jedem Fall zu empfehlen, die Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden zu konkretisieren und ausdrücklich zu bestimmen, welche der grundsätzlich delegationsfähigen Entscheidungen er eigenständig treffen darf und welche nicht. 4. Restriktionen Ein Aufsichtsratsvorsitzender, der nach den soeben dargestellten Grundsätzen zu eigenständigen Entscheidungen befugt ist, hat gleichwohl eine Reihe von Restriktionen zu beachten, die sicherstellen sollen, dass der gesetzlich verankerte Charakter des Aufsichtsrats als Kollegialorgan nicht aufgehoben wird. a) Keine Präjudizwirkung Zur Begrenzung der Vorbereitungskompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden kann man sich wiederum an den Prinzipien und Maßstäben orientie63

Vgl. GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 149.

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ren, die im Verhältnis von Plenum und (gemäß § 107 Abs. 3 S. 4 AktG lediglich vorbereitenden) Ausschüssen gelten. Danach sind insbesondere solche Entscheidungen unzulässig, die die dem Plenum vorbehaltende Letztentscheidung präjudizieren.64 Der Aufsichtsratsvorsitzende darf durch vorbereitende Maßnahmen den Auswahl- und Entscheidungsspielraum des Gesamtaufsichtsrats nicht bereits so lenken und einengen, dass dieser faktisch keine echte Wahl mehr hat und nur noch den vom Vorsitzenden vorgegebenen Bahnen folgen kann.65 Gerade auch bei der Informationsbeschaffung und der Auswahl der Gutachter hat der Vorsitzende auf eine gewisse Ausgewogenheit und Vielfalt zu achten.66 b) Informationspflicht Bei Vorbereitungsentscheidungen von nicht lediglich marginaler Bedeutung hat der Aufsichtsratsvorsitzende – soweit „ohne zeitliche Verzögerung möglich“67 – den Gesamtaufsichtsrat über die Maßnahme in Kenntnis zu setzen, so dass es diesem jedenfalls möglich wäre, einzuschreiten und eine andere Entscheidung herbeizuführen. Zu denken ist daran namentlich bei der Vergabe sehr umfangreicher Rechtsgutachten oder sonstiger Aufträge an Dritte.68 Auch durch die Informationspflicht wird letztlich der Gefahr einer Präjudizierung vorgebeugt, da auf die Weise die übrigen Aufsichtsratsmitglieder selbst beurteilen können, ob sie die Gefahr einer Vorwegnahme der ihnen obliegenden Letztentscheidung sehen. c) Subsidiarität Mit Blick auf die nicht zur Letztentscheidung befugten Ausschüsse (§ 107 Abs. 3 S. 4 AktG) ist anerkannt, dass der Gesamtaufsichtsrat insoweit Herr des Verfahrens bleibe, „als er die dem Ausschuss überantworteten Entscheidungsbefugnisse jederzeit durch Verfahrensbeschluss wieder an sich ziehen, eine vom Ausschuss getroffene Entscheidungen durch eigenen Beschluss ändern oder aufheben oder einer solchen Entscheidung durch eigenen Beschluss zuvorkommen kann.“69 Der BGH hat dazu festgestellt: „Die Beschlüsse des Ausschusses bleiben solche des Aufsichtsrats, dessen Plenum 64 Drygala, in: Schmitt/Lutter, 3. Aufl., 2015, § 107 AktG Rn. 43; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 97; GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 437. 65 v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959. 66 Vgl. (zu den Ausschüssen) Drygala, in: Schmitt/Lutter, 3. Aufl., 2015, § 107 AktG Rn. 43. 67 GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 150. 68 Vgl. GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 150. 69 MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 95; vgl. auch Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 747; KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 177; GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 107 Rn. 245.

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sie zu überwachen hat und die Entscheidung jederzeit an sich ziehen kann.“70 Das muss erst recht im Verhältnis von Gesamtaufsichtsrat und Aufsichtsratsvorsitzenden gelten. Jede Entscheidung des Vorsitzenden ist gegenüber einer zum gleichen Gegenstand ergangenen Entscheidung des Plenums nachrangig. Insoweit kann weder von einer endgültigen noch von einer ausschließlichen Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden die Rede sein. Erfahren die übrigen Aufsichtsratsmitglieder von einer zur Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung getroffenen Entscheidung des Vorsitzenden können sie diese jederzeit (und jedenfalls im Innenverhältnis) wieder aufheben und ein anderes Vorgehen beschließen.

III. Sitzungsleitung Der Vollständigkeit halber seien kurz weitere Entscheidungsbefugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden erwähnt, die allerdings in der Regel etwas weniger umstritten sind. Namentlich steht außer Frage, dass dem Vorsitzenden die Leitung der Aufsichtsratssitzung obliegt und er in diesem Rahmen berechtigt ist, verfahrensleitende Entscheidungen zu treffen. Er entscheidet insbesondere über die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen. Da die Aufsichtsratsmitglieder selbst grundsätzlich ein unentziehbares Teilnahmerecht haben (ein Entzug kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, z.B. bei längeren, mutwilligen Störungen des Sitzungsverlaufs71), hat diese Entscheidungsbefugnis vor allem in Bezug auf Sachverständige, Auskunftspersonen und Vorstandsmitglieder Bedeutung.72 Der Aufsichtsratsvorsitzende kann ferner den Protokollführer bestimmen und die Sitzungssprache festlegen.73 Er entscheidet über die Form der Abstimmung (Handaufheben, Zuruf usw.), über kurzfristige Unterbrechungen74 sowie über die zur Verfügung gestellten Sitzungsunterlagen.75 Alle verfahrensleitenden Entscheidungen stehen indessen (wie die Vorbereitungshandlungen: II.4.c.) unter dem Vorbehalt, dass sie nicht gegen die Satzung verstoßen oder nicht durch den Gesamtaufsichtsrat korrigiert oder aufgehoben werden.76 Das Plenum hat das letzte Wort und muss selbst entscheiden, sollte ein Aufsichtsratsmitglied, das mit einer Maßnah70

BGH, NJW 1984, 733, 735. MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 109 Rn. 9; Spindler, in: Spindler/ Stilz, 4. Aufl., 2019, § 109 AktG Rn. 11. 72 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 49 ff. 73 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 53 f. 74 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 59. 75 Roth, ZGR 2012, 343, 370. 76 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 338. 71

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me des Vorsitzenden nicht einverstanden ist, einen entsprechenden Antrag stellen.77 Eine wichtige Ausnahme gilt allerdings für die Prüfung von Rechtsfragen durch den Vorsitzenden. Wenn letzterer beispielsweise davon überzeugt ist, dass eine Beschlussvorlage aus inhaltlichen oder Verfahrensgründen mit Recht und Gesetz nicht in Einklang steht und er sie deshalb nicht zur Abstimmung stellt, kann diese Entscheidung nach h.M. nicht durch Mehrheitsbeschluss des Plenums korrigiert werden.78 Vielmehr ist dann der Rechtsweg zu beschreiten, um eine Änderung herbeizuführen (was in der Praxis nicht allzu häufig vorkommt).79 Das Gleiche gilt für die dem Vorsitzenden zukommende Überprüfung und Entscheidung, ob ein Aufsichtsratsmitglied einem Stimmverbot unterliegt.80

IV. Rechtsgeschäftliche Umsetzung von Aufsichtsratsbeschlüssen Wenn der Aufsichtsrat einen Beschluss getroffen hat, der in eine verpflichtende Willenserklärung umzusetzen ist, wenn beispielsweise ein Anstellungsvertrag mit einem Vorstandsmitglied geschlossen (§ 112 AktG) oder ein Sachverständige gemäß § 111 Abs. 2 S. 2 AktG beauftragt werden soll, dann vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft, doch stellt sich die Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen diese Aufgabe der Aufsichtsratsvorsitzende übernehmen kann. Bei der Ausführung von Aufsichtsratsbeschlüssen handelt es sich genau genommen nicht um eigene „Entscheidungen“ des Aufsichtsratsvorsitzenden, denn das würde voraussetzen, dass der Vorsitzende über einen Entscheidungsspielraum verfügt, was in der Regel (zu Ausnahmen sogleich) nicht der Fall ist.81 Der Vollständigkeit halber und wegen des engen Sachzusammenhangs soll das Thema „Umsetzung von Aufsichtsratsbeschlüssen“ dennoch nicht unerwähnt bleibt. Immerhin ist der Vorsitzende üblicherweise82 nicht als bloßer Bote 77 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 49; GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 589; Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 108 AktG Rn. 6. 78 Vgl. MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 33; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 108 AktG Rn. 35; Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 58; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 338; a.A. GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 108 Rn. 84. 79 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 338. 80 Vgl. (zu Beteiligungs- und Stimmverbote bei Interessenkonflikten) Reichert, FS Vetter, 2019, 597 ff. 81 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 103. 82 Unter bestimmten Umständen allerdings schon vgl. Cahn, FS Hoffmann-Becking, 2013, 247, 253 ff.

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des Aufsichtsrats tätig, sondern wird als „Vertreter in der Erklärung“ angesehen, übermittelt also keine aus seiner Sicht fremde Willenserklärung, sondern gibt „selbst und anstelle des Aufsichtsrats die fremde Willenserklärung“ ab.83 Dass der Aufsichtsvorsitzende grundsätzlich Beschlüsse des Gesamtaufsichtsrats rechtsgeschäftlich vollziehen darf, ist nicht ernsthaft zu bestreiten. Meinungsverschiedenheiten bestehen aber insoweit, als nach der wohl h.M.84 eine besondere Ermächtigung durch das Plenum erforderlich ist, um tätig werden zu können, während nach anderer Ansicht der Vorsitzende aus eigenem Recht – kraft Amtes – handeln kann.85 Die h.M. erkennt als Ermächtigung eine entsprechende Regelung in der Satzung oder Geschäftsordnung oder einen gesonderten Beschluss an. Darüber hinaus nimmt sie an – sofern es keine Hinweise auf einen entgegenstehenden Willen gibt – dass rechtsgeschäftlich umzusetzende Beschlüsse konkludent die Ermächtigung zur Umsetzung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden enthalten.86 Insbesondere wenn man die Möglichkeit einer konkludenten Ermächtigung bejaht, hält sich die praktische Relevanz des Meinungsstreits in Grenzen. Unterschiede zeigen sich bei der Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte i.S. der §§ 174, 180 BGB. Auf der Grundlage der h.M. bedarf es der Vorlage einer Vollmachtsurkunde – nach zumindest teilweise vertretener Ansicht (entgegen der Rechtsprechung87) sogar dann, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende satzungsgemäß zur Abgabe von Erklärungen im Namen des Aufsichtsrats bevollmächtigt ist.88 Die Erklärung kann demnach zurückgewiesen werden, wenn der Vorsitzende nicht zugleich mit der Kundgabe nachweist, dass ihn der Aufsichtsrat hierzu ermächtigt hat. Sinnvoller ist es, von einer Ermächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Erklärungsvertretung kraft Amtsstellung auszugehen. Unterbleibt versehentlich eine ausdrückliche Ermächtigung, kann das bei einseitigen Rechtsgeschäften in Eilfällen – wenn ein erneutes Einberufen des Gesamtaufsichtsrats zu lange dauern würde – unter Umständen schwerwiegende Folgen zeitigen. Der Hinweis auf die schützenswerte Entscheidungsbefugnis des Gesamtaufsichtsrats überzeugt schon deshalb nicht, weil im Fall der bloßen Umsetzung von Beschlüssen das Plenum sich bereits einen abschlie-

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MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 112 Rn. 28. BGHZ 41, 282, 285; OLG Düsseldorf, NZG 2004, 141, 142 f.; MünchKommAktG/ Habersack, 5. Aufl., 2019, § 112 Rn. 38; Mertens/Cahn 107/52. 85 Hoffmann-Becking, in: MünchHbGesR, Bd. IV, 4. Aufl., 2015, § 31 Rn. 102; Lutter/Krieger/Verse, 6. Aufl., 2014, Rn. 682. 86 KölnerKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2013, § 107 Rn. 52; Spindler, in: Spindler/Stilz, 4. Aufl., 2019, § 107 AktG Rn. 43; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 112 Rn. 28; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 349. 87 OLG Düsseldorf, GWR 2012, 344 f.; OLG Frankfurt, NZG 2015, 514. 88 MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 112 Rn. 28. 84

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ßenden Willen gebildet hat, an den der Vorsitzende unstreitig gebunden ist und auf den er keinen sachwidrigen Einfluss mehr nehmen kann.89 Die Unterstellung einer konkludenten Ermächtigung wiederum erscheint konstruiert und beweist nur, dass es nicht den Interessen der Beteiligten entspricht, eine gesonderte Vollzugsermächtigung durch das Plenum zu verlangen.90 Vorstehend wurde unterstellt, dass der Aufsichtsratsbeschluss den Inhalt der Willenserklärung bereits so weitgehend bestimmt, dass es keinen Bedarf an einer inhaltlichen Konkretisierung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden gibt. Sollte ausnahmsweise der Aufsichtsrat nicht alle Einzelheiten eines Rechtsgeschäfts vorher festlegen können und wollen, gilt die Befugnis kraft Amtes nicht; vielmehr muss der Aufsichtsrat den Vorsitzenden gesondert bevollmächtigen und dessen Entscheidungsspielraum genau begrenzen. Obwohl es sich um Letztentscheidungen handelt, die zu treffen dem Gesamtaufsichtsrat obliegen, wird man diesem im Interesse eines praktikablen, reibungslosen Geschäftsablaufs das Recht zugestehen müssen, die Beantwortung untergeordneter Detailfragen an den Vorsitzenden delegieren zu dürfen.91 Wenn der Aufsichtsrat im Beschluss bereits alle wesentlichen Entscheidungen getroffen hat, ist die Situation cum grano salis vergleichbar mit dem decision shaping im Vorfeld einer Aufsichtsratsentscheidung (s.o.). Im Rahmen des § 112 AktG als Kern der Überwachungsaufgabe ist freilich Zurückhaltung geboten bei der Anerkennung allzu weitreichender Delegationsbefugnisse im Vollzugsstadium.92

V. Eilentscheidungen Wenn es sich um eine Letztentscheidung im oben dargelegten Sinne handelt, für die zwingend der Gesamtaufsichtsrat oder ein Ausschuss zuständig ist, ändert sich an dieser Zuständigkeit auch in Eilfällen nichts. Dem Aufsichtsrat ist zuzumuten, in Hinsicht auf die ihm zugewiesenen, substantiellen Aufgaben und Maßnahmen entsprechende Vorkehrungen zu treffen, die eine kurzfristige Reaktion auf neue Entwicklungen erlauben. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Entscheidung in Eilfällen (soweit rechtlich zulässig) generell einem aus wenigen Mitgliedern bestehenden Ausschuss, vorzugsweise dem Präsidialausschuss, übertragen wird, der zeitnah zusam-

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Bednarz, NZG 2005, 418, 422. Bednarz, NZG 2005, 418, 422. 91 Cahn, FS Hoffmann-Becking, 2013, 247, 256 f.; Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 112 AktG Rn. 8; v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 961; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 349. 92 Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 112 AktG Rn. 8. 90

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mentreten kann.93 Andernfalls bleibt unter Umständen immer noch der vom BGH aufgezeigte Weg, dass der Aufsichtsratsvorsitzende als Vertreter ohne Vertretungsmacht (§ 177 Abs. 1 BGB) handelt und sich später seine Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss des Plenums genehmigen lässt.94 Das ist nicht wirklich befriedigend, aber de lege lata angesichts des Beschlusserfordernisses gemäß § 108 Abs. 1 AktG nicht zu ändern. Für den Sonderfall der notwendigen Zustimmung des Aufsichtsrats zu nach Ansicht des Vorstands gebotenen Maßnahmen hat Bruno Kropff95 ein Vorgehen vorgeschlagen, das zu Recht überwiegend auf Zustimmung gestoßen ist:96 Versagt in Eilfällen der Aufsichtsratsvorsitzende seine Zustimmung, darf der Vorstand das betreffende Geschäft nicht vornehmen. Stimmt der Aufsichtsratsvorsitzende hingegen zu, ersetzt diese Zustimmung zwar nicht die Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats – er muss eine solche dann nachträglich vornehmen – doch ist sie als ein den Vorstand entlastendes Indiz dafür anzusehen, „dass ein Eilfall von solcher Art vorlag, dass selbst die Zustimmung eines Eilausschusses nicht abgewartet werden konnte, und dass er auch mit der Zustimmung des Aufsichtsrats bzw. des zuständigen Ausschusses rechnen durfte.“97

VI. Zusammenfassung 1. Eine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 AktG ist nicht jede Entscheidung im entscheidungstheoretischen Sinn, sondern nur der definitive Rechtsakt, die Letztentscheidung, die nach dem Aktiengesetz oder nach der Satzung unmittelbar rechtserhebliche Wirkung hat. 2. Demnach gilt der strikte Plenums- (bzw. Ausschuss)vorbehalt nur für das decision taking, nicht aber auch für Vorbereitungshandlungen, das decision shaping. In diesem Bereich, etwa bei der Vergabe umfangreicher Rechtsgutachten, dem Abschluss von Honorarvereinbarungen oder der kapitalmarktrechtlichen Selbstbefreiung,98 ist es dem Aufsichtsratsvorsitzen93

Kropff, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl., 2009, § 8 Rn. 6 (so auch Rodewig, in: Semler/v. Schenck, 4. Aufl., 2013, § 8 Rn. 58). 94 BGH, ZIP 2013, 1274, 1277. 95 Kropff, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl., 2009, § 8 Rn. 58. 96 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 340; v. Schenck, AG 2010, 649, 655; ähnlich Hüffer/Koch, 13. Aufl., 2018, § 111 AktG Rn. 47; GroßKommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl., 2019, § 111 Rn. 29; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., 2019, § 111 Rn. 141 (zu einer entsprechenden Satzungsregelung). 97 Kropff, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl., 2009, § 8 Rn. 58. 98 Zur Selbstbefreiung ausführlich Löbbe, FS Krieger, 2020 (im Druck).

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den grundsätzlich nicht verwehrt, eigenständig Entscheidungen zu treffen. 3. Einfache Hilfsgeschäfte (wie das Anmieten von Tagesräumen) kann der Aufsichtsratsvorsitzende in jedem Fall auch ohne Ermächtigung des Gesamtaufsichtsrats vornehmen. Darüber hinaus kommt es auf die konkrete, gesellschaftsspezifische Organisation der Aufsichtsratsarbeit an. Maßstab muss sein, inwieweit in der betreffenden Gesellschaft (auch) Vorbereitungshandlungen im Sinne des decision shaping erkennbar in der Verantwortung des Gesamtaufsichtsrats oder eines Aufsichtsratsausschusses liegen sollen. Das ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn ein Ausschuss existiert, dessen Aufgabe allein darin besteht, Aufsichtsratssitzungen vorzubereiten. Soll in solchen Fällen ausnahmsweise der Aufsichtsratsvorsitzende Vorbereitungsentscheidungen treffen, bedarf es einer entsprechenden Delegation durch den Gesamtaufsichtsrat. 4. Sofern der Aufsichtsratsvorsitzende zu eigenständigen Entscheidungen befugt ist, findet diese Befugnis ihre Grenze in dem Verbot, die dem Plenum vorbehaltene Letztentscheidung zu präjudizieren. Außerdem hat der Vorsitzende die Pflicht, über seine Entscheidungen (sofern von gewissem Gewicht) den Gesamtaufsichtsrat zeitnah zu informieren. Letzterer bleibt stets Herr des Verfahrens und kann die Entscheidung jederzeit wieder an sich ziehen, wenn es ihm notwendig erscheint.

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Die rechtsmissbräuchliche Kündigung im Kredit- und Anleiherecht Moritz Renner

Die rechtsmissbräuchliche Kündigung im Kredit- und Anleiherecht MORITZ RENNER

I. Einführung Fast genau vor 40 Jahren hat der Jubilar einen bis heute vielzitierten Beitrag zu den „Rechtspflichten der Kreditinstitute zur Kreditversorgung, Kreditbelassung und Sanierung von Unternehmen“ veröffentlicht.1 Der Beitrag geht, ebenso wie der im selben Heft der ZHR publizierte Aufsatz von Canaris zu „Kreditkündigung und Kreditverweigerung gegenüber sanierungsbedürftigen Bankkunden“2, auf ein bankrechtliches Kolloquium in Königstein/Taunus zurück. Beide Beiträge teilen dieselbe Frage: Inwieweit sind Banken verpflichtet, „ein mit ihnen in Geschäftsverbindung stehendes Unternehmen weiterhin zu unterstützen, auch wenn sie eigene Verluste riskieren“?3 Dass diese Frage Ende der 1970er Jahre gestellt wurde, ist kein Zufall. Die Ölpreiskrise von 1973 hatte der bundesdeutschen Wirtschaft erstmals die Grenzen ihres Wachstums aufgezeigt. In den folgenden Jahren der Stagflation kam es zu einem erheblichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen.4 In dieser Situation rückte die Kreditvergabepraxis der Banken in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. So beobachtete der Jubilar: „Presse und Öffentlichkeit, die heute in Deutschland ebenso wie in vielen westlichen Industriestaaten den Kreditinstituten weithin kritisch gegenüberstehen, sind schnell bei der Hand mit der Vermutung, Banken würden durchaus noch sanierungsfähige Unternehmen nach Belieben und im eigenen Interesse fallen lassen.“5 Die rechtsdogmatische Frage nach den „Rechtspflichten der Kreditinstitute zur Kreditversorgung, Kreditbelassung und Sanierung von Unternehmen“ hatte damit hohe rechtspolitische Relevanz. 1

Hopt, ZHR 143 (1979), 139. Canaris, ZHR 143 (1979), 113. 3 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 114 unter Verweis auf das Einladungsschreiben der Organisatoren des Symposiums. 4 Hinweise zu den Daten bei Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 140. 5 Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 140. 2

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Heute, gut vierzig Jahre später, wird dieselbe rechtsdogmatische Frage noch immer diskutiert.6 Die rechtspolitische Relevanz der Frage ist heute eine andere – sie ist aber nicht geringer geworden. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Struktur der Unternehmensfinanzierung wesentlich verändert. Zwar finanzieren sich deutsche Unternehmen immer noch maßgeblich über Bankkredite, der Kreditmarkt ist aber deutlich diverser geworden: Kredite werden, auch im Mittelstandsbereich, vielfach von internationaler Konsortien ausgereicht, und Kreditforderungen werden zunehmend auf grenzüberschreitenden Märkten gehandelt.7 Zu beiden Entwicklungen hat die Standardisierung der Vertragspraxis durch Branchenorganisationen wie die Loan Market Association (LMA) entscheidend beigetragen.8 Parallel dazu hat sich die Bedeutung der traditionellen Kreditinstitute relativiert. Auf den Kreditmärkten spielen Hedgefonds und andere institutionelle Investoren heute eine zentrale Rolle.9 Vergleichbare Entwicklungen sind auf dem Markt für Unternehmensanleihen zu beobachten.10 Diese Entwicklungen nimmt der Beitrag zum Anlass, um am Beispiel des strategischen Einsatzes vertraglicher Kündigungsrechte (unten II) die Frage nach „Rechtspflichten zur Kreditversorgung, Kreditbelassung und Sanierung“ neu zu stellen. Im Sinne eines rechtsvergleichend und interdisziplinär aufgeklärten Ansatzes, wie ihn der Jubilar stets verfolgt,11 sollen dabei Einsichten aus anderen Rechtsordnungen ebenso wie ökonomische und soziologische Erkenntnisse über die Funktionsweise von Fremdkapitalmärkten integriert werden. Auf dieser Grundlage sollen die schuldvertraglichen und gesellschaftsrechtlichen Schranken der Kündigungsrechte im Kredit- und Anleiherecht (unten III) neu betrachtet und als Ausprägungen des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots systematisiert werden (unten IV).

6 Im Gefolge der Finanzkrise von 2008 etwa Berger, BKR 2009, 45; zum Diskussionsstand Freitag/Mülbert, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2015, § 488, Rn. 364 ff. 7 Estevan de Quesada/Renner, European Review of Contract Law 13 (2017), 164, 172 ff.; Renner, ZBB 2018, 278, 280, jeweils mit weiteren Nachw. 8 Renner, ZBB 2018, 278, 280 f.; Walgenbach, in Langenbucher/Bliesener/Spindler (Hrsg.), Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2016, 16. Kapitel: Dokumentation internationaler Konsortialkredite, Rn. 17. 9 Estevan de Quesada/Renner, European Review of Contract Law 13 (2017), 2017, 164, 173 f.; Mugasha, The Law of Multi-Bank Financing. Syndicated Loans and the Secondary Loan Market, 2007, 21. 10 Groß, in: in Langenbucher/Bliesener/Spindler (Hrsg.), Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2016, 40. Kapitel: Emissionsgeschäft, Rn. 27 zu den Vertragsmustern der International Capital Markets Association. 11 Beispielhaft Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken. Gesellschafts-, bank- und börsenrechtliche Anforderungen an das Beratungs- und Verwaltungsverhalten der Kreditinstitute, 1975.

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II. Kündigungsrechte und ihr strategischer Einsatz Die Funktion von Kündigungsrechten in Kredit- und Anleihebeziehungen lässt sich nur in ihrem vertraglichen Kontext begreifen: Kündigungsrechte sind in der Kautelarpraxis Bestandteil eines umfassenden Systems von Verhaltenspflichten und Sanktionen, das die Rückzahlungspflicht des Schuldners absichert (unten 1). Dieses Systems soll eine ausgewogene Risikoverteilung zwischen Schuldner und Gläubiger, aber auch zwischen unterschiedlichen Gläubigern gewährleisten. Die Funktionsfähigkeit des Systems wird allerdings in Frage gestellt, wenn einzelne Gläubiger in strategischer Weise von ihren Kündigungsrechten Gebrauch machen (unten 2). 1. Kündigungsrechte im System der vertraglichen Kreditsicherung Für die Absicherung von Rückzahlungsverpflichtungen aus Krediten oder Anleihen spielen schuldrechtliche Abreden eine stetig wachsende Rolle, wobei derartige Abreden dingliche Kreditsicherheiten ergänzen und mitunter auch vollständig ersetzen.12 Die Vereinbarung detaillierter Covenants, die dem Schuldner die Einhaltung vorab definierter Finanzkennzahlen vorgeben und ihm oftmals auch bestimmte vermögensverschlechternde Maßnahmen untersagen, ist heute internationaler Marktstandard.13 Diese Covenants stehen mit den vertraglichen Kündigungsrechten der Kredit- und Anleihegläubiger in untrennbarem Zusammenhang. Die objektive Nichteinhaltung eines Covenant (Breach of Covenant) löst in den üblichen Vertragsmustern einen Default des Schuldners aus.14 Für einen solchen Default wiederum ist vertraglich ein abgestuftes System von Rechtsfolgen vorgesehen. Auf der letzten Stufe des Rechtsfolgensystems steht die Kündigung durch den Gläubiger.15 Bevor der Gläubiger zu diesem letzten Mittel greift, erlauben ihm übliche Covenants eine Nachverhandlung oder Anpassung der Finanzierungskonditionen.16 So wird der Gläubiger bei vergleichsweise geringfügigen Vertragsverstößen regelmäßig auf die Ausübung seiner Rechte verzichten (Waiver), hierfür aber die Zahlung eines Entgelts (Waiver 12

Renner/Schmidt, ZHR 180 (2016), 522 mit weiteren Nachw. Konziser Überblick bei Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, BankGesch., Rn. H/7. 14 Wood, Law and Practice of International Finance, 2008, Rn. 9-02; Kästle, Rechtsfragen der Verwendung von Covenants in Kreditverträgen, 2003; S. 75. 15 Renner/Schmidt, ZHR 180 (2016), 2016, 522, 528: „schärfstes Schwert“. 16 Böhlhoff, FS Flick 1997, S. 151, 157; Taylor/Day, Journal of International Banking Law 11 (1996), 318, 322; Kästle (Fn. 14), S. 76 f.; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, 2008, S. 45. 13

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Fee) vom Schuldner fordern.17 Bei schwerer wiegenden Kreditereignissen wird der Gläubiger angesichts seines erhöhten Ausfallrisikos einen höheren Zinssatz oder die Stellung zusätzlicher Sicherheiten verlangen.18 Auf der nächsten Eskalationsstufe kann der Gläubiger sogar versuchen, auf die Unternehmensführung des Kreditnehmers einzuwirken, etwa durch die Aufstellung von Zustimmungserfordernissen für bestimmte Geschäfte des Schuldners. Daneben kann ein Covenant auch vorsehen, dass die Forderungen des Gläubigers in Beteiligungskapital umgewandelt werden (Debt to Equity Swap). Nur wenn alle diese Maßnahmen keinen Erfolg versprechen, wird der Gläubiger den Event of Default zum Anlass einer Kündigung nehmen. Die Empirie zeigt, dass Gläubiger bei Covenant-Verstößen nur sehr selten von ihren Kündigungsrechten Gebrauch machen.19 Das gilt insbesondere deshalb, weil die Gläubiger an den Folgen einer Kündigung regelmäßig kein Interesse haben: Wenn sie Kredit oder Anleihe fällig stellen, wird dies die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners oftmals noch verschärfen und womöglich zu dessen Insolvenz führen. Die Gefahr wird dadurch verstärkt, dass die Kündigungsrechte der Gläubiger in üblichen CovenantGestaltungen gleichsam kollektiviert werden. Unter anderem so genannte Cross Default-Klauseln stellen sicher, dass ein Covenant-Verstoß über die Grenzen der einzelnen Vertragsbeziehung hinweg von unterschiedlichen Gläubigern durch Kündigung sanktioniert werden kann.20 Durch Cross Default-Klauseln wird die Position der einzelnen Kreditgeber deutlich gestärkt, weil ein einziges Kreditereignis im ungünstigsten Fall die Kündigung und Gesamtfälligstellung aller laufenden Kredite bewirken kann.21 Zugleich wird dadurch jedoch das destruktive Potential der Berufung auf ein Event of Default so groß, dass der einzelne Kapitalgeber in den meisten Fällen hiervon absehen und eine Verhandlungslösung unter Einbeziehung der übrigen Gläubiger suchen wird.22 Im Verbund mit üblichen Covenant-Gestaltungen bei Krediten und Anleihen hat das Drohpotential vertraglicher Kündigungsrechte zugleich pro17

Kästle (Fn.14), S. 77. Kästle (Fn.14), S. 77, in Fn. 218 zur Gegenüberstellung mit dem Nachbesicherungsanspruch in Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen. 19 Matri, Covenants and Third-Party Creditors, 2017, 115 ff.; Renner/Schmidt, ZHR 180 (2016), 522, 543 ff. jeweils mit weiteren Nachw. 20 Zu diesen Mechanismen des kollektiven Gläubigerschutzes im Einzelnen Renner/ Schmidt, ZHR 180 (2016), 522, 538 ff. 21 Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001, S. 540; Heinrich, Covenants als Alternative zum institutionellen Gläubigerschutz, 2009, S. 194: „Dominoeffekt“ durch „lawinenartige Fälligstellung“; Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, 1985, S. 96. 22 In diesem Sinne auch Hartwig-Jacob (Fn. 21), S. 540; Heinrich (Fn. 21), S. 194. 18

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duktive Wirkungen. Es zwingt den Schuldner und sämtliche Gläubigergruppen an den Verhandlungstisch, weil der mit einer Kündigungskaskade drohende Zusammenbruch des Schuldners im Interesse aller Beteiligten verhindert werden soll. 2. Kündigung als Anlagestrategie? Die Funktionsweise dieses Mechanismus wird aber nachhaltig in Frage gestellt, wenn ein einzelner Gläubiger im Einzelfall ein so starkes Interesse an der Kündigung hat, dass er deren nachteilige Folgen in Kauf zu nehmen gewillt ist. Diese Konstellation scheint auf den ersten Blick theoretisch, weil kaum ein Gläubiger den wirtschaftlichen Zusammenbruch seines Schuldners – und damit den faktischen Ausfall seiner Forderung – bewusst herbeiführt. Die Praxis zeigt aber, dass genau dies auf Anleihemärkten in jüngerer Zeit durchaus geschieht. In der Wirtschaftspresse wird das damit verbundene Vorgehen von Anleihegläubigern als „net short debt investing“ bezeichnet.23 Was sich dahinter verbirgt, zeigt beispielhaft der kürzlich von einem New Yorker Gericht entschiedene Fall Windstream v. Aurelius.24 Gegenstand des Rechtsstreits war die Kündigung einer Anleihe, die das Schuldnerunternehmen Windstream nach New Yorker Recht begeben hatte. Die Anleihe war im Jahr 2013 emittiert worden. Im Jahr 2015 hatte Windstream gegen einen AnleiheCovenant verstoßen, der die Übertragung von Vermögenswerten auf verbundene Unternehmen untersagte. Der Verstoß wurde zunächst von den Anleihegläubigern nicht sanktioniert. 2017 erwarb der Finanzinvestor Aurelius 25% der Anleihen und erreichte damit zugleich das vertraglich vorgesehene Quorum für die Ausübung von Kündigungsrechten. Sodann kündigte Aurelius die Anleihe unter Berufung auf den Covenant-Verstoß aus dem Jahr 2015, was letztlich zur Insolvenz von Windstream führte. In Branchenkreisen wurde hernach davon ausgegangen, dass die Kündigung Teil einer „net short“-Strategie gewesen sei: Aurelius habe sein Anleiheengagement dergestalt durch Derivate in Gestalt von Credit Default Swaps (CDS) (über)abgesichert, dass der Ausfall der Anleiheforderung gegenüber Windstream zu Zahlung der CDS-Gegenpartei an Aurelius führte, die deutlich über dem Erwerbswert der Anleihen lag.25 23 „USA Inc faces growing threat from activist debt investors,“ Financial Times, September 18, 2018; „Windstream Dispute Highlights Aurelius’ Role as Hedge-Fund Debt Cop,“ Barron’s, August 31, 2018. Die Fallgruppe ist zu unterscheiden vom so genannten „manufactured default“ aufgrund eines kollusiven Zusammenwirkens von Schuldner und Gläubiger. 24 U.S. Bank Nat’l Association v Windstream Services, LLC v Aurelius Capital Master, Ltd., case 12-CV-7857 (JMF) (S.D.N.Y. Feb. 15, 2019) 25 Zweifel an dieser Einschätzung bei V. Buccola/S. Vincent/J. Mah/K. Jameson/T. Zhang, The Myth of Creditor Sabotage (October 8, 2019). University of Chicago Law Review

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Nach dem Wortlaut der Anleihebedingungen war gegen die Kündigung durch Aurelius nichts einzuwenden. Das entscheidende New Yorker Bundesgericht hielt sie für wirksam.26 Bewertet man den Fall nach den Maßstäben des deutschen Rechts, fällt das Ergebnis allerdings weniger eindeutig aus. Ist dies nicht ein Sachverhalt, in dem der Gläubiger womöglich zur Kreditbelassung verpflichtet gewesen wäre – einerseits, um eine unverhältnismäßige Schädigung des Schuldners zu vermeiden, andererseits aber auch aus Rücksicht auf das durch Covenants etablierte System kollektiven Gläubigerschutzes? Die Frage führt uns zurück zu unserem Ausgangspunkt: dem Beitrag des Jubilars zu „Rechtspflichten der Kreditinstitute zur Kreditversorgung, Kreditbelassung und Sanierung von Unternehmen“.

III. Treupflichten aus Schuldvertrags- und Gesellschaftsrecht Wie der Beispielfall Windstream zeigt, sind von der Kündigung eines Kredits oder einer Anleihe regelmäßig unterschiedliche Rechtsbeziehungen betroffen: die Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner (unten 2) wie auch die Beziehung mehrerer Gläubiger untereinander (unten 3). In beiden Verhältnissen stellt sich die Frage nach möglichen Treupflichten des kündigenden Gläubigers (unten 1). 1. Treupflichten Ob und unter welchen Bedingungen ein Kredit oder eine Anleihe vom Gläubiger gekündigt werden kann, ist zunächst eine Frage des Schuldvertragsrechts – und damit eine Frage der Privatautonomie. In den Grenzen des AGB-Rechts können ordentliche wie außerordentliche Kündigungsrechte grundsätzlich frei vereinbart werden.27 Es begegnet deshalb keinen grundsätzlichen Bedenken, dass etwa nach den üblichen Vertragsmustern schon ein geringfügiger und unverschuldeter Covenant-Verstoß ein Kündigungsrecht des Gläubigers begründet. Denkbar ist allerdings, dass die Ausübung dieses Kündigungsrechts im Einzelfall Beschränkungen unterliegt, die sich aus dem allgemeinen Schuldvertragsrecht ergeben. Der Jubilar hat sich in seinem Beitrag von 1979 gegenüber solchen Beschränkungen sehr zurückhaltend gezeigt,28 während (i.E.), verfügbar unter: https://ssrn.com/abstract=3466275 (zuletzt abgerufen am 30.12. 2019) 26 U.S. Bank Nat’l Association v Windstream Services, LLC v Aurelius Capital Master, Ltd., Findings of Fact and Conclusions of Law, S. 54. 27 Zu den Einzelheiten Renner, in: Grundmann, Bankvertragsrecht, 2020, Vierter Teil, Rn. 226 ff. und 232 ff. mit weiteren Nachw. 28 Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162.

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Canaris zu gleicher Zeit gerade diese Beschränkungen in den Vordergrund rückte.29 Bei genauer Lektüre unterscheiden sich die beiden Positionen weniger im Grundsätzlichen als in den Nuancen. Die Nuancen allerdings sind es, die in „hard cases“ den Ausschlag geben können. Der Jubilar zeigt sich in seinem Beitrag mit Canaris einig darin, dass zwischen Schuldner und Gläubiger eines Kreditvertrags ein „gegenseitiges Vertrauensverhältnis“ bestehen könne.30 Doch was folgt daraus? Canaris schließt aus dem „Bestehen eines gesteigerten, über den gewöhnlichen Austauschvertrag erheblich hinausgehenden Vertrauensverhältnisses“ auf die Begründung einer „besonderen Treupflicht“ des Gläubigers, räumt aber umgehend ein, dass mit der Einführung dieser dogmatischen Kategorie „noch nichts Entscheidendes gewonnen“ sei.31 Dennoch scheint der Hinweis auf mögliche Treupflichten des Gläubigers in zweifacher Hinsicht weiterführend. So ist, erstens, in rechtsvergleichender Hinsicht aufschlussreich,32 dass im Common Law mit ganz ähnlichen Formulierungen „fiduciary duties“ in bankrechtlichen Vertragsbeziehungen diskutiert werden: Insbesondere in Fällen, in denen ein Gläubiger seine Rolle als Kreditgeber überschreite, etwa durch Beratung des Kreditnehmers, werde eine berechtigte Loyalitätserwartung des Kreditnehmers begründet.33 Soweit ersichtlich gehen aber auch die Befürworter einer „fiduciary relationship“ zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer nicht so weit, dass sie aus dieser allgemeinen Treupflicht eine Einschränkung von Kündigungsrechten des Gläubigers ableiten würden.34 Zweitens ist der Gedanke einer Treupflicht von Fremdkapitalgebern auch für eine ökonomisch-funktionale Analyse des deutschen Rechts im Kontext der Unternehmenssanierung nutzbar gemacht worden, insbesondere in der Habilitationsschrift von Eidenmüller.35 Eidenmüller nimmt an, dass zwischen sämtlichen Beteiligten einer außergerichtlichen Unternehmensreorganisation besondere Treupflichten bestehen,36 die im Einzelfall auch die Kündigungsrechte der Gläubiger beschränken können („Stillhaltepflicht“).37 29 30

Canaris, ZHR 143 (1979), 113. Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162; in gleichem Sinne Canaris, ZHR 143 (1979), 113,

117. 31

Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 117. Zum heuristischen Wert der Kategorien des „fiduciary law“ für das deutsche Recht Kuntz, FS K. Schmidt 2019, S. 761. 33 Etwa Morris v. Resolution Trust Corp., 622 .2d 708 (Me. 1993); Buxcel v. First Fidelity Bank, 601 N.W.2d 593 (S.D. 1999); zum Ganzen Hunt, Wake Forest Law Review 1994, 719; Tuch, in: Criddle/Miller/Sitkoff (Hrsg.), The Oxford Handbook of Fiduciary Law, 2019, S. 125. 34 Vgl. insbesondere Hunt, Wake Forest Law Review 1994, 719. 35 Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999. 36 Eidenmüller (Fn. 35), S. 583 ff. 37 Eidenmüller (Fn. 35), S. 783 ff. 32

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Dabei greift Eidenmüller bewusst über die schuldvertragliche Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger hinaus, um eine „gesellschaftsähnliche Verbindung“ der Sanierungsbeteiligten zu postulieren.38 Deutlich wird bei alldem, dass der Treupflichtgedanke zwar grundsätzlich geeignet scheint, eine Beschränkung von Kündigungsrechten bei Krediten und Anleihen zu begründen, dass aber sowohl seine dogmatische Grundlegung als auch seine praktische Reichweite der Konkretisierung bedürfen. 2. Schuldvertragsrecht Im allgemeinen Schuldvertragsrecht ist die Figur der Treupflicht deutlich weniger geläufig als im Gesellschaftsrecht. Ihren festen Platz hat sie im Recht der Interessenwahrungsverhältnisse. Jenseits dieser Sondermaterie lassen sich Treupflichten der Vertragsparteien einerseits als Neben- und Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB konstruieren, andererseits lassen sie sich auch als Ausprägungen des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots nach § 242 BGB begreifen.39 Konsequenzen hat die dogmatische Einordnung jedenfalls insoweit, als sich mit der Herleitung aus § 241 Abs. 1 BGB vergleichsweise zwanglos Schadensersatzansprüche wegen vertraglicher Pflichtverletzung bei treupflichtwidriger Kündigung begründen ließen.40 Zugleich legt diese Herleitung allerdings nahe, dass die schuldvertraglichen Treupflichten außerhalb des Rechts der Interessenwahrungsverhältnisse jedenfalls grundsätzlich abdingbar sind, während allenfalls für einen Kernbereich von Loyalitätspflichten anderes gelten mag.41 Bei den marktüblichen Musterverträgen für Kredite und Anleihen wird man davon ausgehen müssen, dass Treupflichten regelmäßig im weitestmöglichen Umfang abbedungen werden.42 Im Übrigen ist sehr genau zu prüfen, worauf etwaige schuldvertragliche Treupflichten gerichtet sind. Entscheidend ist dabei – unabhängig von der Begründung vertraglicher Nebenpflichten im Allgemeinen – die unmittelbar zwischen den Parteien bestehende Vertrauensbeziehung.43 Es kommt mithin auf konkreten Verhaltenserwartungen an, die im Falle eines Darlehens oder einer Schuldverschreibung durch den jeweiligen Gläubiger begründet wurden. In einem Kredit- oder Anleiheverhältnis wird der Gläubiger in vielen 38

Eidenmüller (Fn. 35), S. 583 f. Gleichermaßen auf § 242 BGB abstellend Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 118; Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162 f. (für die ordentliche Kündigung); auf § 241 Abs. 2 BGB abstellend Bachmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 241 Rn. 104. 40 Zum Schadensersatz bei unberechtigter Kreditkündigung Bitter/Alles, WM 2013, 537; Möllers, Die Haftung der Bank bei Kreditkündigung, 1991. 41 Bachmann (Fn. 39), Rn. 54. 42 Für die Musterverträge der Loan Market Association Renner, ZBB 2018, 278, 284. 43 Grundlegend Stoll, AcP 136 (1932), 257, 288. 39

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Fällen durch eigene Aussagen oder eigenes Verhalten keinerlei Erwartungen des Schuldners begründen, die zu einer Einschränkung von Kündigungsrechten führen würden. Angesichts der liquiden Sekundärmärkte für Kredite wie Anleihen kommt es durchaus häufig zu Konstellationen wie im Falle Windstream, in denen der kündigende Gläubiger vor der Kündigung überhaupt keine unmittelbare Interaktion mit dem Schuldner hatte. Anders mag dies sein, wenn es sich beim Gläubiger etwa um die Hausbank des Schuldners handelt. Dann mag im Einzelfall ein bestimmtes Vorverhalten der Bank die berechtigte Erwartung des Schuldners begründen, dass beispielsweise eine Kündigung nicht ohne vorherige Warnung erfolgen würde.44 Das folgt allerdings schon aus dem allgemeinen Verbot des venire contra factum proprium (unten III.1), ohne dass es des Rückgriffs auf die Figur der Treupflicht bedürfte.45 3. Gesellschaftsrecht Jenseits der unmittelbaren Vertragsbeziehung von Gläubiger und Schuldner ist zu fragen, ob sich besondere Treupflichten aus einer gesellschaftsrechtlichen oder gesellschaftsähnlichen Beziehung zwischen den Gläubigern ergeben können. Es wäre dann die Sonderbeziehung zu den Mitgläubigern, nicht zum Schuldner, welche die die Ausübung von Kündigungsrechten beschränkte. Mit Blick auf diese Sonderbeziehung würde sich eine entsprechende Treupflicht der Gläubiger untereinander wiederum als Nebenpflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB darstellen.46 Aber besteht überhaupt eine Sonderbeziehung zwischen den unterschiedlichen Gläubigern eines Kredits oder einer Anleihe? Bei einem Kredit liegt die Annahme zumindest dann nahe, wenn dieser durch ein Kreditkonsortium ausgereicht wird. Die ganz herrschende Meinung im deutschen Schrifttum erblickt im Kreditkonsortium eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts.47 Diese herrschende Meinung steht allerdings in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur allgemeinen Vertragspraxis, die ausgehend von englischrechtlichen Vorbildern das Innenverhältnis der Kreditkonsorten rein schuldvertraglich und ohne gesellschaftsrechtliche Bindungen regeln will.48 Man wird davon ausgehen müssen, dass auch die Begründung von gesellschaftsrechtlicher Treupflichten – jenseits des allge44

Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162. In diesem Sinne auch Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 118. 46 Zu dieser Begründung der gesellschaftlichen Treupflicht Bachmann (Fn. 39), Rn. 92; für Herleitung aus § 242 Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2019, § 242, Rn. 99. 47 Überblick bei Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, Vorbem. § 705, Rn. 58. 48 Darauf hinweisend etwa Diem, Akquisitionsfinanzierungen, 3. Aufl. 2013, § 31 Rn. 6. 45

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meinen Rechtsmissbrauchsverbots (unten IV) – von den Kreditkonsorten regelmäßig nicht gewollt ist.49 Damit stellt sich freilich die umstrittene Anschlussfragen, ob und inwieweit die gesellschaftsrechtlichen Treupflichten überhaupt dispositiv sind.50 Bei funktionaler Betrachtung des Kreditkonsortiums sprechen die besseren Argumente für eine grundsätzliche Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treupflichten.51 Insbesondere die Verwendung international vereinheitlichter Musterverträge, die in einem institutionalisierten Verfahren unter Einbeziehung aller relevanten Interessen erarbeitet werden, erübrigt eine umfassende richterliche Vertragsergänzung durch Treupflichten.52 Für das Innenverhältnis einer Mehrheit von Anleihegläubigern gelten diese Erwägungen erst recht. Hier kommt allerdings hinzu, dass mehr als fraglich ist, ob zwischen mehreren Gläubigern einer Anleihe überhaupt eine gesellschaftsrechtliche Beziehung besteht. In der Literatur wird dies nur sehr vereinzelt vertreten.53 Selbst wenn man aber eine gesellschaftsrechtliche Bindung der Anleihegläubiger untereinander annimmt, sprechen auch insoweit die besseren Argumente für eine Abdingbarkeit der hieraus erwachsenden Treupflichten, weil die marktüblichen und stets den Erfordernissen der Praxis angepassten Vertragsmuster in den wesentlichen Fragen keinen Raum für eine Vertragsergänzung ex post lassen. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Innenverhältnisses der Gläubiger von Kredit und Anleihe im Allgemeinen kann man freilich mit Eidenmüller erwägen, ob sich in Sanierungssituationen die Beziehung der Kapitalgeber zu einem gesellschaftsähnlichen Verhältnis verdichtet, aus dem besondere Pflichten einschließlich einer kündigungsbeschränkenden „Stillhaltepflicht“ erwachsen. Dieser Ansatz ist ersichtlich von den Rechtsfolgen her gedacht und schränkt mit seiner Konstruktion eines hypothetischen Vertrags die Autonomie der Sanierungsbeteiligten erheblich,54 zumal diesen schon tatsächlich keine Möglichkeit einer vertraglichen Abbedingung oder 49

Renner, ZBB 2018, 278, 286 ff. Rechtsvergleichender Überblick zur Diskussion bei Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289; für vollumfängliche Disponibilität der gesellschaftsrechtlichen Treupflichten Hellgardt, FS Hopt 2010, 776; Klöhn, AcP 216 (2016), 281, 317, jeweils mit weiteren, auch rechtsvergleichenden Nachw.; dagegen, teils mit Abstufungen, Armbrüster, ZGR 2014, 333, 350 f.; Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199. 51 Einzelheiten mit Blick auf die Stimmrechtsausübung bei Renner, ZBB 2018, 278, 285 ff. 52 Renner, ZBB 2018, 278, 287 f. 53 Insbesondere von Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, 2016; dagegen aber Hofmann/Keller, ZHR 2011, 684, 718; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 254. 54 Kritik etwa bei Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 273; Servatius (Fn. 16), S. 193 ff.; Heldt, FS Teubner 2009, S. 315, 324; 50

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Modifikation der Treupflichten ex ante bliebe.55 Und schließlich bleibt die Notwendigkeit einer solchen Vertragsergänzung äußerst zweifelhaft angesichts der Tatsache, dass Sanierungssituationen von den Parteien marktüblicher Kredit- und Anleiheverträge durchaus antizipiert und geregelt werden.

IV. Allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot Somit folgen regelmäßig weder aus der Sonderbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner noch aus einer Sonderbeziehung der Gläubiger untereinander zwingende Schranken für die Kündigung von Kredit- oder Anleiheverträgen. Derartige Schranken können sich aber auch, wie der Jubilar in seinem maßgeblichen Beitrag mit vergleichendem Blick auf das französische Recht zeigt,56 aus dem allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot ergeben. Dogmatische Grundlage ist dann nicht, wie bei den Treupflichten aus Schuldvertrags- und Gesellschaftsrecht, eine Nebenpflicht aus Sonderbeziehung nach § 241 Abs. 2 BGB, sondern die Generalklausel des § 242 BGB. Das ist in zweierlei Hinsicht folgenreich. Erstens erlaubt auf Tatbestandsseite der Wortlaut des § 242 BGB „Rücksicht auf die Verkehrssitte“. Die Verhaltensanforderungen des § 242 BGB sind damit nicht ausschließlich aus der Interaktionsbeziehung der Vertragsparteien oder Gesellschafter abgeleitet, sondern sie beziehen auch den weiteren Kontext des Geschehens ein. Zweitens gewährt § 242 BGB auf Rechtsfolgenseite eine Einrede, die nicht ex ante abdingbar ist und der Durchsetzung von Kündigungsrechten unmittelbar entgegengehalten werden kann. Alle wesentlichen Gesichtspunkte, die im Zusammenhang mit einer Einschränkung vertraglicher Kündigungsrechte in Kredit- und Anleiheverträgen diskutiert werden, lassen sich aus dem Institut des Rechtsmissbrauchs herleiten.57 In der Wertungsoffenheit des Rechtsmissbrauchsverbots liegt dabei zugleich Stärke und Schwäche des Instituts,58 das erst jüngst wieder Gegenstand monographischer Untersuchungen geworden ist.59 Systematischer Ausgangspunkt für die Anwendung des Instituts im Kredit- und Anleiherecht kann in Anlehnung an Guski60 die Unterscheidung zweier 55 Zu diesem Argument J. Böhle, Das internationale Kreditkonsortium, Diss. Mannheim 2020. 56 Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 151 ff. 57 So schon Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 117 f. 58 Optimistisch Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 117 f.: Gegenüber den Treupflichten biete die Heranziehung des Instituts „den Vorteil, dass man …auf einen Jahrhunderte alten Vorrat an materiellen Wertungsgesichtspunkten zurückgreifen“ könne, der allerdings „nach wie vor der ‚rechtstheoretischen Präzisierung‘„ bedürfe; unter Verweis auf Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, 1956. 59 Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, 2019; Eichenhofer, Rechtsmissbrauch, 2020. 60 Guski (Fn. 59), S. 110 ff.

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Grundkonstellationen des Rechtsmissbrauchs sein: des inkonsistenten Gebrauchs von Autonomie (venire contra factum proprium) einerseits (unten 1) und der unrechtmäßigen Ausübung eines Rechts (exceptio doli) andererseits (unten 2). 1. Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens Das Verbot des selbstwidersprüchlichen Verhaltens ist unbestrittener Kern des Rechtsmissbrauchsverbots, auf das zahlreiche anerkannte Fallgruppen des § 242 BGB zurückgeführt werden können.61 Insoweit bestehen weitgehende inhaltliche Überschneidungen mit dem Gehalt der schuldvertraglichen Treupflichten (oben III.2).62 Jedenfalls soweit in einer konkreten Interaktionsbeziehung Verhaltenserwartungen der Gegenseite begründet werden, kann ein späteres Verhalten, das sich zu dieser Erwartung in Widerspruch setzt, rechtsmissbräuchlich sein. Wenn der Kreditnehmer davon ausgehen darf, dass sein Gläubiger eine Vertragsverletzung billigt, kann der Gläubiger jedenfalls nicht ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche Kündigung aussprechen.63 Das aus § 242 BGB folgende Verbot des venire contra factum proprium ist – anders als vertragliche und gesellschaftsrechtliche Treupflichten (oben III.2 und III.3) – unabdingbar.64 Wie bei den Treupflichten gilt allerdings auch für das Rechtsmissbrauchsverbot: Soweit keine konkrete anderweitige Verhaltenserwartung begründet wurde, kann diese der Kündigung eines Kredits oder einer Anleihe nicht entgegenstehen. In Konstellationen wie dem Windstream-Fall, in dem ein Finanzinvestor Anleihen auf dem Sekundärmarkt erwirbt und sodann eine Kündigung wegen Covenant-Verstößen ausspricht, verhält sich der Investor nicht widersprüchlich mit Blick auf sein eigenes Vorverhalten. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, inwieweit kündigungsbeschränkende Verhaltenserwartungen des Schuldners auch jenseits der unmittelbaren Interaktionsbeziehung mit dem kündigenden Gläubiger begründet werden können. Mit anderen Worten: Kann eine Kündigung rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie dem Vorverhalten anderer Gläubiger oder der allgemeinen Marktpraxis diametral zuwiderläuft? In der Windstream-Konstellation wurde der kündigungsauslösende Covenant-Verstoß vor dem Anleiheerwerb durch Aurelius von den anderen Gläubigern über Jahre nicht sanktioniert (oben II.2). Es widersprach auch der üblichen Marktpraxis, dass Aurelius unmittelbar zur Kündigung schritt, ohne zuvor mit Windstream und den übrigen Gläubigern über eine Konditionenanpas61 62 63 64

Überblick bei Grüneberg in Palandt, 78. Aufl. 2019, § 242 Rn. 55 ff. Zu dieser Überschneidung auch Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 118. Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162. Schubert (Fn. 46), Rn. 92.

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sung zu verhandeln (oben II.1). Aber macht das die Kündigung in casu rechtsmissbräuchlich? Tatsächlich erfasst das Rechtsmissbrauchsverbot über den Verweis auf die „Verkehrssitte“ potentiell auch Konstellationen, in denen bestimmte Verhaltenserwartungen nicht in einer konkreten Interaktionsbeziehung, sondern im weiteren institutionellen Kontext von „Markt und Organisation“ begründet werden.65 Bezogen auf das Beispiel Windstream spricht einiges dafür, dass hier das Schuldnerunternehmen zum Zeitpunkt der Anleihekündigung im Jahr 2017 sowohl angesichts der Marktusancen als auch angesichts des Vorverhaltens der übrigen Gläubiger darauf vertrauen durfte, dass die Covenant-Verletzungen der Vergangenheit nicht durch Kündigung sanktioniert würden.66 Allerdings kann auch bei der Begründung eines kontextbezogenen Vertrauensschutzes über § 242 BGB nicht vollständig auf einen Verhaltensbezug verzichtet werden.67 Es ist also erforderlich, dass für den kündigenden Gläubiger das Vertrauen des Schuldnerunternehmens auf den Fortbestand der Anleihebeziehung „zumindest erkennbar und verhinderbar, wenn nicht gar bekannt und geduldet“ war.68 Genau dies ist aber oftmals nicht der Fall. Im Windstream-Beispielfall hatte der Neugläubiger Aurelius überhaupt keine Möglichkeit, die Entstehung eines Vertrauenstatbestands auf Schuldnerseite zu verhindern, eine Zurechnung des entstandenen Vertrauens muss daran scheitern. 2. Rechtswidrige Rechtsausübung Als rechtsmissbräuchlich kann sich die Anleihekündigung in einem solchen Fall dann nur unter dem Gesichtspunkt der exceptio doli erweisen. Dieser Topos mit langer Tradition69 setzt im Kern voraus, dass die Ausübung eines Rechts ihrerseits rechtswidrig ist. Die paradoxe Struktur des Arguments lässt sich letztlich nur durch den Verweis auf einen externen Maßstab auflösen: Rechtsmissbräuchlich ist die Ausübung eines Rechts, wenn sie gegen Verfassungswerte, Moral, Vernunft, Gemeinwohl etc. verstößt. Üblicherweise werden diese Gesichtspunkte heute in einer umfassenden „Interessenabwägung“ zusammengeführt.70 Hier findet auch die 65 Teubner, in: Alzernativkommentar zum BGB, 1. Aufl. 1980, § 242 Rn. 47; zur Verkehrssitte als Verweis „auf die in einer Gesellschaft“ (oder deren Teilbereichen bzw. Untergruppen) tatsächlich geltende Verhaltensordnung MünchKommBGB-Schubert (Fn. 47), Rn. 11. 66 Dagegen spricht allerdings, dass so genannte „loan to own“-Strategien am Markt seit langem bekannt sind und damit ein kooperatives Verhalten von Neugläubigern aus Sicht des Schuldners keineswegs sicher zu erwarten ist. 67 Schubert (Fn. 46), Rn. 318. 68 Vgl. Schubert (Fn. 46), Rn. 318. 69 Dazu Eichenhofer (Fn. 59), S. 105 ff. 70 Etwa Schubert (Fn. 46), Rn. 46 ff.

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Verhältnismäßigkeitskontrolle ihren Ort, die im Zusammenhang mit der Kredit- und Anleihekündigung als Verbot übermäßiger Schädigung diskutiert wird.71 Selbst ein strategischer Einsatz von Kündigungsrechten wie im Fall Windstream, der womöglich bewusst auf eine Insolvenz des Schuldners abzielt, verstößt aber nicht notwendigerweise gegen das Verbot übermäßiger Schädigung. Denn auch ungeachtet des Eigeninteresses des kündigenden Gläubigers mag die Kündigung der Kredit- oder Anleihebeziehung in einem solchen Fall aus übergeordneten Gesichtspunkten sinnvoll sein. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es nämlich keineswegs eindeutig, dass eine strikte Durchsetzung von Kredit- und Anleihebedingungen in der Summe negative Folgen zeitigt. Zwar ist der wirtschaftliche Ausfall des Schuldnerunternehmens vielfach problematisch. Zugleich dürfte das Auftreten von Finanzinvestoren als „Enforcern“ auf den Fremdkapitalmärkten aber positive generalpräventive Effekte hinsichtlich der zukünftigen Einhaltung von Covenants mit sich bringen. Sein Drohpotential entfaltet das marktübliche System von Verhaltenspflichten und Sanktionen in Kredit- und Anleiheverträgen (oben II.1) nämlich nur dann, wenn eine Kündigung von Kredit oder Anleihe stets als möglich und realistisch erscheint.

V. Ausblick Dem strategischen Einsatz von Kündigungsrechten im Kredit- und Anleiherecht sind damit nur sehr weite Grenzen gezogen. Dogmatisch ergeben sie sich in erster Linie aus dem allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot. Sachlich finden sie ihre Rechtfertigung im individuellen und institutionellen Vertrauensschutz. Soweit kein konkretes individuelles Verhalten eines Schuldners auf die Fortführung einer Kredit- oder Anleihebeziehung begründet wurde, ergibt sich die Reichweite des institutionellen Vertrauensschutzes aus wirtschaftsrechtlichen „Grundentscheidungen“.72 Zentral ist dabei der Gedanke, dass die Risiken der Fremdkapitalfinanzierung über den Marktmechanismus verteilt werden.73 Wenn die Fremdkapitalgeber das Ausfallrisiko von Kredit oder Anleihe übernehmen, müssen sie sich gegen einen Forderungsausfall wirksam vertraglich absichern können. Dazu gehört bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung auch, dass für die Kündigung eines Kredits oder einer Anleihe grundsätzlich die Berufung auf den Wortlaut der vertraglichen Kündigungsklausel ausreichen muss, damit vertragliche Verhaltenspflichten auch tatsächlich durchsetzbar sind. 71

Beispielhaft Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 128 ff.; Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 162 f. So schon Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 172. 73 Zur grundsätzlichen Risikoverteilung im Kreditrecht Renner, in: Grundmann (Hrsg.), Bankvertragsrecht, 2020, Vierter Teil Rn. 98. 72

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Gerade in neuen Konstellationen erweist sich damit die anhaltende Relevanz der Grundfragen des Kreditrechts, die den Jubilar schon vor gut vierzig Jahren beschäftigt haben. Zugleich zeigt sich, dass auch die Komplexität komplexer Finanzmarktstrukturen an die hergebrachten Kategorien des Zivilrechts zurückgebunden werden kann, wenn dieses sich mit den Methoden von Rechtsvergleichung, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften für eine genaue Beschreibung der Praxis öffnet.

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Die Transparenzrichtlinie 2019/1152 Grund-Rechtsakt für das Arbeitsrecht der digitalen Wirtschaft* KARL RIESENHUBER

Transparenz ist seit langem etablierte „Regulierungsmethode“ in den Kerngebieten von Klaus Hopts Forschungstätigkeit, im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht sowie im Bereich der Corporate Governance.1 Als ein autonomieschonendes und marktfreundliches Instrument2 hat Transparenz auch im Vertragsrecht einen prominenten – wenn auch in jüngerer Zeit öfter in Frage gestellten – Platz.3 Im Arbeitsrecht kommen Informationspflichten vor allem im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung vor; hier geht es um die Grundlage der Mitbestimmung. Im Individualarbeitsrecht hingegen setzt der Gesetzgeber typischerweise auf zwingendes Recht. Davon hebt sich die am 20. Juni 2019 verabschiedete Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen ab, die man auch als „(arbeitsrechtliche) Transparenzrichtlinie“ bezeichnen kann. Sie reformiert die Nachweisrichtlinie 91/533 und erweitert sie substantiell. Lag bereits 1991 der Fokus auf einer Regulierung atypischer Arbeitsverhältnisse, so tritt dies in der neuen Richtlinie durch die Einfügung eines neuen Kapitels über sog. Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen noch deutlicher hervor. Als Antwort des Unionsgesetzgebers auf die infolge der Digitalisierung veränderte und sich verändernde Arbeitswelt erweist sich die Richtlinie als Grund-Rechtsakt für das Arbeitsrecht der digitalen Wirtschaft.

* Der Beitrag ist während meines Fellowships am Center for Advanced Internet Studies (CAIS), Bochum, entstanden. Ich danke seinem Direktor Prof. Dr. Michael Baurmann und den Teilnehmern des Kolloquiums für Anregungen und vielfältige Unterstützung. 1 Exemplarisch Hopt, ZGR 2013, 165 ff. 2 Hopt, ZGR 2013, 165, 214. 3 Grundlegend Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.; ders./Kerber/Weatherill, Party Autonomy and the Role of Information (2000).

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I. Transparenz und Vorhersehbarkeit in einem sich ändernden Arbeitsmarkt Die Nachweisrichtlinie von 19914 (NwRL) war ein Novum im deutschen Arbeitsrecht.5 Das zentrale Schutzinstrument – Information über die Arbeitsbedingungen – beruhte auf einem britischen Vorbild6 und sorgte für Erstaunen und Fragen.7 Schon 1991 reagierte der Europäische Gesetzgeber auf eine sich verändernde Arbeitswelt: „Die Entwicklung neuer Arbeitsformen in den Mitgliedstaaten hat zu einer Vielfalt der Arten von Arbeitsverhältnissen geführt“ (BE 1 NwRL). Der Nachweis sollte zum einen dazu dienen, Arbeitnehmer ihrer Rechte zu versichern, um so die Durchsetzung zu erleichtern. Zum anderen, auf einer Makroebene, griff der Unionsgesetzgeber mit dem Nachweis von Arbeitsbedingungen aber auch das Anliegen auf, „den Arbeitsmarkt transparenter zu gestalten“ (BE 2 S. 2 NwRL). In ähnlicher Weise ist jetzt – vor allem – die digitalisierungsgetriebene Veränderung des Arbeitsmarktes Anlass für die Reform und Weiterentwicklung8 der Nachweisrichtlinie zur Transparenzrichtlinie 2019/11529 (TpRL)10: „Seit dem Erlass der Richtlinie 91/533/EWG des Rates hat es auf den Arbeitsmärkten aufgrund der demografischen Entwicklung und der Digitalisierung, die zur Entstehung neuer Formen der Beschäftigung geführt haben, tief greifende Veränderungen gegeben, die Innovationen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Belebung des Arbeitsmarktes gefördert haben.“ (BE 4 S. 1 TpRL).

Der Regelungsansatz des Gesetzgebers bleibt im Ausgangspunkt unverändert. Im Grundsatz sieht die Richtlinie einen Schutz durch Information 4

Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen, ABl. 1991 L 288/32. 5 Zu ihr eingehend Maul-Sartori, Europäische arbeitsverhältnisbezogene Informationsrechte (2008); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht (2009), § 12; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht (3. Aufl. 2017), § 8. 6 Kenner, ILJ 28 (1999), 205–231. 7 S. nur Preis, NZA 1997, 10 ff. (unter dem Titel: „Nachweisgesetz – lästige Förmelei oder arbeitsrechtliche Zeitbombe?“). 8 Zwar wird die Nachweisrichtlinie 91/533 aufgehoben, Art. 24, BE 51 TpRL, doch bleiben ihre Regeln im Kern in überarbeiteter Form erhalten; sie werden lediglich um weitere Bestimmungen über Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen ergänzt. 9 Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union, ABl. 2019 L 186/105. 10 Die von Maul-Sartori, NZA 2019, 1161 ff. vorgeschlagene Bezeichnung als „Arbeitsbedingungen-Richtlinie“ scheint mir weniger treffend, da das primäre Ziel auch nach der amtlichen Bezeichnung im Bereich der Transparenz liegt. Es geht auch keineswegs um Arbeitsbedingungen allgemein, sondern nur um einzelne, für atypische Arbeitsverhältnisse besonders bedeutsame Arbeitsbedingungen.

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vor. Die Nachweispflichten des Arbeitgebers bleiben bestehen und werden nur etwas ergänzt und modernisiert. Ergänzend formuliert Kapitel III der Richtlinie jetzt allerdings „Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen“. Diese knüpfen zum Teil an die Nachweispflichten an, gehen aber auch darüber hinaus. Ungeachtet dessen bleibt die Regulierung zurückhaltend. Die Mindestanforderungen sollen neue atypische Arbeitsformen nicht verhindern, sondern „ein angemessenes Maß an Transparenz und Vorhersehbarkeit ihrer Arbeitsbedingungen garantieren (…), wobei gleichzeitig ein angemessenes Maß an Flexibilität atypischer Arbeitsverhältnisse beizubehalten ist, damit die Vorteile für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber gewahrt werden“ (BE 6 TpRL). Damit dient die Richtlinie zugleich der Umsetzung verschiedener sozialer Grundrechte. Sie trägt zunächst zur Verwirklichung des Grundrechts „auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“ bei, Art. 31 Abs. 1 GRCh. Ebenso dient sie der Umsetzung von Nr. 5 und 7 der Europäischen Säule Sozialer Rechte (ESSR), BE 1–3 TpRL. Nr. 5 ESSR proklamiert ein Recht auf sichere und anpassungsfähige Beschäftigung, Nr. 7 ein Recht auf Informationen über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz. Sieht man den Regelungszweck der Richtlinie gerade darin, neuen Formen der Arbeitsvertragsgestaltung Rechnung zu tragen, so steht die Transparenzrichtlinie in engem sachlichen Zusammenhang mit den Regelungen atypischer Arbeitsverhältnisse, vor allem den Richtlinien über Teilzeitarbeit (97/81), befristete Arbeitsverhältnisse (1999/70) und Leiharbeit (2008/ 104). Dieser Zusammenhang wird noch durch die Vorschriften über Mindestarbeitsbedingungen verstärkt, da diese durchgehend auf den Schutz atypischer Arbeitnehmer abzielen. Mit der speziellen Nachweispflicht für den Fall der Entsendung steht die Richtlinie in einem Zusammenhang mit der (kürzlich reformierten) Arbeitnehmerentsenderichtlinie 96/71 (AEntRL).

II. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich ergibt sich im Grundsatz aus Art. 1 Abs. 2 TpRL; Absätze 3, 4, 6 und 8 der Vorschrift räumen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, bestimmte Ausnahmen davon vorzusehen. 1. Der persönlich-sachliche Anwendungsbereich Die Transparenzrichtlinie gilt „für jeden Arbeitnehmer in der Union (…), der nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht“, Art. 1 Abs. 2 TpRL.

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Für die Vorgängerregelung von Art. 1 Abs. 1 NwRL war streitig, ob es sich um einen unionsautonomen Begriff handelt – und wie dieser dann auszulegen wäre – oder um eine Verweisung auf das mitgliedstaatliche Recht.11 Bei der Neuregelung hat der Gesetzgeber nicht nur die Chance verpasst, die Frage selbst kraftvoll zu entscheiden – ob in die eine oder andere Richtung. Er hat darüber hinaus einen ausweichenden Formelkompromiss verabschiedet, der die Auslegung zusätzlich erschwert. Auslegungserwägungen für die eine oder andere Lösung halten sich nahezu die Waage. Die verabschiedete Richtlinie enthält wiederum keine eigene Definition. Im Kommissionsvorschlag war dies noch anders, dessen Art. 2 bestimmte in Abs. 1 lit. a) bis c): Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck (a) „Arbeitnehmerin“ oder „Arbeitnehmer“ eine natürliche Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält; (b) „Arbeitgeber“ eine oder mehrere natürliche oder juristische Person(en), die unmittelbar oder mittelbar Partei eines Beschäftigungsverhältnisses mit einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer ist bzw. sind; (c) „Beschäftigungsverhältnis“ das Arbeitsverhältnis zwischen den oben definierten Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern und Arbeitgebern.12

Damit hatte die Kommission im Wesentlichen den weiten Arbeitnehmerbegriff der Grundfreiheiten-Rechtsprechung des EuGH übernommen.13 Im Gesetzgebungsverfahren konnte sie sich damit nicht durchsetzen.14 Gleichwohl bleibt unklar, wie der Begriff auszulegen ist. Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 TpRL deutet insofern auf einen mitgliedstaatlich autonomen Begriff, als darin von Arbeitnehmern die Rede ist, die „nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag ha[ben] oder in einem Arbeitsverhältnis steh[en]“.15 Andererseits könnte der Zweck der Rechtsangleichung für einen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff sprechen, da es dem Gesetzgeber gerade darum ging, die – auch innerhalb der Union – unterschiedlichen „Arbeitsformen“ vollständig zu erfassen. Systematisch spricht für einen unionsautonomen Begriff, dass Art. 1 Abs. 6 TpRL eine (eingeschränkte) Ausnahmeoption u.a. für Beamte, Soldaten und Richter vorsieht und demnach voraussetzt, dass sie vom Arbeitnehmerbegriff des Abs. 2 zunächst mit erfasst werden. Wie das Beispiel des deutschen Rechts 11 Für einen unionsautonomen Begriff Riesenhuber (Fn. 5), § 12 Rn. 7; dem folgend Kolbe, EuZA 2020, 35, 37; Thüsing (Fn. 5), § 8 Rn. 6 f.; a.M. etwa Wank, RdA 1996, 21, 22; ders., EuZW 2018, 21, 22. 12 COM(2017) 797 final/2. Dazu Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 373. 13 Zu ihm Riesenhuber (Fn. 5), § 3 Rn. 9 ff.; Thüsing (Fn. 5), § 2 Rn. 12 ff. 14 Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1162 f. 15 Ebenso Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 329.

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zeigt, ist dies nach mitgliedstaatlichem Recht nicht zwingend der Fall, sodass dieses Ergebnis nur durch einen unionsautonomen Begriff sichergestellt wäre. Freilich ließe sich die Regelung auch durch eine versehentliche Auslassung bei Absatz 2 erklären. Aufschluss könnte die Anordnung am Ende von Art. 1 Abs. 2 TpRL geben bei der Bestimmung des persönlichen Schutzbereichs die Rechtsprechung des Gerichtshofs „zu berücksichtigen“, auf die auch BE 8 TpRL verweist. In den dort zitierten Entscheidungen hat der EuGH für das Primärrecht16 sowie für die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88,17 die Massenentlassungsrichtlinie 98/5918 und die Leiharbeitsrichtlinie 2008/10419 einen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff begründet. Danach besteht „[d]as wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses (…) darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.“20 Besonders weit geht dabei die Entscheidung im Fall Ruhrklinik. Dort hat der Gerichtshof die Bestimmung von Art. 3 Abs. 1 lit. a) LARL auszulegen, wonach „Arbeitnehmer“ „eine Person (ist), die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist“. In einer sophistisch anmutenden Argumentation sagt der Gerichtshof, geschützt werde jede Person, die unter den (weiten) unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff falle und (zusätzlich) nach nationalem Recht „aufgrund der Arbeitsleistung, die sie erbringt, geschützt ist“.21 Was daraus für die Auslegung der Transparenzrichtlinie folgen soll, bleibt jedoch unklar. Da die zitierten Entscheidungen teils das Primärrecht, teils anders formulierte Sekundärrechtsvorschriften betreffen, lassen sich ihnen keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 TpRL entnehmen.22 Der Umstand, dass der Gerichtshof darin jeweils zu einem unionsautonomen Verständnis gekommen ist, auch wenn der Wortlaut das nicht unbedingt nahelegte, könnte die Erwartung ausdrücken, hier werde der EuGH zum selben Ergebnis kommen. Ebenso könnte die ungewöhnliche Verweisung aber auch als Überantwortung der Entscheidung an den EuGH zu verstehen sein. Denn jedenfalls die früher ausgelegten Sekundärrechtsakte enthielten keine unzweideutige gesetzgeberische Definition, 16

EuGH v. 3.7.1986 – Rs. C-66/85 Lawrie-Blum, EU:C:1986:284 Rn. 16 f.; EuGH v. 4.12.2014 – Rs. C-413/13 FNV Kunsten Informatie en Media, EU:C:2014:2411 Rn. 34. 17 EuGH v. 14.10.2010 – Rs. C-428/09 Union syndicale Solidaires Isère, EU:C:2010:612 Rn. 28 f. 18 EuGH v. 9.7.2015 – Rs. C-229/14 Balkaya, EU:C:2015:455 Rn. 33 f. 19 EuGH v. 17.11.2016 – Rs. C-216/15 Ruhrlandklinik, EU:C:2016:883 Rn. 25 ff. 20 So mit kleineren sprachlichen Variationen die Entscheidungen Fn. 16–19. 21 Näher zur Auslegung und Kritik EuArbR/Rebhahn/Schörghofer, Art. 3 RL 2008/ 104 Rn. 3 ff. 22 Ebenso Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 329 f. mit dem Hinweis, dass BE 8 im Wesentlichen bereits im Kommissionsvorschlag enthalten war, der jedoch noch eine unionsautonome Begriffsbestimmung im verfügenden Teil enthielt.

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und der Gesetzgeber segnet die Gerichtsentscheidung hiermit ab. Freilich werden all diese Erwägungen dadurch verdunkelt, dass die Rechtsprechung lediglich „zu berücksichtigen“ ist. Insgesamt bleibt die Verweisung auf die EuGH-Rechtsprechung mithin unergiebig. Stellt man in Rechnung, dass die Rechtslage bislang unter Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck nicht klar und umstritten war und die Verweisung auf die Rechtsprechung des EuGH auch deswegen unklar ist, weil es dort um die Auslegung anderer und anders formulierter Normen ging, spricht das eher gegen einen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff. Wenn die Kommission diesen Begriff einführen wollte, sich damit aber im Gesetzgebungsverfahren gerade nicht durchsetzen konnte, kann der Regelung nicht im Wege der Auslegung just das Ergebnis entnommen werden, das die erforderlichen Mehrheiten nicht fand.23 Andererseits kann jedoch die unterbliebene Definition schlicht darauf hindeuten, dass man es bei der früheren Rechtslage belassen wollte (auch wenn diese unklar und umstritten war). In der Sache bedeutet das eine Delegation der Entscheidung an den EuGH. Verlässt man die methodische Rechtsfindung zugunsten einer Rechtsprechungskunde,24 so liegt freilich die Erwartung nahe, der Gerichtshof werde die gewisse sprachliche Ähnlichkeit mit der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 lit. a) LARL zur Grundlage nehmen, auch Art. 1 Abs. 2 TpRL im Kern unionsautonom zu verstehen.25 Der Entscheidung Ruhrlandklinik folgend wäre der Begriff des „Arbeitnehmers in der Union“ unionsautonom zu verstehen und ebenso auszulegen wie der oben zitierte Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV. Das mitgliedstaatliche Recht käme nur noch insofern zum Tragen, als dieser (unionsautonom bestimmte) Arbeitnehmer nach dem jeweils anwendbaren mitgliedstaatlichen Recht entweder einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen muss. Anders als in der Leiharbeitsrichtlinie ist hier allerdings nicht die Rede von dem Arbeitnehmer, der „nach dem nationalen Recht als Arbeitnehmer geschützt“ ist. Doch lässt sich die Verweisung auf denjenigen, der „in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht“ in ähnlicher Weise abstrahierend verstehen: Der (unionsautonom bestimmte) Arbeitnehmer müsste entweder einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Dienstverhältnis stehen, das einem Arbeitsverhältnis nach nationalem Recht ähnlich ist. Fest steht damit nur, dass mit Art. 1 Abs. 2 TpRL durch die Verweisung auf die Rechtsprechung ein neuer Tiefpunkt unionaler Rechtsetzungskunst erreicht ist. Mag es auch Fragen geben, die mit guten Gründen „Rechtsprechung und Lehre“ zur Beantwortung überlassen werden, so trifft das doch si23

In diese Richtung auch Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 324 und 327. Resignierend auch Henssler/Pant, RdA 2019, 321 („Ob er [sc. der EuGH] sich daran [sc. das methodengerecht begründete Auslegungsergebnis] hält, bleibt abzuwarten.“). 25 So auch Kolbe, EuZA 2020, 35, 37. 24

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cher dort nicht zu, wo sich Gesetzgebungsorgane nicht einig werden. Die Verweisung an eine unpassende und methodisch umstrittene Rechtsprechung gleicht zudem einem Glücksspiel. Dann aber wäre es besser, die Gesetzgebungsorgane würden eine Münze werfen – und die Sache dann klar regeln. 2. Ausnahmeoptionen Art. 1 Abs. 3, 4 f. und 6–8 NwRL enthält Ausnahmen und mitgliedstaatliche Ausnahmeoptionen vom Anwendungsbereich oder einzelnen Vorschriften. a) Geringfügig Beschäftigte Die Mitgliedstaaten können geringfügig Beschäftigte mit einer Arbeitszeit von durchschnittlich nicht mehr als drei Stunden wöchentlich, berechnet über einen Referenzzeitraum von vier Wochen, vom Anwendungsbereich ausnehmen, Art. 1 Abs. 3 TpRL. Maßgeblich ist die im Voraus festgelegte und tatsächlich geleistete Arbeitszeit; auch Überstunden zählen mit (BE 11 S. 2 TpRL). Dabei sind die Arbeitszeiten bei allen Konzernunternehmen (einer „Gruppe oder Organisation“) zusammenzurechnen. Nach der – freilich nur in BE 11 S. 3 TpRL ausgedrückten – Vorstellung des Gesetzgebers gilt diese Ausnahme nur, soweit der Dreistunden-Durchschnitt gewahrt ist. Ab dem Zeitpunkt, in dem die Grenze überschritten wird, greifen die Verpflichtungen der Richtlinie ein. Die Ausnahmeoption trägt dem gegenläufigen Interesse des Arbeitgebers Rechnung, einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Die Ausnahmeoption besteht nach Absatz 4 der Vorschrift nicht, wenn vor Beschäftigungsbeginn kein garantierter Umfang bezahlter Arbeit festgelegt ist. Der Gesetzgeber hat an sog. Null-Stunden- oder Abrufverträge gedacht, bei denen die Arbeitnehmer besonders gefährdet sind, BE 12 TpRL. Entfallen ist die Ausnahmeoption der Nachweisrichtlinie für kurzfristige Arbeitsverhältnisse26. Das erscheint wenig konsequent, da gerade hier der Verwaltungsaufwand unverhältnismäßig sein kann. Auch die Ausnahmeoptionen für gelegentliche Tätigkeiten und Tätigkeiten „besonderer Art“27 enthält die Transparenzrichtlinie nicht mehr. b) Haushaltstätigkeit Von einzelnen Bestimmungen der Richtlinie können die Mitgliedstaaten natürliche Personen ausnehmen, die als Arbeitgeber in Haushalten für Arbeit in diesen Haushalten fungieren (BE 14 TpRL). Für Haushaltshilfen passen die Regelungen über den Übergang zu einer anderen Arbeitsform 26 27

Riesenhuber (Fn. 5), § 12 Rn. 11. Riesenhuber (Fn. 5), § 12 Rn. 12 f.

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(Art. 12), über Pflichtfortbildungen (Art. 13) und die Vermutung von 15 Abs. 1 lit. a) TpRL nicht. c) Beamte, Katastrophenschutz, Streitkräfte, öffentlicher Dienst Die Mitgliedstaaten können Beamte, Katastrophenschutzorganisationen, die Streitkräfte, die Polizeibehörden, Richter, Staatsanwälte, Ermittler oder andere Strafverfolgungsbehörden von den Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen (Kapitel III) ausnehmen, soweit es dafür „objektive Gründe“ gibt. Das Erfordernis objektiver Gründe deutet darauf hin, dass die Ausnahme nicht etwa pauschal (z.B. für sämtliche Polizeibehörden oder Richter) vorgesehen werden darf, sondern im Hinblick auf die Mindestanforderungen von Kapitel III tätigkeitsspezifisch begründet sein muss.28 Die Ausnahme muss „aufgrund des besonderen Charakters der Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, oder ihrer Beschäftigungsbedingungen, gerechtfertigt“ sein (BE 9 TpRL). Z.B. kann man daran denken, dass die Anforderungen der Mindestvorhersehbarkeit für Katastrophenschutzorganisationen nicht gelten. Insgesamt erscheint die Ausnahmeoption indes sehr weit gefasst. So ist nicht ersichtlich, dass die genannten Berufszweige von den Vorschriften über die Probezeit oder die Mehrfachbeschäftigung ausgenommen werden müssten, zumal die Einzelregeln ihrerseits sachlich begründete Abweichungen zulassen.

III. Nachweispflichten 1. Übersicht Die Transparenzrichtlinie verpflichtet den Arbeitgeber in der Grundvorschrift des Art. 4 TpRL, einen Nachweis über die wesentlichen Arbeitsbedingungen zu erteilen, Modalitäten regelt Art. 4 NwRL (nachfolgend 2.b)). Ergänzende Nachweispflichten – besondere Inhalte und Fristen – ergeben sich aus Art. 6 und 7 TpRL für die Fälle der nachträglichen Änderung der Arbeitsbedingungen und der Entsendung. Die Rechtsfolgen, die der Gesetzgeber der Nachweisrichtlinie noch weitgehend unbestimmt gelassen hatte, sind in der Transparenzrichtlinie näher konturiert (dazu unten, V.1.). Im Übrigen ergeben sich dafür aus den Umsetzungspflichten rahmenhafte Vorgaben. Die Regelung der Nachweispflichten ist damit weitgehend übersichtlich. Auslegungsfragen ergeben sich vor allem daraus, dass der Gesetzgeber den Katalog der nachzuweisenden Einzelheiten in Art. 4 Abs. 2 TpRL durch eine Generalklausel in Absatz 1 der Vorschrift ergänzt hat, das Verhältnis der Vorschriften zueinander aber im Folgenden nicht durchgehend bedacht. 28

Das würde auch den Bedenken von Kolbe, EuZA 2020, 35, 38 Rechnung tragen.

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2. Die allgemeine Nachweispflicht a) Inhalt Grundvorschrift ist Art. 4 Abs. 1 TpRL. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten. Diese Generalklausel wird durch einen Katalog von Mindestangaben in Absatz 2 ergänzt. Das Verhältnis von Generalklausel und Katalog ist sprachlich deutlich,29 der Katalog enthält nur Mindestangaben und entbindet den Arbeitgeber nicht von der Pflicht, auch weitere, darin nicht enthaltene Bedingungen mitzuteilen.30 Das hat deshalb einen guten Sinn, weil der Gesetzgeber gerade davon ausging, dass die Vielfalt der Arbeitsformen zu ganz unterschiedlichen und nicht schon überschaubaren Bedingungen erfolgt. Rechtspolitisch kann man die Wahl einer Generalklausel gleichwohl kritisieren, da sie für den Arbeitgeber die Dokumentationslast übermäßig erschwert und das daraus folgende Konfliktpotenzial Prozesse heraufbeschwören kann. Das führt zu Rechtsunsicherheit und einem – gerade den Arbeitnehmer belastenden – Prozessrisiko. Die Bestimmung, welche Punkte des Arbeitsvertrags „wesentlich“ sind, bereitet Schwierigkeiten. Wenig hilfreich ist die Formulierung des EuGH, wesentlich seien „alle Punkte des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, die von wesentlicher Bedeutung sind“.31 Wesentlich sind sicher die essentialia negotii, also die Arbeitstätigkeit und die Vergütung. Darüber hinaus gibt der Katalog von Art. 4 Abs. 2 TpRL Anhaltspunkte. Selbstverständliches, wie die allgemeine Treuepflicht des Arbeitnehmers, ist zwar ebenfalls wesentlich, braucht aber nicht eigens hervorgehoben zu werden.32 Da die Parteien das Wesentliche zudem zu notieren pflegen, wenn sie einen schriftlichen Vertrag formulieren, kann auch die Vertragspraxis Anhaltspunkte für die Bestimmung geben. Mit Rücksicht auf den Zweck der Generalklausel, auch für neue, zur Zeit der Gesetzgebung unbekannte Arbeitsformen eine Nachweispflicht für die wesentlichen Bedingungen zu statuieren, kann man den Katalog für die breite Masse der Normalfälle als abschließend ansehen. Nur in Sonderfällen können weitere Bedingungen als wesentlich anzusehen sein. 29 Ebenso schon Art. 2 Abs. 2 NwRL. Anders dagegen Art. 3 Abs. 2 V-TpRL (COM (2017) 797 final/2), wo „mindestens“ entfallen war; krit. Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 370. 30 Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1164. Zur Nachweisrichtlinie EuGH v. 8.2.2001 – Rs. C-350/99 Lange, Slg. 2001, I-1061 Rn. 20–23 (betr. die Pflicht, auf Anordnung des Arbeitgebers Überstunden zu leisten); BAGE 100, 225, 232. 31 EuGH v. 8.2.2001 – Rs. C-350/99 Lange, Slg. 2001, I-1061 Rn. 21, krit. Anm. Reichold, JZ 2001, 1026, 1027. 32 EuG v. 18.10.2001 – Rs. T-333/99 X ./. EZB, Slg. 2001, II-3021 Rn. 81–83.

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Der Katalog von Art. 4 Abs. 2 NwRL enthält jetzt fünfzehn Einzelpunkte (lit. a)–o)), die sich in drei Gruppen einteilen lassen. • Zur ersten Gruppe (lit. a)–e)) gehören die regelmäßig individuell bestimmten Daten und Vereinbarungen: Personalien der Parteien, Arbeitsort, Arbeitstätigkeit, Arbeitsbeginn und ggf. Befristung. • Die zweite Gruppe (lit. g)–k), o)) enthält Bedingungen, die oft durch Gesetz oder kollektive Vereinbarung bestimmt sind (Probezeit, Fortbildung, Urlaubszeit, Kündigungsfrist und -verfahren, Vergütung); der Nachweis kann daher auch durch eine Verweisung ersetzt werden, Art. 4 Abs. 3 NwRL. • Die Vorschrift von lit. n) (dritte Gruppe) verlangt von vornherein nur einen Verweis auf andere Rechtsquellen, nämlich Kollektivverträge. Eine Zwischenstellung zwischen der ersten und der zweiten Gruppe haben lit. l) und m), die die Arbeitsmuster betreffen.33 In der Nachweisrichtlinie war insoweit noch die „normale Tages- oder Wochenarbeitszeit“ anzugeben. Demgegenüber bezeichnet „Arbeitsmuster“ die Organisationsform der Arbeitszeit nach einem bestimmten Schema, das vom Arbeitgeber festgelegt wird, Art. 2 lit. c) TpRL (s.a. unten, IV.4.). Ist dieses „völlig oder größtenteils vorhersehbar“, so ist die Länge des Standardarbeitstages oder der Standardarbeitswoche anzugeben; lit. l) gehört zu den Angaben, die ggf. durch einen Hinweis auf Rechts- oder Kollektivnormen ersetzt werden können. Sind die Arbeitsmuster hingegen „völlig oder größtenteils unvorhersehbar“, umfasst der Nachweis die Rahmendaten, nämlich den Grundsatz, dass der Arbeitsplan variabel ist, die Anzahl garantierter Arbeitsstunden, Referenzstunden oder -tage, Mindestankündigungsfristen usf., lit. m). Die Nachweispflicht von lit. g)–l) und o) kann der Arbeitgeber auch durch einen Hinweis auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. die Satzungs- oder Tarifvertragsbestimmungen erfüllen, die für die entsprechenden Bereiche gelten, Art. 4 Abs. 3 TpRL. Diese – für das Pflichtengefüge im Arbeitsverhältnis zentrale – Vorschrift grenzt die Informations(beschaffungs)verantwortung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab und erleichtert dem Arbeitgeber den Nachweis. Sie ist Ausdruck des Prinzips der Selbstverantwortung, nach dem jeder sein Recht selbst kennen muss. Es ist nicht Sache des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Rechtskunde zu erteilen. Ungeachtet dessen reicht für den Hinweis auf die Rechtsquellen eine pauschale Formulierung nicht aus. Vielmehr ist für die einzelnen Gegenstände („entsprechenden Bereiche“) ein konkreter Hinweis erforderlich.34 33 34

S.a. Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1164. Wank, RdA 1996, 21, 23.

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Umstritten ist, wie weit die Nachweispflicht hinsichtlich der Kündigung gem. lit. j) reicht. Danach umfasst der Nachweis auch die Unterrichtung über „das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen“. Muss der Arbeitgeber danach auch auf eine Frist für die Kündigungsschutzklage wie jene des § 4 KSchG hinweisen?35 Der Wortlaut legt das nicht nahe, denn dabei geht es nicht um das „bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren“. Auch die anderen Einzelheiten von lit. j) beziehen sich deutlich auf Aspekte der Kündigung, nicht der Geltendmachung ihrer Unwirksamkeit. Allerdings erläutert BE 18: „Es sollte möglich sein, dass die Angaben zu dem bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltenden Verfahren die Frist für die Einreichung einer Klage gegen die Kündigung enthalten.“ Da jedoch der Wortlaut des verfügenden Teils in Art. 4 Abs. 2 lit. j) TpRL dafür kaum offen ist und BE 18 TpRL auch nur von einer „Möglichkeit“ spricht, dürfte darin lediglich ein Hinweis auf günstigere mitgliedstaatliche Bestimmungen liegen, wie sie nach Art. 20 Abs. 2 TpRL möglich sind. So verwendet der Gesetzgeber die Formulierung „es sollte möglich sein“ auch an anderer Stelle (BE 17, 28, 39). Schließlich sprechen auch systematisch-teleologische Erwägungen gegen eine Rechtsbelehrungspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Frist für die Kündigungsschutzklage. Muss schon allgemein jeder sein Recht kennen, so kann man gerade bei der streitigen Rechtsverfolgung vom Gegner keine rechtlichen Hinweise erwarten. b) Modalitäten des Nachweises Modalitäten des Nachweises regelt Art. 5 TpRL, der im Hinblick auf die Formerfordernisse durch die allgemeine Regelung von Art. 3 TpRL ergänzt wird. Die Informationen von Art. 4 Abs. 2 lit. a)-e), g), k), l) und m) sind dem Arbeitnehmer bis zum siebten Kalendertag nach Arbeitsbeginn (erster Arbeitstag) zu geben. Sie können auch schon vor Arbeitsbeginn gegeben werden, etwa dadurch, dass sie im Arbeitsvertrag genannt werden. Die übrigen Informationen des Katalogs von Art. 4 Abs. 2 TpRL sind dem Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Arbeitsbeginn zu geben. Im Falle einer Entsendung (unten 3.a)) sind die Informationen dem Arbeitnehmer vor der Abreise zu geben, Art. 7 Abs. 1 TpRL. Die Information muss zudem indivi35

Bejahend Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165.

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duell erteilt werden. Das ist dahin zu verstehen, dass der Informationspflichtige sie jedem einzelnen Arbeitnehmer geben muss und nicht etwa durch Aushang oder eine Rundmail kommunizieren kann. Die Informationen zu lit. a)–e), g), k), l) und m) können in Form eines oder mehrerer Dokumente bereitgestellt werden, die übrigen Informationen müssen in Form eines Dokuments bereitgestellt werden, Art. 5 Abs. 1 TpRL. Sie können in Papierform oder elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden, wobei die elektronische Form voraussetzt, dass die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- und Empfangsnachweis erhält, Art. 3 TpRL. Das ist eine zeitgemäße Änderung gegenüber der Nachweisrichtlinie, die noch ein Schriftstück verlangte. Obwohl das nicht mehr eigens hervorgehoben ist, kann auch ein schriftlicher Arbeitsvertrag die Nachweispflicht erfüllen.36 Für die nach Art. 5 Abs. 1 TpRL zu übermittelnden Dokumente können die Mitgliedstaaten „Vorlagen und Modelle“ entwickeln, die Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf einer (einzigen) offiziellen nationalen Website oder auf andere Weise zugänglich gemacht werden. Darin liegt eine sinnvolle Erleichterung für den Arbeitgeber, wie sie in vergleichbarer Form aus dem Verbraucherrecht (Musterwiderrufsbelehrung gem. Anhang I Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83) bekannt ist. Für die Information über Rechts- oder Kollektivnormen statuiert Art. 5 Abs. 3 TpRL ein Transparenz- und Zugänglichkeitsgebot: Solche Informationen müssen „allgemein und kostenlos sowie in klarer, transparenter, umfassender und leicht zugänglicher Art und Weise durch Fernkommunikationsmittel und auf elektronischem Wege zur Verfügung gestellt werden, darunter auf bestehenden Online-Portalen“. Keine ausdrücklichen Vorgaben enthält die Richtlinie über Formulierung und Gestaltung des Nachweises im Übrigen. Sie ergeben sich indes aus dem Zweck der Unterrichtung und dem Wesentlichkeitsgebot. Der Nachweis muss klar und verständlich formuliert und gestaltet (geordnet) sein (Transparenzgrundsatz). Das Wesentliche darf auch nicht durch ein Übermaß an Einzelheiten verschleiert werden. Art. 5 Abs. 1 (Frist und Form) und 2 (Vorlagen und Modelle) TpRL bezieht sich nur auf den Katalog von Art. 4 Abs. 2 TpRL, nicht aber auf die Generalklausel von Art. 4 Abs. 1 TpRL. Darin dürfte indes ein Redaktionsversehen zu sehen sein. Auch solche wesentlichen Punkte des Arbeitsvertrags (Art. 4 Abs. 1 TpRL), die nicht im Katalog von Absatz 2 aufgeführt sind, sind in der von Art. 5 Abs. 1 TpRL bestimmten Form und Frist nachzuweisen. Auch insoweit kommen immerhin rahmenhafte Vorlagen in Betracht. 36

Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1163 f.

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3. Besondere Nachweispflichten Besondere Nachweispflichten bestehen bei der Entsendung ins Ausland und einer Änderung der Arbeitsbedingungen. a) Bei Entsendung (i.w.S.) Zusätzliche Nachweispflichten entstehen, wenn der Arbeitnehmer, der gewöhnlich in einem Mitgliedstaat arbeitet, in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland arbeiten soll. Das entspricht zwar nicht in Einzelheiten der Definition von Art. 1 Abs. 3 Arbeitnehmerentsende-Richtlinie 96/ 71, doch lässt sich auch bei diesem weiter gefassten Tatbestand von Entsendung sprechen. Welches Recht auf den Vertrag anwendbar ist, ergibt sich aus Art. 8 Rom I-VO. Im Regelfall ist es das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes, fehlt ein solcher, so findet das Recht des Mitgliedstaats der Einstellungsniederlassung Anwendung, ggf. das Recht eines anderen Mitgliedstaats, zu dem das Arbeitsverhältnis einen engeren Bezug hat. International zwingende Bestimmungen des Aufnahmelandes können sich nach Art. 9 Rom I-VO auch auf entsendete Arbeitnehmer erstrecken. Doch ergeben sich dafür Grenzen aus der Arbeitnehmerentsenderichtlinie 96/7137 und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV)38. Die Erstreckung der Nachweispflicht des Aufnahmelandes auf entsandte Arbeitnehmer hat der Gerichtshof – ungeachtet der Mindeststandardklausel von Art. 7 NwRL – für mit der AEntRL sowie der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar gehalten. Die Nachweispflicht zählt nicht zu dem von Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 AEntRL definierten „harten Kern“ arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen. Und weil die Nachweispflicht schon vom entsendenden Arbeitgeber erfüllt wird, erweist sich die Erstreckung der Nachweispflicht des Aufnahmelandes unter dem Gesichtspunkt der „Doppelbelastung“ auch als unverhältnismäßig. Für den Fall der Entsendung konkretisiert Art. 7 Abs. 1 TpRL – systematisch eine Ergänzung zu Art. 4 Abs. 1 und 2 TpRL – zusätzliche Mindestinhalte des Nachweises. Auch dieser Katalog ist nicht abschließend („zumindest“). Der Nachweis muss zusätzlich enthalten: (a) Entsendeland und Dauer des Auslandseinsatzes; (b) die Währung, in der die Vergütung erfolgt; (c) die mit den Arbeitsaufträgen verbundenen Geld- und Sachleistungen (z.B. Trennungs- oder Tagegeld, Unterkunft, Heimflüge); und (d) Angaben über das Ob und die Bedingungen einer Rückführung des Arbeitnehmers (über die von lit. c) erfassten Kosten hinaus insbes. Anspruch auf Rückkehr zum alten Arbeitsplatz). Handelt es sich um eine Entsendung i.S.d. Ent37 38

Dazu nur Riesenhuber (Fn. 5), § 6; ders., NZA 2018, 1433 ff. S. nur Riesenhuber (Fn. 5), § 3 Rn. 54 ff.

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senderichtlinie, ist der Arbeitnehmer nach Abs. 2 zusätzlich zu unterrichten über (a) die Vergütung, auf die sie nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats Anspruch haben, über (b) Entsendezulagen und Regelungen für die Erstattung von Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten sowie den Link zu der vom Aufnahmemitgliedstaat gem. Art. 5 Abs. 2 Entsende-Durchsetzungs-Richtlinie 2014/67 eingerichteten nationalen Website. Die Informationen zu Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 lit. a) können durch eine Verweisung auf Rechts-, Satzungs- oder Kollektivvorschriften ersetzt werden, Art. 4 Abs. 2 NwRL. Im Fall der Entsendung ist der gesamte Nachweis – nicht nur die zusätzlichen Inhalte nach Art. 7 Abs. 1 und 2 TpRL – spätestens vor Abreise des Arbeitnehmers zu erteilen, Art. 7 Abs. 1 TpRL. b) Bei Änderung der Bedingungen Soll der Nachweis den Arbeitnehmer zuverlässig über die Arbeitsbedingungen unterrichten, so versteht sich, dass auch nachträgliche Änderungen mitzuteilen sind, Art. 6 TpRL. Der Änderungsnachweis ist bei erster Gelegenheit zu geben, spätestens an dem Tag, an dem die Änderung wirksam wird. Art. 6 TpRL bezieht sich – ähnlich wie Art. 5 Abs. 1 und 2 NwRL – seinem Wortlaut nach nur auf Änderungen der Katalogangaben in Art. 4 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 TpRL. Nach dem Zweck der Nachweispflicht sind aber auch andere wesentliche Bedingungen nachzuweisen; der eingeschränkte Verweis dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen. Der Änderungsnachweis ist nach Art. 6 Abs. 2 TpRL entbehrlich, wenn es sich um eine Änderung in Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Satzungsbestimmungen oder Kollektivverträgen handelt, auf die im Nachweis gem. Art. 4 Abs. 3, Art. 7 Abs. 3 NwRL verwiesen wird. Das leuchtet ein. Wenn es zur Informationsverantwortlichkeit des Arbeitnehmers gehört, sich selbst über Gesetze, Tarife usf. zu unterrichten (oben, 2.b)), so ist es auch seine Sache, Änderungen dieser Regelungen zur Kenntnis zu nehmen. Das gilt auch, wenn eine bestehende Rechtsquelle, auf die der Arbeitgeber verwiesen hat,39 durch eine andere ersetzt wird.40

IV. Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen 1. Einführung Neu sind die Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen des dritten Kapitels der Richtlinie. Der Gesetzgeber hat sie vor allem unter dem Ge39 40

Diese Voraussetzung war nicht erfüllt in BAG, NZA 2004, 102, 104. A.A. Friese, EAS B 3050 Rn. 56 a.E.

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sichtspunkt der Vorhersehbarkeit und Transparenz der Arbeitsbedingungen statuiert. Ein solcher Bezug besteht unzweifelhaft bei der Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit (Art. 10 TpRL) und der Missbrauchsvorbeugung bei Abrufarbeit (Art. 11), und er lässt sich auch herstellen bei Regeln über die Dauer der Probezeit (Art. 8; wann erwirbt der Arbeitnehmer einen gewissen Bestandsschutz?) und über Mehrfachbeschäftigung (Art. 9; welche Nebentätigkeiten sind zulässig?). Schon diese letzteren Vorschriften betreffen jedoch nicht nur Vorhersehbarkeit und Transparenz, sondern die inhaltliche Ausgestaltung, und das steht vollends im Vordergrund bei Regelungen über den Übergang zu einer anderen Arbeitsform (Art. 12) und über Pflichtfortbildungen (Art. 13). Ergänzt werden die materiellen Vorschriften durch eine Regelung der Kollektivdispositivität. 2. Höchstdauer einer Probezeit Die Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen betreffen zunächst die Höchstdauer einer Probezeit, Art. 8 TpRL; vgl. Nr. 5 lit. d) S. 2 ESSR. „Die Probezeit gestattet es den Parteien des Arbeitsverhältnisses“, wie BE 27 TpRL erläutert, „zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer und die Stelle, für die er eingestellt worden ist, miteinander vereinbar sind, und dem Arbeitnehmer zugleich begleitende Hilfe anzubieten.“ Sie dient damit den Interessen beider Seiten und ist keineswegs per se abzulehnen oder zu regulieren. Allerdings bedeutet die Probezeit üblicherweise, dass das Arbeitsverhältnis unter erleichterten Voraussetzungen wieder beendet werden kann. Daher geht mit der Probezeit eine Ungewissheit einher (BE 27 S. 2 TpRL). Auch diese kann für beide Teile belastend sein, betrifft den Arbeitnehmer aber typischerweise mehr als den Arbeitgeber. Die Festsetzung einer Höchstdauer für die Probezeit soll daher den Arbeitnehmer vor der Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses schützen. Die Richtlinienvorgaben beziehen sich – in einer unglücklich schwammigen Formulierung – auf „eine Probezeit, falls das Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des nationalen Rechts oder der nationalen Gepflogenheiten eine solche umfasst“. Eine Probezeit wird allerdings regelmäßig nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern von den Parteien vereinbart (vgl. § 622 Abs. 3 BGB). Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass das mitgliedstaatliche Recht Probezeiten nur begrenzt. Eine vereinbarte Probezeit darf im Grundsatz nicht länger als sechs Monate dauern. Für Ausnahmefälle können die Mitgliedstaaten längere Probezeiten festlegen. Diese müssen aber entweder durch die Art der Tätigkeit oder im Interesse des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein. Bei der „Art der Tätigkeit“ hat der Gesetzgeber beispielsweise an „Leitungs- oder Führungsfunktionen oder Stellen des öffentlichen Dienstes“ gedacht (BE 28 S. 2 TpRL), doch dürfte es nicht zu rechtfertigen sein, für diese pauschal längere

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Probezeiten vorzusehen. Eine Verlängerung im Interesse des Arbeitnehmers hält der Gesetzgeber aus Gründen der Beschäftigungsförderung für denkbar, insbesondere für junge Arbeitnehmer (BE 28 S. 2 TpRL). Möglicherweise ist an längere Probezeiten bei der Einstellung von (Langzeit-) Arbeitslosen gedacht. Weiterhin kann die Probezeit um die Dauer von Abwesenheitszeiten (z.B. Krankheit oder Urlaub) verlängert werden. Besondere Regeln gelten schließlich für befristete Arbeitsverhältnisse, für die sicherzustellen ist, dass die Probezeit im Verhältnis steht zur erwarteten Vertragsdauer und zur Art der Tätigkeit, Art. 8 Abs. 2 TpRL. BE 28 S. 4 TpRL deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber bei einer Befristung von unter einem Jahr eine Probezeit von sechs Monaten für unverhältnismäßig lang hält. Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis verlängert und bleibt der Arbeitnehmer in derselben Funktion mit denselben Aufgaben beschäftigt, darf es keine neue Probezeit geben; diese ließe sich in der Tat nicht mit dem Zweck einer Eignungs- oder Kompatibilitätsprüfung rechtfertigen. 3. Mehrfachbeschäftigung (Verbot von Unvereinbarkeitsbestimmungen) Der Arbeitnehmer hat ein – vom Ausgangspunkt der Privatautonomie selbstverständliches – Interesse daran, über seine Arbeitskraft im Rahmen der Grenzen der Arbeitszeit umfassend bestimmen zu können. Wirtschaftlich sowie persönlich kann das besonders für Teilzeitbeschäftigte von Bedeutung sein. Nicht selten suchen Arbeitgeber indes, diese Freiheit des Arbeitnehmers durch Wettbewerbsverbote, Nebentätigkeitsverbote oder, wie der Gesetzgeber allgemeiner formuliert, sog. Unvereinbarkeitsbestimmungen vertraglich zu beschränken. Nach Art. 9 darf ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verbieten, außerhalb des mit ihm festgelegten Arbeitsplans ein Arbeitsverhältnis mit anderen Arbeitgebern aufzunehmen.41 Das grundsätzliche Verbot von Beschäftigungsbeschränkungen wird – teleologisch selbstverständlich – durch ein Benachteiligungsverbot flankiert, Art. 9 Abs. 1 a.E. TpRL. Selbstverständlich bleibt dem Arbeitnehmer seine Freiheit zur anderweitigen Beschäftigung nur im Rahmen seiner vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem (ersten) Arbeitgeber. Die Richtlinie bestimmt diese Bindung des Arbeitnehmers durch den sog. Arbeitsplan. Arbeitsplan „ist ein Plan, in dem die Uhrzeiten und die Tage festgelegt sind, zu bzw. an denen die Arbeit beginnt und endet“, Art. 2 lit. a) TpRL. Ein solcher Arbeitsplan kann (ausdrücklich oder konkludent) vertraglich vereinbart oder im Rahmen des Vertrags vom Arbeitgeber festgelegt werden (vgl. BE 30 TpRL), er kann festgelegt oder variabel sein (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. m) Nr. i) TpRL).

41

Auf die grundrechtliche Determinierung hinweisend Kolbe, EuZA 2020, 35, 39.

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Kommt das Interesse an einer weiteren Verwendung der eigenen Arbeitskraft nur außerhalb des Arbeitsplans zum Tragen, dient dem insoweit eine weitgehende Konkretisierung und Fixierung. Allerdings haben Arbeitnehmer oft gegenläufige Interessen, z.B. an einer weitgehenden persönlichen Flexibilität und der Beschränkung auf Teilzeitarbeit, um Betreuungs- oder Pflegepflichten nachzukommen. Eine Verpflichtung zur Vereinbarung eines festen Arbeitsplans gibt es daher auch im Interesse des Arbeitnehmers nicht. Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Unvereinbarkeitsbestimmungen können die Mitgliedstaaten aus objektiven Gründen vorsehen, Art. 9 Abs. 2 TpRL. Zum Beispiel nennt die Regelung Gründe der Gesundheit und der Sicherheit, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen, die Integrität des öffentlichen Dienstes oder die Vermeidung von Interessenkonflikten. 4. Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit a) Vorhersehbarkeit, wenn das Arbeitsmuster unvorhersehbar ist Gibt es feste Arbeitszeiten und -aufträge, ist die Vorhersehbarkeit für den Arbeitnehmer kein Problem. Art. 10 TpRL über die Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit betrifft daher Arbeitnehmer, dessen Arbeitsmuster völlig oder größtenteils unvorhersehbar sind. Arbeitsmuster ist dabei „die Organisationsform der Arbeitszeit nach einem bestimmten Schema, das vom Arbeitgeber festgelegt wird“, Art. 2 lit. c) TpRL. Ein solches Schema kann z.B. darin liegen, dass der Arbeitnehmer montags bis freitags 9 bis 13 Uhr arbeitet, jeden dritten Sonntag im Monat, abwechselnd drei Tage Tagschicht, drei Tage frei und drei Tage Nachtschicht hat usf. b) Beschränkung der Arbeitspflicht durch Referenzzeiten und Ankündigungsfrist Im Rahmen der Nachweispflicht sieht Art. 4 Abs. 2 in lit. l) und lit. m) alternative Bestimmungen für die Fälle vor, dass die Arbeitsmuster völlig oder größtenteils vorhersehbar oder unvorhersehbar sind (oben, III.2.a)). Sind sie vorhersehbar, muss der Arbeitgeber die Länge des Standardarbeitstages oder der Standardarbeitswoche, die Modalitäten der Vergütung von Überstunden und die Modalitäten von Schichtänderungen mitteilen. Sind sie unvorhersehbar, so muss der Arbeitgeber darauf hinweisen, dass der Arbeitsplan variabel ist, auf die Anzahl der garantierten bezahlten Stunden und die Vergütung für darüber hinaus erbrachte Arbeiten, er muss über die Referenzstunden und -tage informieren, innerhalb welcher der Arbeitgeber den Ar-

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beitnehmer zu Arbeiten auffordern kann, sowie über die Mindestankündigungsfrist und über eine ggf. nach nationalem Recht zulässige Widerrufsfrist für Arbeitsaufträge. Referenzstunden und Referenztage sind dabei definiert als „Zeitfenster an festgelegten Tagen, in denen auf Aufforderung des Arbeitgebers Arbeit stattfinden kann“. Artikel 10 TpRL ist mit diesen Nachweispflichten verzahnt. Die Vorschrift greift, wie gesagt, nur im Fall von Art. 4 Abs. 2 lit. m) TpRL ein, also wenn ein Arbeitsmuster völlig oder größtenteils unvorhersehbar ist. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer nur dann zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn (1) die Arbeit innerhalb der (nach lit. m) Ziff. i) mitzuteilenden) Referenzzeiten liegt und (2) der Arbeitgeber eine angemessene Ankündigungsfrist (die nach lit. m) Ziff. ii) mitzuteilen ist) gewahrt hat. Die Länge der Ankündigungsfrist kann dabei je nach den Erfordernissen des einzelnen Sektors unterschiedlich sein; BE 32 S. 2 TpRL. Sind diese Voraussetzungen nicht (kumulativ) erfüllt, ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und darf den Arbeitsauftrag ablehnen, – teleologisch selbstverständlich: – ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen, Art. 10 Abs. 1 und 2 TpRL. Was fehlt, ist eine Bindung des Arbeitgebers „zu Beginn des Arbeitsverhältnisses (…) schriftlich Referenzstunden und Referenztage (…) fest[zu]leg[en]“, wie es BE 31 sagt. Wenn eine entsprechende Festlegung fehlt, läuft die Nachweispflicht ins Leere und es stellt sich die Frage, ob dann die Beschränkung des Leistungsanspruchs gem. Art. 10 Abs. 1 TpRL eingreift. Die Intention des Gesetzgebers dürfte dahin gehen, den Leistungsanspruch mangels Festlegung von Referenzzeiten entfallen zu lassen. Die Bedingung von Art. 10 Abs. 1 lit. a) TpRL kann mangels anfänglicher Bestimmung von Referenzzeiten nicht erfüllt sein, daher kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber nicht verpflichtet werden zu arbeiten. Art. 10 Abs. 1 lit. a) TpRL normiert demnach implizit die Festlegung von Referenzzeiten als Obliegenheit des Arbeitgebers. – Das lässt sich zwar hören, ist indes eine sehr indirekte Regelungstechnik. Unverständlich ist besonders, dass der Gesetzgeber die Verpflichtung („sollten schriftlich Referenzstunden und Referenztage festgelegt werden“) zwar in den Begründungserwägungen erwähnt, nicht aber im verfügenden Teil der Richtlinie in derselben Weise normiert. c) Beschränkung der Widerruflichkeit von Arbeitsaufträgen durch Entschädigungsanspruch Die Mitgliedstaaten können ein Recht des Arbeitgebers vorsehen, einen Arbeitsauftrag zu widerrufen, Abs. 3. In diesem Fall müssen sie aber einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers für den Fall vorsehen, dass der Arbeitgeber einen bereits vereinbarten Arbeitsauftrag nach einer konkreten angemessenen Frist widerruft. Ein vereinbarter Arbeitsauftrag kann m.a.W.

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zwar grundsätzlich frei widerruflich sein, aber nur für eine angemessene Frist. Nicht weiter konkretisiert ist der Inhalt des Entschädigungsanspruchs. Maßstab dafür geben die damit verfolgten Zwecke. Ist die Frist verstrichen, soll sich der Arbeitnehmer auf die Bindung verlassen können, die für ihn einerseits eine Erwerbsmöglichkeit bedeutet, andererseits seine Dispositionsmöglichkeiten beschränkt und ihn davon abhält, kollidierende Pflichten einzugehen. Ausgangspunkt für die Bemessung muss daher das Erfüllungsinteresse des Arbeitnehmers sein, abzüglich der ersparten Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs. Allerdings schreibt die Richtlinie keinen Schadensersatz vor, sondern eine Entschädigung (engl.: compensation, frz.: compensation). Daher muss das mitgliedstaatliche Recht keinen vollen Ersatz vorsehen, es kommt insbesondere auch eine Pauschalierung in Betracht. d) Modalitäten Modalitäten zu den Regeln über die Mindestvorhersehbarkeit, also etwa Fragen der Form von Arbeitsauftrag, Ablehnung oder Widerruf, können die Mitgliedstaaten regeln, Art. 10 Abs. 4 TpRL. 5. Zusatzmaßnahmen bei Abrufverträgen Art. 11 TpRL schreibt den Mitgliedstaaten vor, einen von drei Mechanismen zum Schutz vor Missbrauch von „Abrufverträgen oder ähnlichen Verträgen“ zu ergreifen, falls das nationale Recht solche Verträge erlaubt. Der Gesetzgeber hat die tatbestandlichen Verträge – wie anzunehmen ist: mit Bedacht – nicht definiert, sondern nur als Typ beschrieben. Gemeint sind „Abrufverträge oder ähnliche Arbeitsverträge wie Null-Stunden-Verträge42, in deren Rahmen der Arbeitgeber über die Flexibilität verfügt, die Arbeitnehmer nach Bedarf zur Arbeit aufzufordern“, BE 35 TpRL. Im äußersten Fall bedeutet das für den Arbeitgeber einen Anspruch, für den Arbeitnehmer nur eine Chance, die zudem vom guten Willen des Arbeitgebers abhängt. Kennzeichen ist die Flexibilität des Arbeitgebers und die daraus resultierende Unvorhersehbarkeit für den Arbeitnehmer (BE 35 TpRL). Das strukturelle Ungleichgewicht der Rechte und Pflichten beider Seiten kann zwar durchaus im Einzelfall ausgeglichen werden, z.B. durch eine Vergütung, die die Flexibilität der Verfügbarkeit und die damit einhergehende Bindung honoriert. Indes besteht umgekehrt in der Tat eine manifeste Missbrauchsgefahr. 42 Zu diesem – aus Großbritannien stammenden – Konzept aus deutscher Sicht Forst, NZA 2014, 998 ff.; Preis, RdA 2015, 244 ff.

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Das schärfste Mittel zum Schutz der Arbeitnehmer ist ein vollständiges Verbot im mitgliedstaatlichen Recht, das der Gesetzgeber für möglich hält, indes nicht selbst vorschreibt. Stattdessen bindet er die Mitgliedstaaten, mindestens eine von drei Schutzmaßnahmen zu ergreifen: – Sie können Anwendung und Dauer von Abrufverträgen und ähnlichen Verträgen beschränken. – Sie können eine widerlegbare Vermutung vorsehen, dass ein Mindestumfang bezahlter Stunden vereinbart ist. Dabei soll der Mindestumfang von den durchschnittlich in einem bestimmten Zeitraum geleisteten Stunden ausgehen. – Sie können andere gleichwertige Maßnahmen zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken vorsehen. Über die gewählten Maßnahmen müssen die Mitgliedstaaten die Kommission unterrichten. In der Regelung kommt eine gewisse Vorsicht im Umgang mit einer verhältnismäßig jüngeren Form atypischer Arbeit zum Ausdruck. Die Unterrichtungspflicht kann auch dazu dienen, eine künftige weitere Vereinheitlichung vorzubereiten. 6. Übergang zu einer anderen Arbeitsform Ein zentrales Anliegen von „atypischen“ Arbeitnehmern ist, ggf. in eine andere Arbeitsform zu wechseln, namentlich auch in ein Normalarbeitsverhältnis; vgl. Art. 5 lit a) S. 2 ESSR (Übergang in eine unbefristete Beschäftigungsform). Arbeitgeberinteressen können insofern entgegenstehen, als sie etwa nur einen temporären oder Teilzeit-Arbeitsbedarf oder nicht in ausreichendem Maße Normalarbeitsplätze zur Verfügung haben. Auch aus Gründen der Planungssicherheit können sie einem Übergangsinteresse des Arbeitnehmers oftmals nicht ohne weiteres Rechnung tragen. Die Transparenzrichtlinie sieht insoweit einen sehr begrenzten Anspruch des Arbeitnehmers vor, der den Arbeitgeber „ersuchen“ kann, der Arbeitgeber ist daraufhin verpflichtet, zu antworten; Art. 12 TpRL („individualisiertes Nachfrageverfahren“)43. Tatbestandlich ist der Anspruch auf Arbeitnehmer beschränkt, die (a) eine nach mitgliedstaatlichem Recht vorgesehene Probezeit abgeschlossen haben und (b) seit mindestens sechs Monaten beim selben Arbeitgeber tätig sind; Art. 12 Abs. 1 S. 1 TpRL. Unsicher ist, ob alle atypischen Arbeitnehmer den Anspruch geltend machen können, denn das Ersuchen ist nur darauf gerichtet, in eine Arbeitsform mit vorhersehbaren und sichereren Arbeitsbedingungen zu wechseln. Es setzt demnach weiterhin (c) voraus, dass der Arbeitnehmer derzeit keine vorhersehbaren Arbeitsbedingungen hat, wie etwa 43

Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 372.

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bei Abrufarbeit, oder keine (vollständig) sicheren Arbeitsbedingungen, wie etwa beim befristeten Arbeitsverhältnis. Teilzeitarbeit lässt sich aber nicht ohne weiteres als nicht (voll) vorhersehbar oder unsicher kennzeichnen. Die Mitgliedstaaten können im Übrigen (d) die Häufigkeit der Ersuchen begrenzen, Art. 12 Abs. 1 S. 2 TpRL. Rechtsfolge ist ein Anspruch auf eine begründete schriftliche Antwort des Arbeitgebers, Art. 12 Abs. 1 S. 1 TpRL. Diese ist im Grundsatz innerhalb eines Monats nach dem Ersuchen zu erteilen. Ist der Arbeitgeber natürliche Person, Kleinstunternehmen oder KMU44, können die Mitgliedstaaten eine Reaktionszeit von bis zu drei Monaten vorsehen. Zudem können sie insofern eine mündliche Antwort ausreichen lassen, wenn derselbe Arbeitnehmer bereits ein ähnliches Ersuchen vorgebracht hat und die Begründung für die Antwort im Hinblick auf die Situation des Arbeitnehmers gleichgeblieben ist, Art. 12 Abs. 2 S. 2 TpRL. 7. Pflichtfortbildungen Fortbildung ist ein weiteres zentrales Anliegen atypischer Arbeitnehmer; vgl. Nr. 5 lit. a) S. 1 ESSR. Zum einen handelt es sich oftmals von vornherein um weniger qualifizierte Arbeitnehmer. Zum anderen kann wegen der geringeren Intensität der Bindung zum Arbeitgeber die Gefahr bestehen, dass dieser die Fortbildung nicht so wichtig nimmt wie bei Normalarbeitnehmern, etwa aus der Erwägung, dass sich die „Investition“ für ihn nicht lohnt (z.B. weil der Arbeitnehmer nur befristet oder teilzeitweise tätig ist). Der Fortbildung wird darüber hinaus ganz allgemein zunehmende Bedeutung beigemessen. Die Anforderungen an Arbeitnehmer ändern sich zunehmend schneller, zumal infolge der Digitalisierung, die in manchen Bereichen geradezu zu einem Strukturwandel führt.45 Die Transparenzrichtlinie trägt diesem Anliegen nur sehr begrenzt Rechnung. Der „Fortbildungsanspruch“ des Art. 13 TpRL ist tatbestandlich eng gefasst. Erfasst sind nur „Pflichtfortbildungen“. Das sind solche, die anzubieten der Arbeitgeber aufgrund von unionalen oder mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften oder Kollektivverträgen verpflichtet ist. Zudem geht es allein um Fortbildung im Hinblick auf die Arbeit, die die Arbeitnehmer ausüben. Nicht erfasst wird mithin die „Weiterbildung“ im Sinne der Entwicklung anderer Fähigkeiten oder Fertigkeiten. Unter diesen Voraussetzungen ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmern die Fortbildung kostenlos anzubieten, möglichst während der 44

Definiert in Art. 2 Abs. 1 Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. 2003 L 124, S. 36. 45 Arnold/Winzer, in: Arnold/Günther (Hrsg.) Arbeitsrecht 4.0 (2018), Kap. 3 Rn. 99 ff.

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Arbeitszeit. In jedem Fall muss die Fortbildungszeit als Arbeitszeit angerechnet werden. 8. (Eingeschränkte) Kollektivdispositivität Nach mitgliedstaatlichem Recht können die Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen, wie sie Art. 8–13 TpRL aufstellen (Probezeit, Mehrfachbeschäftigung, Mindestvorhersehbarkeit, Abrufverträge, Übergang zu einer anderen Arbeitsform, Pflichtfortbildung), in gewissem Rahmen zur Disposition der Sozialpartner gestellt werden. Kollektiv- und Tarifverträge können davon abweichen, sofern der Schutz der Arbeitnehmer insgesamt gewahrt bleibt. Da neben den Tarifverträgen die Kollektivverträge eigens genannt sind, dürfte eine Disposition auch durch die Betriebspartner im Wege der Betriebsvereinbarung in Betracht kommen.

V. Rechtsfolgen und Sanktionen In Kapitel IV über „horizontale Bestimmungen“ enthält die Transparenzrichtlinie in bekannter Weise Vorschriften über Rechtsfolgen und Rechtsdurchsetzung. Als „horizontal“ werden diese Regelungen bezeichnet, weil sie dem Grundgedanken nach die Bestimmungen aller übrigen Kapitel der Richtlinie ergänzen, gleichsam hinter die Klammer gezogen. Ungeachtet dessen haben die horizontalen Bestimmungen für die Unterrichtungsregeln des zweiten Kapitels ungleich größere Bedeutung als für die Mindestanforderungen des dritten Kapitels, da letztere, wie wir gesehen haben, bereits weitgehend mit Rechtsfolgenanordnungen versehen sind. Freilich bleiben auch insoweit Abhilfe, Benachteiligungsverbot und das allgemeine Sanktionsgebot („wirksam, angemessen und abschreckend“) von Bedeutung. 1. Sanktionierung der Nachweispflichten Die Nachweisrichtlinie enthielt keine spezifischen Vorgaben, welche Rechtswirkungen der erteilte Nachweis hat und welche Rechtsfolgen die Nichterfüllung des Nachweisanspruchs.46 Darüber hinaus ließ sie die mitgliedstaatlichen Vorschriften über die Form des Arbeitsvertrags/-verhältnisses, den Nachweis (Darlegung und Beweis im Prozess) für sein Bestehen und seinen Inhalt sowie die Verfahrensregeln ausdrücklich unberührt, Art. 6 NwRL. Die Rechtsfolgen mussten daher aus den allgemeinen Umsetzungspflichten (Äquivalenzgrundsatz, Effektivitätsgrundsatz)47 abgeleitet werden. 46 47

Riesenhuber (Fn. 5), § 12 Rn. 32 ff. Dazu nur Riesenhuber (Fn. 5), § 1 Rn. 64.

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In der Transparenzrichtlinie ist nun der Vorbehalt des mitgliedstaatlichen Beweisrechts entfallen. Zudem konkretisiert Art. 15 TpRL die Rechtsfolgen für den Fall, dass der Nachweis nicht (rechtzeitig) erteilt wird (nachfolgend b)). Weiterhin ungeregelt sind indes die Rechtsfolgen des erteilten Nachweises. a) Wirkungen des erteilten Nachweises Da die Rechtswirkungen des erteilten Nachweises nicht spezifisch geregelt sind, werden sie – wie schon unter der Nachweisrichtlinie – nur rahmenhaft durch die Umsetzungspflichten determiniert. Soll er den Arbeitnehmer seiner Rechte versichern, so muss dieser den Nachweis auch im Prozess zu Beweiszwecken verwenden können. Welche Wirkung dem Nachweis dabei zukommen muss, gibt das Unionsrecht nur durch den Äquivalenzgrundsatz vor: Es wird keine bestimmte Beweisregel (z.B. Beweislastumkehr, Anscheinsbeweis) vorgeschrieben. Vorgegeben ist aber, dass die mitgliedstaatliche Rechtsordnung dem erteilten Nachweis eine ebenso starke (Äquivalenz!) Vermutung der Richtigkeit beilegt, wie sie einem nach nationalem Recht vorgesehenen entsprechenden Dokument zukommt. Die Richtlinie verlangt jedoch nicht, dass der Nachweis einen vollen oder unwiderleglichen Beweis der Richtigkeit begründet, sie lässt den Beweis des Gegenteils durch den Arbeitgeber zu.48 Da der Nachweis einseitig dem Schutz des Arbeitnehmers dient, gibt die Richtlinie nicht vor, dass sich der Arbeitgeber im Prozess auf den erteilten Nachweis berufen kann. Generell wird man unter diesem teleologischen Aspekt verlangen müssen, dass die Belastung des Arbeitnehmers durch den Nachweis (sei es durch vertragliche Bindung oder einen Beweisnachteil) einer besonderen (z.B. rechtsgeschäftlichen) Begründung bedarf.49 b) Folgen der Nichterfüllung Erteilt der Arbeitgeber den Nachweis nicht vollständig innerhalb der Frist, muss das mitgliedstaatliche Recht mindestens eine von zwei Folgen vorsehen, Art. 15 Abs. 1 TpRL. Zivilrechtlich kann es bei Säumnis für den Arbeitnehmer günstige (widerlegliche) Vermutungen vorsehen, z.B. dass mangels Nachweis keine Probezeit, keine Befristung oder keine Teilzeit vereinbart ist, BE 39 S. 6 TpRL. Dabei kann das mitgliedstaatliche Recht die vorhergehende Mahnung zur Vermutungsvoraussetzung machen (Abs. 2).50 Öffentlich-rechtlich kann es ein behördliches Beschwerde- und Abhilfe48 EuGH v. 4.12.1997 – verb. Rs. C-253/96 bis C-258/96 Kampelmann, Slg. 1997, I-6939 Rn. 32–34. 49 Zur Bindung des Arbeitnehmers, vgl. die Hinweise bei Kenner, ILJ 28 (1999), 205, 207–213. 50 Zu Unrecht krit. Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 375.

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recht des Arbeitnehmers vorsehen. Beide Instrumentarien sind insofern äquivalent, als die Behörde die erforderlichen Klärungen ggf. von Amts wegen herbeiführen kann. Für das deutsche Recht dürfte die privatrechtliche Umsetzung vorzugswürdig sein.51 Gerade bei atypischen Arbeitsformen wie Teilzeitarbeit oder befristeten Verträgen kann die Abweichung vom Normalarbeitsverhältnis allerdings auch im Interesse des Arbeitnehmers liegen. Die „Günstigkeit“ einer Vermutung für den Arbeitnehmer ist daher mit Rücksicht auf seinen individuellen Willen zu bestimmen, wie er typischerweise im Prozessziel zum Ausdruck kommt. Im Übrigen bleibt es auch insoweit bei einer teleologischen Auslegung der Richtlinie und den Umsetzungspflichten. Nach dem Zweck des Nachweises darf das nationale Recht jedenfalls für den Arbeitnehmer begünstigende Arbeitsbedingungen nicht vorschreiben, dass sie unwirksam wären, wenn sie nicht nachgewiesen sind.52 Auch die Transparenzrichtlinie bindet die nationalen Gerichte nicht, die Verletzung der Nachweispflicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zu behandeln,53 schließt das aber auch nicht aus. 2. Rechtsdurchsetzung: Anspruch auf Abhilfe Während Art. 8 Abs. 1 NwRL noch ein Recht auf gerichtliche Geltendmachung der richtliniendeterminierten Rechte enthielt, sieht Art. 16 TpRL jetzt – allgemeiner – vor, dass Arbeitnehmer Zugang zu einer wirkungsvollen und unparteiischen Streitbeilegung und einen Anspruch auf Abhilfe wegen Verletzung der Rechte haben müssen. Das schließt eine gerichtliche Geltendmachung nach nationalem Recht nicht aus, eröffnet aber auch die Möglichkeit, alternative Konfliktlösungen (Güteverfahren, Mediation) vorzusehen. 3. Benachteiligungsverbot Die Rechte des Arbeitnehmers nach der Richtlinie sind durch ein Benachteiligungsverbot geschützt, Arbeitnehmer dürfen wegen der Geltendmachung ihrer Rechte nach der Richtlinie keinen negativen Konsequenzen ausgesetzt sein, Art. 17 TpRL. Der Schutz erstreckt sich auf Arbeitnehmer als Arbeitnehmervertreter. Diese haben in der Funktion als Arbeitnehmervertreter nach der Richtlinie zwar keine eigenen Rechte, sind aber zu schüt51

So auch Kolbe, EuZA 2020, 35, 44. Zur Nachweisrichtlinie 91/533 EuGH v. 8.2.2001 – Rs. C-350/99 Lange, Slg. 2001, I-1061 Rn. 27 f. 53 Zur Nachweisrichtlinie 91/533 EuGH v. 8.2.2001 – Rs. C-350/99 Lange, Slg. 2001, I-1061 Rn. 31–35. 52

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zen, soweit sie etwa Rechte einzelner Arbeitnehmer unterstützen oder geltend machen. 4. Kündigungsschutz und Beweislastumkehr Ein spezielles Benachteiligungsverbot enthält Art. 18 TpRL mit Regelungen über den Kündigungsschutz. Schon nach Art. 17 TpRL versteht sich, dass Arbeitnehmern nicht deswegen gekündigt werden darf, weil sie ihre richtliniendeterminierten Rechte in Anspruch genommen haben. Dasselbe gilt auch für kündigungsvorbereitende Handlungen wie z.B. eine Abmahnung. Da – ähnlich wie in Diskriminierungsfällen – der Nachweis der Motivation für den Arbeitnehmer schwierig ist, wird der Kündigungsschutz durch Informations- und Beweisregeln ergänzt. Zunächst hat ein Arbeitnehmer, der meint, ihm sei wegen Inanspruchnahme seiner Richtlinienrechte gekündigt worden, Anspruch, dass der Arbeitgeber ihm die Kündigung hinreichend genau schriftlich darlegt; Art. 18 Abs. 2 TpRL. Legt der Arbeitnehmer vor Gericht oder einer Behörde Tatsachen dar, die auf eine Maßregelungskündigung schließen lassen, kommt es zu einer Beweislastumkehr und der Arbeitgeber muss darlegen, dass die Kündigung auf andere Gründe gestützt ist. Die Beweislastumkehr ist allerdings für Verwaltungsverfahren mit Amtsermittlung optional, im Strafverfahren gilt sie nicht, Abs. 5 und 6. Das mitgliedstaatliche Recht kann eine für den Arbeitnehmer günstigere Beweislastregelung vorsehen, Abs. 4. Die Regelung ist erkennbar an Vorbilder aus den Antidiskriminierungsrichtlinien angelehnt.54

VI. Einordnung und Bewertung 1. Voraussetzungen Sieht man sich die Vorschriften in einer Gesamtschau an, wird eine zentrale Voraussetzung deutlich, von der der Gesetzgeber ausgegangen ist. Der Arbeitsmarkt hat in jüngerer Zeit erneut eine Vielzahl von neuen Arbeitsformen hervorgebracht, die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen. Dies entspricht, so kommt zum Ausdruck, zumindest in einigen Bereichen nicht nur den Interessen der Arbeitgeber, sondern auch der Arbeitnehmer. Schon die Diskussion der 1980er Jahre um die „Flexibilisierung des Arbeitsrechts“55 drehte sich nicht allein um die Interessen des Arbeitgebers, sondern nahm auch „eine Chance auf mehr Selbstbestimmung für die Arbeit54 55

Riesenhuber (Fn. 5), § 8 Rn. 50 ff. So der Titel des Beitrags von Zöllner, ZfA 1988, 265 ff.

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nehmer“56 in den Blick und war sich der „Ambivalenz der Flexibilisierung“ bewusst.57 Der Unionsgesetzgeber spricht jetzt ganz deutlich davon, „ein angemessenes Maß an Flexibilität atypischer Arbeitsverhältnisse beizubehalten (…), damit die Vorteile für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber gewahrt werden“ (BE 6 TpRL). Neue, sich weiter verändernde Arbeitsformen sind ein Kennzeichen des Arbeitslebens gerade in der digitalen Wirtschaft und eine Realität, von der auszugehen ist und die im Ausgangspunkt auch hinzunehmen ist. Das gilt zumal in einer Umbruchzeit, die von einem Experimentieren geprägt ist und sich weiterentwickelt. 2. Regelungsinstrumente Dem entsprechen die Regelungsinstrumente. Das gilt zunächst für das erste Grundelement, das die Transparenzrichtlinie aus der Nachweisrichtlinie übernimmt. Auch Informationspflichten greifen in die Vertragsfreiheit ein, lassen den Parteien aber die Gestaltungs- oder Inhaltsfreiheit. Ebenso wie bei der Nachweisrichtlinie ist Information in der Tat das Schutzinstrument der Wahl, wenn sich etablierte Formen eines „Normalarbeitsverhältnisses“ wandeln und „atypische“ Formen herausbilden. Denn diese bringen naturgemäß mit sich, dass sie nicht in gleichem Maße erkennbar sind, und können gerade für den Arbeitnehmer Unsicherheiten mit sich bringen. Gerade der in einer neuen Weise „atypisch“ Beschäftigte hat ein Interesse daran, seiner Vertragsrechte vergewissert zu sein, und zwar nicht nur, wenn seine Stellung „prekär“ ist. Nicht von ungefähr, sondern in diesem Sinne folgerichtig liegt der Fokus auch der zweiten Säule der Schutzinstrumente auf atypischen Arbeitsverhältnissen. Mit den Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen des dritten Kapitels greift der Gesetzgeber jetzt intensiver in die Vertragsfreiheit ein, indessen weiterhin äußerst zurückhaltend. Dabei ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber atypische Arbeitsverhältnisse in keiner Weise ablehnt, sondern, wie bereits angesprochen, voraussetzt. Deutlich wird das im Verbot von Unvereinbarkeitsbestimmungen. Die Verwertung der eigenen Arbeitskraft auch bei anderen Arbeitgebern spielt in atypischen Arbeitsverhältnissen eine ungleich größere Rolle als im Normalarbeitsverhältnis. Die Richtlinie schützt dieses Interesse. Als Hauptproblem neuer atypischer Arbeitsformen hat der Gesetzgeber die mangelnde Vorhersehbarkeit und Sicherheit von Arbeitspflichten identifiziert, der er mit informationsnahen Instrumenten begegnet. Ungleich schwächer fallen die Regeln über Fortbildungen und über den Übergang in andere Arbeitsformen aus. 56 57

Zöllner, ZfA 1988, 265, 268; vgl. auch Riesenhuber, NZA 1995, 56 ff. Zöllner, ZfA 1988, 265, 271.

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3. Anwendungsbereich (Arbeitnehmerbegriff) Problematisch bleibt jedoch die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs. Führt die Digitalisierung zu einer „Entgrenzung“ von Arbeit, so verändern sich damit auch die Grenzen der abhängigen Beschäftigung, mithin des persönlichen Anwendungsbereichs.58 Gerade in dieser Hinsicht ließ sich eine unionsautonome Regelung nicht durchsetzen. Der gefundene Kompromiss ist – zumal vor dem Hintergrund der EuGHRechtsprechung, auf die die Begründung verweist – so unglücklich formuliert, dass letztlich „alles geht“. Eine schlecht formulierte Regelung ermuntert und bestärkt judikativen Aktivismus. Indessen ist zu bezweifeln, dass Gerichte gute Regulierer sind.59 Die Abgrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs sollte der Gesetzgeber vornehmen. Eine pauschale Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs dürfte der Vielfalt der tatsächlichen Phänomene und der Disparität der Sachfragen dabei nicht gerecht werden. Eine Zwischenkategorie wie die der arbeitnehmerähnlichen Personen dürfte dem Regelungsanliegen tendenziell besser dienen.

58 Vgl. Krause, in: Dörr/Goldschmidt/Schorkopf (Hrsg.), Share Economy (2018), S. 147 ff. 59 S.a. Riesenhuber, AcP 219 (2019), 892, 913 ff.

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Interne und externe Corporate Governance bei Banken WOLF-GEORG RINGE

Seit der epochalen Finanzkrise sind bereits mehr als zehn Jahre vergangen. Neben vielen regulatorischen und ordnungspolitischen Fragen war diese Krise die Initialzündung für eine Wiederbelebung der Debatte um den richtigen Corporate Governance-Rahmen für Banken, eine Debatte, zu der Klaus J. Hopt maßgeblich beigetragen hat.1 Im Kern geht es um die Frage, ob der traditionelle Rahmen der Unternehmensorganisation und -leitung auch dem speziellen Fall von Kreditinstituten gerecht wird, insbesondere wenn diese systemrelevant sind, oder ob für solche Institute ein eigener, modifizierter Rechtsrahmen entwickelt werden muss.2 Dieser Beitrag zeichnet die regulatorischen Errungenschaften der vergangener Dekade nach und bewertet ihre Erträge. Dabei wird deutlich, dass bisher die Debatte um eine wirkungsvolle Corporate Governance bei Banken fast ausschließlich auf interne Elemente der Unternehmensorganisation beschränkt wurde. Hingegen ist die Debatte mit den parallelen Bemühungen um die Erarbeitung eines Abwicklungsmechanismus für Finanzinstitute nur unzureichend verknüpft worden. Letztere Initiative verspricht jedoch die Verstärkung der externen, marktgesteuerten Seite der Corporate Governance. Zentrales Anliegen dieses Beitrags ist somit, die Wirkungen einer wirkungsvollen Bankenabwicklung bei der Debatte um die Corporate Governance stärker zu berücksichtigen.

1

Hopt, Corporate Governance of Banks after the Financial Crisis, in Wymeersch/ Hopt/Ferrarini (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, A Post-Crisis Analysis, Oxford (Oxford University Press) 2012, S. 337–367 (im Folgenden Hopt, 2012); Hopt, Corporate Governance of Banks and other Financial Institutions after the Financial Crisis, Journal of Corporate Law Studies 13 (2013), S. 219–253; Hopt, Corporate Governance von Finanzinstituten – Empirische Befunde, Theorie und Fragen in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, ZGR 2017, 438–459. Zuletzt Hopt, Corporate Governance of Banks and Financial Institutions: Economic Theory, Supervisory Practice, Evidence and Policy, ECGI Law Working Paper No 507/2020, abrufbar unter http://ssrn.com/abstract _id=3553780. 2 Aus jüngerer Zeit Chiu (Hrsg.), The law on corporate governance of banks, 2015; Busch/Ferrarini/van Solinge (Hrsg.), Governance of Financial Institutions, 2019.

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I. Einleitung Nach traditioneller Anschauung umfasst der Bereich Corporate Governance ein System, nach dem Unternehmen geleitet und kontrolliert werden.3 Eines seiner Hauptziele ist es seit jeher, eine Annäherung zwischen den Interessen der Verwaltung mit denen der Anteilseigner herzustellen, d.h. zu erreichen, dass das Management nicht im eigenen, sondern im Interesse der Aktionäre handelt. Dafür finden sich im Arsenal des Gesellschaftsrechts viele Steuerungslemente. Etwa ist der im deutschen Recht etablierte Aufsichtsrat eine Art Kontrollgremium, welches das Management überwachen soll. Stimmrechte der Aktionäre bei der Hauptversammlung gehören ebenfalls dazu wie Haftungstatbestände für Vorstandsmitglieder bei Verletzung von Treuepflichten. In der Praxis kommt zudem der Vergütungsstruktur von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern eine große Bedeutung zu: insbesondere variable Vergütungsbestandteile sollen Anreize setzen, die Unternehmensentwicklung und den Aktienkurs im eigenen Interesse zu beachten. Ob diese Grundsätze ohne weiteres auch auf Banken angewendet werden können, ist jedoch Gegenstand einer lebendigen Debatte. Nicht erst infolge der großen Finanzkrise der Jahre 2007/08 ist zutage getreten, dass Banken in vielfacher Hinsicht von „normalen“ Unternehmen abweichen.4 So kennzeichnen sie sich typischerweise durch eine gesteigerte Intransparenz ihres Geschäftsmodells, denn Finanzdienstleistungen und Vermögenswerte sind üblicherweise nicht greifbar und daher nur schwer nachzuvollziehen und schwierig zu überwachen.5 Spezifisch für das Geschäftsmodell von Banken ist zudem das Liquiditätsrisiko, das durch die sogenannte Fristentransformation (maturity transformation) bedingt ist und letztlich auch andere Risiken wie ein gesteigertes Reputationsrisiko zur Folge hat.6 Gerade bei großen Banken kommen die gesellschaftlichen Kosten eines Scheiterns hinzu: systemrelevante Banken werden als „too big to fail“ eingestuft, da ihre Insolvenz dramatische Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätte und durch gegenseitige Verbindungen zwischen Kreditinstituten oftmals eine Ansteckungsgefahr im Finanzsektor besteht. Die Besonderheit dieser Umstände für die Corporate Governance liegt darin, dass die Anleger und Aktionäre diese gesellschaftlichen Kosten in der Regel nicht selbst zu tragen haben. Anleger sind abgesichert über das Prinzip der beschränkten Haftung und in 3 Cadbury, Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance, London, December 1992. 4 Siehe bereits Fama, What’s Different About Banks?, Journal of Monetary Economics 15 (1985), S. 29. 5 Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, in Hopt/Wohlmannstetter (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011, S. 31, 39. 6 Hopt, 2012 Rn. 11.02.

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der Regel diversifiziert. Einlagekunden kommt die Einlagensicherung zugute. Hinzu kommt die Möglichkeit eines „Bailouts“, d.h. der Rettung von großen systemrelevanten Banken durch den Staat, die sich während der Finanzkrise de facto zu einer Art „Rettungsgarantie“ verfestigte.

II. Zwei Perspektiven Vor der Finanzkrise war die herrschende Meinung, die bestehenden Regeln und Bestverhaltensstandards der Corporate Governance ohne weiteres auch auf Banken zu übertragen.7 Die beschriebenen Besonderheiten von Banken sollten nach dieser Lesart mithilfe von sektorspezifischer Regulierung sowie einer eigenen Bankenaufsicht in den Griff bekommen werden.8 Außerhalb von regulierten Bereichen sollten daher nach dieser Ansicht die regulären Ansätze aus der allgemeinen Corporate Governance Anwendung finden. Forschungsergebnisse haben mittlerweile gezeigt, dass diese Sichtweise verhängnisvolle Auswirkungen hatte.9 Robuste empirische Studien belegen insbesondere, dass solche Banken, welche die „besten“ Corporate-Governance-Standards aufwiesen, mit zu den größten Verlierern in der Krise zählten.10 Das lässt sich an verschiedenen Elementen festmachen: eine schlechtere Performance von Banken korreliert etwa mit einer großen Anzahl unabhängiger Direktoren,11 einer größeren Variabilität der Vergütung,12 oder stärkeren Aktionärsrechten.13 Mit anderen Worten: alle Werte und Kennzahlen, die traditionell als wünschenswert und vorbildlich angesehen wurden, hatten bei Finanzinstituten den gegenteiligen Effekt. Sie führten zur Eingehung von größeren Risiken, zu höheren finanziellen Verlusten während der Krise, und zu einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Bail-outs. Während es lange unklar schien, ob die Corporate Governance von Banken selbst mit für die Finanzkrise verantwortlich war,14 scheinen diese jüngeren Forschungsergebnisse daher eindeutig in die Richtung zu weisen, 7

Siehe Hopt, 2012 Rn. 11.03. OECD, Corporate Governance and the Financial Crisis: Key Findings and Main Messages, 2009, S. 12. 9 Dazu etwa ausführlich Hopt, ZGR 2017, 438. 10 Armour, Bank Governance, in Gordon/Ringe (Hrsg.), The Oxford Handbook of Corporate Law and Governance, 2018, S. 1108. 11 Beltratti/Stulz, Journal of Financial Economics 105 (2012), 1; Erkens/Hung/Matos, Journal of Corporate Finance 18 (2012), 389. 12 Fahlenbrach/Stulz, Journal of Financial Economics 99 (2011), 11; Bhagat/Bolton, Journal of Corporate Finance 25 (2014), 313. 13 Laeven/Levine, Journal of Financial Economics 93 (2009), 259; Ferreira/Kershaw/ Kirchmaier/Schuster, Shareholder empowerment and bank bailouts, LSE Working paper 2013; Anginer/Demirgüç-Kunt/Huizinga/Ma, Journal of Financial Economics 130 (2018), 327. 14 Vgl. Hopt, JCLS 13 (2013), 219, 222, 237. 8

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dass die traditionelle Stoßrichtung von Corporate Governance fatale Folgen haben kann. Insbesondere die aktionärszentrische Orientierung unseres Rechtssystems muss hier besonders in den Blick genommen werden. Denn es ist schon lange ökonomisch gesichert, dass von allen an der Unternehmung beteiligten Gruppen die Anteilseigner am ehesten dazu geneigt sind, wirtschaftliche Risiken einzugehen. Das liegt einmal an der beschränkten Gesellschafterhaftung und der typischen Diversifizierung von Beteiligungen, aber auch wie oben beschrieben an der impliziten Bail-out-Garantie durch den Staat. Zusammengenommen führen diese Umstände zu einem hohen Grad an moral hazard bei Anteilseignern. Es ist somit nur konsequent, wenn Bankenunternehmen, deren Verwaltung komplett auf die Wahrung von Aktionärsinteressen ausgerichtet ist, starke Anreize haben, hohe – mitunter wahrscheinlich sogar unverantwortlich hohe – Risiken einzugehen. Gerade da die gesellschaftlichen Kosten eines Bankenscheiterns nicht von den Anteilseignern, sondern vermittels Bailout vom Steuerzahler getragen wurden, ist es somit möglich, die wahren Kosten der eingegangenen Risiken zu externalisieren. Folgt man dem, so ist der Regelgeber aufgefordert, die durch ein Bankenscheitern entstehenden sozialen Kosten zu internalisieren. Im Bereich der Corporate Governance sind dazu im Laufe der letzten Jahre verschiedene Änderungen des Rechtsrahmens in Kraft getreten, die im Folgenden erörtert werden sollen.15 Wie deutlich werden wird, richtete sich der rechtspolitische Blick zuvörderst auf interne Aspekte der Corporate Governance. Abschnitt III. bewertet die ergriffenen oder angestoßenen Schritte. Anschließend wird in Abschnitt IV. der Blick auf externe Aspekte der Corporate Governance gelegt.

III. Bausteine einer internen Corporate Governance für Finanzinstitute 1. Leitungsstruktur und -zusammensetzung Eine wichtige Rolle in den Reformbemühungen hinsichtlich der Corporate Governance von Banken nimmt die Struktur des Leitungsorgans ein. Während sich europäische Regeln aus diplomatischen Gründen einer Festlegung auf ein ein- oder zweigliedriges Leitungsorgan (one-/two-tier board) enthalten, gibt es mittlerweile Vorgaben zur Einrichtung diverser Ausschüsse. Die Eigenkapitalrichtlinie (CRD IV16) legt etwa fest, dass Kreditinstitute 15 Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) hat dazu 2015 internationale Leitlinien veröffentlicht: BCBS, Corporate Governance Principles for Banks, Juli 2015, abrufbar unter . 16 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von

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über einer gewissen Größe neben Nominierungs-17 und Vergütungsausschuss18 zwingend auch einen sog. Risikoausschuss einrichten müssen.19 Alle drei Ausschüsse setzen sich aus Mitgliedern des Leitungsorgans zusammen, die in dem betreffenden Institut keine Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen, somit von diesem unabhängig sind. Die Mitglieder des Risikoausschusses müssen zusätzlich „die zur vollständigen Erfassung und Überwachung von Risikostrategie und Risikobereitschaft des Instituts erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung“ besitzen. Mit dieser Vorgabe nimmt die Richtlinie ein klassisches Instrument der Corporate Governance wieder auf: die Einrichtung von Ausschüssen, die mit unabhängigen Mitgliedern besetzt sind. Das Konzept, die Geschäftsleitung mithilfe von unabhängigen Direktoren überwachen zu lassen, kommt ursprünglich aus den USA, hat aber mittlerweile einen Siegeszug um die Welt angetreten.20 Dennoch sind empirische Befunde zum Wert unabhängiger Verwaltungsmitglieder ernüchternd und zeigen im besten Falle gemischte Resultate.21 Auch wird man skeptisch sein, ob Unabhängigkeit ein in unserem Zusammenhang weiterführendes Instrument ist. So war traditionell die Erklärung, dass unabhängige Direktoren in der Lage seien, die Geschäftsleitung effizient und im Sinne der Anteilseigner zu überwachen. Wie oben beschrieben, steht im hier interessierenden Zusammenhang aber keinesfalls der Konflikt zwischen Management und Anteilseignern, sondern der zwischen Bankaktionären und der Gesellschaft als Ganze im Raum. Es ist sicherlich begrüßenswert, dass die CRD IV auf Qualifikation und Fähigkeiten der unabhängigen Mitglieder insbesondere im Risikoausschuss Wert legt. Dennoch muss gefragt werden, welchen Anreiz unabhängige Aufsichtsratsmitglieder zu einer effektiven Überwachung haben werden, Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. EU 2013 Nr. L 176, S. 338. Ab Ende 2020 sind die Anforderungen der CRD V zu beachten: Richtlinie (EU) 2019/878 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Änderung der Richtlinie 2013/36/EU im Hinblick auf von der Anwendung ausgenommene Unternehmen, Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Vergütung, Aufsichtsmaßnahmen und -befugnisse und Kapitalerhaltungsmaßnahmen, ABl. EU 2019 Nr. L 150, S. 253. 17 Art. 88 Abs. 2 CRD IV. 18 Art. 95 CRD IV. 19 Art. 76 Abs. 3 CRD IV. Siehe in Deutschland § 25d Abs. 8 KWG. 20 Ausführlich Ringe, EBOR 14 (2013), 401. Einen rechtsvergleichenden Beitrag aus jüngerer Zeit liefern Puchniak/Baum/Nottage (Hrsg.), Independent Directors in Asia: A Historical, Contextual and Comparative Approach (CUP 2017). 21 Siehe etwa Bhagat/Black, Business Lawyer 54 (1999), 921; dies., Journal of Corporation Law 27 (2002), 232; Fernandes, Journal of Multinational Financial Management 18 (2008), 30; Dahya/McConnell, Journal of Financial and Quantitative Analysis 42 (2007), 535.

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werden sie doch in der Regel von den Aktionären (bzw. den Arbeitnehmervertretern) gewählt. Hinzu kommt ihre zeitliche Belastung – durch die Ausübung verschiedener Tätigkeiten und Mandate bleibt oftmals kaum Zeit, die Geschäfte der zu überwachenden Instituts vollumfänglich zu erfassen. Die Einrichtung derartiger Ausschüsse und ihre Besetzung mit unabhängigen Mitgliedern ist somit ein sinnvoller Schritt, der aber im Grunde keine große Wirksamkeit verspricht und nicht an die Wurzel des Problems geht. 2. Risikomanagement Noch weitergehend macht die CRD IV Banken die Vorgabe, das interne Risikomanagement zu stärken. Dieses soll interne Risiken erkennen und überwachen, aber auch aktiv an der Ausarbeitung der Risikostrategie der Bank sowie an allen wesentlichen Entscheidungen zum Risikomanagement beteiligt sein.22 Es muss vom operativen Geschäft unabhängig sein und über „ausreichende Autorität, ausreichendes Gewicht, ausreichende Ressourcen und einen ausreichenden Zugang zum Leitungsorgan“ verfügen. Auch das ist sicherlich ein zu begrüßender Schritt in die richtige Richtung und eine neue Dimension, hat doch das Risikomanagement in der traditionellen Corporate Governance nur eine untergeordnete Bedeutung. Zugleich entspricht diese neue Stoßrichtung einer Forderung der Wissenschaft, der zufolge Banken mit stärkerem Risikomanagement weniger große Verluste in der Krise erlitten.23 Dennoch kann auch dieser Vorstoß nicht das Grundproblem einer Aktionärsfixierung des Managements überwinden. Auch sind der Effektivität des Risikomanagements insofern Grenzen gesetzt, als es in der Hand des Risikoausschusses liegt, dessen Nutzen bereits oben bezweifelt wurde. Und schließlich muss betont werden, was für eine geradezu absurd große Aufgabe das Risikomanagement für eine Großbank darstellt.24 3. Vergütung Wie bereits oben angesprochen ist die Vergütung der Unternehmensleitung ein traditionell wichtiges Instrument, um einen Gleichlauf mit den Interessen der Aktionäre zu erzielen. Seit jeher sind das Gesellschaftsrecht sowie die Empfehlungen der Corporate Governance bestrebt, durch variable Teile Anreize zu setzen, und insbesondere eine Koppelung an den Aktien22

Art. 76 Abs. 5 CRD IV. Ellul/Yerramilli, Journal of Finance 68 (2013), 1757. 24 So kündigte etwa JP Morgan vor ein paar Jahren an, 4000 neue Mitarbeiter für den Bereich Risikomanagement einzustellen und dabei 4 Milliarden Dollar zu investieren, siehe „JPMorgan to spend $4 billion on compliance and risk controls“, Reuters, 13. September 2013, https://www.reuters.com/article/us-usa-jpmorgan-risk/jpmorgan-to-spend-4billion-on-compliance-and-risk-controls-wsj-idUSBRE98C00720130913. 23

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kurs zu erzielen. Das Problem bei der Übertragung dieser Argumentation auf eine systemrelevante Großbank ist jedoch, dass der Aktienkurs nicht die systemischen Risiken widerspiegelt – die Kosten des systemischen Risikos sind nicht eingepreist, da Aktionäre sowohl aufgrund von einer beschränkter Haftung, Diversifizierung und de facto garantiertem Bail-out nicht zu tragen haben. Vor diesem Hintergrund hat etwa das Financial Stability Board im Jahr 2009 Richtlinien für eine solide Vergütungspraxis verabschiedet,25 die vor kurzem ergänzt wurden.26 Wesentliche Elemente dieser Richtlinien sind ein ordentliches Verfahren, bei dem der Vergütungsausschuss eine eigene Vergütungspolitik entwickeln muss, die jährlich der Marktaufsicht mitzuteilen ist; des weiteren Transparenz, was insbesondere die Zusammensetzung des Vergütungsausschusses, aber auch die zu veröffentlichende Vergütungspolitik selbst betrifft, und schließlich inhaltliche Vorgaben an die Vergütung, die risikoadjustiert sein soll und eine langfristige Perspektive einbeziehen soll. In Umsetzung dieser Leitlinien sind die europäischen Vorgaben deutlich konkreter. Zunächst müssen variable Vergütungsbestandteile mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar sein, dieses fördern und nicht zur Übernahme von Risiken ermutigen, die über das von dem Institut tolerierte Maß hinausgehen.27 Eine leistungsbezogene Vergütung muss in einem mehrjährigen Rahmen erfolgen und sich an einem längerfristigen Bewertungsrahmen orientieren; ein erheblicher Teil, mindestens aber 40% der variablen Vergütung, wird dabei für wenigstens drei (CRD V: vier oder fünf) Jahre vorerst zurückbehalten.28 Und schließlich, als kontroversester Bestandteil, deckelt die Richtlinie den Umfang der variablen Bezüge auf 100% des festen Bestandteils der Gesamtvergütung.29 Diese Reformschritte sind insgesamt zu begrüßen, ihre Wirksamkeit hängt aber von ihrer genauen Ausbalancierung ab. So etwa für die ex-anteRisikoadjustierung der Vergütung: für ihren Erfolg kommt es entscheidend auf die Qualität und die Überwachung der eingesetzten Risikomodelle an. Die ex-post-Korrektur der Vergütung durch Rückforderungsmöglichkeiten ist bestrebt, den Zusammenhang zwischen Vergütung und Erfolg besser 25 Financial Stability Board (FSB), FSB Principles for Sound Compensation Practices – Implementation Standards (25. September 2009), abrufbar unter . 26 FSB, Supplementary Guidance to the FSB Principles and Standards on Sound Compensation Practices – The use of compensation tools to address misconduct risk (9. März 2018), abrufbar unter . 27 Art. 92 Abs. 2 lit. a CRD IV. 28 Art. 94 Abs. 1 lit. b und m CRD IV. Malus- oder Rückforderungsvereinbarungen gelten für bis zu 100% der gesamten variablen Vergütung, siehe lit. n. 29 Art. 94 Abs. 1 lit. g CRD IV. Diese Quote kann bis auch 200% steigen, wenn zwei Drittel der Anteilseigner dies befürworten.

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auszubalancieren und auch negative Geschäftsentwicklungen an das Management weiterzugeben. Die Deckelung der variablen Vergütung ist ein Versuch, die Intensität der Bindung des Managements an den wirtschaftlichen Erfolg und den Aktienkurs zu reduzieren. Insbesondere dieses letzte Element der Reform hat auch zu politischen Verstimmungen geführt und in Großbritannien deutliche Kritik hervorgerufen an einer zu rigiden Brüssel Haltung, die gegen den Erfolg des Finanzplatzes London gerichtet sei.30 Auch wenn die Stoßrichtung der Reform sinnvoll ist, so ist der Kritik insofern beizupflichten, als es aus den oben genannten Gründen schwer vorstellbar ist, dass sowohl Marktaufsicht als auch unabhängige Mitglieder des Verwaltungsorgans effektive und effiziente Prinzipien für eine angemessene Vergütung formulieren und durchsetzen werden. Klaus Hopt hat zudem richtigerweise darauf hingewiesen, dass das Thema Vergütung oftmals eine zu prominente Stellung in der Corporate-Governance-Debatte (und speziell auch bei Banken) einnimmt und von Politikern oftmals eingesetzt wird, um eigenes vorheriges Überwachungsversagen zu kaschieren.31 4. Aktionärsrechte Eine wichtige Baustelle der gesellschaftsrechtlichen Reform in den letzten Jahren war die Stärkung von Aktionärsrechten. Nicht speziell für Banken, aber allgemein haben sich Regelgeber bemüht, Anreize zu schaffen, um Aktionäre und Anteilseigner zu einer aktiveren Ausübung ihrer Rechte zu bewegen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass eine zunehmende Passivität von Beteiligungsfonds und anderen institutionellen Investoren in der Wahrnehmung der Regelgeber zu einer mangelnden Überwachung des Managements geführt hatten.32 In dem hier interessierenden Zusammenhang hat dies insbesondere zur Verabschiedung der sog. „say on pay“-Regelung geführt, wonach Aktionäre über die Vergütung der Verwaltungsmitglieder abzustimmen haben. So etwa in den USA (nicht bindend)33, in Großbritannien (bindend)34, und mittler30 Siehe dazu sogar das Rechtsverfahren C-507/13 Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, das nach den Schlussanträgen des Generalanwalts von der Klägerin zurückgezogen wurde. 31 Hopt, JCLS 13 (2013), 219, 238, 250. 32 Siehe etwa Sir David Walker, A Review of Corporate Governance in UK Banks and Other Financial Industry Entities. Final Recommendations („Walker Review“), 26. November 2009, Abschnitt 5.10; außerdem Paul Myners, Record of Speech made to the Association of Investment Companies, April 2009, Abschnitt 38, . 33 Section 951 Dodd-Frank Act 2010. 34 Section 439A Companies Act 2006 verlangt seit 2013 alle drei Jahre ein bindendes Votum über die Vergütungsgrundsätze der Direktoren als auch eine jährliche konsultative Abstimmung über deren Umsetzung (Implementation Report).

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weile auch in der EU (optional).35 Die Sinnhaftigkeit von say on payRegelungen ist heftig umstritten und kann hier nicht im Detail nachvollzogen werden. Es soll allerdings auf den Umstand hingewiesen werden, dass grundsätzlich ein größerer Einfluss von Aktionären bei der Vergütungspolitik und im Gefüge der Corporate Governance allgemein in einem gewissen Widerspruch steht zu der Linie, die bei der speziellen Situation der BankenCorporate Governance verfolgt wurde. Wie oben dargelegt sind es die Anteilseigner, die verstärkt auf das Eingehen größerer Risiken gedrängt haben und dabei große volkswirtschaftliche Schäden und Staatsrettungsaktionen verursacht haben. Die vor dem Hintergrund, dass die Aktionäre negative Externalitäten für die Finanzstabilität verursachen, die von ihnen nicht eingepreist werden. Führt man sich dies vor Augen, dann scheint eine Stärkung der Aktionärsrechte in der allgemeinen Corporate Governance dazu geradezu im Widerspruch zu stehen.36 Ganz konkret erscheint es uneinsichtig, warum auf der einen Seite die Stimme der (risikofreudigen) Aktionäre bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung gestärkt wird, auf der anderen Seite aber detaillierte Vorgaben zur Ausgestaltung der Vergütung gemacht werden, deren Ziel es ist, eine Entkoppelung von den Interessen der Aktionäre herbeizuführen. 5. Organhaftung In diesem Zusammenhang wird auch des Öfteren eine erweiterte Haftung des Vorstands oder Aufsichtsrats diskutiert. So wurde etwa im Vereinigten Königreich ein neuer Haftungstatbestand des „reckless mismanagement of a bank“ eingeführt,37 und auch in der Literatur wird für ein schärferes Haftungsregime plädiert.38 Auf europäischer Ebene waren allgemein verschärfte Haftungsmaßstäbe für Vorstandsmitglieder von Banken ins Spiel gebracht worden. Die Europäische Kommission hat allerdings aufgrund vieler ablehnender Stellungnahmen auf eine Konsultation hin von einem entsprechenden Reformvorschlag abgesehen.39 Eine vergleichsweise bescheidenere Reform wäre es, allein die Rechtsdurchsetzung zu stärken, etwa durch Einschaltung der Aufsichtsbehörde in 35 Neuer Art. 9a Aktionärsrechte-Richtlinie 2007/36/EG, eingefügt durch Richtlinie (EU) 2017/828. 36 Siehe bereits Coffee, The Political Economy of Dodd-Frank: Why Financial Reform Tends to Be Frustrated and Systemic Risk Perpetuated, in Ferran/Moloney/Hill/Coffee (Hrsg.), The Regulatory Aftermath of the Global Financial Crisis (2012), 301, 341. 37 Section 36 Financial Services (Banking Reform) Act 2013. 38 Armour/Gordon, Journal of Legal Analysis 6 (2014), 35, treten u.a. dafür ein, die Business Judgment Rule für Banken aufzuweichen. Siehe auch der Vorschlag bei Hill/Painter, Better Bankers, Better Banks. Promoting Good Business through Contractual Commitment, Chicago University Press, 2015. 39 Hopt, ZGR 2013, 165.

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die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, wie es in Australien geschehen ist.40 Ein ähnlicher Vorschlag wurde 2014 vom Deutschen Juristentag erörtert, wurde aber letztlich zurückgewiesen.41 Klaus J. Hopt hat wiederholt darauf hingewiesen, dass ein spezielles Haftungsregime für Banken mit schärferen Haftungsanforderungen vielerlei praktische Herausforderungen aufwerfen würde.42 Das betrifft Themen wie Verschulden, Business Judgement, Kausalität und Beweislast.43 Fraglich ist zudem, ob eine persönliche Haftung von Vorstandsmitgliedern für systemische Risiken überhaupt zielführend sein kann, da das Privatvermögen in den seltensten Fällen zur Deckung ausreichen wird. Nebenwirkungen einer verschärften Haftung wären sicherlich auch, dass Vorstandsmitglieder weniger bereit wären, unternehmerische Risiken einzugehen, und es u.U. schwierig werden kann, gut qualifizierte Vorstandsmitglieder überhaupt zu finden.44 Entscheidend ist jedoch, dass die Fehlsteuerung in Hinblick auf systemische Risiken nicht in erster Linie durch den Vorstand oder Aufsichtsrat verursacht wird. Nach der hier vertretenen Ansicht – gestützt durch finanzökonomische Forschung45 – sind es vielmehr die Anteilseigner, deren Fehlanreize zur Eingehung erhöhter Risiken beigetragen haben, und die insbesondere systemische Risiken nicht einpreisen.46 Eine Nachjustierung auf der Ebene der Verwaltungsmitglieder wird hier wenig zielführend sein und kann das Grundproblem nur kaschieren, aber nicht grundlegend lösen. Eine Verschärfung der Haftung kann u.U. sogar zu einer stärkeren Bindung an die Interessen der Anteilseigner führen, was im Ergebnis kontraproduktiv wäre. 6. Gesellschafterhaftung Diese Überlegungen führen uns zum letzten Baustein einer Corporate Governance für Banken: der Einführung einer direkten Haftung der Anteilseigner. In historischer Betrachtung waren die meisten Banken ursprünglich in Rechtsformen organisiert, die eine persönliche Haftung der Gesellschafter mit sich brachten.47 Daher könnte man erwägen, Kreditinstitute in 40

Thaten, EBOR 19 (2018), 275. Beschlüsse 70. Deutscher Juristentag 2014, Ziffer 17-19, auch abgedruckt in ZIP 2014, 1902. 42 Hopt, 2012, Rn. 11.38; ders., JCLS 13 (2013), S. 219, 244; ders., WM 2019, 1771, 1777. Ausführlich Davies/Hopt, Non-Shareholder Voice in Bank Governance, Board Composition, Performance, and Liability, in: Busch/Ferrarini/van Solinge (o. Fn. 2), Kapitel 6. Skeptisch auch Bachmann, AG 2011, 181, 186; Mülbert, EBOR 10 (2009), 411. 43 Hopt, 2012, Rn. 11.38. 44 Hopt, JCLS 13 (2013), 219, 244. Kritisch auch Spamann, Journal of Legal Analysis 8 (2016), 337. 45 Siehe oben Abschnitt II. 46 Siehe oben Abschnitt II. 47 Hopt, 2012, Rn. 11.39. 41

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die Rechtsform etwa einer Offenen Handelsgesellschaft zu zwingen. Jedoch ist anerkannt, dass die begrenzte Gesellschafterhaftung eine ökonomisch äußerst bedeutsame Rolle erfüllt, die Risikostreuung, Diversifizierung und viele andere Vorteile mit sich bringt.48 Eine vollumfängliche Aufgabe der begrenzten Haftung für Banken erscheint auch deshalb nicht angezeigt, da sie zu einem Rückzug von Kleinanlegern führen würde, für die Überwachungs- und Informationskosten in keinem Verhältnis zu dem eingegangen Risiko stünden. Vor diesem Hintergrund haben Charles Goodhart und Rosa Lastra in einem kürzlich erschienen Beitrag für eine zweistufige Gesellschafterhaftung plädiert, die zwischen Großinvestoren und anderen Insidern auf der einen und Kleinanlegern auf der anderen Seite differenziert.49 Nach dem Vorschlag sollen nur letztere den Vorteil der begrenzten Haftung behalten dürfen, erstere aber persönlich voll haften. Im deutschen Recht stünde für die Implementierung eines solchen Vorschlags die Rechtsform der Kommanditgesellschaft bereit. Vorschläge, die eine verschärfte Haftung der Gesellschafter befürworten, sind insofern zu begrüßen, als sie den zutreffenden Problemherd ausfindig machen und bei den verzerrten Anreizen der Anteilseigner ansetzen. Allerdings sind diese Vorstöße rechtspolitisch sehr umstritten: das Rechtsinstitut der begrenzten Haftung ist wie betont unabkömmlich, und jede Unterwanderung hätte möglicherweise unbeabsichtigte Nebenwirkungen für die Investitionsbereitschaft und Risikostreuung im Kapitalmarkt. Hinzu kommt, dass die Einführung von unbegrenzter Haftung eine erhöhte „Ansteckungsgefahr“ (contagion) im Finanzsektor mit sich brächte, sofern Finanzinstitute auch nur zu einem geringen Maße Anteile anderer Institute halten.

IV. Externe Corporate Governance und Bankenabwicklung Es ist das Verdienst Klaus J. Hopts, den Bereich der Corporate Governance ganzheitlich und vollständig zu verstehen. Bereits in seinem früheren Werk hat er darauf hingewiesen, dass für die Wirksamkeit von Unternehmensorganisation und -kontrolle eine Unterscheidung von interner und externer Corporate Governance vorgenommen werden muss.50 Unter interner Governance sind somit alle Regeln und Mechanismen zu verstehen, die im Binnenverhältnis des Unternehmens gelten oder wirken und die Unternehmensorganisation ausmachen. Externe Corporate Governance hingegen 48

Grundlegend Easterbrook/Fischel, University of Chicago Law Review 52 (1985), 89. Goodhart/Lastra, Equity finance: matching liability to power, Journal of Financial Regulation 2020, https://doi.org/10.1093/jfr/fjz010. 50 Dazu etwa Hopt, ZGR 2000, 779, 782 ff.; ders., in: Hommelhoff, 3. Max Hachenburg – Gedächtnisvorlesung (2000), S. 9, 24 ff., 39 ff. Vgl. auch Teichmann, ZGR 2001, 645, 659 ff.; Leyens, RabelsZ 67 (2003), 57, 63. 49

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geht vom Markt aus: So üben Finanz- und Kapitalmärkte äußeren Druck auf die Organisation aus, und insbesondere der Markt für Unternehmenskontrolle (durch die Möglichkeit einer Unternehmensübernahme) hat nach dieser Sichtweise eine disziplinierende Wirkung auf die Tätigkeit der Unternehmensleitung. Die oben nachgezeichnete Debatte um die richtigen Grundsätze für die Corporate Governance von Banken hat sich bisher fast ausschließlich um die interne Unternehmensorganisation bemüht. Die externe Governance ist dabei in den letzten Jahren vernachlässigt worden.51 Im Folgenden soll dieses wichtige Element einer Marktdisziplinierung in den Vordergrund gestellt werden. Vielleicht zunächst kontraintuitiv kann eine Stärkung des Markts vor allem durch ein anderes Themenfeld befördert werden: die Bankenabwicklung. 1. Bankenabwicklung Fast wie in einer Parallelwelt zur Debatte um die Corporate Governance entwickelte sich in den letzten Jahren eine separate, lebhafte internationale Diskussion um die Schaffung eines Abwicklungsmechanismus für Banken („bank resolution“). Die Rede ist von einer Art Sonderinsolvenzrecht für Finanzinstitute, das deutlich von den Grundprinzipien des allgemeinen Insolvenzrechts abweicht. Die Bemühungen, ein Regelwerk zu schaffen, das es erlaubt, ein insolventes Finanzinstitut im Notfall abwickeln zu können, geht insbesondere auf die Erfahrungen mit dem Zusammenbruch systemrelevanter Großbanken während der Finanzkrise und die dabei erzwungenen staatlichen Rettungsoperationen zurück („too big to fail“). Wenn es gelänge, so die Überlegung, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der die geordnete Abwicklung einer solchen Bank ermöglicht, könnte sich das Erpressungspotential einer solchen Insolvenz vermeiden lassen. Ein zentrales Element der zu diesem Zweck nunmehr geschaffenen Rechtsregeln ist das sogenannte „Bail-in“-Instrumentarium, das als Gegenstück zum Bail-out geschaffen wurde.52 Bail-in folgt der Idee, die Verluste in einer Bankeninsolvenz nicht wie bisher durch den Staat (und damit den Steuerzahler) aufzufangen, sondern privaten Gläubigern und Anteilseignern aufzuerlegen. Das Konzept wurde erstmals 2010 theoretisch formuliert53 51 Vgl. Hopt, JCLS 13 (2013), S. 219, 221: die externe Governance von Banken ist schwach entwickelt. 52 Hierzu ausführlich Ringe, Bank Bail-In between Liquidity and Solvency, American Bankruptcy Law Journal 92 (2018), 299; ders., Bail-in: a Post-Crisis Learning Process, in: Brodie (Hrsg.), Bank Resolution: Key Issues and Local Perspectives, Insol International 2019, S. 41–59. 53 Calello/Ervin, From Bail-out to Bail-in, The Economist, 28. Januar 2010.

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und fand bereits 2011 Eingang in die Empfehlungen des Financial Stability Board (FSB)54. Wenige Jahre später ist dieses Konzept eines der zentralen Bestandteile der europäischen Bankenabwicklungsrichtlinie BRRD55 und des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM) in der Bankenunion56. Die Ziele der Bankenabwicklung werden zusätzlich untermauert durch flankierende ex-ante-Maßnahmen wie die Sanierungs- und Abwicklungsplanung57, sogenannte „living wills“ (Abwicklungstestamente) sowie durch Stresstests, bei denen die Widerstandsfähigkeit der Finanzinstitute überprüft wird.58 Wenn dieses Instrumentarium einen glaubwürdigen Mechanismus etabliert, mit dem sich die Krise einer systemrelevanten Bank meistern lässt, würde sich die bisher implizit bestehende Blankogarantie einer staatlichen Rettung vermeiden und der daraus resultierende moral hazard reduzieren. Anders gewendet würde der Konkurs einer Großbank dann nicht anders behandelt als bei jedem Unternehmen der Realwirtschaft auch: das Insolvenzrisiko tragen die privaten Investoren, und nicht der Staat. 2. Governance-Wirkungen Die Errichtung eines wirksamen und glaubwürdigen Bankenabwicklungsmechanismus hat – neben der Restrukturierungsmöglichkeit ex post – auch wichtige ex-ante-Auswirkungen auf die externe Corporate Governance von Finanzinstituten. Erstens ist die Bankenabwicklung bestrebt, wie dargelegt, den moral hazard der Anteilseigner zu reduzieren. Die implizite und unausgesprochene Garantie einer eventuellen staatlichen Rettung ist nämlich Teil des Prob54 Financial Stability Board (FSB), Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions (Oktober 2011), abrufbar unter http://www.fsb.org/wp-content/up loads/r_111104cc.pdf. Das Papier wurde 2014 aktualisiert. 55 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/ EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2014 Nr. L 173, S. 190. 56 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. 2014 Nr. L 225, S. 1. 57 Siehe Art. 5 ff. und 10 ff. BRRD. 58 Die Stresstests werden durch die Europäische Bankenaufsicht (EBA) und die Europäische Zentralbank (EZB) durchgeführt.

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lems, dass Anteilseigner von Großbanken in der Regel eine hohe Risikobereitschaft zeigen: sie haben von einem eventuellen Scheitern ihres Unternehmens nichts zu befürchten. Dies hat in der Vergangenheit zu der untragbaren Folge geführt, dass sich Großbanken in der Regel deutlich günstiger finanzieren konnten als kleinere Institute, und zwar allein aufgrund ihrer Größe und der dadurch gestiegenen Rettungswahrscheinlichkeit durch den Staat. Ein solider Abwicklungsmechanismus führt somit dazu, dass die Fehlanreize, welche durch staatliche Rettungsaktionen bei Anteilseignern hervorgerufen werden, reduziert und bestenfalls sogar komplett eliminiert werden. Dies wiederum stärt die Marktdisziplin und wird dazu führen, dass Anteilseigner weniger bereit sein werden, unverantwortliche Risiken einzugehen. Zweitens hat ein effektiver Abwicklungsmechanismus auch Auswirkungen auf die Gläubiger einer systemrelevanten Bank, die nun ebenfalls vermittels Bail-in damit rechnen müssen, zur Rettung des Instituts herangezogen zu werden. Hier besteht die erwartete Hauptwirkung darin, dass diese bereits ex ante verstärkte Überwachungsaktivitäten unternehmen werden, da sie bei unternehmerischen Fehlentscheidungen oder Misswirtschaft ihres Schuldners mit wirtschaftlichen Verlusten rechnen müssen. In erster Linie wird dies etwa auf Anleihegläubiger zutreffen, aber auch auf Einleger, soweit diese nicht von der Einlagensicherung abgedeckt sind. Auch dies ist ein durch den Markt vermittelter externer Bestandteil der Corporate Governance. Genügt der mittlerweile geschaffene Rechtsrahmen den Anforderungen an einen wirksamen Abwicklungsmechanismus?59 Es ist offensichtlich, dass das derzeitige Regelwerk noch einige Schwachpunkte aufweist, wie etwa Fragen der Einschreitensvoraussetzungen oder der Abwicklungsliquidität.60 Auch wird dem Problem der Ansteckungsgefahr durch gegenseitiges Halten von Wertpapieren bisher noch übersehen.61 Dennoch gibt es erste positive Anzeichen: so ist etwa in ersten Studien nachgewiesen worden, dass das Inkrafttreten von Bankenabwicklungsregeln grundsätzlich zu einer reduzierten Risikoeingehung bei Banken geführt hat.62

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Skeptisch Tröger, Journal of Financial Regulation 4 (2018), 35. Ringe, American Bankruptcy Law Journal 92 (2018), 299, 318 ff. 61 Vgl. Ringe/Patel, The Dark Side of Bank Resolution: Counterparty Risk through Bail-in, EBI Working Paper Nr. 31/2019, abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=3314103. 62 Ignatowski/Korte, Wishful thinking or effective threat? Tightening bank resolution regimes and bank risk-taking, Journal of Financial Stability 15 (2014), 264; Cutura, Debt Holder Monitoring and Implicit Guarantees: Did the BRRD Improve Market Discipline?, SAFE Working Paper No. 232 (2018), abrufbar unter http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3263375. 60

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3. Implikationen für die Corporate Governance bei Banken Es ist das Hauptanliegen dieses Beitrags, auf die Implikationen des Abwicklungsregimes für die Corporate Governance hinzuweisen. Die wissenschaftliche Diskussion wurde bisher in beiden Themenbereichen vorwiegend isoliert geführt, und nur wenige Beiträge haben auf ihre gegenseitigen Auswirkungen hingewiesen.63 Von einer ganzheitlichen Betrachtungsweise kann viel gewonnen werden. Wie gezeigt ist ein optimal gestalteter Abwicklungsmechanismus in der Lage, viele Fehlanreize bei systemrelevanten Finanzinstituten zu beseitigen. Das stärkt die natürlichen Marktkontrollmechanismen und rückt die Interessenslage bei Banken ein Stück weit in Richtung eines regulären Unternehmens der Realwirtschaft. Im Grunde ist das bail-in-Instrument nämlich nur bestrebt, die Prinzipien der Marktwirtschaft – die eben auch die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Scheiterns umfasst – bei systemrelevanten Banken wiederherzustellen. Folgt man dieser Betrachtungsweise, erscheinen drastische Vorschläge der derzeitigen Governance-Debatte wie die Einführung eines speziellen Haftungsregimes für entweder Vorstand oder sogar Gesellschafter weniger notwendig.64 Zuzugestehen ist, dass ein funktionierender Abwicklungsmechanismus nicht alle Governance-Probleme lösen kann. Die Undurchsichtigkeit und mangelnde Transparenz des Bankgeschäfts beispielsweise bleibt, wie oben beschrieben, ein Hauptproblem. Und auch die übrigen möglichen Fehlanreize auf Seiten der Anteilseigner – infolge von beschränkter Haftung oder Diversifizierung – bleiben bestehen. Dies jedenfalls, solange man den oben diskutierten Vorschlägen zur Modifizierung der Gesellschafterhaftung nicht nähertritt.65 Beschränkte Haftung und Diversifizierung sind jedoch allgemeine Erscheinungen, die in jeglichem Unternehmen mit einer weit gestreutem Aktionärsstruktur auftreten und seit jeher die allgemeine Corporate Governance-Debatte beherrschen. Hier ist anerkannt, dass die Vorteile die Nachteile deutlich überwiegen.66 Zudem hat ein umfassend diversifizierter Aktionär noch einen zusätzlichen Vorteil für die hier interessierende Betrachtung: es ist sicherlich zutreffend, dass eine Diversifizierung die Risikogeneigtheit des Gesellschafters auf der Ebene eines individuellen Unternehmens erhöht; für systemische Risiken gilt dies aber nicht. Denn gerade ein diversifizierter Aktionär wird Risiken, die den Markt als Ganzes treffen können, nicht befürworten.67 63 Siehe etwa Martino, Law & Economics of Banks Corporate Governance in the Bailin Era, Working Paper 2018, abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=3100703, m.w.N. 64 Vgl. die Vorschläge oben unter III.5. und III.6. 65 Siehe etwa den Vorschlag von Goodhart/Lastra, o. Fn. 49. 66 Siehe oben Abschnitt III.6. 67 Vgl. Armour/Gordon (o. Fn. 38), S. 39.

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V. Zusammenfassung Die globale Finanzkrise der Jahre 2007–09 hat einen intellektuellen Lernprozess für die optimalen Leitungs- und Organisationsstrukturen von Finanzinstituten in Gang gesetzt und die Unterschiede von Banken zu vielen anderen Unternehmen der Realwirtschaft aufgezeigt. Die Debatte um die richtige Corporate Governance im Finanzsektor wird jedoch bisher vorwiegend auf interne Aspekte der Corporate Governance beschränkt, d.h. insbesondere auf Fragen der Leitungsstruktur, der Vergütung, des Risikomanagements und der Haftung. Der vorliegende Beitrag plädiert dafür, die Debatte verstärkt für marktbedingte, externe Elemente der Corporate Governance zu öffnen. Insbesondere bewirkt die Schaffung eines Abwicklungsmechanismus für Banken ex ante stärkere Marktdisziplin und größere Überwachungsanreize bei Gesellschaftern und Gläubigern. Wie gezeigt, kann dies zudem den moral hazard bei Systemrelevanz der Bank sinnvoll adressieren. Die Strategie einer verbesserten und effizienteren Bankenabwicklung kann sicherlich nicht alle hier aufgeworfenen Probleme lösen. Jedoch ist das Zusammendenken von (internen) Governance-Regeln und externer Marktdisziplin der Schlüssel zu einer besseren Risikobeherrschung im Bankensektor.

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Die Information des Kontrollorgans Markus Roth

Die Information des Kontrollorgans im Spiegel internationaler Corporate Governance-Grundsätze MARKUS ROTH

I. Einleitung Die Information des Kontrollorgans bildet seit langem einen Schwerpunkt der internationalen und interdisziplinären Corporate GovernanceDiskussion, die Klaus J. Hopt seit Jahrzehnten in Deutschland begleitet und prägt. Die Information des Kontrollorgans findet dabei sein besonderes Interesse, er hat sich auch selbst während des Entstehens dieses Beitrags im letzten Jahr mehrfach hierzu geäußert,1 zuletzt in diesem Jahr im Rahmen eines vielbeachteten Vortrags auf dem der Information gewidmeten ZGRSymposion in Glashütten.2 Rechtsvergleichend wurde die Informationsversorgung bereits Anfang des Jahrtausends in einem Klaus J. Hopt gewidmeten Beitrag als Schwachstelle des Aufsichtsrats identifiziert,3 dies aus britischer Perspektive nach Inkrafttreten des KonTraG im Jahre 19984 und damit der Ausformung der wesentlichen geschriebenen aktienrechtlichen Regeln zur Information des Aufsichtsrats. Das KonTraG hat die Berichterstattung des Vorstands in § 90 AktG detailliert geregelt und mit der Beauftragung des Abschlussprüfers durch den Aufsichtsrat zugleich die vorstandsunabhängige Information gestärkt.5 Aktuell ist die vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats im Schrifttum anerkannt6 und nunmehr auch vom Bundesgerichtshof als Begriff übernommen worden.7 1

Hopt ZGR 2019, 507; Hopt/Leyens ZGR 2019, 929. Hopt ZGR 2020, Heft 2/3. 3 Davies ZGR 2001, 268, 284 f., zu entsprechenden Problemen in den USA in den 1970er Jahren allerdings Eisenberg The Structure of the Corporation, 1976, p. 143. 4 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.4.1998, BGBl. I 786. Zum Referentenentwurf Hopt AG-Sonderheft 1997, 42. 5 Zur vorstandsunabhängigen Information Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 111 Rdn. 372 ff.; Markus Roth AG 2004, 1. 6 Drygala in Schmidt/Lutter, 3. Auflage 2015, Rdn. 32 ff.; Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats 6. Auflage 2014, Rdn. 241 ff., zurückhaltend Spindler in Spindler/Stilz, 4. Auflage 2019, § 111 Rdn. 36, großzügiger auch ohne diese Begriffsbildung MünchKomm/Habersack 5. Auflage 2019, § 111 Rdn. 71 ff. 7 BGHZ 218, 221 Rn. 21. 2

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Allerdings hat jüngst erschienener Beitrag herausgearbeitet, dass ein Ansprechen von Mitarbeitern im aktuellen Schrifttum gerade von anwaltlich tätigen Praktikern überwiegend abgelehnt wird.8 Insbesondere werde keine gesetzliche Regelung dieses in der Literatur umstrittenen Sachverhalts gefordert.9 Ein fehlendes praktisches Bedürfnis wird man allerdings kaum annehmen können, hat doch die Unternehmenspraxis sodann eine gesetzliche Regelung des Kontakts mit Mitarbeitern gefordert.10 Geboten erscheint es vielmehr, der Information des Aufsichtsrats durch Mitarbeiter des Unternehmens zunächst rechtsvergleichend und sodann nochmals11 für das deutsche Recht nachzugehen. International ist neben der wissenschaftlichen Debatte über Corporate Governance vornehmlich in den Rechtswissenschaften und in den Wirtschaftswissenschaften12 insbesondere die Praxis börsennotierter Gesellschaften von Bedeutung, auf die in diesem Beitrag der Schwerpunkt gelegt werden soll. Um ein (fehlendes) Bedürfnis nach vorstandsunabhängiger Information durch Mitarbeiter des Unternehmens festzustellen, bietet sich ein Vergleich der Kodizes13 an. In der deutschen Debatte wird die Informationsversorgung des Aufsichtsrats dabei häufig mit der Informationsversorgung des Verwaltungsrats bzw. Board verglichen und auf Unterschiede in der Organisationsverfassung verwiesen.14 In der Folge sollen die den Organen in den Corporate GovernanceGrundsätzen zugeschriebenen Funktionen dargestellt und die hierfür vorgesehenen Informationen und Informationsquellen benannt werden. Unter anderem eine Einteilung der Länder in eine monistische und eine dualistische Corporate Governance-Verfassung enthält das OECD Corporate Governance Factbook.15 Für die Beschreibung der Aufgaben sowie die Infor8

Nachweise bei Kort in: FS Eberhard Vetter 2019, S. 341, 349 (Fußnote 45). Kort in: FS Eberhard Vetter 2019, S. 341, 349. 10 Drinhausen ZHR 183 (2019) 509, 519 f. 11 Dazu schon Markus Roth AG 2004, 1, 8 f., zustimmend etwa Sven H. Schneider Informationspflichten und Informationsversorgungspflichten im Aktienkonzern, 2006, S. 106 f.; weitergehend Leyens Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 158 ff.; kritisch Lutter AG 2006, 517, 521; Hoffmann-Becking ZGR 2011, 136, 152, für eine konsensuale Regelung Hüffer/Koch 13. Auflage 2018, § 111 Rdn. 21. 12 Dazu etwa Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (eds.), Comparative Corporate Governance, The State of the Art and Emerging Research, Oxford 1998; Hommelhoff/ Hopt/von Werder (Hrsg.) Handbuch Corporate Governance, 2. Auflage 2009; Kremer/ Bachmann/Lutter/von Werder Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Auflage 2018. 13 Becker/von Werder AG 2016, 761, mit Vergleich zu Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Signapur und den USA. 14 Kort in: FS Eberhard Vetter 2019, S. 341, 347 f., 349 f. 15 Das OECD Corporate Governance Factbook 2019 p. 135 nennt 11 Länder mit einem dualistischen System, 13 Länder mit Wahlmöglichkeiten zwischen einem monistischen und einem dualistischen System, drei Länder mit mehr bzw. Hybriden Systemen und 22 Länder mit einem monistischen System. 9

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mationsmöglichkeiten des Kontrollorgans relevant sind neben gesetzlichen Regelungen, eigentlichen Corporate Governance Kodizes auch sonstige Grundsätze, die von interessierten Kreisen oder Organisationen erlassen werden. Eigentliche Kodizes finden sich insbesondere in Europa, aber auch in Asien, nicht in den USA und in Kanada.

II. Aufgaben und Information des Kontrollorgans im monistischen System 1. Aufgaben eines Board oder Verwaltungsrats Für den Vergleich der Aufgaben des Aufsichtsrats mit den Aufgaben eines Board oder auch Verwaltungsrats bedarf es der Unterscheidung von gesetzlichen Regelungen und Corporate Governance-Grundsätzen. Dies gilt in besonderem Maße in den USA, in denen sich das historische gesetzliche Leitbild des Board und aktuelle Corporate Governance-Grundsätze für große börsennotierte Gesellschaften besonders weit auseinanderentwickelt haben. Der Unterschied zwischen gesetzlichen Aufgaben und Corporate Governance-Grundsätzen für große börsennotierte Aktiengesellschaften zeigt sich aber auch in der Schweiz. In der Schweiz war die Aktiengesellschaft lange die häufigste Gesellschaftsform16 und ist das landesweit auch noch heute,17 so dass das Gesetz dort die Aufgaben auch für sehr kleine Gesellschaften beschreiben muss, in denen eine Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle praktisch nicht in Betracht kommt.18 Historisch war in den USA der Board für die Geschäftsführung nicht nur zuständig,19 sondern nahm diese auch wahr. Dem Board gehörten nur wenige nicht geschäftsführende Direktoren und ein geringer Anteil unabhängiger Direktoren an.20 In der deutschen Debatte wird der Board häufig noch als Instrument des Chief Executive Officers angesehen.21 Allerdings hat Melvin 16

Internationaler Überblick bei Wymeersch Referat auf dem 67. DJT Erfurt 2008, N 98. Eidgenössisches Amt für das Handelsregister, Eingetragene Gesellschaften pro Rechtsform, Stand 1.1.2020, mit kantonalen Unterschieden. 18 Für börsennotierte Gesellschaften legt der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance in Ziffer 11 die Übertragung von Leitungsfunktionen an einen Delegierten oder eine separate Geschäftsleitung an. 19 Dazu etwa Wiethölter Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, S. 184 ff. 20 Gordon The Rise of Independent Directors in the United States, Stanford Law Review 59 (2007) 1465, 1474. 21 Anders in den USA: Gordon The Rise of Independent Directors in the United States, Stanford Law Review 59 (2007) 1465, 1511 spricht von einem „advisory board“. Auf die Überwachungsfunktion des Board fokussierend schon Gilson/Kraakman Reinventing the Outside Director, Stanford Law Review 43 (1991) 863. 17

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Eisenberg bereits in den 1970er Jahren in seinem Werk „The Structure of the Corporation“ herausgearbeitet, dass die Boards in den USA die Geschäftsführungsfunktion praktisch nicht wahrnehmen.22 Kritisiert wurde von Eisenberg insbesondere, dass sich der Board nur in ganz wenigen Unternehmen häufiger als monatlich traf,23 so dass er seine Aufgaben letztlich nicht wahrnehmen konnte. Diskutiert wurden professionelle Boards,24 hauptamtliche sowie mit Mitarbeitern ausgestattete Boards,25 praktisch durchgesetzt hat sich das Modell des unabhängig besetzten Board.26 Aktuelle Modellregelungen finden sich im Model Business Corporation Act sowie in den Corporate Governance Principles des American Law Institute.27 Hintergrund ist die Zuständigkeit der Bundesstaaten für das Gesellschaftsrecht. In den USA ist nur das Kapitalmarktrecht bundeseinheitlich geregelt, das wegen des Auseinanderfallens der Gesetzgebungskompetenzen stärker als in Deutschland und Europa in die Corporate Governance der Gesellschaften eingreift. Auf der Ebene der Bundesstaaten kommt dem Delaware General Corporation Law besondere Bedeutung zu, dort sind die meisten Gesellschaften inkorporiert. Die einschlägigen Regelungen sehen jeweils die Möglichkeit der Geschäftsführung durch den Board vor, dies aber nicht verpflichtend, zwingend vorgesehen wird nur die Überwachung.28 Auf einen Board kann durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss verzichtet werden.29 In großen börsennotierten Gesellschaften haben sich die Aufgaben von Aufsichtsrat und Board international angeglichen.30 Anschaulich wird das Angleichen der Aufgaben von Aufsichtsrat und Board insbesondere in den USA. Dort besteht der Board nunmehr nicht nur ganz überwiegend aus unabhängigen Direktoren, in großen Gesellschaften ist der Chief Executive Officer sogar meist der einzige nicht geschäftsführende und nicht unabhän-

22 23 24

Eisenberg The Structure of the Corporation, 1976, p. 139. Eisenberg The Structure of the Corporation, 1976, p. 141. Gilson/Kraakman Reinventing the Outside Director, Stanford Law Review 43 (1991)

863. 25

Eisenberg The Structure of the Corporation, 1976, p. 149–156. Nach dem 2019 US Spencer Stuart Board Index sind 85 Prozent der Direktoren unabhängig. Siehe auch Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/ Kanda/Pargendler/Ringe/Rock Anatomy of Corporate Law, 3rd edition Oxford 2017, p. 62. 27 § 141(a) Delaware General Corporation Law; Model Business Corporation Act (2016 Revision), die Principles of Law, Corporate Governance and Analysis des American Law Institute aus dem Jahre 1994 werden derzeit überarbeitet. 28 § 8.01 (b) Model Business Corporation Act; zu Unterschieden zwischen großen und kleinen Gesellschaften und die Überwachung bei börsennotierten Gesellschaften der Kommentar. 29 § 8.01 (a) Model Business Corporation Act. 30 Hopt ZGR 2019, 507, 517. 26

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gige Direktor.31 Im US-amerikanischen Schrifttum wird so von einem Monitoring Board gesprochen,32 dies in Abgrenzung zu den traditionellen Aufgaben des Board. Der Fokus des Board auf die Überwachung des Managements wird etwa bei der Beschreibung der Aufgaben des Board durch den Businesss Roundtable deutlich. Nach dem Business Roundtable ist das Management, geführt vom Chief Executive Officer, für die Entwicklung, das Management und die Ausführung der Strategie des Unternehmens zuständig, zentrale Rolle des Board ist die Überwachung des Managements der Gesellschaft sowie der Unternehmensstrategie mit dem Ziel einer langfristigen Wertschöpfung.33 Die Leitprinzipien des Business Roundtable zur Corporate Governance34 entsprechen weitgehend der Kompetenzverteilung in der deutschen Aktiengesellschaft. Nach dem ersten Leitprinzip bestätigt der Board die Strategie, die einen langfristigen Wert für das Unternehmen schafft, wählt einen Chief Executive Officer (CEO, entspricht einem Vorstandsvorsitzenden) aus, überwacht den CEO und das höhere Management in der Führung der Geschäfte der Gesellschaft, einschließlich der Zuweisung von Kapital für langfristiges Wachstum sowie dem Einschätzen und Managen von Risiken und setzt den „tone from the top“ für ethisches Verhalten. Nach dem zweiten Leitprinzip entwickelt und implementiert das Management die Strategie der Gesellschaft und führt die Geschäfte der Gesellschaft unter der Aufsicht des Board. 2. Information des Board in den USA Anders als in Deutschland ist die Information des Board in den USA gesetzlich nicht geregelt. Praktisch wird der Board insbesondere vom Chief Executive Officer informiert, nach den Principles of Corporate Governance des Business Roundtable gehört es zu den Hauptaufgaben des Managements, geführt vom CEO, den Board über die Geschäfte der Gesellschaft zu informieren.35 Die Information ist allerdings nicht monopolisiert, sondern flexibel. Die Listing Rules der New York Stock Exchange sehen separate

31 2019 US Spencer Stuart Board Index, p. 15: in 62 Prozent der S&P 500-Gesellschaften ist der CEO der einzige nicht unabhängige Direktor. 32 Gordon The Rise of Independent Directors in the United States, Stanford Law Review 59 (2007) 1465, 1514. 33 Business Roundtable, Principles of Corporate Governance 2016, I. Key Corporate Actors. 34 Business Roundtable, Principles of Corporate Governance 2016, Guiding Principles of Corporate Governance. 35 Business Roundtable, Principles of Corporate Governance 2016, I. Key Corporate Actors.

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Treffen des Audit Committee mit der Internen Revision vor,36 die mit der Überwachungsfunktion begründet werden. Die Information des Board wird in den USA vom Business Roundtable unter den Stichworten Zugang zum Management, Information und Technologie behandelt.37 Es soll ein offener und permanenter Dialog zwischen Board und Management stattfinden. Die Direktoren sollten außerhalb von Sitzungen des Board Zugang zum Management haben. Die Qualität und Rechtzeitigkeit der Information, die der Board erhält, beeinflusst die Fähigkeit des Board, seine Aufsichtsfunktion effizient wahrzunehmen. Gesellschaften sollten die Vorteile von Technologie (etwa Board-Portale) nutzen, um Direktoren mit Unterlagen für Board-Sitzungen und mit Echtzeitinformationen über Entwicklungen zwischen Sitzungen zu versorgen. Die Nutzung von moderner Technologie, einschließlich E-Mails, zur Kommunikation mit Direktoren, einschließlich der Überlassung von Dokumenten, sollte von Schutzmaßnahmen begleitet werden, die die Sicherheit der Information sowie der elektronischen Geräte der Direktoren schützen, inklusive von Politiken zur Speicherung von Dokumenten. Das Council of Institutional Investors, CII, behandelt die Information des Board unter den Stichpunkten Risk Oversight38 und Board Operations. Die Risikoüberwachung verlangt nach den Corporate Governance Policies des CII eine meaningful communication zwischen dem Board und dem Management und externen Beratern, die der Board beauftragt.39 Nach den Policies zu Board Operations haben die Direktoren die positive Verpflichtung, mit den Geschäften der Gesellschaft vertraut zu werden und zu bleiben, wobei die Prinicples des Council of Institutional Investors Wert auf die unabhängige Information legen und betonen, dass nicht nur auf die Information durch den Chief Executive Officer vertraut werden sollte.40 Die Direktoren sollten zeitgerecht vor Sitzungen des Board aussagekräftige Informationen erhalten und in angemessenem Umfang die Möglichkeit haben, mit dem Management über Angelegenheiten des Board zu sprechen. Der Board sollte regelmäßig darüber sprechen, ob die Direktoren das Gefühl haben, angemessene Informationen zu erhalten und angemessenen Zugang zum Management zu haben, um Aktionärsinteressen zu besprechen.41 36 37

New York Stock Exchange, Listed Company Manual, 303A7 (b) (iii). Business Roundtable, Principles of Corporate Governance 2016, V. Board Opera-

tions. 38 Dazu auch Calpers: Appropriate transparency and visibilty into the risk procedure, B.13.f. 39 Council of Institutional Investors, Corporate Governance Policies, updated September 17, 2019, Risk Oversight, 2.7. 40 Council of Institutional Investors, Corporate Governance Policies, updated September 17, 2019, Board Operations, Informed Directors, 2.12a, sentence 2. 41 Council of Institutional Investors, Corporate Governance Policies, updated September 17, 2019, Board Operations, Informed Directors, 2.12a, sentence 4.

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3. Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich sehen die für börsennotierte Gesellschaften einschlägigen Regelungsebenen zur Information des Board explizit verschiedene Informationskanäle vor. Einschlägig ist neben dem Gesetz, dem UK Companies Act 2006 und dem UK Corporate Governance Code auch die Guidance on Board Effectiveness,42 die seit 2018 den UK Corporate Governance Code ergänzt. Das Gesetz selbst sieht lediglich einen Company Secretary vor, dem in der Praxis bei der Information des Board besondere Bedeutung zukommt. Der UK Corporate Governance Code sieht in Teil 2 eine Aufteilung der Verantwortung vor. Für die notwendige Information zu sorgen, liegt nach Principle I in der Verantwortung des Board, unterstützt vom Company Secretary.43 Die effiziente Führung des Board liegt nach Principle F in der Verantwortung des Vorsitzenden. Hauptsächlich wird die Information des Board in der Guidance on Board Effectiveness adressiert, die keine verbindlichen Standards setzt oder beschreibt, sondern die Boards dazu anregen will, über die effiziente Erfüllung ihrer Aufgaben nachzudenken.44 Die Guidance on Board Effectiveness vom Juli 201845 soll regelmäßig aktualisiert werden46 und ergänzt gemeinsam mit Empfehlungen zu audit, risk and internal control47 den UK Corporate Governance Code.48 Angesprochen wird die Information zunächst bei der Überwachungskultur.49 Ein Mangel an Information wird als Zeichen für Probleme der Unternehmenskultur beschrieben50 und eine Information aus verschiedenen Quellen empfohlen. Der Board sollte sich vor beschränkter und unvollständiger Information schützen, die Arbeitnehmer werden als bedeutende Quelle für Informationen angesehen. Der Board sollte bei seiner Arbeit auf bestehenden Strukturen und Informationen aufbauen,51 genannt werden etwa Compliance, Interne Revision und Human Resources. 42 Dazu Hopt in FS Seibert 2019, S. 389, 391 (Fußnote 7), zur Bedeutung der Guidance auch 406 (Denkanstöße für die deutsche Diskussion). 43 Nach der Empfehlung 16 sollen alle Direktoren Zugang zum company secretary haben. 44 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 1. 45 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018. 46 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 3: wenn sich die gute Praxis weiterentwickelt. 47 Financial Reporting Council, Guidance on Audit Committees, April 2016 sowie Financial Reporting Council, Guidance on Risk Management, Internal Control and Related Financial and Business Reporting, September 2016. 48 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 2, 8. 49 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 23. 50 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, Figure 2. 51 Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 24.

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Als ein Zweck der Information nennen die Guidance on Board Effectiveness das Erkennen von Subkulturen im Unternehmen.52 Als Frage für den Board wird formuliert, wie Technologie zur Analyse, Interpretation und Präsentation von Information genutzt werden kann. Der Board kann Bedingungen für kluge (sound) Entscheidungsabläufe schaffen (decisionmaking).53 Empfohlen wird eine integrierte Information, wenn mehr als ein Teil des Unternehmens betroffen ist. Die Guidance on Board Effectiveness bezeichnet die Information als Aufgabe des Chairman.54 Dieser soll den Informationsfluss zeitnah, akkurat und mit hoher Qualität organisieren. Weiter liegt die Information des Board in der Verantwortung auch des Chief Executive Officers (CEO).55 Der CEO muss mit zeitnaher, akkurater Information von hoher Qualität dafür sorgen, dass der Board seine Aufgaben erfüllen kann, weiter soll der CEO Zugang zu Geschäften und zu Arbeitnehmern ermöglichen. Schließlich sehen die Guidance on Board Effectiveness eine Verantwortung des company secretary für die Information des Board vor.56 Die nicht geschäftsführenden Direktoren sollen die Information vor der Sitzung erhalten,57 so dass „thorough investigation“ vor der Sitzung und Debatte in der Sitzung möglich ist. Die Unterlagen sollen die Direktoren auch darüber informieren, was von ihnen in einer bestimmten Angelegenheit erwartet wird. 4. Schweden In Schweden erfolgt die Information des Board durch den Chief Executive Officer nach vom Board vorgegebenen Leitlinien.58 Grundlage hierfür ist Kapitel 8 § 4 des Schwedischen Companies Act. Der Board soll Instruktionen über die Information geben, die er für die Ausübung seiner Tätigkeit benötigt. Allerdings wird der Board keineswegs auf eine Information durch den Chief Executive Officer beschränkt. Nach Ziffer 5.1 des schwedischen Corporate Governance Code hat sich jeder Direktor zu jeder vom Board erwogenen Angelegenheit eine eigene Meinung zu bilden und hierfür die Information anzufordern, die er oder sie für notwendig hält, damit der Board gut fundierte Entscheidungen treffen kann.59 Nach Ziffer 6.3 des schwedischen Corporate Governance Code muss der Vorsitzende des Board dafür sorgen, dass der Board ausreichende Informa52 53 54 55 56 57 58 59

Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 26. Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 31. Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 61. Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 73. Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 81. Financial Reporting Council, Guidance on Board Effectiveness, July 2018, 77. Swedish Corporate Governance Code 2016, II. 4, Abs. 2 Satz 2. Swedish Corporate Governance Code 2016, III.5.1.

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tionen und Dokumente für seine Tätigkeit erhält.60 Ziffer 7 regelt das Verfahren im Board.61 Danach hat zum einen der CEO die notwendigen Hintergrundinformationen zu liefern. Betont wird aber weiter die Bedeutung interner Kontrolle. Insoweit statuiert der Kodex ein Transparenzerfordernis, bislang hat sich keine einheitliche Praxis gebildet. So ist bei einer Bank die Interne Revision dem Board unterstellt.62 Weiter findet sich eine Anbindung der Internen Revision an den CEO mit Informationspflichten gegenüber dem Board bzw. gegenüber dem Prüfungsausschuss.63 5. Asien In Japan sieht der Corporate Governance Code generell eine Verantwortlichkeit der Direktoren für ihre Information vor,64 die diese von der Gesellschaft verlangen sollen. Insbesondere sollen außenstehende Direktoren auf adäquate Weise mit notwendiger Information versorgt werden sowie zwischen Direktoren und Interner Revision ein Austausch stattfinden.65 In Korea sollen außenstehende Direktoren von jedermann in der Gesellschaft Informationen verlangen können.66 In Hong Kong sollen die Direktoren separat und unabhängig voneinander Zugang zum höheren Management haben,67 die in Bezug genommenen Vorschriften zur Rechnungslegung68 geben dem Board die Kompetenz, das höhere Management zu bestimmen, exemplarisch genannt werden die Direktoren von Tochtergesellschaften und Leiter von Unternehmensbereichen, Abteilungen und operativen Einheiten in der Unternehmensgruppe.

III. Information des Kontrollorgans im dualistischen System 1. Von der OECD benannte Länder Das OECD Corporate Governance Factbook 2019 benennt als Länder mit einer dualistischen Organisationsverfassung neben Deutschland in eng60

Swedish Corporate Governance Code 2016, III.6.1. Swedish Corporate Governance Code 2016, III.7, Board Procedures. 62 Swedbank Corporate Governance Report 2018, 5.3. 63 Etwa Volvo Corporate Governance Report 2017, 9. 64 Japans’s Corporate Governace Code 2018, 4.13. 65 Japans’s Corporate Governace Code 2018, 4.13.3. 66 Korea Corporate Governance Service, Code of Best Practices for Corporate Governance, 2016, 3.4. 67 Hong Kong Exchanges, Listing Rules, Appendix 14, Corporate Governance Code and Coporate Governance Report, A.7.2. 68 Hong Kong Exchanges, Listing Rules, Appendix 16, Disclosure of Financial Information, 12.1. 61

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lischer alphabetischer Reihenfolge auch Argentinien, Österreich, China, Estland, Island, Indonesien, Lettland, Polen, Russland, Südafrika. 69 Von diesen Ländern erscheint Österreich mit Blick auf das dort eingeführte AktG 1937 dem deutschen Aktienrecht vergleichbar, als Länder mit einem traditionell zweistufigen System sollen neben China auch Polen und vor allem die Niederlande näher behandelt werden, wobei die Niederlande seit einigen Jahren explizit auch ein monistisches System zulassen.70 Auf eine Darstellung von Argentinien, Estland, Island, Indonesien und Lettland wird verzichtet. Hintergrund der Zuordnung Südafrikas zum dualistischen System dürfte sein, dass in Südafrika nach den South Africa JSE Listing Requirements ein Chief Executive Officer (CEO) zu bestellen ist.71 Insofern erscheint die Verantwortlichkeit des Prüfungsausschusses für die Interne Revision relevant, vorgesehen wird ein Bericht des Leiters der Internen Revision zum Prüfungsausschuss72 aber auch zum Management. In Russland werden die Begriffe des Board of Directors sowie des Supervisory Board synonym verwendet, um die Kompetenzen des Kontrollorgans zu beschreiben.73 2. China China verfügt über ein einzigartiges Corporate Governance-Modell, dies nicht nur wegen der vielen Staatsunternehmen, sondern auch im Privatsektor. Nach dem chinesischen Aktiengesetz handelt es sich um eine echte dualistische Unternehmensverfassung mit einem Aufsichtsrat als separatem Kontrollorgan, allerdings einem Verwaltungsrat als zu überwachendem Organ. Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Überwachung der Direktoren sowie des höheren Managements, weiter sollen Vorschläge an die Hauptversammlung gemacht werden, die Satzung kann weitere Aufgaben vorsehen.74 In China kann der Aufsichtsrat zu seinen Sitzungen Direktoren, Manager und andere Personen des höheren Managements, weiter Angehörige der Internen Revision sowie des Personal des Wirtschaftsprüfers zu seinen Sitzungen einladen.75

69

Das OECD Corporate Governance Factbook 2019 p. 135. Nowak in Davies/Hopt/Nowak/van Solinge (eds.), Corporate Boards in Law and Practice, Oxford 2013, 429, 431. 71 South Africa JSE Listing Requirements, 3.84 (b). 72 King IV Report on Corporate Governance for South Africa 2016, Part 5.4, 56. 73 Art. 64 Russia Stock Corporation Act, Corporate Governance Code (Russia) Foreword, Abs. 2, nach dem Code Ziffer 148 sollen neben executive bodies auch heads of structural units den board informieren. 74 Company Law of the People’s Republic of China, Art. 53. 75 China Code of Corporate Governance for Listed Companies, 67. 70

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3. Polen In Polen soll der Vorstand dem Aufsichtsrat Zugang zu Information geben.76 Personen, die für die Interne Revision, die Compliance, die interne Rechnungslegung und das Risikomanagementsystem verantwortlich sind, sollen zwar direkt an den Vorstand berichten, aber auch befugt sein, direkt an den Aufsichtsrat sowie den Prüfungsausschuss zu berichten.77 Die für die interne Rechnungslegung verantwortliche Personen müssen internationalen Unabhängigkeitsstandards entsprechen.78 4. Niederlande Die Niederlande hatten und haben traditionell eine dualistische Unternehmensverfassung mit einem Vorstand und einem Aufsichtsrat,79 lassen nunmehr aber auch explizit einen Verwaltungsrat und damit eine monistische Unternehmensverfassung zu. Besondere Bedeutung auch als Vorbild des Deutschen Corporate Governance Kodex 2020 kommt dem Dutch Corporate Governance Code zu. Der niederländische Corporate Governance Code sieht einen company secretary vor,80 der insbesondere für das Einhalten von Verfahrensvorschriften sowie die Information des Vorstands sowie des Aufsichtsrats zuständig ist. Daneben finden sich Regeln zur Information des Aufsichtsrats. Der niederländische Kodex sieht keine vorstandszentrierte Information vor, sondern verweist auf die Verantwortung des Aufsichtsrats, für eine ausreichende Information zu sorgen.81 Verwiesen wird auf den Vorstand, aber auch die Interne Revision, den Abschlussprüfer sowie die Arbeitnehmervertretung. Die Information des Kontrollorgans muss dabei nicht im Rahmen eines institutionalisierten Kontaktes erfolgen. Der Aufsichtsrat kann von jedem Angestellten Informationen verlangen, wenn er dies als notwendig ansieht und zudem die Anwesenheit auf einer Aufsichtsratssitzung verlangen.82 76 Poland Corporate Governance, Best Practices for GPW Listed Companies 2016, II.Z.9. 77 Poland Corporate Governance, Best Practices for GPW Listed Companies 2016, III.Z.2. 78 Poland Corporate Governance, Best Practices for GPW Listed Companies 2016, III.Z.3. 79 Nowak in Davies/Hopt/Nowak/van Solinge (eds.), Corporate Boards in Law and Practice, Oxford 2013, 429, 431 nennt 88 börsennotierte Gesellschaften, davon acht Unternehmen mit einem monistischen System. 80 Dutch Corporate Governance Code 2016, 2.3.10. 81 Dutch Corporate Governance Code 2016, 2.4.8: own responsibility to obtain information from the management board, the internal audit function, the external auditor and the employee participation body. 82 Dutch Corporate Governance Code 2016, 2.4.9.

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5. Dänemark In Dänemark behandelt der Danish Corporate Governance Code insbesondere den Kontakt zum Abschlussprüfer und zur Internen Revision (internal audit).83 Vorgesehen wird ein regelmäßiger Dialog und Austausch von Informationen, mindestens einmal pro Jahr ein Treffen in Abwesenheit der Vorstandsmitglieder. Nach dem Commercial Code ist es Pflicht des Verwaltungs- oder Aufsichtsrats dafür zu sorgen, dass das Kontrollorgan laufend notwendige Informationen über die finanzielle Situation der Gesellschaft erhält.84

IV. Information in der deutschen Aktiengesellschaft 1. Information durch den Vorstand In Deutschland erfolgt die Information des Aufsichtsrats nach § 90 AktG durch den Vorstand, praktisch aber auch vorstandsunabhängig durch Angestellte und Dritte. Im Rahmen eines internationalen Vergleichs der Information des Kontrollorgans wird häufig auf die unterschiedlichen Aufgaben eines Aufsichtsrats im dualistischen System sowie eines Board im monistischen System verwiesen.85 Seit dem ADHGB gilt in Deutschland ein dualistisches System, bereits seit 1884 ist die Einsicht in Bücher und Schriften vorgesehen,86 heute § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG. Bis zum Inkrafttreten des AktG 1937 konnten dem Aufsichtsrat weitere Aufgaben übertragen werden, bis zum AktG 1965 wurde die Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand systematisch in den Vorschriften zum Aufsichtsrat geregelt. Nach dem Aktiengesetz erfolgt die Information des Kontrollorgans der deutschen Aktiengesellschaft insbesondere durch den Vorstand.87 Die Berichtspflichten wurden insbesondere Ende der 1990er Jahre durch das KonTraG weiterentwickelt. Der Deutsche Corporate Governance Kodex stellte bis zur Streichung der entsprechenden Empfehlung durch die Neufassung 202088 bei der Informationsordnung auf die Information des Auf-

83 Danish Committee on Corporate Governance, Recommendations on Corporate Governance 2017, updated 2019, 5.3. 84 Danish Companies Act, 115 no. 3, 116 no. 3. 85 Kort in: FS Eberhard Vetter 2019, S. 341, 347 f., auch Rodewig in Semler/ von Schenck (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Auflage 2013, § 8 Rdn. 188. 86 Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 111 Rdn. 3. 87 Dazu Großkomm/Kort 5. Auflage 2015, § 90, zum „Push-Prinzip“ Rdn. 4, zur Informationsordnung Rdn. 33 ff., zum Vorstand als Schuldner der Berichtspflicht Rdn. 94 ff. 88 Zutreffend kritisch Hopt/Leyens ZGR 2019, 929, 967.

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sichtsrats durch den Vorstand ab89 und forderte eine Konkretisierung. Die Praxis beschränkte sich in den veröffentlichten Informationsordnungen meist auf eine Wiedergabe gesetzlicher Vorschriften.90 Die Konzentration der Information auf den Vorstand könnte gruppenpsychologisch Vorteile haben, wenn sich der Informierende dadurch stärker verpflichtet fühlt.91 Entsprechende Präferenzen im Schrifttum werden aber nicht zuletzt mit der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands begründet,92 nach § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG ist der Aufsichtsrat hingegen wie die Hauptversammlung von der Geschäftsführung grundsätzlich ausgeschlossen.93 2. Kontrolle als Geschäftsführung: BGHZ 218, 122 Kontrolle und Geschäftsführung sind allerdings nicht immer klar zu unterscheiden, es gibt Überschneidungen und damit Felder, die sowohl der Geschäftsführung als auch der Kontrolle zugerechnet werden können. Für den Vorstand ist in der Kommentarliteratur seit längerem anerkannt, dass zur Leitung auch die Kontrolle gehört.94 Umgekehrt kann Kontrolle auch Geschäftsführung sein, zutreffend ist so etwa für die Beratung des Aufsichtsrats die Geltung der deutschen business judgment rule anerkannt.95 Historisch war durch den Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung keine Schwächung der Kontrollmöglichkeiten bezweckt.96 Es sollte nach den Motiven des damaligen Gesetzgebers der Vorstand nicht mehr zum Erfüllungsbeamten des Aufsichtsrats herabgedrückt werden können.97 Lediglich als Folge des Ausschlusses der Hauptversammlung von der Geschäftsführung wurde der Aufsichtsrat durch das Verbot der traditionell im deutschen Aktienrecht möglichen Übertragung weiterer Aufgaben und der praktischen Ausformung als Verwaltungsrat98 auf die Kontrollaufgabe fokussiert. In diesem Sinne war er auch Vorbild in der internationalen Corporate Governance Debatte. 89 Zur Informationsordnung ohne Bezug zu vorstandsunabhängiger Information Lutter in Kremer/Bachmann/Lutter/von Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Auflage 2018, Rdn. 533. 90 Anders bei der Deutschen Bank, dazu der Geschäftsbericht 2017. 91 Zur interdisziplinären Forschung Langenbucher ZGR 2019, 717. 92 Kort in: FS Eberhard Vetter 2019, S. 341, 351. 93 Zum US-amerikanischen Recht mit Fokus auf den Ausschluss der Hauptversammlung von der Geschäftsführung Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934. 94 Großkomm/Kort 5. Auflage 2015, § 76 Rdn. 36. 95 Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 116 Rdn. 66. 96 Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 111 Rdn. 5 f., 582 ff. 97 Amtliche Begründung zum AktG 1937, abgedruckt bei Klausing S. 57: Aufsichtsrat soll nicht zum Vorgesetzten des Vorstands gemacht werden können. 98 Zu Art. 225 ADHGB 1884 die Allgemeine Begründung, abgedruckt bei Schubert/ Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 460.

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In einer in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof nunmehr das Kontrollmittel der Beauftragung von Sachverständigen als Geschäftsführung eingeordnet.99 § 111 Abs. 2 Satz 2 begründet nach dem Bundesgerichtshof nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis im Hinblick auf die Beauftragung eines Sachverständigen, sondern auch die gesetzliche Vertretungsmacht zur Erteilung von Prüfaufträgen an Sachverständige im Namen der Aktiengesellschaft.100 Die Befugnis, Sachverständige zur Beratung über einzelne Gegenstände hinzuzuziehen, gibt das Gesetz dem Aufsichtsrat nach dem Bundesgerichtshof um eine effektive Kontrolle sicherzustellen.101 Für den Aufsichtsrat hat der Bundesgerichtshof damit entschieden, dass der Kontrolle zuzuordnende Geschäftsführungsmaßnahmen in die Kompetenz des Aufsichtsrats und nicht des Vorstands fallen. Der Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung soll so zutreffend nicht zu einer Beschränkung der Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats führen. 3. Vorstandsunabhängige Information Die vorstandsunabhängige Information des Kontrollorgans wird auch in Deutschland im Schrifttum diskutiert102 und ist gesetzlich seit dem ADHGB explizit vorgesehen. Nach dem nunmehrigen § 111 Abs. 2 Satz 1 kann der Aufsichtsrat Einsicht in Bücher und Schriften nehmen, er kann damit nach § 111 Abs. 2 Satz 2 auch Sachverständige beauftragen. Weiter wird seit dem KonTraG der Abschlussprüfer durch den Aufsichtsrat beauftragt, § 111 Abs. 2 Satz 3. Der Abschlussprüfer kann und soll so den Aufsichtsrat bei seiner Überwachungsaufgabe unterstützen und wurde so auch als Hilfsorgan des Aufsichtsrats bezeichnet.103 Als mittelbare gesetzliche Regelung vorstandsunabhängiger Information ist § 107 Abs. 3 Satz 2 und die Notwendigkeit der Kontrolle der internen Kontrollsysteme zu nennen, dies durch den Prüfungsausschuss, wenn dieser gebildet wurde.104 Die Regelung des § 107 Abs. 3 Satz 2 gilt aber auch in Gesellschaften, die keinen Prüfungsausschuss gebildet haben. Nach dem Bundesgerichtshof folgt die Notwendigkeit einer vorstandsunabhängigen Information des Aufsichtsrats unmittelbar aus seiner Aufgabe, den Vorstand eigenverantwortlich zu überwachen, da ansonsten der zu kontrollierende 99

BGHZ 218, 122, Rn. 16. Zur Vertretung auch der Leitsatz der Entscheidung. 101 BGHZ 218, 122, Rn. 21. 102 Roth AG 2004, 1, zuletzt etwa Haßler BB 2017, 1603, 1605; Lieder ZGR 2018, 523, 563 f.; E. Vetter AG 2019, 595, 596. 103 Zur Unterstützungsfunktion des Abschlussprüfers Mattheus in Hommelhoff/Hopt/ von Werder (Hrsg.) Handbuch Corporate Governance, 2. Auflage 2009, S. 563, 570 ff. 104 Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 111 Rdn. 56 ff., 119. 100

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Vorstand über die Auswahl der mitgeteilten Informationen seine Überwachung faktisch ausschalten könnte.105 4. Deutscher Corporate Governance Kodex und Interne Revision Anders als ganz überwiegend international findet sich im Deutschen Corproate Governance Kodex keine Regelung zur vorstandsunabhängigen Information des Aufsichtsrats. Wenig aussagekräftig sind auch die Standards für die Interne Revision, der Deutsche Corporate Governance Kodex 2020 hält im Grundsatz 4 fest, dass es eines geeigneten und wirksamen internen Kontrollsystems bedarf und verweist weiter auf interne Risikomanagementsysteme sowie die Compliance,106 mit Bezug auf den Aufsichtsrat wird lediglich empfohlen, dass sich das Kontrollorgan mit der Wirksamkeit der internen Systeme befasst.107 Der Deutsche Corporate Governance Kodex sah bis 2019 eine Informationsordnung vor, die auch von verschiedenen DAX 30-Unternehmen verabschiedet wurde. Soweit öffentlich zugänglich, sieht die Informationsordnung eine Information durch den Vorstand vor, lediglich die Deutsche Bank sieht eine Information auch durch Mitarbeiter vor. In der Neufassung des Kodex ist die Informationsordnung nicht mehr vorgesehen,108 sie wird nurmehr in der Kommentierung zu Grundsatz 15 erwähnt. Der Kodex behandelt die Information des Aufsichtsrats im Teil D, Arbeitsweise des Aufsichtsrats unter Punkt II., Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und mit dem Vorstand unter dem Unterpunkt 3, Informationsversorgung sowie unter dem Punkt III, Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer. Keine Ausführungen finden sich im Kodex zur Zusammenarbeit mit Mitarbeitern interner Kontrollsysteme wie der internen Revision, internen Rechnungslegung und dem Compliance. Interne Kontroll- und Risikomanagementsysteme sowie die Compliance und Hinweisgebersysteme werden nur unter der Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands behandelt, ein Bezug zum Kontrollorgan wird nicht hergestellt. 5. Unternehmerische Mitbestimmung Anders als international ganz überwiegend ermöglicht in Deutschland die unternehmerische Mitbestimmung eine vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats. In Deutschland sind im Gegensatz zu den Niederlanden auch im Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vertreten. 105 BGHZ 218, 122 Rn. 21 unter Verweis auf die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH, Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 252). 106 Deutscher Corporate Governance Kodex 2020, Grundsätze 4, 5, Empfehlung A.2. 107 Deutscher Corporate Governance Kodex 2020, Empfehlung D. 3. 108 Kritisch Hopt/Leyens ZGR 2019, 929, 967.

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Darunter sind praktisch nicht nur Betriebsratsvorsitzende, die einen umfassenden Einblick insbesondere in die Unternehmenskultur haben, sondern in größeren Unternehmen zwingend auch leitende Angestellte.109 In der deutschen Debatte wurde die Informationsfunktion der unternehmerischen Mitbestimmung allerdings bislang kaum beleuchtet.110

V. Befragung von Angestellten 1. Bedürfnis zur Befragung von Angestellten International wird die Möglichkeit der Befragung von Angestellten etwa im Vereinigten Königreich und in Korea explizit vorgesehen. Die dort bestehenden Kompetenzen des Kontrollorgans können nicht vollständig durch die unternehmerische Mitbestimmung ersetzt werden, historisch zeigen das spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche in den 1990er Jahren die Metallgesellschaft wegen Spekulationen mit Derivaten111 und bei der Werft Bremer Vulkan mit Cash-Management-Systemen,112 bekannte Fälle waren weiter Balsam und Procedo.113 Aktueller zeigen sich Missstände weniger in Form von Unternehmenszusammenbrüchen. Es entstehen vielmehr Schäden durch verbreitetes Fehlverhalten, dies in einer für deutsche Aktiengesellschaften bislang ungekannten Milliardenhöhe. Compliance war nicht nur bei Siemens um die Jahrtausendwende problematisch,114 es musste auch bei Daimler ein Monitor installiert werden.115 Aktuell noch abzuwarten bleibt die Entwicklung bei Volkswagen mit Kosten aufgrund von Compliance-Verstößen in Höhe von schon bislang weit mehr als zwanzig Milliarden Euro. Mit Strafzahlungen von über drei Milliarden Euro ist weiter Airbus als nun wohl weltweit größter Compliance-Fall zu nennen, auch dies ein Unternehmen mit maßgeblicher deutscher Beteiligung.116 109

§ 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG. Dazu aber Hertig EBOR 2006, 123. 111 Peltzer AG 2007, 459 (Information im Aktienkonzern). 112 Dazu Henze BB 2005, 165, 168, allgemein zur Pflichtenstellung der Unternehmensorgane Goette in: FS 50 Jahre BGH, 2000 S. 123, 129 ff., zu davon zu unterscheidenden Finanzplankrediten von GmbH-Gesellschaftern Fleischer Finanzplankredite und Eigenkapitalersatz im Gesellschaftsrecht, 1995, ders DStR 1999, 1774. 113 Zur Kontrolle durch Aufsichtsrat und Abschlussprüfer Rürup AG 1995, 219, zur Haftung Kling DZWIR 2005, 45; LG Bielefeld AG 2000, 136. 114 Zur Siemens/Neuburger-Entscheidung des LG München I Bachmann ZIP 2014, 579. 115 Dazu Waltenberg CCZ 2017, 146. 116 Der FCPA-Blog führt Airbus nun als das Unternehmen mit den weltweit höchsten Strafzahlungen aufgrund des US-amerikanischen Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), angerechnet wurden Zahlungen an britische und französische Behörden. 110

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2. Konzentration auf interne Kontrollsysteme Für die dualistische Organisationsverfassung zeigen die Beispiele von Polen und insbesondere den Niederlanden einen Fokus auf vorstandsunabhängige Information durch interne Kontrollsysteme. Zu nennen sind aber auch die Börsenzulassungsbedingungen der NYSE sowie das Beispiel Dänemarks, auch das Vereinigte Königreich. In Deutschland ist als Beispiel für eine institutionelle Verklammerung verschiedener Kontrollfunktionen im Unternehmen die Regelung des KonTraG mit der Beauftragung der Abschlussprüfer durch den Aufsichtsrat117 zu nennen. Abschlussprüfer können auch bei der Prüfung auch der internen Kontrollsysteme wertvolle Hilfe leisten.118 Interne Kontrollsysteme sind wirksamer, wenn wie international üblich auch eine direkte Information des Kontrollorgans der Gesellschaft möglich ist.119 Angeknüpft werden kann hierfür an die Regelung des § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG, der ohnehin eine Überwachung interner Kontrollsysteme vorsieht, einzubeziehen sind neben der Internen Revision, dem Controlling und der internen Rechnungslegung auch die Compliance. Sachgerecht kann die Zuständigkeit des Prüfungsausschusses sein, weiter die Zuständigkeit eines Aufsichtsratspräsidiums oder eine Risikoausschusses.120 In Sitzungen des Gesamtaufsichtsrats erscheint eine regelmäßige Teilnahme von Vorsitzenden interner Kontrollsysteme wenig praktisch. 3. Gute Praxis In großen börsennotierten Gesellschaften findet sich bereits eine Anbindung interner Kontrollsysteme an den Aufsichtsrat, auch wenn sie formal dem Vorstand unterstellt sind.121 Anschaulich geschildert wurde dies auf dem der Information in der Aktiengesellschaft gewidmeten Symposion der ZGR. Nach einem Bericht aus der Praxis sind im Prüfungsausschuss einer großen börsennotierten Gesellschaft regelmäßig die Leiter der Internen Revision und der Compliance-Abteilung anwesend.122 Weiter kommt etwa bei hauptamtlichen Aufsichtsratsvorsitzenden zwischen den Sitzungen ein Kontakt zu Mitarbeitern in Betracht.

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Dazu Hommelhoff BB 1998, 2625, 2667. Witthus WPg 2009, 858, zum Risikomanagement Hommelhoff/Mattheus BB 2007, 2787, 2787. 119 Oben II.2., II.3., II.4., II.5., III.2.–5. 120 Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 107 Rdn. 498 ff., 598 ff., 498. 121 Rodewig in Semler/von Schenck (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Auflage 2013, § 8 Rdn. 188 mit entsprechenden Nachweisen zur Praxis in Fußnote 269. 122 Allgemein zur Information durch interne Kontrollsysteme Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 111 Rdn. 487 ff., zur Aufgabe des Prüfungsausschusses nach § 107 Abs. 3 Satz 2 Großkomm/Hopt/Roth 5. Auflage 2019, § 107 Rdn. 525 ff. 118

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Möglich und empfehlenswert ist eine Regelung in der Informationsordnung. Diese muss nicht auf die Regelung der Information durch den Vorstand beschränkt bleiben, sondern kann wie bei der Deutschen Bank auch die Kontakte zu Angestellten regeln.123 Geschaffen werden kann eine Informationsordnung durch eigenständige Entscheidung des Aufsichtsrats oder gemeinsam mit dem Vorstand. Für eine Informationsordnung gemeinsam mit Vorstand ist die Regelung des Kontakts des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern des Unternehmens allgemein anerkannt.124 Eine solche konsensuale Lösung erscheint vorzugswürdig.

VI. Zusammenfassung und Ausblick Die vom Aktiengesetz 1965 übernommenen Grundsätze der Organisationsverfassung des AktG 1937 führen weiterhin zu lebhaften Diskussionen und Problemen in der Praxis. Der Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung beschränkt nach verbreiteter Ansicht die Informations- und Kontrollmöglichkeiten des Aufsichtsrats. International handelt es sich bei der Information des Kontrollorgans durch Angestellte der Gesellschaft allerdings nicht um eine Besonderheit des monistischen Systems. Praktisch haben sich nicht nur die Aufgaben von Board und Aufsichtsrat angeglichen. Auch in maßgeblichen Ländern mit einer dualistischen Unternehmensverfassung sehen die Corporate Governance Kodizes eine Information durch Angestellte vor. International wird eine Information des Kontrollorgans durch die Interne Revision unabhängig von einer monistischen oder dualistischen Ausgestaltung der Organisationsverfassung als gute Corporate Governance angesehen. Der Bundesgerichtshof gesteht dem Aufsichtsrat im Rahmen seiner Kontrollbefugnisse zutreffend auch die Geschäftsführungskompetenz zu. Es lassen sich so die Herausforderungen moderner Unternehmensführung de lege lata durch sachgerechte Auslegung lösen. Möglich ist auch in Deutschland eine Information des Aufsichtsrats durch die Interne Revision. Anbieten wird sich die Information in der Sitzung eines Ausschusses, etwa des Prüfungsausschusses oder eines Aufsichtsratspräsidiums. Der Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung berührt nicht dessen Kontrollbefugnisse. Wünschenswert wäre ein Wettstreit der Unternehmen um gute Corporate Governance und das Etablieren guter Standards in der Praxis. Wie international muss sich das Kontrollorgan auch in Deutschland nicht nur auf Informationen des Managements verlassen. neue rechte Seite! 123

Empfehlenswert ist die Angabe in der Erklärung zur Unternehmensführung. Hüffer/Koch 13. Auflage 2018, § 111 Rdn. 21; Maushake Audit Committees, 2009, S. 535 f.; Kort in: FS Eberhard Vetter 2019, S. 341, 361 f. 124

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Internationale Zuständigkeit und private enforcement Wulf-Henning Roth

Internationale Zuständigkeit und private enforcement in Wettbewerbsstreitigkeiten WULF-HENNING ROTH

I. Einführung Auch wenn im deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht) die privatrechtliche Durchsetzung – vor allem gegenüber marktmächtigen Unternehmen – schon immer eine bedeutsame Rolle gespielt hat,1 ist diese Thematik erst durch die jüngeren Entwicklungen auf europäischer Ebene in den Mittelpunkt des Interesses getreten. Zum einen hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nun schon bald vor zwanzig Jahren für wichtige Anstöße gesorgt: In seiner insoweit grundlegenden Courage-Entscheidung aus dem Jahre 2001 hat er aus dem primärrechtlichen Verbot des Art. 101 AEUV, dem zu voller, insbesondere praktischer Wirksamkeit verholfen werden soll, die unionsrechtlichen Grundstrukturen eines im mitgliedstaatlichen Recht verankerten Schadensersatzanspruchs entwickelt,2 und diese Grundsätze erst kürzlich auf Schadensersatzansprüche bei Verstoß gegen die Verbotsnorm des Art. 102 AEUV erstreckt.3 Dabei soll der Kreis der anspruchsberechtigten Geschädigten („jedermann“) weit über die aus manchen Rechtsordnungen bekannten Beschränkungen (etwa auf unmittelbar Geschädigte oder durch den Schutzzweck der Norm) ausgedehnt werden.4 Mit der Verordnung Nr. 1/20035 wurde das Freistellungsmonopol der Kommission für Art. 101 Abs. 3 AEUV (ex Art. 81 Abs. 3 EG) beseitigt und eine Dezentralisierung der Anwendung des Art. 101 AEUV (ex Art. 81 EG) dadurch erreicht, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV (ex Art. 81 Abs. 3 EG) zu un1 S. Roth in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 92. Lfg. 2018, Vorbem. §§ 33– 33h GWB Rn. 33 (zitiert: FK). 2 EuGH 20.9.2001, C-453/99, Courage und Crehan, ECLI:EU:C:2001:465 Rn. 23 ff.; EuGH 5.6.2014, C-557/12, Kone, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 22; zuletzt EuGH 12.12. 2019, C-435/18, Otis, ECLI:EU:C:2019:1069 Rn. 21 ff. 3 EuGH 28.3.2019, C-637/17, Cogeco, ECLI:EU:C:2019:263 Rn. 39 f. 4 EuGH 5.6.2014, C-557/12, Kone, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 23; 12.12.2019, C-435/ 18, Otis, ECLI:EU:C:2019:1069 Rn. 29 f. Zum Problem etwa Roth, in: FS Karsten Schmidt, Bd. II, 2019, S. 257 m.w.N. 5 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1/1.

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mittelbarer Anwendung durch nationale Wettbewerbsbehörden und Zivilgerichte verholfen wurde (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 VO 1/2003). Von großer Tragweite hat sich auch die durch Art. 16 VO 1/2003 vorgesehene Bindung der nationalen Gerichte an Entscheidungen der Kommission erwiesen, die den Weg zu den zahlreichen follow-on Klagen der letzten Jahre eröffnet hat. Insgesamt waren dies wichtige Schritte auf dem Weg zu einer effektiven zivilrechtlichen Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts. Darüber hinausgehend hat die Kommission den von der Courage-Entscheidung in ihr Feld geworfenen Ball aufgegriffen und mit Beharrlichkeit eine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Regelungen zum Schadensersatz- und Prozessrecht verfolgt,6 um das Zivilrecht zu einem zweiten Standbein der effektiven Durchsetzung des Wettbewerbsrechts (Stichwort: private enforcement) auszugestalten.7 Die 2014 in Kraft getretene Richtlinie 2014/ 104/EU8 bringt Regelungen zum Schadensersatz bei Verstoß gegen unionsrechtliche und mitgliedstaatliche Regelungen des Wettbewerbsrechts (einschließlich des passing-on und der gesamtschuldnerischen Haftung), des Prozessrechts, der Informations- und Auskunftsansprüche gegenüber den Behörden wie auch Privaten, zur Behandlung von Kronzeugenanträgen und Vergleichsdokumenten, sowie zur (differenziert ausgestalteten) Bindung der Zivilgerichte an Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden. Die derzeit für den deutschen Rechtsraum zu beobachtende Welle von Schadensersatzklagen (Stichworte sind hier: das „Schienen“- und das „LKW“-Kartell) ist freilich bereits weit vor der Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU in das deutsche Recht entstanden. Die durch die 9. GWBNovelle v. 1.6.20179 vorgenommenen Veränderungen des zivilrechtlichen Instrumentariums10 lassen aber erwarten, dass die Bereitschaft zur zivilrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in Zukunft eher noch steigen wird. Es gehört zu den bereits im Vorfeld des Erlasses der Richtlinie 2014/104/ EU viel diskutierten Fragen, ob die Erleichterung der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nicht auch zu einer Abschwächung der Effektivität der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung (public enforcement) dadurch 6

Kommission, Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg. v. 2.4.2008. 7 Dazu Roth, in: FK (Fn. 1), Vorbem. §§ 33 ff. Rn. 35 f. 8 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014 L 349/1. 9 BGBl. I 2017, 1416. 10 Dazu eingehend die Kommentierung bei Roth, in: FK (Fn. 1), § 33a, §§ 33c–f; Fuchs/ Weitbrecht (Hrsg.), Handbuch Private Kartellrechtsdurchsetzung, 2019. Einen rechtsvergleichenden Überblick über die Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU in den Mitgliedstaaten geben Rodger/Sousa Ferro/Marcos, MJ 2019, 480.

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führt, dass die Bereitschaft der Unternehmen, einen Kronzeugenantrag zu stellen, zurückgehen mag.11 Ob die insoweit zugunsten der Kronzeugen getroffenen Regelungen in der Richtlinie 2014/104/EU Wirkungen zeitigen werden, muss sich erst noch erweisen. Dass die öffentlich-rechtliche Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten allerdings weiterhin eine wichtige Rolle spielen soll, erweist die Richtlinie (EU) 2019/1,12 die zu einer weitgehenden Anpassung der nationalen Verfahrensrechte (Nachprüfungen, Auskunftsverlangen etc.) an die Praxis auf der Unionsebene, zu einer Vereinheitlichung des Bußgeldrahmens und der Kronzeugenprogramme sowie zu einer effektiveren Zusammenarbeit der nationalen Wettbewerbsbehörden führen soll.13 Die folgenden Zeilen wenden sich der Frage zu, ob und inwieweit die europäischen Regelungen über die internationale Zuständigkeit der Zivilgerichte für Schadensersatzklagen die vom EuGH in seiner Courage-Entscheidung – allerdings im Verhältnis zum mitgliedstaatlichen Schadensersatzrecht – so stark betonte volle Wirksamkeit des europäischen Wettbewerbsrechts14 widerspiegeln und damit einen Beitrag zu dessen Durchsetzungskraft leisten.15 Diese Überlegungen sind dem Jubilar in freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet, die bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht und ihren Ursprung im Institut für Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität München hat, dem damals Ernst Steindorff vorstand.

II. Bestandsaufnahme Grenzüberschreitende zivilrechtliche Streitigkeiten sind für die darin involvierten Parteien – im Vergleich zu rein nationalen Verfahren – mit Problemen vor allem dann behaftet, wenn das Verfahren vor einem ausländischen Gericht geführt werden soll: Es geht um Informationsprobleme bezüglich des ausländischen Verfahrens-, insbesondere Beweisrechts,16 wie auch um 11

Dazu kurz Roth, in: FK (Fn. 1), Vorbem. §§ 33 ff. Rn. 36 m.w.N. aus dem Schrifttum. Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.12.2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistungen des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, ABl. 2019 L 11/3. 13 Aus dem Schrifttum etwa Ost, NZKart 2019, 69. 14 EuGH 20.9.2001, C-453/99, Courage und Crehan, ECLI:EU:C:2001:465 Rn. 23 ff.; EuGH 5.6.2014, C-557/12, Kone, ECLI:EU:C:2014:1317 Rn. 22; zuletzt EuGH 12.12. 2019, C-435/18, Otis, ECLI:EU:C:2019:1069 Rn. 21 ff. 15 Zu einer solchen Fragestellung etwa M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89. 16 Zur Bedeutung von Beweisproblemen bei kartell(delikts)rechtlichen Verfahren Bronny, Die Auflösung struktureller Informationsasymmetrien im privaten Kartellrechtsstreit, Diss.-Bonn, 2010; Westhoff, Der Zugang zu Beweismitteln bei Schadensersatzklagen im Kartellrecht, 2010. Zum englischen Beweisrecht bei kartellrechtlichen Streitigkeiten Brealey/Kyla (Hrsg.), Competition Litigation, 2nd ed. 2019. 12

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Fragen betreffend des auf die Streitigkeit anwendbaren Deliktsrechts. Die Verfahrenskosten mögen unterschiedlich hoch sein, ihre Verteilung zwischen den Parteien mag von Staat zu Staat variieren. Da durch die Richtlinie 2014/104/EU das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht erst in Ansätzen harmonisiert worden ist und eine einheitliche Anwendung der RichtlinienVorgaben in den Mitgliedstaaten damit keineswegs sichergestellt ist, stellt sich für die durch wettbewerbswidriges Verhalten Geschädigten zwangsläufig das Problem, vor welchem Forum kartelldeliktische Ansprüche am günstigsten verfolgt und durchgesetzt werden können. Die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit hat damit für die am Rechtsstreit beteiligten Parteien gerade in Kartellstreitverfahren eine nicht zu unterschätzende Bedeutung,17 die Wahl des zur Verfügung stehenden Gerichtsstands ist für den Kläger oft auch eine Frage strategischer Natur.18 Von dieser individuellen Perspektive abgehoben mag man die allgemeinere Frage in den Blick nehmen, ob und in welcher Weise die europäischen Regelungen über die internationalen Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte, insbesondere die Zurverfügungstellung alternativer Gerichtsstände für den Kläger – bisweilen mit etwas abschätzigen Unterton als Einladung zum forum shopping beschrieben – mit den in der Courage-Judikatur verankerten Bestrebungen nach einer effektiven privatrechtlichen Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts abgestimmt sind.19 Ausgangspunkt muss dabei die Feststellung sein, dass das europäische Zuständigkeitsrecht seit jeher keine eigenständigen, auf Kartellrechtsstreitigkeiten zugeschnittenen Regelungen kennt. Dies hat sich auch durch die Neufassung der Brüssel Ia-VO von 2012 (in Kraft getreten am 10.1.2015)20 nicht geändert, obwohl im Vorfeld durchaus Konkretisierungsbedarf (allerdings auch und vor allem für andere Fragen wie etwa diejenige der Verfahrensaussetzung21) angemahnt worden war.22 Auch die Richtlinie 2014/104/EU hat daran nichts geändert.23 Dieser gegenüber einer effektiven Durchsetzung des 17

S. etwa Basedow/Francq/Idot (Hrsg.), International Antitrust Litigation, 2012. Wurmnest, NZKart 2017, 2. 19 Einem solchen Ansatz kritisch gegenüberstehend etwa M. Weller, in: Nietsch/M. Weller (Hrsg.), Private Enforcement: Brennpunkte kartellprivatrechtlicher Schadensersatzklagen, 2014, S. 49, 52. 20 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2012 L 351/1. 21 Dazu Danov, ICLQ 61 (2012) 27. 22 Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, 2011, S. 87 ff.; vgl. auch Danov/Becker/Beaumont (Hrsg.), Cross-Border EU Competition Law Actions, 2013, S. 143 ff. 23 Sie enthält in Art. 15 allein eine auf eine Koordination von Schadensersatzklagen von Klägern verschiedener Vertriebsstufen abzielende Regelung, die neben Art. 30 Brüssel IaVO treten soll. 18

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Kartelldeliktsrechts offensichtlich neutrale Ansatz kontrastiert freilich mit den Regelungen der Brüssel Ia-VO zum Schutze der Verbraucher (Art. 17 f.), der Versicherten (Art. 10 f.) wie auch der Arbeitnehmer (Art. 20 f.), die die im materiellen Recht wie auch im (europäischen) Kollisionsrecht vorfindlichen Regelungen zum Schutze der jeweiligen (Vertrags-) Partei über das internationale Zuständigkeitsrecht abzusichern versuchen. In diesen Regelungen zeigt sich, dass das europäische Zuständigkeitsrecht durchaus einen Zusammenhang mit materiell- und kollisionsrechtlichen Wertungen kennt und sich einer Instrumentierung solcher Wertungen öffnet. Zwar mag man aus diesen Regelungen im Gegenschluss folgern wollen, dass im Rahmen der anderen Zuständigkeitsnormen der Brüssel Ia-VO solche materiell-rechtlichen Wertungen unberücksichtigt bleiben müssen.24 Freilich würde damit ignoriert, dass die wirksame Durchsetzung des europäischen Kartellrechts durch private enforcement ausweislich der Judikatur des EuGH im besonderen (öffentlichen) Interesse der Union liegt,25 wobei die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, in ihrer Rechtsordnung entsprechende (Schadensersatz) Ansprüche bereit zu stellen. Dann aber legt der Gesichtspunkt der vollen Wirksamkeit des unionalen Wettbewerbsrechts es nahe, die Bestimmungen der Brüssel Ia-VO in einer Weise auszulegen, dass private enforcement des Wettbewerbsrechts durch geeignete Gerichtsstände gefördert wird.26 Diese Frage soll im Folgenden vor allem anhand der Zuständigkeitsnorm für deliktische Ansprüche – Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO – und der diesbezüglich erlassenen ersten Urteile des EuGH untersucht werden. Aus Platzgründen ausgeklammert bleiben Fragen, die sich (trotz der großen Bedeutung dieser Regelung) um die passive Streitgenossenschaft des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO drehen, ebenso wie die Behandlung von Gesellschaften im Rahmen eines Unternehmens als „wirtschaftlicher Einheit“.27 Die Untersuchung beschränkt sich auf das unionale Zuständigkeitsrecht. Dies bedeutet zum einen, dass nur solche Sachverhalte erfasst sind, in denen die Beklagtenseite ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Nr. 2 jeweils i.V.m. Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO); und zum anderen, dass es um Sachverhalte gehen muss, die einen relevan24

In diesem Sinne etwa EuGH 25.10.2012, C-133/11, Folien Fischer, ECLI:EU:C: 2012:664 Rn. 46 f. 25 Hinzuweisen ist noch einmal auf die Begründung des mitgliedstaatlichen Schadensersatzanspruchs mit dessen Beitrag zur effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der Union und seines Beitrags zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union; s. oben die Judikate in Fn. 14. 26 S. die Andeutung in den Schlussanträgen von GA Jääskinen, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2014:2443 Rn. 27; vgl. zu dieser Fragestellung mit Bezug auf Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO a.F. bereits M. Weller, ZVglRWiss 112 (2013) 89, 90. 27 Grundlegend EuGH 10.9.2009, C-97/08 P, Akzo Nobel, ECLI:EU:C:2009:536 Rn. 55; m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH: Roth, in: FK (Fn. 1), § 33a GWB Rn. 42 f. Dazu zuletzt (als erstes Urteil) LG Frankfurt/M., 25.9.2019, WuW 2019, 600.

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ten Auslandsbezug aufweisen.28 Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt das Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten zur Anwendung.29

III. Allgemeiner Gerichtsstand des Beklagten Bei kartellprivatrechtlichen Streitigkeiten steht für den Geschädigten als klägerischer Partei der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten an seinem Wohnsitz (Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 Brüssel Ia-VO) bzw. Gesellschaftssitz (Satzungssitz; Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung zur Wahl des Klägers; Art. 63 Brüssel Ia-VO) zur Verfügung.30 Er greift für die Geltendmachung von Schadensersatz-, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen. Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten weist keine speziell das private enforcement des Wettbewerbsrechts unterstützende oder privilegierende Funktion auf. Immerhin liefert er dem Kläger einen für seine Klage leicht bestimmbaren und mithin Rechtssicherheit vermittelnden Gerichtsstand31 und ermöglicht es ihm zudem, seinen durch das (potentiell) wettbewerbswidrige Verhalten des Beklagten bewirkten Gesamtschaden, der auch in anderen Mitglieds- und/oder Drittstaaten entstanden sein mag, zu liquidieren. Dass in den Fällen einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung oder eines verbotenen abgestimmten Verhaltens nur diejenigen Beklagten betroffen sind, die ihren Gesellschaftssitz im jeweiligen Mitgliedstaat haben, ist nur auf den ersten Blick ein Nachteil für den Kläger, da in diesen Fällen der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu Hilfe kommen mag.

IV. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO: der Ort des schädigenden Ereignisses Nahe liegender Weise dreht sich die im Schrifttum geführte Diskussion um Zuständigkeitsfragen bei kartelldeliktsrechtlichen Ansprüchen nicht um den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, sondern um den alternativen Gerichtsstand für Ansprüche aus unerlaubten und ihnen gleichgestellte 28 Zu diesem den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO einschränkenden Kriterium s. EuGH 1.3.2005, C-281/02, Owusu, ECLI:EU:C:2005:120 Rn. 25; EuGH 17.11.2011, C327/10, Linder, ECLI:EU:C:2011:745 Rn. 29; öOGH IPRax 2006, 607. 29 Erwägungsgrund Nr. 13 und 14 der Brüssel Ia-VO. 30 Dies gilt auch, wenn die klägerische Partei ihren (Wohn-) Sitz in einem Drittstaat hat; dabei reicht die Verknüpfung der Streitigkeit mit nur einem einzigen Mitgliedstaat aus, um den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-Verordnung zu eröffnen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 13 der Brüssel Ia-VO); EuGH C-281/02, Owusu, EU:C:2005:120 Rn. 26. 31 Erwägungsgrund Nr. 15 der Brüssel Ia-VO („in hohem Maße vorhersehbar“).

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Handlungen des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (sowie um die – hier nicht zu behandelnde – Trageweite des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO). Um diesen Gerichtsstand geht es auch in den ersten einschlägigen Urteilen des EuGH.32 Nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO wird die internationale (und die örtliche) Zuständigkeit für Gerichte an demjenigen Ort eröffnet, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht (the place where the harmful event occurred or may occur), sofern der Beklagte über einen Wohnsitz in einem der Mitgliedstaaten der Union verfügt. Erwägungsgrund Nr. 16 der Brüssel Ia-VO skizziert die wesentlichen rechtspolitischen Zielsetzungen der neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO eröffneten alternativen Gerichtsstände des Art. 7 Brüssel Ia-VO dahingehend, dass es um Sachverhalte gehen muss, in denen eine enge Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit besteht oder der Gerichtsstand im Interesse einer geordneten Rechtspflege bereitgestellt wird. Dabei geht es einerseits um die Schaffung von Rechtssicherheit und andererseits darum zu verhindern, dass eine Partei vor einem Gericht verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Diese – vom Gerichtshof immer wieder in Bezug genommenen33 – Erwägungen zeigen, dass der alternative Gerichtsstand der Deliktsklage vom Unionsgesetzgeber nicht etwa aus Gründen des Opferschutzes eröffnet wird,34 sondern eine praktische und effiziente Durchführung des Gerichtsverfahrens erreicht werden soll. Die Förderung eines private enforcement mittels kartelldeliktischer Ansprüche wird mithin nicht unmittelbar als eigenständiges Politikziel, sondern nur mittelbar durch Bereitstellung eines Gerichtsstands unterstützt, der sich für die Durchführung des Verfahrens in besonderer Weise eignet. Bestätigt wird diese – zumindest auf den ersten Blick bestehende – Neutralität des Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn die Norm allgemein,35 aber auch in kartellrechtlichen Streitigkeiten36 als eng auszulegende Ausnahme zum allgemeinen Gerichts32 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335; EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533; EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635; zum nationalen Wettbewerbsrecht s. EuGH 21.12.2016, C-618/15, Concurrence SARL, ECLI:EU:C:2016:976. 33 Z.B. EuGH 25.10.2012, C-133/11, Folien Fischer, ECLI:EU:C:2012:664 Rn. 37; EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 39–40 (auch mit Blick auf die leichtere Beweisaufnahme); EuGH 21.12.2016, C-618/15, Concurrence, ECLI:EU:C:2016:976 Rn. 26–27; EuGH 17.10.2017, C-194/16, Bolagsupplysningen OÜ, ECLI:EU:C:2017:766 Rn. 26 f. 34 In diesem Sinne auch EuGH 25.10.2012, C-133/11, Folien Fischer, ECLI:EU:C:2012: 664 Rn. 46. 35 EuGH 16.7.2009, C-189/08, Zuid-Chemie, ECLI:EU:C:2009:475 Rn. 22. 36 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 26.

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stand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO qualifiziert wird,37 und zudem auch für die negative Feststellungsklage des potentiellen Wettbewerbsverletzers gegen den möglichen Geschädigten eröffnet sein soll.38 Das Gericht am Ort des schädigenden Ereignisses ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden.“39 Als Ort des schädigenden Ereignisses i.S.v. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO werden von der Rechtsprechung der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (place of the event; Handlungsort) wie auch der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (place where the damage occurred or may occur; Erfolgsort) angesehen, wobei dem Kläger ein Wahlrecht dahingehend eingeräumt wird (Ubiquitätsgrundsatz), vor welchem Gericht welchen Mitgliedstaats er den Beklagten verklagen will.40 Die Ermittlung des maßgeblichen Anknüpfungspunkts für den Ort des schädigenden Ereignisses soll dabei nicht abstrakt und abgehoben von den verschiedenartigen Sachverhalten vorgenommen werden. Vielmehr soll sie konkret darauf gerichtet sein, „die Zuständigkeit desjenigen Gerichts zu begründen, das objektiv am besten beurteilen kann, ob die Voraussetzungen für die Haftung des Beklagten vorliegen, so dass nur das Gericht zulässigerweise angerufen werden kann, in dessen Zuständigkeitsbereich der relevante Anknüpfungspunkt liegt.“41 Diese allgemein für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen geltenden Grundsätze werden vom Gerichtshof auch im Zusammenhang mit kartelldeliktsrechtlichen Klagen in Bezug genommen.42 Beide Anknüpfungspunkte – Handlungsort und Erfolgsort – werfen bei wettbewerbsrechtlichen Strei37 Der Grundsatz der engen Auslegung soll freilich nicht für den Begriff des schädigenden Ereignisses gelten; EuGH 1.10.2002, C-167/00, Henkel, ECLI:EU:C:2002:555 Rn. 42. 38 EuGH 25.10.2012, C-133/11, Folien Fischer, ECLI:EU:C:2012:664 Rn. 41 ff. 39 EuGH 16.7.2009, C-189/08, Zuid-Chemie, ECLI:EU:C:2009:475 Rn. 24; EuGH 25.10.2012, C-133/11, Folien Fischer, ECLI:EU:C:2012:664 Rn. 38; EuGH 16.5.2013, C228/11, Melzer, ECLI:EU:C:2013:305 Rn. 27; EuGH 3.10.2013, C-170/12, Peter Pinckney, ECLI:EU:C:2013:635 Rn. 28 (dasjenige Gericht, das objektiv am besten beurteilen kann, ob die Voraussetzungen für die Haftung des Beklagten vorliegen); EuGH 21.5.2015, C352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 40; EuGH 21.12.2016, C-618/15, Concurrence SARL, ECLI:EU:C:2016:976 Rn. 27; EuGH 17.10.2017, C-194/16, Bolagsupplysningen OÜ, ECLI:EU:C:2017:766 Rn. 29; EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 28. 40 Seit EuGH 30.11.76, Rs. 21/76, Bier ./. Mines de potasse d’Alsace, ECLI:EU:C:1976: 166 Rn. 20; EuGH 7.3.1995, C-68/93, Shevill, ECLI:EU:C:1995:61 Rn. 21; EuGH 19.4. 2012, C-523/10, Wintersteiger, ECLI:EU:C:2012:220 Rn. 19; EuGH 16.1.2014, C-45/13, Andreas Kainz, ECLI:EU:C:2014:7 Rn. 23. 41 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 41. 42 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 40; EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018: 533 Rn. 28.

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tigkeiten im Hinblick auf die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Sachverhalte allerdings besondere Auslegungs- und Konkretisierungsprobleme auf, die eine differenzierende Konkretisierung der maßgeblichen Anknüpfungspunkte nahe legen.

V. Der Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) 1. Allgemeine Fragen Der Handlungsort als „Ort des ursächlichen Geschehens“ ist in unionsrechtsautonomer Auslegung an den für den Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO maßgebenden Überlegungen zu konkretisieren. Zum einen ist noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass es sich bei diesem alternativen Gerichtsstand um eine Ausnahme zum allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO handelt, die eng auszulegen ist und daher eine Vervielfachung von Gerichtsständen zu vermeiden ist.43 Zum anderen ist die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgehobene räumliche Nähe des Gerichts zum Ort des ursächlichen Geschehens von Bedeutung: Hierbei geht es um die territoriale Verknüpfung des maßgebenden Sachverhalts und vor allem um die relativ erleichterte Beweiserhebung, die auf ein konkretes Geschehen zu beziehen sind44 und danach verlangt, dass die beklagte Partei in dem jeweiligen Territorium gehandelt (oder unterlassen) haben muss. Daran knüpfen sich zwei Folgerungen, die für Deliktsklagen allgemein und die Geltendmachung von kartelldeliktischen Ansprüchen im Besonderen bedeutsam sind. Das Erfordernis des Handelns in einem Territorium schließt es aus, dass bei Beteiligung von Gehilfen oder Mittätern letztere durch eine bloße Zurechnung gerichtspflichtig werden,45 ohne in dem Territorium gehandelt zu haben. Zwar könnte der Gesichtspunkt der Prozessökonomie für eine weitere Fassung des Begriffs des Handlungsorts sprechen, doch ist zu bedenken, dass dieser Gesichtspunkt ausreichend über den Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft gem. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO Berücksichtigung finden kann.46 Mangels eines entsprechenden unionsrechtlichen Konzepts wird eine Gerichtspflichtigkeit nicht durch eine Handlungszurechnung begründet, weil dies eines Vorgriffs auf ein (über das Kollisionsrecht) zu berufendes nationales Sachrecht bedürfte, was bei der 43

So bereits EuGH 11.1.1990, C-220/88, Dumez, ECLI:EU:C:1990:8 Rn. 18. EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 50. 45 EuGH 16.5.2013, C-228/11, Melzer, ECLI:EU:C:2013:305 Rn. 30, 40; EuGH 3.4. 2014, C-387/12, Hi-Hotel, ECLI:EU:C:2014:215 Rn. 32. 46 EuGH 16.5.2013, C-228/11, Melzer, ECLI:EU:C:2013:305 Rn. 39. 44

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Zuständigkeitsprüfung allgemein (und im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der nationalen Zurechnungskonzepte im Besonderen) vermieden werden muss.47 Dies gilt auch im Rahmen von kartelldeliktsrechtlichen Streitigkeiten.48 Die Vermeidung der Vervielfältigung von Gerichtsständen macht es zugleich erforderlich, den Handlungsort von allen Aktivitäten abzugrenzen, die im Hinblick auf die Handlung bloß vorbereitender Natur sind, auch wenn sich dadurch ein für Dritte voraussehbarer Gerichtsstand begründen ließe. Daher wird man nicht vorschnell etwa auf den Sitz des Unternehmens nur deshalb zurückgreifen können, weil sich dort die wesentlichen vorbereitenden Aktivitäten abgespielt haben, die für eine Beweisaufnahme leicht erfassbar sind.49 Und in Fallkonstellationen, bei denen die den Schaden verursachende Verhaltensweise aus mehreren Teilakten besteht, wird man für Zwecke der Bestimmung der internationalen wie auch der örtlichen Zuständigkeit auf diejenige Handlung abstellen müssen, die für das ursächliche Geschehen von maßgeblicher Bedeutung ist und die eine Anknüpfung vermittelt, die für die Parteien relativ leicht voraussehbar ist, und über die sich (vergleichsweise einfach) Beweis erheben lässt. Mit einer solchen Beschränkung auf einen einzigen Handlungsort wird wiederum einer Tendenz zur Vervielfachung der Gerichtsstände vorgebeugt.50 Der Gerichtsstand des Handlungsortes vermittelt eine Kognitionsbefugnis für den gesamten Schaden, der dem Kläger durch die jeweilige Handlung entstanden ist.51 Sie bezieht sich auch auf solche Schäden, die in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten eingetreten sind (einschließlich der entstandenen Folgeschäden), beschränkt sich aber auf diejenigen Schäden, die auf der im Territorium des betreffenden Mitgliedstaates konkret begangenen Handlung (als Handlungsort) beruhen. 2. Wettbewerbsrechtliche Sachverhalte Die für die Bestimmung des Handlungsortes als Anknüpfungsmerkmal dargelegten Grundsätze – Nähe des Sachverhalts zum Gericht; Erleichterung der Beweisaufnahme; Vorhersehbarkeit des Anknüpfungsmerkmals für die Parteien; Vermeidung einer Vervielfachung von Gerichtsständen; Orien47

EuGH 16.5.2013, C-228/11, Melzer, ECLI:EU:C:2013:305 Rn. 31 ff. Vgl. zur Vermeidung des Vorgriffs auf eine materiell-rechtliche Beurteilung EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 54–55. 49 Im Hinblick darauf steht der allgemeine Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel IaVO zur Verfügung. 50 Vgl. auch Leible, in: Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht – EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO, 4. Aufl. 2016, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 135. 51 EuGH 7.3.1995, C-68/93, Shevill, ECLI:EU:C:1995:61 Rn. 32; EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising, ECLI:EU:C:2011:685 Rn. 43. 48

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tierung am konkreten Geschehen – legen es nahe, für wettbewerbliche Sachverhalte den Handlungsort in differenzierender Weise zu bestimmen. a) Kartellsachverhalte Am meisten Aufmerksamkeit hat bisher die Bestimmung des Handlungsortes bei den Wettbewerb beschränkenden Vereinbarungen bzw. abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Wettbewerbern auf sich gezogen.52 Hierfür sind im Schrifttum vor allem drei verschiedene Anknüpfungen als maßgeblich diskutiert worden:53 Der Ort, an dem die Kartellvereinbarung getroffen worden ist,54 der Ort der Aus- oder Durchführung der Absprache auf dem Markt55 oder der Ort des Sitzes bzw. der Niederlassung der jeweils an der Abstimmung beteiligten Unternehmen;56 auch deren alternative Verwendung ist vorgeschlagen worden.57 Für den letzteren Anknüpfungspunkt mag sprechen, dass hierbei nicht nach der Struktur der Vereinbarung und Organisation der Kartelle differenziert werden muss, auch für international verknüpfte Vereinbarungen ein einziger Handlungsort bestimmt werden kann, Voraussehbarkeit für die Parteien erreicht wird und Beweisnähe insofern gegeben ist, als auf die Vereinbarung bezogene Dokumente und Zeugen am Sitz des Unternehmens präsentiert werden können. Allerdings lässt sich einwenden, dass mit einem solchen Anknüpfungspunkt der allgemeine Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur verdoppelt und damit letztlich der Handlungsort als Anknüpfungspunkt überflüssig wird.58 Hinzu kommt, dass bei Maßgeblichkeit der Anknüpfung an den an verschiedenen Orten und in verschiedenen Mit52 Z.B. Basedow, Der Handlungsort im internationalen Kartellrecht – Ein juristisches Chamäleon auf dem Weg vom Völkerrecht zum internationalen Zivilprozessrecht, in FIW (Hrsg.), Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010, 2010, S. 129, 134 ff.; Mankowski, WuW 2012, 797, 800 ff.; Wurmnest, EuZW 2012, 933, 934 ff. 53 Zum Folgenden bereits Roth, in: FS Schilken, 2015, S. 427, 433 ff.; ders., IPRax 2016, 318, 323 f. 54 Ashton/Vollarth, ZWeR 2006, 1, 8; Mankowski, WuW 2012, 797, 801. 55 Danov (Fn. 22), S. 94; Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, 2011, S. 113 f.; Wagner, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd. 10, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO Rn. 179; Mankowski, WuW 2012, 797, 801 f.; wohl auch M. Weller (Fn. 19), S. 49, 57. 56 Bulst, EWS 2004, 403, 405; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, A.1., Art. 5 Rn. 260; Leible, in: Rauscher (Hrsg.) (Fn. 50), Art. 7 Brüssel IaVO Rn. 141; Mäsch, IPRax 2005, 509, 515; Meier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 138 ff.; Roth (Fn. 53), S. 427, 433 f.; (als möglicher Anknüpfungspunkt auch) Lein, in: Dickinson/Lein, The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn. 4.97. 57 So wohl Mankowski, WuW 2012, 797, 800 ff. 58 In diesem Sinne z.B. Basedow (Fn. 52), S. 129, 137; Mankowski, WuW 2012, 787, 802.

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gliedstaaten liegenden Unternehmenssitz der Kartellanten – wie auch bei Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO – die Geschädigten Klagen vor verschiedenen Gerichten erheben müssen, womit Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch insoweit letztlich keine Vorteile bringt. Der Effektivierung des private enforcement dient eine solche Anknüpfung nicht.59 Die Bestimmung des Handlungsorts nach dem Ort der Durchführung der Vereinbarung orientiert die Anknüpfung am Marktverhalten der Kartellanten und damit dort, wo die von der Vereinbarung beeinflussten Austauschprozesse stattfinden. Dieser Anknüpfungspunkt ist voraussehbar und ermöglicht es den Geschädigten, die Klagen gegen die Kartellanten in einem einheitlichen Verfahren zu bündeln. Freilich liegt es nahe, dass dann Handlungs- und Erfolgsort in eins zusammenfallen, wenn letzterer zumindest auch marktbezogen konkretisiert wird (dazu unter VI.3.b.). Private enforcement wird dadurch zumindest nicht gefördert. Der Abschlussort der Vereinbarung als maßgeblicher Handlungsort setzt sich dem nahe liegenden Einwand aus,60 dass für organisatorisch nicht verfestigte (geheime) Kartelle ein Abschlussort für die Kartellgeschädigten, wenn überhaupt, nur schwer zu erkennen ist, und dieser oftmals von zufälligen Umständen abhängen mag, die weder eine besondere Verbindung zu den Gerichten begründen noch für den Gesichtspunkt der Beweisnähe von Relevanz sein mögen. Bei grenzüberschreitend (über Telekommunikationsmittel) getroffenen Vereinbarungen lässt sich ein einziger Handlungsort nicht lokalisieren; und viele Kartelle werden im Zeitverlauf an wechselnden Orten angebahnt, abgeschlossen, weiterentwickelt und geändert („einheitlicher und fortgesetzter Verstoß“61). Will man in diesen Fällen nicht von einer Vielzahl von (Teil-) Handlungsorten und damit von einer Vielzahl zuständiger Gerichte ausgehen, muss man sich von der Vorstellung lösen, für jeden, auch jeden komplexen Sachverhalt einen eindeutigen Handlungsort bestimmen zu können. Genau diesen Weg ist der Gerichtshof in seinem CDC-Urteil gegangen, wenn er bei einem Preiskartell als Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) allein auf den Gründungsort der Kartellvereinbarung abstellen will.62 Damit wird einerseits jede andere Verknüpfung (Sitz der beteiligten Unternehmen; Durchführung der Kartellabrede63) 59

Dies kommt bei Roth (Fn. 53), S. 429, 433, zu kurz. Dazu auch GA Jääskinen, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C: 2015:2443 Rn. 49. 61 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 34. 62 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 44. Für eine Vereinbarung, die auf die Verdrängung eines Wettbewerbers abzielt, s. EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 49. Handlungen der Parteien, die eine bloße Durchführung der Vereinbarung darstellen, begründen keinen eigenständigen Handlungsort (Rn. 50). 63 Insoweit zurückhaltender Wurmnest, C.M.L.Rev. 53 (2016) 225, 241. 60

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als Handlungsort (implizit) verworfen, zugleich aber die Vereinbarung nicht etwa als Vorbereitungshandlung qualifiziert, sondern als das für den Handlungsort maßgebliche Element herausgehoben. Zugleich wird klargestellt, dass in allen Fällen, in denen eine Kartellvereinbarung nicht einem solchen einzigen Gründungsort zugeordnet werden kann, der Gerichtsstand des Handlungsortes nicht eröffnet ist. Dies gilt vor allem für alle Kartellsabsprachen komplexerer Natur, bei denen es nicht bei einer einfachen Absprache an einem Ort verbleibt, sondern Absprachen im Zeitablauf an verschiedenen Orten getroffen und dabei ihr Inhalt modifiziert wird und sich der Kreis der Teilnehmer ändern mag.64 Die Maßgeblichkeit des Abschlussortes der Vereinbarung bedeutet zugleich, dass der Ort der Durchführung der Absprache als maßgeblicher Handlungsort auszuscheiden hat.65 Dieser Rechtsprechung ist im Grundsatz zustimmen. Sie vermeidet, dass eine Verdoppelung der Anknüpfung an den Handlungsort mit der Anknüpfung an den Erfolgsort wie auch mit dem allgemeinen Gerichtsstand eintritt und erweitert damit die Klagemöglichkeiten für die Kartellgeschädigten; zudem bringt dies für letztere den Vorteil, alle Kartellanten,66 sofern sie an der Verabredung an einem bestimmten Ort67 teilgenommen haben, gemeinsam im Gerichtsstand des Handlungsortes verklagen zu können,68 und dient damit einer effizienten privatrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts. Die Anknüpfung an den Handlungsort wird in aller Regel (nur) bei „einfachen“ Kartellabsprachen – und nur gegenüber an diesem Ort bei der Absprache präsenten Personen69 – eingreifen können; dies auch, wenn der Ort der Zusammenkunft der Kartellanten eher zufälliger 64 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 45; so bereits auch GA Jääskinen, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI: EU:C:2015:2443 Rn. 49; dezidiert a.A. insoweit Mankowski, in: Magnus/Mankowski (Hrsg.), European Commentaries on Private International Law – ECPIL, vol. I, Brussels Ibis Regulation, 2016, Article 7 Rn. 312. 65 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 50. 66 Dazu EuGH 21.5.2015, C-352, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015: 335 Rn. 47–49: Nur die am Handlungsort agierenden Unternehmen können auch im Gerichtstand des Handlungsortes verklagt werden. 67 Da Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch die örtliche Zuständigkeit regelt, muss die Absprache nicht nur innerhalb des Gebiets eines Mitgliedstaats, sondern innerhalb eines Gerichtsbezirks getroffen worden sein; so zutreffend Wurmnest, C.M.L.Rev. 53 (2016) 225, 240. 68 Hartley, Civil Jurisdiction and Judgements in Europe, 2017, Rn. 8.132. 69 Wurmnest, C.M.L.Rev. 53 (2016) 225, 240; Roth, IPRax 2016, 318, 323. Damit werden grenzüberschreitende Absprachen, vor allem über Fernkommunikationsmittel, ausgeschlossen; Wurmnest, NZKart 2017, 2, 5. Gegen eine grenzüberschreitende Zurechnung in einem anderen Zusammenhang s. EuGH 10.5.2013, C-228/11, Melzer, ECLI:EU:C:2013: 305 Rn. 28 f.; EuGH 3.4.2014, C-387/12, Hi Hotel, ECLI:EU:C:2014:215 Rn. 30 f.; EuGH 5.6.2014, C-360/12, Coty Germany, ECLI:EU:C:2014:1318 Rn. 51; dazu Lein (Fn. 56), Rn. 4.99 ff.

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Natur ist.70 Ebenso ist ein Handlungsort fixierbar, wenn es sich um ein organisatorisch verfestigtes Kartell (etwa im Rahmen eines Verbandes) handelt, bei dem die maßgeblichen Entscheidungen am Sitz der Organisation getroffen werden.71 Bei komplexeren, nicht einem einzigen Handlungsort zuzuordnenden Kartellen mag es – worauf der EuGH hingewiesen hat – spezifische, einem einzigen Handlungsort zuzuordnende Absprachen geben, die vom Gesamtgeschehen abgetrennt werden können, und die einen eigenständigen Schaden verursacht haben mögen.72 Der Anwendungsbereich des Gerichtsstands des Handlungsortes umfasst Absprachen, die eine Schädigung der Marktgegenseite bewirken ebenso wie solche, die auf eine Behinderung von Wettbewerbern abzielen.73 Er greift in gleicher Weise für vertikale Absprachen ein. Der Gerichtsstand bezieht sich auf den Gründungsort von Kartellen ebenso wie auf den Ort, an dem sich die Unternehmen über ihr künftiges Marktverhalten abgestimmt (z.B. sich gegenseitig informiert) haben.74 Die Kognitionsbefugnis des Gerichts bezieht sich auf den Gesamtschaden, der auf der (spezifischen) wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung bzw. Abstimmung beruht. Da es auf den Handlungs- und nicht auf den Erfolgsort ankommt, besteht sie unabhängig davon, ob der Schaden im Staat der Handlung oder in einem anderen Staat eingetreten ist. Sie erstreckt sich in gleicher Weise auf den Schaden Dritter, die nur mittelbar geschädigt worden sind. b) Einseitige Verhaltensweisen Bei wettbewerbsrechtlich relevanten einseitigen Verhaltensweisen sprechen die Gesichtspunkte der Beweisnähe und der Voraussehbarkeit dafür, nach den jeweiligen Verhaltensweisen zu differenzieren. Bei über die Öffentlichkeit vermittelten Aufrufen (etwa zu einem Boykott) ist es nahe liegend, auf den Ort der Verlautbarung als Handlungsort abzustellen. Geht es um Verhaltensweisen, die die Wettbewerber am Zugang zum Markt behindern (etwa Kampfpreise), ist der maßgebliche Handlungsort marktbezogen zu ermitteln. Wie der Gerichtshof erst kürzlich festgestellt hat, kommt es darauf an, wo die widerrechtliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden 70 71

A.A. Roth (Fn. 53), S. 427, 432 f. Wurmnest, EuZW 2012, 933, 934; ders., NZKart 2017, 2, 4; Roth, IPRax 2016, 318,

324. 72 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 46. 73 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 49. 74 Hier mag man auch an das Marktverhalten als Handlungsort denken; Roth, IPRax 2016, 318, 324. Sollte der Gerichtshof jedoch den Erfolgsort auch marktbezogen konkretisieren wollen (s. unter VI.3.b. und c.), kann es bei der Beschränkung des Handlungsorts auf den Ort der Abstimmung verbleiben.

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Stellung praktisch umgesetzt worden ist.75 Dies legt es nahe, auch bei wettbewerbswidrigem Verhalten gegenüber der Marktgegenseite (missbräuchliche Preisstellung, Lieferverweigerung, diskriminierende oder behindernde Verhaltensweisen) auf den jeweiligen Markt abzustellen, auf dem das wettbewerbswidrige Verhalten nach außen hin praktiziert wird.76 Wenn und soweit wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und einseitige Verhaltensweisen Teil einer Kette von Geschehnissen darstellen, soll, wenn eine gemeinsame Strategie der Unternehmen zur Verdrängung von Wettbewerbern erkennbar ist, nach dem Urteil AB „flyLAL- Lithuanian Airlines“ demjenigen Geschehen die für den Handlungsort maßgebliche Bedeutung zugemessen werden, das für die Durchführung der Strategie besonders große Bedeutung hat.77 Ob dieser Prüfungsansatz in der Zukunft die in der Rechtsprechung immer wieder hervorgehobene Anforderung der Voraussehbarkeit des Gerichtsstands erfüllen kann, darf bezweifelt werden.

VI. Der Erfolgsort 1. Allgemeine Überlegungen Als Ort, an dem das „schädigende Ereignis eingetreten“ ist, gilt in der Unionspraxis – neben dem Handlungsort – auch der Erfolgsort als „Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs“78 (Erfolgsort), wobei dem Kläger beide Gerichtsstände alternativ zur Verfügung stehen sollen.79 Der maßgebliche Schaden kann in einer Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung, einschließlich der Verletzung des guten Rufs und von Persönlichkeitsrechten,80 aber auch in reinen Vermögensschäden (einschließlich des entgangenen Gewinns) bestehen. Dieser Erfolgsort stellt für Zwecke der internationalen Zuständigkeit insofern ein sachgerechtes Anknüpfungsmerkmal dar, als er je nach Sachverhaltsgestaltung sowohl für die Beweiserhebung wie auch für die Gestal75 In diesem Sinne EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI: EU:C:2018:533 Rn. 52. 76 Für die Niederlassung bzw. den Sitz des Unternehmens als maßgeblichen Anknüpfungspunkt etwa Mankowski (Fn. 64), Article 7 Rn. 311. 77 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 53. 78 EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising, ECLI:EU:C:2011: 685 Rn. 41; EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C: 2015:335 Rn. 51. 79 EuGH 30.11.1976, Rs. 21/76, Bier ./. Mines de potasse d’Alsace, ECLI:EU:C:1976: 166 Rn. 20. 80 EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising, ECLI:EU:C:2011: 685; EuGH 7.3.1995, C-68/93, Shevill, EU:C:1995:61; zuletzt EuGH 17.10.2017, C-194/ 16, Bolagsupplysningen OÜ, ECLI:EU:C:2017:766.

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tung des Prozesses eine enge Verknüpfung zu den Gerichten vermitteln kann.81 Wenn und soweit für den Erfolgsort nach der Rechtsprechung allein auf den unmittelbar bewirkten Erstschaden (als Verletzung eines Rechtsguts wie auch als bloßem Vermögensschaden82) abzustellen ist, wird diese Konkretisierung des Erfolgsorts vom Gesichtspunkt der Voraussehbarkeit des Gerichtsstands (für den Beklagten) wie auch von dem Bestreben geleitet, eine unübersehbare Vermehrung der Gerichtsstände zu vermeiden. Letztere Gefahr bestünde im Hinblick auf die Geltendmachung von mittelbaren (Folge-) Schäden, die deshalb nur im allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, im Gerichtsstand des Handlungsortes oder im Gerichtsstand des Ortes des Erstschadens geltend gemacht werden können.83 Während eine Lokalisierung des Erstschadens bei Rechts- und Rechtsgutsverletzungen im Hinblick auf deren territoriale Verknüpfung84 vergleichsweise einfach erscheint, 85 wirft die Bestimmung des Erfolgsorts bei reinen Vermögensschäden (als unmittelbare Schäden) nahe liegender Weise Probleme auf.86 Der Gerichtshof hat es im Kronhofer-Urteil abgelehnt, den Sitz der geschädigten Person, an dem sich der Mittelpunkt des Vermögens annehmen ließe, als maßgeblichen Erfolgsort zu bestimmen.87 Vielmehr soll es auf den Lageort des konkret geschädigten Vermögensbestandteils ankommen, etwa auf das Bankkonto, von dem aus die geschädigte Person die maßgebliche Überweisung vorgenommen hat.88 2. Gesamtschaden und Mosaikmethode Anders als für den Gerichtsstand des Handlungsorts, in dem der Kläger den (auch in anderen Mitgliedstaaten entstandenen) Gesamtschaden geltend machen kann, ist die Reichweite der Kognitionsbefugnis der Gerichte im 81 EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising, ECLI:EU:C:2011: 685 Rn. 41. 82 Z.B. EuGH 5.2.2004, C-18/02, Torline, ECLI:EU:C:2004:74 Rn. 42 f. 83 EuGH 11.1.1990, C-220/88, Dumez, ECLI:EU:C:1990:8 Rn. 12 ff., 14 (nur mittelbarer Schaden bei der Muttergesellschaft bei unmittelbarer Schädigung des Tochterunternehmens begründet keinen Erfolgsort am Sitz des Mutterunternehmens; Erfolgsort liegt am Sitz der Tochter); EuGH 19.9.1995, C-364/93, Marinari, ECLI:EU:C:1995:289 Rn. 15. 84 Zu Eingriffen in Immaterialgüterrechte s. EuGH 19.4.2012, C-523/10, Wintersteiger, ECLI:EU:C:2012:220 Rn. 25 ff.; EuGH 3.10.2013, C-170/12, Pinckney, ECLI:EU:C:2013: 635 Rn. 33 ff. 85 Zu Persönlichkeitsverletzungen im Internet s. EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C161/10, eDate Advertisíng, ECLI:EU:C:2011:685 Rn. 51: Ort des Abrufs als Erfolgsort; dazu Roth, IPRax 2013, 215. 86 Dazu etwa Leible (Fn. 50), Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 125 f. 87 EuGH 10.6.2004, C-168/02, Kronhofer, ECLI:EU:C:2004:364 Rn. 19–21. 88 Dieser Ort ist nicht mit dem Sitz des Unternehmens identisch, kann aber bei einer entsprechenden Sachverhaltsgestaltung mit ihm zusammentreffen; EuGH 5.2.2004, C-18/ 02, Torline, ECLI:EU:C:2004:74 Rn. 42 f.

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Staat des Erfolgsorts noch nicht abschließend geklärt.89 Mochte man (vor allem zu Zeiten des Brüsseler Übereinkommens von 196890) zunächst davon ausgehen, dass im Gerichtsstand des Erfolgsorts der gesamte Erstschaden unabhängig von der territorialen Verknüpfung seiner Entstehung eingeklagt werden kann,91 hat der Gerichtshof in seinem Shevill-Urteil für in mehreren Mitgliedstaaten entstehende Erstschäden („Streuschäden“ durch einen ehrverletzenden Presseartikel) die Kognitionsbefugnis der Gerichte des Erfolgsorts auf den im jeweiligen Mitgliedstaat entstandenen Erstschaden beschränkt92 (Mosaikmethode). Leitende Überlegung mag vor allem gewesen sein, eine Vervielfachung der Gerichtsstände für die Geltendmachung des Gesamtschadens zu vermeiden, aber auch der Gesichtspunkt, dass die Gerichte am jeweiligen Erfolgsort weder einen engen Bezug zum Schaden aufweisen, der in den anderen Staaten entstanden ist, noch eine spezielle Expertise bezüglich des auf den jeweiligen Deliktsanspruch anwendbaren Rechts haben werden. Vermieden wird auf diese Weise ein sog. forum shopping, wonach sich der Kläger den (vor allem im Hinblick auf verfahrensmäßige Vorteile) günstigsten Gerichtsstand für die Geltendmachung des Gesamtschadens heraussuchen kann, auch wenn im Mitgliedstaat des in Anspruch genommenen Gerichts nur ein vergleichsweise geringer Schaden entstanden ist. In Kauf genommen wird damit freilich, dass der Gerichtsstand des Erfolgsorts für eine effiziente Durchsetzung der Deliktsansprüche wesentlich entwertet wird,93 muss der Gesamtschaden doch möglicherweise vor vielen foren durchgesetzt werden. Im Schrifttum ist die Mosaikmethode zumeist dahingehend verstanden worden, dass sie ganz allgemein für alle im jeweiligen Erfolgsort geltend zu machenden Ansprüche gelten soll.94 Diesem Ansatz ist der Gerichtshof denn auch in einer Reihe von Urteilen gefolgt,95 wobei er jedoch die Abhängigkeit der Bestimmung des Erfolgsorts von der Natur des verletzten Rechts betont

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Dazu bereits eingehend Roth (Fn. 53), S. 427, 439 ff. Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968, BGBl. 1972 II, S. 774. 91 EuGH 30.11.1976, Rs. 21/76, Bier ./. Mines de potasse d’Alsace, ECLI:EU:C:1976: 166 Rn. 19, 24–25; dazu auch Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90, 95. Befürwortend z.B. Fitchen, MJ 13 (2006) 381, 391, 399 f.; Tzakas (Fn. 55), S. 369. 92 EuGH 7.3.1995, C-68/93, Shevill, ECLI:EU:C:1995:61 Rn. 31. Zuletzt wieder EuGH 17.10.2017, C-194/16, Bolagsupplysningen OÜ, ECLI:EU:C:2017:766 Rn. 31; Kritik bei Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90; positiv Wagner, RabelsZ 62 (1998) 243, 279 ff. 93 Dies wird auch vom Gerichtshof eingeräumt: EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C- 161/10, eDate Advertising, ECLI:EU:C:2011:685 Rn. 43. 94 Z.B. Lein (Fn. 56), Rn. 490; anders etwa Geimer/Schütze (Fn. 56), A.1., Art. 5 Rn. 244. 95 EuGH 19.4.2012, C-523/10, Wintersteiger, ECLI:EU:C:2012:220 Rn. 25 ff.; EuGH 3.10.2013, C-170/12, Pinckney, ECLI:EU:C:2013:635 Rn. 33 ff.; EuGH 5.6.2014, C-360/ 12, Coty Germany, ECLI:EU:C:2014:1318 Rn. 56. 90

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hat:96 Es ist dabei um deliktische Ansprüche gegangen, die auf mitgliedstaatlichen Regelungen mit territorial beschränktem Anwendungsanspruch, nämlich Immaterialgüterrechten, beruhen.97 Diese Rechtsprechung, die auch auf das nationale Lauterkeitsrecht erstreckt worden ist,98 lässt sich im Wesentlichen mit der Überlegung rechtfertigen, dass der territorial beschränkte Anwendungsanspruch der Regelung eine spezifische Verknüpfung zu den Gerichten des jeweiligen Staates herstellt und diese Gerichte die Frage der relevanten Verletzung99 und die Höhe des aus der Verletzung der Regelung entstanden Schadens am besten beurteilen können. Aus dieser Perspektive erschließt sich auch das – viel kritisierte – Shevill-Urteil, ist es doch darin um die Verletzung des Persönlichkeitsrechts gegangen, das in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten durchaus unterschiedlich ausgestaltet ist und über die jeweils anwendbare (nationale) Kollisionsnorm ebenfalls eine territoriale Ausrichtung und Begrenzung erfährt. In der Rechtssache eDate Advertising100 hat der Gerichtshof diese Rechtsprechung für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet fortentwickelt: Wegen deren erhöhter Verletzlichkeit soll – neben der weiterhin geltenden Mosaikmethode – für das Gericht, in dessen Bezirk der „Mittelpunkt der Interessen“ der betroffenen Person101 liegt, eine umfassende Kognitionsbefugnis für den gesamten – auch in anderen Staaten entstandenen – Erstschaden bestehen (Kombinationsmethode). Entscheidend wird hier, dass (sofern sich ein solcher Mittelpunkt der – auch wirtschaftlichen – Interessen ermitteln lässt102) die effektive Durchsetzung der Klägerrechte zum Schutze der Persönlichkeit (anders als bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten) zum ausschlaggebenden, die anderen zuständigkeitsrechtlichen Interessen überspielenden Gesichtspunkt erhoben wird, ohne dass es damit zugleich zu einer Vervielfachung der Gerichtsstände (für die Geltendmachung des Gesamtschadens) kommen muss.

96 EuGH 3.10.2013, C-170/12, Pinckney, ECLI:EU:C:2013:635 Rn. 32; EuGH 19.4. 2012, C-523/10, Wintersteiger, ECLI:EU:C:2012:220 Rn. 21–24. 97 EuGH 19.4.2012, C-523/10, Wintersteiger, ECLI:EU:C:2012:220 Rn. 25 ff.; EuGH 3.10.2013, C-170/12, Pinckney, ECLI:EU:C:2013:635 Rn. 33 ff. 98 EuGH 5.6.2014, C-360/12, Coty Germany, ECLI:EU:C:2014:1318 Rn. 56. 99 EuGH 3.10.2013, C-170/12, Pinckney, ECLI:EU:C:2013:635 Rn. 37. 100 EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising, ECLI:EU:C:2011: 685; dazu Roth, IPRax 2013, 215. 101 EuGH 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10, eDate Advertisíng, ECLI:EU:C:2011: 685 Rn. 48; EuGH 17.10.2017, C-194/16, Bolagsupplysningen OÜ, ECLI:EU:C:2017:766 Rn. 32 (als Ort, an dem die Verletzung am stärksten spürbar werde; Rn. 33). Im Schrifttum ist der Ort der Interessenverletzung als eine umfassende Kognitionsbefugnis vermittelnder Gerichtsstand für den Fall vorgeschlagen worden, dass sich ein Lageort des geschädigten Vermögens(-teils) nicht bestimmen lässt; Wagner (Fn. 55), Art. 5 EuGVO Rn. 161. 102 EuGH 17.10.2017, C-194/16, Bolagsupplysningen OÜ, ECLI:EU:C:2017:766 Rn. 43.

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3. Wettbewerbsdelikte Wettbewerbsdelikte führen zu reinen Vermögensschäden, bei denen die Bestimmung des Erfolgsorts nach allgemeinen Grundsätzen – etwa dem Ort, an dem der Vermögensabfluss erfolgt103 – zu wenig überzeugenden Ergebnissen führt. Im Schrifttum104 ist daher ganz verbreitet vorgeschlagen worden, auf der Grundlage der Shevill-Rechtsprechung einen marktbezogenen Ansatz zu verfolgen, der zudem den Vorteil aufweist, zu einem Gleichlauf mit der Bestimmung des anwendbaren Delikts- (und Kartell-) rechts über Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO zu führen.105 Der Marktort als Erfolgsort geht dabei aber nur mit einer beschränkten Kognitionsbefugnis der Gerichte einher, die auf den Schaden begrenzt ist, der durch das jeweilige marktbezogene rechtswidrige Wettbewerbsverhalten entstanden ist. Einen Erfolgsort, an dem der Gesamtschaden geltend gemacht werden kann, soll es (nach h.L.) nicht geben. a) CDC Zur Überraschung mancher hat sich der Gerichtshof in seiner ersten, dem Gerichtstand bei Wettbewerbsdeliktsklagen gewidmeten Entscheidung in der Rechtssache Cartel Damage Claims (CDC) von einem völlig anderen Ansatz leiten lassen:106 In einem Verfahren, in dem es um Schadensersatzansprüche von Nachfragern bei einem horizontalen Preiskartell gegangen ist, bestimmt der Gerichtshof den Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden – in Abweichung von der (nicht zitierten) Kronhofer-Entscheidung – „grundsätzlich“ am Sitz des einzelnen mutmaßlich Geschädigten:107 Dieses Gericht sei – zumindest dann, wenn es um ein durch die Kommission verbindlich festgestelltes Kartell gehe108 – am besten in der Lage, den beim potentiell Ge103

In diesem Sinne etwa Mäsch, IPRax 2005, 509, 515 f. Geimer/Schütze (Fn. 56), Rn. 260; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn. 84a; Leible (Fn. 50), Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 127; Mankowski, WuW 2012, 797, 804 f.; Tzakas (Fn. 55), S. 118 m.w.N.; Wagner (Fn. 55), Art. 5 EuGVO Rn. 166; eingehende Begründung bei Roth (Fn. 53), S. 427, 437 ff. 105 Zu diesem Gesichtspunkt s. den Erwägungsgrund No. 7 der „Rom II-VO“, Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. 2007 L 199/40; dass ein solcher Gleichlauf nur erwünscht, nicht aber zwingend ist, wenn die policies der EuGVO in eine andere Richtung weisen, macht EuGH 16.1.2014, C-45/13, Andreas Kainz, ECLI:EU:C:2014:7 Rn. 20, deutlich. 106 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335; dazu etwa Wurmnest, C.M.L.Rev. 53 (2016) 225, 233 ff.; Roth, IPRax 2016, 318, 324 f. 107 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 52. 108 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 53. 104

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schädigten entstandenen Schaden (etwa in Form des entgangenen Gewinns) zu beurteilen. Dies soll auch für die Ermittlung und Feststellung des Gesamtschadens gelten, der durch die erhöhten Preise in Form der Mehrkosten für den Geschädigten entstanden ist.109 Überraschend erscheint das CDCUrteil aus mehreren Gründen: Zum einen wird die Shevill-Rechtsprechung nicht erwähnt und damit auch nicht der Versuch unternommen, deren Bedeutung und Tragweite in Wettbewerbssachen anzudeuten.110 Zum anderen wird kein Bezug zu Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO111 und dem dort für die kollisionsrechtliche Entscheidung verfolgten marktorientierten Ansatz hergestellt. Zum dritten findet sich weder eine Auseinandersetzung mit dem noch eine Bezugnahme auf das eDate Advertising-Urteil, wonach der darin bestimmte Erfolgsort zur Geltendmachung des Gesamtschadens (als Ausnahme zur Shevill-Rechtsprechung) gerade mit den Besonderheiten des Internets und der damit verknüpften erhöhten Verletzlichkeit der Persönlichkeitsrechte begründet worden war. Zum vierten ist es keineswegs ausgemacht, dass sich die Gerichte am Sitz des (potentiell) Geschädigten im Hinblick auf die Beweisnähe, was das wettbewerbswidrige Verhalten des Schädigers, aber auch die Berechnung des Schadens nach der Differenzmethode angeht, in einer besseren Position befinden als die Gerichte in anderen Mitgliedstaaten, auf deren Märkten der Schädiger tätig ist.112 Sucht man nach einer näheren Erklärung für das CDC-Urteil, mag eine solche zunächst in dem Bestreben des Gerichtshofs liegen, die Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts mittels des aufgrund der Courage-Judikatur existierenden Schadensersatzanspruchs zu effektivieren:113 Die umfassende Kognitionsbefugnis der Gerichte am Sitz des potentiell Geschädigten vereinfacht die Verfolgung von Wettbewerbsdelikten:114 Es geht um private enforcement, an dem sich das europäische Zuständigkeitsrecht ausrichten soll. Zugleich lässt sich ein vermeintlicher Widerspruch zu der oben dargestellten Rechtsprechung zu den Immaterialgüterrechtsverletzungen unschwer auflösen: Im CDC-Urteil geht es um eine Verletzung einer unionsrechtlichen Verhaltensnorm mit einem unionsweiten Anwendungsanspruch, für deren Beurteilung alle mitgliedstaatlichen Gerichte unabhängig vom Schadenseintritt in ihrem jeweiligen Sitzstaat als gleichermaßen kompe-

109 EuGH 21.5.2015, C-352/13, Cartel Damage Claims (CDC), ECLI:EU:C:2015:335 Rn. 54. 110 Im Schrifttum wurde aus dem CDC-Urteil gefolgert, dass der EuGH für Wettbewerbssachen der Mosaiktheorie eine Absage erteilen wollte; z.B. Harms/Sanner/Schmidt, EuZW 2015, 584, 590 f.; Stadler, JZ 2015, 1138, 1140. 111 S. Fn. 105. 112 Kritik insoweit bei Wurmnest, C.M.L.Rev. 53 (2016) 225, 243; Hartley (Fn. 68), Rn. 8.133 Fn. 178; Wurmnest, NZKart 2017, 2, 5 („Sonderrecht für Kartellschäden“). 113 Zum pro und contra bereits Roth, IPRax 2016, 318, 325. 114 Wurmnest, NZKart 2017, 2, 5 f.

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tent anzusehen sind. Im Gegensatz dazu geht es in der Rechtsprechung zum Immaterialgüter- und Lauterkeitsrecht um nationales Recht mit einem territorial beschränkten Anwendungsanspruch, aus dem die nur beschränkte Kognitionsbefugnis der Gerichte des Erfolgsortes abgeleitet wird. Diese Erklärung wird bestätigt durch die Entscheidung in der Rechtssache Concurrence SARL,115 in der der Gerichtshof für die Verletzung einer mitgliedstaatlichen Regelung mit sowohl wettbewerbs- wie lauterkeitsrechtlichem Gehalt116 deutlich macht, dass der auf das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates begrenzte Schutz des Geschädigten Hand in Hand mit der beschränkten Kognitionsbefugnis des jeweiligen Gerichts gehen soll.117 Daraus lässt sich folgern: Während für Verstöße gegen nationales Kartellrecht allein die Mosaikmethode der Shevill-Entscheidung Maß geben soll, greift bei Verstößen gegen unionales Wettbewerbsrecht die Kombinationsmethode: Unbeschränkte Kognitionsbefugnis bezüglich des gesamten Erstschadens für das Gericht am Sitz des Geschädigten, und Mosaikmethode mit beschränkter Kognitionsbefugnis der Gerichte in dem jeweiligen Mitgliedstaat, in dem der behauptete Schaden entstanden ist. Allerdings bleibt einzuräumen, dass nach dem CDC-Urteil die Bestimmung des Sitzes des Geschädigten als Erfolgsort, der dem Gericht eine unbegrenzte Kognitionsbefugnis verleiht, davon abhängig gemacht wird, dass der Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht bereits durch eine Kommissionsentscheidung bindend festgestellt worden ist (follow-on Klage).118 Da es damit im konkreten Fall nur mehr um die Feststellung des Schadens des geschädigten Unternehmens (in Form der Mehrkosten) gegangen ist, erscheint der Sitz des Unternehmens als ein mit dem Rechtsstreit eng zusammenhängender Gerichtsstand. Daran sollte sich im Ergebnis freilich kaum etwas ändern, wenn es sich um eine stand-alone Klage handelt: Bei einem binnenmarktweiten Kartell stehen die Gerichte der Mitgliedstaaten, in denen (möglicherweise) ein Schaden eingetreten ist, der Anwendung des unionalen Wettbewerbsrechts – anders als der Anwendung des territorial beschränkten Immaterialgüterrechts – gleich nah. Ob es sich beim CDC-Urteil um eine (zumindest implizite) Abkehr von der Shevill-Rechtsprechung handelt,119 steht auf einem anderen Blatt.

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EuGH 21.12.2016, C-618/15, Concurrence SARL, ECLI:EU:C:2016:976. Konkret ging es um den Verstoß gegen ein Verbot des Wiederverkaufs außerhalb eines selektiven Vertriebsnetzes nach französischem Recht. 117 Rn. 31. Zu dieser Differenzierung bereits Roth (Fn. 53), S. 427, 442. 118 Dazu Roth, IPRax 2016, 318, 325. 119 In diesem Sinne etwa Wurmnest, NZKart 2017, 2, 5; vgl. auch Scraback, GPR 2019, 69, 70. 116

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b) AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ Das Urteil AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“120 handelt von (möglicherweise) gegen Art. 101, 102 AEUV verstoßende Kampfpreise im Luftverkehr, und damit verknüpft vom Gerichtsstand für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen betreffend den dadurch entgangenen Gewinn bzw. eingetretenen Verluste. Die Entscheidung signalisiert eine bemerkenswerte Fortentwicklung in der Bestimmung des maßgeblichen Erfolgsorts: Wie bereits im Schrifttum vorgeschlagen,121 soll der betroffene Markt maßgebend sein, in dem der behauptete Schaden entstanden ist. Diese Anknüpfung soll sich an den Gesichtspunkten der Nähe und Voraussehbarkeit der Zuständigkeitsregeln orientieren, da die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich der betroffene Markt befindet, am besten in der Lage sind, die Schadensersatzklagen zu prüfen, und zugleich der Beklagte damit rechnen muss, vor den Gerichten des Staats verklagt zu werden, auf dessen Markt er sich wettbewerbswidrig verhält.122 Bemerkenswert erscheint die Entscheidung vor allem auch deshalb, weil die Präzisierung eines maßgeblichen Erfolgsorts hier – wie auch im Schrifttum vorgeschlagen – im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO erfolgen soll,123 und damit ein gewisser Gleichlauf von anwendbarem Deliktsrecht und internationaler Zuständigkeit erreicht werden soll. Die Tragweite des Urteils bleibt freilich noch ungewiss. Zunächst erscheint die Bestimmung des maßgebenden Marktes als Anknüpfungspunkt alles andere als klar: Den Erfolgsort hinsichtlich der durch Kampfpreise eintretenden Verluste eines Wettbewerbers lokalisiert der Gerichtshof einerseits am Sitz des Wettbewerbers, wenn die betroffenen Flüge von dem Sitzflughafen abgehen bzw. zu diesem führen;124 andererseits wird als „hauptsächlich betroffener“ Markt derjenige bezeichnet, auf dem die geschädigte Gesellschaft „wahrscheinlich“ (!) den „wesentlichen Teil“ ihrer für diese Flüge abwickelt.125 Im Hinblick auf die Voraussehbarkeit der Zuständigkeitsregeln soll sich der maßgebliche Erfolgsort aus der Kumulation beider Anhaltspunkte – dem Ort, wo die (Flug-) Leistungen erbracht werden, und dem Ort, wo die Leis120

EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533. Basedow, ZWeR 2006, 294, 300–301; Bulst, EWS 2004, 403, 406; Danov (Fn. 22), S. 95 f.; Kropholler/von Hein (Fn. 104), Art. 5 EuGVO Rn. 84; Tzakas (Fn. 55), S. 118 m.w.N. 122 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 40. 123 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 41; EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 35. 124 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 39. 125 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 39. 121

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tungen am Markt angeboten werden – ergeben.126 Ob und welche Bedeutung die Lokalisierung des Sitzes des Unternehmens haben soll (die bei Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO keine Rolle spielt), bleibt noch zu klären.127 Auch mag man sich fragen, warum es für zuständigkeitsrechtliche Zwecke auf den Ort der Erbringung der Leistungen ankommen soll, ist doch der wettbewerbsrechtlich relevante Markt derjenige, auf dem die maßgebliche Leistung angeboten bzw. nachgefragt wird und auf dem diesbezüglich ein wettbewerbswidriges Verhalten vorliegt. Das Urteil AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ sollte nicht als Korrektur der bisherigen Rechtsprechung, sondern als deren widerspruchslose Fortentwicklung verstanden werden. Zunächst ist davon auszugehen, dass die marktorientierte Bestimmung des Erfolgsorts in AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ in keiner Weise die im CDC-Urteil vorgenommene Bestimmung eines Gerichtsstands des Sitzes des (potentiell) geschädigten Unternehmens mit umfassender Kognitionsbefugnis tangieren bzw. modifizieren soll.128 CDC bleibt vielmehr good law. Aber auch die Shevill-Rechtsprechung129 bleibt weiterhin unberührt:130 Das Urteil AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ kann vielmehr Shevill mit der darin angesprochenen Mosaikmethode in der Weise zugeordnet werden, dass den Gerichten des jeweils betroffenen Marktes131 nur eine beschränkte Kognitionsbefugnis hinsichtlich der auf diesem Markt bezogenen Schäden zukommen soll.132 Damit wäre eine effektive Durchsetzung des Wettbewerbsrechts mit den Mitteln privatrechtlicher An-

126 EuGH 5.7.2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 40; EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 33. 127 In EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 33, stellt der Gerichtshof einerseits auf das europaweit (und damit auch auf Ungarn bezogene) praktizierte Kartell der Hersteller ab, andererseits auf den Ort der Nachfrage der geschädigten Partei (in Ungarn; Nachfrage bei in Ungarn tätigen Automobilhändler); der Ort der Nachfrage fiel mit dem Sitz des geschädigten Unternehmens zusammen. Im Urteilstenor wird es für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO als ausreichend angesehen, dass ein Marktbezug gegeben ist und dort auch dem Geschädigten nach dessen Aussage der durch die Zuwiderhandlung verursachte Schaden entstanden ist. Vgl. auch schon EuGH 21.12.2016, C-618/15, Concurrence SARL, ECLI:EU:C:2016:976 Rn. 33, worin für den Schadensort (Verwirklichung des Schadens) auf den Rückgang des Absatzvolumens in einem bestimmten Gebiet abgestellt wird. 128 Dies ergibt sich unschwer schon daraus, dass das CDC-Urteil keine Erwähnung findet. 129 Deren Anwendung schon früher befürwortend z.B. Komninos, EC Private Antitrust Enforcement, 2008, S. 250; Mankowski, WuW 2012, 797, 804 ff.; Wagner (Fn. 55), Art. 5 EuGVO Rn. 179. 130 Zweifel daran bei Scraback, GPR 2019, 69, 71. 131 In der Kumulierung von Ort des Leistungsaustauschs und Ort der Leistungserbringung. 132 Es würde einer effektiven private enforcement dienen, wenn der Sitz des (potentiell) geschädigten Unternehmens in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen würde.

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sprüche sichergestellt, ohne dass es zu der Gefahr eines forum shopping kommen würde.133 4. Folgeschaden und passing-on Der Gerichtsstand des Erfolgsorts bezieht sich auf den Schaden, der als (unmittelbar bewirkter) Erstschaden anzusehen ist. Dies hat zur Konsequenz, dass Folgeschäden des Verletzten, die in einem anderen Mitgliedstaat eingetreten sind, in letzterem Staat keine Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO begründen können, vielmehr im Gerichtsstand des Erstschadens geltend zu machen sind.134 Diese Beschränkung des Gerichtsstands für Folgeschäden gilt nicht nur für Folgeschäden, die der Geschädigte des Erstschadens erleidet, sondern in gleicher Weise für mittelbar Geschädigte: Diese können ihren Schaden nur im Gerichtsstand des Erstgeschädigten geltend machen.135 Dies hängt auch und vor allem damit zusammen, dass der (potentielle) Schädiger den Ort der Schadensverwirklichung bei mittelbar Geschädigten kaum voraussehen kann. Für Wettbewerbssachen lässt sich fragen, welche Konsequenzen sich daraus in den Fällen eines grenzüberschreitenden passing-on für eine wirksame Durchsetzung der deliktischen Ansprüche mittelbar Geschädigter ergeben mögen. Im Urteil Tibor-Trans,136 dessen Hintergrund das europa-weite „LKW“-Kartell ist, hatte ein Speditionsunternehmen, das LKWs von einem ungarischen Automobilhändler gekauft hatte, vor einem ungarischen Gericht Klage gegen einen der kartellierenden Hersteller in Höhe des Schadens erhoben, der ihm durch die von den Automobilhändlern weitergeleiteten überhöhten Preise entstanden war. Der Gerichtshof will für die Frage, ob es sich um einen unmittelbaren oder einen bloß mittelbaren Schaden beim Spediteur handelt, differenzieren: Soweit es um Folgen des Schadens geht, der bei den unmittelbaren Abnehmern (also den Automobilhändlern) der kartellierenden Hersteller in Form von Absatzeinbußen (und damit entgangenem Gewinn) eintritt (solche waren im Verfahren nicht geltend gemacht worden und sind auch nur schwer vorstellbar), soll es sich um bloß mittelbare Schäden handeln, die nicht einen autonomen Erfolgsort begründen können.137 Anders aber für die Vermögenseinbußen in Form von Mehrkos133 Diese Lösung erscheint deshalb der von Verf. (Fn. 53), S. 427, 442 f., vorgeschlagenen Lösung überlegen. 134 EuGH 19.9.1995, C-364/93, Marinari, ECLI:EU:C:1995:289 Rn. 14–15; EuGH 5.7. 2018, C-27/17, AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, ECLI:EU:C:2018:533 Rn. 32; EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 27. 135 EuGH 11.1.1990, C-220/88, Dumez, ECLI:EU:C:1990:8 Rn. 14, 20–21; EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 29. 136 EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635. 137 EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 30–31.

Internationale Zuständigkeit und private enforcement

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ten, die dem mittelbaren Abnehmer (Spediteur) aufgrund der Zahlung überhöhter Preise (an den unmittelbaren Abnehmer) entstehen (passing-on). Dieser Schaden wird als unmittelbare Folge der Zuwiderhandlung und damit als unmittelbarer Schaden qualifiziert, der einen Erfolgsort im Mitgliedstaat der Schadensverwirklichung begründet.138 Dieser vom Gerichtshof gewählte Weg mag auf den ersten Blick überraschen:139 Denn die beim mittelbaren Abnehmer entstandenen Mehrkosten sind eine Folge der Mehrkosten, die zunächst beim unmittelbaren Abnehmer der Kartellanten entstanden sind. Diese Mehrkosten sind ein Schaden, dessen Entstehung etwa auch Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104/EU140 als Konsequenz eines Kartells vermutet, und der damit als unmittelbarer Schaden angesehen werden könnte, während die Weiterleitung dieses Schadens an die mittelbaren Abnehmer in Form überhöhter Preise sich als bloß mittelbarer Schaden in der Absatzkette im Sinne der überkommenen Rechtsprechung141 qualifizieren ließe. Der Gerichtshof geht hier offensichtlich einen anderen Weg: Der beim mittelbaren Abnehmer entstehende (Teil-) Schaden wird nicht als Folgeschaden angesehen, der neben den (nicht reduzierten) Erstschaden tritt (und insoweit schadenserhöhend wirkt), sondern als Fall der Schadensverlagerung, der den Erstgeschädigten (zumindest teilweise) entlastet und insoweit beim Zweitgeschädigten als Erstschaden anzusehen ist. Der Gerichtshof wählt damit für Zwecke des Zuständigkeitsrechts einen vom anwendbaren materiellen Schadensrecht unabhängigen Weg,142 um im Ergebnis einen für den mittelbaren Erwerber (aber unmittelbar Geschädigten) günstigen Erfolgsort zu begründen,143 auch wenn man daran zweifeln mag, dass dieser Gerichtsstand für den Schädiger die notwendige Voraussehbarkeit vermittelt. Damit wird aber der vom Gerichtshof aus Art. 101, 102 AEUV abgeleitete Schadensersatzanspruch, der jedermann zustehen soll, der durch wettbewerbswidriges Verhalten einen Schaden erleidet,144 auch für die Fälle des passing-on in der 138 EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 31; zum Ort der Schadensverwirklichung auch EuGH 21.12.2016, C-618/15, Concurrence SARL, ECLI:EU:C:2016:976 Rn. 33. 139 Anders denn auch Roth (Fn. 53), S. 427, 438; Mankowski (Fn. 64), Art. 7 Rn. 385. 140 S. oben Fn. 8. 141 EuGH 11.1.1990, C-220/88, Dumez, ECLI:EU:C:1990:8 Rn. 14, 20–21. 142 In diesem Sinne bereits EuGH EuGH 19.9.1995, C-364/93, Marinari, ECLI:EU: C:1995:289 Rn. 18. 143 Der Erfolgsort wird wiederum marktbezogen-kumulativ bestimmt: Es geht um den durch das wettbewerbswidrige Verhalten betroffenen Markt, in dessen Gebiet der behauptete Schaden entstanden sein soll (wobei der Sitz des Unternehmens keine Erwähnung findet); EuGH 29.7.2019, C-451/18, Tibor-Trans, ECLI:EU:C:2019:635 Rn. 33 (und Rn. 35, worin auf Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO und das dort verankerte Auswirkungsprinzip Bezug genommen wird). 144 S. die Nachweise oben in Fn. 141.

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Absatzkette zuständigkeitsrechtlich instrumentiert und das private enforcement gestärkt.

VII. Zusammenfassung 1. Die Brüssel Ia-VO kennt keine speziellen Zuständigkeitsregelungen für kartelldeliktsrechtliche Prozesse. Der EuGH hat aber in seiner Judikatur Lösungen entwickelt, die das private enforcement des Wettbewerbsrechts tendenziell fördern. 2. Für Kartelle gilt als Handlungsort im Sinne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO der Abschlussort; in diesem Gerichtsstand kann der Gesamtschaden geltend gemacht werden. Die Maßgeblichkeit des Abschlussorts vermeidet eine Verdoppelung mit dem Sitz des Schädigers als allgemeinem Gerichtsstand gem. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. 3. Als Erfolgsort ist grundsätzlich der Sitz des Geschädigten anzusehen, in dem der Gesamtschaden in einer für den Geschädigten effektiven Weise geltend gemacht werden kann. Daneben tritt eine marktbezogene Anknüpfung für Schäden, die im Mitgliedstaat dieses Marktes entstanden sein sollen. Die Kognitionsbefugnis der Gerichte des Marktstaates beschränkt sich jeweils auf den innerhalb des Staates entstandenen Schaden. 4. In passing-on Fällen sind die auf den mittelbaren Abnehmer weitergeleiteten Mehrkosten, die auf einem Kartell beruhen, als Erstschaden anzusehen, der einen Erfolgsort ins.v. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für den mittelbaren Abnehmer im Verhältnis zu den Kartellanten begründet. Damit wird private enforcement durch die mittelbaren Abnehmer in der Absatzkette gefördert.

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Company Law Package: Collateral Damage – ausgewählte Zweifelsfragen und Redaktionsfehler – JESSICA SCHMIDT

Das Company Law Package, bestehend aus DigiRL1 und MobilRL2, ist zweifellos ein ganz großer Meilenstein für das Europäische Unternehmensrecht. Wenn ein solches Mammutprojekt noch dazu in einer derartigen Rekordzeit durch das Legislativverfahren manövriert wird, überrascht es nicht, dass die Diskussion in den Beratungen sich auf die großen Linien konzentrierte, in Bezug auf Detailfragen aber Kompromisse gemacht, Zweifelsfragen nicht ausdiskutiert wurden oder schlicht Redaktionsfehler passierten. Der Beitrag greift einige ausgewählte Punkte auf.

I. DigiRL 1. Muster für die Online-Gründung (Art. 13h GesRRL): Restriktion auf bestimmte Gründungen? Gem. Art. 13h Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GesRRL müssen die Mitgliedstaaten für die in Anhang IIA genannten Rechtsformen von Gesellschaften (d.h. GmbH) Muster zur Verfügung stellen, die für die Online-Gründung nach Art. 13g GesRRL verwendet werden können. Für andere Rechtsformen können sie ebenfalls solche Muster zur Verfügung stellen, müssen dies aber nicht (vgl. Art. 13h Abs. 1 S. 2 GesRRL). Inhalt und Ausgestaltung der Muster bleiben dabei den Mitgliedstaaten überlassen (Art. 13h Abs. 4 GesRRL). Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten damit auch berechtigt sind, Muster nur für bestimmte Gründungen von Gesellschaften mit einer Rechtsform i.S.d. Anhang IIA anzubieten. Nicht zwingend erforderlich sind Muster jedenfalls 1 RL (EU) 2019/1151 des EP und des Rates v. 20.6.2019 zur Änderung der RL (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABlEU v. 11.7.2019, L 186/80. 2 RL (EU) 2019/2121 des EP und des Rates v. 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 12.12.2019, L 321/1.

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für Sachgründungen, denn diese können gem. Art. 13g Abs. 4 lit. d GesRRL gänzlich von der Online-Gründung ausgenommen werden. Teilweise wird aber offenbar angenommen, dass die Mitgliedstaaten auch berechtigt sind, Muster z.B. nur für Gründungen mit einer bestimmten maximalen Anzahl von Gesellschaftern und/oder Geschäftsführern zur Verfügung zu stellen. Davon geht jedenfalls offenbar der NRW-Entwurf zur partiellen Umsetzung der DigiRL aus, denn darin heißt es ausdrücklich, dass in Deutschland in Bezug auf die Muster „kein gesetzgeberisches Tätigwerden veranlasst [sei], da bereits de lege lata in § 2 Abs. 1a GmbHG eine Gründung der GmbH auf Grundlage [eines] […] Musterprotokolls vorgesehen ist“.3 In Art. 13h GesRRL findet sich indes gerade keine solche Einschränkung, die Pflicht zur Bereitstellung von Mustern erstreckt sich vielmehr nach Art. 13h Abs. 1 S. 1 GesRRL generell auf „die in Anhang IIA genannten Rechtsformen von Gesellschaften“.4 Mit der Regelung des Art. 13h Abs. 4 GesRRL, dass der Inhalt der Muster unter das Recht der Mitgliedstaaten fällt, ist nur gemeint, dass es aufgrund der unterschiedlichen nationalen Gründungsregeln kein europaweit einheitliches Muster gibt, sondern jeder Mitgliedstaat „seine“ Muster auf „seine“ Gesellschaften zuschneiden kann. Dies gibt den Mitgliedstaaten aber keinen „Freibrief“, nur Muster für bestimmte ausgewählte Arten von Gründungen bereitzustellen. Denn sonst könnte ein Mitgliedstaat den effet utile des Art. 13h GesRRL komplett untergraben, indem er z.B. nur ein Muster für die Online-Gründung einer Einpersonengesellschaft mit 100 Mio. € Stammkapital zur Verfügung stellt. Die Mitgliedstaaten müssen vielmehr für alle nach ihrem nationalen Recht möglichen Gründungsvarianten der in Anhang IIA genannten Rechtsformen Muster zur Verfügung stellen; ausgenommen werden dürfen lediglich Sachgründungen (arg. ex Art. 13g Abs. 4 lit. d GesRRL). In Deutschland besteht also durchaus noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf, denn eine Gründung mittels Musterprotokoll ist de lege lata nur bei maximal drei Gesellschaftern und maximal einem Geschäftsführer zulässig (§ 2 Abs. 1a GmbHG).5 2. Positive Publizität des Registers (?!) Ein Kernelement der DigiRL ist die Neukonzeption der Registerpublizität: Als primäres Publizitätsinstrument wird es künftig nur noch das Register geben, die zusätzliche Bekanntmachung ist nur noch eine Mitgliedstaatenoption (vgl. Art. 16 Abs. 3 GesRRL). Diese längst überfällige Reform ist nachdrücklich zu begrüßen, denn die historisch bedingte Dichotomie von 3 4 5

NRW-Entwurf, BR-Drs. 611/19, S. 18. Vgl. auch Omlor DStR 2019, 2544, 2549. Ebenso Omlor DStR 2019, 2544, 2549.

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Register und Bekanntmachung ist heute, wo beides elektronisch zugänglich ist, überholt und führt nur zu unnötigen Doppelungen.6 Deutschland sollte daher nicht von der Mitgliedstaatenoption Gebrauch machen, sondern die Bekanntmachung komplett abschaffen.7 Denkbar wäre z.B. auch, das Unternehmensregister – welches die Handelsregister- und Bekanntmachungsdaten bislang lediglich „spiegelt“ (vgl. § 8b Abs. 2 Nr. 1 HGB) – tatsächlich zu einem echten „one stop shop“ auszubauen. Diese Neukonzeption i.S.d. „register only“-Prinzips machte notwendigerweise auch Anpassungen im Hinblick auf die Wirkungen der Registerpublizität erforderlich. Die negative Registerpublizität ist nun in Art. 16 Abs. 5 UAbs. 1 GesRRL geregelt, die „Schonfrist“ von 15 Tagen im Hinblick auf die Wirkung eingetragener Tatsachen gegenüber Dritten in Art. 16 Abs. 5 UAbs. 2 GesRRL; zudem bestimmt Art. 16 Abs. 5 UAbs. 3 GesRRL explizit, dass der Dritte sich stets auf die wahre Rechtslage berufen kann.8 Problematisch ist indes die – im Hinblick auf die Neukonzeption modifizierte – Regelung zur positiven Publizität in Art. 16 Abs. 4 UAbs. 3 GesRRL. Denn ihrem Wortlaut nach erfasst sie nur die Fälle von Abweichungen zwischen Register- und Akteninhalt (sowie für den Fall, dass ein Mitgliedstaat von der Option Gebrauch macht, die zusätzliche Bekanntmachung beizubehalten, auch Fälle von Abweichungen zwischen Register und Bekanntmachung); im Falle derartiger Abweichungen hat der Registerinhalt Vorrang. Vom Wortlaut an sich nicht erfasst ist hingegen der Fall, dass der Registerinhalt selbst unrichtig ist. Der Dritte muss aber gerade auch in seinem Vertrauen auf den unrichtigen Registerinhalt geschützt werden.9 Im „alten“ System wurde er ja auch in seinem Vertrauen auf eine unrichtige Bekanntmachung geschützt (vgl. Art. 16 Abs. 7 UAbs. 2 GesRRL a.F.). Der Schutz des Vertrauens auf eine unrichtige Offenlegung gehört zu den Grundfesten der Registerpublizität.10 Wenn es im neuen System nur noch das Register als primäres Publizitätsinstrument gibt, so muss der gutgläubige Dritte auf dessen Inhalt vertrauen können.11 Es würden sich erhebliche Wertungswidersprüche ergeben, wenn der gutgläubige Dritte zwar auf das (unrichtige) „Schweigen“ des Registers vertrauen dürfte (Art. 16 Abs. 5 6 Näher J. Schmidt DK 2018, 229, 232; Bayer/J. Schmidt BB 2018, 2562, 2567; dies. BB 2019, 1922, 1924. 7 So bereits J. Schmidt DK 2018, 229, 232; ebenso Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1924; Lieder NZG 2020, 81, 87; Noack DB 2018, 1324, 1328; Noack, Blog Unternehmensrechtliche Notizen v. 30.8.2019; für Frankreich: Conac Rev. soc. 2019, 31, 39. 8 Dies war im Kommissionsentwurf (COM(2018) 239) noch nicht vorgesehen gewesen; eine entsprechend Ergänzung fordernd bereits J. Schmidt DK 2018, 229, 232; Bayer/ J. Schmidt BB 2018, 2562, 2568. 9 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925. 10 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925. 11 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925.

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UAbs. 1 GesRRL), nicht aber auf das (unrichtige) „Reden“12 – zumal in Art. 21 Abs. 4 Hs. 2 GesRRL weiterhin unverändert vorgesehen ist, dass der Dritte sich auf freiwillig offengelegte Übersetzungen berufen kann, insofern also die positive Publizität der Offenlegung unverändert bestehen bleibt.13 Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum vorstellbar, dass der europäische Gesetzgeber ohne jegliche Begründung oder auch nur Erwähnung in den Erwägungsgründen an einem der Kernfundamente der Registerpublizität rütteln wollte.14 Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung, dass der gutgläubige Dritte sich auf das Register berufen kann, dürfte nach alledem wahrscheinlich auf einem höchst bedauerlichen Redaktionsversehen beruhen, das wohl nicht zuletzt der Eile des Legislativverfahrens und dem Umstand, dass im Fokus primär die Online-Gründung stand, geschuldet ist.15 Aus Art. 16 Abs. 4 UAbs. 3 GesRRL wird aber immerhin klar deutlich, dass letztlich das Register maßgeblich sein soll. Dies, die dargestellte Historie sowie der den Art. 21 Abs. 4 Hs. 2 GesRRL und Art. 16 Abs. 5 UAbs. 1 GesRRL zugrunde liegende Rechtsgedanke sprechen maßgeblich dafür, Art. 16 Abs. 4 UAbs. 3 GesRRL erweiternd dahin auszulegen, dass der Dritte sich auch auf unrichtige Registereintragungen berufen kann, sofern er keine positive Kenntnis von der Unrichtigkeit hatte.16 Selbst wenn man dem nicht folgen sollte, stünde es aber jedenfalls den nationalen Gesetzgebern frei, weiterhin eine positive Publizität vorzusehen. Im Zuge des Übergangs zum „register only“-Prinzip ist daher in Deutschland ein entsprechendes „Update“ des § 15 Abs. 3 HGB17 auf jeden Fall zulässig18, nach richtiger Ansicht sogar unionsrechtlich geboten.19

12 Wenn anstelle von X fälschlicherweise Y als Geschäftsführer eingetragen ist, könnte sich der Dritte zwar darauf berufen, dass eine von X ausgesprochene Kündigung unwirksam ist (weil X nicht eingetragen ist, vgl. Art. 16 Abs. 5 UAbs. 1 GesRRL), nicht hingegen darauf, dass eine von Y ausgesprochene Kündigung wirksam ist (weil Y im Register eingetragen war). 13 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925. 14 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925. 15 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925. 16 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925; zustimmend Noack, Blog Unternehmensrechtliche Notizen v. 30.8.2019; a.A. Lieder NZG 2020, 81, 88. 17 § 15 Abs. 3 HGB n.F. könnte z.B. lauten: „Ist eine einzutragende Tatsache unrichtig eingetragen, so kann sich ein Dritter demjenigen gegenüber, in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war, auf die eingetragene Tatsache berufen, es sei denn, dass er die Unrichtigkeit kannte.“ 18 Für eine entsprechende Anpassung auch Lieder NZG 2020, 81, 88; Omlor DStR 2019, 2544, 2548. 19 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1925; ebenso Noack, Blog Unternehmensrechtliche Notizen v. 30.8.2019.

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II. MobilRL 1. Bericht Der Bericht wurde durch die MobilRL komplett neu konzipiert. Hintergrund ist, dass der „Hybridcharakter“ des Verschmelzungsberichts bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen als Schutzinstrument sowohl für die Gesellschafter als auch für die Arbeitnehmer viele Streitfragen und Folgeprobleme mit sich gebracht hatte.20 Der Kommissionsentwurf21 hatte deshalb zwingend zwei separate Berichte – einen für die Gesellschafter und einen für die Arbeitnehmer – vorgesehen (Art. 86e, 86f, 124, 124a, 160g, 160h GesRRL-KOM). Die verabschiedete Fassung stellt es der Gesellschaft hingegen frei, ob sie zwei separate Berichte oder einen einzigen Bericht mit zwei speziellen Abschnitten für Gesellschafter und Arbeitnehmer erstellt (Art. 86e Abs. 2, 124 Abs. 2, 160e Abs. 2 GesRRL). Diese Neukonzeption hat zwar einige bislang bestehende Streitfragen geklärt. So ist etwa insbesondere ein Verzicht der Gesellschafter auf den für sie bestimmten Bericht(sabschnitt) ausdrücklich zugelassen (Art. 86e Abs. 4 S. 1, 124 Abs. 4 S. 1, 160e Abs. 4 S. 1 GesRRL) und der Berichts(abschnitt) für die Arbeitnehmer ist nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft und ihre Tochtergesellschaften keine anderen Arbeitnehmer haben als diejenigen, die dem Verwaltungs- oder Leitungsorgan angehören (Art. 86e Abs. 8, 124 Abs. 8, 160e Abs. 8 GesRRL). Die Neukonzeption hat aber auch einige neue Zweifelsfragen aufgeworfen: a) Verzicht durch die Arbeitnehmerseite? Fraglich ist zunächst, ob auch die Arbeitnehmerseite auf „ihren“ Bericht(sabschnitt) verzichten kann. Anders als für die Gesellschafter ist dies gerade nicht ausdrücklich vorgesehen. Dabei dürfte es sich um eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers handeln. Die Möglichkeit eines Verzichts durch die Arbeitnehmerseite war nämlich schon im Vorfeld und in den Stellungnahmen zum Kommissionsentwurf immer wieder diskutiert worden und der JURI-Bericht hatte sogar noch vorgesehen, dass ein Verzicht auf den (dort als gemeinsamen Bericht für Gesellschafter und Arbeitnehmer) konzipierten Bericht nur einvernehmlich durch alle Gesellschafter und alle Arbeitnehmer möglich sein sollte.22 Der Verzicht durch die Arbeitnehmerseite war dann aber im weiteren Legislativverfahren gerade nicht mehr mit aufgenommen worden. Es ist daher davon auszugehen, dass 20 21 22

Vgl. J. Schmidt DK 2018, 222, 241. COM(2018) 241. JURI-Bericht, A8-0002/2019, S. 149.

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ein Verzicht durch die Arbeitnehmerseite nicht zulässig ist.23 Aus praktischer und rechtspolitischer Sicht ist dies freilich bedauerlich, denn auch hier besteht kein vernünftiger Grund für einen „aufgedrängten“ Schutz.24 b) Entbehrlichkeit bei Konzernverschmelzungen Problematisch ist weiterhin die Entbehrlichkeit des Verschmelzungsberichts im Falle von Konzernverschmelzungen. Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL sieht jedenfalls seinem Wortlaut nach pauschal vor, dass „Artikel 124“ im Falle einer von Art. 132 Abs. 1 GesRRL erfassten Konzernverschmelzung (d.h. upstream merger einer 100%igen Tochter und bestimmte sidestep merger) auf die übertragenden Gesellschaften keine Anwendung findet. Hier stellt sich die Frage, ob tatsächlich ein Dispens vom gesamten Verschmelzungsbericht oder vielmehr nur vom Abschnitt bzw. gesonderten Bericht für die Gesellschafter gewollt war und die Regelung dementsprechend teleologisch zu reduzieren ist. Denn im Kommissionsentwurf25 waren noch zwingend ein separater Bericht für die Gesellschafter (Art. 124 GesRRLKOM) und für die Arbeitnehmer (Art. 124a GesRRL-KOM) vorgesehen und Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL-KOM dispensierte ausdrücklich nur von Art. 124 GesRRL-KOM, d.h. vom Bericht für die Gesellschafter. Im Rat wurde der Regelungsgehalt des Art. 124a GesRRL-KOM dann jedoch wieder – in modifizierter Form – in Art. 124 GesRRL integriert. Dieser stellt es den Gesellschaften nun frei, ob sie zwei separate Berichte oder einen einzigen mit speziellen Abschnitten für Gesellschafter und Arbeiternehmer erstellen. Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL wurde jedoch nicht angepasst. Ein Bericht(sabschnitt) für die Gesellschafter ergibt in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 GesRRL zwar in der Tat keinen Sinn.26 Für den durch den Bericht(sabschnitt) an die Arbeitnehmer vermittelten Schutz besteht hingegen grundsätzlich auch in den von Art. 132 Abs. 1 GesRRL erfassten Konstellationen ein Bedürfnis27 (jedenfalls dann, wenn die beteiligten Gesellschaften Arbeitnehmer haben; haben sie keine, ist der Berichtsabschnitt an die Arbeitnehmer schon gem. Art. 124 Abs. 8 GesRRL entbehrlich). Es spricht daher viel dafür, dass es sich bei der generellen Bezugnahme auf Art. 124 GesRRL in Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL um ein Redaktionsversehen 23 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1928; Luy NJW 2019, 1905, 1908; Schollmeyer AG 2019, 541, 547; Stelmaszczyk GmbHR 2020, 61, 67. 24 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1928; Luy NJW 2019, 1905, 1908; Schollmeyer AG 2019, 541, 547; s. ferner auch bereits Bernard D.A.O.R. 2018-3, n8 127, 5, 23; Bormann/ Stelmaszczyk ZIP 2019, 300, 304; J. Schmidt DK 2018, 229, 242; dies. ECFR 2019, 222, 245; Wicke DStR 2018, 2642, 2645. 25 COM(2018) 241. 26 Bormann/Stelmaszczyk ZIP 2019, 300, 306; J. Schmidt DK 2018, 229, 242. 27 Bormann/Stelmaszczyk ZIP 2019, 300, 306.

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handelt und Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass nur der Bericht(sabschnitt) für die Gesellschafter entbehrlich ist.28 c) Mitgliedstaatenoption für die Ausnahme von Einpersonengesellschaften beim Bericht Fraglich ist zudem die Reichweite der Mitgliedstaatenoption in Art. 86e Abs. 4 S. 2, 124 Abs. 4 S. 2, 160e Abs. 4 S. 2 GesRRL zur Ausnahme von Einpersonengesellschaften. Nach dem Wortlaut können die Mitgliedstaaten Einpersonengesellschaften „von den Bestimmungen dieses Artikels“29 ausnehmen, d.h. vom gesamten Art. 86e/124/160e GesRRL und damit sowohl vom Bericht(sabschnitt) für die Gesellschafter als auch vom Bericht(sabschnitt) für die Arbeitnehmer. Ebenso wie bei Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL stellt sich auch hier die Frage nach einer teleologischen Reduktion. Denn genauso wie bei der pauschalen Bezugnahme auf „Artikel 124“ in Art. 132 Abs. 1 Sps. 2 GesRRL dürfte es sich auch bei der pauschalen Bezugnahme auf die „Bestimmungen dieses Artikels“ in Art. 86e Abs. 4 S. 2, 124 Abs. 4 S. 2, 160e Abs. 4 S. 2 GesRRL um ein Redaktionsversehen handeln.30 Die Mitgliedstaatenoption war im Kommissionsentwurf noch nicht vorgesehen, sondern findet sich erstmals im Kompromissvorschlag der österreichischen Ratspräsidentschaft vom 18.12.2018.31 Damals waren die beiden Berichte aber noch auf zwei Artikel aufgeteilt, sodass sich das „may exclude single member companies from the provisions of this Article“ eindeutig ausschließlich auf den Bericht für die Gesellschafter bezog. Als die beiden Berichte dann in der letzten Phase des Legislativverfahrens in einem Artikel (nun Art. 86e, 124, 160e GesRRL) zusammengefasst wurden, wurde die Anpassung der Mitgliedstaatenoption offenbar schlicht vergessen. In einem Vermerk des Generalsekretariats des Rates vom 25.2.2019 betreffend die Trilog-Verhandlungen, in dem als Teil des Kompromisspakets u.a. auch die Verbindung der Berichte an Gesellschafter und Arbeitnehmer zu einem Bericht diskutiert wird, wird ebenfalls ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Mitgliedstaaten Einpersonengesellschaften (nur) davon befreien können, die Informationen für die Gesellschafter in den Bericht aufzunehmen.32 In der Sache ist es auch zweifellos sinnvoll, Einpersonengesellschaften vom Erfordernis eines Berichts für den – dann einzigen – Gesellschafter 28

Ebenso Stelmaszczyk GmbHR 2020, 61, 75. Englisch: „from the provisions of this article“; französisch: „des dispositions du présent article“. 30 In diese Richtung auch Schollmeyer AG 2019, 541, 548 f.; Stelmaszczyk GmbHR 2020, 61, 67 f. 31 ST 15678/18, Art. 86e Abs. 4 S. 2, 124 Abs. 4 S. 2, 160g Abs. 4 S. 2. 32 ST 6909/19, S. 6, 10. 29

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auszunehmen; damit erspart man dem Alleingesellschafter die unnötige Förmelei eines im Zweifel ohnehin erfolgenden Verzichts.33 Einpersonengesellschaften können aber ebenfalls Arbeitnehmer haben. Wertungsmäßig wäre es nicht zu rechtfertigen, den Arbeitnehmern von Einpersonengesellschaften den durch den Bericht(sabschnitt) für die Arbeitnehmer vermittelten Schutz nur deshalb vorzuenthalten, weil die Gesellschaft, bei der sie beschäftigt sind, nur einen Gesellschafter hat.34 Nach alledem sind auch die Mitgliedstaatenoptionen in Art. 86e Abs. 4 S. 2, 124 Abs. 4 S. 2, 160e Abs. 4 S. 2 GesRRL teleologisch dahin zu reduzieren, dass die Mitgliedstaaten Einpersonengesellschaften nur vom Erfordernis eines Bericht(sabschnitts) für die Gesellschafter befreien dürfen.35 Selbst wenn man eine derartige teleologische Reduktion ablehnen sollte, stünde es aber den Mitgliedstaaten zumindest frei, Einpersonengesellschaften als „Minus“ zu einem vollständigen Dispens nur dann vom Bericht zu befreien, wenn sie keine anderen Arbeitnehmer haben als diejenigen, die dem Verwaltungs- oder Leitungsorgan angehören36 (wobei sich dann der Dispens vom Bericht(sabschnitt) für die Arbeitnehmer schon aus Art. 86e Abs. 8, 124 Abs. 8, 160e Abs. 8 GesRRL ergäbe und die Mitgliedstaatenoption ohnehin nur noch für den Bericht(sabschnitt) für die Gesellschafter von Bedeutung wäre). 2. Internationaler Gerichtsstand für Altgläubiger gem. Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL Zweifelhaft ist weiterhin das Verhältnis des speziellen internationalen Gerichtsstands für Altgläubiger beim grenzüberschreitenden Formwechsel zu sonstigen internationalen Gerichtsständen, insbesondere solchen nach der Brüssel Ia-VO.37 Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL bestimmt: Unbeschadet der Zuständigkeitsregeln, die sich aus Unionsrecht oder nationalem Recht oder vertraglichen Vereinbarungen ergeben, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Gläubiger, deren Forderungen vor der Offenlegung des Plans für die grenzüberschreitende Umwandlung entstanden sind, innerhalb von zwei Jahren nach dem Wirksamwerden der Umwandlung auch in dem Wegzugsmitgliedstaat ein Verfahren gegen die Gesellschaft einleiten können.

33 Der deutsche Gesetzgeber sollte daher auch von dieser Option Gebrauch machen, ebenso Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1928; Luy NJW 2019, 1905, 1909. 34 Vgl. zum Wertungswiderspruch auch Schollmeyer AG 2019, 541, 548. 35 Siehe schon Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1928; ebenso Stelmaszczyk GmbHR 2020, 61, 68. 36 So zutreffend Schollmeyer AG 2019, 541, 550; Stelmaszczyk GmbHR 2020, 61, 68. 37 Dazu wurde auch ein Gutachten des juristischen Dienstes erstellt (ST 5699/19).

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a) Normentwicklung Die Vorschrift war im Kommissionsentwurf noch nicht enthalten, sondern wurde erst im Verlauf der Beratungen im Rat ergänzt. Im Kompromissvorschlag der österreichischen Ratspräsidentschaft vom 28.11.201838 war zunächst noch eine eng am Wortlaut des Art. 8 Abs. 16 SE-VO orientierte Formulierung (allerdings mit einer Frist von drei Jahren) vorgesehen gewesen.39 Im weiteren Verlauf der Beratungen wurde die Formulierung zu der letztlich verabschiedeten geändert und die Frist auf zwei Jahre verkürzt. Zudem wurde Satz 2 ergänzt, wonach die Möglichkeit, ein solches Verfahren einzuleiten „zusätzlich zu anderen Vorschriften über die Wahl des Gerichtsstands, die nach Unionsrecht anwendbar sind“ besteht. Ferner wurde ErwG 24 S. 4 MobilRL hinzugefügt, der ebenfalls ausdrücklich vorsieht, dass das Recht der Gläubiger „zusätzlich zu den allgemeinen Regelungen der [Brüssel Ia-VO]“ besteht. Aufgrund dieser Ergänzungen ist jedenfalls klargestellt, dass der spezielle internationale Gerichtsstand für Altgläubiger nach Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL neben dem allgemeinen Gerichtsstand der Gesellschaft nach Art. 4 Abs. 1, 63 Brüssel Ia-VO und etwaigen besonderen Gerichtsständen nach der Brüssel Ia-VO (z.B. dem Vertragsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) besteht. Das heißt, der Gläubiger kann wählen, ob er seine Klage am speziellen internationalen Gerichtsstand des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL oder am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1, 63 Brüssel Ia-VO oder an einem ggf. bestehenden besonderen Gerichtsstand nach der Brüssel IaVO erhebt. b) Problem: Verhältnis zu ausschließlichen internationalen Gerichtsständen Fraglich ist jedoch, wie sich der spezielle „Altgläubiger-Gerichtsstand“ zu den ausschließlichen Gerichtsständen nach Art. 24 Brüssel Ia-VO verhält. Denkbar wären prinzipiell drei Möglichkeiten: Vorrang des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL, Vorrang des Art. 24 Brüssel Ia-VO oder parallele Anwendbarkeit. Die erste Variante – ein Vorrang des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL – kommt nicht wirklich in Betracht, denn diese Interpretation stünde im klaren Widerspruch zu Art. 86j Abs. 4 S. 2 GesRRL und ErwG 24 S. 4 MobilRL sowie auch zum Sinn und Zweck der Norm (dazu sogleich noch). 38

ST 14872/18, S. 16. Art. 86k Abs. 4 des Kompromissvorschlags lautete: „The converted company shall be considered, for three years from the day of the conversion taking effect, in respect of any cause of action arising prior to the conversion in relation to creditors as having its registered office in the departure Member State.“ 39

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Für die zweite Variante – einen Vorrang des Art. 24 Brüssel Ia-VO40 – könnte sprechen, dass die dort normierten ausschließlichen Gerichtsstände aufgrund ihrer Natur als solche grundsätzlich sowohl die allgemeinen als auch alle besonderen Zuständigkeiten verdrängen.41 Dies steht im Einklang mit dem Telos der ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel IaVO, die für eine Zuständigkeitskonzentration in einem sachnahen Forum sorgen und widersprechende Entscheidungen verhindern sollen.42 Für die dritte Variante – eine parallele Anwendung, d.h. ein Wahlrecht des betreffenden Gläubigers auch zwischen dem Altgläubiger-Gerichtsstand des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL und den (eigentlich ausschließlichen) Gerichtsständen des Art. 24 Brüssel Ia-VO42a – lässt sich zunächst anführen, dass jedenfalls der Wortlaut des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL (sowie der Wortlaut des Art. 86j Abs. 4 S. 2 GesRRL und ErwG 24 S. 4 MobilRL) diese Auslegung stützen würde. Nach dem Wortlaut besteht dieser Gerichtsstand „zusätzlich“ zu denjenigen nach der Brüssel Ia-VO. Zu berücksichtigen ist ferner der Sinn und Zweck des besonderen Altgläubiger-Gerichtsstands42b: Er soll den Altgläubigern einen angemessenen Schutz gewähren43. Konkret soll er den Altgläubiger davor schützen, dass sich aufgrund des grenzüberschreitenden Formwechsels die internationale Zuständigkeit für seine Klage ändert und er eine Klage, die er vorher im Mitgliedstaat A erheben konnte, nun plötzlich im Mitgliedstaat B erheben muss.44 c) Teleologische Reduktion? Mit Blick auf diesen Schutzzweck könnte man indes argumentieren, dass Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL teleologisch dahingehend zu reduzieren ist, dass der spezielle Altgläubiger-Gerichtsstand nur dann gilt, wenn dieser Schutzzweck tatsächlich greift, d.h. nur wenn und soweit der Gläubiger aufgrund des grenzüberschreitenden Formwechsels tatsächlich die Möglichkeit verliert, die Gesellschaft im Wegzugsmitgliedstaat zu verklagen. Dies muss nicht immer der Fall sein. Denn wenn die Gesellschaft im Rahmen des grenzüberschreitenden Formwechsels nur ihren Satzungssitz in den Zuzugsmitgliedstaat verlegt, ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung aber im Wegzugsmitgliedstaat belässt (sog. isolierte Satzungssitzverlegung), hat sie aufgrund der alternativen Anknüpfung in Art. 63 Abs. 1

40 So offenbar Luy NJW 2019, 1905, 1907; ähnlich, aber differenzierend auch Schollmeyer ZGR 2020, 62 (87 f.). 41 Vgl. nur Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 1 m.w.N. 42 Vgl. nur Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 3 m.w.N. 42a Bayer/J. Schmidt BB j2019, 1922 (1933). 42b Bayer/J. Schmidt BB j2019, 1922 (1933). 43 Vgl. ErwG 24 S. 1 MobilRL. 44 Vgl. auch ErwG 24 S. 1, 2 MobilRL.

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Brüssel Ia-VO weiterhin einen allgemeinen internationalen Gerichtsstand im Wegzugsmitgliedstaat. Zudem besteht ggf. auch weiterhin ein besonderer internationaler Gerichtsstand im Wegzugsmitgliedstaat. Als Konsequenz einer solchen teleologischen Reduktion ließe sich dann argumentieren, dass die ausschließlichen internationalen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO deshalb Vorrang vor dem speziellen AltgläubigerGerichtsstand des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL haben müssen, weil der Gläubiger dann schon vor dem grenzüberschreitenden Formwechsel nur am jeweiligen ausschließlichen internationalen Gerichtsstand klagen konnte – wenn er auch nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel nur dort klagen kann, verliert er durch den grenzüberschreitenden Formwechsel gar keinen Gerichtsstand. Deshalb bedürfe er des Schutzes durch einen zusätzlichen transitorischen internationalen Gerichtsstand gar nicht, ein solcher wäre vielmehr ein ungerechtfertigtes „Geschenk des Himmels“. In dieser Pauschalität greift diese Argumentation indes zu kurz. Denn jedenfalls der ausschließliche internationale Gerichtsstand nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, der an den Sitz der Gesellschaft anknüpft, ändert sich durch den grenzüberschreitenden Formwechsel: Er liegt nun nicht mehr im Wegzugsmitgliedstaat, sondern im Zuzugsmitgliedstaat.45 Dieser Fall kann durchaus praktisch werden. Beispiel: Eine tschechische Aktiengesellschaft führt einen Squeeze-out durch und anschließend einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine irische PLC; vor dem grenzüberschreitenden Formwechsel bestand für die Abfindungsansprüche der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre ein ausschließlicher Gerichtsstand gem. Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in der Tschechischen Republik46; nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel würde der internationale Gerichtsstand in Irland liegen. Jedenfalls in derart gelagerten Konstellationen greift der mit Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL verfolgte Schutzzweck zweifellos ein. Deshalb ist jedenfalls dann von einer parallelen Anwendbarkeit von Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL auszugehen. Ganz generell ist jedoch kritisch zu hinterfragen, ob eine solche teleologische Reduktion überhaupt sinnvoll und zulässig ist. Sie hätte nämlich zur Konsequenz, dass in jedem Einzelfall erst geprüft werden muss, ob dem Gläubiger durch den grenzüberschreitenden Formwechsel tatsächlich ein 45 Nach Art. 24 Nr. 2 S. 2 Brüssel Ia-VO richtet sich die Bestimmung des Sitzes zwar nach dem IPR des Forumsstaats. Innerhalb des EU-/EWR-Raums gilt insoweit jedoch aufgrund der EuGH-Judikatur die „europarechtliche Gründungstheorie“ (vgl. BGH NJW 2011, 3372; MüKoZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 30; Kindler NZG 2010, 576, 578; allg. zur „europarechtlichen Gründungstheorie“ Lutter/Bayer/ J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 7.64 m.w.N.). 46 So ausdrücklich EuGH v. 7.3.2018, E.ON Czech Holding, C-560/16, ECLI:EU:C: 2018:167 (dem Fall lag genau eine solche Konstellation zugrunde).

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internationaler Gerichtsstand im Wegzugsmitgliedstaat entzogen wird – nur dann würde Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL (bzw. konkreter: die jeweilige nationale Umsetzungsvorschrift) eingreifen. Wenn der europäische Gesetzgeber dies tatsächlich so gewollt hätte, wäre die Norm jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach anders formuliert worden. Insbesondere hätte er dann kaum die Klarstellungen in Art. 86j Abs. 4 S. 2 GesRRL und ErwG 24 S. 4 MobilRL so ergänzt. Zum Schutz der Gläubiger sollte diesen offenbar vielmehr ganz generell das Recht gegeben werden, die Gesellschaft zumindest innerhalb der ersten zwei Jahre nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels (auch) im Wegzugsmitgliedstaat verklagen zu können. Aufgrund der zeitlichen Begrenzung auf zwei Jahre erscheint dies auch als ausgewogener Kompromiss zwischen den Interessen der Gläubiger und der Gesellschaft. d) Fazit Nach alledem spricht viel dafür, dass der – zeitlich auf zwei Jahre nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels begrenzte – internationale Altgläubiger-Gerichtsstand des Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL im Wegzugsmitgliedstaat neben die sonst nach nationalem oder Unionsrecht bestehenden internationalen Gerichtsstände tritt und zwar insbesondere auch neben solche, die eigentlich ausschließlicher Natur sind46a. Letztlich kann dies freilich nur der EuGH entscheiden. 3. Bestandsschutz Für gewisse Unsicherheit gesorgt haben schließlich bezeichnenderweise auch die Regelungen zum Bestandsschutz. Art. 86t Abs. 1 GesRRL und Art. 160u Abs. 1 GesRRL bestimmen zwar – ebenso wie der unverändert gebliebene Art. 134 Abs. 1 GesRRL –, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel bzw. eine grenzüberschreitende Verschmelzung oder Spaltung, der bzw. die im Einklang mit den Verfahren zum Umsetzung der GesRRL wirksam geworden ist, nicht mehr für nichtig erklärt werden kann. In der letzten Phase des Legislativverfahrens wurde jedoch jeweils noch ein Abs. 2 ergänzt, wonach Abs. 1 „die Befugnisse der Mitgliedstaaten … im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften nach dem Tag des Wirksamwerdens … Maßnahmen und Sanktionen zu verhängen“, „nicht berührt“. Im Schrifttum wird dies vereinzelt dahin interpretiert, dass die Mitgliedstaaten die grenzüberschreitende Umwandlung als „Sanktion“ doch wieder rückgängig machen könnten.47 46a 47

Siehe schon Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922 (1933). So etwa Schurr EuZW 2019, 539, 543.

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Dies würde jedoch den Regelungsgehalt des jeweiligen Abs. 1 vollständig konterkarieren. Der europäische Gesetzgeber hat sich bei der Verabschiedung des heutigen Art. 134 Abs. 1 GesRRL im Jahr 2005 (damals als Art. 17 CBMD) ganz bewusst dafür entschieden, einen absoluten Bestandsschutz zu etablieren: Eine Rückabwicklung – egal ob ex nunc oder ex tunc – ist generell ausgeschlossen.48 Hintergrund ist, dass eine „Entschmelzung“ ganz generell mit erheblichen und praktisch kaum lösbaren Problemen verbunden wäre; im Falle grenzüberschreitender Sachverhalte würden diese durch das Zusammentreffen verschiedener Rechtsordnungen noch potenziert werden.49 Diese bewährte Bestandsschutzregelung blieb nicht nur für die grenzüberschreitende Verschmelzung in Art. 134 Abs. 1 GesRRL unverändert erhalten, sondern wurde ganz bewusst durch Art. 86t Abs. 1 und Art. 160u Abs. 1 GesRRL auch auf den grenzüberschreitenden Formwechsel und die grenzüberschreitende Spaltung übertragen. Die im Zuge einer grenzüberschreitenden Spaltung auf mehrere Gesellschaften aufgeteilten Vermögenswerte wieder „zusammenzuschmelzen“ wäre mindestens ebenso schwierig wie eine grenzüberschreitende „Entschmelzung“. Beim grenzüberschreitenden Formwechsel bleibt der Rechtsträger zwar identisch; alles, was unter dem „neuen Rechtskleid“ passiert ist, ggf. nach Jahren wieder „entwirren“ zu müssen, erschiene jedoch ebenfalls höchst problematisch. Der in Art. 86t Abs. 1, 134 Abs. 1, 160u Abs. 1 GesRRL für alle Arten der grenzüberschreitenden Umwandlung etablierte absolute Bestandsschutz ist daher zweifellos sinnvoll und wichtig.50 Die im jeweiligen Abs. 2 ergänzte Regelung stellt diesen absoluten Bestandsschutz auch keineswegs in Frage. Vielmehr stellt sie nur klar, dass die Mitgliedstaaten im Falle von Verstößen gegen die maßgeblichen Rechtsvorschriften Maßnahmen und Sanktionen verhängen können.51 Konkrete Beispiele wären etwa eine Bestrafung wegen Betrugs aufgrund von Falschangaben im Zusammenhang mit der Umwandlung52 oder Strafverfolgung, wenn eine grenzüberschreitende Umwandlung zur Terrorismusfinanzierung oder Geldwäsche missbraucht wird.

48 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 940; Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 8 Rn. 66; Dauses/Ludwigs/Kalss/ Klampfl, EU-WirtschaftsR-HdB, 48. EL 2019, E.III. Rn. 202; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 22.128; Stiegler GmbHR 2016, 406, 410; vgl. ferner bereits Müller ZIP 2004, 1790, 1794; Ugliano EBLR 2007, 5858, 606. 49 Vgl. nur Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 22.128 (dort auch zur Diskussion im Rat). 50 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1934; J. Schmidt DK 2018, 273, 280, 283; dies. ECFR 2019, 222, 268; Stelmaszczyk GmbHR 2020, 61, 75. 51 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1934. 52 Bayer/J. Schmidt BB 2019, 1922, 1934.

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III. Fazit und Ausblick Die hier beleuchteten Zweifelsfragen und Redaktionsfehler – sowie eine ganze Reihe anderer – werden Praxis und Gerichte wohl noch eine ganze Weile beschäftigen. Dieser bei einem Mammutprojekt wie dem Company Law Package letztlich kaum zu vermeidende „collateral damage“ vermag das Gesamtbild aber nur unwesentlich zu trüben: Das Company Law Package ist ein ganz großer Meilenstein für das Europäische Unternehmensrecht.

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Kaufpreisherabsetzung bei Verletzung von Aufklärungspflichten

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Kaufpreisherabsetzung bei Verletzung von Aufklärungspflichten Ralph Schmitt

Die Kaufpreisherabsetzung im Wege des Schadensersatzes bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten RALPH SCHMITT

Ein wichtiger Anwendungsfall des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo (c.i.c.) ist die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten. In der Entscheidungspraxis der Gerichte finden sich zahlreiche Fälle, in denen der Abschluss eines Vertrags auf unterbliebenen oder falschen Angaben eines Verhandlungspartners über Umstände beruhte, die den Wert des Vertragsgegenstands und die Bildung des Preises betrafen. Dies gilt etwa für den Unternehmenskauf bzw. den Erwerb von Gesellschaftsanteilen, wenn dem Kaufinteressenten eine unrichtige Bilanz oder unrichtige Umsatz- oder sonstige Unternehmenskennzahlen vorgelegt wurden,1 sowie für Immobiliengeschäfte.2 Im Folgenden sollen aber nicht die Voraussetzungen und der Umfang von vorvertraglichen Aufklärungspflichten und die Abgrenzung der c.i.c. gegenüber dem Gewährleistungsrecht3 erörtert werden. Auf der Rechtsfolgenseite bleibt ausgeklammert die Rückgängigmachung des Vertrags, insbesondere das Konkurrenzverhältnis zu §§ 119, 123 BGB und der Versuch der Rechtsprechung, insbesondere des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, die Vertragsaufhebung aus c.i.c. an das – in § 249 Abs. 1 BGB nicht angelegte – zusätzliche Erfordernis eines Vermögensschadens zu binden.4 Es soll vielmehr um das der getäuschten Partei von der Rechtsprechung eingeräumte Wahlrecht gehen, am Vertrag festzuhalten und „kleinen Schadensersatz“ in Form der Herabsetzung des Kaufpreises zu verlangen. 1

Vgl. BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53; Urt. v. 5.10.1988 – VIII ZR 222/87, NJW-RR 1989, 306; Urt. v. 4.6.2003 – VIII ZR 91/02, NJW-RR 2003, 1192. 2 Dazu BGH, Urt. v. 16.10.1987 – V ZR 153/86, NJW-RR 1988, 328, 329 (Baujahr des Hauses); Urt. v. 8.12.1988 – VII ZR 83/88, NJW 1989, 1793 (Feuerleiter vor dem einzigen Fenster der Wohnung); Urt. v. 11.11.2011 – V ZR 245/10, NJW 2012, 846 (zum Nachbargrundstück gehörender Vorgarten); Urt. v. 19.1.2018 – V ZR 256/16, NJW-RR 2018, 752 (Trockenheit des Kellers). 3 BGH, Urt. v. 27.3.2009 – V ZR 30/08, BGHZ 180, 205 Rn. 19 ff.; Urt. v. 6.11.2015 – V ZR 78/14, BGHZ 207, 349 Rn. 24. 4 BGH, Urt. v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 303 f.; Urt. v. 19.12.1997 – V ZR 112/96, NJW 1998, 898; kritisch etwa Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 311 Rn. 13, 55; BeckOK/Lorenz, BGB, 52. Ed. 1.11.2019, § 280 Rn. 53.

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I. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Nach der ständigen, 2018 präzisierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beurteilen sich die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten nach folgenden Grundsätzen:5 Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten gemäß §§ 280, 311 Abs. 1 und 2, 241 Abs. 2 BGB ist grundsätzlich nur auf Ersatz des Vertrauensschadens, d.h. des negativen Interesses gerichtet. Der Geschädigte hat danach Anspruch auf Erstattung des Schadens, den er dadurch erlitten hat, dass er auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der vorvertraglichen Angaben vertraut hat. Er ist so zu stellen, wie er bei Offenbarung bzw. richtiger Darstellung der für seinen Vertragsschluss maßgeblichen Umstände stünde. Ein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse kommt im Rahmen der Haftung wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung nur ausnahmsweise unter der Voraussetzung in Betracht, dass ohne die haftungsbegründende Pflichtverletzung ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen mit einem Dritten oder auch demselben Vertragspartner zustande gekommen wäre. Dies hat der Geschädigte darzulegen und zu beweisen.6 Im Rahmen des Vertrauensschadensersatzes kann der durch Verletzung von Aufklärungspflichten zum Vertragsschluss veranlasste Geschädigte zwischen zwei Möglichkeiten des Schadensausgleichs wählen. Er kann entweder die Rückabwicklung des Vertrags verlangen oder stattdessen an dem Vertrag festhalten und den Ersatz der durch das Verschulden des anderen Teils veranlassten Mehraufwendungen verlangen (sog. „kleiner Schadensersatz“). In diesem Fall wird der Vertrag nicht angepasst, sondern der zu ersetzende Vertrauensschaden auf die berechtigten Erwartungen des Geschädigten reduziert, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden.7 Es geht dann nicht darum, den Vertrag an die neue Situation anzupassen, sondern nur darum, den so reduzierten Vertrauensschaden zu berechnen.8 Bei einem Kaufvertrag geschieht dies durch die Herabsetzung der Leistung des Geschädigten auf das tatsächlich angemessene Maß. Der Geschädigte wird damit so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. 5 Dazu zuletzt BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 (zum Beitritt zu einer Windpark-Beteiligungsgesellschaft aufgrund unrichtiger Prospektangaben); grundlegend Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53; aus jüngerer Zeit Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35. 6 BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 9 m.w.N. 7 BGH (Fn. 6), Rn. 12 m.w.N. 8 BGH, Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 21.

Kaufpreisherabsetzung bei Verletzung von Aufklärungspflichten

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Sein Schaden ist danach der Betrag, um den er den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat. Da es sich hierbei nur um die Bemessung des verbliebenen (Rest-)Vertrauensschadens handelt, braucht der Geschädigte in diesem Fall nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte. Entscheidend ist vielmehr allein, wie der Geschädigte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung verhalten hätte.9 Der tatsächliche Wert des Kaufgegenstands ist nur ein Rechnungsposten bei der Schadensberechnung.10 Der Restvertrauensschaden bemisst sich nach der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert des Kaufgegenstands.11 Die Werte von Leistung und Gegenleistung sind bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu vergleichen.12 Der Bundesgerichtshof hat diese Grundsätze für Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss entwickelt; sie gelten aber in gleicher Weise für Ansprüche aus unerlaubter Handlung,13 da es jeweils um die Bestimmung des negativen Interesses als Inhalt des zu leistenden Schadensersatzes nach § 249 BGB geht.14

II. Würdigung Die neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Kaufpreisherabsetzung im Wege des Schadensersatzes bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten haben einige Unklarheiten der früheren Rechtsprechung beseitigt und verdienen Zustimmung. 1. Keine „Vertragsanpassung“ Der Bundesgerichtshof hält in der zitierten Entscheidung von 2018 ausdrücklich fest, dass eine Vertragsanpassung nicht stattfindet.15 Die nach früheren Entscheidungen zumindest mögliche Deutung, dem Geschädigten 9

BGH (Fn. 6), Rn. 13. BGH (Fn. 6), Rn. 17. 11 BGH (Fn. 6), Rn. 15, 17. 12 BGH (Fn. 6), Rn. 20. 13 Palandt/Grüneberg (Fn. 4), § 311 Rn. 57; BGH, Urt. v. 16.10.1987 – V ZR 153/86, NJW-RR 1988, 328, 329; Urt. v. 26.1.1996 – V ZR 42/94, NJW-RR 1996, 690; Urt. v. 18.1.2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8 ff. Vgl. die aktuelle Diskussion zu § 826 BGB im Hinblick auf eine Herstellerhaftung für manipulierte Diesel-Kraftfahrzeuge; dazu Heese, NJW 2019, 257, 262; OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.12.2019 – 14 U 92/19, BeckRS 2019, 31924. 14 Staudinger/Schiemann, BGB, 2017, § 249 Rn. 195; Palandt/Grüneberg (Fn. 4), Vorb. v. § 249 Rn. 17. 15 BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 12. 10

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stehe ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags zu,16 hat der Bundesgerichtshof bereits 2006 aufgegeben.17 Eine Vertragsanpassung im eigentlichen Sinne einer Abänderung des Vertragsinhalts würde einen Änderungsvertrag der Parteien (§ 311 Abs. 1 BGB) oder ein vertragliches oder gesetzliches Änderungsrecht, etwa einen Anpassungsanspruch nach § 313 Abs. 1 BGB oder ein Minderungsrecht nach § 441 BGB, voraussetzen. Beides liegt im Fall einer Aufklärungsverletzung nicht vor und wird vom Bundesgerichtshof auch nicht angenommen. Die Rechtsprechung fingiert nicht etwa eine Zustimmung der täuschenden Partei und statuiert auch keinen Kontrahierungszwang.18 Es soll nicht darauf ankommen, dass die täuschende Partei mit einem Vertragsschluss zu einem geringeren Preis einverstanden gewesen wäre. In der älteren Rechtsprechung war dies zwar noch mit Praktikabilitätserwägungen19 und der fehlenden Schutzwürdigkeit des Täuschenden20 gerechtfertigt worden. Hierauf ist die neuere Rechtsprechung aber in Anbetracht der konsequenten Orientierung an schadensrechtlichen Kategorien nicht mehr zurückgekommen. Man mag in der hier erörterten Fallgruppe – indem man sie der „Vertragsaufhebung aus c.i.c.“ gegenüberstellt und das Ergebnis plakativ umschreibt – von „Vertragsanpassung“ sprechen. Eine Aussage über die dogmatische Einordnung ist damit nicht verbunden. Ebenso wenig begründet eine solche Etikettierung eine durchgreifende Kritik an der Rechtsprechung. 2. Kein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse Der getäuschte Vertragspartner kann nur verlangen, so gestellt zu werden, als hätte die andere Partei die Täuschung nicht begangen und ihn stattdessen zutreffend informiert (Vertrauensschaden). Er kann dagegen nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre die ihm erteilte Information richtig gewesen. Ein solcher Anspruch wäre auf das Erfüllungsinteresse gerichtet, das nur bei einem entsprechenden vertraglichen Leistungsversprechen gefordert werden kann.21 Missverständlich ist es deshalb, wenn der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung22 formuliert, im Rahmen der grundsätzlich nur auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichteten Haftung wegen Verletzung

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Vgl. BGH, Urt. v. 11.2.1999 – IX ZR 352/97, NJW 1999, 2032, 2034. BGH, Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 21. 18 So ausdrücklich BGH, Urt. v. 24.6.1998 – XII ZR 126/96, NJW 1998, 2900, 2901; kritisch (Beeinträchtigung der negativen Privatautonomie) Canaris ZGR 1982, 395, 421 (anders aber ders. AcP 200 [2000], 273, 315); Kersting JZ 2008, 714, 716; BeckOGK/ Herresthal, BGB, 1.6.2019, § 311 Rn. 346. 19 BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 58. 20 BGH, Urt. v. 5.10.1988 – VIII ZR 222/87, NJW-RR 1989, 306, 307. 21 Vgl. BGH, Urt. v. 18.1.2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8 f. 22 BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 9 m.w.N. 17

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vorvertraglicher Aufklärungspflichten gemäß §§ 280, 311 Abs. 1 und 2, 241 Abs. 2 BGB komme ausnahmsweise ein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse in Betracht. Gemeint ist nicht das positive Interesse bezogen auf den täuschungsbedingt tatsächlich zustande gekommenen Vertrag, denn die aufgrund der vorvertraglichen Pflichtverletzung geweckten bzw. nicht korrigierten Erwartungen sind nicht Vertragsbestandteil geworden und bestimmen daher nicht die Leistungspflicht des Täuschenden. Anknüpfungspunkt ist vielmehr, dass ohne die haftungsbegründende Pflichtverletzung ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen mit einem Dritten oder auch mit demselben Vertragspartner zustande gekommen wäre.23 Auch diese Art der Schadensberechnung führt aber zur Liquidation des Vertrauensschadens, denn das Erfüllungsinteresse berechnet sich nach einem hypothetischen anderweitigen Vertragsschluss.24 Haftungsbegründend ist damit nicht, dass der Schuldner einer ihn treffenden Leistungspflicht i.S.d. § 241 Abs. 1 BGB nicht nachgekommen ist; nur in diesem Fall stünde dem Gläubiger ein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse zu. Vielmehr wird gemäß § 249 Abs. 1 BGB untersucht, wie sich die Güter- bzw. Vermögenslage des Geschädigten ohne die Pflichtverletzung i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB, d.h. bei gehöriger Information, darstellen würde. Dann liegt es zunächst nahe, dass die getäuschte Partei von dem Abschluss des Vertrags (zu den tatsächlich vereinbarten Konditionen) abgesehen hätte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht bei der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Vertragsschluss bei richtiger Aufklärung unterblieben wäre.25 Diese „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ ist nach der neueren Rechtsprechung auch anzuwenden, wenn sich der Käufer bei zutreffender Information in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte; allerdings ist umstritten, ob es sich bei der Kausalitätsvermutung um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises oder um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung handelt.26 Darüber hinaus ist in Erwägung zu ziehen, dass anstelle des tatsächlich geschlossenen Vertrags ein anderes Geschäft – mit demselben oder einem anderen Vertragspartner – zustande gekommen wäre; dies hat aber der Geschädigte darzulegen und zu beweisen.27 Der Anspruch 23

BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 9 m.w.N. BGH, Urt. v. 24.6.1998 – XII ZR 126/96, NJW 1998, 2900, 2900/2901. 25 Palandt/Grüneberg (Fn. 4), § 280 Rn. 39; MünchKommBGB/Emmerich, 8. Aufl. 2019, § 311 Rn. 207 ff. 26 Offen lassend BGH, Urt. v. 11.2.2012 – II ZR 273/12, NZG 2014, 432 Rn. 10; Urt. v. 15.7.2016 – V ZR 168/15, BGHZ 211, 216 Rn. 20 f.; bei Kapitalanlageberatung weitergehend BGH, Urt. v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 29: Beweislastumkehr. 27 BGH, Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 23. Ein solcher Nachweis kann im Einzelfall tatsächlich gelingen, siehe BGH, Urt. v. 24.6.1998 – XII ZR 126/96, 24

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auf Ersatz des negativen Interesses umfasst auch einen entgangenen Gewinn gemäß § 252 BGB.28 Es ist anerkannt, dass der Vertrauensschaden im Einzelfall das Erfüllungsinteresse erreichen oder gar übersteigen kann. Eine Limitierung des negativen Interesses durch das positive Interesse wie nach §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 2 BGB greift bei der Haftung wegen Aufklärungspflichtverletzung nicht.29 Dafür spricht, dass die getäuschte Partei sich gerade nicht selbstbestimmt an ein ihre Gewinnmöglichkeiten begrenzendes Rechtsgeschäft gebunden hat. 3. Kein Verzicht auf das Kausalitätserfordernis Der Anspruch auf die Differenz zwischen dem „angemessenen“ und dem gezahlten Preis setzt nicht den Nachweis voraus, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren, mit dem tatsächlichen Wert des Kaufgegenstands übereinstimmenden Preis eingelassen hätte.30 Die Anerkennung des Anspruchs auf kleinen Schadensersatz bedeutet aber nach dem Ansatz der Rechtsprechung keinen Verzicht auf das Kausalitätserfordernis.31 Hält die getäuschte Partei unter Liquidation ihres Restvertrauensschadens am Vertrag fest, stellt das eine Wahl des Schadensausgleichs dar. Diese berührt nicht die (rückwärts gewandte) Feststellung, dass ohne die Aufklärungspflichtverletzung der Vertrag nicht (zumindest nicht zu denselben Konditionen) zustande gekommen wäre. Die alternative Feststellung, dass der Vertrag mit einem bestimmten anderen Inhalt geschlossen worden wäre, ist nicht erforderlich, solange es lediglich um die Bemessung des verbliebenen Vertrauensschadens aus dem tatsächlich zustande gekommenen Geschäft geht und nicht um einen darüber hinausgehenden Schaden in Form des hypothetischen Erfüllungsinteresses aus einem anderen Rechtsgeschäft NJW 1998, 2900, 2901: Die Partei, die später eine Aufklärungspflicht verletzte, hatte zunächst selbst für die Gegenseite günstigere Vertragsbedingungen angeboten. Vgl. weiter BGH, Urt. v. 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108, 200, 207 f.: Bei Unterlassen des Hinweises auf die zur Risikoabdeckung erforderliche Zusatzversicherung muss der Versicherer den Versicherungsnehmer so stellen, als sei der Versicherungsvertrag einschließlich der Zusatzversicherung abgeschlossen worden. 28 BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, NZG 2009, 750 Rn. 14 ff. 29 BGH, Urt. v. 16.11.1967 – III ZR 12/67, BGHZ 49, 77, 82; Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 56; Urt. v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2876; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 2 IV 2 = S. 64 f. 30 BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 58; Urt. v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877; Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 21 f.; Urt. v. 11.11.2011 – V ZR 245/10, NJW 2012, 846 Rn. 12; Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 13, 17; vgl. MünchKommBGB/Emmerich (Fn. 25), § 311 Rn. 214. 31 A.A. Canaris ZGR 1982, 395, 421 (anders aber ders. AcP 200 [2000], 273, 315); Mertens ZGS 2004, 67, 70 (Durchbrechung des Kausalitätserfordernisses); Kersting JZ 2008, 714, 717; NK-BGB/Becker, 3. Aufl. 2016, § 311 Rn. 86; BeckOGK/Herresthal (Fn. 18), § 311 Rn. 346.

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(mit derselben Partei oder einem Dritten). Kommt es auf den Restvertrauensschaden an, wird der Geschädigte lediglich so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen.32 4. Die schadensrechtliche Betrachtung des Bundesgerichtshofs In der Literatur stößt die Herabsetzung des Kaufpreises im Wege des kleinen Schadensersatzes auf Kritik. Eingewandt wird, das Gesetz biete für eine solche „Vertragskorrektur“ keine Grundlage, weil mit der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB nur ein Anspruch auf Vertragsaufhebung vereinbar sei;33 ein Anspruch auf Wertersatz komme nicht ohne weitere Voraussetzungen allgemein in Betracht, sondern lediglich ausnahmsweise gemäß § 251 Abs. 1 BGB, wenn die Rückgängigmachung des Vertrags unmöglich34, zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend oder dem Getäuschten unzumutbar sei.35 Damit ist die Frage aufgeworfen, ob das von der Rechtsprechung einschränkungslos gewährte Wahlrecht eine Grundlage im Schadensrecht findet. a) Die vom II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der eingangs vorgestellten Entscheidung vom 6.2.2018 verwendete Gegenüberstellung von kleinem Schadensersatz und großem Schadensersatz lehnt sich terminologisch an die gleich bezeichneten Berechnungsvarianten beim Schadensersatz statt der Leistung an. Der Übernahme dieser Begriffe steht nicht entgegen, dass sie in ihrer ursprünglichen Verwendung das Erfüllungs- bzw. positive Interesse abbilden, während es bei Aufklärungspflichtverletzungen um den Ersatz des negativen Interesses geht, denn die Begriffe spiegeln die sich beim Schadensersatz statt der Leistung wie bei der c.i.c. stellende Frage, ob der Gläubiger den nicht erwartungsgerechten Leistungsgegenstand behält oder zurückgibt. Allerdings besteht beim Schadensersatz statt der Leistung die Besonderheit, dass es sich nicht um einen Fall der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB handelt. Der Anspruch auf Schadensersatz „statt der Leistung“ tritt wirtschaftlich gerade an die Stelle der Leistung und schließt sachlogisch und nach der gesetzlichen Anordnung in § 281 Abs. 4 BGB ab dem 32

BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 13. MünchKommBGB/Emmerich (Fn. 25), § 311 Rn. 214; Staudinger/Schiemann (Fn. 14), § 249 Rn. 196; Lange/Schiemann (Fn. 29), § 5 III 2 = S. 222 f. 34 So wohl in dem der Entscheidung BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53 zugrunde liegenden Fall: Der Käufer hatte das erworbene Unternehmen bereits in den eigenen Unternehmensverband eingegliedert, eine Rückabwicklung war nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich (S. 57). 35 Canaris AcP 200 (2000), 273, 315 f.; Theisen NJW 2006, 3102, 3104; Kersting JZ 2008, 714, 719; NK-BGB/Becker (Fn. 31), § 311 Rn. 86; BeckOGK/Herresthal (Fn. 18), § 311 Rn. 347. 33

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Schadensersatzverlangen den Anspruch auf die Leistung und damit auch eine Naturalrestitution aus.36 Überdies enthält das Gesetz Regelungen für den großen Schadensersatz als „Schadensersatz statt der ganzen Leistung“ in § 281 Abs. 1 S. 2, 3 und Abs. 5 BGB. Ob die Möglichkeit, kleinen Schadensersatz zu verlangen, auch bei täuschungsbedingtem Zustandekommen eines Vertrags gegeben ist, bedarf vor diesem Hintergrund einer eigenständigen Begründung. b) Auszugehen ist vom Grundsatz der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB. Danach hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Damit kann der Geschädigte zwar nicht die Herstellung des gleichen Zustands verlangen, wie er vor dem Eintritt des schädigenden Ereignisses bestanden hat; es kommt vielmehr darauf an, den Geschädigten wirtschaftlich möglichst so zu stellen, wie er ohne das schadensstiftende Ereignis stünde.37 Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger nach § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen. Das Verhältnis von Restitution (§ 249 BGB) und Kompensation (§ 251 BGB) wird regelmäßig am Beispiel der Beschädigung einer Sache entwickelt und führt dann zu einer primär gegenständlichen, an einer Reparatur orientierten Betrachtung. Bei rechtsgeschäftlichen Dispositionen wie in den hier erörterten Fällen liegen die Dinge indes komplizierter als bei der Beschädigung einer Sache. Es können gleichzeitig zwei rechtlich zu unterscheidende Schäden eintreten: aa) Vorvertragliche Aufklärungspflichten schützen zum einen die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit. Seit der Schuldrechtsreform lässt sich das daraus ableiten, dass § 241 Abs. 2 BGB nicht nur von Rechten und Rechtsgütern, sondern auch von Interessen spricht.38 Grund für die Haftung wegen einer Aufklärungspflichtverletzung ist der Eingriff in das Recht der getäuschten Partei, zutreffend informiert über die Verwendung ihres Vermögens selbst zu bestimmen und sich für oder gegen den Vertragsabschluss zu entscheiden.39 Die Bindung an einen unerwünschten, täuschungsbedingt zustande gekommenen Vertrag perpetuiert die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit und stellt bereits einen Schaden dar.40 Diese Bewertung 36 BGH, Urt. v. 22.7.2010 – VII ZR 176/09, BGHZ 186, 330 Rn. 10; Urt. v. 22.2.2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 23; BeckOK/Flume (Fn. 4), § 249 Rn. 277. 37 BGH, Urt. v. 28.10.2014 – VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275 Rn. 25. 38 Palandt/Grüneberg (Fn. 4), § 311 Rn. 13; Erman/Kindl, BGB, 15. Aufl. 2017, § 311 Rn. 17, 79. 39 BGH, Urt. v. 5.7.1993 – II ZR 194/92, BGHZ 123, 106, 112 f.; Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 75/10, NJW-RR 2012, 1312 Rn. 24; vgl. Fleischer AcP 200 (2000), 91, 113. 40 Vgl. zu § 826 BGB BGH, Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 153; Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, NJW 2005, 2450, 2451.

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ist unabhängig davon, dass sie nach der in der Literatur kritisierten Rechtsprechung insbesondere des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs41 keine hinreichende Grundlage für die Rückgängigmachung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution bieten soll. bb) Zum anderen dienen vorvertragliche Aufklärungspflichten dem Schutz des Vermögens der aufzuklärenden Partei. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich nach der Differenzhypothese, also nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen (Gesamt-)Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte.42 Bei Zustandekommen eines Vertrags ist deshalb die Vermögenslage, wie sie sich nach Abschluss des Vertrags darstellt, mit der Vermögenslage zu vergleichen, wie sie sich ohne diesen Vertrag entwickelt hätte. Der Vertragsschluss ist für den Käufer wirtschaftlich nachteilig, wenn der erworbene Kaufgegenstand den Kaufpreis nicht wert ist.43 Beim Vergleich der Gesamtvermögenslagen mit dem haftungsbegründenden Ereignis und ohne dieses wird die Geldleistung des Käufers dem Verkehrswert der Kaufsache, d.h. dem Wert, den sie für alle dem maßgeblichen Verkehrskreis Angehörigen hat, gegenübergestellt.44 Folglich erleidet der Getäuschte über die Bindung an den Vertrag hinaus zugleich einen Vermögensschaden, wenn und soweit die Gegenleistung der täuschenden Partei hinter seiner Leistung wertmäßig zurückbleibt. Der Schaden liegt insoweit von vornherein in der Wertdifferenz. Bei der Haftung für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen geht die Rechtsprechung ohne weiteres von einem solchen Vermögensschaden aus und hat demgegenüber den Anspruch auf Naturalrestitution in Form der Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung des erworbenen Kaufgegenstands näher begründet,45 ebenso bei Drei-Personen-Verhältnissen, wenn durch eine Falschberatung ein nachteiliges Geschäft mit einem Dritten zustande kommt.46 c) Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 BGB kommt es für den Ersatz der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung damit nicht an. Besteht der zu ersetzende Schaden in einer unmittelbaren Vermögenseinbuße bzw. einem Verlust an Geld, ist bereits der Herstel-

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Dazu oben Fn. 4. BGH, Beschl. v. 9.7.1986 – GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 217; Urt. v. 18.1.2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8; Urt. v. 8.9.2016 – IX ZR 255/13, NJW-RR 2017, 566 Rn. 11. 43 BGH, Urt. v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304; MünchKommBGB/ Oetker (Fn. 25), § 249 Rn. 28. 44 BGH, Urt. v. 19.12.1997 – V ZR 112/96, NJW 1998, 898, 899 (auch zu der hier nicht relevanten weiteren Möglichkeit, dass die empfangene Leistung gerade für die Zwecke des Käufers nicht oder nicht voll geeignet ist). 45 BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, NJW 2005, 2450, 2451. 46 BGH, Urt. v. 24.1.2019 – I ZR 160/17, NJW 2019, 1596 Rn. 39. 42

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lungsanspruch aus § 249 Abs. 1 BGB auf Zahlung gerichtet; einer Umwandlung des Anspruchs auf Naturalrestitution in einen Anspruch auf Zahlung von Geld bedarf es nicht.47 Die Ausübung des Wahlrechts liegt dann darin, dass die getäuschte Partei den Ersatz des Differenzschadens im Wege der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB verlangt und im Übrigen an dem Vertrag festhält. Wirtschaftlich steht sie nach „Wiederauffüllung“ ihres Vermögens durch die Ersatzleistung so, wie sie stünde, wenn der Vertrag nicht zustande gekommen wäre.48 5. Keine „Minderung“ In der Vergangenheit haben mehrdeutige Formulierungen die soeben dargestellte Vorgehensweise bei der Schadensberechnung verdeckt. Wenn es heißt, die Leistung des Geschädigten werde auf das „tatsächlich angemessene Maß“ herabgesetzt, sein Schaden sei der Betrag, um den er den Kaufgegenstand „zu teuer“ erworben habe, der Käufer sei so zu stellen, als sei ihm der Abschluss des Vertrags „zu einem günstigeren Preis“ gelungen,49 lässt das die jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung unzutreffende Deutung zu, es komme auf einen Vergleich mit den Erwartungen des Käufers an oder es finde eine Art Minderung statt.50 Die Unterschiede lassen sich an einem von Canaris51 gebildeten Beispiel verdeutlichen: Aufgrund falscher Angaben des Verkäufers zu wesentlichen Unternehmenskennzahlen hat der Käufer ein Unternehmen im Wert von 700.000 Euro zu einem Preis von 1 Mio. Euro gekauft. Der Restvertrauensschaden beläuft sich in diesem Fall auf 300.000 Euro. Ein Vertrauensschaden ist demgegenüber zu verneinen, wenn die Leistung des Verkäufers ihren Preis wert ist,52 das Unternehmen also ungeachtet einer Wertminderung aufgrund der Umstände, auf die sich die Aufklärungspflicht bezog, immer noch mindestens 1 Mio. Euro wert ist. a) Unerheblich ist, ob der Wert des Kaufgegenstands bei Richtigkeit der vorvertraglich gegebenen Information höher wäre. Die Formulierung „zu 47 Palandt/Grüneberg (Fn. 4), § 249 Rn. 2; BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11, NJW 2013, 450 Rn. 16. 48 Tiedtke JZ 1989, 569, 570. 49 Vgl. BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 58 f.; Urt. v. 16.10.1987 – V ZR 153/86, NJW-RR 1988, 328, 329; Urt. v. 5.10.1988 – VIII ZR 222/87, NJW-RR 1989, 306, 307; Urt. v. 8.12.1988 – VII ZR 83/88, NJW 1989, 1793, 1794; Urt. v. 28.3.1990 – VIII ZR 169/89, BGHZ 111, 75, 82 f.; Urt. v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877; Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 22; Urt. v. 11.11.2011 – V ZR 245/10, NJW 2012, 846 Rn. 12; Urt. v. 1.2.2013 – V ZR 72/11, NJW 2013, 1807 Rn. 15; Urt. v. 6.11.2015 – V ZR 78/14, BGHZ 207, 349 Rn. 24. 50 Vgl. Tiedtke JZ 1989, 569, 571; Mertens ZGS 2004, 67, 71. 51 ZGR 1982, 395, 420; dazu auch Messer FS Steindorff, 1990, S. 743, 751. 52 MünchKommBGB/Emmerich (Fn. 25), § 311 Rn. 202; Tiedtke JZ 1989, 569, 570; Mertens ZGS 2004, 67, 72.

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teuer erworben“ meint nicht, dass die Differenz zwischen dem objektiven Wert des Kaufgegenstands und dem Wert, den die Leistung hätte, wenn sie die zu Unrecht geweckten Erwartungen erfüllte, ersetzt wird.53 Wäre das tatsächlich mit 700.000 Euro zu bewertende Unternehmen 1,1 Mio. Euro (oder aber 900.000 Euro) wert, sofern die vom Verkäufer gemachten vorvertraglichen Angaben zuträfen, wird der Kaufpreis nicht um 400.000 Euro (bzw. lediglich 200.000 Euro) reduziert. Die Zubilligung von Schadensersatz in Höhe von 200.000 Euro würde hinter dem restlichen Vertrauensschaden von 300.000 Euro zurückbleiben. Wenn der getäuschte Käufer hingegen das Unternehmen im Wert von 700.000 Euro behielte und 400.000 Euro als Schadensersatz bekäme, würde er wirtschaftlich besser gestellt, als er stünde, wenn der Vertrag nicht abgeschlossen worden wäre;54 er stünde so, als wären die unzutreffenden Angaben des Verkäufers bei Vertragsschluss richtig gewesen und der Vertrag den Angaben entsprechend erfüllt worden. Damit würde aber nicht der Vertrauensschaden ersetzt, sondern das Erfüllungsinteresse. Das ist jedoch nur im Rahmen des kleinen Schadensersatzes gemäß §§ 280, 281 BGB möglich. Danach kann der mangelbedingte Minderwert geltend gemacht werden, der in der Differenz zwischen dem Verkehrswert der Sache, den sie in mangelfreiem Zustand hätte, und dem Verkehrswert, den sie mangelbedingt hat, besteht.55 Zu einem anderen Ergebnis als die oben dargestellte Berechnung des Restvertrauensschadens führt dieser Ansatz allein dann nicht, wenn der Wert des Kaufgegenstands bei Richtigkeit der Verkäuferangaben dem Kaufpreis entspräche. Für die Anknüpfung der Schadensbemessung an den Kaufpreis und den tatsächlichen Wert der Kaufsache spricht im Übrigen der Gedanke des Gleichlaufs der dem Käufer zustehenden Schadensersatzansprüche. Der Schadensersatzanspruch soll nach der Differenzhypothese die Vermögensdifferenz ausgleichen, die sich zwischen der tatsächlichen Vermögenslage und der Vermögenslage bei pflichtgemäßem Verhalten ergibt. Hält der Käufer an dem Vertrag nicht fest, bleibt dem Verkäufer ein Vorteil aus einem den objektiven Wert der Kaufsache übersteigenden Kaufpreis nicht erhalten. Für den Fall, dass der Käufer an dem Vertrag festhält, kann nichts anderes gelten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zudem der Gedanke der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zur Geschäftsgrundlage, auch wenn dies bei den Vertragsverhandlungen nicht be-

53 Mertens ZGS 2004, 67, 72; vgl. auch Messer (Fn. 51), S. 743, 751 f.; Kersting JZ 2008, 714, 718 f.; a.A. Stoll JZ 1999, 95, der auf das Zurückbleiben des von dem Gläubiger Empfangenen hinter dem hypothetischen Wert eines erwartungsgerechten Vertrags für ihn abstellt. 54 Vgl. Tiedtke JZ 1989, 569, 571. 55 BGH, Urt. v. 8.1.2004 – VII ZR 181/02, NJW 2004, 2156, 2157; Urt. v. 9.5.2018 – VIII ZR 26/17, BGHZ 218, 320 Rn. 36, 43.

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sonders angesprochen wurde.56 Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Käufer Leistung und Gegenleistung als äquivalent angesehen hat, also einen angemessenen Preis zahlen wollte und nach seiner Vorstellung auch gezahlt hat. Im Rahmen des Vermögensvergleichs kann es daher nur auf die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem bei zutreffenden Angaben angemessenen Kaufpreis ankommen, nicht aber auf einen fiktiv ermittelten objektiven Wert der Kaufsache unter der Prämisse, dass die unzutreffenden Angaben des Verkäufers richtig gewesen wären. b) Spielt es für die Berechnung des restlichen Vertrauensschadens keine Rolle, in welcher Relation der vereinbarte Kaufpreis zum Wert eines erwartungsgerechten Kaufgegenstands steht, ist die Herabsetzung des Kaufpreises auch nicht in entsprechender Anwendung der Berechnungsvorschrift über die Minderung (§ 441 Abs. 3 BGB) vorzunehmen.57 Bei der Minderung wird das im ursprünglichen Vertrag verwirklichte subjektive Äquivalenzverhältnis zwischen Kaufsache und -preis aufrechterhalten, indem der Wert der mangelhaften zu dem – gedachten – Wert der mangelfreien Sache in Beziehung gesetzt wird. Danach bleibt ein bei Vergleich von objektivem Wert der mangelfreien Sache und Preis für eine der Parteien entstehender Vorteil erhalten.58 Da auch hierdurch das Erfüllungsinteresse des Käufers (partiell) gewahrt wird, scheidet eine Anlehnung der Schadensberechnung an § 441 Abs. 3 BGB aus. c) Die dargestellte Berechnung des Restvertrauensschadens führt dazu, dass der Käufer, dem es gelungen ist, einen (subjektiv, gemessen an seinen unrichtigen vorvertraglichen Vorstellungen) günstigen Kaufpreis zu vereinbaren, tendenziell keine Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises im Wege des kleinen Schadensersatzes beanspruchen kann, weil der tatsächliche Wert des Kaufgegenstands immer noch den Kaufpreis zumindest erreicht. Dieses Ergebnis ist bei der gebotenen schadensrechtlichen Betrachtung unabweisbar, weil es an einem Differenzschaden fehlt. Die getäuschte Partei mag sich in dieser Situation für die Rückgängigmachung des Vertrags im Wege des großen Schadensersatzes entscheiden. d) In der umgekehrten Situation – der Käufer hat ein auch gemessen an seinen Vorstellungen ungünstiges Geschäft geschlossen – entsteht ihm dagegen ein unter Umständen besonders hoher Schaden, weil die Differenz zwi56 BGH, Urt. v. 23.5.2014 – V ZR 208/12, NJW 2014, 3439 Rn. 18; zur Vermutung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung BGH, Urt. v. 19.4.1991 – V ZR 22/90, BGHZ 114, 193, 197. 57 So aber Canaris AcP 200 (2000), 273, 316 f.; Erman/Kindl (Fn. 38), § 311 Rn. 80; dagegen Messer (Fn. 51), S. 743, 751; Mertens ZGS 2004, 67, 71; Theisen NJW 2006, 3102, 3104 f.; Kersting JZ 2008, 714, 719 f.; BeckOGK/Herresthal (Fn. 18), § 311 Rn. 348. 58 MünchKommBGB/Westermann (Fn. 25), § 441 Rn. 12.

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schen Kaufpreis und objektivem Wert des Kaufgegenstands dann eklatant ist. Auch dieses Ergebnis ist schadensrechtlich hinzunehmen. Es sanktioniert die Aufklärungspflichtverletzung effektiv und benachteiligt die täuschende Partei nicht, denn sie erhält für den von ihr geleisteten Gegenstand per Saldo eine Gegenleistung in Höhe des Verkehrswerts. Jedenfalls verdient das Vertrauen eines Verkäufers in den Bestand des Rechtsgeschäfts keinen Schutz, wenn er den Vertragsschluss durch arglistiges Verhalten herbeigeführt hat.59 Das muss auch dann gelten, wenn der Käufer am Vertrag festhält und den Differenzschaden verlangt. Canaris hat gegen diese Berechnungsweise eingewandt, sie stelle den Irregeführten bei schlechten Geschäften zu gut, weil er die Nachteile des Vertrags auch insoweit rückgängig machen könne, als diese gar nicht in innerem Zusammenhang mit der falschen Angabe stünden, sondern auf seiner eigenen Entscheidung beruhten.60 Dies berührt indes die Schadenszurechnung nicht. Zwar muss der Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht gedeckt sein. Deshalb beschränkt sich die Pflicht desjenigen, der einem Anlageinteressenten Aufklärung nur hinsichtlich eines bestimmten für das Vorhaben bedeutsamen Einzelpunkts schuldet, ohne Partner des Anlagegeschäfts zu sein, darauf, Schäden zu verhindern, die in diesem Punkt eintreten könnten; im Fall einer Aufklärungspflichtverletzung rechtfertigt dann der Umstand, dass der Anleger bei fehlerfreier Aufklärung das Geschäft nicht abgeschlossen hätte, es im Allgemeinen nicht, dem Aufklärungspflichtigen den gesamten mit dem fehlgeschlagenen Vorhaben verbundenen Schaden aufzuerlegen.61 Diese Grundsätze sind aber auf vertragsabschlussbezogene Aufklärungspflichten im Zwei-Personen-Verhältnis nicht übertragbar. Sie sichern das Recht des Verhandlungspartners, eigenverantwortlich und in Kenntnis der maßgeblichen Umstände über den Vertragsschluss und die Verwendung seines Vermögens zu entscheiden. Da ihn die verletzte Aufklärungspflicht gerade vor Entscheidungen schützen soll, die er in voller Kenntnis aller für die Beurteilung des Angebots maßgeblichen Verhältnisse nicht getroffen hätte, fällt – bei gegebener Kausalität der Pflichtverletzung für den Vertragsschluss – auch der erlittene Differenzschaden in den Schutzbereich der Aufklärungspflicht, ohne dass es darauf ankommt, inwieweit sich in der Kaufpreisfindung gerade das von der Gegenseite zu verantwortende Informationsdefizit verwirklicht hat.62

59 BGH, Urt. v. 24.3.2006 – V ZR 173/05, BGHZ 167, 19 Rn. 13; Urt. v. 27.3.2009 – V ZR 30/08, BGHZ 180, 205 Rn. 24. 60 AcP 200 (2000), 273, 317. 61 BGH, Urt. v. 3.12.1991 – XI ZR 300/90, BGHZ 116, 209, 212 f.; BeckOK/Lorenz (Fn. 4), § 280 Rn. 50. 62 Vgl. BGH, Urt. v. 5.7.1993 – II ZR 194/92, BGHZ 123, 106, 112 f.

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6. Weitere Fragen der Schadensberechnung Der Geschädigte muss den von ihm geltend gemachten Schaden darlegen und beweisen.63 Dabei gelten die Erleichterungen des § 287 ZPO in Bezug auf die Darlegungslast und die richterliche Überzeugungsbildung.64 In zeitlicher Hinsicht ist für die Bemessung des zu erstattenden Vertrauensschadens beim kleinen Schadensersatz der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich.65 Diese Abweichung von dem Grundsatz, dass es materiellrechtlich auf den Zeitpunkt der Ersatzleistung bzw. Wiederherstellung ankommt,66 ist sachlich gerechtfertigt. Mit dem Vertragsschluss ist der unmittelbare Vermögensschaden, der im Wege der Naturalrestitution durch eine entsprechende Geldzahlung auszugleichen ist, bereits eingetreten. Es handelt sich um eine ziffernmäßig bestimmte Geldsummenschuld.67 Spätere Veränderungen des Werts des Kaufgegenstands haben daher für die Höhe des Ersatzes keine Bedeutung. Diese zeitliche Rückbeziehung entspricht auch dem Schutzzweck der vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Sie soll der aufklärungsbedürftigen Partei die Informationen an die Hand geben, die sie bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses benötigt, um eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Für die Schadensbemessung kommt es daher darauf an, wie der Geschädigte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung verhalten hätte.68 Dann ist aber zugrunde zu legen (vgl. oben II 5 a), dass er bei Kenntnis der ihm vorenthaltenen Umstände nur den tatsächlichen Wert als Kaufpreis hätte zahlen wollen. Verfahrensrechtlich bleibt es dabei, dass für die Schadensermittlung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz maßgebend ist.69 Konsequenterweise findet auch eine Vorteilsausgleichung – etwa durch Anrechnung zukünftiger Gewinne oder Wertsteigerungen auf den Schaden – nicht statt. Der auf den Verkehrswert herabgesetzte Kaufpreis stellt den wirtschaftlichen Gegenwert der künftigen Gewinnerwartungen dar.70 Entsprechendes gilt für Aufwendungen des Getäuschten in Bezug auf den Ver-

63

Vgl. BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 58 f.; v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877; Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 24. 64 BGH, Urt. v. 2.6.1980 – VIII ZR 64/79, NJW 1980, 2408, 2410. 65 BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 20. 66 MünchKommBGB/Oetker (Fn. 25), § 249 Rn. 314 ff. 67 Vgl. MünchKommBGB/Grundmann (Fn. 25), §§ 244, 245 Rn. 87. 68 BGH, Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 13. 69 BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11, NJW 2013, 450 Rn. 23; Urt. v. 22.2.2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 25. 70 Vgl. Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung aus culpa in contrahendo, 1999, S. 83 f.

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tragsgegenstand; sie sind nicht zusätzlich zu ersetzen.71 Die Realisierung dieser Chancen bzw. Risiken betrifft allein die getäuschte Partei, wenn sie am Vertrag festhält. Für eine schadensmindernde Berücksichtigung späterer Erträge fehlt es im Übrigen an dem für eine Vorteilsausgleichung notwendigen inneren Zusammenhang, sofern diese Erträge auch bei einem Erwerb des Gegenstands zu einem seinem damaligen tatsächlichen Wert entsprechenden Betrag erzielt worden wären.72 Ein weiterer ersatzfähiger Schaden aus der Aufklärungspflichtverletzung ist allerdings insoweit anzuerkennen, als dem Getäuschten Kosten zur Aufdeckung der Täuschung, etwa für ein Sachverständigengutachten zum Wert des Vertragsgegenstands, entstanden sind.73 7. Nebenansprüche Die getäuschte Partei kann Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 288 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB74 auf den zuviel gezahlten Kaufpreis ab dem Zeitpunkt der Leistung sowie Ersatz eines etwa entstandenen weiteren Verzögerungsschadens gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 4 BGB verlangen. Der Eintritt des Verzugs setzt bei Aufklärungspflichtverletzungen regelmäßig nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB eine Mahnung des Gläubigers nicht voraus. Nach dieser Bestimmung kann der sofortige Verzugseintritt aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt sein. Die Regelung soll gerade Fälle erfassen, in denen der Schuldner durch sein Verhalten eine Mahnung verhindert.75 In der Verletzung einer Aufklärungspflicht liegt ein solches Verhalten: Vorvertragliche Rücksichtnahmepflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB, wie sie auch bei einer Aufklärungspflichtverletzung in Rede stehen, sind aus in der Natur der Sache liegenden Gründen sofort zu erfüllen.76 Wird dieser Pflicht nicht entsprochen und ein Irrtum erregt, erkennt der Getäuschte nicht, dass er zu viel zahlt und ihm deshalb ein Schadensersatzanspruch zusteht. Außerdem tritt Verzug ohne Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB auch dann sofort ein, wenn der Schuldner zur Herausgabe eines durch eine unerlaubte Handlung entzogenen Gegenstands oder 71

BGH, Urt. v. 12.12.1980 – V ZR 168/78, NJW 1981, 1035, 1036; Canaris ZGR 1982, 395, 423 f. 72 BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 59; Urt. v. 6.2.2018 – II ZR 17/17, NJW 2018, 1675 Rn. 21, 33. 73 Vgl. BGH, Urt. v. 9.6.2011 – X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 zu den Gebühren eines Rechtsanwalts, der mit der Überprüfung von Vergabeunterlagen auf Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen Vergabevorschriften beauftragt war. 74 Der erhöhte Zinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB gilt nicht, da Schadensersatzforderungen keine Entgeltforderungen sind; vgl. BGH, Urt. v. 6.11.2013 – KZR 58/11, BGHZ 199, 1 Rn. 69 ff. 75 BGH, Urt. v. 4.5.2011 – VIII ZR 171/10, NJW 2011, 2871 Rn. 19. 76 BGH, Urt. v. 9.6.2011 – X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 Rn. 18.

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Geldbetrags verpflichtet ist.77 Das ist bei einer arglistigen Täuschung der Fall: Haftet der Täuschende (auch) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und § 826 BGB, hat er den Getäuschten durch eine unerlaubte Handlung zur Zahlung eines überhöhten Kaufpreises veranlasst und ihm dadurch unberechtigt einen Geldbetrag entzogen. Im Fall einer arglistigen Täuschung kann jedenfalls auf § 849 BGB zurückgegriffen werden, der auch auf die Entziehung von Geld anwendbar ist und unabhängig von einem Verzugseintritt oder einer Mahnung einen Anspruch auf Verzinsung des zu viel gezahlten Betrags ab dem Zeitpunkt der Zahlung vorsieht.78 Die Rechtsprechung gewährt insoweit aber lediglich eine Verzinsung in Höhe von 4% p.a. nach § 246 BGB.79

III. Zusammenfassung Die Zubilligung von kleinem Schadensersatz als Rechtsfolge der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht erweist sich in der Präzisierung durch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als gerechtfertigt. Die Liquidation des Restvertrauensschadens stellt keine – mangels Zustimmung des Vertragspartners unzulässige – Vertragsanpassung dar. Die Möglichkeit der getäuschten Partei, die Herabsetzung des Kaufpreises auf den tatsächlichen Wert des Kaufgegenstands zu erreichen, ist vielmehr schadensrechtlich fundiert und setzt Anreize zur Erfüllung von Aufklärungspflichten.

neue rechte Seite! 77 BGH, Urt. v. 13.12.2007 – IX ZR 116/06, NJW-RR 2008, 918 Rn. 13; Palandt/ Grüneberg (Fn. 4), § 286 Rn. 25: „fur semper est in mora“. 78 BGH, Urt. v. 26.11.2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084; Urt. v. 12.6.2018 – KZR 56/16, NJW 2018, 2479 Rn. 45. 79 BGH, Urt. v. 26.11.2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084 Rn. 3; Urt. v. 12.6.2018 – KZR 56/16, NJW 2018, 2479 Rn. 52; a.A. MünchKommBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 849 Rn. 6: § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

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Governance und Compliance in Wissenschaftsorganisationen Wolfgang Schön

Governance und Compliance in Wissenschaftsorganisationen WOLFGANG SCHÖN

I. Einführung Zu den vielen Aufgaben, die Klaus Hopt in seinem reichen Berufsleben zugunsten des Gemeinwohls übernommen hat, gehört auch die Mitwirkung in den Leitungsorganen großer Wissenschaftsorganisationen. In der MaxPlanck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (MPG) hat er sich nicht nur als Direktor eines hoch angesehenen Forschungsinstituts Meriten erworben, sondern auch als Senator und als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates der Gesellschaft amtiert und in wichtigen Kommissionen zur Governance der MPG gewirkt. Die Satzungsreform des Jahres 2012, welche die internen Kontrollmechanismen der MPG modernisiert und geschärft hat, ist von ihm mitgestaltet worden1. Zugleich hat er über viele Jahre im Präsidium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) deren wissenschaftspolitische Arbeit begleitet. Unter seinem Vorsitz erarbeitete eine Reformkommission grundlegende Änderungen, die im Jahre 2014 in eine durchgreifende Modernisierung der Satzung der DFG mündeten2, die ihrerseits im Jahre 2019 durch eine Nachfolgekommission fortentwickelt wurde3. Dass diese Arbeiten von seinem umfangreichen rechtswissenschaftlichen – namentlich rechtsvergleichenden4 – Wissen zur Corporate Governance profitiert haben, steht außer Frage. In einer Zeit hoher Regulierungsintensität sind auch die großen Wissenschaftsorganisationen gesteigerten Ansprüchen an ihre rechtlichen Struktu1 Satzung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. in der Fassung vom 14.6.2012 (www.mpg.de). 2 Satzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in der Fassung der Mitgliederversammlung vom 2.7.2014, eingetragen im Vereinsregister unter Nr. VR 2030 beim Amtsgericht Bonn am 11.11.2014. 3 Satzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in der Fassung der Mitglieder in der Fassung des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 3. Juli 2019, eingetragen im Vereinsregister unter Nr. VR 2030 beim Amtsgericht Bonn am 20. September 2019 (www.dfg.de). 4 Siehe nur: Hopt, Vergleichende Corporate Governance – Forschung und internationale Regulierung – in: ZHR 175 (2011) S. 444–526.

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ren ausgesetzt. Nicht nur die schlichte Größe dieser Einrichtungen, sondern auch ihr öffentlicher Auftrag und ihre staatliche Finanzierung machen es erforderlich, die Ausgestaltung ihrer Leitungs- und Kontrollmechanismen stetig zu überprüfen und der Dynamik ihrer internen Aufgaben sowie dem sich wandelnden externen Pflichtenrahmen anzupassen. Dies gilt sowohl für die „Governance“ i.S. eines effektiven und effizienten Regelwerks zur Erzielung und Durchsetzung wissenschaftsorientierter Entscheidungen5 als auch für die „Compliance“, i.S. einer Befolgung der für diese Organisationen relevanten Rechtspflichten6. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht sind die Anforderungen an eine professionelle Governance und Compliance exemplarisch am Beispiel der Aktiengesellschaft wissenschaftlich durchdrungen worden7. Erkenntnisse aus Theorie und Praxis fließen in den „Deutschen Corporate Governance Kodex“ ein, den eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission laufend fortentwickelt8. Doch wäre es voreilig, die vor allem im Bereich der großen Unternehmen in ihren Grundzügen und ihren Details entfalteten Erkenntnisse über gute Governance und angemessene Compliance ohne Modifikationen auf Wissenschaftsorganisationen zu übertragen. Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der GmbH unterscheiden sich von Wissenschaftseinrichtungen – auch von Universitäten9 – nicht nur durch ihren typischerweise kommerziell geprägten Unternehmenszweck, sondern auch durch eine im Kern zentralisierte und monokratische Organisation: Die Leitung von Unternehmen ist zwingend (§ 76 AktG) oder doch typisiert (§ 35 GmbHG) dem Vorstand bzw. den Geschäftsführern der unternehmenstragenden Kapitalgesellschaften anvertraut. Die Mitarbeiter dieser Unternehmen sind auf der Grundlage ihrer Arbeitsverträge dem Direktionsrecht der Geschäftsleitungsorgane unterstellt. Begrenzte Aufsichtsfunktionen sind je nach Rechtsform und Arbeitnehmerzahl zwingend oder fakultativ bei einem Aufsichtsrat alloziert. Daraus ergibt sich eine klare und funktional angemessene vertikale Kontrollstruktur. Dies ist in Wissenschaftsorganisationen anders – und zwar sowohl in „horizontaler“ als auch in „vertikaler“ Hinsicht. Horizontal wird auf der Ebene der zentralen Organe eine multiple Leitungsstruktur gelebt, in der wichtige

5 Zum Begriff: Hopt, Corporate Governance – Eine Einführung, in: Festschrift für Stathopoulos, Athen (Ant. N. Sakkoulas) 2010, S. 703–712. 6 Näher Hauschka/Moosmayer, Corporate Compliance, 3.Aufl., 2016, § 1 Rz. 2. 7 Beispielhaft: Hopt/Roth, Der Aufsichtsrat: Aktienrecht und Corporate Governance – Sonderausgabe aus dem Großkommentar zum Aktiengesetz §§ 95 bis 116 AktG – Berlin, Boston (de Gruyter) 2019, § 111 AktG. 8 Deutscher Corporate Governance Kodex in der am 16. Dezember 2019 von der Regierungskommission beschlossenen Fassung (www.dcgk.de). 9 Grundlegend nunmehr: Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Hochschulgovernance, 2018.

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Gremien verschränkt agieren, ohne einander im strengen Sinne über- oder untergeordnet zu sein. In vertikaler Perspektive können sich die an den einzelnen Forschungsinstituten tätigen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (bei der MPG) oder die in den Gremien der Forschungsförderung agierenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (bei der DFG) gegenüber den Leitungsorganen dieser Einrichtungen für ihre jeweiligen Arbeitsbereiche auf Weisungsfreiheit und Gestaltungsmacht berufen. In der Grobstruktur werden in diesen Einrichtungen daher sowohl auf zentraler (Leitung) als auch auf dezentraler (Institute, Fachkollegien etc.) Ebene jeweils autonome wissenschaftsgeleitete Entscheidungsräume gebildet10. Es herrscht – je nach wohlwollendem oder kritischem Blickwinkel – weitgehend „kollegiale Selbstorganisation“11 oder aber „organisierte Anarchie“12. Was bedeutet diese spezifische Form der Governance von Wissenschaftsorganisationen für das institutionelle Design ihrer Compliance? Der rechtliche Ausgangspunkt liegt in der Annahme, dass die Vermehrung und Verschränkung der Entscheidungsträger eine Verfehlung der externen Verpflichtungen einer Organisation nicht legitimieren kann. In einem ersten Schritt ist es daher zwingend erforderlich, dass den für die jeweils agierenden Personen oder Gremien begründeten Gestaltungsmöglichkeiten zugleich inhaltlich abgestimmte rechtliche Verantwortlichkeiten korrespondieren. Dieser grundlegende Konnex von Herrschaft und Haftung dient der Vermeidung von Fehlsteuerungen unabhängig davon, ob eine Einrichtung kommerziellen, wissenschaftlichen oder anderen gemeinnützigen Zwecken dient. Doch reicht dies für die Sicherung der ordnungsgemäßen Compliance einer Institution nicht aus. Vielmehr muss in einem zweiten Schritt auch das rechtliche Gesamtbild überzeugend gestaltet werden, um ein „Organisationsverschulden“ der Einrichtung als solcher zu vermeiden. Dafür müssen Kompetenzlücken, inhaltliche Unklarheiten, systematische Widersprüche oder institutionell angelegte Behinderungen zwischen den Organen und Ebenen im Regelwerk dieser Organisationen ausgeschlossen sein. Hinzu tritt das Erfordernis zweckgerechter Aufsichts- und Kontrollfunktionen, um das enforcement der Verantwortlichkeiten einzelner Gremien und Organe zu aktualisieren. Andernfalls würde die natürliche Individualisierungstendenz des Wissenschaftsbetriebes einer Zersplitterung und Ineffektivität des Handelns der jeweiligen Einrichtungen Vorschub leisten. Die Aufgabe der rechtlichen Ordnung von auf Autonomie angelegter Governance und 10 Zur weitergehenden Forderung nach Meinungs- und Perspektivenvielfalt in Hochschulen nachdrücklich Strohschneider, Die pluralistische Universität: Festvortrag zum 50. Jahrestag der Universität Ulm, 24. Februar 2017, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), Peter Strohschneider – Reden 2013 –2019: Eine Auswahl, 2019, S. 67 ff. 11 Wissenschaftsrat a.a.O. (Fn. 9), S. 50. 12 Zum Topos der organized anarchy siehe Engels, Eine Annäherung an die Universität aus organisationstheoretischer Sicht, die hochschule (2004) 12 (13 ff.).

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auf Kontrolle angelegter Compliance in Wissenschaftsorganisationen ist daher ein heikler Balanceakt, der keine einfachen Lösungen erlaubt. Dabei muss man vermeiden, den gordischen Knoten durchzuschlagen und und zur Sicherung strenger Compliance (scheinbar) effiziente monokratische Kommandolinien zu etablieren. Die rechtliche Orientierung der Compliance von Wissenschaftsorganisationen darf nicht die wissenschaftliche Orientierung ihrer Governance dominieren. Auch aus der Perspektive des Rechts lässt sich sagen, dass (nicht nur die Universitäten, sondern auch) die Wissenschaftsorganisationen „in einer Spannung von Selbstbezug und Fremdbezug, von Autonomiebezirken und heteronomen Verpflichtungen“13 leben. Vor diesem Hintergrund sollen in den nachfolgenden Ausführungen ausgewählte organisationsrechtliche Fragestellungen von Wissenschaftsorganisationen beleuchtet werden. Dafür werden die MPG und die DFG in den Mittelpunkt gestellt, die als bedeutende Forschungsorganisation einerseits und als bedeutende Förderorganisation andererseits paradigmatisch für den außeruniversitären Sektor der Wissenschaft in Deutschland stehen.

II. Der dreifache Pflichtenrahmen der Wissenschaftsorganisationen Sowohl die MPG als auch die DFG sind wie ihre Vorgängerorganisationen (die 1911 ins Leben gerufene „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ und die im Jahre 1920 gegründete „Notgemeinschaft für die Deutsche Wissenschaft“) in der Rechtsform des eingetragenen Vereins verfasst, besitzen den Status einer gemeinnützigen Einrichtung und werden ganz überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Bereits diese Ausgangslage begründet eine aus drei Schichten bestehende, sich in den Anforderungen überschneidende Pflichtenstruktur14: – Aus der Verfasstheit der MPG und der DFG als eingetragene Vereine des bürgerlichen Rechts (§ 21 BGB) folgt, dass sie in ihrem Forschungs- und Förderhandeln durch die zwingenden gesetzlichen Vorgaben des Vereinsrechts (z.B. den Grundsatz der Vermögenstrennung zwischen Verein und Mitgliedern oder die Erfordernisse, einen Vorstand zu bestellen und Mitgliederversammlungen durchzuführen15) Schranken erfahren. Bedeutsamer für die tägliche Praxis dieser Vereinigungen ist die weitergehende Bindung an die konkreten Regelungen der jeweiligen privatrechtlich be13 Strohschneider, Versuch über die Universität: Selbstbezug und Fremdbezug der Wissenschaften, Konstanzer Universitätsreden, Bd. 251, 2015, S. 53. 14 Für die MPG: Schön, Grundlagenwissenschaft in geordneter Verantwortung, 2015, S. 22 ff. 15 Zum Vorstand: § 26 Abs. 1 S. 1 BGB; zur Mitgliederversammlung: Schöpflin in: BeckOK BGB, Stand 2019, § 32 BGB Rz. 5.

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schlossenen Vereinssatzung – z.B. über den Zweck des Vereins, die Einrichtung von fakultativen Organen oder das Finanzwesen. – MPG und DFG sind steuerbegünstigte Einrichtungen i.S. des Gemeinnützigkeitsrechts (§§ 51 ff. AO). Daraus folgt, dass sich Satzung und tatsächliche Geschäftsführung nach den Vorgaben der Abgabenordnung richten müssen und namentlich den Prinzipien der Ausschließlichkeit, Unmittelbarkeit und Selbstlosigkeit verpflichtet sind16. Die Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts ergänzen das bürgerliche Vereinsrecht um wesentliche zusätzliche Restriktionen, nicht zuletzt zur Bindung und Verwendung des Vereinsvermögens. – MPG und DFG erhalten ihre wesentliche finanzielle Ausstattung sowohl vom Bund als auch von den Ländern nach Maßgabe individueller Verhandlungen (in jüngerer Zeit vor allem im „Pakt für Forschung und Innovation“17) und eines länderbezogenen Aufteilungsschlüssels („Königsteiner Schlüssel“18). Konkret findet die Zuwendung von Finanzmitteln auf der Grundlage von Verwaltungsakten (Zuwendungsbescheiden) statt19. Diese Zuwendungsbescheide sind ihrerseits mit Nebenbedingungen (Auflagen) versehen, die den Empfängern nicht nur die allgemeinen Regeln des Haushaltsrechts zur Beachtung aufgeben (etwa im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Haushaltsgebarens), sondern auch eine Vielzahl weitergehender Vorgaben enthalten (z.B. ein Verbot der Besserstellung ihrer Beschäftigten gegenüber Arbeitnehmern und Beamten staatlicher Behörden und Einrichtungen). Dieser dreifach geschnürte Rechtsrahmen bildet ein enges Korsett für das Tätigwerden der Wissenschaftsorganisationen, ihrer leitenden Organe und ihrer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Dabei bestehen vielfache Rückkopplungen und Überschneidungen zwischen diesen Regelungskreisen. So gehört nach h.M. zum Kernbestand der Organpflichten nach bürgerlichem Vereinsrecht eine allgemeine Legalitätspflicht, welche die öffentlichrechtlichen Vorgaben des Steuer- und Haushaltsrechts als Verhaltenspflichten in das Innenverhältnis zwischen den Vereinsorganen und dem Verein transformiert20. Das Gemeinnützigkeitsrecht verlangt nicht nur ein steuerlich korrektes Verhalten, sondern bindet die Steuerbegünstigung des Vereins 16

Näher Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4.Aufl., 2018, Kapitel 4. Aktuell: PFI 2019 (2021- 2030); siehe den Volltext auf der Website der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz: https://www.gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Pa pers/PFI-IV-2021-2030.pdf. 18 Aktuell: https://www.gwk-bonn.de/themen/finanzierung-von-wissenschaft-undforschung/koenigsteiner-schluessel/. 19 Groß/Arnold, Regelungsstrukturen der außeruniversitären Forschung, 2007, S. 18 ff. 20 Für den Verein: Schockenhoff, NZG 2019, S. 281 (282 f.); differenzierend im neueren Schrifttum: Grigoleit, FS Karsten Schmidt zum 80. Geburtstag, 2019, Bd. 1, S. 366 ff. sowie nunmehr Hellgardt in dieser Festschrift. 17

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auch mittelbar an die konsequente Einhaltung der jeweiligen privatautonom gestalteten Vereinssatzung21. Bedeutsame Kernvorgaben folgen schließlich im Gleichlauf aus allen drei Regelungszusammenhängen. So lässt sich das Verbot, an Mitglieder oder Organwalter überhöhte Vergütungen zu leisten, sowohl als Ausdruck vereinsrechtlicher Vermögensbindung verstehen, als gesetzliches Gebot des Gemeinnützigkeitsrechts (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 3 AO) nachweisen als auch als haushaltsrechtliche Auflage formulieren22. Der dreifache Rechtsrahmen der Wissenschaftsorganisationen hat zur Folge, dass DFG und MPG auch auf drei Ebenen einer Kontrolle unterzogen werden und mit Sanktionen rechnen müssen. – Für die Kontrolle der Tätigkeit von Vereinsorganen ist im gesetzlichen Ausgangspunkt jeweils die Mitgliederversammlung zuständig, doch ist diese Aufgabe in den Wissenschaftsorganisationen weitestgehend auf eigenständige Organe verlagert worden. In der MPG besitzen namentlich der Verwaltungsrat23 und der Senat24 eine aufsichtführende Rolle; die Generalverwaltung überprüft zudem die Verwaltung der Institute25. In der DFG kommt diese beaufsichtigende Funktion teilweise dem Präsidium26 und teilweise dem Hauptausschuss27 zu. In beiden Organisationen haben die jüngsten Satzungsreformen durch Einrichtung von Prüfungsausschüssen die vereinsinterne Kontrolle gleichermaßen institutionalisiert und professionalisiert28. Hinzu treten nicht organschaftlich verfasste Funktionen wie die „Interne Revision“ oder auch eine interne „ComplianceFunktion“, die zugleich präventive Aufgaben besitzen. – Für die Kontrolle der steuerlichen Vorgaben sind die jeweiligen Finanzämter am Sitz der Wissenschaftsorganisationen zuständig29. Werden die Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts grundlegend verfehlt, so droht dem Verein die harte Sanktion des Entzugs des steuerbegünstigten Status30. Darüber hinaus prüfen die Finanzbehörden auch die Erfüllung der allgemeinen steuerlichen Pflichten der Wissenschaftseinrichtungen, z.B. auf Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuern auf Arbeitslöhne, Umsatzsteuern bei entgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen an Dritte, und der Entrichtung von Ertragsteuern auf wirtschaftliche Ge21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Hüttemann a.a.O. (Fn. 16) Rz. 4.152 ff. Schön a.a.O. (Fn. 14), S. 23. § 17 Abs. 3 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 13 Abs. 2 lit. i, l, m MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 20 Abs. 3 S. 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 8 Abs. 3 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 12 Abs. 1, 2 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 14 Abs. 1 und 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1); § 14 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). Hüttemann a.a.O. (Fn. 16), Rz. 7.7. § 60a Abs. 4 AO.

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schäftsbetriebe. Aus der Sicht der Organe spielen naturgemäß die möglichen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Konsequenzen vorsätzlicher oder fahrlässiger Nichterfüllung eine erhebliche Rolle. – Das öffentliche Haushaltsrecht konfrontiert die Wissenschaftsorganisationen schließlich mit einem zweigliedrigen Prüfungszugriff. In erster Linie ist es Aufgabe der öffentlichen Zuwendungsgeber in Bund und Ländern, die auflagengerechte Verwendung der öffentlichen Mittel in den Wissenschaftsorganisationen zu überprüfen31. Die zuständigen Wissenschaftsministerien nehmen diese Kontrollfunktion in den letzten Jahren in gesteigertem Maße wahr. Diese Ministerien unterliegen ihrerseits der Prüfung durch den Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe32, welche in diesem Kontext auch befugt sind, bei den Wissenschaftsorganisationen als „Erhebungsstellen“33 Informationen über die Wahrung der haushaltsrechtlichen Anforderungen einzuholen. Aus praktischer Sicht ist diese mittelbare Kontrolle der Wissenschaftsorganisationen durch die Rechnungshöfe wegen ihrer Regelmäßigkeit, ihrer Prüfungstiefe und ihres breiten Zugriffs am bedeutsamsten, nicht zuletzt deshalb, weil sich aus der Sicht der Rechnungshöfe über die Kontrolle der ordnungsmäßigen Verwendung der Haushaltsmittel mittelbar (nahezu) die gesamte Rechtmäßigkeit der Tätigkeit einer Wissenschaftseinrichtung in den Blick nehmen lässt. Keine unmittelbare Bedeutung für die Wissenschaftsorganisationen besitzt demgegenüber der Public Corporate Governance Kodex des Bundes34. Dessen direkte Anwendbarkeit scheitert an zwei Erfordernissen: Der Kodex gilt nur für „Unternehmen“ (zu denen Forschungs- und Fördereinrichtungen nicht gehören) und er setzt eine „Beteiligung“ des Bundes an diesen Unternehmen voraus, die zwar nicht kapitalmäßig verankert (dies fehlt etwa bei Stiftungen) sein, aber doch ein vermögensrechtliches Interesse repräsentieren muss. Ob und in welchem Umfang einzelne Elemente dieses Kodex

31 Siehe die „Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2017 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes“ am Beispiel von Einzelplan 30: „Finanzierung von Forschungseinrichtungen – Bundesministerium für Bildung und Forschung muss seine Verantwortung für die Prüfung der Mittelverwendung besser wahrnehmen“, BT-Drs. 19/170 v. 11.12.2017, S. 290 ff. 32 Zur Mehrfachzuständigkeit von Rechnungshöfen siehe § 45 HGrG. 33 Zum Unterschied zwischen „geprüfter Stelle“ (Bundesverwaltung) und „Erhebungsstelle“ (Zuwendungsempfänger) siehe § 2 Abs. 1 und 2 der Prüfungsordnung des Bundesrechnungshofes (https://www.bundesrechnungshof.de/de/ueber-uns/institution/rechts grundlagen/pruefungsordnung-des-bundesrechnungshofes-po-brh). 34 “Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes: Teil A: Public Corporate Governance Kodex des Bundes“, Stand 30.6.2009 (www.bundes finanzministerium.de); dazu Burgi, CCZ 2010, S. 41 ff.: Schürnbrand, ZIP 2010, S. 1105 ff.; Weber-Rey/Buckel, 172 ZHR (2013) S. 13 ff.

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auch für die Governance und Compliance von Wissenschaftsorganisationen vernünftige Lösungen anbieten können, steht auf einem anderen Blatt.

III. Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftlertypus 1. Wissenschaftsfreiheit Dieser engmaschig gestrickte privat- und öffentlich-rechtliche Handlungsrahmen darf nicht von der grundsätzlichen Erkenntnis ablenken, dass die Organisationsstruktur einer Wissenschaftsorganisation in erster Linie darauf ausgerichtet sein muss, der Freiheit der Wissenschaft und damit auch der Freiheit der sie ausübenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu dienen. Sowohl die Forscher selbst als auch die ihnen gewidmeten Forschungs- und Fördereinrichtungen können sich – individuell35 bzw. institutionell36 – auf das in Art. 5 Abs. 3 GG festgeschriebene Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit berufen. Wie das Bundesverfassungsgericht in einer Vielzahl von Urteilen vor allem im Hinblick auf staatliche Hochschulen entschieden hat, schützt dieses Grundrecht nicht nur den Kernbereich des eigentlich wissenschaftlichen Forschens, sondern verlangt auch institutionell nach Organisationsstrukturen in Wissenschaftseinrichtungen, welche sowohl den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen als Kollektiv den wesentlichen Einfluss auf ihre Einrichtungen garantieren als auch den einzelnen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bei der Auswahl, Methodik und Publikation von Forschungsthemen und Forschungsergebnissen die erforderlichen Spielräume gewähren37. Die Landesverfassungsgerichte haben diese Grundlinie im Rahmen ihrer Jurisdiktion detailliert und ausgebaut38. Vor diesem Hintergrund ist die privatrechtliche Ordnungsstruktur der außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen (vor allem von Forschungsorganisationen) in ihrer Tendenz darauf angelegt, die interne Governance von staatlichen Universitäten nachzuformen, mit denen sie zwar den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG39, nicht aber den verwaltungsrechtlichen Status teilen. Das bedeutet: 35

BVerfGE 35, 79 (112 f.); BVerfGE 127, 87 (114 f.). BVerfGE 111,333 (356); BVerfGE 127, 87 (114); BVerfGE 136, 338 (362–366); BVerfGE 149, 1 (32–34). 37 Wissenschaftsrat a.a.O. (Fn. 9), S. 22 f. 38 Siehe etwa VerfGH Baden-Württemberg v. 14.11.2016 1 VB 16/15, E.I. (m.w.N.). 39 Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Hochschule, 1994, S. 114 ff.; Meusel, Außeruniversitäre Forschung im Wissenschaftsrecht, 2. Aufl., 1999, S. 148 ff.; Mager, Freiheit von Forschung und Lehre, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd.VII, 3.Aufl., 2009, § 166 Rz. 49; dies schließt nach h.M. auch die DFG als Förderorganisation ein: Britz in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, 3. Aufl., 2013, Art. 5 III (Wissenschaft) Rz. 63 ff.; v. Coelln, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), 36

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– Die Leitungsorgane nicht nur der Universitäten, sondern auch der privatrechtlich geordneten Wissenschaftseinrichtungen müssen kraft Verfassungsrechts im Grundsatz von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen dominiert werden40. Die Satzungen der MPG und der DFG sind insoweit differenziert formuliert. Dies beginnt bereits mit der Zusammensetzung der Mitgliederschaft. In der MPG wird dem Petitum der Wissenschaftsgeleitetheit u.a. dadurch Rechnung getragen, dass ihre Mitgliederschaft weitgehend aus den in ihren Instituten aktiven „wissenschaftlichen Mitgliedern“ besteht41. Zugleich wird in der Praxis darauf geachtet, dass die Stimmquote der aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit hinzutretenden „fördernden“ Mitglieder beschränkt bleibt. In der DFG bilden ohnehin ausschließlich Vertreter der Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Gesamtheit der Mitglieder42 und stellen damit den Bezug zur Wissenschaft – wenn auch eher in institutioneller als in personeller Perspektive – her. Dies setzt sich auf der Ebene der von den jeweiligen Mitgliederversammlungen gewählten Senate fort. So gilt für den Senat der MPG, dass ihm nach der Satzung „Forscher und Gelehrte, insbesondere aus der MaxPlanck-Gesellschaft, (…) in angemessener Zahl angehören sollen“43. Dazu gehören kraft Satzung die Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rats der MPG und seiner Sektionen44. Weitergehend wird für den Senat der DFG das passive Wahlrecht grundsätzlich auf „an Hochschulen oder anderen Forschungseinrichtungen tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“45 beschränkt und zugleich eine „angemessene Vertretung des gesamten Spektrums wissenschaftlicher Disziplinen“ gewünscht46. Im Hauptausschuss der DFG treten zur Beratung über die finanzielle Seite der Forschungsförderung Vertreter von Bund und Ländern hinzu; doch bleibt den Mitgliedern des Senats im Hauptausschuss mit 39 Stimmen ein Übergewicht im Verhältnis zur öffentlichen Seite mit 32 Stimmen (16 Bundesländer + der Bund mit 16 Stimmen)47. Bemerkenswert erscheint, dass sich weder für die Funktion des Präsidenten (bei MPG oder DFG) noch für die Mitwirkung im Verwaltungsrat der MPG oder im Vorstand oder im Präsidium der DFG derartige das Berliner Kommentar zum GG, Stand 2014, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 108; zweifelnd für die „Auftragsforschung“ namentlich der Fraunhofer-Gesellschaft Arnold/Groß a.a.O. (Fn. 19), S. 153 ff. 40 Zuletzt VerfGH Baden-Württemberg a.a.O. (Fn. 38). 41 § 5 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 42 § 3 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 43 § 12 Abs. 1 S. 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 44 § 12 Abs. 4 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 45 Art. 11 Abs. 3 S. 4 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 46 Art. 11 Abs. 7 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 47 Art. 12 Abs. 3 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3).

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passive Wahlrecht beschränkenden Voraussetzungen finden lassen48. Theoretisch können daher auch Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung oder Wirtschaft in diese operativen Leitungsfunktionen gewählt werden – in den 20er, 30er und 40er Jahren war dies bei den jeweiligen Vorgängerorganisationen auch verstärkt der Fall49. Seit der Neugründung der MPG und der DFG nach dem 2.Weltkrieg sind jedoch in den Leitungsorganen sowohl auf der Ebene des Präsidiums als auch des Vorstands im wesentlichen Vertreter der Wissenschaft aktiv gewesen. Die Präsidentschaft ist in beiden Einrichtungen durchgehend jeweils von angesehenen Wissenschaftlern wahrgenommen worden, darunter Forschern von Weltruf wie Otto Hahn, Adolf Butenandt oder Heinz Maier-Leibnitz. Die Wirtschaftsseite ist im Präsidium der DFG ex officio durch den Präsidenten des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft repräsentiert50. Auch dem Verwaltungsrat der MPG gehören traditionell Unternehmensvertreter an, namentlich in der Rolle des „Schatzmeisters“51 und eines „externen Vizepräsidenten“, doch besitzen die Vertreter der Wissenschaft (Präsident und wissenschaftliche Vizepräsidenten) den überwiegenden Einfluss. – Auf der Ebene der Max-Planck-Institute wird dieser Vorrang der Wissenschaft durch die satzungsrechtliche Anerkennung der Institutsdirektoren und Institutsdirektorinnen in der wissenschaftlichen Leitung ihrer Einrichtungen festgeschrieben52. Letztlich wird von Seiten der MPG damit versucht, auf privatrechtlicher Ebene den Direktoren und Direktorinnen ein funktionelles Analogon zur Stellung eines Professors an einer staatlichen Universität bereit zu stellen. Sie sind als „Wissenschaftliche Mitglieder“ an der kollektiven Willensbildung der MPG beteiligt, sie sind als „besondere Vertreter“ i.S. von § 30 BGB mit eigenem organähnlichem Status gegenüber den zentralen Leitungsorganen ausgestattet, und sie schließen bei ihrer Anstellung „beamtenrechtsgleiche“ Arbeitsverträge, die ihnen dasselbe Gehaltsgefüge und dieselbe Sicherheit der tenure wie einem Universitätsprofessor garantiert. Für die DFG als Förderorganisation besteht das Analogon in einer Dominanz der Wissenschaft in den zur Entscheidung über die Förderanträge

48 Dies bleibt hinter den Anforderungen der Landeshochschulgesetze an die personelle Zusammensetzung von Rektoraten und Hochschulpräsidien zurück. 49 Bei der MPG hatten die Industriellen Carl Bosch (1937–1940) und Albert Vögler (1940–1945) die Präsidentschaft inne; bei der „Notgemeinschaft“ war von 1920–1934 mit Friedrich Schmidt-Ott ein herausragender Wissenschaftsbeamter und -politiker Präsident; ihm folgten im wesentlichen regimetreue Forscher wie Johannes Stark und Rudolf Mentzel. 50 § 7 Abs. 1 S. 4 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 51 § 15 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 52 § 28 Abs. 3 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1).

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oder Wissenschaftspreise berufenen Gremien53, namentlich den Fachkollegien (die ihrerseits aus einem deutschlandweiten Kollektiv von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen berufen werden54), dem Senatsausschuss für die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen, dem Bewilligungsausschuss für Graduiertenkollegs sowie letztlich – im Rahmen von deren jeweiliger Zuständigkeit für Förderentscheidungen – des Senats und des Hauptausschusses. Auch wenn es nicht darum geht, dass Gutachter, Bewerter oder Entscheider in der Ausübung dieser Aufgaben ihren persönlichen wissenschaftlichen Neigungen freien Lauf lassen, gehört diese Tätigkeit doch zu den Bereichen, die auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 3 GG „staatsfern“ ausgestaltet werden müssen.55 2. Wissenschaftlertypus Die wirkliche Problematik moderner Governance und Compliance in wissenschaftlichen Einrichtungen besteht aber letztlich nicht darin, den Vorrang der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in den Leitungsorganen und auf der Arbeitsebene dieser Einrichtungen rechtlich zu sichern. Die eigentliche Herausforderung ist vielmehr darin zu finden, dass die Wahrnehmung dieser Aufgaben in steigendem Maße Ansprüche an die organisatorischen Fähigkeiten, die rechtliche Vorbildung und den wirtschaftlichen Überblick dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellt, die sich in deutlichem Gegensatz nicht nur zu der zeitlichen und inhaltlichen Beanspruchung dieses Personenkreises durch ihre Aufgaben in Forschung (und Lehre) befindet. Ihre Bewältigung setzt auch Fertigkeiten und Kompetenzen voraus, die eher mit dem Anforderungsprofil eines Behördenleiters oder eines Unternehmensvorstands korrelieren. Der letztgenannte Personenkreis hat allerdings nicht nur typischerweise von vornherein eine juristische oder betriebswirtschaftliche Ausbildung erhalten, er ist auch in seinem 53 Strohschneider, Förderentscheidungen – Zur Rationalität wissenschaftsgeleiteter Forschungsfinanzierung, Vortrag anlässlich des Midterm-Kolloquiums des Sonderforschungsbereichs 1150 „Kulturen des Entscheidens“, Münster, 24. Mai 2017, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), Peter Strohschneider – Reden 2013–2019: Eine Auswahl, 2019, S. 41 ff. (43): „Dass es im deutschen Wissenschaftssystem auch zur Vergabe öffentlicher Mittel einen Raum unabhängiger Selbstverwaltung gibt, ist alles andere als selbstverständlich. Es handelt sich um eine Interdependenzunterbrechung zwischen Politik und öffentlicher Finanzverwaltung einerseits und andererseits der Wissenschaftsadministration. Mit ihr wird zwar nicht das Entscheidungssystem als solches weitgehend politischem Einfluss wie gerichtlicher Überprüfbarkeit entzogen, wohl aber die einzelnen Förderentscheidungen samt ihren epistemischen wie institutionellen Effekten auf das Wissenschaftssystem.“ 54 § 15 Abs. 2 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 55 Löwer, Freiheit von Forschung und Lehre, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd.IV, 2011, § 99 Rz.36; enger wohl Gärditz, WissR 2009, S. 353 (363 ff.).

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Karriereweg systematisch in immer neuen Zusammenhängen auf diese Leitungsaufgaben vorbereitet worden. Bei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ist hingegen zu erwarten, dass sie in aller Regel den gestiegenen organisatorischen Rollenerwartungen an Leitungspersonen in der Wissenschaft weder durch ihre persönlichen Anlagen und Neigungen noch durch ihre konkrete Vorbildung vollständig gerecht werden können. Das ist vor allem dann nicht der Fall, wenn sie entweder ihre Tätigkeit im Wissenschaftsmanagement nur nebenamtlich ausüben oder nur auf eine begrenzte Zeit ein Wahlamt wahrnehmen, um nach Ablauf der Amtszeit in Forschung und Lehre zurückzukehren. Die „Professionalisierung“ des Wissenschaftsbetriebs56, die seit Jahrzehnten propagiert wird, schlägt sich nicht nur in gestiegenen Anforderungen an die Vorbereitung und Durchführung wissenschaftspolitischer Entscheidungen nieder, sondern auch in einem rechtlichen Rahmenwerk, das auf potentielle Amtsträger geradezu abschreckend wirken kann. Die unterschiedlichen Selbstverständnisse behindern schließlich auch den Austausch zwischen den Vertretern der Wissenschaft und der staatlichen Seite, die ein gut organisiertes Gegenüber erwartet: „Organisationen verkehren am liebsten mit Organisationen. Individuen, und Professoren zumal, sind ihnen zu unhandlich und zu unberechenbar“.57 Aus der Sicht von Wissenschaftseinrichtungen erfordert dies eine balancierte Organisationsstruktur, in welcher den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen durch eine hoch kompetente und gut ausgestattete Verwaltung vielfältige Hilfestellung zuteilwird, ohne dass sich dies in eine faktische Dominanz der administrativen Seite übersetzt. Dabei geht es weniger um die altbekannte Gefahr, dass von Seiten des einen oder anderen Vertreters der Verwaltungsseite Zuständigkeiten der Wissenschaft überspielt werden oder Herrschaftswissen ausgenutzt wird (wie dies bei den klassischen „Erzkanzlern“ der Universitäten nicht selten der Fall war58). Kritisch ist heute vor allem, dass sich der zunehmend enge Rechtsrahmen wissenschaftlichen Handelns, verbunden mit einer vorsichtigen Einschätzung der damit verbundenen Compliance-Risiken durch die fachkundigen Verwaltungen, immer restriktiver und manchmal auch prohibitiv auf die wissenschaftliche Arbeit in Forschungs- und Fördereinrichtungen auswirkt. Dies betrifft nicht nur die Beachtung einer Vielfalt spezieller Rechtsregeln, die vom Tierschutz über die Exportwirtschaft bis zum Datenschutz und zur Besteuerung reichen. Es gilt nicht zuletzt für die Feststellung der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen 56 Hochschulrektorenkonferenz, Professionalisierung als Leitungsaufgabe. Entschließung des 202. Plenums vom 8. Juni 2004 (www.hrk.de). 57 Luhmann, Zwei Quellen der Bürokratisierung von Hochschulen, in: Kieserling (Hrsg.), Universität als Milieu: Niklas Luhmann. Kleine Schriften, 1992, S. 74 (74). 58 Zu den „starken Ambivalenzen“ der Position eines Kanzlers/einer Kanzlerin siehe Wissenschaftsrat a.a.O. (Fn. 9), S. 69 ff.

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und die damit notwendig verbundenen Grauzonen bei der Beurteilung der Angemessenheit des Mitteleinsatzes. Hier droht im Spannungsfeld zwischen Wissenschaftsautonomie und Haushaltsrecht nicht zuletzt aus Gründen steigender Risikoaversion59 zunehmend die Gefahr einer asymmetrischen Interpretation zu Lasten der Forschungsfreiheit60. Schließlich resultiert aus dieser verschärften Pflichtenlage eine Tendenz zur Zentralisierung: Wenn das zu beachtende Normenkonvolut inhaltlich so anspruchsvoll wird, dass man ihm nur noch mithilfe zentral geführter professioneller Verwaltungseinheiten gerecht werden kann, droht die Gefahr, dass Flexibilität und Geschwindigkeit im Einzelfall verloren gehen. Ein Beispiel: Ein zentral eingerichtetes Vertragsmanagement, das den Anforderungen des Vergaberechts und des Haushaltsrechts gerecht wird, muss der Konstruktion nach keinerlei Einfluss auf die Forschungsentscheidungen von Wissenschaftlern haben; in den täglichen Abläufen jedoch können derartige Formalisierungen und Standardisierungen massive Nachteile, namentlich substanzielle Ablaufverzögerungen, mit sich führen. Dass aber umgekehrt eine nicht kontrollierbare und unprofessionell verwaltete Dezentralität Gefahr läuft, systematisch Compliance-Risiken aufzuwerfen, gehört ebenso ins Bild.

IV. Die multiple Leitungsstruktur 1. Verteilte und verschränkte Organzuständigkeiten In der Leitungsstruktur der großen Wissenschaftsorganisationen schlägt sich das von Art. 5 Abs. 3 GG geprägte Anforderungsprofil in einer multizentrischen Verteilung und Verschränkung von Kompetenzen nieder. Dies hat große Vorteile, wenn es darum geht, die Governance einer Wissenschaftsorganisation angemessen auszugestalten; es hat jedoch auch Nachteile, wenn es darum geht, eine straffe Compliance-Organisation in diesen Einrichtungen zu verwirklichen. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass das Vereinsrecht des BGB diesen Einrichtungen eine hohe Autonomie und Flexibilität einräumt. Anders als bei Aktiengesellschaften, die über ein weitgehend zwingend vorgegebenes Kompetenzgefüge zwischen Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat verfügen61, und anders als bei Stiftungen des privaten Rechts, über denen 59 Zu gesellschaftlichen Gesamtproblematik einer strukturell überforderten Bürokratie in privaten und staatlichen Einrichtungen Schön, Wer verwaltet den Rechtsstaat?, in: C.M.Flick (Hrsg.), Autorität im Wandel, 2017, S. 103 ff. 60 Zur „Erforderlichkeitsschranke“ im Verhältnis Verwaltung/Wissenschaft siehe auch Wissenschaftsrat a.a.O. (Fn. 9), S. 83 ff. 61 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4.Aufl., 2002, § 26 III 1, S. 770 f.; Hüffer/Koch, AktG, 13.Aufl., 2018, § 23 AktG Rz.34 ff.

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sich eine staatliche Stiftungsaufsicht als eigenständige Kontrollinstanz wölbt62, sind Vereine nach innen und außen weitgehend „souveräne“ Verbände63. Die Rechtsform des Vereins hat sich für MPG und DFG zur Wahrung einer selbstverwalteten Wissenschaftskultur eindeutig bewährt. Die vereinsrechtliche Verfasstheit hat namentlich zur Folge, dass es in MPG und DFG kein Organ geben muss, in dem zwingend und gebündelt alle wesentlichen Leitungsfunktionen des Vereins konzentriert sind. Das Vereinsrecht verlangt lediglich, dass der Verein über einen Mitgliederstamm verfügt, der sich in regelmäßigen Versammlungen zusammenfindet, und dass der Verein sich einen Vorstand gibt64. Für die Kernaufgaben des Vorstands ist im Gesetz zwingend nur angeordnet, dass er die Gesellschaft nach außen vertritt65 – und auch dies kann wahlweise als Einzelvertretung, Gesamtvertretung oder durch das Erfordernis einer Mindestzahl von auftretenden Personen („Vier-Augen-Prinzip“) ausgestaltet werden. Die „Geschäftsführungskompetenz“ i.S. einer inhaltlichen Steuerung des Vereinshandelns kann demgegenüber weitgehend frei gehandhabt und auch vollständig auf fakultative Organe verlagert werden66. Vor diesem Hintergrund etablieren die Satzungen von DFG und MPG eine vereinsrechtlich zulässige Mehrzahl parallel agierender Organe, welche die materielle Geschäftsführungsfunktion unter sich aufteilen. In der MPG sind dies – der Präsident, der die Gesellschaft nach innen und außen repräsentiert, die wissenschaftspolitischen Leitlinien entwirft, Berufungen ausspricht und die wichtigsten Gremien leitet67; – der Verwaltungsrat, der Leitungsentscheidungen mittlerer Bedeutungshöhe trifft sowie Aufsichts- und Weisungsrechte gegenüber der Generalverwaltung durch den Präsidenten ausübt; ihm gehören neben dem Präsidenten und den – internen und externen – Vizepräsidenten auch hochrangige Vertreter der Wirtschaft an68; – der Senat, dem zentrale Entscheidungen wie die Einrichtung und Aufhebung von Instituten sowie die Berufung von Direktoren und Direktorinnen obliegen, der aber auch die Zuständigkeiten anderer Organe an sich ziehen kann69.

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Hüttemann/Rawert in: Staudinger, BGB-Kommentar, 2017, Vor §§ 80 ff. Rz.122 ff. Zur Verbandssouveränität grundlegend Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, I/2, Die juristische Person, 1983, § 7, S. 189 ff. 64 Siehe oben Fn. 15. 65 § 26 Abs. 1 S. 2 BGB. 66 Segna in: beck.online.Grosskommentar, Stand 2020, § 27 BGB Rz.64. 67 § 11 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 68 § 15 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 69 § 13 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 63

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Diese Organe werden unterstützt durch die Generalverwaltung, die unter der Leitung des Generalsekretärs die laufenden Geschäfte der Gesellschaft führt70 (im Unterschied zu den laufenden Geschäften der Institute, die von deren Kollegien verantwortet werden). Der Generalsekretär bildet wiederum gemeinsam mit dem Verwaltungsrat den „Vorstand“ des Vereins „im Sinne von § 26 BGB“71. Dieser Vorstand ist für die MPG in seiner zivilrechtlichen Funktion auf die gesetzlich zwingende Kernaufgabe der Außenvertretung des Vereins fokussiert. In der DFG war bis zur Reform des Jahres 2014 das (ausschließlich mit Vertretern der Wissenschaft besetzte) Präsidium in seiner Gesamtheit für die Führung der laufenden Geschäfte des Vereins verantwortlich72. Die Geschäftsstelle unter Leitung des Generalsekretärs war eingerichtet worden, um das Präsidium in dieser Aufgabe zu unterstützen73. Der aus Präsident und Generalsekretär gebildete Vorstand war nach dieser früheren Satzungslage – ähnlich wie heute noch bei der MPG – funktional auf die Außenvertretung reduziert74. Zu Recht beanstandete die von Klaus Hopt geleitete Reformkommission diese Annahme einer laufenden Geschäftsführung durch das Präsidium als unhaltbare Fiktion, die weder der gelebten Governance noch den Erfordernissen professioneller Compliance entsprach. Mit der Satzungsreform 2014 wurde der Vorstand – wie bisher bestehend aus Präsident und Generalsekretär –als zentrales Geschäftsleitungsorgan der DFG etabliert75 und das Präsidium zu einem Beratungsorgan des Präsidenten herabgestuft76. Um dennoch den Vorrang der Wissenschaft in der Geschäftsführung zu wahren, hat die jüngste Satzungsreform der DFG aus dem Jahre 2019 die Prävalenz der Wissenschaft auf Vorstandsebene darin zum Ausdruck gebracht, dass dem Präsidenten die Richtlinien- und die Geschäftsverteilungskompetenz vorbehaltlich bestimmter zwingender Zuständigkeiten des Generalsekretärs im Hinblick auf den Haushaltsvollzug zugewiesen ist77. Eine noch stärkere Stellung der Wissenschaft im Vorstand würde sich ergeben, wenn im Zuge einer weiteren Fortentwicklung der Satzung ein oder mehrere weitere Vizepräsidenten/-innen zu neben- oder hauptamtlichen Vorstandsmitgliedern berufen werden könnten. Die Geschäftsführungskompetenz des DFG-Vorstands bleibt auch nach der aktuellen Satzungslage recht vage im Verhältnis zu den Zuständigkeiten der übrigen Organe, namentlich dem Senat und dem Hauptausschuss, aber 70 71 72 73 74 75 76 77

§ 20 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 17 Abs. 1 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 5 Abs. 4 S. 1 DFG-Satzung v. 18.5./2.8.1951, zuletzt geändert am 2.7.2008. § 5 Abs. 6 S. 1 DFG-Satzung 1951 a.a.O. (Fn. 72). § 5 Abs. 2 DFG-Satzung 1951 a.a.O. (Fn. 72). § 8 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 7 Abs. 2 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 8 Abs. 4 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3).

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auch im Verhältnis zum Präsidenten. Senat und Hauptausschuss teilen sich die Kompetenz zur Beschlussfassung über „Angelegenheiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft von wesentlicher Bedeutung“78, wobei im Senat stärker die wissenschaftspolitischen und im Hauptausschuss stärker die finanziellen Aspekte des Förderhandelns behandelt werden. Dieser Wesentlichkeitsvorbehalt schränkt das Handeln des Vorstands somit „nach oben“ ein. Andererseits besitzt auch der Präsident eine originäre Kompetenz gegenüber dem Vorstand und den übrigen Gremien, wenn er die DFG „nach innen und außen“ repräsentiert79 und gemeinsam mit dem Präsidium „die strategisch-konzeptionelle Ausrichtung der Deutschen Forschungsgemeinschaft“ entwickelt80. Schließlich besteht sein „Pflichtrecht“, die Sitzungen der wesentlichen Gremien zu leiten81, unabhängig von seiner Zugehörigkeit zum Vorstand. Die DFG-Satzung formuliert die Rechtslage für den Vorstand daher als eine Art „Residualkompetenz“, nach welcher der Vorstand „alle Aufgaben (wahrnimmt), die nicht nach dieser Satzung einem anderen Organ zugewiesen sind“82. Im Vergleich zwischen MPG und DFG zeigt sich der wesentliche Unterschied daher im Fehlen eines „Verwaltungsrats“ in der DFG, der (anders als das heutige Präsidium der DFG) mehr als ein bloßes Beratungsorgan darstellt, aber doch (anders als der Vorstand der DFG) nicht konkret die „laufenden Geschäfte“ der Gesellschaft führt, sondern die Geschäftsführung über die Generalverwaltung mit Aufsichtsmaßnahmen und Weisungen begleitet. 2. Aufsichtsfunktionen im balancierten System Die Dezentralität dieser Systeme macht es nicht einfach, eine effektive Aufsicht auf korporativer Grundlage zu etablieren. Das vertikale Leitungssystem der Aktiengesellschaft, in welcher der Aufsichtsrat den Vorstand überwacht, der seinerseits eine Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht gegenüber den nachgeordneten Einheiten besitzt, findet in den Wissenschaftsorganisationen keine wirkliche Entsprechung. Doch wäre eine solche aktienrechtliche Struktur den verfassungsrechtlichen Anforderungen an wissenschaftliche Einrichtungen auch nicht angemessen, in denen sowohl die Leitungsorgane als auch die Forscher und Forscherinnen in ihrem Aktionsradius durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sind. Es würde auch die Balance zwischen den Gremien empfindlich stören, wenn die etablierte wissenschaftsgeleitete Governance, die durch Verteilung und Verschränkung von 78 79 80 81 82

§ 11 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 6 Abs. 1 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 6 Abs. 2 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 6 Abs. 3 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 8 Abs. 2 S. 1 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3).

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Gremienkompetenzen gekennzeichnet ist, auf der Ebene der Compliance durch harte Weisungs- und Kontrollrechte konterkariert würde. Und dennoch kann sich keine Einrichtung unter Berufung auf die Wissenschaftsfreiheit erlauben, die allgemeinen Anforderungen an eine effektive und effiziente Compliance-Struktur zurückzuweisen. Die Herausforderung besteht eben darin, innerhalb des auf Freiheit angelegten wissenschaftsorientierten Governance-Gefüges eine funktionsfähige Compliance zu sichern. Die MPG hat in diesem Bereich in den letzten Jahren ihre bestehenden Instrumente geschärft und neue Instrumente etabliert. Die traditionelle Linie der Satzung besteht darin, dass die Generalverwaltung die Institutsverwaltungen prüft83 und dass der Verwaltungsrat durch den Präsidenten die Aufsicht über die Generalverwaltung führt und ihr Weisungen erteilen kann84. Senat85 und Hauptversammlung86 der MPG können namentlich im Hinblick auf den Haushaltsplan und den Haushaltsvollzug Rechenschaft von Präsident, Verwaltungsrat und Generalverwaltung verlangen. Bis zur Satzungsreform des Jahres 2012 fehlte es jedoch in der MPG an einer korporativ verfassten Prüfungsinstanz gegenüber den zentralen Organen der MPG, namentlich gegenüber Präsident, Verwaltungsrat, Senat und Generalsekretär. Zwar war es schon immer eine implizite Aufgabe des Generalsekretärs und der Generalverwaltung, rechtswidrige Beschlüsse der übrigen Vereinsorgane zu beanstanden und deren Vollzug zu verweigern87. Doch fehlte ein unabhängiges Gremium, das von außerhalb des operativen Bereichs das Handeln der Gesellschaftsorgane begleitete. Diese Lücke wird seither durch den Prüfungsausschuss der MPG gefüllt, der aus Mitgliedern der Gesellschaft und des Senats zusammengesetzt wird und dem kein Mitglied des Vorstands (Verwaltungsrat + Generalsekretär) angehören darf88. Seine Aufgabe besteht darin, „die Rechtmäßigkeit des Haushaltsvollzugs und die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung der Gesellschaft sowie die Wirksamkeit ihres Risiko- und Compliance-Managements zu prüfen. Der Prüfungsausschuss unterbreitet der Hauptversammlung Vorschläge zur Bestellung der externen Wirtschaftsprüfer, legt Maßstab und Umfang des Prüfungsauftrages fest und nimmt den Bericht der Wirtschaftsprüfer entgegen. Er nimmt den Jahresbericht der Revision entgegen und ist befugt, in Einzelfällen weitere Prüfungen zu veranlassen. Der Prüfungsausschuss berichtet dem Senat über seine Prüfungen und Beschlüsse.“

Diese Reform des Jahre 2012 ist in der MPG mit großer Zustimmung aufgenommen worden. Dass nunmehr die interne Revision nicht nur an Präsi83 84 85 86 87 88

§ 20 Abs. 3 S. 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 17 Abs. 3 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 13 Abs. 2 lit. i, l, m MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). § 21 Abs. 2 lit. d, e MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). Schön a.a.O. (Fn. 14), S. 54 f. § 14 Abs. 1, 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1).

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dent und Generalsekretär, sondern auch an den unabhängigen Prüfungsausschuss berichtet, verschafft ihr einen stabilen Eigenstand auch im Innenleben der Verwaltung. Dass der Prüfungsausschuss ohne Umweg über Präsident, Verwaltungsrat oder Generalsekretär an den Senat berichtet, stärkt die Transparenz der Ergebnisse. Und dass der Prüfungsausschuss auch für den Verkehr mit den Wirtschaftsprüfern zuständig ist, über deren Bestellung schließlich die Hauptversammlung auf Vorschlag des Prüfungsausschusses entscheidet89, betont die Interaktion zwischen Prüfungsausschuss, Wirtschaftsprüfern und Hauptversammlung außerhalb der operativen Sphäre der MPG. In der DFG ist die Sachlage einfacher und schwieriger zugleich. Sie ist faktisch einfacher, weil die DFG als Förderorganisation in sehr viel geringerem Maße als die MPG die ihr zugewiesenen Mittel selbst verbraucht. Der ganz überwiegende Teil des DFG-Haushalts wird über Förderentscheidungen an andere Personen und Einrichtungen, namentlich Universitätsforscher und Hochschulen (und in Grenzen auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen) vergeben. Die Kontrolle der Mittelverwendung läuft insoweit über die Verwendungsrichtlinien der DFG, welche die geförderten Personen und Einrichtungen zur Vorlage umfangreicher standardisierter Verwendungsnachweise anhält90. Natürlich muss die DFG die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Nachweise ihrerseits in den Blick nehmen und sie muss auch selbst darauf geprüft werden, ob sie dieser Aufgabe angemessen nachkommt. Aber es fehlt doch insoweit weitgehend an den spezifischen Gefahren der Intransparenz oder der conflicts of interest, die bei der Mittelvergabe innerhalb einer Universität oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung immer wieder auftreten können. An die Stelle der corporate governance innerhalb der Institution MPG tritt bei dem Förderhandeln der DFG weitgehend die contract governance91 im bilateralen Verhältnis zwischen Förderer und Gefördertem. Für die interne Verwendung von Mitteln durch die DFG, ihre Organe und ihre Geschäftsstelle, bestanden vor diesem Hintergrund in der Vergangenheit nur wenige sachgemäße Kontrollansätze. Bis zur Satzungsreform 2019 fehlte es sogar an einer expliziten Berichtspflicht der Geschäftsstelle gegenüber dem Vorstand und dem Präsidium und an einer expliziten Berichtspflicht des Vorstandes gegenüber Präsidium, Senat, Hauptausschuss und Mitgliederversammlung92. Im Hinblick auf das Finanzgebaren der DFG 89

§ 14 Abs. 2 lit. a S. 2 und § 21 Abs. 2 lit. c MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). Allgemeine Bedingungen für Förderverträge mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft e.V. (DFG); (https://www.dfg.de/formulare/2_00/v/dfg_2_00_de_v0317.pdf). 91 Zum Begriff und seinen rechtlichen Implikationen siehe: Grundmann/Möslein/ Riesenhuber (Hrsg.), Contract Governance: Dimensions in Law & Economic Research, 2015. 92 Siehe nunmehr § 8 Abs. 3 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). 90

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waren mit der Beschlusskompetenz des Haushaltsausschusses zum Wirtschaftsplan und der Vorlage des Jahresberichts und der Jahresrechnung in der Mitgliederversammlung nur rudimentäre Grundzüge geregelt93. Die Wirtschaftsprüfer wurden bis zum Jahre 2019 vom Vorstand bestellt und die Durchsicht des Prüfungsberichts drei „Revisoren“ überlassen94. Dies entsprach zuletzt nicht mehr dem modernen state of the art ordnungsmäßiger Finanzberichterstattung. Vor diesem Hintergrund übernahm die DFG in der Satzungsreform 2019 aus der Satzung der MPG das Modell eines „Ausschusses für Rechnungsprüfung“95, der nunmehr „für die Prüfung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit des Wirtschaftsplanvollzugs und der Rechnungslegung (zuständig ist). Er kann die Bücher und Schriften des Vereins sowei die Vermögensgegenstände, namentlich die Vereinskasse und Schriften des Vereins sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Vereinskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, einsehen und prüfen. Er kann damit auch einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen. Er bestellt die externen Wirtschaftsprüfer für die Prüfung der Jahresrechnung, legt Maßstab und Umfang des Prüfungsauftrags fest, nimmt den Bericht der Wirtschaftsprüfer entgegen und leitet ihn der Mitgliederversammlung mit einer Empfehlung bezüglich der Entlastung des Vorstands zu.“

Im Jahre 2020 wird dieses neue Gremium, das sich aus Vertretern des Senats, der Mitgliedseinrichtungen, des Bundes und der Länder zusammensetzt, und das funktional dem Hauptausschuss zugeordnet ist, seine Arbeit aufnehmen. 3. Notwendigkeit eines Aufsichtsrats? Mit dieser Einführung von Prüfungsausschüssen verwirklichen sowohl die MPG als auch die DFG moderne Standards guter Governance und Compliance. Damit ist ein notwendiger Entwicklungsprozess vorläufig abgeschlossen. Zugleich erweist sich aus der Sicht beider Einrichtungen die weitergehende Einführung eines Aufsichtsrats als überflüssig, der die empfindliche Balance zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Politik in den Gremien der außeruniversitären Forschungs- und Förderorganisationen stören würde. Dafür muss man zwischen der beratenden und der kontrollierenden Rolle von Aufsichtsräten unterscheiden: – In den hier behandelten Wissenschaftsorganisationen wird die beratende Rolle eines Aufsichtsrats durch den Verwaltungsrat und den Senat (in der MPG) bzw. das Präsidium, den Hauptausschuss und den Senat (in der 93 94 95

§ 12 Abs. 2 und § 5 Abs. 3 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3). § 5 Abs. 1 S. 4 DFG-Satzung 2014 a.a.O. (Fn. 2). § 14 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3).

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DFG) hinreichend wahrgenommen. In diesen Gremien sind nicht zuletzt die Politik und die gesellschaftliche Öffentlichkeit angemessen vertreten. Dabei verwirklicht gerade der Verwaltungsrat der MPG durch seine gemischte Zusammensetzung aus „internen“ und „externen“ Verwaltungsräten exemplarisch eine effiziente one-tier-board-Struktur96, in welcher nonexecutive directors sich im dauernden Beratungsgespräch mit den operativ agierenden Präsidenten und wissenschaftlichen Vizepräsidenten befinden97. Es ist nicht erkennbar, welche Verbesserung der Beratungsqualität durch die zusätzliche Einführung eines Aufsichtsrats gewonnen werden könnte. – Die nach den früheren Satzungen der DFG und der MPG noch unterkritisch ausgestaltete und im Aktienrecht einem Aufsichtsrat zugewiesene Kontrollfunktion zur Sicherung der Verbandscompliance nehmen nunmehr die in beiden Organisationen neu eingerichteten Prüfungsausschüsse wahr. Damit wird zugleich eine funktionale Rollenklarheit erzielt. Die Weisheit dieser funktionalen Trennung wird nicht zuletzt durch die jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Governance von Hochschulen bestätigt; dort wird explizit darauf hingewiesen, dass die vielfach praktizierte hybride Rolle der universitären Hochschulräte zwischen Beratung und Aufsicht unter dem Gesichtspunkt möglicher Rollenkonflikte dringend der Überprüfung bedarf98. 4. Doppelung der Kontrolle? Aus der Sicht der Praxis bleibt ohnehin die Frage, ob die mit den jüngsten Reformen einhergehende Vervielfachung der Kontrollmechanismen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art im Ergebnis einem „Overkill“ gleichkommt. Diese Sorge liegt darin begründet, dass die verstärkte privatrechtliche Prüfung der angemessenen Verwendung der Vereinsmittel (durch Prüfungsausschüsse, Wirtschaftsprüfer, Compliance-Organisation und interne Revision) und die öffentlich-rechtliche Prüfung des Haushaltsvollzugs (durch die Zuwendungsgeber und die Rechnungshöfe) letztlich dieselben Finanzquellen und dieselben Maßnahmen betreffen. Sowohl die DFG als auch die MPG bestreiten den ganz überwiegenden Teil ihrer Ausgaben aus öffentlichen Mitteln, deren Verwendung nach aktueller Rechtslage sowohl auf privatrechtlicher als auch auf öffentlich-rechtlicher Grundlage kontrolliert wird. Werden hier in übertriebener Weise „Gürtel und Hosenträger“ gleichzeitig angelegt, um jedem Vorwurf unkorrekten Verhaltens entgehen zu können? 96 97 98

Dazu näher Hopt a.a.O. (Fn. 4), S. 466 ff. Ausführlich Schön a.a.O. (Fn. 14), S. 32 ff. Wissenschaftsrat a.a.O. (Fn. 9), S. 80 ff.

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Schaut man näher hin, so zeigt sich weniger eine Parallelschaltung gleichgerichteter Prüfungen als vielmehr eine qualitativ-funktionale Abstufung nach Innen- und Außenbereich: – Die Kompetenzen des Prüfungsausschusses, der Wirtschaftsprüfer und der Internen Revision dienen in erster Linie der Selbstkontrolle der Wissenschaftseinrichtungen. Indem diese von den Wissenschaftsorganisationen selbst eingesetzten Akteure und ihre Arbeit den Anforderungen guter Governance und Compliance genügen, stabilisieren sie zugleich die Autonomie dieser Verbände als solche. Sie bilden das logische Komplement zur Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft der operativen Leitungsorgane sowie der Forscherinnen und Forscher und vollenden die interne Balance der satzungsmäßigen Gremien. – Die Prüfungskompetenzen der Zuwendungsgeber und der Rechnungshöfe dienen demgegenüber der Fremdkontrolle der Wissenschaftseinrichtungen. Hier tritt ihnen der Staat in einem mit Eingriffsrechten bewehrten Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüber. Dieser staatliche Zugriff steht nun seinerseits unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Und hier greift eine funktionale Komplementarität zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Kontrolle. Soweit nämlich die Zuwendungsgeber erkennen können, dass ihrem berechtigten Anliegen der Sicherung der Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Haushaltsvollzuges bereits durch interne Kontrollprozesse der jeweiligen Organisationen Rechnung getragen wird, können sie sich in ihrem eigenen Vorgehen zurückhalten, müssen sie die institutionellen und individuellen Freiheitssphären der Wissenschaftsorganisationen und ihrer Angehörigen achten. Zu Recht prüfen die Ministerien und Rechnungshöfe daher nicht nur die einzelnen operativen Maßnahmen der Wissenschaftsorganisationen, sondern auch dem Grunde nach die Tauglichkeit der Governance und des Compliance-Managements von DFG und MPG in ihrer Gesamtheit. Gelangen Sie aber insoweit zu einem positiven Ergebnis über die Organisationsstruktur der jeweiligen Vereine, gebietet ihnen dies Zurückhaltung bei der Breite und Tiefe ihres eigenen zusätzlichen Prüfungshandelns. Als problematisch erweist sich vor diesem Hintergrund allerdings die zunehmende Tendenz der Zuwendungsgeber, sich neben ihrer Präsenz im Senat der MPG oder im Hauptausschuss der DFG auch zusätzliche Kontrolleinblicke durch eine Mitgliedschaft in den jeweiligen Prüfungsausschüssen zu verschaffen. Die jüngste Reform der DFG-Satzung hat dieses Begehren zwar akzeptiert. Im Ergebnis führt diese Rechtslage indessen zu einer Hybridisierung der Aufsichtsfunktion, wenn die öffentliche Hand sowohl privatrechtlich-korporativ als auch öffentlich-rechtlich das Forschungs- und Förderhandeln der Wissenschaftseinrichtungen untersucht. Die Systemwidrigkeit

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dieses Bestrebens zeigt sich schon darin, dass bei konsequenter Wahrnehmung ihrer eigenen Prüfungspflichten die Ministerien und Rechnungshöfe zu den haushaltsrechtlich relevanten Maßnahmen der Wissenschaftsorganisationen letztlich auch das Verhalten der Bundes- und Ländervertreter in deren Gremien kritisch begleiten und gegebenenfalls beanstanden müssen.

V. Die dezentralen Einheiten 1. Stellung und Verantwortung der Institutsleitungen Zu den Besonderheiten der Rechtsform eines Vereins privaten Rechts gehört namentlich die Möglichkeit, auch Personen außerhalb des Vorstands und anderer zentraler Gremien als „besondere Vertreter“ nach § 30 BGB mit einer eigenen – je nach Satzung unentziehbaren99 – korporativen Rechtsstellung auszustatten. Zu diesen „besonderen Vertretern“ gehören in der MPG die Direktoren und Direktorinnen der Institute, die nach der Satzung zur eigenständigen Führung der ihnen anvertrauten Forschungseinrichtungen berechtigt und verpflichtet sind100. Diese Führungsverantwortung bezieht sich nicht lediglich auf einen geschützten Kernbereich wissenschaftlichen Handelns. Weitergehend sind den Institutsleitungen – einzeln oder kollegial – auch die haushaltsrechtlichen und verwaltenden Zuständigkeiten zugewiesen101. Verwaltungsleiter – so die bisherige Regel – besitzen lediglich eine unterstützende Funktion, nicht jedoch ein formelles Vetorecht oder gar eine vollgültige Mitwirkung in der Institutsleitung. Andererseits können die Direktoren und Direktorinnen als besondere Vertreter i.S. des § 30 BGB – darin besteht Einigkeit – auch persönlich für die Einhaltung der VereinsCompliance verantwortlich gemacht werden102. In dieser Konstellation wird das gesamte Spannungsverhältnis zwischen Governance und Compliance deutlich. Einerseits setzt die kombinierte Allokation von wissenschaftlicher und verwaltender Leitung zu den Direktoren und Direktorinnen eben jene Kräfte frei, die ein vorwärtstreibendes, auf Flexibilität angelegtes Forschungsprogramm im internationalen Wettbewerb zum Erfolg führt. Ein wissenschaftlicher Direktor oder eine Direktorin, die an jeder Ecke auf Genehmigungsvorbehalte und Mitspracherechte aus dem Verwaltungsbereich stoßen, können in ihren schnell fortschreitenden, hoch kompetitiven wissenschaftlichen Projekten empfindlich behindert werden. 99 Kling in: beck.online.Grosskommentar, 2019, § 30 BGB Rz. 50; Schwennicke in: Staudinger, BGB-Kommentar, 2019, § 30 BGB Rz. 14–17; Leuschner in: Münchner Kommentar zum BGB, 8.Aufl., 2018, § 30 BGB Rz. 11. 100 § 1 Abs. 2 und § 28 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 101 § 28 Abs. 2 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 102 Schockenhoff a.a.O. (Fn. 20), S. 285 f.

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Es lässt sich vielleicht sogar sagen, dass viele herausragende Scientists im Inund Ausland gerade in dieser breit angelegten satzungsrechtlichen Autonomie den Reiz einer Leitungsposition an einem Max-Planck-Institut erblicken. Doch ist diese großzügige Handlungsfreiheit nicht ohne die korrespondierende Verantwortung zu haben. Und hier brechen sich häufig die persönlichen Anforderungen an die erfolgreiche Durchführung ambitionierter Forschungsprogramme mit denen an eine professionelle ComplianceOrganisation. Der ideale Forscher ist eben typischerweise nicht zugleich sein eigener idealer Geschäftsführer. 2. Beratungsfunktionen Des Rätsels Lösung liegt in einer klugen Kombination aus Beratungs- und Entscheidungsfunktion. In einem ersten Schritt muss darauf geachtet werden, dass den Institutsdirektoren und –direktorinnen in allen wirtschaftlichen, verwaltungstechnischen und rechtlichen Fragen ein schneller und belastbarer Rat erteilt wird. Die Satzung der MPG hat dies antizipiert und verpflichtet daher in erster Linie die Generalverwaltung zur Leistung von Rat und Hilfe103. Hinzu treten an den einzelnen Instituten die jeweiligen Verwaltungsleitungen. Diese unterstehen nicht unmittelbar der Generalverwaltung, sondern dem jeweiligen Kollegium. Insoweit können sich die Direktoren und Direktorinnen von zwei Seiten über den Rahmen ihres Handelns beraten lassen – und sie müssen sich auf diesen Rat auch verlassen dürfen. Selbstverständliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems ist es, dass sowohl in der Generalverwaltung als auch in den dezentralen Verwaltungsbereichen mit hoher Kompetenz und Geschwindigkeit agiert wird. Dennoch gehört es zu den unvermeidbaren Spannungsfeldern einer solchen Konstruktion, dass von Seiten der Wissenschaft tendenziell hohe Freiheitsgrade beansprucht werden, während von Seiten der Verwaltung tendenziell Risikoaversion und Zurückhaltung – gerade in „Graubereichen“ – praktiziert und eingefordert wird. Und es ist ebenso unvermeidbar, dass der steigende Druck der Öffentlichkeit und der Rechnungshöfe diese Akteure in lähmende Übervorsicht treiben kann. Das führt beispielhaft zum Konflikt in der Frage, wer bei „unklarer“ Rechtslage berechtigt ist, über die Inkaufnahme von rechtlichen Risiken zu entscheiden. Die Satzung der MPG erkennt hierzu im Ausgangspunkt eine Entscheidungskompetenz der Direktoren im örtlichen Wirkungskreis an. Doch wird man den Direktoren nicht gestatten können, Risiken einzugehen, die in ihren finanziellen Wirkungen über den lokalen Zusammenhang des konkreten Instituts hinausreichen oder für die Reputation und Rechtslage der MPG in ihrer Gesamtheit rele103

§ 20 Abs. 3 S. 1 MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1).

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vant sind. Im Konfliktfall muss daher die Möglichkeit bestehen, Rechtsfragen von der Institutsebene auf die zentrale Ebene zu heben und letztlich über den Generalsekretär bis in den Verwaltungsrat und zum Präsidenten zu führen. In der DFG tauchen vergleichbare Konstellationen nur selten auf. Namentlich besteht bei der Wahrnehmung von begutachtenden, bewertenden und entscheidenden Funktionen in Fachkollegien, Ausschüssen und ähnlichen Gremien eine klare Aufgabenteilung zwischen den Vertretern der Wissenschaft und den mit der Administration der Verfahren betrauten Mitarbeitern der Geschäftsstelle104. Auch wenn es selbst hier bestimmte Grauzonen gibt, in denen die Kompetenz der Wissenschaft gegenüber der Kompetenz der Verwaltung abgegrenzt werden muss, führt schon die personelle Differenz zwischen den an Bewilligungsverfahren als Gutachter, Bewerter oder Entscheider tätigen Wissenschaftlern und den externen Antragstellern und Begünstigten zu einer Reduktion möglicher Konflikte.

VI. Die institutionelle Compliance-Gesamtverantwortung Es ist bereits betont worden, dass es in multizentrisch verfassten Organisationen für eine ordnungsmäßige Compliance nicht ausreicht, wenn jedes Organ und jeder Akteur in seinem Wirkungskreis darauf verpflichtet werden, die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten. Es muss darüber hinaus geklärt werden, wie zentrale und dezentrale Gremien zusammenwirken müssen, um in ihrem Zusammenspiel den Anforderungen an eine taugliche Compliance zu genügen. Verfehlt eine Satzung dieses Ziel, z.B. durch eine lückenhafte oder widersprüchliche Zuordnung von Kompetenzen oder auch durch eine strukturelle Überforderung von verantwortlichen Personen, so kann sich bei Eintritt von Schäden ein haftungsrelevantes „Organisationsverschulden“ auch dann ergeben, wenn keiner bestimmten Person ein konkreter Vorwurf gemacht werden kann. Um die angemessene Compliance-Struktur einer Organisation in ihrer Gesamtheit sicherzustellen, ist daher auch die Arbeitsteilung zwischen zentralen und dezentralen Einheiten effektiv und effizient zu gestalten. Es darf schließlich keine Situation geschaffen werden, in der sich die Organwalter zentraler Gremien ihrer eigenen Compliance-Verantwortung dadurch entledigen können, dass sie auf die hohen Freiheitsgrade der autonomdezentralen Einrichtungen verweisen. Umgekehrt dürfen sich die konkreten Amtswalter bei Fehlverhalten nicht auf fehlende oversight durch zentrale Organe berufen.

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§ 16 Abs. 5 DFG-Satzung a.a.O. (Fn. 3).

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Dazu gehört zum einen, dass auf zentraler Ebene allgemeine Regelungen zu Organisation, Verwaltung und Finanzen getroffen werden können, die standardisierend und präventiv wirken. Als Beispiele können in Forschungsorganisationen gemeinsame Beschaffungsregeln, zentrale Vorgaben zur Betreuung von Nachwuchswissenschaftlern oder auch vereinheitlichte Vertragsmuster angeführt werden105. In Förderorganisationen können Verhaltensregeln zur Befangenheit von Gutachtern, Bewertern und Entscheidern oder Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis für die geförderten Personen eine erhebliche Rolle spielen. Natürlich dürfen derartige zentrale Vorgaben inhaltlich die Wissenschaftsfreiheit der individuellen Akteure nicht gefährden. Im Verhältnis zwischen Zentralinstanzen und Forschungsebene kann Art. 5 Abs. 3 GG die Reichweite der Steuerungsmaßnahmen der zentralen Einrichtungen einschränken und namentlich unverhältnismäßigen Fesselungen entgegengehalten werden. Kommt es konkret zum Verdacht von Fehlsteuerungen, so tritt in der MPG die Frage nach der anlassbezogenen Aufsicht über die Direktoren und Direktorinnen in den Vordergrund. Im Ausgangspunkt unterliegen diese kraft ihrer Forschungsfreiheit nicht den „Weisungen“ der MPG-Leitung i.S. eines arbeitsrechtlichen Direktionsrechts. Auch korporativ ist ihre Stellung als „besondere Vertreter“ nach § 30 BGB so ausgestaltet, dass sie ihre Eigenkompetenzen gegenüber zentralen Organen der MPG verteidigen können. Doch darf diese Autonomie nicht mit Rechtsfreiheit verwechselt werden. Vielmehr sind die Direktoren und Direktorinnen trotz (oder gar wegen?) ihres autonomen Status gegenüber dem Verein auf Legalität und Satzungskonformität ihres Handelns verpflichtet. Dies gilt auch für die Bindung an Beschlüsse, die von zentralen Organen der MPG im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenz gefasst werden (z.B. Richtlinien zum wissenschaftlichen Nachwuchs oder zur Gleichstellung). Diesen Organpflichten der Direktoren und Direktorinnen entspricht auf Seiten der Gesellschaft die Befugnis des Präsidenten und des Verwaltungsrats, von den Direktoren die Einhaltung dieser Vorgaben erzwingen zu können. Die Satzung aktualisiert dies zunächst mit der Pflicht der Institutsleiter, dem Präsidenten auf dessen Verlangen über Vorgänge am Institut zu berichten106. Stellt der Präsident rechtliche Risiken oder rechtlich bedeutsames Fehlverhalten fest, so kann er – stellvertretend für die Gesellschaft – von den Direktoren oder Direktorinnen die Unterlassung rechtswidrigen Handelns oder die Behebung eines rechtswidrigen Zustands verlangen. Es handelt sich dabei typischerweise nicht um die Ausübung eines arbeitsrechtli105

Exemplarisch: Max-Planck-Gesellschaft, Hinweise und Regeln der Max-PlanckGesellschaft zum verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken, 2017. 106 § 28 Abs. 3 lit. n MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1).

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chen Direktionsrechts, sondern um eine Art „Interorganstreit“107, mit dessen Hilfe Zuständigkeitsfragen geklärt und Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden können. Sind bereits Schäden eingetreten, so kann der Präsident im Namen der Gesellschaft Schadensersatzansprüche gegen die handelnden Personen geltend machen. In Analogie zum Beamtenrecht setzt deren Haftung indessen grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz der Beteiligten voraus. Weitergehend kann nach der Satzung der MPG Fehlverhalten mit einem zeitlich oder inhaltlich beschränkten Entzug der Leitungsbefugnis geahndet werden (dafür ist der Verwaltungsrat zuständig)108 oder mit einem umfassenden und dauerhaften Entzug (dafür ist der Senat zuständig)109. Die praktische Problematik besteht darin, diesen korporativen Entzug der Leitungsfunktion mit den arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Änderungskündigung aus wichtigem Grund) und den vereinsrechtlichen Konsequenzen (Entzug der wissenschaftlichen Mitgliedschaft) abzustimmen. Bei genauer Betrachtung ist jede dieser Rechtsfolgen an je eigene Voraussetzungen gebunden. Es empfiehlt sich, für die Zukunft ein schlüssiges Gesamtkonzept aus tatbestandlichen Voraussetzungen und materiellen Konsequenzen von Compliance-Verstößen zu entwickeln.

VII. Schluss Den Anforderungen an die rechtliche Gestaltung von Wissenschaftseinrichtungen steht der Rechtswissenschaftler in einer Doppelrolle, vielleicht sogar in einem Zwiespalt gegenüber. Als mit Streitfällen erfahrener Jurist weiß er um die elementare Bedeutung der ordnenden, sichernden und ermöglichenden Kraft von Rechtsregeln. Und als Wissenschaftler kennt er das Verlangen nach Forschungsfreiheit und intellektueller Beweglichkeit über die Grenzen der Disziplinen hinweg. Eine ängstliche Überregulierung vermag dieses Konfliktpotential ebenso wenig zu entschärfen wie ein riskantes Laissez Faire. Und eine Transformation der freien und kreativen Köpfe der wissenschaftlichen Welt in Compliance-orientierte Verwalter ihrer Budgets ist von niemandem gewollt. 107 Zum „Organstreit“ in Verbänden grundlegend K.Schmidt a.a.O. (Fn. 61), § 14 IV 2, S. 421 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 359 ff.; zum Stand der Praxis im Bereich vereinsinterner Klagen siehe näher Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 14.Aufl., 2018, Rz. 3257–3260; intensiver ist die Diskussion im Aktienrecht (dafür Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, 4.Aufl., 2019, § 90 AktG Rz. 68–74; vermittelnd Grigoleit/Tomasic in: Grigoleit (Hrsg.), Aktiengesetz, 2013, § 90 AktG Rz. 28–38; verneinend Koch a.a.O. (Fn. 61) § 90 AktG Rz. 16 ff.). 108 Siehe exemplarisch § 28 Abs. 3 lit. i MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1). 109 § 13 Abs. 2 lit. d MPG-Satzung a.a.O. (Fn. 1).

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Die Mitglieder und die Leitungsorgane der großen Wissenschaftsorganisationen, aber auch ihre Finanzgeber in Bund und Ländern sind daher aufgerufen, diese heikle Balance im Lichte der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit zu wahren. Vielleicht am wichtigsten ist dafür neben einem geglückten Regelwerk auch ein in langer Zusammenarbeit erworbenes Vertrauen in Institutionen und Menschen. In seiner Rede „Zur Erneuerung der Universität“ hat Karl Jaspers kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die entscheidende Frage gestellt und in einem Atemzug beantwortet: „Worauf kann das Vertrauen zur Universität ruhen? Am Ende doch nur auf dem Vertrauen zu den Persönlichkeiten, die an ihr wirken.“110 Nichts anders gilt für die großen außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen und ihre öffentliche Wahrnehmung. Es braucht in der Wissenschaft und in den Wissenschaftsorganisationen Menschen wie Klaus Hopt, der diesen Persönlichkeitstypus auf Schönste repräsentiert und dem diese Überlegungen in Freundschaft, aber auch in der gemeinsamen Sorge um das innere Gleichgewicht der verfassten Wissenschaft gewidmet sind.

110 Jaspers, Erneuerung der Universität, Reden und Schriften 1945/46, Nachdruck 1986, S. 282.

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Risikoberichterstattung in der „nichtfinanziellen Erklärung“ Ulrich G. Schroeter

Risikoberichterstattung in der „nichtfinanziellen Erklärung“: Maßstab, Adressaten und gewährleistungsrechtliche Publizitätshaftung ULRICH G. SCHROETER

I. Einleitung Die seit 2017 geltende Pflicht zur Abgabe einer „nichtfinanziellen Erklärung“ (§§ 289b ff. HGB) hat die Unternehmenspublizität um einen neuartigen Bestandteil ergänzt. In Umsetzung der CSR-Richtlinie der EU,1 die ihrerseits Bestandteil der Strategie der EU-Kommission für die soziale Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) ist, sind große Unternehmen von öffentlichem Interesse2 seitdem verpflichtet, jährlich über bestimmte nichtfinanzielle Faktoren zu berichten, darunter die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Gemeinwohlaspekte wie die Umwelt und Menschenrechte. Dass die nichtfinanzielle Berichterstattung grundsätzlich im Lage- oder Konzernlagebericht erfolgen soll (§§ 289b Abs. 1, 2 HGB), schafft dabei gewisse Spannungsfelder, weil Rechnungslegung traditionell über die Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens sowie hierfür bestehende Risiken informieren soll3 („outside in“-Fokus), während die Risikoberichterstattung der nichtfinanziellen Erklärung Folgen der Unternehmenstätigkeit für externe Gemeinwohlbelange in den Blick nimmt („inside out“-Fokus4). Aus der Vielzahl hierdurch aufgeworfener Fragestellungen werden im Folgenden der Maβstab und Bezugspunkt der Risikoberichterstattung (unter II.) sowie der Adressatenkreis der nichtfinanziellen Erklärung (III.) herausgegriffen, bevor untersucht wird, ob ein indirect private

1 Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen (CSR-Richtlinie). 2 Siehe näher § 289b Abs. 1 HGB. 3 Vgl. RegE zum CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drs. 18/9882 vom 17. Oktober 2016, 1. 4 Zur Terminologie Sopp/Baumüller DB 2019, 1801, 1803.

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enforcement der Publizitätspflicht mit Mitteln einer kaufgewährleistungsrechtlichen Publizitätshaftung in Frage kommt (IV.).

II. Konzept- und Risikoberichterstattung über Gemeinwohlaspekte Der Pflichtinhalt der nichtfinanziellen Erklärung ist in §§ 289c–e HGB geregelt, unter denen § 289c HGB den Kern bildet. Vereinfacht gesprochen, regelt § 289c Abs. 2 HGB, worüber berichtet werden muss (dazu unter 1.). Dagegen fächert § 289c Abs. 3 HGB auf, was berichtet werden muss, und differenziert dabei zwischen der elektiven Konzeptberichterstattung (unter 2.) und der nicht-elektiven Risikoberichterstattung (unter 3.). Bei Schaffung der §§ 289b ff. HGB war erklärtermaßen eine 1:1-Umsetzung der Richtlinienvorgaben beabsichtigt,5 sodass eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschriften nicht nur aus unionsrechtlichen Gründen nötig, sondern auch aus entstehungsgeschichtlicher Perspektive besonders naheliegend ist.6 1. Abzudeckende Gemeinwohlaspekte, § 289c Abs. 2 HGB § 289c Abs. 2 Nr. 1–5 HGB listen dabei fünf Gemeinwohlaspekte auf, auf die sich die nichtfinanzielle Erklärung „zumindest“ beziehen muss, nämlich Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung von Menschenrechten sowie die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. Dieser Pflichtinhalt stammt 1:1 aus der Richtlinie und wurde bewusst nicht erweitert, obwohl im Gesetzgebungsverfahren zusätzliche Berichtspflichten etwa zu Kundenbelangen (wie Kundenzufriedenheit und Beschwerdemanagement)7 sowie Datenschutz und -sicherheit8 vorgeschlagen worden waren. 2. Elektive Konzeptberichterstattung („comply or explain“), § 289c Abs. 3 Nr. 1 und 2 HGB Die in § 289c Abs. 3 Nr. 1 und 2 HGB geregelte Konzeptberichterstattung verlangt dabei eine Beschreibung der vom Unternehmen mit Blick auf die einzelnen Gemeinwohlaspekte verfolgten Konzepte einschließlich deren 5

RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 30. Zur Bedeutung der von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers etwa BGH NJW 2012, 1073 Rn. 34 (zu § 439 Abs. 3 BGB a.F.). 7 So BMJV, Konzept zur Umsetzung der CRS-Richtlinie – Reform des Lageberichts, 27. April 2015. 8 Hierzu Blöink/Halbleib Der Konzern 2017, 182, 184. 6

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Ergebnisse, verstanden als die insoweit angestrebten Ziele und die zu deren Erreichung geplanten oder ergriffenen Maßnahmen.9 Für die Konzeptberichterstattung gilt ausweislich § 289c Abs. 4 HGB das „comply or explain“Prinzip, sodass ein Unternehmen entsprechende Konzepte nicht oder nur eingeschränkt verfolgen kann, solange es dies in seiner nichtfinanziellen Erklärung nur klar und begründet erläutert. 3. Nicht-elektive Risikoberichterstattung, § 289c Abs. 3 Nr. 3 und 4 HGB Folgenreicher dürfte die Risikoberichterstattung sein, die § 289c Abs. 3 Nr. 3 und 4 HGB anordnen. Sie nimmt nicht primär die Kapitalgesellschaft, sondern die Risiken für Gemeinwohlbelange in den Blick, die von der Kapitalgesellschaft ausgehen. Gemeint sind nicht nur Risiken, die das Unternehmen bewusst setzt, sondern auch solche, die sich aus seinen Produkten oder Dienstleistungen ergeben (§ 289c Abs. 3 Nr. 4 HGB). Bedeutsam ist, dass die „comply or explain“-Option des § 289c Abs. 4 HGB für die Risikoberichterstattung unstreitig nicht gilt.10 Da wahrscheinliche negative Auswirkungen auf Gemeinwohlaspekte daher nicht einfach durch Entscheidung nebst Begründung der Publizität entzogen werden können, kommt der genauen Reichweite der Risikopublizitätspflicht besondere Bedeutung zu. a) Schwellen der Risikoberichtspflicht § 289c Abs. 3 Nr. 3 und 4 HGB verlangen dabei nicht die Angabe jedes Risikos, sondern nur der „wesentlichen“ Risiken, die mit Geschäftstätigkeit, -beziehungen oder Produkten des Unternehmens verknüpft sind und „sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen“11 auf Gemeinwohlaspekte haben werden. Dies wird als hohe Schwelle angesehen,12 ist 9 Kajüter DB 2017, 617, 621. Vgl. näher Europäische Kommission, Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen, ABl. EU vom 5.7.2017, C 215/1 ff., Tz. 4.2. 10 Blöink/Halbleib Der Konzern 2017, 182, 188; Brunk in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen: Zivilrechtliche Haftung und Berichterstattung als Steuerungsinstrumente, 2018, 165, 176; Kajüter DB 2017, 617, 621 f.; Merkt in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl., 2018, § 289c Rn. 16. 11 Da die CSR-Richtlinie statt von „sehr wahrscheinlich“ nur von „wahrscheinlich“ spricht, dürfen die deutschen Umsetzungsnormen zur Vermeidung der Richtlinienwidrigkeit nicht übermäßig streng ausgelegt werden; krit. zur Wortlautabweichung Eickenjäger in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen: Zivilrechtliche Haftung und Berichterstattung als Steuerungsinstrumente, 2018, 243, 249; Richtlinienkonformität annehmend Rehbinder in: FS Baums, 2017, 959, 969. 12 Vgl. Kajüter DB 2017, 617, 622; M. Schmidt/Strenger NZG 2019, 481, 486.

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aber jedenfalls ein normativer Maßstab, sodass die Wesentlichkeit eines Risikos nicht etwa vom Unternehmen selbst definiert werden kann,13 zumal Risiken für das Gemeinwohl (und nicht für das Unternehmen) selbst gemeint sind.14 Zusätzlich unterliegt die Risikoberichtspflicht einem weiteren Wesentlichkeitsvorbehalt, weil ausweislich des Einleitungssatzes von § 289c Abs. 3 HGB (des „Chapeaus“) nur solche Angaben zu machen sind, die zu Verständniszwecken erforderlich sind. Mit „erforderlich“ soll dasselbe gemeint sein wie mit der Wesentlichkeitsformel des § 289 Abs. 3 HGB,15 obwohl es dort „von Bedeutung ist“ heißt. Unsicher ist allerdings, auf welchen Bezugspunkt sich diese weitere Schwelle bezieht: Wesentlich für das Verständnis wovon? b) Bezugspunkt der Risikoberichtspflicht Quelle von Zweifeln ist die Formulierung des Chapeaus des § 289c Abs. 3 HGB, der diejenigen Angaben verlangt, „die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die in [§ 289c] Absatz 2 genannten Aspekte“ erforderlich sind. aa) Kumulationslösung? Ausweislich der Gesetzesbegründung16 sollen die aufgezählten Bezugspunkte gleichsam als zwei Gruppen zu lesen sein: Ein Gemeinwohlrisiko i.S.d. § 289c Abs. 3 Nr. 3 oder 4 HGB ist danach nur berichtspflichtig, wenn diese Information sowohl für das Verständnis von Lage und Entwicklung der Kapitalgesellschaft als auch für das Verständnis der Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Gemeinwohlbelange erforderlich ist; das Bindewort „sowie“ wird also als „sowie zugleich“ gelesen.17 Nach dieser Auslegung, der sich das Schrifttum fast einhellig angeschlossen hat,18 stellt § 289c Abs. 3 HGB neben eine „Unternehmenssäule“ gleichsam eine gesonderte „Gemeinwohlsäule“, die stets beide betroffen sein müssen, um eine Berichts13

Anders M. Schmidt/Strenger NZG 2019, 481, 486. Störk/Schäfer/Schönberger in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl., 2020, § 289c HGB Rn. 55. 15 RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 48; Störk/Schäfer/Schönberger (Fn. 14) § 289c HGB Rn. 30. Vgl. näher Europäische Kommission, Leitlinien (Fn. 9) Tz. 3.1. 16 RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 48 f. 17 Vgl. RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 48; Kajüter DB 2017, 617, 620. 18 Blöink/Halbleib Der Konzern 2017, 182, 186; Brunk (Fn. 10) 175; Kajüter DB 2017, 617, 620 f.; Kumm/Woodtli Der Konzern 2016, 218, 222; Merkt (Fn. 10) § 289c Rn. 9; Rimmelspacher/Schäfer/Schönberger KoR 2017, 225, 227; M. Schmidt/Strenger NZG 2019, 481, 485; Sopp/Baumüller DB 2019, 1801, 1804; Störk/Schäfer/Schönberger (Fn. 14) § 289c HGB Rn. 31; wohl auch Seibt DB 2016, 2707, 2711. 14

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pflicht auszulösen. Im Bereich der Risikoberichterstattung sind danach selbst schärfste Beeinträchtigungen eines Gemeinwohlaspekts i.S.d. § 289c Abs. 2 HGB nicht berichtspflichtig, solange sie nicht auch die Lage des verursachenden Unternehmens wesentlich beeinträchtigen. Diese „Kumulationslösung“ bewirkt erkennbar eine erhebliche Einschränkung der Publizitätspflicht.19 Zwar wird verbreitet angeführt, dass es zwischen den beiden Säulen der Berichtspflicht häufig Wechselwirkungen geben werde,20 etwa wenn eine Beeinträchtigung von Menschenrechten die Reputation des Unternehmens und damit seine Geschäftsaussichten beschädige.21 Hier springt die Beeinträchtigung der „Gemeinwohlsäule“ also gleichsam auf die „Unternehmenssäule“ über und wird – folgt man der h.M. – (erst) dadurch berichtspflichtig. Allerdings sind durchaus Fälle denkbar, in denen dies anders ist und daher keine CSR-Publizitätspflicht ausgelöst wird. Setzt ein Unternehmen etwa – überspitzt formuliert – Kinderarbeit ein, achtet aber darauf, dass dieser Umstand nicht bekannt wird und kann zudem auf eine nicht endende Anzahl an Kinderarbeitern zurückgreifen, so muss es dies der h.M. zufolge nicht erklären, weil die Lage der Kapitalgesellschaft nicht betroffen ist. Und auch der Hinweis auf einen drohenden gravierenden Imageverlust mit der Folge von Absatzeinbrüchen22 beruht erkennbar auf einem Zirkelschluss: Ein Imageverlust droht ja nur, wenn die Gemeinwohlbeeinträchtigung öffentlich bekannt wird, und diese Bekanntheit soll die nichtfinanzielle Erklärung überhaupt erst bewirken.23 bb) Gemeinwohlbeeinträchtigungen als eigenständiger Bezugspunkt Richtigerweise ist die herrschende Kumulationslösung mit Wortlaut und Systematik des § 289c Abs. 3 HGB unvereinbar.24 Denn die Vorschrift benennt ausdrücklich spezifische Bezugspunkte für die Berichtspflichten einerseits über Risiken (in Nr. 3, 4: „die sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen auf die in Absatz 2 genannten [Gemeinwohl]Aspekte haben oder haben werden“) und andererseits über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren (in Nr. 5: „die für die Geschäftstätigkeit der Kapitalgesellschaft von Bedeutung sind“), was erkennbar sinnlos wäre, wenn durchweg nur solche Aspekte einer Publizitätspflicht unterlägen, die sowohl für die „Unternehmens-“ als auch die „Gemeinwohlsäule“ relevant sind. 19

Kritisch Eickenjäger (Fn. 11) 249. RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 49; Brunk (Fn. 10) 175 f.; Merkt (Fn. 10) § 289c Rn. 9; Rimmelspacher/Schäfer/Schönberger KoR 2017, 225, 227. 21 RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 49. 22 So RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 49. 23 Vgl. Bachmann ZGR 2018, 231, 244. 24 Rehbinder (Fn. 11) 970. 20

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Nach Lesart der h.M. fiele der Pflichtinhalt der nichtfinanziellen Erklärung zudem schmaler aus als derjenige der schon seit 2005 geltenden Berichtspflicht über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren (§ 289 Abs. 3 HGB),25 sodass wir es mit keiner Transparenzerhöhung, sondern -absenkung zu tun hätten (!) – eine Interpretation, die mit dem gesetzgeberischen Willen evident unvereinbar ist. Deutlich macht dies auch die CSR-Richtlinie,26 die § 289c Abs. 3 HGB „eins zu eins“ umsetzen soll. Deren Erwägungsgründe stellen klar, dass ein selbständiger Zweck der nichtfinanziellen Erklärung darin liegt, über die aktuellen und vorhersehbaren Auswirkungen der Geschäftstätigkeit einzelner Unternehmen auf die Umwelt und andere Gemeinwohlbelange zu informieren.27 Da der Öffentlichkeit so ermöglicht werden soll, diese Auswirkungen auf die Gesellschaft zu messen, zu überwachen und zu handhaben,28 geht es der Risikoberichterstattung um die Folgen der Unternehmenstätigkeit für das Gemeinwohl, nicht um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens.29 Ähnliche nichtfinanzielle Publizitätspflichten kennen wir im neueren, EUrechtlich determinierten Rechnungslegungsrecht auch in Gestalt des Zahlungsberichts (§§ 341q ff. HGB), der seit 2015 von Kapitalgesellschaften veröffentlicht werden muss, die in der mineralgewinnenden Industrie tätig sind oder Holzeinschlag in Primärwäldern betreiben:30 Dieser Bericht hat Zahlungen an staatliche Stellen ganz unabhängig davon auszuweisen, ob und welche Folgen diese für die Lage des zahlenden Unternehmens hatten, weshalb es sich auch insoweit nicht im klassischen Sinne um einen Bestandteil der Rechnungslegung handelt.31 Stattdessen geht es um Korruptionsbekämpfung,32 und zwar auch und gerade in Drittstaaten, weshalb der deutsche Gesetzgeber ganz unverhohlen von einer Maβnahme der Entwicklungszusammenarbeit33 spricht.

25 So in der Tat Kajüter DB 2017, 617, 620: „Mithin wird die Berichtspflicht nach § 289c HGB auf eine Teilmenge der bisher schon nach § 289 Abs. 3 HGB berichtspflichtigen Themen begrenzt“; Rimmelspacher/Schäfer/Schönberger KoR 2017, 225, 227; Störk/ Schäfer/Schönberger (Fn. 14) § 289c HGB Rn. 31. 26 Vgl. zu diesem Fragenkreis schon im Entstehungsstadium der CSR-Richtlinie Hommelhoff/Mattheus in: Staub, HGB, 5. Aufl., 2013, §§ 289/289a Rn. 8. 27 Erwägungsgründe 7 und 8 zur CSR-Richtlinie. 28 Erwägungsgrund 3 zur CSR-Richtlinie. 29 Europäische Kommission, Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen: Nachtrag zur klimabezogenen Berichterstattung (2019/C 209/01), ABl. EU vom 20.6.2019, C 209/1 ff., Tz. 2.2; Rehbinder (Fn. 11) 970; Spießhofer NZG 2014, 1281, 1282. 30 Diese Publizitätspflicht setzt Vorgaben in Art. 41 ff. der EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 um. 31 So RegE zum BilRUG vom 20.2.2015, BT-Drs. 18/4050, S. 47 f. 32 Spießhofer NZG 2014, 1281. 33 RegE zum BilRUG (Fn. 31) 49.

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Im Ergebnis sind aus der Unternehmenstätigkeit erwachsene Gemeinwohlrisiken daher unabhängig davon nach § 289c Abs. 3 Nr. 3, 4 HGB berichtspflichtig, ob sie auch die wirtschaftliche Lage des Unternehmens beeinträchtigen.34

III. Adressaten der nichtfinanziellen Erklärung Aus dem Gesagten lassen sich Schlüsse für die allgemeinere Fragestellung ableiten, an welche Adressaten sich nichtfinanzielle Erklärungen richten, wen sie also informieren sollen.35 Schon der Adressatenkreis des Lageberichts, dessen Bestandteil die nichtfinanzielle Erklärung im Regelfall (§ 289b Abs. 1 HGB) bildet, ist in den letzten Jahrzehnten sukzessive ausgeweitet worden: Stellte er ursprünglich allein die finanzielle Werthaltigkeit des Unternehmens mit Informations- und Warnfunktion für Investoren (Kapitalanleger) dar,36 werden in jüngerer Zeit weitere Interessenträger (stakeholder) zu seinen Adressaten gezählt, wie Gesellschafter, Gläubiger, Arbeitnehmer und Lieferanten.37 Allerdings gilt auch deren Informationsinteresse unverändert der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, sodass – konsequent – nichtfinanzielle Leistungsindikatoren seit 2005 nur in den Lagebericht aufgenommen werden müssen, soweit sie für das Verständnis von Geschäftsverlauf oder Lage der großen Kapitalgesellschaft von Bedeutung sind (§ 289 Abs. 3 letzter Halbsatz HGB). Dagegen verfügt die nichtfinanzielle Erklärung insofern über einen gröβeren Adressatenkreis,38 als sie sich auch an die allgemeine, nicht an der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens interessierte Öffentlichkeit richtet.39 Anders als die übrige Lageberichtberichterstattung soll sie nicht nur diejenigen Teile der allgemeinen Öffentlichkeit informieren, die ihre Transaktionsentscheidungen als Investoren, Gesellschafter, Lieferanten oder Arbeitnehmer40 an wirtschaftlichen Faktoren ausrichten: Die nichtfinanzielle Erklärung richtet sich auch an diejenigen Investoren und Verbraucher, die künftige Transaktionen allein vom Umgang des Unternehmens mit 34

So auch Europäische Kommission, Leitlinien (Fn. 29) Tz. 2.2; Rehbinder (Fn. 11) 970. Vgl. hierzu schon früh Hommelhoff/Mattheus (Fn. 26) §§ 289/289a Rn. 5. 36 Lange in: MünchKommHGB, 3. Aufl., 2013, § 289 Rn. 7 f. 37 Fink/Kajüter/Winkeljohann, Lageberichterstattung, 2013, 11 f.; Kajüter DB 2017, 617, 618; Lange (Fn. 36) § 289 Rn. 3. 38 Spießhofer NZG 2014, 1281, 1282: „Paradigmenwechsel“. 39 Vgl. Erwägungsgrund 5 zur CSR-Richtlinie: „Informationen […], die der Öffentlichkeit und den Behörden unionsweit von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden müssen“; RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 47: „Perspektive der Allgemeinheit“; Störk/Schäfer/Schönberger (Fn. 14) § 289c HGB Rn. 3. Europäische Kommission, Leitlinien (Fn. 9) Tz. 3.5 spricht von der „Zivilgesellschaft“. 40 Vgl. Brunk (Fn. 10) 190; Kajüter DB 2017, 617, 618. 35

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Gemeinwohlbelangen abhängig machen,41 und sogar die ausschlieβlich gemeinwohlfokussierte Öffentlichkeit, der am wirtschaftlichen Austausch mit berichtspflichtigen Unternehmen gar nicht gelegen ist, die sich also nur für deren soziale Verantwortung interessiert. An dieser Ausrichtung wird damit die zunehmend gesellschaftspolitische Zielsetzung des neueren EU-Publizitätsrechts42 erkennbar.

IV. Indirect private enforcement durch gewährleistungsrechtliche Publizitätshaftung Unter den Sanktionen, die bei einer unrichtigen nichtfinanziellen Erklärung eingreifen, dürfte sodann der privatrechtlichen Haftung (private enforcement) wesentliche Bedeutung zukommen.43 Bislang konzentriert sich die Diskussion insoweit primär auf die kapitalmarktrechtliche Informationshaftung gegenüber Investoren,44 die seit jeher als Adressaten des Lageberichts45 anerkannt sind; man mag insoweit von direct private enforcement sprechen. Da die nichtfinanzielle Erklärung jedoch daneben auch Erwerber der Produkte des publizitätspflichtigen Unternehmens informieren soll, stellt sich die Frage, ob der Verkäufer solcher Produkte gewährleistungsrechtlich haftet, wenn bei der Produktion etwa Menschenrechte verletzt wurden, obwohl das Unternehmen in seiner nichtfinanziellen Erklärung pflichtwidrig nicht auf dieses Risiko hingewiesen oder etwa erklärt hatte, dass „keine Kinderarbeit“ verwandt werde. Damit steht ein indirect private enforcement der Publizitätspflicht nach §§ 289b ff. HGB mit Mitteln des Kaufgewährleistungsrechts (§§ 434 ff. BGB) in Rede. 1. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB als gewährleistungsrechtliche Publizitätshaftungsnorm Ansatzpunkt für eine solche kaufrechtliche Haftung ist § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, dem zufolge jeder Verkäufer für das Fehlen von Eigenschaften einer Kaufsache haftet, die der Käufer nach den „öffentlichen Äußerungen“ des Verkäufers, des Herstellers oder seines Gehilfen insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache 41 Lange (Fn. 36) § 289 Rn. 7. Die zunehmende Bedeutung nichtfinanzieller Aspekte in der heutigen Praxis betonen Blöink/Halbleib Der Konzern 2017, 182, 183. 42 Seibt DB 2016, 2707, 2708 f. 43 Bachmann ZGR 2018, 231, 247 ff.; Seibt DB 2016, 2707, 2715; Spießhofer NZG 2014, 1281, 1283. 44 Vgl. Brunk (Fn. 10) 190 ff.; Roth-Mingram NZG 2015, 1341, 1344 f.; Seibt DB 2016, 2707, 2715. 45 Oben III.

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erwarten kann. Diese Vorschrift setzt eine Vorgabe der EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie von 199946 um und soll das Verständnis des Sachmangels stärker an die Gegebenheiten des modernen arbeitsteiligen Produktions- und Absatzprozesses anpassen.47 Zu diesen gehört der bekannte Umstand, dass Käufer sich heute vielfach schon im Vorfeld der Vertragsanbahnung aus allgemein zugänglichen Quellen (insbesondere im Internet) über Produkte informieren.48 Die Informationsvermittlung wird damit aus dem einzelnen Vertragsschlussvorgang aus- und diesem zeitlich vorgelagert, indem sie zunehmend de-individualisiert im Wege der Publizität (also der Information der Öffentlichkeit) erfolgt. Käufer, die ihrer Kaufentscheidung derartige öffentliche Äußerungen zugrunde legen, sollen im Gegenzug auf deren inhaltliche Richtigkeit vertrauen können.49 § 434 Abs. 1 S. 3 BGB führt damit gleichsam zu einer gewährleistungsrechtlichen Publizitätshaftung des Verkäufers, die das traditionelle Kaufrecht so nicht kannte. 2. Weiter Beschaffenheitsbegriff des geltenden Kaufrechts und Gemeinwohlauswirkungen der Unternehmenstätigkeit Von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB erfasste öffentliche Äußerungen konkretisieren dabei die Beschaffenheit der Kaufsache, deren Vorhandensein der Verkäufer gemäß § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB schuldet.50 Betreffen Angaben in einer nichtfinanziellen Erklärung, die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit eines warenproduzierenden oder -vertreibenden Unternehmens auf Gemeinwohlbelange benennen, die „Beschaffenheit“ dieser Waren? a) Beschaffenheitsbegriff des § 434 BGB Unter dem bis 2001 geltenden § 459 BGB a.F. hatte man als Fehler grds. nur Mängel anerkannt, die in der körperlichen Beschaffenheit der Kaufsache lagen. Für tatsächliche, wirtschaftliche, soziale oder rechtliche Beziehungen der Sache zu ihrer Umwelt, die die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache beeinflussten, galt dasselbe damals nur, wenn diese Beziehungen in der Beschaffenheit des Kaufgegenstandes selbst ihren Grund hatten, ihm selbst unmittel46 Art. 2 Abs. 2 lit. d Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter („Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie“). 47 H.P. Westermann in: MünchKommBGB, 8. Aufl., 2019, § 434 Rn. 26. 48 Asmussen NJW 2017, 118, 119; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse, 5. Aufl., 2018, § 2 Rn. 73; Weiler WM 2002, 1784, 1785. 49 RegE zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drs. 14/6040, 214; Weidenkaff in Palandt, BGB, 78. Aufl., 2019, § 434 Rn. 32; Weiler WM 2002, 1784, 1787. 50 BGH NJW 2019, 2380 Rn. 13; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 236; D. Schmidt in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB, 13. Aufl., 2018, § 434 Rn. 48; Weidenkaff (Fn. 49) § 434 Rn. 31, 33.

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bar innewohnten, von ihm ausgingen; sie durften sich also nicht erst durch Heranziehen von außerhalb des Kaufgegenstandes liegenden Verhältnissen oder Umständen ergeben.51 Demgegenüber geht der geltende § 434 BGB von einem wesentlich weiteren Sachmangelbegriff aus:52 Als Beschaffenheit werden nunmehr sowohl alle Faktoren angesehen, die der Sache selbst anhaften, als auch sämtliche Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben.53 Höchstrichterlich bislang noch nicht geklärt54 ist nur, ob die genannten Beziehungen ihren Ursprung in der Sache selbst, also in deren physischem Zustand haben müssen,55 oder ob jeder tatsächliche Bezug der Sache zur Umwelt ausreicht.56 Zutreffend erscheint letzterer Ansatz, denn was der Käufer nach der Verkehrsauffassung erwarten kann, bestimmt auch den Preis, den er für eine entsprechend beschaffene Kaufsache zu zahlen bereit ist. Fehlt eine vorhersehbar wertbeeinflussende Umweltbeziehung, so ist das Äquivalenzverhältnis gestört und die ratio legis der §§ 434 ff. BGB einschlägig. Eine Beschränkung auf physische Faktoren schriebe demgegenüber eine Unterscheidung fort, die einem ganz anders strukturierten Kaufgewährleistungsrecht entstammt und maβgeblich vom Ziel getrieben war, den Anwendungsbereich der kurzen Verjährung nach § 477 BGB a.F. einzuschränken.57 Der geltende Sachmangelbegriff ist dagegen EU-rechtlich determiniert und muss autonom interpretiert werden. Im Übrigen wurden auch schon bisher Umweltbeziehungen als gewährleistungsrechtlich geschuldete Beschaffenheit anerkannt, die mit dem physischen Zustand der Sache bei lebensnaher Betrachtung nichts zu tun hatten, sondern aus anderen Gründen nach der Verkehrsauffassung deren Wert beeinflussten. Dies ist schon früh für die Herkunft eines Bildes aus einer bestimmten Privatsammlung58 und in jüngerer Zeit etwa zur Herstellergarantie 51 St. Rspr., BGH NJW-RR 1988, 10, 11; BGH NJW 1991, 1673, 1675; BGH NJW 1996, 2025, 2026. 52 BGH NJW 2016, 2874 Rn. 9; Grunewald in: Erman, BGB, 15. Aufl., 2017, § 434 Rn. 3. 53 BGH NJW 2011, 1217, 1218 Rn. 13; BGH NJW 2013, 1671, 1672 Rn. 10; BGH NJW 2013, 1948, 1949 Rn. 15; BGH NJW 2016, 2874 Rn. 10; Grunewald (Fn. 52) § 434 Rn. 4; D. Schmidt (Fn. 50) § 434 Rn. 14; Weidenkaff (Fn. 49) § 434 Rn. 10. 54 Ausdrücklich offen gelassen in BGH NJW 2013, 1948, 1949 Rn. 15; BGH NJW 2016, 2874, 2875 Rn. 13; unentschieden auch Faust in BeckOK-BGB, 52. Ed. (Stand: 1.11.2019), § 434 Rn. 23, 28. 55 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118, 124; Grunewald (Fn. 52) § 434 Rn. 3. 56 In diesem Sinne Asmussen NJW 2017, 118, 120; Berger in Jauernig, BGB, 17. Aufl., 2018, § 434 Rn. 6 f.; Görgen Unternehmerische Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 2019, 436; Reinicke/Tiedtke Kaufrecht, 8. Aufl., 2009, Rn. 303 ff.; SchmidtRäntsch AnwBl 2009, 260, 261; Schulze/Ebers JuS 2004, 462, 463; Redeker NJW 2012, 2471, 2473 f.; Ziegler DStR 2005, 873, 876. 57 RegE zum SchuldrechtsmodG (Fn. 49) 212; Redeker NJW 2012, 2471, 2474. 58 RG, DJ 1935, 268; a.A. Grunewald (Fn. 52) § 434 Rn. 41.

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für einen PKW59 entschieden worden. Selbiges muss beispielsweise für Hühnereier „aus Freilandhaltung“ gelten: Dass manche Käufer bereit sind, für solche Eier einen höheren Preis zu bezahlen als für Eier aus Käfighaltung, belegt, dass die Haltung der eierlegenden Hühner nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der gelegten Eier hat. Es handelt sich bei der Freilandhaltung somit um eine Beschaffenheit der Eier, ohne dass es darauf ankommen darf (und im Streitfall bewiesen werden muss), ob sich die Haltungsart im physischen Zustand der Eier niedergeschlagen hat, denn der Käufer hat den höheren Kaufpreis erkennbar mit Blick auf die Haltungsart gezahlt. b) Gemeinwohlauswirkungen der Warenproduktion und Verkehrsauffassung Das Kriterium der Verkehrsauffassung ermöglicht es damit, die Anschauung relevanter Verkehrskreise bezüglich wertbildender und damit preisrelevanter Umstände zu erfassen. Dabei ist die Verkehrsauffassung nicht statisch, sondern kann sich im Laufe der Zeit ändern. Heutzutage wird verbreitet angenommen, dass insbesondere Verbraucher auch auf nichtfinanzielle Auswirkungen der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens achten, wenn sie entscheiden, welche Produkte sie erwerben und nutzen.60 Dabei wird nicht jeder Gemeinwohlbelang, der nach § 289c Abs. 2 HGB in nichtfinanziellen Erklärungen thematisiert werden muss, nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Produkte haben, die das publizierende Unternehmen herstellt oder vertreibt. Bei Sozialbelangen einschlieβlich des Dialogs auf kommunaler und regionaler Ebene (§ 289c Abs. 2 Nr. 3 HGB) oder der Bekämpfung von Korruption und Bestechung (§ 289c Abs. 2 Nr. 5 HGB) mag dies weniger naheliegen als bei Umwelt- und Arbeitnehmerbelangen (§ 289c Abs. 2 Nr. 1, 2 HGB) oder der Achtung von Menschenrechten (§ 289c Abs. 2 Nr. 4 HGB). Dies kann jedoch je nach Produkt und Käuferkreis durchaus variieren – entscheidend ist eben die jeweilige Verkehrsauffassung. Der Konzeptberichterstattung mag dabei ebenso Einfluss auf die Wertschätzung einer Kaufsache zukommen wie der Risikoberichterstattung (dort wohl vor allem den Angaben zur Handhabung von Risiken); neben nichtfinanziellen Erklärungen produzierender Unternehmen können auch solche des Vertriebssektors relevant sein (etwa Aussagen zum „fairen Handel“). Je präziser die konkreten Angaben sind, umso mehr mögen sie Käuferwartungen prägen,61 59

BGH NJW 2016, 2874 Rn. 15. RegE zum CSR-RUG (Fn. 3) 1; Glinski/Rott EuZW 2003, 649, 650; Störk/Schäfer/ Schönberger (Fn. 14) § 289c HGB Rn. 2. 61 Die generelle Empfehlung einer geringen Detailtiefe in der Berichterstattung wird dabei als mit §§ 289b ff. HGB inkompatibel angesehen; so Seibt DB 2016, 2707, 2711. 60

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wobei auβer (praktisch wohl seltenen) spezifisch produktbezogenen Angaben – je nach Verkehrsauffassung – auch herstellungsbezogene62 oder unternehmensbezogene63 Angaben bedeutsam sein können. Obwohl Aspekte der sozialen Unternehmensverantwortung bislang als primär für Verbraucher bedeutsam angesehen werden, können sie auch für unternehmerische Käufer eine Rolle spielen, etwa wenn die Weiterveräuβerbarkeit von Produkten beeinträchtigt ist oder das kaufende Unternehmen selbst bestimmten Gemeinwohlstandards genügen will. Allgemein ist zu prognostizieren, dass die Bedeutung der Gemeinwohlkonformität infolge der zunehmenden „Monetarisierung von CSRBelangen“64 künftig wachsen wird. Abhängig von der Verkaufsauffassung dürfte aber schon heute jedenfalls ein umweltverträglicher Herstellungsprozess als „Beschaffenheit“ produzierter Sachen i.S.d. § 434 BGB in Frage kommen.65 3. „Öffentliche Äußerungen“ (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB) und deren Gegenstand Lassen sich nichtfinanzielle Erklärungen zudem als „öffentliche Äußerungen“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB einordnen, führt dies zur Haftung (§§ 437 ff. BGB) der publizierenden Kapitalgesellschaft, die betroffene Güter an einen Käufer verkauft hatte, der sich auf das Fehlen der erklärungsgerechten Beschaffenheit beruft. Zudem können unrichtige Angaben eines Warenherstellers die Haftung von Verkäufern in der sich anschlieβenden Vertriebskette bewirken, die allerdings einer (un-)kenntnisbezogenen Entlastungsmöglichkeit unterliegt (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB). a) Öffentliche Äuβerungen als Prägung von Beschaffenheitserwartungen Nichtfinanzielle Erklärungen erfolgen unproblematisch „öffentlich“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, also gegenüber einem nicht bestimmten Adressatenkreis,66 denn sie werden als Teil des Lageberichts im elektronischen Bundesanzeiger öffentlich67 bekannt gemacht (§ 325 Abs. 2 HGB). Haftungsbe62

Asmussen NJW 2017, 118, 120. Görgen (Fn. 56) 437 f.; a.A. Asmussen NJW 2017, 118, 120. 64 So Seibt DB 2016, 2707, 2715. 65 Asmussen NJW 2017, 118, 120; Glinski/Rott EuZW 2003, 649, 653; Weller/Kaller/ Schulz AcP 216 (2016), 387, 399; a.A. Grunewald (Fn. 52) § 434 Rn. 7. 66 Faust (Fn. 54) § 434 Rn. 84; Görgen (Fn. 56) 432; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 237; Oetker/Maultzsch (Fn. 48) § 2 Rn. 73; D. Schmidt (Fn. 50) § 434 Rn. 51; Weidenkaff (Fn. 49) § 434 Rn. 34; H.P. Westermann (Fn. 47) § 434 Rn. 27. 67 Vgl. Merkt (Fn. 10) § 325 Rn. 4: „zentrale Publizität beim elektronischen Bundesanzeiger“. 63

Risikoberichterstattung in der „nichtfinanziellen Erklärung“

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gründende Wirkung kommt öffentlichen Äuβerungen dabei deshalb zu, weil sie die Erwartung des durchschnittlichen Käufers an die Beschaffenheit der Sache prägen.68 § 434 Abs. 1 S. 3 BGB setzt hierzu keinen Haftungswillen des Erklärenden voraus, sodass die „öffentliche Äußerung“ sich maβgeblich von der „Zusicherung“ (§ 459 Abs. 2 BGB a.F.) unterscheidet, denn sie ist keine Willenserklärung69 und erfordert daher auch keinen Rechtsbindungswillen.70 § 434 Abs. 1 S. 3 BGB kommt vielmehr gerade in Fällen zum Zug, in denen eine Äußerung nicht Vertragsinhalt geworden ist,71 weil weder Käufer noch Verkäufer vor oder bei Vertragsschluss darauf Bezug genommen haben.72 b) „Bestimmte Eigenschaften der Sache“ als Gegenstand öffentlicher Äußerungen Auch dass § 434 Abs. 1 S. 3 BGB von öffentlichen Äußerungen „über bestimmte Eigenschaften der Sache“ spricht, steht der Erfassung nichtfinanzieller Erklärungen nicht entgegen. Der Anwendungsbereich der Norm wird nämlich trotz des Wortlautunterschieds mit demjenigen des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB gleichgesetzt, sodass man Äußerungen über jedwede Beschaffenheit73 sowie solche zur Verwendbarkeit der Sache74 abgedeckt sieht. Schon deshalb erfasst § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB auch Äuβerungen zur Gemeinwohlwahrung während der Produktion75 einschlieβlich Angaben in nichtfinanziellen Erklärungen.76 Im Übrigen ist diese Detailfrage ohnehin nur noch von Interesse, bis am 1. Januar 2022 die neue EU-Warenkauf-Richtlinie77 in Kraft tritt: Diese stellt zwar weiterhin auf „öffentliche Erklärungen“78 ab, bezieht 68

BGH NJW 2019, 2380 Rn. 14; Weiler WM 2002, 1784, 1785. Bachmann ZGR 2018, 231, 234: nicht Willens-, sondern Wissenserklärung. 70 Vgl. Leyens AcP 215 (2015), 611, 631. 71 Reinicke/Tiedtke (Fn. 56) Rn. 330; H.P. Westermann (Fn. 47) § 434 Rn. 27; Ziegler DStR 2005, 873, 876. 72 Faust (Fn. 54) § 434 Rn. 77; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 236. 73 Glinski/Rott EuZW 2003, 649, 653 ff.; Görgen (Fn. 56) 435 f.; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 237; Grunewald (Fn. 52) § 434 Rn. 25; Reinicke/Tiedtke (Fn. 56) Rn. 333; H.P. Westermann (Fn. 47) § 434 Rn. 27; a.A. Canaris in: E. Lorenz (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, Karlsruher Forum 2002, 5, 61 ff. 74 Berger (Fn. 56) § 434 Rn. 15; H.P. Westermann (Fn. 47) § 434 Rn. 27. 75 Weller/Kaller/Schulz AcP 216 (2016), 387, 399. 76 Görgen (Fn. 56) 433; H.P. Westermann (Fn. 47) § 434 Rn. 27; a.A. Seibt DB 2016, 2707, 2715; möglicherweise auch Weiler WM 2002, 1784, 1787 f. 77 Richtlinie 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG. 78 Dass die neue Richtlinie statt von „öffentlichen Äußerungen“ von „öffentlichen Erklärungen“ spricht, bedeutet keine Inhaltsänderung, weil es in den englischsprachigen Fassungen unverändert „any public statement made“ heißt. 69

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diese jedoch nicht länger auf bestimmte Eigenschaften des Gutes. Stattdessen sind künftig alle öffentlichen Äuβerungen zu „Menge, Qualität und sonstigen Merkmale[n]“ der Kaufsache, einschließlich ihrer Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit79 umfasst, worunter unproblematisch auch durch nichtfinanzielle Erklärungen begründete Beschaffenheitserwartungen fallen. 4. Keine Kausalität für individuellen Kaufentschluss erforderlich Bedeutsam ist schlieβlich, dass § 434 Abs. 1 S. 3 BGB eine Hürde nicht enthält, an der Ansprüche aufgrund kapitalmarktrechtlicher Informationshaftung80 oder die Vertragsanfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB)81 häufig scheitern: § 434 Abs. 1 S. 3 BGB erfordert nicht, dass die öffentliche Äußerung die Kaufentscheidung des konkreten Käufers nachweisbar beeinflusst hat,82 denn es geht – wie stets unter § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB – um die objektive Verkehrserwartung83 und somit darum, was ein vernünftiger Durchschnittskäufer erwarten kann.84 Die Verkäuferhaftung entfällt unter Kausalitätsgesichtspunkten daher nur, sofern eine öffentliche Äußerung „die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte“ (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB) – gemeint ist als abstrakter Maβstab der Kaufentschluss eines durchschnittlichen Käufers des betreffenden Verkehrskreises, ohne dass es auf den konkreten Käufer ankommt (und darauf, ob dieser überhaupt Kenntnis von der Äußerung hatte).85 Den Nachweis, dass ein Einfluss auf einen Durchschnittskäufer ausgeschlossen ist,86 hat dabei der Verkäufer zu führen.87 Da ihm dies regelmäβig schwer fallen dürfte, läuft die kausalitätsbezogene Entlastungsmöglichkeit praktisch leer.88

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Art. 7 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2019/771 (Fn. 77). Statt vieler BGH NJW 2014, 2668, 2671; Leyens AcP 215 (2015), 611, 648. 81 Zu unrichtigen Angaben in CSR-Codes Asmussen NJW 2017, 118, 121; zum „VWDiesel-Skandal“ Oechsler NJW 2017, 2865, 2867 f. 82 Kowala Die Haftung des Verkäufers für unrichtige Werbeangaben, 2006, 141; a.A. Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 238. 83 Medicus/Lorenz Schuldrecht II, 18. Aufl., 2018, § 6 Rn. 18. 84 Vgl. Kowala (Fn. 82) 141 f. 85 Vgl. Oetker/Maultzsch (Fn. 48) § 2 Rn. 79; Weidenkaff (Fn. 49) § 434 Rn. 39. Dies übersehen (zur CSR-Berichterstattung) Bachmann ZGR 2018, 231, 247; Roth-Mingram NZG 2015, 1341, 1345. 86 A.A., weil insofern auf den konkreten Käufer abstellend D. Schmidt (Fn. 50) § 434 Rn. 58; Ziegler DStR 2005, 873, 877. 87 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 238; Weidenkaff (Fn. 49) § 434 Rn. 39. 88 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 239; Kowala (Fn. 82) 142; D. Schmidt (Fn. 50) § 434 Rn. 58; Weiler WM 2002, 1784, 1793. 80

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V. Schluss Die „nichtfinanzielle Erklärung“ EU-rechtlicher Provenienz, die groβe Kapitalgesellschaften jährlich zu veröffentlichen haben (§§ 289b ff. HGB), hat eine neue Spielart der Unternehmenspublizität geschaffen, die mit Mitteln des Rechnungslegungsrechts Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf Gemeinwohlbelange publik machen soll. Sie greift daher unabhängig davon ein, ob auch die Unternehmenslage berichtspflichtig betroffen ist,89 und richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit einschlieβlich deren allein gemeinwohlfokussierter Teile.90 Flankiert wird sie durch eine Verkäuferhaftung für öffentliche Äuβerungen (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB) über Gemeinwohlbelange, die ebenfalls auf EU-rechtlichen Vorgaben beruht und sich als gewährleistungsrechtliche Publizitätshaftung einordnen lässt.91 Die so verstandene nichtfinanzielle Publizität kann man mit guten Gründen als innerhalb der Lageberichterstattung systemfremd kritisieren.92 Sie harmoniert jedoch mit der neueren Tendenz des EU-Publizitätsrechts, unternehmerische Berichtspflichten zur Verfolgung allgemeinpolitischer Ziele einzusetzen.

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Unter II. Unter III. 91 Unter IV. 92 In diesem Sinne etwa Kumm/Woodtli Der Konzern 2016, 218, 222; Sopp/Baumüller DB 2019, 1801, 1803. 90

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Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen

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Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen Christoph H. Seibt

Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen CHRISTOPH H. SEIBT

Klaus J. Hopt hat die Kodifikation des Übernahmerechts 2002 im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) wissenschaftlich mit vorbereitet, ebenso die europäische Rahmennormgebung durch die EUÜbernahmerichtlinie1, war Mitglied des ersten WpÜG-Beirats beim Bundesministerium der Finanzen und hat sich regelmäßig über die letzten 10 Jahre in die ab und an aufkommende Reformdiskussion zum Übernahmerecht mit deutlich vernommener Stimme eingeschaltet2. Dieser Beitrag widmet sich einem in der Unternehmenspraxis deutlich wahrgenommenen, in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings bislang kaum diskutierten Phänomen, nämlich Übernahmeangeboten durch sog. Ankeraktionäre.

I. Einführung In diesem Beitrag werden „Ankeraktionäre“ als solche Investoren verstanden, die (i) eine substantielle finanzielle Beteiligung und Einflussposition innehaben (regelmäßig mit einem Stimmrechtsanteil von 20% und mehr), (ii) deren Beteiligung jedoch nicht die Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 WpÜG (30% der Stimmrechte) übersteigt, (iii) ein strategisches, und dementsprechend aktives Beteiligungsmanagement verfolgen, (iv) das mittelbis langfristig und auf die Unterstützung der von der Geschäftsleitung veröffentlichten Unternehmensstrategie ausgerichtet ist. Der Begriff schließt a priori keine Aktionärsgruppe aus, die einen mittel- und langfristigen Investitionshorizont und einen strategischen Ansatz der Beteiligungsverwaltung hat; typischerweise handelt es sich allerdings um Familieninvestoren, Stiftungen, Unternehmen mit spezifischer Industrieexpertise, Staatsfonds und bestimmte institutionelle Investoren. Der Begriff ist in der deutschen 1 Siehe z.B. seine Beiträge in ZGR 1993, 535 ff.; ZHR 161 (1997) 368 ff.; FS Zöllner, 1998, S. 253 ff.; FS Lutter, 2000, S. 1361 ff.; FS Koppensteiner, 2001, S. 61 ff.; ZGR 2002, 333 ff.; ZHR 166 (2002) 383 ff. 2 Monografisch Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013; siehe auch Hopt, FS K. Schmidt, 2009, S. 681 ff.

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Unternehmenspraxis sehr positiv konnotiert: Das (an sich schiefe) Bild des Ankers soll die stabilisierende und die Geschäftsleitung bei Verfolgung ihrer Unternehmensstrategie unterstützende Funktion ausdrücken. Es gibt allerdings in der deutschen Unternehmenspraxis zwei Phänomene, die bislang noch nicht allerorten zusammengedacht werden, nämlich zum einen das wahrgenommene Bestreben von Geschäftsleitungen börsennotierter Unternehmen, einen Ankeraktionär gerade zur Stärkung der Unabhängigkeit des Unternehmens und ihrer eigenen Position bei Verfolgung der Unternehmensstrategie zu gewinnen, zum anderen die Beobachtung, dass ein signifikanter Anteil von Übernahmeangeboten darauf zurückgeht, dass eben solche Ankeraktionäre nach gewisser Zeit ihre Beteiligung veräußern, um den Kontrollerwerb eines Dritten zu ermöglichen, oder vor allem aber selbst ein Übernahmeangebot abgeben. Erst in jüngerer Zeit werden nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken aus der Beteiligung eines Ankeraktionärs für die Verfolgung einer nachhaltigen Unternehmensstrategie und die Interessen des Unternehmens und seiner Stakeholder konstatiert. So gibt es seit kurzem durchaus bei einzelnen Unternehmen Handbücher zur Bewältigung von beteiligungsindizierten Risiken (früher häufig verkürzt als „Verteidigungshandbücher“ bzw. Defence Manuals oder Strategic Response/Options Manuals bezeichnet3), die sich nicht nur auf die Vorbereitung und Bewältigung eines Übernahmeangebots durch Dritte beschränken, sondern als Alternativszenarien auch die Risiken behandeln, die sich aus Kampagnen aktivistischer Aktionäre oder eben durch die Beteiligung eines Ankeraktionärs ergeben können. Dieser erweiterte Blick ist in der Tat risikoadäquat und – wie die in diesem Beitrag unternommene empirische Auswertung zeigt – auch vor dem Hintergrund der Pflichtenstellung von Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft tatsächlich unbedingt erforderlich. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass es eine Reformdiskussion zur Adäquanz der übernahmerechtlichen „Schutzinstrumente“ bei Übernahmeangeboten durch Ankeraktionäre nur singulär im Nachgang des Übernahmeverfahrens ACS/Hochtief im Jahre 2010 gab, es hier dann durchaus stimmenreich und nachdrücklich auf der Basis eines rechtsvergleichenden Umblicks Vorschläge für Gesetzesänderungen zur Vereitelung sog. Low Balling-Angebotstaktiken gab, diese aber letztlich weder auf Unionsebene noch durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzt wurden (ausf. sub VII). Die Fragen im Zusammenhang mit Übernahmen durch Ankeraktionäre sollen in diesem Beitrag – soweit ersichtlich – erstmals im Gesamtüberblick und mit empirischer Grundlegung (Analyse von 3

Zur Erstellung von „Verteidigungshandbüchern“ als zulässige Geschäftsführungsmaßnahme z.B. Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 175; Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 109, 115; Klemm/ Reinhardt NZG 2010, 1006, 1009; Wunsch M&A Review 2010, 584, 586.

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14 Praxisfällen mit wirtschaftlicher Bedeutung von 2010–20194) behandelt werden. Zur Gliederung: Zunächst werden die wirtschaftlichen Hintergründe und Interessenlagen sowohl des Ankeraktionärs als auch der Zielgesellschaft analysiert und einige rechtstatsächliche Beobachtungen vorgestellt (sub II.). Hiernach folgen die rechtlichen Ausführungen, gegliedert nach den typischen Phasen der Beteiligung des Ankeraktionärs bei nachfolgendem Übernahmeangebot, und zwar unter den Sachüberschriften (i) Begründung der Ankerbeteiligung und laufende Beteiligungspflege durch die Zielgesellschaft (sub III.), (ii) Unterstützungsmaßnahmen der Zielgesellschaft zugunsten des Ankeraktionärs bei einer Beteiligungsveräußerung (sub IV.) bzw. bei Abgabe eines Übernahmeangebots an die Aktionäre der Zielgesellschaft (sub V.), (iii) (iv) Vertraulichkeitspflichten und Interessenkonfliktlagen aus Seiten des Ankeraktionärs/Bieters bzw. der Zielgesellschaft (sub VI.), Rechtsfragen bei Low Balling-Angebotstaktiken (sub VII.) sowie Folgerungen für die begründete Stellungnahme nach § 27 WpÜG (sub VIII.).

II. Wirtschaftliche Hintergründe und Interessenlagen; rechtstatsächliche Beobachtungen 1. Sicht des Ankeraktionärs Investoren, die eine Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft anstreben, haben, grob skizziert, die Wahl zwischen drei Beteiligungsmodellen: Die Übernahme (1) einer Finanzbeteiligung von regelmäßig unter 10%, in Einzelfällen auch unterhalb der Schwelle für die Rechnungslegungskonsolidierung von 20% („Finanzbeteiligung“); (2) einer strategischen Beteiligung von mindestens 10%, regelmäßig allerdings von 20% und mehr, mit einem mittel- bis langfristigen Investitionshorizont („Ankerbeteiligung“); und (3) einer strategischen Beteiligung von regelmäßig über 30%, mit der eine faktische Konzernkontrolle ausgeübt werden soll bzw. könnte („Kontrollbeteiligung“). Selbstverständlich ist die Beteiligungsentscheidung eines Investors regelmäßig nicht statisch in dem Sinne, dass er die kategoriale Entscheidung für die Zukunft unabänderlich trifft, sondern der Beteiligungsumfang unterliegt häufig einer Anpassung je nach der Interessenlage des Investors zu unterschiedlichen Zeiten, der wirtschaftlichen und strategischen Entwicklung der Zielgesellschaft sowie der gesamtwirtschaftlichen Lage (und vor allem der Möglichkeit von Alternativinvestments). Denn auch der Investor unterliegt (im Regelfall) ja seinerseits fremdnützigen Pflichtenbindungen im Hinblick auf eine sorgfältige Vermögensanlage. Das ist dann 4

Tabellarische Übersicht dieser Praxisfälle im Anhang am Ende dieses Beitrags.

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auch der Grund für die Zielgesellschaft, das Chancen- und Risikoprofil eines neuen Ankeraktionärs nicht statisch, sondern ebenfalls dynamisch zu verstehen und Vorbereitungen im Sinne einer Krisenprophylaxe treffen zu müssen5. Die Wahl für das Modell einer Ankerbeteiligung versteht sich also auch in Abgrenzung zu der bloßen Finanzbeteiligung einerseits und der stärker unternehmerisch-überwachenden Kontrollbeteiligung andererseits. Diese „Sandwich-Position“ ist häufig geprägt von folgenden Überlegungen und Zielsetzungen des Investors: – Strategieinteresse: Der Ankeraktionär hat ein mitunternehmerisches, strategisches Interesse an der nachhaltigen Wertentwicklung des Unternehmens. Er ist an einer indirekten Kommunikation mit dem Vorstand über eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat und/oder an einer direkten Kommunikation mit der Geschäftsleitung im Rahmen eines spezifischen, an seine Bedürfnisse angepassten Investor Relation-Dialogs interessiert. Der zeitliche Investitionshorizont wird – als Daumenregel – mindestens fünf Jahre betragen. Die konkrete Beteiligungshöhe wird regelmäßig abhängen von (i) der Höhe des finanziellen Engagements, (ii) der sonstigen Aktionärszusammensetzung und den sich aus der Beteiligungshöhe konkret ergebenden Einflussmöglichkeiten, (iii) der Frage nach einer EquityKonsolidierung (ab 20%6) sowie (iv) nach der Anwendbarkeit der Regeln zu Related Party Transactions (ab 20%7), (v) dem Bestreben nach erbschaftsteuerlicher Privilegierung (mehr als 25% an einer Kapitalgesellschaft8) und (v) dem Ziel einer Vermeidung steuerlicher oder anderer Nachteile (z.B. Verlust von steuerlichen Verlusten/Verlustvorträgen im In- und Ausland). – Unabhängigkeit der Zielgesellschaft: Dem Ankeraktionär ist die Beibehaltung einer unabhängigen, auch nicht faktisch konzernierten Geschäftsleitung sowie die Finanzhoheit der Zielgesellschaft, unter anderem mit einem eigenständigen Kapitalmarktzugang, wichtig. Dementsprechend wäre es im Normalfall interessengerecht, wenn er keine Repräsentanz im Aufsichtsrat anstrebte, die über seine Beteiligungshöhe am Unternehmen hinausgeht; häufig wird er auch eher eine ihm nahestehende Person als Vorsitzenden des Prüfungsausschusses sehen wollen als den Aufsichtsratsvorsitz selbst oder durch eine ihm nahestehende Person einzunehmen. 5

Zur Pflicht der Geschäftsleitung zur Krisenprophylaxe Seibt BB 2019, 2563, 2565 ff. IAS 28 (Equity-Konsolidierungspflicht assoziierter Unternehmen; widerlegbare Vermutung eines maßgeblichen Einflusses bei Halten von mind. 20% der Stimmrechte, IAS 28.5); § 311 Abs. 1 Satz 2 HGB (widerlegbare Vermutung eines maßgeblichen Einflusses bei Halten von mind. 20% der Stimmrechte). 7 Siehe § 111a Abs. 1 Satz 2 AktG, IAS 28.5; vgl. RegE ARUG II, BT-Drs. 19/9739 v. 20.4.2019, zu § 111a Abs. 1, S. 80. 8 Vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (begünstigungsfähiges Vermögen). 6

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Auch eine Doppelorganstellung zwischen den Geschäftsführungsorganen des Ankeraktionärs einerseits und der Zielgesellschaft andererseits wird daher selten angestrebt werden. – „Probezeit“ vor nächster Strategieentscheidung: Der Ankerbeteiligung als „Sandwich-Kategorie“ ist geradezu inhärent, dass der Investor nach einiger Zeit seine bisherige Beteiligungsstrategie kritisch überprüft und entscheidet, diese weiterzuführen, sie mit Paketaufschlag (wegen der häufig damit vermittelten Kontrollübernahmeoption) an einen Dritten zu veräußern oder sie selbst durch ein Übernahmeangebot zur Kontrollbeteiligung aufzustocken; das Abschmelzen der Ankerbeteiligung zu einer reinen Finanzbeteiligung durch Einzelverkäufe über die Börse oder im Wege eines strukturierten Accelerated Bookbuild Offering (ABO)9 wird hingegen nur im Ausnahmefall eine wertmaximierende Handlungsoption sein. Dies entspricht auch dem Ergebnis der empirischen Auswertung, der zufolge die Entscheidung von Ankeraktionären zur Abgabe eines Übernahmeangebots im Mittel im Jahr 4 der Ankerbeteiligung getroffen wurde, in keinem Fall allerdings vor 17 Monaten nach Übernahme der Ankerbeteiligung10. Damit der Ankeraktionär diese zukünftige Strategieentscheidung auf der Basis im Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung angemessener Information treffen kann, bedarf er eines privilegierten Informationsaustausches mit der Geschäftsleitung, der ihm eine hinreichende Transparenz über (i) die Unternehmensstrategie, das zukünftige Produktportfolio und die jeweilige Marktpositionierung, (ii) die Qualität und die Tiefe der Managementkapazitäten, (iii) die Qualität und Geschäftsmodellangepasstheit der Unternehmensorganisation sowie (iv) die Angemessenheit des Risikomanagementsystems vermittelt. Er wird ferner bestrebt sein, die vor allem in diesen Feldern aus seiner Sicht bestehenden Optimierungsmöglichkeiten umgesetzt zu sehen (ggf. aber auch nur, dass diese unternehmensintern identifiziert werden, um das Wertpotential nicht für den Kapitalmarkt insgesamt transparent werden zu lassen). Schließlich wird der Ankeraktionär seine Handlungsfähigkeit (z.B. zur Abgabe eines Übernahmeangebots), regelmäßig überprüfen und z.B. regulatorische Freigaben einholen (z.B. Kartellrecht) oder Finanzierungsoptionen vorbereiten.

9 Zu Accelerated Bookbuild Offerings z.B. Singhof in MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2019, Teil 2 Kap. L Rn. 83; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rn. 7.91, 8.30 mit Fn. 8; Schlitt/Schäfer AG 2004, 346 ff.; Schlitt/Ries, FS Schwark, 2009, S. 241, 242 ff. – Aus der Praxis aber Siemens/OSRAM (Veräußerung einer 17,5%-Beteiligung 2017); zum Interesse chinesischer Investoren an diesem Paket und dem Widerstand von OSRAM und deren Aktienvertretern vgl. z.B. Spiegel Online v. 4.10.2017 („Siemens verkauft restliche Osram-Anteile“); Interview mit O. Berlien (Vorstandsvorsitzender OSRAM), FAS v. 31.3.2019, S. 27. 10 Siehe Spalte 1 der Übersicht (Anhang).

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2. Sicht der Zielgesellschaft Die Geschäftsleitung hat das Unternehmen mit dem Ziel der Bestandserhaltung sowie einer nachhaltigen Rentabilität und Wertschöpfung zu führen (Rechtspflicht)11. Hierbei haben sich Vorstand und Aufsichtsrat am Unternehmensinteresse auszurichten, verstanden als eine im Wege der praktischen Konkordanz12 ausbalancierte Verfolgung der Interessen der verschiedenen Stakeholder des Unternehmens bei einem leichten Gewichtungsvorsprung der Aktionärsinteressen (moderates Shareholder Value-Konzept)13. Dabei ist die Frage der Aktionärszusammensetzung kein zwingend von der Geschäftsleitung hinzunehmendes „Schicksal“, sondern kann zulässigerweise eine Gestaltungsaufgabe sein, nämlich in dem Sinne einer Bemühenspflicht, die für die Verfolgung der Unternehmensstrategie in einer konkreten Phase passende (d.h. die Strategieumsetzung unterstützende) Aktionärszusammensetzung herzustellen; es gibt hierbei weder zu Lasten des Vorstands noch des Aufsichtsrats ein Neutralitätsgebot14. Bei dieser Gestaltungsaufgabe ist allerdings nicht nur die Frage der Gewinnung bestimmter Aktionäre zu berücksichtigen, sondern auch deren Erwartungen an eine laufende Beteiligungspflege durch die Zielgesellschaft sowie die Weiterveräußerung der Beteiligung oder Veränderung der Beteiligungskategorie mitzudenken. Dabei hat sich die Geschäftsleitung auch zu vergegenwärtigen, dass der Investor seinerseits in der Regel treuhänderischen Schranken seiner Beteiligungsverwaltung unterliegt, also primär eigene Vermögensinteressen und nicht die Vermögensinteressen der Zielgesellschaft verfolgen wird und Investitionen in der Regel nur auf Zeit eingegangen werden. Die Gewinnung eines Ankeraktionärs hat ein spezifisches Chancen- und Risikoprofil, und die Zielgesellschaft wird folgende Parameter des Unternehmensinteresses bei ihren Geschäftsführungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Begründung einer Ankerbeteiligung berücksichtigen dürfen: – Unterstützung der nachhaltigen Unternehmensstrategie: Das Hauptinteresse der Zielgesellschaft an einer Ankerbeteiligung besteht in der Chance, 11 Seibt DB 2016, 1978, 1979 f.; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 76 Rn. 34; Mertens/Cahn in KölnKomm AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 Rn. 22. 12 Zutr. Hopt ZGR 1993, 534, 536; Hopt ZGR 2002, 333, 360; ihm folgend z.B. Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 76 Rn. 33. 13 Vgl. Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 76 Rn. 12; vgl. auch Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 76 Rn. 38 und 44; gegen einen (eindeutigen) Gewichtungsvorsprung der Aktionäre z.B. Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 76 Rn. 28–33, insbes. Rn. 31. 14 Zu einem „Neutralitätsgebot“ allerdings Hopt/Roth in Großkomm AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 Rn. 213; wie hier Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 76 Rn. 46; Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 148, 160 f. und 175; Koch in Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, § 76 Rn. 40; Bachmann in Veil, Übernahmerecht in Wissenschaft und Praxis, 2009, S. 109, 111 und 112 f.; Kiem AG 2009, 301, 305 f.; Schiessl AG 2009, 385, 386.

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dass der Ankeraktionär die von der Geschäftsleitung verfolgte Unternehmensstrategie mittel- bis langfristig stabil unterstützt, und zwar durch die Ausübung einer Organfunktion als Aufsichtsratsmitglied und/oder über die Wahrnehmung von Aktionärsrechten in der Hauptversammlung (insbes. Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, Beschlussfassung über Dividenden, über den Unternehmensgegenstand bei Portfolioänderungen bzw. über Kapitalmaßnahmen). Ein solches (erlaubtes) Interesse an stabiler Strategieunterstützung besteht vor allem bei Zielgesellschaften, die in einer Turn Around- oder Sanierungssituation sind oder einen Strategiewechsel (z.B. wegen einer Marktdisruption) anstreben15. Einen (relevanten) Sonderfall stellt die Verhinderung einer die Konzernunabhängigkeit aufhebenden und dem Unternehmensinteresse entgegenlaufenden Übernahme durch einen Dritten mittels Aufnahme eines Ankerinvestors (dieser dann als White Squire bezeichnet) dar16. Umgekehrt führt das Bestehen einer Ankerbeteiligung zu einem erhöhten Risiko, dass der Ankeraktionär später gerade auf die Änderung der an sich von der Geschäftsleitung verfolgten Unternehmensstrategie hinwirkt, und zwar ggf. auch parallel mittels einer (weiteren) Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats und in dieser Folge des Vorstands. – Vor- und Nachteile für die Marktposition der Zielgesellschaft: Mit dem Hinzutreten eines Ankeraktionärs erhöht sich die Chance auf Unterstützung der Zielgesellschaft in bestimmten Feldern signifikant, z.B. durch (i) die Gewährung oder die Unterstützung von Eigen-, Hybrid- oder Fremdkapital(aufnahmen), (ii) die Anlehnung an die erhöhte Unternehmensreputation des Ankerinvestors (sog. Reputation Borrowing), (iii) die zur Verfügungstellung von Know-How und Netzwerken (z.B. im Bereich der globalen Wertschöpfungskette, beim Vertrieb und Marketing, bei der Finanzkommunikation, und bei der Talentgewinnung). Denn die Ankerbeteiligung führt wegen des regelmäßig hohen Finanzmittel- und Managementeinsatzes des Investors zu einem intrinsischen Anreiz, die Geschäfts15 Aus der Praxis z.B.: K+S, Hauptversammlung 11.5.2016, zitiert nach M. Telgheder www.handelsblatt.com v. 11.5.2016: „Mit der konsequenten Umsetzung unserer 2-SäulenStrategie wollen und können wir uns aus eigener Kraft erfolgreich weiterentwickeln. Allerdings ist das Unternehmen durchaus an einem Ankeraktionär interessiert. Da K+S zu 100% in Streubesitz ist, kann das Unternehmen leicht zum Übernahmeziel werden. K+S kann sich vorstellen, einem Ankerinvestor den Einstieg mit einer Kapitalerhöhung zu erleichtern. Bei Gesprächen mit potentiellen Ankerinvestoren habe K+S immer wieder gehört, dass ein Ausbau der Anteile über die Börse zu viel Arbeit sei“. 16 Hierzu als „Verteidigungsmaßnahme“ z.B. Schlitt in MünchKomm AktG, 4. Aufl. 2017, § 33 WpÜG Rn. 278; Richter in Semler/Volhard, Arbeitshdb. Unternehmensübernahmen, Bd. 2, 2003, § 52 Rn. 159 ff. – Aus der Praxis z.B. Beteiligung der Salzgitter AG ab 7/2008 an der Norddeutschen Affinerie AG (jetzt: Aurubis AG) im Nachgang zu dem von der Geschäftsleitung nicht unterstützten Übernahmeversuch der A-TEC Industries AG (gescheitert 2/2008).

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und Wertentwicklung der Zielgesellschaft zu fördern. Sie ist das Gegenmodell der rationalen Apathie eines Kleinaktionärs17. Dieses Interesse an positiver Geschäfts- und Wertentwicklung der Zielgesellschaft kann allerdings auch vom Ankeraktionär in der Weise missgeleitet werden, dass der privilegierte Zugang zur Geschäftsleitung der Zielgesellschaft zur Erlangung individueller Sondervorteile (sog. Tunneling) missbraucht wird, insbesondere durch Gewinnung von Geschäftschancen oder von Managementtalent der Zielgesellschaft.18 Darüber hinaus kann das Hinzutreten eines Ankeraktionärs, sei es alleine durch dessen Beteiligungshöhe oder aufgrund spezifischer Charakteristika des Investors, zu Nachteilen bei der Zielgesellschaft führen: So können sich Beschränkungen des Geschäftserfolges ergeben, beispielsweise (i) für Investitionen und insbesondere M&A-Aktivitäten (z.B. CFIUS-Beschränkungen bei Ankeraktionären aus China bzw. mit erheblichem chinesischen Anteilsbesitz; Kartellrecht), (ii) bei Kapitalmaßnahmen (z.B. im Hinblick auf US-Finanzinstitute bei sanktionslistenbehafteten Ankeraktionären), (iii) im Hinblick auf Single Source-Auslistungen bei Kunden, die aus Gründen der Risikominimierung die wirtschaftlichen Positionen von Ankeraktionär und Zielgesellschaft addieren, sowie (iv) wegen Reputationsthemen (Stichwort: Reputationseinheit von Ankeraktionär und Zielgesellschaft); (v) bei Überschreiten bestimmter Beteiligungsschwellen können im In- und Ausland steuerliche Verluste/Verlustvorträge wegfallen. – Auswirkungen auf Kapitalmarktzugang und Börsennotierung: Je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und insbesondere der konkreten Person des Ankeraktionärs (nämlich den Erwartungen an die kurz-, mittel- und langfristigen Ziele des Ankeraktionärs und deren Realisierungswahrscheinlichkeit) können die Auswirkungen auf den Kapitalmarktzugang der Zielgesellschaft (über Kapitalerhöhungen), die Liquidität in der Aktie und Wertentwicklung des Aktienkurses deutlich ausfallen. Zunächst führt der Eintritt eines Ankeraktionärs in aller Regel zu einer sog. Corporate Governance-Werterhöhung, da es eine – im Übrigen durch empirische Studien belegte19 – Erwartung des Kapitalmarkts gibt, dass 17

Zum Modell der rationalen Apathie von (Klein-)Aktionären siehe z.B. Siems, Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005, S. 111 ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl. 1996, S. 114 ff.; Tuerks, Depotstimmrechtspraxis versus U.S.-proxy-system, 2000, S. 178 ff. 18 Zum Tunneling z.B. Lutter/Bayer/J. Schmidt Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017/2018, 29.163 ff.; Veil NZG 2017, 521, 522 f.; Erwägungsgrund 42 der Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre (Zweite Aktionärsrechterichtlinie). 19 Siehe z.B. zum Zusammenhang von „Familienkontrolle“ auf Kapitalmarktperformance Klerk/Bhatti/Kersley/Vair (Credit Suisse Research Institute), The CS Family 1000 (globale Betrachtung), 9/2018 (abrufbar unter: credit-suisse.com/ch/en/about-us/research-

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durch die nun gesteigerte Kontrolle der Geschäftsleitung durch den Ankeraktionär Wertpotenziale gehoben werden. Häufig wird aber auch mit dem Einstieg eines Ankeraktionärs eine ansonsten bestehende „kurzfristige Übernahmephantasie“ wegfallen, umgekehrt mag der Eintritt des Ankeraktionärs allerdings auch gerade erst die Aussicht auf eine strategische Übernahmeoption (durch den Ankeraktionär selbst oder einen Dritten) begründen. Auch Kapitalerhöhungen könnten einerseits über Bezugsrechtsabsprachen (Ausübung, Verzicht oder Übertragung auf Dritte) oder Back Stop-Vereinbarungen erleichtert werden, andererseits aber auch faktisch – insbesondere über den Einfluss im Aufsichtsrat – blockiert werden. Dies alles zeigt, dass es eine eindeutig und für alle Fälle gleichartige Abwägungsprognose der Vor- und Nachteile nicht gibt. Der Zielgesellschaft stehen drei Instrumente zur Verfügung, um die vorgenannten Interessen zu schützen: Zunächst kommt eine vertragliche Absicherung einzelner Parameter über eine Investorenvereinbarung (Investment Agreement) mit dem Ankeraktionär in Betracht20. Solche Vereinbarungen beschränken die Leitungsautonomie (§ 76 Abs. 1 AktG) des Vorstandes gerade nicht, sondern erweitern diese vielmehr. Aus Sicht der Zielgesellschaft kommen nämlich insbesondere als Regelungsgegenstände in Betracht: – eine Beteiligungsobergrenze für einen bestimmten Zeitraum (z.B. 29,99% für drei Jahre21); – die Vereinbarung einer Mindest-Halteperiode der Ankerbeteiligung (z.B. mindestens 20% für drei Jahre) oder einer „Vermittlungsoption“ bei Veräußerung, abgesichert über den Beitritt eines weiteren Aktionärs der Zielgesellschaft (Garantor), zugunsten dessen die Veräußerungsbeschränkung bzw. die Anlehnungsverpflichtung besteht, die der Garantor zum Drittverkauf zu denselben wirtschaftlichen Konditionen nutzen kann; – die Bestimmung der abstrakten Zusammensetzung des Aufsichtsrates (Mindestanzahl unabhängiger Mitglieder, Besetzung des Vorsitzes im Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss, Kompetenzprofil im Aufsichtsrat)22; institute.html); hierzu Becker, Hoher Bonus für deutsche Familienunternehmen, BörsenZeitung v. 26.9.2018, S. 7. – Zur Risikoseite von Familien als Ankeraktionäre z.B. Schauber, Wenn der Familienaktionär wegbricht – der Fall Sika, Börsen-Zeitung v. 1.11.2016, S. 8. 20 Ein Muster für eine Investorenvereinbarung (ohne Kontrollerwerbsziel) bei Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch M&A, 3. Aufl. 2018, E.II.1, S. 926 ff. – Aus der Praxis z.B. Apollo/Infineon (2009); Acciona/Nordex (2015). 21 Vgl. § 11 der Muster-Investorenvereinbarung (Fn. 24) – Aus der Praxis: Acciona/ Nordex (2015); vgl. hierzu Nordex SE, Ad hoc-Meldung v. 4.10.2015 (www.nordexonline.com). 22 Aus der Praxis: Apollo/Infineon (2009); vgl. hierzu z.B. Arnold/Palmer, Apollo backs Infineon’s €735m cash call, FT v. 10.7.2009 (www.ft.com/content/d54111d8-6d4311de-8b19-00144feabdco); Acciona/Nordex (2015); vgl. hierzu Nordex SE, Ad-hocMeldung v. 4.10.2015 (www.nordex-online.com).

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– die Unterstützung der Unternehmensstrategie (z.B. Finanzierungszusagen oder Veranlassungsverbote für bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen); sowie – ein Ausgleichsanspruche für durch die Ankerbeteiligung ausgelöste Nachteile (z.B. Verlust von Verlustvorträgen im In- und Ausland). Solche Regelungsgegenstände sind in rechtlich zulässiger Weise vereinbar, im Hinblick auf Veräußerungsbeschränkungen der Aktiengesellschaft und auf das Abstimmungsverhalten in zukünftigen Hauptversammlungen nur durch Aufnahme eines Garantors in die Vereinbarung, mit der Folge, dass insoweit eine (gerichtlich durchsetzbare) Aktionärsvereinbarung besteht23. In Einzelfällen können bestimmte Inhalte der Aktionärsvereinbarung zwischen Ankeraktionär und Garantor zu einer Zusammenrechnung der Stimmrechte nach den Bestimmungen zur Beteiligungstransparenz (§ 34 Abs. 2 WpHG) bzw. den übernahmerechtlichen Zurechnungsvorschriften (§ 30 Abs. 2 WpÜG) führen. Allerdings kann die Zielgesellschaft eine solche Investorenvereinbarung nicht erzwingen, am geeignetsten ist noch kommunikativer Druck über wesentliche Stakeholder oder Multiplikatoren. Sie wird weiter zu berücksichtigen haben, dass die Investorenvereinbarung im Regelfall (empirische Betrachtung) nur eine Laufzeit von etwa drei Jahren haben wird. Die Absicherungsfunktion für die bestimmten Unternehmensinteressen ist daher zeitlich limitiert. Der Ankerinvestor wird hingegen bestimmte vertragliche Beschränkungen hinnehmen, da er sowieso die Überprüfung seiner strategischen Beteiligungsentscheidung voraussichtlich erst in etwa drei Jahren treffen wird. Dies passt mit der Auswertung der Praxisfälle zusammen, in denen die Übernahmeentscheidung im Durchschnitt im Jahr 4 nach Begründung der Ankerbeteiligung getroffen wurde. Darüber hinaus wird die Zielgesellschaft solche Maßnahmen in Betracht ziehen, durch die eine Aufgabe der Ankerbeteiligung oder umgekehrt ein Wechsel in die Kontrollbeteiligung wirtschaftlich oder faktisch erschwert wird. Umgekehrt formuliert: Es geht um solche Maßnahmen, durch die das Eigeninteresse des Ankeraktionärs am finanziellen und reputationellen Erfolg der Beteiligung genau in dieser Kategorie gestärkt wird (Stichwort: Erhöhung des „skin in the game“)24. Dies gelingt selbstverständlich primär durch eine Geschäftsführung, die auf Transparenz und offene Diskussion aller Wertpotentiale gerichtet ist, daneben durch eine auch nach außen kommunizierte Einbeziehung des Ankeraktionärs in die Belange des Unterneh23 Hierzu Seibt/Wunsch Der Konzern 2009, 195, 200 f.; Seibt in Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, 2013, S. 105, 120 ff.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 76 Rn. 37; skeptisch Kiem AG 2009, 301, 304. 24 Zum Risikomanagement durch Risikoerhöhung bei einem Stakeholder siehe Taleb/ Saudis, The Skin In The Game Heuristic for Protection Against Tail Events, Rev. of Behavioural Economics, Januar 2014, 1–21.

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mens, z.B. über eine Aufsichtsratsrepräsentanz, gemeinsame Kunden- bzw. Investoren-Roadshows oder auf anderem Wege. Dabei kann der privilegierte Informationszugang über den Aufsichtsrat (oder im Wege eines privilegierten Investor Relation-Dialogs) auch technisch zu (temporären) Beschränkungen im Hinblick auf kurzfristige Handlungsoptionen qua Insiderrecht führen. Die Kommunikation der Beziehungen und Interaktionen zwischen Ankeraktionär und Zielgesellschaft dient auch dazu, die reputationelle Fallhöhe des Ankeraktionärs als einen verlässlichen Partner, insbes. wenn dieser ein Multiple Player auf dem Beteiligungsmarkt ist, zu erhöhen. Entsprechendes Rechtsinstitut ist die Treuepflicht des Ankeraktionärs gegenüber der Zielgesellschaft, deren handlungsbeschränkende Folgen sich hierdurch intensivieren lassen25. Schließlich ist es für die Zielgesellschaft Best Practice, Szenarienplanungen vorzubereiten, um für den Fall der Strategieänderung des Ankeraktionärs kurzfristig handlungsfähig zu sein. Eine solche Vorplanung erfolgt bestenfalls durch ein unternehmensspezifisches Handbuch zur Bewältigung von beteiligungsindizierten Risiken. Sie umfasst eine kontinuierliche Kommunikationslinie zu den Entscheidungsträgern beim Ankeraktionär (um frühzeitig mögliche Strategieänderungen bzgl. der Ankerbeteiligung zu erfahren) sowie eine Liste möglicher Aktienpaketerwerber bzw. Planungen für aus Sicht des Ankeraktionärs preisattraktive Aktienverkaufsverfahren über die Börse (häufig durch ABO). 3. Rechtstatsächliche Beobachtungen Eine Analyse von 14 wirtschaftlich bedeutenden Übernahmeangeboten durch Ankeraktionäre seit 2010 (also über die letzten 10 Jahre) lässt folgende sieben Umstände erkennen: – Es gibt eine quantitativ und qualitativ bedeutende Fallgruppe von Übernahmen durch Ankeraktionäre. – Die Haltefrist der Ankerbeteiligung bis zum Übernahmeangebot betrug im Durchschnitt etwa 3 bis 4 Jahre. – Der in den Übernahmeangeboten der Ankeraktionäre enthaltene Angebotspreis enthielt gegenüber dem übernahmerechtlichen Mindestpreis (§ 31 WpÜG) keine „Kontrollprämie“ bzw. nur eine gegenüber dem Gesamtdurchschnitt aller Übernahmeverfahren deutlich unterdurchschnittliche Prämie. Es handelt sich überwiegend um Low Balling-Angebotstaktiken.

25

Vgl. Seibt in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 76 (Grad des durch besondere Maßnahmen geschaffenen Verfahrens in ein bestimmtes Verhalten); ebenso Merkt in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 89; Lieder in Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 155.

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Die Angebotsabgaben erfolgten unabhängig von der zuvor bei der Zielgesellschaft bestehenden Aktienkurstendenz. In jedem der untersuchten Fälle war das Übernahmeangebot erfolgreich. „Verteidigungsmaßnahmen“ der Zielgesellschaft waren erfolglos. Im Nachgang zu den Übernahmeangeboten haben Bieter, sofern sie nicht bereits durch das Übernahmeangebot selbst eine einfache Stimmmehrheit erzielen konnten, häufig ihre Beteiligungsquote auf über 35%, teilweise auch über 50% der Stimmrechte aufgestockt. Es wurde also in diesen Fällen durchaus ein faktisches Konzernverhältnis angestrebt. Strukturmaßnahmen wurden indes nur in Einzelfällen umgesetzt. Die regelmäßig bei Übernahmen durch Ankeraktionäre auftretenden Interessenkonfliktlagen wurden transparent gemacht und adäquat bewältigt. Die begründeten Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat fallen zu hohem Anteil negativ sowie differenzierend (je nach Anlegerkategorie bzw. differenziert nach Strategieverfolgung und Angemessenheit des Preises) aus. Trotz der bereits vor Übernahmeangebot bestehenden faktischen Einflussmöglichkeiten des Ankeraktionärs auf die Zusammensetzung der Leitungsorgane gab es im Nachgang zu den Übernahmeangeboten eine abnorme Häufung von Veränderungen in der Zusammensetzung von Aufsichtsrat und Vorstands. Die Änderungen im Aufsichtsrat spiegeln im Regelfall allerdings nur die erhöhten Beteiligungsquoten des Ankeraktionärs bei der Zielgesellschaft wider.

Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus der als Anhang am Ende dieses Beitrags beigefügten tabellarischen Übersicht.

III. Begründung der Ankerbeteiligung und laufende Beteiligungspflege Die Übernahme einer Ankerbeteiligung kann im Unternehmensinteresse liegen (zu den Parametern sub II.2.); dies ist allerdings nicht zwingend immer der Fall. Der Vorstand ist im Rahmen seiner Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung aufgefordert, sofern überhaupt ein Handlungsspielraum besteht, festzustellen, welche Aspekte der Übernahme einer Ankerbeteiligung durch den konkreten Investor für das Unternehmen und seine Stakeholder vorteilhaft und welche nachteilhaft sind und wie die Chancen der Beteiligung abgesichert und Risiken minimiert werden können. Die ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen sind unternehmerischer Natur, denn sie sind ganz erheblich durch ihren prognostischen Charakter geprägt. Dem Vorstand kommt daher ein erheblicher Beurteilungs- und Ermessensspielraum im Sinne der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) zu, er

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muss aber auf der Basis angemessener Information (und eine solche Informationsbasis hat er im Sinne einer Organisationspflicht zu ermitteln) eine kaufmännisch plausible Entscheidung treffen und hierbei insbesondere auch mögliche Sicherungsmaßnahmen (sub II.2.) in Betracht ziehen. Seine Entscheidung sollte er hinreichend detailliert und unter Abwägung der Vorund Nachteile dokumentieren26. Der Vorstand kann insbesondere berechtigt sein, die Übernahme einer Ankerbeteiligung durch einen Zugang zu auch nicht-öffentlich bekannten Informationen (Due Diligence; Management Meetings) zu unterstützen, wenn dies eben im Unternehmensinteresse liegt. Er kann sie ggf. sogar durch Vermittlung von Blocktrades anderer Aktionäre, durch Veräußerung eigener Aktien oder durch eine Kapitalerhöhung mit privilegiertem Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) herbeiführen27. Aus der jüngeren BGH-Rechtsprechung zu einer Sonderkonstellation (Hyrican)28 ergibt sich bei richtiger Lesart nämlich nicht zwingend, dass die Zulassung nur eines ausgewählten Investors zu einer solchen Kapitalerhöhung in jedem Fall gegen das durch die Unternehmensorgane anzuwendende Gleichbehandlungsgebot verstieße. Es ist vielmehr nur sicherzustellen, dass belastbare sachliche Gründe des Unternehmenswohls – vergleichbar dem Erfordernis sachlicher Rechtfertigung beim ordentlichen Bezugsrechtsausschluss – für die alleinige Zulassung des Investors bestehen29. Des Weiteren wird der Vorstand, sofern überhaupt ein Handlungsspielraum vor Übernahme der Ankerbeteiligung besteht, in der Regel verpflichtet sein darauf hinzuwirken (keine Erfolgsgarantie!), mit dem zukünftigen Ankeraktionär eine Investorenvereinbarung zum Schutz bestimmter Aspekte abzuschließen. In diesem Rahmen kann sich auch die Gesellschaft (vertreten durch den Aufsichtsrat) verpflichten, einen die Anforderungen des Gesetzes und weiterer (ggf. nun aus Anlass der geplanten Beteiligungsübernahme zu ändernder) Vorgaben (z.B. Kompetenzprofil des Aufsichtsrats)

26 Zur Dokumentationsobliegenheit bei Business Judgement Rule-Beschlüssen Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 77; Mertens/Cahn in KölnKomm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 36; Kock/Dinkel NZG 2004, 441, 448; Lutter ZIP 2007, 841, 846. 27 Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 76 Rn. 47 m.w.N. 28 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 120/16, BGHZ 219, 215; dazu krit. Seibt EWiR 2019, 549; Kocher/von Falkenhausen ZIP 2018, 1949; Schilha/Guntermann AG 2018, 883. Vgl. auch Drescher (Diskussionsbeitrag) in Jahrbuch FAfStR 2019/20, S. 292 („Was daneben den vereinfachten Bezugsrechtsausschluss betrifft, muss man wirklich die Sondersituation dieser Entscheidung sehen. Am Schluss der Entscheidung haben wir auch noch ein wenig die Möglichkeiten erörtet, in denen durchaus eine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung gegeben sein kann und damit ein vereinfachter Bezugsrechtsausschluss möglich ist. Wichtig ist dann auch hier mit offenen Karten zu spielen.“). 29 So bereits Seibt EWiR 2018, 549, 550; vgl. auch Drescher (Diskussionsbeitrag) (Fn. 28).

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erfüllenden Kandidaten, in der Regel nach Amtsniederlegung eines noch amtierenden Mitglieds, beim zuständigen Gericht zur Bestellung als Aufsichtsratsmitglied (vgl. § 104 Abs. 1 AktG) und/oder diese Person der Hauptversammlung zur Wahl als Aufsichtsratsmitglied vorzuschlagen (vgl. § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG)30. Mit solchen Verpflichtungen könnte der Aufsichtsrat auch die Empfehlung aus Ziffer C.6 DCGK 2020 erfüllen, der zufolge er bei seiner Zusammensetzung „die Eigentümerstruktur berücksichtigen [soll]“31. Die Gesellschaft (vertreten durch den Vorstand) ist auch berechtigt, z.B. im Rahmen einer Investorenvereinbarung einen privilegierten Informationsfluss (als Ausprägung eines spezifischen Investor Relation-Dialogs) zu regeln. Denn ein solcher Dialog kann gerade in doppelter Hinsicht im Unternehmensinteresse der Zielgesellschaft liegen, zum einen weil nur dadurch die Unterstützung der Unternehmensstrategie durch den Ankeraktionär bei der laufenden Geschäftsführung (z.B. Zugang zu Know-How und zum Netzwerk des Ankeraktionärs) bzw. die Unterstützung durch eine bestimmte Ausübung der Aktionärsrechte in der Hauptversammlung sichergestellt werden kann, zum anderen weil dies die Kosten des Ankeraktionärs bei Änderung der Beteiligungsstrategie erhöht (Stichwort: „skin in the game“). In der Praxis wird auch nicht selten neben oder anstelle einer Investorenvereinbarung ein (isolierter) „Finanzberatungsvertrag“ abgeschlossen, der den Ankeraktionär verpflichtet, die Zielgesellschaft z.B. im Hinblick auf Fragen der Unternehmensfinanzierung, der Analyse von M&A-Transaktionen und anderer Investitionsentscheidungen sowie im Hinblick auf die Optimierung bestimmter Finanzkennziffern zu beraten, die Zielgesellschaft umgekehrt sich verpflichtet, die hierfür erforderlichen, teilweise eben auch nicht-öffentlichen Informationen zur Verfügung zu stellen32. Allerdings ist dann die Nutzung der im Rahmen des Finanzberatungsvertrages übermittelten Information nur zur Erfüllung der vertragsgemäßen Aufgaben durch den Ankeraktionär zulässig, und zwar nur durch Mitarbeiter des Ankeraktionärs (oder von ihm eingeschaltete Dritte) auf einer Need To Know-Basis. In der Regel werden bei einer Aufsichtsratsrepräsentanz des Ankeraktionärs noch Fragen des zulässigen Informationsaustausches zwischen diesem Aufsichtsratsmitglied und den Empfängern der Vertragsinformation geregelt, bzw. umgekehrt Chinese Wall-Verpflichtungen geregelt.

30 Seibt in Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, 2013, S.105; Kiefner ZHR 178 (2014) 547, 572 ff.; Reichert ZGR 2015, 1. 29 ff.; Heß, Investorenvereinbarungen, 2014, S. 147 ff. 31 Diese Empfehlung war wortlautgleich in Ziffer 5.4.2 Satz 1 2. Halbsatz DCGK 2017 enthalten. 32 Aus der Praxis: Orpheus (Günther-Gruppe)/MAX Automation; vgl. Geschäftsbericht MAX Automation 2018, S. 149 (Beratervertrag).

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Aber auch ohne ausdrückliche vertragliche Absicherung kann der privilegierte Informationsfluss an den Ankeraktionär im Unternehmensinteresse sachlich gerechtfertigt und dementsprechend rechtlich zulässig sein. Eine Verletzung des verbandsrechtlichen oder des kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt nicht vor bzw. die Ungleichbehandlung ist sachlich dadurch gerechtfertigt, dass der Ankeraktionär (anders als (Klein-)Aktionäre mit Finanzbeteiligung) eine besondere, unternehmenswohlfördernde Funktion bei der Verfolgung der Unternehmensstrategie wirkungsmächtig (!) wahrnehmen kann und seine Instrumentalisierung durch die Zielgesellschaft (besonders ausgeprägt bei dem Zugänglichmachen von Know-How oder seines Netzwerks bzw. bei der Unterstützung und Absicherung von Kapitalmaßnahmen) einen privilegierten Informationsfluss gerade voraussetzt: Der Ankeraktionär muss ja die Bedürfnisse und Interessen der Zielgesellschaft kennen und kritisch hinterfragen können, bevor er sie unterstützt. Bei der Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 7 Abs. 1 MAR) ist eine Weitergabe, sei es auf der Basis einer Vertragsregelung oder ohne eine solche, nur im Rahmen der Regelungen zur Marktsondierung (Art. 11 MAR) oder der Allgemeinklausel der „rechtmäßigen Offenlegung“ in Art. 10 MAR nach Maßgabe der sog. Unerlässlichkeit (strictly necessary)-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs33 zulässig. In der Praxis kann man zuweilen erfahren, dass die Zielgesellschaft erwartet, dass der Informationsfluss zum Ankeraktionär indirekt über den Repräsentanten im Aufsichtsrat erfolgt. Eine solche Informationsweitergabe des Aufsichtsratsmitglieds wäre allerdings aktienrechtlich unzulässig (§ 116 Satz 2 AktG) und strafrechtlich empfindlich sanktioniert (§ 404 AktG); sie ist nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn es sich bei dieser Weitergabe durch das Aufsichtsratsmitglied bloß um eine Abkürzung des „tatsächlichen Lieferwegs“ handelt und die Informationsweitergabe rechtlich durch die Zielgesellschaft, vertreten durch den Vorstand als mit der Informationshoheit ausgestatteter Weisungsgeber, erfolgt34. Es kommt eher selten vor (aber es gibt häufiger die Überlegung dazu), dass der Ankeraktionär zusätzlich zu der vom Aufsichtsrat der Zielgesellschaft festgelegten Vorstandsvergütung seinerseits eine Sondervergütung bei Erreichen bestimmter Finanzkennziffern oder Wertparameter vereinbaren möchte. Der Ankeraktionär sucht dabei eine Gestaltung, die das Gesellschaftsvermögen nicht belastet, so dass der Vermögensschutz der Zielgesellschaft insoweit keine Probleme auslösen kann. Dennoch sind solche Leistungen rechtlich problematisch, weil durch eine durch den Ankeraktionär versprochene Sondervergütung eine Incentivierungswirkung ausgeht, die 33

Vgl. EuGH v. 22.11.2005 – C-384/02, ZIP 2006, 123 – Grongaard und Bang. Vgl. Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 116 Rn. 12; Hopt/Roth in Großkomm AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 205. 34

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von den verfolgten Zielen des Aufsichtsrates (als für die Zielvorgaben zuständigem Gesellschaftsorgan!) abweichen kann. Durch diese „private“ Incentivwirkung der Sondervergütung könnte es zudem zu einer unerlaubten Beschränkung der Leitungsautonomie (§ 76 Abs. 1 AktG) in der Weise kommen, dass der Vorstand eine ansonsten autonom nicht verfolgte Geschäftsführungsmaßnahme trifft (und dies eben nur wegen des Leistungsversprechens des Ankeraktionärs tut). Im Anschluss an die obergerichtliche Rechtsprechung hält eine Literaturauffassung die Vergütung für Vorstandsleistungen durch den Aktionär nur im Vertragskonzern für zulässig35; die im Vordringen befindliche Mehrheitsmeinung hält unter bestimmten Kautelen auch eine Leistung durch den faktischen Konzernherrn zu Recht für zulässig36. Die Überlegungen zur begrenzten Zulässigkeit von Zahlungen im faktischen Konzern sollten in vergleichbarer Weise für – immerhin nicht gesetzlich verbotene – Zahlungen eines Ankeraktionärs gelten: Sie sind nur dann in beschränktem Umfang zulässig, wenn (i) die Zahlungsbedingungen und Parameter dem Aufsichtsrat gegenüber transparent gemacht sind und (ii) der Vergütungsregelung vom Aufsichtsrat ausdrücklich und rechtmäßig (keine Zielvereitelung) zugestimmt wurde; (iii) die tatsächlich erfolgten Zahlungen (einschließlich der Berechnungsgrundlagen) sind dem Aufsichtsrat offenzulegen. Der Aufsichtsrat hat dann im Rahmen des Vergütungsberichts nach § 162 AktG auch über diese Zahlungen des Ankeraktionärs zu berichten37. Fraglich ist, ob die Aktionärsleistung bei der Beurteilung der Angemessenheit i.S.v. § 87 Abs. 1 AktG und auch bei einer vom Aufsichtsrat beschlossenen Zahlungshöchstgrenze zu berücksichtigen ist. Dies wird teilweise mit Hinweis auf die fehlende Belastung des Gesellschaftsvermögens verneint38. Dies ist allerdings nicht bedenkenfrei, da ja auch die Festlegungen zur Angemessenheit der Gesamtvergütung und seiner Bestandteile 35 So OLG München v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07, ZIP 2008, 1237; Tröger ZGR 2009, 447, 452 ff.; sympathisierend Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 192 Rn. 24 f.; offen gelassen bei BGH v. 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2437 („kein eindeutiger und schwerwiegender Gesetzesverstoß“). 36 So Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 87 Rn. 7; Seibt in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 87 Rn. 29 („maßgeblich beteiligte Anteilseigner“); Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 192 Rn. 61a und 61b (zu Bezugsrechten); Spindler in MünchKomm AktG, 5. Aufl. 2019, § 87 Rn. 70 ff. (zu Bezugsrechten); Arnold, FS Bauer, 2010, S. 35, 39 ff.; Goette, FS Hopt, 2010, S. 689, 698 ff.; Habersack, FS Raiser, 2005, S. 111, 120 ff.; Hohenstatt/Seibt/Wagner ZIP 2008, 2289, 2292 ff.; Waldhausen/Schüller AG 2009, 179 ff. 37 Zu § 285 Nr. 9 lit. a Satz 7 HGB a.F. siehe Poelzig in MünchKomm HGB, 3. Aufl. 2013, § 285 Rn. 191 (Zahlungen eines Finanzinvestors an Vorstandsmitglied). Daneben kommt noch eine Offenlegung der Leistungen des Ankeraktionärs (mind. 20% Stimmrechte) im IAS-Anhang in Betracht (IAS 24.16–24.19); vgl. z.B. Senger/Prengel in IFRS Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 20 Rn. 50. 38 So Lutter/Krieger/Verse, Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rn. 396; Kalb/Fröhlich NZG 2014, 167, 169.

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sowie zu einem (ggf. von der Hauptversammlung herabgesetzten!) Maximalbetrag Auswirkungen auf die Verhaltenssteuerung der Vorstandsmitglieder, ihre persönlichen Risikoprofile und ihre Karriereplanungen haben. Diese Aspekte sprechen für eine Einbeziehung39. Unter den gleichen Kautelen sind auch Vereinbarungen zwischen dem Ankeraktionär und Vorstandsmitgliedern zulässig, denen zufolge den Vorstandsmitgliedern eine „Vermittlungsprovision“ bei Unterstützung einer Aktienveräußerung des Ankeraktionärs an Dritte versprochen werden. Allerdings werden hier die inhaltlichen Anforderungen an die Prüfung des Aufsichtsrates besonders hoch sein, da eine solche Vergütungsart im hohen Maße interessenkonfliktgeneigt ist; es muss zudem Regelungen geben, die den Gleichlauf zwischen Unternehmensinteresse und Sonderinteressen des Ankeraktionärs effektiv in jeder Phase des Verkaufsverfahrens sicherstellen.

IV. Unterstützungsmaßnahmen der Zielgesellschaft zugunsten des Ankeraktionärs bei Veräußerung Liegen ernsthafte Verdachtsmomente vor, dass der Ankeraktionär eine Veräußerung seines Aktienpakets plant, ist dies eine außergewöhnliche Risikosituation für die Fortführung der von Vorstand und Aufsichtsrat verfolgten Geschäftsstrategie sowie für die Interessen der Stakeholder der Zielgesellschaft. Hieraus folgt die Verpflichtung des Vorstands (Pflicht zur Krisenprävention), (i) den Sachverhalt weiter aufzuklären und (ii) eine erste Krisenbewältigungsstrategie zu entwerfen40. Entscheidungen zur Bewältigung der (potentiellen) Krisensituation sind unternehmerischer Natur und nach der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG) (weit) haftungsprivilegiert. Das bloß abstrakte Karriererisiko der Vorstandsmitglieder nach einem Aktienpaketverkauf begründet kein rechtlich relevantes Sonderinteresse, dass diese Haftungsprivilegierung entfallen lassen würde. Der Vorstand ist hierbei berechtigt, aber nicht verpflichtet, den Ankeraktionär mit den Verdachtsmomenten zu konfrontieren, den Sachverhalt und seine Ziele so zu klären und ihm ein kooperatives Zusammenwirken vorzuschlagen (z.B. Erarbeitung von Veräußerungsalternativen, Unterstützung von Veräußerungsbestrebungen durch Zulassung von Due-Diligence Prüfungen oder die Ermöglichung von Experten-Besprechungen); eine solch frühzeitige Ansprache wird – nach einiger interner Vorarbeit – regelmäßig sinnvoll und im Unternehmensinteresse sein. 39

So z.B. Bauer/Arnold DB 2006, 260, 265; Mayer-Uellner AG 2011, 193, 198; Selzner AG 2013, 818, 822. 40 Zu den Pflichten der Geschäftsleitung beim Krisenmanagement z.B. Seibt BB 2019, 2563 ff.

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Das Vorliegen bloßer Verdachtsmomente für Veräußerungsüberlegungen des Ankeraktionärs stellt noch keinen „sonst wichtigen Anlass“ i.S.v. § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG dar, sodass der Vorstand nicht verpflichtet ist, den Aufsichtsratsvorsitzenden hiervon zu unterrichten. Gleichwohl ist der Vorstand selbstverständlich berechtigt, „freiwillig“ den Aufsichtsratsvorsitzenden über die Verdachtsindizien zu informieren und mit ihm die Situation zu beraten. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist dann seinerseits nicht verpflichtet, das Gesamtgremium hiervon zu unterrichten. In Abhängigkeit von der weiteren Sachverhaltsaufklärung (und der damit evtl. konkretisierten Risikosituation) hat der Vorstand situationsangemessene und finanziell verhältnismäßige Präventionsmaßnahmen zu treffen. Hierzu gehören regelmäßig (i) die Auswahl spezialisierter Rechts-, Finanz- und Kommunikationsberater, (ii) die Definition eigener strategischer Ziele (in der Regel auf Basis der bereits vom Vorstand entwickelten und mit dem Aufsichtsrat abgestimmten Unternehmensstrategie), (iii) die Identifikation möglicher Abnehmer der vom Ankeraktionär gehaltenen Aktien bzw. Prüfung der Transaktionssicherheit einer ABO-Aktienplatzierung sowie (iv) Überlegungen zur fairen und angemessenen Aktienbewertung. Es kann durchaus im Unternehmensinteresse liegen (und damit zulässig sein), dass der Vorstand personelle und sachliche Mittel der Gesellschaft dafür einsetzt, die Veräußerungsbemühungen des Ankeraktionärs zu unterstützen, wenn diese Maßnahmen zum Ziel haben, eine stabile und nachhaltig ausgerichtete Aktionärszusammensetzung zu erhalten, die die vom Vorstand verfolgte Unternehmensstrategie stützt und die nachhaltige Rentabilität des Unternehmens sichert. Die Veräußerungsabsicht des Ankeraktionärs kann sowohl eine Insiderinformation im Hinblick auf etwaige Wertpapiere des Ankeraktionärs selbst sein als auch eine Insiderinformation bezogen auf die Wertpapiere der Zielgesellschaft. In Bezug auf die Zielgesellschaft ist, obgleich (beabsichtigte) Veränderungen im Anteilseignerkreis nicht von der Gesellschaft selbst sondern von einem Aktionär als außenstehendem Dritten ausgelöst werden, jedenfalls bei substantiellen Paketverkäufen, eine Kursrelevanz im insiderrechtlichen Sinne anzunehmen, da eine derartige Veräußerung regelmäßig mit strategischen Implikationen verbunden ist und Einfluss auf die Unternehmensführung haben kann41. Allerdings ist der Ankeraktionär – anders als dies zu41 Vgl. BaFin, Konsultation zum Entwurf des Emittentenleitfadens, Modul C, Stand: 1.7.2019, Ziff. I.3.2.2.2 (S. 49) (indes Kursrelevanz mit Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit vermischend); ähnlich Krause in Meyer/Veil/Rönnau, Hdb. zum MarktmissbrauchsR, 2018, § 6 Rn. 137 f.; Assmann in Assmann/U.H. Schneider/Mülbert, WertpapierhandelsR, 7. Aufl. 2019, Art. 17 MAR Rn. 47; jüngst ausf. Brellochs/Wieneke in FS 25 Jahre WpHG, 2019, S. 568, 573 ff.; restriktiver wohl Klöhn in Klöhn, MMVO, 2018, Art. 7 MAR Rn. 387: „Änderungen der Beteiligungsstruktur regelmäßig nicht kursrelevant“, der jedoch auch Ausnahmefälle bei besonderen Auswirkungen auf die Gesellschaft anerkennen will.

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weilen in der Praxis vertreten wird – berechtigt, die Insiderinformation dem Vorstand der Zielgesellschaft zu offenbaren. Dies folgt im Rahmen der erforderlichen Abwägung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zwischen dem Weitergabeinteresse des Ankeraktionärs einerseits und dem Vertraulichkeitsinteresse aus Marktfunktionsschutzgründen andererseits regelmäßig daraus, dass dem Ankeraktionär mit der Einbindung der Zielgesellschaft in den Veräußerungsprozess ein anerkennenswerter Zweck für die Weitergabe zur Seite steht und die Weitergabe auch im Übrigen verhältnismäßig ist42. Die Kenntnis dieser Insiderinformation führt dann zwar zu einer unverzüglichen Veröffentlichungspflicht (Ad hoc-Publizität nach Art. 17 MAR), allerdings kann die Zielgesellschaft beschließen, dass die Veröffentlichung temporär aufgeschoben wird, wenn hierfür ein berechtigtes Aufschubinteresse vorliegt. Dies wird in der Regel so lange vorliegen, als die Zielgesellschaft noch Maßnahmen umsetzen kann (und dies auch ernsthaft vorhat), die zur Absicherung ihrer Interessen dienlich sind, z.B. die Vermittlung alternativer Erwerbsinteressenten an den Ankeraktionär oder den Abschluss einer Investorenvereinbarung mit dem Erwerbsinteressenten. Das Wissen des Repräsentanten des Ankeraktionärs im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft über die Veräußerungsabsicht des Ankeraktionärs wird der Zielgesellschaft richtigerweise nicht zugerechnet. Das Aufsichtsratsmitglied kann sich insofern auf die Vertraulichkeitspflicht gegenüber dem Ankeraktionär berufen. Es gibt auch entgegen der Leitidee des LG Stuttgart (Porsche/Volkswagen)43 keine diese Vertraulichkeitsverpflichtung überspielende Offenlegungspflicht zur Erfüllung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten44.

V. Unterstützungsmaßnahmen der Zielgesellschaft für Übernahmeangebot durch den Ankeraktionär Der Vorstand der Zielgesellschaft ist im Regelfall berechtigt, dem Ankeraktionär auch nicht-öffentliche Informationen im Rahmen einer Due Dili42 Vgl. zur der für die Beurteilung der Zulässigkeit der Weitergabe erforderlichen Interessenabwägung Klöhn in Klöhn, MMVO, 2018, Art. 10 Rn. 43 ff.; ferner BaFin, Konsultation zum Entwurf des Emittentenleitfadens, Modul C, Stand: 1.7.2019, Ziff. I.4.4.2 (S. 90). 43 Vgl. LG Stuttgart v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 KAP Tz. 229, WM 2017, 1451: Das Gericht nimmt insoweit für einen Doppelvorstand (beim herrschenden und beherrschten Unternehmen) eine „Redepflicht über Insiderinformationen aus der Sphäre des Tochterunternehmens gegenüber dem herrschenden Unternehmen“ an; „[d]abei steht auch im faktischen Konzern der Informationsweitergabe § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG nicht entgegen (…), da sie zur Erfüllung der öffentlichen Pflicht der Ad-hoc-Publizität dient“; es bestünde nicht nur eine rein fakultative „Redemöglichkeit“ (Tz. 230). 44 Vgl. BGH v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569; in diese Richtung auch Kocher NZG 2018, 1410, 1412.

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gence-Untersuchung zur Vorbereitung eines Übernahmeangebots zugänglich zu machen, sofern (i) die Abgabe des Übernahmeangebots durch den Ankeraktionär im Unternehmensinteresse ist und (ii) das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft angemessen geschützt wird, z.B. durch den Abschluss einer inhaltlich umfassenden und hinreichend sanktionierten Vertraulichkeitsvereinbarung; in der Vertraulichkeitsvereinbarung kann auch ggf. ein Wertpapierhandelsverbot (sog. Standstill Undertaking) enthalten sein, um der Zielgesellschaft die Prozesskontrolle zu sichern. Er kann hierzu zur Unterstützung interner Kräfte der Zielgesellschaft auch externe Berater mandatieren, um das Due Diligence-Verfahren zu strukturieren und z.B. mittels Aufbau eines Datenraums vorzubereiten oder das Vorgehen des Ankeraktionärs bei der Due Diligence zu kontrollieren45. Der Vorstand ist nicht nur passiv zur Due Diligence-Zulassung berechtigt, sondern auch aktiv in dem Sinne, dass er dem Ankeraktionär von sich aus bestimmte Informationen anbieten kann, um zugunsten der Aktionäre und sonstigen Stakeholder eine Verbesserung der Angebotskonditionen zu erreichen46. Eine Pflicht zur Offenlegung nicht-öffentlich bekannter Informationen der Zielgesellschaft ist auch bei einem bereits an der Zielgesellschaft beteiligten Ankeraktionär nur in Ausnahmefällen gegeben. Diese Grundsätze zur Due Diligence-Zulassung gelten in gleicher Weise im Hinblick auf die Zugangsermöglichung des Ankeraktionärs zu Vertrags- und Joint Venture-Partnern der Zielgesellschaft47. Der Vorstand der Zielgesellschaft ist auch berechtigt, Maßnahmen zur Erhöhung der Transaktionssicherheit zugunsten des Ankeraktionärs zu treffen. Hierzu gehört beispielsweise die Vermittlung von Gesprächsmöglichkeiten zu den dem Vorstand bekannten weiteren Aktionären mit signifikanten Beteiligungspaketen. Er und der Aufsichtsrat können auch berechtigt sein, eine Kapitalerhöhung mit privilegiertem Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) unter alleiniger Zulassung des Ankeraktionärs durchzuführen, selbst wenn der Ankeraktionär nur dadurch die Kontrollschwelle (§ 29 Abs. 2 WpÜG) überschreitet, sofern diese Maßnahme ansonsten im Unternehmenswohl sachlich gerechtfertigt ist (sub III.). Die durch die Kapitalerhöhung und das Überschreiten der Kontrollschwelle bewirkte „Machtstärkung“ ist unschädlich, wenn sie nicht (Selbst-)Zweck, sondern nur Folge des im Unternehmensinteresse liegenden Bezugsrechtsauschlusses ist48. Ein solches Unternehmensinteresse kann insbesondere vorliegen, wenn ansonsten ein nicht anders abwendbarer Liquiditätsengpass einträte oder dies Voraussetzung für die Refinanzierung durch Fremdkapi45 46 47 48

So bereits Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 177. So bereits Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 177. So bereits Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 177. Vgl. Goette ZGR 2012, 505, 516 f.

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talgeber ist (Praxisbeispiel: Fosun/Tom Tailor) oder ansonsten erhebliche Ertragsmöglichkeiten aus dem operativen Betrieb wegen Liquiditätsmangel nicht genutzt werden könnten (Praxisfall: Acciona/Nordex). Allerdings ist bei der Preisfestsetzung nicht alleine die Vorgabe des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zu beachten, der zufolge „der Ausgabepreis den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreit[en] [darf]“, was auch geringe Abschläge vom aktuellen Börsenkurs (ggf. auch vom volumengewichteten Durchschnittskurs der letzten drei, fünf oder zehn Handelstage) erlaubte49. Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass Vorstand und Aufsichtsrat bei einer Festsetzung des Ausgabepreises hier berücksichtigen müssen, dass die Kapitalerhöhung zum Kontrollerwerb, damit zur Anwendung der übernahmerechtlichen Mindestpreisregeln und voraussichtlich zu einem Börsenkurs nah an diesem Wert führt. Danach hat der Angebotspreis für die neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung jedenfalls dem Mindestangebotspreis nach § 31 WpÜG (ggf. mit geringem Abschlag entsprechend § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG hiervon) zu entsprechen. Darüber hinaus entspräche es dem Gebot konsistenten Organverhaltens, wenn Vorstand und Aufsichtsrat in solchen Fällen einen Angebotspreis festsetzten, den sie auch voraussichtlich später im Rahmen der begründeten Stellungnahme nach § 27 Abs. 1 WpÜG als angemessen beurteilen können. Eine „Auktionspflicht“ zur Erzielung eines hypothetisch besseren (oder sogar besten) Preises besteht (im Regelfall) nicht50. Auch der Abschluss eines Vertrages mit dem Ankeraktionär, der Regelungen zur Absicherung des Übernahmeangebots enthält (sog. Deal Protection Clauses), ist trotz der hemmenden Wirkung auf konkurrierende Übernahmeangebote unter bestimmten Kautelen zulässig, nämlich wenn (i) deren Eingehung im Unternehmensinteresse liegt (also insbesondere der Absicherung des konkreten Übernahmeangebots des Ankeraktionärs ein höheres Gewicht beizumessen ist als den abstrakten Nachteilen, die sich durch die weitere Reduzierung der hier sowieso geringen Wahrscheinlichkeit für einen Bieterwettbewerb trotz Bestehen der Ankerbeteiligung ergeben), (ii) die Regelung keinen unangemessenen Druck auf die Geschäftsleitung der Zielgesellschaft bei der Bewertung des Übernahmeangebots ausübt (kein Verstoß gegen das Verbot sachlich ungerechtfertigter Vorwegbindung) und (iii) eine Fiduciary Out-Klausel es der Geschäftsleitung der Zielgesellschaft erlaubt, die Vereinbarung insgesamt oder bestimmte beschränkende Verpflichtungen einseitig zu beenden, wenn insbesondere durch ein konkurrierendes Übernahmeangebot oder durch sonstige Umfeldänderungen das ursprüngliche Unternehmensinteresse am Abschluss und an der Fortgeltung der Vereinba49 Hierzu z.B. Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 186 Rn. 39c und 39d; vgl. auch Seibt CFL 2011, 74, 79 f. 50 Vgl. Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 166; Schlitt in MünchKomm AktG, 4. Aufl. 2017, § 33 WpÜG Rn. 157; a.A. Busch, Regelung von öffentlichen Tauschangeboten, 1996, S. 109.

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rung bei Anlegung der aktienrechtlichen Sorgfaltspflichten wegfällt51. Hieraus folgt, dass alleine sog. No Talk-Verpflichtungen zu Lasten des Vorstandes der Zielgesellschaft nur in extremen Ausnahmefällen zulässig sein werden52. Bei diesen unternehmerischen Entscheidungen des Vorstandes, die der (weiten) Haftungsprivilegierung der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) unterfallen, ist zu berücksichtigen, dass gerade wegen des bereits bestehenden strategischen Investments des Ankeraktionärs ein konkurrierendes Übernahmeangebot sehr unwahrscheinlich ist. So hat auch die Fallanalyse der Übernahmen durch Ankeraktionäre ergeben, dass in den Fällen, in denen der Vorstand der Zielgesellschaft nach einem konkurrierenden Bieter (sog. White Knight) 53 z.T. mit erheblichen Mitteln gesucht hat, letztlich erfolglos geblieben sind (Praxisfälle: Tocos/Hawesko54; Pangea/ Pfeiffer Vacuum). Denn ein konkurrierender Bieter könnte alleine durch Annahme seines Übernahmeangebots durch außenstehende Aktionäre keine Beteiligungsquote erreichen, mit der er ohne Mitwirkung des Ankeraktionärs eine Strukturmaßnahme wie den Abschluss eines Beherrschungsvertrages durchsetzen könnte. Er müsste also in jedem Fall einen Angebotspreis bieten, der nicht nur über dem Angebotspreis des Ankeraktionärs liegt, sondern auch den Ankeraktionär selbst veranlasst, seine Beteiligung an den Bietkonkurrenten zu veräußern. Die Überlegungen des Ankeraktionärs, möglicherweise ein Übernahmeangebot abzugeben, können sowohl im Hinblick auf etwaige Wertpapiere des Ankeraktionärs selbst als auch im Hinblick auf die Wertpapiere der Zielgesellschaft eine Insiderinformation (Art. 7 Abs. 1 MAR) darstellen. Der Ankeraktionär ist allerdings auch in diesem Fall berechtigt, diese Information an die Zielgesellschaft weiterzugeben, z.B. mit dem Ziel zu erreichen, dass er eine Due Diligence bei der Zielgesellschaft durchführen kann55. Inso51

Vgl. Seibt in: Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 179 f. Vgl. Seibt in: Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 148, 180. 53 Zu dieser „Verteidigungsmaßnahme“ z.B. Schlitt in MünchKomm AktG, 4. Aufl. 2017, § 33 WpÜG Rn. 152 ff.; Richter in Semler/Volhard, Arbeitshdb. für Unternehmensübernahmen, Bd. 2, 2003, § 52 Rn. 187 ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rn. 60.327. 54 Vgl. Werres, Edeka steigt aus dem Machtkampf um (…) Hawesko aus, ManagerMagazin online v. 16.1.2015; zuvor Werres, Permira macht Rückzieher bei Hawesko, ManagerMagazin online v. 17.12.2014. 55 Klöhn, in Klöhn, MMVO, 2018 Art. 10 Rn. 160; – Zur Erwartungshaltung der Zielgesellschaft instruktiv Hawesko, Begründete Stellungnahme Aufsichtsrat, S. 7 („Die Bieterin hat ihre Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unabgestimmt unterbreitet. Es hat zwischen der Bieterin und Hawesko zu keinem Zeitpunkt Vereinbarungen oder Absprachen im Vorfeld des Angebots gegeben. (…) Der Aufsichtsrat bedauert, dass die Bieterin und Herr Detlev Meyer [Aufsichtsratsmitglied] das von ihnen gewählte Verfahren im Hinblick auf das Angebot weder mit dem Vorstand noch mit dem Aufsichtsrat im Vorfeld der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots abgestimmt haben. Dies 52

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fern ist hier die Situation wertungsmäßig konsistent mir derjenigen zu behandeln, in der der Ankeraktionär eine Veräußerung seiner Beteiligung plant. Auch hier ist die Zielgesellschaft grds. zur Offenlegung verpflichtet (Ad-hocPublizität nach Art. 17 Abs. 1 MAR), kann dies aber temporär qua Entscheidung aufschieben. Das Aufschubinteresse wird sich häufig durch die der Offenlegung der Übernahmeüberlegung anschließenden Verhandlung zwischen dem Ankeraktionär und der Zielgesellschaft über die konkreten Angebotskonditionen und die insoweit zu treffenden Sicherungsvereinbarungen ergeben. Der Ankeraktionär kann aber auch weitere Kernaktionäre der Zielgesellschaft unter Aufdeckung seiner Überlegungen ansprechen, um beispielsweise (bedingte) Kaufverträge abzuschließen oder unwiderrufliche Einlieferungsversprechen (sog. Irrevocable Undertakings) abzuschließen. Hierfür sieht Art. 11 Abs. 2 MAR (Marktsondierung) eine ausdrückliche Ausnahme vom insiderrechtlichen Weitergabeverbot vor56.

VI. Vertraulichkeitsverpflichtungen und Bewältigung von Interessenkonfliktlagen Bei Übernahmen durch Ankeraktionäre kann die Problematik der Einhaltung von Vertraulichkeitspflichten und die Bewältigung von Interessenkonfliktlagen auf zwei Seiten eintreten, wenn Repräsentanten des Ankeraktionärs im Vorstand (Ausnahmefall) bzw. im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft (Regelfall) vertreten sind: Das Organmitglied der Zielgesellschaft darf zwar an der Willensbildung des Ankeraktionärs in seiner Eigenschaft als Funktionsträger des Ankeraktionärs mitwirken, hierbei allerdings nicht sein vertraulich erhaltenes Wissen aus der Organtätigkeit der Zielgesellschaft gegenüber den weiteren Entscheidungsträgern des Ankeraktionärs offenlegen57. Eine darüber hinausgehende Forderung eines absoluten Nutzungsverbots solcher nicht-öffentlich bekannten Informationen durch die Person selbst ist abzulehnen, da sie die Anforderung an die konkrete Person überspannte; eine innere Chinese Wall bei dem Doppel-Funktionsträger ist eine unmögliche Verpflichtung und führte letztlich zu einem gesetzlich gerade nicht geforderten Verbot von Doppelmandaten58. Darüber hinaus entsprähat aus Sicht des Aufsichtsrats zu einer andernfalls möglicherweise vermeidbaren Verhärtung der Fronten zwischen der Bieterin, Herrn Detlev Meyer und dem Vorstand geführt.“). 56 Meyer in Meyer/Veil/Rönnau, Hdb. zum MarktmissbrauchsR, 2018, § 8 Rn. 72 ff. 57 Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 116 Rn. 14; Habersack in MünchKomm AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 60. 58 Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 116 Rn. 14; vgl. auch Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für AR-Mitglieder, 4. Aufl. 2013 § 13 Rn. 142; Habersack in MünchKomm AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 60; a.A. Hopt/Roth in GroßKomm AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 205.

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che es einer Best Practice jedenfalls für solche Sachverhaltsgestaltungen, in denen der Doppel-Funktionsträger nicht auch wirtschaftlicher (Mit-)Inhaber des Ankeraktionärs ist, den Doppel-Funktionsträger von der Willensbildung und Entscheidung auf Seiten des Ankeraktionärs auszuschließen. So haben auch tatsächlich Ankeraktionäre bereits mit Eingehung der Ankerbeteiligung als Ausdruck solcher Best Practice zwei Teams gebildet, nämlich ein Beteiligungsteam, das über die Wahrnehmung der Aktionärsrechte sowie über Fragen des (Des-)Investments in Aktien der Zielgesellschaft entscheidet, und ein Aufsichtsratsteam, das sich aus den Aufsichtsratsmitgliedern sowie den Personen zusammensetzt, die sich ausschließlich mit Fragen der Organausübung bei der Zielgesellschaft beschäftigen und die konkreten Organmitglieder als Hilfspersonen unterstützen. Sind auf Seiten der Zielgesellschaft (potentielle) Interessenkonfliktlagen nicht von vornherein offenkundig, so sollten im Falle des Vorstandes die Vorsitzenden des Aufsichtsrates und des Vorstandes bzw. im Falle des Aufsichtsrats der Aufsichtsratsvorsitzende explizit nachfragen. Das Ergebnis dieser Transparenzabfragen ist zu dokumentieren59. Eine (potentielle) Interessenkonfliktlage ergibt sich nicht bereits aus einem rein abstrakten Karriererisiko bzw. einer rein abstrakten Karrierechance für das Organmitglied60. Auch die Kenntnis von Organmitgliedern, in welcher Weise der konkrete Ankeraktionär nach Übernahme anderer börsennotierter Gesellschaften Vorstand und/oder Aufsichtsrat vergütet hat, führt noch nicht zu einem relevanten (potentiellen) Interessenkonflikt. Dies ist erst dann anders zu bewerten, wenn der Ankeraktionär mit dem konkreten Organmitglied ein gemeinsames Verständnis über seine zukünftige, geänderte Position bei der Zielgesellschaft bzw. beim Ankeraktionär als herrschendem Unternehmen oder über die neue, geänderte Vergütung gefunden hat; dies gilt erst Recht bei Abschluss eines entsprechendes Term Sheets mit solchen Inhalten. Unterbreitet der Ankeraktionär Organmitgliedern der Zielgesellschaft das Angebot, eine Funktion beim Ankeraktionär zu übernehmen, so kann die Regelung einer zeitlich befristeten Veränderungssperre bis zur späteren Tätigkeitsaufnahme beim Ankeraktionär interessenkonfliktminimierend sein61. 59 Siehe z.B. OSRAM Licht AG, Begründete Stellungnahme zum Übernahmeangebot der ams AG, S. 83 f.; Nordex SE, Begründete Stellungnahme, S. 49. 60 Vgl. Seibt in Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, S. 148, 160. Zum sog. entrenchment bei unabgestimmten Übernahmeangeboten allerdings Hopt, FS Lutter, 2000, S. 1361, 1371; Fleischer, FS Wiedemann, 2002, S. 827, 842. 61 So wurde im Übernahmeverfahren ZEAL Network/Lotto24 AG vereinbart, dass die Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft erst nach 180 Tagen in das Board des Bieters wechseln können, in der Annahme, dass laufende Vertragsverhandlungen zwischen der Zielgesellschaft und dem Bieter dann abgeschlossen sind; vgl. ZEAL Network, Angebotsunterlage, S. 26, 29, 48, 208 (abrufbar unter: www.bafin.de), sowie Lotto24 AG, Begründete Stellungnahme, S. 28, 59, 69.

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Repräsentanten des Ankeraktionärs im Vorstand bzw. im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben die Interessenkonfliktlage von sich aus gegenüber dem Gesamtgremium anzuzeigen und im Regelfall von sich aus anzukündigen, dass sie an der Beratung und Beschlussfassung des Organs betreffend Fragen der Übernahme nicht teilnehmen werden. Dies ist auch das Standard-Vorgehen in der deutschen Übernahmepraxis62. Nichtsdestotrotz ergeben sich im Einzelfall nicht ganz einfache Abgrenzungsfragen im Hinblick darauf, welche Beratungs- und Beschlussgegenstände „die Übernahme betreffen“. So hat insbesondere die Beschlussfassung über das Budget des kommenden Geschäftsjahres, vor allem aber auch die strategische Mittelfristplanung sowie wesentliche und strategische Einzelmaßnahmen und Investitionsvorhaben signifikante Auswirkung auf die Beurteilung der Angebotskonditionen. In der Praxis werden die Beteiligten ein Interesse an einem einvernehmlichen Verständnis über den inhaltlichen Umfang der Ausschlusswirkung haben; ein Letztentscheidungsrecht kommt dem Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. dem Stellvertreter in der Vorsitzfunktion zu, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende selbst interessenkonfligiert ist63. Vor allem in den Fällen, in denen ohne Teilnahme des Aufsichtsratsmitglieds die Beschlussfassung des Gesamtgremiums unmöglich wäre, kommt als Alternativvorgehen eine Teilnahme an der Beschlussfassung mit Abgabe einer Stimmenthaltung in Betracht64. Das interessenkonfliktbelastete Organmitglied ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, ein Sondervotum zum Übernahmeangebot des Ankeraktionärs abzugeben; inhaltlich wird sich hier gegenüber dem Inhalt der Angebotsunterlage nichts ergeben. Die Zielgesellschaft ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, dieses Sondervotum z.B. als Anlage zur begründeten Stellungnahme zu veröffentlichen65.

VII. Low-Balling-Angebotstaktiken Als sog. Low-Balling wird die Angebotstaktik bezeichnet, bei dem ein Bieter, der einen erheblichen, zumeist knapp unter 30% liegenden Aktienvorbesitz innehat (also ein Ankeraktionär), ein freiwilliges Übernahmeange62

Siehe Einzelauswertung im Anhang (Spalte 8). Vgl. Seibt in FS Hopt, 2010, Bd. 2 S. 1363, 1385 ff. 64 Siehe Lotto 24 AG, Begründete Stellungnahme, S. 69 (dreiköpfiger Aufsichtsrat mit zwei mit Interessenkonflikt belasteten Mitgliedern); Nordex SE, Begründete Stellungnahme vom 28.11.2019, S. 50 und 51. 65 Seibt, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1138 f. (mit Praxishinweisen in Fn. 73) – Aus der jüngeren Praxis: Sondervotum eines Aufsichtsratsmitglieds, der PaketverkäuferRepräsentant ist: Gernandt, Sondervotum zum Übernahmeverfahren Warwick/VTG, Anhang 3 zur Begründeten Stellungnahme. 63

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bot bzw. nach absichtsvollem Zuerwerb einzelner Aktien ein Pflichtangebot, jeweils im Wesentlichen zum gesetzlichen Mindestpreis, abgibt, wobei eben eine nur geringe Annahmequote erstrebt wird. Damit erhält der Bieter die Handlungsoption, ggf. später weitere Aktien über die Börse oder Aktienpakete außerhalb der Börse zu kaufen zu können, ohne dann zu einer Abgabe eines (weiteren) Pflichtangebots verpflichtet zu sein (vgl. § 35 Abs. 3 WpÜG)66. Hierdurch kann eine spezifische Beteiligungsquote, deren Umfang u.a. vom geplanten Finanzmittelaufwand und erstrebten Einflusspotential abhängen wird, zu einem verhältnismäßig gut prognostizierten Gesamterwerbspreis erlangt werden. Transaktionssicherheit im Hinblick auf das Überschreiten der Kontrollschwelle kann (i) durch die Zulassung zu einer Kapitalerhöhung unter (privilegiertem) Bezugsrechtsausschluss durch die Zielgesellschaft (zu den Beschreibungen sub V.), (ii) durch den Abschluss bedingter Kaufverträge bzw. von Irrevocable Undertakings mit weiteren Aktionären der Zielgesellschaft67 oder (iii) wegen eines tatsächlichen (oder vermuteten) Interessengleichlaufs bestimmter Mitaktionäre an einem Übernahmeerfolg68 erreicht werden; schließlich kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass einzelne Aktien immer unabhängig von der Attraktivität des Übernahmeangebots eingeliefert werden. Häufig liegt die kurz- bis mittelfristig erstrebte Zielbeteiligungsquote bei etwa 35 bis 40%, um damit eine faktische Hauptversammlungsmehrheit zu besitzen und faktisch Kontrolle ausüben zu können. Die empirische Fallanalyse zeigt allerdings auch, dass der Ankeraktionär nach dem Übernahmeangebot relativ zügig das Erreichen einer Beteiligungsquote von mehr als 50% erstrebt und erreicht hat69. Damit kann z.B. sicher die Vollkonsolidierung der Zielgesellschaft, aber auch das kartellrechtliche Konzernprivileg (ggf. nach Abschluss eines sog. Relationship Agreement70) erreicht werden. Die Sinnhaftigkeit der Low-Balling-Angebotsstrategie wird allerdings von einer Reihe von Finanzberatern in Zweifel gezogen: Denn der Kapital66 Hierzu z.B. Baums ZIP 2010, 2374, 2377; Seibt CFL 2011, 213, 217; Hitzer/Düchting ZIP 2011, 1084 ff.; Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013, S. 46 ff. 67 Aus der Praxis: Warwick (Morgan Stanley Infrastructure)/VTG. 68 Aus der Praxis: ACS/Hochtief – Southeastern Asset Management, die ihre Aktien an Hochtief trotz eines unter dem Börsenkurs liegenden Angebotspreises in das Angebot einlieferte, war auch Aktionärin beim Bieter ACS (zu 6,5%) und hatte deswegen ein Interesse am Erfolg des Übernahmeangebots; vgl. z.B. Spiegel Online v. 16.12.2010 („HochtiefGroßaktionär geht auf ACS-Angebot ein“). Zur (negativen) BaFin-Prüfung (keine Abstimmung zwischen Southeastern und ACS) BaFin, Pressemitteilung v. 26.1.2011 (www.bafin.de). 69 Aus der Praxis: ACS/Hochtief; KB Holding (Thiele)/Vossloh; Pangea (Busch/ Pfeiffer Vacuum); Einzelangaben jew. in der Übersicht im Anhang. 70 Hierzu Seibt, FS K. Schmidt, 2019, S. 431, 434 ff.

Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen

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markt spekuliere gerade auf Nachkäufe im Anschluss an das Low-BallingAngebot, mit der Folge steigender Aktienkurse, die der Bieter zur Erreichung nächster Kontrollschwellen dann erfüllen müsse. Der Gesamtaufwand sei dann höher, als wenn der Bieter von vornherein beim freiwilligen Übernahmeangebot eine angemessene Übernahmeprämie angeboten und dann eine höhere Annahmequote erreicht hätte. Die Low-Balling-Angebotstaktik ist nach deutschem Übernahmerecht zulässig. Rechtspolitisch wurde allerdings im Anschluss an das ACS/Hochtief-Übernahmeverfahren (2010) vielfach und nachdrücklich, auch mit einem rechtsvergleichenden Umblick, eine Gesetzesänderung gefordert, mit der das wirtschaftliche Ziel erreicht werden sollte, den außenstehenden Aktionären eine angemessene Kontrollprämie über den gesetzlichen Mindestangebotspreis hinaus zu sichern. International haben sich hierfür zwei Regelungsmodelle etabliert, nämlich zum einen das Erfordernis eines Mindestprozentsatzes (regelmäßig 50%), den der Bieter für den Erfolg des Übernahmeangebots erreichen muss71, und zum anderen die Einführung zusätzlicher, pflichtangebotsauslösender Kontrollschwellen (zwischen 30 und 50%) 72. Auch die Europäische Kommission hatte bei Überprüfung der Reformnotwendigkeit der EU-Übernahmerichtlinie (2012) festgestellt, dass in Deutschland insofern ein „significant loophole“ bzw. „lack of appropriate regulation“ bestünde, und angekündigt, „geeignete Schritte [zu] ergreifen, um entsprechenden Praktiken in der EU Einheit zu gebieten, etwa im Wege bilateraler Diskussionen mit den betroffenen Mitgliedsstaaten oder durch Empfehlungen der Kommission“73. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft74 sowie auch die Diskussion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zu möglichen Reformbereichen des WpÜG75 hatte aber letztendlich zu keiner Gesetzesänderung geführt. Sie ist auch weiterhin nicht dringend angezeigt, denn der (Mindest-)Schutz der Interessen außenstehender Aktionäre wird bereits durch die gesetzlichen Bestimmungen zum Mindestange71 So z.B. im Vereinigten Königreich (Rules 9.1,9.3,10 Takeover Code) und Niederlande (Art. 5:71(b) Wet op het financieel toezicht). 72 So z.B. in Frankreich, Italien, Österreich, Finnland, Griechenland, Indien. Zu den verschiedenen Ausgestaltungen siehe BonelliErede u.a., Guide to Public Takeovers Europe, 2016; Practical Law, Stakebuilding, Mandatory Offers and Squeeze-out. Comparative Table, Stand: 1.10.2017 (www.practicallaw.com). 73 Vgl. Europäische Kommission, Bericht der Kommission an das Euopäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Anwendung der Richtlinie 2004/25/EG betr. Übernahmeangebote, Brüssel 28.6.2012, COM (2012) 347 final; vgl. auch Seibt CFL 2013, 145, 169; Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013, S. 46 und 50. 74 Vgl. Seibt ZIP 2012, 1, 7; Baums ZIP 2010, 2374 ff.; Hirte Der Konzern 2010, 599 ff.; Hopt, Europäisches Übernahmerecht, S. 48 f.; Hitzer/Düchting ZIP 2011, 1084 ff.; Merkt NZG 2011, 561 ff. 75 Vgl. Seibt ZIP 2012, 1, 3 (mit weiteren Nachweisen in Fn. 17 und 18).

1198

Christoph H. Seibt

botspreis gewährleistet; eine darüber hinausgehende „Kontrollprämie“ steht jenen rechtlich gerade nicht zu. Darüber hinaus gibt es einen in der Praxis funktionierenden Vermögensschutz durch steigende Aktienkurse wegen fortwährender „Nachkaufphantasie“76 oder wegen der Erwartung von Abfindungsansprüchen bei späteren Strukturmaßnahmen (Delisting, Abschluss eines Beherrschungsvertrages oder Squeeze-Out). Es bleibt allerdings zur Stärkung der Kapitalmarkttransparenz überlegenswert, eine über den jetzigen Status hinausgehende77 Beteiligungstransparenz für einen Zeitraum von z.B. 3 Jahren nach Abschluss des Übernahmeverfahrens (§ 23 WpÜG) einzuführen, die den Bieter verpflichtet, jeweils in 1%-Schritten Veränderungen am Stimmrechtsbestand bis zum Erreichen der 50% Stimmrechtsschwelle mitzuteilen78.

VIII. Folgerungen für begründete Stellungnahmen Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben eine begründete Stellungnahme zu dem Übernahmeangebot des Ankeraktionärs abzugeben, insbesondere im Hinblick auf die Art und Höhe der angebotenen Gegenleistung und die vom Ankeraktionär mit dem Angebot verfolgten (strategischen) Ziele (vgl. § 27 Abs. 1 WpÜG). Es sind hier auch bei der Zielgesellschaft aufgetretene Interessenkonflikte und deren Bewältigung offenzulegen79. Die beiden Leitungsorgane können auch eine gemeinsame begründete Stellungnahme abgeben80. Dies ist in der Praxis auch der ganz überwiegende Regelfall, und dies gilt auch und trotz der erhöhten Interessenkonfliktlage bei Übernahmeangeboten durch Ankeraktionäre so. Das ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, sofern nur in der dann gemeinsamen begründeten Stellungnahme auf die (potentiellen) Interessenkonfliktlagen hingewiesen und die Maßnahmen zu ihrer Bewältigung beschrieben werden81. 76 Aus der Praxis: Aktienkursentwicklung der Pfeiffer Vacuum Technology AG seit erfolgreichem (ca. 35%) Übernahmeangebot (zu EUR 110) im 6/2007 auf Durchschnittskurs 2018/19 von ca. EUR 140 und derzeit EUR 160; vgl. V. Glaser „Kommt eine Übernahme im TecDAX?“, wallstreet-online.de v. 20.11.2019 („Auf Basis der operativen Zahlen ist die Aktie mehr als gut bezahlt (…). Treiber des Papiers ist die Familie Busch“). 77 Die EU-TranzparenzRL gestattet die Einführung weiterer Meldeschwellen bei der Beteiligungstransparenz durch nationales Recht; vgl. Seibt/Wollenschläger ZIP 2014, 545, 548; U.H. Schneider in Assmann/U.H. Schneider/Mülbert, WertpapierhandelsR, 7. Aufl. 2019, vor § 33 WpHG Rn. 13; Burgard/Heimann in FS Dauses, 2014, S. 47, 51 ff. 78 In diese Richtung bereits Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013, S. 50 f.; Baums ZIP 2010, 2374, 2387 ff.; Veil ZHR 177 (2013) 427, 438 f. 79 Hopt in Großkomm AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 Rn. 221; Hirte in KK-WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 34; Spindler in MünchKomm AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 121. 80 Hirte in KK-WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 24; vgl. auch Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drs. 14/7477 v. 14.11.2011, S. 53. 81 Zur Offenlegungspflicht Seibt CFL 2011, 213, 236.

Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen

1199

In der Angebotsunterlage sind auch etwaige vertragliche Absprachen mit dem Ankeraktionär oder bislang tatsächlich bestehende Übungen (z.B. einer Offenlegung auch nicht-öffentlich bekannter Informationen an den Ankeraktionär ohne vertragliche Grundlage) sowie Unterstützungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot transparent zu machen. Allerdings ist nicht jede Kommunikation der Vergangenheit zu veröffentlichen, sondern nur sofern es einen konkreten Angebotskonnex gibt. Die begründete Stellungnahme hat sich auch zu diesen Passagen der Angebotsunterlage zu verhalten. Aufgrund des bisherigen Verhältnisses zwischen Ankeraktionär und Zielgesellschaft wird die Grundlage für eine realistische Einschätzung über die in der Angebotsunterlage beschriebenen Absichten des Ankeraktionärs höher sein als bei sonstigen Bietern; solche tatsächlichen Grundlagen spezifischer Einschätzungen sind ebenfalls offen zu legen. Die Organe der Zielgesellschaft haben bei entsprechenden, faktenbasierten Indizien auch z.B. auf mangelnde Vertragstreue in der Vergangenheit hinzuweisen. Die begründete Stellungnahme hat im Regelfall mit einer Empfehlung an die Aktionäre abzuschließen, das Angebot anzunehmen oder nicht anzunehmen. Dabei ist es auch zulässig, die Empfehlung je nach Anlegerkategorie zu differenzieren oder z.B. zwischen einem unangemessenen niedrigen Angebotspreis (negative Empfehlung) einerseits und einer Unterstützung der Strategieumsetzung durch den Ankeraktionär (positive Empfehlung) andererseits zu unterscheiden. Die Fallanalyse zeigt eine erhebliche Abweichung gegenüber der Gesamtgruppe der Übernahmen insoweit, als dass zum einen die Anzahl negativer Stellungnahmen und zum anderen die von differenzierten Stellungnahmen sehr hoch sind. Das hängt mit der häufig von den Ankeraktionären verfolgten Low-Balling-Angebotstaktik zusammen, die eben einen nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben unangemessen niedrigen Angebotspreis plangemäß zur Folge hat.

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2019 2 J 11 M

Shareholder Value Beteiligungen AG/Shareholder Value Management AG

28,29%/ 35,35% (nach 10% KE)

29,9%/ 36,273% (nach 10% KE)

Keine Prämie (Angebotspreis von EUR 1,39 durch Vorerwerbe determiniert; 3-Monats VWAP bei EUR 1,37; Sanierungssituation)

Keine Prämie (Gegenleistung entspricht 3Monats VWAP; KE zu identischem Preis/ Refinanzierungssituation)

76,75%

31,90%

Keine Prämie (Gegenleistung entspricht 3Monats VWAP; KE mit Abschlag/ operativer Finanzierungsbedarf)

Prämie zu Mindestpreis

36,373%

Beteiligungs- Beteiligungshöhe vor höhe nach Angebot Angebot

29,22% INTERSHOP Communications AG

Fosun TOM International TAILOR Limited Holding SE

2019 4J8M

Zielgesellschaft

Acciona S.A. Nordex SE

Bieter

2019 3J7M

Jahr; Haltedauer vor Angebot

Tendenz Aktienkurs 3 Monate vor § 10 WpÜGMeldung

n/a

3 Bieter nahestehende AR-Mitglieder (von 10). 2 Bieter nahestehende AR-Mitglieder nahmen nicht an AR-Sitzungen bzgl. der Übernahme teil

2 Bieter nahestehende AR-Mitglieder (von 6); Stimmenthaltungen dieser AR-Mitglieder bei Beschlussfassung betr. Übernahme

Aufsichtsräte des Bieters in Zielgesellschaft – Bewältigung von Interessenskonflikten

Anhang: Tabellarische Übersicht über Übernahmeangebote durch Ankeraktionäre 2010–2019

hier bitte Quertabelle S._1200–1204_quer_Seibt.doc einfügen !! Keine Veränderungen

Wechsel des CEO, CFO und des AR-Vorsitzenden (Bieter-Vertreter statt unabhängigen Mitglied); Bestellung eines weiteren Fosun nahen AR-Mitglieds (CFO Fosun Fashion Group)

Keine Veränderungen

Veränderungen Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb von 12 Monaten

Positiv

Strategie positiv; differenzierte Preisbeurteilung je nach Anlegerperspektive

Strategie positiv; differenzierte Preisbeurteilung je nach Anlegerperspektive

Ergebnis begründete Stellungnahme

1200 Christoph H. Seibt

34,56% ein- EUR 8,80 schließlich bzw. 8,70% Paralellerwerben über Börse (Aufstockung bis 31.12.2017:

29,98%

Pfeiffer Vacuum Technology AG

Pangea GmbH (Busch)

2017 1J5M (> 15%)

48,39%

29,99%

Studhalter Constantin Investment Medien AG AG, Highlight Communications AG

2017 1J6M EUR 0,23 bzw. 11,1%

EUR 2,19 bzw. 4,31%

70,63% (Aufstockung bis 80,8% mit Delisting FWB am 8.4.2019)

29,00% (+20,41% Irrevocable Undertaking von Kühne)

VTG AG

Prämie zu Mindestpreis

Beteiligungs- Beteiligungshöhe vor höhe nach Angebot Angebot

Zielgesellschaft

Warwick Holding GmbH (Morgan Stanley Infrastructure)

Bieter

2018 1J8M

Jahr; Haltedauer vor Angebot

Aufsichtsräte des Bieters in Zielgesellschaft – Bewältigung von Interessenskonflikten 3 AR-Mitglieder im Zuge der Übernahme ausgeschieden; Bieter-Vertreter wird stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

Veränderungen Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb von 12 Monaten

hier bitte Quertabelle S._1200–1204_quer_Seibt.doc einfügen !! 1 (unabhängiges) ARMitglied war auf Vorschlag der Bieterin zur Wahl in der Hauptversammlung 2016 vorgeschlagen und gewählt worden (Beck); Übernahmeausschuss

Ausscheiden von 2 ARMitgliedern, u.a. des ARVorsitzenden; gerichtliche Bestellung von 2 ARMitgliedern (BieterVertreterin als ARVorsitzende); Wechsel

Keine Veränderungen Aufsichtsrat bereits 2017 neu besetzt; Einrichtung (deutlicher Aufeines Übernahmeausschuswärtstrend, unmit- ses telbar vor Meldung signifikanter Kursrückgang)

Bildung eines Übernahmeausschusses (mit 3 AR(deutlicher AufMitgliedern); 2 ARwärtstrend, unmit- Mitglieder (Verkäufertelbar vor MelVertreter; Bieter-Vertreter) dung signifikanter beteiligen sich wegen poKursrückgang) tentieller Interessenkonflikte nicht an der Beratung und Beschlussfassung zu dem Übernahmeangebot und waren auch keine Mitglieder des Übernahmeausschusses; Sondervotum des Verkäufer-Vertreters im AR (Gernandt) als Anhang zur begründeten Stellungnahme

Tendenz Aktienkurs 3 Monate vor § 10 WpÜGMeldung

Negativ, weil Strategieverfolgung unklar und Angebotspreis nicht angemessen

Positiv

Negativ, weil Strategieverfolgung unklar, mögliche Strukturmaßnahmen nicht im Unternehmensinteresse und Angebotspreis nicht angemessen; aber Verkauf der Aktien des Vorstands an Bieterin

Ergebnis begründete Stellungnahme

Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen

1201

52,54% (Aufstockung zum 30.4.2016: 76,03%)

DMG MORI DMG MORI 26,50% GmbH SEIKI AG

2015 3 J 10 M (abweichende Beteili-

Tendenz Aktienkurs 3 Monate vor § 10 WpÜGMeldung von CEO, CFO und weiterem Vorstandsmitglied

Veränderungen Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb von 12 Monaten

AR-Mitglied Masahiko Mori (Bieter-CEO) nahm nicht an AR-Sitzungen bzgl. der Übernahme teil

Bildung eines gemeinsamen Übernahmeausschusses durch Vorstand und AR, Besetzung mit 2 unabhängigen ARMitgliedern; 2 Bieter nahestehende AR-Mitglieder (von 6); AR-Vorsitzender (Thiele) verzichtete auf Teilnahme an Beratung und Beschlussfassungen bzgl. der Übernahme wegen (gemeinschaftlicher) Kontrolle über Bieter

Wechsel eines Vorstandsmitglieds

(Übernahme der Position des AR-Vorsitzes durch Thiele gegen Widerstand des Gründerfamilie bereits 6 /2013 vor Angebotsankündigung); Keine Veränderungen im Vorstand; Wechsel in der Person eines der KB Holding nahestehenden AR-Mitglieds

Wechsel des CEO 1 Bieter nahestehendes AR-Mitglied (von 3); ARMitglied Jaster (Bieter-GF) nahm nicht an AR-Sitzung bzgl. der Übernahme teil

ohne dessen Teilnahme gebildet

Aufsichtsräte des Bieters in Zielgesellschaft – Bewältigung von Interessenskonflikten

hier bitte Quertabelle S._1200–1204_quer_Seibt.doc einfügen !!

Zunächst: EUR 2,33 bzw. 9,3%; nach zweimo- (gleichbleibend, natiger Preiser- leichter Kursanhöhung: EUR stieg vor Meldung)

Keine Prämie

30,21% (Aufstockung bis 29.9.2015: 40,79%; z.Zt. >50%)

29,99%

KB Holding AG (Thiele)

2015 2J7M

Vossloh AG

Prämie zu Mindestpreis

Keine Prämie (Angebotspreis von EUR 5,30 durch Vorerwerbe determiniert; 3-Monats VWAP bei EUR 5,04)

38,96%; z.Zt. >50% und Relationship Agreement)

Beteiligungs- Beteiligungshöhe vor höhe nach Angebot Angebot

31,44% M.A.X. Au- 29,99% tomation AG (durch Zuerwerb auf 30,0001%: Pflichtangebot)

Zielgesellschaft

Orpheus Capital II GmbH & Co. KG (Günther Gruppe)

Bieter

2015 2J1M

Jahr; Haltedauer vor Angebot

Positiv

Strategie positiv; Angebotspreis nicht angemessen

Negativ, weil Angebotspreis nicht angemessen

Ergebnis begründete Stellungnahme

1202 Christoph H. Seibt

29,45%

FS Technol- First Sensor ogy Holding AG S.à.r.l. (ING Groep)

6,13 bzw. 28,69%; Erhöhungen erfolgten nach Paketerwerb zu EUR 30 zur Erreichung der 40%: Mindestannahmeschwelle

Prämie zu Mindestpreis

30,62% (Aufstockung zum 25.6.2016: 36,02% und zum 30.6.2019: 40,06%; hiernach Übernahme-

Tendenz Aktienkurs 3 Monate vor § 10 WpÜGMeldung

2 Bieter nahestehende ARMitglieder (von 6). Diese nahmen nach eigener Anregung aufgrund ARBeschlusses nicht an Beratungen und Beschlussfassungen betr. Übernahme teil. Gesonderte begründete Stellungnahme des AR und eigene AR-Berater wegen Großaktionärstellung des CEO

Aufsichtsräte des Bieters in Zielgesellschaft – Bewältigung von Interessenskonflikten

Keine Prämie keine (aber + 19,13% im 12 Monats- (gleichbleibend, vergleich) leichter Kursanstieg vor Meldung)

78,96% (Ab- 4% schmelzung bis 31.12.2015: 72,6%)

Beteiligungs- Beteiligungshöhe vor höhe nach Angebot Angebot

2014 2J8M (abweichende Beteiligungsgesellschaft)

Zielgesellschaft

TOCOS Be- Hawesko 29,501% teiligungs Holding AG GmbH (Meyer)

Bieter

2014/15 9 J bzw. 4J1M (2005: ≥ 10%; 2010: 29%)

gungsgesellschaft)

Jahr; Haltedauer vor Angebot

hier bitte Quertabelle S._1200–1204_quer_Seibt.doc einfügen !! Wechsel des CFO

Wechsel des CEO und AR-Vorsitzenden (Rücktritt); Bieter-GF als neuer AR-Vorsitzender; keine Erhöhung der Zahl Bieter nahestehender ARMitglieder)

Veränderungen Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb von 12 Monaten

Negativ, weil Angebotspreis nicht angemessen

Vorstand: negativ, weil Angebotspreis nicht angemessen, aber Verkauf der Aktien des Vorstands an Bieterin; Aufsichtsrat: differenzierte Preisbeurteilung je nach Anlegerperspektive

Ergebnis begründete Stellungnahme

Sleeping with the Enemy? – Ankeraktionäre und Übernahmen

1203

Jahr; Haltedauer vor Angebot

33,49% (nach zwischenzeitlicher Verwässerung durch 10% KE an Qatar Holding); (Aufstockung bis zum 31.12.2011: 49,17%; z.Zt. >50%)

ACS

2010/11 3J8M

HOCHTIEF 29,98%

59,2% 29,7% (+ 9,19% Option L. Hinrichs, gesamt 38,89%)

Burda Digital XING AG GmbH

2012 2 J 11 M

58%

angebot von TE Connectivity mit Paketübernahme)

Beteiligungs- Beteiligungshöhe vor höhe nach Angebot Angebot

29,86%

Zielgesellschaft

WEGOLD Dresdner Holding AG Factoring AG

neue rechte Seite!

2012 4 J 11 M

Bieter

26,53% (erhöhtes Angebot, 12,5% höher als ursprüngliches Angebot)

6%

19%

Prämie zu Mindestpreis

Tendenz Aktienkurs 3 Monate vor § 10 WpÜGMeldung

2 Bieter nahestehende ARMitglieder, Bildung eines Übernahmeausschusses ohne diese

3 Bieter nahestehende ARMitglieder, davon einer Mitarbeiter der Burda GmbH

AR-Mitglied war BieterCEO

Aufsichtsräte des Bieters in Zielgesellschaft – Bewältigung von Interessenskonflikten

hier bitte Quertabelle S._1200–1204_quer_Seibt.doc einfügen !!

Strategie positiv; Angebotspreis nicht angemessen

Enthaltung einer Empfehlung

Ergebnis begründete Stellungnahme

4 Vorstandsrücktritte, Negativ weitere in Tochtergesell- (Strategie und schaften; Aufstockung auf Angebotspreis) 4 Bieter nahestehende AR-Mitgliedern

Neuer CEO (Thomas Vollmoeller) seit 15. August 2012 (BieterVorschlag)

Keine. Vertragsverlängerung für CEO

Veränderungen Vorstand und Aufsichtsrat innerhalb von 12 Monaten

1204 Christoph H. Seibt

Kodex-Gedanke: selbstregulierendes Steuerungsmittel statt Satzungsfreiheit? 1205 Kodex-Gedanke: selbstregulierendes Steuerungsmittel statt Satzungsfreiheit? Gerald Spindler

Der Kodex-Gedanke: selbstregulierendes Steuerungsmittel statt Satzungsfreiheit? GERALD SPINDLER

I. Einleitung Der Jubilar hat wie kaum ein anderer sowohl das deutsche als auch europäische wie internationale Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht geprägt. Klaus Hopt stand und steht für den rechtsvergleichenden, stets auch Nachbarwissenschaften wie die Ökonomie im Blick habenden Corporate Governance Ansatz. Legendär ist neben vielen hunderten anderen etwa sein Werk „Comparative Corporate Governance“.1 Zu den bedeutenden Entwicklungen in der Corporate Governance (und zu deren Verbesserung) zählt auch der Kodex-Gedanke, mit dem sich der Jubilar erst jüngst wieder auseinandergesetzt hat.2 Gerade die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex für das Jahr 2020 gibt nach fast zwei Jahrzehnten Anlass, einen kritischen Rückblick auf den Kodexgedanken und seine Entwicklung zu werfen, da gerade auch Klaus Hopt sich den Gefahren für Pfadabhängigkeiten in der Corporate Governance bewusst ist – und sich der Jubilar immer kritischen Diskussionen gestellt hat.

II. Ansatz und Entwicklung Der Grundgedanke des Kodex ist vergleichsweise einfach und gerade deswegen auf den ersten Blick von erheblicher Durchschlagskraft: Mit Hilfe des Wettbewerbs um Rechtsordnungen, hier: der besten Corporate Governance am Kapitalmarkt, kann ein stetiges race to the top entwickelt werden. Anders als im völlig freien Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen, wie im berühmten Beispiel von Delaware, für das bekanntlich strittig ist, ob es sich um ein race to the bottom oder race to the top handelt,3 setzt hier al1

Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge, Comparative Corporate Governance, 1998. Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 ff. 3 Vgl. zu diesem Streit Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, Rn. 28 ff.; Papmehl, ZVglRWiss 101 (2002), 200 (207 f.); vgl. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2235); als „race to the bottom“ bezeichnend Cary, Yale Law Journal, Vol. 83 No. 4, 1974, 2

1206

Gerald Spindler

lerdings eine Institution, im deutschen Fall die Kodexkommission, die als best practice empfundenen Standards. Demgemäß verpflichtet § 161 AktG Vorstand und Aufsichtsrat kapitalmarktorientierter Aktiengesellschaften zur Abgabe einer Erklärung über die Einhaltung der Verhaltensempfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Vergangenheit und für die Zukunft. Erklärter Normzweck ist die Information der Kapitalmarktteilnehmer darüber, ob sich das Unternehmen, das den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt, an die Verhaltensstandards des Kodex zu Unternehmensleitung und -kontrolle hält oder – wenn das Unternehmen vom Kodex abweicht – wie diese Abweichung aussieht und deren Gründe.4 Flankiert wird dies durch die Pflicht, den Aktionären die Erklärung dauerhaft zugänglich zu machen (§ 161 Abs. 2 AktG), um die Publizität der Erklärung in ihrer jeweils aktuellen Fassung zu gewährleisten.5 Dabei setzte die deutsche Corporate Governance-Debatte im internationalen Vergleich erst relativ spät ein.6 Während andere Staaten längst Corporate Governance Kodizes eingeführt hatten7 und auch die OECD 1999 einen Richtlinienvorschlag zur Corporate Governance8 veröffentlicht hatte, brachten zwei private Initiativen („Grundsatzkommission Corporate Governance“ und „Berliner Initiativkreis“) die Debatte in Bewegung9 – was letztlich auch den Zeitgeist einer Liberalisierung und das Vertrauen auf (funktionierende) Kapitalmärkte traf. Demgemäß verwundert es nicht, dass die von der Bundesregierung eingesetzte Regierungskommission „Corporate Governance – Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts“ als einen Kernbestandteil ihrer Empfehlungen auch den „Comply-or-Explain“-Ansatz nach dem Vorbild des britischen Combined Code10 (jetzt „UK Corporate Governance Code“) aufnahm.11 Die Kommissi663; kritisch Fischel, Northwestern University Law Review, Vol. 76 No. 6, 913; aus empirischer Sicht Romano, Journal of Law, Economics & Organization, Issue 2 Fall 1985, 225. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, S. 22; BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 – „Kirch/Deutsche Bank“, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 = AG 2009, 285 Rz. 19, 21; BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08 – „Umschreibungsstopp“, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 = AG 2009, 824 Rz. 17 f.; s. auch OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 = AG 2009, 450 Rz. 43; Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 1. 6 Ausführlich Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 455 ff.; ferner Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder/v. Werder, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rz. 6. 7 Berg/Stöcker, WM 2002, 1569. 8 Abrufbar unter http://www.oecd.org; mit einer Einführung von Seibert auch abgedruckt in AG 1999, 337. 9 Grundsatzkommission Corporate Governance, DB 2000, 238; Berliner Initiativkreis, DB 2000, 1573. 10 Neuer UK Corporate Governance Code abrufbar unter http://www.frc.org.uk; vertiefend zum DCGK in Anlehnung an den Combined Code Nagel, NZG 2007, 166. 11 KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 8; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 7.

Kodex-Gedanke: selbstregulierendes Steuerungsmittel statt Satzungsfreiheit? 1207

onsempfehlung bildete die Grundlage für den heutigen § 161 AktG.12 Das Bundesjustizministerium setzte für die Entwicklung des Kodex die Kommission „Deutscher Corporate Governance Kodex“ ein, bestehend aus hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.13 Der Grundgedanke blieb in den Folgejahren weitgehend unverändert, auch wenn etwa mit dem BilMoG14 die Vorgaben der novellierten Vierten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (sog. Bilanzrichtlinie)15 durch die EU-Änderungsrichtlinie16 hinsichtlich der umfassenden Erklärung zur Lage der Gesellschaft einschließlich der angewandten „relevanten Unternehmenspraktiken“ (§ 289a HGB) umgesetzt wurden.17 Bestandteil dieser Berichte ist auch die Entsprechungserklärung nach § 161 AktG, vgl. § 289a Abs. 2 Nr. 1 HGB. Der Kodex wird laufend überprüft und geändert, seine aktuellen Fassungen werden im Bundesanzeiger publiziert18 Mit der Neufassung des DCGK 2019 ging auch eine erhebliche Kodexreform einher,19 deren Ziel es ist, das System transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten.20 Zuvor hatte nicht zuletzt unter dem Eindruck der Rechtsprechung des BGH21 zur Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen aufgrund fehlerhafter Entspre12 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19.7.2002, BGBl. I 2002, 2681; Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, s. dazu auch Referentenentwurf eines Transparenz- und Publizitätsgesetzes, abgedruckt in NZG 2002, 78. 13 Unter http://www.corporate-governance-code.de sind die Mitglieder namentlich aufgeführt. 14 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) vom 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 15 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. EG Nr. L 222 v. 14.8.1978, S. 11 ff.; jetzt Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 182 v. 29.6.2013, S. 19. 16 Richtlinie 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2006 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/ EWG, ABI. EU Nr. L 224 v. 16.8.2006, S. 1. 17 S. dazu Kuthe/Geiser, NZG 2008, 172, 173 ff. (noch zum RefE); aus Art. 20 der Bilanzrichtlinie 2013/34 ergibt sich für den deutschen Gesetzgeber wegen der bereits bestehenden Regelung des § 289a HGB kein zusätzlicher Regelungsbedarf, Zwirner, DStR 2014, 439, 443. 18 Der Wortlaut der aktuell gültigen Fassung des DCGK sowie eine Übersicht über alle Änderungen des Kodex finden sich unter http://www.corporate-governance-code.de. 19 Wilsing/Winkler, BB 2019, 1603, 1603. 20 Deutscher Corporate Governance Kodex 2019 mit Begründung, beschlossen am 9. Mai 2019, noch nicht in Kraft, abrufbar unter: https://www.dcgk.de/de/kodex/dcgk2019.html (zuletzt abgerufen am 13.12.2019), S. 1 Abs. 1. 21 BGHZ 180, 9 (Rz. 19) = ZIP 2009, 460 – Kirch/Deutsche Bank; BGHZ 182, 272 (Rz. 16) = ZIP 2009, 2051 – Umschreibungsstopp.

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chenserklärung die Kritik am Konzept des Corporate Governance Kodex spürbar zugenommen.22 Dabei beschränkt sich die Kommission nicht wie bisher auf Änderungen inhaltlicher Natur, sondern nimmt auch eine grundlegende Überarbeitung der Struktur vor.23 Während die Gliederung des Kodex bisher auf einer Aufteilung nach Vorstand und Aufsichtsrat erfolgte, orientiert sie sich nun an den verschiedenen Aufgabenbereichen und soll damit zu mehr Transparenz führen.24 Neben den bestehenden Kategorien der Empfehlungen und Anregungen wurde die Kategorie der Grundsätze geschaffen. Diese dienen der Information über die wesentlichen rechtlichen Vorgaben, auf denen die ihnen folgenden Empfehlungen und Anregungen beruhen. Darüber hinaus enthaltende Widergaben gesetzlicher Regelungen wurden aus dem Kodex gestrichen, um die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Kodex zu verbessern.25 Die Kommission begegnet damit der Kritik, dass der Kodex für institutionelle Anleger an Relevanz verloren hat,26 indem das deutsche System bestmöglich für in- und ausländische Anleger, Kunden, die Belegschaft sowie die Öffentlichkeit erläutert werden soll.27

III. Kodex und Empirie 1. Kapitalmarktreaktionen Ob sich die Erwartungen, dass der Kapitalmarkt bzw. der Investor bessere Regelungen zur Unternehmensverfassung entsprechend durch höhere Bewertungen der Aktien honoriert,28 tatsächlich erfüllt haben, erscheint zweifelhaft. Offenbar reagiert der Kapitalmarkt nach empirischen Untersu22 Vgl. Krieger, ZGR 2012, 202; Bachmann, AG 2011, 181, 191 f.; Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173; Hoffmann-Becking in FS Hüffer, 2010, S. 337, 352 f.; Peltzer, NZG 2011, 281, 286 f.; Mülbert, ZHR 174 (2010), 375, 382, 384; Harbarth, DB Standpunkte 2011, 53; Spindler, NZG 2011, 1007; Bröcker, Der Konzern 2011, 313; Timm, ZIP 2010, 2125, 2128; Sünner in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1225. 23 Wilsing/Winkler, BB 2019, 1603, 1603; krit. Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 (935 ff.). 24 Deutscher Corporate Governance Kodex 2019 mit Begründung, beschlossen am 9. Mai 2019, noch nicht in Kraft, abrufbar unter: https://www.dcgk.de/de/kodex/dcgk2019.html (zuletzt abgerufen am 13.12.2019), S. 6 Nr.6. 25 Deutscher Corporate Governance Kodex 2019 mit Begründung, beschlossen am 9. Mai 2019, noch nicht in Kraft, abrufbar unter: https://www.dcgk.de/de/kodex/dcgk2019.html (zuletzt abgerufen am 13.12.2019), S. 3 Abs. 6, Nr. 1. 26 Wilsing/Winkler, BB 2019, 1603 (1603). 27 Deutscher Corporate Governance Kodex 2019 mit Begründung, beschlossen am 9. Mai 2019, noch nicht in Kraft, abrufbar unter: https://www.dcgk.de/de/kodex/dcgk2019.html (zuletzt abgerufen am 13.12.2019), S. 1 Abs. 1, 2. 28 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199 (1205); Peltzer/v. Werder, AG 2001, 1 f.; Berg/ Stöcker, WM 2002, 1569 (1571 f.); Spindler/Stilz/Bayer/Scholz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 161 Rz. 7.

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chungen nicht in signifikanter Weise darauf, ob und wie eine Gesellschaft sich dem Kodex anschließt29 – auch wenn Probleme hinsichtlich der kapitalmarktempirischen Erfassung der Phänomene grundsätzlich bestehen.30 So stellten Nowak/Rott/Mahr in einer Studie zu Kapitalmarktreaktionen auf die ersten Kodexempfehlungen und Befolgungserklärungen für 2002 fest, dass „… keine (signifikante) Kursreaktion bei Akzeptanz des Kodex eintritt“31 sowie, dass „… der Kapitalmarkt nicht mit Kursauf- oder -abschlägen reagiert, wenn bei Veröffentlichung der Entsprechenserklärung bekannt wird, dass ein Unternehmen eine überdurchschnittlich hohe oder niedrige Anzahl von Abweichungen aufweist.“32 In diese Richtung deuten auch die Ergebnisse einer Studie von Stiglbauer33 ebenso wie von Bassen u.a.34 Allerdings werden auch Zweifel an der Studie geäußert, da unklar ist, ob dem Kapitalmarkt schon zuvor die Erklärungen bekannt waren.35 Auch kommen andere Studien, wie diejenigen von Jahn/Rapp/Strenger/Wolff, zu positiven Kapitalmarktreaktionen.36 Neuere Studien für den deutschen Kapitalmarkt sind nicht ersichtlich. 2. Kodexakzeptanz Unabhängig von der tatsächlichen Kursrelevanz ist jedenfalls die Befolgungsquote (die aber nicht mit der Akzeptanz zu verwechseln ist37) im DAX Segment seit jeher ausgesprochen hoch38, wenngleich insbesondere im Gene-

29 Nowak/Rott/Mahr, ZGR 2005, 252 (273 ff.); s. auch Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001, 1243 (1249): keine Quantifizierbarkeit; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199 (1200 f., 1205); tendenziell von positiven Effekten ausgehend hingegen Jahn/Rapp/Strenger/Wolff, ZCG 2011, 64; kritisch zur Aussagekraft bisheriger Untersuchungen Böcking/Böhme/ Gros, AG 2012, 615 m.w.N. 30 Vgl. zu den Problemen bei der Bestimmung von Korrelationen zwischen Corporate Governance Codes und positiven Kapitalmarkteffekten etwa Pietrancosta in FS Hopt, 2010, S. 1109, 1129 ff. mit Nachweisen zu Bedenken bzgl. der Effektivität des „Complyor-Explain“-Ansatzes insbes. in civil law Ländern auf S. 1132; zweifelnd an Kausalitätsnachweisen Leyens in Großkomm. AktG, § 161 AktG Rz. 48. 31 Nowak/Rott/Mahr ZGR 2005, 252 (274). 32 Nowak/Rott/Mahr ZGR 2005, 252 (276); englische (weitgehend identische) Version in 172 Journal of Institutional and Theoretical Economics (2016), 475 ff. 33 Stiglbauer, 5 ZfM 2010, 359 ff. (Zeitschrift für Management). 34 Bassen/Kleinschmidt/Prigge/Zöllner, DBW 2006, 375 (378) (Die Betriebswirtschaft). 35 S. Böcking/Böhme/Gros AG 2012, 615 (617). 36 Jahn/Rapp/Strenger/Wolff, ZCG 2011, 64. 37 Vgl. den Diskussionsbericht des Berliner Kreises zum DCGK von Gehling, ZIP 2011, 1181 (1182); Peltzer, NZG 2011, 281, 285. 38 Laut Kodex Report 2010 (v. Werder/Talaulicar, DB 2010, 853 (854)) lag die Befolgungsquote für Empfehlungen bei DAX Unternehmen bei 96,3% im Gegensatz zu einer Durchschnittsquote sämtlicher an der Frankfurter Börse gelisteter Unternehmen von 85,8%.

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ral Standard eine deutlich stärkere Skepsis zu herrschen scheint.39 Dies hat sich in den letzten Jahren nicht geändert, vielmehr hat sich die Befolgungsquote erhöht (inzwischen auf mehr als 87%)40 – was allerdings auch damit zusammenhängen mag, dass gerade einige umstrittene Empfehlungen im Kodex, wie etwa die Vielfaltssicherung und Gleichberechtigung im Aufsichtsrat durch den Gesetzgeber in „hard law“ zwingend umgesetzt wurden. Abweichungen traten am häufigsten für die Bereiche Vorstand und Aufsichtsrat auf.41 Ähnliche Ergebnisse haben sich im Rahmen einer Studie zur Akzeptanz des DCGK hinsichtlich der Entsprechenserklärungen in quantitativer Hinsicht von 96–97% ergeben, wobei allerdings nur die Befolgung der Empfehlungen untersucht wurde.42 Aber auch bei einer von Böcking u.a. durchgeführten qualitativen Analyse der Begründung der häufigsten Abweichungserklärungen für die Bereiche „Vorstand“ und „Aufsichtsrat“ stellte sich heraus, dass diese zum Teil durch rechtliche Zweifel oder Bedenken, ob die Kodexempfehlungen tatsächlich die „best practice“ widergeben, begründet waren.43 Böcking u.a. kommen daher nachvollziehbar zu dem Schluss, dass Abweichungen vom Kodex nicht per se als „schlechte corporate governance“ gewertet werden könnten, vielmehr diese Abweichungen bzw. ihre Begründungen zu einer Reform bestimmter Kodexempfehlungen Anlass geben können.44 Andererseits kommen die wenigen Studien, die sich mit der praktischen Einhaltung der Kodexempfehlungen, die von den Unternehmen befolgt werden, tendenziell zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung nicht immer der „Theorie“ der Kodexerklärung folgt. So konnten Theisen/Raßhofer in einer Studie mit Befragungen zur tatsächlichen Befolgung einer Empfehlung des DCGK (hier Festlegung der Informations- und Berichtspflichten des Vorstands durch den Aufsichtsrat) aus dem Jahr 2007 keine Bereitschaft der betroffenen Unternehmen feststellen, „…wirklich (zu einem) bilateral gestalteten und verantworteten Informationsaustausch über konkrete Corporate Governance-Fragen bereit (zu sein), die entsprechende Transparenz zumindest in dem angefragten Punkt wird den Kapitalmarktteilnehmern ganz überwiegend verweigert.“45 In ähnlicher Weise vermochten v.Werder/ 39

Die Befolgungsquote war hier laut der obigen Studie mit 78,3% deutlich niedriger, wobei auch die Rücklaufquote der Fragebögen von lediglich 12,8% zu beachten ist. S. zu den möglichen Gründen die ergänzende Datenerhebung durch v. Werder/Pissarczyk/ Böhme, AG 2011, 492. 40 S. zuletzt v.Werder/Danilov DB 2018, 1997 (2007) mit detaillierter Analyse. 41 S. dazu Böcking/Böhme/Gros AG 2012, 615 (616 f.). 42 Rapp/Wolff, Kodexakzeptanz 2011: Analyse der Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 2011. 43 Böcking/Böhme/Gros, AG 2012, 615 (619 ff.) zu Abfindungs-Caps, Vielfaltsanforderungen im Aufsichtsrat oder erfolgsbezogenen Vergütungen für den Aufsichtsrat. 44 Böcking/Böhme/Gros, AG 2012, 615 (624 f.). 45 Theisen/Raßhofer, DB 2007, 1317 (1320).

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Böhme 201146 keinen stringenten Nachweis zu erbringen, dass die Befolgung der Kodexempfehlungen tatsächlich umgesetzt wurden. So konstatieren v.Werder/Böhme hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats: „Neben der inhaltlichen Varietät der Umsetzung von Kodexbestimmungen belegen die vorliegenden Untersuchungsergebnisse ferner, dass weder die Ernsthaftigkeit noch die Vollständigkeit der Praktizierung von Empfehlungen gesichert sind, wenn ihre Befolgung in der Entsprechenserklärung angezeigt wird.“ Dabei heben die Autoren auch die unspezifischen Vorgaben des Kodex hervor, so dass „... sich bereits die Zielsetzungen des Unternehmens von Dritten im Grunde nicht näher nachvollziehen“ lassen können.47 Allerdings kann sich dies seit der Rechtsprechungsentwicklung des BGH hinsichtlich der Anfechtung von Beschlüssen aufgrund der Nichteinhaltung von Kodexempfehlungen signifikant geändert haben, da nunmehr ernsthafte rechtliche Sanktionen drohen.48 Auch hat die mangelnde Begründungstiefe vieler Abweichungserklärungen die Einführung einer Begründungspflicht durch das BilMoG49 notwendig gemacht50; eine Maßnahme, die nicht erforderlich gewesen wäre, wenn der Erklärungsdruck durch negative Kapitalmarktreaktionen entsprechend der Idee des Kodex tatsächlich so groß gewesen wäre, dass sich die Gesellschaften schon aus finanziellem Eigeninteresse zu detaillierten Angaben veranlasst gesehen hätten. Dies verstärkt die erheblichen Zweifel an der dem Kodex eigentlich zugrundeliegenden These, dass der Kapitalmarkt die „gute Corporate Governance“ tatsächlich bewertet. 3. Rechtsvergleichende Zweifel Dem Kodexgedanken folgen zahlreiche Länder, allen voran das Vereinigte Königreich Großbritannien, aber auch die Niederlande, Frankreich, Italien51 oder die Schweiz.52 Allerdings ist die gesetzliche Verpflichtung des „comply-or-explain“ unterschiedlich ausgeprägt, sie fehlt etwa in der 46

v. Werder/Böhme, DB 2011, 1345 (1352). v. Werder/Böhme, DB 2011, 1345 (1352). 48 BGHZ 180, 9 (Rz. 19) = ZIP 2009, 460 – Kirch/Deutsche Bank; BGHZ 182, 272 (Rz. 16) = ZIP 2009, 2051 – Umschreibungsstopp; BGH NZG 2013, 783; für Wahlbeschlüsse die Anfechtbarkeit allerdings verneinend BGH NJW 2019, 673 Rn. 28 ff. 49 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) vom 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 50 S. etwa Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173; Wernsmann/Gatzka, NZG 2011, 1001; Spindler, NZG 2011, 1007. 51 S. hierzu auch den instruktiven Überblick über die verschiedenen Kodexregulierungen bei Becker/v.Werder AG 2016, 761 ff.; Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 (943 f.). 52 S. hierzu den Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance2008, https://www.economiesuisse.ch/sites/default/files/publications/economiesuisse_swisscode _d_web.pdf. 47

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Schweiz. Interessanterweise fehlt auch gerade das Land, in welchem wohl die Kapitalmärkte am weitesten als entwickelt gelten können: die USA. Hier existiert zwar ein Kodex, dessen Befolgung oder Erklärung eines Abweichens aber freiwillig ist, so dass der Kodex offenbar keine überragende Rolle spielt. Ebenso scheinen empirische Arbeiten zum Verhältnis von Kursentwicklung bzw. Kapitalmarktreaktionen und Kodexempfehlungen zu fehlen – ganz im Gegensatz zu empirischen Untersuchungen von aktienrechtlichen Regelungen in den jeweiligen Bundesstaaten oder take-over-Regulierungen.53 Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Gesellschafter einer corporation ähnlich wie in der Schweiz wesentlich größere Gestaltungsfreiheiten als in Deutschland genießen. Genau dieser Umstand nährt aber zusammen mit den nur schwach ausgeprägten Kapitalmarktreaktionen Zweifel daran, ob der Kodex tatsächlich ein marktgesteuertes Instrument der Selbstregulierung ist – gerade in den Märkten mit großen gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten scheint der Kodexgedanke nur gering verbreitet zu sein. 4. Verhältnis zur Satzungsfreiheit Diese Zweifel führen wieder zurück an die schon früher geäußerten Bedenken vor dem Hintergrund, dass anstelle eines Kodex und eines „Comply-or-Explain“-Ansatzes der einfachere Weg einer Lockerung der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) hätte beschritten werden können54; warum eine Gesellschaft sich über Vorstand und Aufsichtsrat einem Kodex unterwerfen können soll, aber schärfere Satzungsbestimmungen nicht zulässig sein sollen, ist nicht nachvollziehbar, zumal diese durch die Entscheidung der Gesellschafter legitimiert und auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wären. Erst recht ist es nicht nachvollziehbar, wenn für die deutsche Satzungsstrenge quasi gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass es um die Senkung von Transaktionskosten gehe und der Kapitalmarkt selbst nicht in der Lage sei, entsprechende Bewertungen von unterschiedlichen Klauseln durchzuführen.55 Offenbar soll dies aber gerade im Falle des Kodex anders sein, was im Lichte der empirischen Ergebnisse und der offenbar oft unspezifischen bzw. offen gehaltenen Erklärungen und Abweichungen umso merkwürdiger erscheint. Schließlich gilt der Kodex auch nur für deutsche Gesellschaften, nicht aber für alle in Deutschland börsennotierten Gesellschaften;56 wie aber der Kapitalmarkt stets danach unterscheiden 53

S. dazu schon Spindler, AG 1998, 53, 66 f. mwNachw. S. dazu ausführlich Spindler, AG 1998, 53, 54 ff.; ähnlich Hirte, ZGR-Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 61 ff. 55 Zur Diskussion eingehend Bayer, 67. DJT (2008), E 36 ff., E 81 ff.; dazu Spindler, AG 2008, 598 (601 f.) je m.w.Nachw. 56 Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 (939). 54

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soll, welches Gesellschaftsrecht für die jeweilige Gesellschaft gilt, er aber andererseits keine Satzung verstehen können soll, ist fraglich. Ferner ist unklar, wieso ausgerechnet die Verwaltungsorgane für die Erklärung zur guten Corporate Governance zuständig sein sollen und nicht diejenigen, die der Gesellschaft ihr Kapital überantworten, die Aktionäre. Eine Kompetenz der Verwaltungsorgane für die Corporate Governance der AG ist schwer erklärbar und letztlich nur bei einem System wie dem deutschen nachvollziehbar, das traditionell nach dem AktG 1937 von einer Gleichrangigkeit aller Organe ausgeht.57 Gerade die auf eine bessere Corporate Governance abzielenden Empfehlungen wären besser bei einer Aktionärsentscheidung im Rahmen der Satzung aufgehoben. Dies gilt mutatis mutandis auch für die aufkommende Diskussion um das Verhältnis des Kodex zu Empfehlungen von Stimmrechtsberatern oder Regeln von institutionellen Investoren: Hier sollte eher über die grundsätzliche Frage nachgedacht werden, warum es nicht einen Wettbewerb zwischen den jeweiligen Empfehlungen der Stimmrechtsberater und/oder institutionellen Investoren geben sollte anstatt eines „Wettbewerbs“ des Kodex mit deren Empfehlungen,58 zumal diese Akteure nicht per se unentgeltlich tätig werden und daher „näher“ an Aktionären und Kapitalmärkten sind als ein Kodex, der mit dem sanften Zwang des § 161 AktG ausgestattet ist. Aktionäre zudem einem Kodex zu unterwerfen (etwa bei zukünftigen Regelungen in einem Kodex zu Stimmrechtsberatern), dessen Empfehlungen durch Verwaltungsorgane angenommen oder von denen abgewichen wird, hieße, die Dinge auf den Kopf zu stellen, da nur die Aktionäre über eine Unterwerfung etc. entscheiden sollten; den Organen Vorstand und Aufsichtsrat fehlt jede Kompetenz (und muss fehlen!), das Verhalten der Aktionäre zu regulieren. 5. Der Kodex als „Vorspiel“ des Gesetzgebers Die Zweifel verstärken sich, wenn man die Entwicklungen der letzten bald zwei Jahrzehnte Revue passieren lässt: Oftmals hat sich der Gesetzgeber nicht an das selbst gesetzte Ziel der Selbstregulierung gehalten, insbesondere wenn es um die Befolgung von umstrittenen Kodexempfehlungen ging, sei es hinsichtlich der Einführung des gesetzlichen Zwangs zur Offenlegung von Vorstandsvergütungen,59 von Quoten zur Förderung von Frauen in den Aufsichtsräten, Vergütungsberichten oder jüngst der „Kodifizierung“ der Maximalvergütung für Vorstände in § 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AktG (was 57

S. dazu nur MünchKomm. AktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, vor § 76 Rz. 14 ff. Zur „Konkurrenzsituation“ des DCGK zu Stimmrechtsberatern Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 (945 ff.). 59 S. bereits Spindler, NZG 2005, 689 (692); Baums, ZIP 2004, 1877 (1879). 58

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nicht Bestandteil der Umsetzung der Änderungs-RL zur Aktionärs-RL war, sondern erst in den parlamentarischen Beratungen Eingang ins Gesetz fand).60 Man kann sich daher mitunter nicht des Eindrucks erwehren, dass der Kodex nur eine Art „testbed“ für den Gesetzgeber ist, ob und wann politisch gewünschte Ziele kodifiziert werden müssen; mit dem ursprünglichen Gedanken, dass der Kapitalmarkt über die Eignung der corporate governance entscheiden möge, hat dies alles nichts mehr zu tun – sondern es ist eine Spielwiese für Politikwissenschaftler zu einem komplexen System der Interaktion aus Politik, der Besetzung von Kodexkommissionen und dem Zusammenspiel mit der DAX 30-Wirtschaft.

IV. Verfassungskonformität Schließlich bestehen nach wie vor erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an dem System von § 161 AktG und Kodexempfehlungen – auch wenn dies mitunter anscheinend als ein „abgehaktes“ Thema angesehen wird.61 Gleichwohl die Diskussion älter ist und die höchstrichterliche Rechtsprechung darauf bislang nicht eingegangen ist,62 ist die Frage keineswegs geklärt. Denn Einigkeit besteht darüber, dass die Verhaltensstandards des Kodex keine Gesetzeskraft haben63 oder als Rechtsnormen qualifiziert werden können,64 da sie nicht in einem parlamentarischen Verfahren zustande gekommen sind, sondern nur von einem rein privaten Gremium gesetzt werden.65 Es gibt noch nicht einmal eine vertragliche Regelung zwischen der Kodexkommission und dem Staat (wie etwa beim DIN für industrielle 60

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), BT-Drs. 19/15153 S. 63. 61 S. etwa Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929 Fn. 3; s. auch noch Hopt, FS HoffmannBecking, 2013, S. 563, 569ff; Wegmann, FS Schmidt-Preuß, 2018, S. 477, 507 ff. 62 Anders die Einschätzung von Spindler/Stilz/Bayer/Scholz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 161 Rz. 18. 63 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, ZIP 2009, 133 Rz. 37; Spindler/ Stilz/Bayer/Scholz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 161 Rn 16; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 22; KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 11; Großkomm. AktG/Leyens, 5. Aufl. 2018, § 161 AktG Rz. 106; Grigoleit/Grigoleit/Zellner, AktG, § 161 – Rz. 4; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rz. 81; Wegmann, FS Schmidt-Preuß, 2018, S. 477; Lutter FS Druey, 2002, S. 463 (468); Seibt AG 2002, 249 (250); Ulmer, ZHR 166 (2002), 150 (159). 64 Ganz h.M., s. Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 3 f.; KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 11; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 22; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rz. 80 f.; Seibert, ZIP 2001, 2192; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158 ff. 65 Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 3; Kremer/Bachmann/Lutter/ v. Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rz. 80; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 22.

Kodex-Gedanke: selbstregulierendes Steuerungsmittel statt Satzungsfreiheit? 1215

Normungen) oder eine gesetzlich geregelte Akzeptanz (wie bei den Rechnungslegungsstandards).66 Zwar werden die Standards im Bundesanzeiger veröffentlicht und zuvor durch das Bundesjustizministerium geprüft, doch beschränkt sich diese Prüfung auf ein ordnungsgemäßes Zustandekommen des Kodex, seine inhaltliche Ausgewogenheit und die Frage, ob gegen geltendes Gesetzesrecht verstoßen wird;67 sie erstreckt sich nicht auf die Zweckmäßigkeit der inhaltlichen Ausgestaltung des Kodex.68 Auch andere Begründungen als Handelsbrauch oder vertragliche Unterwerfung verfangen nicht.69 Letztlich ist mit dieser Regulierungsform zwischen (normalerweise unverbindlicher) Selbstregulierung, Kapitalmarkt und zwingendem Recht ein neues Instrument geschaffen worden, dessen sich der Staat außerhalb der traditionellen rechtsstaatlichen Rechtssetzungsformen bedient. Zwar besteht einerseits kein rechtlicher Zwang, die Wohlverhaltensempfehlungen des Kodex zu befolgen.70 Andererseits sind die Verwaltungsorgane einer börsennotierten Gesellschaft aber gem. § 161 AktG verpflichtet, eine Entsprechenserklärung abzugeben und zu veröffentlichen. Über dieses Instrument wird zumindest ein wirtschaftlicher Zwang vermittelt,71 indem der Kapitalmarkt seinerseits einen gewissen Erwartungsdruck aufbauen soll.72 Ein wirtschaftlicher Zwang, der aus dem Börsenkurs resultiert, kann aber nicht eindeutig nachgewiesen werden.73 Damit sind aber auch Zweifel im Hinblick auf das Demokratieprinzip angemeldet, zumal auch nach wie vor trotz der erheblichen Kritik gesetzliche Vorgaben zu Besetzung und Verfahren der Kommission fehlen, 74 so dass

66 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 163 f.; zu der verfassungsrechtlich notwendigen Verfahrensverantwortung des Staates Hommelhoff/Schwab, BFuP 1998, 38, 47 ff.; dies kritisch sehend aber nicht als durchschlagend erachtend Hopt, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 563, 571. 67 KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 12 f.; Seibert, BB 2002, 581, 582. 68 KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 14. 69 Näher dazu Schmidt/Lutter/Spindler, AktG, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz 8. 70 Spindler in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001, 2002, S. 91, 93; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 22. 71 MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 34. 72 Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 3. 73 Hopt, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 563, 570. 74 Im Einzelnen Spindler, NZG 2011, 1007, 1008 f.; wie hier Hoffmann-Becking in FS Hüffer, 2010, S. 337, 341 f.; Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173, 1174; Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012), 286, 314 ff.; Harbath, DB 2011, 53; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, 161 Rz. 31; Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 4 (s. aber auch Rz. 5a); Wernsmann/Gatzka, NZG 2011, 1001, 1007; für Verfassungswidrigkeit auch Krieger, ZGR 2012, 202, 217; a.A. KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 20 ff.; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rz. 81 f.; Hopt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 563, 569 ff.; Bürgers/Körber/Runte/Eckert, AktG, 4. Aufl. 2017 § 161 Rz. 3; Bachmann, AG 2011, 181, 191; Kort in FS K. Schmidt, 2009, S. 945, 953; Habersack, Gutachten 69. DJT (2012), E 53 f.

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immer noch verfassungsrechtliche Legitimationsdefizite virulent sind.75 Dagegen wird zwar eingewandt, dass § 161 Satz 1 AktG selbst verfassungsrechtlich einwandfrei zustande gekommen sei und die Bindungswirkung auf einem freiwilligen Akt beruhe;76 damit wird aber das Regulierungsmodell des § 161 AktG künstlich aufgespalten. Nicht die freiwillige Unterwerfung unter den Kodex steht in Rede, sondern der von § 161 AktG angeordnete Zwang, sich gegenüber den Kodex-Standards zu erklären. Warum ein Privatrechtssubjekt sich rechtfertigen muss, dass es Normen, die nicht von einem staatlichen, sondern einem privatrechtlichen Gremium gesetzt werden, befolgt oder nicht, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Niemand ist bislang auf die Idee gekommen, dass sich Private etwa zur Einhaltung von DIN-Normen öffentlich erklären müssen. Damit verknüpft ist auch die Frage, inwiefern eine „dynamische Verweisung“ auf privat gesetzte Normen dem Grundgesetz entsprechen kann. Dem Demokratieprinzip läuft eine solche Verweisung grundsätzlich zuwider.77 Der DCGK soll allerdings nicht inkorporiert sein, sodass es auf die Unzulässigkeit der Verweisung nicht ankommen kann.78 Dies lässt aber die tatsächliche Wirkung außer Acht, die zu einer gewissen faktischen Inkorporierung führt, womit letztlich das Demokratieprinzip verletzt wird. Dies gilt erst recht, wenn mit der Verletzung der nach § 161 AktG abgegebenen Erklärungen rechtliche Sanktionen verbunden werden, auch wenn sie meist nur innergesellschaftlicher Natur sein mögen.79 Weiterhin sind Zweifel angezeigt, ob hier wirklich noch der Gesetzgeber selber die wesentlichen Entscheidungen trifft80 – was auch gerade im Hinblick auf die „testbed“-Funktion des DCGK Zweifel hervorruft.81 75

Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 4; MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 26 ff.; Spindler/Stilz/Bayer/Scholz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 161 AktG Rz. 18 f. erkennen Legitimationsfrage, bezweifeln aber Verfassungswidrigkeit; Hoffmann-Becking FS Hüffer, 2010, S. 337, 341 f.; Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012), 286, 312 ff.; Seidel, NZG 2004, 1095 f.; a.A. OLG München v. 23.1.2008 – 7 U 3668/07, ZIP 2008, 742 = AG 2008, 386 Rz. 67; KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 20 ff.; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder/Bachmann, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rz. 82 ff. 76 KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 Rz. 23; Heintzen, ZIP 2004, 1933, 1938; dem weitgehend folgend Kort in FS K. Schmidt, 2009, S. 945, 949 ff.; Habersack, Gutachten 69. DJT (2012), E 53 f. 77 Wegmann, FS Schmidt-Preuß, 2018, S. 477, 511. 78 Wegmann, FS Schmidt-Preuß, 2018, S. 477, 511. 79 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 164. Zu den Voraussetzungen einer Außenhaftung, s. Rz. 69 ff.; kritisch Hopt, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 563, 570, der darauf verweist, dass die rechtlichen Folgen nur aufgrund der fehlerhaften Information von Öffentlichkeit und Aktionären. 80 BVerfGE 33, 125, 158f. 81 Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012), 286, 320f.; a.A. Wegmann, FS Schmidt-Preuß, 2018, S. 477, 515 der eine ausreichende Bestimmtheit aufgrund eines systematischen Vergleichs gewahrt sieht.

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Schlussendlich stellen die Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung und die potentiellen Sanktionen bei Nichtbeachtung einen Eingriff in Grundrechte der Gesellschaft dar (Art. 12, 14 GG)82, was angesichts der Zweifel an der tatsächlichen Wirksamkeit des Kodex schwer zu rechtfertigen ist.83 Auch der durch den Druck des Kapitalmarktes vermittelte Eingriff durch den Inhalt des Kodex selbst ist letztendlich dem Gesetzgeber zuzurechnen, liegt hierin doch gerade die von ihm bezweckte Wirkungsweise des Comply-Or-Explain-Ansatzes.84 Schließlich geht es auch um Eingriffe in die Grundrechte der Aktionäre, die als Eigentümer der AG eigentlich dazu berufen wären, über grundsätzliche Strukturentscheidungen in „ihrer“ AG zu bestimmen – und nicht die Verwaltungsorgane.

V. Fazit Insgesamt erscheint der Ansatz des § 161 AktG bzw. der Kodexgedanke als reformbedürftig: Sowohl die nach wie vor bestehenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der Ein- und Besetzung der Kommission als auch an der Verabschiedung ihrer Empfehlungen, die häufig rechts(tages)politischen Forderungen nachkommen und die bei fehlender Befolgung durch die Gesellschaften flugs in Gesetze umgewandelt werden, lassen den Ruf nach vollständiger Abschaffung des § 161 AktG lauter werden. Die eigentliche Zielsetzung eines sanften Reformdrucks durch Kurspreissignale vom Kapitalmarkt scheint nicht recht erreicht worden zu sein, so dass der Kodex offenbar ein eigenartiges Leben als „Vorfluter“ für die Rechtspolitik führt.85 Dass die Entscheidung über Corporate Governance Strukturen durch Verwaltungsorgane, die weder von Verfassungs wegen noch auf einfachgesetzlicher Ebene für Strukturentscheidungen in der AG zuständig sind, getroffen 82 I.E. ebenso Hüffer/Koch/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 161 Rz. 4: „gesetzesähnliche Wirkung“; so auch Wegmann, FS Schmidt-Preuß, 2018, S. 477, 511; a.A. Großkomm. AktG/Leyens, 5. Aufl. 2018, § 161 AktG Rz. 58 f., der aber lediglich auf die Möglichkeit der inhaltlichen Abweichung vom Kodex abstellt. 83 Hierzu Spindler, NZG 2011, 1007, 1008 f. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers kann nachträglich an ihre Grenzen stoßen, wenn sich eine „[...] beim Erlass des Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung seiner künftigen Wirkungen später als ganz oder teilweise falsch erweist“, so BVerfG v. 28.5.1993 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, BVerfGE 88, 203, 309 f. = NJW 1993, 1751, unter Verweis auf BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 335, 352; BVerfG v. 14.1.1981 – 1 BvR 612/72, BVerfGE 56, 54, 78 f.; BVerfG v. 14.7.1986 – 2 BvE 2/84, 2 BvR 442/84, BVerfGE 73, 40, 94. 84 Insoweit unzutreffend KölnKomm. AktG/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 AktG Rz. 23; ähnlich wie hier MünchKomm. AktG/W. Goette, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 30; Tröger, ZHR 175 (2011), 746, 758; zum erheblichen faktischen Befolgungsdruck in der Praxis auch Krieger, ZGR 2012, 202, 215 f. 85 S. auch Hoffmann-Becking ZIP 2011, 1173 (1174).

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wird, erscheint zumindest merkwürdig. Wieso eine Corporate Governance nicht wie die Satzung zu den Grundlagenentscheidungen gehört, die die Gesellschafter bzw. Aktionäre zu treffen haben, bleibt unklar. Interessanterweise hatte die rechtspolitische Diskussion erst „Fahrt“ aufgenommen, als Anfechtungs- und ggf. auch Haftungsrisiken für Entsprechenserklärungen auf der Agenda standen. Das Unbehagen gegenüber dem Kodex und der jetzigen Lösung des § 161 AktG bleibt daher bestehen – und legt wieder den Finger in die Wunde, warum eine Selbstregulierung der Corporate Governance nicht denjenigen überlassen wird, die dazu berufen sind, nämlich den Aktionären. Es ist nach wie vor nicht nachvollziehbar, warum den Kapitalmärkten einerseits zugetraut wird, eine zunehmend komplexere (und mitunter offenbar „offen“ gehaltene) Comply-or-explain-Erklärung zu „bepreisen“, andererseits diese unfähig sein sollen, dasselbe bei einer Satzung zu tun. Um mit einem (gewandelten) Zitat aus den Zeiten der Aufklärung und bürgerlichen Revolution zu enden: „Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde. Geben Sie Satzungsfreiheit, Sire!“.86

neue rechte Seite! 86 Das Ursprungszitat heißt natürlich „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“ aus Schiller’s Don Carlos, das der Malteserritter de Posa gegenüber dem König Philipp II. ausruft.

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Enforcing Bank Loans in the European Union A Comparative and Leximetric Analysis FELIX STEFFEK

I. Introduction This paper reports the results of a comparative study on the enforcement of bank loans in the European Union (EU).1 The study was commissioned by the European Commission (Directorate-General for Financial Stability, Financial Services and Capital Markets Union) and overseen by the Capital Markets Union Unit (B1).2 The study analyses individual and collective enforcement laws in 28 EU Member States. It takes the perspective of a bank as lender enforcing a loan contract against a company, partnership, sole trader or consumer as borrower. Yardsticks guiding the analysis are recovery rate and time to recovery. The study aims to identify both common features and differences in the legal frameworks. It is based on a questionnaire of 105 questions answered by experts based in the respective Member States. While this study finds best practices and shared approaches to formal enforcement, it also reveals a strong case for reform. These evaluations are based on existing research showing that enforcement law matters.3 The normative background of this paper is provided by the insight that good enforcement frameworks increase access to debt finance, strengthen bank stability and provide a level playing field for lenders and borrowers. 1 For the entire study see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States, November 2019, available at . 2 The author gratefully acknowledges the following contributions to the report. The Capital Markets Union Unit (B1) has designed the questionnaire. The answers to the questions have been provided by the Member States. Raluca Maran, Economic Analysis and Evaluation Unit (E4) of the European Commission, has coded the Member States’ answers, contributed to the statistical analysis and designed the charts. Narine Lalafaryan has also coded the Member States’ answers and provided research assistance. Simon Deakin, Mathias Siems and Walter Doralt were available to discuss methodological approaches. Reinhard Greger and Christian Koller offered advice on selected content. 3 See, for example, S A Davydenko and J R Franks, Do Bankruptcy Codes Matter? A Study of Defaults in France, Germany and the U.K., Journal of Finance, Vol. 63, 2008, 565, 601 et seq.

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This paper is dedicated to Klaus J Hopt on the occasion of his 80th birthday in gratitude and friendship. His research has, without a doubt, influenced and transformed the law of bank loans.4 At an early stage, he saw the connection between welfare and the provision of credit and considered the ethical aspects of bank credit.5 There is hardly a need to mention that comparative aspects are at the heart of his research. His body of research looks far beyond the law in the books. He is, for example, interested in private ordering and has contributed essential data by unearthing and publishing commercial standard contracts.6 Hence, there is hope that this paper will find his interest.

II. Data set The data set analysed in this study is based on a questionnaire developed by the Capital Markets Union Unit of the European Commission.7 The European Commission cooperated with the Member States in the development of the questionnaire. The questionnaire is directed at the Member States themselves. It contains 105 questions and requires qualitative and quantitative answers. The qualitative questions ask for either a ‘Yes’/‘No’ answer or provide the opportunity for a free text answer. The large majority of questions are qualitative questions requiring a ‘Yes’/‘No’ answer (96 out of 105). The questionnaire is designed such that a ‘Yes’ answer is desirable from the perspective of the bank and signals enforcement support, while a ‘No’ answer denotes no support for enforcement. The questionnaire follows a three-level-structure. The first level distinguishes between the following types of debtors: (1) Corporate (legal entity), (2) Entrepreneurs (sole trader/partnership) and (3) Consumers. The second level distinguishes whether security is present: (1) Secured (specific rules) or 4 See, for example, the reconceptualisation of the law of loans in K J Hopt Kreditrecht – Bankkredit und Darlehen im deutschen Recht, Berlin, 1989, together with P O Mülbert. 5 See, for example, K J Hopt, Rechtspflichten der Kreditinstitute zur Kreditversorgung, Kreditbelassung und Sanierung von Unternehmen – Wirtschafts- und bankrechtliche Überlegungen zum deutschen und französischen Recht, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, Vol. 143, 1979, 139. 6 See, for example, K J Hopt (ed), Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4th edn, München, 2013. 7 For the entire questionnaire see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), Annexe 1, p. 88.

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(2) Unsecured (general rules). The third level differentiates whether the enforcement is individual or collective: (1) Individual enforcement or (2) Insolvency proceedings. Here are three example questions to illustrate the questionnaire: Question 1.2.2 concerns corporate debtors, secured loans and individual enforcement and reads ‘Private sale allowed at creditor’s discretion (public auction optional) as regards movable collateral?’. Question 2.18 concerns entrepreneurs (sole trader/partnership), unsecured loans and insolvency proceedings and asks ‘Creditors entitled to request insolvency proceedings to be commenced?’. Question 3.22 aims at consumers, unsecured loans and insolvency proceedings and reads ‘Court capacity (measured in clearance rates incoming/resolved cases)’. All 28 Member States answered the questionnaire. In collecting answers, the ministries of finance were the point of contact for the European Commission. In some Member States, the questionnaire was forwarded to other institutions for guidance such as ministries of justice, supreme courts and state agencies. The answers were received in the period starting 7 September 2018 and ending 15 October 2019. There was opportunity to clarify the understanding of the questionnaire and to update answers. Following the request of the European Commission, the study has been entirely anonymised. The names of countries have been replaced by randomised placeholders and are displayed as ‘MS1, MS2, MS3, …, MS 28’. To prevent identification by way of patterns, all Member States were assigned a new placeholder in each chart and section.

III. Research context The study aims to improve the understanding of bank loan enforcement in the European Union. Currently, little is known about the comparative characteristics of the legal frameworks. There is no existing research providing a comprehensive picture from the perspective of this study.8 The World Bank project on Resolving Insolvency9 is based on a hypothetical, typified case study, namely the financial distress of a limited liability company run8 In parallel, the European Banking Authority (EBA) has started research on recovery rates and speed as regards the enforcement of non-performing bank loans. The final report is scheduled for July 2020. For details see . 9 See .

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ning a hotel.10 On this basis, the World Bank project’s results are limited to a particular type of hypothetical debtor and do not claim to be representative for all types of debtors or proceedings. Other studies have a different focus or are more limited in scope. Particularly noteworthy is the empirical research by Davydenko and Franks on a sample of small firms in France, Germany and the United Kingdom defaulting on their bank debts.11 The Centre for Business Research of the University of Cambridge has published a study coding creditor protection laws in 25 countries around the world.12 Deakin et al have researched the relationship between creditor protection and credit expansion in France, Germany, the United Kingdom and the United States.13 This latter study and the coding exercise by the Centre for Business Research do not, however, focus on banks as creditors. This study focusses exclusively on the position of bank creditors. The Capital Markets Union Action Plan provides the policy background.14 For this study, the Plan’s goals to reduce the cost of capital and decrease systemic risk are particularly relevant. The higher recovery rates and the shorter time to recovery, the higher the expected income from bank loans. In a competitive market, this will lead to loans offered to borrowers at a lower cost. Hence, better enforcement frameworks reduce the price of credit. Consequently, the cost of capital will decrease and growth is supported. In addition, sound enforcement frameworks support the management of non-performing loans. Thereby, the financial stability of banks is strengthened and systemic risk reduced. These normative, bank-centred claims do not consider the welfare position of other stakeholders in the enforcement process. In particular, the effect of enforcement on borrowers and their non-bank stakeholders is not reflected in this study. Therefore, this study does not make comprehensive analytical or normative claims concerning the overall efficiency of enforcement laws.15

10

On the methodology of the World Bank project see . 11 S A Davydenko and J R Franks, Do Bankruptcy Codes Matter? A Study of Defaults in France, Germany and the U.K., Journal of Finance, Vol. 63, 2008, 565. 12 See . 13 S Deakin et al, Varieties of Creditor Protection: Insolvency Law Reform and Credit Expansion in Developed Market Economies, Socio-Economic Review, Vol. 15, 2017, 359. 14 Action Plan on Building a Capital Markets Union, COM(2015) 468 final of 30 September 2015. 15 For further limitations of scope see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), p. 10 et seq.

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IV. Method The study presented here employs a wide range of qualitative and quantitative methods, in particular comparative and economic analysis as well as leximetric approaches.16 To facilitate the leximetric comparison, the Member States’ answers to the questionnaire have been coded. The design of the coding framework benefited from earlier studies applying a coding methodology. The foundational work in this area by La Porta et al already focussed on law and finance.17 The coding principles applied in this study are based on more recent work such as the Extended Creditor Protection Index of the Centre for Business Research of the University of Cambridge18 and the OECD Employment Protection Legislation (EPL) Indicators.19 The focus of the coding is the amount and the speed of loan enforcement from the perspective of a bank as creditor. The answers are coded applying values between 1 (maximum) and 0 (minimum). 1 denotes maximum support of high and/or quick satisfaction of the bank. 0 signals no support of high and/or quick satisfaction of the bank. Values between 1 and 0 are used to represent relative support of bank recovery. The higher (lower) the value, the more (less) support is provided for a high and quick satisfaction of the bank. Numerical values provided as answers to quantitative questions are normalised across {0,1} and rounded to one decimal place.20 The answers were independently coded by two persons. Both were equipped with general and – where necessary – question-specific coding principles.21 The author moderated differences in the values assigned and made additional random checks. The following statistical analyses were then conducted on the basis of these values.22

16 The study also undertakes a cluster network analysis. This is omitted in this paper due to space limitations. For details see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), pp. 20 et seqq. and Chapter 6 (pp. 64 et seqq.). 17 R La Porta et al, Law and Finance, Journal of Political Economy, Vol. 106, 1998, 1113. 18 See . 19 For the methodology see . 20 For further details see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), pp. 18 et seqq. 21 For details see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), Annexe 3 (Coding principles). 22 For all values see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), Annexe 4 (Coding results).

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V. European Union perspective 1. Overall Overall, from the perspective of a bank as creditor under a loan contract, formal enforcement in the European Union is satisfactory. The average value of all questions requiring a ‘Yes’/‘No’ answer is 0.64 on a scale from 0 (lowest) to 1 (highest). This value represents the general support banks experience when enforcing loan contracts in the European Union as a region. Later, differentiated support levels will be reported for each Member State. In this section, all data is aggregated at the level of the European Union. The result of 0.64 for the European Union as a region may serve as a first indicator to compare the strength of formal enforcement of bank loans in the European Union with other regions and countries. 2. Type of debtor Does enforcement differ depending on the nature of the debtor? The Member States facilitate the enforcement of bank loans most against corporate debtors, somewhat less against entrepreneurs organised as sole traders and partnerships and least against consumers. In the bigger picture, the differences in the ease of enforcement against different groups of debtors are rather minor. As shown in Chart 1, the averages of all Member States together vary between 0.67 for corporate debtors, 0.64 for sole traders and partnerships and 0.59 for consumers. Steffek_Abb_01.tif

Chart 1: Average value of all ‘Yes’/‘No’ answers by type of debtor

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Differences in the ease of enforcement concerning different types of debtors are potentially relevant for the pricing of credit. The more legal systems support enforcement, the higher the expected payout in enforcement and, as a consequence, the more attractive the credit conditions a bank can offer.23 If a legal system prefers enforcement against a certain type of debtor A over another type of debtor B, then type of debtor A may expect more favourable borrowing conditions. To begin with, all debtors should be treated equally in terms of enforcement in order to avoid distortions of the credit market. However, specific features relevant for enforcement, for example limited liability, which applies to companies, but not to sole traders and consumers, may justify different enforcement rules. In addition, arguments can be made for distinguishing enforcement against traders (companies, partnerships, sole traders) on the one hand, from enforcement against consumers on the other hand. Such arguments are based on the differences in negotiation power and commercial capabilities between traders and consumers.24 3. Type of debtor, loan and proceeding Differentiating all types of debtors and all types of loans, does it matter whether a secured or an unsecured loan is enforced? Do banks find a better legal environment in individual than in collective enforcement? The Member States’ answers show a remarkable pattern aggregated at the level of the European Union. Banks find the most advantageous enforcement environments for secured and unsecured claims in insolvency proceedings. There is little variation in terms of type of debt (secured or unsecured). What rather matters is that enforcement takes place in a collective insolvency proceeding. Focussing instead on the type of debt, the worst situation for all kinds of debtors is, by far, the individual enforcement of an unsecured loan. Average values are achieved for the individual enforcement of a secured claim. Here, a moderate enforcement environment is available in the European Union, with a slight drop below 0.5 for enforcement against consumers. Steffek_Abb_02.tif 23 CF A Schwartz, A Contract Theory Approach to Business Bankruptcy, Yale Law Journal, Vol. 107, 1998, 1807, 1813. 24 If the deciding factor is the capability of the borrower to fully adjust the contract to the borrower’s preferences, the dividing line may not run between traders and consumers. Instead, some traders, for example micro and small companies, may also fall into the category of those who are not fully adjusting. This is ultimately an empirical question; see, e.g., E Warren and J L Westbrook, Contracting out of Bankruptcy: An Empirical Intervention, Harvard Law Review, Vol. 118, 2005, 1197.

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Chart 2: Average value of ‘Yes’/‘No’ answers by type of debtor, type of loan and type of procedure

As with types of debtors, the starting point for the enforcement of secured and unsecured loans should be equality. Secured and unsecured loans are intrinsically different, of course. The distinguishing feature is the availability of security to support the satisfaction of the secured lender. Both types of loans should find equal support in terms of enforcement by banks. This requires reflecting the different nature of secured and unsecured loans on the on hand, but not introducing unrelated differences at the level of enforcement on the other hand. Otherwise, the legal enforcement frameworks risk distorting the bargain between bank and borrower. Such distortion will eventually lead to banks preferring those types of loans that are preferred in enforcement. Put differently, if enforcement of unsecured loans is more attractive than enforcement of secured loans – in ways not connected to the intrinsic nature of the presence of security (or the lack thereof) – then unsecured loans will be offered at a lower cost to the borrowers and secured loans will only be available at a higher cost. This is disadvantageous, as the cost of debt finance should be informed by the negotiation between the parties and not the differences in enforcement frameworks. Spreads as evidenced in Chart 2 above as regards the support of loan enforcement are undesirable as they contribute to higher costs of debt and bank instability. The more pronounced the differences as regards types of enforcement, the higher the risk that the European Union is less attractive for debt finance than other regions and states offering higher and more equal support. Rational borrowers would tend to migrate towards those legal frameworks where banks offer debt finance at the lowest overall cost to the borrowers. As enforcement frameworks have an effect on the cost of

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debt finance, this means that borrowers would look to those regions and countries with attractive enforcement frameworks. 4. Conclusion In the European Union as a region and on average, banks find a satisfactory legal framework to enforce loan contracts. At such EU-wide level, the differences between enforcing loan contracts against corporate debtors, partnerships, sole traders and consumers are minor. However, a closer look at different types of debt (secured, unsecured) and different ways of enforcement (collective, private) reveals major differences. It should be noted, though, that at this point of the analysis differences between Member States are not yet reflected. Considering the European Union as a group, the legal frameworks are more advantageous for the enforcement of unsecured loans and less advantageous for the enforcement of secured loans.25 A further strong difference concerns the type of enforcement proceeding. Banks are much more supported to enforce in insolvency proceedings than in private enforcement actions. This applies irrespective of whether the loan is secured. In fact, in the European Union, banks find the best enforcement environment for secured and unsecured claims in insolvency proceedings. From a bank perspective, the worst enforcement environment is offered for the individual enforcement of an unsecured loan. Such differences in the relative support of the enforcement of bank loans are a cause for concern. They distort the loan bargain of the parties. Rational banks will react by imposing risk premiums for recovery risks in those cases where enforcement is less attractive. As a result, the costs of debt finance will increase, and bank stability will be negatively affected. Insofar as the European Union competes for debt finance, there is a risk of lower investment levels and higher bank instability in particular if other regions and states offer higher and more coherent levels of loan enforcement. Traders and consumers based in the European Union might look to other regions and countries in the search for more attractive conditions for debt finance.

VI. Member State perspective 1. Overall The approach to individual and collective enforcement of bank loans in the Member States shows significant variation. This is reflected by the dif25 As mentioned above, the intrinsic differences between secured and unsecured loans need to be considered.

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fering averages of the Member States’ answers to ‘Yes’/‘No’ questions. As seen above, the average of all Member States’ answers is 0.64. The highest individual averages are 0.87, 0.85, 0.84, 0.77 and 0.76. The lowest averages are 0.40, 0.41 and 0.46. All other Member States achieve averages above 0.5 and are in a group with averages oscillating between 0.52 and 0.69. Hence, the support banks find in the Member States’ legal frameworks for the enforcement of loans differs significantly across the EU. The following Chart 3 shows the variation between Member States. Steffek_Abb_03.tif

Chart 3: Average value of ‘Yes’/‘No’ answers by Member State in ascending order

Those Member States with lower averages offer generally less support for banks in the enforcement of loans resulting in lower recovery rates or longer time periods to recovery. As explained, banks can be expected to react to less attractive legal frameworks by increasing the cost of debt finance for traders and consumers. This raises three concerns for the relevant Member States. First, such Member States tend to see lower levels of investment and consumer spending as traders and consumers can only borrow at higher costs. Second, bank stability may be negatively affected as banks encounter higher hurdles in dealing with non-performing loans. Third, Member States with less attractive enforcement frameworks risk that their traders and consumers will look to other, more attractive jurisdictions in search of finance. 2. Type of debtor Does the ease of enforcement in the Member States differ according to the type of debtor? The results for enforcement against corporate debtors, sole traders and partnerships are quite similar to the overall enforcement averages presented above for the European Union. Notable differences in the

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Member States mainly concern deviations between the overall enforcement average and the average for enforcement against consumers. Hence, the enforcement frameworks of Member States deviate more from their general approach when banks enforce loans against consumers. To be more precise, the support for banks enforcing loans is lower in some Member States compared to enforcement against companies, sole traders and partnerships. Consequently, banks expect lower recovery rates and/or longer recovery times for consumers than for other types of debtors. 3. Type of loan As regards the type of loan, a comparison of Member States’ approaches to enforcement of bank loans reveals the following tendencies. First, disparities between Member States’ treatment of unsecured and secured claims increase from corporate debtors over sole traders/partnerships to consumers. Differences between jurisdictions are particularly strong as regards the enforcement of secured and unsecured claims against consumers. Second, the disparity between Member States is more pronounced for secured than for unsecured loans. In other words, banks in the European Union have to deal with larger deviations in enforcement support when enforcing secured claims. These differences are visible in the following charts (using the example of corporate debtors).26 Steffek_Abb_04.tif

Chart 4: Average value of ‘Yes’/‘No’ answers by Member State – corporate debtor, secured loan

Steffek_Abb_05.tif 26 For further details and charts see F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), p. 33 et seqq.

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Chart 5: Average value of ‘Yes’/‘No’ answers by Member State – corporate debtor, unsecured loan

What is the relevance of such different treatment of secured and unsecured loans? As already mentioned, different support for different types of loans means that the law risks distorting the bargain between the parties. If a legal system prefers unsecured loans over secured loans in enforcement, then banks will decrease the price for unsecured loans and increase the price of secured loans (and vice versa). It would be wrong, however, to conclude that this is ultimately a zerosum-game. Different types of traders and consumers have unequal access to assets they can offer as security. In addition, their liquidity as a basis for unsecured borrowing differs. To give just one example, if a legal system prefers unsecured loans over secured loans in enforcement, then businesses, which can offer strong liquidity outlooks, will benefit by way of cheaper debt finance. However, those businesses without strong liquidity but valuable assets that could serve as security will expect higher costs of debt finance. Such influences would be suboptimal. Investment decisions and the cost of finance should be determined by the products and services that businesses create rather than the fact whether they can offer liquidity or assets.27 4. Type of proceeding The above analysis of the European Union as a group has shown that insolvency proceedings are favoured over individual enforcement. As a starting point, this analysis treats both types of proceedings as equal. In reality, of course, individual enforcement at a time when the debtor is not in financial distress, will usually lead to higher recovery rates compared to insolvency 27 As explained above, the intrinsic difference between secured and unsecured loans should be reflected in the price of credit.

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proceedings, in which the debtor is usually financially distressed. However, the position in individual enforcement and insolvency proceedings is not always that clear-cut. A bank may be in a position where the choice between individual enforcement and opening insolvency proceedings is not straightforward. Such situations arise when the borrower is close to financial distress or when a lighter form of financial distress is present, but no insolvency proceeding has been commenced yet. It will then matter for the bank’s choice whether the relevant legal framework promises higher recovery rates and shorter recovery times in individual or collective enforcement. As a matter of principle, Member States should not prefer one type of enforcement to the other without good reason. Otherwise, lenders such as banks will impose a harmful risk premium at the time of lending. This is due to the fact that the lender cannot foresee with certainty at the time of lending whether individual or collective enforcement will become relevant. If the lender knows that one of these procedures is less attractive than the other, the lender will account for the lower enforcement outcome and demand a higher price for extending credit. The type of procedure is not under the lender’s exclusive control. Other creditors can commence insolvency proceedings, which will bind all creditors and keep them from enforcing individually. The risk premium a lender will impose to reflect the potential case of an unattractive enforcement proceeding is undesirable, as it will weigh on the debtors even if this unattractive type of enforcement proceeding never materialises. In short, all borrowers pay the price for suboptimal enforcement frameworks. The following charts show the averages for each Member State distinguishing between types of proceedings, i.e. whether the bank enforces the loan by way of individual enforcement or insolvency proceeding. The charts do not distinguish the type of debtor. Steffek_Abb_06.tif

Chart 6: Average value of ‘Yes’/‘No’ answers for individual enforcement

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As regards individual enforcement there are some very low and some high values. The lowest values are 0.08, 0.09, 0.17, 0.20 and 0.22. The highest values are 0.89, 0.86, 0.83, 0.81 and 0.80. As already noted for the European Union as a group, the Member States’ values for insolvency proceedings are much higher. In comparison, banks fare better in insolvency proceedings than in individual enforcement. The lowest values for insolvency proceedings are 0.38 and 0.39 compared to 0.08 and 0.09 for individual enforcement. Chart 7 shows further details for insolvency proceedings. Steffek_Abb_07.tif

Chart 7: Average value of ‘Yes’/‘No’ answers for insolvency proceeding

The spread of values is much higher for individual enforcement than for insolvency proceedings. This is revealed by a simple visual comparison of the above two charts. Banks face strongly differing levels of support and obstacles when individually enforcing loans in specific Member States. In contrast, enforcement is generally better in insolvency and there is less variation in the support level between Member States. As explained, differences between levels of support of the various types of proceedings within one Member State are undesirable. 5. Conclusion Turning the focus to differences between Member States’ frameworks, banks are dealing with significant divergences in the levels of support they find for enforcement. Differences between Member States are more pronounced as regards consumers, secured loans and individual enforcement. The biggest differences between Member States concern the individual enforcement of secured loans. Member States with lower scores risk stifling local activities of traders and consumers. Some of their citizens may look for debt finance options abroad.

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In addition, low values signal higher stability risks for banks as they will find it more difficult to liquidate and reduce non-performing loan portfolios.

VII. Numerical data In addition to answering ‘Yes’/‘No’ questions, Member States provided quantitative data on loan enforcement. Here, only one category shall be presented: numerical data on court capacity. The court clearance rate is calculated as resolved/incoming cases per year.28 The higher the clearance rate, the shorter the time to recovery and the better for the bank. The available data shows clearance rates of 100% or higher in many Member States.29 Put differently, in many Member States the number of cleared cases equals or exceeds the number of incoming cases in one calendar year. In those Member States where clearance rates are significantly lower than 100%, time to recovery substantially affects enforcement. Steffek_Abb_08.tif

Chart 8: Court capacity, corporate debtors30

28 The questionnaire defines clearance rates as incoming/resolved cases. Where Member States only gave a figure, this was understood as incoming/resolved cases and recalculated to reflect the resolved/incoming cases format. For more details on the calculation see the specific coding guidance for Question 1.28 in Annexe 3 of F Steffek, Analysis of Individual and Collective Loan Enforcement Laws in the EU Member States (fn. 1), p. 118. 29 Chart 8 caps results at 100%. 30 Average value of answers by Member State; normalised across {0,1}, with 1 = 1 (or 100%) and higher numbers; applied the following priority to the available data: (1) corporate debtor/legal person insolvency proceedings clearance rate, (2) entrepreneurs insolvency proceedings clearance rate, (3) general insolvency proceedings clearance rate, (4) general court clearance rate; most recent year.

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VIII. Common features The study reported here also researched the features the Member States’ enforcement frameworks share. It shows that the Member States in fact share a significant number of legal features concerning the enforcement of bank loans. The convergence is much more manifest in the features that are present than in the characteristics that are absent. Altogether, 17 features are present in the enforcement frameworks of the Member States at a rate between 92% and 100%. The commonalities in particular concern rules on the treatment of unsecured bank claims in the insolvency proceeding of all types of debtors. Noticeable themes are: the ease with which the bank can commence insolvency proceedings; the ability of the insolvency practitioner to recover assets the debtor has transferred to other persons; the preservation of the contractually agreed priority order in insolvency as regards security and the governance of insolvency proceedings. Interestingly, there are no positively shared features concerning individual enforcement. It is striking that there is impressive conformity amongst Member States as regards insolvency proceedings, even though at the relevant time there are hardly any mandatory EU (or other) harmonisation instruments in the area of substantive insolvency law.31 Convergence between the Member States is much less pronounced as regards absent features. 18 out of 20 features are absent only in 62% to 78% of 28 Member States. The absent features concern a mix of all enforcement issues researched. They concern all types of debtors, unsecured and secured claims as well as individual and collective enforcement proceedings. The only common theme among the absent features is the lack of private powers of banks to enforce loan contracts. This means that Member States predominantly require banks to apply to state institutions for relevant enforcement action.

IX. Differences The study does not only identify commonalities, it is also interested in the differences between the enforcement frameworks of the Member States. This analysis produces an unambiguous result. The differences primarily concern the individual enforcement of secured loan contracts. More precisely, the Member States take different approaches in terms of equipping the bank with autonomous powers to enforce security (both movable and 31 The Regulation on Insolvency Proceedings, Regulation (EU) 2015/848 of 20 May 2015, OJ L 141/19, mainly concerns cross-border aspects and none of the issues relevant here.

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immovable). This applies to enforcement against all types of debtors (corporate, sole trader/partnership or consumer). The relevant topics are: • Whether the bank can privately sell the security; • Whether the bank can take ownership of the secured asset; • Whether the bank can enforce the security without going to court. A less relevant, but still noteworthy theme is the opening and governance of insolvency proceedings. These issues, however, are to a large part only significant insofar as the insolvency proceeding is an impediment to individual enforcement. The main characteristics are: whether there is an entry test for restructuring proceedings to avoid abuse of moratoria to the detriment of individual enforcement of security and whether triggers for collective proceedings take into account the future cash flow of the debtor.

X. Potential for reform The study results reported focus on the enforcement of bank loans. The study does not cover other stakeholders such as debtors or equity investors. Consequently, while the study aims to contribute to a better understanding of debt finance in the European Union, it does not make comprehensive normative claims as regards the efficiency of finance law. Nevertheless, even based on the narrower focus of this study, a number of normative evaluations and reform considerations can be made. The study reveals certain areas of individual and collective enforcement law, where enforcement support is suboptimal. These findings are, to a certain degree, independent from more comprehensive efficiency considerations. Examples are low scores for individual enforcement, the enforcement of secured loans and court capacity. Another striking cause for concern is incoherent enforcement frameworks that treat certain types of loans differently without good reason. Improving such deficiencies promises better access to debt finance, improved bank stability and a level playing field for all types of lenders and borrowers. Action could be taken with a view to the relationship between the European Union and other regions and countries, the cross-border relationships between EU Member States and the situation within Member States. Depending on the appetite for change, at least four approaches to reform can be envisaged at the level of the European Union in addition to mere cross-border or national initiatives: • Horizontal reform covering larger areas of law: examples are harmonisation efforts concerning insolvency law, credit security law and/or private enforcement law.

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• Vertical instruments with a more limited focus: they could target areas where the study finds particular convergence (for example avoidance actions) or divergence (for example enforcement of security without the involvement of state authorities) between Member States. • Framework directive offering modules and options to choose from: this could improve consistency in the European Union while at the same time leaving Member States options to choose from. For example, a framework directive could harmonise the elements of avoidance actions, such as grounds for avoiding transactions and the relevant retrospective time periods. • European rules to opt-in: this would create a genuinely European regime, which would be offered to citizens in addition to Member States’ frameworks. For example, borrowers such as companies could voluntarily opt into a European insolvency law if they wished. The applicable insolvency law would be identifiable for creditors through an open register (in the case of companies, the enterprise register).

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Registerpublizität nach der Digitalisierungsrichtlinie

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Registerpublizität nach der Digitalisierungsrichtlinie Joachim Tebben

Registerpublizität nach der Digitalisierungsrichtlinie: Die Handelsregisterbekanntmachung ist tot, es lebe § 15 HGB! JOACHIM TEBBEN

I. Einleitung Im vergangenen Jahr kam Post aus Europa: Das Company Law Package wurde zugestellt und mit Spannung geöffnet. Zum Vorschein kam die Mobilitätsrichtlinie1 mit den lange ersehnten Regelungen zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ein sogleich ausgiebig besprochenes Thema.2 Weiter im Paket zu finden war die Digitalisierungsrichtlinie,3 deren Vorgaben zur Online-Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung gleichermaßen viel Aufmerksamkeit erfahren haben.4 Nur die Neuregelungen zur Registerpublizität, ebenfalls in der Digitalisierungsrichtlinie enthalten, sind bisher eher stiefmütterlich behandelt worden.5 Der folgende Beitrag befasst sich mit diesen neuen Vorgaben zur Registerpublizität und plädiert dafür, die spätestens zum 1. August 2021 anstehende Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie in nationales Recht zu nutzen, um die Handelsregisterbekanntmachungen nach § 10 HGB abzu1 Richtlinie (EU) 2019/2121 vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (ABl. EU Nr. L 321, S. 1) – Mobilitätsrichtlinie (MobRL). 2 Vgl. beispielsweise Teichmann NZG 2019, 241; Luy NJW 2019, 1905; Knaier GmbHR 2018, 607; J. Schmidt Der Konzern 2018, 229, 235 ff.; 273 ff.; Noack/Kraft DB 2018, 1577; Kraft BB 2019, 1864; Bormann/Stelmaszczyk ZIP 2019, 300; Bormann/ Stelmaszczyk ZIP 2019, 353; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins NZG 2018, 857; Habersack ZHR 182 (2018), 495. Umfassende Literaturübersicht: Limmer/ Knaier in: Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, 6. Aufl. 2019, Teil 6, Kap. 1 Rn 12 ff. mwN. 3 Richtlinie (EU) 2019/1151 vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (ABl. EU Nr. L 186, S. 80) – Digitalisierungsrichtlinie (DigRL). 4 Vgl. beispielsweise Birkefeld/Schäfer BB 2019, 2626; Ries NotBZ 2019, 25; Lieder NZG 2018, 1081; Knaier GmbHR 2018, 560; Noack DB 2018, 1324. 5 Jeweils knapp erwähnt bei Noack DB 2018, 1324, 1326, J. Schmidt Der Konzern 2018, 229, 232, und Teichmann ZIP 2018, 2451, 2461 f.

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schaffen, zugleich aber die Publizitätswirkungen der Handelsregistereintragungen weiter zu stärken. Ziel ist eine Vereinfachung und Stärkung von § 15 HGB, der zentralen Norm zur Registerpublizität. Klaus Hopt attestiert der Vorschrift des § 15 HGB in seinem „Baumbach’schen“ Kommentar zum Handelsgesetzbuch, von ihm betreut seit ehrfurchtgebietenden vier Jahrzehnten, dass sie in ihrer bisherigen Form ihre Zwecke „nicht bruchlos“ verwirkliche.6 Es steht daher zu hoffen, dass die nachfolgenden Überlegungen das Interesse des Jubilars finden.

II. Regelungen der Digitalisierungsrichtlinie zur Handelsregisterpublizität Die Digitalisierungsrichtlinie fasst Art. 16 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie7 völlig neu. Art. 16 GesRL befasst sich mit der „Offenlegung im Register“ und enthält Regelungen, die schon Gegenstand der Publizitätsrichtlinie von 19688 waren und 2017 mit nur geringen Änderungen in die Gesellschaftsrechtsrichtlinie übernommen wurden. Damit sind Regelungen betroffen, die ganz am Anfang der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in Europa standen und schon vor gut 50 Jahren in das deutsche Recht umgesetzt wurden, soweit sie nicht davor schon geltendes Recht waren, wie etwa die Regelung zur negativen Publizität des Handelsregisters in § 15 Abs. 1 HGB und die Vorschrift des § 15 Abs. 2 HGB, beide im Handelsgesetzbuch von Anfang an enthalten, teils sogar mit verstreuten Vorläuferregelungen im ADHGB.9 Die Registerpublizität, also die „Offenlegung“ der gemäß Art. 14 GesRL offenlegungspflichtigen Angaben, verwirklichte sich nach der Konzeption des europäischen Gesetzgebers bisher in zwei Schritten, nämlich zunächst dadurch, dass alle offenlegungspflichtigen Angaben in einem Register aktenmäßig hinterlegt oder eintragen werden, Art. 16 Abs. 3 GesRL a.F., und sodann diese Angaben in einem Amtsblatt oder in vergleichbarer Form bekannt gemacht werden, Art. 16 Abs. 5 GesRL a.F. Diese Zweischrittigkeit rührt noch aus Zeiten, in denen die Einsicht in das papierhaft geführte Han6

Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 1. Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. EU Nr. L 169, S. 46) – Gesellschaftsrechtsrichtlinie (GesRL). 8 1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften i.S.d. Art. 58 Abs. 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. EG Nr. L 65 S. 8), umgesetzt durch das Gesetz zur Durchführung der ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates der europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15. August 1969, BGBl. I S. 1146, mit Begr RegE in BT-Drs. 5/3862 S. 9. 9 Nachgewiesen bei MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 2 mit Fn 4. 7

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delsregister mühsam war und Pressebekanntmachungen über erfolgte Eintragungen als Mittel der aktiven Information des Rechtsverkehrs über die im Register eingetragenen Veränderungen ihren guten Sinn hatten.10 Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister11 hat in Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben der 2003 novellierten Publizitätsrichtlinie und der Transparenzrichtlinie von 2004 mit Wirkung zum 1. Januar 2007 für die Führung der Handelsregister und für Handelsregisterbekanntmachungen die elektronische Form verpflichtend vorgeschrieben, sodass nach einer Übergangszeit die Verpflichtung zur Bekanntmachung in papierhafter Form entfallen konnte. Seither sind Eintragungen im Handelsregister gewissermaßen doppelt elektronisch publiziert, im elektronischen Handelsregister12 und in dem nach § 10 HGB für Handelsregisterbekanntmachungen bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem.13 Der frühere funktionale Unterschied zwischen Eintragung und Bekanntmachung ist damit weitgehend aufgehoben. Es ist daher folgerichtig, dass die Digitalisierungsrichtlinie jetzt die Pflicht zur Bekanntmachung von Handelsregistereintragungen in Art. 16 Abs. 5 GesRL a.F. abschafft. Die Offenlegung erfolgt nach Art. 16 Abs. 3 Satz 1 GesRL n.F. nunmehr allein dadurch, dass die offenlegungspflichtigen Urkunden und Informationen „im Register öffentlich zugänglich“ gemacht werden, wo sie gemäß Art. 16 Abs. 2 GesRL n.F. in einer Akte zu hinterlegen oder direkt im Register einzutragen sind. Die Pflicht zur Veröffentlichung in einem Amtsblatt oder in vergleichbarer Form ist nur noch als Mitgliedsstaatenoption vorgesehen, Art 16 Abs. 3 Satz 2 GesRL n.F. Der deutsche Gesetzgeber sollte von dieser Option keinen Gebrauch machen.14 Die historisch bedingte Doppelung von Eintragung und Bekanntmachung hat heute keinen Nutzen mehr. Schon früh haben gewichtige Stimmen darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem elektronischen Zugang zum Registerinhalt die elektronische Bekanntmachung des Registerinhalts ihre Funktion verloren hätte.15 Die Praxis greift heutzutage direkt auf das elekt-

10

Vgl. K. Schmidt ZIP 2002, 413, 419. Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10. November 2006, BGBl. 2006 I S. 2553. Überblick bei Noack NZG 2006, 801. 12 www.handelsregister.de. 13 www.handelsregisterbekanntmachungen.de. 14 Ebenso J. Schmidt Der Konzern 2018, 229, 232; auch Bock DNotZ 2018, 643, 657. 15 Noack in: FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1261 f. („Modell […] aus dem vorigen und vorvorigen Jahrhundert“); K. Schmidt, ZIP 2002, 413, 419 („Konzept von vorgestern, nicht von heute“); Paefgen ZIP 2008, 1653, 1656; ebenso MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 3 a.E. („wertlose Bekanntmachung“); J. Schmidt Der Konzern 2018, 229, 232 („überflüssig“). 11

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ronische Handelsregister zu; die Handelsregisterbekanntmachungen haben daneben keine praktische Bedeutung mehr. Äußerlich zeigt sich das schon an dem beklagenswerten Zustand des Webauftritts unter www.handelsregisterbekanntmachungen.de. Dort findet sich bis heute16 unter der Suchmaske noch der warnende Hinweis, dass „bisher“ nur die Registerdaten der in der Länderübersicht aufgeführten Bundesländer im Internet eingestellt seien, wobei die Länderübersicht erkennen lässt, dass seit Inkrafttreten des EHUG am 1. Januar 2007 sämtliche Bundesländer Daten an das Portal liefern, der Warnhinweis also seit weit mehr als einem Jahrzehnt fehl am Platz ist. Ebenfalls veraltet ist der Link in der Rubrik „Häufige Fragen“ auf die Seite www.ebundesanzeiger.de, der seit dem Jahr 2012 nicht mehr aktuell ist (seither: www.bundesanzeiger.de). Funktional spricht nichts für die Beibehaltung gesonderter Handelsregisterbekanntmachungen. Die Suchfunktion des elektronischen Handelsregisters ist deutlich komfortabler ausgestaltet als die Suche in den Handelsregisterbekanntmachungen. Auch die Aufbereitung der Suchergebnisse ist bei der Suche im elektronischen Handelsregister praxistauglicher: Der Benutzer kann wählen, ob er für seine Zwecke einen chronologischen oder einen aktuellen Handelsregisterauszug benötigt oder eine strukturierte Übersicht aller zum Handelsregister eingereichten Unterlagen. Die Suche in den Handelsregisterbekanntmachungen ergibt hingegen nur eine chronologische Auflistung aller bekanntgemachten Änderungen im Handelsregister. Bestenfalls ergeben diese in ihrer Gesamtheit ein vollständiges Bild der aktuellen Verhältnisse der Gesellschaft; falls die Ersteintragung des Kaufmanns oder der Handelsgesellschaft vor Beginn der elektronischen Handelsregisterbekanntmachungen erfolgt war, bedarf es dafür gleichwohl noch eines Handelsregisterauszugs, weil womöglich Registerinhalte aus der Zeit davor noch Gültigkeit beanspruchen, aber nicht in den elektronisch abrufbaren Bekanntmachungen abgebildet sind. Das erfordert einen Prüfungsaufwand, der die Kosten einer elektronischen Handelsregistereinsicht weit übersteigt (derzeit € 4,50 je Einsicht17, wobei neben Firma, Rechtsform, Sitz und Registernummer zukünftig auch der Gegenstand der Gesellschaft und die organschaftlichen Vertreter einschließlich Vertretungsbefugnis kostenlos abrufbar sein müssen, Art. 19 Abs. 2 GesRL n.F.). Die Digitalisierungsrichtlinie sollte daher Anlass sein, die veränderte Konzeption des europäischen Gesetzgebers zur Offenlegung publizitätspflichtiger Unternehmensinformationen in das deutsche Recht zu übertragen und die gesonderten Handelsregisterbekanntmachungen nach § 10 HGB ersatzlos abzuschaffen.

16 17

Datum der Einsicht: 30.12.2019. Nr. 1140 des Kostenverzeichnisses zum Justizverwaltungskostengesetz.

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III. Vorüberlegungen zu einer Reform des § 15 HGB § 15 HGB18 ist die zentrale Vorschrift zu den Publizitätswirkungen des Handelsregisters. Die in ihrer Grundstruktur vielschichtige Norm regelt, dass gutgläubige Dritte eine im Handelsregister nicht verlautbarte Rechtslage nicht gegen sich gelten lassen müssen (§ 15 Abs. 1 HGB, „negative Publizität“), sich aber auf eine unrichtig bekannt gemachte Rechtslage berufen dürfen (§ 15 Abs. 3 HGB, „positive Publizität“), sowie ein Vertrauen auf eine abweichende Rechtslage nicht geschützt wird, wenn die wahre Rechtslage im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht worden ist (§ 15 Abs. 2 HGB). Die Abschaffung der Handelsregisterbekanntmachungen würde die Reglungen zur Registerpublizität in § 15 HGB erheblich vereinfachen. Bisher findet sich in allen Absätzen der Norm tatbestandlich der Dualismus von Eintragung und Bekanntmachung. Hieran knüpfen eine Reihe von Streitfragen an, die mit der Abschaffung der Bekanntmachung gegenstandslos würden.19 Auch darüber hinaus entzünden sich an § 15 HGB einige Meinungsverschiedenheiten, zum Teil befeuert von offenkundigen Diskrepanzen zwischen dem zugrunde liegenden Richtlinientext und der Umsetzung in deutsches Recht. Immer wieder wird daher in der Literatur auch rechtspolitische Kritik an einzelnen Aspekten des § 15 HGB in seiner bisherigen Fassung oder jedenfalls an der Lesart der herrschenden Auffassung geübt.20 Ganz generell wird als Triebfeder für ein sich wandelndes Verständnis des § 15 HGB auch die voranschreitende Digitalisierung des Handelsregisters ausgemacht, aufgrund derer dem Rechtsverkehr mehr als früher zugemutet werden kann, sich über den Registerinhalt zu informieren.21 Diejenigen Stimmen, die einer Reform des § 15 HGB das Wort reden, verdienen Unterstützung. Richtig erscheint auch der Ansatz, die Publizitätswirkungen des Handelsregisters angesichts der heute erreichten Qualität des Registerwesens und der jederzeitigen Verfügbarkeit sämtlicher im Register verfügbaren Information zu stärken. Die Registerpublizität ist eine Errungenschaft des Handelsrechts von hoher Bedeutung für die Unternehmenspraxis, mit steigender Bedeutung in einer Zeit, in der Vertrauen und Authentizität als Voraussetzungen für die „Sicherheit und Leichtigkeit des 18

Nicht behandelt werden hier die Parallelregelungen in § 29 GenG und § 68 BGB. S. auch Noack DB 2018, 1324, 1327. 20 Zu verschiedenen Aspekten bspw. MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 3; Schmidt-Kessel GPR 2005, 6, 13 ff.; Bachmann ZGR 2001, 351, 379 f.; K. Schmidt ZIP 2002, 413, 420. 21 Zu diesem Aspekt Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 10; MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 3; Noack, in: FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1258 f.; Bachmann ZGR 2001, 351, 380. 19

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Rechtsverkehrs“22 durch die Digitalisierung auf die Probe gestellt werden. Dabei bietet das Handelsregister in seiner heutigen Form mit seiner Einbettung in das System der vorsorgenden Rechtspflege ein Höchstmaß an Richtigkeitsgewähr. Angefangen mit den bewährten Formvorschriften für Handelsregisteranmeldungen, Handelsregistervollmachten und die zum Handelsregister einzureichenden Unterlagen in § 12 HGB, über die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes und die Prüfungspflicht der Notare nach § 378 Abs. 3 FamFG bis hin zur Ausgestaltung des Eintragungsverfahrens beim Registergericht in §§ 378–399 FamFG ist alles darauf angelegt, die Richtigkeit des Registerinhalts sicherzustellen. Die Leistungsfähigkeit des Systems hat sich mit der Umstellung auf die elektronische Registerführung und die elektronische Einreichung der Handelsregisteranmeldungen (einschließlich strukturiert aufbereiteter Datensätze durch die Notare, die vom Register automatisch übernommen werden können) nochmals erheblich erhöht, sodass heute Handelsregistereintragungen innerhalb weniger Tage die Regel sind, in Eilfällen sogar innerhalb eines Tages. Das Handelsregister verdient öffentlichen Glauben, und die Unternehmenspraxis braucht ihn: Wer etwa bei grenzüberschreitenden Transaktionen Existenz- und Vertretungsnachweise für Gesellschaften verschiedener Jurisdiktionen beizubringen hat oder in Grundbuchangelegenheiten mit Auslandsgesellschaften den Nachweis ordnungsgemäßer Vertretung in öffentlicher Form, § 29 Abs. 1 GBO, zu führen hat, dem stehen die Vorteile des mit öffentlichem Glauben versehenen Handelsregisters deutlich vor Augen. Das alles sollte Grund sein, zum Nutzen des Rechtsverkehrs die Publizitätswirkungen des Handelsregisters weiter zu stärken.

IV. Einzelaspekte 1. Negative Registerpublizität bei konstitutiven Eintragungen Nach § 15 Abs. 1 HGB, der auf Art. 16 Abs. 6 S. 1 GesRL a.F. beruht (jetzt Art. 16 Abs. 5 Satz 1 GesRL n.F.), kann eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache, solange sie nicht eingetragen und bekannt gemacht ist, einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden. Umstritten ist nach bisheriger Rechtslage, ob § 15 Abs. 1 HGB auch konstitutiv wirkende Eintragungen im Handelsregister erfasst, also auch auf solche Rechtstatsachen Anwendung findet, die zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung im Handelsregister bedürfen. Manche verneinen dies mit der Erwägung, die Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB auf konstitutive Eintragungen verschiebe die faktische Wirk22

Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 1.

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samkeit der betreffenden Tatsache systemwidrig vom Zeitpunkt der eigentlich konstitutiven Eintragung auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung.23 Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 HGB, der auf „einzutragende“ Tatsachen abstellt, steht diesem Verständnis nicht entgegen, weil er auch die Deutung zulässt, es seien nur Tatsachen erfasst, deren Eintragung aufgrund einer gesetzlich angeordneten Anmeldepflicht nach § 14 HGB erzwingbar ist,24 wozu die mit konstitutiver Wirkung einzutragenden Tatsachen gerade nicht gehören.25 Die herrschende Meinung spricht sich gleichwohl dafür aus, § 15 Abs. 1 HGB auch auf Fälle konstitutiver Eintragungen anzuwenden,26 insbesondere mit der Erwägung, es bestehe kein Grund, gutgläubigen Dritten in solchen Fällen weniger Schutz zu gewähren als bei nur deklaratorischen Eintragungen.27 Bis zur Eintragung freilich können die einzutragenden Tatsachen schon wegen des Grundsatzes der Konstitutivität keine Wirkung beanspruchen. Ab Eintragung bis zur Bekanntmachung hingegen kann nach h.M. die mit konstitutiver Wirkung erfolgte Eintragung gutgläubigen Dritten wegen der negativen Publizität des Handelsregisters nach § 15 Abs. 1 HGB nicht entgegengehalten werden. Wenn die Bekanntmachung abgeschafft wird, sind in § 15 Abs. 1 HGB die Worte „und bekanntgemacht“ zu streichen. Die fragliche Tatsache kann dann bereits mit Eintragung im Handelsregister jedem Dritten entgegengehalten werden kann. Die negative Publizität des Handelsregisters endet folglich genau in dem Zeitpunkt, in dem die mit konstitutiver Wirkung einzutragende Tatsache ohnehin erst wirksam wird, nämlich mit Eintragung im Handelsregister. § 15 Abs. 1 HGB hat dann bei konstitutiven Eintragungen keine Bedeutung mehr, und der bisherige Meinungsstreit hätte sich erledigt. 2. Karenzfrist nach § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB und „Kennenmüssen“ Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB muss ein Dritter eine eingetragene und bekanntgemachte Tatsache gegen sich gelten lassen, kann sich also nicht auf einen anderweitig begründeten entgegenstehenden Rechtsschein berufen. Dies gilt jedoch nicht bei Rechtshandlungen, die innerhalb von fünfzehn 23 Noack in: FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1256; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 14 Rn 22, 25; Sandberger JA 1973, 215. 24 MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 34; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 32. 25 Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 8 Rn 40. 26 MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 34; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 34; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 5; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 11; Röhricht/v. Westphalen/Haas/Ries, HGB, 5. Aufl. 2019, § 15 Rn 8; Oetker/Preuß, HGB, 6. Aufl. 2019, § 15 Rn 19; EBJS/Gehrlein, HGB, 4. Aufl. 2020, § 15 Rn 6; Oetker in: GS Sonnenschein, 2003, S. 635, 639 ff. 27 MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 34.

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Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen werden, sofern der Dritte beweist, dass er die Tatsache weder kannte noch kennen musste, § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB. Die Vorschrift beruht auf Art. 16 Abs. 6 S. 2 GesRL a.F. (insoweit inhaltlich unverändert nunmehr Art. 16 Abs. 5 Satz 2 GesRL n.F.), der die Karenzfrist an die „Offenlegung“ der betreffenden Tatsachen knüpft. Wenn der deutsche Gesetzgeber die veränderte Konzeption der Offenlegung aufgreift und die Bekanntmachung abschafft, müssen in § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB die Worte „und bekanntgemacht“ gestrichen werden; ferner muss die 15-Tages-Frist des § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB zukünftig statt mit der dann entfallenden Bekanntmachung bereits mit der Eintragung im Handelsregister beginnen. Der Blick in den Richtlinientext macht zugleich auf eine andere Frage aufmerksam, die seit langem streitig behandelt wird. Art. 16 Abs. 6 S. 2 GesRL a.F. (insoweit inhaltlich unverändert nunmehr Art. 16 Abs. 5 Satz 2 GesRL n.F.) knüpft die Karenzfrist zugunsten Dritter an den Nachweis, dass es ihnen „unmöglich war“, die Urkunden oder Informationen zu kennen. Der deutsche Gesetzgeber hat es dagegen anlässlich der Umsetzung der Publizitätsrichtlinie beim seit Inkrafttreten des HGB geltenden Wortlaut „weder kannte noch kennen musste“ belassen, also einem Verschuldenselement. Dieser Befund ist Ausgangspunkt für eine lebhafte Diskussion, unter welchen Umständen jemand die eingetragenen Tatsachen „kennen musste“. Nichtkaufleute sollen nach Ansicht mancher den Registerinhalt generell nicht kennen müssen, bei Kaufleuten sei nach Art und Umfang des in Rede stehenden Geschäfts zu differenzieren.28 Rechtsprechung und h.L. hingegen bejahen, solange der Registerinhalt technisch zugänglich ist, bei Kaufleuten generell das „Kennenmüssen“29, bei Nichtkaufleuten wird dies mehrheitlich ebenso gesehen.30 Durchweg wird allerdings eingestanden, dass die Anforderungen an das „Kennenmüssen“ seit der Einführung des elektronischen Handelsregisters wegen des nunmehr erheblich erleichterten Zugriffs auf den Registerinhalt deutlich herabzusetzen seien.31 Zugleich räumen auch Befürworter eines für 28 Mit Unterschieden im Einzelnen beispielsweise Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 32 f.; Röhricht/v. Westphalen/Haas/Ries, 5. Aufl. 2019, § 15 Rn 27. 29 BGH NJW 1972, 1418, 1419; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, HGB, 9. Aufl. 2019, § 15 Rn 22; EBJS/Gehrlein, HGB, 3. Aufl 2014, § 15 Rn 20; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 89; so auch schon Baumbach/Duden, HGB, 8. Aufl. 1950, § 15 Anm. 3). 30 Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, HGB, 9. Aufl. 2019, § 15 Rn 22; EBJS/Gehrlein, HGB, 4. Aufl. 2020, Rn 20; BeckOK HGB/Müther, Stand 15.10.2019, § 15 Rn 27; anders hingegen Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 89, für Alltagsgeschäfte von Privatleuten. 31 Noack in: FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1258 f.; Noack in: FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 482 f.; MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 73; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 89; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 33.

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den Dritten großzügigen Verschuldensmaßstabs ein, dass die Richtlinienkonformität des Verschuldensprinzips nicht zweifelsfrei ist, sehen sich aber schon vom aus ihrer Sicht klaren Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB an einer richtlinienkonformen Auslegung gehindert.32 Beide Aspekte – sowohl die heutzutage spektakulär vereinfachte Handelsregistereinsicht „per Mausklick“ und die verbreiteten Zweifel an der Richtlinienkonformität – verdichten sich zu einem Appell an den HGBGesetzgeber, sich vom Verschuldensprinzip des § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB zu verabschieden. Der Richtlinie geht es nicht um fahrlässiges Nichtwissen, sondern um Unmöglichkeit und damit um den seltenen Ausnahmefall fehlender technischer Verfügbarkeit des Registerinhalts. Dies passt auch besser zur Entlastungsfunktion des § 15 Abs. 2 HGB als das derzeitige schwer greifbare Verschuldenserfordernis, das in eine unüberschaubare Kasuistik führt. Letztlich geht es um eine vom europäischen Gesetzgeber gewollte Risikoverteilung, die angesichts des jedermann jederzeit möglichen elektronischen Zugriffs auf den Registerinhalt auch rechtspolitisch nicht (mehr) zu kritisieren ist.33 Der deutsche Gesetzgeber sollte dem anlässlich der anstehenden Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie Rechnung tragen und das „weder kannte noch kennen musste“ durch „nicht kennen konnte“ ersetzen. 3. Positive Publizität bei Diskrepanz von Eintragung und Bekanntmachung § 15 Abs. 3 HGB behandelt seinem Wortlaut nach nur den Fall, dass eine einzutragende Tatsache unrichtig bekannt gemacht worden ist, und schützt das abstrakte Vertrauen eines gutgläubigen Dritten in eine unrichtige Bekanntmachung nach allgemeiner Auffassung auch dann, wenn die korrespondierende Eintragung richtig ist.34 Umstritten ist demgegenüber, ob der Dritte sich auch auf eine unrichtige Eintragung berufen kann, wenn die korrespondierende Bekanntmachung richtig ist oder fehlt. Nach verbreiteter Auffassung35 ist § 15 Abs. 3 HGB in diesem Fall nicht anwenden, während

32 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 32. Hinweis auf eine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV bzw. Zweifel an der Richtlinienkonformität auch bei: Baumbach/ Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 14 aE; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, HGB, 9. Aufl. 2019, § 15 Rn 22 a.E.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 5 Rn 24. 33 So schon Bachmann ZGR 2001, 351, 380. 34 Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 18. 35 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 45; MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, HGB § 15 Rn 89; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 14 Rn 82; Brox/Henssler, Handelsrecht, 22. Aufl. 2016, Rn. 99; Schilken AcP 187 (1987), 1, 13. So auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 5/3862, S. 11.

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eine ebenfalls verbreitete Gegenmeinung36 über den Wortlaut der Norm hinaus aus Gründen der Wertungskonsistenz das abstrakte Vertrauen in eine unrichtige Registereintragung analog § 15 Abs. 3 HGB schützen will. Wenn der Gesetzgeber die Bekanntmachung abschafft und für den Verkehrsschutz des § 15 Abs. 3 HGB zukünftig allein auf die Eintragung im Handelsregister abstellt, wäre dieser Meinungsstreit obsolet. Um eine denkbare Diskrepanz von Eintragung und Bekanntmachung geht es auch bei der Diskussion, unter welchen Umständen dem Dritten wegen Bösgläubigkeit die Berufung auf die unrichtig bekanntgemachte Tatsache verwehrt ist. Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 HGB verlangt dafür Kenntnis von der Unrichtigkeit der Bekanntmachung. Danach würde es dem Dritten nicht schaden, wenn ihm eine Diskrepanz zwischen Eintragung und Bekanntmachung bekannt wäre, solange er keine Kenntnis davon hat, ob nun die Eintragung oder die Bekanntmachung fehlerhaft ist; er kann sich dann auf die Bekanntmachung verlassen. Darin weicht die Norm von Art. 16 Abs. 7 Satz 2 GesRL a.F. ab, der eine Berufung auf die bekanntgemachte Tatsache schon dann verwehrt, wenn dem Dritten die (richtige) Eintragung bekannt war. In der Literatur wird daher erörtert, wie § 15 Abs. 3 HGB in diesem Punkt in Übereinstimmung mit der Richtlinie zu bringen ist, sei es durch extrem weite Auslegung des Merkmals der Kenntnis oder durch teleologische Reduktion der Norm in Fällen, in denen der Dritte die für ihn ungünstige Eintragung kennt.37 Diese Diskussion hätte sich erledigt, wenn der Gesetzgeber die Bekanntmachung abschaffen würde. Der Verkehrsschutz des § 15 Abs. 3 HGB könnte dann nur an die unrichtige Eintragung anknüpfen und wäre zu versagen, wenn der Dritte die Unrichtigkeit der Eintragung kannte. 4. Veranlassung der fehlerhaften Offenlegung als Voraussetzung positiver Publizität Im Rahmen der Überarbeitung von § 15 HGB sollte der Gesetzgeber auch die seit Schaffung des § 15 Abs. 3 HGB vor mehr als fünfzig Jahren diskutierte Frage beantworten, ob dessen Rechtsscheinswirkungen die Veranlassung der fehlerhaften Offenlegung durch den Betroffenen voraussetzen.38 Die h.M. 36 Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 18; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 105; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, HGB, 9. Aufl. 2019, § 15 Rn 28; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1658; Bürck AcP 171 (1971), 328, 338; Noack in: FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 480 f. 37 MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 94; anders die h.M.: Baumbach/Hopt/ Hopt, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 18; Oetker/Preuß, HGB, 6. Aufl. 2019, § 15 Rn 55; Schilken AcP 187 (1987), 1, 12 f.; K. Schmidt Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 14 Rn 80. 38 Vgl. von Olshausen BB 1970, 137, 140, Beyerle BB 1971, 1482, sowie – noch vor Umsetzung der Publizitätsrichtlinie – Lutter EuropaR 1969, 1, 14. Umfassende Darstellung der Diskussion bei Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 106 ff.

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leitet aus der Formulierung „in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war“ und teleologischen Überlegungen ein Veranlassungsprinzip ab, wonach § 15 Abs. 3 HGB nur zu Lasten desjenigen wirkt, der den Eintragungsantrag selbst gestellt hat oder sich einen solchen Antrag zurechnen lassen muss.39 Die Mindermeinung hingegen vermag im Wortlaut der Norm keinen Anhaltspunkt für ein Veranlassungsprinzip zu erkennen, in den Gesetzesmaterialien sogar Anhaltspunkte dagegen, und sieht § 15 Abs. 3 HGB als Norm des abstrakten Verkehrsschutzes, für den es auf die Veranlassung der fehlerhaften Offenlegung durch den Betroffenen nicht ankomme.40 Der Mindermeinung ist zuzugeben, dass Art. 16 Abs. 7 Satz 2 GesRL a.F. keinen Hinweis auf ein Veranlassungserfordernis enthält, insbesondere nicht die in § 15 Abs. 3 HGB enthaltene Wendung „in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war“. Das korrespondiert mit dem Befund, wonach außerhalb Deutschlands in diesem Zusammenhang ein Veranlassungsprinzip nicht erörtert wird.41 Auch die Gesetzesmaterialien zu § 15 Abs. 3 HGB sprechen sich gegen das Veranlassungsprinzip aus.42 Herrschende Meinung und Mindermeinung sind sich jedenfalls einig in der Einschätzung, dass die Frage nach dem Veranlassungsprinzip praktisch wenig bedeutsam ist.43 Es ist überhaupt erst eine Gerichtsentscheidung bekannt geworden, in der diese Frage eine Rolle spielte44, wobei womöglich der entschiedene Fall bereits mit Kollusionsregeln hätte gelöst werden können.45 Dies deutet darauf hin, dass von den Betroffenen unveranlasste und unbemerkt bleibende Falscheintragungen in der Praxis kaum je vorkommen. Das ist nicht überraschend, wenn man sich die oben beschriebenen Absicherungen des Handelsregisterverfahrens vor Augen führt: Anmeldung (bei Personenhandelsgesellschaften durch alle (!) vorhandenen und ggf. neu eintretenden Gesellschafter46) nach § 12 HGB nur in beglaubigter Form, d.h. 39 OLG Brandenburg ZIP 2012, 2103; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 19; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 106; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 51 f.; v. Olshausen BB 1970, 137, 142; Bürck AcP 171 (1971), 328, 339 ff.; Sandberger JA 1973, 215, 218 f.; Schilken AcP 187 (1987), 1, 17 ff. 40 MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 83 ff.; v. Gierke/Sandrock, Handelsrecht, 9. Aufl. 1975, § 11 III 3c, S. 154 f.; Hofmann JA 1980, 264, 270; Brox/Henssler, Handelsrecht, 22. Aufl. 2016, Rn 101 f.; tendenziell auch Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn 278. Kritik am Veranlassungsprinzip auch bei K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 14 Rn 88 ff. und Bock GmbHR 2018, 281, 288. 41 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn 278 m. Fn. 48. 42 Vgl. BT-Drs. 5/3862 S. 10 (hiergegen Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 52: „Torheiten der Ministerialbürokratie“). 43 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn 51; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 106; MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 84. 44 OLG Brandenburg ZIP 2012, 2103. 45 K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 14 Rn 88. 46 Vgl. die Übersicht zu den anmeldepflichtigen Personen bei Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn 105.

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nach Identitätsprüfung durch einen Notar (§ 40 BeurkG), Eintragung durch oder aufgrund der Verfügung eines Rechtspflegers oder Richters (§ 27 HRV) mit Unterschrift oder elektronischer Signatur gemäß § 382 FamFG, Vollzugsmitteilung gemäß § 383 FamFG nicht nur an die Gesellschaft, sondern an alle Verfahrensbeteiligten i.S.d. § 7 FamFG. Dieser rechtstatsächliche Befund darf durchaus als Argument dafür herangezogen werden, § 15 Abs. 3 HGB ebenso wie § 15 Abs. 1 HGB jedenfalls de lege ferenda als abstrakte Verkehrsschutzregel zu verstehen, für die es auf eine konkrete Veranlassung nicht ankommt,47 insoweit im Gleichklang mit dem Gutglaubensschutz der §§ 892, 2366 BGB. Der Gesetzgeber könnte dies bei der anstehenden Überarbeitung des § 15 HGB dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Wendung „demjenigen gegenüber, in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war“ streicht. Bei einem Verzicht auf das Zurechnungserfordernis hätte sich dann auch der Streit um die Zurechenbarkeit bei beschränkt geschäftsfähigen Personen erledigt.48 5. Publizitätswirkungen bei Eintragung nicht bekanntzumachender Tatsachen Eine Abschaffung der Handelsregisterbekanntmachungen wirkt sich mittelbar auch auf jene Fälle aus, in denen das Gesetz abweichend von der Grundregel in § 10 HGB eine Bekanntmachung erfolgter Handelsregistereintragungen ausdrücklich für nicht erforderlich erklärt. Hierbei handelt es sich vor allem um Angaben betreffend Kommanditisten. Bei Eintragung einer Kommanditgesellschaft sind zwar gemäß §§ 162 Abs. 1 Satz 1, 106 Abs. 2 Nr. 1 HGB die Kommanditisten mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Wohnort und Hafteinlage im Handelsregister einzutragen. Die Bekanntmachung der Eintragung der Kommanditgesellschaft enthält aber nach § 162 Abs. 2 HGB keine Angaben zu den Kommanditisten. § 162 Abs. 2, 2. Halbs. HGB regelt zudem, dass die Vorschriften des § 15 HGB „insoweit“ nicht anzuwenden seien. Dasselbe gilt für den Eintritt eines Kommanditisten in eine bestehende Kommanditgesellschaft und für den Austritt eines Kommanditisten, § 162 Abs. 3 HGB. Auch bei der Eintragung einer Erhöhung oder Herabsetzung der Hafteinlage soll gemäß §§ 175 Satz 2, 162 Abs. 2 HGB keine Bekanntmachung erfolgen und § 15 HGB insoweit keine Anwendung finden. Die Vorschriften wurden mit dem NaStraG49 eingeführt und sollen ausweislich der Gesetzesbegründung auf47

In diesem Sinne auch MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 85. Hierzu Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 111 mwN. 49 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung v. 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 123) – Namensaktiengesetz (NaStraG). 48

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wändige und (seinerzeit) kostenträchtige Bekanntmachungen erübrigen, die für den Leser gleichwohl praktisch nichtssagend sind.50 Wenn die gesonderte Bekanntmachung von Eintragungen im Handelsregister generell entfällt, bedarf es der Anordnungen in §§ 162 Abs. 2, 175 Satz 2 HGB nicht mehr. Über diese formale Folge hinaus hätte der Wegfall der Normen aber unter Umständen auch materiell-rechtliche Konsequenzen, je nach Verständnis der nicht ganz klaren gesetzlichen Anordnung, dass § 15 HGB „insoweit“ keine Anwendung finde. Die wohl herrschende Auffassung versteht die Regelung so, dass § 15 HGB lediglich für Bekanntmachungsfehler – die es mangels Bekanntmachung ohnehin nicht geben dürfe – keine Geltung beanspruche, aber sehr wohl für Eintragungsfehler.51 Nach anderer Auffassung hingegen ist in diesen Fällen auch bei Eintragungsfehlern § 15 HGB nicht anwendbar.52 Diese Auffassung kann sich immerhin auf die Gesetzesbegründung berufen, wonach mangels Bekanntmachung § 15 HGB auf die Eintragungen bezüglich der Kommanditisten keine Anwendung finden könne.53 Für diese Auffassung wird geltend gemacht, wegen des Tatbestandsmerkmals der fehlerhaften Bekanntmachung enthalte § 15 HGB in seinen Absätzen 1 und 3 stillschweigend auch die Tatbestandsvoraussetzung der „bekannt zu machenden Tatsache“.54 Fehle es an einer Bekanntmachungspflicht, finde folglich auch § 15 HGB keine Anwendung, was der Gesetzgeber in § 162 Abs. 2, 2. Halbs. HGB für den dort geregelten Fall nur habe klarstellen wollen. Mit einer Abschaffung der gesonderten Bekanntmachung und einer entsprechenden Änderung des § 15 HGB sowie der §§ 162 Abs. 2, 175 Satz 2 HGB wäre der zuletzt beschriebenen Auffassung die Grundlage entzogen. Dann würde insbesondere die bis zum NaStraG ganz herrschende Auffassung (wieder) allgemeine Geltung beanspruchen können, dass die unbeschränkte Haftung eines Kommandisten gegenüber gutgläubigen Gläubigern wiederauflebt, wenn er seinen Kommanditanteil veräußert, sein 50 BT-Drucks. 14/4051, S. 19; vgl. MüKoHGB/Grunewald, 4. Aufl. 2019, § 162 Rn 11: Schutz der Privatsphäre der Kommanditisten; Vermeidung einer Flut von Bekanntmachungen bei Publikums-Kommanditgesellschaften. 51 MüKoHGB/Grunewald, 4. Aufl. 2019, § 162 Rn 13; Staub/Casper, HGB, 5. Aufl. 2015, § 162 Rn 25 ff.; Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas/Mock, HGB, 5. Aufl. 2019, § 162 Rn 14; Bueren ZHR (2014), 715, 756 ff.; Wilhelm DB 2002, 1979, 1982; Noack in: FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 480. 52 MüKoHGB/K. Schmidt, 4. Aufl. 2019, § 173 Rn 36; K. Schmidt DB 2011, 1149; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, 39. Aufl. 2020, § 173 Rn 13; Burgard in: FS Hadding, 2004, S. 325, 340 f.; Mattheus/Schwab ZGR 2008, 65, 84; ebenso generell für eintragungspflichtige, aber nicht bekannt zu machende Tatsachen MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 28. 53 BT-Drucks. 14/4051, S. 19. 54 MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 29; a.A. Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 42.

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Ausscheiden aber versehentlich ohne einen entsprechenden Nachfolgevermerk im Grundbuch eingetragen wird.55 Anders verhält es sich jedoch mit Blick auf § 32 Abs. 2 HGB. Nach dieser Vorschrift werden die nach § 32 Abs. 1 HGB aufgrund Mitteilung des Insolvenzgerichts von Amts wegen vorzunehmenden Eintragungen im Handelsregister nicht bekannt gemacht und ist § 15 HGB nicht anzuwenden. Natürlich wäre mit Abschaffung der gesonderten Bekanntmachung § 32 Abs. 2 Satz 1 HGB obsolet und wäre zu streichen. Die Anordnung jedoch, dass § 15 HGB auf die nach Abs. 1 der Norm einzutragenden Angaben keine Anwendung findet, hätte weiterhin ihre Berechtigung. Insoweit herrscht Einigkeit, dass § 32 Abs. 2 Satz 2 HGB nicht nur Ausdruck eines angeblichen Grundsatzes ist, wonach § 15 HGB auf eintragungspflichtige, aber nicht bekannt zu machenden Tatsachen keine Anwendung finde. Vielmehr liegt der Norm der Gedanke zugrunde, dass die Wirkungen der insolvenzrechtlichen Vorgänge und damit auch die Publizitätswirkungen in der Insolvenzordnung abschließend geregelt sind (§§ 9, 23 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1, 277 Abs. 3 Satz 1 InsO).56 6. Publizitätswirkungen bei Eintragung nicht eintragungspflichtiger Tatsachen § 15 HGB verwendet den Begriff der „einzutragenden“ Tatsache. Hierunter fallen solche Tatsachen, für die das HGB oder Spezialgesetze eine Eintragungspflicht begründen (z.B. betreffend die Firma und deren Änderung nach §§ 29, 31 HGB oder Änderungen in den Personen der GmbHGeschäftsführer nach § 39 GmbHG).57 Auch Tatsachen, für die die Eintragung konstitutiv ist, werden von der herrschenden Auffassung hierzu gerechnet, weil sich durch die Erhebung der Eintragung zur Wirksamkeitsvoraussetzung ein faktischer Zwang zur Eintragung ergibt.58 Tatsachen, die lediglich eintragungsfähig sind, die aber weder wegen einer Eintragungspflicht noch als Wirksamkeitsvoraussetzung der Eintragung im Handelsregister bedürfen, sind hingegen nach allgemeiner Auffassung keine „einzutragende“ Tatsache in diesem Sinne; Beispiele hierfür sind der Umstand der Gesamt- oder Sonderrechtsnachfolge beim Gesellschafterwechsel in Personengesellschaften und die Befreiung eines Prokuristen von den Beschränkungen des § 181 BGB.59 Es wird aber verschiedentlich diskutiert, die Regelungen in § 15 HGB bei nicht eintragungspflichtigen, aber eintragungsfähigen Tatsachen entspre55

Vgl. nur Baumbach/Hopt, HGB, 27. Aufl. 1987, § 172 Anm. 3). Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 32 Rn 3; MüKoHGB/Krafka, 4. Aufl. 2016, § 32 Rn 13. 57 Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 31. 58 Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 5. 59 Kraka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn 103. 56

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chend anzuwenden. Immerhin besteht Einigkeit, dass es nicht angehen kann, § 15 Abs. 1 HGB auf nicht einzutragende Tatsachen analog anzuwenden, weil für derartige Tatsachen letztlich doch eine faktische Eintragungspflicht geschaffen würde, wenn diese ohne Eintragung im Handelsregister Dritten nicht entgegengehalten werden könnten.60 Was die positive Publizität nach § 15 Abs. 3 HGB betrifft, fordert jedoch eine Mindermeinung die analoge Anwendung der Norm, wenn Tatsachen trotz fehlender Eintragungspflicht im Handelsregister tatsächlich eingetragen worden sind.61 Auch für § 15 Abs. 2 HGB wird von einer Mindermeinung vertreten, wenn lediglich eintragungsfähige Tatsachen im Handelsregister publiziert seien, müssten Dritte sich das entgegenhalten lassen.62 Für die h.M., die sich gegen eine Ausweitung von § 15 Abs. 2 bzw. § 15 Abs. 3 HGB auf nur eintragungsfähige Tatsachen wendet, spricht in der Tat der Wortlaut der Norm („einzutragende Tatsache“), der gegen eine Regelungslücke spricht und dem Rechtsanwender so die analoge Anwendung auf nur eintragungsfähige Tatsachen verbietet. Dem Gesetzgeber stünde es natürlich frei, anlässlich einer Revision des § 15 HGB die Publizitätswirkungen aus § 15 Abs. 2 HGB und § 15 Abs. 3 HGB allen im Handelsregister eingetragenen Tatsachen zuzubilligen. Tatsächlich scheint es schwer nachvollziehbar, den Umfang des Verkehrsschutzes von einer feinsinnigen Differenzierung zwischen eintragungspflichtigen und nur eintragungsfähigen Tatsachen abhängig zu machen, die den wenigsten Teilnehmern am Handelsverkehr geläufig sein dürfte. Warum sollte man dem Kaufmann verwehren, auch bei nur eintragungsfähigen Tatsachen das Handelsregister mit der Entlastungswirkung des § 15 Abs. 2 HGB zu nutzen, um den Handelsverkehr zuverlässig und einfach zugänglich über diese Tatsachen zu informieren, und warum sollten Dritte ihn nicht im Falle von Falscheintragungen daran gemäß § 15 Abs. 3 HGB festhalten dürfen? Sollte sich der Gesetzgeber dazu durchringen, wäre es damit getan, in § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB statt von „der“ Tatsache, zu verstehen als einzutragende Tatsache im Sinne des § 15 Abs. 1 HGB, von „einer“ Tatsache zu sprechen. In § 15 Abs. 3 HGB wäre demgemäß „eine einzutragende Tatsache“ zu ersetzen durch „eine Tatsache“.

60 BGHZ 55, 267, 273; OLG Karlsruhe GmbHR 1964, 78; MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 27; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 5; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 35; aA Müssigbrodt BB 1982, 338, 341. 61 Liebscher ZGR 2017, 389, 406 f.; Noack in: FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1261; MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 87; wohl auch Bürck AcP 171 (1971), 328, 342; de lege ferenda auch Bachmann ZGR 2001, 351, 380; anders die h.M.: Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 18; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 100. 62 Hierfür MüKoHGB/Krebs, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn 65; anders die h.M.: BAG NJW 1988, 223; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 15 Rn 13; Staub/Koch, HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn 76 f.; Röhricht/v. Westphalen/Haas/Ries, HGB, 5. Aufl. 2019, § 15 Rn 24.

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V. Schluss Die Digitalisierungsrichtlinie mit ihrem veränderten Konzept der Offenlegung von publizitätspflichtigen Tatsachen im Handelsregister ebnet den Weg zur überfälligen Abschaffung der funktionslos gewordenen Handelsregisterbekanntmachungen. Das führt zu willkommenen Folgeänderungen in § 15 HGB, die für eine nennenswerte Vereinfachung der komplexen Norm sorgen und klassische Streitfragen rund um das Tatbestandsmerkmal der Bekanntmachung mit einem Federstrich lösen. Auch darüber hinaus gibt es eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten zu § 15 HGB, zu deren Beilegung der Gesetzgeber aufgerufen ist. Es wäre deshalb zu hoffen, dass die Digitalisierungsrichtlinie denselben Reformeifer des Gesetzgebers zu wecken vermag, der sich zuletzt im Hinblick auf eine Reform des Personengesellschaftsrechts gezeigt hat.63

VI. Formulierungsvorschlag § 15 HGB – Fassung de lege lata –

§ 15 HGB – Vorschlag de lege ferenda –

(1) Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war.

(1) Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war.

(2) Ist die Tatsache eingetragen und bekanntgemacht worden, so muß ein Dritter sie gegen sich gelten lassen. Dies gilt nicht bei Rechtshandlungen, die innerhalb von fünfzehn Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen werden, sofern der Dritte beweist, daß er die Tatsache weder kannte noch kennen mußte.

(2) Ist eine Tatsache eingetragen worden, so muß ein Dritter sie gegen sich gelten lassen. Dies gilt nicht bei Rechtshandlungen, die innerhalb von fünfzehn Tagen nach der Eintragung vorgenommen werden, sofern der Dritte beweist, daß er die Tatsache nicht kennen konnte.

63 Vgl. dazu den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018, Ziffer 6186 ff. und den Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom April 2020; hierzu Bachmann NZG 2020, 612.

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(3) Ist eine einzutragende Tatsache unrichtig bekanntgemacht, so kann sich ein Dritter demjenigen gegenüber, in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war, auf die bekanntgemachte Tatsache berufen, es sei denn, daß er die Unrichtigkeit kannte.

(3) Ist eine Tatsache unrichtig eingetragen, so kann sich ein Dritter auf die eingetragene Tatsache berufen, es sei denn, daß er die Unrichtigkeit kannte.

(4) Für den Geschäftsverkehr mit einer in das Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung eines Unternehmens mit Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland ist im Sinne dieser Vorschriften die Eintragung und Bekanntmachung durch das Gericht der Zweigniederlassung entscheidend.

(4) Für den Geschäftsverkehr mit einer in das Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung eines Unternehmens mit Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland ist im Sinne dieser Vorschriften die Eintragung durch das Gericht der Zweigniederlassung entscheidend.

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Mitbestimmungsschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen

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Mitbestimmungsschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen Christoph Teichmann

Mitbestimmungsschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen – Zugleich ein Rückblick auf die Beratungen der „Informal Company Law Expert Group“ (2014–2018) – CHRISTOPH TEICHMANN

I. Einleitung: „The Elephant in the Room“ Im Jahre 2014 setzte die Europäische Kommission eine internationale Expertengruppe zum Unternehmensrecht ein, die sie bei verschiedenen Vorhaben des Europäischen Gesellschaftsrechts beraten sollte.1 Diese sog. „Informal Company Law Expert Group“ (ICLEG) wurde als Ergänzung der „Formal Company Law Expert Group“ ins Leben gerufen, in der sich die offiziellen Vertreter der Mitgliedstaaten zur Beratung von Rechtsakten treffen. Auf der Agenda der ICLEG standen insbesondere das Konzernrecht, die Digitalisierung und die grenzüberschreitenden Umwandlungen. Im Umwandlungsrecht erwog die Kommission neben einer vertiefenden Harmonisierung der grenzüberschreitenden Verschmelzung die Einführung des grenzüberschreitenden Formwechsels und der grenzüberschreitenden Spaltung. In der ICLEG herrschte Konsens darüber, dass jedenfalls der grenzüberschreiende Formwechsel mit vertretbarem Aufwand regelbar sei, denn hier könne man sich weitgehend an das Vorbild der grenzüberschreitenden Verschmelzung anlehnen.2 Die Gesprächspartner auf Seiten der EUKommission machten allerdings deutlich, dass es da noch einen „Elephant in the Room“ gebe: Die unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer.

1 Der Expertengruppe gehörten an: John Armour (UK), Gintautas Bartkus (LT), Blanaid Clarke (IR), Pierre-Henri Conac (LUX), Harm-Jan de Kluiver (NL), Holger Fleischer (D), Mónica Fuentes Naharro (E), Jesper Lau Hansen (DK), Vanessa Knapp (UK), Marco Lamandini (IT), Arkadiusz Radwan (PL), Christoph Teichmann (D), Robbert van het Kaar (NL), Martin Winner (A). 2 Zu den dogmatischen und praktischen Herausforderungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels, der bislang allein auf Basis der einschlägigen EuGH-Entscheidungen durchgeführt werden konnte, Teichmann/Knaier, in: Lipp/Münch (Hrsg.), Aktuelle notarielle Herausforderungen in der Praxis des Gesellschaftsrechts, 2019, S. 55–100.

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Nicht allen ICLEG-Mitgliedern leuchtete diese Sorge unmittelbar ein. Denn erstens tangiert ein Formwechsel prinzipiell nur die Rechtsposition der Anteilseigner, nicht aber diejenige der Arbeitnehmer (nachfolgend unter II.). Und zweitens scheint das existierende EU-Sekundärrecht mit seiner Verhandlungslösung bei SE und grenzüberschreitender Verschmelzung einen ausreichenden Schutz von Arbeitnehmerrechten zu bieten. Dass transnationale gesellschaftsrechtliche Strukturen mitunter gezielt zur Vermeidung von Mitbestimmung eingesetzt werden (nachfolgend unter III.), hat sich unter den Fachleuten anderer EU-Mitgliedstaaten offenbar kaum herumgesprochen. Ob man in der Mitbestimmungsvermeidung eine zu missbilligende Motivation für die Durchführung einer Umstrukturierung ansieht, liegt naturgemäß im Auge des Betrachters. Aus gesellschaftsrechtlicher Warte wirkt die Besetzung von Unternehmensorganen durch Arbeitnehmer als Fremdkörper, weshalb die mitbestimmungsinduzierte Umstrukturierung vielfach als legitime Gestaltungsmöglichkeit angesehen wird. Beim Erlass einer EURichtlinie geht es allerdings um die Perspektive des europäischen Gesetzgebers. Diesem steht es nicht gut zu Gesicht, Gestaltungsmöglichkeiten zur Umgehung nationaler Schutzstandards einzuführen. Es war daher der klare Wille der EU-Kommission, mit einem Vorschlag zum grenzüberschreitenden Formwechsel keine Fluchtbewegungen aus der Mitbestimmung zu befördern. In der ICLEG wurde daraufhin eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich das Problemfeld umfassend erschließen sollte. Deren Überlegungen sollen hier erstmals vorgestellt und der wissenschaftlichen Diskussion zugänglich gemacht werden (nachfolgend unter IV.). In der Arbeitsgruppe waren zwei Staaten vertreten, in denen unternehmerische Mitbestimmung existiert (Deutschland und die Niederlande),3 und zwei Staaten, in denen es – zumindest für die Privatwirtschaft – keine Mitbestimmungsregelung gibt (Polen und Spanien)4. Die Gruppe hielt ihre Vorüberlegungen in einem Diskussionspapier fest, das in der ICLEG besprochen wurde. Der Formwechsel trat dann jedoch gegenüber anderen Themen in den Hintergrund, so dass eine gemeinsame Stellungnahme der Expertengruppe nicht zustande kam.5 Erst in einer relativ späten Phase der Vorbereitungen entschied sich die EU-Kommission, den grenzüberschreitenden Formwechsel in den Richtlinienvorschlag mit aufzunehmen, der im April 2018 als Teil des sog. „Com-

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Robbert van het Kaar (NL), Christoph Teichmann (D). Mónica Fuentes Naharro (E), Arkadiusz Radwan (PL). 5 Zu den Themen Digitalisierung, Konzerntransparenz und Konzerninteresse wurden jeweils gemeinsame Stellungnahmen veröffentlicht (aufrufbar unter Verwendung des Namens eines der ICLEG-Mitglieder auf www.ssrn.com). 4

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pany Law Package“ veröffentlicht wurde.6 Nach ausgesprochen zügigen Verhandlungen ist die endgültige Fassung als Richtlinie (EU) 2019/2121 Ende 2019 im Amtsblatt veröffentlicht worden.7 In die Textredaktion als solche war die ICLEG nicht mehr eingebunden. Die nachfolgenden Erörterungen sind daher allgemeiner Natur und stützen sich auf den Gedankenaustausch in der Expertengruppe; sie erheben nicht den Anspruch, die internen Überlegungen der Europäischen Kommission abzubilden.

II. Grenzüberschreitender Formwechsel und Arbeitnehmerrechte 1. Rechtliche Struktur des grenzüberschreitenden Formwechsels Kennzeichnend für einen jeden Formwechsel ist die Rechtsträgerkontinuität. Es handelt sich vorher wie hinterher um dieselbe Rechtsperson (vgl. § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG).8 Man kann den grenzüberschreitenden Formwechsel insoweit mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit bei einer natürlichen Person vergleichen: Die Person existiert weiter, für Vertragspartner der betreffenden Person ändert sich nichts, alle zuvor begründeten Rechte und Pflichten bleiben bestehen. Daher berührt der Formwechsel grundsätzlich auch nicht die Rechtsposition der Arbeitnehmer, die mit der Gesellschaft einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben. Vom innerstaatlichen unterscheidet sich der grenzüberschreitende Formwechsel dadurch, dass mit ihm ein Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts einhergeht.9 Der Unternehmensträger nimmt eine Rechtsform an, die in der Rechtsordnung eines anderen Staates geregelt ist. Als Beispiel kann die schon vor Erlass der Richtlinie erfolgreich praktizierte Umwandlung einer französischen Société à responsabilité limitée (Sarl) in eine deutsche GmbH dienen.10 Mit einem solchen Formwechsel nimmt die Gesellschaft nicht nur eine neue Rechtsform an; sie unterstellt sich zugleich einer anderen Rechtsordnung. Die nach dem französischen Code de commerce gegründete Gesellschaft unterliegt künftig dem deutschen GmbH-Gesetz. Damit betrifft der grenzüberschreitende Formwechsel in erster Linie die Rechtsposition der Gesellschafter. Im Mittelpunkt des Regelungsinteresses stehen daher die Mitwirkungsrechte der Gesellschafter, die eine informierte 6 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive (EU) 2017/1132 as regards cross-border conversions, mergers and divisions, 25.4.2018, COM(2018) 241 final. 7 Richtlinie (EU) 2019/2121, 27.11.2019, ABl. EU, 12.12.2019, Nr. L 321/1. 8 Für den grenzüberschreitenden Formwechsel Teichmann, NZG 2019, 241, 244. 9 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 8 ff. 10 Vgl. KG Berlin, GmbHR 2016, 763 ff.

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Entscheidung treffen sollen, flankiert durch Schutzinstrumente für Minderheitsgesellschafter, die mit dem Formwechsel nicht einverstanden sind.11 Arbeitnehmerrechte sind durch die Umwandlung regelmäßig nicht tangiert, weshalb den Vertretungsorganen der Belegschaft auch kein Mitspracherecht über den Formwechsel eingeräumt wird. Dennoch löst die Ankündigung einer grenzüberschreitenden Strukturmaßnahme in der Belegschaft häufig Besorgnis aus, weil man die Verlagerung von Arbeitsplätzen befürchtet. Diese allerdings hat mit dem Formwechsel als solchem nichts zu tun. Der Formwechsel verändert lediglich die rechtliche Struktur des Unternehmensträgers, nicht die tatsächliche Lage der Betriebsstätte. Sollte unabhängig von einem Formwechsel oder zeitlich damit einhergehend eine Verlagerung von Arbeitsplätzen geplant sein, finden sich die hierfür geeigneten Schutzmaßnahmen nicht im Gesellschaftsrecht sondern im Arbeitsrecht.12 2. Internationalprivatrechtliche Anknüpfung von Gesellschaftsrecht und Arbeitsrecht Der tiefere Grund dafür, dass der grenzüberschreitende Formwechsel für die Arbeitnehmer keine rechtlichen Veränderungen mit sich bringt, liegt im Internationalen Privatrecht. Dort folgen die Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Gesellschaftsrechts anderen Kriterien als diejenigen zur Bestimmung des anwendbaren Arbeitsrechts. Anknüpfungspunkt für das Gesellschaftsrecht ist bei Kapitalgesellschaften regelmäßig die Registereintragung. Folgt ein Staat der Gründungstheorie, lässt er die Registereintragung zumeist für die Rechtswahl genügen; folgt er der Sitztheorie, verlangt er zusätzlich eine Verlegung der Hauptverwaltung.13 Neben dem Kriterium, das der Anknüpfung an die eigene Rechtsordnung dient und dem Internationalen Privatrecht zuzuordnen ist, halten die meisten Rechtsordnungen bestimmte sachrechtliche Normen bereit, die Voraussetzung für die Organisation in einer bestimmten Rechtsform sind. Auch diese muss eine Gesellschaft einhalten, wenn sie einen grenzüberschreiten11

Zu den entsprechenden Regelungsansätzen im Company Law Package Teichmann, NZG 2019, 241, 244 f. und Winner, ECFR 2019, 44, 61 ff. (jew. m.w.Nachw. zur Diskussion). 12 So trifft den Arbeitgeber gem. § 111 S. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 BetrVG die Pflicht, den Betriebsrat über die geplante Maßnahme zu unterrichten und diese zu beraten. Die §§ 112, 113 BetrVG regeln sodann den Ausgleich für die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer. Vgl. den Überblick bei Kania, in: Erfurter Kommentar, 20. Aufl., 2020, § 111 Rn. 2 ff. und Annuß, in: Richardi BetrVG, 16. Aufl., 2018, § 111 Rn. 1 ff. Zu den Rechtsfragen bei grenzüberschreitenden Betriebsverlegungen außerdem Junker, NZA-Beil, 2012, 8, 9 f. 13 Zur Rechtslage in den EU-Mitgliedstaaten aktuell und umfassend Gerner-Beuerle/ Mucciarelli/Schuster/Siems (Hrsg.), The Private International Law of Companies in Europe, 2019.

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den Formwechsel durchführen will. Zu diesen Normen gehören im deutschen GmbH-Recht etwa die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrages und die Aufbringung eines bestimmten Kapitals.14 Soweit die Gesellschaft im Herkunfts- oder Zielland Arbeitnehmer beschäftigt, verändert sich deren rechtlicher Status nicht. Das anwendbare Arbeitsrecht folgt dem Arbeitsort, das gilt sowohl für das Individualarbeitsrecht als auch für das Betriebsverfassungsrecht.15 Der in Frankreich tätige Arbeitnehmer genießt nach dem Formwechsel der Sarl in die GmbH immer noch den Schutz des französischen Arbeitsrechts. Ein dort belegener Betrieb wird auch weiterhin nach französischem Recht einen Betriebsrat (comité d’entreprise) mit den entsprechenden Kompetenzen unterhalten. Dasselbe gilt für die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer und die dort belegenen Betriebe. 3. Sonderfall unternehmerische Mitbestimmung In diesem Regelungsgefüge bildet die unternehmerische Mitbestimmung einen Sonderfall. Die Regeln zur Zusammensetzung der Gesellschaftsorgane sind eine klassische Domäne des Gesellschaftsrechts. Sie werden durch die Vorschriften zur unternehmerischen Mitbestimmung insoweit überlagert als die Arbeitnehmer berechtigt sind, eigene Organmitglieder zu bestellen. Die Mitbestimmung wird daher in der international-privatrechtlichen Diskussion dem Gesellschaftsrecht zugeordnet.16 Mithin berührt die Änderung des anwendbaren Gesellschaftsrechts auch den Mitbestimmungsstatus der Arbeitnehmer. Unterliegt die Gesellschaft nach dem Formwechsel einer Rechtsordnung, die keine Mitbestimmung kennt, verlieren die Arbeitnehmer ihr Recht auf eine Bestellung von Organmitgliedern.

III. Transnationale Gestaltungen zur Mitbestimmungsvermeidung oder -begrenzung Angesichts der unter II. geschilderten Rechtslage könnten mitbestimmte Unternehmen die Einführung des grenzüberschreitenden Formwechsels als Einladung verstehen, sich der Mitbestimmung elegant durch einen Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts zu entledigen. Dass diese Sorge keineswegs unbegründet ist, zeigen die bekannt gewordenen Fälle von deut14 Dazu im Kontext des Formwechsels von der Sarl in die GmbH: KG Berlin, GmbHR 2016, 763 ff. 15 Zum Individualarbeitsrecht Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, 23. Aufl., 2018, Rn. 19; zum Betriebsverfassungsrecht Preis, Kollektivarbeitsrecht, 5. Aufl., 2020, Rn. 1662. 16 Siehe aus der Literatur (jew. m.w.Nachw.): Kindler, ZHR 179 (2015), 330, 373; Teichmann, ZIP 2016, 899, 903; Weller, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 1275, 1285.

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schen Unternehmen, die mit Hilfe transnationaler Gestaltungen die unternehmerische Mitbestimmung abgeschüttelt haben, obwohl ihre Arbeitnehmer ganz oder überwiegend in Deutschland tätig sind.17 Sie nutzen hierzu EU-Auslandsgesellschaften, die Europäische Aktiengesellschaft (SE) oder die grenzüberschreitende Verschmelzung. 1. EU-Auslandsgesellschaften Die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit hat bekanntlich in Deutschland zu einem Boom an Limited-Gründungen geführt.18 Viele Unternehmer wollten damit das Mindestkapitalerfordernis oder auch die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung umgehen. Einige Unternehmen wählten die ausländische Rechtsform aber auch aus dem Motiv heraus, damit die Anwendung des deutschen Mitbestimmungsrechts vermeiden zu können.19 Mittlerweile dürfte dies sogar zum vorherrschenden Motiv geworden sein. Denn ungeachtet des schon 2006 einsetzenden Abwärtstrends der Limited,20 steigt die Zahl der Unternehmen, die eine ausländische Rechtsformen zur Mitbestimmungsvermeidung einsetzen, unvermindert an.21 2. Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) Die 2001 eingeführte Societas Europaea (SE) sollte eigentlich gegen eine Aufweichung der Mitbestimmung immun sein.22 Die hierzu in der SERichtlinie verankerte Verhandlungslösung sieht den Abschluss einer SEBeteiligungsvereinbarung mit den Elementen Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung vor (vgl. §§ 4 ff. SEBG).23 Kommt es zu keiner Vereinbarung, greift eine Auffanglösung, die den existierenden Mitbestimmungsstatus absichert (§§ 34 ff. SEBG). Dieses „Vorher-Nachher-Prinzip“ bietet den Arbeitnehmern einen Bestandsschutz, wenn ihre mitbestimmte Gesellschaft in die Rechtsform der SE übergeht. 17 Vgl. hierzu den Überblick bei Bayer, NJW 2016, 1930, 1932 ff. sowie Bayer/Hoffmann, AG 2017, R 119 ff.; zur Frage, ob es sich dabei um einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten handelt, Teichmann, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, 2019, S. 79, 107 ff. 18 Umfassendes Zahlenmaterial hierzu bei Ringe, ECFR 2013, 230 ff. 19 Siehe die statistischen Angaben bei Hoffmann, AG 2016, R 167, R 169. 20 Nachweise bei Ringe, ECFR 2013, 230, 247 ff. 21 Hoffmann, AG 2016, R 167 f.; Sick, Mitbestimmungs-Report der Hans Böckler Stiftung, Nr. 8, Februar 2015 (abrufbar unter www.boeckler.de). 22 Zur Vorgeschichte eingehend Mävers, Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft, 2002. 23 Richtlinie 2001/86/EG vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG, 10.11.2001, Nr. L 294/22. Der Umsetzung in deutsches Recht dient das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG).

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Da die SE mittels Verhandlungen und Auffanglösung ein eigenständiges Mitbestimmungsstatut hat, finden die nationalen Mitbestimmungsregeln auf sie keine Anwendung (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG). Ebendieser Mechanismus erwies sich nachträglich als offene Flanke des Mitbestimmungsschutzes.24 Denn das Vorher-Nachher-Prinzip leitet nur die konkret existierende Mitbestimmungsform auf die SE über. Gilt für eine deutsche Gesellschaft im Zeitpunkt der SE-Gründung lediglich die Drittelparität, so wird dieser Zustand in der SE „eingefroren“. Überschreitet die SE später die Schwelle zum Mitbestimmungsgesetz (2.000 Arbeitnehmer), muss sie keine paritätische Mitbestimmung einführen. Sie behält den Mitbestimmungsstatus, den sie bei der Gründung erworben hatte. Das nationale Mitbestimmungsrecht findet keine Anwendung; und das SE-Recht selbst sieht eine Aufstockung der Mitbestimmung bei organischem Wachstum nicht vor. Dasselbe gilt für Gesellschaften, die im Zeitpunkt der SE-Gründung überhaupt noch nicht der Mitbestimmung unterliegen. Die Mitbestimmungsfreiheit wird in der SE auf Dauer zementiert. Den Wunsch der Gewerkschaften, dieses Schlupfloch durch eine Reform der SE-Richtlinie zu schließen, hat die EU-Kommission bislang nicht erhört.25 3. Grenzüberschreitende Verschmelzung Wenige Jahre nach Einführung der SE wurde die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung erlassen.26 Mittlerweile finden sich die entsprechenden Bestimmungen in der Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts.27 Die grenzüberschreitende Verschmelzung führt zu einer Änderung des anwendbaren Gesellschaftsrechts und kann sich daher auf das Mitbestimmungsstatut auswirken. Zum Schutz der erworbenen Mitbestimmungsrechte wurde das Verhandlungsmodell der SE auf die grenzüberschreitende Verschmelzung übertragen.28 Die Verweisung auf das SE-Modell gilt allerdings nicht uneingeschränkt.29 Anders als bei der SE können die Leitungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften das Verhandlungsverfahren überspringen, indem sie direkt für die Auffanglösung optieren. Außerdem erhalten die Mitgliedstaaten das Recht, die Anzahl der Arbeitnehmervertreter auf ein Drittel zu begrenzen. 24 Siehe nur Bayer, NJW 2016, 1930, 1932, sowie Seifert, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Bd. 7, 2016, § 20 Rn. 59. 25 Im Aktionsplan zum Gesellschaftsrecht von 2012 (COM(2012)740/2), S. 16, heißt es hierzu, die „erwarteten Vorteile“ würden die „Herausforderungen“ einer neuen Diskussion nicht aufwiegen. 26 Zur Vorgeschichte, die gleichfalls von Diskussionen um die Mitbestimmung geprägt war, siehe nur Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 30 Rn. 2 (S. 543). 27 Richtlinie (EU) 2017/1132, 14.6.2017, ABl. EU, 30.6.2017, Nr. L 169/46. 28 Vgl. Art. 133 der Richtlinie (EU) 2017/1132. 29 Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden Habersack, ZHR 171 (2007), 613 ff.

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Dies betrifft Rechtsordnungen mit monistischem Leitungsmodell, bei denen die Mitbestimmung gegebenenfalls im Verwaltungsorgan implementiert werden muss.30 Dieses Organ entspricht funktional eher dem Vorstand als dem Aufsichtsrat.31 Eine volle Parität, wie sie das deutsche Recht im Aufsichtsrat kennt, wäre dort fehl am Platz.

IV. Schutz der Mitbestimmungsrechte bei grenzüberschreitenden Umwandlungen Die unter III. geschilderten Entwicklungen haben bei den Gewerkschaften den Eindruck hinterlassen, dass Fortschritte im Bereich der transnationalen Strukturmaßnahmen regelmäßig zu Lasten der Mitbestimmung gehen. Diese Bedenken haben für das deutsche Abstimmungsverhalten im Ministerrat erhebliches Gewicht – so scheiterte seinerzeit der SPE-Vorschlag („EuropaGmbH“) letztlich am deutschen Widerstand.32 Auch im Europäischen Parlament finden die Argumente der Gewerkschaften zunehmend Gehör, wie zuletzt die dilatorische Behandlung des SUP-Vorschlags (Richtlinie zur Einpersonengesellschaft) gezeigt hat.33 Nach diesen Erfahrungen wollte die EUKommission einen Vorschlag zum grenzüberschreitenden Formwechsel nur mit einer allseits konsensfähigen Mitbestimmungslösung unterbreiten. Die ICLEG-Arbeitsgruppe entwickelte dazu konzeptionelle Vorüberlegungen (unter 1.) und denkbare Lösungswege – von einem „Status Quo“-Ansatz (unter 2.) über einen Maximalschutz-Ansatz (unter 3.) bis hin zu gänzlich neuen Regelungsmodellen (unter 4.). Im Folgenden wird auch jeweils erläutert, inwieweit diese Vorarbeiten im Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung gefunden haben. 1. Konzeptionelle Vorüberlegungen a) Kohärente Schutzregelung für alle grenzüberschreitenden Umwandlungen Jede grenzüberschreitende Umwandlung (Formwechsel, Verschmelzung oder Spaltung) führt zumindest für einen Teil der betroffenen Gesellschaf30

Siehe etwa Habersack, ZHR 171 (2007), 613, 626. Vgl. dazu im Kontext des monistischen Systems der SE: Manz, in: Manz/Mayer/ Schröder (Hrsg.), Europäische Aktiengesellschaft SE, 3. Aufl., 2019, Art. 43 SE-VO, Rn. 2 ff.; Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2019, Rn. 298 ff.; Teichmann in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann (Hrsg.), SE-Kommentar, 2. Aufl., 2015, Anh. Art. 43 SE-VO (§ 22 SEAG) Rn. 5 ff. 32 Zum Werdegang der SPE Bayer/Lutter/J. Schmidt, Europäisches Unternehmensrecht, 6. Aufl., 2018, § 47 Rn. 6. 33 Zu den Einzelheiten Teichmann/Götz, ZEuP 2019, 260, 264 ff. 31

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ten zu einem Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts. Aus diesem Grund bedürfen alle Umwandlungsformen in grundsätzlich gleicher Weise einer flankierenden Regelung zum Schutz der Mitbestimmung. Diese Regelung sollte inhaltlich kohärent sein und es sollten zwischen den Umwandlungsformen keine qualitativen Abstufungen beim Mitbestimmungsschutz bestehen. Inhaltliche Unterschiede sind nur insoweit sinnvoll, als sie durch die Besonderheiten der jeweiligen Umwandlungsform geboten erscheinen. Beispielsweise stellt sich allein bei der Spaltung das zusätzliche Problem, dass eine Gesellschaft nach Durchführung der Strukturmaßnahme weniger Arbeitnehmer hat als vorher. Soweit das Regelungsinteresse jedoch identisch ist, sollte auch dasselbe Schutzsystem greifen. Das gilt sowohl für die Möglichkeit, überhaupt Verhandlungen zu führen, als auch für den Bestandsschutz einer bereits bestehenden Mitbestimmung. Das Anliegen einer kohärenten Gesamtregelung wurde in der ICLEGArbeitsgruppe von allen Mitgliedern unterstützt. Kritisch bewertet wurde daher die existierende Gemengelage bei SE und grenzüberschreitender Verschmelzung. Ob man direkt auf die Auffanglösung zugreifen oder vorher verhandeln sollte, ist eine Grundsatzfrage, die nicht für SE und Verschmelzung unterschiedlich beantwortet werden kann.34 Ebenso verhält es sich bei der Anwendung der Mitbestimmung auf monistische Leitungssysteme. Warum nur bei einer Verschmelzung das Bedürfnis bestehen soll, die Zahl der Arbeitnehmervertreter auf ein Drittel zu begrenzen, bei einer SE jedoch nicht, bleibt unerfindlich.35 Zu guter Letzt hat die Regelungstechnik der punktuell durchbrochenen Verweisung auf die SE-Richtlinie ein sprachliches Ungetüm geboren, das als Lehrbuchbeispiel für EU-bürokratische Verwirrungssemantik dienen kann.36 Da in der Rechtspraxis die Anteilseigner darüber entscheiden, ob und wie eine Strukturmaßnahme durchgeführt wird, fließt die Unwucht in der Mitbestimmungsregelung naturgemäß in die Entscheidung darüber ein, ob eine SE gegründet oder eine Verschmelzung auf eine EU-Auslandsgesellschaft durchgeführt werden soll. Wenn diese Entscheidung unterschiedliche mitbestimmungsrechtliche Implikationen hat, lässt sich das Postulat, dass hierüber alleine die Anteilseigner zu befinden haben (vgl. oben II. 1.), nur schwerlich aufrechterhalten. Schon aus diesem Grunde sollte man tunlichst dafür sorgen, dass zwischen den verschiedenen Umwandlungsformen mitbestimmungsrechtliche Neutralität herrscht. 34 Hierzu neben anderen Forst, in: Bergmann/Kiem/Mülbert/Verse/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre SE, 2015, S. 50, 53. 35 Für die SE gilt nach h.M. die volle Parität auch im monistischen System, das hierdurch gegenüber dem dualistischen System strukturell benachteiligt wird (vgl. Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann (Hrsg.), SE-Kommentar, 2. Aufl., 2015, Art. 43 Rn. 68). 36 Gemeint ist insbesondere Art. 133 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2017/1132.

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b) Regelungsprinzipien für den grenzüberschreitenden Mitbestimmungsschutz Auf Basis der rechtspraktischen Erfahrungen und im Licht der rechtspolitischen Vorgaben für den neuen Richtlinientext formulierte die ICLEGArbeitsgruppe folgende Grundprinzipien als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen: – Existierende Mitbestimmungsmodelle sollen respektiert und geschützt werden. Das Vorher-Nachher-Prinzip ist dafür im Ausgangspunkt ein geeigneter Ansatz. Es hat allerdings in der praktischen Erfahrung gewisse Schutzlücken aufgewiesen. – Der Respekt gegenüber den Traditionen der Mitgliedstaaten gilt in beide Richtungen. Daher sollen Mitgliedstaaten, in denen keine Mitbestimmung existiert, auch nicht gezwungen werden, ein solches System einzuführen. – Grenzüberschreitende Umwandlungen sollen nicht als Instrument zur Umgehung von Mitbestimmung genutzt werden. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass das Vorher-Nachher-Prinzip in seiner geltenden Fassung diesem Ziel nicht vollauf gerecht wird. c) Fortentwicklung bestehender Regelungsmodelle oder Konzeption gänzlich neuer Modelle Die typische Vorgehensweise in der EU-Gesetzgebung besteht darin, einen einmal gefundenen Kompromiss später nicht mehr in Frage zu stellen und bei weiteren Rechtsakten lediglich punktuell nachzubessern (dazu sogleich unter 2.). Das hat rechtspolitisch Einiges für sich, weil man einmal errungene Kompromisse später ungern wieder in Frage stellt. Ebendieser Ansatz führt jedoch zu der oben beschriebenen Inkonsistenz und Zersplitterung der Materie. Die ICLEG-Arbeitsgruppe gibt daher in ihrem Arbeitspapier zu bedenken, dass der Flickenteppich-Ansatz möglicherweise an seine Grenzen stößt, wenn neben der SE und der grenzüberschreitenden Verschmelzung nun auch noch der Formwechsel und die Spaltung geregelt werden sollen. Ein sachlich kohärentes und rechtstechnisch verständliches Regelungsmodell sollte aus einem Guss sein. Dies kann auf verschiedenen Wegen geschehen: Entweder regelt der EUGesetzgeber ein konzeptionell stimmiges Verhandlungsmodell für alle Umwandlungsformen in gleicher Weise. Oder er fasst sich ein Herz und denkt über grundsätzlich neue Lösungen nach (dazu nachfolgend unter 4.). 2. Der „Status Quo“-Ansatz: Übernahme der existierenden Verhandlungslösung Die Europäische Kommission nahm im Gesetzgebungsverfahren zum „Company Law Package“ eine pragmatische Position ein, die man als „Sta-

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tus Quo“-Ansatz bezeichnen kann. Er besteht darin, die bereits existierende Verhandlungslösung soweit wie möglich unverändert in neue Rechtsakte zu übernehmen.37 Dies mag rechtspolitisch der Weg des geringsten Widerstandes sein, weil man stets darauf verweisen kann, eine bestimmte Lösung sei bereits konsentiert worden und müsse nun nicht erneut diskutiert werden. Die im Ansatz sinnvolle Aussonderung bereits entschiedener Vorfragen führte allerdings im Company Law Package zu dem erstaunlichen Vorschlag, lediglich für den grenzüberschreitenden Formwechsel und die Spaltung ein verbessertes Verhandlungsmodell anzubieten. In diesen Fällen sollte nach Vorstellung der Kommission immer dann über Mitbestimmung verhandelt werden, wenn die Belegschaft zahlenmäßig 80% des nationalen Schwellenwertes für die Mitbestimmung erreicht.38 In Deutschland wäre dies eine Zahl von 400 Arbeitnehmern. Die Regelung zur grenzüberschreitenden Verschmelzung hingegen sollte nicht geändert werden; der dort geregelte Wert von 500 Arbeitnehmern als Auslöser der Verhandlungen wäre also erhalten geblieben. Gegen eine solche Vorgehensweise spricht der oben angesprochene Kohärenzgedanke:39 Wenn für Formwechsel und Verschmelzung unterschiedliche Schwellenwerte gelten, wird sich ein Unternehmen, das eigentlich einen Formwechsel plant, stattdessen für die Verschmelzung entscheiden, um die Mitbestimmungsverhandlungen vermeiden zu können. Der für den Formwechsel geregelte Zugewinn an Mitbestimmungsschutz stünde dann nur auf dem Papier. Wenn eine Vorverlagerung politisch gewollt ist, um der Mitbestimmungsflucht Einhalt zu gebieten, dann muss dies für alle grenzüberschreitenden Umwandlungen gleichermaßen gelten. Der Ministerrat, in dem die Mitgliedstaaten vertreten sind, korrigierte den Vorstoß der Kommission in der Weise, dass für alle Umwandlungsformen erst ab einer Schwelle von 500 Beschäftigten verhandelt werden solle. 40 Dieser recht restriktive „Status Quo“-Ansatz widerspricht dem rechtspolitischen Anliegen, der Strategie der Mitbestimmungsvermeidung vor Erreichen der Schwellenwerte etwas entgegenzusetzen. Er stieß daher im Europäischen Parlament auf wenig Gegenliebe. Die letztlich verabschiedete Fassung erfüllt das Erfordernis der Kohärenz: Im Kern gilt jetzt für alle Umwandlungsformen dieselbe Regelung zum Schutz der Mitbestimmung; Verhandlungen müssen bereits dann eingeleitet werden, wenn eine Gesellschaft 80% des nationalen Schwellenwertes erreicht hat.41 37 Eine Orientierung am etablierten Verhandlungsmodell empfehlen grundsätzlich auch Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 499 ff. und Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 318 ff. 38 Art. 86l Abs. 2 (Formwechsel), Art. 160n Abs. 2 (Spaltung) Kommissionsvorschlag (oben Fn. 6). 39 Ebenso Roest, ECFR 2019, 74, 90. 40 Council of the European Union, Dokument 5401/19 vom 25.1.2019. 41 Art. 86l (Formwechsel), Art. 133 (Verschmelzung), Art. 160l (Spaltung) der Richtlinie (EU) 2019/2121.

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3. Der „Maximalschutz“-Ansatz Als „Maximalschutz“ lässt sich eine Regelung bezeichnen, die allen denkbaren Mitbestimmungsvermeidungsstrategien einen Riegel vorschiebt. Die ICLEG-Arbeitsgruppe hat auch diesen Ansatz und – sofern er rechtspolitisch gewollt sein sollte – die dafür nötigen Instrumente erörtert. a) Direkte Anwendung der Auffanglösung Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern können im Einzelfall einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verursachen. Die ICLEG-Arbeitsgruppe hielt daher die Option, sich ohne Verhandlungen direkt für die Auffangregelung zu entscheiden, grundsätzlich für sinnvoll. Allerdings sollten die Arbeitnehmer bei dieser Weichenstellung ein Mitsprachrecht haben. Denn immerhin entfällt mit den Verhandlungen auch die Möglichkeit, eine Beteiligungsvereinbarung abzuschließen, die für zukünftige mitbestimmungsrelevante Veränderungen geeignete Vorkehrungen treffen könnte. Bei der Einführung des grenzüberschreitenden Formwechsels wurde dieser Gedanke nicht aufgegriffen. Stattdessen gibt es allein bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung eine Kompetenz der Organe der sich verschmelzenden Gesellschaften, unmittelbar für die Auffanglösung zu optieren.42 Für Formwechsel und Spaltung fehlt eine solche Regelung. Hier wurde also – im Gegensatz zu manchen anderen Punkten – nicht im Sinne einer erhöhten Kohärenz der Gesamtregelung nachgebessert. Es besteht daher rechtspraktisch ein gewisser Anreiz, sich zur Vermeidung von Verhandlungen für die Umwandlungsvariante der Verschmelzung und gegen den Formwechsel zu entscheiden. b) Numerischer Vergleich unterschiedlicher Mitbestimmungssysteme Die Auffanglösung zur SE sieht vor, dass sich in der SE das höchste Mitbestimmungsniveau der beteiligten Gesellschaften durchsetzt. Daher wird ein Vergleich des Mitbestimmungsniveaus notwendig, wenn an der SEGründung Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind, die jeweils einem nationalen Mitbestimmungssystem unterliegen. Das höhere Niveau bestimmt sich in diesem Fall anhand eines reinen Zahlenvergleichs: Es setzt sich dasjenige System durch, in dem die Arbeitnehmer die höchste Quote an Sitzen bestellen oder zur Bestellung empfehlen dürfen

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In Abweichung zum bislang geltenden Recht greift diese Option allerdings nur, wenn in einer Gesellschaft bereits Mitbestimmung besteht (Art. 133 Abs. 4 lit. a in der Fassung der Richtlinie 2019/2121). Ein Einfrieren von Drittelparität wäre also weiterhin möglich.

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(vgl. § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG). Damit blendet der EU-Gesetzgeber den Umstand aus, dass sich Mitbestimmungssysteme auch qualitativ unterscheiden können. Beispielsweise können die Arbeitnehmer im niederländischen Mitbestimmungssystem eine Empfehlung für alle Mitglieder des Aufsichtsorgans abgeben, weshalb man in den Niederlanden der Auffassung ist, das eigene System sei höherrangig gegenüber dem deutschen.43 Im Lichte dessen plädierte die ICLEG-Arbeitsgruppe dafür, die Entscheidung, welches System das „bessere“ sei, dem Besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer zu überlassen. Auf diese Weise würde die Diskussion über die unterschiedliche Qualität von Mitbestimmung im Kreise Arbeitnehmer ausgetragen. Auch dieser Vorschlag hat allerdings keinen Niederschlag in der Textfassung der Richtlinie gefunden. c) Mitbestimmungsvermeidung vor Erreichen der Schwellenwerte Das Kernproblem der Verhandlungslösung liegt wie gesehen darin, dass sie ein späteres Wachstum nach Durchführung der Strukturmaßnahme nicht berücksichtigt. Der Kommissionsvorschlag, der am Ende auch in die Richtlinie einging, lässt die Verhandlungspflicht bereits bei einem Schwellenwert von 80% des nationalen Wertes beginnen. Diese Lösung hat den großen Haken, dass bei einem Scheitern der Verhandlungen keine adäquate Auffanglösung eingreift.44 Das Vorher-Nachher-Prinzip führt in diesem Fall also dazu, dass es nach der Umwandlung keine Mitbestimmung geben wird. Die ICLEG-Arbeitsgruppe hielt es im Grundsatz für sinnvoller, die nicht mitbestimmte Gesellschaft zunächst ohne Verhandlungen ziehen zu lassen. Eine Verhandlungspflicht sollte erst dann entstehen, wenn die Gesellschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach dem Formwechsel im bisherigen Sitzstatt den dort geltenden Schwellenwert für die Mitbestimmung überschreitet. Auf diese Weise könnten Gesellschaften, in denen keine Umgehungsabsicht besteht und auch kein Wachstum der Belegschaft zu erwarten ist, von der unnötigen Verhandlungspflicht entlastet werden. Einen Schönheitsfehler dieser Lösung mag man darin sehen, dass dann eine Gesellschaft, die bereits einer neuen Rechtsordnung unterliegt, möglicherweise Jahre später über die Einführung eines Mitbestimmungssystems verhandeln muss, das ihrem eigenen Rechtssystem vollkommen fremd ist. Einzelne Mitglieder der ICLEG befürchteten, dass eine solche Lösung ihren nationalen Unternehmen nicht vermittelbar sei. Andere wandten ein, dass die dauerhafte Implementierung eines fremden Mitbestimmungssystems nichts grundsätzlich Neues sei. Schon heute könnte über eine SE-Gründung 43

Roest, ECFR 2019, 74, 91 f. Auf diese Schwachstelle wurde nach Veröffentlichung des Company Law Package vielfach hingewiesen (siehe nur Roest, ECFR 2019, 74, 90, sowie Selent, NZG 2018, 1171, 1175). 44

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oder eine grenzüberschreitende Verschmelzung im Wege der Auffanglösung eine Form der Mitbestimmung in einem Land zur Anwendung kommen, dessen nationales Recht keine Mitbestimmung kennt. Ungeachtet dessen wurde der Vorschlag einer nachgelagerten Verhandlung von der Kommission nicht aufgegriffen. 4. Konzeptionell neue Lösungsansätze a) Originär europäische Mitbestimmungsregelung Das Umgehungsphänomen würde an Bedeutung verlieren, wenn der EUGesetzgeber für alle transnationalen Unternehmen einen einheitlichen Mitbestimmungsstandard definieren würde. Aus deutscher Sicht könnte dies einige Ungereimtheiten der aktuellen Rechtslage beseitigen, etwa die Privilegierung der im Inland tätigen Arbeitnehmer gegenüber der ausländischen Belegschaft.45 Die politischen Aussichten zur Schaffung eines europäischen Mitbestimmungsstandards dürfen allerdings gering sein. Denn selbst diejenigen Staaten, die Mitbestimmung kennen, unterscheiden sich im Detail ganz erheblich voneinander. Die Schwellenwerte sind unterschiedlich, die Bestellungs- oder Vorschlagsrechte stehen unterschiedlichen Gremien oder Arbeitnehmergruppen zu und die Organe, in denen Mitbestimmung ausgeübt wird, unterscheiden sich im Einzelnen ganz erheblich. Eine vom Europäischen Gewerkschaftsbund veröffentlichte Studie zog sogar die Schlussfolgerung, die Vielfalt der Systeme sei geradezu das Markenzeichen von Mitbestimmung in Europa.46 Auch die ICLEG-Arbeitsgruppe sah daher keinen Sinn darin, sich an der Entwicklung eines originär europäischen Modells zu versuchen. Ungeachtet dessen wird von Gewerkschaftsseite regelmäßig die Einführung mitbestimmungsrechtlicher Standards für die gesamte EU gefordert.47 Im Europäischen Parlament genießt dieser Ansatz mittlerweile erhebliche Sympathie, wie der Verlauf der Verhandlungen über das Company Law Package gezeigt hat. Im Trilogverfahren ging das Parlament mit dem Vorschlag in die Verhandlungen, als Auffanglösung das folgende europäische Mitbestimmungsmodell zu regeln:48 Ab einem Schwellenwert von 50 Arbeitneh45 Diese Privilegierung ist zwar gemäß der EuGH-Entscheidung TUI/Erzberger (18.7.2017, Rs. C-566/15, besprochen beispielsweise von Seifert, ZGR 2019, 702 ff.) mit dem Unionsrecht zu vereinbaren; das bedeutet aber nicht, dass sie rechtspolitisch begrüßenswert wäre. 46 Conchon, Board-level employee representation in Europe, 2011, S. 13: „The distinctive element of BLER in Europe is its institutional diversity.“ 47 Beispielhaft Kluge, Mitbestimmung, Nr. 3, 2018, S. 55. 48 European Parliament, Dokument A8-0002/2019, PE625.524v03-00 vom 9.1.2019: Art. 86l Abs. 3 lit. g (Formwechsel); Art. 133 (Verschmelzung), und Art. 160n (Spaltung).

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mern sitzen zwei Arbeitnehmervertreter im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan, ab 250 Arbeitnehmern ein Drittel und ab 1.000 Arbeitnehmern die Hälfte. Diese Resolution wurde mit einer breiten parteiübergreifenden Mehrheit verabschiedet. Im Abschlussdokument der Richtlinie taucht dieser Passus nicht mehr auf. Offenbar haben sich die Mitgliedstaaten im Ministerrat dem Ansinnen des Parlaments erfolgreich widersetzt. b) Kollisionsrechtliche Entkoppelung von Gesellschaftsrecht und Mitbestimmung Ein anderer Ansatz, der sich gegenüber der Komplexität der Verhandlungslösung durch eindrückliche Schlichtheit auszeichnet, liegt in der kollisionsrechtlichen Entkoppelung von Gesellschaftsrecht und Mitbestimmung.49 Knüpft man die unternehmerische Mitbestimmung am Arbeitsort der Belegschaft an, so werden die verschiedenen Traditionen der Mitgliedstaaten bewahrt und respektiert. Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen sind dann stets mitbestimmungsneutral und müssten bei den Arbeitnehmern keine Verlustängste mehr auslösen. In systematischer Hinsicht begrüßenswert könnte das Umwandlungsrecht ohne die Last des Mitbestimmungsschutzes allein nach gesellschaftsrechtlichen Systemgedanken konzipiert werden. Ungeachtet dessen hat auch dieser Gedanke im Gesetzgebungsprozess zum Company Law Package keine ersichtliche Rolle gespielt. Möglicherweise wollte man in der EU-Kommission der Diskussion über eine Kodifizierung des Internationalen Gesellschaftsrechts nicht vorgreifen.50 Bei den Mitgliedstaaten stößt das Modell wohl deshalb auf Skepsis, weil es ihnen den „Schwarzen Peter“ zuschiebt. So müsste Deutschland sein nationales Modell so modifizieren, dass es auch auf Auslandsgesellschaften mit inländischer Betriebsstätte anwendbar wäre. Eine solche Lösung müsste im Lichte der EU-Niederlassungsfreiheit das Verhandlungsmodell aufgreifen, weil der Eingriff in die ausländische Unternehmensverfassung allein auf diesem Wege in verhältnismäßiger Weise ausgestaltet werden kann.51 Die Vorstellung, über Mitbestimmung verhandeln zu können, findet jedoch bei den deutschen Gewerkschaften wenig Gegenliebe.52 49 Hierzu bereits im Kontext der SPE-Diskussion Hommelhoff/Krause/Teichmann, GmbHR 2008, 1193, 1200 ff. 50 Zur Vorbereitung eines solchen Rechtsaktes war die in Fn. 13 genannte Studie in Auftrag gegeben worden. 51 Eingehende Begründung dieser These bei Teichmann, ZIP 2016, 899 ff. Für die Gegenauffassung, wonach das existierende Mitbestimmungsrecht ohne substanzielle Anpassungen auf Auslandsgesellschaften erstreckt werden könne, Weiss/Seifert, ZGR 2009, 543 ff. 52 DGB-Thesen zum Mitbestimmungsentwurf des Arbeitskreises Unternehmerische Mitbestimmung (Beilage zu ZIP 48/2009, S. 36).

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V. Abschließende Bewertung Der Mitbestimmungsschutz, wie er in der Richtlinie 2019/2121 letztlich festgelegt wurde, wird den innerhalb der ICLEG diskutierten Idealvorstellungen in vielerlei Hinsicht nicht gerecht. Das Ziel einer für alle Umwandlungsarten kohärenten Regelung wurde nur teilweise erreicht. Es bestehen weiterhin Unterschiede zwischen Formwechsel, Spaltung und Verschmelzung, die sich sachlich nicht erklären lassen. Auch das Schutzkonzept für die Umwandlung vor Erreichen der mitbestimmungsrelevanten Schwellenwerte vermag nicht wirklich zu überzeugen; denn der vorgelagerten Verhandlungspflicht fehlt die Auffanglösung, die einen Mitbestimmungsschutz sicherstellen könnte. Folgt man hingegen dem Motto, wonach Politik die Kunst des Möglichen ist, hat der EU-Gesetzgeber mit dem erfolgreich verabschiedeten Company Law Package eine beachtliche Leistung erbracht. Die Diskussionen in der ICLEG hatten verdeutlicht, wie schwierig es sein würde, für die gegenläufigen Interessen im Bereich der Mitbestimmung einen Ausgleich zu finden. Gemessen daran ist die Einführung des grenzüberschreitenden Formwechsels und der grenzüberschreitenden Spaltung als großer Erfolg zu bewerten. Er dürfte einer wohl einmaligen Konstellation zu verdanken sein. Im November 2017 war die Polbud-Entscheidung ergangen.53 Diese billigte einen grenzüberschreitenden Formwechsel, bei dem keine Niederlassung im Zielstaat angestrebt war. Ein deutsches Unternehmen könnte auf dieser Basis der Mitbestimmung durch schlichten Formwechsel in eine ausländische Briefkastengesellschaft entgehen. Für Deutschland war damit klar, dass es keinen Sinn hatte, eine Richtlinie zum Formwechsel wegen unzulänglicher Mitbestimmungsregeln komplett zu blockieren. Denn der primärrechtlich gestützte Formwechsel ohne jeden Schutz ist deutlich nachteiliger zu bewerten. Im Europäischen Parlament dachte man ähnlich und wollte zudem die Verhandlungen noch vor den Wahlen im Frühjahr 2019 zum Abschluss bringen. So gelang wenige Wochen vor der Wahl der Durchbruch in den Verhandlungen, dessen Ergebnis seit Ende 2019 im Amtsblatt steht. Zum Schutz der Mitbestimmung wurde kurz vor Redaktionsschluss eine Passage aufgenommen, die zwar regelungstechnisch keinen Schönheitspreis verdient, ihren gewünschten praktischen Zweck aber möglicherweise erfüllen wird: Der Staat, in dem die formwechselwillige Gesellschaft gegründet wurde, kann die Ausstellung der für das weitere Verfahren nötigen Vorabbescheinigung verweigern, wenn der Formwechsel der Umgehung von na-

53

EuGH, Urt. v. 25.10.2017 – Rs. C-106/16, NJW 2017, 3639.

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tionalen oder europäischen Schutzstandards dient.54 Zur Ausfüllung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe lassen sich die Erwägungsgründe der Richtlinie heranziehen, die dem Schutz der Arbeitnehmerrechte einen hohen Stellenwert einräumen und explizit die Entstehung von Briefkastengesellschaften missbilligen. Zukünftig wird eine Gesellschaft, die kurz vor Erreichen der Schwellenwerte das Land verlässt, ohne im Zielstaat eine Niederlassung vorweisen zu können, und gleichzeitig die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern ergebnislos scheitern lässt, den Verdacht einer lediglich zu Umgehungszwecken vorgenommenen Umwandlung nur schwer entkräften können.55 Von den hier aufgezeigten Wechselwirkungen zwischen Politik und Wissenschaft kann auch Klaus Hopt gedankenreich berichten, darf er doch als Repräsentant der Rechtswissenschaft gelten, der Forschungserkenntnisse nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern auch im kleineren und größeren Gesprächskreis zu gewinnen sucht. Auf diese Weise prägte er die Fachdiskussion nicht zuletzt durch die Mitwirkung in zahlreichen internationalen Expertengruppen.56 Für vielfältige Denkanstöße, die der Verfasser neben vielen anderen dadurch erhielt, und für die der Jubilar weder Tantiemen noch Urheberrechte beansprucht, sei hiermit herzlich gedankt.

54 Art. 86m Abs. 8 (Formwechsel), Art. 127 Abs. 8 (Verschmelzung), Art. 160m Abs. 8 (Spaltung) der Richtlinie 2019/2121. 55 Näher zur Funktionsweise der Missbrauchsklausel Teichmann, in: Birkmose/Neville/ Sørensen (o. Fn. 17), S. 79, 110 ff. 56 Genannt sei nur der für viele Jahre wegweisende Abschlussbericht der High Level Group of Company Law Experts aus dem Jahre 2002.

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Corporate Codes in den Varieties of Capitalism Gunther Teubner

Corporate Codes in den Varieties of Capitalism Wie die Unterschiede von Produktionsregimes die rechtliche Durchsetzung von Unternehmenscodes beeinflussen GUNTHER TEUBNER*

I. Varieties of Capitalism – Varieties of Corporate Constitutions Führen unterschiedliche sozio-ökonomische Kontexte, genauer die varieties of capitalism innerhalb des transatlantischen Raums, dazu, dass prinzipiell gleichartige Unternehmenscodes unterschiedlich rechtlich durchgesetzt werden? Nehmen die Veränderungen der Unternehmensverfassungen im Transnationalisierungsprozess dadurch eine unterschiedliche Richtung, dass die Codes in Abhängigkeit vom jeweiligen Produktionsregime verschieden ausgeformt werden?1 „The End of History for Corporate Law“ – dies verkündeten Henry Hansmann und Reinier Kraakman im Jahre 2001 in einem einflussreichen Artikel: „Despite very real differences in the corporate systems, the deeper tendency is toward convergence.“ Und die Richtung der Konvergenz sei eindeitig: „There is no longer any serious competitor to the view that corporate law should principally strive to increase long-term shareholder value.“2 Doch die neuere vergleichende politische Ökonomie gibt der Debatte über *

Für kritisch-konstruktive Hinweise danke ich Anna Beckers. Grundsätzlich zur Transnationalisierung der Unternehmensverfassung Klaus Hopt (2005) „Globalisierung der Corporate Governance“, in: Karl Hohmann u.a. (Hrsg.) Wirtschaftsethik der Globalisierung, Tübingen: Mohr Siebeck, 81–102; ders. (2019) „Comparative Company Law“, European Corporate Governance Institute, Law Working Paper No. 460/2019. SSRN: https://ssrn.com/abstract=3421389. Zur Situation von Unternehmenscodes in den varieties of capitalism Anna Beckers (2015) Enforcing Corporate Social Responsibility Codes: On Global Self-Regulation and National Private Law, Oxford: Hart, 39 ff.; Gunther Teubner (2010) „Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen? Zur Verknüpfung ,privater‘ und ,staatlicher‘ Corporate Codes of Conduct“, in: Stefan Grundmann u.a. (Hrsg.) Unternehmen, Markt, Verantwortung: Festschrift für Klaus Hopt, Berlin: De Gruyter, 1449–1470. 2 Henry Hansmann und Reinier Kraakman (2001) „The End of History for Corporate Law“, 89 Georgetown Law Journal, 439–468, 439; gegen die Konvergenzthese John C. Coffee (1999) „The Future as History: The Prospects for Global Convergence in Corporate Governance and its Implications“, 93 Northwestern University Law Review, 641–707. 1

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Konvergenz oder Divergenz der Unternehmensverfassungen ganz neue Impulse. Sie überrascht mit empirischen Resultaten, welche die Erwartungen einer globalen Rechtsvereinheitlichung der Unternehmensverfassungen grundsätzlich in Frage stellen.3 Bestätigt wird sie von wirtschaftshistorischen Studien zu autonomen Kulturen der Weltwirtschaft, die aus einer Longue-durée-Perspektive die Resilienz von kollektiven Mentalitäten und wirtschaftskulturellen Eigenheiten, die bis in die Einzelheiten der Unternehmensverfassungen reichen, belegen.4 Empirische Untersuchungen und theoretische Erklärungen der Varieties of Capitalism stützen die Annahme, dass entgegen allen Erwartungen die Globalisierung der Märkte und die Computerisierung der Wirtschaft nicht zu einer Effizienzkonvergenz ökonomischer Institutionen und unternehmensverfassungsrechtlicher Normen, sei es formeller oder informeller Natur, geführt haben.5 Trotz aller in der Tat aufweisbaren Tendenzen von Transaktionskostenminimierung, Marktauslese, relitigation und regulatorischem Wettbewerb, die als evolutionäre Selektoren institutionelle Unterschiede eigentlich wirksam einebnen müssten, sind die ökonomischen Bedingungen des fortgeschrittenen Kapitalismus nicht konvergiert.6 Ganz im Gegenteil, der Globalisierungsprozess, ja selbst die Vereinheitlichungsmaßnahmen im europäischen Gemeinsamen Markt haben, so para3 Detaillierte empirische Belege: Michael A. Witt u.a. (2018) „Mapping the Business Systems of 61 Major Economies: A Taxonomy and Implications for Varieties of Capitalism and Business Systems Research“, 16 Socio-Economic Review, 5–38. Führende Theoretiker: Peter A. Hall (2015) Varieties of Capitalism: Social Institutions,Government Systems, London: Wiley; Peter A. Hall und David Soskice (Hrsg.) (2005) Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage, Oxford: Oxford University Press. Zur Situation in Europa Anke Hassel (2014) „Adjustments in the Eurozone: Varieties of Capitalism and the Crisis in Southern Europe“, LEQS Paper No. 76/2014. Heute gilt Varieties of Capitalism als die führende Theorie der vergleichenden politischen Ökonomie in der OECD, siehe Magnus Feldman (2019) „Global Varieties of Capitalism“, 71 World Politics, 162–196. 4 Werner Abelshauser u.a. (2012) „Kulturen der Weltwirtschaft“, Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 24; Werner Abelshauser (2003) Kulturkampf: Der deutsche Weg in die Neue Wirtschaft und die amerikanische Herausforderung, Berlin: Kadmos. Die rechtliche Relevanz dieser Studien wird nur von wenigen Juristen wahrgenommen, eine wichtige Ausnahme: Christian Joerges und Fabian Bohnenberger (2016) „From Trade Liberalisation to Transnational Governance and TTIP: How Dani Rodrik, Karl Polanyi and the Varieties of Capitalism Studies May Help us to Understand The Present State of Globalization“ TLI Think! Paper 44/2016. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract= 2862966 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2862966. 5 So aber entschieden Hansmann und Kraakman (Fn. 1), die allerdings 2001 noch nicht die Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008 vor Augen hatten. 6 Wendy Carlin und David Soskice (2012) „Reforms, Macroeconomic Policy and Fiscal Stabilization Policy“, in: Ronald Schettkat u.a. (Hrsg.) Economic Policy Proposals for Germany and Europe, London: Routledge; David Soskice (1999) „Globalisierung und institutionelle Divergenz: Die USA und Deutschland im Vergleich“, 25 Geschichte und Gesellschaft, 201–225.

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dox es klingt, ihrerseits neue institutionelle Divergenzen produziert.7 Trotz der Liberalisierung der Weltmärkte und der Errichtung des Gemeinsamen Marktes ist eines der bemerkenswertesten Resultate der letzten vierzig Jahre, dass in den verschiedensten Wirtschaftsinstitutionen, in den Finanzierungsregimes der Unternehmen, in den Arrangements der corporate governance, den kollektiven Arbeitsbeziehungen, der betrieblichen Ausbildung, den Vertragsbeziehungen zwischen den Unternehmen, den interorganisationellen Netzwerken, den Standardisierungsverfahren und in den zwischenbetrieblichen Konfliktregulierungen die institutionellen Divergenzen zwischen fortgeschrittenen Industriegesellschaften eher zugenommen statt abgenommen haben.8 Resultat dieses Auseinanderdriftens von Produktionsregimes ist, dass sich trotz des weltweiten Siegeszugs des Kapitalismus nach der Zweiteilung der Weltwirtschaftsverfassung des Kalten Krieges eine Vielzahl von divergierenden Unternehmensverfassungen etabliert haben. Chinas staatskapitalistisches, besser: sein einheitsparteikapitalistisches Produktionsregime, die keiretsu-dominierte Wirtschaftsverfassung Japans, die ihren kolonialen Wirtschaftsformen entwachsenen Produktionsregimes Südamerikas und Ostasiens sind zu ernstzunehmenden Rivalen der etablierten Wirtschafts- und Unternehmensverfassungen in der westlichen Hemisphäre geworden.9 Produktionsregimes sind institutionelle Rahmenbedingungen für ökonomisches Handeln.10 Sie strukturieren die Produktion von Waren und Dienstleistungen über Märkte und marktbezogene Institutionen. Die „Spielregeln“ wirtschaftlichen Handelns, genauer die Anreize und Beschränkungen ökonomischer Transaktionen werden durch ein ganzes Ensemble von Institutionen formuliert, in die ökonomisches Handeln eingebettet ist. Den ausgeprägten Eigensinn eines jeden solcher Produktionsregimes erklärt die Theorie nun damit, dass die einzelnen Institutionen innerhalb eines Wirtschaftsraums nicht je für sich existieren, sondern miteinander interdepen7 Am Beispiel des Investitionsrechts Paul F. Kjaer (2019) „The End of Trade and Investment Law as We Know it: From Singularity to Pluralism“, in: Alvaro Santos u.a. (Hrsg.) World Trade and Investment Law Reimagined: A Progressive Agenda for an Inclusive Globalization, London: Anthem Press, 67–71. 8 David Soskice (1997) „Divergent Production Regimes: Coordinated and Uncoordinated Market Economies in the 1980s and 1990s“, in: Herbert Kitschelt u.a. (Hrsg.) Continuity and Change in Contemporary Capitalism, Cambridge: Cambridge University Press, 271–289. 9 Dazu in vergleichender Sicht Witt u.a. (Fn. 3); Feldman (Fn. 3). Führende Einzelanalysen: Andrew Walter und Xiaoke Zhang (Hrsg.) (2012) East Asian Capitalism: Diversity, Continuity, and Change, Oxford: Oxford University Press; Ben Ross Schneider (2013) Hierarchical Capitalism in Latin America: Business, Labor, and the Challenges of Equitable Development, New York: Cambridge University Press. 10 Zu unterschiedlichen Produktionsregimes als stabilen nationalen oder regionalen Konfigurationen von Wirtschaft, Politik und Recht, die für die Varieties of Capitalism verantwortlich sind, Hall und Soskice (Fn. 3).

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dente Elemente eines stabilen Systems bilden. Die einzelnen Institutionen – Unternehmensfinanzierung, Unternehmensverfassung, kollektive Arbeitsbeziehungen, betriebliche Ausbildung, Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen, interorganisationelle Netzwerke, Standardisierungsverfahren und zwischenbetriebliche Konfliktregulierungsmechanismen und eben auch Unternehmenscodes – formen zusammen ein ineinander verzahntes System, das zur Selbsterhaltung tendiert. Innerhalb dieser stabilen Systeme interagieren die Institutionen, vermittelt über die Strategien von Kollektivakteuren. Und dass sich die Differenzen der Regimes im Laufe der Zeit verstärken, wird darauf zurückgeführt, dass sie in je spezifischen stabilen Konfigurationen enden, die dem jeweiligen Produktionsregime im internationalen Wettbewerb institutionelle Vorteile verschaffen. Varianten des Kapitalismus sind damit aus der intrasystemischen Dynamik von Produktionsregimes erklärbar.11 Entscheidend ist nun, dass die Varieties of Capitalism nicht etwa eine bloße Re-Nationalisierung der Unternehmensverfassungen mit sich bringen. Unerbittlich hat die Globalisierung, auch wenn sie keine einheitliche globale Wirtschaftsverfassung erzeugt hat, die Grenzen des Nationalstaates gesprengt und ohne Rücksicht auf territoriale Grenzen die einzelnen Produktionsregimes als die neuen Determinanten der Unternehmensverfassungen etabliert.12 Aber auch die neuen Regionaleinheiten der Europäischen Union, der NAFTA oder Mercosur können nicht die Grenzen der neuen Produktionsregimes definieren. Die Europäische Union wird gleich dreifach von den Grenzen verschiedener Produktionsregimes durchschnitten.13 Wie sich besonders nach 2008 gezeigt hat, driften Nordeuropa, Grossbritannien und Südeuropa trotz des europäischen Einigungswerkes in ihren unterschiedlichen Produktionsregimes auseinander. Ja, im Falle Italiens koexistieren, nein: kollidieren, sogar auf dem Territorium eines Nationalstaates zwei verschiedene Produktionsregimes. Zwar haben Produktionsregimes ihren historischen Ursprung in der alten Einheit von Nationalstaat und Volkswirtschaft. Aber mit der Dominanz von transnationalen Unternehmen und ihrer Satelliten, mit der Globalisierung von Märkten und mit der Differenzierung in verschiedene Branchen ist diese Einheit zerbrochen. Die Produktionsregimes sind über territorialstaatliche Grenzen hinaus expandiert, was in einer schwer zu entwirrenden Ge11 Peter A. Hall (1997) „The Political Economy of Europe in an Area of Interdependence“, in: H. Kitschelt u.a. (Hrsg.) Continuity and Change in Contemporary Capitalism, Cambridge: Cambridge University Press. 12 Unternehmenskulturen entsprechen nicht den Grenzen der Nationalstaaten. Das betont Abelshauser (Fn. 4), 9 und passim. 13 Abelshauser (Fn. 4); Aidan Regan (2013) „Political Tensions in Euro-Varieties of Capitalism: The Fiscal Crisis of the Democratic State in Europe“, EUI Working Paper MWP 2013/24 https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2269668.

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mengelage unterschiedlicher Unternehmensverfassungen endet, die in ihren Geltungsräumen einander überschneiden. Im Prinzip wird ein einzelnes Produktionsregime von vier unterschiedlich lokalisierbaren Kraftzentren aus dominiert: von der autonomen Normsetzung in deterritorialisierten transnationalen Unternehmen, von der Dominanz der Wirtschaftskultur einzelner Branchen auf den Weltmärkten, von transnationalen Regulierungsregimes und von den Regulierungen der einzelnen Nationalstaaten. Das ergibt eine für transnationale Verhältnisse typische unübersichtliche Lage, in der angesichts der einander überschneidenden Grenzen von Wirtschaftskulturen, von multinationalen Wirtschaftsorganisationen, von kontraktuellen Regulierungen ihrer Zulieferer- und Verteilungsnetze durch multinationale Unternehmen, von Branchen der Weltmärkte und von nationalen Regulierungsregimes, eine hohe funktionale Spezifizierung mit gleichzeitiger Überlappung unterschiedlicher Normsysteme zusammentrifft. Gegenüber den globalen Wirtschaftsorganisationen behaupten sich die einzelnen Produktionsregimes in ihrer „Persistenz, transnationaler Hybridisierung und Pfadabhängkeit“.14 Dafür hat sich in der Literatur zum transnationalen Recht der Ausdruck der „Interlegalität“ etabliert, der die klare Trennung der Geltungsbereiche unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen zugunsten einer wechselseitigen Durchdringung von funktionalen und territorialen Normordnungen ablöst.15 Die Unternehmensverfassungen unterschiedlicher Produktionsregimes beanspruchen – in einem Verhältnis der „Interkonstitutionalität“ – zu einer Zeit und in einem Raum Geltung, während sie gleichzeitig einander wechselseitig irritieren. Backer charakterisiert diese globale konstitutionelle (Un-)Ordnung durch vier Merkmale: „fracture, fluidity, permeability, polycentricity“.16

II. Liberal Market Economies Versus Coordinated Market Economies Ende des letzten Jahrhunderts jedoch schien es so, als dass jedenfalls im transatlantischen Raum ganz massiv eine gegenläufige Entwicklung stattgefunden hat, in der die europäischen und die amerikanischen Produktionsregimes konvergierten. Hier schienen sich die Thesen der Varieties of Ca14

Abelshauser (Fn. 4), 19. Boaventura de Sousa Santos (2003) Toward a New Legal Common Sense: Law, Globalization and Emancipation, Evanston: Northwestern University Press, 437; Marc Amstutz und Vagios Karavas (2006) „Rechtsmutation: Zu Genese und Evolution des Rechts im transnationalen Raum“, 8 Rechtsgeschichte, 14–32. 16 Larry Catá Backer (2012, „The Structure of Global Law: Fracture, Fluidity, Permeability, and Polycentricity“, Consortium for Peace Ethics, Working Paper No. 2012-7/1, 2012), http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2091456, 102. 15

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pitalism gerade nicht zu bestätigen. Vor diesem Hintergrund fühlten sich Hansmann und Kraakman berechtigt, „The End of the History of Corporate Law“ zu verkünden.17 In der gegenwärtigen Europäisierung und Globalisierung, so hieß es, konvergierten die sozio-ökonomischen Strukturen der fortgeschrittenen Industriegesellschaften zwangsläufig. Die sozio-ökonomische Konvergenz ließ die Rechtsvereinheitlichung bis hin zu einheitlichen Unternehmensverfassungen zugleich als realistisch und als wünschenswert erscheinen. Eine damit übereinstimmende schon ältere Annahme war funktionale Äquivalenz der Rechtsfiguren.18 Danach bauten zwar die nationalen Wirtschafts- und Unternehmensverfassungen noch auf unterschiedlichen rechtsdogmatischen Traditionen auf, aber sie würden alle mit denselben strukturellen Problemen konfrontiert. Dementsprechend würden sie zwar unterschiedliche dogmatische Lösungen für die betreffenden Probleme finden, die aber funktional äquivalent seien und ihrerseits letztlich zur Konvergenz der nationalen Wirtschafts- und Unternehmensverfassungen führten. Die Liberalisierung des Welthandels, das Ende des handelhemmenden Ost-West-Konflikts und sinkende Transport- und Informationskosten lösten einen Anpassungsdruck in den europäischen Wohlfahrtsstaaten aus, der die Konvergenzthese zu bestätigen schien.19 In diesen Jahren wurden in der Tat die tradierten neo-korporatistischen Produktionsregimes Kontinentaleuropas zunehmend abgebaut und näherten sich immer stärker dem angloamerikanischen Produktionsregime an. Von der Mitbestimmung auf der Betriebs- und Unternehmensebene, über die Bankenbeteiligungen an Unternehmen bis hin zu der triangulären Zusammenarbeit von Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Regierungsinstanzen gerieten die neokorporatistischen Institutionen unter Druck. Nicht nur korporatismuskritische Ökonomen, sondern sogar Wolfgang Streeck, der maßgebliche Theoretiker und Sympathisant des demokratischen Nachkriegs-Korporatismus, machte die dezidierte Prognose, dass unter Bedingungen der Globalisierung die wirtschaftsdemokratischen Elemente der kontinentaleuropäischen Produktionsregime nicht überleben würden.20 Die notwendige Feinabstimmung

17

Hansmann und Kraakman (Fn. 1). In diesem Sinne etwa Konrad Zweigert und Hein Kötz (1996) Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts, Tübingen: Mohr Siebeck, § 3 II; Kritisch: Günter Frankenberg (1985) „Critical Comparisons: Re-thinking Comparative Law“, 26 Harvard International Law Journal, 411–455; neuere Rekonstruktion: Ralf Michaels (2006) „The Functional Method of Comparative Law“, in: Mathias Reimann, u.a. (Hrsg.) The Oxford Handbook of Comparative Law, Oxford: Oxford University Press, 339–382. 19 Abelshauser (Fn. 4), 10 ff. 20 Wolfgang Streeck (2009) Re-Forming Capitalism: Institutional Change in the German Political Economy, Oxford: Oxford University Press, 260 ff.; ders. (2013) Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin: Suhrkamp, 225 ff. 18

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zwischen gesellschaftlichen Organisationen und politischen Institutionen sei im globalen Maßstab nicht zu wiederholen. Und das Ausmaß an wechselseitigem Vertrauen und sozio-kulturellem Normenkonsens, das hier vorausgesetzt wurde, sei nicht globalisierbar. Schon auf der europäischen Ebene, wo man mit Institutionen des „Sozialen Dialogs“ zwischen der Europäischen Kommission, der Konföderation Europäischer Gewerkschaften und europäischen Wirtschaftsverbänden experimentiert, erweise sich eine Aufblähung des neo-korporatistischen Modells über den Nationalstaat hinaus, als wenig erfolgreich. Im globalen Maßstab aber dürften neo-korporatistische Arrangements vollends scheitern. Grund sei der Widerspruch, dass die Selbstreproduktion gesellschaftlicher Teilsysteme in globalen Bahnen verläuft, dass aber für ihre politisch-rechtliche Konstitutionalisierung nur nationalstaatliche Institutionen zur Verfügung stehen. Verblüffend ist nun aber die jüngste Erfolgsgeschichte des demokratischen Korporatismus in Kontinentaleuropa. Schon mit der Umstellung von standardisierter Massenproduktion auf nachfordistische diversifizierte Qualitätsproduktion in den achtziger Jahren, dann seit Mitte der neunziger Jahre mit der Dezentralisierung der Lohnfindung auf die Betriebsebene, spätestens aber mit der eng abgestimmten Kooperation zwischen Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Regierung während der Wirtschaftskrise 2008 ist eine durchgreifende Transformation des nordeuropäischen Nachkriegs-Korporatismus zu verzeichnen. Hier liegen die Ursachen für seine erstaunliche Resilienz trotz Globalisierung und trotz Wirtschaftskrise.21 Die Transformation betrifft besonders die Kräfteverhältnisse im korporatistischen Dreieck auf der Makro-, Meso- und Mikroebene.22 Das Kraftzentrum hat sich deutlich auf die sogenannten Produzentenkoalitionen auf Unternehmensebene verschoben, die im Hintergrund von der Kooperation der Wirtschaftsverbände, Branchengewerkschaften und Regierungsinstanzen, die höhere Produktivität und Krisenfestigkeit gewährleistet, abgestützt wird. Empirische Untersuchungen konnten zeigen, dass nicht nur die Agenda 2010 für den Erfolg ausschlaggebend war, sondern vor allem die von Hansmann und Kraakman so hart kritisierte intensive Kooperation

21 Dazu mit reichem empirischen Material Wendy Carlin u.a. (2014) „The Transformation of the German Social Model“, in: Jon Eric Dolvik u.a. (Hrsg.) European Social Models From Crisis to Crisis: Employment and Inequality in the Era of Monetary Integration, Oxford: Oxford University Press, 49–104; Christian Dustmann u.a. (2014) „From Sick Man of Europe to Economic Superstar: Germany’s Resurgent Economy“, 28 Journal of Economic Perspectives, 167–188. 22 Auch das schwedische Modell des Korporatismus wurde in dieser Phase nicht abgeschafft, sondern transformiert und an die Bedingungen der Globalität angepasst, dazu aufschlussreich Gunnar Flume (2012) „Das Modell Schweden: Kontinuität und Wandel einer Wirtschaftskultur“, in: Werner Abelshauser u.a. (Hrsg.) Kulturen der Weltwirtschaft, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 114–133.

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zwischen Unternehmen und Betriebsräten, 23 die zugleich von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Regierungen unterstützt wurden. Der neuerliche Erfolg des gesellschaftlichen Korporatismus im Vergleich zu den Produktionsregimes Englands und der USA war so beeindruckend, dass der amerikanische Nobelpreisträger Stiglitz den skandinavischen oder den deutschen Weg sogar als Vorbild für die USA empfahl.24 Entgegen allen Voraussagen zum Scheitern des eher wirtschaftsdemokratisch ausgerichteten gesellschaftlichen Korporatismus – „The Failure of Alternative Models“25 –, wie sie dezidiert Hansmann und Kraakmann gemacht haben, haben sich also letztlich auch im transatlantischen Raum die Varieties of capitalism als Ergebnis der Globalisierung durchgesetzt, worin die Widerstandsfähigkeit europäischer Wirtschafts- und Unternehmenskulturen gegenüber der weltweit erfolgreichen Praxis des Standardkapitalismus deutlich wird. Die sozialstaatlich regulierten, institutionell starken, eng verflochtenen und neokorporatistisch organisierten Produktionsregimes des skandinavischen und des rheinischen Kapitalismus unterscheiden sich, besonders in ihren wirtschaftsdemokratischen Elementen, deutlich von den eher liberalen, finanzkapitalistisch geprägten Produktionsregimes anglo-amerikanischer Prägung, die ihre Koordination vor allem auf Märkte und hierarchisch organisierte Unternehmen stützen. Für viele Beobachter gelten die neokorporatistischen Arrangements in den nordeuropäischen Ländern heute weltweit aufgrund des „historical comparative advantage“ ihrer höheren Produktivität und ihrer gesteigerten gesellschaftlichen Legitimität als die attraktiveren Produktionsregimes.26 Unternehmensverfassungsrechtliche Divergenzen gehen auf diese markanten Unterschiede zwischen den zwei großen Produktionsregimes des Westens zurück, auf Unterschiede zwischen den kontinental-europäischen Produktionsregimes (hauptsächlich Deutschland, Schweden, Norwegen, Finnland, Niederlande, Schweiz, Österreich) einerseits und ihren angelsächsischen Gegenstücken, den Liberal Market Economies (Großbritannien, USA, Irland, Kanada, Australien, Neuseeland) andererseits. Die angloamerikanische Wirtschaftskultur bildet die eine Gruppe der sog. Liberal Market Economies, der relativ unregulierten liberalen Marktwirtschaften. Im Gegensatz zu den kontinental-europäischen Märkten mit stärkerer wirt23 „… inefficient decisions, paralysis, or weak boards, and that these costs are likely to exceed any potential benefits that worker participation might bring.“ Hansmann und Kraakman (Fn. 1), 445. 24 Joseph Stiglitz, „Deutschland muss mehr tun“, Spiegel-Online 2. April 2009. 25 Hansmann und Kraakman (Fn. 1), 443 ff. 26 Werner Abelshauser (2018) „Das deutsche Produktionsregime und seine Herausforderungen an die Wirtschaftspolitik“, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) Soziale Marktwirtschaft: All inclusive? Gütersloh: Bertelsmann, 42–77; Jäger, Simon, Benjamin Schoefer, and Jörg Heining. 2019. „Labor in the Boardroom.“ NBER Working Paper No. 26519 (2019).

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schaftsdemokratischer und sozialstaatlicher Ausrichtung, den Coordinated Market Economies, in denen neo-korporatistische Verhandlungssysteme zwischen Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Regierung die Wirtschaft koordinieren, sind dort die Wirtschaftsorganisationen eher schwach und spielen nur eine sehr begrenzte Rolle bei der Koordinierung des institutionellen Rahmens.27 Stattdessen findet ein relativ unkoordiniertes Nebeneinander von freien Marktprozessen einerseits und externer Regulierung durch die Regierung andererseits statt. Die Regierung, Regulierungsbehörden und die Gerichte spielen die wichtigste Rolle bei der Rechtsetzung, wobei die Regeln typischerweise wenig Ermessensspielräume lassen.

III. Unternehmenscodes in der Kollision unterschiedlicher Produktionsregimes Diese Unterschiede wirken sich nicht nur auf das Unternehmensverfassungsrecht im engeren Sinne, sondern auch auf die Ausgestaltung der Unternehmenscodes aus. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Unterschieden der rechtlichen Durchsetzung prinzipiell gleichartiger Unternehmenscodes. Hier haben sich zwei unterschiedliche Grundvarianten der Unternehmenscodes herausgebildet. Auf der einen Seite formulieren die globalen Wirtschaftsinstitutionen der Staatenwelt – UN, OECD, ILO, EU – einheitliche „öffentliche“ Verhaltenscodizes für transnationale Unternehmen. Auf der anderen Seite zwingen die massive öffentliche Kritik, die über die Medien weltweit verbreitet wird, ebenso wie die offensiven Aktionen von Protestbewegungen und zivilgesellschaftlichen non-governmental organizations zahlreiche transnationale Unternehmen dazu, dass sie selbst freiwillig eine Vielzahl „privater“ Corporate Codes normieren, in denen sie öffentlichkeitswirksame Selbstverpflichtungserklärungen abgeben und ihre interne Durchsetzung versprechen. 28 Die Divergenzen der Produktionsregimes verändern nun einschneidend den Charakter der Corporate Codes selbst. In der vertikalen Beziehung von „öffentlichen“ und „privaten“ Codes bilden die Varieties of Capitalism eines der Hindernisse dafür, dass die globalen Institutionen der Staatenwelt – UNO, ILO, OECD, EU – ihre Corporate Codes rechtlich verbindlich vorschreiben können. Denn wenn die großen Produktionsregimes derart divergieren, dann können die einheitlichen globalen „öffentlichen“ Corporate Co27

Hall und Soskice (Fn. 3); Witt u.a. (Fn.3). Zum Verhältnis der beiden Code-Typen Teubner (Fn. 1); Larry Catá Backer (2012) „Governance Without Government: An Overview and Application of Interactions Between Law-State and Governance-Corporate Systems“, in: Günther Handl u.a. (Hrsg.) Beyond Territoriality: Transnational Legal Authority in an Age of Globalization, Leiden: Nijhoff, 87–123. 28

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des nur soft law sein, während die eigentliche Positivierung zu hard law erst in den Unternehmen der einzelnen Produktionsregimes stattfinden kann.29 Die staatlichen Codes sind selbst eigentlich nicht mehr als bloße Kollisionsprinzipien, die für einen globalen ordre public économique nur Leitlinien für konkrete Kollisionsnormen abgeben können, die erst in den einzelnen Produktionsregimes in situationsspezifischer Anpassung gesetzt werden. In der horizontalen Dimension wiederum nehmen die privaten Codes einen ganz verschiedenen Charakter an, je nachdem in welchem Produktionsregime sie umgesetzt werden. Es geht nicht bloß um ihre Anpassung an lokale Besonderheiten der Einzelunternehmen oder der nationalen Rechtsordnung, sondern vorrangig um ihre institutionelle Einbettung in unterschiedliche Produktionsregimes. Je nachdem ob sie in liberalen Marktwirtschaften mit ihrem Kompromiss zwischen Keynesianismus und Chicago-School, mit ihrem Vorrang von private ordering, mit der New Sovereignty der Unternehmen eingepasst werden oder ob sie in koordinierten Marktwirtschaften mit hoher sozialstaatlicher und wirtschaftsdemokratischer Komponente in das neokorporatistisches Dreieck der Kooperation von Verbänden, Gewerkschaften und Staat eingefügt sind, werden sie höchst unterschiedlich ausgestaltet. Das zeigt sich besonders an der heute virulenten Frage, ob überhaupt und wenn ja, wie, staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung die Corporate Codes als rechtlich verbindlich qualifizieren und im Streitfall über Sanktionen durchsetzen.30 Transnationale Unternehmen versuchen, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Gesetzgebung oder Rechtsprechung die Durchsetzung der Codes an sich ziehen. Deshalb bestehen sie mit großem Nachdruck auf der rechtlichen Unverbindlichkeit ihrer freiwilligen Codes und versuchen, Gesetzgebung und Rechtsprechung in diesem Sinne massiv zu beeinflussen Das amerikanische Recht kommt dem weitgehend entgegen; die Gerichte zeigen sich zurückhaltend, wenn public interest litigation sie dazu drängt, die Codes als rechtsverbindliche Normen durchzusetzen.31 Nur gegenüber „marktbegründenden“ Sozialnormen zeigen sich die Gerichte der Verrechtlichung aufgeschlossen. „Marktbegleitende“ Sozialnormen dagegen verrechtlichen sie nur dann, soweit sich gemeinwohlorientierte Verbraucherpräferenzen zwar am Markt als Nachfrage durchsetzen, dann aber durch irreführende Informationen sabotiert werden. Jedoch, der Kernmaterie der Corporate Codes, den eigentlich „marktbegrenzenden“ Sozialnormen, die 29 Zu dieser merkwürdigen Inversion der Hierarchie im Verhältnis staatlicher und privater Normen Teubner (Fn. 1). 30 Detaillierte Analysen bei Beckers (Fn. 1); Daniel Klösel (2012) Compliance-Richtlinien: Zum Funktionswandel des Zivilrechts im Gewährleistungsstaat, Baden-Baden: Nomos m.w.N. 31 Haley Revak (2012) „Corporate Codes of Conduct: Binding Contract or Ideal Publicity?“, 63 Hastings Law Journal, 1645–1670.

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den Unternehmen eine Gemeinwohlorientierung vorschreiben, verweigern sie mit der Berufung auf judicial restraint die Verrechtlichung.32 Im englischen Recht, das sich in den letzten Jahren europäischen Tendenzen nicht entziehen konnte, gibt es durchaus widersprüchliche Entwicklungen. Zwei neuere Entscheidungen kommen zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen. Eine gerichtliche Juridifizierung von marktbegrenzenden Normen der Unternehmenscodes deutet sich im Fall Lungowe v Vedanta Resources jedenfalls indirekt an.33 Der UK Supreme Court hat hinsichtlich der internationalprivatrechtlichen Fragen indirekt geprüft, ob die Geschädigte einer Mine in Sambia einen erfolgsversprechenden Haftungsanspruch gegen die englische Muttergesellschaft haben und dabei auf den Code of Conduct der Muttergesellschaft abgestellt. Allerdings ist das Ganze gerade hochumstritten, denn in einem anderen Fall (Okpabi v. Shell) wurde das genaue Gegenteil entschieden.34 Anders sehen die Verrechtlichungschancen der Corporate Codes in kontinental-europäischen Produktionsregimes aus.35 Wenn die Codes in durchregulierte neo-korporatistische Arrangements eingepasst werden, müssen sie sich eine sozialstaatliche und wirtschaftsdemokratische Transformation gefallen lassen. Die sozialen Normen der Codes haben in der EU mit ihrer rechtlichen Durchsetzung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu rechnen. Die Verrechtlichung über Gerichte, die mit der Qualifizierung der Corporate Codes als Recht privatrechtliches Neuland betreten, verläuft in zwei gegensätzlichen Richtungen: Einerseits werden die Codes durch strenge Inhaltskontrollen eingeschränkt, sofern sie Arbeitnehmern oder Verbrauchern 32 Zu diesen drei Normtypen im US-Recht Alexander Peukert (2014) „Die Rechtsrelevanz der Sittlichkeit der Wirtschaft – am Beispiel der Corporate Social Responsibility im US-Recht“, in: Reto M. Hilta u.a. (Hrsg.) „Corporate Social Responsibility“ (CSR) – Verbindliche Standards des Wettbewerbsrechts? Berlin: Springer. Auch in neueren Entwicklungen in USA bleibt es dabei, dass die Durchsetzung von Kodizes im Wesentlichen auf die Durchsetzung marktbegleitender Normen limitiert ist. Als aktuelles Beispiel lassen sich die Entscheidungen gegen VW anführen, insbesondere die der FTC im Jahr 2016 (https://www.ftc.gov/news-events/press-releases/2016/03/ftc-charges-volkswagendeceived-consumers-its-clean-diesel), die sich auch auf die Unternehmenscodes von VW beziehen. 33 Vedanta Resources Plc and Konkola Copper Mines Plc (Appellants) v Lungowe and Ors. (Respondents) [2019] UKSC 20. 34 Okpabi v. Royal Dutch Shell Plc; Alame v Royal Dutch Shell Plc and another [2018] EWCA Civ 191. 35 Im einzelnen zur Verrechtlichung von CSR-Kodizes im europäischen Recht Anna Beckers (2017) „The Regulation of Market Communication and Market Behaviour: Corporate Social Responsibility and the Directives on Unfair Commercial Practices and Unfair Contract Terms“, 54 Common Market Law Review, 475–516 zu unlauteren Geschäftspraktiken; dies. (2018) „Environmental Protection Meets Consumer Sales: The Influence of Environmental Market Communication on Consumer Contracts and Remedies“, 14 European Review of Contract Law, zum Verbrauchervertragsrecht.

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Belastungen auferlegen. Andererseits werden die Codes durch die Anordnung ihrer Rechtsverbindlichkeit gestärkt, sofern sie Gemeinwohlverpflichtungen enthalten. Inhaltskontrollen müssen gerade dann greifen, wenn die Unternehmen auf der rechtlichen Unverbindlichkeit ihrer freiwilligen Codes bestehen, um private Compliance Regeln gerichtlichen Kontrollen zu entziehen und unternehmensintern umso strikter ihre Verbindlichkeit durchzusetzen – etwa Regeln über Whistleblower, gesellschaftspolitische Betätigung, internes Monitoring, Leistungsbewertung und interne Regelüberwachung. Die Gerichte überprüfen die Codes über die Normen des Mitbestimmungsrechts, über die Inhaltskontrollen Allgemeiner Geschäftsbedingungen und über die Drittwirkung von Grundrechten. Berühmt geworden ist der Fall Walmart, in dem der Konzern in seinen Corporate Codes äußerst strikte, selbst das Privatleben der Mitarbeiter betreffende Regeln – eine in USA übliche Liebes- und Flirtverbotsklausel – durchzusetzen suchte. Die Gerichte verweigerten Walmart, sich auf die Unverbindlichkeit solcher freiwilligen Codes zu berufen und ließen die fragwürdigen Klauseln teils an den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates, teils an Grundrechtsstandards scheitern.36 Auf der anderen Seite zeigt der ebenso berühmt gewordene Fall Lidl, dass es für die Konzerne schwierig ist, dann auf der rechtlichen Unverbindlichkeit ihrer Codes zu bestehen, wenn sie das öffentliche Gemeinwohl betreffende Selbstverpflichtungserklärungen abgegeben haben, sich in der Praxis aber nicht daran halten.37 Lidl wurde mit Erfolg auf wettbewerbswidriges Verhalten verklagt, als sie wahrheitswidrig damit Werbung machten, sie hätten Verpflichtungen aus ihren gemeinwohlorientierten Corporate Codes erfüllt.38 In Sachen unlauteren Wettbewerbs wurde 2019 in Frankreich ein aktueller Fall entschieden, in dem Samsung wegen irreführender Geschäftspraktiken in Bezug auf seinen Unternehmenscode verurteilt wurde.39 Auch ist hier – hinsichtlich der Umweltstandards im Unternehmenscode – der VW-Fall 36 ArbG Wuppertal NZA-RR 2005, 476; LAG Düsseldorf NZA-RR 2006, 81. Dazu Klösel (Fn. 30), 59 ff.; Till Talaulicar (2009) „Global retailers and their corporate codes of ethics: The case of Wal-Mart in Germany“ 29 Service Industries Journal, 47–58, der besonders die Auswirkungen unterschiedlicher Wirtschaftskulturen auf die Implementierung der Codes betont. 37 Ausführlich zu Lidl: Verbraucherzentrale Hamburg v. Lidl, Statement of Claim filed 6 April 2010, Case settled on 14 April 2010. http://www.business-humanrights.org/Cate gories/Lawlawsuits/Lawsuitsregulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/Lidllawsuitreworkin gconditionsinBangladesh. 38 Das Verfahren endete zwar nur mit einem Vergleich, der aber quasi-präzedentielle Wirkungen entfaltet. 39 (https://www.business-humanrights.org/en/samsung-lawsuit-re-misleadingadvertising-labour-rights-abuses).

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einschlägig. In zwei europäischen Ländern, in Italien und den Niederlanden wurde VW wegen unlauterer Handelspraktiken verurteilt.40 In den VWFällen geht die Rechtslage auf europäisches Recht zurück, insbesondere auf die Richtlinie zu unlauteren Geschäftspraktiken. Die Juridifizierung von Verhaltenskodizes, die in der kontinentaleuropäischen Wirtschaftskultur naheliegt, wird durch das europäische Recht positiviert und in den Einzelstaaten umgesetzt. Der Gesetzgeber droht in der Neufassung des § 5 I No. 6 UWG Sanktionen für eine dem UWG bisher unbekannte Fallgruppe an, nämlich, wenn ein Unternehmen über „die Einhaltung eines Verhaltenskodexes, auf den sich der Unternehmer verbindlich verpflichtet hat, wenn er auf diese Bindung hinweist,“ falsche Angaben macht.41 Die Einzelheiten, insbesondere welche Verhaltenscodices unter die Norm fallen, sind umstritten und von den Gerichten noch nicht endgültig geklärt. Aber im Prinzip öffnet diese Norm die Verrechtlichung von Unternehmenscodes über ihre wettbewerbsrechtliche Sanktionierung. Nicht nur das Wettbewerbsrecht, sondern auch das Deliktsrecht mit seinen hochentwickelten Organisationspflichten und Verkehrspflichten, das Vertragsrecht mit seinen weitgehenden vertraglichen und quasi-vertraglichen Bindungen, und die Drittwirkung der Grundrechte zeigen eine Tendenz zur Juridifizierung der Corporate Codes. Mit diesen dogmatischen Figuren stellt das sozialstaatlich inspirierte Privatrecht der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ein reichhaltiges Instrumentarium zur rechtlichen Qualifizierung der Corporate Codes zur Verfügung.42 Damit können die Gerichte die Rechtsverbindlichkeit der Codes sicherstellen und ihre Durchsetzung ebenso wie ihre Rechtskontrollen ermöglichen. Die Gerichte können den Unternehmen letztlich immer ein venire contra factum proprium, also einen performativen Selbstwiderspruch, vorwerfen, wenn die Unternehmen die Corporate Codes nach erbitterten Konflikten erst als seriöse Selbstverpflichtungserklärungen abgegeben haben, sie dann aber vor Gericht nur als unverbindliche Absichtserklärungen gelten lassen wollen. Was schließlich wirtschaftsdemokratische Vorstellungen betrifft, so zeigen sich die anglo-amerikanischen Produktionsregimes ziemlich resistent. Demokratie wird im dortigen Verständnis nicht in Marktprozessen, sondern 40 In Italien (Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, hier: https://www. agcm.it/dettaglio?db=C12560D000291394&uid=6CBBC97DAD7D79CFC125800A0039B 5BA&view=&title=-VOLKSWAGEN-EMISSIONI%20INQUINANTI%20AUTOVEI COLI%20DIESEL&fs=) und Niederlande (Autoriteit Consument & Markt, ACM, https://www.acm.nl/nl/publicaties/boete-volkswagen-ag-voor-oneerlijke-handelspraktijk en). 41 Umsetzung von Art. 3 RL 2005/29/EG. Dazu im Detail Beckers (Fn. 30), 176 ff.; dies. (Fn. 35, 2017). 42 Aktueller Stand und weitreichende Vorschläge zur Rechtsfortbildung bei Beckers (Fn. 1), 39 ff., 344 ff., die bei aller gebotenen rechtsvergleichenden Neutralität durchaus von kontinentaleuropäischen Vorstellungen inspiriert sind.

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primär im politischen System verwirklicht. Corporate Codes werden entsprechend strikt marktkonform interpretiert.43 Nur soweit sich Änderungen von Präferenzen auf dem Markt durchsetzen, werden sie von den Gerichten validiert. Primär bleibt es dem private ordering der TNCs überlassen, situationsabhängig auf die Auseinandersetzungen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und auf die Präferenzänderungen der Verbraucher und Investoren mit gemeinwohlbezogenen Codes zu reagieren. Die Unternehmen reagieren jedoch nur dann, sofern es ihrem Kostenkalkül entspricht. Eine weitergehende Politisierung der Wirtschaft gilt als nicht legitim. Demgegenüber sind die Wirtschaftskulturen Kontinentaleuropas mit ihren neo-korporatistischen Institutionen historisch schon seit langem auf eine interne Politisierung der Unternehmen eingestellt. Neben weitreichenden sozialstaatlichen und umweltrechtlichen Interventionen gelten hier besonders wirtschaftsdemokratische Institutionen als legitim, da sie durch Partizipation von gesellschaftlichen Gruppen Defizite des Marktes kompensieren sollen.44 Im Sinne des demokratischen Korporatismus Kontinentaleuropas werden dann auch die neuartigen Corporate Codes umdefiniert: nicht mehr als einseitige Normsetzung souveräner Unternehmen, sondern als Resultat politischer Konflikte zwischen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Neben anderen wirtschaftsdemokratischen Institutionen dienen hier Corporate Codes, die gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen, der Wiedereinbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft. Dies geschieht aber nicht als externe staatliche Intervention, sondern in der Form eines re-entry: der Internalisierung der gesellschaftlicher Belange in die Unternehmensentscheidungen.45 Bemerkenswert ist nun, dass nicht nur die seit längerem ablaufenden Prozesse einer inneren Politisierung der Wirtschaft maßgeblich die Ausgestaltung der Corporate Codes beeinflussen, sondern dass in der Gegenrichtung die Corporate Codes drei neuartige wirtschaftsdemokratische Impulse im Unternehmensverfassungsrecht ausgelöst haben. Der erste Impuls stammt aus einer Richtungsänderung der Protestbewegungen, in der sich nach Meinung einiger Beobachter eine neue politische Qualität in der Gesellschaft verwirklicht.46 Zivilgesellschaftliche Proteste richten sich zunehmend nicht (nur) gegen staatliche Institutionen, sondern selektiv, direkt und zielbewußt gegen die Wirtschaftsunternehmen, die für gravierende Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden. Sozialbewegungen reagieren damit auf 43

Dazu Peukert (Fn. 32). In historischer Perspektive Abelshauser (Fn. 4). 45 Dazu Teubner (Fn. 1). 46 Colin Crouch (2011) Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Berlin: Suhrkamp, 193 ff.; Robert O’Brien, u.a. (2002) Contesting Global Governance: Multilateral Economic Institutions and Global Social Movements, Cambridge: Cambridge University Press, 2. 44

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drastische Machtverschiebungen in der globalen Wirtschaftsverfassung. Denn zur eigentlichen wirtschaftsverfassungsgebenden Gewalt sind inzwischen die transnationalen Unternehmen selbst aufgestiegen. Durch einseitige öffentliche Selbstverpflichtungen setzen sie die Corporate Codes in Kraft. Doch ausgelöst wiederum haben diese Corporate Codes überhaupt erst die Pressionen anderer gesellschaftlicher Kollektivakteure, welche die Inhalte der Corporate Codes, aber auch deren Durchsetzung maßgeblich mitbestimmen. Denn meist sind es NGOs und andere zivilgesellschaftliche Akteure, die mit Protestaktionen die multinationalen Unternehmen genötigt haben, Vereinbarungen mit ihnen über Corporate Codes abzuschließen. In diesen Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Akteure verwirklicht sich ein eigenes wirtschaftsdemokratisches Potential der Corporate Codes, das über die traditionellen neo-korporatistischen Arrangements, die in Kontinentaleuropa nur zwischen Unternehmen und Gewerkschaften entwickelt wurden, deutlich hinausgeht. Der zweite wirtschaftsdemokratische Impuls weitet die Sachthemen in der Politisierung der Unternehmen drastisch aus. In den Corporate Codes werden nicht mehr nur Verteilungsinteressen zwischen Kapital und Arbeit im Unternehmen durchgesetzt. Der zivilgesellschaftliche Protest geht über diese wichtige, aber begrenzte Thematik von Wirtschaftsdemokratie weit hinaus und zwingt die Unternehmen, sich auf umfassendere Gemeinwohlziele verbindlich festzulegen: Umweltschutz, Anti-Diskriminierung, Menschenrechte, Produktqualität, Verbraucherschutz, Datenschutz, Freiheit des Internet, Fair trade.47 Während solche Themen früher normalerweise fast ausschließlich im politischen System entschieden wurden, entsteht in der Direkt-Konfrontation zivilgesellschaftlicher Gruppen mit den Unternehmen, als deren Resultat die Corporate Codes ausgehandelt werden, ein merkwürdiges Paradox wirtschaftsdemokratischer Institutionen: Öffentliche Gemeinwohlbelange werden durch private Normierungen durchgesetzt.48 Zwar können die Corporate Codes nicht wie die politische Gesetzgebung generelle Geltung beanspruchen, doch geht ihre Verpflichtungskraft weit über die Einzelunternehmen hinaus. Denn die zivilgesellschaftlichen Gruppen insistieren darauf, dass kraft gesellschaftsrechtlicher Arrangements abhängige Gesellschaften und kraft vertraglicher Vereinbarungen sogar weitverzweigte Zulieferer- und Distributionsnetze auf die Corporate Codes verpflichtet werden. 47 „Die sogenannten ‚neuen sozialen Bewegungen‘ passen nicht mehr in das Protestmuster des Sozialismus. Sie beziehen sich nicht nur auf die Folgen der Industrialisierung und haben nicht mehr nur das eine Ziel einer besseren Verteilung des Wohlstandes. Ihre Anlässe und Themen sind sehr viel heterogener geworden .... und vor allem die ökologische Thematik ist in den Vordergrund gerückt.“ Niklas Luhmann (1997) Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt: Suhrkamp, 849. 48 Detaillierte Analyse bei Beckers (Fn. 1), 262 ff.

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Ein dritter wirtschaftsdemokratischer Impuls geht von den Selbstverpflichtungen in den Codes aus, wonach es die Unternehmen selbst es sind, die den Schutz von Grundrechten garantieren. Damit gehen die Codes deutlich über den bisherigen Stand der Grundrechtsdrittwirkung hinaus. Denn sie durchbrechen deren Staatsfixierung, erkennen explizit eine bisher stets abgelehnte unmittelbare Grundrechtswirkung gegenüber privaten Kollektivakteuren an und kompensieren bestimmte Schwächen der staatlichen Schutzpflichten. Wenn die Grundrechtsstandards der Codes direkt aus dem demokratischen Potential gesellschaftlicher Konflikte resultieren, dann ist zugleich ihre höhere Kontextadäquität zu erwarten, da Organisation und Verfahren genauer auf die Besonderheiten der Grundrechtsgefährdungen in den Unternehmen ausgerichtet werden.49

neue rechte Seite! 49 Zu einer solchen Ausweitung der Drittwirkung der Grundrechte Isabell Hensel und Gunther Teubner (2014) „Matrix Reloaded: Kritik der staatszentrierten Drittwirkung der Grundrechte am Beispiel des Publication Bias“, 47 Kritische Justiz, 150–168, 162 ff.

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Investorenschutz à l’ancienne – Bemerkung zur Regelung von Related Party Transactions im ARUG II Tobias Tröger

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I. Einleitung Klaus Hopt hat in seinem atemberaubend ausgreifenden Oeuvre den Schutz legitimer Interessen von Kapitalanlegern durchgehend als unverzichtbaren Bestandteil eines wohlfahrtsfördernden kapitalistischen Wirtschaftssystems verstanden, eingefordert und fortentwickelt.1 Diese Sicht unterscheidet sich von einem primär rechtsethisch motivierten Zugriff auf das Problem des unternehmensrechtlichen Schutzes von Aktionärsminderheiten, der im nationalen Diskurs lange Zeit wirkmächtig bevorzugt wurde.2 Hopts funktional-konsequentialistische Herangehensweise, die auch den seit jeher ausgeprägten rechtsvergleichenden Interessen des Jubilars und seiner schon früh gezeigten Offenheit gegenüber sozialwissenschaftlichen Methoden entspricht, ermöglichte eine analytische Kontinuität durch die Zeitläufte,3 obwohl diese in Deutschland und Kontinentaleuropa durch nachhaltige Umwälzungen in der Unternehmensfinanzierung gekennzeichnet sind, die sich für die klassische Verbandsrechtswissenschaft als disruptiv erwiesen.4

1 Willkürlich herausgegriffen sei die tiefschürfende Befassung mit dem seinerzeit alles andere als offensichtlichem Thema das Kapitalanlegerschutzes (Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975; ders., Inwieweit empfiehlt sich eine allgemeine gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes (dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Publikumspersonengesellschaften, namentlich der Abschreibungsgesellschaften und geschlossenen Immobilienfonds)? Gutachten G für den 51. Deutschen Juristentag, 1976) oder das frühe Eintreten für ein tatsächlich restringierendes Insiderhandelsregime (Hopt/ Will, Europäisches Insiderrecht, 1973). 2 Prägend z.B. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963; Wiedemann, Minderheitenschutz und Aktienhandel, 1968. 3 Erste umfassende, interdisziplinäre Untersuchungen zur Corporate Governance prägen das Werk von Klaus Hopt schon Mitte der 1980er Jahre, vgl. Hopt/Teubner (Hrsg.), Corporate Governance and Directors’ Liabilities, 1985. 4 Hierzu näher Tröger in: Ruppert/Duve (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Berliner Republik, 2018, S. 664.

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Vor diesem Hintergrund hofft der Verfasser dieses Beitrags den Jubilar nicht zu langweilen, wenn im Folgenden ein Schlaglicht auf die Umsetzung der europäischen Vorgaben zu Geschäften mit nahestehenden Personen (related party transactions) im AktG geworfen wird. Im Fokus stehen dabei nicht die dogmatischen Fragen der praktischen Rechtsanwendung – die Klaus Hopt als brillanter Kommentator ebenfalls unermüdlich und virtuos beantwortet – sondern die Bewertung der Regelung in einem breiteren, funktionalen Kontext. Dabei werden durchgehend Gedankenstränge variiert, die im Werk von Klaus Hopt immer wieder begegnen. Die nachfolgende Skizze soll zeigen, dass der zentrale Paradigmenwechsel in der Unternehmensfinanzierung – weg von Banken, hin zu Märkten – von den Verfassern des ARUG II5 nicht hinreichend reflektiert wurde und daher wichtige Weichen für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf den globalisierten Kapitalmärkten falsch gestellt wurden. Entgegen einer allein auf die Kosten für die Emittenten fokussierten Verengung dient effektiver Anlegerschutz in kapitalmarktorientierten Volkswirtschaften nämlich gerade auch dem Unternehmensinteresse an günstigen Refinanzierungsbedingungen, während umgekehrt erkennbare Placebo-Regelungen ohne Biss das Anlegervertrauen enttäuschen und in der Folge die Möglichkeiten der Mittelaufnahme am Kapitalmarkt für die Unternehmen erschweren – mit allen Konsequenzen für die Wohlfahrt der gesamten Volkswirtschaft.

II. Related party transactions im internationalen und nationalen Diskurs 1. Internationale Bedeutung und Empirie Related party transactions sind ein zentrales Thema in der internationalen Debatte um gute Corporate Governance,6 das nicht nur internationale Organisationen,7 sondern v.a. auch global agierende, institutionelle Investoren maßgeblich umtreibt.8 In Volkswirtschaften mit konzentrierten Anteilseignerstrukturen9 stellt die Ausbeutung von Minderheitsaktionären, die mit 5

Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12.12. 2019, BGBl. I, S. 2637. 6 Den Stand der Wissenschaft in verschiedenen Disziplinen reflektierende Beiträge finden sich in Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019. 7 World Bank, Doing Business 2014, 2013, S. 96–99; OECD, Related Party Transactions and Minority Shareholder Rights, 2012, S. 19 ff. 8 Vgl. hier nur BlackRock, Proxy voting guidelines for European, Middle Eastern, and African Securities, 2019, S. 19; Hermes, Hermes EOS Global Voting Guidelines, 2019, S. 3. 9 Empirische Untersuchungen zu den weltweiten Eigentümerstrukturen unter Berücksichtigung auch der deutschen Verhältnisse bei LaPorta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, 106 J. Pol. Econ. 1131, 1147 f. (1998); dies., 54 J. Fin. 471, 493 ff. (1999); Becht/Röell, 43

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Blick auf einen berühmten tschechischen Fall auch als tunneling bekannt ist,10 eine Hauptsorge dieser Kapitalanleger dar, soweit die Qualität der Corporate Governance11 die Kapitalallokation treibt. Tunneling kann das Ergebnis unterschiedlicher Techniken des Konsums privater Kontrollrenten (private benefits of control12) sein;13 ein verbreiteter Weg, sich Sondervorteile aus dem Verbandsvermögen zu verschaffen, stellen für Blockaktionäre aber Transaktionen mit der Gesellschaft dar, die zu Konditionen abgeschlossen werden, die die Gesellschaft benachteiligen. Auch wenn unmittelbare Belege für das Ausmaß der Umverteilung durch tunneling aus einleuchtenden Gründen schwer zu erlangen sind, ist die starke Verbreitung von related party transactions in China14 und Südkorea15 – dort auch als Mittel zur Vermögensweitergabe an die nächste Generation unter Vermeidung der Erbschaftssteuer – belegt und wird auch für die Zeit unmittelbar nach der Privatisierung in Russland16 sowie für Italien17 berichtet. Fallbeispiele für die Umverteilung von Vermögenswerten durch related party transactions existieren aber auch für die Verei-

Eur. Econ. Rev. 1049 (1999); speziell zu Deutschland Becht/Boehmer, in: Barca/Becht (Hrsg.), The Control of Corporate Europe, 2001, S. 128; dies., 23 Int’l Rev. L. Econ. 1 (2003); Ruhwedel, Eigentümerstruktur und Unternehmenserfolg, 2003, S. 203 ff.; Edwards/Nibler, 15 Econ. Pol’y 237 (2000); Edwards/Weichenrieder, 5 German Econ. Rev. 143, 147 f. (2004); Franks/Mayer, 14 Rev. Fin. Stud. 943, 946 ff. (2001); Weber, 29 Int’l Rev. L. & Econ. 57, 60 ff. (2009); für die Zeit von 1890–1950 auch Franks/Mayer/Wagner, The Origins of the German Corporation – Finance, Ownership and Control, 2005, S. 17 ff., 44 (Discussion Paper Nr. 65 des SFB/TR 15 Governance and the Efficiency of Economic Systems), http://epub.ub.uni-muenchen.de/13485/1/65.pdf. 10 Begriffsprägend Johnson/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, 90 Am. Econ. Rev. 22 (2000); wichtige Verbreiterung des analytischen Konzepts bei Atanasov/Black/Ciccotello, 37 J. Corp. L. 1 (2011); vgl. zudem Kang, 21 Stan. J. L. Bus. & Fin. 57 (2015). 11 In der vorherrschenden Sicht kommt den Institutionen der Corporate Governance die Aufgabe zu, die Kosten aus dem (horizontalen) Prinzipal-Agenten-Konflikt gering zu halten, vgl. hier nur Roe, in: Ménard/Shirley (Hrsg.), Handbook of New Institutional Economics, 2008, S. 371, 374 f.; Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour/ Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Pargendler/Ringe/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 29, 30. 12 Grundlegend insoweit Barclay/Holderness, 25 J. Fin. Econ. 371 (1989). Überblick über die ökonomische Literatur zum seit langem diskutierten Problemfeld bei Djankov/ La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, 88 J. Fin. Econ. 430, 431 (2008). 13 Zur Phänomenologie auch Enriques, 16 Eur. Bus. Org. L. Rev. 1, 9 ff. (2015). 14 Jiang/Lee/Yue, 98 J. Fin. Econ. 1 (2010); Cheung/Qi/Rau/Stouraitis, 33 J. Bank. & Fin. 914 (2009). 15 Hwang/Kim, 41 J. Corp. Fin. 23 (2016); Kang/Lee/Lee/Park, 29 Pac. Basin Fin. J. 272 (2014). 16 Black/Kraakman/Tarassova, 52 Stan. L. Rev. 1731 (2000). 17 Bianchi/Ciavarella/Enriques/Signoretti, Regulation and self-regulation of related party transactions in Italy, Quaderni di finanza Consob No. 75, 2014, abrufbar unter http://www.consob.it/documents/11973/204072/qdf75.pdf/27beface-c61a-4d97-a790-22b e98a70cae.

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nigten Staaten18 und an der London Stock Exchange gelistete Auslandsemittenten.19 2. Nationaler Diskurs Bis zum Inkrafttreten der ARUG II Reformen im AktG am 1.1.202020 kannte das deutsche Verbandsrecht keine Reglungen, die Rechtsfolgen unmittelbar an das Vorliegen eines Geschäfts mit nahestehenden Personen anknüpfte. In der Literatur ist seit Beginn der Diskussion über supranationale Vorgaben für related party transactions,21 die in den einschlägigen Regelungen der reformierten Aktionärsrechterichtlinie mündeten,22 immer wieder darauf hingewiesen worden, dass diese Enthaltsamkeit des AktG in den Rechtsinstituten nicht mit einer Blindheit gegenüber dem Sachproblem gleichzusetzen war, sondern dieses vielmehr durch eine Vielzahl verbandsrechtlicher Regelungen indirekt (mit-)adressiert wurde.23 In der Tat stellt das mit einer Regelung von related party transactions verfolgte Sachanliegen, das Rentenstreben von Blockaktionären einzudämmen – jenseits der vielleicht wenig vertrauten Terminologie – eine Kernaufgabe jeder Regelung von Unternehmensgruppen und sonstiger Beherrschungsverhältnisse dar.24 Der somit zweifellos zutreffende Befund, dass auch die tradierten Rechtsinstitute des deutschen Verbandsrechts Geschäfte mit nahestehenden Personen erfassen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Existenz eines institutionellen Rahmens nicht notwendig Schlüsse auf dessen Qualität zulässt: „wir haben eine Regel“ bedeutet nicht zwingend, „wir haben eine gute Regel“! Empirische Untersuchungen zeigen dann auch, dass die kontinentaleuropäischen, institutionellen Vorkehrungen gegen das entsprechende Renten18

Atanasov/Black/Ciccotello, 37 J. Corp. L. 1 (2011). Barker/Chiu, 10 Capital Mkts L. J. 98 (2015). 20 Vgl. Art. 1 Nr. 5 und Nr. 6 ARUG II. 21 Ausgangspunkt ist das Statement of the European Corporate Governance Forum on Related Party Transactions for Listed Entities vom 10.3.2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/ecgforum/ecgf_related_party_transact ions_en.pdf. Zu dessen Entstehung auch Bayer/Selentin, NZG 2015, 7, 8. 22 Art. 9c Aktionärsrechte-RL idF Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. L 132, 20.5.2017, S. 1. Dazu näher Bayer/J. Schmidt, BB 2017, 2114, 2117 f.; Bungert/Wansleben, DB 2017, 1190, 1193 ff.; Kleinert/Mayer, EuZW, 2018, 314, 319 ff.; Mörsdorf/Piroth, ZIP 2018, 1469 ff.; Tarde, ZGR 2017, 360, 362 ff. 23 Vgl. hier nur die Darstellungen bei Fleischer, BB 2014, 2691, 2696; Wiersch, NZG 2014, 1131, 1134; rechtsvergleichend auch Tröger in: Fleischer/Lau Hansen/Ringe (Hrsg.), German and Nordic Perspectives on Company Law and Capital Markets Law, 2015, S. 157, 177 ff. 24 Klassisch für diese Stoßrichtung das deutsche Verständnis des Konzernkonflikts bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 337. 19

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streben von Kontrollaktionären zumindest historisch Raum für Verbesserungen aufwiesen.25 Zuzugeben ist, dass die einschlägigen Studien die in den letzten zwei Dekaden zu beobachtenden, erheblichen Verbesserungen in der Corporate Governance in Europa nicht widerspiegeln. Zutreffend ist weiterhin, dass Kontrollrenten in gewissem Umfang gerade auch aus Sicht von Minderheitsaktionären wünschenswert sein können.26 Umgekehrt bleibt aber speziell für Deutschland das gegenläufige Argument valide, dass mit dem Auflösen der Deutschland AG nach der Jahrtausendwende und dem damit einhergehenden Rückzug der Banken ein zentraler Akteur in der deutschen Corporate Governance weitgehend ersatzlos weggefallen ist. In den Händen der Dank Eigenkapitalbeteiligung, langstehenden Kreditbeziehungen und Depotstimmrecht als machtvolle Quasi-Insider agierenden Banken mögen die tradierten verbandsrechtlichen Institute zur Eindämmung schädlicher related party transactions effektiv gewesen sein, in den Händen außenstehender Portfolioinvestoren sind sie es nicht.27 Die vorstehenden Überlegungen deuten darauf hin, dass für eine reflexhaft defensive Reaktion gegenüber der vermeintlichen angelsächsischen Überfremdung des tradierten deutschen Aktienrechts kein Anlass besteht.28 25 Vgl. Nenova, 68 J. Fin. Econ. 325 (2003) nach deren Erkenntnissen für das Jahr 1997 in einer Stichprobe aus 661 Unternehmen mit zwei Aktiengattungen der Wert von Kontrolle vermittelnden Aktien über dem Wert nicht-Kontrolle vermittelnder Aktien lag, also eine positive Kontrollprämie nachweisbar war, die in den untersuchten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, mit den bemerkenswerten Ausnahmen von Dänemark und Finnland, über dem in den USA beobachteten Wert (nahezu null) lag; Dyck/Zingales, 59 J. Fin. 537, 551 (2004), die 393 Transaktionen mit Kontrollwechseln in 39 Ländern im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 untersuchen und zeigen, dass in Kontinentaleuropa grundsätzlich Kontrollprämien größer Null gezahlt werden, häufig – allerdings nicht in Deutschland – oberhalb des Medianwertes der Untersuchung und in allen untersuchten Rechtsordnungen über dem U.S.-amerikanischen Medianwert. Vgl. auch die Einschätzung bei Enriques/ Volpin, 21 J. Econ. Persp. 117, 238 (2007); zu den Gründen Enriques, 16 Eur. Bus. Org. L. Rev. 1, 3 ff. (2015), der aufzeigt, dass Tunneling typischerweise durch Defizite der Institutionen einer Volkswirtschaft ausgelöst ist, aber solche nicht notwendig voraussetzt. 26 Kontrollrenten lassen sich als angemessene Kompensation der (kostenverursachenden) Überwachungsleistung des Blockaktionärs verstehen, deren Konsum solange auch im Interesse der Minderheitsaktionär liegt, wie sie durch die Vermeidung vertikaler Agenturkosten überkompensiert werden, vgl. Gutiérrez Urtiaga/Sáez Lacave, A Carrot and Stick Approach to Discipline Self-Dealing by Controlling Shareholders, ECGI Law Working Paper 138/2010, S. 7, abrufbar unter http://ssrn.com/abstract=1549403; Gilson/Schwartz, 169 J. Inst. Theo. Econ. 160, 162 (2013); Ferrell, 2 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 81, 91 (2007). 27 Eingehend Tröger in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 426. 28 Das deutsche Schrifttum reagierte gleichwohl weit überwiegend ablehnend auf die europäische Gesetzgebungsinitiative, vgl. hier nur die unterschiedlich akzentuierten, aber gleichwohl stets auf vermeintliche Inkompatibilitäten mit dem deutschen System der Unternehmensführung und -kontrolle verweisenden Beiträge von U.H. Schneider, EuZW 2014, 641; Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (66 f.); scharf kritisch aus Beratersicht Seibt, DB

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Hinter der unmittelbaren Regelung von related party transactions steht vielmehr ein auch für die deutsche Volkswirtschaft berechtigtes rechtspolitisches Anliegen, dem in Zeiten eines verschärften globalen Wettbewerbs um die knappe Ressource Kapital kein zu niedriger Stellenwert zugewiesen werden sollte.

III. Effektiver Anlegerschutz liegt im Unternehmensinteresse! Rationale Investoren sind sich des Risikos von tunneling bei Geschäften mit nahestehenden Personen bewusst: Sie werden die Möglichkeit antizipieren, dass der beherrschende Aktionär private Kontrollrenten konsumiert. Folgerichtig werden sie bei der Festlegung ihres Reservationspreises einen mit Blick auf die erwarteten Zahlungsströme ermittelten Aktienkurs entsprechen der erwarteten Redistribution diskontieren und Eigenkapital nur zu höheren Preisen zur Verfügung stellen.29 Im horizontalen Verhältnis der Aktionäre lässt sich eine solches Szenario durchaus als äquivalenter Austausch charakterisieren, weil dem herrschenden Aktionär zwar der Konsum privater Kontrollrenten gestattet ist, die vermeintlich unfaire Behandlung der Minderheitsaktionäre ex post aber infolge der risikogerechten Diskontierung des Aktienkurses im Zeitpunkt des Investments ex ante an den Blockaktionär zurückgegeben wird.30 Unter dieser Prämisse stellt später tatsächlich zu beobachtendes tunneling scheinbar nur eine ex ante konsentierte Abweichung von der Regel proratarischer Verteilung der vom Unternehmen generierten Zahlungsströme dar, die für sich betrachtet aber keinen Einfluss auf die Gesamtwohlfahrt hat. Gibt man aber die Modelannahme perfekt rationaler Preisbildung auf und legt ein realistischeres Szenario zugrunde, zeigt sich, dass selbst für professionelle Anleger Wahrscheinlichkeit und Ausmaß der drohenden Umverteilung im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung schwer zu bestimmen 2014, 1910 (1914 f.); Lanfermann/Maul, BB 2014, 1283 (1286 ff.); ablehnend aus Perspektive der Unternehmen Bremer, NZG 2014, 415; Gemeinsame Stellungnahme von BDA, BDI und DIHK zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung, COM(2014) 213 final, S. 16 ff.; differenzierend demgegenüber Fleischer, BB 2014, 2691; Zetzsche, NZG 2014, 1121, 1126 ff.; Wiersch, NZG 2014, 1131 (1135 f.); Tröger, AG 2015, 53, 59 ff. 29 Hier nur Schleifer/Wolfenzon, 66 J. Fin. Econ. 3, 17 (2002). Im deutschsprachigen Schrifttum im hier betrachteten Kontext Selzner, ZIP 2015, 753; vgl. auch Pölzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 211. 30 In diesem Sinne z.B. Atanasov/Black/Cicotello, 2014 U. Ill. L. Rev. 1697, 1717; Liu/ Magnan, 19 Corp. Gov. 99, 102 (2011); Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, 10. Aufl. 2016, S. 631; Enriques, 16 EBOR 1, 8 (2015).

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sind. Dies zwingt in der Praxis zu groben, vom Marktrauschen getriebenen Schätzungen, durch die auch das Äquivalenzverhältnis im horizontalen Verhältnis der Aktionäre beeinträchtigt wird. Hinzu kommt, dass selbst unter der Annahme eines friktionslos funktionierenden Preismechanismus Wohlfahrtsverluste drohen31 – was auch den erwähnten Fokus der internationalen Entwicklungsorganisationen erklärt. Aus der Sicht des Sozialplaners in einzelnen Volkswirtschaften erhöht die Abzinsung rationaler Investoren nämlich die Kapitalkosten der Emittenten von Eigen- und potentiell auch Fremdkapitaltiteln,32 was die Refinanzierungskonditionen für Unternehmen verschlechtert und – weil Anleger auch generell von Finanzierungstransaktionen absehen werden33 – die Liquidität der Kapitalmärkte beeinträchtigt. Letztlich werden somit einige Projekte, die bei niedrigeren Kapitalkosten einen positiven Erwartungswert gehabt hätten, keine Finanzierung erlangen, d.h. das Potentialwachstum der Volkswirtschaft wird nicht ausgeschöpft. Daraus ergibt sich aber auch zwanglos, dass ein effektiver Schutz gegen zugunsten beherrschender Aktionäre redistributiv wirkender related party transactions nicht nur im Interesse der Minderheitsaktionäre oder gemeinwohlorientierter Gesetzgeber liegt, sondern gerade auch die Präferenzen langfristig orientierter, strategischer Blockaktionäre bedient, die für „ihre“ Unternehmen einen besseren Zugang zu Kapital erlangen.34 Empirische Studien, die den Einfluss von institutionellen Arrangements gegen privates Rentenstreben von Blockaktionären auf den Unternehmenswert untersuchen und eine positive Korrelation aufzeigen,35 belegen die Zusammenhänge. 31

Vgl. z.B. Ferrell, 2 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 81, 91 (2007); Dammann in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 218, 220 f.; Pacces in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 181, 191. 32 Letzteres folgt daraus, dass sich auch die Wahrscheinlichkeit des Ausfalls erhöht, wenn der beherrschende Aktionär der Gesellschaft Vermögenswerte entzieht. 33 Schleifer/Vishny, 52 J. Fin. 737, 760 (1997). 34 LaPorta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, 52 J. Fin. 1131, 1149 (1997); Shleifer/ Wolfenzon, 66 J. Fin. Econ. 3, 18 (2002); Armour/Hansmann/Kraakman in: Kraakman/ Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Pargendler/Ringe/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 29, 31; Ferrell, 2 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 81, 92 (2007); im hier interessierenden Kontext auch Drygala, AG 2013, 198, 207. Vgl. aber auch Kang in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 53, 57 ff., der in Anlehnung an die Einsichten von Olson, 87 Am. Pol. Sci. Rev. 567 (1993) aufzeigt, dass auch langfristig orientierte Blockaktionäre ein dominierendes Interesse an begrenztem tunneling haben können. Aber selbst diese Erkenntnis läuft letztlich darauf hinaus, dass selbst diese Blockaktionäre Regime bevorzugen, die unbegrenzte Expropriation unterbinden, um glaubwürdige Signale der Selbstbeschränkung an potenzielle Investoren senden zu können. 35 Vgl. Dahya/Dimitrov/McConnell, 87 J. Fin. Econ. 73, 90 f. (2008).

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Entsprechende rechtliche Schutzmechanismen erhöhen aber auch die Kosten der unternehmerischen Tätigkeit, weshalb sie nur solange sinnvoll sind, wie der zusätzliche Aufwand der Rechtsbefolgung durch den vorstehend skizzierten, gesamtgesellschaftlichen Nutzen kompensiert wird. Zu den Kosten zählen dabei auch die von einem zu rigiden Regime zu Unrecht verhinderten related party transactions (flasche positive Ergebnisse36), die nicht durch privates Rentenstreben motiviert waren, sondern zur Erzielung originärer Wohlfahrtsgewinne durchgeführt werden sollten.37

Abbildung 1: Kosten und Nutzenvergleich bei zunehmender Regulierungsintensität

Abbildung 1 illustriert die Zusammenhänge und zeigt, dass der Gesetzgeber optimale Ergebnisse keinesfalls mit der strengsten Regelung erzielt. Der maximale Nutzenüberschuss fällt unter einer möglichst viele schädliche Transaktionen, bei möglichst geringen Rechtsbefolgungskosten unterbindenden Regelung an, d.h. im Punkt Ropt, in dem die größte Kosten-NutzenDifferenz besteht. Diese Beobachtung darf aber umgekehrt nicht als Freibrief 36 Die Terminologie folgt den zur Charakterisierung möglicher Fehler bei Schlussfolgerungen in der Statistik verwendeten Begrifflichkeit, vgl. Pacces in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 181, 193. 37 Related party transactions sind in diesem Sinne ambivalent, weil sie in vielen Konstellationen wohlfahrtsfördern sein können, vgl. hier nur Gordon/Henry/Palia in: Hirschey/ John/Makhija (Hrsg.), Corporate Governance, 2004, S. 1, 4; Enriques, 16 EBOR 1, 7 (2015); Enriques/Hertig/Kanda/Pargendler in: Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/ Hertig/Hopt/Kanda/Pargendler/Ringe/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 145, 146; speziell zu Konzernsachverhalten auch Conac/Enriques/Gelter, 4 ECFR 491, 495 f. (2007); Dammann in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 218, 219.

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für eine möglichst laxe, das Selbstkontrahieren (self-dealing) von Kontrollaktionäre weitgehend unbeaufsichtigt gestattende Regelung verstanden werden.

VI. Einige (weitere) Bemerkungen zum neuen deutschen Regime für related party transactions Mit Blick auf die neugeschaffenen §§ 111a ff. AktG lässt sich bezweifeln, dass der deutsche Gesetzgeber Kosten und Nutzen der Regulierung von related party transactions angemessen austariert hat. Die europäischen Vorgaben hätten es mit ihren vielfältigen Wahlmöglichkeiten den Mitgliedstaaten durchaus gestattet, ein Regime zu verabschieden, mit dem – nach dem Vorbild anderer Rechtsordnungen – das Rentenstreben von Kontrollaktionären bei vertretbarer Kostenlast möglichst effizient beschränkt wird.38 Die deutsche Legislative hat konsequent von allen dem Umsetzungsgesetzgeber eingeräumten Gestaltungsoptionen in einer Weise Gebrauch gemacht, die ausschließlich vom Anliegen motiviert ist, die unmittelbaren Kosten der Rechtsbefolgung für die Emittenten möglichst gering zu halten. Dem neuen, als systemwidriger Oktroy empfundenen Regime wird möglichst wenig Anwendungsraum eröffnet. Die hiergegen weitgehend ungehört in einem frühen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens vorgetragene Kritik39 muss hier nicht in allen Einzelheiten wiederholt werden. Eine eingehendere Würdigung verdienen allerdings einige Entwicklungen im Gesetzgebungsverfahren. 1. (Zu) zaghafte Reformschritte Auch dort, wo während des Gesetzgebungsverfahrens der Weg in die richtige Richtung angetreten wurde, ist er letztlich nicht zu Ende gegangen worden. a) Einbeziehung unabhängiger Aufsichtsräte Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die erforderliche ex ante Zustimmung zu Geschäften mit nahestehenden Personen, die jenseits der relevanten Schwellenwerte liegen, nicht zwingend durch das Aufsichtsratsplenum erfolgen muss, sondern auch an einen beschließenden Ausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG delegiert werden kann.40 Kritikwürdig ist indessen, dass der Gesetzgeber auch für diesen Ausschuss41 an seinem in38 Enriques/Tröger in: Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, S. 1, 17. 39 Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2948 ff. 40 So die Forderung von Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2952. 41 Ebenso für die Willensbildung im Plenum, vgl. § 111b Abs. 2. Beseitigt ist immerhin die im RefE noch vorgesehene Einschätzungsprärogative des Aufsichtsrats.

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konsequenten Unabhängigkeitskonzept festgehalten hat und in § 107 Abs. 3 Satz 5 AktG nur eine mehrheitliche Besetzung des Ausschusses mit von der nahestehenden Person unabhängigen Mitgliedern vorschreibt. Damit wird nicht nur die psychologisch problematische Mitwirkung von mit Interessenkonflikten behafteten Ausschussmitgliedern an den Beratungen, sondern auch deren ergebniswirksame Teilnahme an der Abstimmung beibehalten.42 Hiermit kann das Vertrauen internationaler institutioneller Investoren, die eine – im dualistischen System ohnehin nur schwer zu realisierende – rigide Delegation schon der Transaktionsverhandlungen43 an gänzlich unabhängige special committees als Goldstandard betrachten, nicht gewonnen werden – mit allen oben skizzierten negativen volkswirtschaftlichen Konsequenzen. b) Schwellenwerte Ebenfalls unbefriedigend ist die halbherzige Absenkung der Aufgreifschwellen in § 111b Abs. 1 AktG auf nunmehr 1,5% der Bilanzsumme. Diese, erst mit dem Regierungsentwurf44 vollzogene Reduktion der Schwellenwerte ändert zum einen wenig an der grundsätzlichen Kritik, die sich v.a. daran entzündet, dass die stets zu hohen Millionen-, teilweise sogar Milliardenbeträgen führende Bezugsgröße zwar für eine Befassung des Aktionärsorgans angemessen sein mag, nicht aber für die Abgrenzung einer weit weniger kostenintensiven Aufsichtsratskompetenz.45 Darüber hinaus können die den deutschen Gesetzgeber erkennbar maßgeblich beeinflussenden, tiefschürfenden Analysen aus der Wissenschaft46 bei genauerem Hinsehen nicht als Beleg für eine gelungene Lösung herangezogen werden, obwohl sie im

42 Ob diese Lösung die Richtlinienvorgaben ordnungsgemäß umsetzt so z.B. Bungert/Berger, DB 2018, 2860, 2864; Kleinert/Mayer, EuZW 2018, 314, 322, oder aber sekundärrechtswidrig ist, so Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2950, wird wohl auf absehbare Zeit nicht geklärt werden, da die Kommission kein Verfahren anstrengen wird und eine Sachverhaltskonstellation, in der die Richtlinienkonformität von § 107 Abs. 3 Satz 5 AktG eine entscheidungserhebliche, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu klärende Frage darstellt, nur sehr schwer vorstellbar ist. 43 Zu den Vorteilen einer von Interessenkonflikten freien Verhandlung der Transaktion gegenüber einer bloßen Validierung durch neutrale Organmitglieder nach Festlegung aller wesentlichen Transaktionscharakteristika, Enriques, 16 EBOR 1, 19 (2015). 44 Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 20.3.2019, herunterzuladen von https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_ARUG_II.pdf;jsession id=79D0C8AAB1C9DAA80E85B1302ADBC846.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1. 45 Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2948 f. 46 Maßgeblichen Einfluss hatte erkennbar die empirische Untersuchung von Engert/ Florstedt, Which Related Party Transactions Should Be Subject to Ex Ante Review? Evidence from Germany (ECGI Law Working Paper 440/2019), S. 21 ff., 43 ff., herunterzuladen von https://ssrn.com/abstract=3350356.

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Ausgangspunkt durchaus im Einklang mit dem Vorgesagten (oben) versuchen, die optimale Kosten-Nutzen-Balance zu finden. Die empirische Studie von Engert und Florstedt unternimmt es in höchst verdienstvoller, international anschlussfähiger Weise, die Auswirkungen unterschiedlicher Schwellenwerte auf die Zahl der von einem entsprechend anknüpfenden Regime erfassten related party transactions evidenzbasiert zu bestimmen und so Aufschluss über eine relevante Größe der Kosten-Nutzen-Optimierung zu gewinnen. Sie leidet aber – neben den von den Autoren unumwunden eingestandenen Einschränkungen infolge der Verwendung konsolidierter Bilanzdaten47 – vor allem daran, dass als Datengrundlage für alle generalisierenden Schlussfolgerungen ausschließlich die Rechnungslegung der betrachteten Unternehmen aus dem Geschäftsjahr 2017 herangezogen wird. Dies erscheint problematisch, weil hierdurch der Einfluss des Konjunkturzyklus unterschätzt wird. 2017 war ein Boom Jahr, in dem das höchste Wachstum des Bruttoinlandsprodukts seit 2011 in Deutschland verzeichnet wurde.48 Der Konjunkturzyklus beeinflusst aber auch die Korrelation zwischen den für die Berechnung der Schwellenwerte herangezogenen Unternehmenskennzahlen. So werden z.B. in der Talsohle die Umsätze und Gewinne niedrig sein, die Bilanzkennzahlen müssen aber nicht notwendig vergleichbar rückläufig sein. Vor diesem Hintergrund erscheint die rechtspolitische Empfehlung, es bei einer einfach bestimmbaren Bezugsgröße zu belassen und ausschließlich auf die Bilanzsumme abzustellen, nicht restlos überzeugend.49 Sie bedürfte zumindest einer Absicherung durch eine längere Zeitreihe. 2. Rückschritt Auch die dritte, hier betrachtete, während des Gesetzgebungsverfahrens beschlossene Neuerung des ARUG II kann sich auf die bereits erwähnten Vorarbeiten in der Wissenschaft stützen.50 Wiederum halten aber die sehr weitreichenden, vom Gesetzgeber aufgegriffenen rechtspolitischen Empfehlungen einer kritischen Überprüfung letztlich nicht Stand. Nach § 111a Abs. 3 Nr. 1 AktG sind Geschäfte mit Tochterunternehmen im Sinne der internationalen Rechnungslegungsstandards, die ihren Sitz in 47 Engert/Florstedt, Which Related Party Transactions Should Be Subject to Ex Ante Review? Evidence from Germany (ECGI Law Working Paper 440/2019), S. 20 ff. 48 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74644/umfrage/prognose-zur-ent wicklung-des-bip-in-deutschland/ 49 Die Gründe, auf einen Mix an Bezugsgrößen abzuheben, z.B. Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2948 f., erscheinen nicht widerlegt. 50 Vgl. erneut Engert/Florstedt, Which Related Party Transactions Should Be Subject to Ex Ante Review? Evidence from Germany (ECGI Law Working Paper 440/2019), S. 28 ff., 47 ff., herunterzuladen von https://ssrn.com/abstract=3350356.

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einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben und deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt im Sinne von Art 4 Abs. 1 Nr 21 MiFiD II51 zugelassen sind, von der Anwendung des neuen Regimes gänzlich befreit. Diese großzügige Ausnahme für downstream-Transaktionen im Konzern steht im Widerspruch zu den Untersuchungen, die aufzeigen, dass innerhalb einer durch eine Person beherrschten Beteiligungspyramide Anreize bestehen, diejenige verbundzugehörige Gesellschaft zu benachteiligen, die für den Kontrollaktionär von geringerer wirtschaftlicher Bedeutung ist, weil ein signifikanter Teil der Schädigung der benachteiligten Gesellschaft auf die außenstehende Minderheit externalisiert werden kann.52 Die erkennbar hinter der Ausnahme stehende, auch in dem prägenden Literaturbeitrag von Engert und Florstedt aufscheinende Vorstellung,53 im EWR börsennotierte Tochtergesellschaften würden bereits hinreichend über das auf hohem Niveau harmonisierte Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht geschützt, geht an der Sache vorbei. Dies nicht so sehr, weil die Argumentation letztlich jegliche Regelung von Geschäften mit nahestehenden Personen für die Adressaten der Aktionärsrechterichtlinie obsolet machen würde,54 sondern viel mehr deshalb, weil die Untergesellschaft in den virulenten Konstellationen u.U. überhaupt nicht benachteiligt wird: Der beherrschende Aktionär wird in einer Pyramide die Obergesellschaft benachteiligen, wenn er einen hinreichend großen Teil der Verluste der Obergesellschaft auf deren außenstehende Minderheitsaktionäre externalisieren kann und seine eigenen, durch eine Verminderung des Unternehmenswerts (pro rata) vermittelten Einbußen als Folge der Bevorzugung der Untergesellschaft kompensieren kann. Institutionelle Investoren werden dieses offene Scheunentor kaum goutieren.

V. Fazit Die hier angestellten Betrachtungen sollen aufzeigen, welch hoher Stellwert der dem Jubilar so vertrauten Berücksichtigung überpositiver Zielvor51

Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173, S. 349. 52 Vgl. das numerische Beispiel und die weiteren Nachweise bei Kang, 21 Stan. J. L. Bus. & Fin. 57 (2015). Generell zu den Corporate Governance Implikationen tiefgestaffelter Unternehmensgruppen und -pyramiden auch Morck/Wolfenzon/Yeung, 43 J. Econ. Lit. 657, 661 ff. (2005); Khanna/Yafeh, 45 J. Econ. Lit 331, 343 ff. (2007). 53 Engert/Florstedt, Which Related Party Transactions Should Be Subject to Ex Ante Review? Evidence from Germany (ECGI Law Working Paper 440/2019), S. 47 ff., herunterzuladen von https://ssrn.com/abstract=3350356. 54 Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie gilt diese für alle Gesellschaften, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien an einem geregelten Markt zugelassen sind.

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stellungen und der ihm ebenfalls selbstverständlichen Einbeziehung vergleichender Einsichten bei der Fortentwicklung des Unternehmensrechts zukommt. Eine kritische, den regulierungstheoretischen Hintergrund einbeziehende Analyse des neuen deutschen Regimes für related party transactions offenbart, dass ebenso erhebliche, wie vermeidbare negative Auswirkungen drohen, wenn die – mit Blick auf internationale Vorbilder und Diskurse – vorhersehbaren Reaktionen von Kapitalmarktteilnehmern bei Regelungsvorhaben nicht hinreichend berücksichtigt werden. Es geht dabei keinesfalls um eine blinde Unterwerfung unter eine vermeintlich angelsächsische Dominanz, oder das unreflektierte Opfern nationaler Traditionen. Mit der bedingungslosen Verteidigung tradierter Standards können aber Pfadabhängigkeiten nicht durchbrochen werden, womit Chancen für eine effiziente Fortentwicklung des Unternehmensrechts verpasst werden, die auf überzeugenden Sachargumenten basieren. Nicht nur der ARUG II Gesetzgeber hätte methodisch viel von Klaus Hopt lernen können, weshalb nicht nur ihm, sondern auch der Allgemeinheit, noch viele aktive Jahre des Jubilars zu wünschen sind.

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Horizontal Shareholding and EU Competition Law DIMITRIS TZOUGANATOS

I. Introduction So-called “horizontal shareholding” (i.e. the participation of common shareholders in the capital of competing companies, in particular as institutional investors) has been characterized as the greatest anticompetitive threat of our time.1 This threat has been highlighted by economic studies showing that the participation of common institutional investors as shareholders in the leading companies on highly concentrated markets may create incentives to lessen competition and increase prices. The conclusions submitted in the first studies, referring to the US airline industry2 and banking sector,3 respectively, have been widely discussed among economists and lawyers.4 Although vigorously disputed,5 the findings 1 Elhauge, The Greatest Anticompetitive Threat of Our Time: Fixing the Horizontal Shareholding Problem, https://promarket.org/greatest-anticompetitive-threat-horizontalshareholding/ (posted 7.1.2019); Elhauge, New Evidence, Proofs, and Legal Theories on Horizontal Shareholding (4.1.2018), p. 40 https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?ab stract_id=3096812. 2 Azar/Schmalz/Tecu, Anticompetitive Effects of Common Ownership, Ross School of Business Paper No 1235, 2015, https://pdfs.semanticscholar.org/a153/e5f2ccc8d0dae877ccf 7edc6c658b6342a33.pdf. 3 Azar/Raina/Schmalz, Ultimate Ownership and Bank Competition (4.5.2019), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2710252. 4 See in particular Elhauge, Horizontal Shareholding, 129 Harv. L. Rev. 1267 (2016), Elhauge, The Growing Problem of Horizontal Shareholding, CPl 2017, https://papers .ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2988281; Elhauge, Tackling Horizontal Shareholdings: An Update and Extension to the Sherman Act and EU Competition Law, OECD Hearing on Common Ownership by Institutional Investors and its impact on competition, DAF/COMP/WD(2017); Elhauge, New Evidence, Proofs, and Legal Theories, op. cit.; Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy – And Why Antitrust Law Can Fix it (2.8.2019), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3293822. See also the bibliography cited in Schmalz, Common-Ownership Concentration and Corporate Conduct, CESifo Working Papers 6908/2018, pp. 26–29, https://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=3046829. 5 See recently Dennis/Gerardi/Schenone, Common Ownership Does Not Have AntiCompetitive Effects in the Airline Industry (12.8.2019), https://ssrn.com/abstract= 3063465. See also Kennedy/O’Brien/Song/Waehrer, The Competitive Effects of Common Ownership: Economic Foundations and Empirical Evidence (9/2017), https://ssrn.com/ abstract=3008331.

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have been confirmed by new evidence in new sectoral studies showing that horizontal shareholding may indeed result in restrictions of competition.6 1. The growing importance of institutional ownership and passive investment strategies As indicated above, the horizontal shareholding issue is in fact related to institutional investors, whose increasing prevalence is impressive both in numbers and in diversity. Thus, the percentage of all publicly listed stocks in the US held by physical persons decreased from 84% in the mid-1960s to ca. 40% in the first years of the 2010s. In the UK, direct ownership decreased from 54% to 11% over the last fifty years. In Japan, only 18% of public equity was held by physical persons in 2011.7 Empirical studies have shown that horizontal shareholding, by contrast, has continued growing rapidly. By June 2016 the three biggest index funds, i.e. BlackRock, Vanguard and State Street, managed more than 90% of all assets held by all index funds.8 The investment strategy of institutional investors investing in equities can be active or passive.9 The adoption of an active investment strategy aims at outperforming the average market performance. Such strategy is based on the belief that pricing inefficiencies in the market create investing opportunities. On the contrary, a passive investment strategy, based on the notion that it is difficult, if not impossible, to beat the market, simply attempts to match the performance of a benchmark index, e.g. the Standard and Poor’s 500, or a group of indexes. The choice between an active and a passive investment strategy not only determines the portfolio management but also affects management cost. Active portfolio management requires constant monitoring of the stock market by a team of investment analysts, done in order to select the suitable shares and determine the right time to buy and sell. Conversely, passive management avoids the search and analysis costs since the choice focuses on shares based on an index that stems from companies of specific sectors of the economy. Furthermore, passive portfolio management is closely connected with mid- to long term investment, i.e. with infrequent stock trading, which results in usually low portfolio expenses. 6 See Elhauge, New Evidence, Proofs, and Legal Theories on Horizontal Shareholding, op. cit., pp. 17 et seq. 7 See Çelik/Isaksson, Institutional investors and ownership engagement, OECD Journal: Financial Market Trends, Vol. 2013/2, pp. 93, 96 https://www.oecd.org/finance/Insti tutional-investors-ownership-engagement.pdf. 8 See Elhauge, The Growing Problem of Horizontal Shareholding, CPl 2017, p. 2, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2988281. 9 OECD, Common Ownership by Institutional Investors and its Impact on Competition, 29.11.2017 (DAF/COMP(2017)10), pp. 11, 13.

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The shift of investors from direct ownership of stocks to passivelymanaged funds increased in particular after the financial crisis. Between 2011 and 2014, two tipes of passive investment funds (index funds and ETFs) doubled their assets under management. At the end of 2015 these funds had at least 4 trillion USD under management. A substantial share of passive index funds is managed by the “big three” institutional investors.10 2. Anticompetitive effects of horizontal shareholdings – the causal mechanisms11 Despite their minority shareholding, institutional investors are in a position to influence the managers and consequently the behavior of the corporations in which they participate, mainly through voting in the board elections, through direct communications with managers as well as through voting on executive compensation. Moreover, horizontal shareholding may increase the potential for coordinated conduct.12 a) Voting in the elections for the board of directors Empirical studies confirm that the voting of horizontal shareholders can influence manager decisions. In order to maximize the chances of being reelected, managers will maximize the weighted average of their shareholders’ profits from all their shareholdings. This will incentivize managers to increase prices if their shareholders also have holdings in competing companies. If they believe that the vote of certain shareholders will influence the voting behavior of others, thus increasing their probability of re-election, the largest shareholders, who are usually the horizontal ones, will be given particular attention. This will happen without need of communication between managers and shareholders or between the portfolio companies of the common shareholders.13 The fact that institutional investors are often rather 10

Id., p. 11. See for what follows, Elhauge, The Causal Mechanisms of Horizontal Shareholding (2.8.2019), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3370675; Elhauge, The Growing Problem of Horizontal Shareholding, op. cit., pp. 2 et seq.; OECD, Common Ownership by Institutional Investors, op. cit., pp. 21 et seq. 12 See in particular Rock/Rubinfeld, Common Ownership and Coordinated Effects (12/2018), https://ssrn.com/abstract=3296488 who agree that common ownership can make collusion easier but do not expect to see a large number of violations of Sherman Act Section 1, since they can be avoided through compliance programs. On the possible increase of coordinated effects in cases of common shareholding see also Pawliczek/Skinner/ Zechman, Facilitating Tacit Collusion: A New Perspective on Common Ownership and Voluntary Disclosure (5/2019), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3382 324. 13 Elhauge, The Causal Mechanisms, op. cit., pp. 7–10, 8; Elhauge, The Growing Problem of Horizontal Shareholding, op. cit., p. 4; Elhauge, New Evidence, Proofs, and Legal Theories, op. cit., pp. 12–13. 11

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small shareholders does not affect their influence on manager behavior because (i) their shareholding is in many cases still larger than that of other shareholders and (ii) the levels of shareholder-meeting attendance and vote engagement are usually low.14 b) Direct communication with the management of portfolio companies As already noted, the anticompetitive effects of horizontal shareholding do not require direct communication between the funds and their portfolio companies. There is nevertheless evidence that such communication is quite common and preferred to formal shareholder meetings.15 The central topic in shareholder communication seems to be price increases rather than market-share maximization.16 c) Executive compensation Executive compensation is an effective mechanism to shape the portfolio companies’ strategy. Tying executive compensation to the performance of the market instead of to the performance of the firm aligns the managers’ interests with those of horizontal shareholders, thus leading to a weakening of competition.17 Under such conditions there is a parallel increase in the profits of institutional investors and in management compensation. This alignment could harm non-diversified investors, who would rather favor better performance through more aggressive competition at the expense of the remaining competitors.18 In this sense, the passivity 14 See OECD, Common Ownership by Institutional Investors, op. cit., p. 22, para 54. See also Schmalz in “Pro Market”, 16.12.2016, https://promarket.org/threats-competitioncommon-ownership-asset-managers-qa-martin-schmalz/. 15 Pawliczek/Skinner/Zechman, op. cit., posit that due to legal concerns managers prefer public disclosure to explicit conversations as a means to coordinate business conduct. 16 See Elhauge, Horizontal Shareholding, op. cit. 1307; Elhauge, The Growing Problem of Horizontal Shareholding, op. cit., p. 5. See also Schmalz in “Pro Market”, 16.12.2016, op. cit., with examples of “engagement” conversations between mutual funds and their portfolio firms. 17 See Anton/Ederer/Giné/Schmalz, Common Ownership, Competition and Top Management Incentives, European Corporate Governance Institute, Finance Working Paper No 511/2017, 2018, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2802332. See also Elhauge, New Evidence, Proofs, and Legal Theories, op. cit., p. 15. Elhauge, The Causal Mechanisms, op. cit., pp. 10–13, 12; Liang, Common Ownership and Executive Compensation (10/2016), https://acfr.aut.ac.nz/__data/assets/pdf_file/0008/58085/43082L-Liang-Common_ownership_V2.pdf. But see Walker, Common Ownership and Executive Incentives: The Implausibility of Compensation as an Anticompetitive Mechanism, B.U.L.Rev. 99: 2373, 2399 et seq. (2019); Schwalbe, Common Ownership und Wettbewerb – der Stand der Diskussion, WuW 2020, 130 and 191, 136–137. 18 OECD, Common Ownership by Institutional Investors, op. cit., p. 26 (para 71).

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of institutional investors may be viewed as a factor lessening competition.19 3. The rebuttal – Index funds as a powerful force for the “democratization of investment” The criticism of common shareholdings did not remain without reply by institutional investors. In a paper analyzing the relation between index investing and common shareholdings, members BlackRock’s senior management expressed the view that index funds have become a powerful force for the “democratization of investment”, since “they make broadly diversified index portfolios accessible to even the smallest investor, serving to help reduce complexity, lower costs, and provide a degree of protection against overexposure to the risk of individual stocks”.20 As regards the causal mechanisms, the BlackRock paper disputes that direct communication with the management results in weaker competition between portfolio companies. It also submits that portfolio managers do not vote on competitive strategy and that they do not act as specifically activist or passive shareholders, instead usually taking a middle approach as research shows.21 Furthermore, the paper argues that executive compensation schemes are unlikely to affect competition between common portfolio firms and that more research is necessary in order to clarify the factors determining executive compensation.22 Finally, the paper rejects the view that managers will be unwilling to increase their company’s market share upon determining that their shareholders participate in rival firms; this is explained by the rationale that while price increases may increase the stock value of portfolio companies in one market, they reduce at the same time consumer spending in other markets, thus reducing profits and the stock value of companies which are also in asset managers’ portfolios.23 The conclusion the BlackRock officials draw from the above is that proposals which limit the voting ability of fund managers and permit invest19 See Elhauge, The Growing Problem of Horizontal Shareholding, op. cit. p. 6. See also OECD, Common Ownership by Institutional Investors, op. cit., pp. 27–28, paras 81– 83. 20 Novick/Edkins/Garvey/Madhavan/Matthews/Sethi, Index Investing and Common Ownership Theories, March 2017, p. 1, https://www.blackrock.com/corporate/literature/ whitepaper/viewpoint-index-investing-and-common-ownership-theories-eng-march.pdf. See also Novick σε OECD, Summary of Discussion of the Hearing on Common Ownership by Institutional Investors and its Impact on Competition, DAF/COMP/M/(2017) 2/FINAL, pp. 5–7. 21 Novick et al, p. 8 citing Mallow/Sethi, Engagement: The Missing Middle Approach in the Babchuk-Strine Debate, 12 NYU JLB 385 (2016). 22 Id., pp. 10–11. 23 Id., pp. 11–12.

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ment diversification only between firms of different markets (and not also between firms of the same market) increase risk and decrease returns in the fund portfolios.24

ΙΙ. Horizontal shareholding under US antitrust law Perhaps the most discussed proposals for dealing with the horizontal shareholding problem under US antitrust law are the following: (a) According to Elhauge, horizontal shareholdings may be illegal not only under sec. 7 Clayton Act25 but also under sec. 1 Sherman Act:26 Sec. 7 Clayton Act bans any stock acquisition resulting in horizontal shareholding with actual or likely anticompetitive effects. Acquisition of control or influence over business activities is not required for the application of sec. 7 Clayton Act. Moreover, horizontal shareholding falls within the scope of sec. 1 Sherman Act, since it involves contracts between portfolio firms and common shareholders. (b) In order to avoid discouraging institutional investors from getting involved in the corporate governance of portfolio companies, Rock/ Rubinfeld27 advocate the introduction of guidelines for diversified shareholders. The guidelines provide for a merger control safe harbor for investors holding 15% or less of a company’s shares without a representative on the board of directors and without engagement in corporate governance activities reaching beyond the normal engagement.28 The choice of 15% as threshold for the safe harbor is explained by the fact that antitrust authorities have not challenged acquisitions of less than 20%, the level which is generally required in order to place a member on a company’s board of directors.29 24

Id., pp. 12–15. Elhauge, Horizontal Shareholding, op. cit., 1302–1304. But see Baker, Overlapping Financial Investor Ownership, Market Power, and Antitrust Enforcement: My Qualified Agreement with Professor Elhauge, 129 Harv. L. Rev. Forum 212 (2016). See also Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., pp. 38 et seq.; Scott Morton/Hovenkamp, Horizontal Shareholding and Antitrust Policy, 127 Yale L.J. 2026 (2018). 26 Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., pp. 52–56. 27 Rock/Rubinfeld, Antitrust for Institutional Investors, NYU Law School, Law & Economics Research Paper Series No. 17–23, 2017, https://papers.ssrn.com/sol3/papers. cfm?abstract_id=2998296. A narrower safe harbor based on the Modified HerfindahlHirschman Index (MHHI) has been proposed O’Brien/Waehrer, The Competitive Effects of Common Ownership: We Know Less than We Think, 2017, https://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=2922677. 28 Rock/Rubinfeld, Antitrust for Institutional Investors, op. cit., pp. 42 et seq. 29 Id., pp. 27–32. 25

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(c) The purpose of the Posner/Scott Morton/Weyl30 proposal is to prevent disruption to equity markets which could be caused by the application of sec. 7 Clayton Act in a way that would not take into account these markets’ inherent unpredictability. This proposal intends not only to prevent a tightening of the links between companies having common shareholders but also to achieve competitive conditions in oligopolistic markets by eliminating such links and promoting changes in the institutional investors’ holding patterns. Accordingly, the proposal does not focus on the percentage of the shares of a portfolio company owned by institutional investors but on (i) the structure of the market on which the investment takes place and (ii) the market share of the portfolio companies. Consequently, an institutional investor with a diversified portfolio may not hold more than a 1% share of an oligopolistic market, unless it is a free-standing index fund that commits to being purely passive.31 Which markets should be considered oligopolistic would be assessed by the DOJ and the FTC, which would have to develop a relevant list annually. It follows from the above that the Posner et al. proposal addresses the issue it is supposed to deal with, i.e. the competition issue, not by introducing a safe harbor, below which institutional investors would escape merger control, but by granting them an incentive to invest in single competitors.32

ΙΙΙ. Dealing with horizontal shareholding under EU competition law 1. Is the available legal framework adequate? a) The EU Merger Regulation 139/2004 According to Elhauge,33 the scope of application of EU merger control (Regulation 139/2004) may prima facie seem narrower compared to that of sec. 7 Clayton Act – since it requires the acquisition of control – but it is nonetheless applicable to concentrations that create horizontal shareholdings with anticompetitive effect. Specifically, he takes the view that a series of acquisitions allowing a set of horizontal shareholders to collectively exer-

30 Posner/Scott Morton/Weyl, A Proposal to Limit the Anti-Competitive Power of Institutional Investors, 2017, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2872754. 31 Id., pp. 33 et seq. 32 See Schmalz in OECD, Common Ownership and Competition: Facts, Misconceptions, and What to Do About It, DAF/COMP/WD(2017)93, 2018, p. 12; Schmalz, Common-Ownership Concentration, op. cit., p. 29. 33 Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., pp. 56–63.

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cise decisive influence over target-companies – possibly because other shareholders are dispersed – may be subject to merger control. However, as Elhauge acknowledges, such control would require an expansive interpretation of the notion of joint control, which would accept its existence even without stable coalitions34 or extensive commercial links between minority shareholders.35 In any event, under the current merger control status, a passive strategy of institutional investors cannot establish control over portfolio companies and therefore falls outside of the scope of Regulation 139/2004.36 The fact that institutional investors are shareholders in companies which compete on a tight oligopolistic market does not necessarily mean that these companies give rise to a position of collective dominance. It is highly unlikely that horizontal shareholding, with the common shareholders being the only link between the portfolio companies, would fulfil the requirements for a finding of a collective dominant position as analyzed in the judgments Airtours37 and Bertelsmann & Sony/IMPALA.38 b) The applicability of Articles 101 and 102 TFEU Referring to the Philip Morris judgment, Elhauge submits that the agreement to acquire a minority shareholding, even if it appears to be a “passive investment”, can nevertheless violate Art. 101 TFEU “if it has the object or effect of influencing the competitive behavior of companies on the relevant market”.39 However, as held in the Order of the President of the Court of First Instance in Aer Lingus, Article 101 is difficult to apply in cases in which the infringement in question arises from the acquisition of shares on the market and, therefore, the necessary meeting of minds cannot be estab-

34 But see Commission Consolidated Jurisdictional Notice under Council Regulation (EC) No 139/2004 on the control of concentrations between undertakings (2008/C 95/01), paras 79–80. 35 Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., pp. 57 et seq., 59. On the importance of commercial links, see e.g. Bellamy/Child, European Union Law of Competition, 8th ed. 2018, para 8.241. 36 See Ezrachi/Gilo, EC Competition Law and the Regulation of Passive Investments Among Competitors, 26 Oxford Journal of Legal Studies 327, p. 337 (2006). 37 GC Judgment of 6.6.2002 (case T-342/99) Airtours/First Choice, ECLI:EU:T:2002: 146, para 62. 38 CJEU judgment of 10.7.2008 (case C-413/06 P) “Bertelsmann & Sony Corporation of America v. IMPALA”, ECLI:EU:C:2008:392, paras 119 et seq. See also Fadiga, Horizontal shareholding within the European competition law framework: assessment and a way forward, (2019) 40 E.C.L.R., 157, p. 163. 39 Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., p. 60 with reference to CJEU judgment of 17.11.1987 (cases C-142 & 156/84) British-American Tobacco Company Ltd and R.J. Reynolds Industries Inc. v. Commission, ECLI:EU:C:1987:490, para 45.

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lished.40 Approaching, alternatively, horizontal shareholding as a concerted practice would not be effective, since common shareholders can “structurally lead businesses to compete less vigorously” without the need of communication between their managers.41 In other words, capturing anticompetitive effects caused by common shareholding as concerted practices will be almost as difficult as capturing as a concerted practice parallel behavior attributable to an oligopolistic market structure. Whether the lack of communication can be replaced by the indirect link of common shareholding, which influences the portfolio companies’ competitive behavior,42 is yet another argument for an expansive interpretation of Art. 101 justifying serious skepticism.43 As regards the application of Article 102 TFEU it is, in view of Philip Morris, possible44 but unlikely to hold the acquisition of a minority shareholding by an institutional investor as constituting an abuse. As stated by the Commission in its White Paper “Towards a more effective merger control”, the circumstances under which the Commission can intervene against competitive harm arising from acquisitions of minority shareholdings are quite narrow, considering that the acquirer would need to hold a dominant position and the acquisition would need to constitute an abuse.45 In cases of horizontal shareholding, where the institutional investor as acquirer will usually have no dominant position, and in addition this position will not be strengthened through minority shareholding in a company active on a different market, the application of Article 102 is even more unlikely than in cases of cross shareholding.

40 Order of the President of the Court of First Instance of 18 March 2008 (case T411/07) Aer Lingus Group plc v Commission of the European Communities, ECLI:EU:T: 2008:80, para 104. See also Rubinfeld in OECD, Summary of Discussion of the Hearing on Common Ownership by Institutional Investors and its Impact on Competition, DAF/COMP/M(2027)2/ANN3/FINAL, 2018, p. 11. 41 See Elhauge, The Causal Mechanisms, op. cit., p. 21: “the problem lies in the structural incentives created by horizontal shareholdings in concentrated markets, just as the problem with anticompetitive mergers and cross-shareholdings lies in the structural incentives they create”; Schmalz in “Pro Market”, op. cit.: “The whole trick of common ownership is that you need no collusion for higher prices to obtain, because common ownership reduces the incentives to compete in the first place”. On the inability of Art. 101 TFEU to capture any unilateral effects of passive investment and tacit collusion see Corradi/Tzanaki, Active and Passive Institutional Investors: Is EU Competition Law Ready?, CPI 2017, p. 7, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=29965 18. 42 As argued by Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., p. 60. 43 See Zimmer, Common Ownership, WuW 2019, p. 1. See also Fadiga, op. cit., pp. 161–162. 44 CJEU judgment of 17.11.1987 (cases C-142 & 156/84), para 65. 45 COM (2014) 449 final, para 40.

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It is further suggested that Article 102 be enforced as a ban on collective abuse of dominance through excessive pricing.46 In this respect, Elhauge proposes a novel approach to excessive pricing which renders unnecessary the comparison of the prices in question with the hypothetical competitive prices. In his view, oligopoly pricing cannot be abusive because “such price interdependence arises from the unavoidable act of offering prices, an act that is necessary to compete at all, and thus it is impossible to define the illegal conduct that the price-coordinating firms are supposed to avoid”.47 Contrary to oligopoly pricing, excessive pricing caused by horizontal shareholding can be banned as abusive because horizontal shareholding does not reflect an unavoidable act, like pricing. Holding leading shares in competing companies is neither unavoidable nor necessary for market competition. What is more, such shareholding creates contractual and structural links between competitors, thus resulting in a lessening of competition and price increases, even without any coordination. Under this approach, excessive pricing caused by horizontal shareholding would be tackled by “prohibiting horizontal shareholding when it creates a collective dominance that leads to anticompetitive pricing”. Defining abuse in such a way would attribute to Article 102 a meaning which has not been adopted in respect of excessive pricing so far. In short, Elhauge’s interpretation of Article 102 views oligopoly excessive pricing almost as a natural phenomenon which can hardly constitute an abuse, while he considers abusive “anticompetitive pricing” resulting from a collective dominance created by a horizontal shareholding. However, horizontal shareholding pricing and oligopoly excessive pricing face similar difficulties. The control of the latter is rather rare because it is hard to establish that the prices in question are not only excessive but also unfair, meaning that the Commission will have to prove that the excessive prices are significantly and persistently above the normal competitive prices and are therefore unfair.48 It is highly unlikely that the Commission or the EU courts would quasi automatically consider abusive any price above the competitive level just because it is the result of horizontal shareholding, especially when price increases attributed to horizontal shareholding may be around 5%, as those recorded in the airline industry.49

46 See for what follows, Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., pp. 61–63. 47 Id., p. 62. 48 See Whish/Bailey, Competition Law 9th ed. 2018, pp. 738–743, 741; Bellamy/Child, op. cit., para 10.117 et seq. both with analysis of the Commission practice and the CJEU case law. See also the rather recent CJEU judgment of 14.9.2017 (case C-177/16) AKKA/ LAA, ECLI:EU:C:2017:689, para 55. 49 See Azar/Schmalz/Tecu, op. cit. 37 “we find that product prices are 3–11% higher because of common ownership, compared to a counterfactual world in which firms are separately owned”.

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Last but not least, it should be noted that the prohibitions of Articles 101 and 102, i.e. behavioral and ex post rules, are inadequate means for tackling a structural problem since they neither prevent nor eliminate the cause of anticompetitive effects. As Elhauge rightly notes “because horizontal shareholding in concentrated markets is a structural problem, the only effective remedy is preventing or undoing that anticompetitive structure”.50 2. Horizontal shareholding: Should legislators proceed with a new legal framework or wait for more reliable evidence on its anticompetitive effects? The discussion on the competitive effects of horizontal shareholding has attracted the interest of economic and legal theory in the US – but not of the antitrust authorities, which have publicly expressed their unwillingness to accept the theories of harm established in respect of horizontal shareholding.51 On the other side of the Atlantic, the EU Commission has dealt with the effects of common shareholding in the agrochemical industry, in particular on R&D, when examining the concentration Dow/DuPont. The Commission observed that (i) market shares and concentration measures, such as the HHI, underestimate the market concentration and the market power of the parties because they do not take into consideration the likely anticompetitive effects resulting from the existence of common shareholders and (ii) common shareholdings should be taken as a contextual element in the appreciation of any significant impediment of competition raised in the decision.52 To be sure, the Commission’s interest in horizontal shareholding in the Dow/DuPont and Bayer/Monsanto merger cases, although positive, does not directly and globally deal with the matter. It is worth noting that the Monopolkommission in its 22nd Hauptgutachten approves the Commission’s position in Dow/DuPont and advises the Bundeskartellamt to take into account the links between the parties’ shareholders in merger cases.53 Is this reaction sufficient for the “greatest anticompetitive threat of our time”? True, the studies which raised the common shareholding issue have been criticized and new empirical evidence and economic proof on its anti50

Elhauge, The Causal Mechanisms, op. cit., p. 21. See Inderst/Thomas, Common Ownership and Mergers between Portfolio Companies, Version of 23.7.2019, p. 5, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=342 5856. 52 Decision of 27.3.2017, Μ. 7932 – Dow/DuPont, Annex 5, paras 6 and 7 (81). See also the Decision of 21.3.2018, Μ.8084 – Bayer/Monsanto, in particular para 228 with reference to the relevant part of the Dow/DuPont decision. 53 Monopolkommission, op. cit., para 541; compare Rock/Rubinfeld, Common Ownership and Coordinated Effects, op. cit., p. 32 et seq. who find the Commission’s analysis unconvincing. 51

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competitive effects have been presented, which for its part has also not been generally accepted.54 According to the view which seems to prevail today, horizontal shareholding may restrict competition, but more research on the causal link between horizontal shareholding and restrictions of competition is needed before taking measures to tackle it.55 But, is it realistic to expect convergence of the different theoretical views on the interpretation of empirical evidence?56 Furthermore, does the difference of views in economic and legal theory validly excuse the passivity of competition authorities and/or legislators, or is it simply a way for them to escape their responsibilities?57 Inaction against a business practice that appears to pose a substantial risk for competition looks unjustifiable at first sight. However, also unjustifiable is the impetuous introduction of regulatory measures.58 More compatible with the horizontal shareholding issue are ad hoc measures based on the view that horizontal shareholdings do not by definition restrict competition. 54

See in particular Elhauge, New Evidence, Proofs, and Legal Theories, op. cit. See e.g. Monopolkommission, op. cit., para 540; OECD, Common ownership by institutional investors and its impact on competition – Note by Germany, DAF/COMP/ WD(2017)87 https://one.oecd.org/document/DAF/COMP/WD(2017)87/en/pdf, p. 7 para 22; Baker, op. cit., p. 223; O’Brien/Waehrer, op. cit.; Zimmer, op. cit., and recently a series of articles in the Antitrust Chronicle 2019, Vol. 2(2), Common Ownership Revisited https://www.competitionpolicyinternational.com/wp-content/uploads/2019/05/AC_May _2.pdf, such as Ginsburg, Interview, p. 7; O’Brien, The Competitive Effects of Common Ownership: Theory, Applications, and Mis-Applications, p. 16; Lampert/Sykuta, Are the Remedies for the Common Ownership Problem Worse Than the Disease? Assessing the Likely Decision and Error Costs of Proposed Antitrust Interventions, p. 49 et seq.; See also Lampert/Sykuta, The Case for Doing Nothing About Institutional Investors’ Common Ownership of Small Stakes in Competing Firms, University of Missouri School of Law Legal Studies Research Paper No. 2018-21, https://papers.ssrn.com/sol3/papers. cfm?abstract_id=3173787; Schwalbe, op. cit. 56 According to Elhauge, New Evidence, Proofs and Legal Theories, op. cit., 23, “some empirical studies find adverse price effects in airline and banking markets, other studies find effects in those markets unclear. But it is always possible to create statistically insignificant results if one modifies the data and analysis in ways that distort the results. When (as here) a major industry is affected, one can be sure that such modified studies will be conducted. To say that effects are unclear whenever some studies find unclear effects is to say that any industry that wants to deny the existence of effects in order to avoid regulation wins the debate by simply paying someone to run a study modified to find unclear effects. This “Merchants of Doubt” strategy has been highly successful for many industries seeking to avoid or delay regulation of harmful conduct, but that does not make it valid as a basis for policy”. 57 Id., pp. 23 et seq. on the various excuses for Inaction; Elhauge, How Horizontal Shareholding Harms Our Economy, op. cit., 37. 58 Compare Hemphill/Kahan, The Strategies of Anticompetitive Common Ownership, Yale L.J. 129:1392 (2020), https://ssrn.com/abstract=3210373, who take the view that to follow the principle “better safe than sorry” and eliminate common concentrated ownership would create a significant loss of procompetitive effects such as efficiency improvements and profitable price reductions, resulting in welfare gains (pp. 1445 et seq.). 55

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Conversely, generally applicable measures require a careful study of their impact not only on competition but also on the functioning of capital markets. In this respect one could take into consideration two ways in which legislators could approach the anticompetitive effects of horizontal shareholding. They are discussed in the following section. 3. Two possible ways to deal with horizontal shareholdings a) A mild intervention: Widening the scope of application of the EU Merger Regulation 139/2004 Provided that horizontal shareholding is primarily a structural problem it appears adequate to approach it with a structural measure, such as widening the scope of EU merger control. Such an approach would go beyond taking into account the links of the parties’ shareholders when examining a merger, as in the cases of Dow/DuPont and Bayer/Monsanto. It would focus on highly concentrated markets and provide for the introduction of a duty to notify acquisitions of more than, for example, 5% in leading companies. The application of Regulation 139/2004 would not require that the stock acquisition leads to the acquisition of control of another company; it would, however, include the complicated task of proving that the acquisition of a minority shareholding would substantially restrict competition on the relevant market. As already observed, horizontal shareholding does not a priori have a negative impact on competition, and even if it does, this impact may be minimal for reasons related to a number of factors, e.g. product differentiation on the relevant market, shareholder incentives, managerial objectives.59 Widening the scope of EU merger control would assess horizontal shareholdings in appropriate situations on a case-by-case basis, taking into consideration their particularities. Such a legislative initiative would grant the Commission the power to intervene against certain acquisitions but also the possibility to gain insight into tight oligopolies, without imposing substantial burdens on institutional investors and the portfolio companies concerned. It would also permit the Commission to find out whether the problem of horizontal shareholding and its anticompetitive effects is as grave in Europe as it is supposed to be in the US. However, it would not affect already existing horizontal shareholding leading to a lessening of competition. 59 See Patel, op. cit., pp. 27 et seq., 34 et seq.; Patel, Common Ownership and Antitrust: Eight Critical Points to Guide Antitrust Policy, Antitrust Chronicle 2019, Vol. 2(2), op. cit., p. 9. On the case-by-case assessment of horizontal shareholdings, see also Inderst/Thomas, op. cit.; Inderst/Thomas, Price Pressure Indices, Innovation and Mergers Between Commonly Owned Firms (24.7.2019), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm? abstract_id=3426336.

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b) A more drastic intervention – A dilemma between protection of competition and freedom to choose among different investment products Supposing that a rule such as the one described above were adopted and its application showed that more drastic measures would be necessary to capture horizontal shareholding effectively, the following approach – influenced by the Posner et al proposal – could be put to discussion. It should be pointed out preliminarily that any rule aiming at the control of horizontal shareholding should not directly affect institutional investors – by interfering in their executive compensation policy, communications with portfolio companies or voting rights – since such issues are usually governed by legal regimes outside the EU. Instead, the EU legislature could introduce rules related to the composition of the investment products offered by the institutional investors in the EU.60 It could, for instance, provide that no mutual fund shares could be traded in the EU if the funds in question invested in more active on certain highly concentrated markets as predefined by the Commission, i.e. markets with a concentration exceeding a certain value as measured by a commonly accepted index, such as MHHI. Where the oligopoly consists of a group of leading companies and some smaller ones, the trading restrictions would concern only the former. The introduction of such a rule would tackle a restriction of competition which does not constitute an infringement of EU competition law. It would, in other words, be an example of regulation in place of competition similar to that of the EU Roaming Regulation 717/2007.61 Having realized that it would be problematic to attack the pricing policies of mobile operators as abusive, the Commission sought a voluntary reduction of roaming tariffs. When this attempt failed, the Commission published a Proposal for a Roaming Regulation which imposed a maximum price for wholesale access services and a limit on the permissive retail mark-up. The Proposal was approved by the Parliament and Council and entered into force in June 2007.62 The requirements for the validity of regulatory measures are described in detail in the Vodafone judgment, in which the CJEU dealt with the question

60 Compare Posner/Scott Morton/Weyl, op. cit. p. 35, for the opposite side of the view expressed here: “our proposal would not restrict diversification into firms that primarily sell in foreign countries”. 61 Regulation 717/2007 of the European Parliament and of the Council of 27 June 2007 on roaming on public mobile telephone networks within the Community and amending Directive 2002/21/EC (OJ L171/32, 29.6.2007). The Regulation was amended by Regulation 544/2009, which extended its scope to text messages and internet data roaming. Regulation 531/2012 extended the Roaming Regulation until 2022. See Dunne, Competition Law and Economic Regulation, 2015, p. 184. 62 See Dunne, op. cit., pp. 179 et seq. on the preparation of the Roaming Regulation.

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whether the Roaming Regulation infringed the principles of proportionality and subsidiarity because it imposed a ceiling not only for wholesale charges per minute, but also for retail charges, and that it imposed an obligation to provide information about those charges to roaming customers.63 The Court stressed that the EU legislature must base its choice on objective criteria and that in assessing the burdens associated with various possible measures, it “must examine whether objectives pursued by the measure chosen are such as to justify even substantial negative economic consequences for certain operators”.64 Attaching special importance to the fact that the Commission carried out an exhaustive study before drafting the regulation and that it examined various options (including, inter alia, the option of regulating retail charges only, or wholesale charges only, or both) and that it assessed the economic impact of those various types of regulation and the effects of different charging structures,65 the Court held that “in the light of the importance of the objective of consumer protection within the context of Article 95(3) EC, intervention that is limited in time in a market that is subject to competition, which makes it possible, in the immediate future, to protect consumers against excessive prices, such as that at issue, even if it might have negative economic consequences for certain operators, is proportionate to the aim pursued”.66 It follows that a legislative initiative such as that of Regulation 717/2007 presupposes a systematic study on the horizontal shareholding effects on competition as well as on the suitability and effectiveness of the proposed measures in question. It further requires an investigation into the consumer benefits expected to arise from implementation of those measures and on their possible negative impact on certain categories of undertakings and/or consumers. Finally, there are perhaps other, more proportionate measures that could be taken into consideration. Balancing the benefits against the harm which may result from the proposed measures is of particular interest in the case of horizontal shareholding. The main argument against a proposal aiming at limiting the investors’ choice to the shares of only one company in highly concentrated markets is that it also limits the investors’ possibility to reduce investment risk.67 It seems, therefore, that there is a conflict between the protection of competition and the freedom to choose among different investment products. Is this conflict as serious as it appears at first sight? 63 CJEU judgment of 8.6.2010 (case C-58/08) Vodafone et al v. Secretary of State for Business, Enterprise and Regulatory Reform, ECLI:EU:C:2010:321. 64 Ibid., para 53. 65 Ibid., para 55. 66 Ibid., para 69. 67 See e.g. Lampert/Sykuta, The Case for Doing Nothing About Institutional Investors’ Common Ownership, op. cit. pp. 48–49, Lampert/Sykuta, Are the Remedies for the Common Ownership Problem Worse Than the Disease? op. cit., p. 53.

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The answer is most probably in the negative. First, the conflict concerns a limited number of markets and among them only those where institutional investors hold shares in more than one competitor. Second, risk-reducing diversification can be achieved not only by investing in shares of competing companies but also by investing in shares of companies active in different relevant markets. Whether the latter manner of diversification is as effective as the former has been disputed.68 It should nevertheless be born in mind that limiting investment to one company in highly concentrated markets strengthens institutional investors’ ability to improve management efficiency and benefit shareholders without harming competition and consumers.69 True, it could be argued that the choice of one company per market would grant it a privilege in comparison with those not selected. However, it is not obvious that all institutional investors will choose to invest in stock of the same company. Further, selection is a conceptual element of competition and should be accepted also in this context. In any event, as Schmalz points out, index funds benefit their investors, but so do monopolies, which benefit their shareholders by increasing prices and restricting output, causing harm to consumers and the economy. Competition authorities do not overlook the negative effects of monopoly practices because of their benefits to shareholders. For the same reason neither the competition authorities nor the legislature is justified in overlooking the negative impact of horizontal shareholdings on competition because of their positive effects on certain undertakings and investors.70 Moreover, using regulatory measures in order to deal with horizontal shareholdings would not cause significant harm to “ordinary investors” by restricting some financial products. The number of households investing in index funds and likely to suffer some loss from lower asset prices is in practice very small compared to the number of consumers who would benefit from reduced prices due to increased competition. Therefore, “in aggregate, the fall in equity prices would be more than compensated for by increases in consumer surplus, and increases total welfare”.71 The regulatory measures at issue would better comply with the principle of proportionality if they were introduced for a limited period of time, after

68 Compare Novick/Edkins/Garvey/Madhavan/Matthews/Sethi, op. cit., pp. 4–5 with Posner/Scott Morton/Weyl, op. cit., p. 35. See also Fadiga, Horizontal shareholding within the European Competition Law Framework: Discussion of the proposed solutions, (2019) 40 E.C.L.R., pp. 284 et seq., 288. 69 Elhauge, Horizontal Shareholding, op. cit., pp. 1314–1315. 70 Schmalz in OECD, Common Ownership and Competition, op. cit., p. 10, para 25. 71 Id., p. 10, para 26. See also Posner/Scott Morton/Weyl, op. cit., pp. 40 et seq., 43: “our modest policy would generate enormous social gains by reducing anticompetitive behavior while causing only trivial losses in diversification, and very likely improving corporate governance”.

Horizontal Shareholding and EU Competition Law

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which their effects would be evaluated and their duration possibly extended. It should be noted that the limited (three-year) duration of the Roaming Regulation positively influenced the CJEU’s conclusion in the Vodafone case that the Regulation was proportionate to the aim pursued.72 4. Conclusion In conclusion, a cautious – rather than ambitious – approach that attempts to deal with horizontal shareholding not as the greatest anticompetitive threat of our time but as a risk of variable degree for the functioning of certain highly concentrated markets is not very likely to cause type I competition policy mistakes (false positives) and thus to harm investors, institutional entities or natural persons. This would hold true even if the risks the adopted measures seek to tackle do not turn out to be as serious as anticipated.

72 Case C-58/08 Vodafone et al v. Secretary of State for Business, Enterprise and Regulatory Reform, ECLI:EU:C:2010:321.CJEU, op. cit., para 69.

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Dimitris Tzouganatos

Transparenz über nachhaltige Investments und Nachhaltigkeitsrisiken

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Transparenz über nachhaltige Investments und Nachhaltigkeitsrisiken Rüdiger Veil

Transparenz über nachhaltige Investments und Nachhaltigkeitsrisiken – ist die europäische Gesetzgebung zu kurz gesprungen? RÜDIGER VEIL

I. Einführung Die Schutzbedürfnisse der Anleger bei der Kapitalanlage sind das zentrale Thema der Habilitationsschrift von Klaus Hopt über den „Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken“. Das Risiko der Substanzerhaltung und die Informationsasymmetrien zwischen Emittent und Anleger erfordern – so Klaus Hopt – eine Allgemeinpublizität (gegenüber dem Kapitalmarkt) und eine Individualpublizität (im Beratungsgespräch zwischen Bank und Kunde).1 Diese Erkenntnisse sind heute noch aktuell. Die Offenlegung wertpapierrelevanter Informationen und die Aufklärung von Anlegern durch Intermediäre beschäftigen Wissenschaft, Politik und Praxis auch 45 Jahre nach Erscheinen der Habilitationsschrift des Jubilars. Die Risiken der Kapitalanlage haben sich freilich gewandelt. Heute beschäftigt uns, dass physische und transitorische Umweltrisiken einen wichtigen Ausschnitt des Risikos der Substanzerhaltung eines Finanzprodukts sind. Zudem wollen Anleger vermehrt ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten fördern. Daraus resultieren besondere Informationsinteressen der Anleger: Wie „grün“ ist das Finanzprodukt wirklich? Die Politik hat sich der Thematik erst vor wenigen Jahren angenommen. Die Teilnehmer der UN-Klimakonferenz in Paris verständigten sich im Jahr 2015 darauf, dass „Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden sollten mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung.“2 Die Europäische Kommission machte ein Jahr später darauf aufmerksam, dass in der Europäischen Union Investitionen i.H.v. 180 Mrd. EUR jährlich erforderlich seien, um die Ziele des Pariser Abkommens erreichen zu können.3 Sie schlug 1

Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 82 ff. Art. 2 Abs. 1 lit. c) Pariser Übereinkommen. 3 Europäische Kommission, Mitteilung „Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft“, 22.11.2016, COM(2016) 739 final. 2

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daher am 24. Mai 2018 ein Legislativpaket vor, um ökologisch nachhaltige Kapitalanlagen weitgehend einheitlich für die EU zu regeln. Mit diesen Maßnahmen soll ökologische Nachhaltigkeit als ein wichtiger Aspekt der Kapitalanlage im Beratungs- und Investitionsprozess gestärkt werden. Das Legislativpaket hat zwei Herzstücke.4 Von zentraler Bedeutung ist zunächst der Vorschlag für eine Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (sog. TaxonomieVO)5. Mit diesem Gesetzgebungsakt soll u.a. die grundlegende Frage geregelt werden, wie die ökologische Nachhaltigkeit von Investitionen rechtsverbindlich bestimmt werden kann.6 Der Vorschlag der Kommission legt sechs Umweltziele7 fest und bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Wirtschaftstätigkeit erheblich zu den Umweltzielen beiträgt.8 Die Anforderungen sollen durch technische Evaluierungskriterien konkretisiert werden, die von der Europäischen Kommission in delegierten Rechtsakten verabschiedet werden sollen.9 Eine weitere zentrale Maßnahme ist der Vorschlag einer Verordnung über die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken.10 Die Europäische Kommission will erreichen, dass 4 Die Europäische Kommission schlug ferner eine Verordnung über Benchmarks für CO2-arme Investitionen und Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz vor (vgl. COM(2018) 355 final). Das Europäische Parlament und der Rat haben diese Verordnung mittlerweile verabschiedet. 5 COM(2018) 353 final. 6 Der Kommissionsentwurf beschränkt sich darauf, Umweltziele zu bestimmen und Kriterien für ökologisch nachhaltige Tätigkeiten festzulegen. Er sieht keine sozialen Ziele vor und definiert auch nicht, was unter einer sozial nachhaltigen Tätigkeit zu verstehen ist. In der Zukunft soll geprüft werden, ob die Verordnung auf soziale Nachhaltigkeitsziele ausgedehnt und eine Sozialtaxonomie entworfen werden sollte. Vgl. Erwägungsgrund 35. 7 Art. 5 Taxonomie-VO-KOM legt folgende Umweltziele fest: a) Klimaschutz; b) Anpassung an den Klimawandel; c) nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen; d) Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling; e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung; f) Schutz gesunder Ökosysteme. 8 Eine Investition gilt als ökologisch nachhaltig, wenn die folgenden Kriterien erfüllt sind: Erstens muss die Wirtschaftstätigkeit wesentlich zur Verwirklichung eines oder mehrerer der Umweltziele beitragen. Zweitens darf die Wirtschaftstätigkeit zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Umweltziele führen. Die Wirtschaftstätigkeit muss drittens unter Einhaltung eines Mindestschutzes ausgeübt werden. Damit sind bestimmte internationale Abkommen gemeint, die beispielsweise dem Menschenrechtsschutz verpflichtet sind. Viertens muss die Wirtschaftstätigkeit im Einklang mit technischen Evaluierungskriterien stehen. Diese Kriterien sollen von der Europäischen Kommission in delegierten Rechtsakten festgelegt werden. 9 Die Taxonomie-VO war rechtspolitisch hoch umstritten. Der Durchbruch gelang am 6. Dezember 2019. Das Verhandlungsteam des Europäischen Parlaments akzeptierte an diesem Tag einen Kompromissvorschlag des Ministerrats. 10 COM(2018) 354 final.

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Finanzmarktteilnehmer ihre ESG-Strategien bekannt machen und über Nachhaltigkeitsrisiken aufklären müssen. Das Europäische Parlament und der Rat haben diesen Gesetzgebungsakt noch im Jahr 2019 verabschiedet. Es ist erklärtes Ziel der Verordnung (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor,11 dazu beizutragen, dass die Ziele des Übereinkommens von Paris erreicht werden.12 Was ist von den neuen Regeln zu halten? Hat die EU einen Rechtsrahmen geschaffen, der ökologisch nachhaltige Kapitalanlagen fördert? Ich möchte rechtsvergleichend eine Antwort auf die Frage geben. Der französische Gesetzgeber hat bereits im Jahr 2015 umfangreiche und detaillierte Berichtspflichten eingeführt, die nach dem Report-or-explain-Mechanismus für einen Großteil institutioneller Investoren gelten und diese anhalten, ihr Portfolio an den Klimaschutzzielen des französischen Rechts auszurichten. Es soll vor dem Hintergrund des französischen Regelungsvorbilds betrachtet werden, ob die EU ein effektives Regime geschaffen hat und ob den Mitgliedstaaten noch Gestaltungsspielräume verbleiben.

II. Transparenzpflichten für institutionelle Investoren im französischen Recht 1. Berichtspflichten Frankreich führte mit dem sog. Energiewendegesetz für grünes Wachstum13 umfangreiche und detaillierte Transparenzpflichten für bestimmte institutionelle Investoren ein und entwickelte zwei Zertifikate, eines für „grüne“, eines für „soziale“ Investitionen. Ich habe mich mit diesen Regeln in einem Gutachten für das Umweltministerium im Detail auseinandergesetzt und kann mich daher darauf beschränken, die wesentlichen Berichtspflichten zusammenfassend zu präsentieren.14 a) Investorenbezogene Pflichten Institutionelle Investoren (insbesondere Kapitalverwaltungsgesellschaften sowie OGAW und AIF) müssen verschiedene investorenbezogene Bericht11

Verordnung (EU) 2019/2088, ABl. EU Nr. L 317 vom 9.12.2019, S. 1. Vgl. Erwägungsgrund 3 VO 2019/2088. 13 Gesetz Nr. 2015-992 vom 17. August 2015; Art. 173 VI änderte die Bestimmungen des französischen Währungs- und Finanzgesetzes. 14 Ich habe das Gutachten zusammen mit Katrin Deckert (Paris), Jörn Axel Kämmerer (Hamburg) und Christian Voigt (München) im Auftrag des Umweltbundesamts für das Bundesumweltministerium im Jahr 2018 verfasst. Es ist 2019 unter dem Titel „Nachhaltige Kapitalanlagen durch Finanzmarktregulierung“ im Verlag Mohr Siebeck erschienen (im Folgenden als Veil et al., Nachhaltige Kapitalanlagen zitiert). 12

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erstattungspflichten über die Berücksichtigung von ESG-Belangen erfüllen. Diese Pflichten sind nicht revolutionär, denn sie fügen sich in die durch den europäischen Gesetzgeber bereits durch die CSR-Richtlinie15 geschaffenen Offenlegungspflichten für bestimmte Kapitalgesellschaften ein. Institutionelle Investoren haben ihr grundlegendes Konzept über die Berücksichtigung von ESG-Belangen in ihrer Anlagepolitik und -strategie zu beschreiben. Außerdem müssen sie Anleger darüber informieren, wie sie ESG-Belange im Risikomanagement berücksichtigen. Ferner haben Kapitalverwaltungsgesellschaften eine Liste der verwalteten OGAW publik zu machen, die ESG-Belange berücksichtigen. In der Liste ist der prozentuale Anteil des verwalteten Vermögens dieser Organismen an dem von der Verwaltungsgesellschaft verwalteten Gesamtvermögen anzugeben. Diese Offenlegungspflichten werden ergänzt durch eine Informationspflicht über die Mitgliedschaft des institutionellen Investors in ESG-Initiativen. Damit sind Charten, Kodizes, sonstige Initiativen und Labels gemeint, die ESGBelange berücksichtigen. b) Portfoliobezogene Pflichten Der französische Gesetzgeber hat für institutionelle Investoren ferner eine portfoliobezogene Berichterstattung vorgeschrieben.16 Ein institutioneller Investor muss zu klimawandelbezogenen Risiken seines Portfolios Stellung nehmen. Dabei hat er zwischen physischen Risiken und Transitionsrisiken zu unterscheiden.17 Weiterhin muss er die allgemeinen Informationen, anhand derer er die (in seinem Portfolio befindlichen) Emittenten hinsichtlich ESG-Belangen analysiert, offenlegen. Dies können Finanzdaten oder nichtfinanzielle Daten, interne oder externe Analysen sowie Ratings sein. Die Pflicht zur Berichterstattung verlangt von einem Emittenten ferner, sein Portfolio zu bewerten. Wie dies geschehen soll, ist nicht gesetzlich festgelegt. Ein institutioneller Investor ist allerdings verpflichtet, die gewählte Bewertungsmethodik zu beschreiben und zu begründen. Ferner muss er sich dazu erklären, wie ökologisch nachhaltig sein Portfolio ist, namentlich welchen Beitrag es zur Einhaltung internationaler Klimaschutzziele (Begrenzung der Erderwärmung) sowie zur Verwirklichung der Energie- und Ökologiewende in Frankreich leistet. Das französische 15 Richtlinie 2014/95 EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl. EU Nr. L 330, 15.11.2014, S. 1. 16 Rechtsgrundlage ist Art. L. 533-22-1 franz. Währungs- und FinanzG und Art. D53316-1 franz. Währungs- und FinanzG. Vgl. für eine ausführliche Darstellung Veil et al., Nachhaltige Kapitalanlagen, S. 58 ff. 17 Vgl. zur Praxis Ramirez/Thomä/Braschi/Dupré, Lighting the Way to Best Practice. Climate Reporting Award Case Studies, S. 17.

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Recht macht keine materiellen Vorgaben, sondern beschränkt sich darauf, vom institutionellen Investor zu verlangen, selbst indikative Richtwerte festzulegen, anhand derer dieser die Übereinstimmung seiner Anlagepolitik mit den internationalen Klimaschutzzielen (Begrenzung der Erderwärmung), den Zielvorgaben der Europäischen Union sowie der nationalen Dekarbonisierungsstrategie überprüft.18 Es ist insbesondere nicht ausdrücklich geregelt, dass ein institutioneller Investor ein 2°-Szenario als Referenzwert für sein Portfolio zugrunde legen sollte. Vielmehr sollen institutionelle Inverstoren selbst geeignete Szenarien und verhältnismäßige Prozesse entwickeln.19 Die Transparenzpflichten sollen institutionelle Investoren veranlassen, das Portfolio an den Zielen des französischen Umweltschutzrechts und internationaler Abkommen zum Umweltschutz auszurichten. Ein institutioneller Investor hat daher über die Art und Weise zu berichten, wie er die Übereinstimmung seiner Investitionspolitik mit den genannten Zielen überprüft und wie er seinen Beitrag zur Verwirklichung der Umweltziele feststellt und misst.20 Das französische Recht unterwirft einen institutionellen Investor außerdem der Pflicht zur Offenlegung, wie er die Ergebnisse der Analyse in seine Anlagepolitik und -strategie integriert. Dabei hat er zu Anpassungen der Portfoliostruktur und zur Strategie seiner Einflussnahme gegenüber Emittenten (die sich in seinem Portfolio befinden) Stellung zu nehmen. Schließlich sind Gründe für mögliche Abweichungen von selbst gesetzten Richtwerten darzulegen. 2. Report-or-explain-Mechanismus Bei den dargestellten Offenlegungspflichten handelt es sich um gesetzliche Pflichten. Institutionelle Investoren haben daher die investoren- und portfoliobezogenen Informationen publik zu machen. Doch können die Investoren von einer Berichterstattung absehen, wenn sie dies begründen (Report-or-explain-Mechanismus). Institutionelle Investoren sollen einen gewissen Freiraum bei der Berichterstattung haben. Es ist zulässig, dass sie sich zu bestimmten Aspekten nicht äußern.21 Diese Regelungsstrategie ist in der CSR-Berichterstattung nicht neu. Für sie streiten mehrere Gründe. Eine Berichterstattung kann zunächst für einen institutionellen Investor unzumutbar sein, weil die Beratungs- und Finanzindustrie noch keine Standards und Methoden entwickelt hat, die für die Er18

Art. D. 533-16-1 III 4°lit. a) (eigene Richtwerte, Benchmarks). Vgl. die Vorschläge der TCFD, Final Report. Recommendations of the Task Force on Climate-related Financial Disclosures, June 2017, S. 35. 20 Art. D. 533-16-1 III 4°lit. a) (Evaluation der Investitionspolitik). 21 Vgl. Mason/Martindale/Heath/Chatterjee, PRI, French Energy Transition Law, S. 5. 19

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füllung von ESG-Publizitätspflichten nutzbar gemacht werden können.22 Es gibt für einen großen Teil der portfoliobezogenen Informationen noch keine best practices. Ferner bestehen noch nicht für alle Asset-Klassen Methodologien, um Klimarisiken zu beurteilen.23 Es kann daher für einen institutionellen Investor besonders kostenträchtig oder sogar unmöglich sein, sich zu einem bestimmten Aspekt der Umweltbelange zu äußern.24 Ein Reportor-explain-Mechanismus trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Es ist sinnvoll, dass ein institutioneller Investor berechtigt ist, sich zu einem bestimmten investoren- oder portfoliobezogenen Aspekt nicht zu erklären, anstatt Angaben zu machen, die keinen Informationswert besitzen und irreführend sein können. Der Report-or-explain-Mechanismus ist darüber hinaus aus rechtlichen Gründen geboten. Es ist nicht rechtlich gesichert, dass ein institutioneller Investor die detaillierten Berichtspflichten bezüglich seines Portfolios vollständig und durch Angaben mit hoher Aussagekraft erfüllen kann. Weder das Investment- noch das Gesellschaftsrecht gewähren institutionellen Investoren Auskunftsansprüche gegenüber den im Portfolio befindlichen Emittenten. Das deutsche Bilanzrecht räumt einem Mutterunternehmen für die Erfüllung von Berichtspflichten einen solchen Informationszugang ein: Das Mutterunternehmen kann von jedem Tochterunternehmen alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, welche die Aufstellung des Konzernabschlusses, des Konzernlageberichts und des gesonderten nichtfinanziellen Konzernberichts erfordert.25 Eine vergleichbare Regelung gibt es im Finanzmarktrecht nicht. Schließlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Intermediäre, wie beispielsweise Nachhaltigkeits-Ratingagenturen oder andere Datenanbieter, institutionellen Investoren die für die Berichte notwendigen Informationen liefern können.26 22 Vgl. Ramirez/Thomä/Braschi/Dupré, Lighting the Way to Best Practice. Climate Reporting Award Case Studies, S. 13 mit der Feststellung, dass es bislang nur ein Modell gebe, das climate goal alignment messe; ferner Mason/Martindale/Heath/Chatterjee, PRI, French Energy Transition Law, S. 14. 23 Vgl. Delérable/Gazzo/Perez (Ernst&Young), How have investors met their ESG and climate reporting requirements under Article 173-VI?, December 2017, S. 13. 24 Vgl. FCA, Climate Change and Green Finance, Discussion Paper 18/8, October 2018, Rn. 5.21. 25 Vgl. § 294 Abs. 3 Satz 2 HGB. Dieses Auskunftsrecht stößt aber an Grenzen, es ist gegenüber ausländischen Tochterunternehmen nicht durchsetzbar, vgl. Pfaff in Münchener Kommentar HGB, 3. Aufl. 2013, § 294 Rn. 39. 26 Vgl. beispielsweise die Antwort des Fondsmanagers Dominic Byrne von Aberdeen Investments in einem Interview mit Ina Lockhart, FAZ vom 27.12.2019, S. 27 zu der Frage des Informationszugangs: „Nur die Hälfte der Unternehmen, die sich in unserem Fonds befinden, liefern per se Informationen dazu, wie sie im Sinne der SDGs agieren. […] Wir beschaffen [uns die Informationen], indem wir mit den Unternehmen in den Dialog gehen. […] Wir haben bislang keinen Datenanbieter gefunden, der uns eine ausreichende Informationsgrundlage für Impact Investing liefert.“

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III. Transparenzpflichten für institutionelle Investoren im europäischen Recht 1. Berichtspflichten Die EU-Transparenz-VO 2019/2088 sieht für Finanzmarktteilnehmer27 und Finanzberater28 diverse Offenlegungspflichten über die Transparenz von Nachhaltigkeitsrisiken und nachhaltige Kapitalanlagen vor. Der Level 1-Gesetzgebungsakt wird durch technische Standards der Europäischen Kommission ergänzt werden. Bei diesen Level 2-Maßnahmen dürfte es sich ebenfalls um Verordnungen handeln. Die europäischen Transparenzpflichten werden daher unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar sein. Es verwundert nicht, dass die Europäische Kommission eine Verordnung vorgeschlagen hatte und das Europäische Parlament sowie der Rat diese Handlungsform akzeptierten. Seit der Finanzmarktkrise hat die Verordnung die Richtlinie als Handlungsform der EU im Finanzmarktrecht abgelöst. Für eine Verordnungsgesetzgebung gibt es in der Tat gute Gründe. Eine einheitliche Rechtslage verhindert Regulierungsarbitrage und trägt zur Reduktion von Transaktionskosten der Finanzmarktteilnehmer bei. Dennoch hätte es nahegelegen, eine Richtlinie zu verabschieden. Die meisten Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater werden einstweilen noch durch europäische Richtlinien (OGAW-Richtlinie; AIFM-Richtlinie; MiFID II) erfasst. Die Einführung von Offenlegungspflichten durch eine Richtlinie hätte es erleichtert, die neuen Pflichten friktionslos in die bestehenden Regime einzubetten. Stattdessen wird durch die Verordnung die Regulierungskomplexität erhöht. Die Europäische Kommission hatte die Handlungsform der Richtlinie abgelehnt, weil sie die Gefahr einer unterschiedlichen Umsetzung in den Mitgliedstaaten sah.29 Überzeugend ist dies nicht. Der Problematik divergierender Rechtslagen kann durch eine vollharmonisierende Richtlinie begegnet werden. a) Investorenbezogene Transparenz von Nachhaltigkeitsrisiken Die Transparenz-VO sieht zunächst eine weitreichende investorenbezogene Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken vor. Die Informationen sollen auf der Internetseite des Finanzmarktteilnehmers, in vorvertraglichen Informa27 Darunter sind u.a. Versicherungsunternehmen, Verwalter eines AIFM oder eines OGAW, Wertpapierfirmen, Verwalter qualifizierter Risikokapitalfonds und qualifizierter Fonds für soziales Unternehmertum zu verstehen. Vgl. Art. 2 Nr. 1 VO 2019/2088. 28 Finanzberater sind bestimmte Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen, die Versicherungsberatung anbieten, sowie Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, die Anlageberatung anbieten. Vgl. Art. 2 Nr. 1 VO 2019/2088. 29 Vgl. Commission Staff Working Document, Impact Assessment, SWD(2018) 264 final, 24.5.2018, 50 f.

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tionen („pre-contractual disclosures“) und in regelmäßigen Berichten („periodical reports“) zu veröffentlichen sein. Die auf der Internetseite zur Verfügung gestellten Informationen sind zu aktualisieren. Unter vorvertraglichen Informationen sind Prospekte und Basisinformationsblätter zu verstehen. Mit regelmäßigen Berichten meint die EU-Verordnung die Jahresabschlussberichte. Die investorenbezogene Transparenz besteht aus zwei Pflichtenregimen. Finanzmarktteilnehmer haben erstens auf ihrer Internetseite Transparenz in Bezug auf „nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen auf Ebene des Unternehmens“ zu schaffen.30 Die Anforderungen des EU-Rechts sind prinzipienartig konzipiert. Der Normtext ist freilich sperrig. Außerdem verwendet die Verordnung eine Reihe an Begriffen, die nicht in der EU-Verordnung definiert sind. Es ist insbesondere nicht klar, was unter „nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen“ (ein furchtbarer Ausdruck) zu verstehen ist.31 Für die Rechtsanwendung hilfreich könnte es sein, dass die Transparenz-VO das Mindestmaß an Informationen, die ein Finanzmarktteilnehmer diesbezüglich zur Verfügung zu stellen hat, regelt. Bei näherem Hinsehen kommen aber Zweifel auf. So ist zunächst festgelegt, dass Informationen über Strategien zur Feststellung und Gewichtung der wichtigsten nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen und Nachhaltigkeitsindikatoren auf der Internetseite vorzusehen sind.32 Diese gesetzliche Vorgabe ist nichtssagend. Die Begriffe „nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen“ und „Nachhaltigkeitsindikatoren“ werden nicht definiert. Es ist skandalös, die nähere Ausgestaltung der Europäischen Kommission auf Level 2 zu überantworten. Ferner gehört zu den Informationen auch eine „Bezugnahme auf ihre Beachtung eines Kodex für verantwortungsvolle Unternehmensführung und international anerkannter Standards für die Sorgfaltspflicht und die Berichterstattung sowie gegebenenfalls den Grad ihrer Ausrichtung auf die Ziele des Pariser Klimaschutzübereinkommens“. Was „internationale Standards für Sorgfaltspflichten“ sind, wird wiederum nicht näher erläutert. Es handelt sich um neue Begriffe im Finanzmarktrecht, die rechtsdogmatisch noch zu ergründen sind. Die zweite Offenlegungspflicht für Finanzmarktteilnehmer betrifft die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei deren Investitionsentscheidungen.33 Darüber ist in „vorvertraglichen Informationen“34 aufzuklä30

Vgl. Art. 4 Transparenz-VO. Die VO beschränkt sich darauf, in Art. 2 Nr. 22 den Begriff „Nachhaltigkeitsrisiko“ zu bestimmen. 32 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. a) Transparenz-VO. 33 Vgl. Art. 6 Transparenz-VO. 34 Dieser Begriff wird größtenteils durch Verweis auf Regelungen über vorvertragliche Informationen in der AIFM-Richtlinie, OGAW-Richtlinie, MiFID II etc. konkretisiert. Dies sind Prospekte, Basisinformationsblätter, etc. Vgl. Art. 6 Abs. 3 Transparenz-VO. 31

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ren. Dies bedeutet konkret, dass ein Finanzmarktteilnehmer die Art und Weise zu erläutern hat, wie Nachhaltigkeitsrisiken bei seinen Investitionsentscheidungen einbezogen werden. Auch hat er auf das Ergebnis der Bewertung der zu erwartenden Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken auf die Rendite der Finanzprodukte einzugehen. Der Begriff der Nachhaltigkeitsrisiken ist zwar legaldefiniert. Die Begriffsbestimmung ist aber denkbar weit formuliert. Sie erfasst ein „Ereignis oder eine Bedingung in den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung, dessen beziehungsweise deren Eintreten tatsächlich oder potenziell wesentliche negative Auswirkungen auf den Wert der Investition haben könnte“.35 Die Kommission ist nicht ermächtigt, konkretisierende Regeln zu verabschieden. Ein Mandat an die ESAs ist ebenfalls nicht vorgesehen. Angesichts der großen Bandbreite des Begriffs besteht aber ein dringendes Bedürfnis dafür, zumindest auf Level 3 konkretisierende Leitlinien herauszugeben. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Finanzmarktteilnehmer in der EU unterschiedliche Auslegungen entwickeln, was dem intendierten Anlegerschutz zuwiderlaufen würde. Die beiden investorenbezogenen Offenlegungspflichten gelten unabhängig davon, ob ein Finanzmarktteilnehmer Finanzprodukte mit Nachhaltigkeitsbezug anbietet bzw. vertreibt oder nicht. Es handelt sich um gesetzliche Pflichten, die allerdings nicht notwendig zu erfüllen sind. Eine Transparenz über nachteilige Nachhaltigkeitswirkungen auf Ebene des Unternehmens ist nur dann zu schaffen, wenn ein Finanzmarktteilnehmer die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt. Wenn er sie nicht berücksichtigt, muss er klare Gründen dafür angeben und eine Information darüber geben, ob und wann er beabsichtigt, solche nachteiligen Auswirkungen zu berücksichtigen.36 Auch die Pflicht zur Transparenz in Bezug auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken steht unter einem Vorbehalt. Sie setzt voraus, dass ein Finanzmarktteilnehmer Nachhaltigkeitsrisiken „als relevant erachtet“. Falls dies nicht der Fall ist, braucht der Finanzmarktteilnehmer die Erläuterungen in vorvertraglichen Informationen nicht zu geben, muss dann aber eine klare und knappe Begründung geben, warum sie nicht relevant sind.37 Das europäische Verordnungsrecht sieht folglich keine unbedingt zu erfüllende Offenlegungspflichten vor, sondern, ähnlich wie das französischen Recht, einen Report-or-explain-Mechanismus. Der Befolgungsanreiz ist allerdings stärker ausgestaltet als im französischen Nachhaltigkeits-Recht oder im deutschen Aktienrecht.38 Ein Finanzmarktteilnehmer ist nach der 35

Vgl. Art. 2 Nr. 22 Transparenz-VO. Vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b) Transparenz-VO. 37 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Transparenz-VO. 38 Nach § 161 Abs. 1 AktG sind Vorstand und Aufsichtsrat gesetzlich verpflichtet, jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher Corporate 36

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EU-Transparenz-VO nur dann von einer Offenlegung befreit, wenn er die Nachhaltigkeitsrisiken als nicht relevant erachtet. Er hat daher kein freies Ermessen. Mit dem Vorbehalt „nicht relevant“ wird der „Vorgang der Abbedingung“39 der Transparenzregelungen vorgezeichnet und mittelbar die Geschäftsleitung des Finanzmarktteilnehmers in die Pflicht genommen. Der Vorstand oder Geschäftsführer einer Kapitalverwaltungs- oder Versicherungsgesellschaft muss kraft seiner Legalitätspflicht zunächst prüfen, ob Nachhaltigkeitsrisiken bestehen, sodann, ob die Nachhaltigkeitsrisiken relevant sind oder nicht. b) Produktbezogene Transparenz von Nachhaltigkeitsinvestments Die Transparenz über „Nachhaltigkeits-Finanzprodukte“ soll in vorvertraglichen Veröffentlichungen, auf der Website des Finanzmarktteilnehmers und in regelmäßigen Berichten erfolgen.40 Die Pflichten betreffen Finanzprodukte, die unter anderem die Förderung ökologischer oder sozialer Merkmale vorsehen oder mit denen nachhaltige Investitionen angestrebt werden. Die EU-Verordnung unterscheidet zwischen Finanzprodukten, für die ein Index als Referenzwert bestimmt wurde, solchen, für die ein solcher Referenzwert nicht bestimmt wurde und Finanzprodukten, mit denen eine Reduktion von CO2-Emissionen angestrebt wird. Mit diesen Kategorien versucht das EU-Recht die große Bandbreite an grünen Finanzprodukten zu erfassen. Obwohl es sich um einen bislang vergleichsweise kleinen Markt handelt, gibt es bereits vielfältige Indizes, die Unternehmen mit ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeit erfassen. In Deutschland ist beispielsweise der Naturaktienindex zu nennen, der Recyclingunternehmen, Bio-Lebensmittelhersteller, Wasseraufbereiter, Fahrradbauer und Dämmstoffproduzenten betrifft. Der Dow Jones Global Sustainability Index ist noch breiter angelegt. Darüber hinaus gibt es auch Indizes, die den Aspekt Soziales betreffen. Der MSCI World Socially Responsible Index schließt Unternehmen aus, die ihr Geld mit Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Waffen und Pornographie erzielen.41 An der Deutsche Börse sind derzeit 122 Indexfonds notiert, die nach ESG-Kriterien investieren.42

Governance Kodex entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. 39 Vgl. hierzu im Kontext des Aktienrechts Döll, Aktienrecht und Codes of Best Practice, 2018, S. 54 ff. 40 Vgl. Art. 8 bis 11 Transparenz-VO. 41 Vgl. den Zeitschriftenartikel von Oberhuber, ETFs werden grün, Capital, 10.1.2017, abrufbar unter https://www.capital.de/geld-versicherungen/nachhaltige-geldanlage-fondsetf-indexfonds-8368. 42 Vgl. Blume/Holtermann/Mallien/Maisch/Narat/Rezmer, Nachhaltiges Investieren, Handelsblatt vom 6./7./8. Dezember 2019, S. 53.

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Die komplexen aufsichtsrechtlichen Transparenzregeln brauchen hier nicht im Detail entfaltet zu werden. Es soll aber exemplarisch dargelegt werden, welche Transparenzanforderungen bestehen, wenn ein Finanzmarktteilnehmer mit einem Finanzprodukt eine nachhaltige Investition anstrebt.43 Vorab: Es handelt sich größtenteils um prinzipienbasierte Anforderungen, die allerdings besser als die investorenbezogenen Transparenzpflichten greifbar sind, weil die Transparenz-VO auf die (klar formulierten) Ziele des Pariser Übereinkommens Bezug nimmt. Die in „vorvertraglichen Informationen“ zu machenden Angaben betreffen vor allem die Erreichung des Nachhaltigkeitsziels. Die Transparenzpflicht differenziert nach den drei Arten von Finanzprodukten (mit und ohne Bezug zu einem Index sowie Finanzprodukte mit dem Ziel einer Reduktion von CO2-Emissionen). Wird für ein Finanzprodukt ein Index als Referenzwert bestimmt, so sind Angaben dazu zu machen, in welcher Weise der bestimmte Index auf das angestrebte Ziel ausgerichtet ist, ferner Erläuterungen dazu, warum sich die Gewichtung und die Bestandteile des bestimmten, auf das betreffende Ziel ausgerichteten Index von denen eines breiten Marktindex unterscheiden. Auf der Internetseite sind weitere Informationen offenzulegen, insbesondere zu dem nachhaltigen Investitionsziel und zu den Methoden, die angewandt werden, um die Auswirkungen der für das Finanzprodukt ausgewählten nachhaltigen Investitionen zu bewerten, zu messen und zu überwachen. Schließlich soll ein Finanzmarktteilnehmer auch in den Rechnungslegungsunterlagen berichten, insbesondere über die „Gesamtnachhaltigkeitswirkung des Finanzprodukts, belegt durch relevante Nachhaltigkeitsindikatoren“.44

IV. Bewertung Der persönliche Anwendungsbereich der EU-Verordnung ist teilweise weiter als das französische Transparenzrecht. Es werden auch Finanzdienstleister, insbesondere Wertpapierfirmen, erfasst. Information und Aufklärung über Nachhaltigkeitsrisiken werden daher in die Anlageberatung Einzug halten.45 Die EU-Verordnung bezieht allerdings die öffentliche Hand nicht in das Transparenzregime ein. Das französische Recht hat insoweit einen größeren Anwendungsbereich. Der signifikanteste Unterschied besteht in der Konzeption der Transparenzregeln. Die EU-Verordnung beschränkt sich darauf, investorenbezogene 43

Die Anforderungen sind in Art. 9 Transparenz-VO niedergelegt. Vgl. Art. 11 Abs. 1 lit. b) Transparenz-VO. 45 Das französische Recht konnte bislang solche Transparenzregeln nicht vorsehen, weil die MiFID II als ein vollharmonisierender Gesetzgebungsakt die Materie abschließend regelt. 44

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Offenlegungspflichten bezüglich des Umgangs mit Nachhaltigkeitsrisiken und produktbezogene Offenlegungspflichten vorzusehen, die es Anlegern ermöglichen, die Nachhaltigkeit eines grünen Finanzprodukts beurteilen zu können. Ihnen soll ein „effektiver Vergleich“ ermöglicht werden.46 Die Informationen tragen zu einer korrekten Einschätzung nachhaltigkeitsfördernder Investitionen bei. Die Transparenzpflichten der EU-Verordnung sollen folglich in erster Linie einen effektiven Schutz der Anleger (in der Terminologie der Transparenz-VO: Endanleger) verwirklichen. Dieses Vorhaben verdient grundsätzlich Zustimmung,47 denn die Offenlegungspflichten gehen über die allgemeine CSR-Transparenz im Rechnungslegungsrecht hinaus und incentivieren Anleger.48 Das französische Recht geht mit den portfoliobezogenen Offenlegungspflichten (jedenfalls für institutionelle Anleger) weiter als die EU-Verordnung. Es verfolgt (neben dem Anlegerschutz durch Transparenz von Nachhaltigkeitsrisiken) den Zweck, nachhaltige Investitionen durch finanzkräftige Investoren zu fördern. Materielle Vorgaben sieht das französische Recht nicht vor. Insbesondere sind institutionelle Investoren nicht gehalten, bestimmte Wirtschaftszweige zu fördern. Es vertraut vielmehr auf die Wirkkraft „freiwilliger“ Offenlegungsregeln. Institutionelle Investoren werden nach französischem Recht angeregt, ihr Anlageverhalten kritisch mit Blick auf ökologisch nachhaltige Investitionen zu prüfen. Ferner werden sie durch die Transparenzpflichten des französischen Rechts veranlasst, die CO2-Bilanz ihres Portfolios zu beurteilen, sich selbst Ziele bezüglich der Reduktion von Treibhausgasemissionen zu setzen und den Beitrag des Portfolios zur Förderung der Energiewende einzuschätzen. Die Transparenzregeln zielen schließlich darauf ab, dass institutionelle Investoren Einfluss auf die Emittenten nehmen, in die sie investiert haben, sei es durch Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung, sei es durch einen Dialog mit dem Management. Die EU-Verordnung sieht portfoliobezogene Offenlegungspflichten nicht vor. Es ist zwar positiv zu beurteilen, dass die europäische Gesetzgebung den Anlegerschutz verbessert und einen Beitrag zur Finanzstabilität leistet. Besinnt man sich der im Pariser Abkommen verabredeten Ziele der Welt-

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Vgl. Erwägungsgrund 9 Transparenz-VO. In der rechtspolitischen Diskussion wird bislang aber vornehmlich Kritik geübt. Vgl. cep, Disclosures on Sustainability, 25.6.2019, S. 9: „no convincing argument for obligatory disclosure rules“. In den Rechtswissenschaften wird das Thema bislang noch nicht vertieft behandelt. Diskutiert werden privatautonome Ansätze einer Anlegerinformation in Anlagebedingungen und Verkaufsprospekten, vgl. Gietzelt, Nachhaltiges Investment. Rechtliche Anforderungen an einen nachhaltigen Investmentfonds, 2019, S. 52 ff. Vgl. auch Bueren, ZGR 2019, S. 813, 867 mit knapper Detailkritik am neuen EU-Recht. 48 Vgl. hierzu Möslein/Sorensen, 24 Columbia Journal of European Law (2018), S. 391, 418 ff. 47

Transparenz über nachhaltige Investments und Nachhaltigkeitsrisiken

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gemeinschaft, muss freilich konstatiert werden, dass die produktbezogenen Transparenzpflichten des EU-Rechts auf halbem Weg stehen bleiben. Dies wirft die Frage auf, ob die Mitgliedstaaten (insbesondere Frankreich) ein strengeres Transparenzregime beibehalten oder einführen dürfen. Die Antwort fällt eindeutig aus. Die Erwägungsgründe der Transparenz-VO anerkennen, dass die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert sind, strengere Vorschriften über die Veröffentlichung von Strategien zur Anpassung an den Klimawandel und zusätzliche Offenlegungen gegenüber Endanlegern über Nachhaltigkeitsrisiken für Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater einzuführen oder beizubehalten.49 Die Europäische Kommission vermochte sich daher im Trilog nicht mit ihrem Anliegen einer Vollharmonisierung durchzusetzen. Folglich braucht Frankreich die portfoliobezogenen Berichterstattungspflichten für institutionelle Investoren nicht abzuschaffen. Eine noch offene Frage ist, welche Auswirkungen die Transparenzpflichten auf die treuhänderischen Pflichten der Asset Manager haben. Der Aktionsplan der Kommission „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ sah als eine Reformmaßnahme vor, die fiduciary duties institutioneller Anleger und Vermögensverwalter zu klären, um sowohl Endanleger als auch Asset Manager stärker anzuhalten, Nachhaltigkeitsaspekte in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen.50 Die Transparenz-VO schweigt zu dem Thema. Sie erwähnt zwar im Kontext der Berichterstattung über Nachhaltigkeitsrisiken die Einhaltung international anerkannter Standards für die Sorgfaltspflicht. Daraus kann aber nicht auf besondere treuhänderische Pflichten der Asset Manager geschlossen werden. Es bleibt der weiteren rechtsdogmatischen Diskussion vorbehalten, die rechtlichen Auswirkungen der Transparenzpflichten auf die organschaftlichen Pflichten der Geschäftsleiter zu bestimmen.

V. Fazit Ein EU-weites Konzept für ein nachhaltiges Finanzwesen muss eine Antwort auf die Grundsatzfrage haben, wie die Förderung ökologisch nachhaltiger Kapitalanlagen in Einklang gebracht werden kann mit den tradierten Regelungszwecken des Finanzmarktrechts. Das Finanzmarktrecht soll das Anlegervertrauen in einen integren Wertpapierhandel stärken und damit die allokative und institutionelle Funktionsfähigkeit der Märkte und 49

Vgl. Erwägungsgrund 28 Transparenz-VO. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums, COM(2018) 97 final, 8.3.2018, S. 10 f.; dazu Möslein/Mittag, WM 2019, S. 481, 488 f. 50

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die Finanzstabilität gewährleisten. Dies wirft die Frage auf, ob es friktionslos möglich ist, Umweltschutz durch Finanzmarktrecht zu erreichen? Der erste Teil der Antwort fällt eindeutig aus. Die Transparenzpflichten über Nachhaltigkeitsrisiken und über die ökologische Nachhaltigkeit grüner Finanzprodukte fügen sich nahtlos in das Finanzmarktrecht ein. Sie dienen dem Abbau relevanter Informationsasymmetrien zwischen Emittenten von Wertpapieren und Fondsanteilen auf der einen und (End-)Anlegern auf der anderen Seite. Darüber hinaus können sie zur Finanzstabilität beitragen. Das neue europäische Transparenzregime verdient sicherlich wegen der Komplexität der Regelungen und des Begiffswirrwarrs Kritik. Insgesamt gesehen ist der Ansatz, durch Transparenz von Nachhaltigkeitsrisiken die Investitionsentscheidungen von Anlegern zu verbessern, aber positiv zu beurteilen. Die Informationskosten der Anleger werden durch europaweit einheitliche Publizitätspflichten gesenkt und das Signalling wird verstärkt. Der zweite Teil der Antwort fällt zwiespältig aus. Die von der französischen Gesetzgebung verfolgten Maßnahmen reichen über das Konzept der EU-Transparenz-VO hinaus, denn sie zielen darauf ab, Finanzmittelflüsse zu steuern. Die portfoliobezogenen Transparenzpflichten erscheinen auf den ersten Blick systemfremd, denn sie zielen auf eine Umverteilung der finanziellen Mittel zugunsten ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten ab. Sie bedeuten nicht bloß eine Akzentverschiebung, sondern können einen Kurswechsel markieren, der mit den traditionellen Zielen der Kapitalmarktgesetzgebung konfligieren kann. Der französischen Gesetzgebung ist allerdings der Spagat, das Finanzmarktrecht möglichst friktionslos weiter zu entwickeln, gut gelungen. Die in Frankreich eingeführten Transparenzpflichten sind durch einen prozeduralen Ansatz geprägt, der auf Marktkräfte vertraut. Die EU hat diesen Regelungsansatz zwar nicht übernommen. Doch steht es jedem Mitgliedstaat der EU frei, diesen Weg ebenfalls zu gehen. Deutschland sollte ihn beschreiten.

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Interessenkonflikte im „Related Party“-Ausschuss Dirk A. Verse

Interessenkonflikte im „Related Party“-Ausschuss DIRK A. VERSE*

I. Einführung 1. Geschäfte mit nahestehenden Personen nach dem ARUG II Seit dem 1.1.2020 gelten bekanntlich auch in Deutschland neue, verschärfte Anforderungen für Geschäfte, die börsennotierte Gesellschaften mit ihnen nahestehenden Personen tätigen (§§ 111a ff. AktG). In Umsetzung der geänderten Aktionärsrechterichtlinie1 sind durch das ARUG II2 zwei neue Schutzinstrumente eingeführt worden, die den Schutz der börsennotierten Gesellschaft vor Vermögensverlagerungen auf related parties weiter ausbauen sollen: zum einen die Regelung, dass wesentliche Geschäfte mit nahestehenden Personen der Zustimmung des Aufsichtsrats oder eines Aufsichtsratsausschusses bedürfen (§ 111b AktG), und zum anderen die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung dieser Geschäfte (§ 111c AktG). Der Anwendungsbereich des neuen Regelungsregimes ist zwar erst eröffnet, wenn der Wert des Geschäfts – einzeln oder zusammen mit anderen Transaktionen mit derselben nahestehenden Person im selben Kalenderjahr – 1,5% des im Konzernabschluss der Gesellschaft ausgewiesenen Anlage- und Umlaufvermögens übersteigt (§ 111b Abs. 1, Abs. 3 AktG). Empirische Daten lassen aber darauf schließen, dass es eine nicht unbeträchtliche Zahl von Anwendungsfällen geben wird.3 Angesichts des Schwellenwerts werden freilich kaum einmal Geschäfte mit Organwaltern oder sonstigem Führungspersonal betroffen sein, sondern vor allem Geschäfte mit beherrschenden oder maßgeblich beteiligten Gesellschaftern sowie Geschäfte mit Schwester- und Tochterunternehmen (soweit letztere nicht nach § 111a Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 lit. a AktG ausgenommen sind). * Das Manuskript wurde Ende Dezember 2019 abgeschlossen. Einzelne neuere Entwicklungen und Beiträge konnten noch bis Ende März 2020 in den Fußnoten berücksichtigt werden. 1 Richtlinie 2007/37/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie (EU) 2017/828 vom 17.5.2017, ABl. L 132/1. 2 Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie vom 12.12.2019, BGBl. I, 2637. 3 S. dazu die Studie von Engert/Florstedt ZIP 2019, 493 ff. (noch zu dem höheren Schwellenwert von 2,5%, der im Referenten- und Regierungsentwurf vorgesehen war).

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Schon jetzt ist absehbar, dass die Anwendung der Neuregelung eine Fülle von Zweifelsfragen aufwerfen wird. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass schon die Bestimmung des Anwendungsbereichs, namentlich die weit gezogene, unscharfe Definition der nahestehenden Person (§ 111a Abs. 1 S. 2 AktG i.V.m. IAS 24.9)4 sowie der Katalog der ausgenommenen Geschäfte (§ 111a Abs. 2, 3 AktG), den Rechtsanwendern Kopfzerbrechen bereiten wird. Im Folgenden soll der Blick allerdings auf einen anderen Aspekt der Neuregelung gerichtet werden, nämlich auf die Modalitäten des Zustimmungsverfahrens im Aufsichtsrat. 2. Das Zustimmungsverfahren im Aufsichtsrat Nach §§ 107 Abs. 3 S. 4, 111b Abs. 1 AktG steht es im Organisationsermessen des Aufsichtsrats, ob er im Plenum über die Zustimmungserteilung befindet oder die Entscheidung auf einen Ausschuss – den „Related Party“Ausschuss nach den neuen § 107 Abs. 3 S. 4–6 AktG – delegiert.5 Bemerkenswert und jedenfalls auf den ersten Blick überraschend ist dabei, dass das neue Gesetz für die Beschlussfassung im Plenum und diejenige im Ausschuss erheblich voneinander abweichende Regelungen vorsieht, genauer: dass es Interessenkonflikten im Plenum wesentlich kompromissloser entgegentritt als im Ausschuss. Im Plenum gilt gemäß § 111b Abs. 2 AktG ein weit gefasstes Stimmverbot: Sämtliche Mitglieder, die entweder selbst an dem Geschäft beteiligt sind (Var. 1) oder bei denen aufgrund ihrer Beziehungen zu der an dem Geschäft beteiligten nahestehenden Person die Besorgnis eines Interessenkonflikts besteht (Var. 2), dürfen und können nicht mitstimmen. Konkret bedeutet dies, dass z.B. bei Geschäften mit einem maßgeblich beteiligten6 oder sogar beherrschenden Großaktionär neben diesem selbst (sollte er eine natürliche Person sein) auch sämtliche seiner Vertreter im Aufsichtsrat von der Beschlussfassung ausgeschlossen sind.7 Das so gefasste Stimmverbot geht über

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Pointiert dazu Lutter EuZW 2014, 687 („Betrachten wir diese [Definition], bekommen wir einen Schreck.“); Überblick bei Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 7 Rn. 55 ff.; Florstedt ZHR 184 (2020), 10, 21 ff. 5 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 76 („freies Ermessen“). Die hier gewählte Bezeichnung als Related Party-Ausschuss soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Ausschuss noch weitere Aufgaben zugewiesen werden können; Begr. RegE aaO. 6 Maßgeblicher Einfluss, der nach IAS 24.9 lit. a ii zur Einstufung als nahestehende Person führt, wird nach IAS 28.6 bei einer (direkten oder indirekten) Beteiligung von 20% der Stimmrechte widerleglich vermutet, kann aber auch schon unterhalb dieser Schwelle vorliegen; vgl. IAS 28.7 ff. 7 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 77; Habersack in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 311 Rn. 104.

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das hinaus, was die h.M. bisher aus § 34 BGB analog abgeleitet hat.8 Im Ergebnis führt es dazu, dass die Entscheidung allein in den Händen der vom Großaktionär unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder liegt. Anders im Related-Party-Ausschuss: Hier differenziert das Gesetz zwischen Aufsichtsratsmitgliedern, die selbst als nahestehende Person an dem zustimmungspflichtigen Geschäft „beteiligt“ sind, und solchen, bei denen aufgrund ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person ein Interessenkonflikt besteht. Wer selbst an dem Geschäft „beteiligt“ ist, kann nach § 107 Abs. 3 S. 5 AktG nicht Mitglied des Ausschusses sein. Diese Regelung soll der Umsetzung von Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3 ARRL dienen, der für an dem Geschäft „beteiligte“ Aufsichtsratsmitglieder ein Stimmverbot vorsieht.9 Aufsichtsratsmitglieder, die nicht selbst an dem Geschäft beteiligt, sondern „nur“ anderweitig konfliktbefangen sind, können hingegen dem Ausschuss angehören und auch mitabstimmen, da das erweiterte Stimmverbot nach § 111b Abs. 2 Var. 2 BGB hier nach dem Willen des Gesetzgebers keine Anwendung findet.10 Einschränkend muss allerdings nach § 107 Abs. 3 S. 6 AktG sichergestellt sein, dass die Mehrheit der Ausschussmitglieder keinem Interessenkonflikt unterliegt. Die mehrheitlich konfliktfreie Besetzung soll Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 ARRL Rechnung tragen, der ein Zustimmungsverfahren verlangt, welches die nahestehende Person daran hindert, ihren Einfluss auszunutzen.11 Wo die Trennlinie zwischen „beteiligten“ und lediglich konfliktbehafteten Aufsichtsratsmitgliedern verläuft, definiert das Gesetz zwar nicht. Die Materialien zum ARUG II lassen aber erkennen, dass der deutsche Gesetzgeber nur die jeweilige Vertragspartei selbst als an dem Geschäft beteiligt ansieht, während die Repräsentanten der Vertragspartei im Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft nur im Sinne von § 107 Abs. 3 S. 6 AktG konfliktbehaftet sind.12 Sie dürfen daher nach der Vorstellung des 8 Wenn das Aufsichtsratsmitglied Organwalter einer anderen Körperschaft oder Personenvereinigung ist und ein Rechtsgeschäft mit dieser zur Beschlussfassung ansteht, begründet dies allein nach h.M. kein Stimmverbot analog § 34 BGB; s. etwa Habersack in: MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 Rn. 30; Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rn. 731; vgl. auch BGH NZG 2012, 625 Rn. 33 (zur Parallelfrage in GbR und GmbH); weitergehend aber Hopt/Roth in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 Rn. 65 m.w.N. 9 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 76; näher dazu unter II. 1. 10 Explizit Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 76: „Der Stimmrechtsausschluss gemäß § 111b Abs. 2 AktG-E für die Abstimmung im Gesamtplenum findet auf die gemäß § 107 Abs. 3 S. 4 bis 6 AktG-E ordnungsgemäß bestellten Mitglieder des Ausschusses keine Anwendung.“ Unzutreffend daher Barg AG 2020, 149 Rn. 42 (das erweiterte Stimmverbot setze sich auch im Ausschuss fort); wie hier J. Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 107 Rn. 26b; Lutter/Krieger/Verse (Fn. 8), Rn. 763; Markworth AG 2020, 166 Rn. 22. 11 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 77; näher dazu unter II. 1. 12 S. nochmals die Nachw. in Fn. 7.

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deutschen Gesetzgebers dem Ausschuss angehören und mitabstimmen, sofern nur die Mehrheit der Ausschussmitglieder von der Vertragspartei unabhängig ist. Demnach ist es etwa möglich, einen fünfköpfigen Ausschuss über ein Geschäft mit dem Großaktionär entscheiden zu lassen, dem zwei Repräsentanten des Großaktionärs (z.B. Doppelmandatsträger) angehören. Bei einer solchen Besetzung müssen diese beiden Mitglieder somit nur eines der vom Großaktionär unabhängigen Mitglieder als Zünglein an der Waage auf ihre Seite ziehen, um eine Entscheidung in ihrem Sinne durchzusetzen. 3. Fragestellung Das vorstehend skizzierte Regelungsgefälle zwischen Plenum und Ausschuss wirft eine Reihe von Fragen auf: Genügt die großzügigere Regelung für den Ausschuss in der vom Gesetzgeber beabsichtigten Form den Vorgaben der Richtlinie, oder muss (und kann) sie im Wege der richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung eingeschränkt werden? Ist sie in der Sache überzeugend, oder sollte nicht wenigstens der Deutsche Corporate Governance Kodex eine Empfehlung aussprechen, den Ausschuss nicht nur mehrheitlich, sondern ausschließlich konfliktfrei zu besetzen? Und nicht zuletzt: Wie wirkt es sich auf den rechtlichen Kontrollmaßstab der im Ausschuss getroffenen Entscheidung aus, wenn an ihr konfliktbehaftete Mitglieder mitwirken? In Sonderheit: Können sich die Ausschussmitglieder auf die Business Judgment Rule berufen, die grundsätzlich ein Handeln ohne Interessenkonflikt voraussetzt? Diesen und damit verbundenen Fragen soll in den folgenden Überlegungen nachgegangen werden. Gewidmet sind sie in persönlicher Verbundenheit und mit allen guten Wünschen dem hochverehrten Jubilar Klaus Hopt. Related Party Transactions, Interessenkonflikte, gute Corporate Governance, Business Judgment Rule – das sind alles Themen, mit denen sich Klaus Hopt seit Jahrzehnten so intensiv wie kaum ein zweiter befasst hat, immer auch aus der für sein Werk prägenden internationalen Perspektive.13 Eigentlich wäre daher niemand mehr berufen als er selbst, die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Da man aber selbst von einem Wissenschaftler mit der unerschöpflichen Schaffenskraft unseres Jubilars schlecht erwarten kann, zu seiner eigenen Festschrift beizutragen, muss der Leser mit den nachfolgenden Erwägungen Vorlieb nehmen.

13 Stellvertretend für die Fülle an einschlägigen Beiträgen des Jubilars zuletzt Hopt, Der Aufsichtsrat – Bedeutungswandel, Konvergenz, unternehmerische Mitverantwortung, Pflichten- und Haftungszuwachs, ZGR 2019, 507, insbes. 536 ff.

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II. Grundlagen 1. Unionsrechtliche Vorgaben a) Ausgangspunkt Dass § 107 Abs. 3 S. 4 AktG n.F. überhaupt die Delegation der Entscheidung auf einen Ausschuss zulässt, ist – darüber dürfte im Ausgangspunkt weithin Einvernehmen bestehen – unionsrechtlich unbedenklich.14 Die Richtlinie stellt den Mitgliedstaaten zwar ausdrücklich nur zur Wahl, den Zustimmungsvorbehalt entweder bei der Hauptversammlung oder beim Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan anzusiedeln (Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 ARRL). Die Möglichkeit der Delegation auf einen Ausschuss spricht sie nicht eigens an. Gleichwohl ist diese mit dem Wortlaut der Richtlinie vereinbar, da der Ausschuss kein eigenes Organ, sondern Teil des Aufsichtsrats ist, der Ausschuss mithin als Aufsichtsrat tätig wird.15 Zudem und vor allem stehen Sinn und Zweck der Richtlinie der Delegation auf einen Ausschuss nicht entgegen. Der Richtlinie geht es in Art. 9c Abs. 4 ARRL um die Sicherung der Integrität des Zustimmungsverfahrens, nicht darum, einer effizienten Aufgabenerledigung durch Bildung von Ausschüssen des Verwaltungsoder Aufsichtsorgans Steine in den Weg zu legen. Näherer Prüfung bedarf aber, ob die nur mehrheitlich interessenkonfliktfreie Besetzung des Related Party-Ausschusses den Anforderungen der Richtlinie genügt. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens zum ARUG II ist verschiedentlich gerügt worden, dass dies nicht der Fall sei.16 Zur Begründung rekurrieren die Kritiker teils auf Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3–4 der Richtlinie (dazu lit. b), vor allem aber auf Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 (dazu lit. c). Klaus Hopt hat sich dieser Kritik allerdings nicht angeschlossen17 – aus gutem Grund, wie die folgenden Überlegungen zeigen werden.

14 Zweifelnd allerdings Temming RdA 2015, 280, 284; Tröger AG 2015, 53, 70 f. (jeweils zu den Ratsentwürfen der Richtlinie). Gegen diese Bedenken mit Recht Tarde Related Party Transactions, 2018, 248 f. 15 AllgM., s. nur Habersack (Fn. 8), § 107 Rn. 94; Hopt/Roth (Fn. 8), § 107 Rn. 313. 16 Tröger/Roth/Strenger BB 2018, 2946, 2949 f.; Tarde NZG 2019, 488, 493; zuletzt Heidel/Illner in: Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht nach ARUG II und Corona-Gesetzgebung, 2020, § 107 AktG Rn. 6; krit. zur Vereinbarkeit mit der Richtlinie auch Wiss. Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) AG 2018, 920, 924. 17 Hopt ZGR 2019, 507, 538 („wohl zu Unrecht als richtlinienwidrig bezeichnet“); für Richtlinienkonformität auch Barg AG 2020, 149 Rn. 43; Florstedt ZHR 184 (2020), 10, 45; zweifelnd, aber im Ergebnis ebenso Emmerich/Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 106.

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b) Verstoß gegen Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3–4 der Richtlinie? Nach Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3 ARRL müssen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass ein Mitglied des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans, das „an dem Geschäft als nahestehende Person beteiligt“ ist (in der englischen Fassung: „where the related party transaction involves a director“), grundsätzlich kein Stimmrecht hat. Als Ausnahme von diesem Grundsatz lässt es der – allerdings missverständlich formulierte – Abs. 4 Unterabs. 4 zu, dass die an dem Geschäft beteiligte nahestehende Person doch mitstimmen darf, sofern sichergestellt ist, dass die Entscheidung nicht gegen die Mehrheit der von ihr unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder getroffen werden kann.18 Für das Verständnis dieser Richtlinienvorgaben ist von entscheidender Bedeutung, wann ein Aufsichtsratsmitglied im Sinne des Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3 ARRL an dem zustimmungspflichtigen Geschäft „beteiligt“ („involved“) ist. Die Richtlinie definiert diesen Begriff nicht. Einzelne Stimmen im Schrifttum wollen ihn weit auslegen: Das Stimmverbot nach Unterabs. 3 soll nicht nur ein Aufsichtsratsmitglied erfassen, das selbst unmittelbar oder mittelbar (über eine von ihm kontrollierte Gesellschaft) als Vertragspartei an dem Geschäft beteiligt ist; vielmehr soll es auch für Aufsichtsratsmitglieder gelten, die eine Vertragspartei als Organwalter oder sonstiges Führungspersonal repräsentieren. Bei einem Geschäft mit dem Großaktionär sollen somit auch dessen Repräsentanten im Aufsichtsrat dem Stimmverbot nach Unterabs. 3 unterfallen.19 Träfe diese weite Lesart zu, müsste nach Unterabs. 4 jedenfalls sichergestellt werden, dass sich die Repräsentanten des Großaktionärs nicht gegen die Mehrheit der vom Großaktionär unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder durchsetzen können. Bei diesem Verständnis würde es also den Anforderungen der Richtlinie nicht genügen, wenn man – wie in dem eingangs genannten Beispiel – in einem fünfköpfigen Ausschuss eine Entscheidung mit 3:2 Stimmen zulässt und zwei der drei Ja-Stimmen von den Repräsentanten des Großaktionärs stammen. Bei näherer Betrachtung tritt jedoch deutlich zutage, dass das Stimmverbot nach Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3 ARRL nicht derart extensiv interpretiert 18

Die Formulierung des Unterabs. 4 ist missverständlich und unpräzise, da sie nach ihrem Wortlaut nur die Mitwirkung des an dem Geschäft beteiligten Aktionärs an der Abstimmung in der Hauptversammlung erfasst. Richtigerweise dürfte aber auch die Mitwirkung eines an dem Geschäft beteiligten Aufsichtsratsmitglieds an der Zustimmung im Aufsichtsrat gemeint sein, sofern ein Mitgliedstaat – wie Deutschland – den Zustimmungsvorbehalt nicht der Hauptversammlung, sondern dem Aufsichtsrat zuweist; näher Tarde (Fn. 14), 226 f.; ferner Habersack/Verse (Fn. 4), § 7 Rn. 70. 19 So ausführlich Tarde (Fn. 14), 228 ff.; differenzierend Verband der Chemischen Industrie (VCI), Empfehlungen zur Umsetzung der ARRL vom 29.3.2018, S. 30: Das Stimmverbot nach Unterabs. 3 erfasse bei einem Geschäft mit einem nahestehenden Unternehmen nur (aber immerhin) diejenigen Repräsentanten dieses Unternehmens, die als Stellvertreter unmittelbar an dem Geschäft mitwirken.

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werden kann. Schon der Wortlaut legt ein so weites Verständnis nicht wirklich nahe. Aufschlussreich ist aber vor allem die Entstehungsgeschichte. Vor Verabschiedung der Richtlinie gab es mehrere Entwürfe der Ratspräsidentschaft und des Europäischen Parlaments, die das Stimmverbot nicht nur auf die an der Transaktion beteiligten Aktionäre bezogen, sondern auch auf ihre Vertreter/Repräsentanten.20 Bei dieser Formulierung hätte kein Zweifel daran bestanden, dass bei einem Geschäft mit einer anderen Gesellschaft auch deren Vertreter im Aufsichtsrat dem Stimmverbot unterliegen. Diese Formulierung hat man aber in den weiteren Beratungen der Richtlinie wieder gestrichen, was nur den Schluss zulässt, dass eine so weite Ausdehnung des Stimmverbots gerade nicht gewollt war.21 Die Annahme des deutschen Gesetzgebers, dass die Repräsentanten des Großaktionärs an Geschäften zwischen diesem und der Gesellschaft nicht im Sinne der Richtlinie „beteiligt“ sind und infolgedessen keinem Stimmverbot unterliegen, steht daher nicht im Widerspruch zu Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3–4 der Richtlinie. c) Verstoß gegen Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie? Eher schon mag man Zweifel haben, ob die nur mehrheitlich konfliktfreie Ausschussbesetzung auch mit Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 ARRL vereinbar ist, also mit der allgemeinen Vorgabe, ein Zustimmungsverfahren vorzusehen, welches verhindert, dass die an dem Geschäft beteiligte nahestehende Person ihre Position ausnutzt, und einen angemessenen Schutz der Interessen der Gesellschaft bietet. Diese Vorgabe wird mitunter so verstanden, die Mitgliedstaaten müssten sicherstellen, dass die Stimmen der konfliktbehafteten Aufsichtsratsmitglieder nicht den Ausschlag geben können.22 Da dies bei nur mehrheitlich konfliktfreier Besetzung nicht gewährleistet ist, sei nicht nur im Plenum, sondern auch im Ausschuss „an harten Stimmverboten nicht vorbeizukommen.“23 Dem ist jedoch zu widersprechen. Wie zu Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 3 ARRL dargelegt (s.o. lit. b) entspricht es gerade nicht der Intention der Richtlinie, neben der an dem Geschäft beteiligten nahestehenden Person auch für 20 Besonders deutlich Art. 9c Abs. 2a RL-E i.d.F. der Vorschläge des Europäischen Parlaments vom 12.5.2015 (A8-0158/2015) und vom 8.7.2015 (P8_TA/2015)0257) („related parties and their representatives“); ferner Art. 9c Abs. 2 RL-E i.d.F. der Vorschläge der italienischen Ratspräsidentschaft vom 10.11.2014 (13758/14) und 5.12.2014 (15647/14) sowie der lettischen Ratspräsidentschaft vom 14.1.2015 (5215/15) („and the persons related to them“). 21 Habersack/Verse (Fn. 4), § 7 Rn. 68; Kleinert/Mayer EuZW 2018, 314, 321 Fn. 29; im Erg. ebenso (mit anderer Begründung) Bungert/Wansleben DB 2017, 1190, 1199; Markworth AG 2020, 166 Rn. 14. 22 Tröger/Roth/Strenger BB 2018, 2946, 2949 f.; Heidel/Illner (Fn. 16), § 107 AktG Rn. 6; in dieselbe Richtung Stellungnahme der VGR (Fn. 16), AG 2018, 920, 924. 23 So Tröger/Roth/Strenger BB 2018, 2946, 2949 f.; im Ergebnis ganz ähnlich Heidel/Illner (Fn. 16), § 107 AktG Rn. 6: Zustimmungsbeschluss muss stets mehrheitlich auf Stimmen unabhängiger beruhen.

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deren Organwalter und sonstige Repräsentanten ein Stimmverbot vorzuschreiben. Wenn sich der europäische Gesetzgeber aber im Rahmen des Unterabs. 3 ausweislich der Entstehungsgeschichte bewusst gegen diese Lösung entschieden hat, ist es offensichtlich ungereimt, in die allgemeine Vorgabe des Unterabs. 1 doch wieder ein derartiges Stimmverbot hineinzulesen. Eine andere Stimme im Schrifttum will aus Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 ARRL ableiten, dass konfliktbefangene Mitglieder an der Abstimmung nur mitwirken dürfen, wenn sichergestellt ist, dass die Entscheidung nicht gegen die Mehrheit der unbefangenen Mitglieder getroffen werden kann.24 Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass die Beschlussfassung in dem eingangs genannten Beispiel (fünfköpfiger Ausschuss, Beschlussfassung 3:2 mit zwei JaStimmen der befangenen Mitglieder) der Richtlinie nicht genügen würde, da die Mehrheit der unbefangenen Mitglieder gegen die Maßnahme gestimmt hat. Die Beschlussfassung in einem dreiköpfigen Ausschuss mit 2:1 (eine JaStimme des befangenen Mitglieds, 1:1 unter den unbefangenen Mitgliedern) wäre dagegen nicht zu beanstanden, da sie nicht gegen die Mehrheit der unbefangenen Mitglieder getroffen wird. Schon dieses Beispiel zeigt allerdings, dass auch diese Auslegung der Richtlinie nicht zu überzeugen vermag. Eine so feinsinnige Differenzierung lässt sich Unterabs. 1 schlechterdings nicht entnehmen. Stattdessen verlangt diese Bestimmung nur in denkbar allgemeiner Form Schutzvorkehrungen gegen eine „Ausnutzung“ der Position der nahestehenden Person und einen „angemessenen“ Schutz vor Vermögensverlagerungen. Die Richtlinie hat hier (ebenso wie an anderen Stellen) erkennbar Kompromisscharakter; mangels konkreter Vorgaben belässt sie den Mitgliedstaaten erheblichen Gestaltungsspielraum. Stellt man dies in Rechnung und bedenkt man weiter, dass der deutsche Gesetzgeber immerhin eine mehrheitlich konfliktfreie Besetzung des Ausschusses vorschreibt, dass die Repräsentanten der nahestehenden Person im Ausschuss weisungsunabhängig agieren, dass sie im Rahmen ihres Aufsichtsratsmandats allein auf das Interesse der Gesellschaft verpflichtet sind und dass sie für Pflichtverletzungen nach §§ 116, 93 AktG haftbar gemacht werden können (und zwar wegen des Interessenkonflikts u.U., ohne sich auf die Business Judgment Rule zu können),25 mag man dem deutschen Recht zwar vorhalten, dass eine gänzlich konfliktfreie Besetzung des Ausschusses oder ein Erfordernis, dass die Entscheidung nicht gegen die Mehrheit der unbefangenen Ausschussmitglieder getroffen werden kann, einen noch besseren Schutz vor Vermögensverlagerungen bieten würde. Dass es mit den genannten, sei es auch suboptimalen Schutzvorkehrungen auch hin24 Tarde NZG 2019, 488, 493 (unter Hinweis auf die Wertung des Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 4 ARRL). 25 Näher dazu unter III.

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ter den vagen, ausfüllungsbedürftigen Mindestanforderungen der Richtlinie zurückbleibt und damit den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten überschreitet, wird man jedoch nicht behaupten können. d) Ergebnis Nach alledem erscheint es überzogen, die Mitwirkung einer konfliktbefangenen Minderheit im Related Party-Ausschuss nach § 107 Abs. 3 S. 6 AktG als unionsrechtswidrig zu verwerfen. Damit erübrigt sich die Folgefrage, ob im Wege richtlinienkonformer Auslegung oder Rechtsfortbildung die vom deutschen Gesetzgeber beabsichtigte Regelung zu modifizieren ist. Im Besonderen folgt daraus, dass eine aus dem Unionsrecht abgeleitete analoge Anwendung des weit gefassten Stimmverbots nach § 111b Abs. 2 Var. 2 BGB auf Entscheidungen im Ausschuss nicht in Betracht kommt. 2. Rechtspolitische Bewertung a) Scheinbare und wahre Beweggründe Auf einem anderen Blatt steht, ob die getroffene Regelung auch rechtspolitisch sinnvoll ist. Klaus Hopt hat bereits erkennen lassen, dass er daran Zweifel hegt.26 Die Gesetzesmaterialien zum ARUG II führen als Begründung lediglich an, durch die Möglichkeit der Mitwirkung der konfliktbehafteten Mitglieder im Related Party-Ausschuss werde „ein Anreiz geschaffen, einen solchen Ausschuss einzurichten, in dem die Argumente aller Seiten ausgetauscht werden können.“27 Es bedarf nicht vieler Worte, um festzustellen, dass diese Begründung nicht überzeugt. Ginge es wirklich darum, den Austausch von Argumenten zu befördern, würde es genügen, die konfliktbefangenen Mitglieder anzuhören; das Stimmrecht müsste ihnen zu diesem Zweck nicht verliehen werden. Man geht daher wohl nicht fehl in der Annahme, dass die oberflächliche Begründung nur vorgeschoben ist und der wahre Beweggrund ein anderer ist. Dieser dürfte darin bestehen, dass die neuen Regeln nicht zuletzt auch auf Geschäfte von paritätisch mitbestimmten Gesellschaften mit einem beherrschenden Aktionär Anwendung finden.28 In solchen Gesellschaften würde die Vorgabe, den mindestens dreiköpfigen29 Ausschuss nicht nur mehrheitlich, 26 Hopt ZGR 2019, 507, 536 f. Fn. 135: „Für die Abstimmung des Ausschusses hätte es nahegelegen, § 111b Abs. 2 AktG über den Stimmrechtsausschluss auch hier heranziehen.“ Kritisch auch Markworth AG 2020, 166 Rn. 16. 27 Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 76. 28 Zu diesem Zusammenhang auch Tarde NZG 2019, 488, 493; zuvor bereits J. Vetter ZHR 179 (2015), 273, 308 f. 29 Beschließende Ausschüsse müssen wegen § 108 Abs. 2 S. 3 AktG mindestens drei Mitglieder haben; BGHZ 65, 190, 192 f. = NJW 1976, 145; Hopt/Roth (Fn. 8), § 107 Rn. 346; Lutter/Krieger/Verse (Fn. 8), Rn. 763, 768.

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sondern ausschließlich mit vom Kontrollaktionär unabhängigen Mitgliedern zu besetzen, darauf hinauslaufen, dass dem Aufsichtsrat wenigstens zwei vom Kontrollaktionär unabhängige Anteilseignervertreter angehören müssen, sofern man die Entscheidung nicht mehrheitlich den Arbeitnehmervertretern überlassen will.30 Die Bestellung von zwei unabhängigen Anteilseignervertretern ginge aber zu Lasten des Kontrollaktionärs; in einem 12-köpfigen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat könnte dieser nur noch ein Drittel der Mandate mit seinen Repräsentanten besetzen (sechs Arbeitnehmervertreter, zwei Unabhängige). Das erschien dem Gesetzgeber als gesetzliche Anforderung gegenüber dem Kontrollaktionär offenbar als zu streng – wohl unter dem Eindruck der Tatsache, dass schon die moderate, inzwischen durch das AReG31 wieder aufgehobene Vorgabe des § 100 Abs. 5 AktG a.F., einen unabhängigen Finanzexperten zu bestellen und unter Unabhängigkeit auch diejenige vom Kontrollaktionär zu verstehen, in Deutschland zum Teil auf heftige Abwehrreaktionen gestoßen war32 und (wenn auch zu Unrecht) sogar verfassungsrechtlich in Zweifel gezogen wurde.33 Die neue Vorschrift des § 107 Abs. 3 S. 6 AktG ist vor diesem Hintergrund als Versuch einer minimalinvasiven Lösung zu sehen. Einem Vorschlag des Schrifttums folgend34 genügt nach ihr ein einziger unabhängiger Anteilseignervertreter, um gemeinsam mit einem Repräsentanten des Kontrollaktionärs und einem Arbeitnehmervertreter den Ausschuss so bilden zu können, dass weder ein Übergewicht noch eine Blockadeposition der Arbeitnehmerseite entsteht. b) Plädoyer für eine weitergehende Kodexempfehlung Bemerkenswert ist nun allerdings, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex in seiner grundlegend überarbeiteten, seit 20.3.2020 geltenden Fassung auch die Empfehlungen zur Unabhängigkeit im Aufsichtsrat erheblich verändert hat (C.6-C.12 DCGK). Bisher bewendete es bei der vagen Empfehlung, dass dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören soll (Nr. 5.4.2 S. 1 DCGK a.F.), was bei Gesellschaften mit einem Kontrollaktionär jedenfalls von Tei30 Zu demselben Ergebnis würde die Vorgabe führen, dass die konfliktbefangenen Mitglieder dem Ausschuss zwar als Minderheit angehören dürfen, aber dem Stimmverbot des § 111b Abs. 2 Var. 2 AktG unterliegen. Auch in diesem Szenario könnte sich die Anteilseignerseite im Ausschuss gegen die Arbeitnehmerseite nur durchsetzen, wenn es mindestens zwei unabhängige Anteilseignervertreter gibt. 31 Abschlussprüfungsreformgesetz vom 10.5.2016, BGBl. I, 1142. 32 Exemplarisch Hoffmann-Becking NZG 2014, 801, 804 ff., 806: „Wenn man ihm [scil. dem Kontrollaktionär] die Möglichkeit verweigert, die gesamte Anteilseignerbank nach seinem Gusto zu besetzen, wird damit das deutsche Aktienkonzernrecht aus den Angeln gehoben.“ 33 Dagegen mit Recht Bayer NZG 2013, 1, 12 mit Nachw. zum Diskussionsstand. 34 J. Vetter ZHR 179 (2015), 273, 309. J. Vetter gehörte auch der Expertenkommission an, die das Bundesjustizministerium zur Umsetzung der Richtlinie beraten hat.

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len des Schrifttums so verstanden wurde, dass bereits ein einziger vom Kontrollaktionär unabhängiger Anteilseignervertreter genügte.35 Der neue Kodex wird nun deutlich konkreter: Speziell für Gesellschaften mit einem kontrollierenden Aktionär empfiehlt er, dass in einem Aufsichtsrat mit mehr als sechs Mitgliedern mindestens zwei Anteilseignervertreter vom Kontrollaktionär unabhängig sein sollen; nur wenn der Aufsichtsrat kleiner ist, wird mindestens ein unabhängiger Anteilseignervertreter empfohlen (C.9 DCGK n.F.).36 Da der Aufsichtsrat einer paritätisch mitbestimmten Gesellschaft praktisch immer mehr als sechs Mitglieder haben wird,37 gilt hier also die Empfehlung von mindestens zwei unabhängigen Anteilseignervertretern. Wenn aber in einer den Kodex befolgenden Gesellschaft ohnehin zwei vom Kontrollaktionär unabhängige Anteilseignervertreter vorhanden sind, dann lässt sich das Zustimmungsverfahren im Related Party-Ausschuss für Geschäfte mit dem Kontrollaktionär auch unschwer so ausgestalten, dass Interessenkonflikte ganz vermieden werden. Denkbar wäre z.B. eine Besetzung mit den beiden unabhängigen Anteilseignervertretern und einem oder zwei Arbeitnehmervertretern (im letzteren Fall mit Zweitstimmrecht des Ausschussvorsitzenden der Anteilseignerseite).38 Die Folgerung drängt sich auf: Wenn sich das Verfahren im Related Party-Ausschuss problemlos so gestalten lässt, dass Interessenkonflikte ganz vermieden werden, dann sollte der Kodex auch empfehlen, so vorzugehen und den Related Party-Ausschuss nicht nur mehrheitlich, sondern ausschließlich mit unbefangenen Mitgliedern zu besetzen. Nur wenn dem Aufsichtsrat ausnahmsweise weniger als zwei von der nahestehenden Person unabhängige Anteilseignervertreter angehören, erscheint eine Ausnahme von dieser Empfehlung gerechtfertigt.39 35 Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rn. 1390; strenger schon bisher Hopt/Roth (Fn. 8), § 100 Rn. 43 (regelmäßig mind. ein Drittel vom Kontrollaktionär unabhängige Anteilseignervertreter); Scholderer NZG 2012, 168, 174 (mind. zwei unabhängige Anteilseignervertreter). 36 Dazu Hopt/Leyens ZGR 2019, 929, 963; M. Roth AG 2020, 278 Rn. 59 ff.; jeweils auch mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 37 In der paritätisch mitbestimmten AG ergibt sich dies zwingend aus § 7 Abs. 1 MitbestG. Bei der SE ist theoretisch ein kleinerer Aufsichtsrat denkbar (Habersack/Verse [Fn. 4], § 13 Rn. 7, 11, 32, 39); bei paritätischer Mitbestimmung wird aber auch hier kaum jemals ein Aufsichtsrat mit nur sechs oder weniger Mitgliedern gebildet werden. 38 Zur Zulässigkeit eines Zweitstimmrechts des Ausschussvorsitzenden, auch wenn er nicht zugleich der Aufsichtsratsvorsitzende ist, s. nur Habersack (Fn. 8), § 107 Rn. 135; Hopt/Roth (Fn. 8), § 107 Rn. 459 ff. Der Ausschuss kann selbstverständlich auch mit gerader Mitgliederzahl besetzt sein, sofern nur die Mehrheit der Mitglieder (oder wie in dem Beispiel im Text sogar die Gesamtheit der Mitglieder) i.S. des § 107 Abs. 3 S. 6 AktG konfliktfrei ist; abw. aber Markworth AG 2020, 166 Rn. 13: zwingend ungerade Mitgliederzahl. 39 Formulierungsvorschlag: „Dem Ausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 4–6 AktG sollen ausschließlich Mitglieder angehören, bei denen keine Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer Beziehungen zu der an dem Geschäft beteiligten nahestehenden Person besteht. Dies gilt nicht, wenn dem Aufsichtsrat weniger als zwei Anteilseignervertreter angehören, bei denen keine Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer Beziehungen zu

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Die Vorteile einer solchen Kodexempfehlung liegen auf der Hand. In den Gesellschaften, die der Empfehlung folgen, werden die Integrität und damit auch die Richtigkeitsgewähr des Entscheidungsprozesses gestärkt, ohne dass dies zu Lasten der Informiertheit der Entscheidung gehen müsste. Sofern es – wie in den Materialien zum ARUG II angeführt – hilfreich sein sollte, die Sichtweise der konfliktbefangenen Aufsichtsratsmitglieder einzubeziehen, um die Argumente aller Seiten auszutauschen, bleibt dies ohne weiteres möglich. Die konfliktbefangenen Aufsichtsratsmitglieder können angehört werden und sie können nach Maßgabe des § 109 Abs. 2 AktG grundsätzlich auch an den Ausschusssitzungen teilnehmen, nur eben nicht mitentscheiden. Diese Lösung trägt im Übrigen auch internationalen Standards guter Corporate Governance wesentlich besser Rechnung als eine nur mehrheitlich konfliktfreie Besetzung. Im Ausland tritt man Interessenkonflikten bei Related Party Transactions vielfach resoluter entgegen, als es § 107 Abs. 3 S. 6 AktG tut.40 So entscheidet nach den Listing Rules im Vereinigten Königreich die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft über wesentliche Geschäfte mit einer nahestehenden Person, wobei diese und mit ihr assoziierte Parteien ein Stimmverbot trifft.41 Die Entscheidung liegt also allein bei den nicht konfliktbefangenen Aktionären. Zudem ist für Geschäfte zwischen der börsennotierten Gesellschaft und dem Kontrollaktionär generell (also auch unterhalb der Schwelle der Hauptversammlungszuständigkeit) vorgesehen, dass sie der Kontrolle durch unabhängige Direktoren unterliegen.42 In Frankreich sind bei der Abstimmung im Verwaltungs- oder Aufsichtsrat alle direkt oder indirekt „interessierten“ Personen mit einem Stimmverbot belegt. Für zustimmungspflichtige Geschäfte der Gesellschaft mit einem Großaktionär bedeutet dies, dass sämtliche seiner Repräsentanten kein Stimmrecht haben (wie nach § 111b Abs. 2 AktG).43 In Italien wird ein unabhängiges Komitee in der nahestehenden Person besteht; in diesem Fall genügt es, wenn der Ausschuss mehrheitlich aus Mitgliedern zusammengesetzt ist, bei denen keine Besorgnis eines derartigen Interessenkonflikts besteht.“ 40 S. zum Folgenden auch den rechtsvergleichenden Überblick bei Fleischer BB 2014, 2691; ferner Enriques EBOR 16 (2005), 1, 15 ff.; Enriques/Hertig/Kanda/Pargendler in Kraakman u.a., The Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 145, 153 ff.; sowie die Länderberichte in Enriques/Tröger (Hrsg.), The Law and Finance of Related Party Transactions, 2019, 283 ff. 41 Listing Rules 11.1.7 (3), (4). Eingehend zu den RPT-Regelungen in den Listing Rules Davies in Enriques/Tröger (Fn. 40), 361, 383 ff.; Tarde (Fn. 14), 85 ff. 42 Listing Rules 6.5.4R, 9.8.4R (14) (c), 9.8.4A R, 11.1.1A R (4), 11.1.1C R; dazu Davies in Enriques/Tröger (Fn. 40), 361, 392 ff., insbes. 395 f.: „The independence of the certifying directors is thus a crucial element in the scheme.“ 43 Art. L225-40 Abs. 1 S. 2, L225-88 Abs. 1 S. 2 code de commerce. Zu den Personen, die „directement ou indirectement intéressées“ sind und daher dem Stimmverbot unterliegen, gehören bei Geschäften der Gesellschaft mit einer ihr nahestehenden Gesellschaft (z.B. der Großaktionärin) insbesondere auch Verwaltungs-/Aufsichtsratsmitglieder, die zugleich Organwalter der nahestehenden Gesellschaft sind; Réponse du ministre de la

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den Entscheidungsprozess eingebunden, das ebenfalls ausschließlich aus Personen bestehen muss, die weder an dem Geschäft als Vertragspartei beteiligt sind noch einer Vertragspartei nahe stehen.44 Eine ablehnende Stellungnahme dieses unabhängigen Komitees führt bei größeren Transaktionen dazu, dass das Geschäft der Hauptversammlung vorgelegt werden muss, in der es wiederum auf das Votum der unbefangenen Aktionäre ankommt.45 Und auch in den USA besteht ein starker Anreiz, Geschäfte mit dem Kontrollaktionär von der Zustimmung eines special committee abhängig zu machen, das ausschließlich mit vom Kontrollaktionär unabhängigen Personen besetzt ist, da die Rechtsprechung in diesem Fall erhebliche Beweiserleichterungen für die Angemessenheit der Transaktion gewährt.46

III. Verantwortlichkeit der Ausschussmitglieder bei Interessenkonflikten 1. Inhaltliche Maßstäbe für die Entscheidung Die §§ 111a ff. AktG haben in Umsetzung der Richtlinie neue prozedurale Schutzmechanismen (Zustimmungsvorbehalt, Veröffentlichung) eingeführt, die vor Vermögensverlagerungen auf nahestehende Personen schützen sollen. Die inhaltlichen Maßstäbe, die Vorstand und Aufsichtsrat, sei es das Plenum, sei es der Ausschuss, an die Entscheidung über das zustimmungspflichtige Geschäft anzulegen haben, richten sich dagegen nach den schon bisher geltenden Vorschriften.47 Für Geschäfte mit Aktionären gilt (neben § 53a AktG) das Verbot der verdeckten Vermögenszuwendung nach § 57 AktG, im faktischen Konzern der Maßstab des § 311 AktG, und ganz generell gilt die Vorgabe der §§ 93 Abs. 1, 116 S. 1 AktG, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters walten zu lassen.

justice, Revue des sociétés 1975, 744. Allg. zum RPT-Regime in Frankreich Helleringer in Enriques/Tröger (Fn. 40), 400 ff. 44 Consob, Regolamento operazioni con parti correlate, Art. 3 lit. i, 7 Abs. 1 lit. a, 8 Abs. 1 lit. b, c (monistisches System), Annex 2 Ziff. 1.1. lit. a, Ziff. 2.1 lit. b, c (dualistisches System). 45 Consob (Fn. 44), Art. 8 Abs. 2, 11 Abs. 3 (monistisches System); Annex 2 Ziff. 2.1 lit. d (dualistisches System). 46 Eingehend zur Rechtsprechung in Delaware Rhiel, Related-Party Transactions im deutschen und US-amerikanischen Recht der Aktiengesellschaft, 2015, 142 ff.; ferner Klöhn, FS Stilz, 2014, 365, 372 ff.; s. auch noch unten III. 3. c) mit Fn. 95 zur Frage der Anwendbarkeit der Business Judgment Rule. 47 Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 97; im Erg. auch H.-F. Müller FS E. Vetter, 2019, 479, 482 ff.; ders. ZIP 2019, 2429, 2435, der zwar auf den neuen Maßstab der „Angemessenheit“ (§ 111c Abs. 2 S. 3 AktG) abstellt, diesen aber in Anknüpfung an die zu § 57 und § 311 AktG anerkannten Grundsätze ausfüllt.

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Eine inhaltliche Modifikation dieser Bestimmungen ergibt sich aus den neuen Regeln nur insofern, als bei Geschäften im faktischen Konzern, die den §§ 111a ff. AktG unterfallen, die Möglichkeit eines gestreckten Nachteilsausgleichs gemäß § 311 Abs. 2 AktG nach zutreffender Ansicht ausgeschlossen ist.48 Die in §§ 111b Abs. 1 AktG vorgeschriebene präventive Kontrolle durch den Aufsichtsrat bzw. den Ausschuss setzt nämlich zwingend voraus, dass die wesentlichen Konditionen des Geschäfts im Zeitpunkt der Zustimmungserteilung feststehen, woran es fehlt, wenn der Nachteilsausgleich erst nachträglich konkret festgesetzt wird. Überdies wäre eine nachträgliche Festsetzung des konkreten Nachteilsausgleichs auch mit der Vorgabe unvereinbar, dass die Veröffentlichung des Geschäfts bereits alle zur Bewertung der Angemessenheit wesentlichen Informationen enthalten muss (§ 111c Abs. 2 S. 3 AktG). Entfällt somit die Möglichkeit des gestreckten Nachteilsausgleichs, bedeutet dies, dass die Organwalter der börsennotierten Gesellschaft auch im Anwendungsbereich des § 311 AktG – ebenso wie außerhalb des Konzerns – dem Geschäft immer nur zustimmen dürfen, wenn es von vornherein ausgewogen ist, genauer gesagt: wenn es für die Gesellschaft aus ex-ante-Sicht einen positiven oder jedenfalls keinen negativen Erwartungswert hat.49 Bei Geschäften, die einem Drittvergleich zugänglich sind, setzt dies (mindestens) voraus, dass das Geschäft dem Drittvergleich standhält, es also mit einem Dritten nicht zu für die Gesellschaft günstigeren Konditionen durchgeführt werden könnte.50 2. Beurteilungsspielräume, Anwendbarkeit der Business Judgment Rule Die Beurteilung des Geschäfts bereitet in der Regel keine Probleme, wenn für die betreffende Leistung ein leicht ermittelbarer Marktpreis besteht. 48 Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 107; H.-F. Müller ZGR 2019, 97, 122; ders. FS E. Vetter, 2019, 479, 487; Tarde NZG 2019, 488, 495; Florstedt ZHR 184 (2020), 10, 55; Heidel/Illner (Fn. 16), § 111b AktG Rn. 84; ferner Grigoleit ZGR 2019, 412, 452 ff., insbes. 457, der allerdings abw. von der h.M. die Zulässigkeit eines gestreckten Nachteilsausgleichs generell, d.h. auch jenseits des Anwendungsbereichs der §§ 111a ff. AktG, in Abrede stellt. Großzügiger J. Vetter ZHR 179 (2015), 273, 312 f., der eine bloße Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zum Nachteilsausgleich in allgemeiner Form ohne konkrete Vereinbarung über Inhalt und Höhe des Ausgleichs für ausreichend hält. 49 Grigoleit ZGR 2019, 412, 450 f. 50 Darin liegt jedoch strenggenommen nur eine Mindestvoraussetzung. Es kann Fälle geben, in denen die Transaktion einem Drittvergleich standhält, aber dennoch nicht im Interesse der Gesellschaft liegt (z.B. Veräußerung eines Gegenstands, auf den die Gesellschaft dringend angewiesen ist, zum Marktpreis). In diesem Fall ist zwar ein Verstoß gegen § 57 AktG ausgeschlossen (Cahn/v. Spannenberg in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 57 Rn. 17), nicht aber ein Verstoß gegen §§ 93 Abs. 1, 116 AktG.

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Fehlt es daran (wie z.B. bei Veräußerung nicht börsennotierter Unternehmensbeteiligungen), wird gemeinhin darauf verwiesen, dass als Anhaltspunkt auf sonstige anerkannte Bewertungsverfahren zurückzugreifen ist.51 Diese werden jedoch regelmäßig nicht zu einem exakten Preis, sondern zu einer Bandbreite von Preisen führen. Rechtsprechung und Schrifttum tragen diesen Bewertungsunsicherheiten dadurch Rechnung, dass sie den Beteiligten einen Beurteilungsspielraum einräumen.52 Nicht hinreichend geklärt ist allerdings, wie weit dieser Spielraum im Einzelnen reicht, konkret: ob er nach denselben Regeln zu bemessen ist, die für die Grenzen des unternehmerischen Ermessens im Rahmen der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG) gelten. Vielmehr zeigt sich in dieser Frage ein verwirrendes, uneinheitliches Bild. Im Anwendungsbereich des § 311 AktG entspricht es im Anschluss an die UMTS-Entscheidung des BGH53 ganz überwiegender Ansicht, dass die Business Judgment Rule grundsätzlich auch auf die Entscheidung anwendbar ist, ob ein Geschäft mit dem herrschenden Unternehmen für die Gesellschaft ausgewogen ist.54 Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei Einhaltung der prozeduralen Voraussetzungen der Business Judgment Rule (angemessene Informationsgrundlage, kein relevanter Interessenkonflikt55) die gutgläubig getroffene unternehmerische Entscheidung nur darauf kontrolliert wird, ob sie evident unvertretbar ist.56 Im Kapitalerhaltungsrecht finden sich dagegen uneinheitliche Stellungnahmen. Meist wird nur allgemein von einem Beurteilungs- oder Ermessensspielraum gesprochen, ohne zu präzisieren, ob sich dessen Reichweite 51 Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 56; Cahn/v. Spannenberg (Fn. 50), § 57 Rn. 22; Fleischer in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 57 Rn. 13. 52 Nachw. sogleich in Fn. 53 ff. 53 BGHZ 175, 365 Rn. 11 = NZG 2008, 389 Rn. 11 – UMTS; ferner BGHZ 190, 75 = NZG 2011, 829 Rn. 32 – Dritter Börsengang; OLG Köln AG 2009, 416, 420 – Strabag. 54 Grigoleit in: Grigoleit, AktG, 2013, § 311 Rn. 27; Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 53, 56; J. Koch (Fn. 10), § 311 Rn. 25; H.-F. Müller in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 311 Rn. 31; J. Vetter in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 311 Rn. 40a, 48; explizit für Anwendung der Business Judgment Rule auch im Anwendungsbereich der neuen §§ 111a ff. AktG Bungert/Berger DB 2018, 2860, 2864; H.-F. Müller (Fn. 48), 479, 485 f.; Markworth AG 2020, 166 Rn. 37. 55 Zu dieser Voraussetzung näher unter III. 3. 56 So das überwiegende Verständnis des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, etwa Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 75 (Evidenzkontrolle); J. Koch (Fn. 10), § 93 Rn. 23 („wegen objektiver Evidenz schlechthin unvertretbar“); ausf. Bachmann FS Stilz, 2014, 25, 28 ff., 34 f. (Evidenzkontrolle entspr. dem Maßstab der groben Fahrlässigkeit); Pfertner Unternehmerische Entscheidungen des Vorstands, 2017, 81 ff.; ähnlich Hopt/Roth in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 113 (Grenze erst bei „unverantwortlichen“ Entscheidungen); vgl. auch Begr. RegE UMAG BT-Drs. 15/5092, 11 unter Hinweis auf BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck (Spielraum unternehmerischen Handelns „deutlich“ überschritten; Bereitschaft, Risiken einzugehen, „in unverantwortlicher Weise überspannt“).

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nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bemisst.57 Teilweise wird die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule aber auch ausdrücklich verneint, da es sich um eine (im Interesse des Gläubigerschutzes) rechtlich gebundene Entscheidung handle.58 Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sollen nach dieser Auffassung enger zu ziehen sein als bei einer auf angemessener Informationsgrundlage basierenden, interessenkonfliktfreien unternehmerischen Entscheidung im Rahmen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG.59 Andere Stimmen gehen dagegen offenbar davon aus, dass die Business Judgment Rule auch im Kapitalerhaltungsrecht Anwendung finden kann.60 Dieser Grundsatzfrage kann im Rahmen dieses Beitrags nicht näher nachgegangen werden. Hingewiesen sei aber darauf, dass es jenseits des hier nicht anwendbaren gestreckten Nachteilsausgleichs konzeptionell nicht einzuleuchten vermag, die Ausgewogenheit von Geschäften mit dem herrschenden Unternehmen (§ 311 AktG) und mit sonstigen Aktionären (§ 57 AktG) nach unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben zu kontrollieren.61 In beiden Fällen geht es gleichermaßen um die Überprüfung, ob ein Geschäft zwischen der Gesellschaft und dem Aktionär für die Gesellschaft aus exante-Sicht einen positiven Erwartungswert hat oder nicht.62 Und in beiden Fällen steht ein weites unternehmerisches Ermessen in der Bewertungsfrage gleichermaßen in einem Spannungsverhältnis mit Belangen des Gläubigerschutzes. Wenn man mit der genannten Auffassung zu § 57 AktG davon ausgeht, dass der Gläubigerschutz eine engmaschigere Kontrolle der Aus57 Aus der Rechtsprechung – vor Kodifizierung der Business Judgment Rule – BGH NJW 1987, 1194, 1195 („gewisser unternehmerischer Handlungsspielraum“); ebenso BGH NJW 1996, 589, 590 (jeweils zu § 30 GmbHG); ähnlich („Ermessenspielraum“) BGHZ 111, 224, 227 = NJW 1990, 2625, 2626 (zum Gleichbehandlungsgebot); aus dem Schrifttum etwa Bayer in: MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2019, § 57 Rn. 60; Fleischer (Fn. 51), § 57 Rn. 12; Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 30 Rn. 62; Verse in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2017, § 30 Rn. 19. 58 Drygala in: Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 57 Rn. 56 f. 59 Näher Drygala (Fn. 58), § 57 Rn. 57. 60 S. etwa Cahn/v. Spannenberg (Fn. 50), § 57 Rn. 21, nach denen das unternehmerische Ermessen des Vorstands durch § 57 Abs. 1 S. 1 AktG nicht eingeschränkt wird; ferner T. Bezzenberger Das Kapital der AG, 2005, 229 f., der (vor Einführung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG) auch für Zwecke der Kapitalerhaltung auf das unternehmerische Ermessen nach BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck Bezug nimmt. 61 Nicht verkannt wird dabei, dass es im Rahmen des § 57 AktG auf den Vorteil für den Aktionär und im Rahmen des § 311 AktG auf den Nachteil der Gesellschaft ankommt. Bei unausgewogenen Austauschgeschäften ist dies jedoch regelmäßig nur eine Frage der Perspektive; Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 54. 62 Der Kern der Prüfung besteht also in der Kontrolle der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit der Entscheidung (Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse). Darin liegt ein erheblicher Unterschied zu sonstigen Fällen einer unklaren Rechtslage, auf die die Business Judgment Rule nach herrschender und zutreffender Ansicht (J. Koch, FS Bergmann, 2018, 413; Verse, ZGR 2017, 174; jeweils m.z.N.) keine Anwendung findet; s. zu diesem Unterschied auch Pfertner (Fn. 56), 113 f., 122 ff., 231 f.

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gewogenheit als nach der Business Judgment Rule erfordert, müsste dies also konsequenterweise auch im Rahmen des § 311 AktG gelten, da diese Vorschrift nicht anders als § 57 AktG (zumindest auch) dem Gläubigerschutz dient. Sofern man dagegen mit der herrschenden Ansicht im Rahmen des § 311 AktG die Business Judgment Rule anwendet, erscheint es ungereimt, im Rahmen des § 57 AktG anders zu entscheiden. Als vermittelnde Lösung mag man allenfalls noch in Betracht ziehen, die Business Judgment Rule allein auf die Haftungsfrage (§§ 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, 116 AktG) anzuwenden und im Rahmen der §§ 57, 62 AktG nur einen engeren Beurteilungsspielraum zu gewähren.63 Auch diese Differenzierung müsste dann aber, will man konsequent sein, innerhalb und außerhalb von Konzernbeziehungen gleichermaßen gelten. 3. Auswirkungen von Interessenkonflikten der Ausschussmitglieder a) Ausgangspunkt Geht man mit der jedenfalls im Anwendungsbereich des § 311 AktG herrschenden Ansicht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Business Judgment Rule aus, stellt sich die Folgefrage, wie sich die Mitwirkung konfliktbefangener Aufsichtsratsmitglieder im Related Party-Ausschuss auf die Anwendung dieser Regel auswirkt. Grundsätzlich ist das Fehlen von Interessenkonflikten als ungeschriebene Voraussetzung des § 93 Abs. 1 S. 2 (hier i.V.m. § 116 S. 1) AktG anerkannt.64 Dahinter steht die einleuchtende Überlegung, dass Interessenkonflikte der Vermutung den Boden entziehen, dass der Organwalter allein das Beste für die Gesellschaft im Auge hat,65 und infolgedessen eine engmaschigere Überprüfung der Entscheidung am Maßstab des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG geboten ist. Wie engmaschig diese Prüfung genau ausfallen muss, harrt freilich ebenfalls noch der Klärung. Der Auffassung, dass das Gericht die Entscheidung trotz ihres unternehmerischen Charakters vollinhaltlich überprüfen muss, der Beurteilungsspielraum also ganz entfällt,66 steht die Ansicht gegenüber, dass trotz des Konflikts noch ein ein63

Allerdings wird der Business Judgment Rule grundsätzlich eine Doppelwirkung in dem Sinne zuerkannt, dass innerhalb des durch sie geschützten Ermessensspielraums nicht nur die Organhaftung ausscheidet, sondern auch die getroffene Entscheidung als solche nicht mehr in Frage gestellt werden kann; J. Koch (Fn. 10), § 93 Rn. 13; Paefgen AG 2004, 245, 249 ff. 64 Ganz h.M., Begr. RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, 11; Fleischer (Fn. 56), § 93 Rn. 72; Hopt/Roth (Fn. 56), § 93 Rn. 90 ff.; eingehend J. Koch ZGR 2014, 697, 701 ff.; Holtkamp Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, 202 ff.; krit. Krieger/SailerCoceani in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 19. 65 Statt vieler Fleischer (Fn. 56), § 93 Rn. 72. 66 So etwa Holle ZHR 182 (2018), 569 (579 f.); ferner Paefgen Unternehmerische Entscheidungen, 2002, S. 176, 250 f. („vollinhaltliche Opportunitätskontrolle“); M. Roth Un-

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geschränkter Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist, der sich schlagwortartig so beschreiben lässt, dass an die Stelle des Maßstabs der evidenten Unvertretbarkeit derjenige der Vertretbarkeit der Entscheidung tritt.67 Da die auf dem Prognosecharakter der unternehmerischen Entscheidung beruhenden Schwierigkeiten der gerichtlichen Überprüfung und die Gefahr von Rückschaufehlern auch bei konfliktbehafteten Entscheidungen bestehen, dürfte in der Tat mehr dafür sprechen, mit der zuletzt genannten Ansicht davon auszugehen, dass den konfliktbefangenen Organwalter zwar eine erhöhte Begründungslast hinsichtlich der Vorteilhaftigkeit der Maßnahme (aus ex-ante-Sicht) trifft, ihm aber trotz des Interessenkonflikts noch ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum verbleibt.68 Stehen Interessenkonflikte der Anwendung der Business Judgment Rule somit grundsätzlich im Wege, ergeben sich daraus für den teilweise mit konfliktbefangenen Mitgliedern besetzten Related-Party-Ausschuss insbesondere zwei Fragen: Zum ersten fragt sich, ob der Interessenkonflikt, in dem sich die Minderheit der Ausschussmitglieder befindet, auch die unbefangenen Ausschussmitglieder „infiziert“, so dass sich auch diese nicht mehr auf die Business Judgment Rule berufen können (dazu lit. b). Zum zweiten stellt sich in entgegengesetzter Richtung die Frage, ob die konfliktbefangenen Mitglieder ihrerseits darauf verweisen können, dass sie einem nach § 107 Abs. 3 S. 6 AktG mehrheitlich unabhängigen Gremium angehören und dadurch der Interessenkonflikt so neutralisiert ist, dass sich alle Ausschussmitglieder (einschließlich der konfliktbefangenen) auf die Business Judgment Rule berufen können (dazu lit. c). b) „Infizierung“ der nicht konfliktbefangenen Mitglieder? aa) Meinungsstand Die erste Frage ist für Kollegialentscheidungen des Vorstands und des Aufsichtsrats schon des Öfteren diskutiert worden, allerdings mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Teile des Schrifttums halten im Anschluss an Marcus Lutter69 dafür, dass die Mitwirkung eines konfliktbefangenen Orternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, S. 87 (eigene Ermessensentscheidung des Gerichts); Scholderer NZG 2012, 168, 174 („gerichtlich voll nachprüfbar“). 67 So besonders deutlich Harbarth FS Hommelhoff, 2012, 323, 336 ff. (mit näherer Konkretisierung des Vertretbarkeitsmaßstabs); Wandrey, Materielle Beschlusskontrolle im Aktienrecht, 2011, S. 162 f.; ähnlich Bachmann NZG 2013, 1121, 1124 (Ermessen bleibt, aber strengere Prüfung); noch weitergehend Habersack (Fn. 8), § 116 Rn. 40; ders. ZHR 177 (2013), 782, 798 f. (kein erheblicher Unterschied zwischen Überprüfung unternehmerischer Entscheidungen am Maßstab des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG und derjenigen im Rahmen des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG). 68 Weiterführend Harbarth FS Hommelhoff, 2012, 323, 338 ff. 69 Lutter, FS Canaris, Bd. 2, 2007, 245, 248 ff.

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ganmitglieds an der Beratung und/oder der Beschlussfassung die übrigen Organmitglieder mit dem Interessenkonflikt „infizieren“ könne, so dass ihnen die Business Judgment Rule nicht mehr zugutekomme.70 Diese Infizierungsthese wird im Wesentlichen in drei verschiedenen Ausprägungen vertreten: Teils wird angenommen, dass die konfliktfreien Mitglieder unabhängig davon infiziert werden, ob ihnen der Interessenkonflikt des befangenen Mitglieds im Zeitpunkt der Entscheidung bekannt war oder nicht.71 Andere beschränken die Infizierung auf den Fall des (pflichtwidrig)72 verborgenen Interessenkonflikts,73 wieder andere genau entgegengesetzt auf den Fall, dass der Interessenkonflikt offengelegt wurde, das betroffene Mitglied sich aber nicht von der Mitwirkung an der Entscheidung zurückzieht.74 Keine der drei Varianten der Infizierungsthese hat sich indes bislang durchsetzen können. Im Gegenteil finden sich zunehmend und inzwischen wohl schon überwiegend Stimmen, die eine Infizierung in dem genannten Sinn sowohl bei verborgenen als auch bei offengelegten Interessenkonflikten ablehnen.75

70 Verzichtet der Konfliktbetroffene auf die Teilnahme an Beratung und Abstimmung, tritt dagegen unstreitig keine „Infizierung“ ein; Lutter, FS Canaris, Bd. 2, 2007, 245, 250; J. Koch ZGR 2014, 697, 709. Zu der hier nicht zu behandelnden Streitfrage, ob sich ein konfliktbefangener Organwalter unterhalb der Schwelle des Stimmverbots von der Teilnahme zurückziehen darf, einerseits Habersack (Fn. 8), § 100 Rn. 81; Holtkamp (Fn. 64), 110 ff.; andererseits Reichert, FS E. Vetter, 2019, 597, 602, 607 f. m.w.N. 71 Lutter, FS Canaris, Bd. 2, 2007, 245, 248 ff.; ihm folgend Scholderer NZG 2012, 168, 175 (aber offenbar mit Zweifeln für den Fall des offengelegten Interessenkonflikts); grundsätzlich auch Winnen Die Innenhaftung nach dem UMAG, 2009, 273 ff., der aber im Fall des offengelegten Interessenkonflikts danach differenzieren will, ob die Entscheidung von einer unbefangenen Mehrheit der Organmitglieder gedeckt ist oder nicht. 72 Zur Pflicht der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, Interessenkonflikte offenzulegen, s. nur Hopt/Roth (Fn. 56), § 93 Rn. 275; dies. (Fn. 8), § 100 Rn. 302; irreführend daher die Einstufung als bloße Empfehlung („soll“) in E.1 und E.2 DCGK n.F. (Ziff. 4.3.3, 5.5.2 DCGK a.F.). 73 Blasche AG 2010, 692, 694 ff.; Bauer in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, 195, 212 f.; Kumpan Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, 554 f. 74 So namentlich J. Koch FS Säcker, 2011, 403, 405 ff., 414 ff.; ders. ZGR 2014, 697, 708 ff., 713 ff.; ders. (Fn. 10), § 93 Rn. 26, § 108 Rn. 13; grundsätzlich auch Holtkamp (Fn. 64), 214 ff., der es aber für möglich hält, der Infizierung durch erhöhte Kontrollmaßnahmen zur Neutralisierung des Interessenkonflikts zu entgehen. 75 Fleischer (Fn. 56), § 93 Rn. 72a f.; Krieger/Sailer-Coceani (Fn. 64), § 93 Rn. 19; Link in: Wachter, AktG, 3. Aufl. 2018, § 93 Rn. 49 f.; Löbbe/Fischbach AG 2014, 717, 726 ff.; Reichert, FS E. Vetter, 2019, 597, 610 ff.; C. Schäfer ZGR 2014, 731, 746; Verse in: Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 39 SEAG Rn. 10; jedenfalls für den verborgenen Konflikt ablehnend auch Hopt/Roth (Fn. 56), § 93 Rn. 96; differenzierend Mertens/Cahn in. Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 29; Spindler in: MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 71 f.

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bb) Offengelegter Interessenkonflikt Die neue Regelung zum Related Party-Ausschuss ist zur Lösung dieser Streitfrage durchaus aufschlussreich. Dies wird deutlich, wenn man zunächst den Diskussionsstand zur Fallgruppe des offengelegten Interessenkonflikts etwas näher betrachtet. Die Verfechter der Infizierungsthese stützen sich in dieser Fallgruppe auf die Erwägung, dass die übrigen Organmitglieder aus Gründen kollegialer Rücksichtnahme nicht unbefangen diskutieren und entscheiden könnten, wenn dies in Gegenwart eines konfliktbefangenen Kollegen geschehe.76 Allerdings räumen auch Vertreter dieser Ansicht ein, dass es für die übrigen Organmitglieder unzumutbar wäre, wenn ihnen infolge der Offenlegung des Interessenkonflikts die Berufung auf die Business Judgment Rule verwehrt würde, ohne sich vor dieser nachteiligen Konsequenz schützen zu können.77 Daher hat Jens Koch die These entwickelt, dass das konfliktbefangene Mitglied in Fällen, in denen es nicht schon analog § 34 BGB von der Abstimmung ausgeschlossen ist, aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht verpflichtet sei, sich von der Abstimmung und u.U. auch schon von der Beratung zurückzuziehen, wenn seine Kollegen dies mehrheitlich von ihm verlangen. Die übrigen Mitglieder sollen mit anderen Worten befugt sein, das konfliktbefangene Mitglied durch Mehrheitsbeschluss von der Mitwirkung auszuschließen, um sich dadurch die Möglichkeit der Berufung auf die Business Judgment Rule zu erhalten.78 Die neue Vorschrift des § 107 Abs. 3 S. 6 AktG zeigt nun allerdings sehr deutlich, dass dieser Lösungsweg jedenfalls im Related Party-Ausschuss nicht gangbar ist. Der Gesetzgeber nimmt es nämlich mit dieser Vorschrift ganz bewusst in Kauf, dass die konfliktbefangene Minderheit mitberaten und (jenseits der engen Grenzen des § 34 BGB analog) auch mitabstimmen kann.79 Der Gesetzgeber traut es der unbefangenen Mehrheit also offensichtlich zu, auch in Anwesenheit der konfliktbefangenen Minderheit zu einer unvoreingenommenen, allein am Gesellschaftsinteresse orientierten Beurteilung zu gelangen. Damit ist die These, die unbefangene Mehrheit könne die konfliktbefangene Minderheit allein schon wegen des Interessenkonflikts von der Mitwirkung ausschließen, ersichtlich unvereinbar; für eine entsprechende auf die Treuepflicht gestützte Rechtsfortbildung ist ange-

76 J. Koch ZGR 2014, 697, 709 f., 714; Lutter, FS Canaris, Bd. 2, 2007, 245, 249 f.; Holtkamp (Fn. 64), 215 f. 77 Deutlich J. Koch ZGR 2014, 697, 711. 78 Eingehend J. Koch ZGR 2014, 697, 719 ff.; s. auch dens. (Fn. 10), § 93 Rn. 26. Ablehnend dazu Reichert, FS E. Vetter, 2019, 597, 614 f.; C. Schäfer ZGR 2014, 731, 747; Holtkamp (Fn. 64), 154 ff. 79 S. nochmals Begr. RegE BT-Drs. 19/9739, 76 (oben Fn. 10).

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sichts der klaren Entscheidung des Gesetzgebers kein Raum.80 Damit ist aber auch die Konsequenz für die Business Judgment Rule vorgezeichnet: Wenn die unbefangenen Ausschussmitglieder keine Möglichkeit haben, die Mitwirkung einer konfliktbefangenen Minderheit zu verhindern, kann es auch nicht richtig sein, ihnen allein aufgrund deren Mitwirkung die Berufung auf § 93 Abs. 1 S. 2 (i.V.m. § 116 S. 1) AktG zu verwehren. Die Business Judgment Rule soll den unbefangenen Organwaltern gerade ermöglichen, durch Einhaltung bestimmter Voraussetzungen in den Genuss eines Haftungsfreiraums („sicheren Hafens“) zu gelangen, und auf diese Weise einer übertriebenen Risikoscheu der Organmitglieder entgegenwirken, die den Interessen der Aktionäre zuwiderliefe und auch volkswirtschaftlich schädlich wäre.81 Wenn die Organwalter aber trotz Vorliegens einer unternehmerischen Entscheidung gar keine Chance haben, den sicheren Hafen zu erreichen, wird dieser Sinn und Zweck des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verfehlt.82 Die Wertung des Gesetzgebers, dass die konfliktbefangenen Mitglieder keinem Mitwirkungsverbot unterliegen, muss daher auch im Rahmen der Business Judgment Rule Berücksichtigung finden, und zwar in dem Sinne, dass ihre Mitwirkung an Beratung oder Abstimmung die Anwendung der Business Judgment Rule für die übrigen Mitglieder nicht sperrt. Das Gesagte bedeutet allerdings nicht, dass die Mitwirkung konfliktbefangener Mitglieder im Related Party-Ausschuss für die Anwendung des § 93 Abs. 1 S. 2 (i.V.m. § 116 S. 1) AktG auf die übrigen Ausschussmitglieder gänzlich ohne Bedeutung wäre. Vielmehr versteht es sich, dass letztere auf den Interessenkonflikt angemessen reagieren müssen, indem sie die Argumente der konfliktbefangenen Mitglieder mit der gebotenen kritischen Distanz hinterfragen und sicherstellen, dass sie auf einer unabhängig ermittelten Informationsgrundlage eine von dem Konflikt unbeeinflusste Entscheidung treffen können.83 Von einer angemessenen Informationsgrundlage dürfen sie daher nur ausgehen, wenn entscheidungserhebliche Informationen, die von den befangenen Mitgliedern stammen, hinreichend belegt und (bei Bedarf mithilfe unabhängiger Sachverständiger) sorgfältig überprüft worden sind. Mit dieser Maßgabe ist insgesamt eine angemessene Lösung gefunden, die einerseits die vom Gesetzgeber gebilligte Mitwirkung konfliktbefangener

80 Eine andere Frage ist, ob einem konfliktbefangenen Aufsichtsratsmitglied ausnahmsweise die Teilnahme an der Sitzung verwehrt werden darf, wenn andernfalls wichtige Belange der Gesellschaft konkret gefährdet wären. Diese Möglichkeit ist – unter engen Voraussetzungen – mit Recht anerkannt; Habersack (Fn. 8), § 109 Rn. 10; Lutter/Krieger/ Verse (Fn. 8), Rn. 700. 81 S. nur Fleischer (Fn. 56), § 93 Rn. 60; Hopt/Roth (Fn. 56), § 93 Rn. 63. 82 Löbbe/Fischbach AG 2014, 717, 727 f. 83 Ähnlich Fleischer (Fn. 56), § 93 Rn. 72a: Nach Offenlegung eines Interessenkonflikts trifft die übrigen Mitglieder eine erhöhte Darlegungslast hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Prüfungsobliegenheiten.

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Mitglieder unterhalb der Schwelle des Stimmverbots akzeptiert, andererseits aber einen Anreiz für die übrigen Mitglieder gibt, den Interessenkonflikt so zu neutralisieren, dass sie sich auf die Business Judgment Rule berufen können. Die vorstehend skizzierte Lösung liegt im Übrigen nicht nur für den Related Party-Ausschuss nahe, sondern lässt sich auch auf sonstige Kollegialentscheidungen des Aufsichtsrats und des Vorstands übertragen. Wenn der Gesetzgeber für den Related Party-Ausschuss klar zu erkennen gibt, dass die Mitwirkung konfliktbefangener Mitglieder unterhalb der Schwelle des Stimmverbots von den übrigen Mitgliedern grundsätzlich hinzunehmen ist, dann ist nicht recht einzusehen, warum diese Wertung auf den Related Party-Ausschuss beschränkt sein sollte. Wesentlich näher liegt die Annahme, dass auch bei anderen Kollegialentscheidungen die unbefangenen Organmitglieder die Mitwirkung konfliktbefangener Kollegen grundsätzlich84 dulden müssen, sofern die Schwelle zu einem Stimmverbot nicht erreicht ist. In der weiteren Konsequenz muss dies dann aber auch hier wieder bedeuten, dass allein die Mitwirkung konfliktbefangener Mitglieder den übrigen nicht die Berufung auf die Business Judgment Rule versperrt, sondern diesen nur eine intensivierte Prüfung der potenziell von Sonderinteressen beeinflussten Argumente der befangenen Mitglieder abverlangt. Der Infizierungsthese ist daher in der Fallgruppe des offengelegten Interessenkonflikts nicht nur für den Related Party-Ausschuss, sondern allgemein eine Absage zu erteilen. cc) Verborgener Interessenkonflikt Nur in aller Kürze sei hinzugefügt, dass die Infizierungsthese darüber hinaus auch in der Fallgruppe des pflichtwidrig verborgenen Interessenkonflikts einer näheren Überprüfung nicht standzuhalten vermag.85 Nicht zu leugnen ist zwar, dass Anlass zu der Befürchtung besteht, dass die übrigen Organmitglieder den Argumenten eines befangenen Organwalters nicht mit der gebotenen kritischen Distanz begegnen, wenn sie nicht erkennen, dass dessen Verhalten möglicherweise von einem Sonderinteresse geleitet ist. Daher lässt sich nicht ausschließen, dass ihre Entscheidung durch den Interessenkonflikt mitbeeinflusst wird.86 Dies allein kann jedoch, worauf im Schrifttum schon mehrfach hingewiesen worden ist, kein hinreichender Grund sein, ihnen die Berufung auf § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu versagen. 84 D.h. vorbehaltlich der anerkannten Ausnahmefälle, in denen ein Ausschluss zur Wahrung wichtiger Belange der Gesellschaft erforderlich ist (s.o. Fn. 80). 85 S. nochmals die Nachw. in Fn. 75. 86 So die Argumentation der Befürworter der Infizierungsthese; Lutter, FS Canaris, Bd. 2, 2007, 245, 248 f.; Blasche AG 2010, 692, 695; Bauer (Fn. 73), 195, 212 f.; Kumpan (Fn. 73), 555.

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Wollte man dies annehmen, könnten die unbefangenen Organmitglieder praktisch nie darauf vertrauen, in den Genuss der Business Judgment Rule zu kommen, sondern müssten stets damit rechnen, völlig unverschuldet durch das pflichtwidrige Verschweigen des Interessenkonflikts eines Kollegen in eine Situation zu geraten, in der die Regel nicht gilt. Damit würde das Anliegen der Vorschrift, den Organmitgliedern bei Einhaltung bestimmter prozeduraler Regeln einen sicheren Hafen zu bieten und auf diese Weise zu verhindern, dass die aus unternehmerischer und volkswirtschaftlicher Sicht erwünschte Risikobereitschaft der Organwalter gelähmt wird, im Kern verfehlt.87 c) Bereinigung des Interessenkonflikts der konfliktbefangenen Mitglieder? Ist nach alledem eine Infizierung der unbefangenen Mitglieder abzulehnen, bleibt zu guter Letzt die bisher kaum diskutierte Frage, ob sich unter bestimmten Voraussetzungen auch die an der Entscheidung mitwirkenden konfliktbefangenen Mitglieder im Related Party-Ausschuss darauf berufen können, dass der Interessenkonflikt hinreichend neutralisiert ist, und daher auch ihnen die Business Judgment Rule zugutekommt. aa) Ausgangspunkt Will man sich dieser Frage nähern, ist zunächst festzuhalten, dass § 93 Abs. 1 S. 2 AktG schon nach seinem Wortlaut („das Vorstandsmitglied“) eine individuelle Betrachtungsweise zugrunde liegt, die am einzelnen Organwalter ansetzt, nicht am Gesamtorgan oder an einem Organteil wie dem Ausschuss. Allein der Umstand, dass sich die unbefangenen Mitglieder und damit die Mehrheit der Mitglieder im Ausschuss auf die Business Judgment Rule berufen können, präjudiziert mithin nicht die Frage, ob dies auch für die befangene Minderheit gilt. Vielmehr ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG für jedes Organmitglied individuell zu prüfen.88 Keine Schwierigkeiten bereitet diese Prüfung, wenn es um einen pflichtwidrig nicht offengelegten (und den übrigen Mitgliedern auch nicht anderweitig bekannten) Interessenkonflikt geht. Unter diesen Umständen besteht keinesfalls Anlass, dem konfliktbefangenen Mitglied die Berufung auf die Business Judgment Rule zu eröffnen.89 Zum einen ist der Betroffene in die87 Überzeugend J. Koch FS Säcker, 2011, 403, 405 ff., insbes. 410 f.; ders. ZGR 2014, 697, 708 f.; Reichert FS E. Vetter, 2019, 597, 612 f. 88 Ganz h.M., deutlich etwa J. Koch FS Säcker, 2011, 403, 407 ff.; Löbbe/Fischbach AG 2014, 717, 718; Reichert FS E. Vetter, 2019, 597, 605, 609 f.; Holtkamp (Fn. 64), 211 ff. 89 Im Erg. ebenso Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 107; Löbbe/Fischbach AG 2014, 717, 726 (jeweils ohne Differenzierung zwischen verborgenem und offengelegtem Interessenkonflikt); implizit Holtkamp (Fn. 64), 216 f., der die Neutralisierung des Interessenkon-

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sem Fall nicht schutzwürdig; zum anderen wird der Interessenkonflikt hier gerade nicht durch die Entscheidungsfindung im Ausschuss neutralisiert, da die unbefangene Mehrheit nichts von dem Interessenkonflikt weiß und die Argumente des befangenen Mitglieds daher nicht in diesem Licht bewerten und hinterfragen kann. Schwieriger zu beurteilen ist der Fall des offengelegten Interessenkonflikts. Hierzu ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass schon die Gesetzesmaterialien zum UMAG die Möglichkeit, dass sich ein konfliktbefangener Organwalter in diesem Fall auf die Business Judgment Rule berufen kann, nicht generell ausschließen. Vielmehr heißt es dort:90 „Anders mag der Fall zu beurteilen sein, wenn das Organmitglied zuvor den Interessenkonflikt offen gelegt hat (wie es etwa der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt) und unter diesen Umständen die Annahme gleichwohl zum Wohle der Gesellschaft zu handeln vernünftig und nachvollziehbar erscheint.“

Der Gesetzgeber hält es also offenbar für möglich, den Interessenkonflikt so zu neutralisieren, dass die Befürchtung, der Organwalter werde sich nicht vom Gesellschaftsinteresse, sondern von dem konfligierenden Sonderinteresse leiten lassen, entkräftet wird und doch wieder Raum für die Business Judgment Rule ist.91 Unter welchen Voraussetzungen diese Annahme gerechtfertigt ist, präzisieren die UMAG-Materialien allerdings nicht. bb) Konfliktneutralisierung durch Offenlegung und mehrheitlich unbefangene Ausschussbesetzung? Man könnte nun in Betracht ziehen, die neuen Besetzungsregeln des § 107 Abs. 3 S. 5–6 AktG als abschließende Regelung für (offengelegte) Interessenkonflikte im Related Party-Ausschuss zu interpretieren. Der Interessenkonflikt – so könnte man argumentieren – ist bereits durch die Offenlegung des Konflikts, die mehrheitlich unbefangene Besetzung des Ausschusses sowie die Publizität des Geschäfts (§ 111c AktG) so eingehegt, dass kein zwingender Anlass mehr besteht, das Verhalten der konfliktbefangenen Ausschussmitglieder engmaschiger zu kontrollieren als das der übrigen Mitglieder und ihnen die Berufung auf §§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG zu verwehren. Dieser Ansatz hätte den Vorteil einer einfachen Rechtsanwendung flikts nur bei einem offengelegten Interessenkonflikt in Betracht zieht; abw. wohl Schlimm Das Geschäftsleiterermessen des Vorstands einer AG, 2009, 322 f., die davon auszugehen scheint, dass die Business Judgment Rule auch bei einem verschwiegenen Konflikt für alle Organmitglieder gilt, sofern nur die den Beschluss tragende Mehrheit unbefangen ist. 90 Begr. RegE, BT-Drs. 15/5092, 11 re. Sp. 91 Näher dazu Holtkamp (Fn. 64), 207 ff., der eine Konfliktneutralisierung im Vorstand insbesondere durch Einschaltung des Aufsichtsrats für möglich hält.

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für sich, da er verschiedene Überprüfungsmaßstäbe für dieselbe Entscheidung vermeidet. Aus den Materialien zum ARUG II ergeben sich zwar keine klaren Anhaltspunkte zur Stützung dieser These; die Business Judgment Rule wird dort im vorliegenden Kontext nicht angesprochen. Immerhin könnte man aber an die Bemerkung anknüpfen, dass durch den Verzicht auf ein Stimmverbot für die konfliktbefangenen Ausschussmitglieder ein „Anreiz“ geschaffen werden solle, einen Ausschuss einzurichten, in dem die Argumente aller Seiten ausgetauscht werden können.92 Diese Bemerkung könnte man dahin deuten, dass die Mitwirkung einer konfliktbefangenen Minderheit im Ausschuss vom Gesetzgeber nicht nur toleriert wird, sondern sogar erwünscht ist. Ginge man von dieser Prämisse aus, wäre es nur noch ein kleiner Schritt zu der Schlussfolgerung, dass die konfliktbefangenen Mitglieder dann auch nicht schlechter stehen sollen als die übrigen Mitglieder und folglich auch ihnen der Zugang zur Business Judgment Rule offenstehen muss. Indes stellen sich bei näherem Hinsehen doch erhebliche Zweifel ein, ob man das neue Gesetz tatsächlich so verstehen darf. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass die Business Judgment Rule auch in Fällen zur Anwendung käme, in denen eine Vermutung der Richtigkeit der Entscheidung kaum zu rechtfertigen ist. Man denke an Fälle, in denen – wie in dem eingangs genannten Beispiel – die Zustimmung gegen die Mehrheit der unbefangenen Mitglieder erteilt wird (fünfköpfiger Ausschuss, Zustimmung zu einem Geschäft mit dem Großaktionär mit 3:2 Stimmen, darunter zwei Ja-Stimmen von Vertretern des Großaktionärs). Richtig ist zwar, dass solche Zustimmungsbeschlüsse infolge der mehrheitlich unbefangenen Besetzung immer nur zustande kommen können, wenn mindestens ein Unbefangener für die Maßnahme gestimmt hat. Aber lässt sich wirklich sagen, dass allein dadurch die Befürchtung entkräftet wird, die befangenen Ausschussmitglieder hätten sich von dem Sonderinteresse (dem Interesse des Großaktionärs) leiten lassen? Zumindest in Fällen, in denen die Maßnahme nur bei den befangenen, nicht aber bei den unbefangenen Mitgliedern eine Mehrheit gefunden hat, wird man dies schwerlich annehmen können. Es bedürfte daher schon eindeutigerer Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien, um eine so weitgehende Ausdehnung der Business Judgment Rule auf Entscheidungen konfliktbefangener Ausschussmitglieder begründen zu können. Die angeführte Bemerkung, es solle ein Anreiz zur Bildung eines Ausschusses gegeben werden, in dem die Argumente aller Seiten ausgetauscht werden können, erscheint dafür als Ableitungsbasis zu schmal. Wie dargelegt ist diese Bemerkung schon deshalb wenig plausibel, weil sich ein bloßer Austausch von Argumenten auch ohne Stimmrecht der konfliktbe92

Begr. RegE, BT-Drs. 19/9739, 76.

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fangenen Mitglieder erreichen ließe; der eigentliche Grund dafür, dass § 107 Abs. 3 S. 6 AktG eine mehrheitlich konfliktfreie Besetzung genügen lässt, dürfte stattdessen in dem Umstand zu sehen sein, dass unabhängige Anteilseignervertreter insbesondere in konzernierten Gesellschaften rar sind.93 In Anbetracht dessen spricht letztlich doch mehr für die Annahme, dass das neue Gesetz die Mitwirkung konfliktbefangener Mitglieder im Related Party-Ausschuss zwar toleriert, aber nicht durch eine besonders extensive Handhabung der Business Judgment Rule auch noch prämieren will. cc) Konfliktneutralisierung durch Offenlegung und Zustimmung der Mehrheit der unbefangenen Mitglieder Damit ist jedoch nicht gesagt, dass sich die an der Entscheidung mitwirkenden konfliktbefangenen Ausschussmitglieder bei einem offengelegten Interessenkonflikt niemals auf §§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG berufen könnten.94 Schon die angeführte Passage aus den Materialien zum UMAG (s.o. lit. aa) deutet eher auf das Gegenteil hin. In dieselbe Richtung weist ein Seitenblick auf die Rechtslage in den USA. Dort geht man bei Geschäften, an denen ein director ein Eigeninteresse hat (self-dealings), überwiegend von einer zur Anwendbarkeit der Business Judgment Rule führenden Bereinigung des Interessenkonflikts aus, wenn der Konflikt offengelegt wurde und die Mehrheit der unbefangenen Organmitglieder in Kenntnis des Konflikts für die Transaktion gestimmt hat.95 Unter diesen Umständen können sich dann auch die an der Entscheidung mitwirkenden konfliktbefangenen directors auf die Business Judgment Rule berufen. Es liegt nahe, diese Erkenntnis auch für das deutsche Recht fruchtbar zu machen.96 Denn auch hier leuchtet der Grundgedanke ein, dass die Befürchtung, ein konfliktbefangener Organwalter habe sich nicht vom Gesellschaftsinteresse leiten lassen, bei typisierender Betrachtung entkräftet ist, wenn die unbefangenen Mitglieder 93

S.o. unter II. 2. a). Generell gegen Anwendung der Business Judgment Rule auf konfliktbefangene Ausschussmitglieder aber Habersack (Fn. 7), § 311 Rn. 107. 95 Aus der Rechtsprechung in Delaware Marciano v. Nakash, 535 A. 2d 400, 405 n. 3(Del. 1987); In re Wheelabrator Techs., Inc. Shareholder Litigation, 663 A. 2d 1194, 1205 n. 8 (Del. Ch. 1995); Benihana of Tokyo Inc. v. Benihana Inc. 906 A. 2d 114, 120 (Del. 2006); ferner §§ 8.61 (b) (1), 8.62 Model Business Corporation Act (MBCA) mit Anm. zu § 8.61(b); instruktiv dazu Hill/McDonnell (2011) Delaware Journal of Corporate Law 903, 912 ff. Für Geschäfte mit dem kontrollierenden Gesellschafter ist die Rechtsprechung dagegen uneinheitlich; s. etwa einerseits Puma v. Marriott 283 A. 2d 693, 695 (Del. Ch. 1971); Sinclair Oil v. Levien 280 A. 2d 717, 720 (Del. 1971); andererseits In Re Southern Peru Copper Corp. Shareholder Derivative Litigation 30 A. 2d 60, 88 ff. (Del. Ch. 2011); näher zum Ganzen Feirstein NYU Journal of Law and Business 2 (2006) 479 ff.; aus dem deutschen Schrifttum Fleischer BB 2014, 2691, 2694 f.; Klöhn/Verse AG 2013, 2, 8 f.; Rhiel (Fn. 46), 138 ff. 96 Vgl. bereits Paefgen AG 2004, 245, 253. 94

Interessenkonflikte im „Related Party“-Ausschuss

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mehrheitlich zu demselben Ergebnis gelangt sind – vorausgesetzt, diese sind ihrer Pflicht nachgekommen, den Interessenkonflikt so zu neutralisieren, dass sie auf einer unabhängig ermittelten Informationsgrundlage entschieden haben (s.o. lit. b bb). Nur wenn die unbefangenen Mitglieder diese Pflicht nicht erkennbar vernachlässigt haben, dürfen auch die befangenen Mitglieder davon ausgehen, dass der Interessenkonflikt hinreichend neutralisiert ist. Folgt man dem, gelangt man im Ergebnis zu einer differenzierenden Lösung, die sich für Entscheidungen im Related Party-Ausschuss ebenso anbietet wie für sonstige Kollegialentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat: Den an der Entscheidung mitwirkenden konfliktbefangenen Mitgliedern wird bei Offenlegung des Interessenkonflikts die Berufung auf die Business Judgment Rule nicht generell abgeschnitten, sondern nur in Fällen, in denen in Anbetracht der Umstände für eine Richtigkeitsvermutung kein Raum ist. Zwar bleibt es auch nach dieser Lösung dabei, dass das Verhalten der konfliktbefangenen Mitglieder u.U. an einem strengeren Maßstab überprüft wird als das der unbefangenen – nämlich immer dann, wenn der Zustimmungsbeschluss nicht von der Mehrheit, sondern nur von einem kleineren Teil der unbefangenen Mitglieder mitgetragen wird und gerade die Stimmen der befangenen Mitglieder den Ausschlag gegeben haben. Gerade in solchen Fällen ist eine engmaschigere Kontrolle aber auch sachlich gerechtfertigt. Für die konfliktbefangenen Ausschussmitglieder liegt darin keine unzumutbare Belastung, wenn man berücksichtigt, dass ihnen auch im Rahmen des § 93 Abs. 1 S. 1 (i.V.m. § 116 S. 1) AktG noch ein gewisser Beurteilungsspielraum verbleibt.97 Im Übrigen bestärkt das Eingreifen des strengeren Kontrollmaßstabs in den kritischen Fällen nochmals den obigen Befund, dass das deutsche Recht nicht hinter den Vorgaben der Richtlinie zurückbleibt, sondern das Zustimmungsverfahren insgesamt so ausgestaltet ist, dass es einen angemessenen Schutz vor Übervorteilung im Sinne des Art. 9c Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie bietet.98

IV. Zusammenfassung in Thesen 1. Dass die Kontrolle von wesentlichen Geschäften mit nahestehenden Personen einem Aufsichtsratsausschuss übertragen werden kann, der nicht ausschließlich, sondern nur mehrheitlich mit nicht konfliktbefangenen Mitgliedern besetzt sein muss (§§ 111b Abs. 1, 107 Abs. 3 Abs. 4–6 AktG), ist entgegen anderslautenden Stimmen mit den Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie vereinbar. 97 98

S.o. unter III. 3. a). S.o. unter II. 1. b).

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Dirk A. Verse

2. Flankierend sollte jedoch in Annäherung an internationale Standards eine Empfehlung in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenommen werden, den Ausschuss ausschließlich mit unbefangenen Mitgliedern zu besetzen, soweit dies möglich ist, ohne die Entscheidung mehrheitlich den Arbeitnehmervertretern zu überlassen. 3. Komplizierte Folgefragen wirft die Mitwirkung konfliktbefangener Ausschussmitglieder für die Anwendung der Business Judgment Rule (§§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG) auf. Dabei wurde für die Zwecke der Untersuchung als Prämisse unterstellt, dass die Business Judgment Rule auch bei Geschäften mit Aktionären grundsätzlich anwendbar ist (was der BGH bisher nur im Rahmen des § 311 AktG, nicht im Rahmen des § 57 AktG anerkannt hat). 4. Nach zutreffender Ansicht führt die Mitwirkung konfliktbefangener Ausschussmitglieder nicht dazu, dass die übrigen Mitglieder mit dem Interessenkonflikt „infiziert“ werden und sich deshalb nicht mehr auf §§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG berufen können. Dies gilt sowohl bei einem offengelegten als auch bei einem verschwiegenen Interessenkonflikt. 5. Die unbefangenen Mitglieder können sich die Berufung auf die Business Judgment Rule allerdings nur offenhalten, wenn sie auf einen ihnen bekannten Interessenkonflikt angemessen reagieren, d.h. die Argumente der konfliktbefangenen Mitglieder mit der gebotenen kritischen Distanz hinterfragen und sicherstellen, dass sie auf einer unabhängig ermittelten Informationsgrundlage entscheiden. Von einer angemessenen Informationsgrundlage dürfen sie nur ausgehen, wenn entscheidungserhebliche Informationen, die von den befangenen Mitgliedern stammen, hinreichend belegt und sorgfältig überprüft worden sind. 6. Dagegen besteht kein Anlass, den unbefangenen Mitgliedern im Wege der Rechtsfortbildung das Recht zuzusprechen, konfliktbefangene Mitglieder durch Mehrheitsbeschluss von der Mitwirkung im Ausschuss auszuschließen. § 107 Abs. 3 S. 6 AktG nimmt die Mitwirkung einer konfliktbefangenen Minderheit im Gegenteil bewusst in Kauf. 7. Kaum diskutiert ist bisher die Frage, ob sich unter bestimmten Voraussetzungen auch die an der Entscheidung mitwirkenden konfliktbefangenen Mitglieder darauf berufen können, dass der Interessenkonflikt hinreichend neutralisiert wurde, und die Business Judgment Rule daher auch ihnen zugutekommt. Nach hier vertretener Ansicht kommt dies durchaus in Betracht, allerdings (ähnlich der Rechtslage in den USA) nur dann, wenn der Konflikt ordnungsgemäß offengelegt wurde und die Mehrheit der unbefangenen Mitglieder auf unabhängig ermittelter Informationsgrundlage zu derselben Entscheidung gelangt ist. neue rechte Seite!

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Aufsichtsratsbudget Eberhard Vetter

Aufsichtsratsbudget EBERHARD VETTER

I. Vorbemerkung Die Arbeits- und Forschungsfelder von Klaus Hopt sind bekanntlich breit gestreut. Eines der Gebiete, in dem er zu den anerkannten Experten zählt, ist die Corporate Governance im Allgemeinen und das Recht des Aufsichtsrats im Besonderen. Die beeindruckende umfassende Kommentierung der §§ 95 bis 116 AktG im Großkommentar, die er zusammen mit Markus Roth verfasst hat und die erst im letzten Jahr wieder in Neuauflage1 erschienen ist sowie zahlreiche einschlägige Aufsätze unterstreichen auf nachdrückliche Weise die Expertise des Jubilars auf diesem Gebiet. Vor diesem Hintergrund hofft der Verfasser dieses Beitrags in der Festschrift zum 80. Geburtstag von Klaus Hopt, der sich mit neuen Rechtsentwicklungen nicht zuletzt auf Grund seiner breiten internationalen Erfahrungen regelmäßig eingehend befasst, mit den Überlegungen zum Aufsichtsrat auf dessen geschätztes Interesse, zumal sich der Jubilar in dem erwähnten Kommentar mit der nachfolgend ausgebreiteten Thematik bereits befasst hat2.

II. Einleitung Die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrats bei der Erledigung seiner vielfältigen Aufgaben sind ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Sie sind auch jüngst vom BGH in seinem Urteil vom 20. März 2018 im Fall DTB Deutsche Biogas AG3 nachdrücklich betont und zu tragenden Elementen seiner Überlegungen zur Abgrenzung der Aufsichtsratskompetenz gegenüber dem Vorstand erklärt worden. Vor diesem Hintergrund und der Verantwortung des Aufsichtsrats im Rahmen der internen Corporate Governance der AG nimmt es nicht Wunder, dass im Schrifttum bereits seit einigen Jahren vereinzelt die Einrichtung eines eigenen – von 1

Hopt/Roth Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, §§ 95–116. Hopt/Roth Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 530 ff. 3 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 25. 2

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der Mitsprache des Vorstands getrennten – Aufsichtsratsbudgets reklamiert wird4. Nachdem dabei von einigen Autoren gerade mit Hinweis auf das erwähnte BGH-Urteil verstärkt die Forderung nach Anerkennung eines eigenen Aufsichtsratsbudgets erhoben wird5, soll nachfolgend die Frage der praktischen Notwendigkeit und rechtlichen Zulässigkeit eines Aufsichtsratsbudgets vertieft werden, die der Jubilar in seiner Kommentierung zu § 111 AktG nur relativ kurz angesprochen hat6.

III. Meinungsstand Der fehlende eigenständige Zugriff des Aufsichtsrats auf die Finanzmittel der AG zur Sicherung der unabhängigen Wahrnehmung seiner Aufgaben wird im Schrifttum – ursprünglich angestoßen von betriebswirtschaftlicher Seite7 – bereits seit einigen Jahren gerügt und mit Unterschieden im Einzelnen8 – zuletzt auch unter Hinweis auf das BGH-Urteil vom 20. März 20189 – verstärkt die Auffassung vertreten, dass dem Aufsichtsrat ein eigenes jährlich zu bezifferndes Budget nebst entsprechender Kontovollmacht für ein eigenes Aufsichtsratskonto der Gesellschaft eingeräumt werden müsse, damit er seine Aufgaben eigenverantwortlich und effizient wahrnehmen und dabei auch kostenauslösende Maßnahmen unabhängig vom Vorstand ergreifen könne10. Die Abhängigkeit des Aufsichtsrats von der Kostenkontrolle des Vorstands und von dessen Zahlungsfreigabe sei mit der eigenverantwortlichen und unabhängigen Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe unvereinbar11. Während einige Autoren die Einrichtung eines Aufsichtsratsbudgets im Einvernehmen mit dem Vorstand zumindest für zulässig hal4

Siehe dazu näher Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 37 ff. Bulgrin AG 2019, 101, 110; Theisen AG 2018, 589, 599; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 269; Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 463, 467; a.A. aber Hasselbach/Rauch DB 2018, 1713, 1715. 6 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 530. 7 Theisen Der Aufsichtsrat 2011, 1 und Theisen FS Säcker, 2011, S. 487, 511. 8 Eingehende Darstellung des Streitstandes bei z.B. Bulgrin AG 2019, 101, 106; ScherbDa Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 37 ff. und 448 ff.; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 268. 9 Bulgrin AG 2019, 101, 110; Theisen AG 2018, 589, 599; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 269; Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 463, 467. 10 Theisen Der Aufsichtsrat 2011, 1; Theisen FS Säcker, 2011, 487, 511; Theisen AG 2018, 589, 592; Diekmann/Wurst NZG 2014, 121, 126; Gaul AG 2017, 877, 881, 880; Hennrichs FS Hommelhoff, 2012, S. 383, 393; Knoll/Zachert AG 2011, 309, 311 ff.; Plagemann NZG 2016, 211, 215; siehe aber auch Semler FS Claussen, 1997, S. 381. 11 Bulgrin AG 2019, 101, 107; Diekmann/Wurst NZG 2014, 121, 126; Gaul AG 2017, 877, 880; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch GesR, AG, 4. Aufl. 2015, § 33 Rz. 16; Knoll/Zachert AG 2011, 309, 313; Plagemann NZG 2016, 211, 215; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 266; Theisen FS Säcker, 2011, S. 487, 511; Theisen AG 2018, 589, 592. 5

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ten12, lehnt die herrschende Meinung ein Budget des Aufsichtsrats und die damit verbundene eigene Verfügungskompetenz hingegen ab13. Bisweilen wird mit Unterschieden im Einzelnen zumindest de lege ferenda die Regelung eines Aufsichtsratsbudgets und die Einräumung einer Vertretungsbefugnis des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Veranlassung von Auszahlungen durch die AG befürwortet14. Vor der näheren Befassung mit dem Aufsichtsratsbudget ist anzumerken, dass in der Diskussion von den einzelnen Autoren unterschiedliche Vorstellungen mit dem Aufsichtsratsbudget verknüpft werden. Nachfolgend wird hierunter ein jährlich vorab – typischerweise im Einvernehmen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat – festgelegter Geldbetrag verstanden, über den der Aufsichtsrat selbst, bzw. bestimmte Aufsichtsratsmitglieder, ohne Mitwirkung einer weiteren Instanz im Unternehmen kraft eigener Kontovollmacht zu Lasten der Gesellschaft verfügen kann15.

IV. Normative Ausgangslage 1. Vertretung der AG Dem AktG ist ein Aufsichtsratsbudget, das dem Aufsichtsrat für eigene Zwecke, das heißt für die Erfüllung seiner Aufgaben zur unabhängigen und 12 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rz. 20; Henning in Frodermann/Janott, Handbuch des Aktienrechts, 9. Aufl. 2017, § 8 Rz. 110; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch GesR, AG, 4. Aufl. 2015, § 33 Rz. 17; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 469; Selter Die Beratung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, 2014, Rz. 320 siehe aber auch Rz. 321; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 268. 13 M. Arnold ZGR 2014, 76, 96; Austmann/Seyfarth Börsenzeitung v. 17.3.2018 S. 9; Habersack AG 2014, 1, 7; Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 102; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 113 Rz. 25; Henning/Simon, BOARD 2012, 175, 178; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 530; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 111 Rz. 24; Lutter/Krieger/ Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 658; Mertens/Cahn in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 112 Rz. 26; Rotering/Mohamed Der Konzern 2016, 433, 436; M. Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 637; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 136; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennot. AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 26.90. 14 Kiefner/Friebel AG 2011, R 74, 76; Rotering/Mohamed Der Konzern 2016, 433, 436; von Schenck, in Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 1 Rz. 305; von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 487 ff.; Theisen AG 2018, 589, 602; wohl auch Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 102; siehe auch Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, NZG 2012, 294, 295. 15 Ebenso Bulgrin AG 2019, 101, 108; Leyendecker-Langner/Huthmacher NZG 2012, 1415, 1418 Fußn. 32; Rotering/Mohamed Der Konzern 2016, 433, 434; Theisen FS Säcker, 2011, S. 487, 511.

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eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung steht und auf das er unmittelbar Zugriff hat, unbekannt16. Das Finanzmanagement, also die Verantwortung für die Finanzmittel der Gesellschaft und die Kompetenz zur Vornahme oder Veranlassung von Zahlungsanweisungen zu Lasten der Konten der Gesellschaft liegen nach der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung ausschließlich beim Vorstand17. Benötigt der Aufsichtsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben die Unterstützung von externen Beratern und Sachverständigen, ist er, wie der BGH erst jüngst bestätigt hat, zur Erteilung von entsprechenden Aufträgen im Namen der AG berechtigt18. Berater und Sachverständige erlangen mit der Beauftragung durch den Aufsichtsrat einen unmittelbaren Anspruch gegen die Gesellschaft. § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG, der die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung der AG dem Vorstand zuweist, steht dem nicht entgegen, denn § 112 Satz 1 AktG stellt keine abschließende Ausnahmeregel dar19. 2. Persönliche Ansprüche der Aufsichtsratsmitglieder Soweit es um persönliche Ansprüche der Aufsichtsratsmitglieder gegen die Gesellschaft geht, ergibt sich aus § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG, dass ihnen ein Anspruch auf Vergütung ihrer Aufsichtsratstätigkeit nur auf der Grundlage einer entsprechenden Satzungsregelung oder eines Beschlusses der Hauptversammlung zusteht. Zudem haben sie Anspruch auf Erstattung der zum Zwecke der Wahrnehmung des Aufsichtsratsamtes getätigten angemessenen Aufwendungen analog § 670 BGB, ohne dass es insoweit einer Satzungsregelung oder eines Hauptversammlungsbeschlusses bedarf20. Zahlungen an die Aufsichtsratsmitglieder seitens der AG unterliegen zwar der besonderen Vorstandsverantwortung, wie die Haftungsnorm von § 93 Abs. 3 16 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 530; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 113 Rz. 9. 17 Von Falkenhausen EWiR 2018, 357, 358; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 376 ff.; a.A. Knoll/Zachert AG 2011, 309, 311 ff.; Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd II, S. 463, 467. 18 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 21; Hasselbach/Rauch DB 2018, 1713, 1715; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 530; E. Vetter ZGR 2020, 35, 49 ff.; siehe auch M. Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 639 ff. 19 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 15 ; ebenso BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, AG 2019, 298 Rn. 20 und 21; Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 112 Rz. 4; a.A. früher Baumbach/Hueck AktG, 13. Aufl. 1968, § 112 Rz. 2. 20 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rz. 14; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit AktG, 2013, § 113 Rz. 18; Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 25; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 29; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 113 Rz. 9; Thüsing/Veil AG 2008, 359, 363; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 137.

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Nr. 7 AktG erkennen lässt21. Der Vorstand hat jedoch bei der Frage der Einordnung der konkreten Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, die der Kostenübernahme oder Erstattung von damit verbundenen Auslagen zugrunde liegt, grundsätzlich die Entscheidung des Aufsichtsrats zu respektieren, der diese im Wege der Eigenkontrolle vorzunehmen hat22.

V. Eigene Auffassung Die angeführten Argumente23 für die Zulassung eines eigenen Budgets des Aufsichtsrats, das in seiner Dispositionsbefugnis steht, erweisen sich bei kritischer Betrachtung nicht als durchschlagend. 1. Eigenverantwortung des Aufsichtsrats Es steht außer Zweifel, dass der Aufsichtsrat als Organ wie auch die einzelnen Mitglieder in der Lage sein müssen, die dem Aufsichtsrat übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich und unabhängig wahrzunehmen24. Dies hat der BGH erst kürzlich im Fall DTB Deutsche Biogas AG für den Bereich der Überwachungsaufgaben betont25. Über die konkrete Aussage des BGH hinaus ist festzuhalten, dass das Gebot der eigenverantwortlichen und unabhängigen Aufgabenerledigung durch den Aufsichtsrat ebenso im Bereich der Personalverantwortung hinsichtlich der Mitglieder des Vorstands wie auch bei der Erledigung seiner eigenen Angelegenheiten zu beachten ist. Allerdings ist nicht erkennbar, dass für die eigenverantwortliche und unabhängige Aufgabenerledigung durch den Aufsichtsrat zugleich auch der ge21 Siehe dazu z.B. Fonk NZG 2009, 761, 765; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch GesR, AG, 4. Aufl. 2015, § 33 Rz. 16; J. Koch ZHR 180 (2016), 587, 606; Hüffer/ Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 113 Rz. 2c; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 266. 22 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rz. 14; Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 26; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 39; Maser/Göttle NZG 2013, 201, 207; Mertens/Cahn in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 113 Rz. 13; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 264; Selter Die Beratung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, 2014, Rz. 318; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 134; a.A. Berger Kosten der Aufsichtsratstätigkeit, 2000, S. 125; Fonk NZG 2009, 761, 765; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch GesR, AG, 4. Aufl. 2015, § 33 Rz. 16; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 113 Rz. 2c. 23 Siehe dazu auch die Ergebnisse einer Aufsichtsratsbefragung bei Probst/Theisen Der Aufsichtsrat 2011, 70 ff. 24 Siehe nur Theisen Der Aufsichtsrat 2013, 182; siehe z.B. auch BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 21; BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05 – „WMF“, AG 2006, 883 Rz. 18. 25 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 25 und 26.

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sicherte direkte – vorstandsunabhängige – Zugriff auf ein eigenes Budget oder die unabhängig auszuübende Kontovollmacht des Aufsichtsrats über ein Konto der Gesellschaft erforderlich ist26. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH genügt zwar die abstrakte Gefährdung der unabhängigen Überwachung durch den Aufsichtsrat, die im Wege der typisierenden Betrachtung zu ermitteln ist27, um seine Vertretungskompetenz über den engen Rahmen z.B. von §§ 111 Abs. 2 Satz 2, 112 Satz 1 AktG hinaus vorsichtig zu erweitern. Soweit jedoch objektive Gesichtspunkte einer Gefährdung entgegenstehen, wird man diese in die typisierende Betrachtung einzubeziehen haben, sodass die Basis für die Anerkennung einer erweiterten Vertretungsmacht des Aufsichtsrats entfällt. Die Finanzverantwortung in der AG ist Teil der Leitungskompetenz des Vorstands28, was sich indirekt nicht zuletzt aus § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG ergibt. Zudem betont § 93 Abs. 3 Nr. 7 AktG eine besondere Verantwortung des Vorstands, die bedingt, dass Zahlungen der AG an die Aufsichtsratsmitglieder hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit der Kontrolle des Vorstands unterliegen29. Dabei hat der Vorstand jedoch die eigenverantwortliche und unabhängige Aufgabenerledigung durch den Aufsichtsrat und dessen weite Einschätzungsprärogative, wie dieser im konkreten Einzelfall seine Aufgaben wahrnehmen und gegebenenfalls in wieweit er Dritte heranziehen will, zu respektieren30. Was die Kontrolle der Kosten der Aufgabenerledigung in inhaltlicher Hinsicht anbetrifft, hat der Vorstand allein zu klären, ob es um Kosten im Rahmen der Wahrnehmung von Aufsichtsratsaufgaben geht31. Einwände hinsichtlich der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit stehen dem Vorstand dabei jedoch nicht zu. Der Vorstand hat die Kontrolle nicht persönlich zu erbringen, sondern kann sie auch an nachgeordnete Mitarbeiter des Unternehmens delegieren, was in der Praxis regelmäßig geschieht. Liegt hinsichtlich der vom Aufsichtsrat veranlassten Kosten – wie im Fall der DTB Deutsche Biogas AG – ein rechtskräftiges Gerichtsurteil über die von der Gesellschaft geschuldete Vergütung nebst Kosten vor, hat der Vorstand die Zahlung zu veranlassen. 26

A.A. Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 463, 468. BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 25; BGH v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, AG 2009, 327; BGH v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, AG 2007, 86; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, AG 1991 269, 270. 28 Siehe z.B. Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rz. 52; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 76 Rn. 36; Seyfarth Vorstandsrecht, 2016, § 8 Rz. 7. 29 Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 102, § 112 Rz. 4, § 113 Rz. 30; J. Koch ZHR 180 (2016), 578, 593 ff.; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 536; a.A. Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 463, 468: der Vorstand ist „ganz raus“. 30 J. Koch ZHR 180 (2016), 578, 605. 31 Zum Fall der Kostenerstattung bei einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern siehe oben IV.2. 27

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2. Sicherung der Eigenverantwortung und Unabhängigkeit des Aufsichtsrats a) Absicherung der Vertraulichkeit der Aufsichtsratstätigkeit oder Vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Von einigen Autoren, die sich für ein Aufsichtsratsbudget aussprechen, wird darauf hingewiesen, dass es in vielen Fällen problematisch sein könne, wenn der Vorstand Kenntnis davon erlangt, dass der Aufsichtsrat z.B. eine Personalagentur mit der Suche nach einem neuen Vorstandsmitglied beauftragt hat. Gleiches gelte für eine vom Aufsichtsrat eigenständig veranlasste interne Untersuchung gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 oder 2 AktG. In allen diesen Fällen könnte die Unabhängigkeit der Aufgabenerledigung durch den Aufsichtsrat beeinträchtigt sein32. Zudem sei der Aufsichtsrat regelmäßig selbst bestrebt, die Untersuchung durch den externen Sachverständigen zumindest zeitweise vor dem Vorstand geheim zu halten33. In der Unternehmenspraxis erweisen sich die genannten Konstellationen unter dem Gesichtspunkt der Vertraulichkeit meistens als weniger problematisch. Ohnehin lässt sich das Ziel der durchgängigen Geheimhaltung der vom Aufsichtsrat beschlossenen Maßnahme gegenüber dem Vorstand höchst selten in vollem Umfang verwirklichen. Im Regelfall pflegt der Vorsitzende des Aufsichtsrats mit dem Vorsitzenden des Vorstands eine kooperative und vertrauensvolle Arbeitsbeziehung34, wie dies auch in Ziffer 3.5 Abs. 1 und 5.2 Abs. 2 Deutscher Corporate Governance Kodex deutlich zum Ausdruck gebracht wird35. Vor diesem Hintergrund wird der Vorsitzende des Aufsichtsrats typischerweise den Vorsitzenden des Vorstands in den regelmäßig zwischen ihnen stattfindenden Unterredungen über etwaige ihm oder anderen Mitgliedern des Aufsichtsrats bekanntgewordene Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten, Compliance-Verstöße oder andere Missstände ansprechen36. Nichts anderes gilt grundsätzlich auch für vom

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Bulgrin AG 2019, 101, 102; Gaul AG 2017, 877, 880; Hennrichs FS Hommelhoff, 2012, S. 383, 393; von Schenck in Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 1 Rz. 304. 33 Hennrichs FS Hommelhoff, 2012, S. 383, 393; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 111 Rz. 24; Knoll/Zachert AG 2011, 309, 310; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 403; von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 484; Schnorbus/ Ganzer BB 2019, 258, 266. 34 Schoppen in Schoppen (Hrsg.), Corporate Governance 2015, S. 65; Semler NZG 2013, 771, 776; siehe auch Bürgers ZHR 179 (2015), 173, 205; Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/von Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018, Rz.1273. 35 Fassung vom 7.2.2017. 36 Dazu sogleich unter V.2.b.bb.

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Aufsichtsrat beabsichtigte personelle Veränderungen im Vorstand37. In beiden Fällen erweist sich die Forderung nach Wahrung der Vertraulichkeit der Aufsichtsratstätigkeit gegenüber dem Vorstand nicht als notwendige Voraussetzung einer eigenverantwortlichen und unabhängigen Aufgabenerledigung durch den Aufsichtsrat. b) Interne Untersuchungen aa) Untersuchungen im Mitarbeiterbereich Erfährt der Aufsichtsratsvorsitzende von Verdachtsmomenten auf Unregelmäßigkeiten und Pflichtverletzungen von Mitarbeitern im Unternehmen hat er den Vorstandsvorsitzenden in Kenntnis zu setzen. Es obliegt dann in erster Linie dem Vorstand diesem Verdacht nachzugehen, um die Sache aufzuklären38. Sofern sich der Verdacht bestätigt, hat der Vorstand den Regelverstoß abzustellen und gegebenenfalls Sanktionen gegen die Verantwortlichen zu ergreifen39. Den Aufsichtsrat trifft insoweit nur die – nachgelagerte40 – Überwachungspflicht hinsichtlich der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Compliance-Verantwortung durch den Vorstand, der den Aufsichtsrat über die getroffenen Feststellungen und die ergriffenen Maßnahmen zu unterrichten hat41. Für den Aufsichtsrat ergeben sich daraus im Regelfall keine budgetrelevanten Folgen. Etwas anderes gilt bei schwerwiegenden Compliance-Verstößen, die mit besonders belastenden Auswirkungen auf das Vermögen oder das Ansehen des Unternehmens verbunden sind. In diesem Sonderfall ist der Aufsichtsrat zur engeren Überwachung verpflichtet42. Sofern der Aufsichtsrat dabei zu seiner Unterstützung die Hinzuziehung von außenstehenden Dritten – z.B. eines Rechtsanwalts – beschließt, handelt er bei der Auftragserteilung im Namen der AG43. Der Beauftragte des Aufsichtsrats wird dabei vielfach zur Reduzierung des finanziellen und organisatorischen Aufwands auf die Er37

Dazu sogleich unter V.2.c. M. Arnold ZGR 2014, 76, 81; Bürgers ZHR 179 (2015), 173, 200; Drinhausen ZHR 179 (2015), 226, 230; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rz. 67; Habersack AG 2014, 1, 5; Habersack FS Stilz, 2014, S. 191, 194; Reicher/Ott NZG 2014, 241, 246, 250; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 55; Rz. 21a. 39 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rz. 57; Habersack FS Stilz, 2014, S. 191, 194; Reichert FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 939, 947 ff. 40 Reicher/Ott NZG 2014, 241, 246, 245; Habersack AG 2014, 1, 5; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 21a. 41 Bürgers ZHR 179 (2015), 173, 200; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 111 Rz. 19; Winter FS Hüffer, 2010. S. 1103, 1121. 42 Reicher/Ott NZG 2014, 241, 245. 43 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 16; Habersack AG 2014, 1, 7; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 111 Rz. 24; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 46. 38

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gebnisse der vorstandsseitigen Untersuchung zurückgreifen; Vorbehalte aus Gründen des Schutzes der Vertraulichkeit ergeben sich nicht. Der Aufsichtsrat kann zudem die Unterstützung des Vorstands – speziell des Vorstandsvorsitzenden – sowie entsprechende Weisungen an die Mitarbeiter und externe Berater erwarten, denn der Vorstand unterliegt einem Kooperationsgebot und ist deshalb verpflichtet den Aufsichtsrat bei seinen Aufgaben zu unterstützen44. bb) Eigene Untersuchungen des Aufsichtsrats Auch wenn unternehmensinterne Untersuchungen bei Verdacht auf Compliance-Verstöße primär Sache des Vorstands sind, hat der Aufsichtsrat auf Grund seiner Überwachungsfunktion gemäß § 111 Abs. 1 AktG tätig zu werden, wenn sich die Verdachtsmomente gegen ein Vorstandsmitglied richten. In diesem Fall darf er die Untersuchung keinesfalls dem Vorstand allein überlassen45. Verständigen sich Vorstand und Aufsichtsrat nicht auf eine gemeinsame Untersuchung46, muss der Aufsichtsrat selbst tätig werden. Aber auch hier ist die Frage des Schutzes der Vertraulichkeit der Ermittlungen des Aufsichtsrats zu vernachlässigen. Typischerweise müssen bei einer Untersuchung durch einen externen Sachverständigen, die ein bestimmtes Vorstandsmitglied oder den seiner Ressortverantwortung unterstehenden Unternehmensbereich betreffen, z.B. Unterlagen eingesehen, Daten-Screening, insbesondere E-Mail-Screening, vorgenommen sowie Gespräche mit Mitarbeitern des Unternehmens geführt werden. Die Zusammenstellung von Belegen und weiteren Unterlagen, sei es in Aktenordnern oder in elektronischer Form z.B. in einem virtuellen Data-Room ist ohne Einschaltung von Mitarbeitern des Unternehmens – etwa dem Leiter der internen Revision, des Rechnungswesens oder des Chefjuristen – nicht denkbar, denn der externe Sachverständige benötigt regelmäßig den limitierten Zugang z.B. zu bestimmten Bereichen des ITSystems des Unternehmens oder den Zugriff auf Daten, E-Mails und bestimmte Computer, der nur über die Freigabe durch eine interne Stelle des Unternehmens eröffnet werden kann, die letztlich vom Vorstand dazu auto-

44 Drinhausen ZHR 179 (2015), 226, 234; Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 76; Habersack FS Stilz, 2014. S. 191, 199; Hoffmann-Becking ZGR 2011, 136, 154; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 389; Lutter Information und Vertraulichkeit, 3. Aufl. 2006, Rz. 288; Mertens/Cahn in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 Rz. 55; Reicher/Ott NZG 2014, 241, 250; siehe auch Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 336. 45 Habersack FS Stilz, 2014. S. 191, 196; a.A. M. Arnold ZGR 2014, 76, 100; Drinhausen ZHR 179 (2015), 226, 233. 46 Siehe dazu z.B. Habersack FS Stilz, 2014, S. 191, 196; Reicher/Ott NZG 2014, 241, 246, 249.

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risiert sein muss47. Die umfassende Geheimhaltung der Untersuchung im Unternehmen und gegenüber dem Vorstand als Ganzes ist in der Praxis deshalb nicht aufrechtzuerhalten. Das heißt, die Untersuchung lässt sich im Regelfall nur in enger Zusammenarbeit mit dem Vorstandsvorsitzenden oder eines anderen Vorstandsmitglieds in größter Vertraulichkeit durchführen, der zur weiteren Unterstützung der Untersuchung bestimmte Mitarbeiter abstellt48. Dies wird im Übrigen durch den Umstand bestätigt, dass der Auftrag zur Durchführung einer besonderen Untersuchung vielfach im Wege der Doppelvertretung von Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam erteilt wird49. c) Personalentscheidungen des Aufsichtsrats Es ist in der Praxis kaum vorstellbar, dass etwa der Aufsichtsrat die Suche nach einem neuen Vorstandsmitglied beschließt, ohne dass zumindest der Vorsitzende des Vorstands hiervon Kenntnis erhält50. In den meisten Fällen wird – ungeachtet der eindeutigen gesetzlichen Kompetenzverteilung gemäß § 84 AktG – ohnehin der Vorsitzende des Vorstands stark in die Suche und Beurteilung des neuen Vorstandsmitglieds eingebunden, wenn nicht sogar die Suche vollends auf seine Initiative zurückgeht51. Der Vorstand ist ein Kollegialorgan und die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Vorstandsmitglieder untereinander ist eine wesentliche Voraussetzung erfolgreicher Arbeit an der Spitze des Unternehmens. Damit wäre es unvereinbar, wenn der Aufsichtsrat beabsichtigen würde ein neues Vorstandsmitglied ohne Berücksichtigung der Vorstellungen der übrigen Vorstandsmitglieder in den Vorstand „hineinzudrücken“52. Vor diesem Hintergrund wird der Aufsichtsratsvorsitzende dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Regelfall Rechnung tragen wollen und den Vorstandsvorsitzenden frühzei47 Grundsätzlich ebenso M. Arnold ZGR 2014, 76, 104; Fuhrmann NZG 2016, 881, 888; siehe auch Wessing in Hauschka/Moosmayer/Lösler (Hrsg.), Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 46 Rz. 79. 48 Siehe auch M. Arnold ZGR 2014, 76, 103; Fett/Habbe AG 2018, 257, 265; Fuhrmann NZG 2016, 881, 883; Reichert/Ott NZG 2014, 241, 249. 49 Ebenso Hoffmann-Becking ZGR 2011, 136, 138; siehe aber auch M. Arnold ZGR 2014, 76, 105. 50 Siehe dazu z.B. den Erfahrungsbericht von Semler, Erinnerungen an die praktische Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds, 2007, S. 59; siehe auch M. Arnold/Günther in Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennot. AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 20.8; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 84 Rz. 10; Schoppen in Schoppen (Hrsg.), Corporate Governance 2015, S. 57; Seyfarth Vorstandsrecht, 2016, § 3 Rz. 33; dies vernachlässigt z.B. von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 484. 51 Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 31; Martens FS Fleck, 1988, S. 191, 202; Peltzer FS Semler, 1993, S. 261, 264; Semler FS Lutter, 2000, S. 721, 723. 52 Peltzer FS Semler, 1993, S. 261, 265; nach Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 336 zählt es bereits zur Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats den Vorstand in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

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tig über die vom Aufsichtsrat beabsichtigte Änderung im Vorstand informieren, denn der Vorstandsvorsitzende trägt eine besondere Verantwortung für das Arbeitsklima und die Zusammenarbeit des Gremiums. Ungeachtet des Umstands, dass der Aufsichtsrat die gesetzliche Letztverantwortung für die Vorstandsbesetzung trifft, sind Aufsichtsrat und Vorstand insoweit zu einem hohen Maß gemeinsam verantwortlich, dass eine „optimale Vorstandsbesetzung“ gelingt53. Im Fall der Suche nach einer Neubesetzung im Vorstandsvorsitz gilt im Grundsatz nichts anderes. Auch wenn es insoweit keine einheitliche feste Praxis gibt, ist der Aufsichtsrat gut beraten, wenn er in diesen Suchprozess den im Amt befindlichen Vorsitzenden des Vorstands einbezieht54. Etwas anderes gilt naturgemäß für den besonderen Fall, dass der Aufsichtsrat insgeheim einen vorzeitigen Wechsel im Vorstandsvorsitz im Wege der Abberufung des Amtsinhabers gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG anstrebt; dazu sogleich55. d) Zahlungsabwicklung Üblicherweise werden die Rechnungen von Beratern, die vom Aufsichtsrat zu seiner Unterstützung beauftragt werden, über den Aufsichtsratsvorsitzenden entweder direkt oder über das Büro des Vorstandsvorsitzenden an die zuständige Stelle im Unternehmen zur weiteren Erledigung und Zahlung weitergeleitet56. Diese Stelle ist typischerweise dem Ressort des Vorsitzenden des Vorstands zugeordnet. Damit ist die vom Aufsichtsrat gewünschte Vertraulichkeit der Tätigkeit des von ihm beauftragen Beraters im Grundsatz nur in Zusammenarbeit mit dem Vorstandsvorsitzenden möglich. Der Vorstand ist im Übrigen verpflichtet Rechnungen, die der vom Aufsichtsrat beauftragte Berater nach Freigabe durch den Aufsichtsrat – speziell durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder den Vorsitzenden eines Ausschusses – vorlegt, zu begleichen57. Verweigert der Vorstand die Bezahlung, stellt dies eine Pflichtverletzung dar58. In der ganz überwiegenden Praxis werden die Rechnungen der Berater auch im angemessenen zeitlichen Rahmen nach Rechnungsstellung von der 53 Fonk in Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 10 Rz. 22; Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 336; Martens FS Fleck, 1988, S. 191, 204. 54 Kubis in Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 2. Aufl. 2015, § 2 Rz. 5; Peltzer FS Semler, 1993, S. 261, 264. 55 Dazu unten unter V.2.e. 56 Siehe auch Henning/Simon BOARD 2012, 175, 178; früher Semler FS Claussen, 1997, S. 381. 57 Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 454. 58 Ebenso J. Koch ZHR 180 (2016), 578, 592; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 459.

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Gesellschaft bezahlt. Notfalls ist der Vergütungsanspruch vom beauftragten Dritten gegen die Gesellschaft – vertreten durch den Aufsichtsrat – gerichtlich geltend zu machen; der Vorstand kann die Anerkennung des Anspruchs durch den Aufsichtsrat im Rechtsstreit gemäß § 307 ZPO mangels Vertretungskompetenz nicht blockieren. Lehnt der Vorstand die Begleichung berechtigter Ansprüche eines von seitens des Aufsichtsrats beauftragten Beraters ab, setzen sich die Vorstandsmitglieder der Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG aus. e) Sonderfall des Vorsitzenden des Vorstands Eine etwas andere Vorgehensweise mag ausnahmsweise in dem Fall zur Anwendung kommen, dass sich die vom Aufsichtsrat beschlossene Untersuchung gegen Vorgänge im Ressort des Vorstandsvorsitzenden richtet. Betrifft die vom Aufsichtsrat beschlossene Einschaltung eines Beraters oder Experten den Vorstandsvorsitzenden selbst, ist die Vertraulichkeit der Tätigkeit des Beraters kaum aufrechtzuerhalten, wenn der Berater über seine Tätigkeit vor Abschluss seines Auftrags Zwischenrechnungen stellt. Aber auch in diesen Fällen steht außer Frage, dass Personen im Unternehmen in die geheimen Untersuchungsmaßnahmen gegen den Vorstandsvorsitzenden eingeweiht sein müssen. Im Übrigen ist der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Vorsitzende des die Untersuchung betreibenden Ausschusses gut beraten, bereits bei der Auftragserteilung gegenüber dem Berater klarzustellen, dass eine Bezahlung der Tätigkeit möglicherweise erst nach Auftragserledigung erfolgen kann. Da in diesem Fall jedoch die Annexzuständigkeit des Aufsichtsrats zur Erteilung des Auftrags im Namen der AG unzweifelhaft besteht und auch für einen außenstehenden Dritten erkennbar ist, sind mögliche Bedenken, dass der Vergütungsanspruch des Beraters gefährdet sein könnte, unberechtigt59. Dies wird indirekt auch durch das BGH-Urteil im Fall DTB Deutsche Biogas AG bestätigt. In der Unternehmenspraxis lassen sich durch entsprechende Vorkehrungen bei der Auftragserteilung und Durchführung die Probleme, die mit der Einschaltung von Beratern durch den Aufsichtsrat verbunden sein können und die die Notwendigkeit eines Aufsichtsratsbudgets belegen sollen, vermeiden60. Dieselben Überlegungen gelten auch, sofern der Aufsichtsrat – vorbereitet durch den Personalausschuss – insgeheim den Widerruf der Bestellung des Vorstandsvorsitzen gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG beabsichtigt und dafür anwaltlichen Beistand benötigt sowie darüber hinaus ebenfalls streng vertraulich einen Personalberater für die Neubesetzung des Amtes hinzuzieht. 59 Die Zweifel bei von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 484 dürften nach dem BGH-Urteil im Fall DTB Deutsche Biogas AG nicht mehr bestehen. 60 So letztlich auch von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 487.

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f) Zwischenfazit Soweit zur Begründung eines gesonderten Aufsichtsratsbudgets und einer damit verbundenen eigenen Kontovollmacht unter anderem das Gebot der Vertraulichkeit der Tätigkeit des Aufsichtsrats sowie die andernfalls bestehende Gefährdung der unabhängigen Aufgabenerledigung ins Feld geführt werden, vermögen diese Argumente nicht zu überzeugen. Vor dem Hintergrund des Kooperationsgebots zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist der Aufsichtsrat ungeachtet der notwendigen unabhängigen und eigenverantwortlichen Wahrnehmung seiner Aufgaben schon aus praktischen Gründen regelmäßig auf die Unterstützung des Vorstands – typischerweise des Vorstandsvorsitzenden – angewiesen. Damit ist die Geheimhaltung der vom Aufsichtsrat beabsichtigten Maßnahme gegenüber dem Vorstand zwangsläufig nicht mehr gegeben. Objektive Gesichtspunkte für eine abstrakte Gefährdung der unabhängigen Überwachung durch den Aufsichtsrat lassen sich nicht feststellen. 3. Budgetplanung als Steuerungsinstrument Dem Vorstand obliegt als Teil seiner Leitungsverantwortung gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Erstellung einer Unternehmensplanung61, in die auch die Standardvorgänge des Aufsichtsrats als Kostenpositionen einzubeziehen sind62. In der Unternehmensplanung lassen sich jedoch nur die – realistisch abschätzbaren – voraussichtlichen Kosten berücksichtigen. Fallen dann insoweit im Laufe des Geschäftsjahres Kosten an, ergeben sich für den Aufsichtsrat hieraus keine Probleme; die der Gesellschaft in Rechnung gestellten Leistungen werden von ihr nach Rechnungsprüfung gezahlt. Außergewöhnliche Kosten, wie sie bei anlassbezogener Tätigkeit des Aufsichtsrats als Reaktion auf besondere Entwicklungen oder außergewöhnliche Ereignisse etwa im Zusammenhang mit der Beauftragung eines Sachverständigen zur Durchführung einer besonderen Prüfung gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG anfallen, lassen sich aber gerade nicht planen63. Nichts Anderes gilt für die Kosten der Beratung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der unerwarteten Trennung von einem Vorstandsmitglied und der Suche nach einem

61 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 93 Rz. 52; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 443; Schnorbus/Ganzer BB 2019, 258, 269; Seyfarth Vorstandsrecht, 2016, § 8 Rz. 7; Wiesner in Münchener Handbuch GesR, AG, 4. Aufl. 2015, § 25 Rz. 7. 62 Zu den betrieblichen Aufsichtsratskosten siehe z.B. Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 147 ff.; Theisen FS Säcker, 2011, S. 487, 497 ff. 63 Ebenso M. Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 638; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 84.

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neuen Vorstandsmitglied64. Auch im Fall eines komplexen zustimmungspflichtigen Geschäfts nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG oder bei der Erarbeitung der Stellungnahme des Aufsichtsrats gemäß § 27 WpÜG zu einem öffentlichen Angebot kommt die Beauftragung von Experten durch den Aufsichtsrat im Namen der Gesellschaft in Betracht. Die daraus entstehenden Aufwendungen sind im Voraus nicht planbar. Die Kosten der vom Aufsichtsrat im Rahmen seiner organschaftlichen Vertretungsmacht erteilten Aufträge sind von der AG gleichwohl zu tragen65. Vor diesem Hintergrund hilft auch die Fortschreibung der tatsächlichen Gesamtkosten des abgelaufenen Geschäftsjahres als Budget des Folgejahres nicht weiter. Insgesamt erweist sich damit die Forderung nach einem eigenen Budget des Aufsichtsrats, das dieser in eigener Verantwortung in Anspruch nehmen kann und auch entsprechende Zahlungen an Dritte zu Lasten der AG veranlassen kann, als nicht zielführend, denn gerade in den Situationen, in denen die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrats zur Einleitung von besonderen Maßnahmen und zur Beauftragung von Beratern gefährdet ist, vermag das Budget nicht dazu beizutragen, die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrats bei der Durchführung der Maßnahmen und der Hinzuziehung von Beratern zu stärken66. Soweit es um die Kosten für bekannte und in der Planung berücksichtigte Maßnahmen des Aufsichtsrats geht, ist das Aufsichtsratsbudget unnötig, soweit es um Kosten für außerordentliche ungeplante Maßnahmen des Aufsichtsrats geht, ist es untauglich67. 4. Fehlende Kompetenzlücke Das AktG hat für den Aufsichtsrat weder ein eigenes Budget vorgesehen noch gewährt es ihm die Budgetkompetenz oder Kontovollmacht hinsichtlich der von ihm ausgelösten Kosten bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Die Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat nach § 112 Satz 1 AktG stellt, wie der BGH erst jüngst wieder betont hat, keine abschließende Regelung dar68. Vielmehr sind in bestimmten Konstellationen Abweichungen vom 64

E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 140. Ebenso Strohn FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 463, 467; siehe auch E. Vetter ZGR 2020, 35, 49, 52. 66 Leyendecker-Langner/Huthmacher NZG 2012, 1415, 1418; von Schenck in Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 1 Rz. 305; Rotering/Mohamed Der Konzern 2016, 433, 438; Selter Die Beratung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, 2014, Rz. 320; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 140, a.A. Bulgrin AG 2019, 101, 110. 67 So bereits E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115,138; a.A. Bulgrin AG 2019, 101, 110. 68 BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, AG 2019, 298 Rn. 20 und 21; BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, BGHZ 218, 122 Rn. 15 (DTB Deutsche Biogas AG). 65

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Vertretungsmonopol des Vorstands nach § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG zugunsten des Aufsichtsrats geboten, um dessen eigenverantwortliche und unabhängige Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe zu gewährleisten69. Hieraus lässt sich jedoch kein Budgetrecht des Aufsichtsrats rechtfertigen. Auszugehen ist von der allgemein anerkannten Annexzuständigkeit des Aufsichtsrats bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Überwachungsaufgabe wie auch bei der Wahrnehmung seiner weiteren Aufgaben, im Einzelfall zur Aufgabenerledigung externe Hilfe hinzuzuziehen und im Namen der AG einen sachverständigen Berater zu beauftragen. In diesem Fall handelt der Aufsichtsrat für die AG kraft organschaftlicher Vertretungsmacht mit der Konsequenz, dass dem beauftragten Sachverständigen gegen die Gesellschaft ein direkter Vergütungsanspruch gemäß den mit dem Aufsichtsrat getroffenen Absprachen zusteht. Von einer „Kompetenzlücke“70 kann insoweit nicht gesprochen werden. Das fehlende eigene Budget und die fehlende Kontovollmacht des Aufsichtsrats steht der eigenverantwortlichen unabhängigen Wahrnehmung der Aufgabe durch den Aufsichtsrat nicht entgegen. Mit der Einräumung eines eigenen Budgetrechts des Aufsichtsrats lassen sich zudem – unabhängig von der Frage der Entscheidungskompetenz zur Einrichtung des Budgets71 – die zu seiner Begründung angeführten praktischen Schwierigkeiten wie oben dargelegt nicht beheben72. Der im Voraus planbare Aufwand des Aufsichtsrats (z.B. Aufsichtsratsvergütung i.S.v. § 113 AktG, Aufsichtsratsbüro, Reisekosten und Sitzungsdolmetscher, Übersetzungen) wird regelmäßig in der vom Vorstand gegen Ende des Geschäftsjahres zu erstellenden Jahresplanung für das folgende Jahr auf Basis einer Schätzung berücksichtigt. Entsprechendes gilt auch für die zu erwartenden Kosten des Abschlussprüfers, die unmittelbar nach der Auftragserteilung nach der Hauptversammlung festgelegt werden können und über die zudem gemäß § 285 Nr. 17 HGB im Anhang zum Jahresabschluss im Jahr des tatsächlichen Kostenanfalls detailliert zu berichten ist73. Im Verhältnis von Aufsichtsrat und Vorstand sind diese Positionen im Normalfall unkritisch; die Bezahlung der entsprechenden Rechnungen der externen Dienstleister erfolgt demgemäß auch komplikationslos. Bei Licht betrachtet richtet sich die Diskussion weniger auf die planbaren, sondern gerade auf die vom Aufsichtsrat veranlassten Aufwendungen für außergewöhnliche Anlässe, die typischerweise nicht geplant werden kön69

Siehe oben IV.1. So aber Theisen AG 2018, 589, 591. 71 Siehe dazu z.B. Bulgrin AG 2019, 101, 111; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 366 ff.; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 136 ff. 72 Zweifel z.B. auch bei Leyendecker-Langner/Huthmacher NZG 2012, 1415, 1418. 73 Zur Parallelregelung für den Konzernabschluss siehe § 314 Abs. 1 Nr. 9 HGB. 70

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nen. Ob z.B. im nächsten Geschäftsjahr ein außerplanmäßiger Wechsel im Vorstand anstehen wird, in dessen Zusammenhang vom Aufsichtsrat ein Rechtsanwalt oder ein Personalberater hinzugezogen werden soll oder ob sich die Notwendigkeit zur Durchführung einer internen Untersuchung gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG ergeben wird, mit der der Aufsichtsrat einen externen Sachverständigen beauftragen will, lässt sich im Voraus nicht beurteilen74. 5. Fehlende Zuständigkeit der Hauptversammlung Vereinzelt wird im Schrifttum vorgeschlagen, der Hauptversammlung in Analogie zu § 113 AktG oder in erweiternder Auslegung der Vorschrift die Zuständigkeit zur Festlegung des Aufsichtsratsbudgets einzuräumen75. Damit lassen sich jedoch die geschilderten Probleme, auf die unter anderem die Forderung nach Einführung eines Aufsichtsratsbudgets gestützt wird, nicht beheben. Die Einschaltung der Hauptversammlung sieht sich zunächst dem praktischen Einwand ausgesetzt, dass die Aktionäre noch viel weniger als Vorstand und Aufsichtsrat in der Lage sind, abzuschätzen, welche voraussichtlichen Kosten im kommenden Geschäftsjahr beim Aufsichtsrat für die Erfüllung seiner Aufgaben anfallen werden76. Zudem kann die Hauptversammlung die vom Aufsichtsrat ausgelösten Unwägbarkeiten, die z.B. mit der Hinzuziehung von Personalberatern im Fall eines unerwarteten Wechsels im Vorstand oder bei der Suche nach Kandidaten für die Wahl in den Aufsichtsrat ausgelöst werden, nicht beseitigen. Der Aufsichtsrat handelt bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben unabhängig und eigenverantwortlich77; seine Mitglieder sind weisungsfrei78. Die Hauptversammlung kann zudem weder dem Aufsichtsrat noch den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern rechtliche oder faktische Beschränkungen hinsichtlich der Aufgabenerledigung auferlegen, noch kann sie etwa für den Fall der Beauftragung eines Sachver74 M. Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 638; von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 485; Selter Die Beratung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, 2014, Rz. 320; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 140. 75 Bulgrin AG 2019, 101, 107; Gaul AG 2017, 877, 880; Theisen Der Aufsichtsrat, 2011, 1; Theisen FS Säcker, 2011, S. 487, 511; für Zulässigkeit im Grundsatz wohl auch Knoll/Zachert AG 2011, 309, 311. 76 Ebenso von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 485. 77 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 21. 78 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 398; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81 – „Siemens“, BGHZ 83, 106, 112; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 111 Rz. 68; Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 111 Rz. 60; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennot. AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 29.5.

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ständigen gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG direkt oder indirekt Vorgaben beschließen. Umfang und Intensität der Überwachung wie auch die übrige Aufgabenerledigung des Aufsichtsrats stehen nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung nicht zur Disposition der Hauptversammlung79. Auch wenn auf Grund der vom Aufsichtsrat im Rahmen seiner organschaftlichen Annexkompetenz erteilten Aufträge auf die Gesellschaft unerwartete Beratungskosten zukommen, die die vom Vorstand zu verantwortende Finanzierung der Aktivitäten der Gesellschaft berühren, rechtfertigt dies keine Aufweichung der aktienrechtlichen Zuständigkeiten80. Würde der Hauptversammlung die Zuständigkeit überantwortet, das Budget des Aufsichtsrats für die Kosten der von ihm wahrzunehmenden Aufgaben und für die sonstigen Aufwendungen der Aufsichtsratsmitglieder festzulegen, würde ihr damit de facto indirekt die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die vom Aufsichtsrat zu erledigenden Aufgaben eingeräumt. Ebenso wenig ist die Hauptversammlung in der Lage die Einrichtung eines Aufsichtsratskontos zu beschließen. § 113 Abs. 1 AktG regelt allein die Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Festlegung der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder; die Zuständigkeit zur Festlegung eines Budgets lässt sich daraus angesichts des klaren Wortlauts und Regelungszwecks der Norm nicht ableiten81. Was die Kontovollmacht des Aufsichtsrats anbetrifft, so würde damit dem Aufsichtsrat entgegen § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG eine Berechtigung zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis eingeräumt, die das AktG – abgesehen von den Fällen nach §§ 111 Abs. 3 Satz 2 und 112 AktG – nicht vorsieht. Die Vertretung der AG im Geschäftsverkehr mit Kreditinstituten liegt nach § 78 AktG allein beim Vorstand, der die vom Aufsichtsrat auf Grund seiner Annexkompetenz namens der AG eingegangenen Zahlungsverpflichtungen, wie dargelegt82, zu erfüllen hat83. Der Hauptversammlung fehlt insoweit jedenfalls de lege lata die Zuständigkeit dies zu ändern, § 119 Abs. 1 AktG84. 79 Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz 6; Plagemann NZG 2016, 211, 214; Scherb-Da Col Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 527; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 5; E. Vetter in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 137; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennot. AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 26.90. 80 A.A. Plagemann NZG 2016, 211, 215; Theisen FS Säcker, 2011, S. 487, 511. 81 Hüffer/Koch/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 111 Rz. 24; Rotering/Mohamed Der Konzern 2016, 433, 436; M. Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 637; a.A. Theisen AG 2018, 589, 592. 82 Siehe oben unter IV.1. 83 Siehe dazu auch Habersack AG 2014, 1, 7; Hasselbach Der Aufsichtsrat 2012, 36, 38; von Schenck in Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 1 Rz. 304. 84 Für eine Kontovollmacht des Aufsichtsratsvorsitzenden de lege ferenda von Schenck in Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 1 Rz. 305.

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VI. Handlungsbedarf de lege ferenda? Einige Autoren plädieren für das Eingreifen des Gesetzgebers, um eine Rechtsgrundlage für die Einrichtung eines Budgetrechts des Aufsichtsrats verbunden mit der Vertretungsmacht von einem oder mehreren Aufsichtsratsmitgliedern zur Vornahme von Auszahlungen zu Lasten eines Kontos der AG zu schaffen85. Ein Tätigwerden des Gesetzgebers ist jedoch nicht angezeigt86. Der vereinzelt reklamierte Handlungsbedarf zur Wahrung der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats ist nicht ersichtlich. Ein dem Aufsichtsrat zur unabhängigen Inanspruchnahme zur Verfügung stehendes eigenes Budget kann die Vertraulichkeit des Tätigwerdens des Aufsichtsrats nicht im gebotenen oder wünschenswerten Maße gewährleisten. Zudem würde die Einführung einer Kontovollmacht für den Aufsichtsrat bzw. für bestimmte einzelne Aufsichtsratsmitglieder zu einem tiefen Eingriff in die aktienrechtliche Kompetenzordnung führen, wenn dem Aufsichtsrat entgegen § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG die Berechtigung zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft im Finanzbereich eingeräumt werden würde. Ein erkennbarer Missstand bei der Behandlung der mit der Einschaltung von Beratern durch den Aufsichtsrat verbundenen Abwicklungsfragen oder eine feststellbare Beeinträchtigung der eigenverantwortlichen und unabhängigen Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, an der der BGH in seinem Urteil von 20. März 2018 im Fall DTB Deutsche Biogas AG seine Rechtsfortbildung ausgerichtet hat und der den Eingriff unter Umständen rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Der Aufsichtsrat kann, wie der BGH in diesem Urteil unmissverständlich deutlich gemacht hat, im notwendigen Umfang aus eigenem Recht handeln.

VII. Fazit Das Aufsichtsratsbudget ist im AktG nicht geregelt und es besteht bei kritischer Betrachtung der Sach- und Rechtslage auch kein Bedarf für eine entsprechende gesetzliche Regelung. Auch wenn die unabhängige Wahrnehmung seiner Aufgaben durch den Aufsichtsrat ein zentrales Anliegen 85 Rotering/Mohamed Der Konzern 2016, 433, 436; von Schenck in Semler/von Schenck (Hrsg.), Der Aufsichtsrat, 2015, § 112 Rz. 51; von Schenck FS Marsch-Barner, 2018, S. 481, 487 ff.; Theisen AG 2018, 589, 600; ebenso wohl Habersack in Münchener Komm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 102; siehe auch Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft NZG 2012, 294, 295. 86 Ebenso jüngst M. Roth FS E. Vetter, 2019, S. 629, 638.

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guter interner Corporate Governance ist, ist zur Gewährleistung dieser Funktion die Einrichtung eines eigenen Aufsichtsratsbudgets, das der Aufsichtsrat unabhängig – und unbeobachtet – vom Vorstand in Anspruch nehmen kann, weder erforderlich noch geeignet. Für die Sicherung der Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit des Aufsichtsrats bei der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben bedarf es entgegen der wiederholt vorgetragenen Forderung, wie auch der Jubilar festgestellt hat87, keines eigenen Aufsichtsratsbudgets, denn in den Situationen, in denen vom Aufsichtsrat in Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben ungeplante Kosten durch die Mandatierung von Beratern ausgelöst werden, bleibt der Aufsichtsrat ohnehin auf die praktische Mitwirkung des Vorstands angewiesen. Die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrats zur Wahrnehmung seiner Aufgaben ist durch seine gesetzliche Vertretungsmacht gegenüber Dritten bei der Erteilung von Aufträgen zur Erfüllung der Überwachungsaufgabe wie auch im Fall eventueller daraus resultierender gerichtlicher Streitigkeiten ausreichend gesichert. Dies hat der BGH im Fall der DTB Deutsche Biogas AG jüngst exemplarisch im Zusammenhang mit der Beauftragung einer sachverständigen Prüfung nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG entschieden. Dies muss in gleicher Weise aber auch bei der Erledigung von Aufgaben des Aufsichtsrats außerhalb seines Überwachungsauftrags wie etwa bei der Suche und Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds oder bei der Klärung von eigenen internen Angelegenheiten des Aufsichtsrats gelten88. Das erwähnte BGH-Urteil vom 20. März 2018 liefert bei Licht betrachtet keine Argumente für die Notwendigkeit der Einführung eines Aufsichtsratsbudgets. Im Gegenteil spricht die höchstrichterliche Bestätigung der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats zur Beauftragung von Sachverständigen und Beratern im Namen der Gesellschaft sowie die ausdrückliche Anerkennung der Prozessführungsbefugnis des Aufsichtsrats im Rechtsstreit mit dem Sachverständigen oder Berater89 dafür, dass ein gesondertes Aufsichtsratsbudget, das der Aufsichtsrat eigenständig ausschöpfen kann, für die unabhängige und eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung entbehrlich ist90.

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Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 530. Siehe dazu E. Vetter, ZGR 2020, 35, 49 ff. 89 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16 – „DTB Deutsche Biogas AG“, BGHZ 218, 122 Rn. 18. 90 Manuskriptabschluss 22.11.2019. 88

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Überlegungen zur Auslegung aufgezwungener Gesetze – Dargestellt am Beispiel der Regelungen zu Related Party Transactions – JOCHEN VETTER*

I. Einleitung Bei der Gesetzesauslegung haben es die Rechtsanwender klassischerweise mit einer einstufig durch einen nationalstaatlichen Gesetzgeber gesetzten Norm zu tun, bei der Auslegungsfragen unter Heranziehung der vier klassischen Auslegungskriterien zu beantworten sind. Deutlich komplexer wird die Gesetzesanwendung, wenn auf unterschiedlichen Stufen unterschiedliche Gesetzgeber beteiligt sind, wie dies bei der Umsetzung europarechtlicher Richtlinien der Fall ist. Der europäische Gesetzgeber trifft hier – anders als bei Verordnungen – nicht selbst die europaweit unmittelbar geltende Regelung, sondern überlässt zumindest die Einpassung in das nationale Rechtssystem dem nationalen Gesetzgeber. Zu unterscheiden sind dabei vollharmonisierende Richtlinien, bei denen den Nationalstaaten allein die technische Umsetzung in das nationale Recht verbleibt, und mindestharmonisierende Richtlinien, bei denen lediglich gewisse Mindeststandards vorgegeben werden, sodass den nationalen Gesetzgebern ein Spielraum zur Setzung höherer Standards verbleibt. Bei den mindestharmonisierenden Richtlinien wird den Mitgliedstaaten häufig ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des Regelungsauftrags in einem gewissen Umfang auszugestalten und von bestimmten Ausnahmetatbeständen Gebrauch zu machen. Die nachfolgenden Überlegungen nehmen ausschließlich solche mindestharmonisierenden Richtlinien in den Blick. Bei (zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags noch) 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist offensichtlich, dass das vom europäi* Der Verfasser dankt Herrn Daniel Baur, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hengeler Mueller in München, für die Unterstützung bei der Sichtung des methodologischen Materials und wertvolle Diskussionen.

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schen Gesetzgeber identifizierte Regelungsbedürfnis nicht in allen Mitgliedstaaten in gleichem Maße ausgeprägt ist. Etwas holzschnittartig wird man drei Fallgruppen unterscheiden können: (1) Ein Teil der Mitgliedstaaten wird die Problematik noch nicht gesehen und geregelt haben und der europäischen Initiative positiv gegenüberstehen; (2) andere Mitgliedstaaten werden die vom europäischen Gesetzgeber in den Blick genommene Problematik bereits erkannt und unabhängig vom Tätigwerden des europäischen Gesetzgebers einer originär nationalen Lösung zugeführt haben; und (3) wiederum andere werden die Problematik gesehen und für nicht regelungsbedürftig gehalten haben. Mitgliedstaaten der zweiten und dritten Gruppe werden die europäische Richtlinie möglicherweise als aufgezwungen empfinden. Bei Mitgliedstaaten der zweiten Gruppe können die Vorgaben der Richtlinie trotz eines bestehenden Umsetzungsspielraums mit den bereits bewährten nationalen Konzepten konfligieren und hohen bürokratischen Aufwand verursachende Parallelstrukturen erfordern. Im Zweifel werden solche Mitgliedstaaten die verbindlichen Vorgaben nur im zwingend notwendigen Umfang umsetzen, um Doppelregulierungen zu vermeiden und den Aufwand für die nationalen Rechtsanwender auf ein Mindestmaß zu beschränken. Den gleichen Ansatz einer minimalinvasiven Umsetzung werden Mitgliedstaaten der dritten Gruppe verfolgen, die gesetzgeberische Maßnahmen schon im Hinblick auf das Sachziel ablehnen. Der nationale Gesetzgeber verfolgt in diesen Fällen einen scheinbar gespaltenen und widersprüchlichen Ansatz: einerseits will er sich europarechtskonform verhalten und den Regelungsauftrag umsetzen, andererseits will er aber nicht mehr als unbedingt erforderlich regeln. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Absichten und dessen Auswirkungen auf die Gesetzesauslegung sollen Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sein. Dazu sollen nach einer Skizzierung der für die Auslegung nationalen Rechts und europarechtlicher Richtlinien sowie das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung von Umsetzungsgesetzen maßgeblichen Grundlagen (II.) die Besonderheiten bei der Auslegung aufgezwungener Umsetzungsgesetze herausgearbeitet werden (III.), die anschließend an einem konkreten Beispiel, den durch die Zweite Aktionärsrechterichtlinie („2. ARRL“)1 europarechtlich vorgezeichneten Regelungen über Related Party Transactions in den §§ 111a bis c AktG, verdeutlicht und vertieft werden (IV.). 1 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. L 132 vom 20.5.2017, S. 1.

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Die Überlegungen sollen dem Jubilar aus einer Vielzahl von Gründen gewidmet werden. Klaus Hopt vereint in einer einzigartigen Weise die wissenschaftliche Durchdringung des deutschen und des EU-Rechts mit der Kenntnis ausländischer Rechtsordnungen und der internationalen Fließrichtungen im Unternehmensrecht; gerade dieser Blick über den nationalen juristischen Tellerrand lässt ihn nicht nur immer wieder neue Impulse zu schon länger diskutierten Themen des Handels-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts geben, sondern vermittelt ihm auch ein untrügliches Gespür für das, was die Praxis bewegt und demnächst intensiv beschäftigen wird.2 Es verwundert daher nicht, dass Klaus Hopt auch für die Unternehmensrechtspraxis einer der wirkmächtigsten Rechtswissenschaftler der Gegenwart ist.

II. Allgemeine Auslegungsgrundsätze 1. Die Auslegung rein nationaler Gesetze Zur Erfassung des Sinns rein nationaler Rechtsnormen werden die Auslegungskriterien Wortsinn, Bedeutungszusammenhang, die Zwecke und Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers sowie objektiv-teleologische Kriterien herangezogen.3 Der nach der Bestimmung des Wortsinns in einem ersten Schritt häufig verbleibende weite Rahmen wird anschließend einzugrenzen versucht. Bei der Untersuchung des Bedeutungszusammenhangs werden, neben der unmittelbar in Betracht genommenen, weitere mit dieser in einem Regelungszusammenhang stehende Rechtsnormen herangezogen. Ob der Regelungszusammenhang, als Voraussetzung einer solchen Argumentation, tatsächlich besteht, bedarf ebenfalls der Auslegung. Wenn sich dies nicht aus einem Verweis auf die andere Rechtsnorm ergibt, kann die äußere Systematik des Gesetzes einen Hinweis auf eine Zusammengehörigkeit geben. Die Stichhaltigkeit dieses Indizes ist aber stets, insbesondere anhand der Gesetzesmaterialien, zu überprüfen.4 Zwecke und Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers lassen sich ermitteln durch Analyse der Entwürfe und deren Begründungen sowie der Beratungsprotokolle der gesetzgebenden Körperschaft. Im Vordergrund steht der Zweck des Gesetzes, welches eine Reaktion auf eine vorgefundene reale Problematik ist. Bereits die zutreffende Berücksichtigung des historischen Gesetzeszwecks bereitet mitunter erhebliche Schwierigkeiten, denn regelmäßig verfolgt eine 2

Eine Belegung dieser Feststellung durch Beiträge des Jubilars wäre leicht möglich, würde aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen. 3 S. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 141 ff. 4 Zum Ganzen Larenz/Canaris, aaO (Fn. 3), S. 145 ff.

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gesetzliche Regelung nicht lediglich einen, sondern mehrere Zwecke, die gewichtet und gegeneinander abgewogen werden müssen.5 Unter Anwendung objektiv-teleologischer Kriterien geht die Normanwendung schließlich über das Subjektiv-Teleologische, den erkennbaren historischen „Willen des Gesetzgebers“, hinaus.6 Beispiele für objektive Kriterien sind das Gebot der Gerechtigkeit, wertungsmäßig gleichartige Fälle gleich zu behandeln, mithin Wertungswidersprüche innerhalb der Rechtsordnung zu vermeiden. Zu diesem Ziel sind die das „innere System“ der Rechtsordnung bildenden Prinzipien herauszuarbeiten und der Grad ihrer neben dem historischen Zweck gebotenen Berücksichtigung zu begründen. Diese die ratio legis einer Norm häufig mitbestimmenden Prinzipien sind im Zeitverlauf veränderlich. Ihr Gefüge wird insbesondere durch jüngere Gesetze und die durch diese eingebrachten Zwecke beeinflusst.7 Die Auslegungskriterien ergänzen sich gegenseitig und können nicht unabhängig voneinander Anwendung finden. Ein echter Vorrang eines Auslegungskriteriums kann daher nicht angenommen werden.8 Ein Vorrang kommt, nicht hermeneutisch, sondern normhierarchisch begründet, der verfassungskonformen Auslegung zu. Sie wirkt als interpretatorische Vorrangregel9, die zu beachten ist, bevor die Auslegungskriterien ohne Vorrang untereinander angewandt werden können.10 2. Die Auslegung europäischer Richtlinien Für die Auslegung von Richtlinien gelten keine grundsätzlich anderen Methoden als für rein national gesetztes Recht. Es ergeben sich aber Besonderheiten, die aus dem speziellen Betrachtungsgegenstand folgen. Angesichts des Bestrebens, rechtliche Vorgaben für eine Vielzahl von Mitgliedstaaten mit ganz unterschiedlichen Rechtssystemen und –traditionen zu setzen, kommt dem Wortlaut eine besondere Bedeutung zu. Der europäische Gesetzgeber trägt dem häufig mit einer vergleichsweisen ausführlichen Regelungstechnik und der Verwendung ausdrücklich definierter Begriffe 5 Zum Ganzen Larenz/Canaris, aaO (Fn. 3), S. 149 ff.; speziell zur Pluralität der Normzwecke Grigoleit, FS Canaris zum 80. Geburtstag, 2017, S. 241, insb. 265 ff. 6 Zum diese objektiven Kriterien einbeziehenden Ziel der Auslegung („Vereinigungstheorie“) Larenz/Canaris, aaO (Fn. 3), S. 137 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 6 Rdn. 79. 7 Zum Ganzen Larenz/Canaris, aaO (Fn. 3), S. 153 ff. Beispiele für solche Prinzipien sind etwa Vertrauensschutz oder das Veranlasserprinzip sowie die im Grundgesetz verschriftlichten Prinzipien wie der Gleichheitsgrundsatz und die Freiheitsgrundrechte. 8 Larenz/Canaris, aaO (Fn. 3), S. 166; Canaris, FS Medicus, 1999, S. 25, insb. 33 ff. 9 Vergleichende Darstellung bei Canaris, FS Reiner Schmidt, 2006, S. 41, 47 ff. 10 Zur verfassungskonformen Auslegung, diese zugleich auch systematisch verortend, Canaris, FS Kramer, 2004, S. 141 ff., insb. 154; die Einordnung ist umstritten, siehe etwa Möllers, aaO (Fn. 6), § 11 Rdn. 50 f.

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Rechnung. Allerdings wird die Ermittlung des Wortsinns auf der Ebene der Union durch das Nebeneinander gleichberechtigt zu berücksichtigender amtlicher Fassungen der Gesetzestexte11 in 24 Sprachen erschwert. In Bezug auf den Bedeutungszusammenhang ist das in der Regel geltende Gebot unionsautonomer Auslegung zu beachten.12 Eine zur Verwirklichung des Unionsziels der Schaffung eines Binnenmarktes (Art. 3 Abs. 3 EUV) notwendige Rechtsvereinheitlichung wäre bei Heranziehung nationalstaatlichen Rechts nicht möglich. Bei der Ermittlung des Bedeutungszusammenhangs kann möglicherweise auch eine rechtsaktübergreifende europäische Ordnung innerhalb des Sekundärrechts berücksichtigt werden, die allerdings nicht vergleichbar mit Kodifikationen des nationalen Rechts wie dem BGB oder dem AktG strukturiert ist13, insbesondere nicht begrifflich14, sodass eine darauf bezogene Argumentation seltener möglich und tendenziell vergleichsweise schwach ist15. Auch bei der Auslegung von Richtlinien sind zum Zwecke der subjektiv-teleologischen Auslegung die Zwecke und Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln.16 Anhaltspunkte liefern hier insbesondere die Erwägungsgründe der Richtlinie.17 Dabei gilt es, die Zwecke der auszulegenden Rechtsnorm differenziert zu bestimmen, um einem eindimensionalen Schutzzweckdenken, verstärkt durch Verweis auf den effet utile, vorzubeugen.18 Hinzu tritt als viertes Auslegungskriterium die objektiv-teleologische Auslegung.19 Insbesondere ent11 St. Rspr., siehe etwa EuGH, Urteil vom 30.5.2013 – C-488/11, Rdn. 26, juris; EuGH, Urteil vom 3.6.2010 – C-569/08, Rdn. 33, juris; EuGH, Urteil vom 15.4.2010 – C-511/08, Rdn. 51, juris. 12 St. Rspr., siehe etwa EuGH, Urteil vom 19.12.2019, C-236/18, Rdn. 30, juris; EuGH, Urteil vom 23.5.2019 – C-658/17, Rdn. 50, juris; näher hierzu Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rdn. 4 ff. 13 Möllers, aaO (Fn. 6), § 4 Rdn. 137. 14 Martiny, ZEuP 1998, 227, 243; Riesenhuber, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 180. 15 Ebenso Lutter, JZ 1992, 593, 602; Stotz, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 22 Rdn. 14 („Abrundung“ der Auslegung). 16 Zu Rückschlüssen aus der Entstehungsgeschichte siehe etwa EuGH, Urteil vom 12.12.2019, C-381/18, Rdn. 59, juris; EuGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – C-306/12 –, Rdn. 22 juris; EuGH, Urteil vom 28.10.2010 – C-203/09 –, Rdn. 40, juris; die Genese einer Norm (nicht den historischen Zweck) in der Rspr. des EuGH als untergeordnetes Kriterium wertend Lutter JZ 1992, 593, 599; Hommelhoff, in: Schulze, Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, 1999, S. 29, 33; tendenziell ebenso EuGH, Urteil vom 19.12.2019 – C-263/18, Rdn. 38, juris; EuGH, Urteil vom 20.12.2017 – C-397/16 und C-435/16, Rdn. 31, juris. 17 EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-184/12, Rdn. 37; juris; EuGH, Urteil vom 3.10. 2013 – C-322/12, Rdn. 29, juris; EuGH, Urteil vom 22.4.1999 – C-423/97, Rdn. 42, juris. 18 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 461 ff.; Herresthal, ZEuP 2009, 600, 603 f. 19 EuGH, Urteil vom 6.10.1982 – 283/81, Rdn. 20, juris; zum diese objektiven Kriterien einbeziehenden Ziel der Auslegung („Vereinigungstheorie“) auch im europäischen Kontext Riesenhuber, aaO (Fn. 12), § 10 Rdn. 8 ff., auch 25 f.

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hält auch das europäische Recht das Gebot, Wertungswidersprüche zu vermeiden20, und Prinzipien, die ein „inneres System“ bilden21. Zum Verhältnis der Auslegungskriterien zueinander gilt grundsätzlich – unter Beachtung der ausgeführten Besonderheiten – das oben zur Auslegung rein nationaler Gesetze Ausgeführte. Noch häufiger als im nationalen Recht dürfte sich nach dem eben Gesagten der Sinn einer Rechtsnorm besonders über den Wortsinn und die subjektiv-teleologische Auslegung finden lassen. An die Stelle der verfassungskonformen Auslegung tritt zumindest als objektivteleologisches Auslegungskriterium die primärrechtskonforme Auslegung.22 3. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung Für die Rechtsanwendung kommt es im Ausgangspunkt allein auf die Auslegung des deutschen Umsetzungsgesetzes an; grundsätzlich kann nur dieses Rechte und Pflichten der Normadressaten begründen. Die Auslegung der zugrunde liegenden Richtlinie hat allerdings im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des Umsetzungsgesetzes erhebliche Relevanz. In deren Rahmen wirkt sich die zweistufige Rechtssetzung dahin aus, dass sowohl der Sinn der Rechtsnormen der Richtlinie als auch der Sinn der Rechtsnormen des Umsetzungsgesetzes zu beachten sind. Der EuGH verlangt „das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden“23. Die richtlinienkonforme Auslegung wirkt als interpretatorische Vorrangregel.24 Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung ist doppelt begründet: Es ergibt sich supranational aus Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV. In den für die Problematik dieses Beitrags relevanten Fällen tritt der „Wille“ des nationalen Gesetzgebers zur Umsetzung als nationales subjektiv-teleologisches Auslegungskriterium hinzu.25 Wie sich aus der Begründung des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung ergibt, nehmen an diesem lediglich optionale Richt20 EuGH, Urteil vom 13.4.2000 – C-292/97, Rdn. 39 juris; EuGH, Urteil vom 13.11. 1984 – 283/83, Rdn. 7, juris. 21 Hierunter fallen etwa die Rechte der Grundrechtscharta und die Grundfreiheiten; ein „inneres System“ auch im Sekundärrecht annehmend etwa Riesenhuber, aaO (Fn. 12), § 10 Rdn. 24 ff. 22 Vgl. zum Ganzen Riesenhuber, aaO (Fn. 12), § 10 Rdn. 50 ff. 23 EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – 14/83 (von Colson und Kamann), Rdn. 28, juris; EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – 79/83 (Harz), Rdn. 28, juris; ausdrücklich die Contralegem-Grenze anerkennend EuGH, Urteil vom 4.7.2006 – C-212/04 (Adeneler), Rdn. 110, juris. 24 Canaris, FS Bydlinski, 2001, S. 47, 64 ff. 25 Zur Begründung des Gebots richtlinienkonformer Auslegung Canaris, FS Bydlinski, 2001, S. 47, 49 ff.; ausführlich Franzen, aaO (Fn. 18), S. 292 ff.

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linienvorgaben nicht teil.26 Weder sind diese europarechtlich verbindlich, noch ist deren Umsetzung bei aufgezwungenen Gesetzen vom nationalen Gesetzgeber gewollt.

III. Die Auslegung aufgezwungener Gesetze Aufgezwungene Gesetze in dem diesem Beitrag zugrunde gelegten Sinn sind durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: Zum einen werden auf europäischer Ebene zwar ein Regelungsziel und gegebenenfalls auch konkrete Regelungen vorgegeben, dem nationalen Gesetzgeber wird aber bewusst ein inhaltlicher Gestaltungsspielraum eingeräumt, beispielsweise durch die Gewährung von Auswahl- oder Ausnahmemöglichkeiten, wie dies gerade bei auf europäischer Ebene lange und kontrovers diskutierten Richtlinien mit Kompromisscharakter anzutreffen ist. Zum anderen teilt der Gesetzgeber auf nationaler Ebene das vorgegebene Regelungsziel nicht (in vollem Umfang). Er macht sich das europäische Regelungsziel zwar, da er dazu verpflichtet ist, zu eigen, aber nur in dem Umfang, wie dies zwingend umzusetzen ist. Im Übrigen verfolgt er die Absicht, die Umsetzung der Richtlinie auf das europarechtlich zwingend gebotene oder jedenfalls ein von ihm für angemessen gehaltenes Maß zu begrenzen und einen möglicherweise als systemfremd angesehenen Eingriff in die nationale Rechtsordnung und den durch etwaige Doppelregulierungen verursachten bürokratischen und sonstigen Aufwand für die nationalen Rechtsanwender zu begrenzen. Für die Auslegung des aufgezwungenen Umsetzungsgesetzes hat diese nationale subjektiv-teleologische Dichotomie Konsequenzen. Bei der Auslegung des Umsetzungsgesetzes sind konzeptionell zwei Bereiche zu unterscheiden: (1) Zum einen der zwingend umzusetzende, obligatorische Bereich der europäischen Mindestharmonisierung: Dieser umfasst die Regelungen des Umsetzungsgesetzes, die den nach der Richtlinie zwingend zu verwirklichenden Regelungsauftrag umfassen. Der Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers ist hier auf die technische Einpassung der inhaltlichen europäischen Vorgaben in die nationale Rechtsordnung begrenzt; ein weitergehender inhaltlicher Gestaltungsspielraum steht ihm nicht zu. (2) Zum anderen der über den obligatorischen Bereich hinausgehende optionale Bereich: Dieser umfasst den dem nationalen Gesetzgeber von der Richtlinie eingeräumten autonomen inhaltlichen Gestaltungsspielraum, Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfolgen der europäischen Rechtsregel 26

Ausdrücklich Canaris, FS Bydlinski, 2001, S. 47, 77.

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eigenständig auszuformen und von durch die Richtlinie eröffneten Möglichkeiten Gebrauch zu machen, zwischen vorgegebenen Gestaltungsoptionen auszuwählen oder von Ausnahmeregelungen Gebrauch zu machen.27 In beiden Bereichen gelten sich gravierend unterscheidende Besonderheiten für die Auslegung: (1) Im obligatorischen Bereich gilt das unter II.3. dargestellte Gebot der richtlinienkonformen Auslegung. Da der nationale Gesetzgeber in diesem Bereich den durch die Richtlinie vorgegebenen Regelungsauftrag vollumfänglich umsetzen will, stimmt die subjektiv-teleologische Auslegung des Umsetzungsgesetzes mit der subjektiv-teleologischen Auslegung auf der Stufe der europäischen Richtlinie überein. Es gibt keine Dichotomie der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke. Für die Auslegung des Umsetzungsgesetzes ist der nationale Bedeutungs- und Regelungszusammenhang ohne Relevanz. Für die objektiv-teleologische Auslegung kommt es auf das innere System des europäischen Rechts an. Gerade im obligatorischen Bereich wird der nationale Gesetzgeber sich häufig am Wortlaut der Richtlinie orientieren. In diesem Fall ist der Wortsinn des Umsetzungsgesetzes unter Berücksichtigung der zur Auslegung von Richtlinien (oben II.2.) dargestellten Besonderheiten zu ermitteln. (2) Im optionalen Bereich richtet sich die Auslegung dagegen allein nach den oben unter II.1. dargestellten Grundsätzen für die Auslegung nationaler Gesetze. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung gilt, nachdem die Zuordnung zum optionalen Bereich vorgenommen wurde, nicht. Subjektiv-teleologisch sind allein die vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Zwecke maßgeblich. Dies beinhaltet auch einen von ihm verfolgten Zweck, den europarechtlich vorgegebenen Primärzweck nur minimalinvasiv umzusetzen. Ob und in welchem Umfang sich dieser negative, rein begrenzende Zweck gegenüber dem europarechtlich vorgegebenen positiven Sachziel, das Anlass für die Regelung war, durchsetzt, ist für die konkrete Rechtsfrage im Wege der Auslegung zu ermitteln. In dem Extremfall, dass der nationale Gesetzgeber die nationale Regelung auf das europarechtlich zwingend erforderliche Maß beschränken wollte, setzt er sich im optionalen Bereich stets durch. Der nationale Bedeutungs- und Regelungszusammenhang ist grundsätzlich zu beachten, wobei das Umsetzungsgesetz im konkreten Fall kaum in relevantem Um27

Zu diesem optionalen Bereich gehört auch die Möglichkeit zum „gold plating“, also zur freiwilligen über das europarechtlich geforderte Mindestmaß hinausgehende Verwirklichung des Regelungsziels, die im vorliegenden Zusammenhang aber nicht näher betrachtet wird.

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fang an einem nationalen Regelungszusammenhang teilnehmen wird, der Rückschlüsse auf dessen Auslegung zulässt. Dies gilt insbesondere, wenn das Umsetzungsgesetz begrifflich nicht an das nationale Recht angepasst worden ist. Für die objektiv-teleologische Auslegung ist das innere System der nationalen Rechtsordnung maßgeblich. Selbst dort, wo der nationale Gesetzgeber Begriffe der Richtlinie verwendet, ist es nicht völlig ausgeschlossen, diesen einen eigenen nationalen Wortsinn beizumessen. Diese fundamentalen Unterschiede bei der Auslegung lassen erkennen, dass bei konkreten Auslegungsfragen des Umsetzungsgesetzes zunächst in einem ersten Schritt die Zuordnung der betreffenden Regelung zu einem der beiden Bereiche erforderlich ist. Diese Zuordnung ist keine Frage des nationalen Rechts, sondern der Richtlinie. Durch Auslegung der Richtlinie nach den oben unter II.2. dargestellten Grundsätzen ist zu ermitteln, welche Ziele durch die Richtlinie als verbindlich vorgegeben und in welchem Umfang sie zwingend zu erreichen sind. Das Ergebnis dieser Auslegung ist im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des Umsetzungsgesetzes auch für dieses maßgeblich. Wird dieser eigenständige gedankliche Schritt im Rahmen der Auslegung nicht vorgenommen, besteht die Gefahr, dass die beiden Bereiche vermischt und die Auslegungskriterien bei der konkreten Auslegungsfrage auf die falsche Norm, den falschen Bedeutungszusammenhang und das falsche innere System bezogen werden. Insbesondere besteht zum einen die Gefahr, dass subjektiv-teleologische Erwägungen des europäischen Gesetzgebers bei Fragen herangezogen werden, bei denen es allein auf die davon möglicherweise abweichenden Erwägungen des nationalen Gesetzgebers ankommt, sowie zum anderen die gegenläufige Gefahr, dass restriktive Absichten des nationalen Gesetzgebers für Fragen herangezogen werden, für die im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung allein subjektivteleologische Erwägungen des europäischen Gesetzgebers maßgeblich sind. Noch größere Vorsicht als bei ihrer Auslegung ist dabei geboten, aus aufgezwungenen Gesetzen systematische oder teleologische Argumente für die Auslegung anderer Normen des nationalen Rechts abzuleiten oder darauf gar eine Rechtsfortbildung zu stützen. Der Inhalt aufgezwungener Gesetze und die ihnen und der Richtlinie zugrundeliegenden Wertungen nehmen grundsätzlich nicht an der Bildung des nationalen „inneren Systems“ teil, wie dies bei einem rein nationalen Gesetz der Fall wäre.28 Der nationale Gesetzgeber teilt das Regelungsziel gerade nicht (Fallgruppe 3) oder er ist der Auffassung, dass die nationale Rechtsordnung dieses schon unabhängig von der Richtlinie in ausreichendem Umfang verwirklicht hat (Fallgruppe 2). 28 Zum Ausschluss systemfremder Normen von der Systembildung, wenn auch ohne europarechtlichen Hintergrund, Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S. 132.

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Aufgezwungene Gesetze sind daher typischerweise ein Fremdkörper im nationalen Recht. Für systematische Rückschlüsse auf andere nationale Normen sind sie – jedenfalls im Grundsatz – ungeeignet. Gleiches gilt erst recht für ihre Analogiefähigkeit im Rahmen der Rechtsfortbildung anderer Normen des nationalen Rechts.

IV. Konkretisierung der Überlegungen am Beispiel der Regelung zu Related Party Transactions 1. Die §§ 111a bis c AktG als aufgezwungenes Gesetz Die vorstehenden Grundsätze zum Ineinanderspielen des europarechtlichen und des nationalstaatlichen Hintergrunds bei der Auslegung des nationalen Rechts sollen im Folgenden am Beispiel der Regelungen zu Related Party Transactions in den §§ 111a bis c AktG verdeutlicht werden, die mit Wirkung zum 1. Januar 2020 durch das ARUG II29 in das Aktiengesetz aufgenommen wurden. Europarechtlicher Hintergrund ist der durch die 2. ARRL in die Aktionärsrechterichtlinie („ARRL“)30 eingeführte Art. 9c ARRL. Diese Bestimmungen sind deshalb zur Verdeutlichung der vorstehenden Überlegungen geeignet, weil sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber seine Vorstellungen und Absichten sehr deutlich geäußert haben. Die Umsetzung des Art. 9c ARRL stellt sich danach als Paradebeispiel der oben unter I. als Fallgruppe 2 bezeichneten Konstellation dar, dass der nationale Gesetzgeber der Auffassung ist, das vom europäischen Gesetzgeber in den Blick genommene Regelungsziel schon ausreichend verwirklicht zu haben, und sich deshalb auf die Umsetzung der Richtlinie im zwingend erforderlichen Mindestumfang beschränkt. Diese Ausgangslage soll zunächst kurz beschrieben werden. Art. 9c ARRL verpflichtet die Mitgliedstaaten zu bestimmten Regelungen im Hinblick auf Geschäfte mit nahestehenden Personen. Diese erfordern zwingend die Billigung durch die Hauptversammlung oder das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan sowie deren Veröffentlichung. Art. 9c ARRL ist lediglich mindestharmonisierend. Er überlässt den Mitgliedstaaten – wohl auch als Folge der langen und kontroversen Diskussion im Zuge des Ge-

29 Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12.12. 2019, BGBl. 2019 I, S. 2637. 30 Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre. Zur Terminologie: „ARRL“ bezeichnet im Folgenden die Aktionärsrechterichtlinie in ihrer aktuellen (durch die 2. ARRL geänderten) Fassung. „2. ARRL“ bezeichnet die Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der ursprünglichen Aktionärsrechterichtlinie Richtlinie 2007/36/EG.

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setzgebungsverfahrens31 – nicht nur die technische Einbindung der Vorgaben in nationales Recht, sondern in einem ungewöhnlich weiten Umfang die konkrete Ausgestaltung des Schutzes gegen die Gefahren von Geschäften mit Related Parties. Als nicht abschließende Beispiele seien genannt: • Die Festlegung, was wesentliche Geschäfte sind (Art. 9c Abs. 1 ARRL), obwohl unterschiedliche Wesentlichkeitskriterien dem Zweck der europaweiten Harmonisierung entgegenlaufen32. • Die Billigung von wesentlichen Geschäften mit nahestehenden Personen kann durch die Hauptversammlung oder das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan erfolgen (Art. 9c Abs. 4 ARRL). • Den Mitgliedstaaten wird die Möglichkeit eröffnet, Aktionären das Recht einzuräumen, dass die Hauptversammlung über wesentliche Geschäfte mit nahestehenden Personen, denen das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan bereits zugestimmt hat, beschließt (Art. 9c Abs.4 Uabs. 2 ARRL). • Der öffentlichen Bekanntmachung kann, muss aber kein Bericht über die Angemessenheit des Geschäfts auch aus Sicht der Minderheitsaktionäre beigefügt werden; der Bericht kann, muss aber nicht von einem unabhängigen Dritten erstellt werden (Art. 9c Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 ARRL). • Art. 9c Abs. 5 ARRL enthält eine Ausnahme für Geschäfte, die im ordentlichen Geschäftsgang zu marktüblichen Bedingungen getätigt wurden. Die Mitgliedstaaten können allerdings vorsehen, dass auch diese Geschäfte den Regelungen über Related Party Transactions unterstellt werden. • Art. 9c Abs. 6 ARRL erlaubt eine Vielzahl von Ausnahmen von den ansonsten zwingenden Regelungen zur Legitimation und Transparenz von Related Party Transactions. Dies gilt insbesondere für Geschäfte mit bestimmten Tochterunternehmen und genau festgelegte Arten von Geschäften, für die nach nationalem Recht die Zustimmung durch die Hauptversammlung erforderlich ist. • Die ARRL selbst ordnet keine konkreten Sanktionen gegen Verstöße an, sondern begnügt sich mit dem Hinweis, dass die Mitgliedsstaaten verhältnismäßige und abschreckende Maßnahmen und Sanktionen festzulegen haben (Art. 14b ARRL). Der deutsche Gesetzgeber hat die ausdrücklich angesprochenen Möglichkeiten, über den zwingenden Anwendungsbereich von Art. 9c ARRL hin31 S. zur Entstehungsgeschichte des Art. 9c ARRL etwa J. Vetter, K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 111a Rdn. 39 ff. m.w.N. 32 S. auch schon J. Vetter, ZHR 179 (2015), 273, 318 f.; Veil, NZG 2017, 521, 522 f.; Tarde, Related Party Transactions, 2018, S. 224; a.A. Bayer/Selentin, NZG 2015, 7, 9; Bungert/de Raet, Der Konzern 2015, 289, 293. Der Ausgangsentwurf der Kommission zur 2. ARRL vom 9.4.2014 sah demgegenüber noch einheitliche Wertschwellen vor (COM/ 2014/0213 final 2014/0121 (COD), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /EN/TXT/?uri=COM:2014:213:FIN).

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auszugehen, nicht wahrgenommen33, wohl aber alle vorgenannten Ausnahmemöglichkeiten vom Anwendungsbereich. Das Wesentlichkeitskriterium für Geschäfte mit nahestehenden Personen (1,5% der Summe aus bilanziertem Anlage- und Umlaufvermögen, s. § 111b Abs. 1 AktG) ist entgegen teilweiser Kritik34 sehr praktikabel und nicht kleinlich gewählt worden35. Die Kompetenz zur Billigung von wesentlichen Geschäften mit nahestehenden Personen ist nicht der Hauptversammlung, sondern dem Aufsichtsrat zugewiesen. Diese sehr defensive Umsetzung liegt darin begründet, dass (i) das deutsche Recht schon bisher zwar keine einheitlichen, aber doch vielfältige unterschiedliche Maßnahmen zum Schutz vor den Gefahren von Related Party Transactions, insbesondere Geschäften mit Organmitgliedern und Geschäften mit (herrschenden) Aktionären kennt, die teilweise deutlich über den mindestharmonisierenden Inhalt des Art. 9c ARRL hinausgehen, und (ii) der deutsche Gesetzgeber diese Schutzkonzepte für ausreichend hielt und keinen autonomen Anlass gesehen hätte, von sich aus den Schutz vor den Gefahren von Related Party Transactions zu verbessern. Zu dem ersten Aspekt, den schon bestehenden deutschrechtlichen Schutzkonzepten, ist insbesondere auf die folgenden hinzuweisen36: • Die Verpflichtung zur Offenlegung wesentlicher Geschäfte mit nahestehenden Personen, die nicht zu marktüblichen Bedingungen zustande gekommen sind (s. §§ 285 Nr. 21 und 314 Abs. 1 Nr. 13 HGB sowie die für börsennotierte Gesellschaften nach Art. 4 IAS-VO37, § 315e HGB stattdessen relevanten IAS 24.18 und § 114 Abs. 4 Satz 2 WpHG). • Der Schutz vor Vermögensverlagerungen zugunsten von Organmitgliedern durch die gegenseitige Überwachung von Vorstand und Aufsichtsrat 33

Das gilt insb. für die freiwillige Erstreckung auf nicht börsennotierte Gesellschaften, die in der Literatur teilweise gefordert wurde, s. etwa Tröger, AG 2015, 53, 61; Civelek, Regulierungsoptionen für Related Party Transactions, 2019, S. 141 f.; Klene, GWR 2018, 210, 213. 34 Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2948 f.; Tröger/Strenger, Börsenzeitung v. 16.10.2018, S. 10; für alternative Bezugsgrößen und Differenzierung im Hinblick auf die Art der Geschäfte Engert/Florstedt, ZIP 2019, 493, 501 ff.; für alternative Bezugsgrößen auch Tarde, NZG 2019, 488, 489 f. 35 Näher J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111b Rdn. 15 f. 36 Zu einem ausführlicheren Überblick über die unabhängig von den §§ 111a bis 111c AktG bestehenden Schutzinstrumente des deutschen Rechts Fleischer, BB 2014, 2691 ff.; Pälicke, AG 2018, 514, 516 ff.; J. Vetter, ZHR 179 (2015), 273, 289 ff.; umfassend Civelek, aaO (Fn. 33), S. 37 ff.; Klene, Related Party Transactions, 2017, S. 117 ff.; T. Roth, Related Party Transactions auf dem Prüfstand – Eine kritische Auseinandersetzung mit Art. 9c der Aktionärsrechterichtlinie 2017 und dessen Umsetzung in deutsches Recht, 2018, S. 29 ff.; Tarde, aaO (Fn. 32), S. 101 ff.; Ungerer, Prozedurale Regulierung und Transparenz von Related Party Transactions in börsennotierten Aktiengesellschaften, 2019, S. 65 ff. 37 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. L 243 vom 11.9.2002, S. 1.

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im Rahmen des dualistischen Systems sowie die Spezialvorschriften der §§ 112, 89, 114 und 115 AktG. • Der Schutz der Gesellschaft im Hinblick auf Geschäfte mit Aktionären durch die strengen, unabhängig von jeglichen Materialitätsschwellen geltenden aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgrundsätze (§§ 57 ff. AktG). • Der Schutz im Hinblick auf Geschäfte mit herrschenden Aktionären durch das Konzernrecht, insbesondere die §§ 311 ff. AktG und die Regelungen des Vertragskonzerns. Vor diesem Hintergrund hat sich der deutsche Gesetzgeber bewusst auf eine minimalinvasive Umsetzung von Art. 9c ARRL in das deutsche Recht entschieden und dies insbesondere durch die umfassende Nutzung von Ausnahmevorschriften und Klarstellungen in den Gesetzesmaterialien sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Begründung des Regierungsentwurfs des ARUG II verweist zur Begründung der weitgehenden Ausnutzung der von Art. 9c ARRL eröffneten Ausnahme- und Gestaltungsspielräume mehrfach einerseits auf das schon bisher in Deutschland bestehende hohe Schutzniveau im Hinblick auf die Gefahren von Related Party Transactions und andererseits auf das Bestreben hin, deutsche Unternehmen in möglichst weitem Umfang vor zusätzlichen bürokratischen Belastungen durch eine auch gesamtwirtschaftlich schädliche Über- und Doppelregulierung zu bewahren.38 2. Normzweck der §§ 111a bis c AktG Der Normzweck des Art. 9c ARRL liegt darin, die Gesellschaft vor Nachteilen durch den Abschluss von Geschäften mit nahestehenden Personen zu schützen.39 Anlass ist die Einschätzung, dass Geschäfte mit nahestehenden Personen den Gesellschaften und ihren Aktionären abträglich sein können, da sie dem nahestehenden Unternehmen oder der nahestehenden Person die Möglichkeit geben können, sich Werte der Gesellschaft anzueignen. Es soll verhindert werden, dass die nahestehende Person ihre Position der Nähe ausnutzt, um Einfluss zu ihren Gunsten auf die Gesellschaft zu nehmen.40 Die deutschen Gesetzesmaterialien zum ARUG II greifen diese Überlegungen ausdrücklich auf.41 Neben diesem europarechtlich vorgegebenen teleologischen Ausgangspunkt ist die zuvor beschriebene Überzeugung des deutschen Gesetzgebers, dass die bisherigen Schutzinstrumente im Hinblick auf Related Party Transactions nicht defizitär sind, und seine Ab38 Begr. des RegE zum ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 35, 80; s. auch Seibert, FS E. Vetter, 2019, S. 749, 759 f. 39 Erwägungsgründe Nr. 42 und 44 der 2. ARRL. 40 Ausführlicher und differenzierter J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111a Rdn. 16 ff. 41 Begr. des RegE, BT-Drucks. 19/9739, S. 35.

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sicht, sich bei der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu Related Party Transactions auf das zwingende Mindestmaß zu beschränken, zu beachten. Der deutsche Gesetzgeber respektierte (selbstverständlich) den Harmonisierungsauftrag des europäischen Gesetzgebers, wollte die Eingriffe in die etablierten aktienrechtlichen Institute und die durch das AktG etablierte Corporate Governance aber doch möglichst minimalinvasiv ausgestalten. Ausdrücklich spricht er von einem „Ausgleich zwischen den Eingriffen in das bestehende nationale Rechtssystem und dem Harmonisierungsziel der 2. ARRL“.42 3. Anwendung der Grundsätze zur Auslegung aufgezwungener Gesetze In dieser Äußerung zeigen sich deutlich die beiden widerstreitenden teleologischen Erwägungen, die vom Rechtsanwender eine besondere Sorgfalt bei der Auslegung der §§ 111a bis c AktG erfordern. Die Anwendung der §§ 111a bis c AktG wirft – wie für solch weitreichende neue gesetzliche Regelungen nicht ungewöhnlich – eine Vielzahl von Anwendungsfragen auf. Diese sind im Wege der Gesetzesauslegung zu klären. Dabei ist entsprechend dem unter III. Ausgeführten in einem ersten Schritt zu fragen, ob die relevante Bestimmung zum obligatorischen Bereich der Umsetzung zwingender europäischer Vorgaben oder zum optionalen Bereich der fakultativen Ausformung gehört. Im ersten Bereich kommt es im Wege der richtlinienkonformen Auslegung maßgeblich auf die Auslegung von Art. 9c ARRL an, im zweiten Bereich auf die autonome Auslegung nationalen Rechts unter Berücksichtigung des nationalen Bedeutungs- und Regelungszusammenhangs und insbesondere der gegenläufigen teleologischen Erwägungen des deutschen Gesetzgebers. Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen, besteht die Gefahr, dass die Trennung der beiden Bereiche bei der Lösung von Anwendungsfällen im Wege der Gesetzesauslegung nicht ausreichend beachtet wird. Bei den nachfolgenden Beispielsfällen geht es dabei nicht darum, jeweils die finale Lösung zu ermitteln. Die Ausführungen beschränken sich vielmehr darauf, auf die Gefahr von Fehlzuordnungen zu den Bereichen und methodisch nicht tragfähige Argumente hinzuweisen. a) Beispiele für Auslegungsfragen im obligatorischen Bereich § 111a Abs. 2 Satz 1 AktG nimmt entsprechend Art. 9c Abs. 5 ARRL Geschäfte, die im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Bedingungen mit nahestehenden Personen getätigt werden, vom Anwendungsbereich der §§ 111a ff. AktG aus. Vage und auslegungsbedürftig ist insbesonde42

Begr. des RegE, BT-Drucks. 19/9739, S. 83.

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re der Begriff „ordentlicher Geschäftsgang“. Teilweise wird vertreten, dass bei der Abgrenzung auf die zu § 116 Abs. 1 HGB anerkannten Grundsätze43 oder den Maßstab „im Rahmen der laufenden Geschäfte“ des § 52 Abs. 9 AktG44 zurückgegriffen werden könne. Sofern damit methodisch eine systematische, auf den Bedeutungszusammenhang mit den handels- und aktienrechtlichen Normen verweisende Auslegung des § 111a Abs. 2 AktG gemeint sein sollte, überzeugte dies nicht. Im Wege richtlinienkonformer Auslegung ist das Verständnis des zugrundeliegenden Art. 9c Abs. 5 Satz 1 ARRL und des in ihm verwendeten unionsautonomen Begriffs des ordentlichen Geschäftsgangs maßgeblich; dafür ist der nationale Bedeutungszusammenhang (§ 116 HGB, § 52 Abs. 9 AktG) irrelevant. Um regelmäßig bewerten zu können, ob Geschäfte mit nahestehenden Personen im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Bedingungen getätigt werden, muss die Gesellschaft nach § 111a Abs. 2 Satz 2 AktG ein internes Verfahren einrichten. Im Hinblick auf dieses Verfahren stellt sich die Frage, welches Organ auf Seiten der Gesellschaft zuständig ist. Ein Blick auf die aktienrechtliche Kompetenzordnung hätte eigentlich eine Zuständigkeit des Vorstands nahe gelegt.45 Die europarechtliche Vorgabe in Art. 9c Abs. 5 Satz 2 ARRL ist insoweit allerdings eindeutig und zwingend. Art. 1 Nr. 2 lit. i) ARRL unterscheidet zwischen Verwaltungs-, Leitungsund Aufsichtsorgan. Das Leitungsorgan ist in Art. 9c Abs. 5 Satz 2 ARRL nicht angesprochen. Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan ist bei der deutschen AG der Aufsichtsrat.46 Die zwingende richtlinienkonforme Auslegung führt hier zu einem Ergebnis, das dem nationalen Bedeutungszusammenhang nicht zu entsprechen scheint. Eine der praktisch wichtigsten Fragen des Verhältnisses der §§ 111a ff. AktG zu Art. 9c ARRL ist die Ausnahme für Geschäfte, die einer Zustimmung oder Ermächtigung der Hauptversammlung bedürfen, und von allen in Umsetzung einer solchen Hauptversammlungszustimmung oder -ermächtigung vorgenommenen Geschäfte und Maßnahmen (§ 111a Abs. 3 Nr. 2 und 3 AktG). Insbesondere zu den Umsetzungsgeschäften ist umstritten, ob diese von Art. 9c Abs. 6 ARRL gedeckt sind. Im Ergebnis ist dies

43 Lieder/Werner, ZIP 2018, 2441, 2445; H.-F. Müller, FS E. Vetter, 2019, S. 479, 480; H.-F. Müller, ZIP 2019, 2429, 2431; Ungerer, Prozedurale Regulierung und Transparenz von Related Party Transactions in börsennotierten Aktiengesellschaften, 2019, S.322. 44 Eine Orientierung daran vorschlagend Bungert/de Raet, Der Konzern 2015, 289, 297; Bungert/Wansleben, DB 2017, 1190, 1197; T. Roth, aaO (Fn. 36), S. 310 f. 45 Für eine Zuständigkeit des Vorstands entsprechend Heldt, AG 2018, 905, 915; Lanfermann, BB 2018, 2859, 2861. 46 Ausdrücklich von einer Zuständigkeit des Aufsichtsrats ausgehend Bungert/Wansleben, DB 2017, 1190, 1197; Jung/Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, 2019, § 30 Rdn. 288; Veil, NZG 2017, 521, 528.

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aus Sicht des Verfassers zwar zu bejahen47; als Argument für diese Auffassung kann aber nicht der Wille des deutschen Gesetzgebers herangezogen werden, von den Ausnahmevorschriften des Art. 9c Abs. 6 ARRL in möglichst weitem Umfang Gebrauch zu machen. Der europäische Gesetzgeber hat den Mitgliedstaaten zwar einen Gestaltungsbereich eröffnet, indem sie selbständig entscheiden können, ob sie von Ausnahmen Gebrauch machen wollen. Die maximale Reichweite dieser Ausnahmen ist jedoch durch Art. 9c ARRL zwingend vorgegeben. Wir befinden uns damit im obligatorischen Bereich der Mindestharmonisierung, der von der richtlinienkonformen Auslegung und damit der Auslegung des Art. 9c ARRL und den subjektiv-teleologischen Erwägungen des europäischen Gesetzgebers geprägt ist. Aus dem nationalen Recht abgeleitete systematische, historische und teleologische Erwägungen sind insoweit irrelevant. b) Beispiele für Auslegungsfragen im optionalen Bereich aa) Erfassung von Unterlassungen Nach § 111a Abs. 1 Satz 3 AktG ist das Unterlassen eines Rechtsgeschäfts oder einer Maßnahme kein Geschäft im Sinne des Abs. 1 Satz 1. Dies mag erstaunen, da Vermögensverlagerungen und sonstige Benachteiligungen auch durch den freiwilligen Verzicht auf Handlungsoptionen denkbar sind. Entsprechend wird das Unterlassen in § 311 Abs. 1 AktG einer Maßnahme ausdrücklich einem aktiven Tun gleichgestellt. Es ist vorgeschlagen worden, § 111a Abs. 1 Satz 3 AktG teleologisch in denjenigen Fällen zu reduzieren, in denen dem Unterlassen eine konkrete Meinungsbildung auf Vorstandsebene zugrunde liegt.48 Im Hinblick auf den Normzweck des Schutzes vor den Gefahren von Geschäften mit nahestehenden Personen ist diese Begrenzung der Ausnahme für Unterlassungen ohne weiteres nachvollziehbar. Ob dies methodisch überzeugt, hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob diese Einschränkung von Art. 9c ARRL verlangt wird. Art. 9c ARRL definiert den Begriff des Geschäfts nicht. In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Auslegung von Art. 9c Abs. 1 ARRL an der Definition der Transaktion bzw. des Geschäftsvorfalls in IAS 24.9 zu orientieren 47 Ausführlicher J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111a Rdn. 240 ff., außerdem etwa Bayer/Schmidt, BB 2018, 2562, 2575; Bungert/Berger, DB 2018, 2860, 2862; Grigoleit, ZGR 2019, 412, 436 ff.; Lieder/Werner, ZIP 2018, 2441, 2447; Mörsdorf/Piroth, ZIP 2018, 1469, 1478 f.; H.-F- Müller, ZGR 2019, 97, 111 f.; J. Schmidt, NZG 2018, 1201, 1211; Veil, NZG 2017, 521, 530; a.A. T. Roth, aaO (Fn. 36), S. 315 f.; Tarde, ZGR 2017, 360, 384 f.; Tarde, aaO (Fn. 32), S. 257 f.; Tröger/Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2951; Ungerer, aaO (Fn. 36), S. 357. 48 Grigoleit, ZGR 2019, 412, 420; zumindest rechtspolitisch kritisch zur Ausnahme für Unterlassen Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 311 AktG Rdn. 100.

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habe.49 Dort wird in der englischen Terminologie von Related Party Transactions gesprochen; die englische Fassung von Art. 9c Abs. 1 ARRL spricht ebenfalls von „transactions“. Zudem nimmt Art. 2 lit. h) ARRL auf die Definition der Related Party in IAS 24 Bezug. Zu IAS 24 ist nach h.M. anerkannt, dass ein Unterlassen kein Geschäft darstellt.50 Dem entspricht auch das Verständnis der verwandten bilanzrechtlichen und ebenfalls auf einer europäischen Richtlinie beruhenden Regelung in § 285 Nr. 21 HGB, zu der die Gesetzesbegründung ebenfalls ausdrücklich klarstellt, dass unterlassene Rechtsgeschäfte und unterlassene Maßnahmen von der Angabepflicht nicht umfasst sind.51 Nun hätte der deutsche Gesetzgeber selbstverständlich über diese insoweit enge Definition des Geschäfts hinausgehen und auch Unterlassungen erfassen können. Die Auslegung der §§ 111a bis c AktG spricht wie gezeigt jedoch dagegen, dass der deutsche Gesetzgeber ein solches gold plating über den obligatorischen Bereich der Mindestharmonisierung hinaus wollte. Für die Ermittlung der Schwellenüberschreitung nach § 111b Abs. 1 und die Veröffentlichungspflicht nach § 111c AktG stellt die Ausnahme von Unterlassungen eine erhebliche praktische Erleichterung dar. Angesichts des schon unabhängig von den §§ 111a bis c AktG bestehenden hohen Schutzniveaus ist diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, deren Anwendungsbereich zu begrenzen, konsequent.52 bb) Aggregationsklausel für Geschäfte im laufenden Geschäftsjahr mit „derselben“ Person Die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats nach § 111b Abs. 1 AktG und die Veröffentlichungspflicht nach § 111c Abs. 1 AktG knüpfen daran an, 49

S. etwa Lanfermann/Maul, BB 2014, 1283, 1287; Tarde, ZGR 2017, 360, 364; J. Vetter, ZHR 179 (2015), 273, 284; J. Vetter, AG 2019, 853, 854; Wiersch, NZG 2014, 1131, 1133; Zetzsche, NZG 2014, 1121, 1128. Nach IAS 24.9 ist eine Related Party Transaction eine Übertragung von Ressourcen, Dienstleistungen und Verpflichtungen zwischen einem berichtenden Unternehmen und einem nahestehenden Unternehmen/einer nahestehenden Person, unabhängig davon, ob dafür ein Entgelt in Rechnung gestellt wird. 50 Hennrichs/Schubert, in: MünchKomm. Z. Bilanzrecht, Stand: Juli 2008, IAS 24 Rdn. 113 (zu IAS 24 von 2003); Lieder/Werner, ZIP 2018, 2441, 2443; J. Schmidt, NZG 2018, 1201, 1209. 51 Begr. des RegE zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 16/10067, S. 72. 52 So bereits J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111a Rdn. 138; J. Vetter, AG 2019, 853, 855 f. Daneben sprechen auch andere Gründe für eine enge am Wortlaut orientierte Auslegung. Unterlassungen werden auch nicht als Geschäfte i.S.d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG angesehen, s. nur Hopt/Roth, in Großkomm. z. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rdn. 687; Koch/ Hüffer, AktG, 13. Aufl. 2018, § 111 Rdn. 37, jeweils m.w.N. Auch bei der Anwendung des § 111a Abs. 1 AktG auf Unterlassungen bestünde die Gefahr, dass die Verweigerung der Zustimmung einer dem Aktienrecht fremden Weisung des Aufsichtsrats an den Vorstand gleich käme, so auch Lieder/Werner, ZIP 2018, 2441, 2443; H.-F. Müller, ZIP 2019, 2429, 2430.

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dass der wirtschaftliche Wert des Geschäfts allein oder zusammen mit den innerhalb des laufenden Geschäftsjahres vor Abschluss des Geschäfts mit derselben Person getätigten Geschäften 1,5% der Summe aus dem Anlageund Umlaufvermögen der Gesellschaft übersteigt. Für die Praxis hat die Wertaggregation aller Geschäfte im laufenden Geschäftsjahr mit derselben Person eine erhebliche Bedeutung. Fraglich ist, ob es dafür ausreicht, wenn für die unterschiedlichen Geschäfte das Näheverhältnis über ein und dieselbe nahestehende Person vermittelt worden ist, oder ob stattdessen ein und dieselbe Person selbst an den verschiedenen Vorgeschäften beteiligt sein musste. Bedeutung hat diese Frage insbesondere für Konzerne, die häufig derart arbeitsteilig organisiert sind, dass unterschiedliche Konzerngesellschaften, bei denen das Näheverhältnis stets über die Konzernspitze vermittelt wird, spezialisierte Aufgaben für die gesamte Gruppe übernehmen. Der Wortlaut der Norm sowie des ihr zugrundeliegenden Art. 9c Abs. 8 ARRL erscheinen eindeutig. Dieselbe Person bedeutet, dass der Rechtsträger, der Partner des Geschäfts ist, identisch sein muss.53 Bloße Vermittlung über eine gemeinsame andere nahestehende Person, insbesondere die Konzernmutter, genügt nicht. Fraglich ist, ob dieses Ergebnis aus teleologischen Gründen modifiziert werden kann. Im Hinblick auf den Normzweck wäre es verständlich, wenn alle Geschäfte, bei denen das Näheverhältnis über dieselbe nahestehende Person vermittelt wird, zusammengerechnet würden.54 Dieses Argument wäre aber methodisch nur dann überzeugend, wenn man Art. 9c Abs. 8 ARRL entsprechend extensiv auslegt und diese extensive Auslegung dem obligatorischen Bereich der Mindestharmonisierung zuordnet. Würde man dagegen Art. 9c Abs. 8 ARRL entsprechend seinem Wortlaut als bloße Minimalregelung für die Aggregierung ansehen, die die Mitgliedstaaten mindestens umsetzen müssen und über die sie freiwillig hinausgehen können, ginge es um eine Frage des optionalen Bereichs und damit um die Auslegung allein des deutschen Rechts. Hierbei wäre die beschriebene extensive Auslegung im Lichte des klar zum Ausdruck gebrachten Willens des deutschen Gesetzgebers, angesichts des bereits als hoch angesehenen nationalen Schutzniveaus nicht freiwillig über den Mindeststandard der Richtlinie hinauszugehen, methodisch wohl nicht überzeugend. In Anbetracht der Bedeutung des Wortlauts für die Auslegung europäischen Rechts würde ich es auf europäischer Ebene bei der strikten Wortlautauslegung belassen. Versteht man entsprechend Art. 9c Abs. 8 ARRL nicht in einem erweiterten Sinn, handelt es sich um eine Auslegungsfrage des optionalen Bereichs, bei der aus den geschilderten Gründen eine erweiternde teleologische Auslegung abzulehnen ist. 53

So bereits J. Vetter, AG 2019, 853, 861; J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111b Rdn. 73. So Grigoleit, ZGR 2019, 412, 425 f.; Florstedt, ZHR 184 (2020), 10, 26 f.; Barg, AG 2020, 149, 153 (Rdn. 20). 54

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cc) Aggregation bei Geschäften von Tochterunternehmen Nach § 111c Abs. 4 AktG sind auch Geschäfte einer Tochtergesellschaft mit einer der Gesellschaft nahestehenden Person nach § 111c Abs. 1 S. 1 AktG zu veröffentlichen, wenn das Geschäft, wäre es von der Gesellschaft vorgenommen worden, nach § 111b Absatz 1 und 3 AktG einer Aufsichtsratszustimmung bedurft hätte. Zweck der Regelung ist der Umgehungsschutz: Die Gesellschaft soll ihre Veröffentlichungspflicht nicht dadurch vermeiden können, dass sie ein mit einer nahestehenden Person beabsichtigtes Geschäft durch eine Tochtergesellschaft abschließen lässt.55 Da § 111c Abs. 4 AktG nur auf das konkrete Geschäft des Tochterunternehmens verweist, ist nicht klar, ob die erforderliche Schwellenwertüberschreitung auch im Wege der in § 111b Abs. 1 AktG angesprochenen Aggregation mit den innerhalb des laufenden Geschäftsjahres mit derselben nahestehenden Person getätigten Geschäften erreicht werden kann. Der Verweis in § 111c Abs. 4 AktG auf den gesamten § 111b Abs. 1 AktG legt nahe, dass auch die Hinzurechnungsklausel in Bezug genommen wird.56 Zu aggregieren sind dabei allerdings ausschließlich die Geschäfte des betreffenden Tochterunternehmens mit derselben nahestehenden Person, nicht auch Geschäfte der Gesellschaft selbst57 und erst recht nicht Geschäfte anderer Tochterunternehmen mit derselben nahestehenden Person. Wortlaut und Telos der Norm hätten auch eine andere Auslegung ermöglicht. Die Gesetzesmaterialien sind aber eindeutig. Nach dem Gesetzgeber ist bewusst keine Gruppenaggregation der Geschäfte zwischen Tochterunternehmen untereinander oder mit dem Mutterunternehmen gewollt gewesen.58 Der Normzweck eines Umgehungsschutzes würde zwar in weitergehendem Umfang verwirklicht, wenn eine Aggregation auch mit Geschäften der Gesellschaft selbst erfolgen würde. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Regelungen über Related Party Transactions in den §§ 111a bis c AktG auf die Umsetzung der zwingend erforderlichen europarechtlichen Vorgaben beschränken und den jeweiligen Normzweck nur in diesem Umfang und nicht in weitestgehend möglichem Umfang verwirklichen wollten. Eine andere Auslegung wäre daher nur möglich und geboten, wenn Art. 9c Abs. 7 Satz 1 ARRL eine solche weitergehende Aggregation zwingend gebieten würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Seinem Wortlaut lässt sich eine solche zwingende weite Auslegung nicht entnehmen. Gleiches gilt für die in Art. 9c Abs. 8 ARRL angeordnete Aggregation aller Geschäfte mit denselben nahestehenden Personen. Diese Regelung ist im Hinblick auf die Einbeziehung der in Art. 9c 55

Begr. des RegE zum ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, 87. Das stellt auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich klar, s. Begr. des RegE, BTDrucks. 19/9739, S. 87. 57 A.A. Eisele/Oser, DB 2019, 1517, 1522 f. 58 Begr. des RegE zum ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 87. 56

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Abs. 7 ARRL geregelten, zusätzlich zu berücksichtigenden Geschäften von Tochtergesellschaften mit einer nahestehenden Person offen und daher interpretationsbedürftig und damit auch einer Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber zugänglich. c) Die Bedeutung der §§ 111a bis c AktG für die Interpretation anderer Normen Als Beispiel für die begrenzte Relevanz aufgezwungener Gesetze für die Auslegung anderer Normen des nationalen Rechts kann auf das Verhältnis der §§ 111a bis c AktG zu den §§ 311 ff. AktG verwiesen werden. Dazu bestimmt der ebenfalls durch das ARUG II eingeführte § 311 Abs. 3 AktG, dass beide Regelungsbereiche unabhängig voneinander nebeneinander stehen.59 Damit sind auch gewisse Widersprüche und Inkonsistenzen verbunden. Diese sind jedoch hinzunehmen und können methodisch jedenfalls nicht durch eine Modifikation der §§ 311 ff. AktG behoben werden. So erlaubt § 311 Abs. 2 AktG dem Vorstand der abhängigen AG, einer nachteiligen Einflussnahme des herrschenden Unternehmens schon dann Folge zu leisten, wenn der Nachteil nicht sofort, sondern innerhalb des Geschäftsjahres ausgeglichen oder ein Anspruch auf Nachteilsausgleich eingeräumt wird, worin von der wohl herrschenden Meinung eine Privilegierung gesehen wird.60 Eine prominent vertretene Gegenansicht verlangt dagegen, dass der Nachteilsausgleich grundsätzlich unverzüglich zu erfolgen habe und begründet dies traditionell mit verschiedenen insbesondere teleologischen Erwägungen.61 Dieser Streit soll an dieser Stelle nicht entschieden werden; vielmehr soll lediglich ein jüngst in diesem Zusammenhang gebrachtes zusätzliches Argument beleuchtet werden. Soweit ein Geschäft mit dem herrschenden Unternehmen allein oder unter Hinzurechnung anderer mit derselben nahestehenden Person abgeschlossener Geschäfte den relevanten Schwellenwert des § 111b Abs. 1 AktG übersteigt, ist weitgehend anerkannt, dass kein Raum für eine erst später am Ende des Geschäftsjahres erfolgende Festlegung des Nachteilsausgleichs ist. § 111b Abs. 1 AktG etabliert gerade eine präventive Kontrolle. Darüber hinaus erfordert § 111c Abs. 1 AktG eine Veröffentlichung der Bedingungen des Geschäfts. Insoweit schränken 59 Zu den Unterschieden der §§ 111a bis c AktG einerseits und § 311 ff. AktG andererseits im Hinblick auf Geschäfte einer börsennotierten AG mit ihrem herrschenden Aktionär s. etwa J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111a Rdn. 32 ff. m.w.N. 60 S. nur Habersack, aaO (Fn. 48), § 311 AktG Rdn. 69; Koch/Hüffer, AktG, 13. Aufl. 2018, § 311 Rdn. 46; H.-F. Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 311 Rdn. 57; J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 311 Rdn. 104. 61 Altmeppen, FS Priester, 2007, S. 1, 15 f.; Altmeppen, in: MünchKomm. Z. AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rdn. 305, 327 ff., 369; Grigoleit, ZGR 2019, 412, 452; Hufnagel, Dogmatik der Haftung und Grenzen der Leitungsmacht durch unbezifferten Nachteilsausgleich im faktischen Aktienkonzern, 2016, S. 122 ff.

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§§ 111b Abs. 1 und 111c AktG für ihnen unterfallende Geschäfte die von § 311 Abs. 2 AktG eingeräumte Möglichkeit einer zeitlich verzögerten Einigung auf den Nachteilsausgleich ein.62 Grigoleit ist der Meinung, dass sich diese Anforderungen an den Nachteilsausgleich nicht sinnvoll auf den eingeschränkten Anwendungsbereich der Regelungen zu Related Party Transactions beschränken lasse; der Gesetzgeber habe offenbar die Vorstellung gehabt, dass das Erfordernis einer ex ante Festlegung der Transaktionsbedingungen allgemein geltendes Recht sei. Aus der Schutzperspektive des geltenden Konzernrechts seien keine stichhaltigen Gründe dafür ersichtlich, warum im Anwendungsbereich der Regelungen zu Related Party Transactions eine ex ante Vereinbarung über den Nachteilsausgleich gefordert, im Übrigen aber eine einseitige nachgelagerte Festlegung durch das herrschende Unternehmen zugelassen werde.63 Dies überzeugt nicht. Für die Auslegung des § 311 Abs. 2 AktG kann § 111b AktG keinen Hinweis liefern. Der Gesetzgeber hat die §§ 111a bis c AktG nur deshalb umgesetzt, weil ihm dies europarechtlich vorgegeben war, und sie ganz bewusst nicht mit den bereits bestehenden Bestimmungen über Geschäfte mit verbundenen Unternehmen, sondern das letztlich unkoordinierte Nebeneinander der unterschiedlichen Regelungskonzepte bewusst hingenommen.

V. Zusammenfassung Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden die Umsetzungsgesetze zu europäischen Richtlinien als aufgezwungen empfinden, wenn sie das Regelungsziel der Richtlinie inhaltlich nicht teilen oder dieses bereits auf andere Weise durch eine nationale Regelung erreicht zu haben meinen. In diesem Fall wollen sie das europäisch vorgegebene Regelungsziel entsprechend ihrer rechtlichen Verpflichtung zwar umsetzen, aber typischerweise nur in dem zwingend vorgegebenen Umfang. Gerade in dieser Konstellation kommt es bei lediglich mindestharmonisierenden Richtlinien, die dem nationalen Gesetzgeber einen inhaltlichen Gestaltungsspielraum einräumen, darauf an, den obligatorischen Regelungsbereich des Umsetzungsgesetzes, in dem die Mitgliedstaaten zwingende inhaltliche Vorgaben der Richtlinie umsetzen, von dem optionalen Bereich abzugrenzen, in dem die Mitgliedstaaten autonomen inhaltlichen Gestaltungsspielraum haben. Im obligatorischen Bereich dominiert die Auslegung der Richtlinie im Wege der richtlinienkonformen Auslegung die Auslegung des Umsetzungsgesetzes; 62

Ganz einhellige Meinung, s. nur Habersack, aaO (Fn. 48), § 311 AktG Rdn. 107; H.F. Müller, ZGR 2019, 97, 121; Seidel, AG 2018, 423, 427; Tarde, ZGR 2017, 360, 382 f.; J. Vetter, aaO (Fn. 31), § 111b Rdn. 88 m.w.N. 63 Grigoleit, ZGR 2019, 412, 457.

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die methodischen Besonderheiten, die für die Auslegung von Richtlinien gelten, sind zu beachten. Im optionalen Bereich richtet sich die Auslegung nach den für die Auslegung nationaler Gesetze maßgeblichen Grundsätzen. Dazu gehört insbesondere der Wille des Gesetzgebers, das Regelungsziel der Richtlinie nur minimalinvasiv umzusetzen. Für die Zuordnung einzelner Regelungen des Umsetzungsgesetzes zu einem der Bereiche ist die Auslegung der Richtlinie maßgeblich. Ein plastisches Beispiel für ein aufgezwungenes Gesetz nach der hier verwendeten Definition ist die Umsetzung des Art. 9c ARRL zu Related Party Transactions durch die §§ 111a bis c AktG, bei denen entsprechend eine Zuordnung der für eine konkrete Anwendungsfrage relevanten Norm zu einem der beiden Bereiche für deren methodisch überzeugende Auslegung elementare Bedeutung hat.

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Grenzen der Rechtswahl bei derivativen Geschäften

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Grenzen der Rechtswahl bei derivativen Geschäften Jan von Hein

Grenzen der Rechtswahl bei derivativen Geschäften zwischen inländischen Vertragsparteien (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO) JAN

VON

HEIN

I. Einleitung Klaus J. Hopt hat die Entwicklung des Wertpapierhandelsrechts entscheidend vorangetrieben.1 Hierbei hat er stets die Rechtsvergleichung und auch das IPR in den Blick genommen.2 Darüber hinaus hat er früh die Bedeutung von Standardverträgen erkannt; das von ihm herausgegebene „Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht“ ist zum Referenzwerk auf diesem Gebiet geworden.3 Im Zuge der Globalisierung der Kapitalmärkte ist zu beobachten, dass selbst Vertragsparteien, die in demselben Staat ansässig sind, ihren Beziehungen öfters Muster zugrunde legen, die für grenzüberschreitende Geschäfte entwickelt worden sind. Zwei englische Urteile aus jüngerer Zeit betreffen Zinsswaps, die jeweils zwischen portugiesischen bzw. italienischen Vertragspartnern eingegangen worden waren, die aber auf dem Rahmenvertrag der International Swaps and Derivatives Association (ISDA), dem ISDA Master Agreement,4 aufbauten und für die englisches Recht vereinbart worden war.5 Hier stellt sich ein Problem, das bereits bei der Schaffung des EVÜ6 heftig umstritten war (s.u. III): 1 Siehe insbesondere Hopt WM-Festgabe für Hellner, WM Sonderheft 9.5.1994, 29 ff.; Hopt ZHR 159 (1995) 135 ff.; Hopt ZGR 1997, 1 ff. sowie seine Kurzkommentierungen des WpHG im Baumbach/Hopt, HGB (bis zur 35. Aufl. 2012). 2 Vgl. nur zu „Emission, Prospekthaftung und Anleihetreuhand im internationalen Recht“ Hopt FS Werner Lorenz, 1991, 413 (416 ff.) 3 Hopt (Hrsg.), Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013; ab der 5. Aufl. (angekündigt für 2020) gemeinsam herausgegeben mit Merkt. 4 Kostenpflichtig abrufbar unter https://www.isda.org/book/2002-isda-master-agree ment-english. 5 Banco Santander Totta SA v. Companhia Carris de Ferro de Lisboa SA & ors [2016] EWCA Civ 1267 = ZEuP 2019, 603 m. Anm. Dias ZEuP 2019, 615 ff.; Dexia Crediop S.p.A. v. Comune di Prato [2017] EWCA Civ 428; hierzu zust. Böhle ZEuP 2019, 72 ff.; krit. Ostendorf IPRax 2018, 630 ff. 6 EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht v. 19.6.1980, BGBl. 1986 II 810; BGBl. 2006 II 348.

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Dürfen Parteien auch bei einem reinen Inlandssachverhalt die Anwendbarkeit eines ausländischen Rechts vereinbaren? Art. 3 Abs. 3 EVÜ, der in Deutschland als Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F. umgesetzt wurde und dem der heute geltende Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO7 inhaltlich entspricht, lässt dies nur insoweit zu, als die zwingenden Bestimmungen des objektiv anwendbaren Vertragsstatuts unberührt bleiben (s.u. III). Es bleibt somit die Frage zu beantworten, nach welchen Kriterien ein genuiner Auslandsbezug festzustellen ist (s.u. V). Hierbei nehmen die Londoner Gerichte eine sehr rechtswahlfreundliche Haltung ein (s.u. IV). Aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU (s.u. VI) wächst die Gefahr, dass hierdurch zwingende Kapitalanlegerschutzvorschriften der Mitgliedstaaten unterlaufen werden. Diesen Aspekten soll aus Anlass des 80. Geburtstags meines verehrten akademischen Lehrers nachgegangen werden.

II. Rechtswahl im Derivategeschäft Derivate werden in § 2 Abs. 35 WpHG, der EU-Recht umsetzt,8 als derivative Geschäfte i.S.d. § 2 Abs. 3 WpHG sowie als Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b WpHG definiert. In Bezug auf Zinsswaps ist § 2 Abs. 3 Nr. 1 lit. c Alt. 1 WpHG einschlägig. Diese Legaldefinition umfasst als Kauf, Tausch oder anderweitig ausgestaltete Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte, die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis oder Maß eines Basiswertes, hier eines Zinssatzes, ableitet. Für einen Zinsswap kann grundsätzlich eine Rechtswahl nach Art. 3 Rom I-VO getroffen werden.9 Dies ist angesichts der Schwierigkeit, bei einem tauschähnlichen Vertrag eine charakteristische Leistung i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu bestimmen,10 ratsam. Nur soweit Derivate als handelbare Wertpapiere verbrieft sind und sich die maßgebende Verpflichtung gerade aus deren Handelbarkeit ergibt, ist der sachliche Anwendungsbereich der Rom I-VO durch Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO verschlossen.11

7 VO (EG) Nr. 593/2009 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht v. 17.6.2008, ABl. EG 2008 L 177/6. 8 Näher Schwark/Zimmer/Kumpan, Kapitalmarkrechtskommentar, 5. Aufl. 2020, § 2 WpHG Rn. 234. 9 Statt vieler Wilhelmi RIW 2016, 253 ff., mwN. 10 MüKo-BGB/Martiny, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rom I-VO Rn. 110; Wilhelmi RIW 2016, 253 (257 f.). 11 Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2020, Art. 1 Rom I-VO Rn. 31 ff., mwN.

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III. Normzweck des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO Die Einschränkung der Rechtswahlfreiheit in Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO soll Gesetzesumgehungen verhindern.12 Die Vorschrift reflektiert einen bereits bei der Schaffung des EVÜ erzielten Kompromiss.13 Während ein Teil der Sachverständigen eine Rechtswahl nur erlauben wollte, wenn der Sachverhalt eine Auslandsberührung aufwies, lehnte insbesondere die britische Seite eine solche Einschränkung ab, weil es auch bei Inlandssachverhalten ein legitimes Bedürfnis für die Wahl ausländischen Rechts geben könne.14 Schließlich wurde die folgende Einigung erzielt: Die Parteien dürfen auch bei einem nur mit einer einzigen Rechtsordnung verbundenen Sachverhalt ein fremdes Recht wählen; jedoch bleiben die einfach zwingenden Vorschriften der erstgenannten Rechtsordnung von ihrer Rechtswahl unberührt. Die Rechtswahlvereinbarung ist folglich nicht generell unwirksam, sondern entfaltet lediglich materiellrechtliche Wirkung.15 Dieser Kompromiss wurde bei der Überführung in die Rom I-VO – trotz vereinzelter scharfer Kritik16 – beibehalten17 und zudem in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO auf reine Binnenmarktsachverhalte übertragen.18 Im Vergleich zu Art. 3 Abs. 3 EVÜ enthält der Verordnungstext nur redaktionelle Änderungen. Zwar verzichtet Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO auf den Hinweis, dass sich an dem Vorliegen eines Inlandssachverhalts auch dann nichts ändert, wenn die Rechtswahlvereinbarung durch die Prorogation der Gerichte eines anderen Staates ergänzt wird; Erwgr. 15 Rom I-VO stellt aber klar, dass hiermit keine inhaltliche Änderung beabsichtigt war. Ferner wurde der Terminus „zwingende Bestimmungen“ aus Art. 3 Abs. 3 Rom IVO gestrichen wurde, um Verwechslungen mit Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9

12 Czernich ZfRV 2013, 157 (166); Maultzsch RabelsZ 75 (2011), 60 (66 ff.); Michaels Lib. Amicorum Schurig, 2012, 191 (202 f.). 13 Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, BT-Drs. 10/503, 33 (50); Maultzsch FS v. Hoffmann, 2011, 304 (308 f.). 14 Giuliano/Lagarde BT-Drs. 10/503, 33 (50). 15 v. Bar/Mankowski IPR II, 2. Aufl. 2019, § 1 Rn. 207; Mansel in Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-VO?, 2013, 241 (269); Solomon Tul.L.Rev. 82 (2008), 1723 (1727); zur dogmatischen Konstruktion abweichend Maultzsch RabelsZ 75 (2011), 60 (66 f.); Michaels Lib. Amicorum Schurig, 2012, 191 (196 ff.). 16 Vgl. die Zusammenstellung kritischer Stellungnahmen in Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 39; ferner E. Lorenz RIW 1987, 569, 574 f.; aus Sicht der ökonomischen Analyse Rühl, Statut und Effizienz, 2011, 500 f.; krit. auch Maultzsch FS v. Hoffmann, 2011, 304 (309). 17 Zur Neufassung McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, 2015, Rn. 9.154 ff. 18 Näher Rauscher/v. Hein Art. 3 Rom I-VO Rn. 126 ff.

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Abs. 1 Rom I-VO zu vermeiden.19 Obwohl die hier besprochenen englischen Entscheidungen aus intertemporalen Gründen (Art. 28 Rom I-VO) noch zu Art. 3 Abs. 3 EVÜ ergangen sind, bleiben ihre zentralen Aussagen deshalb beachtlich. Insoweit wäre eine Vorlage an den EuGH wünschenswert gewesen. Diese hätte zwar nicht auf Art. 267 AEUV,20 aber auf Art. 1 lit. a, Art. 2 lit. b des Ersten EVÜ-Auslegungsprotokolls gestützt werden können.21 Der Court of Appeal hielt seine Auslegung jedoch für einen acte clair und verzichtete infolgedessen auf eine Vorlage.22

IV. Die neuere englische Rechtsprechung 1. Banco Santander In dem ersten Fall hatte die portugiesische Santander-Bank, eine Tochter des spanischen Konzerns, mit verschiedenen Gesellschaften des öffentlichen Personennahverkehrs in Portugal zwischen den Jahren 2005 und 2007 Zinsswaps abgeschlossen.23 Als Referenzzinssätze wurden EURIBOR und LIBOR festgelegt. Für den Vertrag waren das ISDA Master Agreement (in der für grenzüberschreitende Verträge geltenden Fassung von 1992)24, die Geltung englischen Rechts und die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte vereinbart worden. Ferner war vorgesehen, dass die portugiesische Bank ihre Rechte und Verpflichtungen aus der Vereinbarung auf jede andere Gesellschaft des spanischen Santander-Konzerns übertragen durfte.25 Die portugiesische Bank ging zudem Gegengeschäfte zur Absicherung ihrer Verbindlichkeiten mit der spanischen Konzernmutter ein. Eine Besonderheit der Swaps bestand darin, dass der von den Transportunternehmen geschuldete Zins kumulativ erhöht wurde, sobald die Referenzzinssätze bestimmte Grenzwerte über- oder unterschritten, weshalb der Court of Appeal diese Derivate plastisch als „‚snowball‘ swaps“ bezeichnet.26 Angesichts der Nullzinspolitik seit dem Jahre 2009 wurde der Schneeball zur Lawine, sodass die Nahverkehrsunternehmen schließlich Zinssätze zwischen

19 Näher v. Hein in Jung, Die private Durchsetzung von öffentlichem Wirtschaftsrecht, 2018, 23 (32 ff.). 20 Irrig Böhle ZEuP 2019, 72 (79). 21 Erstes Brüsseler Protokoll betreffend die Auslegung des EVÜ durch den EuGH v. 19.12.1988 idF v. 14.4.2005, BGBl. 2006 II 348. 22 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 39 Rn. 77; in Dexia [2017] EWCA Civ 428 wurde eine Vorlage nicht angesprochen. 23 Santander [2016] EWCA Civ 1267. 24 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 61 ff. 25 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 60. 26 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 6.

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knapp 30% und mehr als 92% schuldeten.27 Vor dem Court of Appeal drehte sich der Rechtsstreit im Wesentlichen um die Frage, ob die Bestimmung des portugiesischen Zivilgesetzbuchs über den Wegfall der Geschäftsgrundlage als zwingende Vorschrift i.S.d. Art. 3 Abs. 3 EVÜ zur Anwendung kam. 2. Dexia In dem zweiten Fall hatte die italienische Stadt Prato zur Absicherung des Zinsrisikos ihrer beträchtlichen Verbindlichkeiten in den Jahren 2002 bis 2006 mehrere Zinsswaps mit der italienischen Bank Dexia Crediop S.p.A. („Dexia“) vereinbart.28 Diesen Swaps lag wiederum das ISDA Master Agreement einschließlich der Wahl englischen Rechts und der Prorogation englischer Gerichte zugrunde. Dexia ging mehrere Hedging-Geschäfte mit ausländischen Banken ein. Als die Swaps im Zuge der Finanzkrise von 2008 zu erheblichen finanziellen Belastungen der Kommune führten, stellte die Gemeinde ihre Zahlungen ein. Zur Begründung berief sie sich auf eine zwingende Bestimmung des italienischen Finanzgesetzbuchs, die auch Nicht-Verbrauchern bei außerhalb von Geschäftsräumen des Anbieters geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht einräumt.29 3. Die Entscheidungen des Court of Appeal Zwar räumte der Court of Appeal in Dexia ein, dass der Auslandsbezug in dem italienischen Fall schwächer sei als in der Sache Santander, weil eine Abtretung an eine ausländische Bank nicht vorgesehen gewesen sei und auch keine praktische Notwendigkeit zur Einschaltung eines ausländischen Kreditinstituts bestanden habe.30 Der Court of Appeal sah es aber in beiden Fällen als ausreichend für einen relevanten Auslandsbezug an, dass die Parteien das für grenzüberschreitende Derivategeschäfte geltende ISDA Master Agreement zugrunde gelegt hatten und von der jeweils beteiligten Bank Gegengeschäfte mit einem oder mehreren ausländischen Kreditinstituten abgeschlossen worden waren.31

27

Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 7. Dexia [2017] EWCA Civ 428. 29 Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 175 ff. 30 Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 131. 31 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 58 ff.; Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 130 ff.; anders noch die Vorinstanz, Dexia Crediop S.p.A. v. Comune di Prato [2015] EWHC 1746 (Comm); dieser folgend Magnus/Mankowski/Mankowski, Rome I Regulation, 2017, Art. 3 Rom I-VO Rn. 385. 28

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V. Kritische Würdigung 1. Zur Relevanz der Auslandsberührungen Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO erfasst allein Fälle, in denen alle anderen Sachverhaltselemente außer der Rechtswahl und einer Gerichtsstandsvereinbarung (s.o. III) in einem anderen als dem gewählten Staat belegen sind. Ungeachtet des weitgefassten deutschen Wortlauts der Vorschrift („alle anderen Elemente des Sachverhalts“) besteht Einigkeit darin, dass die fraglichen Elemente ein gewisses kollisionsrechtliches Gewicht haben müssen, d.h., dass irrelevante Verknüpfungen bei normativer Betrachtung auszuscheiden sind.32 Hierauf deutet gerade die englische Fassung hin, die von „all other elements relevant to the situation“ spricht. Reine Inlandsfälle sind grundsätzlich solche, bei denen keines der im Rahmen der Art. 4 ff. Rom I-VO zu berücksichtigenden Anknüpfungsmomente auf einen anderen Staat als denjenigen verweist, dessen Recht gewählt worden ist.33 Befindet sich auch nur ein relevantes Sachverhaltselement im Ausland, liegt per se kein reiner Inlandssachverhalt vor.34 Ferner können ein ausländisches Personalstatut einer oder beider Parteien, der Abschlussort oder die Belegenheit des – tatsächlichen, nicht fiktiven – Erfüllungsorts im Ausland einen internationalen Bezug schaffen.35 In den vorliegenden Fällen lag indes keines der genannten Elemente im Ausland. 2. Niederlassungen der Parteien Ein gewöhnlicher Aufenthalt einer Partei im Ausland schließt einen Inlandssachverhalt aus.36 Allerdings steht eine gemeinsame Niederlassung beider Parteien in demselben Staat einem Auslandsbezug nicht entgegen, sofern andere internationale Elemente vorhanden sind; Art. 1 Abs. 2 der Haager Prinzipien über die Rechtswahl bei internationalen Handelsverträgen (HPRW) vom 19.3.2015, die auch zur Auslegung der Rom I-VO ergänzend 32

E. Lorenz RIW 1987, 569 (575); Michaels Lib. Amicorum Schurig, 2012, 191 (201); Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn. 138. 33 BeckOK-BGB/Spickhoff, 1.11.2019, Art. 3 Rom I-VO Rn. 36; Junker, IPR, 3. Aufl. 2019, § 15 Rn. 19; Klumb ZBB 2012, 449, 452; MüKo-BGB/Martiny Art. 3 Rom I-VO Rn. 90; NK-BGB/Leible, 3. Aufl. 2019, Art. 3 Rom I-VO Rn. 80; Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn. 138. 34 McParland (Fn. 17) Rn. 9.163; Plender/Wilderspin, The European Private International Law of Obligations, 4. Aufl. 2015, Rn. 6-062; aA NK-BGB/Leible Art. 3 Rom IVO Rn. 80. 35 Rauscher/v. Hein Art. 3 Rom I-VO Rn. 109 ff., mwN. 36 BGHZ 123, 380 (384); BGHZ 135, 124 (130); Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn. 138.

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herangezogen werden können,37 sagt dies ausdrücklich.38 Nach Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO kommt es jeweils auf die für die Erfüllung verantwortliche Niederlassung an, sodass es für sich genommen unmaßgeblich ist, wenn sich die Hauptniederlassung einer Partei im Ausland befindet,39 sofern diese nicht ebenfalls bei einer ex-ante-Betrachtung in die Vertragsdurchführung involviert ist.40 Erst recht bleibt bei einem mit einer Tochtergesellschaft abgeschlossenen Geschäft der Sitz der Konzernmutter grundsätzlich außer Betracht. Die Argumentation des Court of Appeal in der Sache Santander, ein relevanter Auslandsbezug ergebe sich daraus, dass eine praktische Notwendigkeit zur Einschaltung der spanischen Konzernmutter in Bezug auf die Hedging-Geschäfte bestanden habe,41 geht daher zu weit. Entgegen dem Ziel des Court of Appeal, ein größtmögliches Maß an Rechtssicherheit bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 3 EVÜ/Rom I-VO zu erreichen,42 wird der Vertragspartner einer inländischen Tochtergesellschaft hierdurch vor die unzumutbare Aufgabe gestellt, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die konzerninternen Sicherungsmaßnahmen zu prüfen, um die Tragweite einer Rechtswahl einschätzen zu können. 3. Internationale Vertragsmuster Der Court of Appeal widmet sich eingehend der Frage, ob für die Feststellung eines Auslandsbezuges auf eine Verbindung zu einem konkreten Staat abzustellen ist oder eine allgemeine Internationalität ausreicht.43 Nach der bisher hM genügt die Verwendung eines ausländischen Vertragsformulars und des Englischen als Vertragssprache allein nicht.44 Der Court of Appeal ist hingegen der Ansicht, die Verwendung des ISDA Master Agreement schaffe unmittelbar eine relevante internationale Verknüpfung, auch wenn sie sich nicht auf einen bestimmten Staat beziehe.45 Diese Argumentation ruft Bedenken hervor.46 Zwar ist es ohne weiteres denkbar, dass ein relevanter Auslandsbezug zu mehreren Ländern besteht.47 Ebenso kommt zB in 37 Neels YbPIL 15 (2013/14), 45 (50 ff.); skeptisch aber Lando Mélanges van Loon, 2013, 299 (305). 38 Abgedruckt in RabelsZ 79 (2015), 654; hierzu Martiny RabelsZ 79 (2015), 624 (633). 39 Rauscher/v. Hein Art. 3 Rom I-VO Rn. 108. 40 Vgl. Hague Conference on Private International Law, Principles of Choice of Law in International Commercial Contracts, 2015, Rn. 1.18. 41 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 64. 42 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 51; Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 135. 43 Santander [2016] EWCA Civ 1267 Rn. 52 ff.; Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 125 ff. 44 Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn. 140; Magnus/Mankowski/Mankowski Art. 3 Rom I-VO Rn. 385 ff.; ebenso Lando RabelsZ 57 (1993), 155 (162). 45 Santander [2016] EWCA Civ Rn. 57, 61 ff.; Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 132 ff. 46 Krit. auch Ostendorf IPRax 2018, 630 (632). 47 Rauscher/v. Hein Art. 3 Rom I-VO Rn. 106.

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Betracht, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der spätere Erfüllungsort noch nicht genau lokalisiert werden kann, aber absehbar ist, dass dieser keinesfalls im Inland liegen wird.48 Wenn aber schon die ausdrückliche, individualvertragliche Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO keine signifikante Auslandsberührung schaffen kann, ist es wertungswidersprüchlich, eine solche anzunehmen, nur weil die Parteien stattdessen AGB vereinbaren, die eine Rechtswahlklausel enthalten.49 Zudem ist die Rom I-VO darauf zugeschnitten, die Anwendungsbereiche staatlicher Rechtsordnungen voneinander abzugrenzen. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO spricht explizit von Zivil- und Handelssachen, „die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“. Zwar ist einzuräumen, dass die ebenfalls verbindliche englische Fassung insoweit allgemeiner gehalten ist („situations involving a conflict of laws“).50 Es ist aber zu beachten, dass sich der Vorschlag der Kommission,51 den Parteien auch die kollisionsrechtliche Wahl eines nicht-staatlichen Rechts (zB der UnidroitPrinzipien für internationale Handelsverträge52) zu gestatten, nicht durchsetzen konnte.53 Wenn soft law selbst bei einem genuin internationalen Sachverhalt nur mit materiellrechtlicher Wirkung in den Vertrag einbezogen werden kann (vgl. Erwgr. 13 Rom I-VO), d.h. die zwingenden Bestimmungen des objektiv anwendbaren staatlichen Rechts vorbehalten bleiben, erscheint es normativ schwerlich konsistent, bei einem Inlandssachverhalt aus der Vereinbarung eines internationalen Vertragsmusters die Zulässigkeit einer kollisionsrechtlichen Rechtswahl abzuleiten. Der internationale Charakter eines Vertrages muss vielmehr nach objektiven Kriterien bestimmt werden, denn es ist gerade der Sinn des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, die Geltung zwingenden Rechts bei Inlandssachverhalten der Parteidisposition zu entziehen. 4. Internationale Natur des Derivatemarkts Ergänzend verweist der Court of Appeal darauf, dass der Swap-Markt allgemein „internationaler Natur“ sei.54 Auch dieses Argument ist angesichts der Vielfalt der verfügbaren Vertragsmuster zu schlicht.55 Die Parteien kön-

48

Vgl. Staudinger/Magnus, 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn. 138. Zutreffend Ostendorf IPRax 2018, 630 (632). 50 Ablehnend zu Rückschlüssen aus Art. 1 Abs. 1 EVÜ Santander [2016] EWCA Civ Rn. 42 ff. 51 Art. 3 Abs. 2 des Kommissionsvorschlags v. 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. 52 Text (2016) abrufbar unter https://www.unidroit.org/instruments/commercial-con tracts/unidroit-principles-2016. 53 Ausführlich hierzu Rauscher/v. Hein Art. 3 Rom I-VO Rn. 49 ff. 54 Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 131. 55 Im Überblick Wilhelmi RIW 2016, 253 (254). 49

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nen sich zB für das European Master Agreement entscheiden,56 das sowohl bei grenzüberschreitenden als auch bei inländischen Geschäften eingesetzt werden kann.57 Nr. 11 Abs. 1 EMA 2004 sieht vor, dass das Geschäft dem Recht des Landes unterliegt, in dem sich bei Abschluss des Rahmenvertrags zwischen den Parteien die Hauptniederlassungen beider Parteien befinden, sofern die Parteien keine abweichende Rechtswahl treffen. Zudem können die Parteien sowohl für inländische als auch für internationale Geschäfte auf Vertragsmuster inländischer Bankenverbände zurückgreifen, so zB in Deutschland auf den Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (DRV).58 Dieser erklärt in Art. 11 Abs. 2 DRV 2018 deutsches Recht für anwendbar. Es ist also aus Sicht der maßgebenden Verkehrskreise durchaus möglich, inländische Derivategeschäfte auch nach inländischem Recht abzuwickeln, insbesondere, wenn sich die Niederlassungen beider Parteien in demselben Staat befinden. Der etwaige Auslandsbezug einer entsprechenden Transaktion muss deshalb präziser bestimmt werden. 5. Vertragskette Überwiegend anerkannt ist, dass ein relevanter Auslandsbezug sich u.U. daraus ergeben kann, dass ein für sich genommen im Inland zu lokalisierender Vertrag eine enge Verbindung zu anderen Geschäften hat, auf die ihrerseits ein ausländisches Recht anwendbar ist (sog. „Vertragskette“). Will zB ein im Inland ansässiger Importeur ausländischer Waren die mit seinen inländischen Abnehmern geschlossenen Verträge aus praktischen Gründen, etwa zur Vermeidung von Regressproblemen, demselben Recht unterwerfen, das für die mit seinen Lieferanten eingegangenen Verträge gilt, kann ein relevanter Auslandsbezug vorliegen.59 Im Ausgangspunkt ist dem Court of Appeal folglich darin zuzustimmen, dass Hedging-Geschäfte mit ausländischen Banken grundsätzlich eine erhebliche Auslandsberührung begründen können.60 Der Court of Appeal beachtet aber nicht hinreichend, dass nach Art. 3 Abs. 3 EVÜ/Rom I-VO für die Feststellung des maßgebenden Auslandsbezuges auf den Zeitpunkt der Rechtswahl abzustellen ist.61 Insoweit mag es zwar „Routine“ im Bankengeschäft sein, dass Hedging-Geschäfte

56

Text (2004) abrufbar unter https://www.ebf.eu/home/european-master-agreement-

ema. 57

Wilhelmi RIW 2016, 253 (254). Text (2018) abrufbar unter https://bankenverband.de/service/rahmenvertraege-fuerfinanzgeschaefte/rahmenvertrag-fur-finanztermingeschafte/. 59 Bogdan NIPR 2009, 407 (409); Maultzsch RabelsZ 75 (2011), 60 (72 f.); Magnus/ Mankowski/Mankowski Art. 3 Rom I-VO Rn. 384; MüKo-BGB/Martiny Art. 3 Rom IVO Rn. 90; zurückhaltend Ostendorf IPRax 2018, 630, 632 f. 60 Santander [2016] EWCA Civ Rn. 63; Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 135. 61 Anders noch die Vorinstanz in Dexia, [2015] EWHC 1746 (Comm) Rn. 211. 58

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auch mit ausländischen Kreditinstituten eingegangen werden.62 Für den nicht im Wertpapiergeschäft tätigen inländischen Vertragspartner ist dies aber nicht ohne weiteres vorhersehbar. Hinzu kommt, dass diese Partei nach dem Vertragsschluss keinen Einfluss mehr darauf hat, ob die Bank HedgingGeschäfte im In- oder Ausland eingeht. Die an einem zunächst inländischen Derivategeschäft beteiligte Bank hätte es vielmehr allein in der Hand, einseitig über den Auslandsbezug des Sachverhalts und damit ex post über die Anwendbarkeit zwingender Vorschriften des inländischen Rechts zu bestimmen. Ein solches Ungleichgewicht stellt, wenn es auf AGB beruht, eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners dar, die angesichts der damit verbundenen erheblichen finanziellen Risiken auch im unternehmerischen Verkehr nicht hinzunehmen ist (vgl. § 307 Abs.1 BGB). Vielmehr ist zu verlangen, dass die Bank in den zugrunde gelegten AGB ihren Vertragspartner ausdrücklich darauf hinweist, dass sie sich den Abschluss von Gegengeschäften mit ausländischen Instituten vorbehält. 6. Versagen anderer Schutzmechanismen Andere kollisionsrechtliche Schutzmechanismen werden in den einschlägigen Konstellationen regelmäßig versagen.63 Selbst wenn nicht nur einfach zwingende Vorschriften i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, sondern Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO betroffen sein sollten, läuft Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO leer, wenn der Rechtsstreit im Ausland geführt wird. Auf die Sonderanknüpfung forumsfremder Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann nur zurückgegriffen werden, wenn diese Normen die „Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen“, was bei einer Zahlungsverpflichtung aus einem Derivategeschäft nach Ansicht der englischen Gerichte nicht der Fall ist, selbst wenn der Vertrag nach dem Recht am Erfüllungsort unwirksam ist.64 Zudem kann eine Rechtswahl für Derivate auch gegenüber Verbrauchern vereinbart werden. Das in Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO verankerte, verbraucherschützende Günstigkeitsprinzip gemäß Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO kommt aber nicht zum Zuge, sofern es sich um Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument handelt, wozu (auch unverbriefte) Derivate zählen.65 Eine Rückausnahme hiervon sieht wiederum der letzte Halbsatz des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO, soweit es sich bei dem Geschäft um die Erbringung von Fi62

Santander [2016] EWCA Civ Rn. 63; Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 133. AA Böhle ZEuP 2019, 72 (91 f.). 64 Vgl. Dexia [2017] EWCA Civ 428 Rn. 173 f. zu der Entscheidung Ralli Bros v. Aznar [1920] 2 K.B. 287; näher v. Hein in Jung (Fn. 19) 33 f. 65 Czernich in Heindler/Verschraegen, Internationale Bankgeschäfte mit Verbrauchern, 2017, 49 (66 ff.); MüKo-BGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 31; Wilhelmi RIW 2016, 253 (255). 63

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nanzdienstleistungen handelt.66 Eine Zahlungsverpflichtung aufgrund eines Zinsswaps dürfte indes nicht das für eine Dienstleistung erforderliche Tätigkeitselement aufweisen.67 Nur wenn der Abschluss eines derivativen Geschäfts in einen umfassenden Vertrag eingebettet wird, in dessen Rahmen eine Bank dem Anleger Dienste schuldet, wie sie zB in § 2 Abs. 8 WpHG aufgeführt sind, greift die Rückausnahme ein.68

VI. Die Folgen des Brexit 1. Rechtswahl Die Konsequenzen des britischen Austritts aus der EU für das IPR sind noch nicht abschließend geklärt.69 Das Austrittsübereinkommen ordnet in Art. 66 lit. a eine Weitergeltung der Rom I-VO für eine Übergangszeit bis zum 31.12.2020 an.70 Verlässt Großbritannien nach dem Ende der Übergangszeit die EU, ohne dass eine Erstreckung der Rom I-VO vereinbart wird, tritt die VO zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich außer Kraft. Es ist zwar erwogen worden, ob das EVÜ dann als konventioneller Staatsvertrag wiederaufleben würde.71 Nachdem der britische Gesetzgeber aber selbst die Auffassung geäußert hat, nach dem Austritt aus der EU nicht mehr an das EVÜ gebunden zu sein,72 hat sich diese Frage praktisch erledigt. Großbritannien wird fortan also als Drittstaat zu behandeln sein,73 was für deutsche Gerichte wegen der universellen Anwendbarkeit der VO (Art. 2 Rom I-VO) keinen praktischen Unterschied ma-

66

MüKo-BGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 33. Wilhelmi RIW 2016, 253 (256). 68 Vgl. Czernich (Fn. 65) 68 f.; MüKo-BGB/Martiny Art. 6 Rom I-VO Rn. 34; Rauscher/Heiderhoff Art. 6 Rom I-VO Rn. 49. 69 Umfassend Sonnentag, Die Konsequenzen des Brexits für das Internationale Privatund Zivilverfahrensrecht, 2017, S. 43 ff.; ferner Hess IPRax 2016, 409 ff.; Lehmann/ Zetzsche JZ 2017, 62 ff.; Lein YbPIL 17 (2015/16), 33 ff.; Rühl JZ 2017, 72 ff.; Ungerer in Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel, Brexit und die juristischen Folgen, 2017, 297 ff. 70 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/ C 384 I/01), ABl. EU 2019 C 384 I/1. 71 Abdel Wahab J. Int. Arb. 33 (2016), 463 (464 ff.); Dickinson J. Priv. Int. L. 12 (2016), 195 (201 ff.); Lehmann/Zetzsche JZ 2017, 62 (65); Lein YbPIL 17 (2015/16), 33 (42 f.); aA Hess IPRax 2016, 409 (417); BeckOGK-BGB/Paulus, 1.10.2019, Art. 2 Rom I-VO Rn. 6; Rühl JZ 2017, 72 (76). 72 Explanatory Note, 29.3.2019, The Law Applicable to Contractual Obligations and Non-Contractual Obligations (Amendment etc) (EU Exit) Regulations 2019, SI 2019 Nr. 834, http://www.legislation.gov.uk/uksi/2019/834/made/data.html. 73 Ebenso Krümmel IWRZ 2019, 100 (101). 67

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chen wird.74 Allerdings greifen gegenüber dem Vereinigten Königreich dann Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO und Art. 46b EGBGB ein, sodass diese speziellen Vorschriften gegen eine Umgehung unionsrechtlicher Schutzstandards auch im Verhältnis zum Vereinigten Königreich zum Tragen kommen werden. Von britischer Seite ist die Rom I-VO vorsorglich in das nationale Recht umgesetzt worden.75 Diese Maßnahme soll mit einem harten Brexit (bzw. dem Ende des Übergangszeitraums) in Kraft treten. Da diese anglisierte Variante der Rom I-VO lediglich den Status nationalen Rechts hat und im Internationalen Vertragsrecht ein Renvoi grundsätzlich unbeachtlich ist (Art. 20 Rom I-VO), braucht sich ein deutsches Gericht darum nicht zu kümmern. Die englischen Gerichte könnten folglich nach dem Übergangszeitraum ihre enge Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO im Gewand des autonomen englischen IPR fortsetzen, sodass eine Auseinanderentwicklung der englischen und der kontinentaleuropäischen Beurteilung einer Rechtswahl bei Inlandsgeschäften droht. Diese Divergenzen müssen bei der Ausgestaltung von Derivaten berücksichtigt werden. Da hierdurch Anreize zu einem „Forum Shopping“ geschaffen werden, gewinnen belastbare Gerichtsstandsvereinbarungen besondere Bedeutung. 2. Gerichtsstandsvereinbarungen Mit dem Ende des Übergangszeitraums wird auch die Brüssel Ia-VO76 nicht mehr in britisch-kontinentaleuropäischen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sein.77 Ein theoretisch denkbares Wiederaufleben des Brüsseler Übereinkommens von 196878 wird mit Recht abgelehnt.79 Das Vereinigte Königreich hat aber am 28.12.2018 vorsorglich seinen Beitritt zum HGÜ80

74 Ebenso BMJV, Brexit und justizielle Zusammenarbeit im Zivilbereich, 16.9.2019, https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Brexit/Zivilrecht/Brexit_Zivilrecht_no de.html. 75 Art. 3 European Union (Withdrawal) Act 2018, 2018 c. 16, http://www.legislation. gov.uk/ukpga/2018/16/data.pdf; ergänzend The Law Applicable to Contractual Obligations and Non-Contractual Obligations (Amendment etc) (EU Exit) Regulations 2019, SI 2019 Nr. 834, http://www.legislation.gov.uk/uksi/2019/834/made/data.html. 76 VO (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 12.12. 2012, ABl. EU 2012 L 351/1. 77 Näher Hess IPRax 2016, 409 ff.; Rühl JZ 2017, 72 ff. 78 EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968 idF des 4. Beitrittsübereinkommens, BGBl. 1998 II 1412. 79 Hess IPRax 2016, 409 (413); Rühl JZ 2017, 72 (77). 80 Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen v. 30.6.2005, ABl. EU 2009 L 133/3.

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erklärt,81 an das es bisher in seiner Eigenschaft als EU-Mitgliedstaat gebunden war. Die Vereinbarung Londons als ausschließlicher Gerichtsstand stößt in einem Inlandssachverhalt zwar auf die Hürde des Art. 1 Abs. 2 HGÜ, der bestimmt, dass ein Sachverhalt nicht als „international“ i.S. des Übereinkommens gilt, wenn die Parteien ihren Aufenthalt im selben Vertragsstaat haben und die Beziehung der Parteien sowie alle anderen für den Rechtsstreit maßgeblichen Elemente nur zu diesem Staat eine Verbindung aufweisen.82 Es ist jedoch zu erwarten, dass der Court of Appeal seine zu Art. 3 Abs. 3 EVÜ entwickelten Maßstäbe (s.o. IV) auch auf die Auslegung des HGÜ übertragen wird. Art. 46 Abs. 6 MiFIR83 verpflichtet zwar Drittlandfirmen, die gemäß diesem Artikel Dienstleistungen oder Tätigkeiten erbringen, dazu, in der EU niedergelassenen Kunden vor der Erbringung von Dienstleistungen oder Tätigkeiten anzubieten, etwaige Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen oder Tätigkeiten zur Regelung an ein Gericht oder Schiedsgericht eines Mitgliedstaats zu übermitteln. In den hier untersuchten Fallkonstellationen wird aber keine Drittlandfirma Vertragspartner, sodass die Vorschrift nicht unmittelbar eingreift. Sofern deutsche Gerichte in derartigen Fällen die Anwendbarkeit des HGÜ ablehnen sollten, würde die Prorogation englischer Gerichte also nach §§ 38, 40 ZPO zu beurteilen sein.84 Eine Ausnahme muss nach der Rechtsprechung des EuGH zwar für die Derogation von Zuständigkeiten zum Schutze einer schwächeren Partei nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO gelten,85 doch hat diese Einschränkung außer für Verbrauchergeschäfte im Hinblick auf Derivate keine praktische Bedeutung. In Bezug auf die Beachtung internationaler Eingriffsnormen (Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO) hat der BGH bereits entschieden, dass der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands in einem Drittstaat (Virginia, USA) die Wirksamkeit zu versagen ist, wenn die Klausel dazu führen würde, dass der Ausgleichsanspruch eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach § 89b HGB unterlaufen würde.86 Für lediglich einfach zwingendes inländisches Recht besteht hingegen grundsätzlich keine Derogationsschranke. Es erscheint aber nicht ausge81

Lutzi, UK Ratifies Hague Choice of Court and Hague Maintenance Conventions, 3.1.2019, http://conflictoflaws.net/2019/uk-ratifies-hague-choice-of-court-and-hague-mai ntenance-conventions. 82 Näher Reuter/Wegen ZVglRWiss 116 (2017), 382 (393 ff.), mwN. 83 VO (EU) Nr. 600/2014 v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. EU 2014 L 173/84; hierzu Mankowski in Heindler/Verschraegen, Internationale Bankgeschäfte mit Verbrauchern, 2017, 1 (40). 84 Näher v. Hein RIW 2013, 97 (104), mwN. 85 EuGH 19.7.2012 – C-154/11, Mahamdia/Algerien, ECLI:EU:C:2012:491 Rn. 65. 86 BGH IHR 2013, 35; hierzu Antomo IHR 2012, 225 ff.; Basedow FS Magnus, 2014, 337 ff.; Hartley FS Kohler, 2018, 171 ff.

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schlossen, sich künftig auch bei der Auslegung der §§ 38, 40 ZPO am Rechtsgedanken des Art. 1 Abs. 2 HGÜ zu orientieren, sofern die Vereinbarung der Gerichte eines Drittstaates in einem Inlandssachverhalt dazu führen würde, dass zwingendes inländisches Recht umgangen werden könnte.

VII. Ergebnis und Ausblick Die vom Court of Appeal vorgenommene, sehr großzügige Auslegung des Auslandsbezuges i.S.d. Art. 3 Abs. 3 EVÜ/Rom I-VO ist ersichtlich von einem Interesse an der Aufrechterhaltung der Attraktivität des Gerichtsstandortes London geprägt.87 Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO büßt jedoch bei einer solchen Betrachtung seinen effet utile weitgehend ein.88 Ob der EuGH diesem Ansatz nach dem Brexit folgen wird, darf deshalb bezweifelt werden. Es ist zu hoffen, dass sich möglichst bald die Gelegenheit zu einem Vorlageersuchen an den EuGH bieten wird, damit der Gerichtshof differenziertere Maßstäbe zur Feststellung eines kollisionsrechtlich relevanten Auslandsbezuges aufstellen kann.

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Böhle ZEuP 2019, 72 (96); Ostendorf IPRax 2018, 630 (631). Ebenso Ostendorf IPRax 2018, 630 (631).

Unternehmen in Verantwortungseigentum?

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Unternehmen in Verantwortungseigentum? Birgit Weitemeyer

Unternehmen in Verantwortungseigentum? Zur Zulässigkeit der Selbstbeschränkung und Unveräußerlichkeit im Stiftungs- und Gesellschaftsrecht BIRGIT WEITEMEYER

I. Nachhaltige Unternehmen in der Rechtspraxis und als Forschungsgegenstand Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Angesichts von Klimaveränderungen und der Verschmutzung von Luft und Meeren sind nicht nur Bürger, Politik und gemeinnützige Organisationen gefragt. Arbeitnehmer wollen nicht mehr nur um des Profits willen arbeiten, sondern auch im Rahmen des Coporate Volunteering sinnerfüllt Gutes tun. Im Dritten Sektor entstehen mit Venture/Innovative Philanthropie, Social Business und Social Entrepreneurship neue Formen des nachhaltigen Engagements.1 Auch gewerbliche Unternehmen wollen mit Maßnahmen der Corporate Social Responsibility (CSR) und des Corporate Citizenship2 ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Inwieweit ihnen dies erlaubt ist und erlaubt sein sollte, führt zu der weit zurückreichenden Debatte um den vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis lange vorherrschenden Vorrang des shareholder value als Unternehmenszweck,3 1 Für einen ersten Zugriff auf rechtliche Fragestellungen s. Weitemeyer, Non Profit Law Yearbook 20111/2012, 2012, S. 91 ff. m.w.N.; umfangreicher die sozialwissenschaftliche und ökonomische Forschung, s. Achleitner, Social Entrepreneurship und Venture Philantropy. Erste Ansätze in Deutschland, 2007; Anheier/Schröer/Then (Hrsg.), Soziale Investitionen. Interdisziplinäre Perspektiven, 2012; Harbrecht, Social Entreprenurship – Gewinn ist Mittel, nicht Zweck. Eine Untersuchung über Entstehung, Erscheinungsweisen und Umsetzung, 2010; Rommel, Wer sind die Social Entrepreneurs in Deutschland? Soziologischer Versuch einer Profilschärfung, 2011; Scheuerle/Glänzel/Knust/Then, Social Entrepeneurship in Deutschland – Potentiale und Wachstumsproblematiken, Studie im Auftrag der KfW, 2013; Waddock, Pragmatische Visionäre. Veränderer als Soziale Unternehmer, 2009; Initiative für soziales Unternehmertum. Schaffung eines „Ökosystems“ zur Förderung der Sozialunternehmen als Schlüsselakteure der Sozialwirtschaft und sozialen Innovation, KOM(2011) 682 endgültig, 25.10.2011. 2 Vgl. die Studie Corporate Citizenship Survey (CC-Survey), 2019, des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft e.V. gemeinsam mit ZiviZ (Zivilgesellschaft in Zahlen). 3 Friedman Doctrine, auch Shareholder Theory: Milton Friedman, The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits, The New York Times Magazine, 13. September 1970.

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dem in Deutschland die These vom „Unternehmen an sich“4 mit der Möglichkeit der Berücksichtigung anderer Interessen als der Anteilseigner gegenübergestellt wurde. Inzwischen ist eine Synthese der gegensätzlichen Positionen herrschend, wonach die Interessen aller Stakeholder des Unternehmens Berücksichtigung finden dürfen.5 Während die Beschäftigung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen von nachhaltig agierenden Unternehmen an der Schnittstelle von For-ProfitUnternehmen und Non-Profit-Organisationen des Dritten Sektors und deren besonderen Fragestellungen in Deutschland noch frisch ist,6 wird die Forschungsfrage im Ausland seit längerem bearbeitet.7 Es wird bereits von einem Vierten Sektor8 gesprochen. Insbesondere im anglo-amerikanischen Rechtskreis sind neue zivilrechtliche Rechtsformen entwickelt worden, so in einer Vielzahl von Bundesstaaten der USA die benefit corporation (B corp),9 im Jahr 2005 in Großbritannien die community interest company (CIC) und 2013 im kanadischen Staat British Columbia die community contribution corporation. Häufig wird beklagt, dass das deutsche Gesellschaftsrecht und das steuerliche Gemeinnützigkeitsrechts für nachhaltig agierende Unternehmen nicht ausreichend auf deren Bedürfnisse, insbesondere die Verfolgung von Doppelzwecken ausgerichtet sind.10 So hat kürzlich eine Initiative zur Förderung von 4

Vgl. umfassend Laux, Die Lehre vom Unternehmen an sich. Walther Rathenau und die aktienrechtliche Diskussion in der Weimarer Republik, 1998. 5 Ausgangspunkt: Edward Freeman, Strategic Management: A Stakeholder Approach, 1984; vgl. nur Grünbuch der EU-Kommission, Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen v. 18.7.2001 KOM (200) 366 endg., Rn. 20f.; Corporate Social Responsibility Richtlinie der EU, RL 2014/95/EU, AblEU v. 22.10.2014, L 330, 1; jüngst Davoser Manifest 2020 des World Economic Forum für einen Stakeholder Kapitalismus sowie das Statement zum Zweck des Unternehmens (Purpose) von 181 amerikanischen CEOs aus dem Sommer 2019, vgl. Honold, Nur der langfristige Gewinn zählt, FAZ v. 27.1.2020, S. 16. 6 Vgl. aber Momberger, Social Entrepenurship – im Spannungsfeld zwischen Gesellschafts- und Gemeinnützigkeitsrecht, 2015. 7 Vgl. Aiken, Social enterprises: Challenges from the field, in: Billis (ed.), Hybrid Organizations and the Third Sector, London, 2010, S. 153 ff.; Mair/Robinson/Hockerts, Social Entrepreneurship, 2006; Nicholls (Hrsg.), Social Entrepreneurship. New Models of Sustainable Social Change, 2006; Perrini, The New Social Entrepreneurship. What Awaits Social Entrepreneurial Ventures? 2006; Schönenberg, Venture Philantropie. Zulässigkeit und haftungsrechtliche Konsequenzen für Schweizer Stiftungen und deren Organe, 2011. 8 Vgl. Möslein/Mittwoch, RabelsZ 80, 2016, 399 (404) m.w.N. 9 Hierzu Möslein/Mittwoch, RabelsZ 80, 2016, 399 ff.; Möslein/Sørensen, The Columbia Journal of European Law, 2018, 391 ff.; Burgi/Möslein (Hrsg.), Zertifizierung nachhaltiger Kapitalgesellschaften – ´Good Companies´ im Schnittfeld von Markt und Staat, im Erscheinen, mit Beitrag Weitemeyer, Nachhaltigkeitsförderung durch das Gemeinnützigkeitsrecht; zuvor bereits Weitemeyer, Eine neue Gemeinnützigkeit? Organisations- und Rechtsformen von Nonprofit-Organisationen, in: Annette Zimmer/Ruth Simsa (Hrsg.), Forschung zu Zivilgesellschaft, NPOs und Engagement. Quo Vadis?, 2014, S. 41–62. 10 Vgl. Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Social Entrepreneurs als Akteure der ökologischen und sozialen Modernisierung der Wirtschaft stärken“,

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Verantwortungseigentum Aufsehen erregt. Am 25.11.2019 haben über 30 Unternehmer die „Stiftung Verantwortungseigentum“ in Berlin gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen Start-Up Gründer wie der Kondomhersteller Einhorn, aber auch der Bio-Produzent Alnatura, die BMW Foundation Herbert Quandt oder die Weleda AG. Die Stiftung solle einer Unternehmensform eine Stimme geben, die bereits von 200 Unternehmen in Deutschland, die rund 1,2 Mio. Mitarbeiter beschäftigen und 270 Mrd. Euro Umsatz generieren, praktiziert werde – gemeint sind Stiftungsunternehmen wie Bosch und Zeiss – sogenannten „Unternehmen in Verantwortungseigentum“. Sie kennzeichne eine besondere Eigentümerstruktur, die sicherstellen soll, dass das Unternehmenskapital vorrangig dem Unternehmenszweck dient und nicht unbegrenzt personalisiert werden kann, und die Unternehmensverantwortung unabhängig von Familie und Vermögen an „Werte- und Fähigkeitenverwandte“ übergeben werde.11 Die „Stiftung Veranwortungseigentum“ soll diesen Unternehmenstypus fördern und bekannter machen und sich für sinnvolle rechtliche und politische Rahmenbedingungen einsetzen, insbesondere eine neue Rechtsform ähnlich der community interest company (CIC) schaffen. Die Initiative hat bereits einen Gesetzentwurf für eine solche Rechtsform vorgelegt und Wirtschaftsminister Altmaier vorgestellt.12 Konkret wollen die Initiatoren alternative Wege einschlagen, indem sie ihr Unternehmen unveräußerlich gestalten und Mitarbeiter daran beteiligen. Gegenüber den gängigen Gestaltungen von Unternehmen in Stiftungshand13 zeichnet sich diese Unternehmensform dadurch aus, dass sie als eine Art Mischwesen zwischen Kapitalgesellschaft und Verein mit Austrittsrecht gegen eine gering verzinste Einlagenrückgewähr keiner Anerkennung und Kontrolle durch die Stiftungsbehörden unterliegt und mangels Gemeinnützigkeit auch nicht durch die Finanzverwaltung kontrolliert wird, wenn auch erhebliche Spenden und Zuwendungen aus den Gewinnen geleistet werden sollen. Im Vorfeld dieser Inititative ist bereits auf dem Boden des geltenden Rechts ein Modell vorgestellt geworden, um mittels einer Stiftung-GmbH ähnliche Ergebnisse wie mit einer neuen Rechtsform der GmbH in VerantBT-Drs. 19/6844 und die Antwort der Bundesregierung BT-Drs. 19/7293 sowie den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Strategische Förderung und Unterstützung von Social Entrepreneurship in Deutschland“, BT-Drs. 19/8567; Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 43 ff.60 ff.; Weitemeyer, Non Profit Law Yearbook 2011/2012, 2012, 91 ff. m.w.N. 11 Vgl. auch Gehm, Zeiss als Vorbild, Die Welt, 30.11.2019, S. 16. 12 Vgl. www.stiftung-verantwortungseigentum.de; letzter Abruf am 30.1.2020. 13 Vgl. hierzu nur Weitemeyer, Wie unternehmerisch dürfen Stiftungsunternehmen agieren? Gemeinnützigkeits- und stiftungsrechtliche Aspekte an der Schnittstelle zwischen Stiftungen und Unternehmen, in: Achleitner/Block/Graf Strachwitz/Hosseini (Hrsg.), Stiftungsunternehmen: Theorie und Praxis, 2018, S. 49–67. Vgl. auch die Überlegungen zur „Verantwortungsgesellschaft“ mit stark eingeschränkten Abfindungsansprüchen der Gesellschafter, Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen, NZG 2020, 104.

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wortungseigentum zu erreichen. Einer speziell hierfür geschaffenen „Purpose-Stiftung-GmbH“ werden Minderheitsgesellschaftsanteile eines Unternehmens in GmbH-Form in Höhe von 1% als „Kontrollgesellschafterin“ übertragen. Die anderen Gesellschafter sollen Mitarbeiter oder Geschäftsführer des Unternehmens sein und dies soll auch in Zukunft so bleiben. Nach dem Gesellschaftsvertrag des Unternehmens „in Verantwortungseigentum“ darf die Veräußerung, Schenkung und Übertragung der Gesellschaftsanteile nur an den erwünschten Personenkreis erfolgen und bedarf der Zustimmung durch einen Nachfolgerat. Alle Gesellschafterbeschlüsse, die wirtschaftlich betrachtet den Verkauf des gesamten oder nahezu gesamten Gesellschaftsvermögens darstellen, bedürfen zur Sicherung dieser Konstruktion eines erforderlichen Quorums von 100%. Da die PurposeStiftung-GmbH als Minderheitsanteilseignerin jedoch in ihrer Satzung verankert hat, dass diese Zustimmung nicht erteilt werden darf,14 ist das Unternehmen ähnlich unveräußerlich wie eines in Stiftungshand. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob eine derartige Gestaltung stiftungsrechtlich und gesellschaftsrechtlich zulässig ist. Die Autorin hofft, dass der Jubilär, der wie kaum ein anderer Wissenschaftler das Unternehmensrecht ebenso intensiv begleitet hat wie das nationale, vor allem aber das internationale Stiftungs- und Non-Profit-Recht, die folgenden Ausführungen hierzu überlegenswert findet.

II. Grenzen des Stifungsrechts 1. Zulässigkeit der Perpetuierung von Unternehmensstiftungen Die Übertragung von Unternehmen insbesondere im Rahmen der Nachfolgegestaltung an privatnützige Familienstiftungen, an gemeinnützige Stiftungen oder als Doppelstiftungsmodell15 ist in Deutschland weit verbreitet und mit den Namen Robert Bosch Stiftung GmbH, Bertelsmann Stiftung und Gemeinnützige Hertie-Stiftung und den namentlich weniger bekannten Stiftungsträgern von Aldi Süd, Aldi Nord, Lidl und Playmobil verbunden.16 14 Vgl. zur Übertragung unverkäuflicher Sperrminoritäten an der Träger-GmbH der Suchmaschine Ecosia auf die Purpose Stiftung Winkelmann, Gier? Nein, Danke, stern v. 28.3.2019, S. 59 ff. mit krit. Anm. Weitemeyer, weniger krit. Möslein, ebenda; Beyer/ Naumer (Hrsg.), CSR und Mitarbeiterbeteiligung, 2019; Bös/Kuner, Alle Macht den Mitarbeitern?, FAZ v. 23.3.2019, S. C1. Die Mustersatzung liegt der Autorin vor. 15 Übersichtliche Darstellung bei Fleisch, Unternehmensverbundene Stiftungen, Stiftung und Sponsoring, Rote Seiten 4/18, S. 15 ff. 16 Vgl. Weitemeyer, Wie unternehmerisch dürfen Stiftungsunternehmen agieren? Gemeinnützigkeits- und stiftungsrechtliche Aspekte an der Schnittstelle zwischen Stiftungen und Unternehmen, in: Achleitner/Block/Graf Strachwitz/Hosseini (Hrsg.), Stiftungsunternehmen: Theorie und Praxis, 2018, S. 49–67; sowie Gestaltungsratgeber, etwa Feick

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Von Seiten des Stiftungszivilrechts steht dem nach der Modernisierung des Stiftungsrechts im Jahr 2002 nicht mehr viel entgegen. Das Gesetz hatte die früher uneinheitliche Praxis in den Ländern17 durch die Einführung einheitlicher Anerkennungsvoraussetzungen für Stiftungen in den §§ 80, 81 BGB aufgegeben, ohne freilich das Problem der Stiftungsunternehmen ausdiskutiert oder gar regulatorisch in den Griff bekommen zu haben.18 Grenzen setzen vornehmlich das Verbot der Selbstzweckstiftung und für gemeinnützige Unternehmensträgerstiftungen das steuerliche Gemeinnützigkeitrecht. Nach dem herrschenden Diskussionsstand führt ein in der Stiftungssatzung ausdrücklich verankerter Stiftungszweck der Erhaltung und Fortführung des Unternehmens zu einer verbotenen Selbstzweckstiftung und entspricht zudem keinem gemeinnützigkeitsrechtlich anerkannten Zweck der §§ 52 ff. AO.19 In der Praxis gängige Gestaltungen sind daher Stiftungsunternehmen, die als verdeckte Selbstzweckstiftungen gelten können. Wenn ihnen trotz anderweitigem Stiftungszweck die Veräußerung des übertragenen Unternehmens oder die Reduzierung des alleinigen bzw. mehrheitlichen Anteilsbesitzes untersagt wird, wird nach verbreiteter Meinung die Erhaltung und Weiterentwicklung des Unternehmens im Ergebnis doch zum Hauptzweck der Stiftung.20 Dies droht auch den Doppelstiftungsmodellen. Dort wird regelmäßig der Stiftung das Unternehmensvermögen in Gestalt eines stimmrechtslosen GmbH-Anteilsbesitzes übertragen, während das zur Beherrschung ausreichende Stimmrecht einer zur Unternehmensleitung berufenen nicht gemeinnützigen Stiftung, KG oder GmbH zusteht.21 Der Besitz der Anteile an einem so gestalteten Unternehmen ist damit faktisch am Markt nicht veräußerlich und mangels Stimmrechts kann die Stiftung über Ausschüttungen nicht entscheiden.22 Geltung und Reichweite dieser Grenzen sind aber noch nicht abschließend ausgelotet. So werden unterschiedliche Indizien für das Vorliegen einer Selbstzweckstiftung disktuiert,23 und in der (Hrsg.), Stiftung als Nachfolgeinstrument, 2015; von Löwe, Familienstiftung und Nachfolgegestaltung: Deutschland – Österreich – Schweiz – Liechtenstein, 2016. 17 Vgl. Muscheler, Stiftungsrecht: Gesammelte Beiträge 2011, S. 356 f. 18 Vgl. nur K. Schmidt, DB 1987, 261–263; ders., ZHR 166 (2002), 145–149; HoffmannBecking, ZHR 178 (2014), 491–501; Hüttemann, ZHR 167 (2003), 35, 60 ff.; Weitemeyer, AcP 217 (2017), 431, 444 ff.; a.A. Burgard, NZG 2002, 697, 700; krit. zur Familienstiftung als Unternehmensnachfolgemodell Rawert, ZGR 2018, 835–866. 19 MüKo/Weitemeyer, BGB, 8. Aufl. 2018, § 80 Rn. 103 m.w.N.; Rawert, FS Crezelius, 2018, 87 ff. 20 Staudinger/Hüttemann/Rawert, BGB, 2017, Vorbem. Zu §§ 80 ff. Rn. 273 ff.; Rawert, ZGR 2018, 835, 852 ff.; ähnlich auch Hoffmann-Becking ZHR 178 (2014), 491, 497; Mirbach, Stiftungszweck und Gemeinwohlgefährdung, 2011, S. 245 ff. 21 Unkritischer Fleisch, Unternehmensverbundene Stiftungen, Stiftung und Sponsoring, Rote Seiten 4/18; Werner, ZEV 2012, 244 ff. 22 So für die Bosch-Stiftung Kögel/Berg, FuS 2011, 13, 15. 23 Hierzu jüngst Rawert, ZGR 2018, 835, 853 f.; iÜ vgl. einerseits Hoffmann-Becking, ZGR 2014, 491, 497; Mirbach, Stiftungszweck und Gemeinwohlgefährdung, 2011, S. 245 ff.;

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Rechtspraxis wird die Problematik zum Teil gar nicht zur Kenntnis genommen.24 Gleichwohl erscheint den Initiatoren des Purpose-Modells die Stiftungslösung als wenig geeignet. Stiftungsmodelle seien aufgrund des mit ihnen verbundenen erheblichen Aufwandes im Aufbau, der Gestaltung und Erhaltung von Stiftungsstrukturen sowie der Finanzierung und den steuerrechtlichen Unsicherheiten für mittelständische Unternehmen unattraktiv.25 Träger des Minderheiten-Kontrollanteils ist vielmehr eine Stiftungs-GmbH, die firmenrechtlich zulässig ist, solange durch den Rechtsformzusatz eine Irreführung des Rechtsverkehrs § 18 Abs. 2 HGB analog ausgeschlossen wird.26 Sollte die seit 2016 diskutierte Stiftungsrechtsreform in ein Reformgesetz münden, änderte sich diesbezüglich wenig. Die „echte“ Stiftung bürgerlichen Rechts wäre lediglich besser unterscheidbar, da sie einen verpflichtenden Namenszusatz erhielte („rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts“, § 83a DiskE).27 2. Verbot der bloßen Funktionsträgerstiftung Gewichtiger dürfte das Verbot der bloßen Funktionsträgerstiftung einem Stiftungsmodell entgegengestanden haben. Soll der Kontrollgesellschafter lediglich gewährleisten, dass die jeweiligen Anteile in der unternehmenstragenden Gesellschaft verhaftet bleiben, würde dies dem Stiftungsbegriff wiedersprechen. Zählt man mit der herrschenden Ansicht zu den Wesenselementen der Stiftung ihr Vermögen, das sie gem. § 81 Abs. 1 S. 2, 3 Nr. 4 BGB für ihre Zweckverfolgung benötigt, ist die bloße Verhinderung unerwünschter Gestaltungen als Gesellschafterin nicht vom Stiftungsbegriff gedeckt. Reine Funktionsträgerstiftungen wie die Stiftung und Co. KG sind Oppel, Die österreichische Privatstiftung und die deutschen Familienstiftung als Intrumente der Nachfolgegestaltung, 2014, S. 77; Hushahn, Unternehmensverbundene Stiftungen im deutschen und schwedischen Recht, 2009 passim; andererseits Fleisch, Unternehmensverbundene Stiftungen, Stiftung und Sponsoring, Rote Seiten 4/18, S. 12 f.; sowie Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 138 ff. zum Erhalt von Arbeitsplätzen und zu volkswirtschaftlichen Vorteilen als Stiftungszwecke. 24 Ohne Problembewusstsein OLG Koblenz NZG 2002, 135; Kritik an der Rechtspraxis äußernd Schlüter, Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 307, Fn. 660; Schauhoff, Die Stiftung 2009, S. 121, 125. 25 Steuernagel/Wagner/Böhm, „Unternehmenseigentum im 21. Jahrhundert. Warum es eine neue Rechtsform für Unternehmen braucht“, https://www.stiftung-verantwortungs eigentum.de/dist/download/Policy_Paper_Verantwortungseigentum_Event.pdf, S. 7, letzter Abruf 30.1.2020. 26 Zur Zulässigkeit des Firmenbestandteils „Stiftung“ bei einer Stiftungs-GmbH („Robert Bosch Stiftung gGmbH“) vgl. OLG Stuttgart NJW 1964, 1231. 27 Zweiter Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Stiftungsrecht“ vom 27.2.2018. Abrufbar unter www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-neschlüsse/201806-08_06/anlage-zu-top-46-2.pdf?, letzter Abruf am 30.1.2020.

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daher unzulässig.28 Gleichwohl ist die Stiftung als Komplementärin einer KG, als Kommanditistin oder als GmbH-Gesellschafterin mit dem Ziel, vom Stifter nicht gewünschte Veränderungen wie Übernahmen, Veräußerung oder Satzungsänderungen zu verhindern, in der Praxis verbreitet. Dazu muss ihr innerhalb des Konzerns lediglich noch ein weiterer Zweck zugeordnet werden, etwa die Übernahme der CSR-Aktivitäten.29 Allerdings würde dies in dem vorgeschlagenen Modell eher unpraktikabel sein, weil die Purpose-Stiftungs-GmbH nicht konzerngebunden ist, sonderen mehreren Herren dient.

III. Eignung privatrechtlicher Gesellschaften für philanthropische Bindung 1. Gesellschaftszweck Damit stellt sich die Frage, ob das Gesellschaftsrecht derartige Konstruktionen zulässt. Im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht hatte die herrschende Doktrin des shareholder value-Ansatzes zur Rechtsunsicherheit beigetragen, inwiefern For-Profit-Gesellschaften überhaupt für soziale Zwecke verwandt werden dürfen und damit zur Ausbildung der neuen, gemeinwohlorientierten Rechtsformen geführt.30 Das Schweizer Recht erlaubt der GmbH erst seit dem Jahr 2008 nichtgewerbliche Tätigkeiten.31 Auch die Rechtsordnungen des romanischen Rechtskreises sehen für Handelsgesellschaften nur gewerbliche Tätigkeiten vor. So verfolgen belgische und französische Kapitalgesellschaften (Art. 1833 des franz. Code civil bis 2019) den Zweck, erzielte Gewinne an ihre Mitglieder auszuschütten und können daher nach bisheriger Doktrin nicht den Status der Gemeinnützigkeit erlangen.32 Mit der société à finalité sociale (SFS) wurde auf der Grundlage von Artikel 661–669 des belgischen Gesellschaftsgesetzbuchs zwar ein Rechtsrahmen für Rechtsformen geschaffen worden, die gewerbliche Aktivitäten durchführen dürfen (was wiederum den belgischen Vereinen verboten ist), 28

Vgl. MüKoBGB/Weitemeyer, 8. Aufl. 2018, BGB § 80 Rn. 202; Staudinger/Hüttemann/Rawert, BGB, 2017, Vorbemerkungen zu §§ 80 ff. Rn. 190 m.w.N.; aA Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, 146. 29 Zur praktischen Handhabung des Verbots in der Schweiz Meier-Hayoz/Fortmosser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. 2012, § 12 Rn. 29 f. m.w.N. 30 Vgl. nur Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 104 ff., 254 ff., 289; Möslein/ Mittwoch, RabelZ 80, 2016, 400 (401 ff.) m.w.N.; Krause/Kindler, Non Profit Law Yearbook 2010/2011, 85 ff. 31 Obligationenrecht (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht), Änderung vom 16.12.2005, BBl. 2005, 7289. 32 Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 243; von Hippel/Walz, in: von Hippel/Walz (Hrsg.), Spenden- und Gemeinnützigkeitsrecht in Europa, 2007, S. 89, 107.

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jedoch bis auf eine geringe Eigenkapitalverzinsung keine Gewinnausschüttungen an ihre Gesellschafter vornehmen.33 Diese Rechtsform habe sich allerdings nicht durchgesetzt, aufgrund der Begrenzung von Stimmrechten und dem Recht für jeden Angestellten, Anteile zu erwerben.34 In Frankreich ist im Jahr 2001 als Sonderform die société coopérative d´intérêt collectif (SCIC) eingeführt worden, die bestimmte soziale Ziele verfolgt und Beschränkungen hinsichtlich der Gewinnausschüttung unterliegt, jedoch keine steuerliche Förderung erfährt, was sie in der Praxis wenig attraktiv erscheinen lässt.35 Inzwischen wurde in Frankreich mit dem Gesetz „Loi relative à la croissance et la transformation des entreprises“ (PACTE) vom 22.5.201936 das französische Unternehmensrecht insofern reformiert, als die Gesellschaft auch im gesellschaftlichen Interesse (intérêt social) geführt wird und soziale und ökologische Aspekte zu berücksichtigen hat.37 Im deutschen Gesellschaftsrecht erlaubt hingegen § 1 GmbHG jeden gesetzlich zulässigen Gesellschaftszweck, so dass unter den Kapitalgesellschaften der gemeinnützigen GmbH mit über 11.000 Einträgen im Handelsregister größere Bedeutung zukommt.38 Diese große Zweckoffenheit des deutschen Gesellschaftsrechts ist so einzigartig, dass eine internationale ökonomische Studie zur Steuerquote bei deutschen Unternehmen statt einer steuerlichen Gewinnbelastung von nominell 29,5% (mit Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag) nur zu einer Quote von 19,6% gelangt war. Inzwischen wurde von deutscher Seite nachgewiesen, dass in der Datenbasis fälschlicherweise auch steuerbefreite gemeinnützige Unternehmen einbezogen worden waren.39 Anders als beim Idealverein spielt es bei den Kapitalgesellschaften keine Rolle, ob überwiegend ein wirtschaftlicher Zweck (§ 22 BGB) oder ein nicht wirtschaftlicher Zweck (§ 21 BGB) verfolgt wird,40 so dass bei entsprechender Satzungsgestaltung auch Mischformen zulässig sind, wie es das Purpose-Modell der GmbH in Verantwor33

Vgl. Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 276 ff. Beschreibung des Centre d’Economie Sociale, Université de Liège, http://www.ces. uliege.be/societe-a-finalite-sociale-sfs/, letzter Abruf am 30.1.2020; Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 276 ff. 35 Hierzu Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 242 f. 36 Vgl. http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/projets/pl1088.pdf. 37 Article 1833 Code civil, modifié par LOI n°2019-486 du 22 mai 2019 – art. 169: „Toute société doit avoir un objet licite et être constituée dans l’intérêt commun des associés. La société est gérée dans son intérêt social, en prenant en considération les enjeux sociaux et environnementaux de son activité.“; hierzu Conac, in FS Karsten Schmidt, 2019, S. 230 236. 38 Priemer/Krimmer/Labigne, ZiviZ-Survey 2017, S. 51. 39 Vgl. „Studie zur Steuerquote widerlegt“, FAZ v. 30.12.2019, S. 16. 40 Zum weiten Begriff der erlaubten Nebentätigkeiten bei gemeinnützigen Vereinen inzwischen BGH npoR 2017, 156 Rn. 23; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl., 2018, Rn. 2.31.; Schauhoff/Kirchhain, ZIP 2016, 1857, 1866; aA Beuthien, WM 2017, 645, 646. 34

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tungseigentum vorsieht. Die Rechtsform bleibt auch bei einer Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Tätigkeit passend, während beim Idealverein die Grenzen des Nebenzweckprivilegs einzuhalten sind oder die wirtschaftliche Tätigkeit auf eine Tochtergesellschaft auszugründen ist. Zudem lässt sich eine GmbH nur durch einen Initiatior gründen, während beim Verein regelmäßig sieben Gründungsmitglieder erforderlich sind, § 56 BGB. Auch die als Publikumsgesellschaften angelegten Aktiengesellschaften und Genossenschaften bieten sich als Rechtsformen für wirtschaftlich tätige gemeinnützige Organisationen an.41 Durch die Erweiterung der Förderzwecke im Zuge der Genossenschaftsnovelle 200642 wurde klargestellt, dass neben der Förderung der Wirtschaft der Genossen auch deren soziale oder kulturelle Belange gefördert werden können (§ 1 Abs. 1 GenG). In Deutschland dreht sich die Debatte daher vornehmlich um die Frage, welche normativen Folgerungen aus der Stakeholder-Debatte konkret für die Leitung und Kontrolle deutscher For-Profit-Gesellschaften zu ziehen ist, in deren Satzung die gemeinnützige Zweckverfolgung auch nicht teilweise verankert ist.43 Während die CIC insbesondere für solche Doppelzwecke geschaffen wurde, ist die Verfolgung eines hybriden Gesellschaftszwecks bei entsprechender Satzungsgestaltung in Deutschland also ohne weiteres erlaubt.44 2. Vinkulierung von Geschäftsanteilen Durch das Zustimmungserfordernis der Übertragung von Gesellschaftsanteilen durch einen Nachfolgerat wird die freie Übertragbarkeit der Anteile eingeschränkt. Durch die Zustimmung der Purpose-Stiftung-GmbH, die nach ihrer eigenen Satzung dem nicht zustimmen darf, wird die Auflösung der Gesellschaft oder der Verkauf des Unternehmens im Ergebnis verhindert.

41 Zur Gemeinnützigkeit von Aktiengesellschaften Bayer/Hoffmann, AG 2007, 347 ff.; I.J. Weber, Die gemeinnützige Aktiengesellschaft, 2014, passim. 42 Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts v. 18.8.2006, BGBl. I S. 1911. 43 Vgl. zur Debatte bereits K. Schmidt, Non Profit Law Yearbook 2001, 2002, S. 107– 126; und jüngst die Beiträge der ZGR-Tagung 2018 zu CSR, ZGR 2018, Band 47, Heft 2– 3; Habersack, Gemeinwohlbindung und Unternehmensrecht, Vortrag auf der Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung am 22. bis 24.9.2019 in Hamburg, im Erscheinen. 44 Zu steuerlich motivierten Doppelstrukturen vgl. Weitemeyer, Eine neue Gemeinnützigkeit? Organisations- und Rechtsformen von Nonprofit-Organisationen, in: Annette Zimmer/Ruth Simsa (Hrsg.), Forschung zu Zivilgesellschaft, NPOs und Engagement. Quo Vadis?, 2014, S. 41–62; dies., Nachhaltigkeitsförderung durch das Gemeinnützigkeitsrecht, in: Burgi/Möslein (Hrsg.), Zertifizierung nachhaltiger Kapitalgesellschaften – „Good Companies“ im Schnittfeld von Markt und Staat, im Erscheinen.

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Formal ist gegen diese Gestaltung zunächst einmal nichts einzuwenden. Die grundsätzlich freie Übertragbarkeit von Geschäftsanteilen nach § 15 Abs. 1 GmbHG kann gem. § 15 Abs. 5 GmbHG beschränkt und sogar ganz ausgeschlossen werden. Darin liegt kein Verstoß gegen § 137 S. 1 BGB, da es bei einem Abtretungsausschluss nicht um die Verfügungsbefugnis des Anteilsinhabers geht, sondern um die Abtretbarkeit des Anteils selbst und damit um eine Inhaltsbestimmung des Anteilsrechtes iSd §§ 399, 413 BGB.45 Bei der Ausgestaltung der Vinkulierung ist die Satzung frei; sie kann sich daher auf alle Übertragungen erstrecken, aber auch auf bestimmte Geschäftsanteile oder bestimmte Gesellschafter beschränken. Auch können bestimmte Übertragungen von der Vinkulierung freigestellt werden, so dass zB die Abtretung an Mitgesellschafter oder an Angehörige freigestellt wird oder nur bestimmte Sachverhalte der Vinkulierung unterworfen werden.46 Auch jede andere Art von Zustimmung kann vorsehen werden, so auch durch einen Beirat.47 Der Gesellschafter wird nach allgemeiner Ansicht nicht unzulässig gebunden, da ihm ein Austritts- bzw. Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bleibt.48 Auch dieses ist in der Satzung der GmbH in Verantwortungseigentum verankert. Auch Zustimmungsquoten von 100% sind zulässig und gerade in Familiengesellschaften üblich.49 Dort bezwecken Vinkulierungsklauseln wie auch in dem Verantwortungsunternehmen die Kontrolle des Gesellschafterkreises vor dem Eindringen unliebsamer Dritter oder dem Überfremdungsschutz. Zudem sollen Veränderungen der bestehenden Beteiligungsverhältnisse, etwa der Begründung der Mehrheitsposition eines Mitgesellschafters, vorgebeugt werden.50 3. Beschlussfassung in der GmbH Auch das Beschlussrecht der GmbH steht zunächst einmal nicht entgegen. Das Heraufsetzen sowohl des einfachen als auch eines gesetzlichen qualifizierten Mehrheitserfordernisses auf eine qualifizierte Mehrheit bis hin zur Einstimmigkeit ist zulässig.51 45

Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, 9. Aufl. 2019, § 15 GmbHG Rn. 97; Reichert/ Weller, in: MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 15 GmbHG Rn. 393. 46 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 19. Aufl. 2016, § 15 GmbHG Rn. 68 ff.; Reichert/Weller, in: MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 15 GmbHG Rn. 423. 47 Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, 9. Aufl. 2019, § 15 GmbHG Rn. 107 f. 48 Reichert/Weller, in: MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 15 GmbHG Rn. 393. 49 Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 19. Aufl. 2016, § 15 GmbHG Rn. 77 ff.; Rawert, ZGR 2018, 835, 845 ff. m.w.N. 50 Reichert/Weller, in: MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 15 GmbHG Rn. 358. 51 Drescher, in: MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rn. 50; Fischer/Schmidt, in: Beck’sches Handbuch der GmbH, 5. Aufl. 2014, Rn. 134.

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4. Kombination der Einschränkungen Im Ergebnis bewirkt die Konstruktion allerdings eine Selbstentmächtigung der aktuellen Gesellschafter. Die Fragestellung berührt grundsätzliche Fragen der Reichweite der Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht bis hin zur Aufgabe der Verbandsautonomie,52 denen hier nicht in allen Verästelungen nachgegangen werden kann. Vorgründig geht es in der hier zu diskutierenden Gestaltung zwar nicht um die Abwehr eines Außeneinflusses, sondern um die Machtposition eines Kontrollgesellschafters, der PurposeGmbH. Gesellschafter mit Sonderrechten lässt § 35 BGB ausdrücklich zu. Allerdings können sowohl ein solches Sonderrecht wie auch die Entscheidungen eines externen Nachfolgebeirats immer durch einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss aufgehoben werden.53 Dem liegt letztlich der numerus clausus der Rechtsformen zugrunde, wonach die durch das Gesetz vorgegebenen Mindestvoraussetzungen für die jeweilige Rechtsform einzuhalten sind.54 Die Frage, wann die Grenze der jeweiligen Rechtsform überschritten ist, bestimmt sich nach den jeweiligen zwingenden Regeln. Innerhalb des dispositiven Rechts sind abweichende Gestaltungen erlaubt.55 Welche zwingenden Grenzen das Verbandsrecht errichtet, ist eine Frage der Auslegung. Die Grenzen der Selbstbindung im Verbandsrecht werden insbesondere im Vergleich mit dem Stiftungsrecht deutlich. Nur die Rechtsform der Stiftung garantiert, dass das Vermögen dauerhaft in der Stiftung verbleibt, das Vermögen keinem Anteilseigner „gehört“ und die Auflösung nur unter engen Grenzen des § 87 BGB und mit staatlicher Genehmigung erfolgen kann. Im Verbandsrecht lassen sich dagegen die Verfassung, das Vermögen und der Bestand des Verbandes gegen den Willen jedenfalls des einstimmigen Mitgliederquorums nicht sichern. Es gehört zum Kern der Mitgliedschaft, dass diese Rechte nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.56 Entsprechende Gestaltungen in der Satzung wären auch deshalb nicht zulässig, weil ohne die Verantwortung der Mitglieder für die Verwaltung des Verbandes die fehlende Staatsaufsicht durch die Landesstiftungsbehörden nicht gerechtfertigt wäre.57 So kann die Verbandsverfassung vom Willen der ur52 Vgl. hierzu nur F. Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, 2004; Kuntz, Gestaltung von Gesellschaftsverträgen zwischen Freiheit und Zwang, 2016; Möslein, Dispositives Recht, 2011; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970. 53 Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, 9. Aufl. 2019, § 15 GmbHG Rn. 107 f. 54 BGHZ 32, 307, 310 = WM 1960, 764; BGHZ 142, 315, 319 = NJW 1999, 3483 zur GbR mit beschränkter Haftung; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 5 II 1b. 55 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 II 1b. 56 K. Schmidt, „Ersatzformen“ der Stiftung – Unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft, in: Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungen in Europa, 2001, 175, 181. 57 MünchKomm/Reuter, BGB, 5. Aufl. 2006, vor § 80, Rn. 110.

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sprünglichen Stifter-ähnlichen Gründer abweichende Entscheidungen der Gesellschafter zwar erschweren, aber bei 100%tiger Stimmquote nicht endgültig verhindern. Da eine solche Zustimmung in der hier zu diskutierenden Gestaltung einer Gesellschafterin übertragen wurde, in deren Satzung diese Kontrollefunktionen festgeschrieben sind, wird ein solches Quorum nicht erreicht werden. Abhängig ist das Unternehmen in Verantwortungseigentum damit sehr wohl von einem Dritten, nämlich den oder dem Anteilseigner der Purpose-GmbH, die allein eine Änderung ihrer eigenen Satzung in der Hand haben. Damit entsteht der Sache nach eine Selbstzweckstiftung ohne Stiftungsaufsicht.

IV. Fazit Zur Förderung von unternehmerisch ausgerichtetem sozialem Engagement ist die deutsche Rechtsordnung mit ihren flexibel einsetzbaren Rechtsformen durchaus vorbereitet. Vor allem das steuerliche Gemeinnützigkeitsrecht macht allerdings mit einer Vielzahl von Besonderheiten die praktische Rechtsanwendung durch wirtschaftlich agierende Unternehmen des Vierten Sektors kompliziert, so die Wettbewerbsklausel für Zweckbetriebe, die Abgrenzung zwischen erlaubter und nicht erlaubter wirtschaftlicher Betätigung im Rahmen des Grundsatzes der Ausschließlichkeit, die schwierige Kooperationen gemeinnütziger Organisationen bei der Gewerbesteuer, die Einschränkungen der Rücklagenbildung, die drastischen Sanktionen bei Verstößen gegen das Gemeinnützigkeitsrecht, die strenge steuerliche Haftung der Geschäftsleiter, die Gefahr der verdeckten Gewinnausschüttung bei Unternehmensspenden sowie das Fehlen einer Exitbesteuerung beim Ausstieg aus der Gemeinnützigkeit.58 Unter diesem Aspekt ist es zwar lohnenswert, dem Vorschlag von Momberger nachzugehen, der unter Rückgriff auf die ausländischen Vorbilder die Einführung einer Sozialgesellschaft als Sonderform der GmbH vorschlägt. Diese erhielte unabhängig von den Restriktionen des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts das Branding als Sozialunternehmen und könnte steuererleichtert Spenden empfangen und selbst an Dritte spenden.59 Die hier untersuchten Gestaltungen, um ein Wirtschaftsunternehmen unveräußerlich zu gestalten, sind allerdings kein geeigneter Weg und führen zu einer rechtlich unzulässigen Selbstentäußerung der Gesellschafter. Auch de lege ferenda ist 58 Ausführlich Weitemeyer, Nachhaltigkeitsförderung durch das Gemeinnützigkeitsrecht, in: Burgi/Möslein (Hrsg.), Zertifizierung nachhaltiger Kapitalgesellschaften – ‚Good Companies‘ im Schnittfeld von Markt und Staat, im Erscheinen. 59 Momberger, Social Entrepreneurship, 2015, S. 313 ff.; ders., Non Profit Law Yearbook 2016/2017, 113, 137 ff.

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eine solche Perpetuierung des Gesellschaftszwecks kritisch zu sehen. Schon bei Stiftungen wird auf die Gefahren der Stiftungsrechtsform als Unternehmensträgerin hingewiesen, die vor allem in der geringen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für die wirtschaftlichen Entwicklungen in der Zukunft und in der Schwierigkeit der Erhöhung der Kapitalbasis liegen. Auch diesem Problem muss sich ein Unternehmen in Verantwortungseigentum stellen. Fraglich ist aber vor allem, wie die notwendige Kontrolle des Managements in der Zukunft gesichert wird, weil das Unternehmen in Stifterhand genauso wie das in Verantwortungseigentum letztlich niemandem gehört. Über Stiftungen wacht immerhin noch die Stiftungsaufsicht, um dieses Kontrolldefizit aufzufangen.

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Die Teilungsversteigerung von Ehegattenimmobilien

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Die Teilungsversteigerung von Ehegattenimmobilien Marina Wellenhofer

Die Teilungsversteigerung von Ehegattenimmobilien MARINA WELLENHOFER

Mit dem Jubilar verbindet die Autorin zwar viel, die aktuellen Forschungsinteressen sind es indes nicht. Gleichwohl vermag auch die Familienrechtlerin, ihren Beitrag immerhin in der Nähe des Gesellschaftsrechts zu verankern. Gleich im Anschluss an die Normen der BGB-Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) trifft man nämlich auf deren kleine Schwester, die schlichte Rechtsgemeinschaft bzw. Bruchteilsgemeinschaft (§§ 741 ff. BGB). Auch dabei handelt es sich um einen rechtlichen Verbund von zwei oder mehr Personen. Der Zweck der Gemeinschaft reduziert sich jedoch auf die gemeinsame Inhaberschaft an einem Recht. Rechtsfragen wirft dabei einerseits die gemeinsame Verwaltung des gemeinschaftlichen Gegenstands auf, zum anderen die Auflösung der Gemeinschaft. Um letzteres soll es im nachfolgenden Beitrag gehen, der Klaus J. Hopt herzlich zum 80. Geburtstag gewidmet sei.

I. Einführung Mit der Auflösung der Bruchteilsgemeinschaft hat sich die Rechtsprechung in den letzten Jahren insbesondere im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung von Ehegattenimmobilien beschäftigt, denn gerade Ehegatten sind oft Miteigentümer der gemeinsam bewohnten Immobilie. Im Fall von Trennung oder Scheidung stellt sich dann die Frage, was mit Haus oder Wohnung geschehen soll. In Betracht kommen der gemeinsame Verkauf mit Teilung des Erlöses, die Übernahme der Immobilie durch einen Ehegatten gegen Auszahlung des anderen Teils, die Vermietung an einen Dritten oder auch die Alleinnutzung durch einen Ehegatten gegen entsprechende Nutzungsvergütung.1 Erzielen die Ehegatten darüber keine Einigkeit, wird der gesetzliche Aufhebungsanspruch aus § 749 I BGB relevant. Bei Grundstücken erfolgt die Aufhebung der Gemeinschaft, da eine Teilung in Natur (§ 752 BGB) regelmäßig ausgeschlossen ist, dann durch Zwangsversteigerung, § 753 I BGB. Dafür hat sich der Begriff der „Teilungsversteigerung“ durchgesetzt. Der Auseinandersetzungsanspruch kann auf diese 1

Zu möglichen Vereinbarungen Brambring FPR 2013, 289 ff.

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Weise mit Hilfe staatlichen Zwangs durchgesetzt werden. Das Verfahren ist in den §§ 180 ff. ZVG geregelt, der Antrag in § 15 ZVG. Problematisch ist die von einem Ehegatten gegen den Willen des anderen beantragte Teilungsversteigerung der Immobilie2, die bisweilen zum wahren „Kriegsschauplatz“3 werden kann. Der Antragsteller mag am schnellen Geld interessiert sein oder auch daran, die Immobilie selbst zu ersteigern. Der andere Ehegatte wiederum will die Immobilie vielleicht weiter nutzen oder auch selbst erwerben.

II. Der Auseinandersetzungsanspruch aus § 749 I BGB Nach § 749 I BGB kann jeder Teilhaber jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft verlangen. Der Umstand, dass der Aufhebungsanspruch an keine Einschränkungen geknüpft ist, belegt, dass das Interesse des Teilhabers an der raschen Aufhebung grundsätzlich Vorrang genießt vor dem Interesse der übrigen Teilhaber an der Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstands. Eine Regelung derart, dass die Aufhebung der Gemeinschaft zur Unzeit nicht verlangt werden kann – vgl. für die Gesellschaft § 723 II BGB – gibt es bei der Bruchteilsgemeinschaft gerade nicht.4 Anders als bei der Gesellschaft stehen somit die individualistischen Interessen im Vordergrund.5 Zwar können die Teilhaber den Aufhebungsanspruch durch Vereinbarung auf Zeit oder auch dauerhaft ausschließen. Der Ausschluss der Aufhebung kann sogar im Grundbuch eingetragen werden, vgl. § 1010 BGB. Gleichwohl kann die Aufhebung gem. § 749 II BGB auch in diesem Fall verlangt werden, sofern ein wichtiger Grund gegeben ist. Dazu zählt etwa die persönliche Unzumutbarkeit, weiterhin in dieser Teilhabergemeinschaft zu verbleiben, die auf der Verfeindung zwischen den Teilhabern beruhen mag.6 Abweichende Vereinbarungen lässt das Gesetz nicht zu, vgl. § 749 III BGB.7 Es ist unbestritten, dass der Aufhebungsanspruch aus § 749 I BGB auch in der Ehegattenbruchteilsgemeinschaft besteht.8 Als Ausgangspunkt kann daher gelten, dass ein Ehegatte, der sein Miteigentum durch Grundbuchauszug 2 Zu Problemen der Erlösverteilung BGH NJW 2008, 1807; BGH FamRZ 2014, 285; zu den Kosten der Teilungsversteigerung BGH NJW 2019, 1462; Schneider/Thiel NZFam 2018, 64. 3 Vgl. Grziwotz FamRZ 2002, 1669 (1676). 4 Klarstellend OLG München NJW-RR 1989, 715. 5 Vgl. Grziwotz FamRZ 2002, 1669 (1670). 6 Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 749 Rn. 6. 7 MüKoBGB/Schmidt, BGB, 7. Aufl. 2017, § 749 Rn. 11 f. 8 Vgl. schon RGZ 67, 396.

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nachweist, jederzeit die Teilungsversteigerung beantragen kann.9 Der Zustimmung des anderen Ehegatten bedarf es dazu an sich nicht. Zur Verfahrenseinleitung ist auch kein Vollstreckungstitel erforderlich, § 181 I ZVG. Die Frage ist indes, inwieweit diese Grundsätze durch das Familienrecht oder familienrechtliche Wertungen Einschränkungen erfahren. Insbesondere mag die eheliche Solidarität der Rechtsdurchsetzung Grenzen setzen.10 Daran anknüpfend mögen sich dann im Ernstfall für den anderen Ehegatten Möglichkeiten zur Verteidigung ergeben. Bevor auf die diesbezüglichen materiell-rechtlichen Einwendungen eingegangen wird, soll zunächst ein Blick auf die zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe geworfen werden.

III. Verteidigung mit Rechtsbehelfen nach dem ZVG 1. Einstweilige Einstellung des Verfahrens gem. § 180 II ZVG Nach § 180 II ZVG ist auf Antrag die einstweilige Einstellung des Versteigerungsverfahrens auf die Dauer von längstens sechs Monaten anzuordnen, wenn dies bei Abwägung der widerstreitenden Interessen der Miteigentümer angemessen erscheint. Der Antrag ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach der Anordnung zu stellen, § 30b I 2 ZVG. Die einmalige Wiederholung der Einstellung ist zulässig. Die Regelung soll verhindern, dass der wirtschaftlich stärkere Teilhaber unter Ausnutzung vorübergehender Umstände die Teilung zur Unzeit durchsetzt, um den schwächeren Teil zu ungünstigen Bedingungen aus dem Miteigentum zu drängen.11 Gründe für eine vorübergehende Einstellung des Verfahrens können etwa sein: eine absehbare Wertsteigerung der Immobilie12, ein baldiger Vermögenszuwachs, der es erlauben wird, die Immobilie selbst zu erwerben bzw. zu ersteigern13, oder ein anhängiger Streit über einen Rückforderungsanspruch von Schwiegereltern wegen immobilienbezogener Zuwendungen.14 Vorzubringen sind somit besondere Umstände, die sich in absehbarer Zeit ändern werden.15 Entscheidend ist dann die Interessenabwägung im Einzelfall.

9 BGH NJW 1977, 1234: OLG München NJW-RR 1989, 715; Wever FamRZ 2019, 504 (505); ders. FamRZ 2018, 649 (653); Kogel FamRZ 2017, 1830 (1831); Mast FamRB 2018, 5; Götz in Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl. 2015, § 209 FamFG Rn. 9. 10 Vgl. Brudermüller FamRZ 1996, 1516. 11 Vgl. BGH NJW 2007, 3430; Böttcher FPR 2012, 502 (504). 12 Hintzen in Dassler/Schiffhauer, ZVG, 15. Aufl. 2016, § 180 Rn. 87. 13 Riedel in Keller, Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 2013, Rn. 577. 14 Vgl. Weinreich FuR 2006, 403 (404). 15 Grziwotz FamRZ 2002, 1669 (1676).

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2. Einstellung nach § 180 III ZVG Speziell auf die Bedürfnisse von Miteigentümer-Ehegatten zugeschnitten ist die Regelung in § 180 III ZVG. Insoweit kann die einstweilige Einstellung des Verfahrens auf Antrag angeordnet werden, wenn dies zur Abwendung einer ernsthaften Gefährdung des Wohls eines gemeinschaftlichen Kindes erforderlich ist, § 180 III 1 ZVG. Auch für einen solchen Antrag gilt die Zweiwochenfrist. Die mehrfache Wiederholung der Einstellung ist zulässig, vgl. § 180 III 2 ZVG. Bei der Beurteilung, ob sich durch die Versteigerung der Ehewohnung die Lebensverhältnisse bzw. Entwicklungsbedingungen der gemeinschaftlichen16 Kinder tatsächlich nachhaltig verschlechtern würden, sind die Gerichte streng. Die üblichen Belastungen, die mit einem Umzug oder Schulwechsel verbunden sind, genügen nicht17, vielmehr müssen erschwerende Umstände hinzukommen. Das kann die ernsthafte Suizidgefahr eines Kindes betreffen, den Umstand, dass das Haus für ein behindertes Kind behindertengerecht ausgebaut wurde18, oder eine drohende ernstliche Kindeswohlgefährdung wegen befürchteten Kontaktabbruchs eines Kindes mit dem Elternteil, der die Versteigerung betreibt.19 Im Einzelfall kann auch ein Schulwechsel problematisch sein, wenn dem verlässlichen Verbleib des Kindes im bisherigen Klassenverband eine überragende Bedeutung zukommt, um seine schulischen Leistungen zu stabilisieren.20 Ferner kann ein schwebendes Sorgerechtsverfahren abzuwarten sein, um mehrfache Umzüge des Kindes zu verhindern.21 Die Einwendung des § 180 III BGB wird allerdings unmöglich, wenn inzwischen ein Dritter Miteigentümer ist und das Verfahren betreibt. Denkbar ist insofern, dass der teilungswillige Ehegatte seinen Anteil auf einen neuen Partner überträgt, welcher dann das Verfahren betreibt.22 3. Die Härteklausel des § 765a ZPO Nach § 765a I 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar 16

Keine analoge Anwendung auf Pflegekinder, vgl. BGH NJW 2007, 3430. Böttcher FPR 2012, 502 (504); Brudermüller FamRZ 1996, 1516 (1518). 18 Grziwotz FamRZ 2002, 1669 (1677). 19 LG Bremen FamRZ 2017, 1334. 20 LG Freiburg Rpfleger 2017, 170. 21 Uecker in Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch FamR, Stand Sept. 2019, Teil C Rn. 83. 22 Dazu OLG Schleswig NJW-RR 1995, 900, das in der Übertragung auf den neuen Partner ein nichtiges Umgehungsgeschäft sieht. 17

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ist. Das Gericht kann dann die in § 732 II ZPO bezeichneten Anordnungen erlassen. Der hierauf gerichtete Antrag ist an keine Fristen gebunden. Obwohl es sich bei der Teilungsversteigerung nicht um eine „Maßnahme der Zwangsvollstreckung“ handelt, ist die entsprechende Anwendbarkeit von § 765a ZPO auf die Teilungsversteigerung heute allgemein anerkannt.23 Die Anwendung von § 765a I ZPO ist allerdings auf seltene Härtefälle beschränkt, in denen die Versteigerung sonst zu untragbaren Ergebnissen führen würde.24 Ein Schutzbedürfnis des Antragstellers kann z.B. aufgrund ernster Gesundheits- oder Lebensgefahr25 bzw. Suizidgefahr26 bestehen oder wegen eines plötzlichen Todesfalls in der Familie.27 Anerkannt ist auch das Bedürfnis, einen Zuschlag bei krassem Missverhältnis zwischen Meistgebot und realistischem Grundstückswert zu verhindern.28 Viele Aspekte werden indes schon im Rahmen von § 180 II, III ZVG zu berücksichtigen sein, sodass für § 765a ZPO nur ein schmaler Anwendungsbereich verbleibt.29 4. Fazit Die Rechtsbehelfe des ZVG sind an knappe Fristen gebunden. Eine Einstellung kann nur auf relativ kurze Zeit erreicht werden. Soweit es allein um das Nutzungsinteresse des Ehegatten geht, also nicht auch um das von gemeinsamen Kindern, hilft § 180 III ZVG nicht weiter.30 § 765a ZVG wiederum erfasst nur seltene Ausnahmefälle. Daher fragt sich, ob verbleibende Schutzlücken mit Hilfe materiell-rechtlicher Einwendungen geschlossen werden können.

IV. Der Ausschluss der Auseinandersetzung aus materiell-rechtlichen Gründen Der richtige verfahrensrechtliche Rechtsbehelf für eine Verteidigung gegen die Teilungsversteigerung mithilfe von materiell-rechtlichen Einwen23 BGH NJW 2007, 3430; LG Frankfurt FamRZ 2008, 293; Nickel FPR 2013, 370 (372); Storz FPR 2013, 356 (358); Wever FamRZ 2012, 416 (418). 24 BGH NJW 2007, 3430; LG Frankfurt FamRZ 2008, 293; Hintzen in Dassler/ Schiffhauer (o. Fn. 12), § 180 Rn. 104; Nickel FPR 2013, 370 (372). 25 BGH MDR 2017, 238; Böttcher FPR 2012, 502 (505). 26 BVerfG NJW 2016, 3090; BGH NJW-RR 2017, 695; näher dazu Kaiser NJW 2011, 2412 ff. 27 Storz FPR 2013, 356 (358). 28 Storz FPR 2013, 356 (358); Hintzen in Dassler/Schiffhauer (o. Fn. 12), § 180 Rn. 104. 29 Weinreich FuR 2006, 403 (405); zum Schutz von Pflegekindern BGH NJW 2007, 3430. 30 Von einem Vorrang von § 180 III ZVG gegenüber § 1353 I BGB geht Uecker in Scholz/Kleffmann (o. Fn. 21), Teil C Rn. 80, aus; ähnl. Weinreich FuR 2006, 352.

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dungen ist die Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO.31 Damit kann erreicht werden, dass das Gericht die Teilungsversteigerung für unzulässig erklärt. Die Partei, die sich auf einen Ausschlussgrund beruft, muss dazu ein der Versteigerung entgegenstehendes materielles Recht geltend machen.32 Nicht zu solchen materiellen Rechten zählen nach einhelliger Meinung Zurückbehaltungsrechte im Zusammenhang mit Gegenansprüchen aus dem Ehegattenverhältnis, z.B. wegen Ansprüchen auf (künftigen) Zugewinnausgleich oder auf rückständigen Unterhalt. Insofern gilt der Grundsatz, dass die Auseinandersetzung nicht durch gemeinschaftsfremde Gegenrechte beeinträchtigt werden darf.33 1. Unwirksamkeit des Versteigerungsantrags gem. §§ 1365, 1366 IV BGB analog Eine denkbare materiell-rechtliche Einwendung gegen die Teilungsversteigerung kann § 1365 BGB liefern34, wenn eine danach notwendige Zustimmung des Ehegatten fehlt. Bereits 2007 entschied der BGH, dass die Beantragung der Teilungsversteigerung im gesetzlichen Güterstand nach §§ 1365 I, 1366 IV BGB der Zustimmung des anderen Ehegatten bedarf, sofern der betroffene Eigentumsanteil wirtschaftlich das gesamte Vermögen des Ehegatten darstellt.35 Ein Teilungsversteigerungsantrag sei zwar weder eine Verfügung über das Grundstück noch eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung dazu; die genannten Normen seien aber analog anzuwenden.36 Die Analogie wird damit begründet, dass der Gesetzgeber diesen Fall in § 181 II 2 ZVG übersehen habe.37 Zudem wird auf den Schutzzweck des § 1365 BGB verwiesen, der darin liege, die wirtschaftliche Grundlage der Familie vor einseitigen Maßnahmen eines Ehegatten zu schützen und zugleich den etwaigen künftigen Zugewinnausgleich abzusichern. Dieser Zweck wäre im Fall der Beantragung einer Teilungsversteigerung in gleicher Weise gefährdet.

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Zur Zuständigkeit des Familiengerichts im Fall von Ehegatten BGH NJW 2017,

2768. 32

BGH NJW 2017, 2768; OLG Jena NJW-RR 2019, 264. Vgl. BGH NZFam 2014, 284; BGH NJW 2017, 2544; MüKoBGB/Schmidt (o. Fn. 6), § 749 Rn. 16. 34 Vgl. OLG Köln MDR 2012, 1169; OLG Frankfurt NJW-RR 1997, 1274; LG Frankfurt FamRZ 2008, 293; Götsche FuR 2018, 503 (513). 35 BGH NJW 2007, 3124; OLG Köln NJW-RR 2005, 4 und MDR 2012, 1169; Erman/ Budziekiewicz, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1365 Rn. 17; abl. aber MüKoBGB/Koch, 8. Aufl. 2019, § 1365 Rn. 60. 36 Zustimmend: Cirullies FPR 2013, 352 (353); a.A. Gottwald FamRZ 2006, 1075 (1078). 37 Vgl. BGH NJW 2007, 3124. 33

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Im besonderen Fall, dass das Vermögen im Ganzen betroffen ist, d.h. laut Rechtsprechung mindestens 90% davon38, erweist sich die fehlende Zustimmung des anderen Ehegatten somit als Verfahrenshindernis für die Teilungsversteigerung. Allerdings bleibt dem Antragsteller die Möglichkeit, im Fall einer ordnungsgemäßen Verwaltung die Zustimmung des anderen Ehegatten durch das Familiengericht ersetzen zu lassen.39 Ob ein Geschäft, hier also die Teilungsversteigerung, einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht, ist einzelfallbezogen mit Blick auf die beiderseitigen Interessen der Ehegatten zu beurteilen. Maßgeblich ist zum einen, ob auch ein sorgfältiger Wirtschafter, der die richtig verstandenen Bedürfnisse der Familie und deren wirtschaftliche Interessen im Auge hat, das Rechtsgeschäft abschließen würde.40 Zum anderen ist aber auch zu berücksichtigen, warum der andere Ehegatte die Zustimmung verweigert. So mag die familienrechtliche Ersetzung der Genehmigung ausscheiden, wenn die Teilungsversteigerung den Ausgang eines streitigen Zugewinnausgleichsverfahrens beeinflussen würde.41 Im Einzelfall kann aber auch die gesamte familiäre Situation gegen die gerichtliche Genehmigung sprechen42, etwa mit Rücksicht auf die Situation von gemeinsamen Kindern.43 In zeitlicher Hinsicht greift die Einwendung von § 1365 BGB jedenfalls, solange die Ehe besteht bzw. die Scheidung nicht rechtskräftig ist.44 Man wird aber noch über die Scheidung hinausgehen müssen, solange über den Zugewinnausgleich noch nicht entschieden und die Teilungsversteigerung einen hierauf gerichteten Anspruch gefährden könnte.45 Ansonsten bleibt festzuhalten, dass § 1365 BGB kein Hindernis für Vollstreckungsmaßnahmen von dritter Seite bildet, etwa von Kreditgläubigern. Daher wird dem auseinandersetzungswilligen Ehegatten auch empfohlen, den Sicherungsfall bewusst in Absprache mit einem Gläubiger herbeizuführen, ohne dies offen zu legen.46 Später kann der hintergangene Ehegatte dann allenfalls noch Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB erheben.47

38

Z.B. BGH FamRZ 2015, 121. Dazu z.B. OLG Köln NJW-RR 2008, 8. 40 OLG Köln NJW-RR 2005, 4; BayObLG NJW-RR 1996, 962. 41 OLG Köln NJW-RR 2005, 4; Weinreich FuR 2006, 403; Cirullies FPR 2013, 352 (354). 42 Cirullies FPR 2013, 352 (353 f.). 43 Vgl. OLG Köln NJW-RR 2008, 8. 44 OLG Köln Rpfleger 1998, 168; Uecker FPR 2013, 367 (369); Brudermüller FamRZ 1996, 1516 (1519). 45 Erman/Budziekiewicz (o. Fn. 35), § 1365 Rn. 17a; Kogel FamRB 2018, 195 (200). 46 Zimmer/Pieper NJW 2007, 3104 (3106); Kogel FamRB 2018, 195 (200). 47 Vgl. Grziwotz FamRZ 2002, 1669 (1678). 39

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2. Unvereinbarkeit des Antrags mit der ehelichen Rücksichtnahmepflicht aus § 1353 I BGB a) Anwendbarkeit von § 1353 I 2 BGB Während die Rechtslage in Bezug auf § 1365 BGB noch recht eindeutig ist, wird es bei der Generalklausel des § 1353 BGB schon schwieriger. § 1353 I 2 BGB verpflichtet die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Dazu gehört zweifellos auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die vermögensbezogenen Interessen des anderen Ehegatten.48 Diese Pflichten aus § 1353 I BGB sind laut BGH echte Rechtspflichten.49 Demgemäß kann ein Ehegatte im Einzelfall verpflichtet sein, an einer wirtschaftlich effektiven Verwertung einer Immobilie mitzuwirken50, insbesondere der Löschung einer nicht mehr valutierenden Grundschuld zuzustimmen, um eine Teilungsversteigerung zu ermöglichen.51 Die Rücksichtnahmepflicht gilt indes für beide Seiten. Der versteigerungswillige Ehegatte hat in gleicher Weise auf die Interessen seines Ehegatten Rücksicht zu nehmen, etwa auf dessen Nutzungsinteresse an der Immobilie. Tatsächlich ist die Frage, wie die beiderseitigen Rücksichtnahmepflichten aus § 1353 I 2 BGB zum Ausgleich zu bringen sind, wenn ein Ehegatte den Auseinandersetzungsanspruch aus § 749 BGB geltend macht, noch nicht hinreichend geklärt. Die Meinungen dazu sind vielfältig. Zum Teil wird behauptet, dass § 749 I BGB die vorrangige Regelung sei, sodass sich allenfalls aus § 1365 BGB Einschränkungen ergeben könnten52; schließlich verwaltet jeder Ehegatte sein Vermögen ansonsten auch selbstständig, § 1364 BGB. Dem steht die Ansicht gegenüber, dass für eine Teilungsversteigerung grundsätzlich die Zustimmung des Ehegatten erforderlich sei.53 Die h.M. hingegen nimmt eine Mittelposition ein. Danach steht § 1353 I 2 BGB der Geltendmachung des Auseinandersetzungsanspruchs zwar nicht per se im Wege54; grundsätzlich soll die Norm aber eine Schranke der Rechtsausübung bilden können. Demgemäß sei einzelfallbezogen zu klären, ob der Antrag

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Z.B. zum Steuerrecht: BGH FamRZ 2011, 210; NJW 2010, 1879; bez. der Ehewohnung: BGH NJW 1962, 1244; AG Schöneberg FamRZ 2018, 677. 49 BGH NJW 1962, 1244. 50 AG Wetzlar FamRZ 2002, 1500; Weinreich FuR 2006, 352 (355) und 403 (405 f.). 51 OLG Karlsruhe FamRZ 2018, 252; OLG Oldenburg FamRZ 2012, 1567; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.4.2016 – 15 UF 84/15 mit Anm. Kogel FamRB 2016, 293. 52 So wohl Weinreich FuR 2006, 403 (406). 53 Staudinger/Eickelberg, BGB, Bearb. 2015, § 749 Rn. 69; Erman/Kroll-Ludwigs, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1353 Rn. 21; Erbarth NZFam 2018, 34 (36). 54 BGH FamRZ 1972, 363; OLG Jena NJW-RR 2019, 264; MüKoBGB/Schmidt (o. Fn. 6), § 749 Rn. 15; Uecker in Scholz/Kleffmann (o Fn. 21), Teil C Rn. 80; Uecker FPR 2013, 367 (369).

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auf Teilungsversteigerung mit § 1353 I 2 BGB vereinbar ist.55 Es ist somit eine Interessenabwägung vorzunehmen.56 Insbesondere soll aus § 1353 I 2 BGB eine Pflicht folgen, eine Teilungsversteigerung nicht zur Unzeit zu beantragen.57 Der h.M. ist zu folgen. § 1353 I BGB gilt grundsätzlich für sämtliche Lebensbereiche und Ansprüche der Ehegatten.58 Anders liegt es nur, wenn ein Teilbereich gänzlich von einem anderen Normbereich überlagert wird, etwa ein Arbeitsverhältnis zwischen Ehegatten vom Arbeitsrecht. Im Übrigen ist mit der Anwendung von § 1353 I BGB noch kein Ergebnis vorgegeben. Entscheidend bleibt die Abwägung im Einzelfall. Folgt man dem, kann somit auch der Einwand des § 1353 I 2 BGB im Wege der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO geltend gemacht werden bzw. der Verstoß gegen die eheliche Rücksichtnahmepflicht ein die Versteigerung hinderndes Recht i.S.v. § 37 Nr. 5 ZVG sein.59 b) Zeitlicher Anwendungsbereich von § 1353 I 2 BGB Was den zeitlichen Anwendungsbereich von § 1353 I 2 BGB angeht, ist unzweifelhaft, dass die Norm Rücksichtnahmepflichten erzeugt, solange die Ehegatten in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammenleben. In dieser Zeitphase kommt es jedoch kaum zu Teilungsversteigerungen. Virulent wird die Situation erst nach Trennung oder Scheidung der Ehegatten. Während der Trennungsphase sind die Ehegatten jedenfalls noch „Ehegatten“ im rechtlichen Sinne und stehen weiterhin unter dem Schutz von Art. 6 I GG. Auch darf die Möglichkeit einer Wiederversöhnung (vgl. § 1567 II BGB) nicht außer Acht gelassen werden. Demgemäß werden Rücksichtnahmepflichten grundsätzlich auch während des Getrenntlebens bejaht. Nach § 1353 II BGB ist ein Ehegatte zwar nicht (mehr) verpflichtet, dem Verlangen nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, sobald die Ehe gescheitert ist. Das Einfordern von bloßen Rücksichtnahmepflichten fällt aber nicht darunter. Der Umstand, dass sich Rücksichtnahmepflichten nach längerem Getrenntleben lockern können, kann bei der Einzelfallabwägung berücksichtigt werden.

55 Vgl. OLG Jena NJW-RR 2019, 264; AG Hannover FamRZ 2003, 938; Staudinger/ Coester, BGB, Bearb. 2018, § 1353 Rn. 89; MüKoBGB/Roth, 8. Aufl. 2019, § 1353 Rn. 36; Erbarth NZFam 2018, 34 (36). 56 BGH FamRZ 1972, 363; OLG Jena NJW-RR 2019, 264; MüKoBGB/Koch (o. Fn. 35), § 1365 Rn. 60; Uecker in Scholz/Kleffmann (o. Fn. 21), Teil C Rn. 80; Wever FamRZ 2019, 504 (505). 57 Uecker FPR 2013, 367 (369); Nickel FPR 2013, 370 (371); Weinreich FuR 2006, 403 (406); Brudermüller FamRZ 1996, 1516 (1521). 58 S. z.B. BGH NJW 1988, 1208 für Geltendmachung von Schadensersatzanspruch. 59 Uecker in Scholz/Kleffmann (o. Fn. 21), Teil C Rn. 80.

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Nach der Scheidung hingegen bedarf es eines größeren Begründungsaufwands, um aus § 1353 I 2 BGB noch Rücksichtnahmepflichten abzuleiten.60 Nun fehlt es am Tatbestandsmerkmal der „Ehegatten“. Ehebezogene Rechte und Pflichten bestehen an sich nur noch im gesetzlich geregelten Umfang. Das betrifft etwa Unterhaltspflichten, §§ 1569 ff. BGB. Allerdings kennt das Gesetz in Bezug auf die Ehewohnung ebenfalls Rechte und Pflichten, die über die Ehezeit hinauswirken können. Nach § 1568 I BGB kann ein Ehegatte verlangen, dass ihm der andere Ehegatte anlässlich der Scheidung die Ehewohnung überlässt, wenn er auf deren Nutzung unter Berücksichtigung des Wohls der im Haushalt lebenden Kinder und der Lebensverhältnisse der Ehegatten in stärkerem Maße angewiesen ist als der andere Ehegatte oder die Überlassung aus anderen Gründen der Billigkeit entspricht. Das knüpft an die für die Trennungszeit geltende Norm des § 1361b an. Nach § 1361b I 1 BGB kann ein Ehegatte bei Getrenntleben verlangen, dass ihm die Ehewohnung zur Alleinnutzung zugewiesen wird, wenn dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Die §§ 1361b, 1568a BGB, die auch den Fall erfassen, dass die Ehewohnung im Miteigentum der Ehegatten steht, bringen zum Ausdruck, dass das Nutzungsinteresse des in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten unter bestimmten Umständen schutzwürdig ist und dieses Schutzbedürfnis der Rechtsmacht des (Mit-)Eigentümer-Ehegatten Grenzen setzen kann. Hinsichtlich des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB hat der BGH61 dies bereits konkret festgestellt. In einem Fall, in dem der getrenntlebende Ehemann in Bezug auf die Ehewohnung als deren Eigentümer den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB gegen seine dort noch wohnende Ehefrau geltend machte, wurde ausgeführt, dass der allgemeine sachenrechtliche Herausgabeanspruch durch die Spezialregelung in § 1361b BGB verdrängt sei. Von einer „Ehewohnung“ im Sinne des Gesetzes sei grundsätzlich noch bis zur Scheidung auszugehen; das zeige nicht zuletzt der Regelungsgehalt von § 1568a BGB. Vor allem aber würde „der gegenständliche Schutz von Ehe und Familie“ diese Sichtweise erfordern. Hintergrund sei schließlich, dass die Ehewohnung vereinbarungsgemäß einer Familie als Lebensmittelpunkt gedient habe und der Eigentümer „sogar über die Scheidung hinaus dem anderen Ehegatten und insbesondere seinen Kindern zur Rücksichtnahme verpflichtet“ sei. Darin liege eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums des Ehegatten. Diese Interpretation der Rücksichtnahmepflichten kann unschwer auf den Fall der Teilungsversteigerung bzw. auf die Inhaltsbestimmung der 60

Abl. etwa OLG Schleswig, Beschl. v. 20.4.2016 – 15 UF 84/15 mit Anm. Kogel FamRB 2016, 293; grundsätzlich befürwortend aber Brudermüller FamRZ 1996, 1516 (1522). 61 BGH NJW 2017, 260.

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diesbezüglichen Rücksichtnahmepflichten gem. § 1353 I 2 BGB übertragen werden. Tatsächlich hat der BGH bereits in einer Entscheidung von 1962, die eine Teilungsversteigerung betraf, maßgeblich darauf abgestellt, ob die Durchsetzung des Auseinandersetzungsanspruchs dazu führen würde, dass der rechtlich geschützte räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe des Ehegatten-Schuldners beeinträchtigt würde.62 Insoweit müsse dann einzelfallbezogen das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung des Anspruchs gegen das Interesse des Schuldners am Schutz des gegenständlichen Bereichs der Ehe abgewogen werden.63 Das Pflichtenprogramm des § 1353 I 2 BGB strahlt somit immerhin in dem Umfang über die Scheidung hinaus, als es der Schutz des räumlichgegenständlichen Bereichs der Ehe bzw. die familiären Nutzungsinteressen erfordern. Der Aufhebungsanspruch aus § 749 I BGB ist zwar nicht durch die §§ 1361b, 1568a BGB verdrängt; denn insoweit fehlt es dort an einer Spezialregelung zur Auseinandersetzung von Miteigentum an der Ehewohnung.64 Der Geltendmachung des Anspruchs kann jedoch, solange es sich um eine Ehewohnung handelt, über § 1353 I 2 BGB ein schutzwürdiges Nutzungsinteresse des anderen Ehegatten entgegengehalten werden.65 Erst wenn die Scheidung rechtskräftig und der Nutzungskonflikt um die Ehewohnung endgültig entschieden ist, wird der Regelungsbereich des Familienrechts verlassen, sodass die allgemeinen schuldrechtlichen Normen wieder ohne Einschränkung zur Anwendung kommen.66 Noch weiter ging zuletzt allerdings das OLG Hamburg.67 Aus der genannten BGH-Entscheidung zu § 985 BGB zog es den Schluss, dass eine generelle Sperrwirkung auch für die Teilungsversteigerung bestehen müsse, solange die streitgegenständliche Immobilie eine Ehewohnung i.S.d. §§ 1361b, 1568a BGB sei.68 Insbesondere sei die Teilungsversteigerung unter Berücksichtigung des Schutzzweckes der §§ 1361b BGB, 200 ff. FamFG dem Herausgabeverlangen bzw. einer Veräußerung vergleichbar. Diese Argumentation überzeugt indes nicht. Für das konkrete Begehren nach einer Teilungsversteigerung enthalten die §§ 1361b, 1568a BGB keine vorrangige Regelung. Es entspricht auch ganz h.M., dass diese Normen keine Grundlage für die gerichtliche Anordnung eines Veräußerungsverbot liefern.69 Ob die 62

BGH NJW 1962, 1244; ähnl. Staudinger/Eickelberg (o. Fn. 53), § 749 Rn. 69. BGH NJW 1962, 1244; Soergel/Hadding, 13. Aufl. 2012, § 749 Rn. 8; Erman/Westermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 749 Rn. 4. 64 Ein Vorrang ergibt sich allein für die Vergütungsregelung in § 1361b III 2 BGB gegenüber § 745 II BGB, vgl. BGH NJW 2017, 2544. 65 In diesem Sinne wohl auch Staudinger/Eickelberg (o. Fn. 53), § 749 Rn. 70. 66 Vgl. BGH NJW 2017, 2544 zu § 745 II BGB. 67 OLG Hamburg FamRZ 2017, 1829. 68 Dagegen zu Recht: Wever FamRZ 2018, 649 (653 f.); Götsche FuR 2018, 503 (513). 69 Vgl. z.B. Wever FamRZ 2019, 504 (506); Götz in Johannsen/Henrich (o. Fn. 9), § 209 FamFG Rn. 8. 63

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einschlägigen Wertungen (v.a. schutzwürdige Nutzungsinteressen) im Einzelfall einer Teilungsversteigerung entgegen stehen, muss einzelfallbezogen entschieden werden. Tatsächlich waren solche Nutzungsinteressen im Fall des OLG Hamburg auch gar nicht ersichtlich. Es ging allein um das Interesse der Ehefrau an einem wirtschaftlich günstigeren freihändigen Verkauf. c) Die Interessenabwägung im Einzelfall Zu klären bleibt, nach welchen Kriterien die Interessenabwägung im Einzelfall zu erfolgen hat. Wie bereits ausgeführt wurde, spielt der zeitliche Faktor eine wichtige Rolle. Leben die Ehegatten erst seit Kurzem getrennt, wird noch von verstärkten Rücksichtnahmepflichten auszugehen sein. Nach längerer Trennungszeit hingegen werden diese Pflichten in ihrer Intensität nachlassen.70 Nach der Scheidung wiederum wird man sich nur noch mit erheblichen Gründen gegen eine Teilgungsversteigerung wehren können.71 Abgesehen davon kann ein langes Zusammenleben der Ehegatten – ähnlich wie im Unterhaltsrecht – insgesamt höhere Rücksichtnahmepflichten erzeugen.72 Auf Seiten des Versteigerungswilligen fällt sein gesetzlicher Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft maßgeblich ins Gewicht. Das korrespondiert mit dem Recht des Eigentümers, mit seiner Sache grundsätzlich nach Belieben zu verfahren, § 903 S. 1 BGB. Der Schutz dieser Interessen muss indes zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass primär ehefeindliche Absichten verfolgt werden73 oder die Androhung der Versteigerung als Druckmittel verwendet wird, um ein bestimmtes Verhalten des anderen Ehegatten zu erreichen.74 Insofern sind auch die Beweggründe für die Versteigerung beachtlich.75 Das dürfte aber eher selten eine Rolle spielen. Im Vordergrund wird häufig das Nutzungsinteresse des anderen Ehegatten und der gemeinsamen Kinder an der Ehewohnung stehen. Insoweit ist zu berücksichtigen, ob auch anderer Wohnraum vorhanden bzw. erlangbar sowie zumutbar ist.76 Ggf. ist der Ehegatte aus finanziellen Gründen auf die weitere Nutzung der Ehewohnung abgewiesen.77 In gleicher Weise können gesundheitliche Gründe ein Rolle spielen.78 Soweit die Abwägung im Einzelfall ergibt, dass hierauf gegründete Nutzungsinteressen gegenüber dem 70 OLG Hamburg FamRZ 2017, 1829 m. insoweit zustim. Anm. Kogel; OLG Jena NJW-RR 2019, 264; Wever FamRZ 2019, 504 (505). 71 Uecker in Scholz/Kleffmann (o. Fn. 21), Teil C Rn. 80. 72 Wohl auch OLG Jena NJW-RR 2019, 264. 73 OLG Jena NJW-RR 2019, 264. 74 Vgl. BGH NJW 1962, 1244. 75 Wever FamRZ 2019, 504 (505). 76 Wever FamRZ 2019, 504 (505); OLG Jena NJW-RR 2019, 264. 77 OLG Jena NJW-RR 2019, 264. 78 OLG Jena NJW-RR 2019, 264.

Die Teilungsversteigerung von Ehegattenimmobilien

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Versteigerungsinteresse den Vorzug verdienen und ihre Durchsetzung im Fall einer Versteigerung vereitelt würde, so fordert die Rücksichtnahmepflicht aus § 1353 I 2 BGB, vom Antrag auf Versteigerung abzusehen. Im Fall einer bevorstehenden bzw. bereits anhängigen Ehewohnungssache kann die Rücksichtnahmepflicht des § 1353 I 2 BGB daher gebieten, zunächst die diesbezügliche gerichtliche Entscheidung abzuwarten.79 Andererseits werden diesbezügliche Aspekte irrelevant, sobald beide Ehegatten jegliches Nutzungsinteresse an der Ehewohnung verloren haben bzw. von einer Entwidmung der Ehewohnung gesprochen werden kann.80 In Bezug auf die Schutzwürdigkeit des anderen Ehegatten bleibt dabei noch zu beachten, dass dieser einen nicht unerheblichen Schutz auch dadurch erlangen kann, dass er ein Mietverhältnis i.S.v. § 1568a V BGB durchsetzt; denn bei der Teilungsversteigerung gem. § 183 ZVG ist das Sonderkündigungsrecht des Erstehers (§ 57a ZVG) ausgeschlossen.81 Außerdem wird nach h.M. die Begründung eines Mietverhältnisses erst nach Einleitung der Versteigerung nicht von § 23 ZVG erfasst82 mit der Folge, dass der Mietvertrag wirksam ist und bleibt und § 566 BGB in jedem Fall auch gegenüber dem Rechtsnachfolger Wirkung entfaltet. Zugleich wird unter diesen Vorgaben das Interesse eines Dritten, die Immobilie der Ehegatten zu ersteigern, nicht allzu groß sein.83 Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen kann nicht zuletzt eine Rolle spielen, welche Umstände dazu geführt hatten, dass einst Miteigentum begründet wurde.84 War die Finanzierung ganz überwiegend durch denjenigen Ehegatten erfolgt, gegen den sich nun der Versteigerungsantrag richtet, so werden seine Interessen umso schwerer wiegen. Ggf. mag ihm – im Fall von Gütertrennung85 – sogar ein Herausgabe- bzw. Rückübereignungsanspruch aus §§ 313 I, 346 I BGB zustehen, weil mit Trennung und Scheidung die Geschäftsgrundlage für die damalige unbenannte Zuwendung entfallen ist. Hier wäre der Versteigerungsantrag regelmäßig mit Treu und Glauben unvereinbar, wenn der Antragsteller zur Rückübertragung verpflichtet ist. 3. Der Rechtsmissbrauchseinwand aus § 242 BGB Damit ist schließlich noch die Frage aufgeworfen, ob dem Aufhebungsanspruch des Teilhabers auch der Rechtsmissbrauchseinwand des § 242 BGB 79 80 81 82 83 84 85

Ähnl. Erbarth NZFam 2018, 34. OLG Jena NJW-RR 2019, 264; Erbarth NZFam 2018, 34 (36). Götz in Johannsen/Henrich (o. Fn. 9), § 1568a BGB Rn. 13. Uecker FPR 2013, 367 (368) m.w.Nw. Nickel FPR 2013, 370 (371). Vgl. BGH NJW 1962, 1244, dort auf Druck der Siedlungsgesellschaft. Ggf. sogar im gesetzlichen Güterstand, vgl. BGH NJW 1977, 1234.

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entgegengehalten werden kann. Die h.M. bejaht dies86, denn die Anwendung von § 242 BGB ist grundsätzlich „in keinem Rechtsbereich ausgeschlossen“.87 Die üblichen Risiken, die mit einer Teilungsversteigerung einhergehen, können zwar nicht genügen, um den Rechtsmissbrauchseinwand zu erheben.88 Vielmehr kann § 242 BGB nur dazu beitragen, ein schlechthin unzumutbares Ergebnis zu verhindern.89 Treuwidrig wäre etwa das Betreiben der Teilungsversteigerung in reiner Schädigungsabsicht ohne erkennbaren wirtschaftlichen Vorteil für den Antragsteller.90 Bei Ehegatten stellt sich dabei die Frage nach dem Verhältnis von § 1353 I 2 BGB und § 242 BGB. Aktualität hat diese Frage infolge der bereits genannten Entscheidung des OLG Hamburg erlangt.91 Das Gericht hielt die von einem Ehegatten beantragte Teilungsversteigerung zwar für vereinbar mit der ehelichen Rücksichtnahmepflicht aus § 1353 I 2 BGB, jedoch für unvereinbar mit Treu und Glauben.92 Indes wurde gar nicht mit einer klassischen Fallgruppe des § 242 BGB argumentiert, wie etwa mit dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens, sondern allein damit, dass eine Sperrwirkung für die Teilungsversteigerung gegeben sei, solange die streitgegenständliche Immobilie eine Ehewohnung i.S.d. §§ 1361b, 1568a BGB sei.93 Eben dieser Aspekt ist aus den genannten Gründen jedoch bereits bei Bestimmung der Rücksichtnahmepflicht aus § 1353 I 2 BGB zu berücksichtigen. Zugleich ist h.M., dass § 1353 I 2 BGB für Ehegatten die speziellere Norm ist und § 242 BGB insoweit verdrängt wird.94 Deshalb wird § 242 BGB zwischen ehemaligen Ehegatten allenfalls noch eine Rolle spielen, wenn die Scheidung schon Jahre zurückliegt.

V. Ergebnis An der Schnittstelle von Schuldrecht und Familienrecht kommt es zwar immer wieder zu Überlappungen und Verwerfungen. Die den beiden Rechtsbereichen zugrunde liegenden Wertungen lassen sich jedoch, soweit es um den Aufhebungsanspruch aus § 749 I BGB geht, im Rahmen einer In-

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Z.B. MüKoBGB/Schmidt (o. Fn. 6), § 749 Rn. 14; Nickel FPR 2013, 370 (373). BGH NJW 1977, 1234; OLG München NJW-RR 1989, 715. 88 OLG Karlsruhe FamRZ 2018, 252. 89 BGH NJW 1977, 1234. 90 MüKoBGB/Schmidt (o. Fn. 6), § 749 Rn. 14; Grziwotz FamRZ 2002, 1669 (1678). 91 OLG Hamburg FamRZ 2017, 1829. 92 Zu Recht abl. Kogel FamRZ 2017, 1830 (1831). 93 Dagegen: Wever FamRZ 2018, 649 (653 f.); Götsche FuR 2018, 503 (513); Engels Rpfleger 2017, 727. 94 OLG Jena NJW-RR 2019, 264; Kogel FamRB 2018, 195 (200); ders. NZFam 2018, 788 (791). 87

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teressenabwägung auf Grundlage von § 1353 I 2 BGB weitgehend miteinander harmonisieren. Im Übrigen kann Ehegatten nur empfohlen werden, die Aufhebung der Gemeinschaft durch Teilungsversteigerung vertraglich auszuschließen, vgl. § 749 II BGB95, etwa im Rahmen einer Scheidungsvereinbarung. Eine solche Vereinbarung bedarf auch nicht nach § 311b BGB der notariellen Beurkundung.96 Der Ausschluss kann allerdings im Grundbuch eingetragen werden, womit er beim Antrag gem. § 28 ZVG von Amts wegen berücksichtigt wird. Damit wird zwar, wie § 749 III BGB zeigt, kein vollständiger Schutz gewährleistet; die Chancen für eine erfolgreiche Verteidigung stehen jedoch deutlich besser.

95

So etwa geschehen im Fall von OLG Brandenburg, Urt. v. 25.1.2007, 9 U 4/05. Staudinger/Eickelberg (o. Fn. 53), § 749 Rn. 60; Kretzschmar in Göppinger/RaketeDombek, Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung, 11. Aufl. 2018, Teil 7 Rn. 13. 96

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neue rechte Seite!

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Eine neue Fallgruppe des § 313 BGB am Beispiel des Brexit

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Eine neue Fallgruppe des § 313 BGB am Beispiel des Brexit Marc-Philippe Weller und Lucienne Schlürmann

Wegfall der rechtlichen Geschäftsgrundlage – Eine neue Fallgruppe des § 313 BGB am Beispiel des Brexit MARC-PHILIPPE WELLER

UND

LUCIENNE SCHLÜRMANN*

I. Einführung Zum 31.1.2020 verlässt Großbritannien die EU. Das ausgehandelte Austrittsabkommen (Brexit-ÜK)1 sieht eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2020 vor, innerhalb derer das europäische Recht für das Vereinigte Königreich die gleichen Rechtswirkungen hat wie für die verbleibenden Mitglieder der Union (Art. 126 u. Art. 127 Abs. 1 und 3 Brexit-ÜK).2 Dass sich die Unterhändler der EU und Großbritanniens binnen eines Jahres auf ein Modell für die zukünftige Zusammenarbeit einigen werden, scheint nach den Erfahrungen der letzten Jahre eher unwahrscheinlich. Die wirtschaftlichen Beziehungen beider Partner stehen daher ab dem 1.1.2021 auf unsicherer Grundlage. Seit Beginn des Brexit-Debakels wurde bereits an verschiedener Stelle diskutiert, wie sich der Austritt des Vereinigten Königreichs auf das Privatrecht auswirkt.3 In England erging, in Deutschland weitgehend vernachlässigt, ein * Der Beitrag ist Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Hopt in herzlicher Verbundenheit zum 80. Geburtstag gewidmet, der bereits die Auswirkungen des Brexit auf das Unternehmensrecht beleuchtet hat, vgl. Hopt et al., European Company Law Experts (ECLE): The consequences of Brexit for companies and company law, Rivista delle Società 62 (2017), 455–499. 1 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft v. 18.10.2019, EU-Dok. Nr. XT 21054/19. 2 Ausnahmen davon betreffen in erster Linie das Wahlrecht zum Europäischen Parlament und die Kommunalwahlen und Rechtsakte, die zuvor schon für das UK nicht bindend waren, vgl. Art. 127 Abs. 1 lit. a und b. Brexit-ÜK. 3 Weller/Thomale/Benz, Englische Gesellschaften in der Post-Brexit-EU, NJW 2016, 2378 ff.; Weller/Thomale/Zwirlein, Brexit: Statutenwechsel und Acquis communautaire, ZEuP 2018, 892 ff.; vgl. ferner Geyer/Ullmann, Ertragsteuerliche Auswirkungen des Brexits auf britische Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland, DStR 2019, 305 ff.; Grzeszick/Verse, Auswirkungen eines harten Brexit auf britische Gesellschaften in Deutschland – der Gesetzgeber ist gefordert!, NZG 2019, 1129 ff.; Lehmann/Schürger, Brexit-Steuerbegleitgesetz und Brexit-Übergangsgesetz – Sicherheit trotz Unsicherheit?, BKR 2019, 365 ff.; Lehmann/Zetsche, Die Auswirkungen des Brexit auf das Zivil- und Wirtschaftsrecht, JZ 2017, 62 ff.; Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.), Brexit und die juristischen

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Urteil des High Court of England and Wales, das sich mit den Konsequenzen des Brexit auf Dauerschuldverträge (in casu eine Gewerberaummiete) auseinandersetzt.4 Diesen Fall möchten wir zum Anlass nehmen, die Problematik des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB einer genaueren Analyse zu unterziehen, wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingen eines Dauerschuldverhältnisses ändern.5 Von einem Wegfall der rechtlichen Geschäftsgrundlage lässt sich hier insofern sprechen, als mit dem Brexit die Privilegierungen des europäischen Binnenmarktes in Form der Grundfreiheiten und der Personenfreizügigkeit vollständig entfallen.6 Ausweislich der politischen Absichtserklärungen der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs7 ist lediglich eine Kooperation auf Grundlage eines Freihandelsabkommens (free trade agreement) vorgesehen.8

II. Der Brexit als Wegfall der Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 BGB? 1. Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency Haben sich die Umstände, unter denen zwei Parteien sich auf einen Vertrag geeinigt hatten, wesentlich verändert, kommt zugunsten der hierdurch Folgen, 1. Aufl. 2017; Schiek/Uddin, „Brexit“ und das Arbeitsrecht – für deutsche Unternehmen und Beschäftigte, NZA 2019, 345 ff. 4 Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch). 5 Siehe zu § 313 BGB bereits Ridder/Weller, Unforeseen Circumstances, Impossibility and Force Majeure, European Review of Private Law, 2014, S. 371 ff. 6 Eine Ausnahme gilt nach dem Brexit-ÜK für die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgers und britischen Staatsbürgern (und ihren Familienangehörigen), die vor dem Ablauf der Übergangsfrist bereits von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch gemacht haben, vgl. Art. 10, Art. 15, Art. 39 Brexit-ÜK; näher Schiek/Uddin, NZA 2019, 345, 349. 7 Revised Political Declaration setting out the framework for the future relationship between the European Union and the United Kingdom as agreed at negotiators’ level on 17 October 2019, TF50 (2019) 65-Commission to EU 27, veröffentlicht auf den Websites der EU-Task Force für die Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich gemäß Artikel 50 EUV (https://ec.europa.eu/commission/brexitnegotiations/negotiating-documents-article-50-negotiations-united-kingdom_en; letzter Abruf 21.11.2019) und der britischen Regierung (https://www.gov.uk/government/publi cations/new-withdrawal-agreement-and-political-declaration, letzter Abruf 21.11.2019). 8 S. Die Erklärung o. Fn. 7, S. 6, Rn. 17: „(…) the Parties agree to develop an ambitious, wide-ranging and balanced economic partnership. This partnership will be comprehensive, encompassing a Free Trade Agreement, (…).“ und Rn. 19: „The Parties envisage having an ambitious trading relationship on goods on the basis of a Free Trade Agreement, with a view to facilitating the ease of legitimate trade.“ Ausführlich zu verschiedenen möglichen Kooperationsmodellen nach Ablauf der Übergangsfrist, Sonnentag, Die Konsequenzen des Brexits für das Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2017, S. 3 ff.

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benachteiligten Partei eine Anwendung des § 313 BGB in Betracht, um eine Anpassung des Vertrages oder ein Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht zu erwirken.9 So berief sich die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) im August 2017 als Mieterin geräumiger Büroflächen an ihrem – inzwischen ehemaligen10 – Hauptsitz London vor dem Hintergrund des Brexit gegenüber ihrem Vermieter, der Canary Wharf-Gruppe, auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ihres Mietvertrages. Der Vertrag war im Oktober 2014 für eine Dauer von 25 Jahren geschlossen worden. Das englische Recht kennt mit der frustration doctrine11 eine dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ähnliche – wenngleich dogmatisch nicht auf der Schuldebene (vertragliche Primärpflichten) sondern erst auf der Haftungsebene (Ausschluss des Schadensersatzes) ansetzende12 – Rechtsfigur. Der EMA zufolge verlöre sie aufgrund der durch den Brexit hervorgerufenen Rechtsänderungen im Vereinigten Königreich ihre Rechts- und Geschäftsfähigkeit auf britischem Territorium, wodurch die Erfüllung des Mietvertrags rechtswidrig werde und ihr (und im Übrigen jeder anderen europäischen Einrichtung) eine legale Nutzung der Geschäftsräume nicht mehr möglich sei. Darüber hinaus sei ihr eine doppelte Mietzinsverpflichtung für die Büroräume in London und Amsterdam, dem neuen Standort, nicht zumutbar.13 2. Problematik bei Dauerschuldverträgen Wenngleich der Canary Wharf-Fall nach Art. 3 Abs. 1 bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO dem englischen Vertragsrecht unterfällt und zudem einige interessante europarechtliche Sonderfragen betrifft, die hier nicht im Ein-

9 Zu den Rechtsfolgen des § 313 BGB im Einzelnen Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/ 1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 133 ff. 10 Bereits am 20.11.2017 hatte der Rat der EU die Verlegung der Sitze der zwei in Großbritannien ansässigen Behörden der EMA sowie der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) nach Amsterdam bzw. nach Paris beschlossen vgl. die Pressemitteilungen unter https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/gac-art50/2017/11/20/ (letzter Abruf 21.11. 2019). 11 Ausführlich zur englischen Doktrin Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, Contract Law, 2. Aufl. 2010, S. 1106 ff.; Cartwright, Contract Law, 3. Aufl. 2016, S. 261 ff. 12 Da vertragliche Naturalerfüllungspflichten nach dem common law grundsätzlich nicht klagbar sind (keine specific performance) aber von einer verschuldensunabhängigen Schadensersatzhaftung (damages) begleitet werden, setzt die frustration doctrine anders als § 313 BGB primär auf der sekundärrechtlichen Haftungsebene an, Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 414 f. 13 Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch), para. 7 „Ground 5“.

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zelnen zu erörtern sind,14 illustriert er plastisch die Problematik der Änderung der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverträgen, Joint Ventures oder anderen langlaufenden Vertragsverhältnissen15, die durch eine Änderung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ausgelöst werden kann.16 Diese Problematik kann auch in Vertragsverhältnissen virulent werden, die dem deutschen Vertragsstatut unterstehen und an denen nicht-hoheitliche Vertragsparteien beteiligt sind. So können langfristige Mietverträge an Standorten im Vereinigten Königreich durch den Brexit für Unternehmen, die im Binnenmarkt agieren, nutzlos oder sogar schwer belastend werden, da das Vereinigte Königreich aller Voraussicht nach nicht mehr Teil des Binnenmarktes sein wird. Neben Langzeitmietverträgen kommen noch zahlreiche andere Beispiele aus dem Dienst- und Werkvertragsrecht in Betracht, so beispielsweise (Rahmen-)Lieferverträge im Maschinenbau, Entwicklungskooperationen in der High-Tech-Branche oder Vertriebsverträge im Großhandel.17 3. Politische Geschäftsgrundlage Teilweise ist in diesem Zusammenhang von einem Wegfall der „politischen Geschäftsgrundlage“18 nach § 313 BGB die Rede.19 Der Terminus „politische Geschäftsgrundlage“ ist insofern treffend, als es um eine politische Entscheidung des Vereinigten Königreiches geht, die EU zu verlassen. Fokussiert man hingegen die Konsequenzen des Austritts, namentlich den Entfall des Binnenmarktes und der Grundfreiheiten im Verhältnis der EU zu Großbritannien, handelt es sich bei Lichte besehen um den Wegfall eines für (insbesondere: grenzüberschreitende) Dauerschuldverhältnisse essentiellen rechtlichen Rahmens. Wir möchten daher im Folgenden am Beispiel des 14 Umstritten war zwischen den Vertragsparteien namentlich, ob die Rechtsfähigkeit der EMA nach dem Brexit auf britischem Territorium tatsächlich verloren geht, vgl. Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch), para. 130 ff. 15 Zu den Charakteristika von Dauerschuldverträgen Weller, JZ 2012, 881 ff. 16 Zum Statutenwechsel in den Brexit-Fällen Weller/Thomale/Zwirlein, Brexit: Statutenwechsel und Acquis communautaire, ZEuP 2018, 892 ff.; vgl. ferner Rentsch, Das Vereinigte Königreich als „Drittstaat“ im Sinne der Rom I-VO, EuZW 2017, 981 ff.; Sonnentag, Die Konsequenzen des Brexits für das Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2017, S. 3 ff. 17 Weller/Casas, Was macht der Brexit mit Dauerverträgen?, FAZ 7.6.2017; Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892, 909 f. Andere Grundsätze gelten hingegen im spezielleren Recht der Arbeitsverträge (Schiek/Uddin, NZA 2019, 346 ff.) und im Gesellschaftsrecht (Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 ff.), die für diesen Beitrag außer Betracht bleiben. 18 Der Begriff geht zurück auf Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, 8. Aufl. 2000, § 24 II S. 25. 19 Zum Ganzen Paulus, Der „Brexit“ als Störung der „politischen“ Geschäftsgrundlage, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 101 ff.

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Brexit zeigen, dass auch die Änderung entscheidender rechtlicher Rahmenbedingungen eine neue und eigenständige Fallgruppe der Geschäftsgrundlagenlehre sein kann. Wir gehen dabei von der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit deutschen Rechts aus, was aus Sicht inländischer Rechtsanwender nach der Rom I-VO zu bestimmen ist.

III. Neue Fallgruppe: Störung der „rechtlichen Geschäftsgrundlage“ 1. Subjektive, objektive und funktionale Geschäftsgrundlagenlehre § 313 BGB findet nur Anwendung, sofern eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB etwa zugunsten einer konkludent vereinbarten Kündigungsklausel nicht zum Erfolg führt.20 Die Generalklausel des § 313 BGB gründet sich auf dem Gedanken der Vertragsgerechtigkeit.21 Als Abweichung vom Grundsatz der pacta sunt servanda ist die Vorschrift eng auszulegen. 22 Was genau unter den Begriff der Geschäftsgrundlage fällt, wird seit Anbeginn kontrovers diskutiert; eine Vielzahl wissenschaftlicher Theorien und Ansätze stehen sich gegenüber.23 Nach der von Oertmann, dem „Entdecker“ der Rechtsfigur, begründeten Auffassung24 umfasst die Geschäftsgrundlage die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (sog. subjektive Lehre).25 Der Gesetzeswortlaut in § 313 BGB ist bewusst weiter formuliert.26 Er umfasst auch die Geschäftsgrundlage im Sinne der sog. objektiven Leh20 Palandt-Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 BGB, Rn. 10 ff.; Paulus, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 121. 21 Ausführlich Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 1 ff. und zur Entstehungsgeschichte, insbesondere zu Windscheids Lehre von der Voraussetzung, Rn. 5 ff.; Zum Verhältnis zum Grundsatz der Vertragstreue Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 298 ff. 22 Den Gesetzesmaterialien zufolge, sollte sich an der von der Rechtsprechung begründeten und anhand § 242 BGB fortentwickelten Lehre mit der Kodifizierung des § 313 im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung nichts ändern, vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 175. 23 S. im einzelnen Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, Rn. 11; zur Uneinheitlichkeit der Lehren Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 297 f. 24 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage: ein neuer Rechtsbegriff, 1921. 25 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, 1921, S. 37; Die höchstrichterliche Rechtsprechung wendet die Oertmannsche Formel bis heute an, vgl. Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 24 ff. mwN. 26 Zur Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 12 ff.

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re.27 Hiernach sind Geschäftsgrundlage diejenigen Umstände und allgemeinen Verhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist, damit der Vertrag im Sinne der Intention beider Parteien noch als sinnvolle Regelung bestehen kann.28 Ein weiterer von Fikentscher begründeter funktionale Ansatz bezeichnet die Störung der Geschäftsgrundlage als „Einfluss äußerer Umstände, die außerhalb des vertraglich übernommenen bzw. gesetzlich zugewiesenen Vertragsrisikos liegen.“29 Die Rechtsprechung bedient sich bis heute der Formel Oertmanns, wenngleich sie den Wegfall der Geschäftsgrundlage auch von der Verteilung des Vertragsrisikos abhängig macht.30 Eine der typischsten Fallkonstellationen des § 313 BGB sind naturgemäß politische und wirtschaftliche Krisensituationen.31 Dies mag nach der von der Rechtsprechung praktizierten subjektiven Formel verwundern, denn solche Ereignisse binden die wenigsten Parteien explizit oder implizit in ihre Vertragserwartungen ein.32 2. Änderung der „Sozialexistenz“ oder „große Geschäftsgrundlage“ Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlagen wurde im 20. Jahrhundert jedoch gerade auch als privatrechtliches Instrument zur Abfederung von den Nachwirkungen der beiden Weltkriege und den politischen und rechtlichen Umwälzungen der deutschen Wiedervereinigung entwickelt.33 Für diese Phänomene hat sich im Rahmen des § 313 BGB die Fallgruppe der „Änderung der Sozialexistenz“34 etabliert. Eine Änderung der Sozialexistenz ist anzunehmen, wenn die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags durch Ereignisse wie Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder (Natur-)Katastrophen er27 Dazu grundlegend Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1987, § 21 II, S. 320 ff. 28 Palandt-Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 BGB, Rn. 4. 29 Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1977 S. 22. 30 Beispielhaft BGHZ 196, 299, BGHZ 190, 212; BGHZ 182, 218; Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 25 mwN. 31 Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 10. Aufl. 2010, Rn. 857; Palandt-Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 BGB, Rn. 5. 32 Im Ergebnis verschwimmen auch in der Rechtsprechung subjektive und objektive Kriterien, s. BeckOGK- BGB-Martens, Stand: 1.9.2019, § 313 BGB Rn. 54 f. 33 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa RGZ 98, 18 (Novemberrevolution 1918); RGZ 94, 45; 94, 68 (Erster Weltkrieg); BGHZ 133, 281; BGHZ 120, 10; BGHZ 126, 150; BGHZ 131, 209; BGHZ 133, 281 (Wiedervereinigung); Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 10. Aufl. 2010, Rn. 857; kritisch Palandt-Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 BGB, Rn. 5. 34 Der Begriff wurde geprägt von Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Recht, 2. Band, 3. Aufl. 1979, S. 518 ff., der der Geschäftsgrundlagenlehre aber, ebenso wie Esser/ Schmidt, kritisch gegenüber stand, vgl. dies., Schuldrecht I/2, 8. Aufl. 2000, § 24 I S. 38 ff.

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schüttert sind.35 Dies wird auch als „große Geschäftsgrundlage“ bezeichnet.36 Neben diesen fundamentalen und existenzbedrohenden Ereignissen, sind aber auch Fälle, in denen sich die dem Vertrag zugrunde liegende vorherrschenden Gesetzeslage oder die Rechtsprechung verändern als Untergruppe der „Änderung der Sozialexistenz“ anerkannt.37 Denn das Risiko unvorhersehbarer Rechtsänderungen gehört nicht zu den normalen wirtschaftlichen Risiken, die jeder Vertragspartner selbst zu tragen hat.38 3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten als „rechtliche Geschäftsgrundlage“ Ebendiese Konstellation der fundamentalen Änderung eines Rechtsregimes dürfte auch in den Brexit-Fällen einschlägig sein. Der Brexit ist ein Paradebeispiel für die – jedenfalls vor Ansetzen des Referendums – nicht vorhersehbare Änderung der politischen Verhältnisse (EU-Mitgliedschaft) und infolgedessen der rechtlichen Rahmenbedingungen für (grenzüberschreitende) Verträge zwischen Vertragspartnern im Vereinigten Königreich einerseits und solchen in anderen EU-Mitgliedstaaten andererseits. 39 Man kann insofern von einem Wegfall der „politische Geschäftsgrundlage“ sprechen, die eine Änderung der (europäischen) Sozialexistenz mit sich bringt.40 Ohne Frage sind Ursache dieser Rechtsänderung die politischen Entscheidungen in London und Brüssel. Unserer Auffassung nach, liegt der Schwerpunkt der Geschäftsgrundlagenstörung jedoch auf den rechtlichen Aspekten, die der Brexit mit sich bringt. In den vom Brexit betroffenen Vertragsverhältnissen stellen der europäische Binnenmarkt und die damit verbundenen Grundfreiheiten bzw. die Freizügigkeit zentrale rechtliche Rahmenbedingungen mit erheblichen wirtschaftlichen und politischen Implikationen für den Güter- und sonsti35 Flume, a.a.O., S. 525; MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 17 mwN. 36 Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 10. Aufl. 2010, Rn. 859. 37 BGH NJW 1984, 2947; BGH NJW 2012, 3731; Flume (o. Fn. 34), S. 520 ff.; Esser/ Schmidt, (o. Fn. 34) S. 47; BeckOK BGB-Lorenz, Stand: 1.11.2019, § 313 BGB Rn. 54 ff. 38 MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 231 unter Verweis auf Flume (o. Fn. 34), S. 520. 39 So auch Paulus in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 122, 125; Mayer/Manz, Der Brexit und seine Folgen auf den Rechtsverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, BB 2016, 1731, 1735; kritisch MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 231; BeckOGK BGB-Martens, Stand: 1.9.2019, § 313 BGB Rn. 58.2; Rüscher, Vertragsanpassungen als Reaktion auf den Brexit nach deutschem, englischem, französischem, italienischem und spanischem Recht sowie nach UN-Kaufrecht, EuZW 2018, 937, 941. 40 So Paulus, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 101, 112.

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gen Leistungsaustausch dar, die mit Inkrafttreten des Brexit und nach Ablauf der Übergangsfrist wegfallen. Die politischen Entscheidungen sind zwar Ausgangspunkt dieser Rechtsänderungen, die rechtserhebliche Geschäftsgrundlage bilden für die jeweiligen Vertragsparteien jedoch die europarechtlichen Rahmenbedingungen, die ihren Vertrag begleiten. Daher möchten wir im Folgenden präziser von einem Wegfall der rechtlichen Geschäftsgrundlage sprechen. Im eingangs skizzierten Beispielsfall Canary Wharf kann angenommen werden, dass die Parteien bei Abschluss des Mietvertrages das Fortdauern des Rechtsgefüges der Europäischen Union mit allen damit verbundenen Privilegien zwar nicht als rechtliche (auflösende) Bedingung in ihre Willenserklärungen mit aufgenommen haben (§ 158 BGB), aber gleichsam eine Ebene „unterhalb“ des Rechtsbindungswillens ein darauf bezogenes sachgedankliches Mitbewusstsein hatten. Gerade grenzüberschreitende Vertragsverhältnisse werden implizit regelmäßig im Bewusstsein um die jeweiligen den „Grenzübertritt“ des Vertrags überhaupt erst ermöglichenden rechtlichen Rahmenbedingungen verhandelt und geschlossen, z.B. der Anwendbarkeit eines bestimmten Sachrechts oder eines bestimmten Zoll- und Kontingentierungsregimes. Den vorstehend beschriebenen Ereignissen, die zur Änderung der Sozialexistenz führen, ist das Problem immanent, dass die subjektive Formel zur Definition der „Geschäftsgrundlage“ an ihre Grenzen stößt.41 Notwendigerweise ist daher in diesen Fällen eine abstrakt-generelle Betrachtung angebracht.42 Von Ereignissen mit einschneidender Wirkung auf das Rechts- und Wirtschaftsgefüge eines Staates oder eines Staatenverbundes sind eo ipso alle Teilnehmer/innen des betreffenden Rechts- und Wirtschaftsraumes – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – betroffen. Der subjektive Maßstab ist daher in Fällen wie dem Ende der DDR oder dem Brexit kein taugliches Kriterium, um eine Geschäftsgrundlagenstörung zu bewerten.43 4. Voraussetzungen einer Störung der „rechtlichen“ Geschäftsgrundlage? Mit der Feststellung, dass die europarechtlichen Rahmenbedingungen als „rechtliche Geschäftsgrundlage“ im Rahmen des § 313 BGB qualifiziert 41 Auch die Rechtsprechung lässt es daher genügen, wenn „die Parteien bestimmte Umstände als selbstverständlich ansahen, ohne sich diese bewusst zu machen“, vgl. BGHZ 131, 209, juris Rn. 24 und BGHZ 133, 281, juris Rn. 50 (zur DDR). 42 NK-BGB-Krebs, 2. Aufl. 2012, § 313 BGB Rn. 70 f. 43 Siehe in Bezug auf den Fortbestand der DDR bereits BGHZ 133, 281, juris Rn. 50: „Entgegen der Ansicht der Revision kommt es dabei nicht darauf an, ob sich die Vertragsparteien bewußte Vorstellungen über den Fortbestand der DDR gemacht haben. Es genügt, daß dieser für sie selbstverständlich war.“

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werden können, stellt sich die Frage, ob mit dem Eintritt des noch zu verhandelnden Abkommens über die zukünftige Zusammenarbeit des UK und der EU (free trade agrement) eine tatsächliche Störung dieser Geschäftsgrundlage eintreten wird (a)),44 ob diese Störung über das von den Parteien oder einer der Parteien zu tragende Vertragsrisiko hinausgeht (b)) und ein weiteres Festhalten am Vertrag der jeweils betroffenen Partei noch zumutbar sein kann (c)). a) Tatsächliches Element: Wegfall des Binnenmarktes und der Freizügigkeit Mit dem Brexit entfallen für das Vereinigte Königreich die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten,45 das Diskriminierungsverbot und die Freizügigkeitsrechte (Art. 18 und 21 AEUV) sowie die EuGH-Rechtsprechung bzw. die Auslegungshoheit des EuGH für die unionalen Vorschriften. Ausnahmen sollen nach dem neuen Austrittsabkommen vom Oktober 2019 nach Ablauf der Übergangsfrist nur für Nordirland gelten.46 Daraus können sich für die Vertragsparteien von Dauerverträgen vielfältige Schwierigkeiten ergeben, wie die folgenden Beispiele erhellen: Insbesondere bei Lieferverträgen kann der Wegfall der Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit zu erschwerten Bedingungen bei der Vertragserfüllung führen. Ist zur Lieferung oder zum Einbau bestimmter Waren47 die Anwesenheit von Personal des Sachleistungsschuldners notwendig, so fallen die Privilegien der Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 21 AEUV zukünftig fort.48 Es sind neue Einreise- und Aufenthaltshürden zu überwinden, welche die Vertragsdurchführung verteuern und daher bei Abschluss des Vertrages in die Kalkulation einzupreisen gewesen wären.49 Gleiches gilt für Sachmittel. Durch die zu erwartenden nicht-tarifären Handelshemmnisse können sich Transaktions-, Transport- oder Zulassungskosten signifikant erhöhen.50

44 Für den, Stand heute eher unwahrscheinlichen Fall, dass die EU und das Vereinigte Königreich sich sogar bis zum 31.12.2022 nicht auf ein Folgeabkommen einigen, also ein „harter“ Brexit ohne Folgeabkommen droht, gelten die Ausführungen entsprechend. 45 Die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (63 ff. AEUV). 46 S.o. unter I. 47 Denkbar sind etwa Sonderanfertigungen aus der Maschinenbau-Branche. 48 Zu den vorgesehenen Ausnahmen s.o. Fn. 6. 49 Schiek/Uddin, NZA 2019, 346, 352: „Kurz- und mittelfristig erfordert der Wegfall von Freizügigkeitsrechten und Sozialversicherungskoordination erhebliche Anpassungsleistungen von Unternehmen (…).“ 50 Lehmann/Zetzsche, JZ 2017, 62; Paulus, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 123.

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Allerdings sieht die politische Erklärung zu den zukünftigen Handelsbeziehungen der EU und des Vereinigten Königreichs zumindest keine Zölle oder Tarife vor (vgl. Rn. 22 der politischen Erklärung51). Ebenfalls zweifelhaft ist eine Geschäftsgrundlagenstörung aufgrund eines etwaigen Kursverlustes des britischen Pfunds. Zwar ist ein Währungsverfall als Geschäftsgrundlagenfortfall von der Rechtsprechung anerkannt.52 Gerade bei den hier einschlägigen grenzüberschreitenden Fremdwährungsgeschäften sind jedoch strengere Maßstäbe als bei einem rein innerstaatlichen Geldwährungsstatut anzulegen, da ersteren naturgemäß ein spekulatives Element innewohnt.53 Sie können daher nur bei erheblicher Äquivalenzstörung einen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellen.54 Nicht zu vernachlässigen ist eine erhebliche Steigerung des Bürokratieaufwandes, den der Wegfall der Binnenmarktfreiheiten mit sich bringt. Auch diesen haben die Vertragsparteien in ihre Finanzkalkulation einzupreisen. Durch den Verlust des Binnenmarktstatus´ Großbritanniens können darüber hinaus, wie der Fall Canary Wharf zeigt, erhebliche Folgebelastungen für Unternehmen entstehen, die ihre Standorte nunmehr in den Binnenmarkt (zurück)verlegen müssen. Schließlich kommt auch der Wegfall der Zuständigkeit und Auslegungskompetenz des EuGH als Erschwernis der internationalen Handelsbeziehungen zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich hinzu. Schließen Unternehmen langfristig grenzüberschreitende Vertragsbeziehungen ab, verlassen sie sich neben der geltenden Rechtslage auch auf die gerichtliche Absicherung des gemeinsamen Rechtsgefüges. Dazu gehört neben der Zuständigkeit nationaler Gerichte je nach Vertragsstatut, vor allem auch die (autonome) Auslegungskompetenz des EuGH für das EU-Primär- und Sekundärrecht. International-privatrechtliche Unsicherheiten könnten mit dem geplanten Beitritt zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen von 2005 und der vorgesehenen Überführung der Rom-Verordnungen I und II in das britische Recht zwar vorerst abgemildert werden.55 Dies ändert je51

Oben Fn. 7. Erste Urteile dazu ergingen im Zuge der Hyperinflation während der Weimarer Republik vor dem Reichsgericht bereits in den 1920er Jahren, vgl. RGZ 100, 129; 103, 328. 53 Ausführlich Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 92 ff.; ferner Mayer/Manz, BB 2016, 1731, 1735. 54 Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, 8. Aufl. 2000, § 24 II S. 45; Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 95. 55 Aktuell hat das Vereinigte Königreich den Beitritt zum Übereinkommen nur unter der auflösenden Bedingung eines no deal-Brexit erklärt und den Beitritt zuletzt bis zum 1.2.2020 ausgesetzt, vgl. die Erklärungen auf den Seiten der Haager Konferenz: https:// www.hcch.net/en/instruments/conventions/status-table/notifications/?csid=1318&disp= resdn (zuletzt abgerufen am 26.11.2019). Zum Ganzen außerdem Briggs, Brexit and Private International Law: an English perspective, RDIPP 2/2019, 261, 263 f.; Sonnentag, (o. Fn. 8), S. 43 ff. 52

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doch nichts daran, dass der EuGH für die Auslegung der dann britischen (nationalen) Normen des IPR nicht mehr zuständig sein wird und britische Gerichte umgekehrt nicht verpflichtet sind, die EuGH-Rechtsprechung zu berücksichtigen. Mögen die verschiedenen Aspekte im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt sein, so ändert sich nichts an der oben dargestellten These, dass in den Brexit-Fällen ein abstrakt-genereller Prüfungsmaßstab der Geschäftsgrundlagenstörung im Rahmen des § 313 BGB zu erfolgen hat. Auch das in der politischen Erklärung vom Oktober 2019 angedachte free trade agreement verhindert nicht, dass es sich letztlich um die Änderung eines ganzen Rechtsregimes handelt. Daher kann es bei der Prüfung des Fortfalls dieser Geschäftsgrundlage auch nicht nur auf die Änderungen im Einzelnen ankommen, sondern der Systemwechsel als solcher ist im Grundsatz als Störung der Geschäftsgrundlage zu sehen.56 b) Hypothetisches Element: Die Vorhersehbarkeit Entscheidendes Element in der Abwägung der Vertragsrisikoverteilung im Rahmen des § 313 BGB ist die Risikozuweisung zwischen den Parteien, die sich aus Vertrag oder Gesetz ergeben kann.57 Häufig wird dabei auf die Vorhersehbarkeit der Änderung der Vertragsumstände für eine der Parteien verwiesen.58 In Bezug auf den Brexit wird von einigen Autoren vertreten, dessen Folgen seien für etwaige Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen durchaus vorhersehbar gewesen.59 Dabei werden verschiedene Zeitpunkte angelegt: So wird teilweise angenommen, der Brexit als solcher sei schon mit der Ankündigung des Brexit-Referendums im Januar 2013 vorhersehbar gewesen.60 Alternativ kann man auf den Zeitpunkt der Durchführung des Referendums am 23. Juni 2016 abstellen. Ungeachtet dessen wird vertreten,

56 A.A. Lehmann/Zetsche, JZ 2017, 62, 66: „Anders als eine Währungsumstellung führt der Brexit jedoch nicht zu einer flächendeckenden Änderung der Vertragsverhältnisse. Eine Änderung der Umstände müsste gerade für das relevante Vertragsverhältnis eingetreten sein.“; ebenfalls ablehnend Schmidt-Kessel, Vorwirkungen des drohenden Brexit?, ZIP 2018, 2199, 2201. 57 Vgl. Palandt-Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 BGB, Rn. 19 ff. 58 Die Vorhersehbarkeit der Umstände der Geschäftsgrundlagenstörung wird dabei im Tatbestand des § 313 BGB verschiedentlich interpretiert: Mal schließt sie die Anwendung der Norm an sich aus, mal kommt sie im Rahmen der Risikozuweisung bzw. der Unzumutbarkeit zum Tragen; dazu Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn.82 ff. 59 MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 74; BeckOGK BGB-Martens, Stand: 1.9.2019, § 313 BGB Rn. 223; Grupp, NJW 2017, 2065, 2067; Schmidt-Kessel, ZIP 2018, 2199, 2201. 60 So MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 74.

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Rechtsänderungen auf Grundlage einer demokratischen Mehrheitsänderung seien regelmäßig vorhersehbar.61 Diesen Ansichten ist in Bezug auf den Brexit u.E. insofern zu widersprechen, als es um vor dem Jahr 2016 abgeschlossenen Vertragsverhältnisse62 geht: Gerade bei der Änderung der Sozialexistenz ist es schwierig, eine eindeutige Risikoverteilung zulasten einer Partei festzustellen, da die Ereignisse als solche sowie ihre konkreten Folgen in der Regel nicht vorhersehbar sind.63 Die Vorhersehbarkeit muss sich im Rahmen des § 313 BGB aber auf die konkreten Umstände der Rechtsänderung erstrecken.64 So auch beim Brexit: Der Ausgang des Referendums war zum Zeitpunkt der bloßen Ankündigung im Jahr 2013 völlig offen, dies bestätigt das denkbar knappe Ergebnis vom 28.6.2016.65 Doch auch nach dem Referendum, das im Übrigen nicht rechtsbindend gewesen ist, lag es im Dunklen, wie sich das Austrittsverfahren nach der bisher ungenutzten Vorschrift des Art. 50 EUV gestalten würde.66 Dass eine Veränderung eintreten wird, reicht noch nicht aus, um den Geschäftsgrundlagenfortfall auszuschließen, solange die Parteien nicht vorhersehen können, in welchen Maße sich eine Rechtsänderung auf ihre Vertragsbeziehungen auswirken wird.67 Denn in diesem Fall wären Verhandlungen zur Vertragsanpassung noch nicht zielführend: Welche Anpas61

So etwa BeckOGK BGB-Martens, Stand: 1.9.2019, § 313 BGB Rn.: „(…) Eine Störung der Geschäftsgrundlage von Verträgen wegen demokratisch initiierter Veränderungen scheidet aufgrund des absehbaren Risikos also regelmäßig aus. Dies gilt in jüngerer Zeit insbesondere für den sog. „Brexit“, dh den auf einen Volksentscheid zurückgehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Denn das Risiko dieser Entscheidung war seit vielen Jahren bekannt und hätte in Verträgen jeweils von der Partei thematisiert werden müssen, die einen entsprechenden besonderen Schutzbedarf gehabt hätte. Auch die jüngeren chaotischen Entwicklungen sind angesichts des parlamentarischen Systems des Vereinigten Königreichs hinreichend vorhersehbar gewesen, sodass jede endgültige Lösung keinen Wegfall einer Geschäftsgrundlage nach § 313 begründen wird.“ 62 Anderes gilt freilich für die nach dem Referendum geschlossenen Verträge. 63 Insofern uneindeutig MüKoBGB-Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB, Rn. 305. Auch die Rechtsprechung bejaht in den DDR-Fällen die Unvorhersehbarkeit und lehnt eine Anpassung nach § 313 BGB nur im Rahmen der Zumutbarkeit im Einzelfall ab, vgl. etwa BGHZ 2, 176 ff.; BGHZ 127, 212 ff., BGHZ 137, 350 ff. 64 Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 84. 65 Bei 46,5 Mio. abgegebenen Stimmen, votierten letztlich 51,9% der Wähler für einen Austritt aus der EU, vgl. die offiziellen Ergebnisse des Referendums, abrufbar unter: https://www.electoralcommission.org.uk/who-we-are-and-what-we-do/elections-and-ref erendums/past-elections-and-referendums/eu-referendum/results-and-turnout-eu-referen dum (zuletzt abgerufen am 26.11.2019). 66 Zum Verfahren des Art. 50 EUV im Einzelnen Müller-Graff, Brexit – die unionsrechtliche Dimension, in in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 33 ff.; Streinz, in Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 50 EUV, Rn. 6 ff. 67 Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 86, der eine Übertragung der Grundsätze von § 276 BGB vorschlägt: „Übertragen auf § 313 Abs. 1 muss also die Gefahr des Eintritts oder der Veränderung eines Umstandes und die dadurch ausgelösten Auswirkungen auf den Vertrag gesehen werden.“

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sung sollten Vertragsparteien vornehmen, solange nicht klar ist, wann genau das Vereinigte Königreich die EU verlässt und wie die nachfolgenden Kooperationsmodelle zwischen der EU und Großbritannien aussehen?68 c) Normatives Element: Die Unzumutbarkeit Problematischer gestalten sich die Brexit-Fälle im Rahmen des normativen Elements der Unzumutbarkeit der weiteren unveränderten Vertragserfüllung, vgl. § 313 BGB am Ende.69 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Unzumutbarkeit nur bejaht werden, wenn das weitere Festhalten am Vertrag zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führte.70 Hier können für die BrexitKonstellationen keine pauschalen Aussagen getroffen werden. Denn selbst in den Fällen einer abstrakt-generellen Rechtsänderung als „Änderung der Sozialexistenz“ erfordert die Würdigung der Zumutbarkeitsvoraussetzung, einen konkret-individuellen Maßstab anzulegen, da der Zumutbarkeit immer ein subjektives Abwägungselement zu Grunde liegt.71 Ein der betroffenen Vertragspartei entstehender materielle Mehraufwand (z.B. Personal- und Sachmittelkosten) müsste also konkret messbar sein und das Äquivalenzverhältnis des Vertrages erheblich aus dem Gleichgewicht bringen.72 Die angestrebte Kooperation des UK mit der Europäischen Union in Form des free trade agreement könnte, so die Hoffnung, eine Explosion dieser Kosten verhindern. Bei Dauerschuldverhältnissen können aber auch die weitere Vertragslaufzeit oder etwaige anstehende Kündigungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.73 Besteht für die Vertragsparteien bei einer erheblichen Vertragslaufzeit (so etwa 25 Jahre im Canary Wharf-Fall) keine Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages, so kann dies unter Umständen zu einer Unzumutbarkeit führen. Die Rechtsprechung geht mit der Unzumutbarkeit im Rahmen des § 313 BGB allerdings sehr zurückhaltend um und forderte selbst in den DDR-Fällen stets eine einzelfallabhängige „einschneidende Änderung zu Lasten einer Seite“74. 68

Siehe auch Paulus, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 121. Die Zumutbarkeit ist sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite des § 313 BGB relevant, vgl. Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 105. 70 BGHZ 128, 238 juris Rn. 19, BGH NJW 2002, 1718, 1720; Palandt-Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 BGB, Rn. 24; kritisch Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 89. 71 Zu Recht Paulus, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 115 f. und 122 f., 125. 72 So Soergel-Teichmann, BGB, Band 5/1a, 13. Aufl. 2013, § 313 BGB, Rn. 89 mwN: für Fälle der Äquivalenzstörung, Drei- oder Mehrfachsteigerung der Kosten. 73 BGH NJW 2002, 2384; Soergel-Teichmann, ebd. 74 Die Anwendung von § 313 BGB mangels Unzumutbarkeit daher ablehnend BGHZ 121, 378 sowie weitere Nachweise in Fn. 63. 69

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Ziehen sich die Verhandlungen über die Folgekooperation zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aber über die einjährige Übergangszeit hinaus weiter hin, was angesichts der bisherigen Kleinschrittigkeit der Verhandlungen über den Austritt nicht unwahrscheinlich ist, wäre es u.E. auch denkbar, eine Unzumutbarkeit der weiteren Vertragserfüllung an diese fortdauernde rechtliche Unsicherheit zu knüpfen. Die Unzumutbarkeit wird daher nicht pauschal durch die Existenz einer Übergangszeit ausgeschlossen.75 Es hängt hier vieles von der Ausgestaltung der Übergangszeit und dem Erfolg der Anschlussverhandlungen nach dem Austritt ab.

IV. Der Fall Canary Wharf vs. EMA aus deutscher Perspektive Der englische High Court lehnt in der Rechtssache Canary Wharf vs. EMA eine frustration of contract76 ab. Die ausführliche Urteilsbegründung enthält dabei auch einige Aspekte, die für eine Bewertung aus der rechtsvergleichenden Perspektive des § 313 BGB relevant sein können: Zunächst hält das Gericht die EMA im Vereinigten Königreich als einem Drittstaat auch nach einem Brexit für rechts- und geschäftsfähig, da sich die Rechts- und Geschäftsfähigkeit nach englischem Recht richte.77 Daher liege kein Fall einer supervening illegality vor, die in der frustration doctrine als Fallgruppe anerkannt ist.78 Im deutschen Recht hätte man in einem solchen Fall allerdings § 275 BGB (rechtliche Unmöglichkeit) heranzuziehen.79 Von rechtsvergleichendem Interesse ist für uns aber vor allem, dass der High Court meint, der Brexit sei für vor dem Referendum geschlossene Ver75 Anders an dieser Stelle wohl Paulus in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hg.) (o. Fn. 3), S. 123. 76 Ein erhellender Überblick über die doctrine of frustration findet sich in Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch) para. 21 ff. 77 Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch) para. 133 ff., 145 ff.; Eine Vorlage an den EuGH hielt der High Court mangels Entscheidungserheblichkeit nicht für notwendig, vgl. para. 120 ff.; 78 Dem liegt zudem die (unzutreffende) international-privatrechtliche Annahme zugrundem, die Rechts- und Geschäftsfähigkeit sei Teil des nach der Rom I-VO anwendbaren englischen Vertragsstatuts: vgl. para. 187 ff.: (…) The question is whether the English law of frustration, which has regard to questions of legality where the performance of the contract would be unlawful according to the law of the place of performance, should also have regard to the law of incorporation, at least where this affects the capacity of a party to continue to perform obligations under a transaction lawfully entered into by it. (…) Whilst, in the former case, English law will have regard to the foreign law of incorporation or domicile, it does not in the latter case. (…)“ (Hervorhebung durch die Verf.); dabei handelt es sich hier um eine grundsätzlich selbstständig anzuknüpfende Vorfrage, s. Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO. 79 Vgl. Jewell, An introduction to English Contract Law, 2. Aufl. 2002, Rn. 353.

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träge nicht vorhersehbar (unforseeable) gewesen.80 Dies stützt die oben genannte These, dass ein Geschäftsgrundlagenfortfall nicht allein aufgrund der angeblichen Vorhersehbarkeit der Brexit-Ereignisse verneint werden kann. Letztlich, so der High Court, scheitere eine frustration of contract aber an den mangelhaften Unternehmungen der Europäischen Union, die Auswirkungen des Rückzugs der EMA aus London abzumildern, als der britische Austritt am 29.3.2017 formell angekündigt wurde.81 Sieht man sich ex post die turbulenten Abstimmungen an, die das Austrittsabkommen im britischen Unterhaus hinter sich hat, lässt sich an diesem Argument der „Selbstverschuldung“ (self-induced frustration) indes zweifeln. Letztlich haben sich Streitparteien im Juli 2019 auf die Möglichkeit einer Untervermietung der Räumlichkeiten verglichen.82 Wäre die Canary Wharf Group allerdings zu diesem Schritt nicht freiwillig bereit gewesen, wäre unter deutschem Vertragsstatut § 313 BGB wohl zu Anwendung gekommen. Angesichts der strengen Vertragsbedingungen83 wäre ein Anspruch der Mieterin auf Vertragsanpassung (etwa in Gestalt der Untervermietbarkeit) oder gar -aufhebung nach dem supra Ausgeführten nicht unwahrscheinlich gewesen.

V. Zusammenfassung in Thesen 1. Der Brexit (wie auch schon die DDR-Fälle) können als neue, eigenständige Fallgruppe des § 313 BGB in Form des Wegfalls der rechtlichen Geschäftsgrundlage qualifiziert werden. 2. Der Fortfall des europäischen Binnenmarktes und der Grundfreiheiten stellt eine abstrakt-generelle Störung des vertraglichen Rahmens von (grenzüberschreitenden) Dauerschuldverhältnissen, die vor dem BrexitRefrendum zwischen einer Vertragspartei im Vereinigten Königreich und einer Partei in einem anderen EU-Mitgliedstaat geschlossen wurden, dar. 80

Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch) para. 211 ff. und 225 a.E. 81 Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch) para. 201 ff. 82 Vgl. die Meldungen der Financial Times und der Times vom 4. und 5.7.2019: https:// www.ft.com/content/eed0d05a-9e5e-11e9-9c06-a4640c9feebb (zuletzt abgerufen am 26.11. 2019 und https://www.thetimes.co.uk/article/european-medicines-agency-ends-canarywharf-dispute-with-wework-deal-hvqhslzcl (zuletzt abgerufen am 26.11.2019). 83 Die Untervermietung durch die Canary Wharf Group war ursprünglich an sehr strenge Bedingungen geknüpft, eine sog. break out-Klausel war nicht vorgesehen, vgl. Canary Wharf Group vs. European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch) para. 76, 92 ff., 223 f.

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Marc-Philippe Weller und Lucienne Schlürmann

3. Die konkreten Rechtsfolgen des Brexit waren für Vertragsparteien aus Dauerschuldverhältnissen, die vor dem Brexit-Referendum abgeschlossen wurden, nicht vorsehbar. 4. Schwieriger gestaltet sich die Bewertung der Zumutbarkeit, die als normatives Element auch in den Brexit-Fällen einer konkret-individuellen Beurteilung bedarf. Die politischen Erklärungen geben bisher zu wenig Anhaltspunkte dafür, ob das „Post-Brexit“-Kooperationsmodell zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich eine unveränderte Fortführung von Dauerschuldverträgen auf zumutbare Weise zulässt. Allerdings sprechen allein schon die angesichts des langwierigen politischen Verhandlungsprozesses andauernden Unwägbarkeiten und die Unvorhersehbarkeit der konkreten künftigen Zusammenarbeit für ein Anpassungs- oder gar Kündigungsrecht im Rahmen des § 313 BGB.

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Europäisch-nationale Mischnormen

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Europäisch-nationale Mischnormen Hartmut Wicke

Europäisch-nationale Mischnormen – eine Herausforderung für Gesetzgebung und Rechtsanwendung HARTMUT WICKE

Der Einfluss des Europäischen Rechts auf das Gesellschaftsrecht ist unvermindert hoch. Bekannt sind die zahlreichen Richtlinien, die zur Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften in den letzten Jahrzehnten umgesetzt wurden. Für den Praktiker ist ihre Kenntnis vor allem wegen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung, darüber hinaus aber auch für ein grundlegendes Gesetzesverständnis wichtig. Die Anwendung des Primärrechts durch den Europäischen Gerichtshof hat nicht nur weitreichende Gesetzesreformen in den Mitgliedstaaten veranlasst, sondern auch, wie etwa die Rechtsprechung zum grenzüberschreitenden Formwechsel von Vale bis Polbud zeigt, neue Gestaltungsmöglichkeiten für Unternehmen eröffnet. Als wichtigste supranationale Rechtsform erfreut sich die SE fünfzehn Jahre nach ihrer Einführung unter im Dax und M-Dax gelisteten Gesellschaften wie auch unter international tätigen mittelständischen Unternehmen zunehmender Beliebtheit, die zugrunde liegende SE-Verordnung stellt ein prominentes Beispiel für die unmittelbare Anwendung europäischen Sekundärrechts in der Praxis dar. Neuerdings zeigt sich zudem im Gesellschaftsrecht die Tendenz, im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Rechtsvorschriften direkt auf EUVerordnungsrecht zu verweisen, wie aktuell die Bestimmungen des soeben in Kraft getretenen ARUG II zeigen (z.B. § 67a Abs. 3 AktG). Welche Herausforderungen mit dieser Gesetzestechnik europäisch-nationaler Mischnormen für Gesetzgebung und Rechtsanwendung verbunden sind, soll im Folgenden anhand der §§ 86 bis 88 GmbHG beispielhaft vor Augen geführt werden.

I. Gegenstand und Hintergrund der §§ 86 bis 88 GmbHG 1. Pflichtverletzungen bei Überwachung der Unabhängigkeit und Vorschlägen der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern Hand aufs Herz: Wem ist der Sinn der der §§ 86 bis 88 GmbHG bei erstmaliger Lektüre vollständig klar geworden? Vermutlich nähert man sich ih-

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Hartmut Wicke

rem Inhalt am besten, wenn man sich zunächst nach Art eines Überblicks mit ihrem Gegenstand und Hintergrund befasst. Die mit dem Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG)1 erstmals eingeführten Bestimmungen der §§ 86–88 GmbHG betreffen Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats oder eines Prüfungsausschusses bestimmter Unternehmen von öffentlichem Interesse in der Rechtsform der GmbH bei der Überwachung der Unabhängigkeit sowie beim Vorschlag der Bestellung von Abschlussprüfern. Im Sinne einer Grundnorm enthält § 87 GmbHG verschiedene Bußgeldtatbestände und darauf aufbauend (systematisch aber vorgelagert) § 86 GmbHG einen Straftatbestand für qualifizierte Verstöße. Nach § 88 GmbHG hat die zuständige Verwaltungsbehörde bzw. Staatsanwaltschaft ihre Entscheidungen an die neu eingerichtete Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausführungskontrolle zu übermitteln, von der sie gemäß § 69 WPO bekannt gemacht werden („Naming and Shaming“). 2. Umsetzung der Abschlussprüferrichtlinie und der Abschlussprüferverordnung Das AReG setzt die prüfungsbezogenen Vorschriften der geänderten Abschlussprüferrichtlinie um2 und führt die Abschlussprüferverordnung3 aus, deren Ziel es ist, „zur Qualität der Abschlussprüfung in der Europäischen Union und damit auch zu einem reibungslos funktionierenden Binnenmarkt im Sinne eines hohen Maßes an Verbraucher- und Anlegerschutz beizutragen“4. Die Brüsseler Vorgaben waren Teil der Maßnahmen, die als Reaktion auf die Finanzmarktkrise 2008 nach zum Teil heftigen Diskussionen verabschiedet wurden.5 Hinsichtlich der Tathandlungen verweist § 87 Abs. 1 GmbHG auf die Art. 4–6 und 16 der Abschlussprüferverordnung (APrVO), die nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbare Geltung beanspruchen, und damit Teil der Norm werden.6

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Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/ EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/ 2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) vom 10. Mai 2016, BGBl. I S. 1142. 2 RL 2014/56/EU; s. insbes. Art. 30, 30a. 3 VO (EU) Nr. 537/2014. 4 S. Erwägungsgrund 5 der Abschlussprüferverordnung. 5 Müller-Gugenberger ZWH 2016, 181. 6 Zu weiteren Beispielen europäisch-nationaler Mischnormen s. etwa Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), das zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 30. November 2019 (BGBl. I S. 1942) geändert worden ist.

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3. GmbH mit Aufsichtsrat; Parallelvorschriften Die §§ 86 bis 88 GmbHG kommen nur zur Anwendung, wenn die GmbH einen Aufsichtsrat hat und – sofern dieser fakultativ eingerichtet wurde – in der Satzung die Norm des § 100 Abs. 5 AktG (in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GmbHG) nicht abbedungen wurde. Die betroffenen Unternehmen von öffentlichem Interesse haben andernfalls zwingend einen Prüfungsausschuss zu bilden7, für den parallele Sanktionsvorschriften im HGB zu finden sind. Für Unternehmen von öffentlichem Interesse anderer Rechtsformen als der GmbH gibt es korrespondierende Bestimmungen in den einschlägigen Kodifikationen.8 Die Wiederholung der entsprechenden Tatbestände im HGB, PublG, AktG, GmbHG, GenG und VAG soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Pflichtenstellung der Gesellschaftsorgane in erster Linie durch die jeweiligen gesellschaftsformspezifischen Gesetze ausgestaltet wird9, was die Rechtslage aber jedenfalls nicht übersichtlicher macht. §§ 86, 87 GmbHG sind nach zutreffender Auffassung Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB10, wenngleich ein relevanter Schaden kaum jemals nachweisbar sein wird.

II. Täterkreis der §§ 86, 87 GmbHG 1. Unternehmen von öffentlichem Interesse in der Rechtsform der GmbH Als Täter der §§ 86, 87 GmbHG kommen nur Mitglieder des Aufsichtsrats oder Prüfungsausschusses eines „Unternehmens von öffentlichem Interesse“ in der Rechtsform der GmbH in Betracht. Der Gesetzgeber konkretisiert den durch Art. 2 Nr. 13 der RL 2014/56/EU vorgegebenen Begriff des Unternehmens von öffentlichem Interesse jeweils wortgleich für § 86 Abs. 1 GmbHG und § 87 Abs. 1 GmbHG in Gestalt der folgenden drei Ausprägungen: – Kapitalmarktorientierte Gesellschaften im Sinne des § 264d HGB; eine GmbH kann kapitalmarktorientiert sein, wenn von ihr ausgegebene Schuldverschreibungen oder Genussrechte an der Börse zugelassen sind und gehandelt werden11, was in der Praxis allerdings selten vorkommt12; 7

§ 324 HGB ggf. iVm § 340k Abs. 5, 341k Abs. 4 HGB. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 86 Rn. 3. 9 Blöink/Woodtli Der Konzern 2016, 75, 85. 10 Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 86 Rn. 2; Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019 § 86 Rn. 21; aA Schilha ZIP 2016, 128. 11 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 87 Rn. 8. 12 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 52 Rn. 329. 8

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– CRR-Kreditinstitute (im Sinne des § 1 Abs. 3d S. 1 KWG mit Ausnahme der in § 2 Abs 1 Nr. 1 und 2 KWG genannten); es handelt sich um früher sog. Einlagenkreditinstitute, die Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegennehmen, und Kredite für eigene Rechnung gewähren; die Abkürzung CRR geht dabei auf die englische Bezeichnung „Capital Requirements Regulation“ der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 zurück; – Versicherungen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der RL 91/674/EWG des Rates vom 19.12.1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen; aufgrund der darin erfolgenden Bezugnahme auf die weitere Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24.7.1973 sowie die mittlerweile aufgehobene RL 79/267/EWG des Rates vom 5.3.1979 ist die Definition „verschachtelt, kleinteilig und damit äußerst unübersichtlich gefasst“13; zu beachten ist weiterhin, dass erlaubnispflichtige Versicherungsgesellschaften hierzulande gemäß § 8 Abs. 2 VAG einem Rechtsformzwang unterliegen und eine GmbH als Träger des Versicherungsgeschäfts insoweit nicht in Betracht kommt.14 Die drei vorgenannten Ausprägungen der Unternehmen von öffentlichem Interesse finden sich auch in zahlreichen anderen gesetzlichen Vorschriften (s. z.B. 100 Abs. 5 AktG). Eine normübergreifende Begriffsbestimmung hätte sich im Interesse einer vereinfachten Rechtsanwendung angeboten. 2. Mitglieder des Aufsichtsrats oder Prüfungsausschusses Die Tatbestände der §§ 86 und 87 betreffen die Mitglieder des Aufsichtsrats oder Prüfungsausschusses eines Unternehmens von öffentlichem Interesse.15 Verfügt die GmbH über einen Aufsichtsrat, so kann dieser einen Prüfungsausschuss bilden (§ 107 Abs. 3 S. 2 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GmbHG). Wird ein Prüfungsausschuss – im Einklang mit europäischem Recht16 – nicht eingerichtet, werden die diesem übertragenen Aufgaben vom Gesamtaufsichtsrat wahrgenommen.17 Im Aufsichtsrat eines Unternehmens von öffentlichem Interesse muss nach § 100 Abs. 5 AktG (in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GmbHG) mindestens ein Mitglied über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen; zudem 13 14

Anders NZG 2018, 961, 962. S. dazu und zu Altfällen gemäß § 340 Abs. 1 VAG auch Anders NZG 2018, 961,

962 f. 15 Zur Abgrenzung des Aufsichtsrats von anderen Gremien s. Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 52 Rn. 22. 16 MüKoGmbHG/Spindler, GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 307; Art. 39 Abs. 4 RL 2014/56/EU. 17 MüKoGmbHG/Spindler, GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 52 Rn. 307; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 107 Rn. 26.

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müssen die Mitglieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein. Entsprechendes gilt gemäß § 107 Abs. 4 AktG (in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GmbHG) für einen von dem Aufsichtsrat eingerichteten Prüfungsausschuss.

III. Bußgeldtatbestände des § 87 GmbHG Die Bußgeldtatbestände des § 87 Abs. 1 GmbHG erfassen alle drei Kategorien der Unternehmen von öffentlichem Interesse, während § 87 Abs. 2 und 3 GmbHG nur für kapitalmarktorientiere Gesellschaften und die betreffenden CRR-Kreditinstitute, nicht aber für Versicherungen gilt. Als Blankettgesetz regelt § 87 GmbHG die relevanten Tathandlungen nicht abschließend selbst, sondern nimmt eine (statische) Verweisung auf die Art. 4, 5, 6 und 16 der unmittelbar anwendbaren APrVO vor.18 Darin werden als verpflichtete Personen zwar nur Mitglieder des Prüfungsausschusses genannt, aus der ausdrücklichen Bezugnahme in § 87 GmbHG folgt aber die Geltung auch für Aufsichtsratsmitglieder.19 Eine eigenständige Formulierung der relevanten Tathandlungen, also ohne Bezugnahme auf die APrVO, wäre in der Rechtsanwendung sicherlich leichter handhabbar gewesen, dürfte aber aus europarechtlichen Gründen an einer Ausführungssperre scheitern, die den nationalen Gesetzgeber bei unmittelbar anwendbarem Unionsrecht daran hindert, im diesbezüglich geregelten Bereich selbst Normen aufzustellen.20 Lediglich dann, wenn ein bestimmtes „System“ von Regelungen nur durch „das Zusammentreffen einer ganzen Reihe unionsrechtlicher, einzelstaatlicher und regionaler Vorschriften“ verwirklicht werden, darf der nationale Gesetzgeber eine zersplitterte Rechtslage ausnahmsweise durch den Erlass eines zusammenhängenden Gesetzeswerks bereinigen, auch wenn dadurch punktuelle Normwiederholungen nötig sind.21

18 Zur Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG s. Ulmer/ Habersack/Löbbe/Ransiek, GmbHG, 2. Aufl. 2016, §§ 86 bis 88 Rn. 20; MüKoGmbHG/ Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 86 Rn. 3; Anders NZG 2018, 961, 966; zu Bedenken gegenüber einer dynamischen Verweisung s. BGH BeckRS 2011, 7396 im Hinblick auf § 19 GÜG. 19 MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 87 Rn. 6. 20 S. dazu Jarras/Beljin NVwZ 2004, 1, 7; Anders NZG 2018, 961, 967; Cornelius NZWiSt 2014, 173, 176; ferner Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 AEUV Rn. 20. 21 Streinz/W. Schroeder, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 50; EuGH 272/83, Slg. 1985, 1057 Rn. 27.

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1. § 87 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG (Überwachung der Unabhängigkeit) Die Vorschrift ahndet Verstöße gegen Pflichten zur Überwachung der Unabhängigkeit der Abschlussprüfer, um Interessenkonflikte zu vermeiden, die sich aus ihrer Beziehung zum beauftragenden Unternehmen ergeben.22 Die Pflichten, deren Einhaltung zu überwachen ist, sind in Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2, Art. 5 Abs. 4 Uabs. 1 S. 1 und Art. 6 Abs. 2 APrVO formuliert. a) Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 APrVO (Ausnahme von der 15% Honorargrenze) Wenn die einem (Konzern-) Abschlussprüfer durch das Unternehmen von öffentlichem Interesse in den letzten drei Jahren gezahlten Honorare mehr als 15% von dessen Gesamteinnahmen betragen, hat der Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss nach entsprechendem Hinweis des Abschlussprüfers und Beratung über die Gefahren durch diesen anhand objektiver Gründe darüber zu entscheiden, ob der Abschlussprüfer die Abschlussprüfung für einen weiteren Zeitraum von höchstens zwei Jahren durchführen darf. Nicht zweifelsfrei ist nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 APrVO, ob der Verlängerungszeitraum das vierte und fünfte Jahr oder das fünfte und das sechste Jahr betrifft unter der Annahme, dass nach dem DreiJahreszeitraum noch ein viertes Jahr für die Analyse und Entscheidung verbleiben soll.23 Unklar erscheint zudem, was objektive oder „triftige“ Gründe (s. Erwägungsgrund 7 der APrVO) sind; als Teil eines Bußgeld- bzw. Straftatbestands ist die Formulierung im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz nicht unproblematisch.24 Pflichtwidrig ist das Unterlassen einer Entscheidung und eine nicht ordnungsgemäße Begründung.25 Es empfiehlt sich daher vorsorglich, nachvollziehbare Erwägungen schriftlich niederzulegen.26 b) Art. 5 Absatz 4 Uabs. 1 S. 1 APrVO (Billigung von Nichtprüfungsleistungen) Der die Abschlussprüfung bei einem Unternehmen von öffentlichem Interesse (bzw. einer Konzerngesellschaft) durchführende Abschlussprüfer bzw. 22

Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 87 Rn. 3. So die hM, s. Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 87 Rn. 4; MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 87 Rn. 6. 24 So auch Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 87 Rn. 5; Baumbach/Hueck/ Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 87 Rn. 3. 25 Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 87 Rn. 3; aA wohl Roth/ Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 87 Rn. 5. 26 Anders NZG 2018, 961, 964. 23

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ein Mitglied desselben Prüfernetzwerks (s. § 319b Abs. 1 S. 3 HGB) darf andere als Prüfungsleistungen („Nichtprüfungsleistungen“; s. Erwägungsgrund 8 der APrVO) – soweit es sich nicht ohnehin um „verbotene Nichtprüfungsleistungen“ gemäß Art. 5 Abs. 1 und 2 APrVO handelt – nur erbringen, wenn dies vom Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss „nach gebührender Beurteilung der Gefährdung der Unabhängigkeit und der angewendeten Schutzmaßnahmen gemäß Art. 22b der Richtlinie 2006/43/EG“ (vorab) gebilligt wurde; der in Bezug genommene Art. 22b wurde durch die RL 2014/56/EU geändert. Die Formulierung wirft erneut Fragen der Bestimmtheit auf, die zumindest eine restriktive Handhabung gebieten.27 Für Steuerberatungsleistungen besteht ein besonderer Billigungstatbestand (Art. 5 Abs. 3 APrVO, § 319a Abs. 3 HGB), der von § 87 Abs. 1 Nr. 1 nicht erwähnt wird und daher wohl von der Vorschrift nicht erfasst wird.28 c) Art. 6 Abs. 2 APrVO Der Abschlussprüfer hat jährlich schriftlich gegenüber dem Aufsichtsrat (oder Prüfungsausschuss) zu erklären, dass der prüfende Abschlussprüfer (bzw. das leitende Personal oder der Prüfungspartner) unabhängig vom geprüften Unternehmen sind und die Gefahren für die Unabhängigkeit einschließlich der angewandten Schutzmaßnahmen zu deren Verminderung zu erörtern. Der Aufsichtsrat (oder Prüfungsausschuss) handelt pflichtwidrig, wenn die schriftliche Erklärung oder die Erörterung der Gefahren ausbleibt und er deren Vornahme nicht einfordert. 2. § 87 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG (Empfehlung für Abschlussprüferbestellung an den Aufsichtsrat) Die Vorschrift sanktioniert Pflichtverletzungen des Prüfungsausschusses im Zusammenhang mit seiner Empfehlung für die Bestellung des Abschlussprüfers an den Aufsichtsrat. Soweit es nicht um eine zulässige Erneuerung des Prüfungsmandats geht, muss die Empfehlung begründet sein, mindestens zwei Vorschläge mit einer begründeten Präferenz für einen der beiden enthalten und erklären, dass keine ungebührliche Einflussnahme erfolgt ist und keine auswahlbeschränkende Klausel vorliegt (s. Art. 16 Abs. 2 Uabs. 2 und 3 APrVO). Der Empfehlung muss zudem ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren vorausgegangen sein (zu den Einzelheiten s. Art. 16 Abs. 3 Uabs. 1 APrVO). Die Voraussetzungen gelten nicht, wenn die Emp-

27

Anders NZG 2018, 961, 964; Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 87 Rn. 6. MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 87 Rn. 9; Lanfermann/Maul BB 2016, 363, 365. 28

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fehlung auf einem Verlangen der Aufsichtsbehörde nach § 36 Abs. 1 S. 2 VAG beruht.29 3. § 87 Abs. 2 und 3 GmbHG (Vorschlag für Abschlussprüferbestellung an die Gesellschafterversammlung) Die Vorschriften regeln den Fall, dass der Vorschlag des Aufsichtsrats an die Gesellschafterversammlung zur Bestellung des Abschlussprüfers nicht den Anforderungen des Art. 16 Abs. 5 Uabs. 1 APrVO entspricht, da die Empfehlung nicht entsprechend den Vorgaben des Art. 16 Abs. 2 Uabs. 2 und 3 APrVO begründet ist bzw. nicht, wie gefordert, eine Präferenz zum Ausdruck bringt. § 87 Abs. 2 GmbHG betrifft dabei Gesellschaften ohne Prüfungsausschuss und § 87 Abs. 3 GmbHG Gesellschaften mit Prüfungsausschuss. Bei Vorhandensein eines Prüfungsausschusses muss zusätzlich eine etwaige Abweichung von dessen Empfehlung offengelegt und begründet werden, zudem darf kein Abschlussprüfer vorgeschlagen werden, der nicht an dem vom Prüfungsausschuss durchgeführten Auswahlverfahren teilgenommen hat (Art. 16 Abs. 5 Uabs. 2 S. 1 oder 2 APrVO). § 87 Abs. 2 und 3 GmbHG gelten allein für kapitalmarktorientierte Gesellschaften und die relevanten CRR-Kreditinstitute, nicht hingegen für Versicherungsgesellschaften, bei denen die Bestellung des Abschlussprüfers – abweichend von der allgemeinen Bestimmung des § 318 Abs. 1 S. 1 HGB – gemäß § 341k Abs. 2 S. 1 dem Aufsichtsrat obliegt.30 Als Täter der Vorschriften kommen nur Aufsichtsratsmitglieder in Betracht. 4. Weitere Fragen Sämtliche Ordnungswidrigkeiten des § 87 GmbHG setzen vorsätzliches Handeln voraus (§ 10 OWiG), wobei bedingter Vorsatz genügt. Bei einem Verstoß kann eine Geldbuße bis zu 50.000 Euro verhängt werden. Zuständige Verwaltungsbehörde für die Verfolgung und Ahndung ist bei den relevanten CRR-Kreditinstituten und Versicherungen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Übrigen das Bundesamt für Justiz.

29 Einschränkung/Korrektur eingeführt durch Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie; vgl. dazu Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 87 Rn. 7a. 30 S. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 87 Rn 8a zur entsprechenden Korrektur von § 87 Abs. 2 und 3 GmbHG durch das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie.

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IV. Straftatbestände des § 86 GmbHG Die Straftatbestände des § 86 haben zur Voraussetzung, dass der Täter für eine der in § 87 Abs. 1 bis 3 genannten Tathandlungen „einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt“ (Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1) oder eine solche Handlung „beharrlich wiederholt“ (Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2). Es handelt es sich bei der Norm des § 86 ebenso wie bei § 87 um ein Blankettgesetz, da zur Beschreibung des Täters und der Tathandlungen neben § 87 auf Vorschriften des HGB und des EU-Rechts Bezug genommen wird.31 Strafbar ist nur vorsätzliches Verhalten (§ 15 StGB), der Versuch ist nicht strafbar (§ 23 Abs. 1 StGB). 1. Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1: einen Vermögensvorteil erhalten oder sich versprechen lassen Vermögensvorteil ist jede geldwerte Leistung, auf die der Täter keinen Anspruch hat, und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert.32 Dieser kann auch in der Ersparnis von Aufwendungen bestehen. Ein immaterieller Vorteil, ein Vorteil allein eines Dritten oder ein Vorteil, auf den ohnehin ein Anspruch besteht (insbes. Organvergütung) genügen nicht. Erforderlich ist eine (ausdrückliche oder konkludente) sog. „Unrechtsvereinbarung“ im Sinne eines Austauschverhältnisses zwischen dem Täter und demjenigen, der den Vorteil gewährt oder verspricht, dass der Erfolg für eine Tat nach § 87 gewährt oder versprochen wird, selbst wenn der Täter den Vorteil später nicht erlangt. 2. Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2: beharrliches Wiederholen Erforderlich ist ein mehrfaches Wiederholen, so dass (einschließlich Anlasstat) zumindest drei Verstöße notwendig sind33, und zwar nach dem Wortlaut jeweils bezogen auf dieselbe Tatbestandsvariante.34 Beharrlich meint eine besondere Hartnäckigkeit und damit gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters 31 MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 86 Rn. 3; Anders NZG 2018, 961, 967: mehrfach gestufte Blankette. 32 S. i.E. Anders NZG 2018, 961, 968. 33 MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 86 Rn. 13; Baumbach/Hueck/ Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 86 Rn. 13; aA die wohl hM, s. Anders NZG 2018, 961, 969: eine Vortat genügt. 34 MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 86 Rn. 13; aA Baumbach/ Hueck/Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 86 Rn. 13.

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gegenüber dem Verbot. Dem Täter muss zumindest einer seiner früheren Verstöße zu Recht von der zuständigen Behörde vorgehalten worden sein.35 3. Rechtsfolge Als Strafrahmen ist Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorgesehen. Darüber hinaus kann das Gericht gemäß § 70 StGB unter den dort genannten Voraussetzungen ein Berufsverbot für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren verhängen.36 Im Hinblick auf die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) kommt dies allerdings nur bei besonders schwerwiegenden Fällen in Betracht.37

V. „Naming and Shaming“ (§ 88; § 69 WPO) Jede rechtskräftige Bußgeldentscheidung nach § 87 GmbHG und jede rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat nach § 86 GmbHG soll von der neu eingerichteten Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausführungskontrolle (s. Art. 2 APAReG) auf ihrer Internetseite öffentlich bekannt gemacht werden (§ 69 Abs. 1a WPO) und dort für fünf Jahre ab Unanfechtbarkeit oder Rechtskraft veröffentlicht bleiben (§ 69 Abs. 3 WPO). Auf diese Weise soll im Sinne eines „Naming and Shaming“ Transparenz im Hinblick auf die verhängten Sanktionen und Maßnahmen geschaffen werden.38 Wenngleich die Bekanntmachung keine personenbezogenen Daten enthalten darf (§ 69 Abs. 1 S. 2, Abs. 1a S. 3 WPO) und u.a. dann anonymisiert zu erfolgen hat, wenn den Beteiligten andernfalls ein unverhältnismäßig großer Schaden zugefügt würde (§ 69 Abs. 2 WPO), wird die mit der Veröffentlichung verbundene „Prangerwirkung“ im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte und die Berufsfreiheit der Betroffenen zu Recht kritisiert.39 Im Vorfeld der Bekanntmachung sieht § 88 GmbHG Mitteilungspflichten an die APAS vor. Im Fall einer Bußgeldentscheidung nach § 87 GmbHG hat die zuständige diese zu übermitteln (§ 88 Abs. 1 GmbHG), soweit nicht eine 35 MüKoGmbHG/Altenhain, GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 86 Rn. 13; Baumbach/Hueck/ Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 86 Rn. 13. 36 S. dazu auch Art. 30a Abs. 1 lit. e) RL 2014/56/EU; ferner Lutter/Hommelhoff/ Kleindiek, GmbHG, 22. Aufl. 2020, § 86 Rn. 15 37 Vgl. RegE AReG, BT-Drs. 18/7219, S. 48; Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 86 Rn. 7. 38 S. dazu Erwägungsgrund 15 und Art. 30e RL 2014/56/EU. 39 S. BeckOK GmbHG/Müller § 88 Rn. 11 ff.; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 88 Rn. 6; Schilha ZIP 2016, 1328.

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Verfahrenseinstellung nach § 47 OWiG erfolgt ist. Die Mitteilung ergeht erst nach Rechtskraft der Entscheidung.40 Bei Strafverfahren gemäß § 86 GmbHG obliegt der Staatsanwaltschaft die Mitteilung (§ 88 Abs. 2 GmbHG). Wie § 88 Abs. 2 S. 2 GmbHG zeigt, sollen nicht nur rechtskräftige Entscheidungen übermittelt werden, sondern gerichtliche Abschlussentscheidungen nach Erhebung der Anklage (§ 170 Abs. 1 StPO) oder Beantragung eines Haftbefehls (§ 407 Abs. 1 S. 4 StPO) unter Hinweis auf ein etwa eingelegtes Rechtsmittel. Da im Ergebnis nur rechtskräftige Verurteilungen bekannt gemacht werden (§ 69 Abs. 1a WPO), bestehen ggf. ergänzende Mitteilungspflichten über den Verfahrensausgang.41 Die APAS übermittelt ihrerseits gemäß § 69 Abs. 4 WPO jährlich zusammen gefasste Informationen über die bekannt gemachten Entscheidungen an den sog. Ausschuss der Aufsichtsstellen (Art. 30 APrVO).42

VI. Zur Messgenauigkeit europäischen Sekundärrechts Im Ergebnis zeigt sich, dass der Weg durch das Dickicht der §§ 86 bis 88 GmbHG als Beispielsfalls europäisch-nationaler Mischnormen durchaus mühsam, wenngleich nicht undurchdringlich ist. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich der moderne Rechtsanwender neben den nationalen Rechtsvorschriften stets ungehinderten Zugang zu Quellen des europäischen Sekundärrechts verschaffen muss. Der Einfluss europäischen Rechts auf das Wirtschaftsrecht ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen und es ist zu erwarten, dass dieser Trend nicht nachlassen wird. So zeigen gerade die infolge der Finanzmarktkrise erlassene Abschlussprüferrichtlinie und Abschlussprüferverordnung, dass sich Probleme der globalisierten Wirtschaft häufig nicht sinnvoll im nationalen Alleingang lösen lassen. Gleichzeitig stellt die direkte Einbeziehung Brüsseler Vorgaben im Rahmen europäisch-nationaler Mischnormen eine besonders anspruchsvolle Aufgabe für die Gesetzgebung dar, von deren Gelingen nicht zuletzt die Effizienz der Rechtsanwendung abhängig ist. Im Fall der Mitglieder eines betroffenen Aufsichtsrats oder Prüfungsausschusses als Adressaten der §§ 86 bis 88 GmbHG bzw. der korrespondierenden Parallelnormen wird man angesichts der Komplexität der Regelungen im Grundsatz kaum mehr davon ausgehen können, dass sie sich unmittelbar selbst durch Lektüre des Gesetzes Kenntnis von ihren rechtlichen Pflichten verschaffen. Wenn vermieden werden soll, dass die Aufklä40

Arg. § 88 Abs. 2 S. 2 GmbHG; Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 88 Rn. 3; Baumbach/Hueck/Buerskens, GmbHG, 20. Aufl. 2019, § 88 Rn. 2. 41 Anders NZG 2018, 961, 970. 42 Dazu Anders NZG 2018, 961, 971.

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rung allein mit Hilfe von Vorlagen erfolgt, die eigens von den zu überwachenden Abschlussprüfern zu diesem Zweck vorbereitet werden, sind sie daher auf anderweitige juristische Expertise angewiesen. Das Verständnis europäischer-nationaler Rechtsnormen gestaltet sich auch dann kompliziert, wenn die Verweisung sich, wie im Fall der §§ 86 bis 88 GmbHG, nur auf einzelne Absätze und Unterabsätze einer EU-Verordnung bezieht. Das AReG hat die europäischen Vorgaben dahingehend interpretiert, dass lediglich die im Zusammenhang mit einer Abschlussprüfung stehenden Pflichten der Sanktionspflicht unterliegen, nicht hingegen insbesondere die laufenden Überwachungspflichten im Hinblick auf die Rechnungslegung sowie das Risikomanagementsystem des Unternehmens.43 Dies ändert nichts daran, dass der Rechtsanwender sich bei einer gründlichen Gesetzesanalyse auch mit dem Gesamtkontext der in Bezug genommenen Rechtsvorschriften befassen muss. Dazu gehören streng genommen auch die über viele Seiten gehenden 37 Erwägungsgründe als Ergebnis eines multilateralen politischen Kompromisses, denen zwar regelmäßig kein unmittelbarer Normbefehl zu entnehmen ist, die aber sicherlich größere Bedeutung als eine Gesetzesbegründung haben, da sie als Bestandteil der Verordnung verabschiedet und publiziert werden und vom EuGH nicht selten (mitunter auch selektiv) bei der Urteilsfindung herangezogen werden.43a Hinzu kommt, dass die Messgenauigkeit europäischer Rechtsnormen aufgrund des internationalen mehrsprachigen Kontexts gegenüber rein nationalen Gesetzesbestimmungen notgedrungen geringer ist. Jeder, der sich einmal mit der Übersetzung juristischer Texte befasst hat44, kann ein Lied davon singen, wie anspruchsvoll die Übertragung vermeintlich paralleler Begriffe in eine andere Sprache vor dem Hintergrund unterschiedlicher rechtlicher Konzepte ist. Letztlich werden sich sogar Übersetzungsfehler angesichts des beträchtlichen permanenten Arbeitspensums der europäischen Übersetzungsdienste nicht zu 100% vermeiden lassen.

VII. Schluss Mit der wachsenden Europäisierung des Wirtschaftsrechts werden zunehmend unmittelbare Verflechtungen von supranationalen und mitglied43 Böink/Woodtli Der Konzern 2016, 75, 84; Meyer/Mattheus DB 2016, 695, 699; Anders NZG 2018, 961, 963 f. 43a S. auch EuGH, Urteil v. 29.4.2004, Italien/Kommission, C-372/97, EU:C:2004:234, Rn. 125; EuGH, Urteil v. 12.7.2005, Alliance for Natural Health, C-154/04, EU:C:2005: 449, Rn. 91 f. 44 Wie der Verfasser etwa erstmals bei der Übersetzung der Grundregeln des europäischen Vertragsrechts der Kommission für Europäisches Privatrecht, vgl. Drobnig/Zimmermann/Wicke ZEuP 2000, 675.

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staatlichen Rechtsvorschriften auftreten. Das Beispiel der §§ 86 bis 88 GmbHG zeigt, welch anspruchsvolle Herausforderung die Formulierung europäisch-nationaler Mischnormen für den Gesetzgeber darstellt. Je besser diese bewältigt wird, desto größer wird die Effizienz in der praktischen Rechtsanwendung und die Akzeptanz im Rechtsverkehr sein.

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Objektive organbezogene Besetzungsregeln für den Aufsichtsrat CHRISTINE WINDBICHLER

I. Einleitung Klaus Hopt einen Beitrag zu widmen, der sich mit Aufsichtsräten befasst, verlangt einigen Mut, besteht doch die Vermutung, dass er sowohl an Kenntnis des Rechts im In- und Ausland als auch an Informationen aus der Praxis stets voraus ist. Das heikle Unterfangen ist getragen von der Hoffnung, dass der Jubilar Lösungsideen zu den hier aufgeworfenen Problemen hat. Persönliche Anforderungen an die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat sind in § 100 Abs. 1–4 AktG geregelt; hinzu kommen ggf. branchenspezifische Vorgaben des Regulierungsrechts. Erfüllt eine Person solche Anforderungen nicht und wird sie gleichwohl gewählt, ist die Wahl nichtig bzw. anfechtbar, §§ 250 f. AktG, § 22 Abs. 1 MitbestG.1 Dazu gibt es zwar genügend Detailfragen, im Vordergrund sollen hier aber Anforderungen an die Besetzung des Aufsichtsrates im Ganzen stehen. Dann geht es nicht um konkrete „Plätze“, sondern um die Gesamtheit des Gremiums, die bestimmten Anforderungen genügen soll oder muss. Dann nämlich ist zu fragen, wer eigentlich für die richtige Besetzung verantwortlich ist und wie sich solche Verantwortlichkeiten auswirken. Hier ergeben sich Konflikte zwischen der Wahlfreiheit, den Zielen der jeweiligen Besetzungsregel und dem Oberziel eines unter Corporate Governance-Gesichtspunkten funktionsfähigen Aufsichtsrates.2 Die verschiedenen Besetzungsregeln sowie die persönlichen Anforderungen überschneiden sich und führen zu einer unübersichtlichen Gemengelage. Der Gesetzgeber gibt, insbesondere hinsichtlich der Geschlechterquote, einige Verfahrensvorschriften an die Hand, die aber keineswegs alle Fragen beantworten. Die besonderen Probleme bei der SE 1 GroßKommAktG/Hopt/Roth 5. Aufl. 2019, § 100 Rn. 248 ff.; zum Verhältnis von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nach § 22 Abs. 1 MitbestG GroßKommAktG/Oetker 5. Aufl. 2018, MitbestG § 22 Rn. 6 f. 2 Zu Aufgaben und Funktion des Aufsichtsrates Hopt ZGR 2019, S. 507, 523 ff.; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 111 Rn. 17 ff., § 116 Rn. 24 ff.; Hopt in Hopt/Wohlmannstetter (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011, S. 3, 13, 16 f.

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bleiben nachfolgend unberücksichtigt, da einerseits die Anwendung seltener ist als bei der AG und andererseits die jeweiligen Mitbestimmungsvereinbarungen berücksichtigt werden müssten.

II. Persönliche Anforderungen und Besetzungsregeln Neben den allgemeinen Anforderungen wie unbeschränkte Geschäftsfähigkeit etc.3 sind etwa auf Seiten der Arbeitnehmervertreter die Unternehmenszugehörigkeit, die Beschäftigung als leitender Angestellter oder ein Gewerkschaftsvorschlag Voraussetzung einer gültigen Wahl, §§ 7 Abs. 2 und 3, 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 2, 16 Abs. 2 MitbestG.4 Die Voraussetzungen sind in den Wahlvorschlägen zu berücksichtigen, ggf. greift das Wahlverfahren korrigierend ein. Die Wahlfreiheit wird dadurch geschützt, dass bei nur einem Wahlvorschlag dieser doppelt so viele Bewerber enthalten muss, wie Aufsichtsratssitze für die betreffende Gruppe zu besetzen sind, §§ 15 Abs. 3 Satz 2, 16 Abs. 2 Satz 3 MitbestG. Keine persönliche Anforderung hingegen sind die objektiven Besetzungsregeln. Darunter fällt die Zugehörigkeit zum „richtigen“ Geschlecht i.S.d. § 96 Abs. 2 AktG,5 was im Gesetzgebungsverfahren eine Rolle spielte.6 Ebenso wenig ist die Expertise in Rechnungslegung oder Abschlussprüfung, § 100 Abs. 5 AktG, eine Wählbarkeitsvoraussetzung ad personam, was einen spezifizierten Wahlvorschlag aber nicht ausschließt.7 Aber auch dann ist der besondere Sachverstand keine zusätzliche Wahlvoraussetzung.8 Es kann ein anderes Mitglied des Aufsichtsrates, auch der Arbeitnehmerseite,9 die nötige Qualifikation aufweisen. Der Verzicht auf das Merkmal der Unabhängigkeit durch das AReG entlastet das ohnehin komplizierte Verfahren.10

3 Zu den allgemeinen Anforderungen GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 24 ff. 4 Zu den Einzelheiten GroßKommAktG/Oetker (Fn. 1) MitbestG § 7 Rn. 15 ff., 27 ff., § 15 Rn. 14 f.; Henssler in Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht 4. Aufl. 2018, § 7 MitbestG Rn. 34 ff., 57 ff., § 15 MitbestG Rn. 33 ff., 46 ff. 5 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 27. 6 Seibert NZG 2016, 16, 18. 7 Drygala in Schmidt/Lutter AktG 3. Aufl. 2015, § 100 Rn. 42: objektive Besetzungsregel; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 227, 240. 8 Drygala in Schmidt/Lutter (Fn. 7) § 100 Rn. 60; Gesell ZGR 2011, 361, 393; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 227; Hüffer/Koch AktG 13. Aufl. 2018, § 100 Rn. 28; MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. 2019, § 100 Rn. 70. 9 Nach dem Wegfall des Unabhängigkeitserfordernisses weniger problematisch, gleichwohl vielleicht keine gute Governance. 10 Nach Hopt/Roth war eine rechtssichere Besetzung des unabhängigen Finanzexperten und damit des Aufsichtsrates nicht möglich; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 236 a.E.

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Ausdrücklich auf die Gesamtheit der Mitglieder stellt § 100 Abs. 5 letzter Teilsatz AktG ab, der Vertrautheit mit der Branche verlangt. Auch die Unabhängigkeit, die der Deutsche Corporate Governance Kodex in C.6 und C.7 empfiehlt,11 ist keine Wählbarkeitsvoraussetzung für Anteilseignervertreter. Nach der Kodexempfehlung C.1 soll der Aufsichtsrat für seine Zusammensetzung konkrete Ziele benennen und ein Kompetenzprofil für das Gesamtgremium erarbeiten. Vorschläge des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung sollen diese Ziele berücksichtigen und gleichzeitig die Ausfüllung des Kompetenzprofils für das Gesamtgremium, also ggf. unter Berücksichtigung der Arbeitnehmervertreter, anstreben. Nach seinem Wortlaut zielt auch § 111 Abs. 5 AktG, der die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil fordert, auf den Gesamtaufsichtsrat; in der Literatur wird freilich ein Wahlrecht nach Bänken angenommen.12 Die Regeln und Anforderungen haben jeweils für sich genommen besondere Gründe und Ziele. Teilweise steht die Legitimation durch Teilhabe im Vordergrund (Arbeitnehmervertreter), teilweise die Überwachungsaufgabe (Unabhängige und Experten), teilweise ein gesellschaftspolitisches Ziel (Geschlechterquote).13 Das alles trifft sich in dem einen Organ Aufsichtsrat, dem eine pluralistische Besetzung gut tun mag, dem verschiedene, ineinandergreifende, nicht aufeinander abgestimmte Besetzungsverfahren aber auch schaden können.

III. Verantwortlichkeit für die „richtige“ Besetzung des Gesamtaufsichtsrates Die Frage, wer bei organbezogenen Besetzungsregeln Normadressat sei, wurde schon früher aufgeworfen,14 wenn auch ohne konsentiertes Ergebnis. 1. Gesamtverantwortung für Gesamtbesetzung? Da es nicht um vordefinierte „Plätze“ geht, könnte man alle Personen und Gremien, die mit der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern befasst sind, für verantwortlich für eine gesetzeskonforme Gesamtbesetzung erklären. In der Wahrnehmung von Rechten läge dann zugleich eine Pflicht zur geset11

Deutscher Corporate Governance Kodex i.d.F. 2020. GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 111 Rn. 779; Seibt ZIP 2015, 1193, 1205. 13 Zur gesellschaftspolitischen Ausrichtung der Geschlechterquote Drygala NZG 2015, 1129, 1131; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 86; MüKoAktG/Habersack (Fn. 8) § 96 Rn. 34; Windbichler in FS Seibert 2019, S. 1127, 1138 f.; dies. GesR 24. Aufl. 2017, § 25 Rn. 19, § 28 Rn. 24. 14 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 116; Kropff in FS K. Schmidt 2009, S. 1023, 1032; MüKoAktG/Habersack (Fn. 8) § 100 Rn. 77 will alle zur Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern Berufene an die Besetzungsregel binden. 12

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zeskonformen Gestaltung. Betroffen wären alle, die zu Wahlvorschlägen berechtigt sind, die jeweiligen Wahlkörper, Entsendungsberechtigte und das Gericht bei Ersatzbestellung nach § 104 AktG über die in Abs. 4 und 5 explizit genannten Kriterien hinaus. Dass dies nicht konfliktfrei möglich ist, zeigt die Lösung des Gesetzgebers für die Geschlechterquote. Diese begünstigt die Trennung der Arbeitnehmer- und der Anteilseigner-„bank“, entgegen der ursprünglichen Intention des MitbestG,15 und ermöglicht unterschiedliche Rechtsfolgen bei Quotenverfehlung. Die damit verbundenen Verwicklungen hat der Jubilar zusammen mit M. Roth in seiner Kommentierung der einschlägigen Vorschriften eingehend dargelegt.16 Die Überschneidungen mit dem Erfordernis eines Finanzexperten und der Branchenkunde sowie dem Bemühen, den Empfehlungen des DCGK nachzukommen, bleiben meist ausgeblendet. Die Vorstellung einer Verantwortung aller Beteiligten für die Gesamtbesetzung kollidiert mit der Wahlfreiheit der jeweils Wahlberechtigten als grundsätzlich eigennützigem körperschaftlichem Recht17 und setzt Vorschlagsberechtigte unter den Druck eher zufälliger Rahmen- und Verfahrensbedingungen. Dieses eigentlich offenkundige Zwischenergebnis soll noch ein wenig aufgefächert werden. 2. Am Prozess der Aufsichtsratsbestellung Beteiligte Als Adressat der Anforderung, mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrates müsse über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen, wird „die Gesellschaft“ angesehen.18 Diese Aussage hilft aber nicht weiter, wenn es um die konkret am Auswahlprozess Beteiligten und deren Verantwortung geht. a) Wahlkörper und Bestellungsberechtigte aa) Hauptversammlung Die Hauptversammlung beschließt über die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner, § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG; der Aufsichtsrat unterbereitet Wahlvorschläge, § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG; außerdem kann jeder Aktionär Wahlvorschläge unterbreiten, § 127 AktG. Praktisch stehen die 15 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 116; Hopt in Davies/Hopt/Nowak/ von Solinge, Corporate Boards in Law and Practice, 2013, S. 3, 74; Oetker ZHR 179 (2015), 707, 729 f.; vgl. auch die Kritik an § 32 MitbestG, Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG 6. Aufl. 2015, § 32 Rn. 3 a.E. m.w.N. 16 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 83 ff. 17 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 101 Rn. 25 ff.; Kropff in FS K. Schmidt 2009, S. 1023, 1032. 18 Henssler in Henssler/Strohn GesR 4. Aufl. 2019, § 100 AktG Rn. 16.

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Vorschläge des Aufsichtsrates im Vordergrund (unten III. 2. b aa). (Kampf-)Abstimmungen mit offenem Ausgang sind seltene Ausnahmen. Es handelt sich also eher um einen Kooptationsprozess mit Ratifizierung.19 In manchen Ländern ist dieses Verfahren bereits von Rechts wegen so angelegt, wie die Auseinandersetzungen um das nomination right in den USA, dort verknüpft mit dem Zugang zur sog. proxy machinery, zeigen.20 Das Kooptationselement liegt nahe, denn die Hauptversammlung selbst ist in ihrer Leistungsfähigkeit als Such- und Entscheidungsorgan beschränkt.21 Hinzu kommt, dass der Wahlbeschluss sich möglicherweise aus konkurrierenden Stimmabgaben für konkurrierende Vorschläge zusammensetzt. Als Wahlorgan ist die Hauptversammlung zwar zur Einhaltung der Besetzungsanforderungen aufgerufen,22 kann aber die „richtige“ Wahl nicht sicherstellen. Rechtsfolgen, Problemlösung und Problemvermeidung verschieben sich wesentlich auf Zufälle der Vakanzen und des Zeitablaufs sowie das Wahlverfahren, zumal objektive organbezogene Besetzungsregeln den gesamten Aufsichtsrat einschließlich der Arbeitnehmervertreter betreffen. Die Vorstellung einer Gesamtverantwortung der Hauptversammlung spiegelt sich in der Annahme, Wahlbeschlüsse seien mit der Begründung anfechtbar, dass das Wahlergebnis der objektiven Besetzungsregel nicht Rechnung trage und deshalb rechtswidrig sei.23 Dagegen wird eingewandt, dass der Wahlbeschluss selbst rechtmäßig sei und das Gesamtergebnis von weiteren Umständen abhängig sei.24 Nach wieder anderer Ansicht ist die Hauptversammlung nicht Adressat des § 100 Abs. 5 AktG.25 Die Anfechtbarkeit könne sich aber aus einem fehlerhaften Wahlvorschlag des Aufsichtsrates ergeben (dazu unten III. 2. b aa). Fälle, in denen im vorhandenen Aufsichtsrat keine einschlägig qualifizierte Person sitzt, so dass bei nur einer zu wäh19 Armour/Enriques/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour et al., The Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 49, 53 ff. 20 Vgl. SEC Rule 14a-8(i)(8), 17 CFR § 240.14a-8(i)(8): sog. election exclusion, sowie Rule 14a-11 auf der Basis von Sec. 971 des Dodd-Frank Act, aufgehoben durch den U.S. Court of Appeals for the D.C. Circuit, Bus. Roundtable and Chamber of Com. v. S.E.C., 22.7.2011; M.D. Hartmann, Shareholder Activism. Benefits and Drawbacks, 2012, S. 51 ff.; unterhaltsam Gramm, Dear Chairman. Boardroom Battles and the Rise of Shareholder Activism, 2015, S. 20 ff. 208 ff. 21 J. Vetter in FS Seibert 2019, S. 1021, 1033 ff. 22 Dazu, ob und wieweit sich der DCGK an die Hauptversammlung wendet, Hopt/ Leyens ZGR 2019, 929, 941. 23 Grunewald NZG 2015, 609, 612; Habersack AG 2008, 98, 106; MüKoAktG/ Habersack (Fn. 8) § 100 Rn. 75 f. m.w.N.; Staake ZIP 2010, 1013, 1020; E. Vetter in FS Maier-Reimer 2010, S. 795, 811; ders. ZGR 2010, 751, 787 f.; nur für bestimmte Ausnahmefälle Kropff in FS K. Schmidt 2009, S. 1023, 1033 f.; ebenso Gesell ZGR 2011, 361, 393 f.; angedeutet in LG München I v. 26.2.2010 – 5 HKO 14083/09, ZIP 2010, 2098 Rn. 69: „allenfalls anfechtbar“. 24 Drygala in Schmidt/Lutter (Fn. 7) § 100 Rn. 62; Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 100 Rn. 28. 25 Nowak, BB 2010, 2423, 2426.

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lenden Person diese der Finanzexperte sein muss,26 dürften selten sein. Aber auch dann hinge die „Rechtmäßigkeit“ des Wahlbeschlusses von Rahmenbedingungen ab, auf die die Hauptversammlung keinen Einfluss hat (Entsendungen, Arbeitnehmervertreter).27 bb) Entsendungsberechtigte Ein Entsendungsberechtigter muss die allgemeinen persönlichen und die satzungsmäßigen Voraussetzungen für das zu entsendende Aufsichtsratsmitglied sowie die aktienrechtliche Treuepflicht beachten.28 Darüber hinaus erklärt § 96 Abs. 2 Satz 6 AktG die Entsendung für nichtig, wenn zum Entsendungszeitpunkt zur erforderlichen Gesamt- bzw. Bankbesetzung eine Person mit dem „falschen“ Geschlecht entsandt wurde. Das mag den Entsendungsberechtigten in Schwierigkeiten bringen, vor allem wenn er seine Wahl in Erfüllung satzungsmäßiger Anforderungen zu treffen hat. Hinsichtlich der Sachkunde als Finanzexperte ist streitig, ob eine Verpflichtung zur Rücksicht auf die Gesamtbesetzung des Aufsichtsrats besteht. Auch hier spielt die für den Entsendungsberechtigten eher zufällige übrige Besetzung des Aufsichtsrates eine Rolle. Für die Praxis werden Satzungsregeln empfohlen. Der Entsendungsberechtigte könnte kraft Treuepflicht zur Zustimmung zu einer Satzungsänderung verpflichtet sein,29 womöglich zu einer entsprechenden Entsendung.30 cc) Arbeitnehmer und deren Delegierte Sind die Arbeitnehmer bzw. deren Delegierte zur Wahl aufgerufen, sind drei Wahlgänge zu unterscheiden: für die Unternehmensangehörigen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG, den leitenden Angestellten, § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG, und die sog. Gewerkschaftsvertreter, § 16 MitbestG. Für den Fall der Getrennterfüllung des Geschlechterproporzes gibt § 18a MitbestG einen Lösungsmechanismus vor. Der/die leitende Angestellte bleibt dabei unberücksichtigt.31 Wird die Quote bei (angestrebter) Gesamterfüllung verfehlt, hilft § 18a MitbestG nicht; die Rechtsfolgen sind streitig.32 Ein Arbeit26

In dieser Richtung das Beispiel bei Kropff in FS K. Schmidt, 2009, S. 1023, 1034; auch GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 241. 27 Ähnlich Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 100 Rn. 28; a.A. mit Vergleich zur Regelung der Geschlechterquote Grunewald NZG 2015, 609, 612. 28 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 101 Rn. 126, 142 ff., 184 ff. 29 Andeutungsweise GroßkommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 103. 30 Zurückhaltend GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 109; für entsprechende Pflicht MüKoAktG/Habersack (Fn. 8) § 100 Rn. 77, § 101 Rn. 45 a.E. 31 GroßKommAktG/Oetker (Fn. 1) MitbestG § 18a Rn. 11 f. 32 GroßKommAktG/Oetker (Fn. 1) MitbestG § 18a Rn. 6; Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 96 Rn. 25; vgl. auch GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 109: gesetzliche Grundregel kaum praktikabel; ähnlich MüKoAktG/Habersack (Fn. 8) § 96 Rn. 38.

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nehmervertreter kann nach h.M. Finanzexperte i.S.d. § 100 Abs. 5 AktG sein.33 Im Zusammenhang mit den Wahlen findet das aber keine Erwähnung; die praktischen Probleme und Interessen liegen anderswo.34 Überlegungen, ob auch die Arbeitnehmerseite eine Verantwortung für die gesetzmäßige Gesamtbesetzung des Aufsichtsrates außerhalb der Geschlechterquote trifft, dürften theoretisches Rankenwerk bleiben.35 Gleichwohl: Wenn § 100 Abs. 5 AktG eine gesetzliche Regel ist, „die bei der Wahl zu beachten ist“,36 dann ist sie wohl bei jeder Wahl oder Entsendung zu beachten. dd) Gericht Wenn das Gericht nach § 104 AktG ein Aufsichtsratsmitglied zu bestellen hat, hat es selbstverständlich die persönlichen Voraussetzungen zu beachten. Darüber hinaus soll es auch die rechtmäßige Gesamtbesetzung des Aufsichtsrates beachten. Für die Arbeitnehmerbeteiligung und die Geschlechterquote ist das in § 104 Abs. 4 und 5 AktG geregelt. Ggf. soll auch ein fehlender Finanzexperte als solcher bestellt werden.37 Dass das Gericht erfolgreicher sein wird in der Rekrutierung geeigneter Personen als die Vorschlagsberechtigten, ist allerdings unwahrscheinlich.38 b) Vorschlagsberechtigte aa) Aufsichtsrat Zentral sind das Vorschlagsrecht und die Vorschlagspflicht des Aufsichtsrates nach § 124 Abs. 3 S. 1 AktG. Der Bekanntmachung des Vorschlags sind ggf. Hinweise auf einen erforderlichen Geschlechterproporz hinzuzu33

Begr. RegE BilMoG, BT-Drs. 16/10067, S. 102; OLG München v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09 Rn. 10, ZIP 2010, 1082; Grunewald NZG 2015, 609, 612; Drygala in Schmidt/ Lutter (Fn. 7) § 100 Rn. 55. 34 Anschaulich aus der Tagespresse: Der Betriebsrat einer Muttergesellschaft befürchtet größeren Einfluss der Betriebsräte anderer Standorte und entzieht einem in den Aufsichtsrat gewählten Betriebsratsmitglied die Freistellung, weil dieses angesichts der anstehenden Wiederwahl in den Aufsichtsrat erklärt habe, sich „nicht mehr an Beschlüsse und Vorgaben des Gremiums gebunden zu fühlen“; FAZ v. 14.11.2019, S. 18, FAZ v. 16.11.2019, S. 27. 35 Deshalb dürfte der Praxistipp bei Nowak BB 2010, 2423, 2426, von Arbeitnehmerund Anteilseignerseite solle jeweils ein (potenzieller) Finanzexperte bestellt werden, ins Leere gehen; MüKoAktG/Habersack (Fn. 8) § 100 Rn. 77 will alle zur Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern Berufene an die Besetzungsregel binden, die Wahl eines Arbeitnehmervertreters sei ggf. nach Maßgabe der Mitbestimmungsgesetze anfechtbar; zur praktischen Lage Seifert ZFA 2018, 198, 213: politische Entscheidung der Arbeitnehmer über Interessenwahrnehmung. 36 Grunewald NZG 2015, 609, 612. 37 GroßkommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 104 Rn. 90, str. 38 Teichmann/Rüb BB 2015, 898, 901; Windbichler in FS Seibert 2019, S. 1131, 1133; zur tendenziell schwieriger werdenden Rekrutierung guter Kandidaten Hopt ZGR 2019, 507, 540.

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fügen, § 124 Abs. 2 S. 2 AktG. Es gehört unbestritten zur guten Corporate Governance, dass sich der Aufsichtsrat, zumeist in einem besonderen Ausschuss (nomination committee),39 um die eigene Besetzung kümmert. Das Kooptationselement ist auch vom Gesetzgeber mittelbar zugestanden, denn § 111 Abs. 5 AktG verlangt vom Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften, Zielgrößen für den Aufsichtsrat zu benennen. Der Wahlvorschlag ist fehlerhaft, wenn er gesetzliche Regeln, vor allem Verfahrensvorschriften verletzt.40 Dazu wird teilweise auch die objektive Besetzungsregel den Finanzexperten betreffend gerechnet.41 Der Aufsichtsrat ist gehalten, nur Wahlvorschläge zu unterbreiten, die zu einer gesetzmäßigen Besetzung des Gremiums führen;42 garantieren kann er das nicht. Ist angesichts der Quote in Verbindung mit den Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG kein brauchbarer Vorschlag möglich, soll auch ein quotenwidriger Vorschlag zulässig sein, da den europarechtlichen Vorgaben der Abschlussprüfer-Richtlinie43 Vorrang zukomme.44 Bei einem Vorschlag im Widerspruch zur erforderlichen Geschlechterquote werden Schadensersatzansprüche in Betracht gezogen.45 Folgt die Hauptversammlung dem Vorschlag, soll der Beschluss entweder wegen des rechtswidrigen Ergebnisses anfechtbar sein (s.o.) oder wegen des fehlerhaften Vorschlags.46 Anders als das Vorschlagsrecht bewirkt die Entscheidung für Gesamterfüllung der Geschlechterquote oder der Widerspruch dagegen unmittelbar eine Besetzungsregel für den Aufsichtsrat bzw. die Aufsichtsrats-„seite“. Die Praxisempfehlung, sich vorab über Gesamt- oder Getrennterfüllung zu verständigen,47 kommt über atmosphärische Hinweise nicht hinaus, da die Arbeitnehmer-„seite“ kein Vorschlagsrecht hat und die Wahlausgänge nicht unbedingt vorhersehbar sind. bb) Aktionäre Einzelne Aktionäre sind zu Vorschlägen berechtigt. Solche Wahlvorschläge sind nach § 127 S. 4 AktG ggf. mit Hinweisen auf einen erforderli39 Empfehlung D.5 des DCGK 2020; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 107 Rn. 568 ff. 40 Vgl. BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, ZIP 2002, 172173 – Sachsenmilch III; BGHZ 153, 32 Rn. 11; Marsch-Barner in FS K. Schmidt 2009, S. 1109, 1111 f. 41 Grunewald NZG 2015, 609, 612 f.; Nowak BB 2010, 2423, 2425. 42 GroßKommAktG/Butzke 5. Aufl. 2017, § 124 Rn. 96. 43 Richtlinie 2006/43/EG vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (Abschlussprüferrichtlinie), ABl.EG 2006 L 157, 87; zuletzt geändert durch Richtlinie 2014/56/EU vom 16.6.2014 (ABl. EU 2014 L 158, 96). 44 Drygala NZG 2015, 1129, 1131. 45 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 124; den Finanzexperten betr. E. Vetter in FS Maier-Reimer (Fn. 23) S. 810. 46 Nowak BB 2010, 2423, 2426; E. Vetter in FS Maier-Reimer (Fn. 23) S. 807. 47 Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 96 Rn. 15 f.; Seibt ZIP 2015, 1193, 1197.

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chen Geschlechterproporz zu versehen. Auch hier wird vertreten, dass die Treuepflicht dem Aktionär gebiete, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten,48 dass also ggf. der fehlende Finanzexperte vorgeschlagen werden muss. Dann könnte die Bekanntmachung des Gegenantrags nach §§ 127 S. 1, 126 Abs. 2 Nr. 2 AktG unterbleiben.49 Darauf dürfte sich der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft kaum einlassen,50 zumal Aktionäre auch noch in der Hauptversammlung Wahlvorschläge unterbreiten können.51 cc) Arbeitnehmer und Gewerkschaften Die Wahlordnungen zum MitbestG verlangen die Bekanntmachung zur Gesamt- oder Getrennterfüllung des ggf. erforderlichen Geschlechterproporzes. Angesichts der gesetzlichen Vorschriften zu dessen Erreichen ist die Umsetzung weitgehend gesichert, wenn auch im Einzelnen kompliziert. Wie bereits erwähnt dürften die Interessen und Konflikte sich nicht um den Finanzexperten drehen. Das hindert nicht, dass eine Person als Finanzexperte von der Arbeitnehmerseite designiert werden kann. Eine Rechtspflicht, nur Vorschläge zu unterbreiten und zu unterstützen (Unterschriftenquorum!), die zu einer rechtmäßigen Gesamtbesetzung des Aufsichtsrates führen, erscheint lebensfremd und steht außerhalb der Intention des Gesetzgebers. c) Selbstorganisationsrecht des AR Die Bestimmung, wer Finanzexperte i.S.d. § 100 Abs. 5 AktG ist, obliegt nach h.M. dem Aufsichtsrat selbst.52 Das gilt auch, wenn eine Person vom zuständigen Wahlkörper als Finanzexperte designiert wurde.53 Welche Ausschüsse gebildet werden und welche Aufsichtsratsmitglieder in diese Ausschüsse delegiert werden, ist ebenfalls ein Akt der Selbstorganisation.54 Die eigene Besetzung kann der Aufsichtsrat damit nicht gestalten, weshalb auch in diesem Zusammenhang wieder auf das Vorschlagsrecht zu verweisen ist. Entsprechendes gilt für die Unabhängigkeit i.S.d. Kodexempfehlungen C.6 und C.7.

48 Grunewald NZG 2015, 609, 613; a.A. GroßKommAktG/Butzke (Fn. 42) § 127 Rn. 9 a.E., einschränkend Rn. 15. 49 Begr. RegE BR-Drs. 636/14 S. 146. 50 GroßKommAktG/Butzke (Fn. 42) § 126 Rn. 60: zurückhaltender Gebrauch, § 127 Rn. 15: offene Kommunikation. 51 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 101 Rn. 83. 52 Henssler in Henssler/Strohn, GesR 4. Aufl. 2019, § 100 AktG Rn. 15; Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 100 Rn. 26. 53 Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 100 Rn. 26. 54 GroßkommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 107 Rn. 298, 315 ff.

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IV. Fazit 1. Folgen a) Pragmatik Praktisch dürften sich die geschilderten Schwierigkeiten in Grenzen halten, denn der Anwendungsbereich des § 100 Abs. 5 AktG ist auf kapitalmarktorientierte Gesellschaften und Kreditinstitute beschränkt; die Geschlechterquote greift nur bei börsennotierten und „paritätisch“ mitbestimmten Gesellschaften. Deren Vorschlagsberechtigte und Wahlkörper dürften jeweils in der Lage sein, für eine gesetzmäßige Aufsichtsratsbesetzung zu sorgen.55 Insbesondere dürften Unternehmen dieses Zuschnitts ohnehin gut beraten sein, mehr als ein Aufsichtsratsmitglied zu haben, das „financial literacy“ aufweist. Diese pragmatische Perspektive darf aber nicht den Blick auf die grundlegende Gesetzestechnik und deren Nebenwirkungen verstellen. b) Komplexität Eine der vielfach beschriebenen Nebenwirkungen der Geschlechterquote ist die weitere Verkomplizierung der Verfahren.56 Die Wahlverfahren werden bürokratischer, die Rechtsfolgen sind oftmals unklar. In Verbindung mit den umstrittenen Folgen einer erfolgreichen Anfechtung eines Wahlbeschlusses57 dürften Gesichtspunkte des ohnehin nicht einfachen Wahlverfahrens58 und der im Vordringen befindlichen Einzelwahl59 an Bedeutung gewinnen. Verfahrensfehler sind dem streitbaren Juristen meist lieber als materielle Erwägungen, Sachgerechtigkeit und dogmatische Konsequenz. Der Corporate Governance bekommt das nicht. c) Bänkeprinzip und Wahlfreiheit Die Quotenregelung bewirkt eine Verstärkung des Bänke-Prinzips,60 das der ursprünglichen Vorstellung des mitbestimmten Aufsichtsrates, in dem 55

Vgl. etwa die Einladung zur Hauptversammlung am 17.5.2018 der SAP SE S. 8 ff.: Nach drei verschiedenen Deutungsmöglichkeiten sei der gemachte Wahlvorschlag jedenfalls in Ordnung [https://www.sap.com/docs/download/investors/2018/sap-gov-hv-2018einladung.pdf] (zuletzt besucht 30.1.2020). 56 Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 96 Rn. 16; Oetker ZHR 179 (2015), 707; Seibt ZIP 2015, 1193, 1207 f.; Windbichler in FS Seibert S. 1133 ff. 57 BGH v. 19.3.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 17 ff.; Drygala in Schmidt/ Lutter (Fn. 7) § 101 Rn. 37 ff.; GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 101 Rn. 246 ff., 250 ff.; Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 101 Rn. 21 ff.; Lieder ZHR 178 (2014), 282. 58 Zu den Varianten GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 101 Rn. 46 ff. 59 Vgl. Empfehlung C.15 DCGK 2020; Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 101 Rn. 6. 60 GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 109; Seibt ZIP 2015, 1193, 1197 f.

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alle Mitglieder gleich berechtigt und verpflichtet sind, zuwiderläuft. Besetzungsregeln für das Gesamtorgan werfen stets die Frage danach auf, wer wie für diese Besetzung zu sorgen hat. Die Wahlverfahren der Arbeitnehmerseite sind last but not least, konzernweit und nicht wie die Hauptversammlung auf die Muttergesellschaft beschränkt; nach Zweck und Ausgestaltung sind sie legitimationsorientiert und weniger gestaltungsgeeignet. Das verschiebt die Last der Gesamtbesetzung auf die Anteilseignerseite und auf das faktische Kooptationsprinzip. Der Grundsatz 11 des DCGK ist zwar allgemein formuliert; die Empfehlung C.6 wird aber nachgerade treuherzig nur an die Anteilseignervertreter gerichtet.61 Die Unabhängigkeit von Arbeitnehmervertretern wird allenfalls hinsichtlich ihres Arbeitnehmerstatus angesprochen; die Rolle als Funktionsträger in der Betriebsverfassung wird kaum diskutiert.62 Organbezogene Besetzungsregeln bei unterschiedlichen Wahlkörpern und unterschiedlichen Wahlverfahren führen zu ungleichen Einschränkungen der Wahlfreiheit, hauptsächlich zu Lasten der Anteilseignerseite, die eher zufällig verteilt sind. Diese Verschiebung entlastet zudem die Arbeitnehmer und unterläuft die gesetzlich verlangte und vom DCGK betonte Orientierung aller Aufsichtsratsmitglieder am Unternehmensinteresse. Darüber hinaus stört sie die Balance, von der noch das BVerfG im Jahre 1979 ausging.63 2. Alternativen? Der Gesetzgeber hatte bei Einführung der Quotenregelung durchaus im Auge, durch unangenehme Rechtsfolgen Druck auszuüben.64 Ob auch die angerichtete Wirrnis als Disziplinierungsinstrument gedacht ist, mag dahingestellt bleiben. Die gefundene Rechtstechnik überzeugt jedenfalls weder dogmatisch noch praktisch.65 In seiner Kommentierung plädiert der Jubilar 61 Allgemeine Erläuterungen zum DCGK 2019 II.2.: „Die Frage der Unabhängigkeit stellt sich hier nur für die Aktionärsvertreter, denn nur diese werden auf Vorschlag des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt. Deshalb gilt die Ziff. 5.4.2 Satz 1 DCGK 2017 entsprechende Empfehlung C.6 nur für Anteilseignervertreter.“ 62 Vgl. Windbichler in FS Schwark, 2009, S. 805; auch Löwisch DB 2017, 710; im Zusammenhang mit der Verschwiegenheitspflicht BAG v. 23.10.2008 – 2 ABR 59/07, SAE 2010, 64 m. Anm. Henssler/Beckmann S. 60. 63 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290 juris Rn. 145 ff.; zu diesem Effekt MüKoAktG/Habersack (Fn. 8) § 100 Rn. 11. 64 Vgl. Begr. RegE BR-Drs. 636/14 S. 146: „Die drohende Nichtbesetzung wirkt verhaltenssteuernd“ (unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH zur Nichtigkeit von Wahlen zum Aufsichtsrat); Seibt ZIP 2015 S. 1199. 65 Die Ansicht, eine dogmatisch und systematisch saubere Lösung für eine Quote in mitbestimmten Aufsichtsräten sei nicht erreichbar, hat Verf. bereits zu einem früheren Gesetzesvorschlag geäußert; Stellungnahme zum Antrag gem. BT-Drucks. 16/5279 v. 9.2. 2007, Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 7.5.2008.

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daher mit einer gewissen Vorsicht auf die Verlagerung in den Kodex.66 Im selben Sinne kann die – im internationalen Vergleich ungewöhnliche – Streichung des Unabhängigkeitserfordernisses67 in § 100 Abs. 5 AktG als Entlastung gewertet werden, zumal der DCGK Unabhängigkeitskriterien enthält und das Aufsichtsratssystem als solches Geschäftsleitung und Überwachung trennt. Für den Finanzexperten ist dieser Weg nicht eröffnet, da die Abschlussprüfer-Richtlinie einen solchen zwingend vorschreibt.68 Hier könnte die klare Zuweisung bestimmter „Plätze“ helfen. Für den Platz des Finanzexperten wäre dann die notwendige Expertise persönliche Wählbarkeitsvoraussetzung. Das aber würde eine Sonderrolle begründen, die mit der Organisationsautonomie des Aufsichtsrates, dem „Bänkeprinzip“ und Haftungsregeln abzustimmen wäre. Dem Aufsichtsrat und seiner Governance-Funktion wird derzeit allgemein große Aufmerksamkeit gewidmet. Es stehen immer wieder rechtspolitische Vorschläge im Raum, sei es an den Gesetzgeber, sei es als Vorschlag für eine Kodexregelung, sei es als wissenschaftliche Analyse. Letztere schließt oft institutionenökonomische Überlegungen ein. Meist ist eine spezielle Fragestellung der Ausgangspunkt (Rechnungslegung, Compliance, Geschlechterproporz, Anlegerschutz etc.); die übergreifende Perspektive auf den Aufsichtsrat insgesamt, seine Funktionsbedingungen und rechtsdogmatisch konsistente sowie rechtssichere Gestaltung geraten dabei aus dem Blick. Hinzu kommen die häufige Vernachlässigung des Rechtsvergleichs und die undifferenzierte Orientierung am Board-System. Argumente, die auf die Besetzung des Aufsichtsrates abzielen, etwa im Hinblick auf Gläubiger- oder Minderheitsvertreter etc., müssen die Umsetzungsprobleme, insbesondere für mitbestimmte Aufsichtsräte, mit beleuchten. Daran dürften viele wohlmeinende Ratschläge scheitern. Dem Jubilar kann das freilich nicht angelastet werden, ganz im Gegenteil.69

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GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 96 Rn. 94. GroßKommAktG/Hopt/Roth (Fn. 1) § 100 Rn. 236; eher positiv Hüffer/Koch AktG (Fn. 8) § 100 Rn. 25. 68 Art. 39 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/43/EG, 2014/56/EU (Fn. 43). 69 Vgl. insbesondere Hopt ZGR 2019, 507. 67

Die Übernahme-Richtlinie und der Mindestpreis des Pflichtangebots

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Die Übernahme-Richtlinie und der Mindestpreis des Pflichtangebots Martin Winner

Die Übernahme-Richtlinie und der Mindestpreis des Pflichtangebots MARTIN WINNER

I. Einleitung In seinem grundlegenden Beitrag zum europäischen Übernahmerecht, der in Zusammenhang mit der Revision der Übernahme-Richtlinie1 im Jahre 2012 entstanden ist, nimmt Klaus J. Hopt auch zu Fragen des Mindestpreises für ein Pflichtangebot Stellung.2 Er sieht in der Umsetzung der entsprechenden Vorgaben der Richtlinie ein Paradebeispiel für gold plating und hält insbesondere fest, dass Mitgliedstaaten die Möglichkeit für die Preisanpassung durch die Aufsichtsbehörden völlig unterschiedlich ausgenutzt haben. Im Ergebnis spricht sich der Jubilar – vor allem angesichts der bestehenden Unsicherheit über die „richtige“ Regelung – dafür aus, den diesbezüglichen Regelungsspielraum für die Mitgliedstaaten bei einer etwaigen Revision der ÜbRL nicht einzuschränken. Der folgende Beitrag geht angesichts kürzlich abgeschlossener3 und seit Ende 2019 laufender4 Verfahren vor dem EuGH der Frage nach, ob dieser Befund weiterhin Bestand haben kann. Denn gerade die Frage der richtigen Berechnung der bei einem Pflichtangebot mindestens zu bietenden Gegenleistung beschäftigt das europäische Höchstgericht zusehends. Ganz generell fällt auf, dass in jüngster Zeit übernahmerechtliche Fragen erstmals in einer gewissen Häufung den Gerichtshof erreichen;5 ob es dafür besondere Gründe gibt, wäre noch gesondert zu untersuchen. 1

RL 2004/25/EG v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. L 142 v. 30.4. 2004, S. 12 (im Folgenden: ÜbRL). 2 Hopt, Europäisches Übernahmerecht, 2013, S. 57 ff. 3 EuGH v. 20.7.2017, Marco Tronchetti Provera SpA et al v Consob, C-206/16, ECLI:EU:C:2017:572. Siehe aber auch schon EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Bors ASA und Erika Must AS, E-1/10, [2009–2010] EFTA Ct. Rep. 198. 4 C-735/19 Euromin Holdings (Cyprus) Limited v Finanšu un kapitāla tirgus komisija, anhängig seit 7.10.2019 (Lettland). 5 Neben dem in der vorigen Fußnote genannten Verfahren: C-339/19 SC Romenergo SA/Aris Capital SA v Autoritatea de Supraveghere Financiara, anhängig seit 25.4.2019 (Rumänien; Definition des gemeinsamen Vorgehens) und C-546/18 Adler Real Estate u.a., anhängig seit 23.8.2018 (Österreich; Übernahmeaufsicht und fair trial).

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Der Beitrag beschäftigt sich im Kern mit der Frage der Vorerwerbe, wobei viele Aussagen grundsätzlich auch für Paralleltransaktionen gem. Art. 5 Abs. 4 Satz 2 ÜbRL oder für die – teilweise nach den nationalen Übernahmerechten zu berücksichtigenden – Nacherwerbe6 Geltung beanspruchen. Dabei geht es, nach einer kurzen Einführung in die Rechtslage, zunächst um die richtige Feststellung der Gegenleistung, die der Bieter für die angebotsgegenständlichen Wertpapiere erbracht hat; das hängt eng mit den Möglichkeiten für nationale Behörden zusammen, den so ermittelten Mindestpreis nach oben oder nach unten anzupassen. Den Abschluss bildet die (wieder) aktuelle Frage, ob der Börsenkurs als jedenfalls zu beachtende Mindestschwelle angesichts der ÜbRL Bestand haben kann.

II. Die Richtlinien-Regelung zum Mindestpreis Die einschlägige Vorschrift ist Art. 5 Abs. 4 ÜbRL. Sie gilt allerdings nur für Pflichtangebote als Rechtsfolge der Kontrollerlangung, nicht aber für Übernahmeangebote, mit denen die Kontrolle erlangt werden soll;7 gerade dies war im Zusammenhang mit dem low balling, also Angeboten zu unattraktiven Bedingungen, mit denen die Kontrollschwelle möglichst billig überschritten werden soll, ein Thema,8 was hier aber außen vor bleiben soll. Gerade Deutschland9 und Österreich10 haben die Regelungen zum Mindestpreis – in Einklang mit dem von der Richtlinie verfolgten Konzept der Mindestharmonisierung (Art. 3 Abs. 2 Buchstabe b ÜbRL) – auf freiwillige Angebote erstreckt. Nach Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 ÜbRL muss der Bieter im Pflichtangebot den höchsten Preis zahlen, der von ihm oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem Referenzzeitraum von – nach Wahl der Mitgliedstaaten – sechs bis zwölf Monaten vor dem Angebot für die Wertpapiere gezahlt worden ist. Die ÜbRL lässt offen, wie der Preis bestimmt wird, den der Bieter gezahlt hat. Das ist beim Barerwerb unproblematisch, aber dann schwierig, wenn die Kontrollschwelle durch einen Aktientausch überschritten wird; denn dann muss diese Gegenleistung des Bieters bewertet werden, um 6 Siehe § 31 Abs. 4 WpÜG und § 16 Abs. 7 österreichisches Übernahmegesetz (im Folgenden öÜbG), öBGBl. I 1998/127. 7 Siehe schon den unter maßgeblicher Beteiligung des Jubilars vorgelegten Report of the High Level Group of Company Law Experts on Issues Related to Takeover Bids, 2002, S. 45 (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=315322). 8 Dazu Hopt, Europäisches Übernahmerecht (Fn. 2) S. 46 ff.; Tyrolt/Cascante in: Mülbert/Kiem/Wittig, 10 Jahre WpÜG, 2011, S. 110, 140 ff. 9 Vgl. die Platzierung von § 31 WpÜG im Abschnitt über „Übernahmeangebote“. 10 Vgl. § 26 Abs. 1 öÜbG.

Die Übernahme-Richtlinie und der Mindestpreis des Pflichtangebots

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den Angebotspreis in bar zu bestimmen.11 Soweit der Bieter allerdings auch im Angebot den Adressaten diejenigen Wertpapiere bietet oder bieten muss12, die bei der Transaktion, mit der die Kontrolle erworben wurde, geleistet wurden, genügt es für die Gleichbehandlung dem Grundsatz nach, diese Wertpapiere – ohne nähere Bewertung – im selben (Umtausch)Verhältnis zu bieten. Damit ist die Bewertungsfrage zwar nicht vom Tisch, sofern immer noch wahlweise eine bare Gegenleistung geboten werden muss,13 sie ist aber doch entschärft. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Konstellationen, in denen die vom Bieter für die angebotsgegenständlichen Wertpapiere erbrachte Leistung nicht ohne weiteres festzumachen ist und die uns in der Folge beschäftigten werden. Allerdings ist diese gewährte Gegenleistung nicht in allen Fällen auch zwingend der Mindestpreis für das Pflichtangebot. Denn Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL erlaubt es den Mitgliedstaaten, ihre Aufsichtsstellen zu „ermächtigen, den in Unterabsatz 1 genannten Preis unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach eindeutig festgelegten Kriterien abzuändern,“ wenn die allgemeinen Grundsätze gem. Art. 3 Abs. 1 ÜbRL eingehalten werden. Allerdings sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, solche Ausnahmen vorzusehen; gerade Deutschland hat von der Option zumindest explizit nicht Gebrauch gemacht14. Die Vorschrift ist lex specialis zu Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 ÜbRL,15 der generell festhält, dass und unter welchen Voraussetzungen Abweichungen von Vorschriften der Richtlinie zulässig sind. Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL verlangt eine Determinierung sowohl der Voraussetzungen für die Abweichung als auch der dann zu berücksichtigenden Kriterien;16 es bleibt lediglich offen, ob diese Determinierung durch die Mitgliedstaaten selbst erfolgen muss oder auch durch die Aufsichtsbehörden erfolgen kann, wobei letzteres richtig sein dürfte. Damit steht freilich in einem Spannungsverhältnis, dass nach den beiden folgenden Sätzen die Mitgliedstaaten Listen über die Voraussetzungen für ein Abweichen und Festlegungen über die heranzuziehenden Kriterien erlassen „können“. Das könnte man so verstehen, dass die genaue Determinierung doch 11 Dazu z.B. Winner, § 23 Unternehmensbewertung im Übernahmerecht, in: Fleischer/ Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rn. 23.105 ff. 12 Siehe Rule 11.2 City Code on Takeovers and Mergers (wenn mehr als 10% der vom Angebot erfassten Wertpapiere innerhalb der letzten drei Monate vor dem Angebot im Tausch gegen solche Wertpapiere erworben wurden); dazu Kershaw, Principles of Takeover Regulation, 2016, Rn. 6.42. 13 Siehe § 31 Abs. 3 WpÜG; strenger (jedenfalls Barangebot erforderlich) § 25b Abs. 2 öÜbG. 14 Siehe Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 28.55. 15 Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 14) Rn. 28.54. 16 Anders aber Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 14) Rn. 28.54: Voraussetzungen „und/ oder“ Kriterien.

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nicht erforderlich ist, oder aber – richtigerweise – so, dass sie entweder durch die Mitgliedstaaten oder durch die Aufsichtsbehörden erfolgen kann. Gute Legistik ist das nicht. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL enthält in den Sätzen 2 und 3 demonstrative Aufzählungen von Kriterien, bei deren Vorliegen der Preis korrigiert werden darf, und von Kriterien, die in solchen Fällen für die Bestimmung des maßgeblichen Preises heranzuziehen sein können. Nicht alle Kriterien der ersten Gruppe sind leicht zu verstehen: Was soll es bedeuten, dass eine Korrektur möglich sein soll, wenn „der Höchstpreis in einer Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer gemeinsam festgelegt worden ist“? Passiert das bei einem Vertrag über einen Aktienerwerb, der ja schließlich jeder Referenztransaktion zugrunde liegt, nicht immer? Gemeint ist wohl, dass der gezahlte Preis durch eine solche Vereinbarung (oder mehrere) verschleiert wurde.17 Ebenso bleibt unklar, warum wiederholt von „Marktpreisen“ die Rede ist. Denn zu berücksichtigen ist ja nur der bezahlte Preis, aber nicht ein Marktpreis im Sinn von Börsenkursen. Erkennbar geht es den Beispielen für mögliche Voraussetzungen einer Korrektur um zwei unterschiedliche Sachverhalte: einerseits um manipulative Praktiken, andererseits um Situationen, in denen der im Rahmen des Vorerwerbs bezahlte Preis für das Pflichtangebot nicht mehr angemessen ist. Klarer sind die folgenden Kriterien, nach denen eine Korrektur vorzunehmen ist, namentlich der „durchschnittliche[…] Marktwert während eines bestimmten Zeitraums, de[r] Liquidationswert der Gesellschaft oder andere objektive Bewertungskriterien, die allgemein in der Finanzanalyse verwendet werden“. Diese Kriterien sind nur heranzuziehen, wenn eine Abweichung aufgrund der Umstände des Einzelfalls tunlich erscheint – aber nicht generell, was uns noch beschäftigen wird.18 Schließlich ist jede Entscheidung der Aufsichtsstellen zur Änderung des angemessenen Preises zu begründen und bekannt zu machen (Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3 ÜbRL). Es entspricht der Richtlinie daher nicht, dass die Veröffentlichung einer Angebotsunterlage mit einem abweichenden Preis von der Aufsichtsbehörde bloß nicht untersagt wird. Auch das hat für die deutsche und österreichische Rechtslage Bedeutung, die nun anhand der derzeit einzigen Entscheidung des EuGH zu Preisfragen und einer etwas älteren Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs dargelegt wird.

17 Vgl. auch den Bericht der High Level Group (Fn. 7) S. 50, der die entsprechende Ausnahme noch wie folgt und damit viel klarer formuliert: „the highest price was set by collusion (i.e. an agreement with the vendor aimed at evading the highest price paid rule)“. 18 Siehe unten IV.

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III. Die Rechtssachen Marco Tronchetti Provera SpA und Periscopus 1. Die Entscheidungen Der Ausgangspunkt der Rechtssache Marco Tronchetti Provera SpA u.a. v Consob19 ist rasch wiedergegeben: Die Verkäuferin, Malacalza Investimenti Srl (MCI) verkaufte 60,99% der Aktien an Camfin SpA an Marco Tronchetti Provera SpA (MTP) um 0,8 Euro pro Aktie; zu diesem Preis wurde auch ein Pflichtangebot gelegt. Allerdings hielt die Zielgesellschaft Camfin ihrerseits 26,19% an Pirelli & C. SpA und MCI hatte von zwei anderen Pirelli-Aktionären 6,98% der Pirelli-Aktien zu 7,8 Euro pro Aktie erworben, obwohl der Wert dieser Aktien bei 8 Euro lag. Weil diese beiden Pirelli-Aktionäre mit Camfin eine Aktionärsvereinbarung über die PirelliAktien abgeschlossen hatten, gingen die italienischen Gerichte davon aus, dass die Minderheitsaktionäre mit der Angebotsgegenleistung nicht denselben Vorteil erhalten hatten wie MCI und dass diese Mehrleistung an MCI der Bieterin MTP zuzurechnen war. Lässt man einmal beiseite, dass sich die genauen Gründe für diese Zurechnung aus dem Urteil nicht erschließen lassen, da nähere Angaben über die Tragweite der Absprache unter den PirelliAktionären und die wechselseitige Interessenlage am Abschluss der CamfinTransaktion fehlen, so ist der Grundgedanke aber doch klar: Der Verkäufer bekommt weniger Geld für die angebotsbetroffenen Aktien und bekommt dafür eine andere Leistung, hier die Aktien an Pirelli, billiger. Die Consob und in der Folge die italienischen Gerichte passten deswegen die Gegenleistung für das Pflichtangebot nach oben auf 0,83 Euro pro Aktie an. Dabei stützten sie sich auf Vorschriften des italienischen Rechts, die eine Anpassung zulässt, wenn es zu „Kollusion“ zwischen dem Bieter und den Verkäufern gekommen ist. Dabei wurde dieser unbestimmte Rechtsbegriff abweichend zu anderen Vorschriften des italienischen Rechts ausgelegt: Es genüge die objektive Eignung zur Umgehung der Preisbildungsvorschriften, ohne dass es auf eine subjektive Umgehungsabsicht ankomme. Dem EuGH wurde vorgelegt, ob der Begriff „Kollusion“ ausreichend determiniert ist; denn Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL verlangt, dass die Aufsichtsstellen den Preis „unter ganz bestimmten Voraussetzungen“ anpassen können, was auch so verstanden werden kann, dass an die Bestimmtheit solcher Normen ganz besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Eine solche Auslegung war vor der Entscheidung des EuGH besonders nahe liegend, hatte doch der EFTA-Gerichtshof in seiner Periscopus-Entschei19 EuGH v. 20.7.2017, Marco Tronchetti Provera SpA et al v Consob, C-206/16, ECLI:EU:C:2017:572.

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dung20 im Jahr 2010 festgehalten, dass eine norwegische Vorschrift, nach welcher der Preis des Pflichtangebots zumindest dem Marktpreis zum Zeitpunkt, zu dem die Angebotspflicht ausgelöst wird, entsprechen musste, wenn dieser „klar“ über dem Vorerwerbspreis liegt, für Zwecke von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL nicht ausreichend determiniert ist. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, nähere Berechnungsmethoden für die Bestimmung dieses Marktpreises aufzunehmen. Allerdings hatte auch der EFTA-Gerichtshof festgehalten, dass es nicht dem – in Erwägungsgrund (6) ÜbRL ausdrücklich festgehaltenen – Prinzip der Flexibilität entsprechen würde, wenn die Mitgliedstaaten jede spezifische Ausnahmesituation im Detail ex ante vorzeichnen müssten.21 In Sachen Marco Tronchetti Provera war der EuGH – aus Sicht der nationalen Gesetzgeber – deutlich liberaler als der EFTA-Gerichtshof in seiner Periscopus-Entscheidung. Denn der EuGH hielt fest, dass die ÜbRL nicht verlange, dass „eine einen abstrakten Rechtsbegriff verwendende Rechtsvorschrift die verschiedenen konkreten Fälle nennen muss, in denen sie Anwendung finden kann, da der Gesetzgeber nicht jeden dieser Fälle im Voraus bestimmen kann.“22 Daher genüge die Verwendung des Begriffs „Kollusion“, sofern „sich die Auslegung eines solchen Begriffs im Bereich der Übernahmeangebote anhand der vom innerstaatlichen Recht anerkannten Auslegungsmethoden hinreichend klar, bestimmt und voraussehbar aus der in Rede stehenden nationalen Regelung ableiten lässt“.23 Damit hat der EuGH die Frage im Ergebnis an die nationalen Gerichte zurückgespielt. Unter welchen Voraussetzungen nationale Regeln „hinreichend“ bestimmt sind, ist damit freilich nicht beantwortet. 2. Ermittlung oder Anpassung der Gegenleistung? Hat der EuGH aber das Thema überhaupt richtig erfasst? Denn geht es wirklich um eine Anpassung der Gegenleistung des Pflichtangebots im Sinne von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL? Genauso gut könnte man das Problem nämlich auch anders einordnen, nämlich als (vorgelagerte) Frage der richtigen Ermittlung der im Rahmen des Vorerwerbs erbrachten Leistung.24 Mit

20 EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Bors ASA und Erika Must AS, E-1/10, [2009–2010] EFTA Ct. Rep. 198. 21 AaO Rn. 47. 22 EuGH v. 20.7.2017, Marco Tronchetti Provera SpA et al v Consob, C-206/16, ECLI: EU:C:2017:572, Rn. 42. 23 AaO Rn. 46. 24 Ebenso wäre es möglich, solche versteckten Verbesserungen in gesonderten Vereinbarungen zwischen Bieter und verkaufendem Aktionär schlichtweg zu verbieten, sofern die Aufsichtsbehörde ihre Zustimmung nicht gibt. Das ist der Ansatz von Rule 16.1 City Code on Takeovers and Mergers; dazu Kershaw, Principles (Fn. 12) Rn. 6.32 f.

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anderen Worten hat MCI nach diesem Verständnis nicht 0,8 Euro, sondern in Summe 0,83 Euro pro Aktie erhalten. Dieser Vorteil ist nach diesem Ansatz an die Minderheitsaktionäre weiterzugeben, ohne dass noch eine gesonderte Anpassung erforderlich wäre. Dieser Zugang entspricht dem österreichischen Recht. Denn § 26 Abs. 3 Satz 1 öÜbG verlangt, dass bei der Ermittlung des Gesamtwerts auch weitere zugewendete oder zugesagte Zahlungen oder sonstige vermögenswerte Vorteile einzubeziehen sind, wenn diese in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der erlangten kontrollierenden Beteiligung stehen; die nachgelagerte Anpassung dieses so ermittelten Preises wird dann im Folgesatz der Vorschrift geregelt.25 Fälle aus der Entscheidungspraxis betreffen z.B.:26 den parallelen Erwerb von (durch die Zielgesellschaft weiterhin zu nutzenden) Markenrechten durch den Bieter von der früheren Konzernherrin, wofür es nach Ansicht der Übernahmekommission auf die Angemessenheit der vereinbarten Gegenleistung ankommt; die gesonderte Abgeltung eines Wettbewerbsverbots der veräußernden Aktionäre (jedenfalls preiserhöhend27); Übernahme der Rechtsberatungskosten der Verkäuferin durch den Bieter (jedenfalls preiserhöhend);28 die gesonderte Übernahme von Patronatserklärungen bzw. Stützungsvereinbarungen der bisherigen Kontrollaktionärin durch den Bieter und damit die Befreiung von einer Verbindlichkeit (im konkreten Fall aufgrund der Ausgestaltung nicht preiserhöhend)29. Auch eine Konstellation wie in der Entscheidung Marco Tronchetti Provera wäre ohne jeden Zweifel auf Basis dieser Vorschrift zu behandeln gewesen. Die Rechtslage zu § 31 WpÜG bzw. § 4 WpÜG-AngVO ist im Ergebnis vergleichbar, wenngleich ausdrückliche gesetzliche Anordnungen fehlen:30 Zusätzliche Leistungen des Bieters (samt gemeinsam vorgehender Rechtsträger) an den Veräußerer sind dann werterhöhend, wenn sie in einem Austauschzusammenhang mit dem Aktienerwerb stehen. Das wird insbesondere bei Parallelgeschäften mit überhöhter Leistung auf Seiten des Bieters angenommen, also wiederum der Fall, welcher der Entscheidung Marco Tron25 Dazu Diregger/Kalss/Winner, Das österreichische Übernahmerecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 303. 26 Siehe auch die Beispiele bei Huber in: Huber, Übernahmegesetz, 2. Aufl. 2016, § 26 Rn. 51. 27 Anders für Deutschland Noack in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechtskommentar, 4. Aufl. 2010, § 31 WpÜG Rn. 29. 28 Dies alles in Übernahmekommission v. 3.12.2014, GZ 2004/2/3–55, Hirsch Servo AG (alle Entscheidungen abrufbar unter www.takeover.at/entscheidungen/). 29 Übernahmekommission v. 17.12.2001, GZ 2001/2/3–395, Lauda Air. 30 Siehe z.B. mit Unterschieden in Details Krause in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2. Aufl. 2013, § 31 Rn. 113 ff.; Kremer/Oesterhaus in: Kölner Kommentar zum WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 31 Rn. 71 ff.; Noack in: Schwark/Zimmer (Fn. 27) § 31 WpÜG Rn. 28; Reinhardt/Kocher in: Paschos/Fleischer, Handbuch Übernahmerecht nach dem WpÜG, 2017, § 15 Rn. 156; Tyrolt/Cascante in: Mülbert/Kiem/Wittig (Fn. 8) S. 128 ff.

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chetti Provera zugrunde lag. Das entspricht nicht nur der ganz herrschenden Ansicht, sondern auch der Praxis der BaFin.31 Angesichts dieser Ausgangsbasis ist es nur konsequent, dass die für Zwecke der Preisfindung maßgebliche Gegenleistung gegenüber dem im Erwerbsvertrag festgehaltenen Kaufpreis reduziert wird, wenn der Veräußerer noch weitere Leistungen erbringt, die nicht mit dem Erwerb der Aktie selbst in Zusammenhang stehen.32 In Österreich werden die entsprechenden Konstellationen (z.B. besondere Haftungen des Veräußerers oder dem Erwerber ersetzte Konventionalstrafen) interessanterweise aber unter dem Topos „Anpassung der Gegenleistung“ diskutiert.33 Unabhängig von der Einordnung steht diese Ansicht in Einklang mit Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL, der eine Korrektur „nach oben oder nach unten“ zulässt. Freilich ist die Missbrauchsgefahr hier besonders hoch,34 ebenso wie die Abgrenzung und die Bewertung schwierig sind: Welche Garantiezusagen sind eine gesonderte Leistung gegenüber dem Verkauf der Aktien und wie soll der Wert solcher Zusagen möglichst belastbar festgestellt werden?35 Wie sieht das die Richtlinie? Zunächst stellt Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 ÜbRL auf die Gegenleistung „für die gleichen Wertpapiere“ ab. Das spricht eher für eine engere Auslegung, wonach bei der Ermittlung der erbrachten Gegenleistung formal auf das Rechtsgeschäft abzustellen ist, mit dem die Aktien erworben wurden. Ausschlaggebend ist das aber nicht, denn die Wendung stellt meines Erachtens eher darauf ab, dass bei unterschiedlichen Gattungen von Wertpapieren nur die Gegenleistung für die gleiche Gattung als Referenzpreis dienen soll.36 Wichtiger ist die demonstrative Aufzählung der Gründe für Ausnahmen in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 Satz 2 ÜbRL, wo als ein Grund für die Anpassung genannt wird, dass „der Höchstpreis in einer Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer gemeinsam festgelegt worden ist“. Das ist zwar sprachlich missglückt, soll aber in der Sache Umgehungssachverhalte erfassen, die gerade den oben genannten Beispielen entsprechen.37 Als Ergebnis kann man somit festhalten, dass die ÜbRL davon aus31

Näher Tyrolt/Cascante in: Mülbert/Kiem/Wittig (Fn. 8) S. 129. Für Deutschland z.B. Noack in: Schwark/Zimmer (Fn. 27) § 31 WpÜG Rn. 29; Reinhardt/Kocher in: Paschos/Fleischer (Fn. 30) § 15 Rn. 155. 33 Vgl. die Erläuternden Bemerkungen zum ÜbRÄG 2006, 1334 BlgNR 20. GP, S. 18; Diregger/Kalss/Winner (Fn. 25) Rn. 312. 34 Noack in: Schwark/Zimmer (Fn. 27) § 31 WpÜG Rn. 29. 35 Deswegen auch zurückhaltend zur Berücksichtigung solcher Zusagen Reinhardt/ Kocher in: Paschos/Fleischer (Fn. 30) § 15 Rn. 155; grundsätzlich bejahend aber Krause in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Fn. 30) § 31 Rn. 114; Kremer/Oesterhaus in: KölnerKomm. WpÜG (Fn. 30) § 31 Rn. 71. 36 Vgl. auch den Bericht der High Level Group (Fn. 7) S. 49, der auf den Preis abstellt, der für „shares in that class“ bezahlt wurde (ähnlich S. 51, 52). Zum Thema auch Hopt, Europäisches Übernahmerecht (Fn. 2) S. 58. 37 Siehe schon oben II. 32

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geht, dass es nicht um die Ermittlung der Gegenleistung, sondern um die Anpassung des Mindestpreises für das Pflichtangebot geht, wenn Fälle beurteilt werden, in denen Leistungen vom Erwerber an den Veräußerer über andere Rechtsgeschäfte als den Aktienkaufvertrag erbracht werden. Dem entspricht somit die Rechtsprechung des EuGH. Diese Frage der richtigen Einordnung im Gefüge der ÜbRL ist nicht bloß von akademischem Interesse. Denn zur richtigen Ermittlung der Gegenleistung enthält die Richtlinie keine Vorgaben, zur Anpassung allerdings wie gezeigt sehr wohl. Das hat zumindest zwei Auswirkungen: Erstens fordert Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL, dass eine ausreichende normative Basis für eine Abweichung gegeben sein muss. Gerade dieser Aspekt war sowohl im Verfahren Periscopus vor dem EFTA-Gerichtshof als auch in Sachen Marco Tronchetti Provera vor dem EuGH zentral; beiden Entscheidungen ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass die Determinierung zwingend ist und trotz des Wortes „können“ in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 Sätze 2 und 3 ÜbRL den Mitgliedstaaten nicht ins Ermessen gestellt ist. Dieser Aspekt fällt im Ergebnis für Österreich wenig ins Gewicht; denn § 26 Abs. 3 Satz 1 öÜbG erfüllt meines Erachtens die vom EuGH in Marco Tronchetti Provera aufgestellten – recht liberalen – Anforderungen. Ob die Frage für Deutschland – angesichts der weit gehend durch die Praxis und ohne ausdrückliche Anhaltspunkte im Gesetz konturierten Grundsätze – anders zu beurteilen ist, soll der Fachdiskussion meiner deutschen Kolleginnen und Kollegen überlassen bleiben. Zweitens ist auch die Anordnung in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3 ÜbRL zu berücksichtigen, wonach die Änderung des Preises auf Basis einer Entscheidung der Aufsichtsbehörde zulässig ist, die begründet sein und bekannt gemacht werden muss. Ob das wirklich in allen Fällen passiert, erscheint mir zweifelhaft, was ich für Österreich kurz darstellen möchte. Gem. § 10 Abs. 1 öÜbG hat der Bieter die Angebotsunterlage anzuzeigen; in dieser muss auch der Preis gesetzmäßig ausgestaltet sein. Das bedeutet, dass sämtliche erforderlichen Anpassungen bereits in der Unterlage vorzunehmen sind. Die Übernahmekommission kann sich dann darauf beschränken, die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht zu untersagen. Zu einer Entscheidung, die begründet oder veröffentlicht wird,38 kommt es nicht. Das ist meines Erachtens noch unproblematisch, wenn es um eine Anpassung im Sinne einer Erhöhung des Mindestpreises gegenüber der Referenztransaktion geht. Denn dann liegt der Angebotspreis über der formal ermittelten Schwelle, was nach der ÜbRL jedenfalls auch ohne gesonderte Entscheidung der Aufsichtsbehörde zulässig ist. Weigert sich der Bieter, 38 Natürlich liegt auch der Nichtuntersagung der Veröffentlichung eine Entscheidung der Behörde zugrunde. Diese ergeht aber nicht formell in einer der der Übernahmekommission zur Verfügung stehenden Handlungsformen.

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eine nach Ansicht der Aufsichtsbehörde erforderliche Anpassung vorzunehmen, wird es zu einer Untersagung kommen, die dann jedenfalls begründet sein muss (aber dann auch zu veröffentlichen ist). Heikler ist der umgekehrte Fall, in dem die Anpassung des Mindestpreises nach unten erfolgt, weil z.B. der Verkäufer bestimmte gesondert bewertbare Garantien übernommen hat, deren Barwert von der Referenztransaktion in Abzug gebracht werden soll. Auch hier käme es im Regelfall nach der österreichischen Praxis zu einer Veröffentlichung der Angebotsunterlage, ohne dass eine nach außen tretende Entscheidung der Übernahmekommission vorliegt. Diese Praxis ist angesichts der Rechtsprechung des EuGH zu überdenken.39 3. Wann sind Vorschriften zur Preisanpassung bestimmt genug? Damit gelangen wir aber zur zweiten zentralen Frage: Kann den Entscheidungen Periscopus40 und Marco Tronchetti Provera41 eine gemeinsame Linie entnommen werden oder stehen sie in einem nicht auflösbaren Spannungsverhältnis zueinander? Denn während Periscopus noch strenge Grundsätze an die Determinierung aufstellt und den Verweis nach norwegischem Recht auf den „Marktpreis zum Zeitpunkt, zu dem die Angebotspflicht ausgelöst wird“ nicht ausreichen ließ, soll nach Marco Tronchetti Provera eine in Italien gesetzlich angeordnete Anpassung in Fällen der „Kollusion“ ausreichend bestimmt sein. Letzteres ist wohl kaum bestimmter als die norwegische Vorschrift. Allerdings sind die Ausgangssachverhalte der beiden Entscheidungen unterschiedlich. Denn in Marco Tronchetti Provera ging es um Schutz der Minderheitsaktionäre vor Umgehungen der Mindestpreisregel, wobei diese Umgehungen durch gemeinsame Gestaltungen des Bieters und des Verkäufers eines Aktienpakets herbeigeführt werden. In diesem Zusammenhang ist der Grundsatz der Flexibilität42 besonders wichtig. Denn jede kasuistische Aufzählung konkret erfasster Verhaltensweisen müsste sich an bereits beobachteten Praktiken orientieren. Angesichts des Erfindungsreichtums der Praxis könnten neue Gestaltungen nicht adäquat erfasst werden. Will der 39 Dieses formelle Problem kann vermieden werden, indem das Entgelt für eine Garantievereinbarung nicht in den Kaufvertrag über die Aktien, sondern in eine getrennte Vereinbarung aufgenommen wird, weil dann keine gesonderte Anpassung der im Aktienkaufvertrag vereinbarten Gegenleistung (nach unten) erforderlich ist. In der Sache ändert dies an den Beurteilungsmaßstäben freilich nichts. 40 EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Bors ASA und Erika Must AS, E-1/10, [2009–2010] EFTA Ct. Rep. 198. 41 EuGH v. 20.7.2017, Marco Tronchetti Provera SpA et al v Consob, C-206/16, ECLI: EU:C:2017:572. 42 Siehe ErwGr (6) ÜbRL und die konkrete Ausprägung in Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 ÜbRL.

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Gesetzgeber den Umgehungsschutz ernst nehmen und – wie der EuGH zu Recht betont43 – den Schutz der Angebotsadressaten, der durch Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a ÜbRL zum allgemeinen Grundsatz erhoben wird, erreichen, so muss er notwendigerweise mit unbestimmten Gesetzesbegriffen operieren. Die ausschlaggebende Frage ist dann nur noch, ob diesen Begriffen aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten ausreichende Konturen entnommen werden können, was nur der gesamten nationalen Rechtsordnung samt ihren Auslegungsprinzipien entnommen werden kann und damit weit gehend der Entscheidungskompetenz des EuGH entzogen ist. Deswegen ist es auch richtig, wenngleich bei Durchsicht der Entscheidung unbefriedigend, wenn der EuGH in Marco Tronchetti Provera festhält, dass die nationalen Gerichte für die Feststellung zuständig sind, ob der Begriff der Kollusion eine ausreichend bestimmte und voraussehbare Rechtsanwendung zulässt.44 Hingegen geht es bei Periscopus um die Frage, ob ein höherer Börsenkurs zu einer Korrektur des Angebotspreises nach oben führen kann. In diesem Zusammenhang geht es nicht darum, von den Parteien gewählte Gestaltungen normzweckadäquat zu erfassen. Vielmehr knüpft der Gesetzgeber an Marktgegebenheiten an, die durch die Parteien nicht beeinflusst werden können. In diesem Zusammenhang ist es dem Gesetzgeber auch zuzumuten, die genauen Voraussetzungen festzulegen, die eine Anpassung erforderlich machen, wobei der EFTA-Gerichtshof den Beobachtungszeitraum, die Volumensgewichtung und die Frage, ob bloße Orders genügen, explizit anspricht.45 Für die Richtigkeit dieses Zugangs spricht auch, dass nationale Rechtsordnungen, die Börsenkurse überhaupt berücksichtigen, in der Regel solche Determinierungen enthalten, so auch § 5 WpÜG-AngVO und § 26 Abs. 1 Satz 3 öÜbG. Damit kann man für das Spannungsverhältnis von Flexibilität und Vorhersehbarkeit in Zusammenhang mit der Preisbildung als allgemeinen Grundsatz ableiten, dass das Gebot der Determinierung gem. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL situationsspezifisch auszulegen ist: Die Determinierung muss umso konkreter sein, je eher die Anpassung an objektiven Faktoren festgemacht wird, die von den Parteien nicht beeinflusst werden können. Geht es allerdings darum, zum Schutz der austrittsberechtigten Gesellschafter von den Parteien gewählte Gestaltungen zu erfassen, genügt es, wenn der Gesetzgeber generelle Prinzipen festlegt, die dann im Einzelfall durch Auslegung konkretisiert werden müssen.

43 EuGH v. 20.7.2017, Marco Tronchetti Provera SpA et al v Consob, C-206/16, ECLI: EU:C:2017:572, Rn. 33, 45. 44 AaO Rn. 46 f. 45 EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Bors ASA und Erika Must AS, E-1/10, [2009–2010] EFTA Ct. Rep. 198, Rn. 49.

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IV. Der Börsenkurs Zum Abschluss ist auf die Frage des Börsenkurses als zweite Preisuntergrenze einzugehen. In der Rechtssache Periscopus stand eine solche Regelung im Mittelpunkt, wobei jedoch nur die konkrete Ausgestaltung der Regelung in Zweifel gezogen wurde, nicht aber die grundsätzliche Frage angesprochen wurde, ob es überhaupt zulässig ist, den Börsenkurs als zweite Preisuntergrenze heranzuziehen. Allerdings könnte es diesbezüglich in absehbarer Zeit Neuerungen geben, da im Rahmen eines lettischen Vorabentscheidungsersuchens46 unter anderem47 die Frage gestellt wird, ob eine Regelung richtlinienkonform ist, wonach der Mindestpreis des Pflichtangebots jedenfalls dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Entstehen der Angebotspflicht entsprechen muss. Konkret ist derzeit48 noch wenig über das Ersuchen bekannt, da es erst im Oktober 2019 eingelangt ist. Allerdings ist es Anlass, die Frage der Richtlinienkonformität einer solchen Regelung, wie sie ja auch § 5 WpÜGAngVO und § 26 Abs. 1 Satz 3 öÜbG vorsehen, zu beleuchten. Traditionell wird die Zulässigkeit solcher Vorschriften damit begründet, dass die ÜbRL bloß mindestharmonisierend wirkt: Gem. Art. 3 Abs. 2 Buchstabe b ÜbRL sind zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen für Angebote als in der Richtlinie zulässig, was nach ganz überwiegender Ansicht unter anderem zusätzliche Preisvorschriften erfasst.49 Aber auch in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese Einordnung wirklich richtig ist. Denn genauso gut lässt sich die Berücksichtigung des Börsenkurses als Anpassung des Vorerwerbspreises verstehen. Dies ist auch das Verständnis des EFTA-Gerichtshofs in der Rechtssache Periscopus, in der die Zulässigkeit der norwegischen Regelung, nach der welcher der deutlich höhere Marktpreis, also der Börsenkurs, maßgeblich sein sollte, gerade nicht Art. 3 Abs. 2 Buchstabe b ÜbRL unterstellt, sondern an den Vorgaben von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL gemessen wurde.

46

C-735/19 Euromin Holdings (Cyprus) Limited v Finanšu un kapitāla tirgus komisija. Daneben geht es auch um die Fragen, ob ein höherer Wert des Nettoaktivvermögens ausschlaggebend sein darf, wie ein solcher Wert konkret berechnet werden muss und ob aus Richtlinienverletzungen Schadenersatzpflichten der Mitgliedsstaaten entstehen können. 48 Dezember 2019. 49 Vgl. z.B. Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 14) Rn. 28.55; Kalss/Klampfl in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, E.III., Rn. 515; Krause in: Assmann/ Pötzsch/Schneider (Fn. 30) § 31 Rn. 22; Stiegler in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, 2019, § 29 Rn. 57. Für Österreich vgl. die Erläuternden Bemerkungen zum ÜbRÄG 2006, 1334 BlgNR 20. GP, S. 18; Diregger/Kalss/Winner (Fn. 25) Rn. 304; Huber in: Huber (Fn. 26) § 26 Rn. 5. AM z.B. Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 230 f. 47

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Das ist meines Erachtens auch konsequent. Denn die Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL ist als gesonderte Vorschrift für die Preisbildung bei Pflichtangeboten50 zu verstehen, die vor anderen Bestimmungen der Richtlinie Vorrang hat. Dieser Charakter als lex specialis ist für die Generalausnahmeklausel in Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 ÜbRL anerkannt. Darüber hinaus spricht aber der Regelungszusammenhang von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL dafür, dass die Richtlinie bezüglich der Preisvorschriften vollharmonisierend wirkt; denn sonst wäre eine strengere Vorschrift nicht am Determinierungsgebot dieser Norm zu messen – mit anderen Worten hätte sich die im Periscopus-Verfahren untersuchte Frage, ob die norwegische Norm determiniert genug ist, bei der Richtigkeit der in Deutschland und Österreich herrschenden Ansicht überhaupt nicht51 gestellt. Der Gesamtkontext spricht somit dafür, dass Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL Anpassungen des Mindestpreises im Vergleich zur Vorerwerbsregel abschließend regelt und damit auch die deutsche und österreichische Börsenkursregel erfasst.52 Dem kann meines Erachtens auch nicht entgegengehalten werden, dass nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL nur Anpassungen durch die Behörde selbst erfasst sind, die deutsche und österreichische Börsenkursregeln aber gesetzliche Anpassungen enthalten, die automatisch, d.h. ohne jegliche Tätigkeit der Behörde anwendbar sind. Denn wie die jeweilige nationale Norm konkret ausgestaltet ist, kann für die Anwendung der Richtlinien-Vorschrift nicht entscheidend sein. Ausschlaggebend ist nur, dass die Abweichung vom maßgeblichen Erwerbspreis letztlich durch die Behörde (oder durch ein Gericht) durchgesetzt werden kann. Wäre dies anders, so wäre eine Norm, nach der die Behörde bei höherem Börsenkurs den Angebotspreis durch Entscheidung anpassen muss, von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL erfasst, eine andere Norm, bei der dieselbe Anpassung nach dem gesetzlichen Konzept durch die Parteien selbst, aber vor dem Hintergrund behördlicher Sanktionen erfolgt, hingegen nicht. Das Ergebnis ist aber in beiden Fällen dasselbe: Der höhere Börsenkurs ist maßgeblich. Auch Fälle wie die Periscopus-Entscheidung, in denen die Anpassung grundsätzlich von Gesetzes wegen erfolgt, unterliegen damit Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL. Misst man solche Vorschriften an den Vorgaben von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL, so kann man dies ohne weiteres wie folgt tun: Der deutsche und der österreichische Gesetzgeber haben entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein höherer Marktpreis zu berücksichtigen ist, also eine Anpassung der Mindestgegenleistung nach oben vorgenommen 50 Nicht bei Übernahmeangeboten zur Kontrollerlangung, auf die Art. 5 ÜbRL nicht anwendbar ist. 51 Oder jedenfalls nicht auf Ebene der Auslegung der ÜbRL. 52 Ausdrücklich anders aber Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 14) Rn. 28.55 bei und in Fn. 255.

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wird. Das ist der Fall, wenn die näheren Voraussetzungen nach § 5 WpÜGAngVO bzw. § 26 Abs. 1 öÜbG vorliegen; diese sind im Sinne der Periscopus-Entscheidung für Zwecke von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ÜbRL ausreichend determiniert. Anwendbar ist dann der solcherart ermittelte gewichtete durchschnittliche Börsenkurs der letzten drei (Deutschland) bzw. sechs (Österreich) Monate – eine Möglichkeit, die in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 Satz 3 ÜbRL ohnehin ausdrücklich genannt wird. Es stört nicht, dass die Voraussetzung für die Abweichung und die Kriterien, mit denen dann der Mindestpreis bestimmt wird, gleich sind. Einer begründeten und veröffentlichten Entscheidung im Sinne von Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3 ÜbRL bedarf es im Übrigen auch in diesem Zusammenhang53 nicht, sofern der Bieter die entsprechende Anpassung selbst vornimmt. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass Regelungen zur Maßgeblichkeit des Börsenkurses54 wie die lettische, deutsche oder österreichische den Vorgaben der Richtlinie widersprechen. Das ist unstrittig, wenn man die Zulässigkeit mit der herrschenden Meinung auf die Möglichkeit stützt, strengere Vorschriften vorzusehen, gilt aber auch bei der hier vertretenen Subsumtion unter Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3 ÜbRL, die lediglich den Prüfmaßstab, nicht aber das konkrete Ergebnis ändert. Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen auch der Tatsache, dass bereits vor In-Kraft-Treten der ÜbRL viele Mitgliedstaaten die Maßgeblichkeit von Börsenkursen vorsahen, die Kommission dem – in Kenntnis dieser Vorschriften55 – aber keinen Riegel vorgeschoben hat.

V. Schluss Bereits 2002 hat der Bericht der High Level Group, der äußerst einflussreich für die endgültige Ausgestaltung der ÜbRL war, unter Beteiligung von Klaus J. Hopt die wesentlichen Faktoren für eine angemessene Regelung des Mindestpreises identifiziert:56 Respekt für die Regelungstraditionen der Mitgliedstaaten, ein vernünftiger Grad an Flexibilität bei der Anwendung der Regelungen und eine ausreichende Vorhersehbarkeit des letztlich zu bietenden Preises. An der Maßgeblichkeit dieser Faktoren hat sich seitdem nichts geändert. Ebenso wenig ist zu erkennen, dass Art. 5 Abs. 4 ÜbRL grundsätzlich zu überarbeiten wäre. Gerade die Rechtsprechung des EuGH in diesem Be53

Zur parallelen Frage bei verschleierten Gegenleistungen siehe oben III.B. Das muss aber grundsätzlich auch für Vorschriften gelten, welche einen höheren Unternehmenswert für maßgeblich erklären, was auch Teil der Vorlagefragen des lettischen Gerichts ist und für § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO Bedeutung haben kann. 55 High Level Group (Fn. 7) S. 47. 56 High Level Group (Fn. 7) S. 49. 54

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reich zeigt, dass diese Regeln das – letztlich nie vollkommen auflösbare – Spannungsverhältnis zwischen Flexibilität bzw. Einzelfallgerechtigkeit einerseits und Rechtssicherheit andererseits ausreichend gut bewältigen. Dass die Rechtslage in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, darf auch nicht als Manko betrachtet werden – jedenfalls solange der Nachweis nicht gelingt, dass es für die Frage des Mindestpreises eine ökonomisch richtige Lösung gibt, die nicht von den konkreten Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten abhängig ist. Es bleibt zu hoffen, dass auch der EuGH dieses Bekenntnis zur Vielfalt teilt. Jedenfalls bleibt die Ansicht des Jubilars gültig: Es gibt keinen Grund die Preisbildungsvorschrift der ÜbRL zu überarbeiten.

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Systemic risk in non-financial companies Eddy Wymeersch

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I. Systemic crisis in the financial and the non-financial sectors The orientation of the financial regulatory patterns towards systemic concerns is one of the most significant changes in the regulatory system for the last 10 to 20 years. It became particularly relevant during and after the Great Financial Crisis of 2007 e.s. Previously, financial regulation and supervision mainly dealt with the analysis and oversight of the individual financial institutions and their operations. The objectives originally aimed at the protection of the individual market participants, the investors, the customers or parties looking for insurance coverage. However, protecting their interests is largely tributary of the overall position of the institution, in terms of its solvency and liquidity. These regulatory objectives are dealt with at the micro level, this means at the level of each institution separately, and are referred to as micro-prudential. But over time we have learned that financial institutions are widely interdependent, whether they are economically interrelated or not. Events at one institution or in one jurisdiction may have significant consequences on other institutions, even on the entire financial system which is often referred to as the macro aspect, addressed in “macroprudential” measures, affecting a wider population, even outside the financial system. The objective of these measures is essentially to avoid major crises to erupt and to trigger a “systemic crisis”, a breakdown of the entire financial system and more widely of the economy at large. The prudential authorities in charge of overseeing and monitoring developments which may point to a systemic risk will have to analyse the conditions in which financial stability can be endangered, which may later degenerate in a full scale collaps of the system. Observation, analysis, monitoring of general evolution, addressing individual players, and finally adopting public interventions have been the principal steps in dealing with a systemic crisis. Systemic crises have most of the time been studied as relating to the financial sector, where they occur most frequently, are best visible and cause considerable damage. This phenomenon is not limited to the world of finance, and comparable developments can be identified in the “real economy”, here the world of industrial production and commercial services.

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Breakdowns in one sector may affect a much wider population, and lead to endanger the economy of the state in which this sector occupies an important position. More generally, certain political decisions may lead to a disruption in a country’s economic relations with other states or even with the entire world. Worldwide doubts about the future climate and the related sustainability already puts question marks to many industrial or economic initiatives. These and other similar challenges have come more clearly to the attention of the international financial institutions, to the academic world, and to the political decision makers. Strikingly, while a very elaborate system has been developed for the financial sector, very few concrete studies have focused on the non-financial sector, the world of industry, commerce or transportation. A comparison between the instruments developed in the financial sector for dealing with “systemic risks” may usefully inspire a reflection addressing the non-financial sector.

II. Financial Stability and systemic risk in the financial sector The notions of financial stability and systemic risk are closely interrelated. They have been defined in many ways1. The ECB has defined financial stability in wide terms as: “a condition in which the financial system – which comprises financial intermediaries, markets and market infrastructures – is capable of withstanding shocks and the unravelling of financial imbalances. This mitigates the prospect 1 There are numerous statements and studies proposing definitions of ‘systemic risk”: See the numerous publications on SSRN “systemic risk”. See further: G.J. Shinasi, Alternative definitions of financial stability, IMF Working paper, 2004, 04/187 p. 13e.s. “Financial stability is defined in terms of its ability to facilitate and enhance economic processes, manage risks, and absorb shocks. Moreover, financial stability is considered a continuum: changeable over time and consistent with multiple combinations of the constituent elements of finance.”; G. G Kaufman and K.E. Scott, What Is Systemic Risk, and Do Bank Regulators Retard or Contribute to It? The Independent Review, v. VII, n. 3, Winter 2003, ISSN 1086-1653, Copyright © 2003, pp. 371–391. “it “refers to the risk or probability of breakdowns in an entire system, as opposed to breakdowns in individual parts or components, and is evidenced by comovements (correlation) among most or all the parts.” St. Schwarcz, Steven L., Systemic Risk. Duke Law School Legal Studies Paper No. 163; Georgetown Law Journal, Vol. 97, No. 1, 2008. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=1008326; De Bandt, Olivier and Hartmann, Philipp, Systemic Risk: A Survey (November 2000). ECB Working Paper No. 35. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=258430. Common to many of these definitions is the widespread damage to society at large, possibly bringing down the entire financial system (“too big to fail”) , or an entire industry or economy. G.L.Lo. Schiavo, The role of financial stability in EU Law and Policy, 2017; The harmful consequences will be felt in a large part of society. For the UK Stewardship code, Pr.4, these are risks that may cause the collapse of an industry, financial market or economy, such as climate change, and with wide social impact.

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of disruptions in the financial intermediation process that are severe enough to adversely impact real economic activity. Under the heading of financial stability all functions exercised in the financial system are interrelated, and contribute to maintain its stability, or in the reverse hypothesis, may destabilise some part of the system, and in the worst case the entire system”.2

This definition of stability should be read as in invitation to pay attention to financial instability and to the factors which create the latter. Analysis and research is therefore essentially focused on these destabilising factors, allowing prudential authorities to conclude to the absence of significant destabilizing elements, or conversely, pointing to the developments which potentially may lead to major financial or economic shocks. It mainly analyses the causes of the instability, the instruments to avoid these, and how resulting shocks could be absorbed. An economic system is referred as subject to “systemic” risk when its financial or economic status is gravely destabilised to the point that it may collapse, or that its major components, such as its main economic units, stop to function. Usually it refers to the financial system affecting a large number of institutions (banks, insurance companies, investment funds, pension funds, etc.) but also to mechanisms (derivatives3, securities trading in general or payment systems, trading markets, financing, FinTech and BigTech) and their impact on the overall economy (e.g. cyber risk4, ). In the 2007–08 crisis, not only were several major banks failing, or on the point of failing, and markets were closed down, but also further downstream, the productive industry was severely hit, new orders having stopped to come in, while factories suspended their activity or had to be closed down5, on the longer term resulting in a widespread fall in income and in increased poverty. 2

The ECB defined financial instability: “The risk that the inability of one institution to meet its obligations when due will cause other institutions to be unable to meet their obligations when due. Such a failure may cause significant liquidity or credit problems and, as a result, could threaten the stability of or confidence in markets.” ECB, 2004, Annual report; A.G. Haldane and R. May Systemic risk in banking ecosystems, Perspective, 20 January 2011, 351; L.de Guindos, Foreword to Financial Stability Review https://www.ecb.europa.eu/pub/financial-stability/fsr/html/ ecb.fsr201811.en.html#toc1; Compare for the non-financial world: the definition in the UK Stewardship code, Principle 4: : ‘Systemic risks are those that may lead to the collapse of an industry, financial market or economy and include but are not limited to: climate change; and the failure of a business or group of businesses.’ 3 P. Saguato and G.Ferrarini, Clearing Houses and Systemic Risk, in: Systemic Risk in the Financial Sector Ten Years After the Great Crash, Oct 2019, Douglas W. Arner, Emilios Avgouleas, Danny Busch, Steven L. Schwarcz (Eds); See also: FSB reports consider financial stability implications of BigTech in finance and third party dependencies in cloud services, 9 dec 2019. 4 Separate advisory business lines have sprung up due to the – systemic – consequences of some types of risk: Cyber risk management, risk governance, environmental advice, etc. 5 This was the case in the 2007 systemic crises, especially in the fall of 2008, as numerous industrial and commercial firms had to close.

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Financial Stability analysis has mainly been developed focusing on the financial sector, originally mostly in relation to the position of banks, later extended to other financial institutions and intermediaries, also including the non-banking financial institutions (or “shadow banking”), and lastly including mechanisms and developments in the economy in general. The focus on the financial business is mainly to be attributed to the amplitude of these crises, the strong amplifying interconnection between these different segments, leading to a higher risk of contagion among them, also due to the higher volatility of these. The impact of financial crises on the economy and the wider society has in general been very destructive, with often longlasting effects on the population and social cohesion. The financial authorities therefore developed a wide range of instruments to oversee and monitor financial institutions in case the imbalances would become too menacing. The multinational nature of these developments requires them being analysed and structured both at national and international level. At the international level, these oversight activities are developed and coordinated by the Financial Stability Board (FSB), created in 2009 as one of the leading international post-crises initiatives6, and regrouping central banks of all the leading economies of the world, the main international financial institutions and the worldwide active financial standard setters7. Its reports and recommendations are addressed to these members of the board and at the political level discussed at the G.20 meetings. They serve as a model for analysis and action on a worldwide basis. The FSB is in charge of identifying vulnerabilities in the national and global financial system with a view of developing the necessary regulatory or supervisory actions, addressing these vulnerabilities and curb their possibly detrimental outcomes8. The reports by the FSB focus on the risks developed by major financial institutions, identifying these as the Global Systemically Important Financial Institutions (G-SIFIs) and Global Insurers (G-SIIs). It developed the Key Attributes of Effective Resolution9 for financial institutions which inspired the resolution regimes in many jurisdictions. But be6 See: https://www.fsb.org/about/. Its objective is formulated as promoting international financial stability, while its first assignment is to “Assess vulnerabilities affecting the global financial system as well as to identify and review, on a timely and ongoing basis within a macroprudential perspective, the regulatory, supervisory and related actions needed to address these vulnerabilities and their outcomes”. 7 The FSB is composed of the G20 authorities, being their central banks and treasury departments and the international financial institutions (IMF, World Bank, OECD, ECB, IOSCO. Are also members the IAIS, BCBS, IASB, CPMI, CGFS. 8 See for new and emerging vulnerabilities, several of which will cover cross sectoral issues: FSB sets out 2020 work programme, 17 December 2019, https://www.fsb.org/2019/ 12/fsb-sets-out-2020-work-programme/. 9 FSB Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, 15 oct 2014.

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yond these traditional segments of the financial system, it drew attention to issues at the limits of the banking system, such as the so-called shadow banking, better referred as Non-Bank financial intermediation, including the developments in Other Financial Intermediaries10. Certain topics on its agenda are more cross-sectoral and may be applied in all – business or not – organisations: cyber resilience, crypto assets, sound compensation schemes, SME financing and commercial real estate financing and even analysing misconduct risk11. Some of these factors may create significant risks and undermine the stability of many types of organisations. Other well established topics have a wider relevance: the accounting, auditing and reporting rules, oversight of auditing standards and formulating expectations for audit quality. FSB, as a supranational entity, has no formal legal authority12 and its decisions, standards13 or rather recommendations have no legal force, but moral suasion, peer pressure, as well as the quality of its opinions which reflect worldwide consensus on financial stability, are drivers for coherent implementation across sectors and jurisdictions. Some of its main political positions are endorsed by world leaders in the context of the G 20 agreements14. 10 See FSB publishes annual report on non-bank financial intermediation, 19 Jan 2020; FSB, Global Monitoring Report on Non-Bank Financial Intermediation 2019 – Financial Stability Board, 19 Jan 2020; also dealing with OFIs or Other Financial Institutions, defined as all financial institutions that are not central banks, banks, insurance corporations, pension funds, public financial institutions or financial auxiliaries. FSB, Enhancing Resilience of Non-Bank Financial Intermediation, 19 January 2020; See for the European analyses: ESRB Assessing shadow banking – non-bank financial intermediation in Europe No 10/July 2016 by L.Aubert, J.B. Haquin, C.N. Killeen, C. Weistroffer https://www.es rb.europa.eu/pub/pdf/occasional/20160727_occasional_paper_10.en.pdf; ESRB, EU Shadow Banking Monitor. 2018, https://www.esrb.europa.eu/pub/pdf/reports/esrb.report18 0910_shadow_banking.en.pdf; D. Busch en Mirik B.J. van Rijn Towards Single Supervision and Resolution of Systemically Important Non-Bank Financial Institutions in the European Union, European Business Organization Law Review, 2018, 301–363. 11 FSB Stocktake of efforts to strengthen governance frameworks to mitigate misconduct risks, 23 May 2017; FSB publishes toolkit to mitigate misconduct risk, 20 April 2018. (several statements). FSB, Strengthening Governance Frameworks to Mitigate Misconduct Risk: A Toolkit for Firms and Supervisors, 20 April 2018; FSB, Recommendations for national supervisors: Reporting on the use of compensation tools to address potential misconduct risk, 23 November 2018; See 1.2.3 Dutch Governance Code, referring to “misconduct and irregularities”. Among the policy instruments, whistleblowing is to be mentioned: see OECD: Whistleblower Protection Frameworks https://www.oecd.org/ g20/topics/anti-corruption/48972967.pdf ; High Level Principles for Effective Protection of Whistleblowers were endorsed at the G 20 Osaka meeting. 12 FSB acts as a coordinating body; policies are not legally binding, See Work of the FSB, https://www.fsb.org/work-of-the-fsb/. 13 See: FSB, Key Standards for Sound Financial Systems, https://www.fsb.org/workof-the-fsb/about-the-compendium-of-standards/key_standards/ priority implementation – presenting minimum requirements for good practice. 14 See for the G20 Japan meeting of June 2020, the statement on crypto-assets: “While crypto-assets do not pose a threat to global financial stability at this point, we are closely

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This confirms that financial stability is often a transnational issue which can only be dealt with within international cooperation. Specific activities dealing with sectoral financial stability issues are developed by the international regulatory bodies, especially by IOSCO and IAIS, regrouping the world’s securities and insurance regulators. At the European level, as part of the post-crisis measures15, the European Systemic Risk Board (ESRB) was created with a view of allowing the central banks and supervisory authorities and the EU institutions active in the field of financial regulation16 to develop macroprudential oversight within the European Union in order “to contribute to the prevention or mitigation of systemic risks to the financial stability… so as to avoid periods of widespread financial stress”17. The Board’s composition points to a strong priority given to issues in the banking and financial sector, as the main addressee of the post-crisis prudential measures. The ESRB may develop supervisory actions addressing e.g. warnings or recommendations18 to EU members states, the ESAs19 or the national supervisors, who will inform the ESRB about their follow-up. If the latter is not convincing, the ESRB will issue an opinion to the addressees, i.e. the ESA concerned and the European Council, the European Parliament also being involved20. The warnings are confidential but the ESRB can release them monitoring developments and remain vigilant to existing and emerging risks”, further welcoming the FSB’s and other standard setting bodies work on the topic. 15 De Larosière report, The High-Level group on Financial Supervision in the EU, 25 February 2009, https://ec.europa.eu/economy_finance/publications/pages/publication 14527_en.pdf. 16 Also take part: a member of the European Commission, the chairs of the ESAs, the president of the EFC, and of the EEA and EFTA. 17 Article 3(1), Regulation 1092/2010 of 24 November 2010 “on European Union macro-prudential oversight of the financial system and establishing a European Systemic Risk Board” – “ESRB reg”. 18 See articles 16, 17 and 18, ESRB Reg. ESRB, A new database for financial crises in European countries, Occasional Paper, No 13/July 2017, https://www.esrb.europa.eu/ pub/pdf/occasional/esrb.op13.en.pdf. See e.g. ESRB, Vulnerabilities in the residential real estate sectors of the EEA countries, 23 September 2019; ESRB, Methodologies for the assessment of real estate vulnerabilities and macroprudential policies: residential real estate, 23 September 2019 ; ESRB, EU Non-bank Financial Intermediation Risk Monitor 2019, July 2019. 19 European Supervisory Authorities, i.e. European Banking Authority, European Insurance and Occupational Pensions Authority, and European Securities and Markets Authority. The article 458 CRR subject measures adopted by a Competent National Authority to a procedure involving the European institutions, EBA and ESRB. For applications s. nt 20, see: E Ferran and K, Alexander, ESRB as a soft law body, SSRN 1676140; also under the title: Can Soft Law Bodies be Effective? Soft Systemic Risk Oversight Bodies and the Special Case of the European Systemic Risk Board. U.Cambridge, Legal Studies Research Paper Series, Paper 36/2011, June 2011. 20 See EBA, Opinion following the notification by the French High Council for Financial Stability (HCSF) of its intention to tighten the large-exposure limits applicable to large

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publicly, informing the addressees in advance21. The ESRB has undertaken considerable work to better analyse the conditions under which an imbalance can be considered to become systemic. On the basic of a theoretical model entitled “The macroprudential stance”, the ESRB has developed a detailed study on the notion of systemic risk focusing especially on the way to measure the latter on an ongoing, prospective basis22. The Board is assisted by an Administrative Scientific Committee and an Administrative Technical Committee, undertaking supporting studies to the ESRB positions. Additional activity in this field is developed by the European Supervisory Authorities (ESAs). Their action is firstly focusing on observations, analysis and formulation of policy guidelines. They are involved in this process both at the general oversight level, monitoring and assessment of systemic risk, developing stress testing regimes and identifying the institutions which needs further follow-up, requiring stronger supervision, and where applicable, referring to recovery and resolution regimes, in accordance with the applicable EU regulations. EBA assesses the measures proposed by national central banks on macroprudential risk and issues further recommendations in this respect. At the same time, the ESAs will have to organize sufficient support capacity to respond to the occurrence of a systemic risk case, ensurand highly indebted non-financial corporations (NFCs), 14 March 2018, ESRB, Assessment of the French notification in accordance with Article 458 of Regulation (EU) No 575/2013 concerning the application of a stricter national measure as regards requirements for large exposures, 9 March 2018, https://www.esrb.europa.eu/pub/pdf/reports/esrb. opinion180309_large_exposures.en.pdf ; See EBA, Opinion following the notification by the French High Council for Financial Stability (HCSF) of its intention to tighten the large-exposure limits applicable to large and highly indebted non-financial corporations (NFCs), 14 March 2018, ESRB, Assessment of the French notification in accordance with Article 458 of Regulation (EU) No 575/2013 concerning the application of a stricter national measure as regards requirements for large exposures, 9 March 2018, https://www.esrb.europa.eu/pub/pdf/reports/esrb.opinion180309_large_exposures.en.pdf; Opinion EBA-Op-2018-01)of the European Banking Authority on measures in accordance with Article 458 of Regulation (EU) No 575/2013, on the Proposal from the Belgian Central Bank; Opinion EBA/Op/2017/15 relating to the Cyprus Central Bank. There are 309 of these opinions published by the EBA. EIOPA has also published numerous reports on macroprudential issues in more thematic substances. EBA issues Opinion on measures to address macroprudential risk following notification by Finnish FSA, 30 July 2019, https://eba.europa.eu/eba-issues-opinion-on-measures-to-address-macroprudential-riskfollowing-notification-by-finnish-fsa. 21 Article 18, ESRB Reg. 22 ESRB, Features of a macroprudential stance: initial considerations, April 2019. The analysis is a theoretical exercise which defines the intensity of systemic risks in terms of the comparison between three components: the overall identified systemic risk (“gross risk”), the neutralizing factors due to available resilience of the system and the effect of the macroprudential policies. The remaining volume of systemic risk is described as the residual systemic risk, which is the subject of supervisory attention. https://www.esrb. europa.eu/pub/pdf/reports/esrb.report190408_features_macroprudential_stance_initial_co nsiderations~f9cc4c05f4.en.pdf.

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ing coherent and coordinated crisis management23. EIOPA has undertaken numerous studies on specific macroprudential aspects of the insurance regulation, while ESMA follows up on macroprudential evolutions in the securities markets, or analyses specific aspects of its supervisory activity24. One should also mention private bodies specialised in this field, such as the Systemic Risk Council,25 or the Systemic Risk Centre26. In the US, the Financial Stability Oversight Council (FSOC) as part of the US Treasury monitors the stability of the US financial system. The Office of Financial Research (OFR) collects the data, analyses the long term trends and develops risk measurement and monitoring tools. It supports the work of the Council27. The FSOC has the authority to qualify non-bank institutions as systemically important financial institutions. With respect to banks, located in the euro area, the national competent authorities – many of which are central banks – introduced macroprudential tools – capital buffers, countercyclical buffers28, or other measures such as restrictions on real estate financing – relating to the banks subject to their supervision29. The ECB may object to these national measures or may im-

23 See article 22 to 24 EBA reg; see article 5(7) BRRD; similar provisions apply in the insurance sector: 22–24 EIOPA reg; in the securities fields; art 22–24 ESMA reg. 24 See ESMA, ESMA Report on Trends, Risks and Vulnerabilities, November 2, 2019, https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma_50-165 883_report_on_trend s_risks_and _vulnerabilities_no.2_2019.pdf. ESAs Joint Committee: Good Supervisory Practices for Reducing Mechanistic Reliance on Credit Ratings , 20 December 2016, 2016,71: “The ESAs will not refer to credit ratings “in their guidelines, recommendations and draft technical standards where such references have the potential to trigger sole or mechanistic reliance on credit ratings by the competent authorities…” Reliance on credit ratings by the European Supervisory Authorities and the European Systemic Risk Board, 19 JUNE 2019, https://www.esma.europa.eu/databaseslibrary/interactive-single-rulebook/crar/article-5b. 25 https://www.systemicriskcouncil.org, identifying itself as “a private sector, nonpartisan body of former government officials and financial and legal experts committed to addressing regulatory and structural issues relating to global systemic risk”. 26 http://www.systemicrisk.ac.uk/about-centre, set up by the LSE and the ESRC. 27 See: https://home.treasury.gov/policy-issues/financial-markets-financial-institutions -and-fiscal-service/fsoc/studies-and-reports. 28 For an overview of the present status, see ESRB, Countercyclical capital buffer, and: Conservation Capital Buffer, https://www.esrb.europaeeu/national_policy/ccb/html/ index.en.html; ECB, Shelter from the storm: recent countercyclical capital buffer (CCyB) decisions, 27 March 2019, https://www.ecb.europa.eu/home/search/html/index.en.html?q =+countercyclical+buffer. 29 National central banks have made ample use of this instrument see e.g. NBB, The Belgian macroprudential policy framework in the banking sector, https://www.nbb.be/ doc/cp/eng/2017/the_belgian_macroprudential_policy_framework_in_the_banking_sector .pdf; Also: https://www.nbb.be/en/financial-oversight/macroprudential-supervision; Macroprudential instruments: their decisions will be binding on the institutions to whom they are addressed.

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pose higher requirements or more stringent measures30, subject to a right of objection of the national supervisor31. Its decisions will be binding on the institutions to whom they are addressed. The ECB will conclude MOUs with the authorities of the non-euro states with respect to their systemically important institutions32. One can summarise by stating that the attention paid to systemic developments and financial stability issues is very well developed both at the international, at the European level as in most other parts of the world. It has generally been effective in avoiding major crises after the 2007 GFC, continuing to closely monitor closely developments which could trigger a new crisis. However, as often remarked, this finding is not a guarantee that no new crisis could erupt.

III. Financial stability in the non-financial sector While stability is one of the core objectives – or concerns – of the international and national financial regulatory and supervisory systems, no comparable developments have taken place outside the financial sector, i.e. mainly in industry or commerce. There can be little doubt that comparable widespread disruptions have taken place in several other segments of the economy, causing comparable disruption, but receiving less attention as often they were limited to a sector or to a country in particular. This difference can be attributed to several factors, among which the greater diversity of economic actors, each individual entity being less likely to trigger a massive crisis, while only few large firms would have the dimension to trigger system-wide developments. The level of interconnectedness is for most sectors of activity lower, contagion risks being reduced due to more widespread substitutability. But in the most striking cases, interconnectedness was derived from the financial crisis, as a wider economic downturn was induced by the large mistrust in the financial system, triggering a “depression” (1920s) or a “recession” (in 2007 e.s.), broadening the systemic crisis to a wider economic downturn in the entire economic system. These differences may explain – but not justify – the lower degree of attention paid to economic stability in the non-financial sector. 30

Article 5, SSM Reg, 15 October 2013. Article 5(4), SSM Reg. 32 See SSM regulation, articles 3(6) and 7 for the non-participating states, and article 8 for third countries; See MOU of ECB with the OFR, 30 may 2017, https://www.ecb. europa.eu/pub/pdf/other/MoU_ECB-OFR_concerning_consultation_cooperation_and_e xchange_of_information_201705.pdf; ESRB Recommendation of 26 September 2019 on exchange and collection of information for macroprudential purposes on branches of credit institutions having their head office in another Member State or in a third country (ESRB/2019/18). 31

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Stability concerns in the non-financial sector cannot be identified on the basis of the same criteria as applied to the financial sector, where liquidity and related solvency issues are the most immediate triggers – although not the only ones – of stability concerns. Moreover, due to the diversity of the non-financial sector, not all disruptions will raise systemic or widespread concerns: one will have to focus on specific developments, gravely affecting productions units and the employed populations, or disruptive incidents caused by the largest, economically most significant entities. The largest companies or the most significant public sector entities would be the principal candidates for this analysis and follow-up: they could be defined in terms of consolidated size, turnover, employees or their specific central role in the economy. Incidents occurring in such firms will in many cases involve their immediate stakeholders, being here understood as the investors, the employees, suppliers, creditors – leading to a related confidence crisis in the markets, or in the labour relations – , indirectly affecting the parties who have no immediate relationship with the firms concerned. Disruptions may not always be due to the economic sectors, direct victims of the crisis, but may have a social or environmental cause. This raises the question as from which level a major, destructive event or a collapse occurring in one or several firms or in one country will become relevant to other firms, whether in the same sector, or in the same State or even further away. The contagion, which is very visible in the financial sector – see the so-called “bank run” – is not unknown in the non-financial sector, but is less visible and might be more easily remedied. Moreover, the impact of some incidents is not always visible in the short term, and may only come to the surface and catch the public attention many years later, after the controversial production methods have been interrupted, or their effects cannot further be identified. Additional work has to be undertaken to develop criteria which would justify additional measures to be adopted by the companies concerned.

IV. Disruptions in the non-financial sector: a few examples of possible disruptions While the systemic crises due to financial instability are well identified and described, which are the equally destabilising factors in the nonfinancial segment of the economy? A few examples should illustrate this proposition, under the proviso that the causal effect between events or incidents and the larger crises should be significant, but may not always be visible, at least in the short term. Also, it would be open to further analysis to what extent, large segments of the economy or society will be affected and if so, whether the initial events could have been qualified as economically relevant, and could have been

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predicted and remedied, or only after their occurrence, have triggered remedial measures. The OECD in its studies on “New Approaches to Economic Challenges (NAEC)33” identified four main factors causing instability in the economy after the GFC: environmental changes, technological developments, globalization, and demographic changes. Policy objectives34 should include “system resilience” being an “economy’s ability to withstand financial, environmental or other shocks without catastrophic and system-wide effects”.35 The following list of relevant systemic causes or events attempts to give a more concrete content to the notion of ‘systemic risk” for the non-financial sector, along with the requirement of considerable destructive consequences. These examples should merely identify the area of possible concern, as the causal effect between events or incidents and the larger crises should be further investigated. It is sensible to start the list of economically relevant events with climate change, which is now attracting worldwide public attention and causing considerable concern. If the series of considerable disturbances which have hit several parts of the word will continue, it is likely that this evolution will upset the stability – financial and other – which economic and social systems impacted have known. But remedies are hard to find, even harder to put at work. Numerous initiatives are being presented worldwide, addressing the widest range of developments, both human and technical, under considerable pressure from the public opinion. Political reactions remain divided, some major states refusing to even recognise the phenomenon. Over time, the consequences are becoming increasingly visible, and will be extremely difficult to remedy. Climate change triggers numerous destabilising developments, gravely affecting the populations exposed. The agricultural sector is particularly prone to major incidents, putting the population and related economic activity at risk such as farming, transport, export, and further food production for society. Drought is making wide areas inhabitable, destroying segments of a country’s agriculture and food supply at the same time leading to emigration of the population. Combined with widespread fires, the resulting smoke is being felt almost around the globe. Recently an increasing number of agricultural crises due to e.g. widespread drought, flooding, or invasive pla-

33 OECD, Broadening the perspective beyond the financial sector; See: the regular updates at: http://www.oecd.org/naec/NAEC_Update_December_2019.pdf. 34 In addition to Environmental sustainability, Rising wellbeing, Falling inequality. 35 OECD, Beyond growth: towards a new economic approach, Report of the Secretary-General’s Advisory Group on a New Growth Narrative, 17–18 September 2019, http://www.oecd.org/naec/averting-systemic-collapse/ SBOECD_NAEC_Beyond_Grow th_presentation_Michael_Jacobs.pdf.

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gues have been reported, touching even places which previously were considered protected against any of these evils. Further effects of natural disasters should be mentioned such as the limited availability of food, poor distribution, and on a cross-sectoral basis, disturbances in transportation, tourism, and related services. The ongoing CoVid-19 crisis is another dramatic example. Attention to this evolution, and to the wider environmental effects is now stirring active debate in the political but also the financial world. The IMF, the OECD36, the European Commission37, the European Central Bank38 the Bank of England 39and many other public and private institutions have elevated climate concerns to their top priority and indicating the different ways, each within its own sphere of action or influence, how they will contribute to improve the state of the world natural environment. But more broadly worldwide standards have been tabled by the United Nations, as Sustainable Development Goals (SDGs), based on the wider concept of “sustainability”, now a widely adopted moral or even social criterion. In the economic field, it aims at the reduction of damage inflicted to society by mainly large companies in pursuit of short-term profits40. Part of the objectives is the avoidance of depletion of natural resources to maintain an ecological balance. The sustainability concept is not new: already in 1987, sustainability was defined as the “development that meets the needs of the 36 OECD, ESG Investing: Practices, progress and challenges (2020 forthcoming) with ESG data of equity issuers across Asia, Europe and North America. 37 See the programme presented by the Commission President Ursula von der Leyen in her opening Statement, 16 July 2019, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/ en/SPEECH_19_4230. Commission, The European Green Deal, 2 December 2019 https:// ec.europa.eu/eip/agriculture/en/news/european-green-deal, covering all sectors of the economy; Sustainability and competitiveness are mentioned alongside. 38 See the inaugural speech pronounced by Christine Lagarde, new chairperson of the ECB. See : Luis de Guindos: Implications of the transition to a low-carbon economy for the euro area financial system, 21 November 2019; ECB; M Sandbu, Lagarde’s green push in monetary policy would be huge step up, FT 2 December 2019. 39 See Bank of England, Surveys of the banking sector, and M.Carney, Remarks on the launch of the Recommendations of the Task Force on Climate-related Financial Disclosures, 14 December 2016; BoEngland, PRA review finds that 70% of banks recognise that climate change poses financial risks, 26 September 2018, https://www.bankofengland.co. uk/news/2018/september/transition-in-thinking-the-impact-of-climate-change-on-the-uk -banking-sector; in general See; BoEngland, Climate Change, https://www.bankofeng land.co.uk/climate-change. 40 United Nations, Sustainable Development Goals (SDG) 2015; “the blueprint to achieve a better and more sustainable future for all” https://www.un.org/sustainable development/sustainable-development-goals/. See for a recent overview: Resolution adopted by the General Assembly on 15 October 2019, https://undocs.org/en/A/RES/74/4, ; on the disclosure aspects: Carol Adams, Paul Druckman , Russell Picot, Sustainable Development Goals Disclosure (SDGDs) Recommendations, https://www.ifac.org/publications/sustainable-development-goals-disclosuresdgd-recommendations.

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present without compromising the ability of future generations to meet their own needs”41. The concept has been further developed in many specific fields, even as binding standards, especially in the field of financial regulation. The European Commission includes sustainability elements in many of its financial regulations, e.g. on investment funds, pension funds, and other financial institutions. Private business also increasingly subscribes to these broader objectives of company actions42. Agricultural diseases destabilise the food production in certain regions threatening the livelihood of farmers in several parts of the world43: a current plague eliminates centuries old olive trees in southern Italy; idem for the banana culture for the most exported bananas variety in Central America. One should remember the “Great French Wine Blight” in the second half of the 19th century due to Grape phylloxera, a tiny insect originating from N America, which destroyed the entire French wine culture, but benefitted the US wine production. Luckily since then, new vines have been planted ! These disruptions often disturb many aspects of the population involved: health risks, food scares, poverty, but also commercial or industrial processes44. At the moment of writing, partly due to climate conditions, a locust plague is destroying crops in East Africa, threatening food security and an unknown coronavirus is destabilising part of the Far East. While the African Swine Fever virus constitutes a threat to the food supply in China and a large part of the Far East. The production of dangerous products have in many cases created significant risk to the population: asbestos 50 years after its use was forbidden is 41 Brundtland Commission, Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future, 1987 https://sustainabledevelopment.un.org/ content/documents/5987our-common-future.pdf; St Held, Our common future, Pathways to 2050, http://www.unece.org/fileadmin/DAM/ie/se/pp/EnCom15/28Nov/Sust Dev/HELD_SustDev_UNECE_EnComm15_2006_c.pdf. 42 Commission Action Plan: Financing Sustainable Growth, COM/201097 final; COMMISSION LEGISLATIVE PROPOSALS ON SUSTAINABLE FINANCE https: //ec.europa.eu/info/publications/180524-proposal-sustainable-finance_en, 24 May 2018. In several more recent proposals, similar ideas have been included. In May 2018, the Commission created a Technical expert group on sustainable finance, dealing with a EU taxonomy, (https://ec.europa.eu/info/sites/info/business_economy_banking_and_finance/ documents/190618-sustainable-finance-teg-report-overview-taxonomy_en.pdf,) Green Bond standards, Climate benchmarks, and climate related corporate disclosures. For the private sector, see: A fundamental reshaping of finance, https://www.blackrock.com/uk/indivi dual/larry-fink-ceo-letter; see the critical comment in the FT, 15 January 2020. 43 See: FAO in emergencies, leading in some cases to major humanitarian crises http:// www.fao.org/emergencies/emergency-types/plant-pests-and-diseases/en/: FAO in emergencies. 44 See for an overview of cases in the US: 17 of the Worst Foodborne Illness Outbreaks in U.S. History; https://www.healthline.com/health/worst-foodborne-illness-outbreaks; in the EU. Parmalat, Lactalis (The Guardian, 14 January 2018), or Belgian Dioxine crisis, are well known cases among many.

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still making victims, and numerous legal cases are still pending in court45. Medicines which have not be adequately tested have left parents in despair with so-called “Softenon”46 babies, a lifelong concern. And the recent opioid crises in the US and elsewhere remind us of the destructive force of the uncontrolled production and distribution of these drugs. The US Food and Drug Administration and the European Medicine Agency prevent dangerous products to being officially distributed.47 In the technological fields, “Diesel gate”, detected almost by accident, is having a profound impact on mainly the European automobile production, but also on the distribution systems, on employment in part manufacturers, but also on their moral standing in society. There is controversy whether some producers were aware of the harmful consequences of their combustion engines. Adjustments of the product range – e.g. the success of electrical cars, or the use of new sources of energy, hydrogen e.g. – may affect the historical position of the former leaders, with visible effects on their financial position, leading to restructurations and lay-offs48. Changes in power supply, but also in transportation modes are already resulting, threatening the future of even the most successful former car manufacturers. Indirectly, production of spare parts in unrelated countries may also be suffering. The information technologies confront our societies with unprecedented challenges in terms e.g. of confidence building, or reliability, introducing new factors of distrust and considerable instability in our social networks49, or even as instruments equivalent to military weapons. Social media strongly contribute to the polarisation of our societies while “cyber risk”, artificial Intelligence50 or robotics – to name a few – point to other radically

45 See: https://mesowatch.com/legal/. In other fields, state control agencies follow up on applicable regulations: e.g. building permits, exploitation authorisations. 46 The medical name is Thalidomide. Contergan is another name under which product was distributed. The thalidomide disaster led to a considerable strengthening of the rules for testing drugs, and the requirement of formal licensing. 47 European Medicine Agency (EMA), re-Authorisation Evaluation of Medicines for Human Use “On the environmental risk assessment of medicinal products for human use” 1 June 2006, mentioning i.a. that “sewage system is the main route entry of the drug substance into the surface water.” See for further information: https://www.ema.europa.eu/ en/search/search?search_api_views_fulltext=environmental%20risk EMA “Guideline on the environmental risk assessment of medicinal products for human use”, 15 November 2018, https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/draft-guideline-envi ronmental-risk-assessment-medicinal-products-human-use-revision-1_en.pdf. 48 Lay-offs in German car industry is reported to exceed 50.000 (2019). 49 See the damage inflicted in many institutions and companies by “hacking” “malware” or other abusive software or uses (fake news). 50 See: Center for the Study of existential risk, University of Cambridge, https://www. cser.ac.uk/research/risks-from-artificial-intelligence/.

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destabilization factors if used for the wrong purpose51. At the same time, the number of industrial incidents due to IT interferences is quite considerable, contributing to overall instability but also inflicting considerable damage to firms or individuals, even disrupting production processes52. Some IT firms, especially the GAFAs mainly have become excessively dominant players not only in IT in general, but more specifically in telecommunication, commerce, even banking, fundamentally changing distribution techniques, but also resulting in considerable privacy deficits, or even political manipulation. Firms should be alarmed about these developments and consider how to defend their position. In the field of air travelling, another instability factor due to safety fears has manifested itself: while air travel is becoming more and more common, travellers are being confronted with fears about the safety of their trips, e.g. due to defects identified on some airplanes, resulting in deadly accidents, or in an increasing number of planes being grounded53. Pollution motivates travellers to prefer alternative modes of transport, especially for shorter distance trips. Although unlikely to change long -distance travellers’ behaviour, these defects should modify production and safety oversight, changing the competitive position of producers, but may also, affect mass tourism. The sudden financial collapse of a travel agency created considerable disappointment to the travellers who have been left behind abroad54. Finally, Brexit seems to be the example of an unpredictable financial and economic instability risk, possibly containing triggering factors with a systemic dimension, unless for decisive interventions of the public authori-

51 These factors received ample attention for their effect in the financial sector. But they are equally important for the industrial and commercial sectors. At the same time, new forms of criminality appear, such as hacking, corruption and money laundering, changing the overall statistical patterns of criminality. 52 The best-known cases are Kodak and Nokia, producers of at that time efficient devices, but overtaken by competitors’ disruptive technologies, almost leading to their producers’ demise. Scott D. Anthony, Kodak’s downfall wasn’t about technology, Harvard Business Review, July 15, 2016; Comp David J. Cord, The Decline and Fall of Nokia, 2014. In both cases, management was not sufficiently aware of upcoming innovations. 53 The knowledge of some of these defects considerably affects user’s confidence, both in the construction process and the official safety oversight. See European Civil Aviation Authority or EASA, in charge of certification, regulation, and standardisation of airplanes and parts, but also performing investigation and monitoring. The legal basis is Regulation (EU) 2018/1139 of the European Parliament and of the Council of 4 July 2018 on common rules in the field of civil aviation and establishing a European Union Aviation Safety Agency. 54 In the 2019 “Thomas Cook” bankruptcy, 150.000 travellers out of 600.00 were stranded abroad. The UK government intervened for their repatriation, at a cost for the UK taxpayers of about GPB 100 m. A shortage of funding seems to have been the cause. The effect on employment is also to be considered, See: https://skyrefund.com/en.

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ties55. At the moment of writing the insecurity could be said to be prevalent56 while it remains unclear in which fields major developments will show up. This short overview of a few examples of non-financial instability factors illustrate that instability in the economic systems goes much wider than the ones which have been identified in the financial sector. A further question – and the politically most important one – is whether instruments to identify these risks and possibly to reduce their impact, can/could have been developed. Have the business firms or other actors involved paid attention to the potential risks, and have they undertaken action to prevent them? On purpose, wars or wide civil unrest in so many parts of the world has not been mentioned as these can be regarded as the ultimate destabilization factor and often do not allow victims to develop a risk reduction attitude, except leave their country.

V. How crises in the financial v. the non-financial economy differ Comparing large or systemic crises occurring in the financial field as compared to the non-financial economy presents different characteristics. Even without any actual threat, the former receive considerable attention: preventive instruments of different kinds have been developed in case the crisis would become directly menacing with interventions by the public authorities being activated once the crisis becomes alive57. Very few of these instruments have been developed for non-financial crises: apart from some early warnings depending on the causes of the crisis, remedies have mainly consisted of ex-post government support58, insurance coverage or similar protection instruments. A comprehensive reflection is therefore appropriate.

55 See ESA, Joint Committee on Risks and Vulnerabilities in the EU financial system, August 2019. 56 See the Brexit related Yellowhammer report, 2 August 2019; not publicly available, outlining a series of ‘reasonable worst-case planning assumptions”, BBC news 13 September 2019. 57 See European Stability Mechanism which provides financial support to eurozone governments or to ailing banks (by recapitalisation) . The ESM is proposed to become the European Monetary Fund, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2019/ 635556/EPRS_BRI(2019)635556_EN.pdf. 58 See the measures adopted by the legislator to reduce the harm inflicted in case of closure of large factories: in case of collective redundancies, the legislature may require a procedure to clarify the consequences for the employees, start negotiations on redundancy payments, but mainly open ways for replacement: See Belgian law 13 February 1998, 62 tot 69, first applied in the context of the closure of the Renault factory; comp for France: loi Florange , 29. March 2014, where a similar regime was developed, requiring the companies deciding to inform the employees or to search for another party, to acquire the

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One of the striking differences between both fields of activity is the strong presence of an external oversight regime in the financial sector, identifying and monitoring potential risks, including their unpredictable contagion effects, such as bank runs59. For the non-financial sector, no similar risk-focused mechanism has been developed. But this does not mean that there is no external monitoring: it takes several forms and pursues different objectives, some with direct relevance to the continuity of the firm. The products or services produced by some non-financial firms are the subject of a quite intense follow-up, often defined and regulated by public regulations and inspections. This is most striking for the quality of food, but also for the safety of products as electrical appliances, cars, medicines, airplanes, public constructions, etc. many of which are subject to ex-ante certification. In other cases, some different types of “oversight” apply to the business risks or more precisely to their impact on the overall prospects of the firm: the action developed by the credit rating agencies based on the publicly disclosed information, is aimed at guiding investors’ decisions, but indirectly reflects on the firm’ business decisions60. A similar influence is exercised by large investors in the context of investor engagement, or in a more directional orientation, by activist investors. Proxy advisors exercise influence mainly on governance decisions.61 The press also influences company conduct, especially in cases in which flawed or scandalous conduct is revealed. In the context of the comply-and-explain regime, companies will have to disclose certain elements of their risk policies in their corporate governance statement.62 All these factors contribute to disciplining companies’ behaviour. firm. Also, some tax accommodation may be granted to the firm’s victim of a major setback. 59 See the extent to which stock exchange prices move in a synchronised way. 60 See the role of ratings for ECB decisions: the Eurosystem credit assessment framework (ECAF) https://www.ecb.europa.eu/paym/coll/risk/ecaf/html/index.en.html; changes in ratings have a direct influence on the pricing of the shares of the rated company: see Chr.Flood, ESF Controversies wipe 500bn off value of US companies, FT 14 December 2019, as ESG rating is one of the most relevant metrics for future earning or volatility. Credit ratings agencies include ESG in their ratings: see e.g.ESG in Credit Ratings – S&P Global Ratings, https://www.spglobal.com/ratings/en/products-benefits/products/esg-incredit-ratings. See aso nt.24. 61 On proxy advisors, See: SEC Proposes Rule Amendments to Improve Accuracy and Transparency of Proxy Voting Advice, 5 November 2019, https://www.sec.gov/news/ press-release/2019-231; ESMA, “Best Practice Principles for Providers of Shareholder Voting Research and Analysis”18 December 2015,ESMA,2015.1887. F. Placenti and S.W. Ruest, The SEC’s Evolving Views Regarding Proxy Advisors, Harvard Law School Forum on Corporate Governance, 23 November 2019 https://corpgov.law.harvard.edu/2019/ 11/page/2/. 62 See the UK Stewardship code 2020: The introduction to the Code recognises that asset owners and asset managers play an important role as guardians of market integrity and in working to minimise systemic risks as well as being stewards of the investments in their

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In non-financial companies, the consideration of the longer-term risk profile and of the specific dangers to the future of the business will take place internally in the companies’ board: this discussion will include the risks relating to the continuity of the business, its long-term competitive position, its leadership and its management efficiency, its future financial position in terms of returns to stakeholders, its solvency63 and its long-term expansion, its wider economic role and position in the business sector concerned. Any such action would necessarily remain within the decisionmaking discretion of the company’s bodies, ultimately its board of directors, irrespective of whether the resulting risks would be limited to the firm itself, will affect its direct stakeholders, or touch upon the wider society64. In all these cases there would not be external monitoring or oversight except by way of review of voluntary disclosures, whether pursuant to governance codes or not. In principle, the consequences of the relevant decisions will be exclusively borne by the company. Exceptionally, external relief may apply e.g. allowing for employee exit management65, or in some cases by providing financial support from an external fund or from a public institution66. The portfolios. Reporting should include “setbacks experienced and lessons learned, as well as successes” p. 6. And on p.4 “Respondents should explain how they have responded to market-wide risk and systemic risks as appropriate “ Comp UK Corporate Governance Code 2018, Ch.4. For an overview, see Ecoda, Corporate Governance Compliance and Monitoring Systems across the EU, Oct 2015 http://ecoda.org/wp-content/uploads/ 2019/08/20151009_CoE_Conference_Final.pdf; https://www.guberna.be/sites/default/fi les/pubs/31719_EcoDa_CGC_report_v2.pdf; Accountancy Europe. Ten Ideas to make corporate governance a driver of a sustainable economy, June 2019. 63 As there is no officially organized monitoring of the solvency risk for non-financial firms, possible remedies intervene often too late, rendering the bankruptcy inevitable, exposing the directors to “wrongful trading” (s. 214 Insolvency Act 1986) and massive layoff of employees. The role of the auditors calls for special attention as they should be able to detect an insolvency threat. 64 Many large companies subscribe to climate related objectives, and have issued green bonds, IMF, Beschloss and Mayshayekhi, A Greener Future for Finance, F & D article, 2019 https://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2019/12/green-bonds-offer-lessons-for -sustainable-finance-beschloss.htm, also mentioning the dubious players. OECD, Green bonds, Policy perspectives, Mobilising the debt capital markets for low-carbon transition, December 2015. Bank of England to disclose assessment of how it manages climate-related financial risk, 17 April 2019; https://www.bankofengland.co.uk/news/2019/april/boe-todisclose-assessment-of-how-it-manages-climate-related-financial-risk; BoE; Transition in thinking: The impact of climate change on the UK banking sector, 26 September 2019. 65 See the Belgian and the French law, supra nte. 58. 66 See the support of the US auto industry: in 2007 in the US, the government bailedout the auto industries GM and Chrysler, which were nationalised along with several financial institutions, by drawing on a government fund, created under the Troubled Asset Relief Program. See Auto Industry Bailout, https://www.thebalance.com/auto-industrybailout-gm-ford-chrysler-3305670. In many states, there have been similar but less overt interventions, e.g. in the airline industry. In some cases, the promise of government support may lead to moral hazard, influencing risk taking.

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differences with the financial sector are striking: in case of serious financial difficulties, public intervention in favour of banks or of their depositors is organized by the law itself67. One of the resolution measures consists of a mandatory transfer of assets or even a merger: it can be voluntarily practised by non-financial entities, while for financial institutions, measures of this kind would be mandated by supervisory authorities. For the non-financial sector, remedies have to be sought in the organisational rules of the company affected, its governance rules and procedures, the applicable rules on accounting and auditing, and ultimately in the applicable bankruptcy or insolvency regime. In the absence of external monitoring, the related risks will be treated under the heading of the responsibility of the board, calling for appropriate internal actions by the board: streamlining the production lines, restructuring the internal organization, or repositioning in the relating markets, changing the business model may all be adopted by board decision, while more fundamental decisions such as a change in the legal or financial structure, a merger or a split up will be initiated by the board, but are ultimately subject to shareholder approval. Decisions of this nature will be driven by considerations about the company’s risk profile and its long-term perspectives. In large groups, these decisions which often have very wide consequences, affecting a large range of third parties and sometimes society in general68. In that sense, they could be referred to as “systemic”. The investors, stakeholders, employees and society at large will be the victims, or as the case may be, the protected beneficiaries69. In this decision-making process, the board will be the key player, and this without any external monitoring. No external authority will guide the board as , ultimately the market – financial or product markets – will be the final arbiter. From the legal point of view, company law will play a decisive role in this decision-making process. 1. The role of company law In the absence of an organised external monitoring device, the responsibility for dealing with severe crises lies with the company’s decision-making bodies and is governed by company law rules. Company law will determine how decisions are adopted, who will be responsible – e.g. in one- or two-tier 67 Reference can be made to the DIRECTIVE 2014/59 of 15 May 2014 establishing a framework for the recovery and resolution of credit institutions and investment firms (BRRD) and its equivalent euro area instrument Regulation (EU) No 806/2014 of 15 July 2014 (Single Resolution Mechanism). A resolution fund will be provided by the banks on a collective basis. See for the role of the ERM, nt. 59. 68 See the massive layoffs due to automation of production processes, or on the distribution of products by e.commerce. 69 See the classes of protected depositors or employee under the BRRD, article 44.

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boards-, the role of the external audit and of the general meetings – and which forces will influence the company’s long-term policies. In the boards, representatives of public or major shareholders and independent directors will decide on the risk profile of the firm, based on the firm’s business model, its expansion and product range. In some jurisdictions, representatives of employees or of major creditors will become particularly important interlocutors in case a serious crisis can be expected. Decisions are adopted on the background of the generally applicable regulatory framework, determining the firms’ position in its State of location: tax, accounting and auditing rules, corporate governance codes, but increasingly environmental rules e.g. will determine its position on the market and may in some cases may even lead to relocation. The board will identify, analyse or act on the identified risks, adopting appropriate internal actions: changing the business model, streamlining the production lines, restructuring the internal organization, or repositioning in the relating markets. This also applies to fundamental decisions which have to be adopted by the general meeting, like changing the legal or financial structure, issuing additional shares., mergers and divisions, reorganisations. In each stage of the decision-making process, company law plays a decisive role. In some instances, the court may intervene: in bankruptcy proceedings, the courts will verify whether the decisions including proposed distributions meet the legal requirements. This may also be the case for some mergers, or reorganisations70. Decisions of this nature will be adopted by the sole board and will have a considerable impact on the risk profile of the company and on the position of investors, stakeholders and society in general71. It is up to each firm to analyse the risks it wants to be exposed to its “risk appetite” and adopt the necessary measures to control them, or if not possible, provide protection for the negative consequences thereof. All these maters will be decided by the company’s governance bodies, deciding in accordance with the applicable regulatory framework, on the basis of the relative pros and cons, including the related risks. Firms which abstain from identifying their major business risks should be considered deficient and therefore responsible for the damages inflicted to the victims of their negligence. Within the applicable legal systems, it especially belongs to company law to offer the internal framework within which business developments and accompanying risks will be identified and dealt with. “Company laws” should be defined as the wider concept relating to the rules governing the function70 See on these and similar transactions, ECLE, The Commission’s 2018 Proposal on Cross-Border Mobility – An Assessment, September 2018, European Company and Financial Law Review 16 (1–2): 196–221; M. Winner Protection of Creditors and Minority Shareholders in Cross-border Transactions, ECFR, 2019, 44. 71 See the massive layoffs due to automation of production processing, or changes brought about by the e-distribution for products.

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ing of companies, especially including governance – and the applicable legal provisions, codes and practices – but also taking into account the group or shareholder structures, local traditions, historical or even environmental factors which constitute the setting of actual decision making. As especially large firms are viewed here, one should also mention the influence of the political world and the attitude of the banks as financiers. For listed companies, financial market regulations, requiring mandated or voluntary disclosures, public shareholder meetings, proxy regulation and activist investors will further modulate – sometimes decisively – these companies’ decision making. Several of these factors are core ingredients as to how a company sees its ultimate objective, including its risk profile and its societal position. The evaluation of the risks, on the short and medium term, as undertaken by the board, will lead to conclusions on the long- term stability of the firm, its continuity and possibly its chances of survival. In some cases, questions will arise as to the wider impact of the firm’s decisions, especially of its failure: will it only affect the direct stakeholders, or also the wider economy, create considerable tensions with its investors in the markets, trigger serious unrest from the employee side, which may ultimately result in social unrest. Might this result in instability comparable to the wider instability due to systemic failures? Different from the external monitoring applied to financial institutions, the monitoring function in non-financial institutions is largely internalized at board level, and is directly related to the financial and organisational requirements flowing from company law: among these, one could mention the own fund requirements, the responsibility of the company for its continuity with respect to its functioning and its solvency72, the availability of support from the shareholders. Although not comparable, one could state that company law and organizational rules play a role which to a certain extent is comparable to the one played by the financial stability regime. The main difference is that the decision is largely in the hands of the board and that little ex ante or external oversight is applicable, weakening the board’s position in case of a major crisis. This line of thinking leads to the question whether – and to what extent – individual companies or groups and the individual members of their boards have to assume responsibility for wider economic stability issues. In the financial sector, this question is formulated in more strict terms: should the board be responsible for not having adopted timely action to prevent systemic risk? In finance, this task is largely the responsibility of the supervisory authorities, who collect market wide data, have a deeper insight in the recovery plans clarifying the risk positions of the individual group entities and their in72 See the Going concern requirement, as a basis for the company’s accounting basis. ISA, 480 does not contain a requirement on this point.

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terlinkages. Individual liabilities may be related to excessive or unjustifiable risk taking, leading to moral hazard. Some of these elements may be applicable to the non-financial firms as well. The identification of wider instability risks is not a first line task of their governance bodies: overall instability in the economy may be very difficult to predict, such as a major financial crisis, or a sudden disruption of the international trade. This should not prevent more specific sources of risks to be identified, and if possible, counteracted on. Unfavourable developments in the commodity markets can be avoided by taking derivative positions or building up reserves in support of future activity. But depending on the circumstances, vigilance will be advisable and boards should be attentive to ways to avoid possible disruption in their own business activity73. Boards should timely monitor their financial and business position, and take early action, e.g. negotiating a refinancing deal with a group of banks, or agree to a sale of assets or when inevitable apply for a judicially approved rescue plan74. Inaction or refusal to consider certain solutions may be qualified as negligence, implying liability for those having refused to accept a solution in the interest of all concerned. Closing down the business would be the last inevitable approach, often destroying the reputation and the goodwill of the firm, and maximizing the damage for the unsecured creditors. In some case, especially to protect the employees, or to safeguard the brand of the company, public authorities have been willing to grant financial and other restructuration support75, allowing over the longer term the firm to continue its business activity. A comparison with the recovery and resolution phases in banking regulation is striking. From the legal point of view, one could qualify these duties as a strong version of the overall duty of care, including the “prudent management requirement” 76. It would be based on applicable company law.

73 And adopt the necessary provisions to cope with potential disruptions. So e.g. should firms protect themselves against massive interruptions of power supply. Recent cases in which firms were surprised by a sudden considerable liquidity or solvency shortage may point to their negligence, leading to their implosion: See the Woodford case in the UK. 74 In many cases this will allow to protect the firm’s reputation and goodwill, necessary for restarting the activity. 75 See nt. 66. Small companies may still receive government support, but the larger ones would fall under the EU competition rules. 76 Liability for excessive risk, see: Bainbridge, Stephen Mark, Caremark and Enterprise Risk Management (March, 18 2009). UCLA School of Law, Law-Econ Research Paper No. 09-08. SSRN: https://ssrn.com/abstract=1364500. Compare the cases where excessive risks can lead to systemic consequences: e.g. an overheating real estate residential market, a major destructive agricultural development, a risk of flooding due to the rupture of a dam, an infectious disease.

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2. The governance structure Within the above outline of applicable company law, company decisions frame the different actions in which the company will engage, and the relating risks viewed from both a short and a long term perspective. The longterm policies and relating decisions are adopted by the board of the company, implemented by its executive management. The board, with the approval of the shareholders will express the companies’ view on its future position, its long-term objectives within the context of the society in which it functions, including the impact it will have on the latter77. This leads to a reflection on whether the pursuit of profit, exclusively in the interest of the shareholders-investors, is the only company objective, as was for a long time considered by many, or whether that objective should be balanced against its responsibilities towards its different stakeholders, including the wider society in which it operates. The latter idea is often summarised as the company’s corporate social responsibility, including specific Environmental, Social and Governance objectives (ESG). In legal terms, companies are invited – or even obliged78 – to themselves formulate their views on the main objectives pursued by their actions, under the heading of the “corporate purpose”, expressing in the corporate charter how they consider their objectives and their relationship with their different stakeholders.79. In financial institutions, with respect to significant risks the boards are held to specific regulatory obligations and risk monitoring should be one of the core concerns in all financial institutions. This requirement leads to an 77 Business Roundtable Redefines the Purpose of a Corporation to Promote ‘An Economy That Serves All Americans’ AUGUST 19 2019: “Updated Statement Moves Away from Shareholder Primacy, Includes Commitment to All Stakeholders”. 78 Most requirements on company purpose are formulated in corporate governance codes: see UK corporate governance code: principle 1B “BOARD LEADERSHIP AND COMPANY PURPOSE”. “The board should establish the company’s purpose, values and strategy, and satisfy itself that these and its culture are aligned’. Comp. UK Stewardship code, for Asset Owners and Asset managers, principle 4. The UK Corporate Governance code is more modest on these wider interests:” generating value for shareholders and contributing to wider society” as elements of the company’s purpose. 79 Section 172(1) of the UK Companies Act 2006 defines a director’s duty ‘to promote the success of the company for the benefit of its members as a whole’, while having ‘regard to’ various other stakeholder interests. See Colin Mayer, “The future of the Corporation, Economy and Society, 2018. The Business Roundtable focused also on the interests of the shareholder and other stakeholders within the ambit of the company’s decision making, but has been more timid in defending societal objectives as climate change, or combatting inequality: there was no mention in its 2019 statement, while some previous statements on global warming were not currently accessible. Business Roundtable Redefines the Purpose of a Corporation to Promote ‘An Economy That Serves All Americans’ 19 August 2019, https://www.businessroundtable.org/business-roundtable-redefines-the-purposeof-a-corporation-to-promote-an-economy-that-serves-all-americans, The reformulation of the purpose was approved by 200 CEOs.

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advanced system of risk identification and management, undertaken in the mandatory “risk – monitoring – committees” composed of independent directors with specialised risk experience, with attributions for general or specific risks types80, and, more in general, attention to spill-over effects of risks in the markets81. A specialised executive director (CRO) , member of the risk committee, is in charge of identifying and tracing the development of risk in the company, report on these to the executive leadership suggesting the appropriate remedies. Final decisions on major risks matters are part of the responsibility of the full board. Special reports have to be submitted to the supervisory authorities dealing with the general risk landscape in a given jurisdiction. Risk monitoring is one of the core concerns in financial institution. Similar concepts apply to the non-financial sector. The UK stewardship code recognises that “asset owners and asset managers play an important role as guardians of market integrity and in working to minimise systemic risks as well as being stewards of the investments in their portfolios.” 82. In non-financial companies, risk assessment and monitoring are undertaken internally, essentially by the management, reporting to the board. In the better practice, risks committees composed of non-executive directors draw the boards’ attention to the different components of the business risks, based on well-established risk assessment methods developed in parallel to the audit committee. However, boards are not always alert to risks threatening the core substance of the company, especially those arising beyond the time horizon of the current activity: the rapid evolution due to changes in the market structure, or due to product innovations83 have surprised more than one entrepreneur, e.g. in the distribution sector84. The new risks generated by the increased use of IT and other technological tools are much feared, but if 80 FSB has published many statements on cyber issues. See FSB: Reports consider financial stability implications of BigTech in finance and third party dependencies in cloud services, 9 December 2019; FSB, Guidance on cyber resilience for financial market infra, structures June 2016; FSB, Cyber Incident Response and Recovery Survey of Industry Practices, 8–9 June 2019. 81 AML-CFT was mentioned among the global stability issues in the 2019 FSB message to G20 Finance Ministers and Central Bank Governors, https://www.fsb.org/wp-con tent/uploads/P131019.pdf. 82 UK Stewardship Code, 2020, Introduction, stating that “Environmental, particularly climate change, and social factors, in addition to governance, have become material issues for investors”, https://www.frc.org.uk/getattachment/5aae591d-d9d3-4cf4-814a-d14e156 a1d87/Stewardship-Code_Dec-19-Final-Corrected.pdf. The Corporate Governance Code requires the board to assess risk, both emerging and principal risk, the latter defined along lines which come close to systemic risks (28). 83 See the Kodak and Nokia cases, nt. 52. 84 E commerce, combined with efficient delivery methods, has substantially modified the distribution sector, and constitutes one of the predictable challenges. See E. Simpson, High Street: How many UK shops have closed? BBC 23 October 2019.

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fundamental changes to the business model are likely to result, are not always well responded to85. Companies often do not routinely undertake a systematic or quantified risk identification and risk analysis exercise, nor investigate which and where the risks may have been generated, especially when dealing in international markets. Reduced attention may suffice, especially when the present product or activity range or production process do not give rise to specific immediate concerns. It is striking that corporate governance codes often deal with risk identification in a general way as part of the internal control systems, or as part of the task of the audit committee and not as a separate function. Remunerations is a subject dealt with in great detail, but the relationship with risks, even systemic risk is rarely mentioned.86 A similar development may take place when excessive remunerations are granted: these incite staff to take greater risks. Once risks have been identified, it is the task of the board to analyse them, assess their probability and potential damage, provide for adequate alternatives, especially for risk prevention, and if the risk materialises, mitigate its more destructive consequences. In some cases, it is striking how significant risks could easily have been identified and even combatted if a timely active analysis had been undertaken. Large companies should arm themselves with efficient surveillance and detection instruments to prevent not only their financial losses, but also to avoid major harm to their stakeholders. Insurance coverage could reduce the impact of some deficiencies, but the reputation damage will remain. This analysis leads to the proposition that the larger – both financial and non-financial – companies should structure their governance with a view of developing a solid risk management, run by specialised risk managers, reporting to a risk committee87, to be organized within the board and in

85 New types of risk relate to the use of IT in business, leading to different types of abuse or fraud, in some cases equivalent to theft. Idem with counterfeit products e.g. medicines, counterfeit consumer goods, clothing or fashion products, or abuse with payment cards. 86 See on remuneration: French AFEP-Medef Code, 17 and 24; Swiss Code; Belgian Code, Principle 7; Deutsche Corporate Governance Kodex 2020, with comments by Hopt and Leyens, ZGR 2019,974 e.s. But very few code provisions link remuneration to risk policies, eg. when high remuneration incentivises to pursue risky policies: A. Bailey,. Culture in financial institutions: it’s everywhere and nowhere, https://www.fca.org.uk/ news/speeches/culture-financial-institutions-everywhere-nowhere; See Mehran, H. Morrison, A. and J. Shapiro (2012), “Corporate Governance and Banks: What Have We Learned from the Financial Crisis?” in Dewatripont, M. and X. Freixas (eds), The crisis aftermath: new regulatory paradigms, CEPR. See FSB, Implementing the FSB Principles for Sound Compensation Practices and their Implementation Standards, Fifth progress report, 4 July 2017. 87 This function is often assigned to the audit committee. Does this lead to a more accounting led approach to risk?

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charge of determining the risk profile “in accordance with the institution’s business model and risk strategy”88 . While in financial companies, a regulatory requirement addresses strict risk management of which the outer bounds are constrained by external supervisory intervention, in the nonfinancial entities, there are no such limits, no enforcement mechanisms the boards having to voluntarily determine the company’s risk sensitivity expressed in KPIs, taking into account the overall business purpose. Company law rules and practices, along with governance codes89 could define the individual limits of acceptable risk sensitivity, while a related duty to mitigate could be developed. Today, too many companies are not sufficiently sensitive to their risk exposure90.The company’s charter should as a rule contain a clause drawing attention to the directors’ obligation to identify, analyse and prevent major risks which may destroy or seriously harm the company. Boards should justify their action with respect to the major present and future risks which the company may be exposed to, and if possible mention the remedies which it could consider, thereby testifying to their risk awareness. The increasing public interest and attention will require companies, pursuant to whether statutory provisions, corporate governance code, or audit requirements, to display a clearer picture of its risk profile, and of the instruments to combat possible negative consequences. Benchmarks will synthetize the achievements companies are making in these fields – especially in environmental issues – and these could serve as enforcement instruments which are otherwise failing. Ultimately these processes will be largely governed by company law techniques, putting into play the responsibility of the directors. Further pressure will be exercised by investors, action groups and other socially interested parties. Investors are likely to be paying more attention more interested by the collective economic risks, while a wider public will be more interested by issues as climate risk, a field in which bench88 As this is stated in CRD IV Article 76 (3). See the UK Corporate Governance Code, 1.C “The board should also establish a framework of prudent and effective controls, which enable risk to be assessed and managed”. 89 See UK Corporate Governance Code 4.O “The board should establish procedures to manage risk, oversee the internal control framework, and determine the nature and extent of the principal risks the company is willing to take in order to achieve its long-term strategic objectives.” And in 28 “The board should – annually – carry out a robust assessment of the company’s emerging and principal risks” and publicly report on it. In a further comment, the Code defines “principal risk” as relating to the specific position of the company. See 2016 Dutch corporate governance code, https://www.mccg.nl/download/?id= 3367, referring to risk in many sections, requiring an internal risk management, control system, and accountability. The board should pay special attention to risks for the continuity of the company. In the Belgian Code risk management is a more central objective. 90 Evidence can be found in the high amounts of hacking and blackmailing due to “malware”,”ransomware”: “wannacry” and other similar abusive software.

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marks91 or similar instruments92 are being developed which could be used as points of comparison before decisions are adopted. This does not imply that sector-wide analysis would not be useful as far as the identification of preoccupying economic developments is concerned, an action which is already undertaken by the economic and monetary bodies following up and analysing the evolution of the national and international economies. The outcomes of this analysis is an important contribution to the risk evaluation by individual firms, worldwide or in individual jurisdictions. Apart from these company based initiatives, sector wide analyses would be very useful in support of the individual efforts in risks analysis. As far as the identification of preoccupying economic developments is concerned, the action undertaken by the economic and monetary bodies mentioned above are indispensable contributions to the risk awareness and evaluation by the individual firms. 3. The role of the auditors Special attention deserves the role of the external auditor as he is the only external party with in-depth knowledge of the company’s affairs and professionally bound to independence and scepticism in analysing the business’ accounting93. At first sight his role seems largely technical, i.e. convey reasonable assurance that the accounts, as prepared by the management, give a true and accurate view of the activity and the financial position of the company and this in accordance with the applicable accounting and auditing standards. His role can be compared to the independent external assessment undertaken by the financial authorities for the financial institutions, with the important proviso that the auditor’s role is to convey reasonable assurance to the accounts. This description of the auditor’s role does not mean that the auditor does not look into the business risks and their effect on the overall continuity of the business. Decisions on the accounts, e.g in terms of valuation and subsequent provisioning for the different types of assets – claims on clients, non91 TEG Final Report on Climate Benchmarks and Benchmark’s ESG Disclosures, September 2019, https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/business_economy_euro/banking_ and_finance/documents/190930-sustainable-finance-teg-final-report-climate-benchmarksand-disclosures_en.pdf. Technical Expert Group, Climate change performance index, https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/business_economy_euro/banking_and_finance/ documents/190618. 92 See CCPI, the Climate Change Performance Index, which is an independent monitoring tool of countries’ climate protection performance, https://www.climate-changeperformance-index.org, https://www.climate-change-performance-index.org. 93 Scepticsim has become a central concept in the new audit standards. It is pervasive in many audit standards: see ISA 200.

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performing loans, goodwill – will be undertaken with a critical view, with a “sceptical mindset” including on business risks. The auditor’s conclusions may have a significant impact on the company’s overall health and expectations. If he identifies weaknesses in the internal accounting organization, or deficiencies as to the board’s risk assessment, the auditor will have to include an appropriate comment in his report to the board or in his published report94. The auditor is not in charge of making an overall assessment of the company’s health and business prospects, but in cases in which the risks or deficiencies so incurred would have come to his attention, especially if these shortcomings would prevent the company to continue its operations – for banks the BRRD criterion is that the bank “will fail or is likely to fail”95- , the auditor should express his opinion by making a comment about the company’s continuous functioning for the next year96. In many jurisdictions, the auditor should include in his report a statement on the company’s “going concern”, which – if negative – may in fact be a summons to the management to adopt radical reforms and in the reverse case that it considers that the company’s future is not endangered, its financial position being likely to be restored to normal. This requirement is laid down in the company laws, or the accounting rules of many jurisdictions. It is still under consideration whether it should be formally included in the international standards on auditing97. A comparable warning about the company’s financial weakness may in certain company law systems derive from the provision that once the net assets have fallen below 50% of the legal capital, a general meeting has to be called to decide whether to continue the company, or decide on its dissolution and proceed to liquidation. In practice, these losses will be formally established by the board, often on the auditor’s proposal, the public being informed by their publication. The shareholders may also decide on refinancing, re-establishing the company’s continuity98. 94 “Key Audit Matters” in International Auditing and Assurance Standard Setting Board, Standards for Auditing “ISA 701”. 95 This is the formulation used in the Recovery and Resolution directive. 96 For third parties, the mention that the company’s going concern status is no longer insured is a strong warning that their claims may be endangered, or at least that they should strictly follow up the situation. If no such mention is made, the risk may shift to the creditors. According to the audit standards ISA 570, the role of the auditor is to obtain sufficient, appropriate audit evidence about the management’s use of the continuity assumption, or whether there is material uncertainty of the company’s continuity. See UK Corporate governance code, 30. 97 See ISA 570. The inclusion of the “going concern” was refused by the International Auditing Standards Board, see for comment PIOB, Public report, 2015, p. 7. 98 Article 7:228 Belgian Companies Law, WVV; if the losses have reduced the remaining capital to a much lower level (61500 euro in the Belgian law e.g.) any interested party and even the public prosecutor may apply for the dissolution of the company art 7.229 WVV.

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The role of the auditor may also be important in case accounting or other irregularities have been discovered, which will be reported to the audit committee. The ethical standard on Noclar „Responding to non-compliance with laws and regulations“99 requires the auditor who comes across violations of the applicable laws and regulations to inform the company especially its audit committee. If the irregularities amount to serious violations of the accounting standards, or if fraud has been committed, the company may have to undertake further action to remedy the illegal situation. As to the auditor, his role does not extend to the systematic identification of fraud or violations of the law: his role is not that of a forensic investigator. Only if he comes across violations of the law, or a fraud case, or has been made aware about it100, the international ethics standard requires him to report the violation to the internal bodies of the company, especially the audit committee. In the absence of a satisfactory response, the auditor has to notify the competent authorities101. It will up to the authorities to decide how the violation of the law will have to be dealt with, and this in accordance with the applicable national legal regime. To a certain extent, the role of the auditor is somewhat comparable to that of the prudential authorities: he gives reasonable assurance that the financial statements as a whole are free from material misstatements. His assessment of the internal procedures convey the message that the information provided by the companies can be considered as reliable and that decisions by third parties – creditors especially – can rightly be based on the quality of the information so presented. But the auditor’s opinion does not contain any assurance on the wider risk position or the correct functioning of the firm102, nor of the risks flowing from the business environment in which it operates.

99 Noclar Ethics standard nr 360 See for more details about the auditor’s role, ISA 240 “The auditor’s responsibilities relating to fraud in an audit of financial statement”. 100 See the role of the whistleblower, see FSB Stocktake, nte.9. EU Commission, Robust protection for whistleblowers across EU: Commission proposes new rules. 17.4. 2018, https://ec.europa.eu/newsroom/just/item-detail.cfm?item_id=620400; Proposal for a DIRECTIVE on the protection of persons reporting on breaches of Union law, COM/ 2018/218 final – 2018/0106 (COD); See SEC, Office of the whistleblower. 101 See IESBA-Handbook-Code-of-Ethics-2018.pdf- This regime applies to (a) Laws and regulations generally recognized to have a direct effect on the determination of material amounts and disclosures in the client’s financial statements; (b) Laws and regulations which might be fundamental to the operating aspects of the client’s business, to its ability to continue its business, or to avoid material penalties. 102 This would be expressed in the Going Concern statement.

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VI. Risk monitoring – external or internal The risk monitoring in non-financial companies is mainly a companyinternal activity: in this respect it is not very different from the monitoring activity in financial companies. The main difference is the presence of external monitoring by the authorities in charge of financial stability. Some will defend the creation of an oversight structure similar to the macroprudential one developed for the financial world. It is however unclear whether this approach would be workable: the heterogeneity of the non – financial sector makes it much more difficult to extrapolate individual, mostly sectoral crisis cases to a more widespread systemic crisis. The diversity of these business sectors, and their activities in the non-financial world leads to greater risk diversity, calling for different remedies, therefore making the impact on the overall economy and the population concerned more difficult to predict. The lower degree of interconnectedness between activities and firms, limiting contagion but also implying differences as to the risk distribution, would make the introduction of sector-wide-measures – imbalanced and therefore less effective, and probably more controversial. Sectoral measures would be preferable and have been practiced, limiting the need for an overall regime. Rather than creating a sector-wide approach, based on a complex administrative or supervisory structure, solutions are more likely to be found at the level of individual firms, or of clusters of firms engaged in the same activity, calling for more focused risk management and the search for appropriate remedies. This summary does not imply that economy-wide analysis would not be useful for the identification of preoccupying economic developments, an action which is already undertaken by the – international and national – economic and monetary bodies, with an overall view of the national and international economies, and formulating some specific recommendations103. The outcomes of their analysis is an indispensable contribution to the risk evaluation by individual firms, worldwide or in individual jurisdictions, both banks and non-banks. It seems more workable to define the scope of a future regime from the angle of the individual firms, analysing major potential risks from their specific position. Specific risks flowing from production or distribution processes are best managed at the firm’s level, or if the risks are common to several firms, by developing faster and more efficient preventive or corrective measures as far as risks at firms’ level are concerned. By way of example, 103 See e.g. the studies on the prospective GDPs: See e.g. IMF, World Economic and Financial Surveys World Economic Outlook Database; https://www.imf.org/external/ pubs/ft/weo/2019/02/weodata/index.aspx; OECD Economic Outlook, 2019-2.

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where harmful products or processes are concerned – medicine, foodstuff, engines, airplanes, or IT threats – these are best dealt with at the individual level, firms alerting each other and taking similar remedial measures. This is also the level where the most relevant expertise can be found. The board should systemically scan the potential risks in the business activity of the company, including commercial risks, internal risks, preparation for external risks, etc. The appointment of a well-prepared risk manager, assisted by a trained team, will be necessary. These obligations are rooted in the company law duty to maintain the business activity intact. Even if the risks originate outside the firm – e.g. a major air pollution due to a fire – the firm will often be well placed to identify the risk and adopt the necessary measures to protect itself, its employees and the population living around it. On the other hand, some major risks are not directly related to the firm, but affect the wider society, it would be up to the society’s decision-making bodies – i.e. national governments, international bodies, financial authorities – to decree the necessary measures, individual firms contributing on a voluntary or obligatory basis. This regime would be applicable to collective risks, among which climate change, flooding, a highly transmissible virus or desertification will rank the highest. The task of the authorities is then to identify the risks preferably in advance, and call for collective action, or to enact the necessary regulation, with appropriate sanctions if necessary. This dividing line between collective and individual risks needs to be further refined, and often there will be a direct relationship between the two sources of risk: combustion engine induced air pollution and climate risk are directly related. As the assessment of these potentially destructive risks will firstly have to be undertaken at the level of the individual firms, company law – in its broader sense – could play a significant role in striving at risk reduction. thereby supporting the firms’ continuity. This leads to the adoption of certain specific risk reduction measures, relating the firm’s structure and its funding, its decision making, management duties, and internal risk department. The designation of a well prepared risk manager will be necessary. An explicit reference in the company’s purpose should be welcomed, defining the relating duties of the board. As mentioned above, governance requirements will play a central role in structuring the risk assessment function within large companies. Board members should be sufficiently independent and knowledgeable to objectively assess the risks to which the company may be confronted104. Some should have specific attributions and experience in analysing specific risks in 104 S. 174 UK companies act: Duty to exercise reasonable care, skill and diligence, but no systemic dimension.

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the firms’ activity or business sector, prerequisites upon their appointment. Their mandate should include the identification and assessment of possible macro risks due to company action, or inaction, potentially affecting beyond the company a wide range of its stakeholders 105. Business risks should receive priority attention: the liquidity position of the company may call for special attention where exceptional support from the banking system may help solve eventual bottlenecks106. Climate or IT issues especially in relation to cyber security, are a high priority these days107. Directors should have the necessary expertise to oversee the executives in following up market, political or even regulatory developments. They should regularly report to the board about their analysis and its recent and foreseeable evolution and have the instruments ready to stop further IT abuses. Boards should publicly report as to how they have fulfilled these oversight duties in their annual report108, although specific details on risk related matters may negatively affect the business activity while too detailed disclosure might be counterproductive. In some systems, regular risk related press releases have been called for. The legal basis for this action can be found in a generally applicable duty of care consisting of a widely applicable obligation for boards of large companies to take appropriate measures to deal with major risks relating to their economic activity. As these risks are increasingly identified and their impact estimated, liability should more readily be admitted in case of negligently omitting to adopt the appropriate measures. This widened duty of care should be part of the corporate governance principles and further elaborated in the internal code of conduct for directors, all this going back to well established common law principles of “responsible corporate governance”.109 Recent versions of the corporate governance codes pay considerable attention to these wider responsibilities of companies, referring to the ex105 Company law does not include this dimension: see e.g. the impact of the activity in mining , or ecological effects. 106 Although there is no formal liquidity ratio for commercial companies, the boards are responsible for ensuring that accessible liquidity will suffice to cover the normal needs from the liquidity flows within the company (see: Carillion case, e.g on https://www.ft. com/content/277dfdce-b6ec-11e9-96bd-8e884d3ea203). FRC, Extension of investigations related to the financial statements of Carillion plc , FRC, 26 February 2019. 107 Among the causes of systemic concern may be: AML, nt.83; corruption (Corruption: see the G20 Osaka Leaders’ declaration, https://www.fsb.org/wp-content/uploads/ G20-Osaka-Leaders-Declaration.pdf) and whistleblowing as a remedy, nt. 83. 108 See UK Corporate Governance code, part 4, 26. The board should report on the principal risks and how these have been managed or mitigated, 28. 109 See for the principle: House of Lords, Anns v Merton London Borough Council [1978] AC 728; comp the German notion of the “the model image of the honorable businessman” (“Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns”).

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tended notion of the corporate purpose and further materialised in internal codes of conduct, expressing the concepts developed in the notions of corporate social responsibility and in the ESG principles110. These more widely described duties of the board of directors of major companies should first and foremost be based on the company’s significant economic position and the likelyhood that its activity may cause greater harm which can be qualified as “systemic”. In these cases, boards should be held to stronger prudence to avoid this kind of harm to be inflicted. A considerable part of the fundaments of prudential regulation is rooted in general company law: the provisions on governance, accounting, own fund requirement, auditing and the disclosure regime are part of to the basic framework, on which a significant layer of prudential regulations is superimposed, but leaving the principles untouched. The duties and liabilities of directors in both fields are not fundamentally different: they should behave with prudence and in a responsible way. 111 The fundamental role of the legal system in dealing with systemic issues and finding macroprudential solutions is increasingly receiving attention 114. In economic writing, interesting perspectives are being developed as to whether changing legal provisions, especially in the field of taxation, or social benefits, may constitute a valuable instrument in combatting macroprudential risk, rebalancing our economies and ultimately in combatting the next recession. 112

VII. Conclusion The identification, structuring, monitoring and remedying of major risks in non-financial companies have several features in common with the comparable activities in financial institutions. Provisions on governance, accounting, auditing and disclosure are part of to the basic framework on which both systems rely. The duties and liabilities of directors and managers 110

See e.g. nt 36. In some cases, this double layered approach applying national and European law, as followed within the SSM applying national and EU rules, has sometimes led to conflicts between national company law and prudential requirements: examples are the “fit and proper test”, or the two-tier structure of the board, with the chairman exercising operational activities, considered incompatible with the EU directive by the ECJ; “Credit Agricole a.o. case, Cases T-133/16 to T-136/16, 24 April 2018. 112 See especially Yair Listokin, Law and Macroeconomics, Analyses, as useful alternatives to interest rate policies, the effect of legal, essentially regulatory measures as instruments to combat shocks in the economy. Harvard U.P. 2019. See also: The Brookings Institution, Law and Macroeconomics, using regulations to combat recessions, Sept 10 2019, transcript es_20190910, https://www.brookings.edu/events/law-and-macroeconomics-us ing-regulations-to-combat-recessions/. 111

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in both fields are not fundamentally different: they should behave with prudence and in a responsible way, pursuing profit for the shareholders and investors, but also avoiding the risk spill-over to their clients or to wider community. In the non-financial world, these tasks are structured internally, as part of the general management of the company, and its assessment of its present and future position. In the world of financial institutions, the institutions are urged to follow the guidance of the prudential authorities, who having specific systemic risk in view, ultimately have the right to decide on remedial action. In the absence of similar guidance, the non-financial companies should develop their internal instruments to identify and prevent comparable large risks. In both cases however, it is company law that offers the basic framework within which companies will deal with risks, including systemic risks, strengthened by external oversight and regulation for the financial sector. An explicit reference in the company’s purpose will help define the relating duties of the board. This first attempt to broadening the perspective about considerable risks in non-financial companies should be further refined: defining the notion of systemic nature for non-financial companies, limiting the application to the largest or most risk intensive companies will raise definitional questions which have to further discussed and analysed. The techniques for monitoring companies actions in this field are among the subjects that will deserve further legal, but also political discussions. This will include the development of alternative solutions allowing to better allocate the consequences of the risks to the entities that created them, and provide for adequate remedies allowing to better protect the impacted populations or victims. But these considerations do not prevent that our societies should further investigate how they can offer a better protection to their citizen against these increasingly destructive risks.

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Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang

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Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt em. Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang

Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang Zur Person 24.8.1940

geb. in Tuttlingen als Sohn der Ärzte Dr. med. Theo und Dr. med. Maria Hopt

seit 14.5.1968

verheiratet mit Frau Drs. Nhu Dung Hopt-Nguyen

Ausbildung 17.2.1959

Reifezeugnis des humanistischen Albertus-MagnusGymnasiums in Rottweil

ab 1959

neun Semester Studium der Rechte in München und Tübingen

ab 1962

Zweitstudium der Volkswirtschaftslehre und der politischen Wissenschaften

23.11.1963

Erste juristische Staatsprüfung, Tübingen (12 Punkte, gut, Platzziffer 1 aus 64)

1.3.1964–30.4.1964

Stipendium der Stiftung Volkswagenwerk zum Studium in Spanien (Bilbao)

1.5.1964–31.7.1964

Stipendium der Stiftung Volkswagenwerk zum Studium in Frankreich (Paris)

1.9.1964–30.6.1965

Postgraduate Studium am Institute of Comparative Law der New York University, Stipendiat der Stiftung Volkswagenwerk

10.10.1965

Verleihung des Grades M.C.J. New York University

19.12.1967

Promotion zum Dr. iur., München (summa cum laude)

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Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang

7.6.1968

Promotion zum Dr. phil., Tübingen (magna cum laude) Fächer: Politische Wissenschaften, Geschichte, öffentliches Recht

2.10.1969

Zweite juristische Staatsprüfung, München (2,50, sehr gut, Platzziffer 1 aus 426)

ab 1.10.1969

wiss. Assistent an der Universität München

1970

dreimonatige Ausbildung im Programmieren (Deutsches Rechenzentrum Darmstadt, Siemens AG München)

Berufliche Entwicklung 26.7.1973

Erteilung der Lehrbefugnis für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Rechtssoziologie und Rechtinformatik

11.3.1974

Ruf nach Tübingen auf einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (Nachfolge Prof. Dr. Fikentscher)

14.3.1974

Ruf nach Göttingen auf einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht (Nachfolge Prof. Dr. Großfeld)

22.3.1974

für den Fall der Ablehnung Zusage des Rufs nach Hamburg auf einen neuen Lehrstuhl für Privatrecht und Rechtssoziologie

zum SS 1974

Annahme des Rufs nach Tübingen

seit 1975

Mitglied der International Faculty for Corporate and Capital Market Law

1976

Gutachter für den Deutschen Juristentag

1976–1978

Vertrauensdozent der Studienstiftung des Deutschen Volkes, Universität Tübingen

Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang

1543

1977–1979

Mitarbeit im Studienreformausschuß des Juristischen Fakultätentages

16.12.1977

Ruf nach Florenz an das europäische Hochschulinstitut: Europäisches und internationales Handels- und Wirtschaftsrecht (Nachfolge Prof. Dr. Sasse/Prof. René David)

19.5.1978

Ruf nach Frankfurt auf einen Lehrstuhl für deutsches und ausländisches, Bürgerliches und Handelsrecht und Internationales Privatrecht (Nachfolge Prof. Dr. Frh. Marschall von Bieberstein)

28.6.1979

für den Fall der Ablehnung Zusage des Rufs nach Münster auf einen Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie (Nachfolge Prof. Dr. Schelsky)

1978–1980

Annahme des Rufs nach Florenz; Postgraduate Seminare über europäisches und internationales Gesellschafts- und Kartellrecht, Sprache: englisch und französisch

März–Mai 1979

Visiting professor an der University of Pennsylvania Law School, Philadelphia; Vorlesungen über „Multinational Corporations“ und „Comparative Securities Regulation“

1979–1980

Dekan des Juristischen Departments des Europäischen Hochschulinstituts 1979/1980 Florenz

zum 1.10.1980

Rückkehr an die Universität Tübingen

März–April 1981

Part-time professor am Europäischen Hochschulinstitut Florenz

20.11.1981

Berufung zum Prüfer für die zweite juristische Staatsprüfung

29.12.1981

Ernennung zum Richter auf Lebenszeit am OLG Stuttgart

30.12.1981–31.7.1985

Mitglied des Wettbewerbs- und Kartellsenats am OLG Stuttgart

1.10.1982–31.9.1983

Dekan der juristischen Fakultät der Universität Tübingen

1544

Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang

März 1983

Part-time professor an der Europa-Universität, Florenz

1983–1985

Mitglied des Prüfungsausschusses für Wirtschaftsprüfer beim Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr Baden-Württemberg

19.7.1984

Ruf nach Bern auf ein neueingerichtetes Ordinariat für Privatrecht, Wirtschafts-, Handels- und Bankrecht

18.9.1984

Ruf nach Wien auf ein Ordinariat für Österreichisches bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (Nachfolge Univ.-Prof. Dr. Schwind)

zum 1.8.1985

Annahme des Rufs nach Bern

28.4.1986

Ruf nach Köln auf einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Handelsrecht/Institut für Bankrecht (Nachfolge Prof. Dr. Pleyer)

März 1987

Professeur invité an der Université de Paris I (Panthéon-Sorbonne); Vorlesungen über „Droit des groupes de sociétés“ und „Contrôle des concentrations“

10.6.1987

Ruf nach München auf einen Lehrstuhl für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht sowie Internationales Privatrecht (Nachfolge Prof. Dr. Steindorff)

zum 1.10.1987

Annahme des Rufs nach München

1.2.–30.4.1988

Guest professor an der Universität Kyoto, Japan; Professorenseminar über „The Corporation and its Legal and Financial Environment“

1988

External Professor am Europäischen Hochschulinstitut Florenz

1989–1994

Vertrauensdozent des Cusanuswerkes, Universität München

1989–1990

Professeur visiteur à l’Université Libre de Bruxelles, Vorlesungen über „Questions spéciales de droit économique et de droit financier“

Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang

1545

1989–1990

Mitglied der Expertenkommission des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg zur Einrichtung eines „Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung – ZEW“ in Mannheim

1991

Professeur invité à l’Université de Genève, Vorlesungen über „Le pouvoir dans les sociétés et son contrôle en droit des sociétés européen et comparé“

1991

Visiting Professor at the University of Tokyo, Japan; Vorlesungen über „European and German Corporate Law and Securities Regulation“

1991–1993

Mitglied der Struktur- und Ber